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MITTELM! 


LIBRARY 

BUIYERSHY  OF  CALIFORNIA 

RIVERSIDE 


MITTELMEERBILDER 

GESAMMELTE  ABHANDLUNGEN 
ZUR  KUNDE  DER  MITTELMEERLÄNDER 


VON 


Dr.  THEOBALD  FISCHER 

GKH.  REG.-RAT,  PROFESSOR  DER  GEOGRAPHIE  AN  DER  UNIVERSITÄT  MARBURG 


NEUE  FOLGE 


MIT  8  KARTCHEN 


LEIPZIG  UND  BERLIN 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER 

1908 


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ALLE  RECHTE, 
EINSCHLIESSLICH  DES  ÜBERSETZUNGSRECHTS,  VORBEHALTEN. 


Vorrede. 


Der  im  Jahre  1 906  erschienene  Band  meiner  Mittelmeerbilder 
hat  zu  meiner  Freude  und  Überraschung  nicht  nur  in  den  weiteren 
Kreisen  allgemein  Gebildeter,  für  welche  sie  in  erster  Linie  bestimmt 
waren,  sondern  auch  bei  den  Fachgenossen  in  hohem  Maße  An- 
erkennung gefunden.  Das  war  für  mich  eine  Ermutigung,  eine  von 
vornherein  ins  Auge  gefaßte  Neue  Folge  nicht  zu  lange  hinaus- 
zuschieben. 

Diese  unterscheidet  sich  von  der  ersten  insofern,  als  sie  z.  T. 
mehr  wissenschaftliche  Untersuchungen  enthält,  die  aber  auch  mög- 
lichst allgemeinverständlich  gehalten  sind  und  das  Verständnis  für 
das  Mittelmeergebiet,  das  inzwischen  noch  mehr  in  den  Vordergrund 
der  Weltpolitik  gerückt  ist,  auch  in  dieser  Richtung  zu  vertiefen 
geeignet  sein  dürften.  Es  handelt  sich  auch  hier  überwiegend  um 
bereits  veröffentlichte  Abhandlungen  und  Vorträge.  Daneben  aber 
auch  um  Vorträge,  welche  zwar  öffentlich  vor  größeren  Zuhörerkreisen 
gehalten,  aber  noch  nicht  veröffentlicht  worden  sind.  Das  gilt 
namentlich  von  den  ersten  drei,  die  zur  Einführung  unerläßlich 
schienen.  Gekennzeichnet  wird  der  Band  besonders  durch  Studien 
über  die  Küsten  des  Mittelmeeres,  die  fast  durchaus  auf  Selbstsehen 
beruhen  und  besonders  die  geschichtlichen  Beziehungen  zwischen 
dem  Wohnräume  und  den  Geschicken  der  Menschen  klarzulegen 
bemüht  sind.  Und  gerade  die  Küstenlandschaften  sind  es,  in  welchen 
sich  die  Geschichte  der  Mittelmeerländer  vorzugsweise  abspielt,  und 
die  von  den  Reisenden  mit  Vorliebe  besucht  werden. 


XV  Vorrede. 

Zum  Verständnis  der  Zeitgeschichte  dürften  ganz  besonders 
die  letzten  Aufsätze  beitragen,  welche  Marokko  und  die  Mittelmeer- 
völker behandeln,  ganz  besonders  aber  nach  eigenen  auf  fünf  Reisen 
gemachten  Beobachtungen  und  nach  in  30  Jahren  gesammelten 
Lesefrüchten  ein  Bild  der  heute  im  Vordergrunde  der  Weltpolitik 
stehenden  Berbern  entwerfen. 

Marburg,  im  März   1908. 

Theobald  Fischer. 


Inhaltsübersicht. 


I.    Das  Mittelmeergebiet. 

1.  Seine  kulturgeschichtliche  Bedeutung i 

2.  Seine  Entstehung  und  Entwicklung 15 

3.  Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelnieergebietes 31 

II.    Küstenstudien  aus  den  Mittelmeerländern. 

1.  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten 59 

2.  Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier 88 

1.  Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza 93 

2.  Vergleichender  Überblick    über    die    Küste    von  Tunesien    und 

Algerien 108 

3.  Veränderungen  der  Küste  am  Golf  von  Algier 112 

4.  Neue  Küstenstudien  an  der  Abrasionsküste  von  Tipaza  und  Algier  .  119 

5.  An  der  Küste  der  großen  Kabylei 137 

6.  Die  Bucht  von  Bona 14c 

7.  Die  Stätte  von  Karthago 155 

8.  Die  nordadriatische  Haffküste 176 

9.  Der  Schwerpunkt  Griechenlands 193 

III.    Zur  Geomorphologie  Italiens. 

1.  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel 210 

a)  Die  Tyrrhenis 211 

b)  Der  Süd-Apennin 215 

c)  Terrassenbildung  in  Kalabrien  und  Sizilien 222 

d)  Gargäno — Apulien 227 

2.  Zur  Hydrographie  von  Kalabrien 231 

IV.    Versuch  einer  wissenschaftlichen  Urographie 
der  Iberischen  Halbinsel. 

1.  Geschichtlicher  Überblick 241 

2.  Die  Iberische  Scholle 247 

a)  Allgemeiner  Überblick 247 

b)  Das  Haupt-Scheidegebirge 252 

(      I  )as  Iberische  Tafelland 258 


VI  Inhaltsübersicht. 

Seite 

3.  Das  Kantabrisch-Pyrenäische  Faltenland 263 

a)  Das  Kantabrische  Gebirge 264 

b)  Die  Pyrenäen 266 

4.  Das  Katatonische  Gebirge 268 

5.  Das  Ebrobecken 270 

6.  Das  Andalusische  Faltenland 270 

V.    Klimatologische  Studien. 

1.  Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen    ....  279 

2.  Das  Klima  von  Marokko 303 

a)  Der  klimatologische  Beobachtungsstoft" 304 

b)  Bodenplastische  Skizze 311 

c)  Luftdruck  und  Luftströmungen 312 

d)  Kühle  Auftriebsküste 319 

e)  Die  thermischen  Verhältnisse 326 

f)  Die  Niederschlagsverhältnisse 330 

g)  Ausdehnung  des  Küstengebietes 341 

h)  Das  Innere.     Niederschlagsverhältnisse 348 

i)  Das  Gebirgsland 353 

k)  Die  thermischen  Verhältnisse  des  Innern 356 

1)  Staubwinde 359 

m)  Quellen-  und  Brunnentemperaturen 360 

n)  Malaria 361 

o)  Tanger  und  Mogador  als  klimatische  Kurorte 362 

VI.    Anthropogeographische  Studien. 

1.  Marokko  als  Kriegsschauplatz 367 

2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  und  ihre  weltpolitische  Bedeutung  374 

Namen-  und  Sachregister. 411 


Verzeichnis  der  Kärtchen. 


1.  Tektonische  Grundzüge  der  Mittelmeerländer zu  I  2 

2.  Die  thalassogene  Schwemmlandküste  von  Languedoc ,,  II   I 

3.  Die  Brandungsbuchten  bei  Tipaza „  II  2 

4.  Die  Rundbucht  von  Algier „  II  3 

5.  Der  Golf  von  Tunis „  II  7 

6.  Die  nordadriatische  Haffküste „  II  8 

7.  Die  Ostseite  von  Griechenland „  II  9 

8.  Regenkärtchen  von  Marokko „  VI    1 


I.   Das  Mittelmeergebiet. 


i.  Seine  kulturgeschichtliche  Bedeutung. 

Wir  sprechen  von  einem  mediterranen  Kulturkreise,  in  welchen 
die  Wurzeln  unserer  europäischen,  seit  der  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts sich  rasch  zur  ozeanischen,  zur  Weltkultur  entwickelnden 
Kultur  hineinreichen:  Christentum  und  klassische  Bildung.  Die 
Wiege  des  ersteren  stand  in  dem  kleinen  Mittelmeerlande  Palästina, 
die  der  letzteren  in  dem  kaum  größeren  Griechenland.  Unter  den 
Charakterzügen  des  Mittelmeergebiets,  die  dasselbe  ganz  besonders 
befähigten  eine  Heimstätte  höherer  Kultur  zu  werden,  ist  neben 
der  Auflösung  der  Erdteile  in  Halbinseln  und  Inseln,  neben  der 
sich  immer  wiederholenden  Annäherung  des  einen  an  den  anderen, 
neben  der  gegenseitigen  Durchdringung  von  Land  und  Meer, 
neben  der  Übereinstimmung  in  Klima,  Pflanzenwelt  und  Bedin- 
gungen des  Bodenbaues  vor  allem  auch  die  Zugänglichkeit  dieses 
weiten  Erdraumes  aus  der  Umwelt,  vor  allem  von  Europa  und 
Asien  aus  zu  nennen.  Während  das  Mittelmeergebiet  als  Kultur- 
herd zu  Afrika  nur  wenige  Beziehungen,  sei  es  gebend,  sei  es 
nehmend  unterhalten  hat,  hat  es  Europa  fast  nur  mitgeteilt,  von  Asien 
fast  nur  empfangen.  Je  weiter  wir  die  Anfänge  griechischer 
Kultur  durch  die  Ausgrabungen  auf  griechischem  Boden  zurück- 
verfolgen können,  um  so  mehr  orientalische  Einflüsse  lassen  sich 
nachweisen.  Doch  reichen  dieselben  nur  bis  Vorderasien,  allen- 
falls bis  Indien.  Der  ostasiatische  Kulturkreis  ist  ein  völlig  in  sich 
abgeschlossener  gewesen,  eine  Welt  für  sich,  die  weder  von 
außen  beeinflußt  worden  ist,  noch  nach  außen  Einfluß  ausgeübt 
hat.  Wohl  aber  haben  mehr  oder  weniger  alle  Kulturherde  des 
süd-  und  vorderasiatischen  Kulturkreises,  wie  untereinander,  so 
zum  mediterranen  Beziehungen   unterhalten.      Sie  alle  sind   durch- 

Fischcr,  Mittelmeerbilder.    Neue  Folge.  I 


2  I>   I.    Kulturgeschichtliche  Bedeutung  des  Mittelmeergebietes. 

aus  festländische  und  erscheinen  als  gebunden  an  große  Ströme: 
Ganges  und  Indus,  Oxus  und  Jaxartes,  Euphrat  und  Tigris,  Nil. 
Auch  der  leider  noch  zu  wenig  erforschte  südarabische  ist 
mit  Hilfe  künstlicher  Berieselung  erwachsen.  Diese  Ströme 
waren  die  lebenspendenden  Naturkräfte  in  fast  regenlosen  Ge- 
bieten, die  den  Menschen  förmlich  herausforderten  sie  beherrschen 
zu  lernen  und  sich  dienstbar  zu  machen.  Dort  in  der  trocknen, 
reinen  Luft  der  Wüste  entwickelte  sich  aus  der  Beobachtung  der 
Gestirne  zur  Feststellung  der  Zeit  der  Überschwemmungen  die 
Wissenschaft  der  Astronomie,  die  Notwendigkeit,  die  nach  den 
Überschwemmungen  verwischten  Flurgrenzen  neu  festzulegen,  die 
Besteuerung  zu  regeln,  das  befruchtende  Wasser  nach  Bedarf 
einzudämmen  oder  auszubreiten  u.  dgl.  m.  legte  den  Grund  zur 
Mathematik,  zur  Meßkunst  usw.  Die  Flüsse  entwickelten  sich  zu 
Verkehrswegen.  So  wurden  diese  Oasenlandschaften  Sitze  einer 
immer  dichter,  einer  immer  zahlreicher  werdenden  Bevölkerung, 
die  Brennpunkte  des  Handels,  die  Ausgangspunkte  politischer 
Macht,  vielfach  die  Kerne  von  Großreichen.  Der  so  angehäufte, 
ungleichmäßig  verteilte  Wohlstand  erlaubte  Hingabe  an  rein 
geistige  Tätigkeit,  förderte  Kunstgewerbe  und  Kunst. 

Es  sind  wohl  weniger  die  Erzeuger  und  Träger  dieser  vorder- 
und  südasiatischen  Kultur  selbst  gewesen,  welche  die  Errungen- 
schaften derselben  ins  Mittelmeer  übertragen  haben,  als  das 
Handelsvolk  der  Phöniker,  die  auch  ihrerseits,  ohne  die  viel 
umstrittene  Frage  ihrer  Herkunft  damit  entscheiden  zu  wollen,  erst 
durch  Wanderung  Mittelmeeranwohner  geworden  waren.  Der 
phönikische  Handel  war  gewiß  ursprünglich  Landhandel,  hat  sich 
aber  sehr  früh  zum  Seehandel  entwickelt.  Daß  die  syrische 
Küste  eine  solche  Entwicklung  besonders  begünstigt  habe,  ist 
eine  irrige  Annahme.  Sie  war  und  ist  keineswegs  besonders 
hafenreich.  Dessen  bedurfte  es  auch  in  der  ältesten  Zeit  gar 
nicht,  viel  wertvoller  war  ein  flacher  Strand,  auf  welchen  man  die 
kleinen  Schiffe  hinaufzog.  Schiffsbauholz,  Kupfer,  auch  Eisen 
boten  der  Libanon  und  Cypern.  Der  Fischreichtum  des  Meeres 
mußte  bald  zur  Ernährung  der  in  den  kleinen  Küstenebenen,  auf 
den  Schuttkegeln  der  Libanonflüsse  rasch  verdichteten  Bevölke- 
rung in  Anspruch  genommen  werden.  Mit  den  Fischen  gewann  man 
wohl  auch  bald  kostbaren  Farbstoff  liefernde  Schnecken.  Später 
leisteten  kleine  küstennahe  Inseln,  auf  denen   oder  hinter  denen, 


Die  Phöniker.  2 

gewissermaßen  als  Hafendämme,  die  Seestädte  sich  entwickelten, 
wesentliche  Dienste.  Bald  wurden  diese  natürlich  geschützten 
Liegeplätze  weiter  durch  Dämme  zu  wirklichen  Häfen  ausgebaut, 
auch  wurden  Hafenbecken  auf  dem  Festlande  selbst,  wie  solche 
vielfach  die  Karthager  angelegt  haben,  sog.  Kothone,  durch  Aus- 
schachtungen geschaffen.  Die  Phöniker  haben  das  Seewesen 
wesentlich  verbessert,  Schiffstypen  erfunden,  die  lange  maßgebend 
gewesen  sind,  sie  haben  es  auch  gelernt,  unter  Benützung  der 
Gestirne  und  nach  ihrer  auf  Erfahrung  beruhenden  Kenntnis  der 
Segelkraft  des  Windes  sich  von  den  Küsten  loszulösen  und  größere 
Strecken  des  offenen  Meeres  zu  befahren.  Doch  ist,  was  wir 
von  der  Kultur  der  Phöniker  wissen,  leider  sehr  lückenhaft  und 
beruht  z.  T.  auf  den  Berichten  ihrer  Feinde.  In  ihren  Seestädten 
hatte  Handel  und  Gewerbtätigkeit  große  Reichtümer  aufgehäuft, 
die  immer  und  immer  wieder  die  Eroberer  anlockten  und  trotz 
zähen  Widerstands  dieselben  erobern  ließen.  Sie  hatten  den  Land- 
handel von  Mesopotamien  und  von  Indien  her  in  der  Hand,  da 
am  nordsyrischen  Gestade  die  den  beiden  Schenkeln  des  Euphrat 
folgenden  Straßen  ans  Mittelmeer  ausmündeten.  Sie  haben  schon 
das  Mittelmeer  zu  einem  Durchgangsmeere  gemacht,  indem  sie 
zur  See  ihre  eigenen  Erzeugnisse  und  die  des  ferneren  Ostens  dem 
Westen  zuführten.  Sie  vermittelten  namentlich  auch,  schon  früh 
auf  Landwegen  den  Ägyptern  unterworfen,  zur  See,  an  dem  un- 
nahbaren Strande  von  Palästina  vorbei,  wo  sie  bis  weit  in  die 
israelitische  Geschichte  hinein  Jaffa  besetzt  hielten,  den  Handel 
oder  einen  Teil  des  Handels  von  Vorderasien  mit  Ägypten 
und  Ägyptens  mit  der  Mittelmeerwelt.  Schon  um  1600  v.  Chr. 
unter  Tuthmosis  III.  sind  die  Phöniker  auf  den  Denkmälern  von 
Theben  dargestellt  als  dem  Könige  Tribut  bringend  in  der  Ge- 
stalt von  Edelmetallen  und  Edelsteinen  bzw.  aus  solchen  gefertigten 
und  damit  geschmückten  Geräten,  die  auf  den  Handel  der 
Phöniker  mit  dem  ferneren  Osten  bis  nach  Indien  und  die  kunst- 
gewerbliche Verarbeitung  durch  den  Landhandel  bezogener  Roh- 
stoffe hinweisen.  Ägypten  ist  eine  durchaus  festländische  Oase 
in  der  Wüste,  seine  Bewohner,  so  gut  sie  sich  auf  die  Nilschiff- 
fahrt verstanden,  waren  zu  allen  Zeiten  meerscheu.  Der  breite, 
von  Sümpfen  und  Haffen  gebildete  Gürtel  am  Rande  des  Deltas 
schloß  das  Land  gegen  das  Meer  ab.  Die  Phöniker  und  später 
die  Griechen  benutzten  nur  die  Flußmündungen  und  Flußarme  als 


a  1,1.    Kulturgeschichtliche  Bedeutung  des  Mittelmeergebietes. 

Zugänge  und  Häfen.  Erst  Alexander  der  Große  legte  am  offenen 
Meere  und  am  Westrande  des  Deltas,  dessen  landbildende  Sink- 
stoffe die  Küstenströmung  nach  Osten  trägt,  im  Schutze  einer 
kleinen  Insel,  einer  verfestigten  alten  Düne,  die  bald  mit  dem 
Lande  verbunden  wurde,  eine  nach  seinem  Namen  benannte 
Seestadt  an,  welche  sich  bald,  namentlich  durch  den  wohl  aus- 
schließlich von  Griechen  betriebenen  Handel  durch  das  Rote 
Meer  nach  Südarabien,  Indien  und  Ostafrika,  zur  ersten  Welt- 
handelsstadt entwickelte.  Alexandria  war  aber  eine  griechische 
Stadt,  wie  auch  das  seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts, 
wiederum  dank  der  Beziehungen  zum  Roten  Meere,  wieder  auf- 
gelebte jetzige  Alexandria  kaum  als  ägyptische  Stadt  anzusehen 
ist.  Die  Phöniker  haben  also  auch  die  Errungenschaften  der  ur- 
alten Kulturoase  des  Nils  in  den  Bäuchen  ihrer  Schiffe  dem 
Mittelmeergebiete  zugeführt. 

Wenn  wir  mehr  von  den  Phönikern  wüßten,  so  würden  wir 
auch  besser  beurteilen  können,  welchen  erziehenden  Einfluß  das 
Meer  auf  sie  ausgeübt  hat.  Ein  günstigeres  Geschick  haben  in 
dieser  Hinsicht  die  Griechen  gehabt. 

Von  den  Griechen  kann  man  sagen,  daß  bei  ihnen  erst 
das  Meer  voll  und  ganz  an  Stelle  der  großen  Ströme  der  Kultur- 
herde Asiens  getreten  ist.  Man  kann  Griechenland  kurz  als 
ein  maritimes  Gebirgsland  bezeichnen,  Norwegen  vergleichbar. 
Durch  Bewegungen  in  der  Erdrinde,  die  in  diesem  Teile  des 
mediterranen  Bruchgürtels  ihren  höchsten  Betrag  erreichten,  ist 
hier  sowohl  ein  junges  Faltengebirge  als  auch  eine  alte  Scholle 
(der  Ägaeis)  zerstückt  und  in  Inseln  und  Halbinseln  aufgelöst 
worden.  Das  Meer  hat  sich  überall  zwischen  das  Land  gedrängt 
und  das  große  Kugeltrapez,  das  durch  die  Parallelkreise  von 
Kreta  und  Konstantinopel,  die  Meridiane  etwa  von  Korfu  und 
Rhodos  begrenzt  ist,  besteht  zum  größeren  Teil  aus  Wasser:  die 
Welt  der  heutigen  Griechen  und  die  älteste  griechische  Welt. 
Aber  auch  das  Festland  ist  zerstückt  und  zerfällt  in  lauter  kleine 
Landschaften,  von  denen  einige,  trotz  geringer  Meerferne,  nur 
geringe  Beziehungen  zum  Meere  unterhalten  und  daher  erst 
spät  in  die  griechische  Kulturbewegung  hineingezogen  werden. 
So  Böotien,  das  die  Hegemonie  erlangt,  als  Athen  aufgebraucht 
ist,  so  Arkadien  und  Ätolien,  die  gewissermaßen  die  Rolle  von 
Reservezellen    spielen.        Ganz     Griechenland     kann     man     einen 


Die  Griechen.  c 

Mikrokosmos  nennen.  Die  Bewohner  Griechenlands  werden 
förmlich  aufs  Meer  gedrängt,  der  Bau  von  Straßen  ist  durch  den 
felsigen,  gebirgigen  Charakter  des  Landes  außerordentlich  er- 
schwert und  auch  das  neuzeitliche  Griechenland  hat  daher  erst 
spät  und  unvollkommen  ein  Netz  von  Straßen-  und  Eisenbahnen 
erhalten.  Aller  Verkehr  vollzog  sich  vor  kurzem  und  vollzieht 
sich  noch  heute  zum  großen  Teile  zur  See,  im  leichten  Segelboote. 
Sehen  wir  doch,  daß  die  erst  in  türkischer  Zeit  eingewanderten, 
ursprünglich  ganz  festländischen  Albanesen  in  Griechenland  sehr 
rasch  so  hervorragend  seetüchtig  geworden  sind,  daß  die  ,, grie- 
chischen" Seehelden  im  Unabhängigkeitskampfe  gegen  die  Türken 
z.  T.  Albanesen  waren.  Ähnlich  dürften  im  Mittelalter  die  ein- 
gedrungenen Slawen  angeähnlicht  worden  sein.  Das  Meer  hat 
auch  in  der  Zeit  der  türkischen  Übermacht  die  Griechen  ge- 
schützt und  hat  Teile  griechischen  Bodens  von  türkischer 
Herrschaft  frei,  wenn  auch  unter  venetianischer  Hoheit,  erhalten. 
Das  hat  bewirkt,  daß  das  griechische  Volk  nicht  gleich  den 
Slawen,  Albanesen,  Rumänen  auf  Jahrhunderte  von  der  abend- 
ländischen Kultur  abgesperrt  und  in  tiefe  Unkultur  versunken  ist. 
Noch  heute  sind  die  Griechen  ein  Seevolk.  Der  griechische 
Seehandel  spielt  im  ganzen  östlichen  Mittelmeer,  von  Odessa  bis 
Alexandria,  von  Smyrna  bis  nach  Malta  eine  große  Rolle.  Die 
griechische  Flagge  weht  in  allen  Häfen  des  östlichen  Mittelmeers 
auf  zahlreichen,  heute  auch  immer  mehr  durch  Dampfer  ersetzten 
Segelschiffen.  An  den  Küsten  von  Syrien  und  Marmarika  bis 
an  die  tunesische  Ostküste  findet  man  im  Sommer  ganze  Flotten 
griechischer  Fischerboote.  Das  Meer  hat  die  Griechen  erzogen, 
hat  sie  zu  seiner  Beherrschung  angeleitet.  Und  eine  um  so  viel 
gewaltigere  Naturkraft  das  Meer  ist,  wenn  es  auch  nur  ein 
zahmes  Meer  war,  das  griechische  Inselmeer,  später  das  ganze 
Mittelmeer,  im  Vergleich  zu  den  großen  Strömen  der  Kulturherde 
Vorderasiens,  um  so  höher  ist  die  griechische  Kultur.  Die  Aus- 
grabungen auf  Kreta,  Santorin  und  anderwärts  haben  neben  den 
orientalischen  Kultureinflüssen  doch  den  Beweis  geliefert,  daß 
auf  den  Inseln  und  an  den  Küsten  Griechenlands  schon  in 
früher  Zeit,  wohl  schon  um  2000  v.  Chr.,  eine  hohe  Kultur 
herrschte.  Die  Argonautensage  weist  schon  auf  weite  Seefahrten 
und  die  Kenntnis  ferner  Länder  hin.  Eine  Odyssee,  ein  wahres 
Schifferepos,    konnte    nur    entstehen    und    allgemeine    Verbreitung 


6  I,  I.    Kulturgeschichtliche  Bedeutung  des  Mittelmeergebietes. 

finden  in  einem  Volke,  das  völlig  mit  dem  Meere  verwachsen 
war.  Das  Meer  und  der  Verkehr  auf  dem  Meere  ließ  nun  aber 
auch  früh  einen  anderen  kulturfördernden  Faktor  in  Wirksamkeit 
treten:  den  Raum.  Durch  die  Schiffahrt  erweitert  sich  der  Raum, 
auf  welchem  sich  die  griechische  Kultur  entwickelt,  immer  mehr 
und  immer  rascher.  Die  räumliche  Beschränkung,  welche  die 
Kulturherde  Vorderasiens  kennzeichnet,  verschwindet  im  griechischen 
immer  mehr,  namentlich  auch  durch  die  Koloniegründungen.  Wie  bei 
den  phönikischen,  so  spielten  auch  bei  den  griechischen  Kolonie- 
gründungen innere  Unruhen,  wohl  durch  örtliche  und  zeitliche 
Übervölkerung  hervorgerufen,  eine  Rolle.  Recht  bezeichnend  für 
den  Einfluß  des  Raumes,  dessen  Größe  immer  neue  Stoffe, 
immer  neue  Menschen  hereinzieht,  zu  immer  neuen  Austauschen 
und  Reibungen  führt,  ist  es,  daß  neben,  ja  z.  T.  vor  den  Städten 
des  Mutterlandes  Pflanzstädte,  wie  Milet,  das  Beziehungen  zu 
ganz  Kleinasien  und  zu  den  Ufern  des  Schwarzen  Meeres  unter- 
hielt, Syrakus,  Tarent  die  Sitze  des  höchsten  griechischen  Geistes- 
lebens wurden.  Die  Wiege  der  geographischen  Wissenschaft  stand 
ja  in  Ionien  und  besonders  in  Milet. 

Auch  darin  prägt  sich  der  Einfluß  des  Raumes  aus,  daß 
die  griechische  Kultur  erst  zur  weltbeherrschenden  wurde,  als  sie 
sich  den  Griechenland  nächsten  größeren  einheitlichen  Raum, 
das  Land  Makedonien  völlig  unterworfen  hatte,  freilich  mit  der 
Wirkung  des  rasch  darauf  folgenden  Verlustes  der  eigenen  poli- 
tischen Selbständigkeit.  Wie  wir  heute  wohl  einmal  ein  Panzer- 
schiff oder  einen  der  herrlichen  deutschen  Dampfer,  die  die 
weiten  Räume  des  Ozeans  bezwingen,  als  das  höchste  Erzeugnis 
neuzeitlicher  Kultur  preisen,  so  konnte  man  das  Heer  Alexanders 
des  Großen  das  höchste  Erzeugnis  griechischer  Kultur  nennen. 
So  klein  es  war,  so  überlegen  war  es  nach  seiner  Bewaffnung, 
seiner  taktischen  Gliederung,  der  Ausbildung  jedes  Mannes  usw. 
den  ungezählten  Scharen  der  asiatischen  Despoten.  Der  Gegen- 
satz war  fast  so  groß  wie  der  zwischen  der  Handvoll  Spanier 
des  Cortez  und  den  Scharen  des  neuweltlichen,  auf  engem  Räume 
emporgewachsenen  Kulturvolks  der  Azteken.  Durch  Alexander 
den  Großen  erweiterte  sich  der  Schauplatz  der  griechischen 
Kultur  über  ganz  Vorderasien,  bis  nach  Indien,  bis  Turkestan. 
Die  uralten  Kulturherde  von  Babylonien  und  Chaldäa ,  von  Ägypten, 
ganz  Syrien  wurden  ihm  einverleibt.      In  der  griechischen  Sprache 


Die  Griechen.  y 

wurde  ein  Verkehrsmittel  allerersten  Ranges  geschaffen,  dessen 
Vorhandensein  nachmals  vor  allem  auch  der  Ausbreitung  des  in 
dem  kleinen,  abgeschlossenen,  abgelegenen  Mittelmeerlande 
Palästina  gezeitigten  Christentums  außerordentlich  förderlich  ge- 
worden ist. 

Inzwischen  hatte  sich  aber  griechische  Kultur,  namentlich 
durch  die  griechischen  Kolonien  über  das  ganze  westliche  Mittel- 
meergebiet ausgedehnt.  Die  Ausgrabungen  und  Forschungen 
der  letzten  Jahrzehnte  haben  ja  gezeigt,  wie  groß  der  griechische 
Einfluß  auch  in  Karthago  gewesen  ist,  so  eifersüchtig  dies  auch 
die  Griechen  selbst  von  seinem  Machtbereiche  fern  hielt.  Wir 
wissen,  wie  nachhaltig  das  Geistesleben  der  ganz  anders  gearteten 
Römer  durch  den  Handel,  durch  viele  Tausende  von  Griechen 
beeinflußt  worden  ist,  die  als  Gelehrte  und  Lehrer,  als  Privat- 
sekretäre u.  dgl.  in  Rom  wirkten.  Griechenland  war  sozusagen 
der  Mittelpunkt  der  damaligen  Welt,  der  Brennpunkt  des  medi- 
terranen Kulturkreises  geworden.  Der  Welthandel  lag,  wenn  er 
auch  nicht  ausschließlich  seinen  Sitz  in  Griechenland  selbst  hatte, 
doch  fast  ausschließlich  in  griechischen  Händen  und  kam  dem 
griechischen  Volke  zugute.  Fast  für  ein  halbes  Jahrtausend. 
Wie  in  Griechenland  jede  Stadt  eine  Art  heiligen  Bezirkes  hatte, 
wo  die  Heiligtümer  der  Götter  lagen,  die  Volksversammlungen 
gehalten  wurden  usw.,  ähnlich  ja  auch  in  Rom,  so  war  Griechen- 
land der  heilige  Bezirk  für  die  ganze  griechische  oder  griechisch 
sein  wollende  Welt  des  Altertums.  Wer  immer  in  dem  weiten 
Bereiche  des  Hellenismus,  sei  es  ein  Herrscher,  sei  es  ein  reicher 
Privatmann,  sich  über  Seinesgleichen  erheben  wollte,  suchte 
griechische  Herkunft  nachzuweisen  und  betätigte  seine  vornehme 
Herkunft  und  feinere  Bildung  damit,  daß  er  nicht  nur  daheim 
alle  Seiten  griechischen  Geisteslebens,  der  Kunst,  der  Wissen- 
schaft usw.  eifrig  zu  fördern  bemüht  war,  sondern  daß  er  auch 
selbst  nach  Griechenland  wallfahrtete ,  an  den  Festspielen  in 
Olympia  teilnahm  oder  durch  Abgesandte  an  den  Orakelstätten 
und  Heiligtümern  von  Delphi,  Delos,  Olympia  kostbare  Weih- 
geschenke übergeben  ließ,  so  daß  die  Schatzkammern  dieser 
heiligen  Stätten  mit  unermeßlichen  Schätzen  an  Edelmetallen  und 
Kunstwerken  gefüllt,  die  Städte  selbst  mit  den  herrlichsten  Bau- 
werken geschmückt  wurden.  Wie  die  Neugriechen  den  alten, 
wenn  man  diese  unbefangen  ansieht,   vielfach  ähneln,   so   auch  in 


8  1,1.    Kulturgeschichtliche  Bedeutung  des  Mittelmeergebietes. 

dieser  Hinsicht :  Athen,  heute  wieder  der  Brennpunkt  des  geistigen 
Lebens  der  ganzen  griechischen  Welt,  ist  mit  Prachtbauten  ge- 
schmückt, welche  reiche  Griechen  im  Auslande  gestiftet  haben. 
Und  selbst  in  kleinen  Orten,  oft  abgelegenen  Gebirgsdörfern 
findet  man  Schulhäuser,  welche  Söhne  des  Dorfes  gebaut  haben, 
die  in  der  Fremde  reich  geworden  sind. 

Durch  die  Römer,  welche  der  griechischen  Kultur  die  Er- 
zeugnisse ihrer  Eigenart  hinzufügten,  wurde  die  Peripherie  des 
mediterranen  Kulturkreises  noch  weiter  nach  Westen  gerückt,  die 
Atlasländer,  die  Iberische  Halbinsel,  Gallien  wurden  einbezogen. 
Nach  ihren  Anfängen  als  kriegerisches  Bauernvolk  an  einer  hafen- 
losen Schwemmlandküste,  standen  die  Römer  dem  Seewesen 
durchaus  fern,  und  die  Erzählung,  sie  hätten  ihre  erste  Flotte 
nach  dem  Muster  eines  gestrandeten  karthagischen  Schiffes  ge- 
baut, ist  bekannt.  Sie  legten  aber  fortan  das  größte  Gewicht 
auf  das  Seewesen,  da  sie  sich  immer  und  immer  wieder  über- 
zeugen mußten,  daß  sie  nur  im  Besitz  einer  starken  Flotte  die 
Herrschaft  über  die  Mittelmeerländer  behaupten  konnten.  Sie 
erkannten,  daß  das  Meer  allein  ihr  Weltreich  zusammenhalte  und 
daher  die  Beherrschung  der  Wasserwege  unerläßlich  sei.  Durch 
die  Römer,  die  Meister  der  Verwaltung  und  der  Organisation,  die 
die  Errungenschaften  griechischer  Kultur  auf  praktische  Ziele  rich- 
teten, wurde  erst  das  ganze  Mittelmeergebiet  auch  politisch  geeinigt, 
wurde  es  in  voller  Wahrheit  zu  einer  Lebensgemeinschaft  und 
wurden  neue  Faktoren  der  Entwicklung  herangezogen.  Das  Im- 
perium Romanum  umfaßte  den  ganzen  sich  rings  um  das  Mittel- 
meer ausbreitenden  Orbis  Terrarum  jener  Zeit.  Aber  die  Römer 
trugen  auch  bereits  die  mediterrane  Kultur  über  die  Grenzen 
des  Mittelmeergebiets  hinaus,  wenn  auch  noch  das  ganze  Mittel- 
alter hindurch  sich  das  Mittelmeer  als  Kulturmeer  bewährte  und 
die  Mittelmeerländer  für  das  übrige  Europa  die  Heimstätten 
höherer  Gesittung  waren. 

Auf  dem  Mittelmeer  geschulte  Seeleute  waren  es,  welche  die 
Völker  am  Ozean  zu  Seefahrern  erzogen,  sie  zuerst  anleiteten 
den  stürmischen  Wogen  desselben  Trotz  zu  bieten,  seine  weiteren 
Räume  zu  überwinden.  Vor  allem  Italiener.  Der  Italiener 
Toscanelli  hat  die  Entdeckung  Amerikas  vorbereitet,  Columbus 
sie  ausgeführt,   nach  einem  Italiener  benennen  wir  die  Neue  Welt. 

Schon  zu  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  werden  Genuesen  als 


Die  Italiener.  g 

Schiffsbauer  und  als  Bekämpfer  der  Muhamedaner  zur  See  nach 
Galicia  berufen.  Im  13.  und  14.  Jahrhundert  finden  wir  Italiener 
als  Admiräle  an  der  Spitze  der  kastilischen  Flotte.  Lange  Zeit 
lag  in  Spanien  die  Leitung  des  Seewesens,  die  Prüfung  der  an- 
gehenden Steuerleute,  die  Ausarbeitung  von  Segelanweisungen 
für  Schiffe,  welche  zu  langen  Fahrten  bestimmt  waren,  in  den 
Händen  von  Italienern.  Sebastian  Cabotto  und  Amerigo  Vespucci 
waren  bekannlich  Großpiloten  von  Spanien.  Giovanni  Cabotto 
saß  mit  einem  anderen  Italiener,  dem  bekannten  Pietro  Martiro 
d'Anghiera  im  indischen  Rate,  15 18  machte  ihn  Karl  V.  zum 
Großpiloten  von  Spanien,  als  welcher  er  1524  den  Vorsitz  in 
der  Konferenz  von  Badajoz  führte,  in  welcher  der  Besitz  der 
Molukken  Spanien  zugesprochen  wurde. 

Von  den  Portugiesen  muß  man  geradezu  sagen,  daß  sie 
erst  durch  die  Italiener  zu  Seefahrern  erzogen  worden  sind.  Erst 
nachdem  Lissabon  1 1 47  mit  Hilfe  niederdeutscher  Kreuzfahrer 
den  Mauren  entrissen  worden  war,  war  überhaupt  an  Seehandel 
in  Portugal  zu  denken.  Lissabon  blieb  aber  lange  lediglich 
Station  der  italienischen  Flotten  auf  ihrem  Wege  nach  England 
und  Flandern.  Erst  König  Diniz  III.  beschloß  die  Gründung 
einer  portugiesischen  Flotte  und  berief  zu  diesem  Zweck  den 
Genuesen  Emmanuel  Pessagno  13 17  nach  Lissabon,  den  er  zum 
Admiral  ernannte  und  gegen  reiche  Besoldung  verpflichtete,  sich 
mit  mindestens  3  Galeeren  und  20  des  Seewesens  kundigen  Ge- 
nuesen als  Kapitänen  und  Piloten  in  seine  Dienste  zu  stellen. 
Emmanuels  Sohn  und  Nachfolger  in  der  Admiralswürde,  Carlo 
Pessagno,  besiegte  1340  mit  10  portugiesischen  Galeeren,  welche 
durch  1 2  genuesische  unter  Egidio  Boccanegra  im  Dienste 
Kastiliens  verstärkt  wurden,  bei  Xataves  in  der  Nähe  von 
Algeciras  und  dann  bei  Porto  Bullones  in  der  Meerenge  von 
Gibraltar  die  vereinigten  Flotten  des  Sultans  Abul  Hassan  von 
Fez  und  Yussuf-el-Hadschadschi  von  Granada.  Noch  zahlreiche 
Glieder  der  Familie  Pessagno  erscheinen  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert als  Admiräle  und  Kapitäne  in  portugiesischen  Diensten 
und  neben  ihnen  zahlreiche  andere  Italiener.  Sie  sind  als  die 
Schöpfer  der  Flotte  von  200  Schiffen  anzusehen,  welche  mit  der 
Eroberung  von  Ceuta  141 5  den  Grund  zu  dem  Aufschwung 
Portugals  zur  Welthandels-  und  Seemacht  gelegt  hat.  Auch  bei 
den    darauf  folgenden  Entdeckungen   an    der  Westküste   Afrikas, 


IO  I,    i-    Kulturgeschichtliche  Bedeutung  des  Mittelmeergebietes. 

die  zur  Auffindung  des  Seeweges  nach  Indien  führte,  spielen 
Italiener  als  Kapitäne,  ja  ganze  italienische  Schiffsmannschaften 
eine  Rolle.  So  der  Genuese  Usodimare,  Bart.  Perestrello,  der 
Kolonisator  von  Porto  Santo  und  Schwiegervater  des  Columbus 
(wenn  nicht  der  Vater  desselben),  Antonio  da  Noli,  lange  Zeit 
portugiesischer  Statthalter  des  Grünen  Vorgebirges,  Alvise  Coda- 
mosto,  ein  Vorfahr  einer  noch  heute  in  Venedig  blühenden 
Familie.  Prinz  Heinrich  ließ,  wohl  unter  dem  Einflüsse  seines 
Bruders  Pedro ,  der  ihm  eine  Handschrift  von  Marco  Polos 
Reisen  und  italienische  Seekarten  von  Venedig  mitgebracht  hatte, 
den  berühmten  Camaldulenser  Fra  Mauro  eine  Neuzeichnung 
seiner  großen  Weltkarte  anfertigen.  Diese  Karten  haben  auf  die 
Entdeckung  des  Seewegs  nach  Indien  großen  Einfluß  ausgeübt, 
denn  es  ist  ausdrücklich  bezeugt,  daß  den  Seekapitänen,  welche 
1487  auf  2  Karavelen  auf  Entdeckungen  ausgeschickt  wurden, 
eine  Karte  mitgegeben  wurde,  die  von  einer  Weltkarte  abge- 
zeichnet war. 

Ähnlich  wie  in  Portugal  war  es  in  Frankreich.  Ganze 
genuesische  Geschwader  standen  im  Dienste  Ludwigs  des  Heiligen 
und  Philipps  des  Schönen.  Zahlreiche  Italiener  erscheinen  als 
französische  Admirale.  Der  in  der  Entdeckungsgeschichte  soviel 
genannte  Giovanni  Verrazzano  stand  in  französischen  Diensten. 
Und  ebenso  in  England,  das  ja  erst  im  16.  Jahrhundert  nament- 
lich unter  der  Königin  Elisabeth  und  unter  eifrigster  Pflege  des 
Seewesens  seitens  der  Herrscher  angefangen  hat,  sich  zu  einem 
Sitze  des  Seehandels  und  der  Seemacht  zu  entwickeln.  Schon 
1317  finden  wir  Leonardo  Pessagno,  den  Bruder  Emmanuel 
Pessagnos,  mit  5  in  Genua  ausgerüsteten,  bewaffneten  und  be- 
mannten Kriegsgaleeren  im  Dienste  König  Eduards  II.  Ein 
anderer  Italiener  Nicolö  Usodimare  erscheint  1337  als  englischer 
Vizeadmiral  gegen  die  Franzosen.  Andrea  Bianco  zeichnete 
seine  berühmte,  von  mir  herausgegebene,  Seekarte  von  1448  als 
Kapitän  einer  venezianischen  Galeere  in  London.  Die  Beziehungen 
des  Columbus,  der  von  Bristol  aus  seine  Islandfahrt  unternahm, 
und  seines  Bruders  Bartolomeo  zu  England  sind  bekannt. 
Außerordentlich  bedeutungsvoll  ist  aber  der  Aufenthalt  der  beiden 
Cabotto,  Giovanni  und  Sebastiano,  in  England  geworden,  sowohl 
in  bezug  auf  die  Entwicklung  des  englischen  Seewesens  wie  auch 
der  Neigung  zu  Entdeckungen.      Giovanni  Cabotto  wird  von  einem 


Die  Italiener.     Die  Niederdeutschen.  I  I 

gleichzeitigen  englischen  Geschichtschreiber  magister  navis  scien- 
tificus  marinarius  totius  Angliae  genannt.  Seit  1491  leitete  er 
von  Bristol  ausgehende  Entdeckerfahrten  in  westlicher  Richtung, 
aber  in  höheren  Breiten,  welche  das  durch  Marco  Polo  bekannt 
gewordene  Cipango  (Japan)  zum  Ziele  hatten.  Sein  Sohn  Sebas- 
tiano,  der  sich  an  diesen  Entdeckungsfahrten  beteiligt  und  15 17 
während  kurzer  Zeit  im  Dienste  Heinrichs  VIII.  nach  einer  nord- 
westlichen Durchfahrt  nach  China  gesucht  hatte,  war  1548,  nach 
England  zurückgekehrt,  zum  Großpiloten  ernannt  worden,  als 
welchem  ihm  die  Prüfung  der  Piloten,  die  Ausarbeitung  von  Segel- 
anweisungen für  Schiffe  weiter  Fahrt,  die  Anfertigung  geogra- 
phischer und  hydrographischer  Karten  oblag.  Vor  allem  hatte 
er  auch  König  Eduard  VI.  in  der  Nautik  und  im  Gebrauche  des 
Kompaß  zu  unterrichten.  Er  war  die  Seele  der  155 1  gegrün- 
deten Gesellschaft  zur  Entdeckung  und  kaufmännischen  Aus- 
beutung neuer  Länder,  zu  deren  Leiter  er  von  Maria  der  Katho- 
lischen 1553  auf  Lebenszeit  ernannt  wurde.  Als  solcher  rief  er 
die  englischen  Forschungsfahrten  nach  dem  nördlichen  Rußland 
und  dem  Nordrande  der  Alten  Welt  ins  Leben,  die  bezweckten, 
was  erst  Nordenskiöid  gelungen  ist,  Asien  zu  umsegeln  und 
einen  Weg  nach  China  zu  finden.  Sebastiano  Cabotto  hat  so 
den  tiefgreifendsten  Einfluß  auf  die  Entwicklung  des  englischen 
Seewesens  ausgeübt. 

Die  Niederdeutschen  allein  und  neben  ihnen  wohl  die  Nor- 
weger, die  Bewohner  eines  maritimen  Gebirgslandes,  ähnlich  wie 
Griechenland,  haben  ihr  Seewesen  selbständig  und  ohne  Beein- 
flussung seitens  der  Italiener  entwickelt.  Auch  sie  an  und  auf 
einem  Mittelmeer,  der  Ostsee  und  ihrem  Vormeere,  der  Nordsee. 
Sehr  bezeichnend  ist,  daß  die  italienischen  Seekarten  des  Mittel- 
alters, die  auf  dem  Mittelmeere  zur  Entwicklung  gekommen  sind, 
nur  bis  zum  Eingange  des  deutschen  Meeres  reichen,  wo  in 
Brügge  und  London  Deutsche  und  Italiener  ihre  Waren  aus- 
tauschten. Die  Hanseaten  waren  den  Italienern  im  Seewesen 
voll  gewachsen,  sie  hielten  sie  völlig  von  ihrem  Handelsbereiche 
fern.  An  Stelle  der  sinkenden  Hansa  traten  dann  die  westlichen 
Niederdeutschen,  die  Holländer,  die  Bewohner  des  westlichen, 
ganz  von  Meerarmen  und  Flußmündungen  durchsetzten  völlig 
maritimen  Teils  des  norddeutschen  Flachlands,  die  auch  im  Kampfe 
mit  dem  Meere  groß  geworden   sind. 


12  1,1.    Kulturgeschichtliche  Bedeutung  des  Mittelmeergebietes. 

Wir  sehen  so,  daß  um  die  Zeit,  von  welcher  wir  die  Neu- 
zeit der  Geschichte  zu  datieren  pflegen,  auf  dem  Mittelmeere 
geschulte  Seemänner  es  sind,  welche  die  am  Ozean  wohnenden 
Völker  Europas  zu  Seefahrern  erziehen,  den  Raum  der  Betätigung 
mediterraner  Kultur  auf  ganz  Europa  ausdehnen  und  die  Völker 
Europas  in  den  Stand  setzen,  sich  zu  Herren  des  ganzen  durch 
Italiener  erweiterten  Erdkreises  zu  machen.  Seit  dem  1 6.  Jahr- 
hundert ist  der  Ozean,  in  erster  Linie  der  Atlantische,  an  die 
Stelle  des  Mittelmeeres  getreten,  die  mediterrane  Kultur  ist  zu 
einer  ozeanischen  geworden  und  wird  immer  mehr  zur  Weltkultur. 
Das  Weltmeer  wirkt  seitdem  erziehend,  indem  es  den  mensch- 
lichen Geist  zu  seiner  Beherrschung,  zu  seiner  Dienstbarmachung 
anspornt.  Es  wird  in  seinen  Luft-  und  Meeresströmungen  immer 
sorgsamer  erforscht,  beide  werden  je  nach  Bedarf  benutzt  oder 
gemieden,  seine  Bewegungsformen,  seine  Tiefen  werden  er- 
gründet und  dem  Verkehr  dienstbar  gemacht,  seine  Lebewelt 
nach  ihren  Beziehungen  und  zum  Nutzen  des  Menschen  erforscht. 
Immer  bessere,  Sturm  und  Wellen  Trotz  zu  bieten  geeignetere 
Schiffe  mit  immer  mächtigeren  Maschinen  zur  Bezwingung  des 
Raumes  werden  erfunden.  Immer  mehr  wird  der  Ozean  zum 
großen  Wege  des  Weltverkehrs,  auf  welchem  die  entferntesten 
Erdgegenden  mit  ihren  Bewohnern,  ihren  Stoffen  und  Kräften, 
nicht  bloß,  wie  im  Altertum  und  Mittelalter  die  Umwelt  des 
Mittelmeeres,  in  Beziehungen  zueinander  treten.  Handelte  es 
sich  bei  den  Völkerwanderungen  früherer  Zeiten  nur  um  Ver- 
schiebungen meist  von  wenigen  Hunderttausenden  von  Menschen, 
so  sehen  wir  heute  in  einem  Jahre  eine  Million  von  Bewohnern 
Europas  der  verschiedensten  Völker  das  Weltmeer  überschreiten, 
um  die  Hilfsquellen  der  Neuen  Welt  zur  Entwicklung  zu  bringen, 
neue  Stoffe  und  Kräfte,  neue  Natureinflüsse  auf  die  Weiterent- 
wicklung der  menschlichen  Kultur  einwirken  zu  machen  ,  neuen 
Riesenvölkern  Ursprung  zu  geben.  Über  die  ganze  Erde  hin 
sehen  wir  Reibungsflächen  zwischen  den  verschiedensten  Völkern, 
deren  jedes  im  Daseinskampfe  angespornt  wird  alle  seine  geistigen 
und  Körperkräfte  einzusetzen,  um  nicht  zu  unterliegen.  Nur  die 
Völker,  welche  an  der  Beherrschung  des  Ozeans  teilhaben, 
sehen  wir  auf  der  Höhe  der  Weltkultur  stehen  und  der  vom 
Deutschen  Kaiser  dem  deutschen  Volke  zugerufene  Satz:  „Unsere 
Zukunft  liegt  auf  dem  Meere"  zeugt  von  voller  Erkenntnis  einer  der 


Die  Deutschen. 


13 


großen  Lehren  der  Geschichte.  Selbst  kleine  Staaten,  wie 
Venedig,  Genua,  Portugal,  Holland,  haben  durch  Beherrschung 
des  Meeres  die  Rolle  von  Weltmächten  zu  spielen  vermocht. 
Freilich  nur  verhältnismäßig  kurze  Zeit,  weil  die  Basis  ihrer 
Macht  zu  klein  war,  die  Kräfte  des  kleinen  Staats  und  Volks 
mit  der  Zeit  erschöpft  wurden.  Auch  bei  England  treten  bereits 
Anzeichen  hervor,  daß  der  Höhepunkt  seiner  Weltmachtstellung 
überschritten  ist  und  ein  vielleicht  geringfügiger  Stoß  die  ganze 
Schwäche  der  Basis,  auf  welcher  das  ungeheure  Weltreich  ruht, 
enthüllen  wird.  Wenn  wir  Deutschen  uns  zur  Welthandels-,  wenn 
auch  noch  nicht  zur  Weltmacht  aufgeschwungen  haben,  so  ver- 
danken wir  das  nicht  so  sehr  einer  günstigen  Lage  und  anderen 
Vorzügen  unseres  Landes,  denn  letztere  sind  gering  und  erstere 
tief  im  Innern  des  Erdteils,  an  einem  Mittelmeere  und  nur  auf 
eine  kurze  Strecke  an  einem  Randmeere,  sondern  der  hohen 
Kultur  und  der  Kraft  des  deutschen  Volkes,  das  die  Ungunst 
der  Natur  bezwungen,  die  größte  deutsche  Landschaft,  das  nord- 
deutsche Flachland,  aus  Sumpf  und  See,  aus  Moor  und  Heide 
in  ein  reiches  Kulturland  verwandelt,  eine  ungünstige  Küste  be- 
festigt und  geschützt,  durch  den  Nordostseekanal  einheitlich  ge- 
macht, die  Ströme  zu  leistungsfähigen  Zufahrtsstraßen  der  Fluß- 
mündungshäfen gemacht  hat. 

Auch  wir  Deutschen  haben  schon  einmal  eine  Periode 
maritimer  Betätigung  gehabt:  zur  Zeit  der  Hansa.  Auch  uns 
hat  ein  Mittelmeer,  die  Ostsee  mit  ihrem  Vormeer,  der  Nordsee, 
welche  die  Engländer  noch  heute  das  Deutsche  Meer  nennen, 
zu  Seefahrern  erzogen.  Auch  wir  haben  viele  Jahrhunderte  hin- 
durch nicht  nur  den  Handel  dieser  deutschen  Meere  beherrscht, 
sondern  auch  auf  alle  Gestadeländer  tiefgreifenden  politischen 
und  kulturellen  Einfluß  ausgeübt,  von  der  Straße  von  Calais 
an,  an  deren  innerem  Eingange,  in  Brügge  und  London  sich 
Italiener  und  Hanseaten  die  Hand  reichten  und  die  Handels- 
gegenstände ihrer  eifersüchtig  bewachten  Handelsgebiete  aus- 
tauschten, bis  nach  Groß-Novgorod,  dem  Ende  der  von  der 
Ostsee  ausgehenden  Wasserstraßen,  wo  die  Rohstoffe  Rußlands  zu- 
sammenströmten, um  von  den  Hanseaten  der  übrigen  Welt  zu- 
geführt zu  werden.  Aber  was  waren  Nord-  und  Ostsee  im  Ver- 
gleich zum  Mittelmeere?  Wie  viel  enger  war  der  Raum,  wie- 
viel   kleiner,    wie    viel    dürftiger  ausgestattet,    wie    viel    menschen- 


\a  1,1.    Kulturgeschichtliche  Bedeutung  des  Mittelmeergebietes. 

ärmer  waren  die  Gestadeländer  der  Ostsee!  Im  Norden  lag 
die  Grenze  des  Kulturlandes,  wenn  nicht  der  Ökumene  überhaupt 
ganz  nahe,  ja  die  Ostsee  reichte  selber  im  Finnischen  Meerbusen 
noch  in  diese  unwirtliche  Kugelkappe  hinein !  Nur  nach  Süden,  auf 
den  durch  Deutschland  führenden  Landstraßen,  auf  denen  sich 
die  Deutschen  die  Erzeugnisse  mediterraner  Kultur  herbeiholten, 
freilich  nur  tropfenweise,  sozusagen  auf  dem  Rücken  von  Saum- 
tieren, über  die  einen  großen  Teil  des  Jahres  verschneiten 
Pässe  der  Alpen,  und  nach  Südwesten  reichten  die  Beziehungen 
weiter.  Hier  brachten  aber  die  Italiener  die  Erzeugnisse  ihres 
Handelsgebiets,  wenn  die  Niederdeutschen  auch  schon  während 
der  Kreuzzüge  den  Weg  ins  Mittelmeer  gefunden  hatten  und 
beispielsweise  die  Portugiesen  bei  der  Eroberung  von  Lissabon, 
das  nun  der  wichtigste  Stützpunkt  auf  den  Flandernfahrten  der 
Italiener  werden  sollte,  von  den  Mauren  machtvoll  unterstützten. 
Von  Nord-  und  Ostsee  hielten  die  Hanseaten  die  Italiener  durch- 
aus fern.  Wüßten  wir  das  nicht  aus  anderen  Quellen,  so  könnten 
wir  es  mit  Sicherheit  daraus  schließen,  daß  die  italienischen  See- 
karten, die  sogenannten  Kompaßkarten,  aus  denen  unsere  heutigen 
Seekarten  hervorgegangen  sind,  nur  bis  zum  Eingang  in  die  Nordsee 
jene  bewundernswerte  Genauigkeit  aufweisen,  von  da  an,  wenn 
sie  überhaupt  weiter  reichen,  nur  ungenaue,  vage  Skizzen  sind. 
Wie  ganz  anders  das  Mittelmeer  und  seine  Gestadeländer! 
Uralte  Handelsstraßen  münden  an  seinen  Ecken  und  Enden,  tief 
aus  dem  Innern  der  Erdteile  kommend,  ja  sie,  wie  vom  Roten 
Meere  und  dem  Persischen  Meerbusen  her  mit  der  Mittagsseite 
der  Alten  Welt  und  den  dort  gelegenen  uralten  Kulturherden, 
Südarabien  und  Indien  verbindend.  Am  Mittelmeere  stauten 
sich  nicht  nur  die  stofflichen  und  geistigen  Erzeugnisse  dieser  Erd- 
teile, nein,  auch  die  Völker!  Dort  mußten  sie  sich  mischen, 
wenn  es  nicht  ausnahmsweise  gelang,  über  das  Meer  zur  nächsten 
Halbinsel  den  Nachdrängenden  auszuweichen.  Die  Gestade  des 
Mittelmeeres  sind  das  Ziel  zahlreicher  Völkerbewegungen  ge- 
wesen: Phöniker,  Griechen,  Araber,  Türken,  Kelten,  Germanen 
usw.  Und  sie  sind  es  noch  heute,  wenn  auch  in  anderem  Sinne: 
viele  Tausende  pilgern  heute  aus  religiösen  Beweggründen  aus 
der  ganzen  christlichen  Welt  nach  Palästina  und  Rom,  vielleicht 
ebensoviele  aus  anderen  Gründen  überallhin  in  die  Gestadeländer 
des  Mittelmeeres. 


Geologische  Erforschung.  I  r 

2.  Seine  Entstehung  und  Entwicklung. 

Diese  große  Rolle  in  der  Geschichte  der  Menschheit  hat  das 
Mittelmeergebiet  nur  zu  spielen  vermocht  dank  seiner  geographi- 
schen Eigenart.  Und  diese  wiederum  ist  bedingt  durch  die  Ge- 
schichte dieses  Teils  der  Erdrinde. 

Die  geologische  Erforschung  der  Mittelmeerländer,  die  freilich 
noch  vielfach,  namentlich  in  den  Gestadeländern  des  Südost- 
beckens, lückenhaft  und  rückständig  ist,  hat  wenigstens  so  viel  klar 
gestellt,  daß  wir  hier  einen  Erdraum  vor  uns  haben,  der,  soweit 
wir  die  Erdgeschichte  rückwärts  verfolgen  können,  sich  immer 
durch  große  Bewegungen  in  der  Erdkruste  und  dadurch  bedingte 
Verschiebungen  von  hoch  und  tief,  von  Land  und  Meer  ausge- 
zeichnet hat.  Namentlich  gilt  dies  von  der  sog.  Tertiärzeit,  der 
Neuzeit  der  Erde,  ja  noch  von  der  Quartärzeit,  der  Gegenwart 
der  Erdgeschichte.  So  ist  das  Mittelmeer,  wenn  auch  nicht  als 
Meeresraum  überhaupt,  so  doch  wenigstens  nach  seinen  diesen 
Namen  als  recht  bezeichnend  erscheinen  lassenden  Grundzügen, 
als  ein  junges  Meer  zu  bezeichnen.  Zu  beiden  Seiten,  im  Norden 
wie  im  Süden,  sind  diesem  noch  heute  nach  der  Bewegtheit  seines 
Reliefs,  nach  der  Häufigkeit  seiner  Erdbeben,  nach  seiner  leb- 
haften vulkanischen  Tätigkeit,  nach  seinen  Niveau-  und  Küsten- 
linienverschiebungen  als  „unruhig"  erscheinenden  Erdgürtel  Teile 
der  Erdrinde  angelagert,  die  dem  gegenüber  den  Eindruck  großer, 
einförmiger,  „ruhiger"  Schollen  machen:  im  Süden  die  große 
Wüstentafel,  in  welcher  vom  Atlantischen  Ozean  bis  an  den  Fuß 
der  Hochländer  von  Armenien  und  Iran  und  bis  an  den  Persi- 
schen Meerbusen  die  Außenseite  der  Erdrinde  von  wagrecht  lagern- 
den und  daher  auch  große  Einförmigkeit  der  Erdoberfläche  be- 
dingenden Schichten  gebildet  wird;  im  Norden,  jenseits  der  Alpen 
das  Schollenland  von  Mitteleuropa,  in  welchem  ebenfalls  tafel- 
lagernde Schichten  eines  jüngeren  Deckgebirges  zum  großen  Teil 
ein  altes  Grundgebirge  verhüllen,  von  dessen  einst  zu  alpinen 
Höhen  emporgepreßter  Formenfülle  nur  noch  der  Sockel  erhalten 
ist,  der  durch  Bildung  von  Bruchlinien  in  einzelne  Rumpfschollen 
zerstückt  und  durch  Vertikalverschiebungen  in  der  Tertiärzeit, 
welche  die  Abtragung  begünstigten,  der  Decke  beraubt,  heute 
höchstens  Reliefformen  von  der  Höhe  und  Größe  der  höchsten 
unserer  deutschen  Mittelgebirge  bildet.     Ja,   an  dies  mitteleuropäi- 


l5  I,  2.    Entstehung  und  Entwicklung  des  Mittelmeergebietes. 

sehe  Schollenland  schließt  sich  nach  Osten  die  große  russische 
Tafel  an,  deren  Einförmigkeit  noch  als  weit  größer  als  die  der 
großen  Wüstentafel  erscheinen  würde,  wenn  Breitenlage  und  meteo- 
rologische Ursachen  ihr  nicht  ein  Pflanzenkleid  verliehen  und 
sie  dadurch  für  seßhafte  Menschen  bewohnbar  machten. 

Wie  bewegt  muß  demgegenüber  dieser  im  Mittel  etwa  i  500  km 
breite  Erdgürtel  erscheinen,  in  welchem  das  Antlitz  der  Erde 
Runzeln  aufweist,  die,  wie  die  Alpen  und  der  marokkanische  Atlas, 
einer  Verlängerung  des  Erdradius  fast  um  5  km  entsprechen,  neben 
Kummer-  und  Altersfurchen  oder  Narben,  welche,  wie  im  Ioni- 
schen Tiefbecken  und  in  der  südwestpeloponnesischen  Tiefe,  sich 
dem  Erdmittelpunkte  fast  um  den  gleichen  Betrag  nähern. 

Das  Mittelmeergebiet  liegt  auf  einem  die  Erde  im  größten 
Kreise  umziehenden  Bruchgürtel  der  Erdrinde,  welcher  von  Mittel- 
amerika ostwärts  und  wiederum  bis  zum  Stillen  Ozean  die  drei 
Norderdteile  von  den  drei  Süderdteilen  scheidet.  Fast  alle  Meeres- 
räume, die  wir  heute  auf  Grund  vieler  gemeinsamer  Züge  unter 
der  Bezeichnung  Mittelmeere  zusammenfassen,  liegen  auf  diesem 
Bruchgürtel.  In  unserem  Mittelmeergebiete  sind  diese  Einbruchs- 
becken sowohl  auf  Kosten  eines  gefalteten  Erdgürtels,  wie  auf 
Kosten  des  ihm  im  Norden  wie  im  Süden  anlagernden  (Tafel-) 
Schollenlandes  gebildet.  Dieser  gefaltete  Erdgürtel  kann  wohl 
als  das  altweltliche  Gegenstück  des  die  beiden  Erdteile  der  Neuen 
Welt  an  ihrer  pazifischen  Seite  kennzeichnenden,  die  große  meri- 
dionale  Erstreckung  und  die  einseitige  atlantische  Abdachung 
derselben  bedingenden  gefalteten  Gürtels  der  Anden  und  Kordil- 
leren angesehen  werden.  Auch  er  bedingt  die  große  westöstliche 
Erstreckung  Europas  und  Asiens,  weshalb  wir  von  einem  eurasi- 
schen  Faltenlande  sprechen,  auch  er  kennzeichnet  den  Südrand 
dieser  Erdteile  und  bewirkt,  daß  dieselben  auch  ihrerseits  sich 
überwiegend  zum  Atlantischen  Ozean  und  dessen  nördlichem  Neben- 
meere, dem  sog.  Nördlichen  Eismeere  neigen.  Die  wagrechte 
Gliederung  des  Mittelmeeres  weist,  soweit  es  in  dies  eurasische 
Faltenland,  das  Westende  .desselben,  eingebettet  ist,  so  auffällige 
Unterschiede  gegen  den  auf  Kosten  der  Tafelschollen  gebildeten 
Teil  auf,  daß  ein  Blick  auf  die  Karte  sofort  diese  Gegensätze 
erkennen  läßt.  Und  dieser  wagrechten  Gliederung  des  Mittel- 
meeres entsprechen  auch  die  Gegensätze  der  senkrechten  Gliede- 
rung   der  Gestadeländer  des  Mittelmeeres,    während    das  Boden- 


Entstehung  des  Mittelmeeres. 


17 


relief  des  Mittelmeeres  diese  Gegensätze  zwar  auch  erkennen 
läßt,  aber  doch  nur  in  geringem  Maße.  Wir  sehen  also,  daß  das 
Mittelmeer  der  Gegenwart  jünger  sein  muß,  als  dieser  Teil  der 
eurasischen  Faltengebirge.  Und  diese  sind  alle  jung,  ja  sie  ge- 
hören z.  T.  zu  den  jüngsten  Faltengebirgen  der  Erde.  Besteht 
doch  das  ganze  gefaltete  und  seine  Charakterzüge  diesem  ge- 
falteten Erdgürtel  verdankende  Halbinselland  Italien  zu  zwei 
Dritteln,  die  Insel  Sizilien  zu  vier  Fünfteln  aus  Gesteinen,  welche 
sich  erst  im  Laufe  der  Tertiärzeit,  ja  noch  später  auf  dem  Meeres- 
grunde gebildet  haben,  dann  durch  tangentialen  Schub  zusammen- 
und  emporgepreßt  bzw.  gehoben  wurden. 

Das  eurasische  Faltenland  des  Mittelmeergebiets  kennzeichnet 
die  reiche  Gliederung  der  Küsten,  im  großen  wie  im  kleinen, 
der  Reichtum  an  Halbinseln,  Inseln,  Buchten  und  Mittelmeeren 
im  kleinen,  hohe,  steil  vom  Meere  aufsteigende  Gebirge,  weite 
klimatische  Oasen,  deren  Flüsse  üppig  fruchtbare  Deltaland- 
schaften schaffen,  kurz  all  die  charakteristischen  Reize  der  Mittel- 
meerlandschaft, und  dadurch  bedingt  die  ungeheure  Mannigfaltig- 
keit des  Völkerlebens.  Im  Bereiche  der  großen  Wüstentafel  da- 
gegen herrscht  große  Einförmigkeit  der  wagrechten,  wie  der  senk- 
rechten Gliederung,  Mangel  an  Inseln,  an  Buchten  und  Häfen, 
an  einmündenden,  die  Länder  aufschließenden  Flüssen,  von  dem 
einen  Nil  abgesehen,  der  seine  Gewässer  weit  jenseits  der  großen 
Wüstentafel  in  den  Hochländern  des  tropischen  Afrika  sammelt. 
Alexandria  ist  an  dieser  ungeheuren  menschenarmen  und  kultur- 
feindlichen Tafelschollenküste  vom  Golf  von  Tunis  bis  in  den 
Winkel   zwischen  Kleinasien    und  Syrien   der  einzige  Naturhafen! 

Jung  ist  aber  auch  diese  kleinere  Südosthälfte  des  Mittel- 
meeres, dessen  Nordgrenze  ungefähr  dem  36.  Parallel  entspricht, 
der  nahezu  die  Südspitzen  Kleinasiens,  Griechenlands  und  Sizi- 
liens berührt,  andererseits  längs  der  Nordküste  Kleinafrikas  und 
der  Straße  von  Gibraltar,  also  längs  dem  Südrande  des  Nord- 
westbeckens des  Mittelmeeres  verläuft.  Das  sizilisch-afrikanische 
Meer,  bei  weitem  überwiegend  Flachsee,  liegt  zum  großen  Teil 
auf  dem  Austönungsgürtel  des  sizilischen  Apennin,  dessen  Faltung 
sich  drüben  in  Tunesien  fortsetzt.  Die  kleine  jungtertiäre  Insel- 
tafel von  Lampedusa,  politisch  zu  Italien,  geographisch  zu  Tunesien 
gehörig,  und  die  Inselgruppe  von  Malta,  von  Bruchspalten  durch- 
setzt,  durch  die  Tiefenlinie  von   200  m  an  Sizilien  geknüpft,   sind 

Fischer,  Mittelmeerbilder.    Neue  Folge.  2 


l8  I,  2.    Entstehung  und  Entwicklung  des  Mittelmeergebietes. 

Reste  dieses  Austönungsgürtels  und  eines  flachen  ausgedehnten 
Festlandsgebiets,  auf  welchem  noch  in  der  Quartärzeit  Herden 
von  Elefanten,  Flußpferden  usw.  ihre  Daseinsbedingungen  fanden, 
deren  Knochen  noch  heute  in  den  Höhlen  der  Inselgruppe  wie 
Siziliens  in  Menge  gefunden  werden.  Wie  die  Südküste  Siziliens 
allenthalben  als  in  Abtragung  durch  die  Brandungswoge  begriffen 
anzusehen  ist,  so  verkleinern  sich  auch  Malta  und  Lampedusa 
noch  heute  beständig.  Dabei  mag  allerdings  ein  viel  umstrittener 
Vorgang  mitwirken,  nämlich  eine  in  der  jüngeren  Quartärzeit  ein- 
getretene und  vielleicht  noch  heute  andauernde  Verbiegung  der 
Erdrinde  nach  dem  Erdmittelpunkte  hin,  so  daß  das  übergreifende 
Meer  das  Land  um  so  wirksamer  abtragen  konnte. 

Da  hier  nicht  der  Platz  ist,  auf  die  Frage  einzugehen,  ob 
sicher  nachgewiesene,  nicht  lediglich  auf  Landanschwemmung 
oder  Landabtragung  zurückzuführende  Verschiebungen  der  Küsten- 
linie aus  Schwankungen  des  Meeresspiegels  oder  der  festen  Erd- 
rinde —  positive  Niveauverschiebung,  wenn  der  Meeresspiegel 
gegen  das  Land  ansteigt  und  über  dasselbe  übergreift,  negative, 
wenn  er  zurücksinkt  und  zurückweicht  —  zu  erklären  sind,  begnüge 
ich  mich  mit  dem  kurzen  Hinweis,  als  nie  wankend  gewordenes 
Ergebnis  mehr  als  30 jähriger  Mittelmeerstudien,  daß  im  Bereich 
des  Mittelmeeres  von  Schwankungen  des  Meeresspiegels,  abge- 
sehen von  örtlich  und  zeitlich  beschränkten  Windwirkungen,  keine 
Rede  sein  kann.  Die  feste  Erdrinde  ist  es,  welche  Bewegungen 
unterliegt.  Das  ist  ja  in  den  letzten  Jahrzehnten  auch  von  andern 
Forschern  im  Bereiche  des  Mittelmeeres  und  anderwärts  sicher 
nachgewiesen  worden. 

Für  eine  zentripetale  Verbiegung  der  Erdrinde  in  dieser 
Gegend  sprechen  nämlich  zwei  Erscheinungen.  Der  herrliche 
Hafen  von  Malta,  der  dieser  Inselgruppe  neben  ihrer  Lage  so 
große  Bedeutung  verleiht,  ist  nämlich  nichts  andres,  als  das  Tal- 
stück eines  Flusses,  in  welches  das  Meer  eingetreten  ist,  und  in 
der  inneren  kleinen  Syrte  hat  die  sorgsame  Auslotung  durch  die 
Franzosen  ein  Bodenrelief,  einen  so  merkwürdigen  Wechsel  von 
tiefen  Rinnen  und  dazwischen  gelegenen  Hochformen,  eine  solche 
Übereinstimmung  mit  dem  nahen  Festlande  erwiesen,  daß  man 
sofort  nicht  lediglich  an  Wirkungen  der  Gezeiten,  sondern  an  ein 
überflutetes  Festland  hat  denken  müssen.  Diese  Vorgänge,  die  in 
eine  Zeit  fallen,  in  welcher  der  Mensch  bereits  dieses  heute  über- 


Entstehung  des  östlichen  Mittelmeerbeckens.  ig 

flutete  Festland  bewohnte,  lassen  sofort  an  die  vulkanische  Tätig- 
keit denken.  Diese  ist  vorzugsweise  an  eine  tiefe,  diese  Flachsee 
in  ostsüdöstlicher  Richtung  durchziehende  Rinne  geknüpft,  welche 
als  die  Grenze  von  Europa  und  Afrika  anzusehen  ist,  und  in  welcher 
die  vulkanischen  Inseln  Linosa  und  Pantelleria,  diese  aus  iooo  m 
tiefem  Meere  zu  836  m  Höhe  aufgetürmt  worden  sind,  nach  welch 
letzterer  wir  auch  am  besten  diese  Meerenge  benennen.  Vulka- 
nische, z.  T.  unterseeische  Ausbrüche  sind  hier  noch  heute  häufig. 
Solche  schufen  1831  und  1832  eine  kleine  Insel,  Ferdinandea  ge- 
nannt, die  schließlich  70  m  Höhe  und  700  m  Umfang  erreichte,  aber, 
da  sie  aus  lose  aufgeschütteten  Auswurfsstoffen  bestand,  bald  von 
den  Wogen  wieder  abgetragen  und  eingeebnet  wurde.  Doch  fand 
1863  an  derselben  Stelle  ein  Ausbruch  statt,  und  die  Lotungen 
haben  auf  dem  Meeresgrunde  einen  zwar  etwas  verwischten,  aber 
noch  deutlich  erkennbaren  Krater  nachgewiesen.  Während  auf 
Pantelleria  noch  mehrere  Krater  erkennbar  und  Gasaushauchungen 
häufig  sind,  fand  1891  5  km  nach  NW  ein  gewaltiger  untersee- 
ischer Ausbruch  statt,  bei  welchem  die  Nordostküste  von  Pantelleria 
auf  eine  lange  Strecke  um  75  cm  gehoben  wurde. 

Ist  so  dieser  wichtige  das  Nordwest-  mit  dem  Südostbecken 
verbindende  Meeresteil  ganz  jugendlichen  Alters  —  die  hier 
liegende  Wanderstraße  der  Zugvögel,  die  nicht  wissen  können, 
daß  das  Meer  hier  so  schmal  ist,  soll  die  ehemalige  Landbrücke 
noch  andeuten  — ,  so  gilt  das  gleiche  vom  äußersten  Südosten, 
dem  Meere  an  der  ägyptischen  und  syrischen  Küste.  Schon 
das  Hochland  von  Barka,  die  stumpfe  Halbinsel,  welche,  mit 
Kreta  durch  eine  unterseeische  Schwelle  verbunden,  das  levantische 
Becken  von  dem  großen  zentralen  Einbruchskessel  des  Ionischen 
und  des  Syrtenmeeres  scheidet,  besteht  aus  jungtertiären  marinen 
Schichten,  welche  heute  bis  auf  mehr  als  500  m  über  dem  Meeres- 
spiegel gehoben  von  bedeutenden  Krustenbewegungen  zeugen. 
Und  ebenso  das  Küstenland  Marmarica.  Ja,  das  heute  von  den 
Sinkstoffen  des  Nils  aufgefüllte  Dreieck  war  noch  in  der  Glazial- 
zeit ein  Meerbusen,  der  vorübergehend  und  durch  eine  ganz 
flache  Meerenge  mit  dem  Roten  Meere  in  Verbindung  stand.  Der 
Nil  mündete  vorher  viel  weiter  nordwärts  und  der  heute  als  Palästina 
bezeichnete  Teil  der  großen  Wüstentafel  wurde  zum  Nil  ent- 
wässert und  die  Fauna  des  Jordans  und  des  Tiberiassees  stimmt 
noch  mit    der    des  Nils   überein,    ja  in   dem  kleinen    südlich  vom 


2o  T>   -•    Entstehung  und  Entwicklung  des  Mittelmeergebietes. 

Karmel  mündenden  Nähr  Zerka  kommen  noch  Krokodile  vor,  die 
der  Mensch  im  Nil  selbst  weit  nach  Süden  verscheucht  hat.  Mit 
den  Krustenbewegungen,  welche  das  Mittelmeer  sich  so  weit  nach 
Südosten  ausdehnen  machten,  steht  die  Herausbildung  individueller 
Züge  in  dem  dem  heutigen  Mittelmeere  dort  parallelen  Streifen 
der  großen  Wüstentafel,  den  wir,  von  dem  einförmigen,  wüsten 
Nordarabien  scharf  unterschieden,  Syrien  nennen.  Der  heutigen, 
in  Südsyrien  (Palästina)  allerdings  durch  noch  jüngere  Vorgänge 
umgestalteten  Küste  Syriens  läuft  in  dem  geringen  Abstände  von 
30 — 50  km  ein  System  von  Bruchlinien  parallel,  an  welche  der 
sog.  syrische  Graben  gebunden  ist,  eine  tiefe  Narbe  im  Antlitz  der 
Erde,  die  ganz  Syrien  vom  Fuße  des  taurischen  Faltenlandes  an 
der  Südgrenze  Kleinasiens  an  durchzieht  und  sich,  zuletzt  mit 
Meerwasser  gefüllt,  im  Golf  von  Akabah  bis  zum  Roten  Meere, 
dem  Erythräischen  Graben  fortsetzt.  Vom  Jordan  durchflössen 
und  z.  T.  durch  die  Spiegel  der  drei  Jordanseen  verhüllt,  ist  der 
südlichste  Teil  des  syrischen  Grabens  unter  dem  Namen  Ghor, 
das  Tiefland,  weil  tief  unter  dem  Spiegel  des  Mittelmeeres  ge- 
legen, am  bekanntesten.  In  Staffelbrüchen  ist  der  heute  das 
Westjordanland  von  Palästina  bildende  Streifen  der  Tafelscholle 
zum  Mittelmeere  hinabgesunken,  so  daß  dasselbe  vom  Ostjordan- 
lande überragt  wird.  Dagegen  sind  in  Mittelsyrien  dieselben 
Streifen  der  Erdrinde  zu  beiden  Seiten  des  Grabens,  dessen 
Sohle  hier  auch  bis  zu  1000  m  über  dem  Meere  emporgehoben 
ist,  in  dem  mittelsyrischen  Zwillingshorste  des  Libanon  und  Anti- 
libanon  so  steil  emporgepreßt  worden,  daß  der  Libanon  nur  15 
bis  20  km  vom  Meere  mauerartig  bis  zu  3000  m  Höhe  über 
dem  Mittelmeere  emporsteigt  und  der  Fuß  des  Gebirges,  das 
große  Dampfmengen  verdichtet  und  den  größten  Teil  des  Jahres 
schneebedeckt  weithin  dem  die  syrische  Küste  Ansegelnden  ent- 
gegen leuchtet,  durch  die  Gebirgsbäche  reichlich  getränkt  in 
üppiger  Fülle  der  subtropischen  Pflanzenwelt  prangt.  So  ist  ganz 
Syrien,  wenn  auch  nur  in  einer  Breite  von  etwa  100  km  anbau- 
fähig, während  in  Nordafrika,  von  der  Niloase  abgesehen,  Steppe 
und  Wüste  an  das  Mittelmeer  heranreicht,  soweit  die  große 
Wüstentafel  seine  Gestade  bildet. 

Die  größten  Tiefen  des  Mittelmeeres  gehören  diesem  offenen, 
inselarmen  Südostbecken  an.  Im  Ionischen  Meere  liegen  in  der 
südwestpeloponnesischen    Tiefe    die    größten    bisher    im    Mittel- 


Entstehung  des  westlichen  Mittelmeergebietes.  2  I 

meere  überhaupt  geloteten  Tiefen  von  4400  m,  nur  12  km 
von  Sapienza  schon  3700  m.  Dieser  ungeheure  Steilabbruch 
am  West-  und  Südrande  des  Peloponnes  wird  noch  immer 
durch  häufige  und  heftige  Erdbeben  gekennzeichnet,  in  welchen 
sich  die  Krustenbewegungen  auslösen,  und  es  ist  wahrscheinlich, 
daß  die  häufigen  Zerreißungen  der  hier  auf  dem  Meeresgrunde 
ruhenden  Kabel  auf  solche  zurückzuführen  sind.  Ähnlich  liegen 
auch  im  levantischen  Meere  die  größten  Tiefen  von  nahe  an 
4000  m  dicht  unter  Land  zwischen  Rhodos  und  Lykien. 

In  der  Entwicklungsgeschichte  der  größeren  nordwestlichen 
Hälfte  des  Mittelmeeres  und  der  Mittelmeerländer  spielen  drei 
aus  früheren  Erdperioden  erhaltene  alte,  offenbar  tief  in  der  Erd- 
rinde verankerte  Schollen  die  entscheidende  Rolle,  die  iberische, 
die  tyrrhenische  und  die  rumelische.  Sie  bedingen  die  drei  süd- 
europäischen Halbinseln  und  die  Eigenart  jeder  einzelnen.  Alle 
drei  sind  überwiegend  aus  Gesteinen  der  Urzeit  (archäischen) 
und  des  Altertums  der  Erde  (paläozoischen)  aufgebaut  und  nehmen 
die  Stelle  alter  bis  auf  die  Grundfesten  wieder  abgetragener  Falten- 
gebirge von  alpinen  Höhen  ein.  An  ihrer  Stelle  treten  uns  heute 
weite  Hochebenen  oder  mäßig  gegliedertes  Hochland  entgegen, 
da  die  steil  aufgerichteten,  einst  hohe  Gebirgsketten  bildenden 
Schichten  vielfach  wie  mit  dem  Rasiermesser  quer  durchgeschnitten 
erscheinen  und  die  Form  der  Ebene  im  grellsten  Gegensatze  zu 
den  unter  unseren  Füßen  himmelwärts  ausstreichenden  Schichten 
steht.  In  großer  Ausdehnung,  namentlich  gegen  die  Ränder  der 
Schollen,  ist  dies  alte  Grundgebirge  aber,  ähnlich  dem  des  deutschen 
Mittelgebirgslandes,  von  den  tafellagernden  und  daher  auch  Ebenen 
bildenden  Schichten  eines  jüngeren  Deckgebirges  überlagert,  das 
sich  auf  dem  Grunde  des  über  die  alten  Schollen  hinübergreifen- 
den Meeres  mit  den  Trümmern  des  abgetragenen  alten  Gebirges 
bildete.  Diesem  Vorherrschen  ebenflächiger  Ausbreitungen  ent- 
sprechend bezeichnen  wir  wohl  auch  die  alte  iberische  Scholle 
als  iberische  Meseta,  wie  dort  auch  im  kleinen  die  Bezeichnungen 
Mesa  (Tisch)  und  die  annähernd  gleichbedeutenden  Muela  und 
Paramo  häufig  wiederkehren.  Doch  haben  spätere  Krusten- 
bewegungen auch  diese  Scholle  zerstückt  und  Einbruchskessel 
geschaffen,  die  in  der  Tertiärzeit  Seen  waren,  die  heute  mit  Ge- 
birgsschutt  aufgefüllt  die  baumarmen  Hochebenen  von  Alt-  und 
Ncukastilien    bilden,    zwischen    welchen    das    kastilische    Scheide- 


2  2  I,  2.    Entstehung  und  Entwicklung  des  Mittelmeergebietes. 

gebirge  zu  Höhen  von  2700  m,  etwa  2000  m  relativ  emporragt, 
während  das  Becken  von  Aragonien  vom  Ebro  in  engem  Durch- 
bruchstale entwässert  wurde.  An  diese  alte  Scholle  als  Wider- 
lager wurde  nun  in  der  Tertiärzeit  durch  tangentialen  Schub 
von  Norden,  vom  Tiefbecken  des  Golfs  von  Biscaya  her,  das 
kantabrische  Gebirge  an-  und  emporgefaltet,  das  sich  in  den 
Pyrenäen  nach  Osten  fortsetzt,  die  schließlich  an  einem  hafen- 
reichen Querbruche  am  Mittelmeere  endigen.  Da  in  den  Pyre- 
näen auch  vom  Ebrobecken  her  seitlicher  Druck  wirksam  war, 
so  weisen  diese  Fächerstruktur  auf.  Und  in  ähnlicher  Weise 
wurde  von  Süden  her  das  andalusische  Faltengebirge  an  die 
iberische  Meseta  angefaltet  und  dadurch  gegen  Ende  der  Tertiär- 
zeit die  Meerenge,  welche  durch  Niederandalusien,  die  Guadal- 
quivirbucht,  Ozean  und  Mittelmeer  verband,  geschlossen,  während 
seit  Beginn  der  Quartärzeit  und  noch  in  geschichtlicher  Zeit  der- 
jenige Querbruch  des  andalusischen  Faltengebirges,  welcher  der 
stärksten  Spannung  der  Schichten  an  der  Umbiegung  derselben 
nach  Süden  und  Osten,  wo  es  sich  im  nordafrikanischen  Rif- 
gebirge  fortsetzt,  entspricht,  zur  Straße  von  Gibraltar  durch  Ge- 
zeiten und  Brandungswoge  ausgearbeitet  wurde.  Sie  verbindet 
jetzt  Ozean  und  Mittelmeer,  aber  dem  gefalteten  Gebirgsbogen 
entspricht  noch  eine  unterseeische  Schwelle,  die  am  äußeren 
Eingange  in  die  Meerenge  mit  nur  etwa  200  m  mittlerer  Tiefe 
Kap  Trafalgar  mit  Kap  Spartel  verbindet,  die  einander  auf  44  km 
gegenüberliegen,  und  den  westlichsten  in  der  Reihe  der  medi- 
terranen Einbruchskessel,  den  andalusischen,  vor  der  Meer- 
enge gelegenen ,  von  dem  Alboranbecken  scheidet.  So  ist 
auch  die  Verbindung  des  Mittelmeers  mit  dem  Ozean,  die  an 
der  engsten  Stelle  östlich  der  Südspitze  Europas  nur  14  km 
erreicht,  jungen  Ursprungs.  Wie  die  Pyrenäen  am  medi- 
terranen Bruchgürtel  in  einem  Querbruche  endigen,  so  auch 
das  andalusische  Faltengebirge,  nur  daß  sich  dieses  in  den 
Balearen  noch  weit  in  jenen  hinein  fortsetzt.  Zwischen  den 
Enden  beider  Gebirge  reicht  die  alte  iberische  Scholle  ans  Mittel- 
meer, wie  jenseits  der  Pyrenäen  zwischen  diesen  und  den  Alpen 
das  Zentralplateau  von  Frankreich,  aber  beide  durch  schmale 
Vorländer,  die  Küstenebenen  von  Valencia  und  von  Languedoc, 
die  die  sie  entwässernden  Flüsse  mit  dem  herabgeführten  Schutt 
gebildet  haben,    vom  Meere  getrennt.      So  ist  hier  und  nur   hier 


Entstehung  des  westlichen  Mittelmeergebietes.  2X 

am  ganzen  Nordwestbecken  des  Mittelmeeres  der  Typus  der 
Schollenküste  mit  vorgelagerter  hafenloser  Schv/emmlandebene 
vertreten. 

Die  große  Übereinstimmung  des  Atlasvorlands  von  Marokko 
mit  der  iberischen  Meseta  konnte  ich  auf  meiner  Forschungsreise 
im  Jahre  1899  feststellen.  Wie  das  Rifgebirge  die  umgebogene 
Fortsetzung  des  andalusischen  Faltengebirges  ist,  so  ist  die  Tertiär- 
bucht des  Sebu  das  Gegenstück  der  Guadalquivirbucht.  Und 
wie  sich  von  dieser  eine  Tiefenlinie  der  alten  Meerenge  ent- 
sprechend nach  Osten  fortsetzt,  so  scheidet  eine  solche,  nur  noch 
schärfer  ausgeprägt  über  Fez ,  Tasa  und  Udschda  das  Rif- 
gebirge vom  marokkanischen  Atlas,  wie  die  Sebubucht  es  vom 
Atlasvorlande  scheidet.  Dieses  besteht  genau  wie  die  Meseta 
aus  denselben  steil  aufgerichteten  und  bis  auf  die  Grundfesten 
abgetragenen  alten  Formationen,  die  auch  ihrerseits  teils  unter 
tafellagernden  Schichten  eines  jungen  Deckgebirges,  teils  offen 
zutage  tretend,  weite  Hochebenen  bilden. 

Wie  das  Rifgebirge  gegen  die  alte  Scholle  des  Atlasvorlands 
angepreßt  und  steil  vom  Mittelmeere  aufsteigend,  wenn  auch  nur 
mit  Höhen,  die  nirgends  3000  m  erreichen  dürften,  Marokko  vom 
Mittelmeere  trennt,  so  bildet  das  andalusische  Faltengebirge,  das 
im  Mulahacen  mit  3500  m,  nur  35  km  vom  Mittelmeere,  die 
höchsten  Höhen  Europas  außerhalb  der  Alpen  erreicht,  einen 
Spanien  vom  Mittelmeere  und  seinem  afrikanischen  Gegengestade 
trennenden  hohen  Wall,  genau  wie  Pyrenäen  (Aneto  3400  m) 
und  kantabrisches  Gebirge,  auch  diese  die  Meseta  weit  über- 
ragend, einen  solchen  abschließenden  Wall  gegen  Frankreich  und 
den  Golf  von  Biscaya  bilden.  So  neigt  sich  die  iberische  Halb- 
insel zwischen  diesen  beiden  hohen  Randgebirgen  nach  Westen 
zum  ungeheuren  Ozean,  zu  welchem  sie  aber  auch  in  gerad- 
liniger Schollenküste  steil  abbricht,  die  nur  dadurch  einige  gute 
Häfen  besitzt,  daß  das  Meer  dort  neuerdings  über  das  Festland 
hinübergreift,  in  die  Flußmündungen  eindringt  (Oporto,  Lissabon, 
Setubal,  Huelva,  Sevilla)  oder  Inseln  abgliedernd  und  mit  Hilfe 
der  Gezeiten  die  Mündungen  selbst  kleiner  Flüsse  zu  Rias  aus- 
geweitet hat  (Cadiz,  Vigo,  Ferrol,  La  Coruna). 

Das  Rifgebirge,  ein  Teil  der  großen  gefalteten  Gebiete  der 
Atlasländer,  setzt  sich  ostwärts  im  sog.  Tellatlas  fort,  der  auch 
seinerseits,  bis  an  den  Golf  von  Tunis  reichend,  auf  jungen,  durch 


2±  I,  2.    Entstehung  und  Entwicklung  des  Mittelmeergebietes. 

vulkanische  Tätigkeit  gekennzeichneten  Bruchlinien  steil  zum 
Mittelmeere  abbricht.  So  reich  gegliedert,  wenigstens  im  kleinen, 
durch  mehr  oder  weniger  halbkreisförmige  Brandungsbuchten  diese 
Längsküste  von  Marokko,  Algerien  und  Tunesien  auch  erscheint, 
so  entbehrt  sie  doch  der  Naturhäfen  durchaus  und  bildet  eine 
wahre  Absperrungsküste,  an  welcher  selbst  Kunsthäfen,  auch  wenn 
keine  Kosten  gespart  werden,  wie  der  von  Algier  zeigt,  weder 
Dauer  noch  volle  Sicherheit  verheißen.  Nur  am  Golf  von  Tunis, 
wo  das  Meer  in  die  Längsmulde  zwischen  den  dort  konvergieren- 
den Faltengürteln  des  Teil-  und  des  Saharaatlas  eingedrungen 
ist,  ist  das  Land  aufgeschlossen,  und  dieser  Punkt  mit  seiner  Eck- 
lage, Sizilien  und  Sardinien  gegenüber,  an  der  beide  Mittelmeer- 
becken verbindenden  Meerenge,  deren  Verkehr  Luft-  und  Meeres- 
strömungen wie  Untiefen  überdies  an  die  afrikanische  Küste 
drängen,  wo  auch  die  Landstraßen  von  Süden,  wie  namentlich 
von  Westen  her  durch  das  Medjerdatal  zusammenlaufen,  mußte 
zu  allen  Zeiten  einen  Mittelpunkt  des  Handels  und  einen  politischen 
Schwerpunkt  großziehen,  zumal  an  dem  dem  Seeverkehr  günstigen 
Strande  sich  natürlich  feste  Punkte  fanden:  Insellage  wie  bei  Utika, 
Halbinsellage  nebst  natürlich  festen  Höhen  wie  bei  Karthago  und 
Tunis.  Ergänzend  kommt  das  nahegelegene  Biserta  (Hippo  Zaritus) 
hinzu,  dessen  herrlichen,  unangreifbaren  Naturhafen  die  Franzosen 
eben  zu  einem  der  größten  Seekriegshäfen  der  Welt  ausbauen. 
Die  Geschichte  von  fast  drei  Jahrtausenden  lehrt,  daß  Tunesien 
im  Besitze  einer  starken  Macht  eine  unerträgliche  Bedrohung 
Siziliens  und  Sardiniens  ist. 

Etwas  anderen  Charakter  wie  die  iberische  trägt  die  alte 
tyrrhenische  Scholle.  Von  dieser  sind  nur  noch  einige  Trümmer- 
stücke erhalten,  die  aber  eine  Vorstellung  von  ihrer  früheren 
Ausdehnung  und  von  ihrem  Einflüsse  auf  die  jüngsten  Gebirgs- 
bildungen  im  Mittelmeergebiet  zu  geben  vermögen.  Sardinien- 
Korsika,  die  toskanischen  Inseln,  das  toskanische  Erzgebirge,  die 
Apuanischen  Alpen,  andrerseits  im  Südosten  Kalabrien  und  das 
Peloritanische  Gebirge  Nordostsiziliens  sind  die  Reste  dieser  Fest- 
landsscholle, welche  durch  Krustenbewegungen,  die  schon  im 
Mittelalter  der  Erde  einsetzten,  aber  die  ganze  Tertiärzeit  hin- 
durch, ja  bis  in  die  Quartärzeit  und  vielleicht  in  die  Gegenwart 
sich  fortsetzten.  Es  waren  vorwiegend  zentripetale  Bewegungen. 
Und    so  liegt   jetzt  an  Stelle  der  Tyrrhenis    der   tiefe  Einbruchs- 


Die  Tyrrhenis. 


25 


kessel  des  Tyrrhenischen  Meeres  mit  Tiefen  von  3700  m.  Wie 
in  der  Umgebung  desselben,  am  Golf  von  Neapel,  noch  in  ge- 
schichtlicher Zeit  bedeutende  Schwankungen  der  Küste  statt- 
gefunden haben,  an  der  tyrrhenischen  Seite  Kalabriens  noch  heute 
ein  Aufsteigen  des  Landes  nachweisbar  ist,  so  bezeugen  die 
quartären,  vom  Meere  gebildeten  Terrassen  Kalabriens,  die  Stufen 
ähnlich  übereinanderliegend  bis  zur  Höhe  von  1200  m  ansteigen, 
die  furchtbaren  Erdbeben  und  die  vulkanische  Tätigkeit  an  der 
inneren,  der  Abbruchsseite  Italiens,  daß  die  Umgebung  des  Tyrrhe- 
nischen Meeres  und  dies  Meer  selbst  eine  der  am  wenigsten  in 
sich  gefestigten  Teile  der  Erdrinde  bezeichnet.  Da  auch  im  süd- 
östlichen Tyrrhenischen  Meere  Kabelzerreißungen  häufig  sind,  so 
lassen  sich  auch  diese  vielleicht  auf  Veränderungen  des  Meeres- 
bodens zurückführen.  Wenn  die  Terrassen  des  fast  2000  m  er- 
reichenden kalabrischen  Aspromonte  bezeugen,  daß  die  Empor- 
pressung dieser  Scholle  der  Tyrrhenis  in  und  seit  der  Quartär- 
zeit erfolgt  ist,  so  kann  man  wenigstens  daran  denken,  daß  auch 
die  bedeutenden  Höhen  von  Sardinien  (Gennargentu  fast  2000  m) 
und  Korsika  (Monte  Cinto  2700  m)  so  erklärt  werden  könnten,  ob- 
wohl auf  Korsika  kein  Anhalt  für  eine  solche  Hypothese  geboten 
ist,  während  das  wechselvoller  zusammengesetzte  Sardinien  aller- 
dings erst  wieder  durch  eine  quartäre  Hebung,  die  die  beträcht- 
lichen Ebenen  der  Insel  geschaffen  hat,  zu  einer  einheitlichen 
Insel  geworden  ist. 

Daß  diese  alte  Festlandsscholle  noch  zu  Beginn  der  Tertiär- 
zeit viel  weiter  nach  Osten,  bis  an  die  Westseite  des  heutigen 
Italiens  reichte,  dafür  sprechen  auch  in  den  Apenninen,  aber 
nur  an  der  tyrrhenischen  Seite  von  Kalabrien  nordwärts  bis  an 
die  Südgrenze  von  Latium  vorkommende,  hier  und  da  bis  400  m 
mächtige  Konglomerate  des  oberen  Eozän  aus  Gerollen  oft  mit 
großen,  kaum  gerundeten  Blöcken  derselben  archäischen  Ge- 
steine, die  noch  heute  bei  weitem  überwiegend  den  Osten  von 
Sardinien  und  den  größten  Teil  von  Korsika  bilden.  In  Kala- 
brien, an  dessen  Nordgrenze  die  archäischen  Formationen  unter 
die  mesozoische  und  tertiäre  Decke  hinabtauchen,  sind  die  noch 
nicht  wieder  abgewaschenen  Reste  des  Eozän,  die  in  der  Sila 
noch  1380  m  erreichen,  ebenfalls  aus  solchen  kristallinischen 
Konglomeraten  gebildet,  ja,  was  lange  nicht  beachtet  worden  war, 
schon     1864    hat    G.  Capellini    und    noch    früher    Brocchi    ange- 


2  6  I,  2.    Entstehung  und  Entwicklung  des  Mittelmeergebietes. 

nommen,  daß  die  Gerolle  aus  Granit  und  kristallinischen  Schiefern 
in  den  eozänen  Konglomeraten  bei  Spezia  von  einem  nach  Westen 
vorhanden  gewesenen  alten  Festlande  herstammten.  Später  hat 
das  auch  Meneghini  angenommen  und  Zaccagna  für  die  gleiche 
Formation  in  den   Apuanischen  Alpen. 

An  der  Ostseite  dieses  alten  Festlands,  dessen  Vorhanden- 
sein als  solches,  wenigstens  was  das  ganze  östliche  Sardinien 
anlangt,  während  der  Triaszeit  noch  neuerdings  Tornquist  be- 
stätigt hat,  dehnte  sich  während  des  ganzen  mesozoischen  Zeit- 
alters bis  ins  Eozän  an  Stelle  der  heutigen  Apenninen  das  Meer 
aus,  in  welchem  sich,  offenbar  bei  stetig  sinkendem  Meeresgrunde, 
auf  der  abgetragenen  archäischen  Scholle  die  Schichten  des 
Mesozoikums  bis  zum  Eozän  in  einer  Mächtigkeit  von  8000  m 
ablagerten.  In  der  jüngeren  Tertiärzeit  wurden  dann  diese 
Schichten  durch  tangentialen  Schub  von  der  niedersinkenden 
Tyrrhenis  her  zusammen-  und  emporgepreßt.  Sie  bildeten  das 
junge  Faltengebirge  der  Apenninen,  die  daher,  im  Gegensatz  zu 
den  vorwiegend  westöstlich  verlaufenden  eurasischen  Falten- 
gebirgen, aber,  wie  wir  sehen  werden,  nicht  zu  dem  benachbarten 
illyrisch -griechischen,  weil  an  der  Ost-  und  Südseite  der  sich 
meridional  erstreckenden  tyrrhenischen  Scholle  gelegen,  meridional 
in  den  mediterranen  Bruchgürtel  hinein  verlaufen,  dann  aber, 
schon  dem  Südrande  desselben  nahe,  nach  Westen  umschwenken 
und  sich  im  gefalteten  Gürtel  des  Atlas  fortsetzen.  So  bilden 
die  Apenninen  eine  Landbrücke  quer  über  das  Mittelmeer.  Das 
verleiht  Italien  seine  bevorzugte  Stellung  im  Mittelmeergebiet. 

Freilich  bestand  das  Apenninenland,  wenigstens  der  Süden, 
zu  Ende  der  Tertiärzeit  aus  lauter  Inseln.  Das  Faltengebirge 
war  dort,  wo  es  aus  der  Süd-  in  die  Westrichtung  umschwenkte, 
ähnlich  dem  andalusischen,  durch  Querbrüche  zerstückt,  Meer- 
engen verbanden  das  Tyrrhenische  Meer  mit  dem  südadriatischen 
und  Ionischen.  Erst  jene  quartäre  Hebung  schuf  wieder  ein 
orographisch  einheitliches  Gebirge  —  so  jung  sind  also  die 
Apenninen  —  und  schloß  diese  Meerengen  bis  auf  die  eine  von 
Messina,  die  aber  auch  bis  auf  3200  m  verengt  und  auf  102  m 
am  nördlichen  Eingange  verflacht  wurde.  Denkt  man  sich  hier 
die  Wasserhülle  weg,  so  weisen  die  Apenninen,  die  auch  hier, 
von  der  Sohle  des  ionischen  und  tyrrhenischen  Tiefbeckens  aus 
gesehen,    als    ein  mindestens  3000  m    hohes  Gebirge    erscheinen 


Die  Apenninen.  2  7 

würden,  nur  eine  Einkerbung  zwischen  dem  Aspromonte  und 
dem  Peloritanischen  Gebirge  auf,  etwa  wie  der  Brenner  eine 
solche  zwischen  den  Ötztaler  und  Zillertaler  Alpen  darstellt. 
Kalabrien  besteht  im  wesentlichen  nur  aus  Trümmerstücken  der 
alten  tyrrhenischen  Scholle,  da  an  der  ionischen  Seite  der  tertiäre 
Außengürtel,  welcher  die  Apenninen  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
von  Piemont  bis  Sizilien  kennzeichnet,  vom  Golf  von  Tarent  bis 
zu  dem  Querbruche,  welcher  die  Ostseite  von  Sizilien  begrenzt 
und  an  welchen  die  Meerenge  von  Messina  gebunden  ist,  bis 
auf  geringe  Reste  zum  ionischen  Einbruchskessel  abgesunken  ist. 
Bei  den  Höhen  von  beinahe  2000  m,  welche  der  kristallinische 
kalabrische  Apennin  in  der  Sila,  wie  im  Aspromonte  erreicht,  er- 
scheint so  Kalabrien  von  den  Sohlen  der  beiden  angrenzenden 
Tiefbecken  aus  als  ein  schmaler,  fast  6000  m  hoher  Steg,  welcher 
Sizilien  mit  dem  übrigen  Apenninenlande  verbindet,  als  eine  Mauer 
der  Erdrinde,  welche  beide  Tiefbecken  scheidet. 

Ähnlich  wie  in  der  Kleinen  Syrte  lassen  auch  in  dem  so 
häufig  von  Erdbeben  heimgesuchten  Ligurien  vor  der  Küste  liegende 
unterseeische  Täler  und  die  Gestalt  der  Küste  mit  ihren 
Ingressionsbuchten  auf  ein  junges  Vordringen  des  Meeres  schließen. 
Auch  der  Golf  von  Neapel  wird  als  ein  junges  Einbruchsbecken 
angesehen.  Seine  Ufer  und  seine  Umgebung  mit  ihrer  Fülle 
menschlicher  Siedelungen  und  Trümmer  von  solchen  haben  aber 
den  Beweis  ermöglicht,  daß  hier  die  Erdrinde  unablässigen  Schwan- 
kungen unterliegt.  Die  berühmte  Blaue  Grotte  von  Capri,  ein 
Werk  der  Meereserosion,  wurde  geschaffen,  als  Capri  in  vor- 
geschichtlicher Zeit  etwa  18  m  höher  über  dem  Meeresspiegel 
emporragte  als  heute.  Noch  zur  Zeit  des  Tiberius  war  die  Insel 
6  m  höher  als  heute.  Die  noch  heute  unter  Wasser  sichtbaren 
Stufen  der  Treppe  im  Hintergrunde  der  Grotte,  welche  durch 
einen  jetzt  verschütteten  Gang  zu  einem  Palaste  des  Tiberius 
emporführte,  reichen  so  weit  ins  Wasser  hinunter.  Seitdem  hat 
sich  die  Insel  noch  weiter  gesenkt,  der  hohe  und  breite  Eingang 
der  Grotte  ist  zu  einem  großen  Unterwasserfenster  geworden, 
durch  dessen  eben  noch  über  dem  Meeresspiegel  emporragende 
und  nur  von  flachen  Booten  bei  ruhigem  Wasser  gangbare  oberste 
Öffnung  man  in  die  Grotte  gelangt.  Seitdem  erst  rief  das  seit- 
lich von  außen  in  die  Grotte  sich  fortpflanzende  Licht  die  wunder- 
baren Lichtwirkungen  hervor.     Ähnliche  Niveauschwankungen  sind 


28  I)  -•    Entstehung  und  Entwicklung  des  Mittelmeergebietes. 

auch  drüben  auf  dem  Festlande  bei  Sorrent  und  vor  allem  bei 
Pozzuoli  nachgewiesen. 

So  erscheint  das  Nordwestbecken  des  Mittelmeeres  als  rings 
von  einem  großen  Wirbel  junger  Faltengebirge  umschlossen, 
die  alle  ihre  steilen,  durch  vulkanische  Tätigkeit  gekennzeichneten 
Abbruchsseiten,  gleichsam  die  Schichtenköpfe,  in  welchen  die 
ältesten  sie  bildenden  Gesteine  zutage  treten,  dem  Meere  zu- 
kehren und  nur  an  drei  Stellen  tiefere  Einkerbungen  aufweisen: 
die  also  noch  jüngeren  Straßen  von  Messina,  von  Pantelleria  und 
von  Gibraltar.  Nur  im  Nordwesten  treten  an  Stelle  dieser  Falten- 
gebirgen parallelen  Längsküsten  lange  Strecken  von  Schollen- 
und  Schwemmlandküsten  zu  beiden  Seiten  der  Querbruchküste 
der  Pyrenäen.  Und  dort  liegen  im  Rhonetale  und  in  der  aqui- 
tanischen  Schwelle  die  zwei  bequemsten  Landzugänge  zum  Mittel- 
meere, die  zunächst  Frankreich  mit  dem  Mittelmeergebiete  ver- 
binden und  ihm  früher  als  dem  durch  den  Alpenwall  getrennten 
Deutschland  mediterrane  Kultur  zuführten.  Das  erklärt,  daß  Frank- 
reich früher  zu  höherer  Kultur  emporstieg  und  so  auf  Deutsch- 
land einen  so  großen  Einfluß  ausüben  konnte.  Diese  beiden 
Zugänge  lassen  aber  auch  als  große  Zuglöcher  große  Massen 
kalter,  schwerer  Luft  von  Norden  und  vom  Ozean  her  in  das 
Mittelmeergebiet  eindringen  und  beeinflussen  das  Klima  des  Nord- 
westbeckens. 

Mitten  aus  diesem  großen  Wirbel  ragen  Sardinien-Korsika 
auf,  letzteres  ein  alpines  Gebirge  in  immergrünem  Gewände,  die 
als  Reste  einer  alten,  einst  ausgedehnteren  Festlandsscholle  in 
ihrer  Pflanzen-  und  Tierwelt,  ja  man  kann  sagen  auch  in  ihren 
Bewohnern,  viel  Altertümliches  in  ihrer  Abgeschlossenheit  bewahrt 
haben  und  auf  den  aufmerksamen  Reisenden,  von  wo  immer 
kommend  er  auf  den  Inseln  landet,  den  Eindruck  des  Fremden 
hervorrufen. 

In  zwei  Armen,  die  die  sonstige  Ungunst  seiner  Verhältnisse 
etwas  ausgleichen,  greift  das  Südostbecken  des  Mittelmeeres  nach 
Nordwesten  gegen  Mitteleuropa  aus,  den  ebenfalls  jungen  Meeres- 
räumen des  adriatischen  und  des  griechischen  Inselmeeres.  Beide 
stehen  genetisch  in  engen  Beziehungen  zur  rumelischen  Scholle, 
welcher  ein  großer  Teil  der  südosteuropäischen  Halbinsel  an- 
gehört: Thrakien,  Makedonien,  Serbien.  Die  Bezeichnung 
„rumelische  Scholle"    für    dies  erdgeschichtlich  und  geschichtlich 


Die  rumelische  Scholle. 


29 


zusammengehörige  Gebiet  habe  ich  eingeführt,  weil  dasselbe 
ungefähr  dem  türkischen  Rumelien,  Rumili,  entspricht,  dem 
einzigen,  jene  großen  Landschaften,  im  Gegensatz  zu  Anadoli, 
Kleinasien  zusammenfassenden  Namen.  In  Sofia  hatte  der 
Beylerbey  von  Rumili  seinen  Sitz,  und  noch  heute  liegen  am 
Bosporus  die  beiden  gewaltigen  Festen  einander  gegenüber,  durch 
welche  es  den  Türken  gelang,  den  Bosporus  zu  sperren  und  so 
endlich  Konstantinopel  zu  erobern:  Rumili  und  Anadoli  Hirsar. 
Ost -Rumelien  hat  man  neuerdings  Ober -Thrakien  genannt. 
Auch  die  rumelische  Scholle  ist  durch  spätere  Krustenbewegungen 
zerstückt  worden  und  wird  so  ganz  besonders  durch  zahlreiche 
kleine,  für  sich  abgeschlossene  Beckenlandschaften  gekennzeichnet, 
die  meist  von  Seen  gefüllt  waren  und  durch  enge  Schluchten 
entwässert  werden.  Teils  ist  die  alte  Scholle,  wie  im  oberen 
und  unteren  Maritzabecken  Thrakiens  oder  auf  der  bulgarischen 
Kreidetafel  zwischen  Balkan  und  Donau,  von  jüngeren  mesozoi- 
schen und  tertiären  Ablagerungen  verhüllt,  teils  ragt  sie  als  ge- 
waltiger Rumpfhorst  wie  im  Rhodopegebirge  zu  Höhen  von  3000  m 
auf.  Ganz  in  Inseln,  ähnlich  der  Tyrrhenis,  aufgelöst  ist  die 
Aegaeis,  die  doch  vielleicht  einen  südlichen  Teil  der  rumelischen 
Scholle  bildete,  wenn  das  auch  noch  nicht  völlig  klargelegt  ist. 
An  ihrer  Stelle  dehnt  sich  heute  das  griechische  Inselmeer  aus, 
das  einen  von  Bruchlinien  zerstückten  Teil  der  Erdrinde  be- 
zeichnet, über  welchen  seit  Ende  der  Tertiärzeit,  aber  besonders  in 
der  Quartärzeit  von  Süden  her  das  Mittelmeer  vordrang.  Aber  ähnlich 
wie  die  iberische  Scholle  von  zwei  hohen,  jungen  Faltengebirgen 
begleitet  wird,  so  auch  die  rumelische:  das  illyrisch-griechische 
Faltengebirge  und  der  Balkan.  Nur  ist  nach  dem  heutigen  Stande 
unsers  Wissens  anzunehmen,  daß  bei  beiden  der  tangentiale  Schub 
von  der  alten  Scholle  ausging,  bei  ersterem  somit  nach  Westen, 
bei  letzterem  nach  Norden  gerichtet  war.  Auf  dem  Austönungs- 
gürtel des  ersteren  liegt  das  flache,  nördliche  Adriatische  Meer, 
also  auch  einer  der  jüngsten  Teile  des  Mittelmeers,  den  des 
letzteren  bildet  die  bulgarische  Kreidetafel.  Ersteres  bedingt  die 
große  meridionale,  letzterer,  ein  zwar  600  km  langer,  aber  kaum 
30  km  breiter  gefalteter  Erdgürtel  mit  einseitigem  Steilabsturz, 
die  westöstliche  Erstreckung  der  südosteuropäischen  Halbinsel, 
die  die  Wissenschaft  doch  nachgerade  nicht  mehr  nach  diesem 
längst    als    ganz    untergeordnet    erwiesenen    Zuge    nennen    sollte. 


30  I»   -•    Entstehung  und  Entwicklung  des  Mittelmeergebietes. 

Aber  genau  wie  das  andalusische  und  das  apenninische  Falten- 
gebirge gegen  das  Innere  des  mediterranen  Bruchgürtels  sich  in 
Inseln  auflösen,  so  auch  das  illyrisch-griechische.  Die  jung- 
tertiären und  quartären  Bruchlinien,  welche  den  Archipel  schufen, 
zerstückten  das  südliche  Drittel  auch  dieses  schließlich  nach  Osten, 
nach  Kleinasien,  wie  das  in  Kreta  so  auffällig  hervortritt,  um- 
biegenden Faltensystems.  So  entstand  ein  neues  Länderindi- 
viduum, das  maritime  Gebirgsland  Griechenland,  dessen  wag- 
rechte und  senkrechte  Gliederung  nicht  mehr  durch  Falten,  sondern 
durch  Brüche  bestimmt  wird. 

Aber  das  somit  ganz  junge,  vielleicht  auch  erst  in  der  Zeit, 
wo  dies  Gebiet  schon  von  Menschen  bewohnt  war,  gebildete 
griechische  Inselmeer,  von  dessen  Nordwestende  bei  Saloniki 
ähnlich  wie  von  der  Nordspitze  des  Adriatischen  Meeres  von 
Triest  und  Venedig  wichtige  Landstraßen  nach  Mitteleuropa  aus- 
gehen, hat  noch  einen  maritimen  Ausgang  nach  Nordosten.  Hier 
drang  das  Meer  in  der  Quartärzeit  von  Süden  her,  wohl  infolge 
einer  Senkung  des  Landes  im  Zusammenhange  mit  der  Bildung 
des  kleinen  Einbruchskessels  des  Marmarameeres,  dessen  Längs- 
achse noch  heute  häufig  von  heftigen  Erdbeben  erschüttert  wird, 
in  das  dadurch  zerstückte  Tal  eines  großen  Flusses  ein,  die  Meer- 
engen der  Dardanellen  und  des  Bosporus,  und  wurde  so  eine 
Verbindung  der  Reihe  von  Einbruchskesseln  des  eigentlichen 
Mittelmeeres  mit  einer  etwas  nördlicheren  Reihe  hergestellt,  die 
man  im  inneralpinen  Senkungsfelde  von  Wien  beginnen  und  sich 
durch  das  ober-  und  niederungarische  und  das  walachische,  die 
heute  Tiefebenen  bilden,  zum  Schwarzen  und  Kaspischen  Meere 
fortsetzen  lassen  kann.  Hier  dehnte  sich  in  der  Tertiärzeit  das 
Sarmatische  Meer  aus,  das  aber  bis  zu  Beginn  der  Quartärzeit 
sich  in  kleine  Brackwasserseen  aufgelöst  und  vom  Kaspischen 
Meere  getrennt  hatte,  an  deren  Stelle  aber  durch  neue  Einbrüche 
nun  das  Schwarze  Meer  trat,  das  nach  Norden  hin  zu  beiden 
Seiten  eines  den  Kaukasus  mit  dem  Balkan  verbindenden  Falten- 
gebirgsstücks,  aus  welchem  durch  maritime  Anschwemmungen  die 
Halbinsel  Krim  wurde,  aus  dem  eurasischen  Faltenlande  hinaus 
sogar  über  die  große  russische  Tafel  hinübergriff  und  diese  im 
Golf  von  Odessa  und  dem  Asowschen  Meere  aufschloß.  Beide, 
aber  namentlich  letzteres,  sind  ganz  flache  Überspülungen  dieser 
Tafel  und  morphologisch  vom  Schwarzen  Meere  ganz  verschieden, 


Das  Schwarze  Meer.     Zusammenfassung.  ? 1 

aber  sie  bilden  geschichtlich  außerordentlich  wichtige  Zugänge 
zum  Mittelmeere  und  Ausgangspunkte  von  Welthandelsstraßen,  die 
sich  als  Wasserstraßen  mit  andern  im  Bosporus  vereinigend  durch 
das  Mittelmeer  fortsetzten.  Von  Byzanz  her  wurde  so  ganz  Ruß- 
land dem  griechisch-orientalischen  Christentume  gewonnen,  auch 
dies  eine  der  letzten  hochbedeutungsvollen  Einwirkungen  des  schon 
von    seiner    Höhe    herabgesunkenen    mediterranen    Kulturkreises. 

So  hat  sich  das  Mittelmeer,  indem  ein  Einbruchskessel  mit 
dem  andern  in  der  jüngsten  Tertiär-  und  in  der  Diluvialzeit  in 
Verbindung  trat,  so  tief  in  die  Festlandsmasse  der  Alten  Welt 
ausgedehnt,  die  es  seitdem  als  Wasserstraße  erschließt.  So  wechseln 
Ausweitungen  und  Verengungen  unablässig  und  nähern  sich  die 
Erdteile  bald  einander  bis  auf  Sehweite,  bald  scheinen  sie  vor- 
einander zu  fliehen.  Dies  in  der  Geschichte  der  Menschheit 
wichtigste  Meer  hat  so,  wenn  auch  aus  lauter  Teilbecken  be- 
stehend, wenn  wir  das  Schwarze  Meer  einrechnen,  einen  Flächen- 
inhalt,   der  fast   einem  Drittel  des  Erdteils  Europa   gleichkommt. 

Wie  sich  diese  Ausgestaltung  des  Mittelmeers  zu  seinen 
heutigen  Verhältnissen  vollzogen  hat,  wie  sich  die  Begrenzungs- 
linie von  Land  und  Meer,  genauer  der  Begrenzungsgürtel,  auch 
heute  noch  beständig  verschiebt,  an  der  einen  Stelle  das  Land 
gegen  das  Meer  vorrückt,  an  einer  andern  das  Meer  und  marine 
Kräfte  das  Land  zurückdrängen,  so  daß  sich  aus  diesen  Kämpfen 
selbst  schon  in  geschichtlicher  Zeit,  ein  verschwindend  kurzer 
Zeitabschnitt  gegenüber  geologischen  Perioden,  recht  beträchtliche 
Veränderungen  ergeben,  das  wird  in  Einzeluntersuchungen  näher 
dargelegt  werden. 


3.    Die  geographischen  Grundzüge  des 
Mittelmeergebietes. 

Gegenüber  dem  Umstände,  daß  man  gewöhnlich  das  Mittel- 
meergebiet in  drei  Erdteilen  aufzuteilen  pflegt,  bedarf  es  wohl 
einer  Erklärung  des  Begriffs  Mittelmeergebiet  und  der  Tatsache, 
daß  man  sich  gewöhnt  hat,  in  demselben  trotzdem  eine  große 
geographische  Einheit  zu  sehen,  die  den  Erdteilen  als  gleich- 
wertig gilt  und  vielfach  als  solche  nach  meinem  Vorgange  an 
unseren  Hochschulen   als  Gegenstand  akademischer  Vorlesungen 


?2  I»  3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

behandelt  wird.  In  der  Tat  haben  wir  hier  einen  Teil  der  Erd- 
oberfläche vor  uns,  welcher  so  scharf  ausgeprägte  Sonderzüge 
besitzt,  die  überall  wiederkehren  und  als  Unterschiede,  ja  Gegen- 
sätze gegen  die  übrigen  Teile  des  betreffenden  Erdteils  hervor- 
treten, daß  eine  Abgliederung  von  denselben  und  eine  Zusammen- 
fassung zu  einem  besonderen  Erdraume  nicht  nur  möglich,  son- 
dern zum  vollen  Verständnis  desselben  geboten  erscheint 

Vor  allem  ist  das  Mittelmeergebiet  gut  gegen  seine  Um- 
gebung abgegrenzt.  Im  Süden  und  Südosten  bildet  diese  Grenze 
die  große  Wüstentafel  der  Alten  Welt  vom  Ufer  des  Atlantischen 
Ozeans  südlich  von  Marokko  bis  an  den  Fuß  des  eurasischen 
Faltenlandes  in  Nordsyrien  und  Armenien.  Das  cissaharische 
Afrika,  die  Atlasländer,  ist  nach  seinem  geologischen  Bau  als 
ein  Teil  des  eurasischen  Faltenlandes,  aber  auch  nach  seinen 
sonstigen  Zügen  völlig  unafrikanisch  und  vom  Sudan  durch  den 
breiten  Wüstengürtel  wirksamer  geschieden,  als  wenn  an  Stelle 
desselben  ein  Meer  flutete.  Von  der  Kleinen  Syrte  ostwärts 
und  bis  zur  Nordgrenze  von  Syrien  am  Golf  von  Iskanderun 
tritt  die  große  Wüstentafel  unmittelbar  ans  Mittelmeer,  dessen 
ganze  kleinere  Südosthälfte  auf  Kosten  derselben  entstanden  ist, 
so  daß  nur  ihre  überall  schmale  und  steile  Abdachung  zu  den 
mediterranen  Einbruchsbecken ,  im  Anhauche  des  Mittelmeeres 
noch  mediterranen  Charakter  trägt:  Tripolitanien,  Barka  und 
Marmarika,  das  Nildelta  und  Syrien.  Die  Emporpressung  der 
tafellagernden  Schichten  der  großen  Wüstentafel  von  dem  medi- 
terranen Einbruchsbecken  her  hat  diesem  Abbruchsrande  größere 
Höhe  und  Breite,  die  Fähigkeit,  in  höherem  Maße  die  vom 
Mittelmeere  aufgestiegenen  Wasserdämpfe  zu  verdichten,  verliehen. 
So  besonders  in  Tripolitanien,  Barka  und  Syrien.  Aber  an  der 
Großen  Syrte  reicht  die  Wüste  selbst  bis  ans  Mittelmeer,  und 
auch  in  Ägypten  würde  das  der  Fall  sein,  wenn  dort  nicht  ein 
gewaltiger  Strom,  der  durch  den  Wüstengürtel  hindurch,  wenn 
auch  unter  ungeheuren  Verdunstungsverlusten,  die  Wassermengen 
dem  Mittelmeere  zuführte,  welche  die  Tropenregen  über  den 
Sudan  und  Abessinien  ausgeschüttet  haben.  Aber  selbst  in 
Syrien,  wo  die  Krustenbewegungen  so  energische  gewesen  sind, 
daß  die  tafellagernden  Schichten  in  Mittel  -  Syrien  ein  Ge- 
birge von  der  Höhe  des  Libanon,  bis  zu  beinahe  3000  m, 
unmittelbar     über     dem     Mittelmeere ,     in      Süd  -  Syrien     jenem 


Die  Grenzen  des  Mittelmeergebietes.  ->  -> 

parallel  eine  bis  beinahe  iooo  m  unter  den  Mittelmeerspiegel, 
an  der  Sohle  des  Toten  Meeres,  hinabreichende  tiefe  Narbe 
im  Antlitz  der  Erde  bilden ,  ist  dieser  mediterrane  Gürtel  nur 
etwa  ioo  km  breit.  Dahinter  liegt  die  syrisch-arabische  Wüste, 
welche  bis  an  den  Euphrat  reicht,  der  im  Verein  mit  dem 
Tigris  am  Fuße  des  iranischen  Faltenlandes  die  Oasenland- 
schaften von  Mesopotamien  geschaffen  hat,  die  nach  allen  ihren 
Verhältnissen,  namentlich  aber  mit  völlig  kontinentalem  Klima 
und  ohne  regelmäßige  Winterregenzeit,  nichts  weniger  als  medi- 
terran sind.  Der  Euphrat  strebt  bei  seinem  Austritt  aus  dem 
armenischen  Faltenlande  und  seinem  Übertritt  auf  die  große 
Wüstentafel  den  taurischen  Faltenzügen  folgend  dem  Mittelmeere 
zu,  wird  aber  nur  noch  150  km  (Leipzig- — Gotha)  von  demselben 
durch  die  Störungen,  welche  die  nordsyrische  Tafel  erfahren  hat, 
erst  nach  Süden,  diesen  Bruchlinien  parallel,  und  dann  nach 
Südosten  abgelenkt ,  um  schließlich  in  den  fernen  Persischen 
Meerbusen  zu  münden.  Seine  beiden  Schenkel  bilden  so  wichtige 
Zugangsstraßen  zum  Mittelmeere  und  machen  Nordsyrien  zu  einem 
der  geschichtlich  wichtigsten  Durchgangsländer  des  Weltverkehrs. 

Wie  so  im  Süden  und  Südosten  die  Wüste  die  Mittelmeer- 
länder von  der  Umwelt  abgrenzt,  so  im  Norden  die  Gebirgswälle 
des  eurasischen  Faltenlandes:  der  Kaukasus,  seine  Fortsetzung 
in  dem  kleinen  Gebirge  der  Krim,  das  sich  seinerseits  im  Balkan 
fortsetzt,  von  welchem  wir  zu  dem  illyrischen  Gebirge  und  den 
Alpen  gelangen.  Zwischen  diesen  und  dem  pyrenäisch-kanta- 
brischen  Faltengebirge,  das  die  Iberische  Halbinsel  scharf  gegen 
Norden  begrenzt,  bildet  auch  das  Zentralplateau  von  Frankreich 
und  die  Cevennen  einen  Abschluß. 

Die  Größe  des  Mittelmeergebiets  können  wir  auf  etwa  3/. 
der  Größe  des  Erdteils  Europa  schätzen,  wovon  allerdings  ein 
Drittel,  mit  dem  Schwarzen  Meer  sogar  etwa  2,  9  Millionen  qkm, 
auf  das  Mittelmeer  selbst  kommen. 

Wo  immer  man  diese  Grenze  des  Mittelmeergebiets,  die  >vir 
uns  natürlich  nicht  als  eine  Linie,  sondern  als  einen  bald 
schmäleren,  bald  breiteren  Landgürtel  zu  denken  haben,  über- 
schreitet, empfängt  man  sofort  den  Eindruck,  daß  man  sich  in 
einem  andern  Erdraume  befindet.  Selbst  da,  wo  bequeme  Zu- 
gänge aus  den  drei  Erdteilen  in  die  Mittelmeerwelt  führen. 

Diese   Zugänge    sind    für    die   kulturgeschichtliche  Bedeutung 

'ier,   Mittelmeerbilder.    Neue  Folge.  3 


■1A  I,  3.    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

des  Mittelmeergebiets  von  größter  Bedeutung.  Im  Norden  sind 
sie  durch  auch  in  klimatischer  Hinsicht,  als  Zuglöcher,  wichtige 
Lücken  in  dem  Gebirgswalle  gebildet.  So  in  Frankreich  die 
aquitanische  Schwelle,  die  ins  Garonnebecken  führt,  und  das 
Rhonetal.  Das  sind  die  beiden  Wege,  auf  welchen  mediterrane 
Kultur  in  breitem  Strome  von  Marseille  und  von  Narbonne  her 
nach  Frankreich  einströmte,  über  Frankreich  nach  den  britischen 
Inseln  und  Deutschland,  jenem  eine  frühere  Kulturentwicklung 
und  kulturelle  Überlegenheit  sichernd.  Nur  auf  den  Rücken 
von  Saumtieren,  sozusagen  tropfenweise,  vermochte  sich  Deutsch- 
land über  hohe,  einen  großen  Teil  des  Jahres  verschneite  Alpen- 
pässe die  Erzeugnisse  mediterraner  Kultur  zuzuführen.  Nur  an 
der  äußersten  Südostgrenze  Deutschlands  bot  sich  von  der  Nord- 
spitze des  Adriatischen  Meeres  nach  Wien  ein  uralter,  verhältnis- 
mäßig bequemer  Handelsweg,  der  im  späteren  Mittelalter  nicht 
unwesentlich  zu  dem  raschen  kulturellen  Aufblühen  dieses  deut- 
schen Siedlerlandes  beigetragen  hat,  wie  es  schon  in  römischer 
Zeit  durch  blühende  Städte  bezeichnet  wurde. 

Weiter  nach  Osten  bilden  die  tiefen  Einkerbungen  der  südost- 
europäischen Halbinsel,  im  engeren  Sinne  der  rumelischen  Scholle, 
welche  durch  den  Lauf  des  Vardar  und  der  Morawa  und  die 
Eisenbahnlinie  Saloniki-Belgrad  einerseits,  das  obere  und  untere 
Maritzabecken  und  die  Linie  Belgrad-Konstantinopel  andererseits  be- 
zeichnet werden,  Zugänge  zum  Mittelmeer,  aufweichen  die  römische 
Herrschaft  in  Dacien  und  die  Beherrschung  Ungarns  durch  die  Türken 
beruhte,  und  die  wohl  in  Zukunft  noch  größere  Bedeutung  er- 
langen werden,  zumal  die  Wasserstraßen  der  Donau  und  der 
Theiß  aus  dem  Herzen  von  Europa  auf  sie  hinzielen.  Von 
großer  Bedeutung  sind  auch  die  beiden  breiten  Zugangstore  vom 
osteuropäischen  Flachlande  her  zum  Schwarzen  Meere,  östlich 
und  westlich  der  Krim,  die  Bucht  von  Odessa  und  das  Asowsche 
Meer.  Beide  waren  früh  mit  griechischen  Kolonien  besetzt,  von 
deren  einer  ja  Odessa  seinen  Namen  hat,  die  die  Erzeugnisse 
des  Landes,  besonders  Getreide,  dem  Mittelmeergebiete  zuführten. 
Von  hier  aus  wirkte  Byzanz  als  Kulturmittelpunkt,  wie  sich  noch  heute 
in  der  „griechischen"  Kirche  Rußlands  ausprägt.  Wie  schon  in 
spätgriechischer  Zeit  an  der  mediterranen  Südküste  der  Krim 
und  an  dem  ins  Asowsche  Meer  führenden  Tore  große  Handels- 
städte wie  Chersonesos,  Pantikapäon,  Phanagoria  u.  a.  aufblühten, 


Zugänge  zu  dem  Mittelmeere.  a  c 

ja  ein  ganzer  griechischer  Staat,  das  Bosporanische  Reich,  hier 
lange  Zeit  bestand,  so  entwickelten  sich  im  Mittelalter,  wo  von 
hier  zugleich  Handelswege  nach  Inner-  und  Ostasien  ausgingen, 
reiche  italienische  Handelsstädte  wie  Kaffa  und  Sudak.  Von 
geringerer  Bedeutung  war  der  Zugang  vom  südkaspischen  Meere 
her  über  die  kaukasische  Landschwelle.  Alle  diese  Wege  liefen 
aber  schließlich  im  Bosporus  zusammen  und  machten  diesen 
neben  der  Straße  von  Gibraltar  zum  wichtigsten  Eingange  ins 
eigentliche  Mittelmeer. 

Die  große  Wüstentafel  ihrerseits  bietet  nur  zwei  Zugänge 
zum  Mittelmeere,  die  darum  um  so  wichtiger  waren  und  zu  den 
kulturgeschichtlich  wichtigsten  Wegen  des  Weltverkehrs  gehören. 
Beide  beruhen  auf  tektonischen  Vorgängen,  welche  mit  der  Bil- 
dung des  großen  Bruchgürtels  der  Erde  und  somit  auch  mit  der 
Entstehung  des  Mittelmeeres  selbst  in  Beziehungen  stehen,  die 
Grabenversenkung  des  Roten  Meeres,  welche,  wohl  erst  in  quar- 
tärer Zeit  entstanden,  die  ganze  Wüstentafel  in  ihrer  ganzen 
Breite  quert  und  in  der  Meerenge  von  Suez,  die  allerdings  nur 
kurze  Zeit  bestand  und  sehr  flach  war,  das  Mittelmeer  mit  dem 
Indischen  Ozeane  verband,  und  der  Persische  Meerbusen,  der 
z.  T.  wohl  auch  eine  Grabenversenkung,  z.  T.  ein  flaches  Trans- 
gressionsmeer  auf  der  geologischen  Grenze  der  großen  Wüsten- 
tafel und  des  eurasischen  Faltenlandes  ist.  Letzterem  streben, 
aus  dem  Hochlande  von  Armenien  herabstürzend,  längs  dieser 
geologischen  Grenze  die  Zwillingsströme  Euphrat  und  Tigris  zu, 
nachdem  ersterer  sich  dem  Mittelmeere  auf  1 50  km  genähert  hat. 
Sie  haben  den  flachen  inneren  Teil  des  Persischen  Meerbusens 
bereits  weithinauf  zugeschüttet  und  so  das  fruchtbare  Schwemm- 
land von  Mesopotamien  geschaffen,  einen  der  ältesten  Sitze 
menschlicher  Kultur,  welcher  zwischen  Indien  auf  der  einen,  dem 
Mittelmeergebiete  auf  der  anderen  Seite  vermittelte.  Ist  dieser 
Zugang  zum  Mittelmeer  längs  dem  Euphrat  und  durch  Nordsyrien, 
auf  welchem  die  Blüte  der  phönikischen  Seestädte,  von  Palmyra 
und  von  Antiochien  wie  später  von  Damaskus  beruhte,  auch 
kulturgeschichtlich  wichtiger  als  jener  durch  das  Rote  Meer,  so 
ist  er  heute  doch  durch  diesen,  besonders  seit  der  Grabung  des  Suez- 
kanals, verdunkelt,  kann  aber  jeden  Augenblick  seine  Bedeutung 
zurückerhalten,  weshalb  sich  die  Engländer  auch  den  Schlüssel 
zu     diesem    Welthandelswege,     Cypern,     gesichert     haben.       Das 

3* 


^6  I)   3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

Rote  Meer  hat  Ägypten  außer  der  ihm  an  und  für  sich  inne- 
wohnenden großen  Bedeutung  zum  wichtigsten  Durchgangslande 
des  Welthandels  gemacht.  Den  Seglern  des  Altertums  freilich 
erschwerten  die  Windverhältnisse  des  nördlichen  Roten  Meeres, 
die  vorherrschenden  Nordwinde,  den  Verkehr  derartig,  daß  dieser 
den  Nil  möglichst  weit  aufwärts  bis  zu  Punkten  größerer  An- 
näherung benutzte,  um  möglichst  weit  nach  Süden  gelegene 
Häfen  (Leukos  Limen  und  Berenike)  quer  durch  die  felsige 
Wüste  zu  erreichen.  Das  Niltal  selbst  hat  niemals,  etwa  wie  in 
neuerer  Zeit,  eine  hervorragende  Rolle  als  Verbindungsweg  mit 
dem  Sudan  gespielt.  Das  Christentum  ist  auf  dem  Seewege  nach 
Abessinien  gekommen. 

Auch  die  Wüstenstraßen,  welche,  durch  Oasenreihen  bedingt, 
vom  Tschadsee  her  bei  Tripolis  und  Gabes  am  Syrtenmeere 
ausmündeten,  wie  diejenigen,  die  Timbuktu  am  Nigerknie  mit 
dem  äußersten  Südwesten  von  Marokko  verbinden,  haben  niemals 
eine  besondere  kulturhistorische  Bedeutung  erlangt,  wenn  wir 
davon  absehen,  daß  auf  diesen  Wegen  der  Islam  ins  Innere  von 
Afrika  getragen  worden  ist. 

Um  so  wichtiger  ist  aber  das  große  Zugangstor  vom  Ozean 
her,  die  Straße  von  Gibraltar. 

Auf  diesen  Zugangswegen  konnten  die  drei  Erdteile,  die 
am  Mittelmeergebiet  teilhaben,  auf  dieses  einwirken.  Menschen 
und  Erzeugnisse  derselben,  stoffliche  wie  geistige,  die  oft  aus 
unbekannten  Fernen  herstammten,  gelangten  hier  ans  Meer.  So 
unterhielt  das  Mittelmeergebiet  die  vielseitigsten  Beziehungen  zu 
seiner  Umwelt,  bald  empfangend,  bald  gebend.  Wie  viele  Völker 
sind  auf  diesen  Zugangswegen  ins  Mittelmeergebiet  eingedrungen 
und  haben  dort  die  gewaltigsten  Umwälzungen  hervorgerufen.  Man 
denke  nur  an  Germanen,  Araber  und  Türken! 

Daß  dieser  Charakterzug  der  Vielseitigkeit  der  Beziehungen 
für  das  ganze  Mittelmeergebiet  wirksam  werden  konnte,  dazu  trug 
die  eigenartige  wagrechte  Gliederung  der  Mittelmeerländer  bei. 
Entsprechend  der  Entstehung  des  Mittelmeeres  auf  dem  großen  Bruch- 
gürtel der  Erde  teils  auf  Kosten  der  großen  Wüstentafel,  nament- 
lich aber  auf  Kosten  des  eurasischen  Faltenlands  weisen  alle 
drei  Erdteile  am  Mittelmeere  eine  reiche  Gliederung  auf,  sie 
lösen  sich  in  Halbinseln  und  Inseln  auf,  die  sich  einander  ent- 
gegenstrecken.     Man  kann   die  Halbinsel  geradezu    als    die  mor- 


Gliederung  des  Mittelmeergebietes. 


37 


phologische  Charakterform  der  Mittelmeerländer  bezeichnen. 
Afrika,  eine  große,  hohe,  ungegliederte  Scholle,  wird  durch  das 
Syrtenmeer,  einen  der  mediterranen  Einbruchskessel,  an  welchem 
die  Wüstenstraßen  ausmünden,  aufgeschlossen.  Es  schiebt  die 
stumpfe  Halbinsel  von  Barka,  welche  wie  eine  Bastion  die  West- 
oststraße durch  das  Mittelmeer  zu  beherrschen  vermag,  ins  Mittel- 
meer, das  sich  hier  zwischen  Kreta  und  Barka  auf  250  km  ver- 
engt, vor,  und  die  Atlasländer,  ein  völlig  unafrikanisches  Stück 
des  eurasischen  Faltenlandes,  rings  von  Wüste  und  Meer  um- 
geben, werden  recht  bezeichnend  von  den  Arabern  Dschesiret- 
el-Maghreb,  die  Insel  des  Westens  genannt.  Die  Atlasländer 
sind  so  völlig  unafrikanisch,  sind  so  wirksam  durch  die  große 
Wüste  vom  Sudan  geschieden,  daß  sie  selbst  die  Vermittlerrolle 
zwischen  Afrika  und  dem  Mittelmeergebiet  nur  in  geringem  Maße 
gespielt  haben.  Auch  ihre  berberische,  seit  dem  Mittelalter  z.  T. 
arabische  Bevölkerung  steht  derjenigen  Europas  und  Asiens  näher 
als  derjenigen  Afrikas.  An  zwei  Stellen,  im  Westen  und  im 
Osten  in  Sehweite  Europas,  an  beiden  in  hohem  Maße  befähigt, 
nicht  nur  die  Welthandelsstraße  durch  das  Mittelmeer  zu  be- 
herrschen, sondern  auch  auf  die  Gegengestade  einen  tief  greifenden 
politischen,  wirtschaftlichen  und  kulturellen  Einfluß  auszuüben, 
haben  die  Atlasländer,  seit  sie  durch  die  Phöniker  und  noch 
mehr  durch  die  Römer  in  die  Kulturbewegung  des  Mittelmeer- 
gebiets einbezogen  wurden,  auf  dieses  und  auf  die  Kulturentwick- 
lung der  Menschheit  einen  großen  Einfluß  ausgeübt.  Man  ver- 
gegenwärtige sich,  was  die  Atlasländer  erst  in  spätrömischer  Zeit, 
dann  wieder  im  arabischen  Mittelalter  an  Dichtern  und  Gelehrten 
hervorgebracht  hatten,  und  daß  sie  viele  Jahrhunderte  hindurch  die 
ganze  iberische  Halbinsel,  Sizilien  und  Sardinien  sozusagen 
von  der  christlichen  Welt  losgelöst  und  sich  und  der  Welt  des 
Islam  angegliedert  hatten.  Und  andererseits,  daß  drei  Jahr- 
hunderte hindurch  die  aus  ihren  Häfen  auslaufenden  Seeräuber- 
flotten  den  Verkehr  im  ganzen  Mittelmeere  störten,  die  Küsten 
Spaniens  und  Italiens,  an  denen  noch  heute  verfallene,  malerische 
WTarttürme  auf  allen  Vorgebirgen  von  jener  schrecklichen  Zeit 
zeugen,  völlig  verödeten.  Umgekehrt  beherrscht  heute  eine  euro- 
päische Mittelmeermacht  bereits  den  größten  Teil  der  Atlasländer 
und  hofft  dieselben  nicht  nur  zu  einer  der  mächtigsten  Stützen 
seiner    Weltmacht    zu    machen,     sondern    sogar    dort    ein    neues 


^8  I.   3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

europäisches,  kulturell  und  sprachlich  französisches  Volkstum 
großzuziehen,   eine  Verjüngung    des  eigenen  gealterten  Volkes. 

Noch  schärfer  als  in  Afrika  tritt  die  morphologische 
Charakterform  der  Mittelmeerländer  in  Europa  hervor,  sich  nach 
Osten  immer  mehr  steigernd,  indem  die  Halbinselform  sich  auch 
im  kleinen  wiederholt  und  der  Inselreichtum  immer  größer 
wird,  entsprechend  der  Zerstückung  der  eurasischen  Faltengebirge, 
die  die  geographischen  Grundzüge  von  ganz  Südeuropa  bestimmen, 
wo  immer  sie  tiefer  in  den  mediterranen  Bruchgürtel  hineinreichen. 

Zunächst  freilich  ist  die  Gliederung  der  iberischen  Halb- 
insel eine  geringe,  ja  man  kann  sie  noch  mehr  als  in  sich  ab- 
geschlossen ansehen  wie  die  Atlasländer.  Im  Norden  und  im 
Süden  von  hohen  Faltengebirgen  überragt  und  von  den  Nach- 
barländern getrennt,  neigt  sich  dieselbe  als  ein  hohes  vereinsamtes 
Vorgebirge  Europas  zum  Ozean,  dessen  ferne  Gegengestade  erst 
von  einem  seefahrenden  Mittelmeervolke  entdeckt  werden  mußten, 
dann  aber  mit  ihren  Schätzen  einen  ungeheuren,  aber  mehr 
schädlichen  als  wohltuenden  und  kulturfördernden  Einnuß  auf 
diese  Mittelmeerhalbinsel  ausgeübt  haben.  Die  ganze  verhältnis- 
mäßige Verödung  des  heutigen  Spanien  und  Portugal  ist  eine 
Folge  dieser  Beziehungen  zu  Mittel-  und  Südamerika,  andererseits 
aber  zu  Afrika  und  der  Welt  des  Islam,  denn  der  jahrhunderte- 
lange Kampf  gegen  diesen  hat  auch  seinerseits  den  Charakter 
des  spanischen  Volkes  aufs  ungünstigste  beeinflußt,  indem  er  die 
Religion  über  alles  setzte,  das  Priestertum  allmächtig  werden  und 
schlichte  bürgerliche  Erwerbstätigkeit  als  minderwertig,  ja  ver- 
ächtlich erscheinen  ließ.  Noch  heute  tritt  uns  die  lange  Herr- 
schaft des  nordafrikanischen  Islams  allenthalben  entgegen,  am 
meisten  in  Andalusien,  nicht  nur  wegen  seiner  räumlichen  Nähe 
zu  Marokko,  sondern  auch  weil  es  sich  nach  Südwesten  öffnet 
und  eine  der  am  schärfsten  ausgeprägten  Sonderlandschaften  ist. 
An  diesen  ist  die  Halbinsel  reich  und  stehen  namentlich  die 
Randlandschaften,  wenn  auch  nur  eine,  Portugal,  auch  politisch 
selbständig  ist,  in  stetig  wachsendem  Gegensatz  zu  den  zentralen. 
Spanien  ist  das  Land  der  Gegensätze,  so  europafremd  wie  kaum 
der  Rest  des  türkischen  Reichs  in  Europa,  so  daß  man  in 
Frankreich  sprichwörtlich  sagt:  hinter  den  Pyrenäen  beginnt 
Afrika.  In  der  Tat  hat  die  Halbinsel  in  der  Höhe  und  der 
Geschlossenheit    ihres    Umrisses    und     in    seinem    Klima    etwas 


Das  Halbinselland  Italien. 


39 


Afrikanisches.  Es  ist  der  heißeste  und  trockenste  Teil  Europas, 
wo  allein  die  Dattelpalme  ihre  Früchte  reift,  der  Baum,  welchen 
nach  der  Vorstellung  des  Orientalen  die  Vorsehung  den  Be- 
wohnern der  Wüste  geschenkt  hat.  Zum  Mittelmeergebiet  hat  es 
immer  die  Rolle  eines  westlichen  Grenzlandes  gespielt,  der  Ver- 
kehr ging  um  die  Halbinsel  herum,  nicht  durch  dieselbe.  Der 
Einfluß,  welchen  dieselbe  auf  das  übrige  Mittelmeergebiet  und 
auf  Europa  ausgeübt  hat,  ist  zeitlich  beschränkt  und  stets  gering 
gewesen,  etwa  von  dem  echt  spanischen  Erzeugnis  des  Jesuitismus 
abgesehen,  der  ein  Meer  von  Blut  und  Tränen  über  die  Welt 
ergossen  hat. 

Das  ausgeprägteste  Halbinselland  ist  Italien,  zugleich  das 
zentralste  und  maritimste,  dasjenige,  welches  nach  seiner  Lage, 
Erstreckung  und  Hafenreichtum  am  meisten  die  Vermittlerrolle 
von  Erdteil  zu  Erdteil  zu  spielen  berufen  erscheint  und  auch 
immer  wieder  in  der  Geschichte  gespielt  hat.  Es  erscheint  als 
eine  vom  Fuße  der  Alpen  quer 'durch  und  über  den  mediterranen 
Bruchgürtel  nach  Afrika  geschlagene,  freilich  bei  der  Häufigkeit 
der  Erdbeben,  gleichsam  noch  schwankende  Landbrücke,  die 
einerseits  über  Sizilien  sich  Afrika,  andererseits  in  der  apulischen 
Halbinsel  mit  ihren  herrlichen  Naturhäfen  von  Tarent  und  Brindisi 
eine  Art  Landesteg  nach  Südosten  vorschiebend,  auch  der  öst- 
lichen Nachbarhalbinsel  auf  Sehweite  nähert.  Den  Verkehr  nach 
Südosten  fördert  auch  das  Adriatische  Meer  von  seinem  die  Po- 
ebene  erschließenden  Haffhafen  Venedig  aus.  Aber  die  Stirn- 
seite Italiens  ist  auch  aus  genetischen  Gründen  die  reich  ge- 
gliederte und  inselreiche  Westküste,  während  das  Tiefland  des 
Nordens  nicht  nur  den  Verkehr  auf  hier  wichtigeren  Landwegen 
mit  Mitteleuropa  vermittelt,  sondern  auch  ein  wichtiger  Abschnitt 
einer  Durchgangsstraße  am  Südrande  des  Festlandsrumpfes  von 
Europa,  von  der  unteren  Donau  her  durch  Südfrankreich  nach 
Spanien,  ist.  Ziehen  wir  die  schon  durch  die  Länge  der  meri- 
dionalen  Erstreckung  bedingte  Abstufung  des  Klimas  und  der 
Erzeugnisse  noch  in  Betracht  und  den  großen  klimatischen  Ein- 
fluß, welchen  das  Mittelmeer  überall  auf  das  schlanke  Halb- 
inselland auszuüben  vermag,  das  Vorherrschen  fruchtbarer  Boden- 
arten in  dem  jungen  Lande,  die  große  Volksdichte,  namentlich 
an  den  Küsten  —  Italien  allein  beherbergt  fast  1/3  der  Bewohner 
des    Mittelmeergebiets   —   so    erscheint   uns   Italien   als    die   geo- 


iO  I>  3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

graphisch  am  meisten  bevorzugte  Mittelmeerhalbinsel,  wie  sie 
auch,  obwohl  bei  weitem  die  kleinste  derselben  zur  Beherrschung 
des  Mittelmeeres  berufen  erscheint,  wie  in  römischer  Zeit,  so 
in  Zukunft,  und  auf  das  ganze  Mittelmeergebiet,  ja  die  Mensch- 
heit im  klassischen  Altertum,  im  Mittelalter  als  Sitz  des  Welt- 
handels, in  der  Renaissancezeit  und  durch  das  Papsttum  den 
größten  Einfluß   ausgeübt  hat. 

Eine  Art  Doppelhalbinsel  nach  ihrer  Entstehung  ist  die 
südosteuropäische,  wie  man  sie  nennen  muß,  nachdem  längst 
festgestellt  ist,  daß  die  Benennung  nach  dem  Balkan  auf  ganz 
falschen  Vorstellungen  von  der  Größe  und  Erstreckung  dieses 
nicht  einmal  das  rumelische  Schollenland,  dem  es  angehört,  ge- 
schweige die  ganze  Halbinsel  kennzeichnenden  Gebirges  beruhte. 
An  das  rumelische  Schollenland,  welches  die  größere  Osthälfte 
bildet  und  die  große  westöstliche  Erstreckung  bedingt,  ist  im 
Westen  das  lange  illyrisch-griechische  Faltensystem  angegliedert, 
auf  welchem  die  große  meridionale  Erstreckung  beruht.  Das 
rumelische  Schollenland  ist  offenes,  wegsames,  von  allen  Seiten 
zugängliches  und  daher  eine  Fülle  von  Beziehungen  unterhaltendes, 
geschichtsreiches  Gebiet,  das,  auch  an  inneren  Schätzen  reich, 
bei  meist  sehr  fruchtbarem  Boden  und  überwiegend  mitteleuro- 
päischem, im  Sommer  noch  regenreichem  Klima  eine  dichte 
Bevölkerung  zu  ernähren  vermag.  Es  streckt  sich  nach  Nord- 
osten von  der  unteren  Donau  aus  Rußland  entgegen,  nach  Süd- 
osten Kleinasien  und  wird  von  Saloniki  und  Konstantinopel  aus 
von  zwei  der  geschichtlich  wichtigsten  Verkehrswege  von  Europa 
gequert,  welche  von  Belgrad  aus  durch  Ungarn  auf  Mitteleuropa 
zielen. 

Ganz  anders  das  westliche  Faltenland.  Dies  ist  überwiegend 
Gebirgsland,  vielfach  mit  Höhen  von  mehr  als  2000,  ja  bis  3000  m, 
in  großer  Ausdehnung  aus  Kalkfels  aufgebaut,  entwaldet  und  ver- 
karstet, ein  armes,  verschlossenes  Gebiet,  da  die  Flüsse  meist 
in  engen,  ungangbaren  Quertälern  aus  den  breiteren  Längstälern 
zum  Adriatischen  Meere  oder  nach  Osten  durchbrechen.  Könnte 
man  das  beziehungsreiche  rumelische  Schollenland  auch  in  ge- 
schichtlichem Sinne  ein  Gebiet  der  Bewegung  nennen,  so  haben 
wir  hier  ein  Gebiet  des  Verharrens  vor  uns.  Hier  sitzen  noch 
in  urtümlichen  Zuständen  die  Albanesen,  die  Nachkommen  der 
alten  Illyrier,    die    sich    durch    alle    Stürme    hindurch    im    Schutz 


Das  illyrisch -griechische  Faltenland.  a  j 

ihrer  Berge  Sprache  und  Eigenart  zu  bewahren  vermocht  haben. 
Hier  haben  sich  die  Wlachen,  Reste  der  romanisierten  Urbevölke- 
rung erhalten,  und  die  Serben  der  Schwarzen  Berge  haben  gegen 
alle  Angriffe  der  Türken  ihre  Freiheit  zu  behaupten  vermocht. 
Wie  alle  Verkehrswege,  außer  in  der  Zeit  des  künstlichen  Straßen- 
baus des  Römerreichs  (Via  Egnatia,  Dyrrhachium-Konstantinopel), 
vor  diesem  wenig  wegsamen  Landgürtel  nach  Norden  gegen  die 
Donau,  oder  nach  Süden  gegen  Griechenland  abbogen,  so  ist 
das  Küstenland  des  illyrischen  Gebirges,  Dalmatien,  niemals  den 
Türken  unterworfen  gewesen,  die  nur  das  Narentagebiet,  die 
Herzegovina,  dadurch  ihrem  Reiche  anzugliedern  vermochten,  daß 
dasselbe  von  innen,  aus  dem  Becken  von  Sarajevo,  verhältnis- 
mäßig leicht  zugänglich  war.  Alle  Staatenbildungen  erscheinen 
hier  in  die  Länge  gezogen. 

Zu  einem  neuen  Länderindividuum  wurde  aber  das  südliche 
Drittel  dieses  gefalteten  Erdgürtels  ausgestaltet  dadurch,  daß  der- 
selbe, je  weiter  hinein  in  den  mediterranen  Bruchgürtel  um  so 
mehr  von  den  jungen  Bruchlinien  zerstückt  wurde,  welche  das 
Festland  der  Aegaeis  in  quartärer  Zeit  in  das  griechische  Insel- 
meer auflösten,  Bruchlinien,  welche  bald  dem  Streichen  der  Falten 
parallel  laufen,  bald  mehr  oder  weniger  senkrecht  auf  demselben 
stehen.  Auch  Vertikalverschiebungen  kamen  vielfach  vor,  sowohl 
Einbrüche,  wie  Emporpressungen,  die  beispielsweise  am  Nord- 
rande des  Peloponnes  jungtertiäre  Ablagerungen  in  Höhen  von 
1800  m  über  dem  heutigen  Mittelmeerspiegel  gebracht  haben. 
Überall  drang  das  Meer  in  die  Senkungsfelder  und  Hohlformen 
ein,  und  so  entstand  das  maritime  Gebirgsland  Griechenland, 
das  sich  immer  mehr  in  Halbinseln  und  Inseln  auflöste,  in  seiner 
Zerstückung  in  zahlreiche  kleine  Sonderlandschaften ,  die  alle 
Sonderzüge,  besondere  Beziehungen  zueinander  und  zu  dem  stets 
nahen  Meere  hatten,  besondere  Einflüsse  auf  ihre  Bewohner  aus- 
übten: ein  Mikrokosmos,  der  in  der  Geschichte  der  Menschheit 
eine  große  Rolle  gespielt  hat,  der  gegenüber  auf  der  vergrößerten 
Erde,  wo  auch  die  Größe  des  Raumes  eine  Rolle  spielt,  das 
heutige  Griechenland  als  besonders  klein  und  arm  erscheint. 

Auch  Asien  nimmt  durch  zwei  Halbinseln  am  Mittelmeer- 
gebiet teil,  Kleinasien  und  Syrien.  Letzteres  dank  der  Lage 
am  Mittelmeere  und  der  Höhe  seiner  die  Wasserdämpfe  des- 
selben verdichtenden  Gebirge  in  einem  ca.   100  km  breiten  Gürtel 


4 2  I»  3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

auch  ohne  künstliche  Berieselung  anbaufähig,  anthropogeographisch 
eine  Art  Halbinsel  zwischen  Wüste  und  Meer,  gleichsam  ein  hoher 
Steg,  der  vom  Südrande  Kleinasiens  und  von  den  beiden  auf 
das  Mittelmeer  weisenden  Schenkeln  des  Euphratlaufes  den  Ver- 
kehr zwischen  diesen  Gebieten,  Arabien  und  Ägypten  vermittelt. 
Klein asien,  das  Faltenland  des  Taurussystems,  das  nach  Westen 
hin  mit  dem  nach  Osten  umbiegenden  griechischen  in  Beziehung 
stand,  wie  Kreta  noch  deutlich  erkennen  läßt,  bildet  in  seiner 
großen  westlichen  eurasischen  Erstreckung  mit  den  nach  Norden 
und  nach  Süden  steil  abbrechenden,  sich  nach  Westen  neigen- 
den und  durch  Längstäler  geöffneten  Gebirgen  die  eine  Hälfte 
einer  Landbrücke,  welche  Vorderasien  mit  Mitteleuropa  verbindet 
—  das  rumelische  Schollenland  ist  die  andere  — ,  und  ist  um  so  mehr 
ein  Durchgangsland,  als  es  nur  der  schmale  Strom  des  Bosporus, 
an  dessen  südlichem  Eingange  in  Konstantinopel  die  Natur  einen 
Knotenpunkt  von  Land-  und  Wasserstraßen  geschaffen  hat,  wie  er 
kaum  noch  einmal  auf  der  Erde  wiederkehrt,  von  Europa  trennt, 
auch  die  hafenreichen  Buchten  der  Querbruchküste  des  vorderen 
Kleinasiens  sich  gegen  Europa  öffnen  und  man  aus  den  weiten, 
kaum  ein  Verkehrshindernis  bietenden  Steppen  des  inneren  Hoch- 
lands bequem  in  die  westlichen  Flußtäler  hinabsteigt  und  durch 
sie  zum  Meere  gelangt.  Nur  der  festländische  Zugang  zu  dieser 
Landbrücke  von  Mesopotamien  und  Syrien  her  ist  durch  die  hohen 
Ketten  des  Taurus  und  Antitaurus  erschwert.  So  reich  und 
mannigfaltig  Kleinasien  überhaupt,  aber  namentlich  auch  mit  inneren 
Schätzen  ausgestattet  ist,  eine  so  dichte  Bevölkerung  es  im  größten 
Teile  seines  Gebiets  zu  ernähren  und  höherer  Gesittung  zuzu- 
führen vermag,  so  fehlt  ihm  doch  wegen  des  echt  asiatischen 
Steppencharakters  des  inneren  Hochlands  eine  beherrschende  Land- 
schaft, also  ganz  ähnlich  wie  seiner  südosteuropäischen  Schwester- 
halbinsel. Es  hat  daher  niemals  ein  einheitliches  Staatswesen 
für  sich  gebildet,  sondern  ist  nur  dann  in  seiner  ganzen  Aus- 
dehnung politisch  geeint  gewesen,  wenn  es  von  der  gemeinsamen 
Hauptstadt  Konstantinopel  aus  mit  der  südosteuropäischen  Halb- 
insel verbunden  war. 

Wie  sich  somit  die  Mittelmeerhalbinseln,  die  mediterranen 
Einbruchskessel  mit  ihren  Faltengebirgen  umschließend,  einander 
immer  und  immer  wieder  bis  in  die  Sehweite  nähern  oder  durch 
Inseln    miteinander    in    Verbindung    treten,    so    durchdringt    das 


Klimatischer  Einfluß  des  Mittelmeeres. 


43 


Mittelmeer  diesen  ganzen  Erdgürtel,  verbindet  die  einzelnen 
Teile  aufs  innigste  miteinander  und  vereinigt  sie  zu  einer  großen 
Lebensgemeinschaft,  deren  einzelne  Glieder  alle  voneinander  be- 
einflußt werden.  Das  Mittelmeer  verbindet  die  Mittelmeerländer 
besser  miteinander,  als  wenn  sie  durch  entsprechende  Strecken 
festen  Landes  miteinander  verbunden  wären.  Wenn  wir  uns  das 
Mittelmeer  wegdenken,  so  haben  wir  die  Alte  Welt  als  ungeheure 
geschlossene  Landmasse  vor  uns.  Nicht  nur  die  geographischen 
Verhältnisse  der  Mittelmeerländer,  sondern  der  ganzen  Alten 
Welt  würden  völlig  verändert  sein.  Die  große  Welthandelsstraße, 
welche  heute  durch  das  Mittelmeer  die  Abendseite  der  Alten 
Welt  und  die  dort  sich  drängenden  Menschen  mit  der  Mittags- 
und Morgenseite  derselben  mit  ihrem  noch  größeren  Menschen- 
gewimmel verbindet,  das  Bündel  von  Wasserstraßen,  welches  durch 
die  Pforte  von  Gibraltar  alle  Verzweigungen  des  Mittelmeeres  bis 
Taganrog  und  Batum  erschließt,  wäre  nicht  mehr  vorhanden. 
Namentlich  würde  auch  die  Einwirkung  wegfallen,  welche  das 
Mittelmeer  auf  das  Klima  dieses  Erdgürtels  ausübt.  Der  Gürtel 
der  tropischen  Regen  bei  höchstem  Sonnenstande,  der  unter  Ein- 
wirkung des  Mittelmeeres  mit  seinem  im  Sommer  relativ  hohen 
Luftdrucke  nur  bis  an  den  Südrand  der  Sahara  reicht,  würde 
sich  bis  an  ihren  Nordrand  verschieben,  und  vor  allem  die  große 
Warmwasserheizung,  der  Trog  niederen  Luftdrucks,  als  welcher 
das  Mittelmeer  im  Winter  erscheint,  und  damit  die  regenbringen- 
den winterlichen  Zyklonen  würden  für  dieses  Gebiet  wegfallen. 
Dadurch,  daß  das  Mittelmeer  durch  die  flache  Schwelle  an  seinem 
Eingange  von  den  Tiefen  des  Ozeans  und  seinen  bis  wenig  über 
Null  abgekühlten  Gewässern  abgesperrt  ist,  muß  es  seine  thermi- 
schen Verhältnisse  selbst  regeln,  und  so  besitzen  seine  Tiefen 
eine  Temperatur,  welche  ungefähr  der  Temperatur  der  Oberfläche 
im  kühlsten  Monate  entspricht,  nämlich  12  —  I3°C,  im  südlichen 
Südostbecken  auch  noch  etwas  mehr.  Nur  eine  Oberflächen- 
schicht von  300 — 400  m  ändert  ihre  Temperatur  jahreszeitlich, 
so  daß  in  derselben  im  Spätsommer  beispielsweise  die  Wärme 
bis  zur  Tiefe  von  etwa  400  m  sehr  rasch  abnimmt,  von  da  an, 
auch  wo  die  darunterliegende  Wasserschicht  4000  m  mächtig  ist, 
so  ziemlich  gleich  bleibt,  während  im  Spätwinter  wohl  die  ganze 
Wassersäule  dieselbe  Temperatur  haben  kann.  Im  Winter  ist  also 
das  Mittelmeer  mit  warmem  Wasser  gefüllt,  es  erzeugt  über  seinen 


a*  I,   3.    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

Teilbecken  Zyklonen,  welche  den  Gestadeländern  Wärme  und 
Regen  zuführen.  Das  Mittelmeergebiet  hat  so  in  der  winterlichen 
Jahreshälfte  veränderliche  Winde  und  Regen,  in  der  sommerlichen, 
wo  es  auch  südlich  von  dem  Gürtel  hohen  Luftdrucks  an  der 
Ostseite  des  Atlantischen  Ozeans  liegt,  ist  es  vorwiegend  bei 
relativ  hohem  Luftdruck  Ausgangsgürtel  von  (nördlichen)  Luft- 
strömungen und  daher  niederschlagsarm  bis  (im  Süden)  nieder- 
schlagslos. Thermisch  erscheint  aber  das  Mittelmeergebiet  in 
seiner  ganzen  Ausdehnung  begünstigt,  wenn  diese  Begünstigung 
auch  nach  Osten  hin  abnimmt.  Am  größten  ist  sie  naturgemäß 
im  Winter.  Die  milden  Winter  der  Mittelmeerländer  sind  ja  be- 
kannt und  gehören  in  erster  Linie  zu  den  Anziehungen,  welche 
jeden  Winter  viele  Tausende  von  Fremden  in  die  Mittelmeer- 
länder locken,  begreiflicherweise  meist  an  die  Ufer  des  Mittel- 
meeres selbst  und  in  die  klimatischen  Oasen,  welche  im  milden 
Anhauche  dieses  Meeres  überall  da  entstehen,  wo  steil  und  hoch- 
aufsteigende Faltengebirge  südliche  Exposition  und  Schutz  gegen 
kalte  Nord-  und  Binnenwinde  gewähren.  Freilich  darf  man  nie 
vergessen,  daß  der  Winter  zugleich  die  Regenzeit  der  Mittelmeer- 
länder ist. 

Die  Eigenart  des  Mediterranklimas  und  ihre  Folgewirkungen 
wird  eine  besondere  Abhandlung  beleuchten. 

Wie  das  Klima,  so  gehört  auch  die  Pflanzenwelt  zu  den 
einheitlichen,  individuellen  Zügen  der  Mittelmeerländer.  Sie  übt 
auf  die  Phantasie  des  Nordländers  den  größten  Einfluß  aus  und 
weckt  am  meisten  bei  ihm  den  Eindruck,  ein  zu  seiner  Heimat 
gegensätzliches  Gebiet,  den  Süden,  betreten  zu  haben.  Freilich 
bedarf  die  landläufige  Vorstellung  von  der  Verbreitung  der  Medi- 
terranflora einer  bedeutenden  Einschränkung.  Wie  der  Deutsche 
nach  Überschreitung  der  Alpen,  wenn  er  die  wenigen  künstlich 
und  mühsam  an  den  Ufern  der  lombardischen  Seen  eingebürgerten 
Vertreter  der  Mediterranflora  hinter  sich  hat,  in  der  Poebene, 
wenn  er  sich  nicht  durch  die  fremden  Wirtschaftsformen  beirren 
läßt,  fast  nur  mitteleuropäische  Gewächse  um  sich  sieht,  so 
verschwinden  die  charakteristischen  Formen  der  Mittelmeerflora 
sehr  rasch,  wenn  man  sich  von  den  Ufern  des  Mittelmeers  ent- 
fernt und  ins  Innere  der  Mittelmeerhalbinseln  eindringt  und  in 
die  Berge  emporsteigt.  Die  südosteuropäische  Halbinsel,  Klein- 
asien, Südfrankreich,  ja  selbst  Italien  ist  nur  von  einem  schmalen, 


Die  Pflanzenwelt  des  Mittelmeergebietes.  ac 

immergrünen  Saume  längs  der  Küsten  umgeben,  auch  in  Syrien 
ist  derselbe  höchstens  ioo  km  breit,  noch  schmaler  in  Barka  und 
Tripolitanien.  Nur  auf  der  iberischen  Halbinsel  gehört  etwa  die 
Südhälfte  bis  zum  kastilischen  Scheidegebirge  und  in  den  Atlas- 
ländern der  Nordosten  und  der  Nordwesten  der  Mediterrannora 
an.  Also  nur  ein  Bruchteil  der  Fläche  der  Mittelmeerländer  ist 
in  dieser  Hinsicht  völlig  mediterran.  Wie  in  bezug  auf  das  Klima, 
so  ist  nach  dem  Pflanzenkleide  der  bei  weitem  größte  Teil  der 
südosteuropäischen  Halbinsel  mitteleuropäisch,  dem  auch  Formen 
des  Ostens  eingestreut  sind.  Ebenso  ist  es  im  westpontischen 
Gebiete  und  am  Nordrande  der  iberischen  Halbinsel.  Und  selbst 
im  Süden  kehren  im  Gebirge  die  Formen  Mitteleuropas  wieder. 
In  den  Madonie  Siziliens  pflückt  man  im  Sommer  unter  Buchen 
Erdbeeren  wie  im  Harze. 

Es  kann  somit  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die  Medi- 
terranflora völlig  an  das  Mittelmeer  gebunden,  von  dieser  großen 
Warmwasserheizung  abhängig  ist.  Sie  reicht  nur  so  weit  land- 
einwärts, als  diese  ihren  milde  Winter  bedingenden  Einfluß  geltend 
machen  kann.  Scheidet  ein,  wenn  auch  nur  schmaler  und  nied- 
riger Gebirgswall  das  Innere  vom  warmen  Anhauche  dieses  Meeres, 
wie  etwa  in  Ligurien,  Thessalien,  Nordsyrien,  so  bilden  sich  grelle 
Gegensätze  aus,  um  so  greller,  wenn  zugleich,  wie  in  Ligurien, 
die  Streichrichtung  des  Gebirgs  eine  dem  Süden  zugekehrte,  vor 
rauhen  Winden  aus  dem  Innern  und  von  Norden  geschützte  Ab- 
dachung schafft.  Tunesien  und  das  östliche  Algerien  dagegen, 
die  sanft  zum  Mittelmeere  geneigt  und  dem  Einflüsse  desselben 
nur  in  geringem  Maße  durch  Höhenzüge  entzogen  werden,  tragen 
in  großer  Ausdehnung  ein  mediterranes  Pflanzenkleid,  in  welches 
erst  weiter  nach  Süden  mit  zunehmender  Trockenheit  Steppen- 
und  Wüstenpflanzen  eingemischt  sind.  Das  gleiche  gilt  von  Nord- 
marokko und  dem  Atlasvorlande  von  Marokko,  andrerseits  von 
dem  sich  zum  Ozean  neigenden  Südwesten  der  iberischen  Halb- 
insel, welche  beide  dem  noch  wirksameren  Einflüsse  des  Ozeans 
ausgesetzt  sind.  Das  andalusische  Faltengebirge  bildet  in  dieser 
Hinsicht  keinen  scheidenden  Wall,  da  es  der  vorherrschenden 
Windrichtung  parallel  streicht. 

Für  das  Verständnis  der  Mediterranflora  ist  aber  weiter  von 
Wichtigkeit,  daß  wir  uns  hier  auf  dem  Schauplatze  einer  langen 
Geschichte,    auf   einem    alten  Kulturherde,    in   einem  Brennpunkte 


4  6  I)  3-    -Die  geographischen  Grundziige  des  Mittelmeergebietes. 

des  Welthandels  befinden.  Das  hat  Jahrtausende  hindurch  un- 
unterbrochen, wenn  auch  in  gewissen  Perioden  besonders  auf- 
fällig, beabsichtigt  und  unbeabsichtigt,  nicht  nur  den  ursprüng- 
lichen Pflanzenbestand  der  einzelnen  Mittelmeerländer  zum  Ge- 
meingut aller  gemacht,  wenn  auch  noch  heute  ein  gewisser  Unter- 
schied zwischen  West  und  Ost  zu  erkennen  ist,  sondern  denselben 
auch  fast  aus  allen  Florengebieten  der  Erde  bereichert,  aus  dem 
feuchten  Monsungebiete  Südostasiens  ebensogut,  wie  aus  dem 
trockenen  Hochlande  von  Mexiko,  dem  Kaplande  oder  Australien. 
Aus  den  verschiedensten  Erdgegenden  sind  in  verschiedenen 
Zeiten  Nutz-  oder  Ziergewächse  und  mit  ihnen,  wie  mit  den  ver- 
schiedensten Handelsgegenständen,  zahlreiche  „Unkräuter"  in  das 
Mittelmeergebiet  eingeführt  worden  und  dort  mehr  oder  weniger 
verwildert.  Die  Agaven  und  Opuntien  der  Trockengebiete  des 
tropischen  Amerika  haben  sich  im  Mittelmeergebiet  so  einge- 
bürgert, sie  passen  auch  so  gut  zu  den  wenigstens  im  Südwesten 
einheimischen  Aloe  und  Stapelien,  daß  schon  mancher  Künstler, 
ohne  zu  ahnen,  daß  er  Fremdlinge  vor  sich  hat,  durch  sie  die 
Mittelmeerlandschaft  ganz  besonders  zu  kennzeichnen  glaubte. 
Ähnliches  gilt  von  den  zahlreichen  Mesembryanthemumarten  und 
Geranien  des  Kaplands,  von  denen  einzelne  ganz  verwildert  sind, 
den  Eukalypten  Australiens,  ja  selbst  den  Aurantiaceen  Südost- 
asiens, den  japanischen  Mispeln  oder  den  Kamelien,  die  an  den 
oberitalischen  Seen  so  stattlichen  Wuchs  erreichen,  nicht  zu 
vergessen  die  Dattelpalme,  die  heute  über  alle  Küstenländer 
des  Mittelmeers  verbreitet,  in  Europa  nur  im  trockensten  Süd- 
osten Spaniens,  in  der  Oase  von  Elche,  und  selbst  im  medi- 
terranen Nordafrika  nur  in  Ägypten,  Südtunesien  und  in  der 
Umgebung  von  Marrakesch  ihre  (aber  auch  dort  minderwertigen) 
Früchte  reift. 

Ob  dieser  Bereicherung  nicht  eine  ebensogroße  Verarmung 
infolge  der  alten  Kultur  und  der  Waldverwüstung  gegenübersteht, 
dürfte  schwer  zu  entscheiden  sein.  Immerhin  muß  man  das  medi- 
terrane oder  richtiger  mediterran-orientalische  Florenreich  als  ein 
im  Vergleich  zu  der  zur  Verfügung  stehenden  Fläche  reiches  be- 
zeichnen. Beherbergt  es  doch  gegen  8000  Arten  von  Gefäß- 
pflanzen, von  denen  etwa  60  °/0  eigentümliche  sind.  Die  iberische 
Halbinsel  für  sich  allein  besitzt  5400  Arten,  von  denen  3800 
ausdauernde   und  nicht  weniger  als   963  Holzgewächse,   und  von 


Charakteristik  der  Mittelmeerflora. 


47 


diesen  fast  die  Hälfte  immergrüne  sind.    Italien  besitzt  4000  Arten, 
ja  das  kleine,   aber  zentral  gelegene   Sizilien   3000! 

Die  Mittelmeerflora  muß  sich  vor  allem  den  klimatischen 
Verhältnissen  anpassen.  Sie  muß  so  organisiert  sein,  daß  sie  die 
lange  sommerliche  Trockenheit  zu  ertragen  vermag  und  daß  ihr 
die  Wärme,  die  auch  im  Winter  hier  noch  herrscht,  genügt.  Niedrige 
Wintertemperaturen,  die  die  ihren  Vertretern  eigene  lange  Vege- 
tationsperiode unmöglich  machten,  vollends  wo  dieselben  mit 
sommerlicher  Trockenheit  gepaart  sind,  schließen  sie  aus.  Zur 
Ertragung  der  sommerlichen  Trockenheit  sind  die  Mittelmeer- 
gewächse in  verschiedenster  Weise  organisiert.  So  spielen  Holz- 
gewächse mit  immergrünem  Laube  eine  so  große  Rolle,  daß  man 
geradezu  von  einem  das  Mittelmeer  umsäumenden  immergrünen 
Gürtel  spricht.  Auch  ist  die  Zahl  der  einjährigen  Arten  sehr 
groß,  die  im  Laufe  des  Winters  ihre  Samen  reifen  und  aus- 
streuen, die  dann  erst  nach  Wiederbeginn  der  Regenzeit  zu  keimen 
anfangen.  Man  kann  geradezu  von  einer  vorzugsweise  aus  ein- 
jährigen Pflanzen  gebildeten  Winterflora  sprechen,  die  durch  be- 
ständigen Wechsel  ihrer  Vertreter,  Monat  für  Monat,  immer  eine 
oder  wenige  Pflanzen  in  ungeheurer  Individuenzahl,  gekennzeichnet 
wird.  Das  immergrüne  Laubblatt,  lederartig,  steif,  glänzend,  ist 
gegen  zu  starke  Verdunstung  geschützt,  die  Blattflächen  sind  auch 
klein,  das  Lorbeerblatt  gehört  schon  zu  den  größten,  und  von 
da  stufen  sich  dieselben  ab,  bis  sie  zu  nadel-  oder  schuppen- 
artigen Gebilden  werden,  wie  bei  den  Eriken,  Rosmarin,  Tamarix, 
ja  bis  zur  völligen  Unterdrückung  der  Blattbildung,  an  deren 
Stelle  Dornen  treten  oder  die  Stengel  selbst  die  Blattfunktionen 
übernehmen,  wie  bei  den  Spanien  und  Marokko  ganz  besonders 
kennzeichnenden  Rutenpflanzen  (Spartium,  Retama).  Die  Kurz- 
lebigkeit der  einjährigen  Pflanzen  teilen  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  auch  die  zahlreich  vertretenen  Knollen-  und  Zwiebel- 
gewächse (Orchideen,  Asphodelus,  Arum,  Scilla  usw.),  deren  ober- 
irdische Organe  mit  ihren  oft  wundervollen  Blüten  sich  jährlich 
nur  für  wenige  Wochen  entwickeln.  Ferner  befähigt  viele  ihre 
Sukkulenz  (Agave,  Opuntia,  Mesembryanthemum,  Sedum,  Stapelia, 
Aloe  usw.)  zur  Ertragung  der  Sommerdürre.  Oder  sie  scheiden 
ätherische  Öle  aus  und  setzen  dadurch  die  Verdunstung  herab. 
Die  Erzeugung  von  Riechstoffen  ist  daher  charakteristisch  für 
viele  Mittelmeerpflanzen,  was  ja  auch  gewerblich  ausgebeutet  wird. 


4.8  I>  3-     Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

Ach    die    mehr    oder    weniger    schiefe  Blattstellung    vieler    wirkt 
schützend.     Ebenso   die  wollig-filzige  Behaarung. 

Ein  im  wesentlichen  auch  durch  das  Klima  bedingter  Charakter- 
zug des  Pflanzenkleides  der  Mittelmeerländer  ist  die  Weitständig- 
keit,  so  daß  immer  nur  ein  Bruchteil  des  Bodens,  je  weiter  nach 
Süden,  um  so  weniger  wirklich  von  Pflanzen  bedeckt  ist,  und  bei 
fast  allen  Holzgewächsen,  namentlich  den  immergrünen,  der  ge- 
ringe Höhenwuchs.  Selbst  einige  der  zahlreichen  Nadelhölzer 
kennzeichnet  derselbe.  Den  8  in  Deutschland  vorkommenden 
stehen  hier   18  gegenüber. 

Das  Pflanzenkleid  der  Mittelmeerländer  läßt  sich  im  wesent- 
lichen zu  den  drei  Formationen  der  Wälder,  der  Macchien  und 
der  Matten  ordnen. 

Waldarm  sind  die  Mittelmeerländer  alle,  die  alte  Kultur, 
der  Einzug  von  Hirtenvölkern  haben  den  Wald,  der  gewiß  ein- 
mal den  bei  weitem  größten  Teil  des  Gebiets,  Italien  z.  B.  noch 
in  geschichtlicher  Zeit,  wie  gut  bezeugt  ist,  bedeckte,  vernichtet, 
nur  ausnahmsweise  ist  nach  Verfall  der  Kultur  wieder  Wald  empor- 
gewachsen, meist  nur  Macchia,  Gestrüppdickicht,  ja  selbst  diese, 
immer  wieder  als  Brennholz  niedergehauen  oder  zur  Gewinnung 
von  Weideland  niedergebrannt,  von  weidenden  Tieren,  besonders 
Ziegen  benagt,  ist  immer  mehr  verkümmert.  Immerhin  ist  die 
Waldarmut  der  Mittelmeerländer  nicht  so  groß,  wie  der  gewöhn- 
liche Reisende  annimmt.  In  abgelegenen  Gegenden,  besonders 
in  feuchten  Gebieten  und  in  den  Gebirgen  finden  sich  noch 
schöne  Wälder,  die  aber  neuerdings,  am  auffälligsten  in  Italien 
und  Kleinasien,  der  Wiedereinzug  der  Kultur,  die  Erschließung 
des  Landes  durch  Eisenbahnen  rasch  verzehrt.  Auch  das  Feuer 
ist  bei  der  sommerlichen  Trockenheit  ein  besonders  gefährlicher 
Feind  der  Wälder.  Von  Waldschutz  und  geregelter  Forstwirt- 
schaft ist,  abgesehen  von  Versuchen  der  Franzosen  in  Algerien, 
noch  nirgends  die  Rede,  so  daß  auch  die  Flächenzahlen  für  die 
Waldbedeckung,  zumal  sich  keine  scharfe  Grenze  zwischen  Wald 
und  Macchia  ziehen  läßt  und  allenthalben  in  den  Waldrevieren 
sich  weite  Lichtungen  finden,  sehr  unsichere  sind.  Für  Italien 
werden  i6°/0,  für  Sizilien  5.5%,  für  Griechenland  9.3%,  für 
Serbien  25%,  für  Spanien  7  °/0,  für  Portugal  5  °/0  angegeben. 
Die  Holzarmut  ist  in  den  Mittelmeerländern  überall  groß,  so  daß 
schon  deshalb  fast    durchaus  der  Steinbau  vorherrscht.     Der  Be- 


Die  Macchien. 


49 


darf  an  Bau-  und  Werkholz  wird  von  weit  her,  aus  den  Aipen, 
ja  von  Skandinavien  gedeckt.  Gestrüpp  und  meist  daraus  her- 
gestellte Holzkohlen  dienen  als  Brennstoff,  was  wohl  wesentlich 
dazu  beiträgt,  daß  Garküchen  in  den  Städten  überall  eine  ganz 
andere  Rolle  spielen  wie  in  Mitteleuropa.  Ja,  vielfach  ist  man 
auf  getrockneten  Viehdünger  und  Stroh  als  Brennstoff  angewiesen. 
Im  Innern  Siziliens,  in  Alt-  und  Neukastilien,  im  größten  Teile 
der  Atlasländer  bekommt  wohl  die  Mehrzahl  der  Bewohner  ihr 
Lebenlang  nie  einen  hochstämmigen  Baum  zu  sehen! 

Man  muß  zwischen  den  Wäldern  der  immergrünen  Region 
und  den  Gebirgswäldern  unterscheiden.  In  ersterer  spielen  Hart- 
laubbäume die  erste  Rolle,  namentlich  Eichen,  an  denen,  sowohl 
immergrünen  wie  laubabwerfenden,  das  Mittelmeergebiet  außer- 
ordentlich reich  ist.  Alle  haben  geringen  Höhenwuchs,  mehrere 
verkrüppeln.  Dazu  kommt  der  wilde  Ölbaum,  der  Lorbeer,  Hex 
aquifolium,  das  zum  Baume  wird,  der  Arganbaum,  der  in  Süd- 
westmarokko fast  allein  lichte  Haine  bildet,  und  einige  aber  mehr 
auf  feuchten  Boden  beschränkte,  wie  Pistacia  atlantica  im  Westen, 
Pistacia  terebinthus  im  Osten,  die  orientalische  Platane,  die  nur 
kurze  Zeit  unbelaubt  ist,  und  einige  sommergrüne.  Vor  allem 
aber  Nadelbäume,  wie  die  Aleppokiefer,  die  Pinie,  die  vorzugs- 
weise neugebildetes  sandiges  Schwemmland  besiedelt,  die  Zypresse, 
Pinus  Pinaster  und  Pinus  Maritima,  Callitris  quadrivalvis  (im 
Atlasgebiet)  und  einige  Wachholder. 

In  den  Gebirgswäldern  sind  neben  der  Buche,  die  in  Sizilien 
bis  zum  38.  Par.  nach  Süden  reicht,  der  Edelkastanie,  sommer- 
grünen Eichen,  dem  Walnußbaum  u.  a.  ebenfalls  Nadelbäume 
häufig:  die  Zeder  im  Libanon,  Taurus  und  Atlas,  Edeltannen, 
Lariciokiefern,  Pinus  silvestris,  Wachholder.  Diese  Gebirgswälder 
mit  dem  gedrängteren  Wuchs  ihrer  auch  größere  Höhe  erreichen- 
den Stämme  ähneln  noch  am  meisten  unseren  mitteleuropäischen 
Wäldern. 

Die  Charakterformation  des  Mittelmeergebiets  sind  aber  die 
Macchien,  überwiegend  immergrüne  Gestrüppe  oft  buntester  Zu- 
sammensetzung, aber  nach  der  Dürftigkeit  der  Belaubung,  die 
höchstens  die  Größe  des  Lorbeerblatts  erreicht,  so  recht  der  Aus- 
druck der  herrschenden  Trockenheit.  Je  nach  Boden  und  Feuchtig- 
keit sind  die  Macchien  bald  3 — 4  m  hoch,  dicht  gedrängt,  durch 
Schlingpflanzen   (Smilax,    Tamus,    Clematis,    in    den  Atlasländern 

Fischer,  Mitti'lmeerbilder.     Neue  Folge.  4 


cq  I,  3.    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

auch  Ephedra  altissima,  Asparagus  acutifolius,  Rubusarten,  Rosa 
sempervirens)  geradezu  undurchdringlich,  bald  erreichen  sie 
höchstens  1  m  und  lösen  sie  sich  in  einzelne  dürftige  Büsche 
auf.  Nach  der  Dürftigkeit  der  Belaubung  ähneln  diese  Sträucher 
einander  vielfach,  erst  zur  Blütezeit,  im  Frühling  tritt  ihre  häufig 
außerordentlich  bunte  Zusammensetzung  auffällig  hervor,  noch 
mehr  aber  der  intensiv-aromatische  Geruch,  der  diese  Sträucher 
kennzeichnet  und  an  dem  Napoleon  I.  noch  auf  St.  Helena  seine 
Heimatinsel  erkennen  zu  können  erklärte.  In  der  Tat  habe  ich 
im  ganzen  Bereich  der  Mittelmeerländer  nirgends  so  üppige  und 
so  aromatische  Macchien  getroffen  wie  auf  Korsika.  Örtlich  herrscht 
wohl  eine  einzige  Form  vor,  wie  am  Bosporus,  aber  auch  in 
Spanien  und  Marokko  hier  und  da,  Erica  arborea  oder  Cistus- 
rosen,  diese  besonders  zu  beiden  Seiten  der  Straße  von  Gibraltar. 
Wie  groß  die  Zahl  dieser  Sträucher  ist,  geht  daraus  hervor,  daß 
etwa  20  Arten  nach  der  Blattbildung  der  Oleanderform,  etwa 
30  der  Myrtenform  angehören.  Bei  etwa  44  Arten  fehlen 
die  Blätter  entweder  ganz  oder  sind  nur  kurze  Zeit  vorhanden, 
so  daß  die  Funktionen  des  Laubes  auf  die  grünen,  zylindrischen 
Zweige  übergehen.  Etwa  20  davon  haben  Dornen.  Mit  zu- 
nehmender Trockenheit  nimmt  auch  die  Bedornung  zu.  Einer 
der  dornigsten  dieser  Sträucher,  der  für  die  trockensten  Gebiete 
des  mediterranen  Nordafrikas  charakteristisch  ist  und  für  sich 
allein  dort  Dickichte  bildet,  ist  Zizyphus  lotus. 

Daß  die  Macchien  schon  ursprünglich  im  Mittelmeergebiet 
vorhanden  gewesen  sind  und  beispielsweise  schon  in  griechischer 
Zeit  in  Sizilien  in  der  gleichen  Zusammensetzung  wie  heute  vor- 
kamen, unterliegt  ebensowenig  einem  Zweifel,  wie  daß  sie  bei 
dem  Rückgange  der  Kultur  an  Stelle  der  verwüsteten  Wälder  ge- 
treten sind.  Am  reichsten  an  Macchien  ist  wohl  Spanien.  Dort 
sind  Flächen  von  vielen  Tausenden  von  Quadratkilometern  so 
gut  wie  menschenleere  Gestrüppdickichte,  besonders  in  Estre- 
madura  und  im  Bereich  der  Sierra  Morena.  Die  Macchien 
werden  in  Südfrankreich,  Algerien,  Dalmatien  wohl  zur  Gewinnung 
von  Wohlgerüchen,  wo  sie  aus  Cistusrosen  bestehen,  wohl  auch 
zur  Gewinnung  von  Ladanbalsam,  allgemein  zur  Erzeugung  von 
Holzkohlen  oder  unmittelbar  als  Feuerholz  verwertet.  Sie  sind 
noch  heute  auf  Korsika  und  waren  es  ehemals,  besonders  in 
Mittelitalien,  Schlupfwinkel  für  Banditen  und  Wild. 


Die  Matten.     Vegetation  der  Wasserläufe.  z  I 

Indem  die  Macchien  immer  dürftiger  werden,  die  Büsche 
immer  niedriger  und  vereinzelter,  gehen  sie  in  die  Matten  über, 
die  an  Stelle  der  Wiesen  Mitteleuropas  treten.  Man  unterscheidet 
wohl  auch  noch  eine  Zwischenformation,  die  in  Spanien  die 
Tomillares  (Thymian)  umfaßt,  in  Südfrankreich  die  Garrigues,  in 
Griechenland  die  Phrygana  genannt  sind.  Das  Pflanzenkleid  der 
Matten  ist  besonders  dürftig,  der  Nährwert,  obwohl  sie  neben 
den  Macchien  die  Hauptweidegründe  bilden,  ein  sehr  geringer. 
Leguminosen,  Labiaten,  Kräuter,  Zwiebelgewächse,  einjährige  Gräser 
(Bromus,  Avena,  Briza  u.  a.  m.),  meist  alles  buntgemischt,  kenn- 
zeichnen sie.  Im  Frühling  ähneln  sie  bei  etwas  besserem  Boden 
und  bei  Vorherrschen  etwa  von  Aegylops  ovata  einem  mageren 
Getreidefelde.  Im  Sommer  tritt  an  ihre  Stelle  sonnenverbrannter 
Steppenboden.  Auch  verschiedene  Asphodelusarten,  oft  in  un- 
geheurer Individuenzahl,  anderwärts  Disteln  und  besonders  Arti- 
schockendisteln kennzeichnen  zuweilen  diese  Matten,  die  wohl 
auch  im  Südwesten,  in  Nordmarokko  und  Südwestspanien  in  un- 
geheure Bestände  der  einzigen  im  Mittelmeergebiet  heimischen 
Palme,  der  Zwergpalme  übergehen.  Wirkliche  Grassteppen  bilden 
mit  dichtverfilzten  Wurzelballen  ausdauernde  trockenhalmige  Gra- 
mineen, besonders  Macrochlea  tenacissima  in  Südostspanien,  auf 
dem  Atlashochlande  von  Algerien,  in  Tunesien  und  Tripolitanien. 
Ganz  wertlos  wird  der  Boden,  wo  er  von  dem  unausrottbaren 
Adlerfarn  überwuchert  ist. 

Eine  eiger  Tegetation  begleitet  die  Wasserläufe,  bald  nur 
in  der  Gestalt  -er  Büsche,    wie  der  weitverbreitete   blüten- 

prächtige   Oleai  d    der    duftige  Keuschbaum    (Vitex    agnus 

castus),  zu  denen  sich  wohl  das  sog.  spanische  Rohr  (Arundo 
donax),  auch  Arundo  phragmites  gesellt,  bald  in  Gestalt  eines 
breiteren  Saumes  vorwiegend  baumartiger  Holzgewächse,  die  ein 
wenig  an  die  Galeriewälder  des  tropischen  Afrika  erinnern.  Da 
handelt  es  sich  namentlich  um  Tamarisken,  oft  stattliche  Bäume, 
Rizinus,  Elaeagnus  und  Euphratpappeln. 

Wenn  wir  die  Pflanzenwelt  des  Mittelmeergebiets  auch  nach 
Höhenregionen  ordnen,  so  bietet  noch  mehr  wie  zur  Bestimmung 
der  Polargrenze  der  wichtigste  Fruchtbaum  des  Mittelmeergebiets, 
der  Ölbaum  einen  wertvollen  Anhalt.  In  beiden  Richtungen 
fällt  seine  Verbreitung  im  wesentlichen  mit  derjenigen  der  Medi- 
terranflora     zusammen,       er      kennzeichnet       die     immergrüne 

4* 


C2  I,  3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

Region.  In  Languedoc  und  Istrien  nur  etwa  bis  200  m  empor- 
steigend, erreicht  er  schon  in  Ligurien  700  m,  in  Sizilien  900  m 
und  im  hohen  Atlas  von  Marokko  1 300  m,  ja  örtlich  1 500  m. 
Besonders  die  Vulkankegel  Italiens  lassen  sehr  schön  die 
Höhenregionen  erkennen.  Am  Mte.  Amiata  Toskanas  steigen 
Ölbaum  und  Rebe  bis  600  m  empor,  dann  folgt  bis  950  m  die 
Kastanie  und  bis  zum  Gipfel  (1734  m)  die  Buche.  Am  Vultur 
Apuliens  steigt  der  Ölbaum  bis  700  m,  der  Kastaniengürtel  reicht 
bis  1000  m  und  von  1000 — 1330  m  (Gipfel)  die  Buche.  Am 
Etna  steigen  die  Aurantiaceen  bis  560  m,  der  Ölbaum  bis  920  m, 
die  Rebe  bis  1030  m,  der  Kastaniengürtel  reicht  von  900 — 1500  m, 
der  Buchengürtel  von  1000 — 2000  m.  Bei  2080  m  trifft  man 
die  letzten  Birken,  darüber  liegt  die  überall  im  Mittelmeergebiet 
wenig  entwickelte  alpine  Region. 

Sehr  auffällig  ist,  daß  die  Baumgrenze  im  Mittelmeergebiet 
bei  2000  m  eher  in  geringerer  Höhe  liegt  als  in  den  Alpen  und 
nach  Süden  hin  kaum  ansteigt.  Auch  das  ist  aus  klimatischen 
Gründen,  vor  allem  aber  daraus  zu  erklären,  daß  die  Nadel- 
bäume, die  in  den  Alpen  am  höchsten  emporsteigen,  die  Rot- 
tanne, die  Arve,  die  Lärche  im  Mittelmeergebiet  ganz  fehlen. 
Auch  Alpenweiden  sind  wenig  entwickelt  und  Sennwirtschaft 
fehlt  fast  ganz,  obwohl  wandernde  Herden  im  Sommer,  wo  unten 
alles  verbrannt  ist,  die  Gebirge  aufsuchen,  ja  z.  T.  von  der 
Malaria  vertrieben  in  Kleinasien  und  Griechenland  die  Bevölke- 
rung zahlreicher  Ortschaften  zu  Sommerdörfern  emporsteigt. 
Dauernde  Siedelungen,  die  man  in  den  Alpen  (Engadin)  noch 
bis  2000  m  findet,  erreichen  daher  auch  im  Mittelmeergebiet 
geringe  Höhen.  Selbst  auf  Massenanschwellungen,  wie  im  öst- 
lichen Spanien,  liegen  die  höchsten  Ortschaften  nur  in  1600  m 
Höhe,  in  den  Abruzzen  und  dem  Peloponnes  in    1 300  m. 

Eine  ganz  andere  Rolle  wie  in  Mitteleuropa  spielen  im 
Mittelmeergebiet  auch  die  Kulturgewächse,  wenigstens  die  eine 
der  beiden  Formationen,  in  welche  man  dieselben  gliedern  kann: 
die  Fruchthaine.  Die  Saatfelder,  offene,  baumlose  Flächen 
ähneln  den  unsrigen  im  allgemeinen  und  dehnen  sich  vielfach, 
wie  in  Sizilien,  Kastilien,  den  Küstenlandschaften  Marokkos  und 
anderwärts,  unabsehbar  einförmig  aus.  Je  weiter  nach  Süden  um 
so  früher,  an  der  Südgrenze  schon  im  April  und  Mai,  tritt  die 
Ernte  ein,  um  so  länger  ähnelt  das  im  Winter  üppig  grüne  Land 


Saatfelder  und  Fruchthaine.  c  -i 

sonnenverbrannter  Steppe.  Aber  die  Zahl  der  angebauten  Ge- 
wächse ist  wesentlich  größer.  Sind  doch  im  Mittelmeergebiet 
nicht  weniger  als  15  Getreidegräser  bzw.  Hülsenfrüchte  ursprüng- 
lich heimisch.  Dasselbe  ist  unter  allen  Pflanzenreichen  der  Erde, 
ganz  abgesehen  von  den  eingeführten  (Reis,  Mais)  daran  am 
reichsten.  Dazu  kommen  noch  25  Genußmittelpflanzen  (Kümmel, 
Koriander,  Senf,  Zwiebel  usw.),  Gewerbepflanzen  (Lein,  Saffran, 
Krapp  usw.),  Heilpflanzen  u.  dgl.  m.  Die  Mannigfaltigkeit  der 
in  den  Fruchthainen  vereinigten  Fruchtbäume  ist  eine  sehr  große, 
eine  so  große,  daß  wir  uns  in  Mitteleuropa  davon,  wie  von  der 
wirtschaftlichen  und  landschaftlichen  Bedeutung  der  Fruchthaine 
kaum  eine  Vorstellung  machen  können.  Denn  wenn  die  im  Jahre  1 901 
durchgeführte  Zählung  der  Obstbäume  im  Deutschen  Reiche  deren 
im  ganzen  164  Millionen  ergab,  so  zählt  man  in  Spanien  allein 
300  Millionen  Ölbäume,  in  Italien,  das  ja  wenig  über  halb  so 
groß,  und  soweit  das  dem  Ölbaum  zugängliche  Gebiet  anlangt, 
noch  nicht  x/5  des  Deutschen  Reichs  ausmacht,  100  Millionen. 
Dazu  kommt  mit  mindestens  der  gleichen  Zahl  der  Maulbeer- 
baum, der  allerdings  weniger  als  Fruchtbaum,  wenigstens  der  weiße, 
als  als  Ernährer  der  Seidenraupe  in  Betracht  kommt.  Dazu, 
landschaftlich  überall  überaus  bedeutsam,  wirtschaftlich  nur  in 
der  Oase  von  Elche  in  Murcia  und  in  Nordafrika,  die  Dattel- 
palme, die  verschiedenen  Aurantiaceen  (Apfelsinen,  Limonen, 
Mandarinen,  Pampelmusen,  Pomeranzen  usw.),  die  japanische 
Mispel,  der  Feigenbaum,  der  Mandelbaum,  Aprikosen,  Pfirsiche, 
Pistazien,  Granaten,  Johannisbrotbaum,  auch  die  Opuntie  ist  zu 
nennen,  deren  Früchte  im  südlichen  Mittelmeergebiet  so  massen- 
haft und  so  billig  zu  haben  sind,  daß  dann  monatelang  weniger 
Brotstoffe  verbraucht  werden.  Dazu  kommen  dann  alle  unsere 
mitteleuropäischen  Obstarten,  nur  daß  dieselben  weiter  nach  Süden 
in  höherer  Lage  besser  gedeihen.  Im  marokkanischen  Atlas  ist 
der  Walnußbaum  außerordentlich  häufig,  fast  wie  die  Edel- 
kastanie am  Südhange  der  Alpen  und  sonst  allenthalben  in  den 
Mittelmeerländern.  Auch  der  Haselnußstrauch  ist  als  Kultur- 
pflanze hier  weit  verbreitet.  Auch  der  Weinbau  spielt,  wie  be- 
kannt, in  denselben  eine  große  Rolle,  in  Italien,  Spanien,  Griechen- 
land, wo  die  Korinthe  wichtiger  ist  als  die  Wein  gebende  Rebe, 
von  alters  her,  in  Algerien  erst  neuerdings. 

Die    Flächen,    welche    mit    Fruchthainen    bedeckt    sind,    zu 


s.a  I,  3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

schätzen  ist  schwer,  sowohl  weil  derartige  statistische  Angaben  in 
diesen  Ländern  immer  sehr  unsicher  sind,  sodann  aber  weil  ge- 
mischter Anbau  dem  Klima  entsprechend  häufig  ist:  Fruchtbäume 
über  Felder  verstreut,  ja  nicht  selten  drei  Früchte  zu  gleicher 
Zeit  auf  derselben  Fläche,  etwa  Ölbaum,  Reben,  Gerste.  Erstere 
geben  gerade  erwünschten  Schatten,  letztere  wird  abgeerntet, 
meist  als  Grünfutter,  wenn  die  Rebe  eben  zu  grünen  beginnt. 
In  Algerien  sieht  man  jetzt  vielfach  zum  Schutz  der  jungen  Triebe 
des  Weinstocks  gegen  den  Seewind  schmale  Streifen  Roggen 
zwischen  die  Reben  gesäet.  Der  Wert  der  Fruchthaine  wird 
noch  dadurch  erhöht,  daß  die  Früchte,  abgesehen  von  Wein- 
und  Ölbereitung,  dank  ihrem  hohen  Zuckergehalt  und  der  trockenen 
Wärme  des  Herbstes,  nicht  frisch  versendet  zu  werden  brauchen, 
wie  Apfelsinen,  sondern  sich  leicht  trocknen  lassen  und  dann 
lange  haltbar  sind.  So  Feigen,  Aprikosen,  Trauben,  Johannisbrot, 
Mandeln  usw.  In  der  Welt  des  Islam  zieht  man  vorzugsweise 
Trauben,  soweit  sie  nicht  frisch  gegessen  werden,  um  sie  trocken 
aufzubewahren  oder  einen  Sirup  daraus  zu  gewinnen.  Die  Küsten 
der  Mittelmeerländer  sind  in  großer  Ausdehnung  von  Frucht- 
hainen begleitet.  So  kann  man  in  Italien  das  ganze  ligurische 
Küstengebiet  einen  einzigen  großen  Fruchthain  nennen.  Ebenso 
ist  die  Küste  von  Apulien  in  einem  breiten  Gürtel  von  solchen 
bedeckt  und  die  Küsten  von  Sizilien  ringsum  außer  an  der  afrika- 
nischen Seite.  Ähnlich  in  Syrien  bis  hoch  hinauf  an  den  Hängen 
des  Libanon.  Niederandalusien  ist  zu  beiden  Seiten  des  Guadal- 
quivir  von  einem  ungeheuren  Olivenhaine  bedeckt  usw.  Daß  die 
Fruchtbäume  die  allgemeine  Waldarmut  der  Mittelmeerländer 
etwas  ausgleichen,  wenigstens  landschaftlich,  ist  klar.  Sie  erhöhen 
die  Reize  der  Mittelmeerlandschaft  in  hohem  Grade  und  bewirken, 
daß  gelegentlich,  selbst  wo  Saatfelder  vorzugsweise  weite  Ebenen 
bedecken,  diese  nicht  die  Einförmigkeit  unserer  Getreidefelder  be- 
sitzen. Wie  baumreich  ist  z.  B.  die  ganze  Poebene!  Im  allgemeinen 
nimmt  in  den  Mittelmeerländern  der  Reichtum  an  Fruchtbäumen  zu, 
je  mehr  man  in  die  Täler,  die  Becken,  an  die  Küsten  hinab- 
steigt, doch  wenn  die  Bodenfeuchtigkeit  in  den  Alluvialebenen 
zu  groß  wird,  verschwinden  die  Fruchtbäume.  Doch  gibt  es  auch 
Gegenden,  wo  Baumzucht  noch  möglich  ist,  wenn  die  Bäume  nur 
erst  bei  sorgsamer  Pflege  der  Setzlinge  eine  feuchte  Bodenschicht 
erreicht  haben,  wo  selbst  Getreidebau  nicht  mehr  möglich  ist. 


Bedeutung  der  Baumzucht.  e  c 

Welche  Bedeutung  die  Baumzucht  und  ihre  Erzeugnisse  im 
Wirtschaftsleben  der  Mittelmeervölker  hat,  möge  nur  der  kurze 
Hinweis  beleuchten,  daß,  obwohl  überall  bei  weitem  das  Meiste 
im  Lande  selbst  verbraucht  wird,  in  Griechenland  4/5,  in  Spanien 
2/3  der  Ausfuhr  auf  Erzeugnisse  der  Baumzucht  kommt  und  daß 
Italien  allein  an  Rohseide  jährlich  für  mehr  als  500  Millionen 
Frcs.  ausführt!  Dabei  ist  in  Griechenland  nur  20,  in  Italien  46, 
in  Spanien  40  °/0  des  Bodens  angebaut ! 

Aber  noch  höher  muß  die  kulturelle  Bedeutung  der  Baum- 
zucht eingeschätzt  werden.  Sie  ermöglicht  in  den  Mittelmeer- 
ländern die  größte  Verdichtung  der  Bevölkerung,  sie  macht  den 
Menschen  wahrhaft  seßhaft  und  führt  ihn  höherer  Gesittung  zu, 
sie  läßt  dem  Boden  die  höchsten  Erträge  abgewinnen,  freilich 
nur  bei  sorgsamer  Pflege.  Sie  bezeichnet,  zumal  sie  meist  auch 
unter  künstlicher  Berieselung  betrieben  wird,  die  höchste  Stufe 
des  Ackerbaus,  der  da  mehr  Gartenbau,  Hackbau  ist.  Gebiete 
der  Baumzucht  sind  wahre  Gartenlandschaften.  In  Sizilien 
wohnen  in  dem  Gürtel  der  höchst  entwickelten  Baumzucht  350 
Menschen  auf  1  qkm,  ja  an  der  Nordküste  1000.  Und  in 
Mitteltunesien,  heute  durchaus  Weideland,  wo  der  ha  nur 
etwa  10  Frcs.  wert  ist,  steigt  der  Wert  desselben  Bodens,  wenn 
er  mit  Ölbäumen  bepflanzt  ist,  auf  700  —  800  Frcs.,  und  wo 
heute  nur  1 — 3  Menschen  auf  1  qkm  gerechnet  werden  können, 
müssen  nach  der  Zahl  und  Dichte  der  Trümmerstätten  von 
Städten,  Dörfern  und  Meierhöfen  in  der  glänzenden  Zeit  der 
letzten  Jahrhunderte  des  römischen  Kaiserreichs  mindestens  100 
Menschen  auf  1  qkm  gewohnt  haben.  In  den  Atlasländern 
blühte  in  dieser  Zeit  die  Baumzucht  derartig,  daß  die  Araber, 
freilich  Wüsten-  und  Steppenbewohner,  daher  in  dieser  Hinsicht 
zu  Übertreibungen  geneigt,  bei  ihrem  Einbruch  staunend  meldeten, 
man  könne  von  Tripolis  bis  Tanger  im  Schatten  der  (Frucht-) 
Bäume  wandeln. 

Bezüglich  der  Tierwelt  des  Mittelmeergebiets,  das  in  dieser 
Hinsicht  und  in  seiner  ganzen  Ausdehnung,  so  daß  das  Mittel- 
meer nicht  etwa  eine  Scheidewand  bildet,  eine  Subregion  der 
palaearktischen  Region  ist,  möge  nur  kurz  bemerkt  werden,  daß 
dasselbe  überhaupt  ein  tierarmes  Gebiet  ist  und  daß  eine 
dreitausendjährige  Geschichte  die  Tierwelt  außerordentlich  be- 
einflußt hat.     Der  Löwe,  der  einst  durch  Vorderasien  bis  Griechen- 


2 6  I>  3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

iand  und  über  die  Atlasländer  verbreitet  war,  ist  ausgestorben.  Und 
so  viele  andere  Tiere.  Auch  Viehzucht  spielt  meist  eine  unter- 
geordnete Rolle,  selbst  die  Schafzucht  ist  allenthalben  gegen 
früher  zurückgegangen,  obwohl  doch  die  vorherrschende  Trocken- 
heit noch  am  besten  dem  Schafe  zusagt.  Klimatisch  bedingt  ist 
wandernde  Vieh-,  besonders  Schafzucht  in  einem  großen  Teile 
der  Mittelmeerländer.  Im  Winter  weiden  die  Herden  in  der 
warmen  Küstenregion,  im  Sommer  steigen  sie  in  die  Berge  hinauf. 
Diese  wandernde  Schafzucht  hat  namentlich  früher,  durch  staat- 
liche Vorrechte  geschützt,  in  Spanien  und  Italien  große  wirt- 
schaftliche Bedeutung  gehabt.  In  Griechenland  und  Kleinasien 
wandern  vielfach  mit  den  Herden  auch  die  Menschen  in  die 
Sommerdörfer  hinauf  und  in  Algerien  sind  diese  klimatisch  be- 
dingten Wanderungen  von  großer  politischer  Bedeutung,  denn 
die  Stämme  der  nördlichen  Sahara  sind  im  Sommer  gezwungen, 
zur  Erhaltung  ihrer  Herden  auf  das  Atlashochland,  ja  in  die 
Wälder  an  der  Grenze  des  Teil  emporzusteigen,  und  geraten 
daher  in  Abhängigkeit  von  den  Franzosen. 

Die  Fauna  des  Mittelmeeres  ist  im  wesentlichen  eine  ver- 
armte Fauna  des  Atlantischen  Ozeans.  Es  ist  nachgewiesen,  daß 
sich  mit  der  Entfernung  vom  Ozean  nicht  nur  die  Artenzahl 
mindert,  sondern  auch  die  Individuen  derselben  Art  nach  Osten 
hin  kleiner  werden.  Auch  ist  das  Tierleben  des  Mittelmeeres 
im  Vergleich  zu  gewissen  Gegenden  der  Ozeane  nicht  als  reich 
anzusehen.  Fischereigründe  von  so  ungeheuerer  Ergiebigkeit, 
wie  wir  sie  vielfach  in  den  Ozeanen  finden,  fehlen  hier  und  bei 
dem  großen  Bedarf  an  Fischnahrung  der  der  katholischen  oder 
griechischen  Kirche  angehörigen  Mittelmeerbewohner  wegen  der 
vielen  Festtage,  auch  weil  aus  klimatischen  Gründen  Fleischnah- 
rung nicht  so  erforderlich,  aber  auch  schwerer  zu  haben  ist, 
findet  überall  eine  bedeutend  größere  Einfuhr  von  getrockneten 
Fischen  vom  Ozeane  her  statt,  wie  Ausfuhr  etwa  von  Tunfischen 
(in  Ol),  von  Sardinen  und  Sardellen.  Die  Tunfischereien,  die 
große  Anlagen  erfordern,  beschränken  sich  fast  ganz  auf  das 
Mittelmeer  und  kennzeichnen  dasselbe.  Es  finden  sich  noch 
heute  Tunfischereien  an  Punkten,  wo  sie  schon  vor  2000  Jahren 
erwähnt  werden.  Sardellen  und  Sardinen  werden  überall  im 
Mittelmeere  im  Sommer  im  großen  gefangen.  Ihr  Fang  liegt 
heute    durchaus    in     den    Händen    der    Italiener,     die    mit    den 


Völkerleben  des  Mittelmeergebietes.  cn 

Griechen,  als  Ausdruck  des  maritimen  Charakters  beider  Länder, 
fast  allein  die  Fischereien  im  Mittelmeere  in  der  Hand  haben. 
Im  Sommer  schwärmt  die  Fischerbevölkerung  Liguriens  und 
des  Golfs  von  Neapel,  wie  vieler  griechischer  Inseln  weithin 
aus,  um  Fische,  namentlich  aber  auch  Edelkorallen  und  Bade- 
schwämme, diese  charakteristischen  tierischen  Erzeugnisse  des 
Mittelmeeres,  zu  fischen.  Griechen  findet  man  an  den  Küsten 
von  Syrien,  von  Marmarika  und  Barka,  wie  von  Tunesien, 
Italiener  an  der  ganzen  Küste  von  Tunesien  und  Algerien,  wo 
sie  teils  in  Sommerlagern  an  den  Küsten  fischen,  teils  ganze 
neue  Fischerdörfer  gegründet  haben.  Die  allerverschiedenartigsten 
Erzeugnisse  des  Meeres,  auch  solche,  die  man  im  Norden  nicht 
zu  essen  pflegt,  dienen  dem  Mittelmeeranwohner  als  frutti  di 
mare  zur  Ernährung,  und  es  ist  bekannt,  welche  große  Be- 
deutung die  phönikische  Purpurfärberei  mit  Hilfe  der  geringen 
Mengen  Farbstoffe,  welche  gewisse  Schnecken  des  Mittelmeers 
boten,  im  Altertume  erlangt  hatte. 

Bezüglich  des  Völkerlebens  des  Mittelmeergebiets  begnüge 
ich  mich  ebenfalls  mit  einigen  kurzen  Bemerkungen,  da  eine 
besondere  Abhandlung  näher  auf  diese  Frage  eingehen  wird. 
Die  Vielgeteiltheit,  die  Vielseitigkeit  der  Beziehungen,  die  Wir- 
kungen einer  langen  Geschichte  treten  auch  da  hervor.  Die 
wenigstens  sprachliche  Vereinfachung,  welche  die  römische  Herr- 
schaft herbeigeführt  hatte,  so  daß  neben  dem  Lateinischen  nur 
noch  das  Griechische,  besonders  seit  Alexander  d.  Gr.  und  im 
Osten  eine  Rolle  spielte,  ist  längst  wieder  verwischt.  Das  Vor- 
dringen der  Bekenner  des  Islams  an  die  Ufer  des  Mittelmeeres 
zog  eine  scharfe,  bis  heute  nicht  verwischte  Schranke  zwischen 
den  Mittelmeervölkern.  Noch  heute  meint  man  von  einem 
christlichen  Mittelmeergestade  in  ein  muhamedanisches  gelangend 
eine  andere  Welt  zu  betreten  und  im  Orient  scheidet  die  Religion, 
ob  christlich  oder  muhamedanisch,  ja  selbst  christliche  Bekennt- 
nisse Angehörige  desselben  Volkstums,  derselben  Sprache  usw. 
scharf  voneinander.  Neben  Mittelmeervölkern,  welche  zu  den 
ältesten  Europas  gehören,  wie  Albanesen  und  Basken,  gibt  es 
ganz  junge  Zuwanderer  wie  Türken,  Turkmenen  und  Araber. 
Neben  solchen,  die  sich  wenig  mit  anderen  vermischt  haben, 
wie  die  Albanesen  und  beträchtliche  Teile  der  Berbern  der 
Atlasländer,    gibt    es    hochgradig    gemischte,     wie    die    heutigen 


c8  1-3-    Die  geographischen  Grundzüge  des  Mittelmeergebietes. 

Türken,  Italiener,  Spanier,  Griechen  usw.  Auch  die  Kultur- 
zustände sind  außerordentlich  verschiedene.  Mitten  in  den 
Trümmern,  die  von  der  hohen  Gesittung  der  Landesbewohner 
früherer  Zeit  zeugen,  hausen  heute  auf  niederer  Kulturstufe 
stehende  andersrassige  Menschen,  unter  Umständen  aber  auch 
die  verkommenen  Nachkommen  jener.  Auch  in  dieser  Hinsicht 
bildet  das  Mittelmeer  eine  Welt  für  sich. 


IL 

Küstenstudien  aus  den  Mittelmeerländern. 

i.   Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten.1) 

Wie  uns  ein  volles  wissenschaftliches  Verständnis  der  Ober- 
flächenformen des  Festen  nur  dadurch  erschlossen  wird,  daß  wir 
dieselben  nicht  mehr  als  etwas  schlechthin  Gegebenes  lediglich 
beschreiben,  sondern  als  etwas  Gewordenes  und  in  steter  Weiter- 
entwicklung Begriffenes  unter  steter  Bezugnahme  auf  die  geo- 
logischen, tektonischen ,  petrographischen ,  klimatischen  Verhält- 
nisse etc.  ursächlich  erklären,  so  muß  auch  das  gleiche  Verfahren 
auf  die  Betrachtung  der  Umrisse  des  Festen,  auf  die  Gestaltung 
der  Küsten  angewendet  werden.  Denn  nur  so  treten  uns  die 
Beziehungen  der  Länder  zum  Meere,  die  Bedeutung  der  Küsten 
für  Verkehr  und  Kulturentwicklung,  für  eigentümliche  Erschei- 
nungen im  Völkerleben,  für  die  Verteilung  und  die  wechselnden 
Geschicke  der  menschlichen  Wohnplätze  klar  entgegen,  nur  so 
können  wir  die  Frage,  ob  ein  Küstengebiet  und  sein  Hinterland 
die  Bedeutung,  welche  es  heute  hat  —  von  der  Einwirkung 
menschlicher  und  geschichtlicher  Verhältnisse  abgesehen  — , 
stets  gehabt  hat  oder  stets  haben  wird.  Derartige  Untersuchungen 
sind  im  letzten  Jahrzehnt  häufiger  angestellt  und  unsere  Erkenntnis 
geographischer  Gesetze  dadurch  außerordentlich  gefördert  worden. 
Doch  ist  die  Frage  noch  nicht  bis  zur  Aufstellung  eines  wohl- 
begründeten natürlichen  Systems  der  Küsten  gediehen,  wie  wir 
ein  solches,  im  wesentlichen  allgemein  angenommenes  von  den 
Inseln  besitzen.  Möchten  die  hier  niedergelegten  Untersuchungen 
über  die  Entstehung,  Weiterentwicklung  und  Veränderungen  von 
Küsten,  auf  welche  seit  Jahrtausenden  das  Licht  geschichtlicher 
Überlieferung  fällt,  mit  zur  Erreichung  jenes  Zieles  beitragen! 

i)  Erschienen  in  Petermanns  Geogr.  Mitteilungen.    1885,  Heft  XI. 


6o        II)    !•    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

Das  Mittelmeer  kennzeichnet  eine  Bruchzone  der  festen 
Erdrinde,  eine  Stelle  geringerer  Widerstandsfähigkeit  derselben; 
der  Anlage  nach  reicht  es  in  eine  sehr  frühe  geologische  Periode 
zurück,  die  wesentlichen  Züge  seiner  Umrisse  sind  jedoch  sehr 
jugendlichen  Alters;  Meeresteile,  welche  hier  wirklich  erst  ein 
Mittelmeer  geschaffen  haben,  wie  der  Archipel,  die  Straßen  von 
Pantelleria  und  Gibraltar,  sind  diluvialer  oder  noch  späterer 
Entstehung.  Ed.  Suess,  M.  Neumayr  und  andere  haben  nach- 
gewiesen, daß  hier  die  feste  Erdkruste  von  zahlreichen  Bruch- 
linien durchsetzt  wird,  zu  welchen  die  das  Mittelmeer  in  seiner 
ganzen  Erstreckung  kennzeichnende  vulkanische  und  Erdbeben- 
Tätigkeit  in  engen  Beziehungen  steht.  Das  Mittelmeergebiet 
läßt  uns  wie  wenige  erkennen,  daß  unser  Planet  noch  voll  Leben 
und  Bewegung,  daß  er  noch  weit  von  der  Erstarrung  des  Todes 
entfernt  ist.  Diese  Bruchlinien  haben  die  Umrisse  der  Mittel- 
meerländer bestimmt,  ja  die  Küsten  des  Mittelmeeres  sind,  so 
große  Veränderungen  sich  an  ihnen  selbst  in  der  kurzen  Spanne 
unserer  geschichtlichen  Kenntnis  anderwärts  nachweisen  lassen, 
zum  Teil  noch  als  völlig  frische  Bruchlinien  zu  bezeichnen. 
Dies  gilt  namentlich  von  den  Küsten  Griechenlands,  an  dessen 
Felsgerüst  sich  nur  an  wenigen,  besonders  begünstigten  Stellen 
Neubildungen  von  Land  anzulegen  und  zu  erhalten  vermocht 
haben.  Die  Steilheit  der  Abbruche  und  noch  mehr  die  sich  so 
oft  wiederholenden  Bewegungen  des  Festen  haben  dies  verhindert. 
Da  über  diese  Verhältnisse  von  andrer  Seite  in  allernächster  Zeit 
Untersuchungen  erscheinen  werden,  so  soll  hier  nur  auf  die 
Vorgänge  an  der  peloponnesischen  Seite  des  Golfs  von  Körinth 
hingewiesen  werden.  Diese  bezeichnet  eine  besonders  scharfe, 
steil  in  die  Tiefe  reichende  Bruchlinie.  Die  so  zahlreichen 
kleinen  Flüsse  und  Bäche,  welche  an  Wasser  und  Sinkstoffen 
verhältnismäßig  arm  vom  Hochlande  herabstürzen,  der  Vostitza, 
Buphusia,  Kalavryta,  Akrata  u.  a.,  sind  fast  sämtlich  bemüht, 
ihren  Verhältnissen  entsprechende  Deltas  zu  bauen,  ohne  aber 
dadurch  wesentliche  und  dauernde  Veränderungen  der  Küsten- 
linie herbeizuführen.  Die  der  steilen  Böschung  angelagerten, 
häufig  miteinander  verwachsenden  kleinen  Schuttkegel  erliegen 
früh  oder  spät  meist  den  hier  so  häufigen  und  heftigen  Erdbeben 
—  es  ist  bezeichnend,  daß  auch  in  den  Städten  der  achäischen 
Küste  der  Erderschütterer  Poseidon  besondere  Verehrung  genoß  — , 


Die  Küsten  Griechenlands.  5  j 

sie  werden  von  Spalten  zerrissen,  lösen  sich  vom  Felsgeriiste  ab 
und  gleiten  in  die  Tiefe.  Der  Vorgang  vom  26.  Dezember  1861, 
das  Erdbeben  von  Ägion,  das  Julius  Schmidt  so  eingehend 
untersucht  hat1),  bei  welchem  sich  der  dortige  Schuttkegel  durch 
einen  13  km  langen  und  bis  2  m  breiten  Spalt  vom  Grund- 
gebirge ablöste  und  von  Spalten  durchsetzt  um  1 — 2  m,  in  einem 
äußern  Streifen  selbst  unter  den  Meeresspiegel  senkte,  wird  sich 
öfters  und  gelegentlich  in  größerm  Maßstabe  wiederholen,  wie  es 
schon  aus  frühern  Zeiten  bezeugt  ist.  Der  Untergang  des  nahe 
gelegenen  Helike  im  Jahre  373  v.  Chr.,  die  teilweise  Zerstörung 
von  Skarpheia  am  Südufer  des  Malischen  Busens  und  gewiß 
mancher  andrer  Ortschaft  in  dunklern  Zeiten,  ist  auf  das  ganze 
oder  teilweise  Versinken  solcher  Schuttkegel  zurückzuführen. 

Ähnliche  mehr  oder  weniger  scharfe  und  frische  Bruchlinien 
bestimmen  den  Verlauf  und  Charakter  der  Küsten  des  Nordwest- 
beckens des  Mittelmeeres  und  bedingen  im  wesentlichen  die  mor- 
phologische Einförmigkeit,  welche  auf  der  3000  km  (genau  2950) 
langen  Küstenstrecke  von  der  Meerenge  von  Gibraltar  längs  der 
Küste  Kleinafrikas,  Siziliens  und  Unteritaliens  so  auffällig  hervor- 
tritt. Von  der  Meerenge  bis  zum  Golf  von  Neapel  wiederholt 
sich  nicht  weniger  als  23  mal  die  Form  der  nahezu  halbkreis- 
förmigen, von  zwei  hohen,  steilen,  weit  vorspringenden  Vorgebirgen 
begrenzten  Bucht  von  kleinem  Durchmesser,  der  im  Mittel  30 
bis  35  km  beträgt.  Es  sind  die  Buchten  von  Neapel,  Salerno, 
Policastro,  Santa  Eufemia,  Gioja,  Milazzo,  Patti,  Termini,  Palermo, 
Castellamare,  Tunis,  Biserta,  Bona,  Stora,  Collo,  Bougie,  Algier, 
Tipaza,  Arzeu,  Oran,  Mlila,  Alhucemas  und  Tanger.  Sehr  lehr- 
reich ist,  daß  an  der  andalusischen  Längsbruchküste  solche 
Brandungsbuchten  fehlen!  Je  größer  der  Maßstab  der  benutzten 
Karten  ist,  um  so  größer  wird  die  Zahl  dieser  sich  ins  Endlose 
wiederholenden  halbkreisförmigen  Buchten,  selbst  die  größern 
Golfe  bestehen  ihrerseits  wiederum  aus  kleinern  von  Halbkreis- 
form. Es  handelt  sich  hier  überall  um  Steilküste,  nur  auf  kurze 
Strecken  am  Golf  von  Tunis,  von  Santa  Eufemia  und  Salerno 
tritt  Flachküste  auf.  Und  diese  Steilküste  sinkt  überall  jäh  zu 
großen  Tiefen  hinab,  die  Tiefenlinie  von  200  m  liegt  im  Mittel 
7Y2  km   von    der   Küste,    die   von    1000  m    10  km,    aber    14  km 


1     Studien   über  Erdbeben,    2.  Ausgabe,  S.  68  ff. 


6  2         n,   i.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

vor  der  Hafeneinfahrt  von  Algier  finden  sich  Tiefen  von  2300  m, 
d.  h.  Tiefen,  die  den  größten  des  zentralen  Nordwestbeckens  nahe- 
kommen. Nur  im  Tyrrhenischen  Meere  kommen  Tiefen  vor, 
welche  3000  m  wesentlich  übersteigen. 

Man  vergleiche  die  Küste  von  Mekran,  die,  auch  Längsküste, 
unter  teilweiser  Zertrümmerung  von  äußern  Ketten  und  Bildung 
von  halbkreisförmigen  Buchten,  wie  die  von  Gwadar,  ähnliche 
Verhältnisse  aufweist. 

Die  morphologischen  (und  die  Wind-)  Verhältnisse  dieser 
ganzen  langen  Küstenstrecke  haben  unabänderlich  die  Punkte 
bestimmt,  an  welchen  allein  sich  Seestädte  entwickeln  konnten, 
nämlich  immer  am  westlichen  Eingange  des  Golfes  im  Schutze 
des  westlichen  Vorgebirges.  Derartig  ist  die  Lage  von  Tanger, 
Mlila,  Mers  el  Kebir,  Arzeu,  Algier,  Dellys,  Bougie,  Dschidschelli, 
Collo,  Stora,  Bona,  Biserta,  Porto  Farina,  ja  auch  Utika  und 
Karthago,  Palermo,  Milazzo,  dem  ehemals  wichtigen  Santa 
Eufemia,  Policastro,  Salerno,  Neapel.  Nur  Oran  macht  eine 
scheinbare  Ausnahme,  sein  Emporblühen  beruht  auf  der  natür- 
lichen Festigkeit  seiner  Lage,  der  Fruchtbarkeit  der  Umgebung 
und  der  leichten  Verbindung  mit  dem  Innern,  es  zog  aber  von 
jeher  und  zieht  noch  heute  Vorteil  von  dem  nahen  Mers  el  Kebir, 
dem  Portus  divinus  der  Römer,  wo  die  steil  aufsteigenden  Fel- 
sen keinen  Raum  für  eine  größere  Ansiedelung  lassen.  Die 
Nachbarstädte  von  Palermo,  Termini  und  Castellamare  haben 
trotz  ihrer  in  mancher  Hinsicht  günstigem,  durch  andere  Ver- 
hältnisse bestimmten  Lage  im  Hintergrunde  der  Golfe,  als  See- 
städte nie  eine  Rolle  gespielt.  Namentlich  in  Algerien  sind  die 
Lagenverhältnisse  der  dort  genannten  Seestädte,  auch  in  bezug 
auf  das  Hinterland  so  übereinstimmende,  daß  dieselben  sämtlich 
abwechselnd  nach  Maßgabe  der  politischen  Verhältnisse  eine 
Zeitlang  eine  große  Rolle  gespielt  haben.  Am  schärfsten  prägt 
sich  wohl  diese  gleichmäßige  natürliche  Ausstattung  darin  aus, 
daß  selbst  unter  einer  so  zentralisierten  Verwaltung,  wie  die 
französische  ist,  Oran  und  Bona  lange  Zeit  durchaus  mit  Algier 
zu  wetteifern  vermochten. 

Noch  einmal  kehren  genau  dieselben  Küstenformen  (und 
Windverhältnisse),  wie  hier  an  der  Küste  der  Atlasländer,  an  der 
Südküste  des  Kaplands  wieder,  und  auch  dort  haben  sich,  so- 
weit   die    sonstigen    Verhältnisse    eine    dichtere    Besiedelung   ge- 


Küstenstädte  der  Atlasländer,  Italiens  und  des  Kaplandes.  6  X 

statteten,  die  bedeutendsten  Seeplätze,  wie  Port  Elisabeth,  Aliwal 
und  Simonstown,  genau  an  derselben  Stelle  der  Golfe  entwickelt. 
Besiedelung  und  Verkehr  unterliegen  also  an  diesem  Küstentypus 
ebenso  strengen  geographischen  Gesetzen  wie  an  der  Föhrden- 
küste  der  Ostsee1)  oder  an  der  aufgeschlossenen  Flach- 
küste der  Vereinigten  Staaten,  wo  sämtliche  Häfen,  Savannah, 
Charleston,  Wilmington,  Richmond,  Washington,  Baltimore,  Phila- 
delphia und  New  York  Fluß-  (bzw.  Flußmündungs-)  Häfen 
sind  und  von  Richmond  an  sämtlich  auf  der  Grenze  des  Tertiär 
und  der  laurentischen  Gneißformation  liegen,  d.  h.  da,  wo  festeres 
Gestein  die  Ausweitung  und  Vertiefung  der  Flußmündung  durch 
die  Flut,  unter  Mitwirkung  einer  positiven  Niveauveränderung,  zu 
hindern  beginnt  und  festerer  Boden,  wie  die  Möglichkeit,  den 
Fluß  zuerst  oberhalb  seiner  Mündung  zu  überschreiten,  die  An- 
siedelung begünstigte.  Dem  entsprechend  rücken  die  Seestädte 
je  weiter  nach  Norden,  um  so  weiter  ins  Innere.  Es  möchte 
naheliegen ,  unsern  Küstentypus  als  die  (algerische)  durch 
Brandungsbuchten  aufgeschlossene  Form  der  Steilküste  zu 
bezeichnen.  Die  Buchten  von  Algier  und  Palermo,  beide  fast  voll- 
kommene Halbkreise,  jene  mit  einer  Öffnung  von  15  km  und 
einer  Tiefe  von  6,5  km,  diese  mit  einer  Öffnung  von  14,2  km  und 
einer  Tiefe  von  7,8  km2),  kennzeichnen  die  Form  der  Auf- 
schließung dieser  Steilküste  am  besten,  auch  sind  die  sie  be- 
grenzenden Vorgebirge  Pointe  Pescade  und  Kap  Matifou,  Monte 
Pellegrino  und  Kap  Mongerbino  bekannt  genug.  Es  scheint  mir 
allerdings  richtiger,  derartige  Küstentypen  nach  ihrer  Form  und 
Entstehung,  nicht  nach  ihrem  Vorkommen  zu  benennen,  wie  wir 
Flachküsten,  Steilküsten,  Fjordküsten,  Haff  küsten  etc.  unterscheiden, 
doch    vermag    ich    für   jetzt    keinen    bessern    Ausdruck    für    diese 


1)  Es  lassen  sich  an  der  deutschen  Ostseeküste  drei  wesentlich  ver- 
schiedene scharf  gekennzeichnete  Küstentypen  unterscheiden :  die  Föhrden- 
küste,  die  Boddenküste  (von  der  Neustädter  Bucht  bis  zur  Oder-Mündung) 
und  die  Haffküste. 

2)  Alle  Messungen  und  Untersuchungen,  die  hier  angeführt  werden,  sind 
auf  Grund  des  kartographischen  Urmaterials  vorgenommen,  also  hier  zunächst 
auf  den  französischen  Küstenkarten  von  Algerien  in  1  :  100 000,  die  auf  den 
Aufnahmen  des  Admiral  Mouchez  von  1867 — 73  beruhen,  Blatt  3412,  3483, 
32,9.  3234,  3202,  3030  und  3405,  sowie  auf  den  italienischen  topographischen 
Karten  in    1  :  25000,   I  :  50000  und   1  :  100 000. 


6 a         II,    i.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

halbkreisförmig  aufgeschlossene  Steilküste    vorzuschlagen  als  etwa 
gebuchtete  Abrasionsküste. 

Nach  Ed.  Suess,  der  es  so  meisterhaft  versteht,  das  Antlitz 
der  Erde  von  einem  erhöhten  Standpunkte  aus  zu  betrachten  und 
uns  seine  Züge  zu  enträtseln,  haben  wir  hier  eine  große  Bruch- 
linie zu  sehen,  eine  Linie,  längs  welcher  die  kristallinische  Mittel- 
zone des  Apennin  und  des  Atlas  bis  auf  geringe,  an  gewissen 
Punkten  der  Küste  anstehende  Reste  in  die  Tiefen  des  Mittel- 
meeres hinabgesunken  ist  (und  vielleicht  noch  heute,  namentlich 
an  der  südöstlichen  Ausbuchtung  des  Tyrrhenischen  Meeres,  im 
Hinabsinken  begriffen  ist).  Die  fortgeschrittene  geologische  Er- 
forschung des  Apennin  und  Atlas  lassen  eine  auffällige  Über- 
einstimmung im  Bau  beider  erkennen.  „Es  wiederholt  sich  süd- 
wärts gewendet  in  Nordafrika  der  Bau  des  Apennin"1).  Auch 
hier  ist  wie  an  der  innern,  dem  Tyrrhenischen  Meere  zugekehrten 
Seite  der  Apenninen  der  Gürtel  der  kristallinischen  Felsarten 
bis  auf  wenige  Reste  eingebrochen,  und  das  gefaltete  Gebirge 
landeinwärts  gestaut,  auch  hier  bezeichnen  vulkanische  Gesteine 
die  Gürtel  der  Einbrüche.  Die  ganze  innere  Seite  Italiens  ist 
von  der  Insel  Capraja  an,  von  welcher  das  Trachytvorkommen 
von  Campiglia  nördlich  von  Populonia  und  das  Basaltvorkommen 
bei  Piombino  die  Verbindung  mit  dem  Monte  Amiata  herstellt, 
sei  es  auf  dem  Festlande,  sei  es  auf  den  vorgelagerten  Inseln 
bis  Ustica,  von  noch  tätigen  oder  erloschenen  Vulkanen  begleitet 
und  ein  Gebiet  häufiger,  heftiger  Erdbeben.  Ganz  ähnlich  treten 
am  Nordrande  der  Atlasländer,  sei  es  an  der  Küste,  sei  es  auf 
den  vorgelagerten  kleinen  Inseln2)  von  Linosa  und  Pantelleria, 
welche,  weder  zu  Afrika  noch  zu  Europa  gehörig,  sich  mitten  in 
der   Sizilien   von   Afrika   trennenden   Bruchlinie    erheben,   bis   zur 


i)  Ed.  Suess,  Das  Antlitz  der  Erde.     Leipzig   1883.     I,  S.  297. 

2)  Nur  die  vielumstrittene  Galitagruppe  besteht  doch  wohl  nicht  aus 
vulkanischem  Gestein,  sondern  nach  Arthur  Issel  aus  Granit,  neben  welchem 
Quarzite  und  Schiefer,  vielleicht  silurischen  Alters,  und  quartäre  Bildungen 
auftreten  (vgl.  Guido  Coras  Cosmos,  Vol.  VI,  1880,  p.  383,  und  Tafel  X. 
Velain  dagegen  (Comptes  rendus  de  l'Academie  des  sciences,  Bd.  78,  1874, 
p.  70)  erklärt  Galita  für  vorzugsweise  aus  eigentümlichen  Trachyten  aufgebaut. 
Die  französischen  Offiziere  Lt.  de  Galbert  und  Cpt.  Perret  haben  die  Gruppe 
1900  topographisch  aufgenommen  und  ersterer  sie  eingehend,  aber  ohne 
Förderung  des  Verständnisses  ihres  geologischen  Aufbaus  geschildert:  L'ile 
de  la  Galite.     Grenoble   1904. 


Die  innere  Abbruchsküste  Italiens  und  der  Atlasländer.  5- 

Meerenge  allenthalben  vulkanische  Gesteine  hervor.  Und  auch 
hier  haben  wir  häufige  Erdbeben,  welche  fast  ausnahmslos  der 
Küste  folgen.  Da  diese  Tatsache  doch  nicht  so  ganz  allgemein 
bekannt  sein  dürfte,  namentüch  auch  bei  den  Bauten  der  Fran- 
zosen in  Algier  in  gefährlicher  Weise  mißachtet  erscheint,  so 
will  ich  nur  an  einige  heftigere  Erdbeben  der  allerneuesten  Zeit 
erinnern,  wie  das  von  1848,  welches  Mlilla  stark  beschädigte, 
das  vom  21.  und  22.  August  1856,  welches  Dschidschelli  zer- 
störte und  auch  Bougie  und  einige  andre  Küstenstädte  beschä- 
digte, das  Erdbeben  von  Tunis  am  14.  September  1863,  das 
von  Blidah  am  2.  Januar  1867,  das  von  Algier  und  Cherchell 
am  28.  März  und  11.  April  1874,  das  von  Tenes  am  2.  und 
25.  März  1880,  welche  letzteren  beiden  auch  das  Cheliftal  be- 
rührten. Ein  zweiter  Gürtel  längs  der  Küste,  welcher  aber  auch 
die  Galitagruppe  und  die  kleine  Insel  Plane  westlich  von  Oran 
angehört,  besteht  aus  altern  Felsarten,  Gneiß,  älterm  Granit, 
Glimmer-  und  Tonschiefer  mit  Lagen  von  körnigem  Marmor. 
Nur  insofern  zeigt  sich  ein  gewisser  Unterschied,  als  sich  an  der 
Küste  der  Atlasländer  nicht  wie  in  Italien  die  auf  einer  Haupt- 
spalte liegenden  kesseiförmigen  Einstürze,  welche  bogenförmig  in 
das  Gebirge  eingreifen,  unmittelbar  aneinanderreihen,  sondern 
daß  die  Bruchlinie  auf  weite  Strecken  glatt  verläuft  und  dann 
die  Küste,  wie  z.  B.  zwischen  den  Golfen  von  Algier  und  Bougie 
auf  185  km,  den  Anblick  einer  mehrere  hundert  Meter  hohen 
geschlossenen  Mauer  bietet.  Doch  haben  wir  zwischen  den 
Golfen  von  Santa  Eufemia  und  Policastro  ein  ähnliches  Küsten- 
stück. E.  Suess1)  meint  namentlich  die  Bucht  von  Algier  als 
einen  Einsturzkessel  und  die  dieselbe  begrenzenden  Vorgebirge 
ähnlich  der  Halbinsel  von  Sorrent  mit  der  Insel  Capri  als  Horste 
auffassen    zu  müssen.     Daß  auch    an    der  Küste   der   Atlasländer 


I)  Außer  den  schon  von  Ed.  Suess  benutzten  Quellen,  und  Tchihatchef, 
Spanien,  Algerien  und  Tunis,  deutsche  Ausgabe  Leipzig  1882,  habe  ich 
namentlich  die  neue  vorläufige  geologische  Karte  von  Algerien  von  Tissot, 
Pomel  und  Pouyanne,  5  Bl.  in  I  :  800000,  Algier  1881,  und  den  dazu  ge- 
hörigen Texte  explicatif  de  la  carte  geologique  provisoire,  2  Bände,  Algier 
1881  und  1882,  verwertet.  Dazu  die  neuen  Blätter  der  geologischen  Karte 
von  Algerien  in  1  :  100000  mit  Erläuterungen,  besonders  Carte  geologique 
detaillce  Bl.  Alger  bis  bearbeitet  von  E.  Ficheur,  Alger  1904.  Auch  die 
Küstenkarten   in    I  :  IOOOOO  sind  benüUt. 

Fischer,  Mittelraeerbilder.     Neue  Folge.  5 


66        n,   I.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

manche  dieser  halbkreisförmigen  Buchten  dieser  Entstehung  sind, 
ist  wahrscheinlich,  doch  wird  sich  für  nicht  wenige  eine  andere 
Entstehungsweise  annehmen  lassen,  und  daß  wohl  alle  die  eigen- 
tümliche gleichmäßige  Form,  in  welcher  sie  uns  jetzt  entgegen- 
treten, den  gleich  näher  zu  kennzeichnenden  Vorgängen  und 
Kräften  verdanken,  ist  kaum  zweifelhaft. 

A.  v.  Lasaulx1)  hat  gezeigt,  daß  die  Fjorde  im  südwestlichen 
Irland  wesentlich  als  Wirkung  der  Brandung  anzusehen  sind, 
welche  (weniger  durch  den  Golfstrom,  als  vielmehr  durch  die 
vorherrschenden  und  häufig  sehr  stürmisch  auftretenden  Südwest- 
winde hervorgerufen)  die  zwischen  von  SW  nach  NO  streichenden 
Wällen  von  Old  Red  Sandstone  gelagerten  Kohlenkalkmulden, 
das  leichter  verwitterbare  Gestein  zwischen  widerstandsfähigerm 
herausgenagt  hat.  Ähnliche  Verhältnisse  haben  auch  bei  der 
Herausbildung  unsres  Küstentypus  mitgewirkt.  Zunächst  möchte 
ich  auf  die  Tatsache  hinweisen,  daß  in  Algerien,  welches  Land 
allein  bis  jetzt  hinreichend  geologisch  erforscht  ist,  die  zahlreichen 
weit  vorspringenden  Vorgebirge  aus  alten  kristallinischen  Felsarten, 
Gneißen,  Graniten,  Schiefern,  die  als  feinkörnig  und  fest  be- 
zeichnet werden,  oder  aus  Jüngern  Eruptivgesteinen,  besonders 
Basalt,  ausnahmsweise  auch  aus  hartem,  kompaktem  Nummuliten- 
kalk  bestehen,  während  in  den  Buchten  mioeäne  Mergel,  plioeäne, 
grobe,  schlecht  verkittete  Sandsteinkonglomerate  und  Sandsteine, 
kurz  weichere,  jüngere  Felsarten  anstehen,  welche  augenscheinlich 
den  zerstörenden  Kräften  des  Luftkreises  und  der  Brandung 
leicht  unterliegen.  Dunkle  Glimmerschiefer,  begleitet  von  Ton- 
schiefer und  Jüngern  Granitgängen,  bilden  die  Vorgebirge  von 
Cutha  und  Kap  Negro  südlich  davon,  ähnliches  gilt  von  dem 
weit  vorspringenden  Ras  ed  Deir;  an  vielen  Küstenpunkten  der 
Provinz  Oran  treten  granitische  Gesteine  auf,  und  ein  größeres 
Granitgebiet  (wohl  palaeozoisch)  liegt  bei  Nedroma  nahe  der  Küste. 
In  der  Nähe  der  Tafna-Mündung  bilden  Basalte  eine  an  einem 
Punkte  bis  560  m  hohe  Steilküste  bis  zur  Bucht  von  Beni  Saf. 
Auch  das  Inselchen  Rachgun  ist  der  Rest  eines  alten  Vulkans. 
Von  Beni  Saf  an  hat  die  Brandung  alte  Schiefer  bloßgelegt,  die 
auch  das  272  m  hohe  Kap  Ulhassa  bilden,  ebenso  wie  Kap  Lindes 

1)  Aus  Irland,  Reiseskizzen  und  Studien,  Bonn  1877,  S.  87  ff.  Wir 
rechnen  diese  Küste  jetzt  zu  den  Riasküsten  und  schreiben  die  Herausbildung 
dieser  spitz  zulaufenden  Rias  in  erster  Linie  den  Gezeiten  zu. 


Die  Küste  von  Algerien.  5  7 

und  Falcon,  während  von  Kap  Figalo  bis  zur  Mündung  des  Wed 
Madar  vulkanische  Gesteine  steile,  am  Dj.  Tuila  371m  hohe  Wände 
bilden.  In  pliocäne,  schlecht  verkittete  Konglomerate,  Sandsteine 
und  Sande  ist  die  kleine  Bucht  von  Honein,  östlich  von  Nemours, 
eingeschnitten,  während  die  benachbarten  Vorgebirge  Tarca  und 
Noe  mit  ihren  100  m  hohen,  fast  senkrechten  Wänden  aus  mäch- 
tigen, häufig  als  Marmor  auftretenden  Kalksteinschichten  des  untern 
Jura  bestehen.  Die  gleichen  leicht  zerstörbaren  Felsarten  umschließen 
die  innern  Buchten  von  Oran  und  von  Arzeu.  Sehr  lehrreich  ist 
das  Küstenstück  vom  Golf  von  Arzeu  bis  zum  Kap  Sidi  Ferruch; 
geringer  Wechsel  der  Formationen  und  Felsarten  fällt  dort  mit 
geringer  Gliederung  der  Küste  zusammen.  Dies  300  km  lange 
Küstenstück  bildet  auf  lange  Strecken  eine  den  normannischen 
Falaises  ähnliche,  gelegentlich  beträchtlich  höhere  Steilküste,  die 
an  vorgelagerten  Klippen  und  kleinen  Felsinseln  besonders  reich 
ist.  Von  Mostaganem  bis  Tenes  wird  diese  Küste  von  miocänen 
Mergeln  und  Tonen  gebildet,  die  leicht  und  gleichmäßig  der 
Zerstörung  unterliegen,  von  da  bis  zum  Kap  Chenoua,  östlich 
von  Cherchel,  aus  mergeligen  Kalksteinen  der  obern  Kreide. 
Die  ostwärts  von  Kap  Chenoua  einschneidende  flache  Bucht 
von  Tipaza  ist  wiederum,  wie  die  von  Honein,  von  Oran,  von 
Arzeu  in  pliocäne,  schlecht  verkittete  Konglomerate  und  Sand- 
steine eingeschnitten,  deren  steiler  Abbruch  allenthalben  die 
Meereserosion  erkennen  läßt.  Auf  dieser  ganzen  Küstenstrecke 
wird  nur  durch  die  zwei  Vorgebirge  von  Tenes  und  Chenoua 
die  Einförmigkeit  gemildert,  und  es  ist  daher  sehr  bezeichnend, 
daß  diese  2-  bis  300  m  hoch  mit  steilen  Wänden  ansteigenden, 
zu  jeder  Jahreszeit  von  heftiger  Brandung  umtobten  Vorgebirge 
aus  sehr  hartem,  kompaktem  Nummulitenkalk  bestehen,  der  am 
Kap  Chenoua  marmorartig  auftritt  und  als  solcher  ausgebeutet 
wird.  Die  Ilalbinselvorsprünge  von  Mers  el  Kebir  und  von 
Arzeu  bestehen  aus  festen  (wohl  palaeozoischen)  Schiefern,  die- 
jenigen, welche  im  Westen  wie  im  Osten  die  Bucht  von  Algier 
begrenzen,  vorherrschend  aus  kristallinischen  Kalken  wohl  palaeo- 
zoischen Alters  (Ficheur)  und  Glimmerschiefern,  während  an  der 
Bucht  südöstlich  von  Algier  tertiäre  Sandsteine,  Konglomerate, 
Tone  und  Mergel  auftreten,  also  ganz  wie  an  den  genannten  west- 
lichem Buchten  und  an  den  östlichen  von  Bougie  und  Bona.  Die 
Ebenen,    wie  die   Mitidja,    die   Chelifebene,    die  um  den   Salzsee 


68         II,    i.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

von  Oran  sind  nicht  etwa  Deltabildungen,  eben  erst  ausgefüllte 
und  noch  in  Ausfüllung  begriffene  Buchten,  ihre  Entstehung  reicht 
vielmehr  in  die  Pliocänzeit  zurück.  Die  Mitidja  ist  ein  pliocäner 
Meeresgolf,  dann  durch  Bildung  des  Sahel  vom  Meere  getrennt 
ein  erst  allmählich  aufgefüllter  in  den  letzten  Resten  jetzt  künst- 
lich entwässerter  See.  Sie  besteht  meist  aus  gerollten  Kieseln 
jeder  Größe,  die  nur  selten  zu  einem  Konglomerat  zusammen- 
gebacken und  von  einem  gelblich  grauen  Schlamme  bedeckt 
sind:  ältere  und  jüngere  Alluvionen.  Auch  reichen  diese  Ebenen, 
soweit  sie  dieser  Entstehung  sind,  nirgends  oder  nur  in  sehr 
schmalen  Streifen  bis  ans  Meer,  sie  sind  vielmehr  durch  ältere 
(miocäne  und  Buzarea-Massif)  Formationen  von  demselben  ge- 
trennt, so  daß  die  heutigen  Golfe  durchaus  nicht  als  Reste  ehe- 
mals größerer  angesehen  werden  können.  Auch  Dünen  kommen 
an  diesen  Buchten  wohl  vor,  sind  aber  nie  von  irgendwelcher  Aus- 
dehnung, eben  weil  der  flache,  sandige,  zeitweilig  trocken  liegende 
Strand  fehlt.  Auch  das  geschichtlich  bedeutsame,  weit  vor- 
springende Kap  Sidi  Ferruch,  westlich  von  Algier,  besteht  aus 
faserigem  Granit  und  Glimmerschiefer,  Kap  Djinet,  östlich  von 
Algier,  aus  Basalt.  Die  gewaltige  Gneiß-  und  Granitmasse  am 
Nordhange  des  Dschurdschura  tritt  bei  Bougie  nahe  ans  Meer 
heran,  die  völlig  geschlossene  und  unnahbare  Steilküste  zwischen 
Dellys  und  Bougie  besteht  ganz  aus  Nummulitenkalk-  und  Sand- 
steinen, der  Gebirgssporn ,  in  dessen  Schutze  Bougie  liegt,  und 
das  Kap  Carbon  bestehen  aus  festen  Jurakalksteinen.  Das  die 
Bucht  von  Bougie  an  der  Ostseite  begrenzende  Kap  Cavallo  besteht 
aus  einer  Gruppe  hoher  Kegelberge  tertiärer  Granite,  die  durch 
tiefe  Schluchten  voneinander  getrennt  sind.  Einige  vorgelagerte 
Klippen  zeugen  von  der  vorsichgehenden  Zerstörung.  Von 
Dschidschelli  ostwärts,  wo  das  Teil  meist  aus  kristallinischen 
Felsarten  besteht,  zeigt  sich  wiederum  auffallend,  daß  der  große 
Numidische  Golf  mit  seinen  Buchten  von  Collo  und  Philippeville 
von  zwei  mächtigen,  aus  festen  Felsarten  bestehenden  Pfeilern 
begrenzt  wird,  der  Halbinsel  von  Collo,  die  am  Kap  Bougaroni 
(die  sieben  Kaps)  mit  ihren  Granit-  und  Quarzporphyrwänden 
steil  zu  großen  Meerestiefen  hinabstürzt  und  bei  einer  Höhe  von 
ii  86  m  aus  Granit  und  Jüngern  Eruptivgesteinen  aufgebaut  ist, 
und  dem  ebenfalls  aus  Granit  und  kristallinischem  Schiefer  be- 
stehenden fast  insularen  Dschebel  Edough,  der  nach  Westen  das 


Die  Küste  von  Algerien.  6ü 

nach  dem  Eisengehalt  seiner  eruptiven  Felsmassen  benannte  Cap 
de  Fer  vorstreckt.  An  der  Ostseite,  bei  Bona  und  namentlich 
am  Cap  de  Garde,  fallen  die  deutlich  geschichteten  Gneiß-  und 
Glimmerschiefer  in  Winkeln  von  60 — 80  °  nach  SO  ein.  Das 
breite  Vorgebirge  Filfila  (Felfelah) ,  welches  die  Bucht  von 
Philippeville  in  zwei  Unterabteilungen  scheidet,  besteht  aus  ver- 
schieden gefärbtem,  feinkörnigem  und  höchst  wertvollem  Marmor, 
der  schon  von  den  Römern  ausgebeutet  wurde;  das  Kap  Rosa, 
am  östlichen  Eingange  des  Golfs  von  Bona,  wiederum  aus  20 
bis   30  m  hohen  Felswänden  aus  Nummulitenkalk. 

Wir  sehen  also,  daß  an  der  ganzen  Küste  von  Algerien  die 
Buchten  in  leichter  zerstörbare  Felsarten  eingeschnitten  sind, 
während  die  Vorgebirge  aus  den  festesten,  widerstandsfähigsten 
bestehen.  Es  kommt  nun  noch  ein  zweiter  Umstand  hier  in 
Betracht:  das  Küstengebiet  von  Algerien  ist  ein  vielfach  gestörtes, 
an  Verwerfungen,  Verschiebungen,  Spalten  und  Bruchlinien 
reiches,  wie  die  geologische  Durchforschung  an  vielen  Punkten 
festgestellt  hat,  und  neuerdings  auch  Tchihatchef  bezeugt.  Die 
Schichten  sind  an  vielen  Punkten  stark  aufgerichtet  und  ihr 
Streichen  nahezu  senkrecht  auf  der  Küstenrichtung,  so  daß  also 
bei  dem  Vorhandensein  von  Spalten  und  Brüchen  und  bei  dem 
Wechsel  härterer  und  weicherer  Felsarten  der  Brandungswelle 
sich  allenthalben  Punkte  zu  erfolgreichem  Angriff  boten.  Noch 
bis  in  die  nächste  geologische  Vergangenheit  muß  hier  die 
feste  Erdrinde  großen  Bewegungen  unterworfen  gewesen  sein, 
denn  selbst  die  jüngsten  Ablagerungen,  wie  in  der  Mitidja  und 
in  der  Chelifebene,  haben  noch  Störungen  erlitten.  Eine  Unter- 
suchung in  dieser  Richtung  ergibt,  daß  an  der  Küste  von  Algerien 
das  Vorkommen  der  halbkreisförmigen  Buchten  gebunden  ist 
nicht  nur  an  raschen  Wechsel  der  Formationen  und  Felsarten, 
sondern  auch  an  Gebiete  eng  mit  jenen  zusammenhängender 
großartiger  Schichtenstörungen.  Einförmigkeit  der  geologischen 
und  tektonischen  Verhältnisse  prägt  sich  dagegen  auch  in  der 
Einförmigkeit  der  Küstenumrisse  aus. 

Daß  die  Küste  von  Algerien  allenthalben  vom  Meere  ange- 
griffen wird,  dafür  liegen  zahlreiche  Zeugnisse  vor.  Es  zeugen 
dafür  die  zahlreichen  vor  der  Küste  liegenden  Inselchen  und 
Klippen,  die  auf  weite  Strecken  überhängenden  und  von  zahl- 
losen,   geräumigen    Grotten    durchbohrten    Felswände,    vor    allem 


70         II,    i.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

aber  auch  die  Hafenbauten  der  Römer  und  der  Franzosen. 
Diese  Grotten  sind  meist  von  Scharen  von  Tauben  bewohnt, 
oft  aber  sind  sie  so  groß,  daß  die  Fischer-  und  Zollboote  darin 
Unterkommen  finden.  Von  den  Hafenbauten  der  Römer  sind 
heute,  wie  ähnlich  von  den  mittelalterlichen  der  Genuesen  an 
der  Südküste  des  Schwarzen  Meeres,  kaum  noch  Spuren  vor- 
handen, wenn  sie  nicht,  wie  das  kleine  Hafenbecken  von  Cherchel, 
in  den  Felsen  gehauen  waren.  Von  dem  gewaltigen  Felsdamm, 
durch  welchen  die  Römer  der  alten  Julia  Caesarea  einen  Vor- 
hafen geschaffen  hatten,  ist  trotz  der  Lage  an  einer  ziemlich 
geschützten  Bucht  nichts  als  ein  stark  brandender  unterseeischer 
Trümmerhaufen  übriggeblieben.  Die  mit  großen  Kosten  aufge- 
führten Hafendämme  der  Franzosen1)  können  da,  wo  sie  ohne 
natürlichen  Schutz  im  Hintergrunde  der  Buchten,  wie  bei  Philippe- 
ville  und  Oran,  errichtet  worden  sind,  nur  mit  Mühe  erhalten 
werden,  jeder  Sturm  richtet  Zerstörungen  an,  und  sie  gewähren 
den  Schiffen  nur  wenig  Schutz.  Die  riesige  Brandung  schlägt 
über  die  Hafendämme  und  zertrümmert  sie  mitsamt  den  Schiffen, 
die  hinter  ihnen  Schutz  suchen.  Von  Landbildung,  Anschwem- 
mung, Landfestwerden  von  Inseln  ist  an  dieser  ganzen  Küste 
(außer  an  der  Westseite  des  Golfs  von  Tunis)  keine  Rede,  nur 
der  Chelif  hat  vermocht,  ein  sehr  kleines,  noch  nicht  3Y2  qkm 
großes  Delta  der  Küste  anzulagern,  an  welcher  ausnahmsweise 
die  ioo  m-Linie  fast  10  km  entfernt  liegt.  Auch  anderwärts  an 
der  Küste  von  Nordafrika  müssen  wir  der  Brandung  bei  den  in 
historischer  Zeit  nachweisbaren  Veränderungen  große  Bedeutung 
zuschreiben.  Daß  in  Barka  z.  B.,  wo  ich  allerdings  nach  wie 
vor  auch  eine  positive  Niveauverschiebung  meine  annehmen  zu 
müssen,  daneben  oder  besser  infolge  davon  auch  die  Brandung 
die  aus  jungtertiären  Schichten  bestehende  Küste  um  so  erfolg- 
reicher angreift,  lassen  die  Vorgänge  bei  Bengasi  nicht  mehr  be- 
zweifeln. Die  bei  Tripolis  eingetretenen  Veränderungen  lassen 
sich  jedoch  vollkommen  auf  letztere  Ursache  zurückführen.  Schon 
Leo  Africanus  berichtet  im  Anfang  des  1 6.  Jahrhunderts  von  der 
dort  wirksamen  Meereserosion,  welche  die  Stadt  zurückweichen 
machte,    und  Admiral  Beechey  empfing  zu   Anfang  des   19.  Jahr- 


I)  Für  diese  Fragen  ist  benutzt:  Mouchez,  Instructions  nautiques  sur 
les  cötes  de  PAlgerie,  Paris  1879,  und  Mouchez,  La  cote  et  les  ports  de 
l'Algerie,  au  point  de  vue  de  la  colonisation.     Paris   1881. 


Stürme  an  der  Küste  der  Atlasländer. 


71 


hunderts  den  gleichen  Eindruck.  G.  Rohlfs  hält  freilich  an  einem 
raschen  Sinken  des  Landes  fest.  Er  führt  an,  daß  man  vor 
30  Jahren  noch  außerhalb  der  Stadtmauer  am  Strande  entlang 
gehen  konnte,  was  jetzt  das  Meer,  dessen  Wellen  an  den  Mauern 
emporschlagen,  nicht  mehr  erlaubt,  ja  er  behauptet,  daß  inner- 
halb eines  Jahres,  1878  bis  187g,  nach  seinen  Beobachtungen 
das  Meer  sehr  bedeutende  Fortschritte  gemacht  habe.  Da  ich 
selbst  Gelegenheit  gehabt  habe,  die  sogar  längere  Zeit  und  in 
gewissen  Perioden  sehr  verschiedenen  Wasserstände  an  den 
Küsten  des  Mittelmeeres  zu  beobachten,  so  möchte  ich  derartigen 
einmaligen  Beobachtungen  kein  großes  Gewicht  beilegen.  Auch 
Malta  verkleinert  sich  lediglich  unter  dem  Anprall  der  Wogen, 
nur  darauf  sind  die  an  steiler  Felswand  endenden  Karrenspuren 
zurückzuführen. 

Daß  an  der  ganzen  Nordküste  von  Afrika  einen  großen  Teil 
des  Jahres  eine  bedeutende  Brandung  herrschen  muß,  ergibt 
sich  sofort  aus  den  dortigen  Erwärmungs-,  Luftdruck-  und  Wind- 
verhältnissen, über  welche  uns  der  beste  Kenner  derselben,  Ad- 
miral  Mouchez,  gründlichen  Aufschluß  gibt.  Es  herrschen  an 
der  Küste  von  Algerien  nahezu  sieben  volle  Monate  Winde  aus 
dem  vierten  Quadranten,  namentlich  NW  und  N,  beide  treten 
häufig  stürmisch  und  verheerend  auf.  Man  bezeichnet  letztere 
Windrichtung  geradezu  sprichwörtlich  als  den  „Zimmermann  von 
Majorka",  weil  dann  gewöhnlich  der  Strand  und  die  Häfen  mit 
Schiffstrümmern  bedeckt  werden1).  Ein  einziger  solcher  Nord- 
sturm vernichtete  im  Januar  1835  sämtliche  (11)  in  die  Bucht 
von  Bougie  geflüchteten  Schiffe,  ein  andrer  im  Februar  desselben 
Jahres  überschüttete  die  Magazine  auf  den  Molen  von  Algier, 
vernichtete  18  Schiffe  im  Hafen  selbst  und  beschädigte  5  andre 
schwer;  1841  wurden  sämtliche  auf  der  scheinbar  so  sichern 
Reede  von  Stora  liegenden  Schiffe,  auch  ein  Kriegsschiff,  ver- 
nichtet, und  1854  blieben  von  29  dort  liegenden  Schiffen  nur 
7  unverletzt;  die  50  m  hohe  Felseninsel  Srigina  wird  oft  völlig 
von  den  Wogen  verhüllt.  Nach  amtlicher  Schätzung  von  1856, 
d.  h.  in  einer  Zeit,  wo  der  Verkehr  hier  noch  sehr  gering  war, 
betrug  der  jährlich  durch  Schiffbruch  allein  auf  der  Reede  von 
Stora  erlittene  Verlust    1 l/2  Millionen  Franken.      Noch  im  Winter 

1)  Schon  der  englische  Admiral  -Smyth   zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
kennt  diese  Bezeichnung. 


y2         II,    I.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

von  1878  wurden  im  Hafen  von  Philippeville  hinter  Dämmen, 
welche  15  Millionen  Franken  gekostet  haben,  5  Schiffe  zerschellt. 
Gleichen  Gefahren  ist  auch  der  Golf  von  Tunis  ausgesetzt,  in 
welchem  ebenfalls  wiederholt  ganze  Flotten  durch  plötzlich  herein- 
brechende Stürme  vernichtet  worden  sind.  Selbst  im  Sommer 
und  bei  schönem  Wetter  tobt  an  einzelnen  Küstenpunkten,  wie 
z.  B.  Kap  Tenes,  untertags  häufig  eine  außerordentlich  heftige 
Brandung,  nur  durch  die  regelmäßige,  sommerliche  nordöstliche 
Brise  hervorgerufen,  das  Meer  löst  sich  in  weißen  Schaum  auf, 
und  kein  Schiff  könnte  sich  unter  Segel  gegen  diesen  Wind 
halten.  Fast  an  der  ganzen  Küste  ist  auch  im  Sommer  das 
Landen  nur  in  wenigen  geschützteren  Buchten  und  in  den  künst- 
lichen Häfen  möglich.  Auch  die  Fischerei  wird  an  der  ganzen, 
meist  sehr  fisch-  und  korallenreichen  Küste,  namentlich  des  west- 
lichen Algerien,  durch  die  häufigen  heftigen  Stürme  und  die 
Strömung  erschwert;  Thunfischereien  anzulegen  ist  nur  an  wenigen 
Punkten  möglich  gewesen.  Nur  an  einem  Punkte  an  der  Mün- 
dung der  Wed  Oubay,  nahebei,  südöstlich,  von  Dellys,  ist  die 
Anlegung  von  Salzgärten  möglich  gewesen x).  Auch  der  Mangel 
an  Ankergrund  bei  den  großen  Tiefen  macht  die  Küste  unnahbar, 
und  so  sehen  wir,  daß  dieselbe  auf  ungeheure  Strecken  unbewohnt 
und  unbebaut  ist,  man  im  Vorüberfahren  nur  hier  und  da  das 
Feuer  eines  einsamen  Hirten  erblickt,  und  sich  die  Bewohner 
auf  den  wenigen  begünstigteren  Küstenpunkten  zusammendrängen. 
Auf  eine  Strecke  von  334  km  entbehrt  z.  B.  die  Küste  zwischen 
Oran  und  Algier  jeder  natürlichen  Zufluchtsstätte.  So  ist  die 
geringe  Sicherheit  und  Zugänglichkeit  der  Küste  ein  schweres 
Hindernis  der  Entwicklung  des  Landes.  Selbst  die  wenigen 
natürlichen  Reeden,  die  gegen  W,  zum  Teil  auch  gegen  NW 
geschützt  sind,  sind,  wie  die  oben  angeführten  Unfälle  zeigen, 
weit  weniger  sicher,  als  man  auf  den  ersten  Blick  glauben  möchte, 
denn  auch  dort  ist  das  Meer  beständig  bewegt,  weil  die  um  das 
Vorgebirge  hereinkommenden  Wellen  (und  Strömung)  den  von 
der  Südostseite  der  Bucht  zurückgeworfenen  begegnen.  Selbst 
der  geringste  Sturm,  welcher  auf  dem  Golfe  du  Lion  ausbricht, 
ruft,    auch  wenn   er   die   Küste   von    Algerien   gar   nicht   erreicht, 


1)  Wenn  sie  überhaupt  noch  bestehen,  müssen  sie  von  so  geringer 
Ausdehnung  sein,  daß  ich  sie  1906,  wo  ich  zweimal  dicht  an  ihnen  vorbei 
gekommen  bin,  nicht  gesehen  habe! 


Stürme  und  Strömungen   an  der  Küste  der  Atlasländer.  n  -j 

dort  heftige  Brandung  hervor.  Meist  kann  man  sich  dieser  Küste 
nur  bei  ganz  ruhigem  Wetter  ungefährdet  nähern,  aber  auch 
dann  drohen  die  dieselben  kennzeichnenden  Nordstürme,  die  meist 
urplötzlich  hereinbrechen,  beständig  Gefahr.  Einzelne  Vorgebirge 
sind  fast  zu  jeder  Zeit  so  umstürmt,  daß  ihnen  die  Schiffer  ähn- 
lich wie  dem  Ras  Addär,  dem  treulosen  Vorgebirge,  von  den 
Europäern  schmeichelnd  Kap  Bon  genannt,  Namen  wie  Teufels- 
spitze, Tolle  Spitze,  Verfluchtes  Kap  u.  a.  beigelegt  haben. 
Diese  Verhältnisse  sind  es,  welche  die  Bewohner  dieser  Küsten 
im  Altertum  instand  setzten ,  sie  erst  so  spät  Griechen  und 
Römern  bekannt  werden  und  später  wieder  in  Dunkel  versinken 
zu  lassen,  so  daß  die  Rifküste  heute  noch  zu  den  wenigst  be- 
kannten Küsten  der  Erde  gehört.  Ein  vom  Lande  wie  von  der 
See  schwer  zugängliches  Küstengebiet  nahe  einer  vielbefahrenen 
Meerstraße,  das  sind  die  günstigsten  Bedingungen  zur  Entwick- 
lung der  Seeräuberei.  Eben  diese  Verhältnisse,  namentlich  die 
so  häufig  und  plötzlich  hereinbrechenden  Nordstürme,  haben  die 
zahlreichen  Versuche  europäischer  Mächte  —  es  sei  nur  an 
Karls  V.  Unternehmen  gegen  Algier  1 541  erinnert  — ,  diesem 
Unwesen  zu  steuern,   scheitern  gemacht. 

Es  ist  daher  sehr  auffallend,  daß  die  Franzosen  erst  sehr 
spät,  und  nachdem  sie  schweres  Lehrgeld  hatten  zahlen  müssen, 
begonnen  haben,  Häfen  anzulegen,  zum  Teil  aber  nach  Mouchez' 
Ansicht  an  Küstenpunkten,  wo  sie  ihren  Zweck  nie  völlig  zu  er- 
füllen vermögen  und  steter  Gefahr  ausgesetzt  sind.  Namentlich 
gilt  dies  von  den  im  Hintergrunde  der  Buchten  angelegten  Häfen 
von  Oran  und  Philippeville,  in  welchen  die  Schiffe  nie  völlig 
sicher  sind  und  Segler  nur  bei  ruhigem  Wetter  einlaufen  können, 
die  auch  sofort  beim  Erlahmen  der  Wachsamkeit  dem  Schicksale 
des  Hafens  von  Tenes  erliegen  werden,  dessen  auf  eine  kleine 
Felsinsel  gestützte  Dämme  noch  vor  der  Vollendung  vom  ersten 
Sturme  zertrümmert  wurden.  Selbst  der  geschützteste,  der  Hafen 
von  Algier,  ist  häufigen  Beschädigungen  ausgesetzt,  der  von  Bona 
ist  zu  klein  und  seicht,  um  z.  B.  Panzerschiffe  aufzunehmen,  und, 
das  einzige  Beispiel  dieser  Art,  von  Versandung  bedroht. 

Eine  weitere  Kraft,  welche  bei  der  Herausbildung  dieses 
Küstentypus  tätig  ist,  ist  die  Küstenströmung.  Es  ist  bekannt, 
daß  der  Verdunstungsverlust  des  Mittelmeeres  vorzugsweise  durch 
einströmende  Wassermassen   aus   dem  Ozean   und   dem  Schwarzen 


ja         II,   I .    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

Meere  ersetzt  werden  muß.  Auf  Grund  eingehender,  erst  zu 
späterer  Veröffentlichung  bestimmter  Untersuchungen,  die  nament- 
lich auch  die  bisherigen  Vorstellungen  über  die  Strömungen  im 
Mittelmeere  klären  und  vielfach  ändern  werden,  bin  ich  zu  dem 
Ergebnis  gelangt,  daß  über  dem  Mittelmeere  eine  Wasserschicht 
von  mindestens  3  m  jährlich  verdunstet,  wahrscheinlich  beträcht- 
lich mehr  (also  jedenfalls  mehr  als  doppelt  soviel  als  man  bis- 
her mit  J.  Herschel  gewöhnlich  annahm),  davon  werden  ca.  25 
Prozent  unmittelbar  durch  Regen,  ca.  10  Prozent  mittelbar  durch 
die  Flüsse  ersetzt.  Vom  Schwarzen  Meere  her  ist  der  Ersatz 
aber  gering,  etwas  über  7  Prozent  des  Verdunstungsverlustes,  wie 
man  schon  daraus  schließen  konnte,  daß  der  Salzgehalt  des 
Archipels,  ja  des  Marmara-Meeres  kaum  merkbar  herabgedrückt 
wird.  Der  Ozean  muß  also  im  wesentlichen  den  Verdunstungs- 
verlust des  Mittelmeeres  ersetzen,  und  der  Querschnitt  der  Meer- 
enge ist  ein  so  großer,  daß  in  der  Tat  auch  unter  Berücksich- 
tigung der  untern  Gegenströmung  die  noch  zu  ersetzende  Wasser- 
menge nicht  nur  leicht  ersetzt  werden  kann,  sondern  die  Ge- 
schwindigkeit der  Einströmung  auch  ihrerseits  es  wahrscheinlich 
macht,  daß  die  Mächtigkeit  einer  Verdunstungsschicht  zu  3  m  zu 
niedrig  angenommen  ist.  Jedenfalls  sind  es  gewaltige  Wasser- 
massen, welche  durch  die  starke  Verdunstung  in  das  Mittelmeer 
gezogen  werden,  die  Verdunstung  und  die  Winde  sind  dort  die 
Kräfte,  welche  Strömungen  hervorrufen.  Von  einer  großen,  das 
ganze  Mittelmeer  umkreisenden  Strömung,  von  der  man  noch 
immer  zuweilen  lesen  kann,  ist  selbstverständlich  keine  Rede, 
selbst  die  an  der  Nordküste  Afrikas  ostwärts  bis  gegen  die 
syrische  Küste  hin  verfolgbare  Strömung,  welche  die  Gebiete  der 
stärksten  Verdunstung  kennzeichnet,  nach  welchen  noch  überdies 
die  vorherrschende  Windrichtung  die  Wassermassen  hintreibt, 
wird  sehr  häufig  durch  den  Wind  unterbrochen  und  abgelenkt. 
Am  schärfsten  ist  die  Strömung  an  der  Nordküste  von  Klein- 
afrika ausgeprägt,  wo,  wie  ich  früher  nachgewiesen  habe,  die 
kühlem  Wassermassen  des  Ozeans  sogar  klimatisch  wirksam  sind. 
Ihre  mittlere  Geschwindigkeit  beträgt  an  der  Küste  von  Algerien 
I  Seemeile  in  der  Stunde,  etwas  weiter  hinaus  jedoch  häufig 
2 — 3  Seemeilen,  so  daß  Lotungen  und  Fischen  fast  unmöglich 
werden.  Nach  Osten  hin  wird  sie  schwächer  und  jenseits  Kap 
Bougaroni  wird  sie   in  ihrer  Richtung   und  Stärke  schon  wesent- 


Küsten  des  nordwestlichen  Mittelmeerbeckens. 


75 


lieh  vom  Winde  beeinflußt.  Die  häufigen  Nordwinde  drängen 
nun  diese  Strömung  an  die  Küste  heran  und  geben  ihr  eine  mehr 
ostsüdöstliche  und  südöstliche  Richtung,  so  daß  sie,  schräg  auf 
die  Westseite  der  weit  vorspringenden  Vorgebirge  stoßend,  zum 
Teil  gegen  Süden  abgelenkt  wird,  in  die  Golfe  eindringt  und, 
dieselben  als  Neerstrom  umkreisend,  an  ihrem  westlichen  Ein- 
gange wieder  in  die  Hauptströmung  einbiegt.  In  allen  diesen 
Golfen  ist  ein  solcher  Wirbel  nachgewiesen.  Je  weiter  das  öst- 
liche Vorgebirge  vorspringt,  um  so  regelmäßiger  und  stärker  ist 
diese  Gegenströmung;  im  Golf  von  Oran  und  von  Algier  treibt 
sie  die  aus  diesen  Häfen  bei  schwachem  Winde  auslaufenden 
Segler  häufig  nach  Westen  gegen  Mers  el  Kebir  und  Pointe  Pes- 
cade  ab.  Während  also  in  i — 2  Seemeilen  Abstand  von  der 
Küste  die  östliche  Strömung  herrscht,  herrscht  in  den  Buchten 
eine  westliche  Gegenströmung.  Die  Fahrt  in  östlicher  Richtung 
geht  immer  schneller  als  in  westlicher,  und  die  von  N  kommen- 
den Schiffe  müssen  dieser  Strömung  wegen  stets  eine  8 — io  See- 
meilen westlichere  Richtung  einhalten;  nach  Algier  bestimmte 
Schiffe  z.  B.  müssen  so  steuern,  als  ob  Kap  Sidi  Ferruch  ihr  Ziel 
wäre.  Winde  vermögen  diese  Strömung  wohl  zu  beeinflussen, 
aber  höchst  selten  umzukehren.  Es  kann  kein  Zweifel  sein,  daß 
diese  Strömungen,  wie  sie  einerseits  die  Golfe  von  Sinkstoffen 
rein  halten,  anderseits  bei  der  Herstellung  der  Kurve,  vielleicht 
auch  der  Vertiefung  der  Buchten,  mitwirken. 

Denselben,  hier  seiner  Entstehung  und  Herausbildung  nach 
betrachteten  Küstentypus  haben  wir  nun  auch  an  der  spanischen 
Mittelmeerküste  von  der  Meerenge  bis  Kap  Palos.  Dort  haben 
wir  nach  E.  Suess  den  abgebrochenen  Innenrand  der  Betischen 
Kette.  Wenn  die  Ausbuchtung  dieser  Steilküste  weniger  regel- 
mäßig ist,  so  beruht  dies  sowohl  auf  den  etwas  abweichenden 
geologischen  und  tektonischen  Verhältnissen,  als  namentlich  auf 
dem  Fehlen  der  Kräfte,  welche  sich  an  der  gegenüberliegenden 
Küste  so  wirksam  erwiesen,  Brandung  und  Strömung.  Das  Küsten- 
stück von  Kap  Palos  bis  Kap  Nao  bildet  den  Übergang  zu  dem 
zweiten  hier  zu  betrachtenden  Küstentypus,  welcher  jenseits  Kap 
Nao  deutlich  ausgeprägt  ist.  Die  Küsten  von  Sardinien  und 
Corsica  bedürfen  noch  eingehender  Untersuchung,  jedenfalls  hat 
die  Meereserosion  auch  dort  bei  der  Herausbildung  der  heutigen 
Formen  wesentlich  mitgewirkt,    der  Gegensatz  zwischen   der  dem 


7  6         II,   I.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

Südwest  zugekehrten  Seite   und    der   ruhigen  Ostküste   ist  ein    zu 
auffälliger;    von    Corsica   wissen    wir    überdies,    daß    dort    in    den 
Riasbuchten   die   Brandung    in   hohem    Grade   zerstörend   wirkt1). 
Wo  bleiben   nun    die   an    der   Nordküste   Kleinafrikas   abge- 
riebenen Massen?     Ich  möchte  die  Vermutung  aussprechen,    daß 
sie  teilweise   an  der  Bildung   der  Sand-    und  Schlammbänke  der 
Flachsee   zwischen   Sizilien   und    Afrika    teilnehmen,    teilweise   an 
der  Westseite  des  tief  eindringenden  Golfs  von  Tunis  durch  die 
Gegenströmung  abgelagert  werden  und  mit  dem  Medscherda  jene 
großartigen  Landbildungen  und  einen  neuen  Küstentypus  hervor- 
rufen.    Über  diese  Gegend  sollen  hier  nur  wenige  Bemerkungen 
folgen,  da  über  dieselbe  in  letzter  Zeit  von  verschiedenen  Seiten, 
auch  in  diesen  Blättern,  Untersuchungen  angestellt  worden  sind2). 
Die    mit    dem   Absinken    eines   Teiles    des    Gebirges    verbundene 
Landzertrümmerung   hat   hier  etwas   größere  Ausdehnung  gehabt; 
die  beiden  Seen  von  Biserta  füllen  Einsturzbecken  aus,  ihre  Ver- 
bindung mit  dem  Meere  ist  vielleicht  lediglich  auf  die  Süßwasser- 
flüsse zurückzuführen,  welche  sie  aufnehmen.      Gleicher  Entstehung 
dürften  die  Sebcha  El  Sedjum   bei  Tunis  und  der  jetzt   in  Aus- 
trocknung begriffene  Fetzarasee  bei  Bona,  sowie  die  vier  kleinen 
küstennahen    Becken    bei    La    Calle    sein,    El    Melah    (salzig),    El 
Ubeira,   El   Hut   und   Labheira   (nur   ein  Sumpf).     Der  Golf  von 
Tunis    war    dem    entsprechend   inselreich;    außer    den   noch   vor- 
handenen Zembra  und  Zembretta,    Plane  und  Pillau  waren   auch 
der  Hügel  von  Karthago  und  der  Höhenrücken  (Kabeur  el  Djeheli), 


1)  Recherches  hydrographiques  sur  le  Regime  des  Cötes,  Depot  des 
cartes  et  plans  de  la  Marine,  Heft  2,  p.  HO. 

2)  Vgl.  besonders  Charles  Tissot,  Geographie  comparee  de  la  Province 
romaine  de  l'Afrique,  Paris  1884,  I,  p.  76  ff.,  und  F.  Partsch,  Peterm.  Mitt. 
1883,  S.  201  ff.  Meine  dort  von  Partsch  widerlegte  Ansicht  bezüglich  des 
Medscherda  hatte  ich  selbst  längst  als  irrig  erkannt  (vgl.  Deutsche  Revue  1882, 
S.  234),  und  jenen  Hebungserscheinungen,  die  ich  übrigens  nicht  als  selbst- 
beobachtet hinstellte,  sondern  auf  Guerin  und  Reclus  zurückführte,  stehe  ich 
seit  Jahren  sehr  skeptisch  gegenüber;  1876  war  auch  ich  allerdings  nicht 
frei  von  den  damals  herrschenden  Anschauungen.  Das  Verständnis  der 
dortigen  Vorgänge  wird  wesentlich  gefördert  durch  die  auch  von  Tissot  noch 
nicht  benutzten  neuen  Aufnahmen  der  Franzosen,  Carte  de  la  Tunisie. 
1:200000.  Paris  1884,  namentlich  Blatt  2  und  5  (Biserta  und  Tunis). 
Auch  die  beiden  französischen  Seekarten  Nr.  3603  (Bucht  von  Tunis  in 
1  135000)  und  3487  (Porto  Farina  in  I  :  25000)  kommen  wesentlich  in  Be- 
tracht.    Eine  eingehende  Untersuchung  würde   hier   zu   viel  Raum  erfordern. 


Am  Golf  von  Tunis. 


77 


welcher  mit  Kaläat  el  Wed  (Castra  Cornelia)  endet,  ursprünglich 
Inseln.  Dieser  letztere  Höhenrücken  hat  eine  Länge  von  1 2  km 
und  eine  Höhe  von  50  m,  er  wird  jetzt  an  seiner  Westseite  vom 
Medscherda  begleitet,  während  dieser  seit  den  Bürgerkriegen  und 
bis  ins  Mittelalter  der  Ostseite  folgte.  Jedenfalls  legt  Tissot  (ab- 
weichend von  Partsch)  keine  der  sich  stetig  verschiebenden  Med- 
scherda-Mündungen  durch  diesen  Höhenrücken,  und  auch  die 
neue  Karte  macht  es  unwahrscheinlich,  daß  der  Hügel  von  Kaläat 
el  Wed  noch  eine  Insel  für  sich  gebildet  habe.  Der  Hügel  von 
Utika  ist  vielleicht  nicht  erst  durch  Anschwemmung  verlandet, 
sondern  gehört  einer  aus  etwas  älterm  Gestein  bestehenden  Land- 
zunge an.  Die  geringe  Meerestiefe  und  die  Inseln  kamen  wesent- 
lich in  Betracht  bei  den  raschen  Landbildungen,  die  der  Med- 
scherda und  die  Strömung  vereint  hier  bewirkten.  Die  Delta- 
bildung des  Medscherda  beginnt  schon  ca.  6  km  oberhalb  Teburba. 
Tissot  schätzt  den  Landzuwachs  hier  seit  21 00  Jahren  auf 
250  qkm,  das  gesamte  Neuland  mag  eher  wohl  das  Doppelte 
betragen.  Die  Haffe  von  Tunis,  von  Karthago  (Sebcha  er 
Ruan),  von  Porto  Farina  und  die  noch  heute  über  das  Delta  des 
Flusses,  namentlich  in  der  Nähe  des  Hügels  von  Utika  verstreuten 
Sumpfbecken  kennzeichnen  die  vor  sich  gehende  Verlandung. 
Nach  der  genauen  Beschreibung  des  Polybios  (I,  73)  muß  die 
heute  durch  einen  Dünensaum  vom  Meere  getrennte  Sebcha  er 
Ruan  noch  eine  Meeresbucht  gewesen  sein;  die  Landenge,  welche 
damals  zwischen  dieser  Bucht  und  dem  Haff  von  Tunis  die 
Halbinsel  von  Karthago  mit  dem  Festlande  verband,  scheint  sich 
aber  seit  jener  Zeit,  eben  weil  sie  der  Anschwemmung  entrückt 
wurde,  nur  sehr  wenig  verbreitert  zu  haben,  denn  während  Poly- 
bios ihre  Breite  zu  ca.  25  Stadien,  d.  h.  4,6  km  (die  Stadie  zu 
185  m)  angibt,  beträgt  sie  jetzt  5  km.  Wohl  aber  hat  sich 
der  südliche,  das  Haff  von  Tunis  absperrende  Dünenzug  von 
Y2  Stadie  (nach  Appian)  auf  6-  bis  900  m  und  selbst  an  der 
schmälsten  Stelle  auf  mehr  als  200  m  verbreitert1).  Die  Mitwir- 
kung der  Strömung2)  bei  diesen  Landbildungen  prägt  sich  deut- 


1)  Nach  Carte  de  la  Tunisie  Blatt  5:  die  Seekarte  3603  gibt  beträcht- 
lich geringere,  aber  noch  immer  dem  Altertum  gegenüber  weit  größere  Zahlen. 

2)  Ich  finde  das  Vorhandensein  einer  solchen  Gegenströmung  im  Golf 
von  Tunis  allerdings  nirgends  bezeugt,  meine  es  aber  schließen  zu  müssen. 
Auch  die  Gegenströmungen   in  den  kleinen    algerischen  Buchten,    namentlich 


y8         II,   I.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

lieh  in  der  genau  zu  verfolgenden  Verschiebung  der  Medscherda- 
Mündung  gegen  Norden  aus.  Mag  der  Fluß  auch  bei  Hoch- 
wasser schon  im  vorigen  Jahrhundert  sich  teilweise  in  das  Haff 
von  Porto  Farina  ergossen  haben,  so  scheint  er  doch  seine  Haupt- 
mündung erst  in  allerneuester  Zeit  dorthin  verschoben  zu  haben. 
Während  nämlich  Mouchez  1876  noch  die  Hauptmündung  un- 
mittelbar in  den  Golf  gehen  läßt,  zeichnet  Perrier  1884  nur  eine 
Mündung  in  das  Haff.  Die  gleiche  Erscheinung  aus  gleicher 
Ursache  wie  hier  haben  wir  an  dem  dem  Medscherda  nächsten 
größern  Flusse  des  östlichen  Kleinafrika,  der  Seybuse.  Diese  hat 
seit  römischer  Zeit  ihre  Mündung  7—8  km  nach  Westen  verrückt 
und  ergießt  sich  heute  unterhalb  der  Ruinen  von  Hippo.  Ihr 
altes  Bett  ist  1  7  km  oberhalb  in  einem  trocknen  Arme  angedeutet, 
den  die  Eingeborenen  El  Khelidj,  die  Kanäle,  nennen,  und  der 
am  Meere  in  den  Sümpfen  von  Geräa  bu  k'mira  endet1). 

So  tritt  uns  hier  infolge  dieser  Neubildungen  ein  neuer 
Küstentypus  entgegen,  eine  flache,  einem  schwach  gespannten 
Seile  ähnliche  Kurve,  gestützt  auf  die  landfest  gewordene  Insel 
von  Karthago  und  die  felsige  Halbinsel  von  Porto  Farina.  Dieser 
Küstentypus,  bei  welchem  sich  also  eine  mit  großem  Radius  be- 
schriebene flache  Kurve  an  die  andere  reiht  und  die  so  gebil- 
deten flachen  Buchten  durch  mäßig  vorspringende,  aus  landfest 
gewordenen  Inseln  bestehende  Vorgebirge  (seltener  durch  vor- 
geschobene Deltaspitzen)  begrenzt  werden,  ist  Flachküsten  eigen, 
die  im  Vorrücken  begriffen  und  von  Haffen  begleitet  sind.  Auf 
Karten    kleinen    Maßstabes    könnte    man    diesen  Küstentypus   mit 


der  von  Bona,  haben  wir  erst  durch  Mouchez  kennen  gelernt,  nur  westlich 
der  Halbinsel  Tres  Forcas  war  eine  solche  schon  früher  bekannt  (vgl.  Medi- 
terranean  Pilot  vol.  London  1873,  p.  25;.  Da  nun  eine  starke  östliche,  auf 
Kap  Bon  gerichtete  Strömung  quer  vor  dem  Golf  von  Tunis  vorhanden  und 
hier  die  vorherrschende  Windrichtung  eine  ausgesprochen  nordöstliche  ist, 
so  scheint  mir  kein  Zweifel  erlaubt,  daß  auch  hier  eine  solche  Gegen- 
strömung vorhanden  ist,  welche  im  Verein  mit  den  Nordostwinden  die  Ost- 
seite des  Golfs  rein  von  Sinkstoffen  und  die  dortigen  größern  Meerestiefen 
erhält,  während  sie  an  der  Westseite  die  Sinkstoffe  ablagert  und  den  Med- 
scherda nordwärts  drängt.  Daß  die  vorherrschenden  Ostwinde  eine  Barre 
vor  dem  in  das  Haff  von  Tunis  führenden  Kanäle  bilden,  bezeugt  Medit. 
Pilot  p.  265. 

I)  Tissot  a.  a.  O.  p.  45.     Vgl.  die  folgenden  Abschnitte:  Die  Stätte  von 
Karthago  und  Am  Golf  von  Bona. 


Die  Küste  von  Toskana. 


79 


dem  eben  erforschten  leicht  verwechseln.  Er  ist  ganz  andrer 
Entstehung  und  für  Besiedelung  und  Verkehr  noch  weit  un- 
günstiger, insofern  eine  solche  Küste  wegen  der  Flachheit  des 
angrenzenden  Meeres  unnahbar  ist  und  der  natürlichen  Zufluchts- 
stätten ganz  entbehrt,  künstliche  Häfen  wegen  der  andauernden 
Neubildung  von  Land  noch  vergänglicher  sind  als  dort.  Dieser 
Küstentypus  ist  außerordentlich  häufig  am  Mittelmeere,  am  schärf- 
sten ausgeprägt  an  der  Westseite  Italiens  vom  Golf  von  Neapel 
bis  zum  Golf  von  Spezia  und  vor  allem  an  der  Küste  von  Langue- 
doc.  Diese  Form  der  Flachküste  steht  in  der  Mitte  zwischen 
der  geschlossenen  Flachküste,  wie  wir  sie  etwa  an  der  Nordwest- 
seite von  Jütland  oder  an  der  atlantischen  Seite  der  Sahara 
haben,  und  der  aufgeschlossenen  Flachküste,  als  deren  Muster 
die  atlantische  Küste  der  Vereinigten  Staaten  anzusehen  ist.  Sie 
wäre  vielleicht  besser  statt  als  Küstentypus  von  Languedoc  als 
flachbogige  Flachküste  zu   bezeichnen. 

Auch  an  der  Westküste  Mittelitaliens  haben  wir  es  mit  einem 
Abbruch  und  mit  Einsturzkesseln  zu  tun,  durch  welche  dieselbe 
ursprünglich  reicher  gegliedert  war.  Hier  aber  vereinigten  sich 
verschiedene  Umstände,  um  diesen  ungünstigen,  einförmigen 
Küstentypus  herauszubilden.  Es  blieben  Bruchstücke  des  hier 
nur  in  geringe  Tiefe  gesunkenen  kristallinischen  Kerns,  ja  selbst 
Teile  der  geschichteten  äußern  Zone  des  Ur-Apennin  als  Inseln 
in  seichterm  Meere  erhalten.  Sie  dienten,  ähnlich  wie  am  Golf 
von  Tunis,  wenn  sie  küstennahe  waren,  wie  die  von  Gaeta,  Cir- 
cello,  Monte  Argentaro,  Piombino  u.  a.,  oder  wenn  sie  innerhalb 
der  Golfe  lagen,  wie  die  Monti  dell'  Ucellina  und  die  Pisaner 
Berge,  den  Sinkstoffen  als  Stützpunkte,  welche  die  hier  auf  der 
niederschlagreichern,  breitern  Südwestabdachung  der  verbreiterten 
Halbinsel  größere  Entwickelung  erlangenden  Flüsse  mit  sich  führten. 
Diese  Sinkstoffe  werden  durch  die  zeitweilige  nach  NW  gerichtete 
Strömung  an  der  Küste  entlang  geführt  und  an  günstigen  Punkten, 
wie  man  namentlich  jetzt  am  Golf  von  Spezia  beobachtet,  ab- 
gelagert. Der  Serchio  verdankt  dieser  Küstenströmung  das  auf- 
fällige Knie  in  seinem  untersten  Laufstück.  In  der  Zeit  von 
175g — 1806,  wo  man  ihn  genau  beobachtete,  wich  er  beständig 
nach  Norden  aus,  bis  man  ihn  in  letzterm  Jahre  durch  Kunst- 
bauten festlegte.  Auch  dort  kennzeichnen  wie  an  der  Mündung 
des     Rhone    zur    Sicherung     der    Einfahrt    errichtete    Festen    von 


8o        II)    I.    2ur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

I759»  1 797  und  1853  das  Ausweichen  und  Vorrücken  der 
Mündung,  das  ca.  2  km  im  Jahrhundert  betrug1).  Auch  der  Arno 
ändert  genau  an  der  entsprechenden  Stelle  wie  der  Serchio  seine 
bisherige  Südwestrichtung.  Diese  Küstenströmung  wird  lediglich 
durch  die  einen  großen  Teil  des  Jahres  herrschenden  Südwest- 
winde hervorgerufen,  welche  große  Wasserrnassen  durch  die  breite 
Öffnung  zwischen  Sizilien  und  Sardinien  ins  Tyrrhenische  Meer 
hineindrängen,  und  an  den  entgegenstehenden  Küsten,  da  sie 
nur  nach  NW  über  die  Flachsee  des  Toskanischen  Archipels 
einen  Abfluß  finden,  zuweilen  bis  4  m  steigen  machen2).  Auch 
die  vulkanische  Tätigkeit,  die  hier  in  der  Diluvialzeit  und  noch 
später  besonders  hervortrat  und  ganze  Gebirge,  wie  das  Albaner 
und  die  des  südlichen  Toskana,  geschaffen  hat,  hat  wesentlich 
bei  Ausfüllung  der  Golfe  mitgewirkt.  Die  Veränderungen,  welche 
sich  hier  selbst  noch  in  geschichtlicher  Zeit  vollzogen  haben,  sind 
so  großartige,  daß  an  der  toskanischen  Küste  von  den  Be- 
dingungen, unter  welchen  sich  die  Tyrrhener  zu  einem  Seevolke 
entwickelten,  nur  noch  der  Erzreichtum,  teilweise  auch  die  Inseln 
geblieben  sind;  die  Golfe  und  sichern  Häfen  sind  durch  riesige 
Anschwemmung  infolge  der  Ausrodung  der  im  Altertum  das 
Schiffsbauholz  liefernden  Wälder  verschwunden,  Malaria  brütet 
über  den  verödeten  Stätten  einer  altehrwürdigen  Kultur3).  Der 
Reichtum  einzelner  toskanischer  Flüsse  an  Sinkstoffen  ist  ein 
staunenswerter,  der  Ombrone  führt  bei  Hochwasser  5  Prozent,  in 
neuester  Zeit  8  Prozent  fester  Stoffe  mit  sich.  Toskana  ist  heute 
ein  vom  Meere  abgewendetes  Land,  seine  einzige  Hafenstadt, 
Livorno,  ist  nur  durch  Kunst  geschaffen  und  wird  nur  durch 
Kunst  erhalten,  seine  Städte  liegen  im  Innern,  die  Küstengebiete 
sind  dünn  bevölkert  und  von  geringer  Bedeutung. 

Größere,  geradezu  wunderbare  Formenschönheit  und  Regel- 


1)  A.  Cialdi,  Sul  moto  ondoso  del  mare  e  su  le  correnti  di  esso,  spe- 
cialmente  su  quelle  littorali.  Rom    1866.  pag.  447. 

2)  Cialdi  a.  a.  O.  p.  373. 

3)  Nähere  Ausführungen  mögen  auch  hier  unterbleiben.  Es  sei  auf 
meine  Untersuchungen  in  der  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Geographie, 
Bd.V,  S.  65,  und  auf  E.  Reyer,  Aus  Toscana.  Geologisch-technische  und 
kulturhistorische  Studien.  Wien  1884.  S.  89  fr".:  auch  H.  Nissen,  Italische 
Landeskunde.  Berlin  1883.  S.  305ff.,  und  G.  vom  Rath,  Zeitschrift  der 
Deutschen  Geolog.  Gesellsch.  XXV,  S.  118,  verwiesen. 


Küste  der  Provence  und  von  Languedoc.  3  I 

rnäßigkeit  weist  dieser  Küstentypus  in  Languedoc1)  auf.  Dort 
schwingt  sich  die  Küste  vom  Fuß  der  Pyrenäen  bei  Collioure  in 
acht  Kreisbogen  zum  Alpensystem  am  Kap  Couronne;  land- 
fest gewordene  Inseln  und  die  Rhonemündungen  bilden  die  Stütz- 
punkte der  Kreisbogen.  Der  schönste  derselben  ist  der  zwischen 
der  Jurakalkinsel  von  Leucate  und  dem  Inselvulkan  von  Agde 
aufgehängte;  derselbe  ist  von  beinahe  absoluter  Regelmäßigkeit, 
wie  vielleicht  nirgends  wieder  in  der  Natur,  und  mit  einem 
Radius  von  45,75  km  beschrieben.  Die  Öffnung  der  Bucht2)  be- 
trägt 53,25  km,  die  Tiefe  11,85  km.  Diese  Zahlen  kennzeichnen 
diesen  Flachküstentypus  am  besten,  wenn  man  sie  mit  den  oben 
für  den  Steilküstentypus  von  Algerien  gegebenen  vergleicht: 
herrschte  dort  Zerstörung  vor,  so  hier  Aufbau.  Die  Meerestiefen 
sind  überall  sehr  geringe,  und  die  Tiefenlinie  von  10  m  verläuft 
peinlich  regelmäßig  in  einem  konzentrischen  Kreisbogen  in  einem 
Abstände  von  1,35  km.  Dort,  wo  der  Mittelpunkt  des  Kreises 
zu  suchen  ist,  wird  eben  die  Tiefe  von  100  m  erreicht,  also  in 
einem  Abstände  von  45  km,  während  in  Algerien  die  ioom-Linie 
nur  4  —  5  km  entfernt  ist.  Die  Regelmäßigkeit,  mit  welcher  sich 
der  Meeresgrund  senkt,  ist  so  groß,  daß  die  Fischer  aus  der 
Meerestiefe  ihre  Entfernung  von  der  Küste  berechnen,  und  zwar 
auf  je  20  m  Tiefe  einen  Küstenabstand  von  3  Milles  (5,5  km) 
annehmen. 

Auch  diese  Küste,  wie  sie  heute  ist,  ist  zum  Teil  erst  in 
geschichtlicher  Zeit  geworden.  Die  Bewegungen  der  festen  Erd- 
rinde, von  welcher  auch  hier  das  Auftreten  vulkanischer  Berge 
zeugt,  hatten  hier  eine  Küste  geschaffen,  welche  an  Aufgeschlossen- 
heit und  reicher  Gliederung  derjenigen  der  Provence,  welche  die 
ursprünglichen  Verhältnisse  besser  zu  wahren  vermocht  hat,  sehr 
ähnlich  war.  An  der  Küste  der  Provence3)  fehlten  die  Be- 
dingungen zu  größern  Veränderungen    fast   ganz,  sie  war  und  ist 


1)  Vgl.  die  französischen  Küstenkarten  Nr.  2358  und  2474  in  1:150000. 
Vir    haben   hier   ein   gutes    Muster    einer    thalassogenen    Schwemmlandküste 

vor  uns. 

2)  Gemessen  von  Kap  Leucate  nach  Kap  Agde;  der  Radius  bezieht 
sich  auf  den  Bogen  von  der  Grau  de  la  Franqui  zur  Herault-Mündung.  Wie 
in  bezug  auf  Toskana  beruhen  die  Ausführungen  des  Verfassers  auch  hier 
zum  Teil   auf  eigenen   Beobachtungen. 

3)  Vgl.  französische  Küstenkarten  Nr.  2681   und   2682. 
Fischer,  Mittelmeerbilder.     Neue   Fule^.  6 


82         II,   I.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

ärmer  an  Inseln,  die  wenigen  vorhandenen  sind  sehr  klein  und 
erheben  sich  meist  schon  aus  tieferm  Meere  und  in  größerm  Ab- 
stände von  der  Küste,  die  Küste  sinkt  hier  überhaupt  rasch  zu 
großen  Meerestiefen  hinab,  es  münden  nur  wenige  kleinere  und 
sinksto  ff  ärmere  Flüsse,  die  nur  kleinere  Teile  der  tiefer  ein- 
schneidenden Buchten,  wie  bei  Cannes,  Frejus,  Tropez,  Hyeres, 
zu  verlanden  vermocht  haben,  es  fehlte  vor  allen  Dingen  ein  großer 
sinkstoffreicher  Strom  wie  der  Rhone,  der  etwa  bei  Nizza  mün- 
dete, und  dessen  Sinkstoffe  die  auch  hier  vorhandene  (zeitweilige) 
Küstenströmung  hätte  westwärts  tragen  und  in  den  Buchten  und 
zwischen  den  Inseln  ablagern  können.  Auch  ist  der  Südost  hier 
in  dem  engern  Meere  schon  weniger  wirksam.  So  haben  wir 
hier  einen  Steilküstentypus,  welcher,  rein  morphologisch  betrachtet, 
etwa  in  der  Mitte  steht  zwischen  dem  von  Algerien  und  dem  am 
Archipel  vorherrschenden.  Mit  dem  von  Algerien  hat  er  die  kleinen 
halbkreisförmigen  Buchten  gemeinsam,  die  hier  in  gewisser  Zahl 
auftreten,  aber  sämtlich  durch  Neulandbildungen  entstanden  sind. 
Auch  das  ursprünglich  felsige  Gestade  von  Languedoc  war 
reich  an  Buchten,  weit  vorspringenden  Vorgebirgen  und  Inseln. 
Ein  ganzer  Archipel  von  12 — 15  Inseln,  meist  Bruchstücke  des 
nördlich  angrenzenden  Jura-  und  Kreidekalkgebirges  der  südlichen 
Cevennen,  erhob  sich  hier  vor  der  Küste  aus  seichtem  Meere. 
Teils  sind  sie  heute  ganz  verlandet,  wie  die  Montagne  de  la 
Clape,  die  größte  von  allen,  die  durch  ihre  langgestreckte  Gestalt 
am  meisten  die  Landbildung  gefördert  hat,  die  Gruissan,  St-Martin, 
Ste-Lucie  und  Peyriac,  teils  bilden  sie  Vorgebirge,  wie  das  von 
Leucate  und  der  aus  Dolomit  und  Kalkstein  der  Juraformation 
aufgebaute  Felsen  von  Cette,  teils  sind  sie  aber  auch  noch  als 
Haffinseln  erhalten,  wie  Aute  (alta)  und  Planasse  im  Etang  de 
Bages.  Dazu  kam  noch,  abgesehen  von  einigen  kleinern,  der 
doch  wohl  ursprünglich  insulare  Vulkan  von  Agde  mit  der  vor- 
gelagerten vulkanischen  Klippe  Brescou,  der  vielleicht  vor  2500 
bis  3000  Jahren  noch  tätig  gewesen  ist.  Er  ist  als  der  letzte 
Ausläufer  einer  Reihe  vulkanischer  Durchbrüche,  welche  über 
St.  Thibery,  Gabian,  Caux,  Nizas  bis  Escandolgue  de  Lodeve  und 
dem  vulkanischen  Gebiete  des  Aveyron,  Cantal  usw.  hinleitet.  Ein 
inneres  Meer  breitete  sich  zwischen  und  hinter  diesen  Inseln  aus. 
Dasselbe  wird  uns  von  Avienus  (Ora  Marittima  v.  576 — 584)  im 
vierten  nachchristlichen  Jahrhundert,  allerdings  wohl  im  Anschluß 


Küste  von  Languedoc.  8  3 

an  ältere  Quellen,  sehr  anschaulich  geschildert.  Es  war  der 
Lacus  Rubresus,  wie  ihn  Pomponius  Mela  (II,  5),  oder  Rubrensis, 
wie  ihn  Plinius  (III,  5)  nennt,  der  aber  schon  damals  so  seicht 
war,  daß  die  Römer  Kunstbauten  errichten  mußten,  um  mit 
Schiffen  größten  Tiefganges  Narbonne  noch  zu  erreichen,  das 
damals  noch  dicht  an  der  Audemündung  lag.  Daß  der  große 
(spatiosus  admodum)  Rubresus-See  schon  zu  Beginn  unserer  Zeit- 
rechnung nur  durch  einen  oder  mehrere  enge  Kanäle  mit  dem 
Meere  verkehrte,  also  bereits  durch  eine  die  äußern  Inseln  mit- 
einander verbindende  Nehrung  abgeschlossen  war,  bezeugt  aus- 
drücklich Pomponius  Mela  (II,  5).  Während  aber  die  Römer- 
straße von  Ruscino  nach  Narbo  sich  an  der  Landseite  des  innern 
Meeres  hielt,  geht  heute  die  Eisenbahn  von  Perpignan  nach 
Narbonne  mitten  durch  das  seitdem  an  seine  Stelle  getretene 
Schwemmland. 

Die  Landbildung  begann  hier  von  zwei  Seiten,  von  innen 
und  von  außen1);  an  der  innern  beteiligte  sich  am  eifrigsten  der 
Au  de,  der  dort,  wo  er  bei  Salleles  in  die  Bucht  eintrat,  das 
Schwemmland  sogar  um  1 2  m  über  Meer  erhöht  hat.  Die 
alten  Denkmäler  von  Narbonne  lassen  erkennen,  daß  dort  eine 
Schicht  von  30 — 40  cm  im  Jahrhundert  aufgeschwemmt  worden 
ist.  In  den  letzten  sieben  Jahrhunderten  ist  zwischen  Coursan 
und  dem  Meere  eine  14  km  lange  Ebene  geschaffen  worden. 
Der  Fieber  erzeugende  See  von  Capestang  (Caput  stagni),  der 
durch  einen  bei  Salleles  abgeleiteten  Kanal  mit  den  Sinkstoffen 
des  Aude  zugeschüttet  werden  sollte,  was  aber  durch  ein  Hoch- 
wasser des  Aude  vereitelt  wurde,  ist  die  innerste  Bucht  des  ehe- 
maligen Binnenmeeres,  welche  ähnlich  dem  latmischen  Golfe 
durch  den  senkrecht  auf  die  vorgelagerte  Insel  la  Clape  ein- 
mündenden Aude  abgeschnitten  wurde.  Die  eigentümliche  Be- 
stätigung der  hier  in  geschichtlicher  Zeit  rasch  fortgeschrittenen 
Neubildung  von  Land,  welche  uns  noch  heute  die  Ortsnamen  von 
Languedoc   liefern,  hat  schon  Astruc2)  hervorgehoben:    alle  Orts- 

i)  Über  die  Anschwemmungen  des  Aude  gibt  recht  lehrreichen  Auf- 
schluß Cons,  Privatdozent  der  Geographie  zu  Montpellier,  im  Bulletin  de 
la  Soc.  Languedocienne  de  Geographie,  T.  V,  1882,  p.  161  ff.  Vgl.  auch 
Ch.  Lentheric,  Les  villes  mortes  du  Golfe  de  Lyon,  ßeme  ed.  Paris  1879, 
p.  179  ff. 

2)  Memoires  pour  l'histoire  naturelle  du  Languedoc.  Paris  1737. 
P-  372.  ,* 


$a         II,    r.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

namen  im  Innern  sind  keltischen,  diejenigen  an  der  Küste  griechi- 
schen oder  lateinischen  Ursprungs.  Das  Küstengebiet  ist  eben 
erst  später  gebildet  und  bewohnbar  geworden.  Jedenfalls  spielte 
der  Seewind ,  der  Autan ,  der  zuweilen  die  Wassermassen  staut 
und  sie  zwingt,  ihre  Sinkstoffe  in  den  See  fallen  zu  lassen,  sowie 
namentlich  von  November  bis  April  der  vorherrschende  SO  bei 
der  Verlandung  eine  Rolle.  Weit  wichtiger  aber  ist  die  Küsten- 
strömung, welche  von  außen  Dünenwälle  vor  den  Lücken  zwischen 
den  Inseln  aufbaute,  durch  welche  sich  die  Flüsse  eine  Mündung 
offenhalten  mußten.  Die  Küste  von  Languedoc  wird  nämlich 
durch  eine  der  Küste  von  der  Rhonemündung  gegen  die  Pyrenäen 
hin  folgende  Küstenströmung  gekennzeichnet,  welche  die  vom 
Rhone  und  den  weiter  westwärts  mündenden  Flüssen  ins  Meer 
geführten  Sinkstoffe  nach  Westen  trägt  und  an  der  Küste  entlang 
ablagert,  also  zunächst  vorzugsweise  an  den  Eingängen  in  das 
ehemalige  ruhige  innere  Meer.  Doch  ist  festzuhalten,  daß  diese 
Küstenströmung,  wie  diejenige  an  der  Westseite  Italiens,  nur  eine 
zeitweilige  ist,  hervorgerufen  durch  die  in  diesem  Meere  vor- 
herrschenden SO -Winde;  an  85  Tagen  des  Jahres  hat  man  an 
dieser  Küste  im  Mittel  O  und  SO,  und  davon  an  23  Tagen 
schwere  See,  während  nur  an  17  Tagen  SW  herrscht,  der  hier 
nie  schwere  See  hervorruft.  Es  vermag  diese  Strömung  eine  Ge- 
schwindigkeit von  5,5  bis  7,5  km  in  der  Stunde  zu  erreichen. 
Die  vorherrschende  Windrichtung  und  die  heftigen  Südoststürme 
wirken  nun  auch  insofern  bei  der  Verteilung  und  Ablagerung  der 
Sinkstoffe  mit,  als  sie  auf  dem  seichten  Grunde  Sand  und 
Schlamm  aufregen  und  gegen  die  Küste  drängen,  wo  sie  die, 
wie  man  aus  der  Verteilung  der  Sinkstoffe  schließen  muß,  sehr 
schmale,  vielleicht  nur  4  km  breite  Küstenströmung,  bzw.  die 
Küstenversetzung  weiter  nach  Westen  trägt,  in  der  Weise,  daß, 
wie  in  einem  Flusse  jedes  Hochwasser  die  schweren  Rollstücke, 
sie  verkleinernd,  ein  Stück  weiter  stromab  trägt,  die  durch  jeden 
Sturm  hervorgerufene  oder  verstärkte  Küstenströmung  die  Massen, 
die  beim  Erlahmen  ihrer  Kraft  zu  Boden  gesunken  waren,  wenig- 
stens die  etwas  schwerern  Teile  wieder  aufhebt  und  ein  Stück 
weiter  trägt.  Eine  von  Elie  de  Beaumont  und  Dufresnoy  vor- 
genommene Untersuchung  der  Sandproben,  welche  westlich  von 
der  Rhonemündung  und  bei  Cette  entnommen  worden  waren, 
ergab,    daß    dieselben    von    der    Zerstörung    ein    und    derselben 


Küste  von  Languedoc. 


85 


Felsart  herstammen  müssen,  nämlich  des  Granits,  und  daß  sie 
daher  nur  auf  den  Rhone  bzw.  Durance  zurückzuführen  sind. 
Das  gleiche  Ergebnis  liefern  zahlreiche  Beobachtungen,  nach 
welchen  im  Hafen  von  Cette  Baumstämme  und  andere  schwim- 
mende Gegenstände  angetrieben  wurden,  welche  nur  von  einer 
Überschwemmung  des  Rhone  herstammen  konnten x).  Durch  die 
Küstenströmung  unter  Mitwirkung  des  Südost  vom  Rhone  herbei- 
geführte Sinkstoffe  sind  es  also,  welche  den  Hafen  von  Cette 
versanden,  aus  welchem  man  jährlich  bis  1 00000  cbm  Sand  und 
Schlamm  ausbaggern  muß,  und  welche  nach  Bourguignon-Duperre 
den  ganzen  Strand  zwischen  den  Rhonemündungen  und  Cette 
geschaffen  haben.  Weiter  nach  Westen  mögen  dann  die  Sink- 
stoffe des  Herault  und  der  andern  Küstenflüsse  überwiegen.  Die 
roten  Tone  des  Herault  finden  sich  noch  an  der  Mündung  des 
Orb,  und  die  Quarzsande  des  Aude  gehen  bis  zur  Grau  de  Grazel 
(gradellus).  Die  Wirkung  der  Strömung  und  des  Windes  erkennt 
man  auch  darin,  daß  keiner  der  Küstenflüsse  seine  Mündung 
vorzuschieben  und  eine  größere  Kurve  in  zwei  kleinere  zu  zer- 
legen vermag,  selbst  wenn  er  sehr  reich  an  Sinkstoffen  ist  und 
bereits  den  ihm  benachbarten  Teil  des  innern  Meeres  zugeschüttet 
hat.  Die  Abweichung,  welche  Tet  und  Tech  von  der  Regel- 
mäßigkeit der  großen  flachen  Kurve  von  Kap  Leucate  zu  den 
Pyrenäen  verursacht  haben,  ist  außerordentlich  gering.  Die  Strö- 
mung verteilt  eben  die  Sinkstoffe  längs  der  Küste.  In  der  engen 
Einfahrt  von  la  Nouvelle  muß  man  jährlich  45000  cbm  Schlamm 
ausbaggern,  ohne  eine  größere  Tiefe  als  2  m  erreichen  zu  können. 
Gegen  das  Vorhandensein  einer  beständigen  westlichen  Strömung 
spricht  namentlich  auch,  daß  man  bei  ruhigem  Wetter  das  trübe 
Wasser  des  Rhone  sich  nach  allen  Seiten  ausbreiten  sieht,  ost- 
wärts bis  gegen  Kap  Couronne  hin.  Mag  nun  diese  Schicht 
auch  von  geringer  Mächtigkeit  sein,  so  daß  darunter  doch  eine 
westliche  Strömung  vorhanden  sein  könnte,  so  widersprechen  dem 
doch  die  Fischer,  die  doch  mit  ihren  Netzen  die  sichersten  Be- 
obachtungen machen  können,  aufs  entschiedenste,  indem  sie  nur 
einen  Wechsel  der  Strömung  mit  dem  Winde  zugestehen.  Der 
Hydrograph  Germain  leugnet  daher  an  der  Küste  von  Languedoc 
wie   der   Provence  jede   beständige  Westströmung2).     Der  Selten- 

])  Recherches,  Heft  I,  p.  6.  1)  Recherches,  HeftV,  p.  25. 


86         II,    i.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Küsten  des  Mittelmeeres. 

heit  und  Schwäche  der  Südwestwinde  an  dieser  Küste  entspricht 
es  aber,  daß  die  Sinkstoffe  des  Rhone,  trotz  der  nach  SO  ge- 
richteten Hauptmündung,  sich  nicht  nach  Osten  verbreiten  und 
am  Eingang  in  den  Hafen  von  Bouc  nicht  mehr  nachweisbar 
sind,  obwohl  die  Zuschüttung  der  Bucht  von  Fos  eben  durch  das 
Vorrücken  der  Rhonemündung  rasche  Fortschritte  macht1). 

Die  Küstenströmung  und  der  Südost  haben,  die  vorgelagerten 
Inseln  als  Stützpunkte  benutzend,  rascher  das  innere  Meer  durch 
einen  vorgelagerten  Dünensaum  abgesperrt,  als  die  in  dasselbe 
mündenden  Flüsse  es  zuzuschütten  vermochten,  es  sind  daher 
noch  zahlreiche  und  ausgedehnte  Reste  desselben  in  den  Etangs 
vorhanden.  Küstenströmung,  Küstenversetzung,  Wellenbewegung 
und  Südost  haben  also  die  schönen  Kurven  geschaffen,  in  welchen 
sich  hier  die  Küste  von  Vorgebirge  zu  Vorgebirge  schwingt.  Man 
kann  hier  in  bezug  auf  Verkehr  und  Ansiedelung  von  einer  dop- 
pelten Küste  sprechen,  einer  äußern  und  einer  innern.  Jeden- 
falls hat  sich  der  Wert  dieser  Küste  selbst  in  geschichtlicher  Zeit 
in  dieser  letztern  Hinsicht  ganz  gewaltig  geändert.  Noch  in  ge- 
schichtlicher Zeit  war  dieselbe  der  Sitz  eines  lebhaften  Seeverkehrs, 
Languedoc  ein  dem  Meere  zugekehrtes  Land.  Die  Gründung 
von  Narbonne  ist  gewiß  in  sehr  frühe  Zeit  zurückzuverlegen, 
wenn  auch  nicht  notwendig  bis  ins  n.  oder  gar  13.  Jahrhundert 
v.  Chr.,  wie  Cons  will.  Jedenfalls  war  es  eine  bedeutende  See- 
stadt, als  es  sich  den  Römern  anschloß ;  die  größten  Schiffe  ge- 
langten noch  in  ihren  Hafen.  Strabon  (IV,  1)  nennt  es  (wohl 
mit  Übertreibung  gegenüber  Marseille)  wegen  seines  wichtigen 
Handels  den  Hafen  von  ganz  Galizien.  So  war  es  auch  noch 
im  Mittelalter,  wenn  auch  der  Zugang  schon  künstlich  offen- 
gehalten werden  mußte.  Im  14.  Jahrhundert  begann  infolge  der 
Laufänderung  des  Aude  und  der  fortschreitenden  Verlandung 
der  rasche  Verfall.  Ähnlich  ist  auch  Montpellier,  das  im  Mittel- 
alter einen  sehr  bedeutenden  Seeverkehr  unterhielt,  heute  völlig 
zur  Landstadt  geworden.  Ähnliches  gilt  von  Eine  (Illiberis), 
Castel  Rousillon  (Ruscino),  Beziers  (Biterrae),  Agde,  Aigues  mortes, 


1)  Ch.  Lentheric,  La  Grece  et  l'Orient  en  Provence,  2eme  ed.  Paris 
1878,  p.  312.  Lentheric  nimmt  in  einem  andern  Werke,  Les  villes  mortes 
du  Golfe  de  Lyon,  3eme  ed.  Paris  1879,  p.  251,  weiter  nach  Westen,  zwischen 
Port  Vendres  und  Leucate,  eine  von  S  nach  N  gerichtete  Strömung  an,  aber 
ohne  Belege  dafür  beizubringen. 


Küste  von  Languedoc.  3y 

St.  Gilles  und  Arles.  Die  Schaffung  des  Kunsthafens  von  Cette 
im  Jahre  1666,  der  nur  unter  großer  Mühe  und  Kosten  offen  zu 
erhalten  ist  und  heute  das  einzige  Seetor  der  fruchtbaren  Küsten- 
landschaft bildet,  mag  allerdings  wohl  mit  zur  völligen  Verödung 
aller  übrigen  Seeplätze  beigetragen  haben.  Die  Schaffung  eines 
solchen  Hafens  an  der  äußern  Küste  war  aber  notwendig  ge- 
worden, weil  die  innern  sämtlich  unbrauchbar  geworden  waren. 
Schon  Richelieu  hatte  1632  den  Versuch  gemacht,  am  Kap  Agde 
einen  Hafen  zu  bauen.  Auch  hier  wird  das  Leben  ins  Innere 
zurückgedrängt,  die  ganze  Küstenzone  ist  von  Fiebern  heimge- 
sucht, die  Kindersterblichkeit  ist  eine  ungeheure,  und  während 
das  mittlere  Lebensalter  für  ganz  Frankreich  35,75  Jahre  be- 
trägt, sinkt  es  hier  auf  20,  ja  15  Jahre  herab1).  Languedoc  ist 
heute  ein  dem  Meere  verschlossenes,  nicht  Seehandel,  sondern 
Landbau  treibendes  Land.  Die  Seichtigkeit  des  Meeres,  die 
heftige  Brandung,  die  Hafenlosigkeit  macht  den  trostlos  öden, 
sandigen  Strand  von  Languedoc  zum  gefährlichsten  des  Mittel- 
meeres. Man  rechnet  im  Jahresmittel  in  der  Nähe  von  Cette 
auf  je  8  km  Küstenlänge  ein  verlorenes  Schiff,  bei  Agde  und 
Aigues  mortes  sogar  auf  ^,^ — 3,6  km  eines.  So  erweist  sich 
auch  dieser  Küstentypus  als  dem  Verkehr  feindlich,  vielleicht 
ebenso  feindlich  wie  die  geschlossene  Flachküste.  Aber,  wir  be- 
tonen es  noch  einmal,  er  ist  mit  all  seinen  Eigentümlichkeiten, 
seinen  harmonisch  geschwungenen  Kreisbogen  sowohl,  wie  seiner 
tödlichen  Einförmigkeit  und  Unbelebtheit,  sozusagen  erst  gestern 
entstanden. 

Vielleicht  läßt  sich  nun  aus  den  hier  vorgelegten  Unter- 
suchungen der  Satz  ableiten,  daß  überall  da,  wo  das  Meer  durch 
Brandungswellen  und  Strömungen  überwiegenden  Einfluß  auf  die 
Gestaltung  und  Entwickelung  der  Küsten,  seien  es  Steilküsten 
oder  Flachküsten,  ausübt,  die  Küstenlinie  die  Form  aneinander- 
gereihter Kreisbogen  annimmt,  an  Steilküsten  mit  kleinem,  an 
Flachküsten  mit  großem  Radius,  während  da,  wo  die  Küsten 
andre  Umrisse  aufweisen,  die  Mitwirkung  des  Meeres  bei  ihrer 
Ausgestaltung  zwar  durchaus  nicht  ausgeschlossen  ist,  aber  doch 
andre  Verhältnisse,  in  erster  Linie  die  tektonischen  Niveauver- 
änderungen und  Bewegungen  der  festen  Erdkruste  einflußreicher 
sind  oder  bis   vor  kurzem  waren. 

1)  Bulletin  de   la   Soc.  Languedocicnne,  V,   p.  558. 


II,  2.    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 


2.  Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier.1) 

Meine  Reise  durch  die  mittlem  und  östlichen  Atlasländer, 
die  ich,  in  Erfüllung  eines  seit  Jahren  gehegten  Wunsches,  im 
Frühjahre  1886  ausführte,  hatte  im  wesentlichen  den  Zweck,  eine 
der  letzten  Lücken  meiner  auf  Selbstsehen  beruhenden  Kenntnis 
der  Mittelmeerländer  auszufüllen.  Doch  lag  es  von  vornherein 
in  meinem  Plane,  einen  möglichst  großen  Teil  meiner  für  ein- 
gehendere Forschungen  viel  zu  knapp  bemessenen  Zeit  und  Mittel 
auf  Küstenstudien  zu  verwenden.  Meine  Beobachtungen  und 
Forschungen  an  den  Küsten  der  Mittelmeerländer  seit  1872,  später 
durch  solche  in  Niederdeutschland  und  Skandinavien  ergänzt, 
hatten  mir  von  Jahr  zu  Jahr  mehr  zum  Bewußtsein  gebracht,  wie 
dürftig  unsre  Kenntnis,  wie  lückenhaft  der  Schatz  beobachteter  Tat- 
sachen ist,  wo  es  sich  um  die  Gestaltung  der  Meeresküsten  handelt, 
um  die  Vorgänge  und  Kräfte,  welche  dabei  wirksam  sind.  Na- 
mentlich war  mir  aufgefallen,  daß  die  Brandungswelle  in  ihrer 
Bedeutung  als  in  hervorragender  Weise  küstengestaltende  Kraft 
bisher  kaum  hinreichend  gewürdigt  worden  war.  Ich  hatte  ver- 
sucht, die  Aufschließung  der  Küste  von  Algerien  durch  mehr  oder 
weniger  halbkreisförmige  Buchten  als  Wirkung  dieser  Kraft  hin- 
zustellen (vgl.  die  vorhergehende  Abhandlung  von  1885),  und 
so  galt  es  in  erster  Linie,  zu  untersuchen,  ob  diese  am  Schreib- 
tisch gewonnenen  Anschauungen  die  Beobachtung  an  Ort  und 
Stelle  bestätigen  würde. 

Die  im  ganzen  nur  neun  Wochen  umfassende  Reise,  die  es 
mir  hoffentlich  durch  eine  zweite,  an  Zeit  und  Mitteln  weniger 
beschränkte  zu  ergänzen  gelingt,  begann  zunächst  mit  einem 
längern  Aufenthalt  in  Algier,  von  wo  aus  Untersuchungen  in  der 
näheren  und  ferneren  Umgebung,  westwärts  bis  Tipaza,  nach  dem 
Innern  bis  Medeah  vorgenommen  und  zugleich  die  Forschungen 
einheimischer  Gelehrter  eingesehen  wurden.  In  Algier  hatte  ich 
auch  die  große  Freude,  unsern  trefflichen  Julius  Fröbel,  Karl  Ritters 
Zeitgenossen  und  wissenschaftlichen  Gegner,  kennen  zu  lernen,  der, 
vielleicht  von  den  meisten  Fachgenossen  für  tot  gehalten,  dort  trotz 

*)  Zuerst  erschienen  in  Petermanns  Mitteilungen  Jahrg.  1887  unter  Bei- 
gabe einer  Kartenskizze  und  Profile. 


Süd -Tunesien. 


89 


seiner  einundachtzig  Jahre  noch  körperlich  und  geistig  frisch  als 
Konsul  des  Deutschen  Reiches  wirkt.  Er  hat  mir  einzelne  wert- 
volle allgemeine  Winke  zuteil  werden  lassen.  Von  Algier  aus 
bereiste  ich  die  Küste  ostwärts  bis  Bona  und  kreuzte  dann  von 
Bona  aus  Teil  und  Hochland  über  Constantine  und  Batna,  von 
wo  ich  einen  Ausflug  in  die  gegen  Ende  März  noch  mit  Schnee 
bedeckten  Zedernwälder  des  Aures  unternahm,  bis  Biskra,  also 
bis  in  die  algerische  Sahara.  Von  Biskra  kehrte  ich  nach  Con- 
stantine zurück  und  durchschnitt  von  da,  zum  großen  Teil  zu 
Pferde,  nochmals  das  Hochland  in  diagonaler  Richtung  über 
Tebessa,  Feriana  und  Gafsa,  also  durch  das  tunesische  Beled- 
el-Djerid,  und  das  Schottgebiet  nach  Gabes.  Die  sehr  selten 
von  deutschen  Reisenden,  soviel  mir  bekannt,  nur  teilweise  von 
H.  v.  Maltzan  bereiste  Strecke  Tebessa — Gabes  war,1)  da  ich 
ohne  eignes  Zelt  und  auch  sonst  nur  mangelhaft  ausgerüstet,  nur 
mit  einem  Führer,  einem  Stadtaraber  aus  Tebessa,  reiste,  wegen 
der  großen  Entfernung  der  Brunnen  und  Oasen  nicht  ohne 
Schwierigkeiten  und  Entbehrungen.  Ich  lernte  dabei  die  diese 
Gegenden  kennzeichnenden  auffälligen  Wärmeschwankungen,  die 
heißen  Tage  und  bitterkalten  Nächte  aus  eigner  Erfahrung  kennen. 
Im  Hochbecken  von  Fussana,  35  °  n.  Br.,  800  m  Meereshöhe, 
stand  am  1.  April  das  Thermometer  unter  dem  vorn  offenen 
Zelte  eines  Araberscheikhs  vom  Stamme  der  Freschisch,  der  mich 
gastlich  aufgenommen  hatte,  um  6  Uhr  morgens  auf  Null,  während 
es  am  Nachmittag  des  Tages  vorher  bis  auf  30  °  C  gestiegen  war. 
Eine  andre  Nacht,  die  ich  im  Schottgebiet  mittewegs  Gafsa  bis 
Gabes  am  Brunnen  Mehamla  im  Freien  verbringen  mußte,  war 
zum  Glück  von  diesen  Gegensätzen  frei,  da  bei  34 °  n.  Br.  und 
fast  im  Meeresniveau  der  Himmel  mit  Wolken  bedeckt  war  und 
sogar  einen  Teil  derselben,  dem  Reisenden  weniger  erfreulich, 
in  einem  tüchtigen  Regengusse  dem  Sande  der  Wüste  zukommen 
ließ.  Auch  war  zu  sonstigen  Besorgnissen,  die  vor  kurzem  in 
Südtunesien,  wie  die  zahlreichen  zum  Andenken  Erschlagener, 
namentlich  in  der  Nähe  der  Brunnen  errichteten  Steinhaufen 
zeigen,  gehegt  werden  mußten,  kein  Anlaß,  da  einerseits  die 
Franzosen   den  landesüblichen   Räubereien    so    ziemlich  ein  Ende 


i)  Dieser  Teil  der  Reise  ist  eingehend  dargestellt  in  Mittelmeerbilder  Bd.  I, 

S.  301. 


go  II,  i.    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

gemacht  haben,  anderseits  ich  mich  auch  einer  kleinen  an  dem 
Brunnen  rastenden  Karawane  anschließen  konnte.  Die  auf  dieser 
Linie  erlangte  Vertrautheit  mit  der  Steppe  und  Wüste,  mit  dem 
Leben  der  Nomaden,  mit  einem  Scirocco,  der  früher  in  Sizilien 
beobachtete  Sciroccostürme  weit  in  den  Schatten  stellte,  sowie  eine 
zweitägige,  an  neuen  Eindrücken  und  Beobachtungen  reiche  Rast 
in  der  herrlichen  Oase  Gafsa  wog  natürlich  die  unangenehmen 
Zugaben  vielfach  auf.  Wie  ich  in  Algerien  von  französischen 
Gelehrten  die  liebenswürdigste  Aufnahme  und  Förderung  meiner 
Studien  gefunden  hatte,  so  leistete  mir  in  Südtunesien  ein  offner 
Brief  der  tunesischen  Regierung  sehr  wesentliche  Dienste.  Ich 
fand  nachher  Gelegenheit,  in  Tunis  dem  Herrscher  des  Landes 
meinen  Dank  auszusprechen  und  hatte  dabei  auch  die  Freude, 
zu  sehen,  daß  unser  dem  Vaterlande  und  der  Wissenschaft  allzu 
früh  entrissener  Nachtigal  dort  noch  im  allerbesten  Andenken 
steht.  Dankbar  gedachte  der  Bei  seines  tatkräftigen  Eingreifens 
als  Arzt  bei  Gelegenheit  eines  Eisenbahnunfalls  im  Juli  1880  bei 
La  Marsa,  wo  der  Bei,  damals  noch  Prinz,  leicht,  und  der  Sohn 
des  damaligen  Bei  schwer  verletzt  worden  war.  Nachtigal  war 
zufällig  auch  im  Zuge  und  unverletzt  gewesen. 

Von  Gabes  aus  bereiste  ich  die  ganze  Ostküste  von  Tunesien 
bis  Tunis  und  verwandte  dann  die  letzten  zehn  Tage  auf  afrika- 
nischem Boden  fast  ganz  zur  Erforschung  des  Medscherda-Deltas. 
Die  Rückreise  nahm  ich  über  Cagliari,  Sizilien,  wo  ich  einige 
vor  zehn  und  zwölf  Jahren  besuchte  Punkte  bezüglich  der  seitdem 
eingetretenen  Veränderungen    prüfen    konnte,    und  durch  Italien. 

Die  Reise  hatte,  wie  schon  die  weiten,  mit  zum  Teil  sehr  un- 
vollkommenen Beförderungsmitteln  zurückgelegten  Strecken  zeigen, 
der  Hauptsache  nach  die  Aufgabe,  meine  aus  Bücher-  und  Karten- 
studien erlangte  Kenntnis  dieser  Länder  durch  Selbstsehen  zu 
vertiefen  und  zu  ergänzen.  Dieses  Ziel  ist  erreicht  worden.  Ein- 
gehendere wissenschaftliche  Forschungen  waren  nur  an  einzelnen 
Punkten  geplant.  Die  auf  der  Reise  gemachten  Beobachtungen 
werden  der  Hauptsache  nach  erst  bei  einer  späteren  Veröffent- 
lichung verwertet  werden,  für  jetzt  und  an  dieser  Stelle  sollen 
nur  die  Küstenstudien  zur  Mitteilung  gelangen,  da  es  sich  hier- 
bei um  anscheinend  jetzt  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund 
tretende  Fragen  handelt.  Daß  dies  geschieht,  dazu  wird  wohl 
das    vor    kurzem    erschienene    Werk    Ferdinands    v.    Richthofen 


Die  Küste  von  Algerien.  q  j 

wesentlich  beitragen,  das  unter  dem  bescheidenen  Titel  eines 
, .Führers  für  Forschungsreisende"  einerseits,  namentlich  in  me- 
thodischer Hinsicht,  einen  bedeutenden  Schritt  vorwärts  für  unsre 
Wissenschaft  bezeichnet,  anderseits  weitere  Fortschritte  anbahnt 
und  der  Forschung  die  Wege  weist.  Aus  keinem  Werke  wird 
man  wie  aus  diesem  die  Fülle  der  Aufgaben,  welche  der  geo- 
graphischen Wissenschaft  noch  gestellt  sind,  das  jugendfrische 
Aufstreben  und  die  weite  Zukunft,  die  sich  ihr  noch  öffnet,  so 
klar  erfassen.  Mit  ganz  besonderer  Vorliebe  auf  Grund  um- 
fassender eigner  Beobachtungen,  vielfach  neue  Gesichtspunkte 
einführend,  scheinen  in  dem  Werke  die  Küsten  behandelt  zu 
sein.  Dasselbe  kam  mir  durch  die  Güte  des  Verfassers  wenige 
Tage  vor  meiner  Abreise  zu  und  bildete  wohl  das  wertvollste 
Stück  meiner  Ausrüstung.  Ich  bin  somit  wohl  der  erste  Geograph, 
der  an  der  Hand  dieses  Führers  gewandelt  ist,  und  ich  muß 
dankbar  anerkennen,  daß  ich  durch  ihn  in  der  Übung  des  Sehens, 
des  Lesens  in  dem  großen,  allezeit  aufgeschlagenen  Hauptbuche 
des  Geographen,  der  Natur,  wesentlich  gefördert  worden  bin. 
Gerade  die  Küsten  von  Algerien  sind  ja  vorzugsweise  geeignet, 
um  Richthofens  Theorie  über  die  Entstehung  der  Abrasionsflächen 
zu  prüfen,  denn  dort  geht  tatsächlich  die  Bildung  einer  solchen 
vor  sich.  Auf  diesen  Vorgang,  auf  die  große  Bedeutung,  welche 
die  Bildung  von  Abrasionsfiächen  und  übergreifender  Schichten 
bei  positiver  Strandlinienverschiebung  für  die  Entwicklung  und 
das  Verständnis  der  Oberflächenformen  und  die  Umrisse  des 
Festen  hat,  hingewiesen  zu  haben,  ist  ja  eins  der  großen  und 
zahlreichen  Verdienste  Ferdinands  v.  Richthofen  um  die  geo- 
graphische Wissenschaft. 

Es  war  mir  also  vergönnt,  eine  Reihe  von  Küstenpunkten  zu 
besuchen  und  dort  zu  prüfen,  ob  die  von  mir  ein  volles  Jahr 
vorher  ausgesprochenen  Ansichten  über  die  die  Gliederung  der 
Küste  von  Algerien  bewirkenden  Vorgänge  einer  Prüfung  stand- 
hielten. Es  ist  dies  in  der  Tat  der  Fall  gewesen,  es  ist  mir 
möglich  gewesen,  einen  reichlichen  Tatsachenschatz,  der  noch 
lauter  für  den  großen  Einfluß  der  Brandungswelle  auf  die  Ent- 
wicklung der  Küstenformen  Algeriens  spricht,  beizubringen.  Die 
hier  niedergelegten  eignen  Beobachtungen  sind  daher  zum  großen 
Teil  nur  weitere  Ausführungen  der  früher  am  Schreibtisch  ge- 
machten   Forschungen ;    sie    liefern    an    bestimmten    Punkten    ge- 


02  II,  2.    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

wonnene    Beweise     für     die    küstengestaltende    Kraft     der     Bran- 
dungswelle. 

Ich  war  zunächst  bemüht,  zur  weitern  Begründung  des  früher 
dargelegten  Einflusses  der  an  der  Küste  von  Algerien  herrschenden 
Winde  auf  Hervorrufung  einer  besonders  zerstörungskräftigen 
Brandungswelle  Beobachtungen  über  Windrichtung  und  Windstärke 
zu  sammeln.  Solche  sind  von  Herrn  O.  Mac  Carthy,  wohl  dem 
besten  Kenner  der  physischen  Geographie  von  Algerien,  seit 
einigen  Jahren  angestellt  worden,  und  wurden  mir  von  demselben 
die  Jahrgänge  1883  (von  April  an)  bis  1885  zur  Verfügung  ge- 
stellt. Es  ergibt  sich  daraus,  daß  die  Windstärke  zwischen  den 
extremen  Monatsmitteln  der  Beobachtungsreihe  von  1,2  und  2 
schwankt1).  Aber  es  treten  dabei  die  gar  nicht  so  seltenen 
Stürme  nicht  genügend  hervor,  während  anderseits  sich  die  sehr 
wichtige  Tatsache  klar  herausstellt,  daß  NO  die  vorherrschende 
Windrichtung  ist,  und  daß  in  den  Sommermonaten,  wo  sie  fast 
allein  herrscht,  auch  die  Windstärke  weit  bedeutender  ist  als  im 
Winter.  In  den  sechs  Monaten  Mai  bis  Oktober  überwiegen 
Winde  des  ersten  Quadranten,  meist  NO,  vor  solchen  aller  drei 
übrigen  Quadranten  zusammengenommen,  unter  denen  aber  Nord- 
west noch  ziemlich  häufig  ist,  während  in  den  übrigen  sechs 
Monaten  Winde  des  ersten  Quadranten  und  besonders  Nordost 
durchaus  nicht  selten  sind.  Wir  haben  demnach  hier  ganz  auf- 
fällig häufiges  Wehen  der  Winde  gegen  die  Küste  hin  und  es 
werden  also  die  Küsten  Algeriens  von  einer  zwar  nicht  allzuoft 
zu  ganz  besonderer  Heftigkeit  aufgeregten,  aber  fast  ununter- 
brochen kräftig  wirkenden  Brandungswelle  angegriffen.  Anderseits 
hatte  ich  als  willkommene  Ergänzung  dieser  Beobachtungen  Ge- 
legenheit, an  den  Hafendämmen  von  Algier  und  Philippeville 
—  in  Oran  ist  es  ähnlich  gewesen  —  die  ganz  frischen  Spuren 
der  gewaltigen  Kraft  zu  sehen,  mit  welcher  die  Wogen  hier  bei 
Nord-  und  Nordoststürmen  die  Küste  angreifen.  Drei  Wochen 
vor  meiner  Ankunft,  am  9.  Februar,  hatte  nämlich  an  dieser 
Küste  ein  Sturm  gewütet,  der  zu  den  furchtbarsten  gehört,  die 
man  hier  beobachtet  hat.  Ich  konnte  mir  zwei  große  Photo- 
graphien verschaffen,  welche  den  Hafen  und  die  Küste  bei  Algier 


I)  Zur  Beurteilung  der  gewählten  Skala  diene,  daß  die  Stärke  der  hef- 
tigsten in  die  Beobachtungszeit  fallenden  Stürme  mit  3  angegeben  wird. 


Stürme  an  der  Küste  von  Algerien. 


93 


während  des  Sturmes  darstellen,  ein  grauenhaft  großartiges  Schau- 
spiel. Turmhoch  wurden  die  Wellen  über  die  Häuser  und  über 
den  Hafendamm  gepeitscht,  und  die  zahlreich  im  Hafen  ver- 
ankerten Schiffe  schwebten  lange  Zeit  in  der  größten  Gefahr. 
Der  Hafendamm  hat  schwer  gelitten  und  sich  an  verschiedenen 
Stellen  gesenkt.  Man  meint  das  nunmehr  besonders  der  Eigen- 
tümlichkeit zuschreiben  zu  sollen,  daß  man  unten  in  demselben 
Öffnungen  gelassen  hat,  weil  man  glaubte,  dadurch  den  Stoß  zu 
vermindern,  während  anscheinend  der  Brandungswelle  damit  erst 
recht  Angriffspunkte  geschaffen  sind.  Ähnlich  war  es  in  Philippe- 
ville.  In  Oran  war  der  Schade  noch  weit  größer.  Während  der 
fünfzehn  Tage,  welche  ich  der  Küste  von  Algerien  von  Kap 
Chenoua  bis  Bona  im  März  gewidmet  habe,  waren  nur  drei  der- 
artig, daß  es  möglich  gewesen  wäre,  im  Boot  Untersuchungen  zu 
machen,  und  zwar  in  Bona.  Diese  habe  ich  zum  Teil  auch 
dazu  benutzt,  während  der  übrigen  Zeit  war,  wie  gewöhnlich,  die 
Brandung  so  stark,  daß  es  geradezu  unmöglich  war,  im  Boot 
Forschungen,  wie  ich  sie  namentlich  gern  bei  Tipaza  angestellt 
hätte,   zu  machen.      Das   kennzeichnet   diese  Küste. 

i.  Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza. 
Es  ist  mir  gelungen,  den  sichern  Nachweis  zu  führen,  daß 
an  einer  ganzen  Reihe  von  Punkten  die  Küste  von  Algerien  seit 
dem  Beginn  des  Mittelalters  unter  dem  Andrang  der  Brandungs- 
welle sehr  bedeutend  zurückgewichen  ist,  an  zwei  Punkten,  daß 
sie  auch  heute  noch  rasch  zurückweicht.  Am  augenfälligsten  ist 
dies  an  der  schon  bei  meinen  früheren  Untersuchungen  in  Be- 
tracht gezogenen  flachen  Bucht  von  Tipaza,  westlich  von  Algier. 
Daß  diese  Bucht  lediglich  ein  Werk  der  Brandungswelle  ist, 
darüber  kann  jetzt  kein  Zweifel  mehr  bestehen.  Sie  wird  be- 
grenzt im  Westen  von  dem  aus  sehr  hartem,  kompaktem  Nummu- 
litenkalk  bestehenden  massigen  Vorgebirge  Chenoua,  an  welchem 
dieselben,  und  zwar  genau  am  Kap  Chenoua,  marmorartig  auf- 
tretend als  Marmor  ausgebeutet  werden.  Es  springt  dies  sich 
bis  907  m  erhebende  Vorgebirge  mehr  als  5  km  gegen  die  Bucht 
vor  und  steigt  in  steilen,  200  bis  300  m  hohen  Hängen  vom 
Meere  auf;  liegt  doch  selbst  jener  höchste  Punkt  nur  3000  m  von 
der  Küste.  Die  Stirnseite  des  jahraus  jahrein  von  der  Brandung 
umtobten    Vorgebirges     ist     in    wunderbarer    Weise     von     kleinen 


04  II,  2.    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

felsigen  Buchten  zerrissen,  von  Blöcken,  Klippen  und  Inselchen 
umlagert,  an  der  Ostseite  ist  die  Felswand  von  den  Grotten  des 
Nador  durchbohrt.  An  diesen  felsigen  Strand  schließt  sich  etwa 
bis  zur  Tiefe  von  40  m  und  einem  Küstenabstande  von  nur  1000  m 
ein  Saum  von  sandigen  Ablagerungen,  dann  folgt  schon  Schlamm, 
hier  und  da  jedoch  noch  Ablagerungen  von  Muscheln.  Ein  Quer- 
schnitt würde  von  dem  noch  zu  besprechenden,  für  Pointe  Pescade 
gegebenen,  nur  wenig  abweichen.  Die  Grenze  zwischen  Vor- 
gebirge und  Bucht  fällt  aufs  genaueste  mit  der  Grenze  der  festen 
Nummulitenkalke  und  der  leicht  zerstörbaren  miocänen  Kalksteine 
von  Tipaza  zusammen. 

Die  östliche  Begrenzung  der  Bucht  wird  gebildet  von  dem 
Massiv  von  Algier,  einer  sich  nach  S  sanft  abflachenden,  nach 
N  und  O  steil  zum  Meere  abfallenden  Felsmasse,  die  an  ihrer 
Stirnseite  abwechselnd  Granite,  Gneiße,  Glimmerschiefer,  Talk- 
schiefer und  dunkelblaue  Kalkschiefer  hervortreten  läßt.  Das 
geschichtlich  berühmt  gewordene  Kap  Sidi  Ferruch,  der  westliche 
Vorsprung  des  Massivs  von  Algier,  besteht  auch  aus  faserigem 
Granit  und  Glimmerschiefer.  Auch  dieses  im  Bouzarea,  2  km 
vom  Meeresufer,  407  m  erreichende  Vorgebirge  kehrt  seine  breite, 
hohe  Stirn  dem  Meere  zu  und  ist  dort,  ähnlich,  wenn  auch 
weniger  reich  wie  das  von  Chenoua,  von  Blöcken,  Klippen  und 
Inseln  umlagert;  auch  hier  finden  sich  in  den  dunkeln  Kalkfelsen 
in  etwa  30  m  Höhe  Grotten  am  Kap  Caxine  und  der  Pointe 
Pescade  selbst,  von  welchen  die  letztere  als  eine  Wohnstätte  des 
Menschen  der  Steinzeit  erwiesen  worden  ist,  der  hier  am  heutigen 
Ufer  des  Meeres  nur  von  Landtieren  lebte,  die  zum  großen  Teil 
heute  noch  im  Innern  des  Landes  vorkommen.  An  den  schmalen 
Saum  der  Felsblöcke,  Klippen  und  Inseln,  der  Arbeitsstätte  der 
Brandungswelle,  über  welche  das  Land  meist  in  Steilabstürzen 
von  10  m  Höhe  und  mehr  ansteigt,  schließt  sich  seewärts  auf 
eine  Entfernung  von  1  —  1  x/2  km  vom  Ufer  und  bis  zu  einer  Tiefe 
von  40 — 50  m  ein  Gürtel  an,  welcher  vorwiegend  aus  Sand,  hier 
und  da  auch  aus  Kies,  Korallen  und  Korallenbruchstücken, 
Muscheln  und  Muschelresten,  seltener  aus  anstehendem  Fels  be- 
steht. Dann  folgen  bis  in  die  größten  Tiefen  Schlammablagerungen. 
Die  dem  Strande  vorgelagerte  flachgeböschte  unterseeische  (Abra- 
sions-)  Terrasse  hat  hier  nur  eine  Breite  von  ca.  2  km,  bei  100  m 
Tiefe   beginnt   der  Steilabsturz,    so    daß   in   einer  Entfernung  von 


Der  Sahel  von  Tipaza.  q  e 

nur  ioooom  vor  Pointe  Pescade  sich  Tiefen  von  2100m  finden. 
Am  Vorgebirge  Chenoua  sind,  wohl  entsprechend  dem  etwas 
weniger  widerstandsfähigen  Gesteine,  die  entsprechenden  Gürtel 
breiter,  bis  zu  100  m  Tiefe  finden  sich  Kies  und  Muscheln,  dann 
aber,  in  einem  Küstenabstande  von  3000  bis  4000  m,  also  etwa 
doppelt  so  groß  wie  vor  dem  Massiv  von  Algier,  beginnen  Schlamm- 
ablagerungen und  der  unterseeische  Steilabsturz. 

Zwischen  beiden  Vorgebirgen  weist  nun  die  im  allgemeinen 
hier  ONO  streichende  Küste,  landeinwärts  zurückweichend,  wesent- 
lich andere  Formen  auf.  Sie  wird  hier  von  einem  tafelland- 
artigen Höhenrücken  begleitet,  welcher  die  orographische  Ver- 
bindung zwischen  dem  Chenoua  und  dem  Massiv  von  Algier 
bildet  und  wie  ein  Damm  die  westliche  Mitidja  vor  einem  Ein- 
bruch des  Meeres  schützt.  Er  ist  ein  wesentliches  Glied  der 
sogenannten  Küstenkette,  das  man,  ähnlich  wie  man  das  Massiv 
von  Algier  in  engerm  Sinne  auch  Sahel  von  Algier  nennt,  Sahel 
von  Tipaza  nennen  könnte.  Ich  möchte  jedoch  im  Gegensatz 
zu  der  noch  immer  wiederkehrenden,  aber  völlig  irrigen  Dar- 
stellung einer  am  Kap  Ghir  beginnenden  und  am  Kap  Bon 
endenden  Kette  auch  hier  darauf  hinweisen,  daß  von  Ketten  in 
dem  Sinne  wie  im  marokkanischen  Atlas  in  Algerien  nicht  ge- 
sprochen werden  kann,  noch  weniger  von  sich  an  jene  unmittelbar 
anschließenden  Ketten.  Wir  haben  es  hier  mit  einer  Massen- 
anschwellung zu  tun,  einer  muldenförmigen  Hochfläche,  deren 
etwas  erhöhte  Ränder  ihre  reiche  Gliederung,  die  Herausbildung 
einzelner  kürzerer  Bergketten,  Berggruppen  und  Massivs,  fast  aus- 
schließlich atmosphärischen  Agentien  verdanken.  Diese  schon 
früher  gebildeten,  an  Ort  und  Stelle  aber  noch  mehr  befestigten 
Anschauungen  erwiesen  sich  beim  Gedankenaustausch  über  diese 
Frage  als  völlig  übereinstimmend  mit  denjenigen  O.  Mac  Carthys 
in  Algier,  der  dieselben  schon  1881  klar  und  entschieden  in  einem 
der  damals  in  Algier  tagenden  Versammlung  der  französischen 
Naturwissenschaftlichen  Gesellschaft  vorgelegten  Schriftchen  (G60- 
graphie  physique  de  l'Algerie)  ausgesprochen  hatte.1)    Die  Erosions- 


I)  In  solcher  Schärfe  läßt  sich  diese  Ansicht,  selbst  rein  orographisch. 
wie  sie  gemeint  ist,  nicht  mehr  aufrecht  erhalten.  Die  zahlreichen  kurzen 
Ketten,  welche  den  Teil-  wie  den  Sahara-Atlas  bilden  und  sich  aneinander, 
z.  T.  kulissenarüg  voreinander  schieben,  sind  in  erster  Linie  tektonisch  be- 
gründet. 


q6  II,   2.    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

kraft  des  fließenden  Wassers  war  und  ist  hier  bei  der  Steilheit 
des  Absturzes  der  Hochfläche  zum  Meere,  bei  dem  geologischen 
Bau  derselben  und  vor  allem  dem  Klima,  in  welchem  lange 
Perioden  trockner  Hitze  mit  gewaltigen  plötzlichen  Güssen  und 
Perioden  solcher  wechseln,  eine  ganz  außerordentliche.  Wie  die 
Ansicht,  daß  die  Trockenbetten  der  Sahara  durch  auch  jetzt  noch, 
wenn  auch  selten  eintretende  Wasserfluten  geschaffen  seien,  vieles 
für  sich  hat,  so  haben  auch  im  Teil  der  Atlasländer  erst  die 
Flüsse  den  Rand  der  Hochflächen  gegliedert,  die  Täler  und  die 
sie  fast  ausnahmslos  kennzeichnenden,  zum  Teil  großartigen 
Durchbruchschluchten,  die  großartigste  die  seit  1873  zugänglich 
gemachte  Chabet-el-Akra,  die  Schlucht  des  in  den  Golf  von 
Bougie  mündenden  Wed  Agriun,  geschaffen.  Ungeheure  Massen 
sind  so  in  frühquartärer  Zeit  dem  Gebirge  am  Südrande  der 
Mitidja  entrissen  und  bilden  als  gerollte  Kiesel  den  Untergrund  der 
ausgedehnten  Ebene.  Die  durch  den  Gegensatz  des  Luftdrucks  über 
Mittelmeer  und  Wüste  hervorgerufenen  Luftströmungen  entladen 
eben  ihre  Wassermassen  an  dem  beide  voneinander  trennenden 
Walle  und  rufen  noch  heute  ein  riesiges  Anschwellen  der  Flüsse 
hervor,  so  daß  zu  derselben  Zeit,  wo  die  gegen  die  Küste  heran- 
brausenden Stürme  das  feste  Land  in  wagrechter  Richtung  an- 
greifen, diesem  auch  in  senkrechter  wohl  noch  erfolgreichere 
Angriffe  gelten.  Dieselben  Stürme  des  Februar  hatten  in  Algerien, 
namentlich  gegen  Osten  hin,  und  in  Tunesien  furchtbare  Ver- 
heerungen durch  Wasserfluten  angerichtet,  alle  Eisenbahnlinien 
der  Provinz  Constantine  und  Nordtunesiens  waren  an  vielen 
Punkten  wochen-,  zum  Teil  monatelang  unterbrochen.  Doch 
wurde  sehr  glaubwürdig  versichert,  daß  dies  zum  Teil  an  dem 
leichtfertigen  Baue  derselben  liege,  der  von  der  Regierung  selbst 
in  dieser  Weise,  ohne  Rücksicht  auf  die  häufigen  Hochwasser 
betrieben  worden  sei,  damit  man  endlich  einmal  dem  Drängen 
der  öffentlichen  Meinung  etwas  bieten  könne.  Jedenfalls  aber 
konnte  man  im  Tal  der  Seybouse  nach  fast  1  a/2  Monaten  noch 
allenthalben  die  Verheerungen  des  Flusses  erkennen,  dessen 
Wasserstand  6  — 10  m  über  dem  damaligen,  noch  immer  weit 
übernormalen  gewesen  war.  Wie  große  Massen  von  festen  Stoffen 
die  Flüsse  bei  Hochwasser  mit  sich  führen,  ergaben  die  Messungen, 
welche  am  Cheliff  bei  dem  Hochwasser  vom  16.  Dezember  1877 
an  dem  Staudamme  von  Orleansville  vorgenommen  wurden.  Während 


Die  Brandungsbuchtküste  bei  Tipaza.  qj 

der  Fluß  im  Winter  im  Mittel  50 — 60  cbm  Wasser  in  der  Sekunde 
wälzt,  führte  er  damals  1448  cbm,  die  so  reich  an  festen  Stoffen 
waren,  daß  er  deren  in  24  Stunden  3777  894  Tonnen  dem  Meere 
zuführte,  geeignet,  eine  Fläche  von  3  qkm  fast  um  1  m  zu  er- 
höhen1). Diese  eine  Hochflut  also  hätte  das  Delta  des  Cheliff 
um  1  m  zu  erhöhen  vermocht.  Wenn  daher  dieser  größte  Fluß 
Algeriens  nur  ein  derartiges  Delta-Embryo  zu  schaffen  vermocht 
hat,  so  prägt  sich  darin  die  Bedeutung  der  früher  hinreichend 
gekennzeichneten  Küstenströmung  aus. 

Der  Sahel  von  Tipaza  besteht  aus  ein  sanftes  Gewölbe  bil- 
denden, fast  wagerecht  liegenden,  nur  sehr  wenig  nach  N  ge- 
neigten, in  mächtigen  Bänken  auftretenden,  miocänen,  grobkör- 
nigen Kalksteinen  mit  Zwischenlagern  roter  Tone;  ostwärts  von 
dem  Dorfe  Berard  treten  pliocäne  mit  Sand  untermischte  Kalk- 
steine, namentlich  an  der  Küste  entlang  auf.  Beide  haben  ge- 
ringe Festigkeit.  Das  Gebirge  hat  den  Charakter  eines  schmalen. 
Tafellandes,  eines  Tafelrückengebirges,  das  im  Winter  von  zahl- 
reichen kleinen  Teichen,  die  im  Frühjahr  verdunsten,  bedeckt 
ist,  sich  steil  nach  innen  zur  Mitidja,  etwas  sanfter  nach  außen 
zum  Meere  senkt.  Man  wird  es  wohl  als  ein  Horstgebirge  ansehen 
können.  Die  Wasserscheide  gegen  die  Mitidja,  die  hier  50 — 60  m 
über  dem  Meere  und  an  der  schmälsten  Stelle  des  Rückens  nur 
2800  m  von  demselben  entfernt  liegt,  ist  meist  nur  800 — 1200  m 
von  der  Ebene  entfernt.  Die  mittlere  Höhe  des  Sahel  von  Tipaza 
mag  200  m  betragen,  zahlreiche  Gießbäche  eilen  dem  Meere  zu, 
wirklich  durchbrochen  ist  das  Gebirge  aber  nur  im  O  vom 
Mazafran  in  einem  engen,  steilhängigen  Tale,  dessen  Sohle  da, 
wo  der  Fluß  aus  der  Mitidja  in  dasselbe  eintritt,  nur  mehr  14  m 
Höhe  hat,  im  W  vom  Nador,  der  nahe  bei  Tipaza  mündet,  und 
dessen  breites  Tal  einen  bequemen  Zugang  zur  westlichsten  Bucht 
der  Mitidja  bei  Marengo  bildet.  Beide  Durchbruchstäler  sind 
wohl  als  antezedente  aufzufassen.  Mit  der  dichtem  Besiedelung 
der  Mitidja  wird  man  die  schwächlichen  Versuche,  Tipaza  zu 
einem  Seeplatze  zu  machen,  mit  mehr  Ernst  wieder  aufnehmen 
müssen,  denn  ohne  kostspielige  Hafenbauten  wird  das  nicht 
möglich  sein. 

Die   Küste    bei  Tipaza    zeigt    nun    bis    zu    dem    Kolonisten- 


1)  Comptes  rendus  T.  88,  p.  408. 
Fischer,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge. 


q8  II,  2.    Die  Abrasionskiiste  bei  Tipaza  und  Algier. 

dörfchen  Berard,  soweit  die  grobkörnigen,  leicht  zerstörbaren 
miocänen  Kalksteine  dieselbe  bilden,  aber  auch  noch  jenseit 
Berard  bis  gegen  Castiglione  hin,  einem  dicht  am  Meere  gelege- 
nen aufblühenden  Städtchen,  entsprechend  dem  wenig  geänderten 
petrographischen  Charakter  der  etwas  Jüngern  Schichten,  auffällige, 
auf  der  ganzen  25  km  langen  Strecke  sich  gleichbleibende  Formen. 
Sie  ist  überall  steil,  meist  wird  sie  von  10  m  hohen  Felswänden 
gebildet,  die  nur  hier  und  da  an  den  Buchten,  wo  die  atmo- 
sphärischen Agenden  die  Abtragung  rascher  zu  fördern  vermocht 
haben,  zu  geringerer  Höhe,  aber  immer  noch  kaum  irgendwo 
unter  2 — 3  m  herabsinken,  so  daß  man  dort  bequemer  an  den 
Strand  gelangen  kann.  Diese  Steilküste  ist  nun  durch  zahlreiche 
kleine  Buchten  gegliedert,  man  zählt  ihrer  auf  dieser  Strecke 
nicht  weniger  als  22,  also  fast  auf  je  1  km  eine;  je  weiter  nach 
Westen,  um  so  dichter  reihen  sie  sich  aneinander,  um  so  tiefer 
dringen  sie  ein.  Die  größte,  die  von  Tipaza,  hat  eine  Öffnung 
von  600  m  und  eine  Tiefe  von  300  m.  Das  Streichen  der  Küste 
ist  erst  ein  auf  etwas  über  10  km  genau  westliches,  dann  ost- 
nordöstliches, stets  aber  dem  Schichtenstreichen  parallel.  West- 
lich von  Tipaza  ist  zwischen  diesem  Küstentypus  und  der  weit 
großartigem  Steilküste  des  Vorgebirges  Chenoua  noch  ein  mit 
niedern  Dünen  besetztes  2,8  km  langes  Stück  Flachküste  zu  bei- 
den Seiten  der  Nadormündung,  die  Öffnung  des  Nadortales 
bezeichnend,  eingeschaltet.  Östlich  von  Castiglione  bis  nahe  an 
die  Mündung  des  Mazafran  behält  die  Küste  noch  die  gleiche 
Höhe  und  Steilheit,  entbehrt  aber  der  Buchten.  Von  der  Mazafran- 
mündung  an  tritt  eine  von  Dünen,  zum  Teil  von  beträchtlicher 
Höhe,  begleitete  Flachküste  auf,  die  nur  von  dem  weit  vor- 
springenden Kap  Sidi-Ferruch  unterbrochen  wird  und,  in  streng 
nordöstlicher  Richtung  streichend,  am  Ras  Acrata,  westlich  von 
Guyotville,  wo  die  Steilküste  des  Massivs  von  Algier  beginnt,  endigt. 
Eine  Untersuchung  dieses  ganzen,  somit  eine  flache,  sich  im 
W  auf  das  Vorgebirge  Chenoua,  im  O  auf  das  Massiv  von  Algier 
stützende  Kurve  bildenden  Küstenstücks  von  60  km  Länge  hat 
nun  Ergebnisse  von  allgemeiner  Wichtigkeit  gehabt.  Es  ist  mir 
gelungen,  den  Nachweis  zu  liefern,  warum  die  Küste  auf  der  einen 
Strecke  hoch,  auf  der  andern  niedrig  ist,  warum  sie  auf  einer 
Strecke  ausgebuchtet  ist,  auf  der  andern  nicht;  daß  dieselbe  dem 
Ansturm  der  Brandungswelle  rasch  unterliegt,   daß  hier  bei  posi- 


Die  Brandungsbuchtküste  bei  Tipaza.  gn 

tiver  Strandlinienverschiebung  eine  Abrasionsfläche  in  Bildung  be- 
griffen ist.  Selbst  ein  ungefähres  Maß  des  Zurückweichens  meine 
ich  gefunden  zu  haben.  Es  dürfte  diese  Einzeluntersuchung 
demnach  in  mehrfachem  Sinne  lehrreich  sein  und  einen  Einblick 
in  die  Vorgänge  bei  der  Herausbildung  gewisser  Küstenformen 
überhaupt  gewähren. 

Daß  zunächst  vor  den  Tälern  der  beiden  den  Sahel  von 
Tipaza  bis  zur  Basis  durchschneidenden  Flüsse  Nador  und  Maza- 
fran  von  Dünen  besetzte  Flachküste  liegt,  erklärt  sich  daraus,  daß 
hier  unter  dem  Einflüsse  der  beiden  auch  heute  noch  zeitweilig 
sehr  wasserreichen  Flüsse,  deren  Quellen  in  den  Gebirgen  des 
Teil  in  Gegenden  liegen,  welche  zu  den  niederschlagsreichsten 
Algeriens  gehören,  die  in  senkrechter  Richtung  wirkenden  Kräfte 
die  Abtragung  des  Gebirges  weit  rascher  förderten,  als  die  in 
wagerechter  Richtung  arbeitende  Brandungswelle.  Die  Durch- 
bruchstäler des  Nador,  dessen  Spiegel  dort,  wo  er  im  NW  von 
Marengo  aus  der  Mitidja  austritt,  nur  etwa  50  m  hoch  hegt,  und 
des  Mazafran  sind  schon  in  derselben  frühquartären  Zeit  gebildet 
worden,  in  welche  die  Kieselablagerungen  der  Mitidja  fallen. 

Die  Durchbruchstäler  beider  sind  nur  am  oberen  Ende  auf 
300  m  verengt,  dann  sind  sie  durch  die  seitliche  Erosion  und 
die  Schlangenwindungen,  in  welchen  beide  Flüsse  durch  die  ebene 
Talsohle  dem  Meere  zustreben,  immer  mehr  ausgeweitet.  Nament- 
lich hat  der  Nador  sich  seitdem  eine  gelegentlich  bis  10  m  tiefe, 
von  senkrechten  Wänden  gebildete  Rinne  in  dem  festen  lehmigen 
Schwemmlande  gebildet.  Beide  führen  dem  Meere  reichlich  Sink- 
stoffe zu,  welche  die  Brandung  zurückwirft  und  damit  die  Dünen- 
säume aufbaut,  durch  die  jene  sich  im  Sommer  nur  mit  Mühe 
einen  Weg  offen  halten.  Ihre  Mündungen  sind  dann  fast  ganz 
durch  Barren  geschlossen.  Auch  machen  beide,  und  ebenso  der 
noch  näher  bei  Tipaza  mündende  kleine  Wed  Terbout,  recht 
bezeichnend  an  der  Mündung  eine  Krümmung  nach  O  bzw.  NO. 
Ein  Zurückweichen  des  Landes  ist  hier  kaum  anzunehmen,  wenn 
auch  der  Nordwest  bedeutende  Mengen  Sand,  das  Wachsen  der 
Dünen  verlangsamend,  landeinwärts  treibt  und  namentlich  auf  der 
Stätte  des  alten  Tipaza  fallen  läßt,  dessen  Ruinen  so  seit  etwa 
12  Jahrhunderten  mit  einer  Sandschicht  bedeckt  worden  sind, 
deren  Mächtigkeit  allerhöchstens  2  m  betragen  mag.  Wurde  dem- 
nach,  wie  wohl  anzunehmen  ist,   schon   die  alte  Stadt  mit   diesem 


IOO  H>  2-    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

Dünensand  überweht,  so  erreichte,  die  jährlich  gebildete  Schicht 
doch  immer  kaum  1,7  mm  Mächtigkeit,  d.  h.  sie  wurde  wohl 
gar  nicht  bemerkt. 

Jenseits  der  Mazafranmündung  bis  Kap  Akrata  haben  wir 
in  regelmäßigen  flachen  Kurven  verlaufende,  von  Dünen  begleitete 
Flachküste,  weil  dort  die  Abtragung  des  Küstenlandes  durch  die 
atmosphärischen  Agentien  in  dem  leicht  zerstörbaren  Gestein 
und  geänderter  Küstenrichtung  rascher  erfolgt  ist,  als  durch  die 
Brandungswelle.  Doch  ist  auch  da  eine  unterseeische  Terrasse 
von  ungefähr  gleicher  Breite  wie  bei  Tipaza  vorhanden. 

Die  Hauptursache  der  Buchtenbildung  bei  Tipaza  läßt  schon 
ein  Blick  auf  die  in  jede  dieser  kleinen  Buchten  mündenden 
Gießbäche  erkennen.  Die  Mündung  desselben  bot  der  Brandungs- 
welle Angriffspunkte,  denn  er  hatte  die  Schichten  bis  ins  Meeres- 
niveau zerschnitten  und  meist  auch  noch  die  Steilküste  an  der 
betreffenden  Stelle  erniedrigt.  Daß  jenseit  Castiglione  unter 
sonst  gleichen  Verhältnissen  die  Steilküste  solcher  Buchten  ent- 
behrt, erklärt  sich  sofort  daraus,  daß  dort  auf  dem  auf  4,5  km 
verbreiterten,  fast  ganz  wagerechten  Saheltafelland  sich  keine  Gieß- 
bäche zu  entwickeln  vermögen,  sondern  nur  der  Steilabsturz  von 
zahlreichen,  kleinen  Wasserrissen  durchfurcht  ist,  von  denen  aber 
keiner  durch  eine  sich  hier  entwickelnde  untere  Terrasse,  auf 
welcher  Castiglione  schon  liegt,  das  Meer  erreicht.  Sehr  lehrreich 
ist  in  dieser  Hinsicht  auch  ein  fast  3  km  langes  Küstenstück 
westlich  von  Berard  bei  dem  Meierhof  Ben  Coucha,  das  der 
Buchten  ebenfalls  entbehrt,  weil  ein  größerer  Gießbach  durch 
Bildung  eines  der  Küste  in  1  700  m  Entfernung  auf  3  km  parallelen 
Längstales  die  Bildung  anderer  Gießbäche  verhindert  hat.  Seine 
Mündung  ist  dafür  zu  einer  entsprechend  größern  Bucht  ausge- 
weitet worden.  Die  Größe  der  Buchten  steht  nämlich  stets  im 
Verhältnis  zur  Lauflänge,  Gebiet,  Wasserreichtum  (und  Erosions- 
kraft) der  in  tiefen,  unter  üppigem  immergrünen  Gestrüpp  ver- 
borgenen Rinnen  dahinschießenden  Gießbäche,  und  diese  wiederum 
zur  Lage  und  Höhe  der  Wasserscheide  des  Sahel  von  Tipaza. 
Von  der  Gegend  der  größten  Verschmälerung  des  völlig  mit 
immergrünen  Macchien  bedeckten  Tafelrückens,  die  zusammen- 
fällt mit  der  größten  Erniedrigung  desselben  und  der  größten 
Annäherung  der  Wasserscheide  an  das  Meer  etwas  westlich  von 
dem    auf  der   Höhe   des   Rückens   gelegenen,   weithin   sichtbaren 


Die  Brandungsbuchtküste  bei  Tipaza.  loi 

Grabmale  numidischer  Könige,  das  unter  dem  Namen  Grab  der 
Christin  bekannt  ist,  wächst  nach  0  wie  nach  W  die  Höhe  und 
der  Abstand  der  Wasserscheide  vom  Meere.  Erstere  liegt  zwischen 
200  und  260  m,  letzterer  zwischen  2200  und  3400  m.  Dem  ent- 
sprechend vergrößert  sich  auch  das  Gebiet  und  die  Wasserfülle, 
während  sich  das  Gefälle  nur  wenig  mindert.  Die  Brandungs- 
welle konnte  also  die  weitern  Mündungen  der  größern  Gießbäche 
zu  weitern  und  tiefern  Buchten  auswaschen.  In  vereinzelten  Fällen, 
wie  bei  der  westlichsten  dieser  kleinen  Buchten,  in  welche  nur 
ein  ganz  kleiner  Wasserriß  mündet,  ist  das  Vorhandensein  einer 
Kluft  die  Veranlassung  zur  Bildung  von  allerdings  nur  sehr  kleinen 
Buchten  gewesen. 

Schon  das  Zusammenfallen  der  Buchten  mit  den  Mündungen 
der  Gießbäche  und  das  Fehlen  ersterer  mit  dem  Fehlen  letzterer 
läßt  keinen  Zweifel  aufkommen,  daß  beide  in  ursächlichen  Wech- 
selbeziehungen stehen,  und  daß  die  Abtragung  der  Küste  an 
diesen  Punkten  rascher  fortschreitet,  als  an  den  dazwischen 
liegenden.  Daß  eine  Abtragung,  ein  Zurückweichen  der  Küste 
durch  die  Brandungswelle  überhaupt  sattfindet,  darüber  läßt,  von 
ihrer  Gliederung  abgesehen,  der  Steilabbruch  der  Küste,  die  an 
ihr  tosende  Brandung,  der  sie  umlagernde  Block-  und  Klippen- 
wall, sowie  vereinzelte  kleine  Inseln  keinen  Zweifel  aufkommen. 
Das  Vorhandensein  von  Ruinen  aus  römischer  Zeit  hat  mir  aber 
hier  wie  an  einigen  andern  Punkten  auch  den  unmittelbaren 
Beweis  dafür  zu  führen  und  selbst  ein  annäherndes  Maß  des 
Zurückweichens  festzustellen  erlaubt.  Der  heutige  kleine  Ort 
Tipaza,  mit  wohl  kaum  mehr  als  100  Einwohnern,  von  einigen 
in  Reisighütten  (Gurbis)  inmitten  der  Ruinen  des  östlichen  Stadt- 
teiles wohnenden  arabisierten  Berbern  abgesehen,  meist  franzö- 
sischen Kolonisten,  ist  erst  kurz  vor  1860  gegründet  worden  und 
hat  sich  nur  langsam  entwickelt.  Als  H.  v.  Maltzan  kurz  vor 
1860  die  Stätte  von  Tipaza  besuchte,  war  sie  noch  unbesiedelt. 
In  den  letzten  Jahren  scheint  es,  wesentlich  im  Zusammenhang 
mit  der  Entwicklung  des  Weinbaues,  etwas  rascher  zu  wachsen, 
und  wenn  man  in  Zukunft  einmal  mit  der  Verdichtung  der  Be- 
völkerung und  Hebung  der  Kultur  nicht  nur  in  der  unmittelbaren 
Umgebung,  sondern  in  der  westlichen  Mitidja,  deren  natürliches 
Seetor  Tipaza  ist,  Hafenanlagen  schaffen  wird,  welche  in  der 
heute  gegen  Winde,    deren  Richtung   von    der  Nordrichtung    300 


102  II»  2.    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

nach  W  bis  700  nach  0  abweicht,  völlig  schutzlosen  Bucht 
Sicherheit  gewähren  werden,  so  kann  es  sich  unzweifelhaft  wieder 
zur  Bedeutung  des  alten  römischen  Tipaza  erheben.  In  Würdi- 
gung der  möglichen  Bedeutung  des  Ortes  hat  man  vor  einigen 
Jahren  ein  kleines  Stück  Staden  an  dem  geschütztesten  Winkel 
der  Bucht  errichtet,  auf  welchem  auch  einige  Güter  lagerten. 
Auch  hat  man  einen  Zollwachtposten  in  einem  über  einer  antiken 
Zisterne  erbauten  Hause  eingerichtet,  dessen  entgegenkommende 
(weil  vollkommen  beschäftigungslose)  Insassen  mir  einige  meine 
Forschungen  fördernde  Winke  gegeben  haben.  Obwohl  das  Meer 
eigentlich  ruhig  war,  war  aber  doch  in  der  innersten  Bucht  die 
von  der  herrschenden  nördlichen  Luftströmung  hervorgerufene 
Brandung  so  stark,  daß  der  Staden  abwechselnd  teilweise  über- 
flutet wurde,  trotzdem  man  ihn  gegen  N  durch  eine  hohe,  starke 
Mauer  zu  schützen  gesucht,  hat.  Drei  kleine  Fischerboote,  auf 
das  Land  gezogen,  waren  alles,  was  die  Beziehungen  des  heutigen 
Tipaza  zum  Meere  veranschaulichte.  Doch  kommt  sein  Strand 
jetzt  auch  für  Seebäder  in  Aufnahme.  Der  kleine  Ort,  so  weit- 
läufig auch  die  kleinen  Häuschen  verstreut  sind,  nimmt  von  dem 
alten  Tipaza  nur  einen  kleinen  Teil  ein.  Die  alte  Stadt,  die 
ihrem  Umfange  nach  wohl  20000  Einwohner  gehabt  haben  mag, 
lag  annähernd  halbkreisförmig,  von  Mauern,  deren  Verlauf  noch 
heute  ziemlich  gut  erkennbar  ist,  umgeben  um  die  Bucht,  die 
gegen  W  und  NW  durch  einen  halbinselartigen  Landvorsprung, 
der  heute  auf  seiner  steil  zum  Meere  abstürzenden  Spitze  einen 
Leuchtturm  vierter  Klasse  trägt,  ziemlich  geschützt  ist  und  wohl 
zur  Gründung  und  zum  Aufblühen  des  Ortes  Veranlassung  ge- 
geben hat.  Es  war  eine  unter  Kaiser  Claudius  gegründete  Vete- 
ranenkolonie, die  von  Ptolemäos  und  im  Itinerarium  Antonini 
und  auch  sonst  einigemal  in  der  Geschichte  genannt  wird. 
Nachdem  sie  noch  ein  halbes  Jahrtausend  geblüht  hatte,  erhielt 
sie  den  ersten  Stoß  unter  dem  Vandalen  Hunerich,  der  bei  dem 
Versuche,  die  Bewohner  zum  Arianismus  zu  bekehren,  den 
größten  Teil  zur  Flucht  nach  Spanien  trieb  und  die  zurück- 
bleibenden verstümmeln  ließ.  Der  Einbruch  der  Araber  scheint 
auch  diesem  Sitze  römischer  Kultur  den  Untergang  gebracht 
zu  haben.  Es  dürfte  also  Tipaza  seit  etwa  1200  Jahren  in 
Trümmern  liegen.  Nur  wenige  Inschriften  von  geringer  Wichtig- 
keit sind  in  denselben  gefunden  worden.     Von  diesen  Trümmern 


Altertümer  von  Tipaza.  101 

sind  die  einer  Kirche  auf  dem  östlich  die  Bucht  begrenzenden 
Vorgebirge,  sowie  die  einer  recht  ansehnlichen  Wasserleitung, 
welche  das  Wasser  des  Wed  Nador  tief  aus  dem  Innern,  aus 
der  Nähe  des  heutigen  Marengo  herbei-  und  bis  in  die  Zisternen 
am  Hafen  leitete,  die  auffälligsten,  die  am  Strande  gelegenen 
für  uns  die  wichtigsten,  da  sich  an  ihnen  zeigen  läßt,  daß  seit 
den  1200  Jahren  die  Küste  zurückgewichen  ist.  Die  Ruinen  be- 
gleiten die  Küste  auf  einer  Strecke  von,  die  Windungen  ein- 
begriffen, weit  über  2  km,  von  einem  westlichen,  30  m  hohen 
Hügel,  dessen  höchste  Spitze  mit  Gräbern  bedeckt  und  von 
Grabkammern  durchbohrt  ist,  über  einen  mittlem,  der  die  Höhe 
von  34  m  erreicht  und  den  Leuchtturm  trägt,  bis  zu  einem  35  m 
hohen  östlichen,  der  die  Ruinen  der  Kirche  und  ebenfalls  ein 
Totenfeld  trägt.  Zwischen  den  beiden  letztern  schneidet  die 
Bucht  von  Tipaza  ein,  die  sich  im  Hintergrunde  durch  einen 
natürlichen  Vorsprung,  an  dessen  Ostseite  das  kleine  Stück  Staden 
angebaut  ist,  in  zwei  kleine  Buchten  gliedert.  Alle  drei  Hügel 
steigen  gegen  das  Meer  an  und  stürzen  in  15 — 20  m  hohen, 
meist  senkrechten  Wänden  zu  demselben  hinab.  Die  westlichen 
sind  mit  dichten  und  hohen  immergrünen  Macchien  bedeckt,  in 
welchen  im  Winter  und  Frühling  Scharen  unsrer  Singvögel  Unter- 
schlupf finden.  Die  Grabkammern,  welche  in  die  dem  Meere 
zugekehrte  Stirnseite  des  westlichen  Hügels  eingehauen  sind, 
liefern  den  Beweis,  daß  hier  das  Meer  vorgerückt  ist  und  noch 
immer  rasch  vorrückt;  ihre  Zugänge  liegen  nämlich  heute  an  ca. 
15  m  hoher,  senkrecht  zum  Meere  abstürzender  Felswand,  so 
daß  kein  Zweifel  sein  kann,  daß  sie  in  dieser  Lage  nicht  ange- 
bracht worden  sind.  Denn  wenn  wir  auch  vielfach  antike  Gräber 
massenhaft  in  steile,  nur  durch  Leitern  oder  Gerüste  zugängliche 
Felswände  eingehauen  kennen,  so  wäre  doch  hier,  wenn  die  Ver- 
hältnisse die  heutigen  gewesen  wären,  die  Aushöhlung  der  Grotten 
und  die  Bestattung  nur  mit  Hilfe  großartiger  Gerüste,  die  aus 
dem  unten  brandenden  Meere  hätten  aufgebaut  werden  müssen, 
und  unter  bedeutender  Gefahr  möglich  gewesen.  Überdies  zeigte 
mir  Herr  Tremeaux,  ein  seit  2^  Jahren  hier  ansässiger  Groß- 
grundbesitzer, dem  ein  großer  Teil  der  Ruinenstätte  und  ein 
schönes,  von  einem  Park  umgebenes  Landhaus  mitten  in  den- 
selben gehört,  und  der  mich  mit  großer  Liebenswürdigkeit  auf 
die    wichtigsten ,    für    meine  Forschung    in   Betracht    kommenden 


104  U>  2-    ^e  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

Punkte  hinwies,  eine  Stelle  an  der  von  Grabkammern  durchbohrten 
Felswand,  wo  man  noch  vor  20  Jahren  ohne  jede  Gefahr  vor 
diesen  Grabkammern  vorbeigehen  konnte,  während  dies  heute 
ganz  unmöglich  ist.  Es  ist  seitdem  auf  mindestens  1  m  Breite 
die  Felswand,  unten  von  der  Brandung  unterwaschen,  hinabge- 
stürzt. Es  ist  anzunehmen,  daß  der  ganze  Hügel  auf  der  dem 
Meere  zugekehrten  Seite  in  übereinanderliegenden  Reihen  zu 
Kammern  ausgehöhlt  war,  von  denen  heute  nur  noch  die  obersten, 
ursprünglich  dem  Meere  fernsten,  erhalten  sind.  Auch  sie  werden 
in  spätestens    100  Jahren  verschwunden  sein. 

Sehr  lehrreich  sind  die  die  ehemalige  Hafenbucht  umgeben- 
den Trümmer.  Diese,  wie  wir  sehen,  sich  schließlich,  den  ein- 
mündenden beiden  Gießbächen  entsprechend,  in  zwei  kleine 
Buchten  gliedernde  Bucht  war  im  Altertum  weit  besser  geschützt 
als  heute.  So  lag  zunächst  am  östlichen  Eingange  derselben, 
gegen  Nordost  vortrefflich  Schutz  gewährend,  eine  langgestreckte 
Insel,  die  seitdem  nicht  nur  wesentlich  verkleinert,  sondern  auch 
in  zwei  Teile  geteilt  worden  ist,  die  beide  noch  den  ehemaligen 
Zusammenhang  erkennen  lassende  Baureste  aus  römischer  Zeit 
tragen.  In  ihrem  heutigen  Zustande  —  es  waren  wohl  Hafen- 
anlagen und  Bollwerke  —  wäre  die  Errichtung  so  ausgedehnter 
Bauwerke  kaum  denkbar,  denn  fast  die  Hälfte  des  Jahres  sind 
sie  nur  ausnahmsweise  einmal  zugänglich.  Ferner  bot  der  west- 
lichem der  innersten  Buchten  eine  Klippenreihe,  die,  ungefähr 
westöstlich  streichend,  im  ersten  Augenblick  für  einen  Steindamm 
gehalten  werden  kennte,  reichlich  Schutz,  denn  sie  war  früher 
höher,  erstreckte  sich  weiter  ostwärts  und  zeigte  wohl  nicht  wie 
jetzt  breite  Lücken.  Die  Oberfläche  dieser  von  der  Brandungs- 
welle unablässig  benagten  Kalkfelsen  zeigt  die  wunderlichsten  an 
Karrenfelder  erinnernden  Formen,  tiefe  Rinnen,  scharfe  Kanten, 
kreisrunde  wassergefüllte  Becken  verschiedenster  Größe,  natürliche 
kleine  Fischbehälter.  Wie  wenig  heute  diese  Klippenreihe  Schutz 
gewährt,  erhellt  daraus,  daß  selbst  am  westlichen,  also  bei  weitem 
geschütztesten  Ufer,  die  Wellen  mit  solcher  Kraft  auftreten,  daß 
sie  das  an  der  Wurzel  der  Klippenreihe  in  verhältnismäßig  ge- 
schütztester Lage  über  einer  antiken,  noch  heute  das  Dorf  mit 
dem  besten  Trinkwasser  versehenden  Zisterne  errichtete  Zollwacht- 
haus  gefährden.  Die  an  geschützter  Stelle  angebrachte  Tür  des- 
selben ist  schon  wiederholt  eingedrückt,  und  mehrere  Kubikmeter 


Der  Strand  bei  Tipaza.  IO^ 

große  Felsblöcke,  welche  den  etwa  3  m  über  dem  ruhigen  Wasser- 
spiegel gelegenen  kleinen  Hof  nach  der  Seeseite  schützen  sollen, 
sind  einige  Meter  einwärts  geschleudert  worden.  Unter  solchen 
Umständen  hätte  man  gewiß  an  dieser  Stelle  eine  Zisterne  nicht 
errichtet. 

An  der  westlichem  kleinen  Bucht  finden  sich  mehrere  in 
den  Felsen  gehauene  Kammern  nebeneinander,  vielleicht  ursprüng- 
lich Zisternen  oder  Wasserbehälter  am  Hafen,  deren  vordere 
Hälfte  von  den  Wellen  zerstört  ist,  die  sich  bei  nur  wenig  be- 
wegtem Meere  an  den  Hinterwänden  brechen.  Daran  reihen 
sich  ostwärts  auch  bei  niedrigem  Wasserstand  und  ruhigem  Meere 
stets  bedeckte  Mauerreste  und  in  Felsen  gehauene  viereckige 
Becken,  die  wohl  auch  einst  Zisternen  oder  Wasserbehältern  an- 
gehörten. Aus  dem  einen  dieser  Becken  führt  eine  in  den  Felsen 
gehauene  Rinne  ins  offene  Wasser,  das  mit  der  Wellenbewegung 
bei  ruhigem  Meere  aus-  und  einflutet.  Dicht  bei  diesem  heute 
stets  unter  Wasser  liegenden  Becken,  das  offenbar  nur  der  unterste 
Teil  eines  ehemals  hohen  Raumes  ist,  der  entweder  ganz  oder 
teilweise  in  den  Felsen  gehauen  war,  teils  aus  Mauerwerk  be- 
stand, befindet  sich  landeinwärts,  da,  wo  heute  der  etwas  über 
2  m  hohe  Steilabsturz  des  Ufers  liegt,  ein  aus  zwei  Abteilungen 
bestehender,  in  den  gewachsenen  Felsen  gehauener  Raum.  Die 
vordere,  größere  Abteilung  zeigt  eine  Türöffnung  nach  der  See 
zu,  eine  andere  nach  der  kleinern  hintern.  Die  vordere  Fels- 
mauer steht  nur  noch  in  einer  Höhe  von  1  m,  aber  nur  0,5  m 
über  Wasser;  der  zementierte  Fußboden  wird  überflutet  und  ist 
nur  noch  in  der  hintern  Hälfte  erhalten,  vorn  hat  die  durch  die 
Türöffnung  hereinbrechende  Brandungswelle  ein  0,5  m  tiefes  Loch 
ausgewaschen.  Die  hintere  kleinere  Abteilung  ist  sehr  gut  erhalten, 
selbst  die  Hälfte  der  gewölbten  Decke  und  der  8  cm  dicke 
Stucküberzug  der  vom  natürlichen  porösen  Felsen  gebildeten 
Wände  ist  noch  vorhanden.  Es  ist  möglich,  daß  auch  dies  Zi- 
sternen waren,  und  somit  hier  eine  große,  aus  lauter  kleinen, 
durch  weite  Türöffnungen  miteinander  in  Verbindung  stehenden 
Abteilungen  gebildete  Zisterne  vorhanden  war.  Dann  ist  der 
Umstand  wichtig,  daß  heute  die  Grenzlinie  zwischen  Land  und 
Meer  durch  die  hintersten  Kammern  läuft  und  die  vordem  mit 
ihrem  Fußboden  0,5  m  unter  Wasser  liegen,  soweit  sie  erhalten 
oder  in  Spuren  erkennbar  sind.      Auch  sonst  finden  sich  an  dieser 


lOÖ  H,  2.    Die  Abrasioasküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

Bucht,  wie  an  der  östlichen  allenthalben  Mauerreste  und  in  Fels 
gehauene  Kammern  heute  vom  Wasser  bedeckt;  allenthalben  läßt 
sich  erkennen,  daß  diese  Buchten,  in  den  letzten  12  Jahrhun- 
derten bedeutend  sowohl  in  wagerechter  wie  in  senkrechter  Rich- 
tung durch  die  Brandungswelle  vertieft,  die  Grenzlinie  zwischen 
Land  und  Meer  um  einen  Streifen  von  bedeutender  Breite  —  ich 
schätzte  dieselbe  unter  Erwägung  aller  Verhältnisse  auf  etwa  1  o  m 
—   zurückgedrängt  worden  ist. 

An  der  östlichen  Bucht  fällt  zunächst  ein  durch  einen  stehen 
gebliebenen  Felskamm  noch  etwas  geschütztes  quadratisches,  in 
den  Felsen  gehauenes  Becken,  fast  genau  1  qm  groß,  auf.  Es 
sieht  aus  wie  die  obere  Öffnung  eines  Brunnenschachtes,  der, 
freilich  mit  Trümmern  gefüllt,  nur  mehr  0,5  m  tief,  aber  mit 
seinem  Rande  0,8  m  unter  dem  Wasserspiegel  liegt  (so  daß  also 
das  Wasser  jetzt  1,3  m  über  der  Sohle  des  Beckens  steht).  Die 
viereckige  Gestalt  müßte  bei  einem  Brunnen  allerdings  auffallen. 
Dicht  daneben  ist  noch  ein  2  m  langes,  ca.  0,8  m  breites  Becken, 
einem  Brunnentrog  ähnlich  (oder  Steinsarg?)  in  Felsen  gehauen. 
Es  ist  0,275  m  tief,  sein  Rand  hat  ringsum  die  gleiche,  also  wohl 
die  ursprüngliche  Höhe,  und  erhebt  sich  0,15  m  über  Wasser, 
wird  also  bei  nur  ganz  mäßig  bewegtem  Wasser  überflutet  und 
ist  stets  mit  Wasser  gefüllt.  Auch  für  diese  Anlage,  wozu  immer 
sie  gedient  hat,  heute  unter  dem  Meeresspiegel  und  4  m  von  der 
Grenzlinie  von  Land  und  Meer  entfernt,  läßt  sich,  wenn  die  Ver- 
hältnisse früher  die  gleichen  gewesen  wären,  kein  vernünftiger 
Grund  finden.  An  der  Ostseite  der  Bucht,  am  Fuße  eines  einige 
Gurbis  tragenden  Hügels,  aus  welchen  zerlumpte  Kinder  herbei- 
stürzten und  völlig  unkenntlich  gewordene  römische  Kupfermünzen 
und  andere  wertlose  Altertümer  anboten,  findet  sich  ein  wohl 
mindestens  8  qm  großer,  aus  großen  viereckigen  Platten  bestehender 
Fußboden  unter  Wasser.  Gegenüber  liegt  ca.  50  m  vom  Ufer, 
rings  von  Wasser  umgeben,  ein  ca.  6  m  hoher  Felsblock,  der 
viereckig  behauen,  oben  ausgehöhlt,  durch  übergelegte  Steine  eine 
Art  Kammer  gebildet  zu  haben  scheint.  Seine  Basis  ist  von  der 
Brandungswelle  so  weggespült  worden,  daß  er  sich  geneigt  hat 
und  bald  umfallen  wird. 

Der  Hügel  des  östlichen  Stadtteiles  diente  an  der  Seeseite 
als  Steinbruch,  weil  der  dortige  Stein  besonders  fest  ist.  Auf 
eine  Strecke  von  etwa  100  m  ist  dadurch  die  Felswand  zu  einer 


Der  Strand  bei  Tipaza.  107 

fast  10  m  hohen  Mauer  geglättet,  die  wohl  zugleich  den  Bau  einer 
Schutzmauer  unnötig  machen  sollte.  Vielleicht  entnahm  man  hier 
die  Steine  zu  den  Bauten  am  Hafen.  Eine  in  diese  Felswand 
gehauene,  aber  nur  in  den  obersten  Stufen  noch  gangbare  Treppe 
führte  hier  zum  Strande  hinab.  Diese  Stelle  ist  sehr  wichtig. 
Die  Treppe  ist  bis  hoch  hinauf  durch  die  Brandung  zerstört,  sie 
endet  schließlich  mit  einem  1,5  m  hohen  Abbruch,  an  welchem 
die  Brandung  schäumt.  Ein  Boot  könnte  hier  wohl  nur  höchst 
selten  einmal  im  Sommer,  im  Winter  jedenfalls  nie  anlegen,  und 
nur  durch  einen  1,5  m  hohen  Sprung  könnte  man  in  dasselbe 
gelangen.  Es  mußte  hier  früher  unbedingt  ein  Strand  vorhanden 
sein,  denn  sonst  war  die  Treppe  zwecklos.  Auch  nahm  man, 
als  man  hier  Steine  brach  und  die  glatte  Felsmauer  zum  Schluß 
herstellte,  den  Felsen  selbstverständlich  nicht  bis  metertief  unter 
dem  Wasser  weg,  es  lag  jedenfalls  zu  Ende  des  Steinbruchbe- 
triebes hier  zwischen  der  glatten  Felswand  und  dem  Meere  ein 
ziemlich  breiter,  teils  aus  größern  oder  kleinern  Steinbrocken,  teils 
aus  stehengelassenem  Fels  gebildeter  Strand,  der  auch  bei  Sturm 
nicht  überflutet  wurde.  Heute  ist  dieser  Strand  verschwunden, 
die  Brandung  hat  nach  Beseitigung  desselben  nicht  nur  bereits 
eine  fast  2  m  tiefe  Hohlkehle  aus  der  künstlich  behauenen  Fels- 
wand herausgearbeitet,  nein,  es  sind  bereits  die  östlichen  Teile 
derselben,  so  der  Stütze  beraubt,  hinabgestürzt,  Mosaikfußböden 
und  senkrecht  zur  Felswand  verlaufende  Mauern  sind  mitten  durch- 
gebrochen, auf  einem  riesigen,  wohl  mindestens  50  cbm  haltenden, 
durch  mehrere  Meter  breiten  Spalt  losgelösten  und  über  das  Meer 
geneigten  Felsblocke  finden  sich  noch  Mauerreste.  Große,  deut- 
lich als  solche  erkennbare  Zisternen  reichen  teils  bis  dicht  an 
den  Abgrund,  teils  sind  sie,  halb  auseinandergerissen,  schon  in 
die  Tiefe  gesunken.  Wie  diese  ganze  Steilküste,  so  ist  namentlich 
dieser  Teil  derselben  von  rasch  in  Zertrümmerung  begriffenen, 
also  nur  kurze  Zeit  benutzenden  Blöcken  umlagert.  Ich  möchte  hier 
die  Breite  des  seit  1200  Jahren  dem  Meere  erlegenen  Landstreifens 
eher  zu  mehr  als  10  m  annehmen,  vielleicht  1  m  im  Jahrhundert. 
Und  dies,  trotzdem  hier  der  Fels  sehr  widerstandsfähig,  frei  von 
Spalten  und  Klüften  ist,  und  dieser  Teil  der  Küste  überdies  früher 
in  hohem  Grade  durch  die  vorliegende  Insel  geschützt  war. 

Diese    beobachteten  Tatsachen,    namentlich    an    den    beiden 
kleinen   Buchten    drängen    unabweisbar    die  Erkenntnis    auf,    daß 


108  Hj  -•    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

hier  eine  positive  Strandlinien -Verschiebung  stattfindet.  Ich  finde 
diese  meine  Anschauungen  von  einem  Herrn  Lambert  bestätigt, 
nach  dessen  Angaben  E.  Reclus  im  XI.  Band  seiner  „Geographie 
Universelle",  p.  497,  der  mir  erst  nach  meiner  Rückkehr  zuging, 
die  Bemerkung  aufgenommen  hat:  „le  port  de  Tipaza,  heritier 
d'une  ville  romaine,  en  partie  submergee,  soit  par  l'affaisement 
du  sol,  soit  par  un  phenomene  d'erosion  local".  Daß  von  einer 
bloß  örtlichen  Zerstörung  der  Küste  durch  die  Brandungswelle 
nicht  die  Rede  sein  kann,  sondern  diese  Erscheinung  die  Küste 
von  ganz  Algerien,  abgesehen  von  nur  wenigen  Punkten  im 
Hintergrunde  der  Buchten,  kennzeichnet,  ergibt  sich  teils  aus  den 
frühern  Ausführungen,  teils  aus  weiter  unten  folgenden  Be- 
obachtungen. Es  sei  daher  hier  nur  die  Frage  erörtert,  ob  sich 
noch  an  andern  Punkten  der  Mittelmeerküste  der  Atlasländer 
eine  positive  Strandlinien -Verschiebung  nachweisen  läßt. 

2.  Vergleichender  Überblick  über  die  Küste 
von  Tunesien  und  Algerien. 
Für  die  tunesische  Küste,  die  ich  von  Gabes  bis  Bizerta  an 
zahlreichen  Punkten  selbst  habe  untersuchen  können,  möchte  ich 
nur  schon  hier  bemerken,  daß  meine  frühere,  auf  Angaben  von 
Guerin  und  Reclus  gestützte  Vermutung  einer  Hebung  in  ge- 
schichtlicher Zeit  von  mir  selbst,  bald  nachdem  ich  sie  ausge- 
sprochen, aufgegeben  und  zurückgenommen  war.  Die  scharf- 
sinnigen Untersuchungen  von  J.  Partsch  haben  nachmals  erwiesen, 
daß  hier  in  geschichtlicher  Zeit  keine  Verschiebung  der  Strand- 
linie irgend  welcher  Art,  außer  durch  Versandung  oder  Delta- 
bildung, stattgefunden  hat.  Meine  Untersuchung  gerade  der 
zweifelhaften  Punkte  —  das  Nähere  wird  gelegentlich  mitzuteilen 
sein  —  hat  dies  Ergebnis  literarisch -kritischer  Forschung  überall 
bestätigt.  Doch  möchte  ich  auf  Roudaires  gegenteilige  Be- 
obachtungen (Comptes  rendus,  T.  79,  p.  110  und  352)  hinweisen. 
Ebenso  muß  hervorgehoben  werden,  daß  sowohl  Pomel,  wie  Flick 
und  Pervinquiere  und  andere  französische  Forscher  jeder  nach 
eigenen  Beobachtungen  eine  quartäre  Hebung  für  die  ganze  Ost- 
küste von  Tunesien  vom  Kap  Bon  bis  nach  Zarzis  annehmen, 
während  Djerba  und  die  Kerkenah- Inseln  jetzt  in  Senkung  be- 
griffen seien.  Bei  Monastir,  Hergla  und  Bir  Lubeita  stellte  Pomel 
1877    gehobene    quartäre   Schichten   mit   Strombus   mediterraneus 


Die  Küste  von  Tunesien. 


ioo. 


und  Conus  Mercati  fest,  Doumet-Adanson  1884  dasselbe  auf  den 
Kerkenah-Inseln  und  bei  Humt-Suk  auf  Djerba,  Aubert  und  Bede 
von  andern  Küstenpunkten.  Flick  und  Pervinquiere  haben  diese 
jüngsten  gehobenen  Küstenablagerungen  bei  Monastir,  grobe  gelbe 
oder  gräuliche  Kalksteine,  reich  an  marinen  Fossilien  einer  noch 
heute  im  Mittelmeer  lebenden  Fauna,  einer  genauen  Untersuchung 
unterzogen  und  dabei  festgestellt,  daß  die  Sebcha  von  Moknine, 
die  60  qkm  groß  ist,  10  m  unter  dem  Meeresspiegel  liegt,  von 
welchem  sie  durch  einen  1 — 2  km  breiten  niedrigen  Landstreifen 
getrennt  ist.  Auch  liegt  diese  nur  1,10  m  mächtige  Küsten- 
ablagerung, die  ihrerseits  von  einer  Kalkkruste  mit  Helix,  also 
einer  festländischen  Bildung  bedeckt  ist,  nicht  wagrecht,  sondern 
neigt  sich  nach  OSO  von  20  m  auf  ro  m.  Bei  Sfax  kehren  die 
gleichen  Ablagerungen  wieder,  aber  nur  noch  8  m  über  Mittel- 
wasser, was  auf  örtliche,  langsame  Krustenbewegungen  zu  schließen 
zwingt.  Die  Sebcha  von  Monastir  liegt  im  Meeresniveau,  wird 
aber  nur  zuweilen  mit  Wasser  gefüllt.  Das  dreieckige  Vorgebirge 
von  Monastir  fällt  nach  N  und  nach  W  zur  Sebcha  steil  ab  und 
besteht  aus  Miocän,  Pliocän  und  Pleistocän.  Das  vorliegende 
Inselchen  La  Thonara  besteht  aus  diskordant  dem  Miocän  auf- 
lagernden Pliocänschichten.      Es  erreicht  nur    10  m  Höhe1). 

Sichere  Belege  einer  positiven  Strandlinien -Verschiebung 
gibt  es  meines  Wissens  nur  vom  Kap  Spartel,  wo  die  bekannte 
Mühlsteinhöhle,  die  Hooker  und  neuerdings  auch  O.  Lenz  be- 
sucht haben,  dieselben  liefert2).  Ähnliche  Beobachtungen  machte 
der  Geolog  Maw  auch  an  der  marokkanischen  Küste  bei  Moga- 
dor3).  Dagegen  meinte  Capt.  Bourdon4),  in  der  Nähe  von  Mosta- 
ganem  an  einem  kleinen  Küstenstück  eine  negative  Niveauver- 
schiebung annehmen  zu  müssen.  Wären  diese  Beobachtungen 
wirklich  als  vollwichtig  anzusehen,  so  würde  es  sich  wohl  nur 
um    eine    örtliche    Erscheinung    handeln,    um    eine    örtliche   Ver- 

1)  Plages  soulevees  de  Monastir  et  Sfax.  Bull.  Soc.  Geol.  de  France 
4.  Ser.  t.  IV  1904,  p.  194 — 206. 

2)  Meine  eigenen  1899  in  den  Mühlsteinbrüchen  etwas  südlich  vom 
Kap  Spartel  gemachten  Beobachtungen  stellten  zwar  die  Tatsache  fest,  daß 
diese  Steinbrüche  z.T.  jetzt  dauernd  unter  Wasser  sind,  aber  nur  weil  sie 
nahe  dem  Meere  bis  unter  den  Meeresspiegel  hinab  betrieben  und  die  dünne 
Scheidewand  dann  von  der  Brandungswelle  zerstört  worden  ist. 

3)  Auch  bei  Mogador  sah  ich  lediglich  Wirkungen  mariner  Erosion. 

4)  Bull,  de  la  Soc.  de  Geogr.  de  Paris    1869,  I,  p.  451. 


IIO  II,  2.    Die  Abrasionsküste  bei  Tipaza  und  Algier. 

Schiebung  einer  einzelnen  Scholle  in  ihrer  Lage  zum  Meeres- 
spiegel. Dasselbe  wäre  nun  allerdings  auch  in  bezug  auf  die 
Erscheinung  von  Tipaza  möglich,  aber  die  schon  früher  angeführten 
Tatsachen  und  die  hier  niedergelegten  Beobachtungen  sprechen 
doch  gar  zu  laut  dafür,  daß  an  der  ganzen  Küste  eine  im  all- 
gemeinen vorherrschende  positive  Strandlinien -Verschiebung  statt- 
findet1). Wie  an  den  beiden  andern  Küstenpunkten,  an  welchen 
wir  den  Charakter  des  vorgelagerten  Meeresgrundes  untersuchten, 
so  schließt  sich  auch  hier  an  die  Grenzlinie  von  Land  und  Meer 
ein  etwa  ioo  m  breiter,  hier  und  da  auch  breiterer  Saum  an, 
welcher  mit  Felsblöcken  bedeckt  und  von  aufragenden  Klippen 
erfüllt  ist;  daran  schließt  sich  ein  im  Mittel  etwa  12 — 1500  m 
breiter  Saum  mit  Sand  etwa  bis  zur  Tiefe  von  40 — 50  m,  dann 
folgt  Schlammbedeckung  bis  in  die  größten  Tiefen.  Der  Steil- 
absturz beginnt  etwa  mit  200  m  in  einem  Abstände  von  1 2  km 
vom  Strande.  Während  also  am  Vorgebirge  Chenoua  und  am 
Massiv  von  Algier  die  Abrasionsfläche  eine  Breite  von  gegen  4, 
bzw.  2  km  hat  und  der  Steilabsturz  bei  beiden  in  ca.  100  m  Tiefe 
beginnt,  beträgt  der  Abstand  desselben  hier  1 2  km.  An  der  Bucht 
von  Algier  beträgt  er  9,  bei  Oran  12,  bei  Arzeu  sogar  20  km. 
Es  folgt  der  unterseeische  Steilabsturz,  d.  h.  die  den  Verlauf  der 
Küste  bestimmende  Bruchlinie,  im  allgemeinen  der  Richtung  der 
Küste,  vor  den  Vorgebirgen  liegt  er  näher  am  Lande,  vor  den 
Buchten  weiter  ab,  demnach  verschmälert  oder  verbreitert  sich 
die  unterseeische  Terrasse  dem  entsprechend.  Auf  weite  Strecken 
verläuft  der  Steilabsturz  geradlinig,  wie  bei  Oran  und  bei  Algier, 
so  daß  sich  gerade  da  die  Ausgestaltung  der  Küstenlinie  zu  Vor- 
gebirgen und  Buchten  ganz  auffällig  als  das  Werk  der  Brandungs- 
welle herausstellt.  Bei  Algier  z.  B.  liegt  der  unterseeische  Steil- 
absturz vor  Pointe  Pescade  genau  in  der  gleichen  geographischen 
Breite  wie  vor  Kap  Matifu,  vor  beiden  wie  vor  der  Harrachmün- 
dung im  tiefsten  Hintergrunde  der  Bucht.  Wir  müssen  daher  — 
die  weiter  unten  angeführten  Beobachtungen  bestätigen  dies  noch 
weiter  —  gerade  diese  Bucht,  welche  E.  Suess  als  einen  Einsturz- 
kessel aufzufassen  geneigt  ist,  als  ein  Erzeugnis  der  Erosion  be- 
trachten.    Sie  weist,  wenn  wir  das  Relief  des  Meeresgrundes,  wie 

1)  Vgl.  die  von  General  Lamothe  ganz  unabhängig  von  mir  gemachten 
und  zu  demselben  Ergebnisse  führenden,  in  der  folgenden  Abhandlung 
mitgeteilten  Beobachtungen. 


Verlauf  der  ursprünglichen  Küste.  j  I  j 

doch  notwendig,  mit  in  Betracht  ziehen,  ganz  andre  Verhältnisse 
auf,  wie  die  durch  einen  Horst  voneinander  getrennten  Golfe  von 
Salerno  und  Neapel.  Das  sind  Einsturzkessel.  Diesen  ähnelt 
dagegen  die  Bucht  von  Bougie  und  der  Numidische  Golf.  An 
der  Bucht  von  Bougie,  die,  wenn  auch  etwas  flacher,  den  Um- 
rissen nach  ungefähr  der  von  Algier  ähnelt,  liegt  der  dort  ganz 
besonders  steile  Absturz  nur  5  km  vom  Strande,  während  er  an 
dem  westlich  angrenzenden,  so  besonders  steilen  Küstenstück 
von  Kap  Carbon  bis  Kap  Bengut  auch  noch  nahezu  3  km  ent- 
fernt ist.  Hier  haben  wir  sicher  eine  von  vornherein  im  Ver- 
lauf der  Küstenlinie  als  Einbruchskessel  vorgezeichnete  Bucht, 
die  durch  die  Brandungswelle  nur  noch  etwas  ausgetieft  worden 
ist  und  durch  dieselbe  ihre  einem  Halbkreis  oder  Kreisbogen 
ähnelnde  Gestalt  erhalten  hat,  genau  so  wie  dies,  teilweise  wenig- 
stens, auch  an  den  Golfen  von  Salerno  und  Neapel,  dank  den 
Sinkstoffen  der  einmündenden  Flüsse  geschehen  ist. 

Die  Querschnitte  zeigen,  daß  die  unterseeischen  Neigungs- 
winkel sehr  wesentlich  von  den  überseeischen  abweichen;  die 
Bruchlinie  entspricht  nur  mehr  im  allgemeinen  dem  Verlauf  der 
Küste,  der  ursprünglichen  Küste,  die  Einzelgliederung  derselben 
ist  vorwiegend  das  Werk  der  Brandungswelle,  welche  die  Küste 
nach  dem  Wechsel  härterer  und  weicherer  Felsarten,  nach  dem 
Vorhandensein  von  Verwerfungen,  Flußmündungen,  Klüften  usw. 
modelliert  hat.  Die  Bucht  von  Tipaza  ist  das  Werk  der  Bran- 
dungswelle, die  hier  einen  im  Maximum  1 2  km  breiten  Streifen 
der  Sahelplatte  abgetragen  hat.  Wie  sie  diese  Arbeit  im  einzelnen 
vollzieht,  sahen  wir.  Ebenso  sahen  wir  aber  auch,  daß  an  andern 
Punkten  ein  ebenso  breiter  oder  noch  breiterer  Landstreifen  ab- 
getragen worden  ist,  und  daß  die  Abtragung,  trotz  der  schon 
vorhandenen  Breite  der  Brandungsterrasse,  noch  immer  fortdauert. 
Es  ist  wohl  der  Schluß  erlaubt,  daß  auch  an  den  Golfen  von 
Arzeu  und  Oran  die  Herstellung  einer  so  breiten  unterseeischen 
Terrasse  bei  der  verhältnismäßig  kurzen  Zeit,  welche  seit  Bildung 
dieser  Bruchlinie  verlaufen  ist,  durch  eine  im  Gesamtergebnis 
positive  Strandlinien -Verschiebung  unterstützt  worden  ist,  bzw. 
wird,  daß  die  Brandungswelle  ohne  letztere,  infolge  der  Reibung 
erlahmend,  keine  so  gewaltige  Kraft  mehr  zu  entfalten  vermochte, 
wie  es  doch  bei  Tipaza  noch  der  Fall  ist.  Wir  würden  also  hier 
dem    anziehenden  Schauspiele    der  Bildung  einer  Abrasionsfläche 


112  H>  3-    Veränderungen  der  Küste  am  Golf  von  Algier. 

beiwohnen.  Die  Sand-  und  Schlammablagerungen,  letztere  nur, 
wo  vor  Buchten  die  Fläche  bereits  größere  Breite  erlangt  hat, 
wären  in  Bildung  begriffene  übergreifende  Schichten,  der  Wechsel 
im  petrographischen  Charakter  derselben  bei  unzweifelhafter  Gleich- 
alterigkeit  würde  dann  sogar  einen  Schluß  auf  ihre  Entstehung 
vor  Buchten  oder  Vorgebirgen  erlauben.  Doch  mögen  die  hier 
in  Bildung  begriffenen  übergreifenden  Schichten  nur  geringe 
Mächtigkeit  haben,  da  die  Strömung  einen  großen  Teil  der  ab- 
geriebenen oder  durch  die  Flüsse  herbeigeführten  Massen  ost- 
wärts davon  trägt.  Da  die  positive  Strandlinien -Verschiebung 
nach  Osten  geringer  wird,  ja  wohl  schon  in  Ostalgerien  ganz 
aufhört,  auch  die  Kraft  der  Strömung  erlahmt,  so  dürfen  wir 
dort  eine  geringere  Breite  der  Abrasionsfläche  und  größere 
Mächtigkeit  der  übergreifenden  Schichten  erwarten.  Auch  ist 
dort  die  Meerestiefe  eine  noch  geringere,  das  Relief  des  Meeres- 
grundes ein  sehr  verschiedenes.  Ein  Querschnitt  durch  die 
Nordspitze  von  Afrika,  Ras  Engeiah,  10  km  westlich  des  gewöhn- 
lich als  solche  angegebenen,  aber  um  volle  2  Bogenminuten 
weiter  südlich  gelegenen  Kap  Blanco,  weist  daher  etwas  andre 
Formen  auf. 

Wir  erkennen  ferner,  daß  die  normale  Gliederung  einer  Ab- 
rasionsküste durch  Bildung  konkaver  Buchten  erfolgt,  daß  selbst 
Einsturzkessel,  wie  der  von  Bougie  oder  am  Numidischen  Golfe, 
oder  erweiterte  Flußmündungen,  wie  bei  Tipaza,  früher  oder  später 
diese  Form  annehmen.  Es  kann  bei  positiver  Strandlinien -Ver- 
schiebung die  Brandungswelle  weit  nachhaltiger  wirken,  als  bei 
unveränderlichem  Meeresspiegel.  Wir  möchten  daher  den  Satz, 
mit  welchem  wir  die  früheren  Untersuchungen  schlössen  (S.  87), 
nunmehr  schärfer  so  fassen,  daß  an  Küsten  mit  unveränderlichem 
Meeresspiegel  die  Brandungswelle,  wenn  sie  die  ausschlaggebende, 
küstengestaltende  Kraft  ist,  konkave  Buchten,  aber  wohl  immer 
nur  von  geringer  Tiefe,  schaffen  kann,  an  Abrasionsküsten  aber 
in  der  Regel  solche  schaffen  wird. 


3.   Veränderungen  der  Küste  am  Golf  von  Algier. 

Noch  an  einigen  andern  Punkten,  und  zwar  an  Vorgebirgen 
festen  Gesteins,  nicht  bloß  an  Buchten,  ist  es  mir  gelungen,  Be- 
weise   für    die    fortschreitende    Abtragung    der    Küste    durch    die 


Abrasion  bei  Algier.  hj 

Brandungswelle  zu  sammeln.  So  zunächst  bei  Algier.  Das  Lieblings- 
ziel der  Ausflüge  der  Bewohner  von  Algier,  das  Boulogner  Wäldchen, 
der  Prater,  der  Tiergarten  von  Algier  ist  das  ganz  nahe  an  der 
Küste  gegen  N  im  vollen  Anhauch  des  Meeres  gelegene,  rasch  auf- 
blühende Dorf  St. -Eugene,  das  aus  lauter  Villen  und  Kneipen  der 
verschiedensten  Art  besteht.  Es  führt  nur  eine  einzige,  darum  vom 
Morgen  bis  zum  Abend  mit  Fuhrwerken  (und  Fußgängern)  bedeckte 
Straße,  meist  unmittelbar  am  Strande  entlang  dorthin.  Als  ich  diese 
Straße  an  einem  schönen,  sonnigen  Tage,  an  welchem  das  Meer 
nur  ganz  mäßig  bewegt  war,  wandelte,  stieß  ich,  nachdem  ich 
das  Nordwesttor  von  Algier,  Bab-el-Wed,  und  die  davorliegende 
Vorstadt,  Cite  Bugeaud,  durchschritten  hatte,  auf  eine  Stelle  der 
Straße,  welche  durch  die  Brandungswelle  schwer  beschädigt 
worden  war  und  von  derselben  abwechselnd  überschüttet  wurde, 
so  daß  man  nur-  unter  Gefahr  eines  Sturzbades  vorüberkonnte. 
Die  Stellwagen,  welche  vorzugsweise  den  Verkehr  vermitteln,  hatten 
vor  jener  Stelle  Halt  machen  müssen,  und  andre  jenseit  derselben 
hatten  die  Fahrgäste  wieder  aufgenommen,  nachdem  die  Wogen 
wiederholt  die  Fenster  derselben  zerbrochen  und  die  Fahrgäste 
mit  Salzwasser  überschüttet  hatten,  auch  die  Pferde  infolge  der 
Sturzbäder  und  des  furchtbaren  Stoßes  und  Brausens  der  Bran- 
dung scheu  geworden  waren.  Der  Sturm  vom  9.  Februar  hatte 
die  Straße  zeitweilig  ganz  ungangbar  gemacht,  doch  war  sie  da- 
mals notdürftig  wiederhergestellt  worden.  Indessen  häufte  ein 
paar  Tage  hindurch  Mitte  März  die  Brandungswelle  während  der 
Nacht  auf  eine  Strecke  von  200  m  eine  Sandschicht  von  0,5  m 
Höhe  auf  der  Straße  auf,  so  daß  50  Mann  daran  arbeiteten,  den 
Sand  immer  wieder  wegzuschaffen.  Diese  Stelle  liegt  vor  dem 
sogenannten  Hospital  des  Dey,  einer  ausgedehnten  Anlage  von 
Häusern  und  Gärten,  welche  1791  — 1799  von  dem  Dey  Baba 
Hassan  als  Sommerwohnung  geschaffen  worden  ist  und  heute  als 
Militärhospital  dient.  Die  am  Strande  gelegenen,  nur  durch  die 
Straße  vom  Meere  getrennten  Teile  dieser  Anlage,  die  sogenannte 
Salpetriere,  sind  erst  18 15  durch  den  schwedischen  Konsul  Schultz 
vollendet  worden.  Noch  vor  so  kurzer  Zeit  lagen  also  hier  die 
Verhältnisse  ganz  anders,  denn  heute,  wo  die  Wogen  die  Vorder- 
wand der  Salpetriere  über  die  dazwischenliegende  Straße  hinweg 
bespritzen,  würde  man  eine  solche  Anlage  so  unmittelbar  am 
Meere  nicht  schaffen.    Das  Meer  hat  eben  hier,  trotzdem  es  ziem- 

Ki  scher,  Mittelmeerbiltler.     Neue  Folge.  8 


IIA  H>  3*    Veränderungen  der  Küste  am  Golf  von  Algier. 

lieh  feste  alte  Schiefer  anzugreifen  hat,  einen  breiten  Landstreifen 
abgetragen  und  schließlich  die  Landstraße  selbst  erreicht.  Etwas 
näher  am  Bab-el-Wed  ist  in  derselben  Weise  seit  der  Eroberung 
der  alte  Christenfriedhof  von  den  Wogen  abgetragen  worden,  der 
seit  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  in  Gebrauch  ge- 
wesen war.  Auch  weiter  nach  Nordwesten,  vom  Fort  des  Anglais 
bis  gegen  St.-Eugene  hin,  sind  die  auf  dem  Klippenrand  stehen- 
den Häuser  schwer  bedroht  und  werden  in  Kürze  geräumt  werden 
müssen,  da  das  Meer  ihnen  immer  näher  rückt.  Man  wird  sehr 
bedeutende  Arbeiten  vornehmen  müssen,  um  der  Brandungswelle 
erfolgreich  Widerstand  zu  leisten  und  die  Straße  und  das  Hospital 
des  Dey,  das  beim  nächsten  Sturme  der  größten  Gefahr  ausge- 
setzt sein  würde,  zu  schützen. 

Wie  hier  am  westlichen  Eingange  der  Bucht  von  Algier  so- 
mit die  Brandungswelle  die  festesten  Felsen  abträgt  und,  wie  wir 
sahen,  bereits  eine  2  km  breite  Abrasionsfläche  geschaffen  hat, 
so  auch  am  östlichen.  Das  Kap  Matifu  besteht  nach  Tchihatchef1) 
aus  S chiefer felsen,  die  so  quarzreich  sind,  daß  sie  fast  zu  reinem 
Quarz  werden,  oder  aber  viel  Glimmer  enthalten  und  dann  einen 
quarzigen  Glimmerschiefer  bilden ,  der  hier  und  da  in  Gneis 
übergeht.  Die  Schichten  fallen  nach  Norden  in  einem  Winkel 
von  30  °  ein  und  bilden  am  Meere  phantastische  Felsen.  Das 
Vorkommen  dieser  Felsarten,  auf  denen  das  Vorhandensein  des 
Vorgebirges  überhaupt  beruht,  steht  in  Beziehung  zu  den  ähn- 
lichen im  Massiv  von  Algier.  Nach  der  geologischen  Karte  von 
Algerien2)  besteht  der  inselartige  Hügel  des  Kap  Matifu  aus  den- 
selben Glimmerschiefern  und  Tonschiefern,  wie  sie  drüben  im 
Buzarea- Massiv  auftreten.  Daran  lagern  sich  südwärts  und  dar- 
über mioeäne  Mergel  und  Sandsteine  an,  die  die  Steilküste  bei 
Rusgunia  bilden,  aber  ihrerseits  von  altem  Alluvium  bedeckt 
sind.     Zwei    Kilometer    südlich    vom    Kap    Matifu   nehmen    diese 

1)  Das  Vorkommen  der  altern  Felsarten  habe  ich  nicht  gesehen,  denn 
es  ist  auf  sehr  engen  Raum  auf  dem  Vorgebirge  selbst  beschränkt,  das  jetzt 
auf  der  höchsten  Erhebung,  72  m,  eine  Feste  trägt,  der  ich  mich  auch  nur 
zu  nähern  von  vornherein  nicht  die  Absicht  hatte.  Zum  Überfluß  wurde  ich 
schon  beim  Betreten  einer  zum  Cholerahospital  bestimmten  Anlage,  deren 
Dasein  mir  unbekannt  geblieben  war,  von  einem  Soldaten  zurückgewiesen. 
Die  Ruinen  von  Rusgunia  reichen  nicht  so  weit. 

2)  Carte  geologique  detaillee  Bl.  Alger  bis  1:50000,  bearbeitet  von 
Ficheur,  Alger   1904. 


Der  Strand  von  Rusgunia.  1 1  e 

allenthalben  am  Süd-  und  Ostrande  der  Bucht  von  Algier  an- 
stehenden miocänen  Tone,  Mergel  und  Sandsteine  etwas  größere 
Festigkeit  an,  und  fallen  die  wenig  mächtigen,  aber  in  ihrer 
Schichtung  deutlich  erkennbaren  Bänke  derselben  in  einem  Winkel 
von  300  nach  OSO  ein,  überlagert  von  völlig  wagrechten,  hier  in 
Bänken  von  2 — 3  m  Mächtigkeit  auftretenden  jungen  Kalk-  und 
Sandsteinen.  Erstere  sind  oft  sehr  sandig  und  wechseln  mit  Kon- 
glomeraten von  mehr  oder  weniger  feinem  Korn.  Diese  festern 
Schichten  schützen  die  leicht  zerstörbaren  Tone  und  Mergel,  so 
daß  sofort  mit  ihrem  Herantreten  an  die  Küste  diese  zur  10  m 
hohen  Steilküste  wird.  Damit  war  eine  sichere  Lage  für  eine 
Stadt  unmittelbar  am  Meere  und  im  Schutze  des  noch  höheren 
Vorgebirges  gegeben.  Die  Kalk-  und  Sandsteinbänke  lieferten 
zugleich  leicht  zu  bearbeitende  Bausteine.  Auf  diesem  hohen 
Küstenstück  finden  sich  auf  mehr  als  1  km  weit  nach  Norden  bis 
an  die  Grenze  der  altern  Felsarten,  da,  wo  heute  ein  alter  Wart- 
turm und  die  Anlagen  einer  Thunfischerei  stehen,  die  Ruinen  der 
römischen  Stadt  Rusgunia.  Landeinwärts  dehnt  sich  das  Trümmer- 
feld ebenfalls  bedeutend  aus,  so  daß  Rusgunia  an  Größe  wohl 
Tipaza  übertroffen  haben  mag.  Zum  Teil  ist  die  Ruinenstätte  von 
mahonesischen  Kolonisten,  die  ihre  niedern  Häuschen  in  die 
Trümmer  hineingebaut  haben,  in  Anbau  genommen  und  vorzugs- 
weise in  Artischocken-  und  sonstige  Gemüsefelder  verwandelt. 
Doch  sind  die  erhaltenen  Trümmer  nicht  sehr  bedeutend,  weil 
man  dieselben  zu  Ende  des  Mittelalters  nach  Leo  Africanus  als 
Steinbruch  zum  Bau  der  Mauern  von  Algier  verwertet  hat. 

Die  Grenze  jener  altern  Felsarten  und  der  Jüngern,  auf  denen 
Rusgunia  stand,  ist  genau  gekennzeichnet  durch  das  Zurückweichen 
der  Küste  in  östlicher  Richtung  um  etwa  600  m.  Dies  Zurück- 
weichen ist  das  Werk  der  Brandungswelle  bei  Westwinden,  denen 
allein  dies  Küstenstück  voll  ausgesetzt  ist.  Und  die  Westwinde  ge- 
hören hier  nicht  zu  den  vorzugsweise  stürmisch  auftretenden  Winden. 
Doch  erkennt  man,  daß  auch  hier  die  Wassermassen  6 — 8  m  hoch 
emporgepeitscht  werden  und  somit  die  Tone  und  Mergel  auf- 
lösen. So  haben  die  darüber  lagernden  festen  Bänke  im  ge- 
gebenen Augenblick  keinen  Halt  mehr  und  brechen  ab,  die  Küsten 
nunmehr  einige  Zeit  als  malerischer  Blockwall  schützend.  Man 
sieht  hier  diesen  Vorgang  in  den  verschiedensten  Abschnitten. 
Doch    erliegen     diese    Blöcke,     wie    ihr     wunderbar    zerfressenes 

8* 


Il6  H>   3-    Veränderungen  der  Küste  am  Golf  von  Algier. 

Aussehen  zeigt,  ganz  abgesehen  von  den  mechanischen  Angriffen, 
der  Verwitterung  sehr  rasch.  Ganze  Mauerteile,  durch  guten 
Mörtel  zusammengehalten,  sind  mit  herabgestürzt  und  werden 
von  der  Brandungswelle  zerkleinert,  an  verschiedenen  Stellen  endi- 
gen die  Grundmauern  am  Steilrand  der  Klippe.  Mauerreste  unten 
am  Strande,  wie  solche  von  Stadenmauern  und  Hafenanlagen, 
die  doch  vorhanden  waren,  zu  erwarten  wären,  suchte  ich  ver- 
gebens. Da  wohl  kaum  anzunehmen  ist,  daß  man  dieselben  mit- 
samt den  Fundamenten  weggeführt  habe,  so  müssen  sie  der 
Brandung  erlegen  sein.  So  erkennt  man  auch  hier,  daß  ein  Teil 
der  alten  Stadt  verschwunden  und  ein  Küstenstreifen  abgetragen 
ist.  Rusgunia  war  eine  von  Augustus  angelegte  Kolonie,  die  wohl 
auch  erst  dem  Einbruch  der  Araber  erlegen  ist.  Doch  behauptete 
es  wegen  seiner  Lage  und  des  Schutzes,  den  hier  die  Schiffe 
gegen  alle  Winde,  außer  W  und  NW  fanden,  eine  gewisse  Be- 
deutung; selbst  als  Algier  anfing,  größere  Wichtigkeit  zu  erlangen, 
diente  die  flache  Bucht  unter  Kap  Matifu  gewissermaßen  als  Er- 
gänzung von  Algier,  denn  gerade  bei  Windrichtungen,  wo  man 
dort  keinen  Schutz  finden  konnte,  fand  man  denselben  hier.  Also 
ganz  wie  bei  Tanger  noch  heute.  Im  12.  Jahrhundert  rühmt  Edrisi 
noch  den  guten  Hafen  neben  der  kleinen,  wenig  bevölkerten,  in 
Trümmern  liegenden  Stadt  Tämadfus,  im  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts rühmt  auch  Leo  Africanus  den  guten  Hafen,  dessen  sich 
die  Algeriner  bedienten,  da  sie  keinen  solchen  hätten,  sondern  nur 
einen  Strand.  Diese  ausdrückliche  Hervorhebung  —  erst  seit  1 53  1 
konnte  man  von  einem  Hafen  in  Algier  sprechen  —  läßt  vermuten, 
daß  Rusgunia  wirklich  einen  Hafen  besaß,  wie  auch  Shaw,  der 
eine  lange  Reihe  von  Jahren  im  ersten  Drittel  des  vorigen  Jahr- 
hunderts in  Algier  lebte,  ausdrücklich  erwähnt,  es  seien  noch  die 
Spuren  eines  alten  Cothon  vorhanden.  Seitdem  erst  wären  also 
diese  Anlagen  von  der  Brandungswelle  verschlungen  worden. 

Noch  weit  gründlicher  als  mit  den  Trümmern  von  Rusgunia 
ist  mit  denen  von  Rusubbicarri,  weiter  ostwärts,  etwas  westlich  der 
Mündung  des  Isser,  4  km  nordwestlich  von  dem  Dorfe  Zamori, 
seit  dem  Mittelalter  Mers-el-Djedjadje,  Hühnerhafen,  genannt,  auf- 
geräumt worden.  El  Bekri  nennt  hier  noch  eine  wichtige  Stadt, 
Edrisi  desgleichen,  und  hebt  namentlich  ihre  Festungswerke  und 
den  guten  Hafen  hervor.  Heute  sind  nur  ganz  dürftige  Reste 
der  alten,  gar  keine  der  mittelalterlichen  Stadt  erhalten,   das  Meer 


Die  Bucht  von  Algier.  j  j  y 

hat  die  Stadt  und  den  Hafen  verschlungen,  nur  eine  ganz  kleine, 
wenig  Schutz  bietende  Einbuchtung  ist  noch  vorhanden.  Weiter 
ostwärts  an  der  Steilküste  der  großen  Kabylei  finden  sich  Ruinen 
einer  römischen  Seestadt  bei  dem  Kap  Tigzirt,  in  dessen  Nähe 
1 881  ein  danach  benanntes  Kolonistendorf  angelegt  worden  ist, 
ig  km  östlich  von  Dellys.  Aus  gewaltigen  Blöcken  hatte  man 
einen  die  vorgelagerte  kleine  Felseninsel  mit  dem  Festlande  ver- 
bindenden Damm  gebaut,  von  dem  noch  Reste  erhalten  sind,  sowohl 
auf  dem  Lande  wie  auf  dem  Grunde  des  Meeres,  bei  ruhigem 
Wetter  bis  50  m  weit  erkennbar1).  Kiepert  sucht  hier  Rusuccuru. 
Daß  also  an  den  beiden  den  Golf  von  Algier  begrenzenden 
Vorgebirgen  die  Küste  noch  immer  und  zwar  ziemlich  rasch 
zurückweicht,  steht  fest.  Wie  verhält  es  sich  nun  im  Innern  des 
Golfs?  Die  Ufer  der  Bucht  von  Algier  sind  von  dem  oben  an- 
geführten Punkte  2  km  südlich  Kap  Matifu  bis  zum  Isly-Tore  von 
Algier,  wo  faserige  Granite  auftreten,  völlig  flach  und  bilden  eine 
vollkommene  Kurve.  Der  Anblick,  welchen  von  einer  Anhöhe 
dieser  riesige  kreisbogenförmige  Wall  weißen  Schaumes  bei  etwas 
bewegtem  Meere  bietet,  ist  ein  großartiger.  Von  Mustapha  bis 
Rusgunia  ist  die  Küstenlinie  ein  wie  mit  dem  Zirkel  gezogenes 
Kreisbogenstück  mit  dem  Radius  von  8,5  km.  Es  reicht  der 
flache  Strand  genau  soweit  wie  die  leicht  zerstörbaren  Felsarten 
reichen,  die  Tone  und  Mergel,  die  leicht  zerreibbaren  weißen 
Kalksteine,  die  molasseähnlichen  Sandsteine,  wohl  sämtlich  plio- 
cänen  Alters.  Festere,  für  Bauzwecke  brauchbare  Steine  treten 
meines  Wissens  nur  oberhalb  des  Jardin  d'Essai  auf,  also  ziemlich 
nahe  an  Algier  und  hoch  über  dem  Meere.  Wenn  wir  sehen, 
daß  selbst  die  festen  Felsarten  an  den  beiden  begrenzenden  Vor- 
gebirgen ziemlich  rasch  der  Brandungswelle  erliegen,  so  können 
wir,  unter  Hinblick  auf  die  schon  besprochenen  morphologischen 
Verhältnisse  des  Meeresgrundes,  nicht  daran  zweifeln,  daß  die 
Bucht  an  Stelle  der  abgetragenen  weichern  Gesteine  getreten  ist, 
die  sich  wie  im  Westen,  so  auch  im  Osten  an  das  Massiv  von 
Algier  anlegten.  Die  beiden  hier  einmündenden  Flüsse,  Harrach 
und  Hamiz,  erleichterten  der  Brandungswelle  die  Arbeit.  Beide  Flüsse 
haben  aber  einen  die  Bucht  umschließenden  niedern  Höhenrücken 
zu    durchbrechen   gehabt,    der   auch  hier  die  Mitidja  vom  Meere 

l)  Vgl.  Bulletin  de  correspondance  africaine  I,  p.  143. 


I  1 8  H,  3-    Veränderungen  der  Küste  am  Golf  von  Algier. 

trennt.  Der  Harrach  tut  dies  in  einem  wohl  gleichzeitig  mit  denen 
des  Mazafran  und  Nador  gebildeten  Durchbruchstale,  an  dessen 
Ostseite  sich  bei  Maison  Carree  noch  Höhen  von  50  m  finden. 
Von  da  nimmt  die  Höhe  des  Rückens,  jedenfalls  wohl  weil  die 
atmosphärischen  Agentien  die  weichern  Felsarten  rascher  abtrugen, 
rasch  ab  bis  auf  30  m,  aber  immerhin  nötigt  er  den  Hamiz,  auf 
fast  3  km  der  Küste  parallel  zu  fließen,  ehe  er  in  scharfem  Knie 
zum  Meere  durchzubrechen  vermag,  nur  1700  m  südlich  von 
Rusgunia.  Diesem  niedern  Rücken  ist  ein  flaches,  auf  eine  Strecke 
von  6,5  km  zu  beiden  Seiten  der  Harrach-Mündung  mit  Dünen 
besetztes  Vorland  vorgelagert,  das  an  der  Harrach-Mündung,  wo 
man  den  Artillerieschießplatz  auf  demselben  angelegt  hat,  800  m 
breit  ist,  weiter  gegen  Algier  hin  sich  aber  auf  600  m  verschmälert. 
Dort  liegt  der  berühmte  Versuchsgarten  der  Hamma  auf  diesem 
Vorlande,  dessen  außerordentlich  fruchtbarer,  feuchter  Boden  im 
milden  Anhauch  des  Meeres,  Palmen  und  andre  Kinder  der 
Tropen  in  großer  Mannigfaltigkeit  und  tropischer  Üppigkeit  her- 
vorbringt, ein  Treibhaus  im  Freien.  Das  ist  neugebildetes  Land, 
gehobener  Meeresboden.  Hier  im  Hintergrunde  der  Bucht  findet 
jetzt  sicher  keine  Abtragung,  sondern  vielmehr  Auflagerung,  wenn 
auch  gewiß  sehr  langsam,  statt.  Dafür  spricht  auch  der  Umstand, 
daß  die  Küste  bei  der  schon  seitwärts  der  tiefsten  Einbuchtung 
gelegenen  aufblühenden  Niederlassung  gemüsebauender .Mahonesen, 
die  nach  einer  dicht  am  Strande  liegenden  alten  Türkenfeste  Fort 
de  l'Eau  genannt  ist,  durchaus  nicht  von  der  Kurve  abweicht, 
was  unbedingt  der  Fall  sein  würde,  wenn  hier  noch  immer  Land- 
abtragung stattfände,  denn  dort  tritt  der  Höhenrücken,  der  gerade 
dort  feste  mächtige  Kalkbänke,  wie  ein  Straßeneinschnitt  zeigt, 
enthält,  mit  Höhen  von  20  m  auf  250  m  an  den  Strand  heran. 
Wir  müssen  daher  annehmen,  daß  infolge  der  in  östlicher  Rich- 
tung überhaupt  abnehmenden  positiven  Niveauverschiebung,  oder 
weil  dauernd  oder  vorübergehend  dieselbe  zum  Stillstand  gelangt 
ist,  die  Abrasionsfläche  diejenige  Breite  erlangt  hat,  bei  welcher 
die  Brandungswelle,  durch  Reibung  erlahmend,  nicht  mehr  abzu- 
tragen vermag,  sondern  die  an  den  Vorgebirgen  abgeriebenen 
oder  von  den  von  zwei  Flüssen  und  zahlreichen  Gießbächen 
herbeigeführten  Massen  im  Innern  der  Buchten  ablagert.  Auch 
die  Gegenströmung  kommt  dabei  in  Betracht.  Es  dürften  hier 
die   in  Bildung   begriffenen    übergreifenden  Schichten    schon  eine 


Die  Bucht  von  Algier.  t  i  g 

ziemliche  Mächtigkeit  erlangt  haben.  Bohrungen  nahe  dem  Strande, 
etwa  vor  dem  Versuchsgarten,  könnten  dies  ohne  viel  Kosten 
feststellen.  Wenn  ich  somit  die  Bucht  von  Algier  in  ihren  sonstigen 
Verhältnissen  als  eine  Brandungsbucht  an  einer  Abrasionsküste 
ansehen  muß,  so  muß  ich  doch  auf  die  von  mir  1 906  beobachtete 
Tatsache  hinweisen,  daß  der  gewaltige  Steilabsturz  der  hier  dis- 
kordant  und  ungestört  dem  Palaeozoicum  auflagernden  Miocän- 
schichten  des  Sahel  von  Algier  über  dem  Jardin  d'Essai  und 
Mustapha  Superieur  auf  einer  im  flachen  Bogen  verlaufenden  Ver- 
werfung beruht. 


4.   Neue  Küstenstudien  an  der  Abrasionsküste 
von  Tipaza  und  Algier.1) 

Eine  Studienreise,  welche  ich  in  der  Zeit  von  Ende  Februar 
bis  Anfang  Mai  1906  mit  Unterstützung  der  Karl  Ritter- Stiftung 
der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  unternahm,  hatte  zwar 
vorwiegend  den  Zweck  in  Europa,  außer  etwa  in  Paris,  nicht  gut 
auszufüllende  Lücken  in  meiner  Kenntnis  der  Atlas -Länder,  die 
seit  langem  im  Vordergrunde  meiner  Mittelmeerstudien  stehen, 
durch  Literatur-,  kartographische  und  ähnliche  Studien  auszu- 
füllen; aber  ich  hatte  doch  auch  Studien  im  Gelände  und  nament- 
lich an  den  Küsten  von  vornherein  in  meinen  Arbeitsplan  aufge- 
nommen. Obwohl  durch  einen  Anfall  der  im  März  in  Algier 
herrschenden  Influenza  an  solchen  Arbeiten  gehindert,  war  es  mir 
doch  möglich,  annähernd  das  gesteckte  Ziel  zu  erreichen  und  im 
Laufe  des  April  auch  sonst  fast  alles  auszuführen,  was  geplant 
war.  Sehr  großen  Dank  schulde  ich  dabei  dem  außerordentlich 
freundlichen  Entgegenkommen  der  französischen  Gelehrten,  vor 
allem  Prof.  Ficheur,  dem  ausgezeichneten  Kenner  der  Geologie 
Algeriens. 

Da  die  hier  mitgeteilten  Beobachtungen  an  frühere  unmittel- 
bar anschließen,  so  kann  ich  den  Hinweis  nicht  umgehen,  daß 
ich  mich  mit  Küstenstudien  überhaupt,  aber  namentlich  in  Nord- 
Afrika,    seit  Jahrzehnten    mit  Vorliebe    beschäftigt    und    auf  ver- 

1)  Zuerst  erschienen  in  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde 
zu  Berlin  1906,  wo  12  Bilder  nach  eigenen  Aufnahmen  und  eine  Karte  den 
Text  erläutern. 


120      H,  4-    Küstenstudien   an    der  Abrasionsküste    von  Tipaza  und  Algier. 

schiedenen  Reisen  die  Küsten  der  Atlas-Länder,  von  der  Kleinen 
Syrte  bis  Mogador,  mehr  oder  weniger  eingehend  kennen  gelernt 
habe.  Namentlich  kam  es  mir  dabei  darauf  an,  den  Einfluß  der 
Brandungswelle  auf  die  Küstengliederung  klar  zu  legen  und  an 
besonders  lehrreichen  Punkten  zu  veranschaulichen;  denn  ich 
hatte  längst  erkannt,  daß  es  wohl  Küsten  gibt,  an  denen  uns 
die  Wirkungen  dieser  gewaltigen  Kraft  noch  weit  packender  ent- 
gegentreten ,  die  der  Britischen  Inseln  z.  B.,  aber  kaum  solche, 
die  so  genaue  Zeitangaben  ermöglichen  wie  hier.  Die  Nordküste 
der  Atlas-Länder  ist  fast  seit  drei  Jahrtausenden  von  gesitteten 
Völkern  besiedelt,  die  dort  bauliche  Anlagen  der  verschiedensten 
Art,  wenn  auch  vorzugsweise  dem  Seeverkehr  zu  dienen  bestimmte, 
schufen.  Diese  Anlagen  waren  nun  dem  Ansturm  der  Brandungs- 
welle ausgesetzt,  und  ihr  heutiger  Zustand  gewährt  uns  so  einen 
Zeitmesser  für  die  Arbeitsleistung  des  Meeres.  Daß  diese  an 
einem  Mittelmeer  von  geringer  meridionaler  Erstreckung  und  in 
der  niederen  Breite  von  36  °  n.  Br.  geringer  sein  muß  als  an  den 
Ozeanküsten  höherer  Breiten,  namentlich  an  Küsten,  wo  stürmische 
West-  und  Südwestwinde,  Gezeiten,  Frost  und  dergleichen  mit- 
wirken, kann  von  vornherein  keinem  Zweifel  unterliegen;  aber  an 
der  ganzen  Nordküste  von  Afrika,  vom  Kap  Spartel  bis  zur  Grenze 
Ägyptens  gegen  Syrien,  sind  im  Jahresmittel  auflandige  Winde 
vorherrschend,  ganz  besonders  in  der  warmen  Jahreshälfte,  also 
eine  lange  Zeit  und  gelegentlich  im  Winter,  wenn  sich  Tröge 
niedern  Luftdrucks  auf  den  Teilbecken  des  Mittelmeeres  ent- 
wickeln, mit  ungeheuerer  Stärke  wirkende  Kraft.  In  der  Tat 
kann  man  ihre  Wirkungen  überall,  bei  Alexandria,  in  Barka,  bei 
Tripolis  und  an  der  ganzen  Nordküste  der  Atlas -Länder  wahr- 
nehmen. Es  ist  der  Passat,  der  infolge  der  gegensätzlichen  Er- 
wärmungs-  und  Luftdruckverhältnisse  der  einander  parallel  äqua- 
torial verlaufenden  Erdoberflächengürtel  des  Mittelmeeres  und  der 
großen  Wüste  die  Südhälfte  des  Mittelmeeres  mehr  oder  weniger 
scharf  ausgeprägt  in  seinen  Herrschaftsbereich  einbezieht.  Die 
Windrichtungen  schwanken  zwischen  Nordwest  und  Nordost,  die 
Windstärke  und  dem  entsprechend  die  Brandung  wächst  mit 
steigender  Sonne.  Nachdem  ich  diese  wohlbekannte  Erscheinung 
selbst  im  Frühling,  im  März  und  April,  wo  ich  sie  nicht  erwartet 
hatte,  zu  meinem  Schaden  festgestellt  hatte,  benützte  ich  stets 
ganz  frühe  Morgenstunden,  wenn    es   galt,    im   Boot   vom    Meere 


Abrasionsküste  bei  Algier.  j  2  i 

aus  die  Küste  zu  untersuchen,  gelegentlich  zu  landen  oder  küsten- 
nahe Felsinseln  zu  erreichen.  Beides  war  gegen  Mittag  der 
starken   Brandung  wegen  unmöglich. 

Die  von  der  Deutschen  Seewarte  unter  Dr.  Schotts  Leitung 
durchgeführte  Verarbeitung  der  Beobachtungen  deutscher  Schiffe 
auf  dem  Wege  durch  das  Mittelmeer1),  also  in  geringer  Entfernung 
der  Nordküste  Afrikas  entlang,  stellt  das  Überwiegen  dieser  nörd- 
lichen Luftströmungen,  also  auflandiger  Winde  an  der  Küste,  im 
Laufe  des  Jahres  fest.  Im  Winter  herrschen  südlich  vom  40.  Pa- 
rallel allgemein  Nordwestwinde  vor,  am  meisten  mit  37  Prozent 
vor  Ägypten.  An  der  Küste  der  Atlas-Länder  speziell  überwiegen 
im  Dezember  und  Januar  je  weiter  nach  Osten  um  so  mehr  Nord- 
westwinde. Im  Frühling  überwiegt  Nordwest  noch  mehr,  je  weiter 
nach  Osten  um  so  mehr.  Im  Sommer  herrscht  im  nordwestlichen 
Mittelmeer  vom  40.  Parallel  nach  Süden  monsunartiger  Nordost, 
also  Passatrichtweg,  im  Südostbecken  Nordwest,  ja  vor  dem  Nil- 
Delta  zu  67  Prozent.  Im  Herbst  überwiegen  im  Osten  und  Norden 
des  Mittelmeeres  Nordwestwinde,  doch  sind  auch  andere  Wind- 
richtungen häufig.  Die  Wandstärke  wächst  vom  November  an 
auffallend,   dreiviertel  aller  Stürme  fällt  auf  den  Winter. 

Diese  auf  offenem  Meere  gemachten  Beobachtungen  finden 
im  allgemeinen  ihre  Bestätigung  durch  diejenigen  der  Küsten- 
stationen2). In  Nemours,  nahe  der  Grenze  von  Marokko,  über- 
wiegen vom  Mai  bis  Oktober  Nordwinde  durchaus,  in  Oran  sind 
sie  in  allen  Monaten  des  Jahres  häufig  bzw.  überwiegend,  be- 
sonders im  Sommer,  nächstdem  Nordwest;  auf  Kap  Falcon  über- 
wiegt Nordost  durchaus  im  Sommerhalbjahre,  in  Algier  Ostwinde, 
nächstdem  Nord  und  Nordost,  in  Tizi-Uzu  etwas  landeinwärts  im 
Tale  des  Sebau  der  großen  Kabylei  sind  Nordwest  und  Nordost 


1)  Wind,  Strom,  Luft-  und  Wassertemperatur  auf  den  wichtigsten 
Wasserwegen  des  Mittelmeeres.  Herausgegeben  von  der  Deutschen  Seewarte. 
Berlin  1905. 

2)  Einer  meiner  früheren  Zuhörer,  Herr  Dr.  K.  Knoch,  Assistent  am 
Kgl.  Meteor.  Inst,  in  Berlin,  hat  die  Beobachtungen  der  fünf  Stationen 
Nemours,  Oran,  Kap  Falcon,  Algier,  Tizi-Uzu  auf  Grund  der  für  seine 
Dissertation  über  die  Niederschlagverhältnisse  der  AÜas-Länder  gesammelten 
Beobachtungen  für  mich  berechnet  und  zwar  für  die  Periode  von  1885  bis 
1900,  bemerkt  aber  dazu,  daß  die  Beobachtungen  nicht  allzu  zuverlässig  zu 
sein  scheinen,  da  Wechsel  der  Beobachter  oft  auch  einen  Wechsel  der  Wind- 
richtungen bedingt.     Vgl.  auch  S.  92. 


12  2      II,  4-     Küstenstudien    an  der  Abrasionsküste  von  Tipaza  und  Algier. 

die  häufigsten  Windrichtungen  in  allen  Monaten  des  Jahres.  Im 
März  und  April  1906  überwogen  in  Algier  nach  meinen  eigenen 
Beobachtungen  nordwestliche  und  nordöstliche  Winde  in  solchem 
Maße,  daß  nur  an  wenigen  Tagen  andere  Windrichtungen,  be- 
sonders West,  oder  Windstillen  herrschten. 

Mit  welcher  unwiderstehlichen  Gewalt  die  Stürme  hier  die 
Küste  angreifen,  das  haben  die  Franzosen  bei  ihren  Hafenbauten 
erfahren,  die  periodisch  bei  jedem  größeren  Sturme  Schaden 
leiden.  Wie  das  bei  dem  Sturme  vom  9.  Februar  1886  in  Algier 
aufgenommene  Bilder  zeigen,  wurden  damals  die  Brandungswogen 
turmhoch  an  den  auf  hoher  Klippe  stehenden  Häusern  empor- 
gepeitscht. In  Tipaza  fand  ich  10  m  über  dem  Meeresspiegel 
und  mindestens  ebenso  weit  von  demselben  die  pliocänen  Sand- 
steine von  der  Brandungswelle  bienenwabenähnlich  zerfressen.  Ich 
hatte  1886  festgestellt,  daß  das  Meer  vor  dem  alten  Nordwesttore 
von  Algier,  dem  Bab-el-Wed,  anscheinend  die  Küste  unablässig 
abtragend  und  eine  Abrasionsterrasse  bildend,  gegen  das  Land 
vorrückt  und  die  unmittelbar  am  Strand  entlang  die  Stadt  mit 
dem  Villenvorort  St.  Eugene  verbindende  Straße  bedroht,  ja  zeit- 
weilig ungangbar  macht,  wie  bei  dem  Sturme  vom  9.  Februar. 
Man  hatte  sie  notdürftig  ausgebessert.  So  erfolgreich  war  das 
Meer  an  einer  kleinen  in  den  festen  alten  paläozoischen,  prä- 
kambrischen  (?)  bläulichen,  tonigen,  von  Quarzadern  durch- 
zogenen Schiefern  des  Buzarea-Massivs  ausgearbeiteten  Bucht 
gegen  das  Land  vorgerückt,  daß  die  so  gefährdete  Straße  nur  noch 
die  Kaserne  der  Salpetriere,  die  erst  1815  als  ein  Teil  der 
Sommerresidenz  des  Dey  erbaut  worden  war,  vom  Strande  trennte 
und  bei  Sturm  die  Wogen  die  Mauern  dieses  Bauwerks  bespritzten, 
das  man  unmöglich  so  nahe  am  Meere  errichtet  haben  würde, 
wenn  die  Verhältnisse  eben  die  gleichen  wie  heute  gewesen  wären. 
Ich  sprach  damals  aus  x) :  „Man  wird  sehr  bedeutende  Arbeiten 
vornehmen  müssen,  um  der  Brandungswelle  erfolgreichen  Wider- 
stand zu  leisten  und  die  Straße  und  die  Salpetriere,  die  beim 
nächsten  Sturme  der  größten  Gefahr  ausgesetzt  sein  würde,  zu 
schützen."  Einer  meiner  ersten  Spaziergänge  im  März  1906 
führte  mich  an  diese  Stelle;  mit  Staunen  und  Genugtuung  stellte 
ich  fest,  daß  diese  ,,sehr  bedeutenden  Arbeiten"  inzwischen  aus- 

1)  Siehe  S.  114. 


Besiedelung  der  Küste  von  Algerien. 


123 


geführt  worden  waren!  Eine  5 — 6  m,  örtlich  noch  höhere  Ufermauer 
aus  mächtigen  Blöcken  des  harten  blauen  Kalksteines  des  Buzarea- 
Massivs  schützt  jetzt  auf  mehr  als  1  km  Länge  das  Land  gegen 
die  Angriffe  des  Meeres,  und  durch  Aufschüttungen  hinter  dem 
Damme  ist  noch  Raum  für  eine  am  Meere  entlang  führende 
Kleinbahn  gewonnen! 

Eine  kleine  Reise  galt  Tipaza,  der  Trümmerstätte  einer  großen 
römischen  Küstenstadt,  68  km  westlich  von  Algier,  um  meine  dort 
vor  20  Jahren  gemachten  Beobachtungen  nachzuprüfen  und  zu 
ergänzen.  Dieselbe  bot  zugleich  Gelegenheit,  die  außerordent- 
lichen Fortschritte  festzustellen,  welche  die  Kolonisation  seitdem 
gemacht  hat.  Die  ganze  Küste  bis  zu  dem  weit  aus  dem  ur- 
sprünglich geraden  Verlauf  der  Küstenlinie  als  hohe  Landmarke 
von  der  Brandungswelle  herauspräparierten  Kap  Chenoua,  75  km 
westlich  von  Algier,  ist  heute  besiedelt,  von  Algier  bis  zu  dem 
durch  die  Landung  der  Franzosen  am  14.  Juni  1830  bekannt  ge- 
wordenen Kap  Sidi-Ferruch  sogar  ziemlich  dicht.  Aber  man  stellt 
sofort  fest,  daß  Spanier  und  Italiener,  die  allerdings  hier  in  der 
Umgebung  von  Algier  der  Aufsaugung  durch  die  Franzosen  rasch 
unterliegen  dürften,  unter  den  Ansiedlern  sehr  zahlreich  sind  und 
daß  namentlich  ihre  Arme,  meist  der  einzige  Besitz,  über  welchen 
sie  verfügen,  die  großen  Weinpflanzungen,  die  hier  angelegt 
worden  sind,  geschaffen  haben.  Ich  bin  hier  mehr  mit  Spaniern 
und  Italienern,  auch  solchen,  die  kein  Wort  Französisch  kannten, 
zusammengetroffen,  als  mit  Franzosen,  aber  auch  mit  Spaniern, 
die  nicht  mehr  Spanisch  konnten.  In  Guyotville,  einem  der 
hübschesten  Dörfer  Algeriens,  nur  15  km  westlich  von  Algier, 
findet  sich  sogar  die  größte  geschlossene  Landwirtschaft  treibende 
italienische  Kolonie  in  Algerien,  etwa  1000  Köpfe  unter  den 
2800  Einwohnern  des  Dorfes.  Sie  bauen  namentlich  auf  dem 
warmen  sandigen  Boden  Gemüse  und  Frühtrauben  zur  Ausfuhr. 
Die  angebaute  Fläche  ist  in  lauter  kleine  Felder  geteilt,  die  von 
hohen  Zäunen  von  Arundo  donax  zum  Schutze  gegen  den  salzigen 
Seewind  umschlossen  sind.  Wo  dieses,  wohl  weil  der  Boden  zu 
trocken  ist,  nicht  gedeiht,  hat  man  zu  gleichem  Zweck  zwischen 
den  hier  stets  niedrig  gehaltenen  Reben  Streifen  von  Roggen  ge- 
säet, der  im  Frühling,  wenn  die  jungen  Triebe  der  Rebe  sich 
entwickeln,  schon  hoch  in  Ähren  steht  und  so  den  nötigen  Schutz 
bietet,  das  einzige  Mal,  wo  ich  Roggen  in  Algerien  gesehen  habe. 


124      ^'  4*     K-üstenstudien   an  der  Abrasionsküste    von  Tipaza  und  Algier. 

Guyotville  wird  auch  immer  mehr  als  Sommerfrische  und  zum 
Genuß  der  Seebäder  aufgesucht,  wie  fast  alle  diese  Küstenorte 
westlich  und  östlich  von  Algier.  Bei  Fort  de  l'Eau,  einer  An- 
siedlung  Gemüse  bauender  Spanier  von  der  Insel  Minorka  (Ma- 
honesen),  östlich  von  Algier,  an  der  Bucht,  das  einen  herrlichen 
feinsandigen  Badestrand  besitzt,  ist  ein  förmlicher,  nur  im  Sommer 
bewohnter  Badeort  entstanden.  Ebenso  fand  ich  die  Ansätze  zu 
einem  solchen,  zunächst  aus  ein  paar  Dutzend  kleiner  verstreuter 
Villen  bestehend,  auf  der  schmalen  Hebungsterrasse  am  Ostfuße 
der  steil  aufragenden  Kalkwände  desKapChenoua,  daher  „Chenoua 
Plage"  genannt.  Auch  Tipaza  verdankt  seine  Entwickelung  zum 
Teil  seiner  Eigenschaft  als  Seebadeort,  die  gewiß  weniger  auf 
seinem  felsigen  Strande  beruht,  der  sich  wenig  dazu  eignet,  als 
auf  der  lieblichen  Umgebung  und  den  Altertümern.  Die  Ent- 
wickelung aller  dieser  kleinen  Küstenplätze  zu  Seebadeorten  unter- 
liegt zwingenden  geographischen  Bedingungen.  Die  Ebene  der 
Mitidja,  obwohl  nur  durch  den  schmalen  und  niedrigen  Damm 
des  Sahel  von  Algier  vom  Meere  getrennt,  ist  so  heiß,  schon  im 
April,  im  Sommer  auch  noch  vielfach  von  Malaria  heimgesucht, 
wenn  auch  nicht  entfernt  mehr  wie  in  den  ersten  Jahrzehnten 
nach  der  Eroberung,  daß  jeder,  der  es  irgendwie  kann,  sich  in  den 
kühlen  Anhauch  des  so  nahen  Meeres  flüchtet.  Und  da  die  Mitidja 
jetzt  fast  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  besiedelt  und  angebaut, 
auch  der  Wohlstand  der  Ansiedler  wesentlich  gestiegen  ist,  so  er- 
klärt sich  dieser  neue  Faktor  der  Entwickelung  der  Küstensiede- 
lungen,  von  welchen  vor  20  Jahren  noch  keine  Spur  vorhanden 
war.  Daneben  sind  aber  auch  inzwischen  reine  Fischerdörfer  an 
dieser  fischreichen  Küste  entstanden.  So  an  der  flachen,  bisher 
namenlosen,  aber  am  besten  nach  Tipaza  zu  benennenden  Bucht, 
zwischen  Kap  Chenoua  und  Kap  Sidi-Ferruch  das  Dorf  Tschifalo, 
ganz  italienisch,  von  italienischen  Fischern  gegründet  und  nach 
ihrem  Heimatorte  Cefalu  in  Sizilien  benannt.  So  am  Kap  Matifu, 
dem  östlichen  Vorgebirge  der  Bucht  von  Algier,  nahe  nördlich 
der  Trümmerstätte  von  Rusgunia ,  neben  dem  alten  türkischen 
Fort,  das  Dorf  La  Perouse,  1896  gegründet,  und  östlich  vom 
Kap  das  Dorf  Jean  Bart,  1893  gegründet,  wie  schon  die  Namen 
der  französischen  Seehelden  erkennen  lassen,  staatliche  Grün- 
dungen, und  als  solche  schon  von  fern  zu  erkennen,  in  welche 
man    unter    den    denkbar    günstigsten   Bedingungen,    wie    in    ein 


Besiedelung  der  Küste  von  Algerien.  12^ 

warmes  Nest,  korsische  (La  Perouse)  und  südfranzösische  Fischer 
gesetzt  hat.  Auch  diese,  wie  alle  anderen  im  Laufe  von  Jahr- 
zehnten immer  und  immer  wiederholten  Versuche,  die  italienischen 
Fischer,  die  nach  wie  vor  die  reichen  Fischereigründe  an  der 
algerischen  Küste  ausbeuten,  durch  französische  zu  verdrängen, 
sind  als  gescheitert  anzusehen.  Nur  einige  korsische,  also  im 
Grunde  auch  italienische  Fischerfamilien  in  La  Perouse  haben  sich 
gehalten;  ich  sah  einige  ihrer  Boote  mit  geschwellten  Segeln  vom 
Fang  heimkehren.  Sonst  sind  hier,  wie  anderwärts,  Neapolitaner 
an  Stelle  der  Franzosen  getreten.  Und  jede  dieser  französischen 
Fischerfamilien  hatte  dem  Staat  ioooo  Frcs.  gekostet!  Freilich 
waren  es  auch  vielfach  nicht  wirkliche  Fischer,  sondern  Leute, 
die  man  in  den  Häfen  der  Bretagne  oder  der  Provence  aufge- 
lesen hatte.  Italiener  (und  Spanier)  bilden  auch  heute  noch,  wenn 
sie  auch  durch  ein  1888  erlassenes  Gesetz,  welches  nur  franzö- 
sischen Staatsbürgern  das  Fischen  an  den  Küsten  von  (Frankreich 
und)  Algerien  gestattet  und  die  italienische  Bevölkerung  in  Algerien 
von  1886 — 1896  von  44000  auf  35000  sinken  machte,  äußer- 
lich zu  Franzosen  gemacht  worden  sind,  die  ganze  Fischer-  und 
seemännische  Bevölkerung  Algeriens.  Zu  den  Seßhaften  kommen 
aber  sommerliche  Wandervögel  hinzu,  noch  mehr  wie  an  den 
Küsten  Algeriens  an  denen  Tunesiens.  Dort  neben  Italienern 
auch  Griechen,  die  besonders  Schwämme  und  die  getrockneten 
als  Nahrung  in  Griechenland  so  geschätzten  Pulpen  fischen. 
Immerhin  sind  solche  zeitweiligen  Niederlassungen  italienischer 
Fischer  an  den  versteckten  Buchten  Algeriens  nicht  selten.  Ich 
fand  eine  solche  an  der  Küste  der  großen  Kabylei.  Ein  großes 
Zelt,  vor  welchem  die  Boote  auf  den  sandigen  Strand  gezogen 
waren,  beherbergte  ein  Dutzend  Fischer  und  ihre  Beute,  einge- 
salzene Sardinen ,  Tonne  über  Tonne  hoch  aufgestapelt.  Auch 
in  Tipaza  fand  ich  eine  solche  Sommerkolonie  italienischer  Fischer. 
Manche  bringen  auch  ihre  Familien  mit,  da  die  Frauen  und 
Kinder  beim  Einsalzen   helfen  können. 

Die  Küste  von  Algier  bis  zum  Kap  Chenoua  ist  mäßige  Steil- 
küste, meist  felsig  und  klippig,  außer  am  Kap  Sidi-Ferruch  und 
an  der  Mündung  des  Nador  bei  Tipaza.  Außerordentlich  malerisch, 
wild  zerrissen,  von  Klippen  und  felsigen  Inselchen  begleitet,  ist 
die  Küste  des  alten  Massivs  des  Buzarea  von  Algier  bis  Ras 
Acrata,    besonders    am  Kap  Caxine   und  an  der  Pointe  Pescade. 


12Ö      n,  4.     Küstenstudien    an  der  Abrasionsküste    von  Tipaza  und  Algier. 

Auf  dieser  Strecke  kann  man  die  erfolgreichen  Angriffe  des  Meeres 
mit  Händen  greifen.  Die  Mündung  jedes  der  kleinen  Gießbäche, 
welche  das  Buzarea-Massiv  so  wild  durchschluchtet  haben,  daß 
die  jetzt  im  Bau  begriffene  kleine  Straße,  welche  durch  das  be- 
kannte Frais  Vallon  auf  die  miocäne  Hochfläche  von  El  Biar 
hinaufführt,  streckenweise,  wenn  man  von  der  südlichen  Pflanzen- 
welt absieht,  einem  Alpensträßchen  gleicht,  ist  zu  einer  kleinen 
Brandungsbucht  ausgearbeitet.  Die  reichste  Kleingliederung  ent- 
spricht den  festen  mehr  oder  weniger  kristallinischen  blauen 
Kalken  des  Buzarea,  nächstdem  den  Tonschiefern.  Am  Kap 
Caxine  treten  Gneise,  wohl  das  älteste  Gestein  des  Buzarea-Massivs, 
zutage.  Daß  die  flache  Bucht  von  Tipaza  zwischen  den  hohen 
Landvorsprüngen  des  Massivs  des  Buzarea  auf  der  einen,  des 
Chenoua  auf  der  anderen  Seite  als  eine  auf  Kosten  der  weichen 
Neogenschichten  des  Sahel  von  Algier  gebildete  Brandungsbucht 
aufzufassen  ist,  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  namentlich  wenn 
man  sieht,  wie  bei  Tipaza  das  Land  unter  dem  Anprall  der  Wogen 
beständig  zurückweicht  und  im  Laufe  von  kaum  1 1/2  Jahrtausend 
um  etwa   15,  ja  vielleicht  25  m  zurückgewichen  ist. 

Ein  neues  Interesse  gewinnt  aber  diese  Frage  der  Ver- 
schiebung der  Küstenlinie  in  der  Wagerechten,  wenn  wir  daneben 
den  Bewegungen  derselben  in  der  Senkrechten  Aufmerksamkeit 
schenken.  Wie  General  de  Lamothe1),  der  diesen  Erscheinungen 
in  Nord-Afrika,  auch  in  Tunesien,  gründliche  Studien  gewidmet 
hat,  festgestellt  hat,  lassen  sich  am  Sahel  d'Alger  acht  alte  Strand- 
linien erkennen,  welche  den  Isohypsen  von  17,  30,  55,  100,  140, 
200,  265,  320  m  entsprechen.  Auch  sind  Spuren  einer  noch 
höheren  von  350  m  vorhanden.  Man  kann  sie  auf  große  Strecken 
verfolgen,  da  sie  topographisch  in  scharf  ausgeprägten  Stufen 
hervortreten,  die  Reste  unterseeischer  Plattformen,  wie  sich  deren 
eine  nach  meiner  Ansicht  in  der  Gegenwart  hier  vor  der  Küste 
bildet,  von  roten  Sanden  mit  kleinen  weißen  Quarzkieseln  be- 
deckt, die  ausnahmsweise  auch  marine  Konglomerate  bilden.  Ihre 
Ausbildung  fällt  in  die  Zeit  vom  alten  Pliocän  (die  höchsten)  bis 
ins  obere  Quartär.  Nach  bei  Mostaganem  gemachten  Beobachtungen 
glaubt  Lamothe  annehmen  zu  müssen,  daß  nach  dem  Niveau  von 


*)  Les   anciennes    lignes    de   rivage    du    Sahel    d'Alger.     C.  R.  Ac.  Sc. 
25.  Dec.  1904. 


Küstenterrassen. 


127 


15  (17)111  eine  große  negative  Bewegung  die  Strandlinie  unter 
das  heutige  Niveau  gesenkt  habe,  seitdem  aber  eine  positive  Be- 
wegung sie  zum  heutigen  Niveau  ansteigen  macht,  d.  h.  er  kommt, 
ohne  meine  Arbeit  zu  kennen,  zu  derselben  Anschauung,  zu 
welcher  ich  schon  1886  gekommen  war,  daß  nämlich  aus  dem 
Vorrücken  des  Meeres  in  geschichtlicher  Zeit  und  aus  dem 
Charakter  der  unterseeischen  Abrasionsterrasse  auf  (eine  positive 
Bewegung)  eine  Senkung  des  Landes  geschlossen  werden  müsse. 
Bei  Zeralda,  südlich  vom  Kap  Sidi-Ferruch ,  liegen  vier  solcher 
Terrassen,  ehemalige  Küstenebenen,  den  Stufen  einer  Riesentreppe 
ähnlich,  übereinander.  Die  größte  derselben,  auf  welcher  die 
großen  Anlagen  des  ehemaligen  Klosters  La  Trappe  liegen,  das 
Schlachtfeld  vom  19.  Juni  1830,  erstreckt  sich  kilometerweit  ganz 
wagerecht.  Wie  General  de  Lamothe  an  der  ganzen  Küste  von 
Algerien  solche  Strandlinien  feststellen  konnte,  so  fand  ich  auch 
am  Kap  Chenoua  derartige  Terrassenbildung  deutlich  ausgeprägt. 
Ras-el-Amuch,  der  nordöstliche  Landvorsprung,  wird  von  einer 
untersten  Terrasse  gebildet,  die  etwa  der  Strandlinie  von  17  m 
entspricht,  die  ihrerseits  aber  bereits  wieder  zum  Teil  der 
Brandungswoge  erlegen  ist.  Das  ganze  Vorgebirge  erscheint  von 
der  Brandungswelle  fast  in  gleichem  Maße  wie  das  Buzarea-Massiv 
zernagt.  Es  ist  rings  von  Klippen  und  kleinen  Felsinseln  um- 
geben und  den  höheren  Strandlinien  entsprechen  Reihen  von 
Höhlen  in  dem  marmorartigen  und  auch  als  Marmor  und  zur 
Zementgewinnung  am  Kap  Chenoua  selbst  ausgebeuteten  Kalkfels. 
Die  bekanntesten  dieser  Höhlen  sind  die  Grottes  du  Nador  an 
den  fast  senkrechten  Felswänden  der  Ostseite.  Auf  einer  wohl 
der  Strandlinie  von  30  m  entsprechenden  Terrasse,  die  man  in 
dem  durch  einen  Gießbach  geschaffenen  Aufschlüsse  als  Aus- 
füllung einer  Meeresbucht  erkennt,  hat  sich,  weltabgeschieden, 
von  Kap  Chenoua  selbst,  vom  Meere  und  hohen  Felswänden  um- 
schlossen, ein  französischer  Ansiedler  niedergelassen,  der  mir 
liebenswürdige  Gastfreundschaft  bot.  Er  betreibt  vorzugsweise  mit 
spanischen  Arbeitern  neben  der  Landwirtschaft  einen  Marmor- 
bruch und  eine  Zementfabrik,  deren  Erzeugnisse  im  Segelboot 
nach  Tipaza  und  von  dort  auf  Küstendampfern  nach  Algier  ver- 
frachtet werden.  Ein  äußerst  malerisches  Gebirgssträßchen  ver- 
bindet jetzt  sein  Königreich  mit  der  Welt.  Die  Dünenbildung 
ist    aufs    engste    mit    den    Flußmündungen    verknüpft.       Am    Kap 


12  8      n,  4-     Küstenstudien    an  der  Abrasionsküste   von  Tipaza  und  Algier. 

Sidi-Ferruch,  einem  aus  der  Tiefe  inselhaft  auftauchenden  Bruch- 
stück des  Buzarea-Massivs,  ist  es  der  Wed  Mazafran,  die  Haupt- 
wasserader des  Mitidja- Atlas,  der  die  Sandvorräte  liefert.  Die  Küsten- 
strömung drängt  seine  namentlich  bei  Hochwasser  außerordentlich 
sinkstoffreichen  Fluten,  nach  denen  er  der  gelbe  Fluß  (Saffran) 
benannt  ist,  nach  rechts  an  der  Küste  entlang,  gegen  Kap  Sidi- 
Ferruch,  so  daß  die  linke  Seite  seiner  Mündung  ganz  dünenfrei 
ist.  Doch  liefert  anch  die  Brandung  selbst  Stoff  zu  den  Dünen, 
die  mit  immergrünen  Macchien,  ja  zum  Teil  mit  Wald  bedeckt 
sind.  Auch  an  der  Mündung  des  Wed  Nador,  der  die  westlichste 
Mitidja  entwässert,  haben  sich  kleine  Dünen  gebildet. 

Von  der  Mazafran-Mündung  bis  Tipaza  ist  die  Küste  aus 
wagerechten  Schichten  pliocänen  Sandsteins  gebildete  10  —  20  m 
hohe  Steilküste,  die  Mündung  fast  jedes  Gießbaches  zu  einer 
kleinen  Bucht  ausgearbeitet.  Das  Kolonistendorf  Berard  liegt  auf 
der  etwas  breiter  entwickelten  1 7  m -Terrasse.  Der  ganze  Hang 
bis  hinauf  zur  Isohypse  von  1 00  m,  wo  noch  heute  die  Macchien 
des  Sahel  beginnen,  ist  jetzt  bebaut,  kleine  Dörfer  und  zahlreiche, 
meist  große  Meierhöfe  sind  hier  entstanden.  Auch  hier,  wie  in 
der  Mitidja,  erkennt  man,  daß  vorzugsweise  französisches  Groß- 
kapital sich  hier  niedergelassen  und  mit  Hilfe  spanischer  Arbeiter 
besonders  große,  sorgsam  gepflegte  Weinpflanzungen  angelegt  hat. 
Bei  Berard  waren  auch  ansehnliche  Bananenpflanzungen,  die 
man  auch  bei  Algier,  bei  Fort  de  l'Eau  und  anderwärts  findet. 
Diese  Kolonistendörfer  sind  alle,  soweit  es  nur  irgend  das  Gelände 
erlaubte,  nach  demselben  Schema  in  ganz  Algerien  erbaut  und 
verraten  darin  ihren  staatlichen  Ursprung.  Das  gilt  von  den 
ältesten  in  der  Umgebung  von  Algier,  wie  etwa  Birmandreis,  wie 
von  den  jüngsten.  Den  Mittelpunkt  bildet  ein  freier  Platz,  häufig 
mit  amerikanischen  Platanen  bepflanzt,  an  welchem  die  Kirche, 
die  Mairie  mit  dem  Schulhaus,  ein  (Lauf-)Brunnen  und  mindestens 
ein  Kaffeehaus  sich  findet,  meist  mehrere,  nicht  selten  als  Hotels 
bezeichnet,  die  Gasträume  fast  immer  mit  Absinth  oder  Wein 
trinkenden,  Billard  oder  Karten  spielenden  Männern  besetzt.  An 
diesen  Platz  schließen  sich  rechtwinklig  schneidende,  auch  meist 
mit  Bäumen  besetzte,  von  lauter  niederen  Häuschen  gebildete  Straßen 
an.  Allerdings  unterliegt  der  Weinbau,  der  den  Anbau  und  die 
Kolonisation  so  mächtig  gefördert  hat,  die  Karte,  auf  welche  man 
in  übertriebener  Spekulation  meist  alles  gesetzt  hat,  augenblicklich 


Das  heutige  Tipaza.  j2Q 

in  Algerien  einer  schweren  Krisis,  die  durch  vollständige  Wieder- 
herstellung und  durch  die  riesigen  Erträge  der  Weinpflanzungen 
im  Mutterlande,  durch  Überfüllung  des  Marktes  und  wohl  auch 
Geringwertigkeit  der  algerischen  Weine  verursacht  ist,  bei  deren 
Behandlung  man  in  dem  heißen  Klima  noch  immer  zu  lernen 
hat.  Es  waren  1903  im  Departement  Algier  66000,  in  Oran 
95000,  in  Konstantine  21000  ha  mit  Reben  bepflanzt.  Aber  die 
auf  diesen  Pflanzungen  ruhende  Schuldenlast  wurde  auf  330  Mill. 
Frcs.  geschätzt,  d.  h.  1823  Frcs.  auf  1  ha,  während  man  jetzt 
in  der  Mitidja  den  Hektar  fertiges  Weinland  zu  geringerem  Preise 
kaufen  kann.  In  Konstantine  ist  der  Weinbau  in  vollem  Ver- 
falle, ungeheure  Flächen  sind  schuldenhalber  zwangsweise  ver- 
kauft worden. 

Tipaza,  das  bei  meinem  ersten  Besuche  1886  von  den 
Archäologen  kaum  entdeckt  war  und  mit  seinen  wenigen  ärm- 
lichen Kolonistenhäusern  einen  wenig  hoffnungerweckenden  Ein- 
druck machte,  hat  sich  seitdem  außerordentlich  entwickelt,  aber 
anscheinend  nicht  so  sehr  durch  Hebung  des  Anbaues,  obwohl 
auch  das  zu  beobachten  ist  und  namentlich  die  Familie  des 
inzwischen  verstorbenen  Herrn  Tremeaux ,  der  mich  1886 
hier  freundlich  aufnahm,  die  vom  Staate  sozusagen  geschenkten 
Ländereien  in  eine  ganz  unabsehbare  Weinpflanzung  verwandelt 
hat.  Sein  schlichtes  Landhaus  inmitten  eines  eigenartigen  Parkes 
mit  sei  es  dort  aufgestellten,  sei  es  an  Ort  und  Stelle  befindlichen 
zahlreichen  Altertümern  ist  aber  gänzlich  unverändert,  nur  einige 
schöne  Marmorsarkophage  sind  hinzugekommen.  Auch  einige 
aus  Feldsteinen  und  Reisig  errichtete  armselige  Hütten  der  Ein- 
geborenen auf  dem  östlichen  der  drei  Hügel,  über  welche  sich 
die  alte  Stadt  ausdehnte,  sind  gänzlich  unverändert.  Die  Kinder, 
welche  mir,  als  ich  in  die  Nähe  kam,  geringwertige  römische 
Münzen  anboten,  waren  vielleicht  die  Sprößlinge  der  Kinder,  die 
vor  20  Jahren  dasselbe  getan  hatten.  Alles  gleich  armselig, 
schmutzig,  zerlumpt  wie  damals. 

Der  Aufschwung  von  Tipaza  beruht  vielmehr  auf  denselben 
geographischen  Gründen,  die  hier  in  spätrömischer  Zeit  eine  Stadt 
von  mindestens  20000  Einwohnern  schufen.  Tipaza  ist  das  natür- 
liche Seetor  der  westlichen  Mitidja,  die  hier  durch  das  Tal  des 
Wed  Nador,  der  ähnlich  dem  Mazafran,  den  Sahel  von  Algier 
durchbricht,  einen  bequemen  Zugang  zum  Meere  hat.  Als  See- 
Fischer,  Mittelmeerbilder.    Neue  Folge.  9 


I  30      H>  4-     Küstenstudien    an  der  Abrasionsküste    von  Tipaza  und  Algier. 

Stadt  und  Seebadeort  ist  das  alte  Tipaza  aufgeblüht,  und  das 
neue  würde  noch  mehr  aufblühen,  wenn  das  die  französischen 
Verhältnisse  gestatteten.  Die  Mitidja  ist  heute  in  ganz  anderer 
Weise  besiedelt  und  angebaut  wie  in  römischer  Zeit  und  im 
Mittelalter,  wo  sie  in  großer  Ausdehnung  versumpft  und  ungesund 
war.  Erst  allmählich  haben  sie  die  aus  dem  Mitidja- Atlas  un- 
geheuer geröllreich  hervorbrechenden  Flüsse  mit  ihren  Schutt- 
kegeln aufgehöht,  um  so  rascher  in  den  letzten  Jahrhunderten,  je 
mehr  das  Gebirge  entwaldet  und  infolgedessen  um  so  rascher 
abgetragen  wurde.  Den  letzten  großen  Sumpf,  den  Hallulasumpf, 
haben  die  Franzosen  erst  künstlich  ausgetrocknet.  Reste  römischer 
Siedelungen  hat  man  nur  an  den  Rändern  und  Enden  der  Mitidja 
und  stets  nur  über  derselben  gefunden.  Selbst  Icosium  (Algier) 
und  Rusgunia  kamen  im  Altertum  zu  keiner  größeren  Entwick- 
lung, weil  sie  kein  Hinterland  hatten.  Als  Seebadeort  mag  sich 
Tipaza  entwickeln,  soweit  es  der  ungünstige  Badestrand  erlaubt; 
aber  seiner  Entwicklung  als  Seestadt  sind  dieselben  Grenzen  ge- 
setzt, wie  allen  Küstenplätzen  soweit  nach  Westen  und  Osten, 
als  man  nur  irgend  hoffen  darf,  den  Verkehr  noch  nach  Algier 
zu  lenken,  bis  Oran  im  Westen,  Philippeville  im  Osten.  In  Dellys 
und  in  Bougie,  den  beiden  Seetoren  der  großen  Kabylei,  die  ein 
zwar  an  Erzeugnissen  armes,  aber  an  Menschen  reiches  Hinter- 
land für  beide  bildet,  hört  man  bitter  klagen,  daß  Wahl-  und 
andere  Rücksichten,  welche  die  Regierung  auf  Algier  nehmen 
muß,  den  Bau  von  Häfen  verhindern,  so  daß  der  Großverkehr  in 
Algier  vereinigt  ist,  und  somit  diese  Stadt,  echt  französisch 
zentralisierend,  auf  Kosten  aller  Küstenplätze  weithin  stetig  und 
rasch  wächst.  Nur  gerade  so  viel  hat  man  allen  diesen  Plätzen 
geschaffen,  daß  kleine  Küstendampfer  bei  gutem  Wetter  anlegen 
können,  welche  die  Landeserzeugnisse,  soweit  sie  nicht  auf  Eisen- 
bahnen verfrachtet  werden,  nach  Algier  bringen  und  Erzeugnisse 
des  Mutterlandes  zurückbringen.  Bei  Dellys  hatte  man  bereits 
den  Bau  eines  Hafens  begonnen  und  800000  Frcs.  darauf  ver- 
wendet, als  es  diesen  Einflüssen  gelang  die  Arbeiten  zum  Still- 
stand zu  bringen,  angeblich  weil  die  natürlichen  Verhältnisse  zu 
große  Schwierigkeiten  böten.  Bougie,  das  an  Gunst  der  Lage 
sich  durchaus  mit  Algier  messen  kann  und  im  Mittelalter,  wo 
Algier,  wie  auch  im  Altertum,  kaum  genannt  wurde,  lange  Zeit 
eine  mit  herrlichen  Bauwerken  geschmückte  große  Seehandelsstadt 


Das  heutige  Tipaza.  I  2  j 

und  Herrschersitz  war,  würde  bei  gleicher  Begünstigung  seitens 
der  Regierung  Algier  bald  einholen. 

Man  hat  in  Tipaza  seit  1886,  wo  hier  nur  ein  Zollwächter- 
posten und  Seeverkehr  fast  unmöglich  war,  eine  Ufermauer,  an 
welcher  bei  ruhigem  Wetter  die  kleinen  Küstendampfer  und  Segler 
anlegen  können,  und  einen  gepflasterten  Lagerplatz  geschaffen, 
der  aber  durch  eine  starke  5  m  hohe  Mauer  gegen  die  Brandung 
geschützt  werden  mußte.  So  können  hier  die  Erzeugnisse  der 
Umgebung,  namentlich  riesige  Mengen  Wein,  nach  Algier  ver- 
frachtet werden.  Manchen  Tag  legen  zwei  kleine  Dampfer  zu 
diesem  Zwecke  an. 

Auch  im  Altertume  waren  Kunstbauten  nötig  gewesen,  um 
Tipaza  zu  einer  Seestadt  zu  machen.  Diese  Anlagen  und  die 
landabtragende  Tätigkeit  des  Meeres  genauer  zu  erforschen,  als 
ich  es    1886  gekonnt  hatte,  das  war  meine  Aufgabe. 

Mitten  auf  der  Trümmerstätte  des  alten  Tipaza,  aber  nur 
den  mittleren  Teil  —  wohl  auch  im  alten  Tipaza  der  älteste  — 
einnehmend,  wächst  langsam,  aber  doch  seit  1886  recht  auffällig, 
das  neue  Tipaza  heran,  dessen  Umgebung  schon  den  Eindruck 
der  Kulturlandschaft  macht.  Es  besitzt  schon  500  (europäische) 
Einwohner,  drei  Gasthäuser,  von  denen  das  eine,  Hotel  du  Rivage, 
auch  einem  Verwöhnten  leidliches  Unterkommen  bietet;  der  schon 
1867  errichtete  Leuchtturm,  die  Zufluchtsstätte  der  wenigen  da- 
mals vorhandenen  Europäer  bei  dem  Eingeborenenaufstande  von 
1871,  ist  ein  wundervoller  Aussichtspunkt;  die  Trümmerstätte 
bietet  viel  Anziehendes.  Das  Landschaftsbild  der  Umgebung  ist 
nicht  ohne  Reiz.  Offenes  Land,  mit  Weinreben  bepflanzt  oder 
mit  Weizen  bestellt,  mit  Waldrestchen,  Eukalyptuspflanzungen 
und  der  urwüchsigen  immergrünen,  im  Frühling  blühenden,  duftigen 
Macchia  wechselnd,  bedeckt  das  hügelige  Gelände,  darüber  in 
der  Ferne  nach  Osten  auf  der  Höhe  des  Sahel  der  geheimnis- 
volle stumpfe  Kegel  des  Grabmals  numidischer  Könige,  von  den 
Eingeborenen  als  Grab  der  Christin  bezeichnet,  das  immer  wieder 
die  Blicke  auf  sich  zieht,  nach  Norden  das  blaue  Mittelmeer,  im 
Westen  den  Horizont  begrenzend,  die  schönen  Linien  der  ge- 
waltigen Kalkmasse  des  Kap  Chenoua.  Die  Neubauten,  wie  die 
eben  im  Gange  befindlichen  Arbeiten  zur  Erweiterung  der 
Anlagen  am  Landeplatze,  wobei  es  sich  um  Abtragung  einer 
2 — 2*/2  m  mächtigen  Bodenschicht  handelt,  haben  manche  Alter- 

9* 


I  32      Hi  4<     Kiistenstudien    an  der  Abrasionskiiste    von  Tipaza  und  Algier. 

tümer  zutage  gefordert.  Ich  sah  dort  eine  große  Zisterne  bloß- 
legen, unterirdische  Entwässerungskanäle  u.  dgl. 

Seit  meiner  ersten  Anwesenheit  haben  die  Altertümer  von 
Tipaza  unter  Verwertung  meiner  Feststellungen  eine  gründliche 
Untersuchung  durch  den  trefflichen  Archäologen  Stephan  Gsell, 
der  sich  um  die  Erforschung  des  römischen  Mauritanien  große 
Verdienste  erworben  hat,  in  den  Jahren  1891  und  1892/93  er- 
fahren1). Nach  Gsell  handele  es  sich  nach  dem  Namen,  welcher 
Durchgang  bedeute,  um  eine  phönikische  Gründung,  die  aber 
wohl  nie  besondere  Bedeutung  erlangt  habe.  In  numidischer  Zeit 
trete  Tipaza  auch  noch  nicht  hervor,  wenn  auch  seine  Lage  zwischen 
dem  nahe  westlich  gelegenen  Herrschersitze  Cherchel  und  dem 
eben  genannten  Grabmal  ihm  eine  gewisse  Bedeutung  verleihen 
mußte.  Unter  Kaiser  Claudius  wurde  es  römische  Kolonie.  Später 
erlangte  es  volles  Bürgerrecht  und  nahm  unter  den  Antoninen 
und  Severus  einen  rascheren  Aufschwung.  In  der  zweiten  Hälfte 
des  2.  oder  im  Anfange  des  3.  Jahrhunderts  dehnte  es  sich  dem 
Meere  entlang  und  um  die  kleine  Bucht  herum  über  die  drei 
Hügel  aus  und  wurde  von  einer  2200  m  langen,  noch  deutlich 
verfolgbaren,  1,60  m  starken  Mauer  mit  Rundtürmen  umgeben. 
Man  kann  seine  Bevölkerung  für  jene  Zeit  auf  20000  schätzen. 
Wie  heute,  wurde  in  der  Umgebung  vorzugsweise  vom  Großgrund- 
besitz Weinbau  und  Olivenzucht  getrieben,  aber  es  war  in  erster 
Linie  Handelsstadt,  mit  guter  Straßenverbindung  mit  dem  Innern 
und  an  der  großen  Küstenstraße.  Namentlich  muß  man  aus  dem 
Umstände,  daß  sich  die  Bewohner  Ende  des  5.  Jahrhunderts  vor 
den  Vandalen  nach  Spanien  flüchteten,  auf  Handelsbeziehungen 
zu  Spanien  schließen.  Aus  den  Namen  der  Inschriften,  die  nur 
wenige  punische  Anklänge  bieten,  müssen  wir  schließen,  daß  die 
Bevölkerung  ganz  romanisiert  war.  Wenn  auch  in  vandalischer 
Zeit  durch  die  Katholikenverfolgungen  geschädigt,  bestand  Ti- 
paza noch  in  byzantinischer  Zeit.  In  Trümmern  dürfte  es  etwa 
seit  dem  6.  Jahrhundert  liegen. 

Die  Lagenverhältnisse,  die  Entwickelung  des  alten  Tipaza 
und  die  Veränderungen,  welche  die  Brandungswoge  hier  im  Laufe 
von  1 300  Jahren  hervorgerufen  hat,  liegen  jetzt  durchaus  klar 
vor  mir.     Den  Anstoß    zu    der   ersten  Niederlassung  phönikischer 


1)  Tipaza.    Ville  de  la  Mauretanie  cesarienne.     Rom   1894. 


Das  alte  Tipaza.  nj 

Kaufleute  gab  sicher  die  kleine  Bucht  und  die  Verbindung  mit 
dem  Innern  durch  das  Nador-Tal  von  dieser  Stelle  aus.  Die 
älteste  Siedelung  lag  daher  unzweifelhaft  an  der  Stelle  des  heu- 
tigen Landeplatzes,  und  von  dort  dehnte  sich  die  Stadt  über  die 
ebene,  sanft  nach  innen  ansteigende  Fläche  aus,  auf  welcher 
auch  das  heutige  Dorf  steht.  Später  nahm  die  Stadt  auch  das 
Hügelvorgebirge  in  Anspruch,  an  dessen  Fuß  das  heutige  Hotel 
du  Rivage  und  das  Landhaus  Tremeaux  steht  und  auf  dessen 
Spitze  1867  der  kleine  Leuchtturm  errichtet  worden  ist.  Er  heißt 
heute  Ras-el-A'isch.  Gsell  nennt  ihn  nach  den  Tempelresten,  die 
er  dort  nachgewiesen  hat,  den  Hügel  der  Tempel.  In  christ- 
licher Zeit  wuchs  die  Stadt  auch  noch  auf  einen  östlichen  Hügel 
hinauf,  der  aber  nur  zum  Teil  von  der  Stadtmauer  eingeschlossen 
wurde.  Auf  ihm  wurde  außerhalb  der  Mauern  die  Basilika  der 
heiligen  Salsa,  der  Schutzheiligen  von  Tipaza,  errichtet  und  ein 
christlicher  Friedhof  angelegt,  dessen  Gräber  zum  Teil  in  den 
Felsen  gehauen  und  mit  Steinplatten  belegt,  zum  Teil  einfache 
Steinsarkophage  sind  und  heute  ein  weites  eigenartiges  Steinfeld 
bilden.  Dieser  Hügel  heißt  heute  Kudiat  Zarar.  Ebenso  dehnte 
sich  die  Stadt  nach  Westen  über  einen  dritten  Hügel  aus,  auf 
dem  ebenfalls  eine  Basilika  errichtet  wurde,  aber  noch  innerhalb 
der  Mauern.  Dieser  Hügel  heißt  danach  Ras-el-Knissa,  Vorge- 
birge der  Kirche.  Auch  an  diese  Basilika  schließt  sich,  aber 
innerhalb  der  Mauern,  ein  christlicher  Friedhof  an,  von  dem  aber, 
wie  ich  schon  1886  nachweisen  konnte,  durch  Unterwaschungen 
des  Meeres  und  Nachstürzen  der  etwa  30  m  hohen  Felswand, 
ein  Teil  zerstört  ist. 

Dem  wachsenden  Verkehr  der  Stadt  genügte  bald  die  kleine 
Bucht  an  der  südöstlichen  Wurzel  des  Leuchtturmhügels  nicht 
mehr.  Es  fehlte  namentlich  an  Raum  zum  Lagern  der 
Güter  und  an  Ufermauern,  an  welchen  die  Schiffe,  allerdings  nur 
bei  ruhigem  Wetter,  ganz  wie  heute,  anlegen  konnten.  Diesen 
Raum  schuf  man  durch  Abtragen  der  Felsen  vom  Ufer  landein- 
wärts, so  daß  die  Häuser  des  östlichen  Stadtteils  auf  einer  10  m 
hohen,  so  künstlich  geschaffenen  senkrechten  Felswand  standen, 
über  welche  man  auf  in  den  Felsen  gehauenen  Treppen  auf  den 
davor  liegenden  Lager-  und  Hafenplatz  hinabstieg.  Die  so  ge- 
wonnenen Steine  hat  man  wohl  zum  Teil  als  Bausteine  verwertet, 
namentlich    aber,    um    noch    mehr    Raum    zu    gewinnen    zu    Auf- 


1^4      ^>  4-     Küstenstudien    an  der  Abrasionsküste   von  Tipaza  und  Algier. 

schüttungen  seewärts  und  zu  Ufermauern.  Diese  stützten  sich 
auf  etwa  i  oo  m,  von  Westen  nach  Osten  verlaufend,  auf  den  ge- 
wachsenen, aber  nach  der  Seeseite  geglätteten  und  abgesprengten 
Fels.  Der  so  künstlich  geschaffene  Lagerplatz  und  die  Fels- 
fundamente der  Ufermauer  werden  heute  auch  bei  ruhigem  Wetter 
vom  Meere  überspült!  Bei  den  Felsabtragungen  wohl  der  ältesten 
Zeit,  an  der  zuerst  als  Hafen  benützten  Bucht,  wurde  ein  mäch- 
tiger Felsblock,  der  stehen  geblieben  war,  viereckig  behauen, 
3,50  m  x  3  m,  ausgehöhlt  und  mit  einem  nur  an  einer  Ecke, 
wohl  absichtlich,  abgebrochenen  Felsdeckel  versehen.  Auch  dieses 
merkwürdige  Denkmal  steht  heute  dauernd  im  Wasser.  Die 
Brandungswoge  hat  unten  eine  Hohlkehle  ausgewaschen,  so  daß 
es  sich  bereits  etwas  auf  die  Seite  geneigt  hat  und  in  Zukunft 
einmal  umstürzen  wird.  Es  ist  gewiß  ein  Mausoleum,  und  ich 
mache,  auf  jede  Deutung  meinerseits  verzichtend,  die  Archäologen 
darauf  aufmerksam,  daß  an  der  Küste  von  Lykien  bei  Makri1), 
heute  ebenfalls  ganz  im  Wasser,  ein  ähnliches,  nur  künstlerisch 
reicher  ausgestattetes  Denkmal  steht. 

Daß  diese  Anlagen,  die  nur  im  Sommer  zu  benutzen  waren, 
dem  wachsenden  Verkehr  nicht  genügten,  liegt  auf  der  Hand. 
So  schuf  man,  wohl  in  der  Zeit  der  höchsten  Blüte  der  Stadt, 
einen  wirklichen,  wenn  auch  kleinen  Hafen  und  zwar  mit  Hilfe 
zweier  kleiner  Felsinseln,  welche  dem  Osthügel  in  etwa  120  m 
Entfernung,  Zeugen  der  Abtragung,  vorgelagert  sind.  Diese  beiden 
sich  heute  nur  wenig  über  2  m  über  Mittelwasser  erhebenden 
Felseninselchen  waren  sicher  einmal  vereinigt,  ob  noch  zu  der 
Zeit,  wo  man  den  Hafen  schuf,  ist  nicht  zu  entscheiden.  War 
das  nicht  der  Fall,  so  mußte  man  sie  künstlich  miteinander  ver- 
binden. Kapitän  Berard,  der  zuerst  diese  Küste  aufgenommen 
hat,  glaubte  in  der  Tat  die  Reste  eines  solchen  Dammes  zu 
finden.  Ebenso  verband  man  sie  durch  einen  Steindamm  mit 
dem  Ufer.  Der  so  geschaffene  kleine  Hafen  diente  wohl  nur  als 
Liegehafen  bei  unruhigem  Wetter;  denn  er  lag  abseits  der  Stadt 
und  war  wohl  auch  nur  im  Boot  zugänglich  oder  höchstens  auf 
Treppen  von  dem  Gräberfelde  des  Osthügels  aus2). 

1)  Abgebildet  u.  a.  in  Eduard  Suess:  Das  Antlitz  der  Erde.  Bd.  2, 
S.  567.    Wien  1888. 

2)  Da  die  vorhandenen  Karten  nicht  genügen,  um  diese  topographi- 
schen Verhältnisse  zu  veranschaulichen,  so  empfand  ich  es  besonders  schmerz- 


Abtragung  der  Küste  bei  Tipaza.  j  ■}  c 

An  diesen  Anlagen  hat  nun  die  Brandungswelle  zwölf  Jahr- 
hunderte lang  gearbeitet,  Ihre  Wirksamkeit  erkennt  man  zunächst 
an  der  Bildung  hier  vorhandener  Hohlkehlen,  wie  schon  das 
Grabmal  zeigt.  Demnächst  folgt  Nachstürzen  der  unterwaschenen 
Felsen  und,  wenn  der  Trümmerwall  im  Laufe  der  Zeit  aufbe- 
reitet und  abgetragen  ist,  Bildung  neuer  Hohlkehlen  u.  s.  f.  Ein 
Vergleich  des  heutigen  Zustandes  mit  dem  von  1886  ließ  er- 
kennen, daß  an  einer  der  zum  Lagerplatz  hinabführenden  Treppen, 
deren  einzelne  in  den  Felsen  gehauenen  Stufen  schon  zum  großen 
Teil  zerstört  sind  und  die  nach  unten  an  einer  Hohlkehle  endi- 
gen, ein  Nachstürzen,  aber  auch  eine  schon  weit  fortgeschrittene 
Aufarbeitung  der  Blöcke  stattgefunden  hat.  Am  Osthügel  liegen 
mehrfach  neugebildete  Blockwälle  vor  der  bis  30  m  hohen  Steil- 
wand. Überhaupt  kehren  die  drei  voneinander  durch  Brandungs- 
buchten geschiedenen  und  vorgebirgsartig  herauspräparierten  Hügel 
ihre  hohen  Stirnen  dem  offenen  Meere  zu,  das  dieselben  auch 
immer  weiter  zurückdrängt.  Die  kleinen  Buchten  entsprechen 
durchaus,  wie  ich  schon  1886  gezeigt  habe,  den  Mündungen 
von  Gießbächen,  in  welche  die  Brandungswelle  um  so  erfolgreicher 
hineinstürmte,  als  dieselben  zugleich  Tiefenlinien  größter  senk- 
rechter Abtragung  sind.  Auch  in  den  innersten  Winkeln  dieser 
kleinen  Brandungsbuchten  erkennt  man  die  noch  immer  vorsich- 
gehende  Abtragung  in  den  auch  da  vorhandenen,  nur  niedrigeren 
Steilabbrüchen,  vor  denen  nur  geringe  Mengen  abgeschliffener 
Gerolle  liegen,  während  im  Hintergrunde  so  großer  und  tiefer 
Brandungsbuchten,  wie  die  von  Algier,  heute  Sandablagerungen 
stattfinden. 

Sind  die  beiden  kleinen  Felsinseln  etwa  als,  weil  aus  feste- 
rem Gestein  bestehend,  stehengebliebene  Zeugen  der  Abtragung 
aufzufassen,  so  sieht  man  an  ihnen  ganz  besonders,  wie  erfolg- 
reich das  Meer  hier  arbeitet.  Bei  hoher  See  stürzen  sich  gewaltige 
Brecher  über  die  schon  ganz  niedrigen  Inseln  hinweg.  Dieselben 
sind  so  zerfressen,  karrenfeldartig,  daß  man  nur  sehr  schwer  über 
sie  hingehen  kann,  und  an  der  Seeseite  sind  ganze  wagrechte 
Felsplatten,  die  innersten  festesten  Teile  eines  Schichtenkomplexes, 
herausgearbeitet.     Auch  Löcher  finden  sich  vielfach,  durch  welche 


lieh,  daß    ich    den    Gedanken,    selbst    Aufnahmen    zu    machen,    sofort    fallen 
lassen  mußte. 


1^6      II,  4-     Küstenstudien   an  der  Abrasionsküste   von  Tipaza  und  Algier. 

das  Wasser,  wenn  sich  hier  eine  Welle  bricht,  meterhoch,  wie  aus 
einer  Springquelle,  emporspritzt.  Auf  der  größeren  Westinsel 
glaubte  ich  eine  größere  künstlich  geglättete  Fläche  erkennen 
zu  können;  von  Mauerwerk  ist  nur  noch  ein  großer,  umgestürzter 
Mauerblock  an  der  Innenseite  vorhanden,  der  auch  bald  ver- 
schwinden wird.  Auf  der  kleineren  Ostinsel  ist  noch  ein  längeres 
Stück  des  Fundaments  einer  Mauer  erhalten.  Von  dem  die  Ost- 
insel mit  dem  Festlande  verbindenden  Steindamme  glaube  ich  die 
Trümmer,  übereinandergeworfene  behauene  Blöcke,  deutlich  unter 
Wasser  erkannt  zu  haben.  Sie  lagen  nahe  der  Insel  in  so  ge- 
ringer Tiefe,  daß  meine  Bootsleute,  selbstverständlich  Italiener, 
sehr  vorsichtig  fahren  mußten.  Der  Hafenlagerplatz  des  alten 
Tipaza,  eine  weite  geglättete  Felsfläche,  ist  heute  dauernd  über- 
spült, ja  bei  Sturm  wird  eine  8  m  breite,  5  m  hohe  Terrasse  an 
der  Innenseite  derselben  überspült,  zu  welcher  die  schmalere  der 
beiden  Felstreppen  hinabführt,  und  die,  nach  den  Spuren  zu 
schließen,  Magazine  und  Zisternen  trug.  Letztere,  meist  aus 
rotem  Mosaikfußboden,  der  hier  seit  1886  beträchtlich  zurück- 
gewichen ist,  so  daß  die  von  mir  damals  geschilderten1)  baulichen 
Anlagen  zum  großen  Teile  heute  verschwunden  sind,  finden  sich 
mehrfach  in  der  Linie  der  größten  Zerstörung.  Die  Basilika  des 
Westhügels  stützte  sich  schon  im  Altertum  auf  starke  Futter- 
mauern. Trotzdem  ist  der  größere  Teil  der  Apsis,  ähnlich  wie 
viele  Gräber,  zum  Meere  abgestürzt. 

Wenn  ich  dem  im  Laufe  von  zwölf  Jahrhunderten  hier  durch 
die  Brandungswelle  abgetragenen  Landstreifen  1886  eine  Breite 
von  etwa  10  m  glaubte  geben  zu  sollen,  so  neige  ich  heute  da- 
zu, sie  eher  auf  15  m  zu  schätzen.  Auch  glaube  ich  an  der 
Annahme  einer  in  geschichtlicher  Zeit  eingetretenen  Senkung  des 
Landes  unbedingt  festhalten  zu  müssen.  Ich  möchte  aber  in  Er- 
gänzung meiner  eigenen  Beobachtungen  darauf  hinweisen,  daß 
der  hervorragende  französische  Altertumsforscher  Ed.  Cat2)  im 
Anschluß  an  dieselben  auch  seinerseits  für  diese  Küstenstrecke 
westlich  von  Tipaza,  nämlich  zwischen  dem  nahe  westlich  von 
Kap  Chenoua  gelegenen  Cherchel,  dem  phönikischen  Iol,  und  dem 


1)  Siehe  die  vorhergehende  Abhandlung. 

2)  Essai    sur    la    province    romaine    de   Mauretanie    cesarienne.      Paris 
1891,  p.  18. 


Abtragung  der  Küste  von  Algerien.  137 

nahe  der  Tafnamündung,  also  nahe  der  marokkanischen  Grenze 
gelegenen  Siga,  bedeutende  Veränderungen  meint  annehmen  zu 
müssen,  die  sich  in  geschichtlicher  Zeit  vollzogen  haben,  und 
zwar  auf  Grund  der  Angaben  des  Periplus  des  Skylax.  In  dieser 
hier  wohl  auf  phönikische  Quellen  zurückgehenden  Segelanweisung 
werden  die  Küsteninseln  Acium,  Pasmathus  und  Bartas  aufge- 
zählt, die  ersteren  beiden  mit  einer  Stadt  und  einem  Hafen, 
letztere  nur  mit  einem  Hafen.  Es  handle  sich  offenbar  um  Inseln 
von  einiger  Bedeutung,  groß  genug,  um  Häfen  zu  bilden  und 
Städte  zu  tragen,  was  bei  den  heute  vorhandenen  Inselchen 
Aschak,  Colombi  und  anderen  undenkbar  sei.  Die  Insel  Bartas 
sei  überhaupt  nicht  nachzuweisen,  da  sie  in  einem  Meerbusen 
liegen  soll,  die  Golfe  von  Arzeu  und  Mers-el-Kebir,  die  allein 
in  Frage  kommen,  keine  Inseln  haben. 

Ich  besuchte  auch  die  Trümmerstätte  von  Rusgunia,  am  öst- 
lichen Eingang  in  den  Golf  von  Algier,  nahe  am  Kap  Matifu, 
vermochte  aber  meinen  1886  dort  gemachten  Beobachtungen1) 
keine  neuen  hinzuzufügen,  außer  etwa  die  Feststellung,  daß  seit- 
dem an  einer  Stelle  durch  Wegspülung  der  steil  aufgerichteten 
weichen  eocänen  Tonschichten  die  mächtigen  Bänke  jüngster 
Kalksandsteine,  gehobener  Meeresgrund,  die  jene  diskordant  über- 
lagern, durch  Spalten  losgelöst  abzustürzen  und  einen  Blockwall 
zu  bilden  im  Begriff  sind.  Es  ist  also  auch  hier  in  den  letzten 
20  Jahren  die  Landabtragung  fortgeschritten.  Ich  möchte  aber 
an  dieser  Stelle  noch  daraufhinweisen,  daß  der  Archäolog  Cat 2)  schon 
1891  festgestellt  hat,  daß  der  Hafen  und  ein  Teil  der  römischen 
Küstenstadt  von  Rusibricari  Matidiae,  heute  Mers-el-Hadjadje, 
Pilgerhafen  genannt,  etwas  östlich  vom  Kap  Matifu,  vom  Meere 
abgetragen  worden  ist. 


5.    An  der  Küste  der  großen  Kabylei. 

Auch  an  der  Küste  der  großen  Kabylei  durfte  ich  hoffen 
Nachweise  der  Abtragung  der  Küste  durch  die  Arbeit  des  Meeres 
in    geschichtlicher    Zeit    erbringen    zu     können.      Namentlich    bei 


1)  Siehe  die  vorhergehende  Abhandlung. 

2)  Essai    sur    la    province    romaine    de    Mauretanie    cesarienne.      Paris 
1891,  S.  117. 


138  n,   5.    An  der  Küste  der  großen  Kabylei. 

Dellys  und  der  27  km  weiter  ostwärts  gelegenen  Trümmerstätte 
von  Tigzirt.  Dellys  ist  heute  sowohl  zur  See  durch  kleine  Küsten- 
dampfer von  Algier  erreichbar,  die  aber  sehr  unpraktische  Abfahr- 
zeiten  haben,  wie  zu  Lande  mit  der  Eisenbahn,  zuletzt  mit  einer 
sogenannten  Straßenbahn,  die  aber  nach  meinen  Erfahrungen  die 
angenehmste  und  rascheste  Beförderung  in  Algerien  bieten.  Dellys 
spielt  die  Rolle  der  Mündungsstadt  des  Sebau,  der  Hauptwasser- 
ader und  bequemsten  Zugangsstraße  vom  Meere  her  des  in  sich 
abgeschlossenen  Gebirgslandes  der  großen  Kabylei,  das  westliche 
Seetor  derselben,  wie  Bougie  das  östliche  ist.  Da  sich  aber  an 
der  Mündung  des  Flusses  selbst  auch  nicht  der  geringste  Schutz 
bietet,  so  hat  sich  als  solches  die  am  nächsten  Küstenpunkte  ge- 
legene Siedelung  entwickelt,  die  so  viel  oder  so  wenig  Schutz 
genießt,  als  die  gefährliche  algerische  Küste  überhaupt  zu  bieten 
vermag.  Es  liegt  6,5  km  östlich  der  Mündung  des  Sebau  an 
dem  steilen  Ostgehänge  auf  einer  50  m  hohen  Terrasse  eines 
hohen  dolchartig  zugespitzten  Vorgebirges,  Kap  Dellys,  hoch  über 
dem  Meere.  Die  so  gebildete  Bucht  bietet  wenigstens  gegen 
West-  und  Nordwestwinde  Schutz.  Dellys  liegt  also  genau  so 
wie  alle  Küstenstädte  der  Atlasländer  von  Tanger  bis  Biserta. 
Aber  obwohl  schon  in  römischer  Zeit,  vermutlich  auch  schon 
früher  besiedelt,  hat  dieser  Punkt  doch  niemals  größere  Bedeu- 
tung erlangt,  wahrscheinlich  weil  die  Bucht  doch  gar  zu  wenig 
Sicherheit  bietet.  Es  ist  heute  ein  bescheidenes  Städtchen,  das 
aus  einem  malerischen  Eingeborenen -Viertel  und  einem  neuen 
europäischen  besteht,  das  Ganze  von  einer  Steinmauer  umschlossen, 
die  vom  Meere  zu  beiden  Seiten,  das  Vorgebirge  einschließend, 
hoch  am  Gebirge  hinauf  bis  zu  einem  200  m  hohen  Gipfel,  den 
ein  starkes  Blockhaus  krönt,  geführt  und,  nur  mit  Schießscharten 
versehen,  lediglich  auf  die  Angriffe  der  Gebirgsberber  berechnet 
ist.  Baumreiche  Gärten  füllen  waldartig  den  größten  Teil  des 
so  umschlossenen  Raumes  aus,  auch  die  Straßen  der  französischen 
Neustadt  sind  meist  mit  Bäumen  besetzt.  Da  auch  sonst  die 
Umgebung,  namentlich  nach  Westen  bis  zum  Kap  Bengut,  von 
baumreichen  Gärten  bedeckt  ist,  so  ist  die  Lage  von  Dellys  eine 
recht  liebliche,  luftige  und  gesunde.  Weit  schaut  man  nach  Osten 
über  das  Meer  und  die  Höhen  der  Kabylei. 

Von    römischen    Altertümern,  welche    als    Anhaltspunkte    für 
die    Arbeit    des    Meeres    dienen    könnten,    ist    nichts    vorhanden. 


Die  Küste  bei  Dellys.  I  2q 

Wie  überall,  wo  an  Stelle  einer  römischen  Siedelung  eine  mittel- 
alterliche getreten  ist,  haben  die  Trümmer  die  Bausteine  für  diese 
geliefert,  ja  oft  sind  die  fertigen  Werkstücke,  wo  man  sie  bequem 
verladen  konnte,  weithin  verschleppt  worden,  von  Rusgunia  hin- 
über nach  Algier,  von  Karthago,  wie  bekannt,  sogar  nach  Italien. 
Nur  diejenigen  Trümmerstätten,  an  deren  Stelle  keine  spätere 
Ansiedelung  getreten  ist,  wie  Tipaza,  und  wie  wir  gleich  sehen 
werden,  Tigzirt,  haben  sich  leidlich  erhalten.  Doch  war  es  mög- 
lich, auch  ohne  solche  Anhaltspunkte  die  fortschreitende  Abtra- 
gung des  Landes  und  die  Ausgestaltung  der  Küste  durch  die 
Brandungswelle  festzustellen.  Zunächst  aus  der  vollen  Gegenwart. 
Die  riesigen  Blöcke,  die  man  dem  Vorgebirge  selbst  entnommen, 
teils  in  natürlichem  Zustande,  teils  als  Gußwerk  zu  den  be- 
gonnenen Hafenbauten  an  der  Spitze  des  Vorgebirges  selbst 
1,2  km  nördlich  von  Dellys  verwendet  hatte  und  die  zum  Teil 
einen  Schutzwall  um  das  Vorgebirge  selbst  bilden,  sind  schon 
zertrümmert  und  untereinander  geworfen.  Eine  Laterne,  die  10  m 
über  Mittelwasser  auf  der  Schutzmauer  errichtet  war,  erlag  einem 
der  ersten  Stürme.  Dellys  muß  sich  jetzt  mit  einem  steinernen 
Landestege  begnügen  am  Fuße  der  Stadt  und  in  der  innersten 
Bucht,  an  dem  aber  die  kleinen  Küstendampfer  nur  bei  ganz 
ruhigem  Meere  anlegen  können.  Drei  Fischerboote,  die,  ver- 
ankert, sich  ziemlich  weit  draußen  auf  den  Wellen  schaukelten, 
und  einige  auf  den  Strand  gezogene  kleine  Boote  waren  alles, 
was  das  Städtchen  zur  Unterhaltung  der  Beziehungen  zum  Meere 
besitzt. 

Das  Kap  Dellys,  das  in  scharfer  Spitze  endigt,  auf  welcher 
30  m  hoch  ein  kleiner  Leuchtturm  thront,  besteht  aus  fast  seigeren 
Schichten  von  Sandsteinen  des  unteren  Oligocän,  die  in  Nord- 
ostrichtung gegen  das  Meer  ausstreichen  und  sich  noch  mehrere 
Kilometer  weit  in  brandenden  Untiefen,  Zeugen  der  Abtragung, 
fortsetzen.  Die  steile  Aufrichtung  der  Schichten,  zum  Teil  aber 
auch  die  Arbeit  des  Menschen  bedingt  die  fast  senkrechten  Wände 
des  Vorgebirges.  Entsprechend  der  vorherrschenden  Windrichtung 
müssen  die  Angriffe  des  Meeres  an  der  Nordwestseite  am  heftigsten 
und  wirkungsvollsten  sein.  In  der  Tat  fand  ich  dort  eine  wunder- 
volle Abrasionsterrasse  von  mindestens  50  m  sichtbarer  Breite.  Die- 
selbe begleitet  das  Vorgebirge  in  etwa  1,5  km  Länge,  bis  die 
Basalte  des  Kap  Bengut  eine  Änderung  in  der  Richtung  und  im 


140  n,   5.    An  der  Küste  der  großen  Kabylei. 

Charakter  der  Küste  bedingen.  Der  dem  numidischen  ähnliche 
Sandstein  tritt  hier  teils  in  ganz  dünnen  Schichten,  teils  in  0,5, 
ja  1  m  mächtigen  Bänken  auf,  die  schnurgerade  verlaufend,  senk- 
recht aufgerichtet  und  von  der  Brandungswelle  wagerecht  durch- 
geschnitten sind.  Es  ist  so  eine  Felsplatte  entstanden,  die  wie 
mit  geraden  parallelen  Linien  dicht  nebeneinander  überzogen 
erscheint.  Die  mächtigeren,  daher  widerstandsfähigeren  Bänke 
sind  in  der  Höhe  bis  zu  im,  als  wären  es  stehengebliebene 
Grundmauern,  aus  der  Felsfläche  herauspräpariert.  Die  Eisen- 
bahn, die  hier  der  Küste  folgt,  hat  man  in  der  Länge  von  1  km 
durch  eine  8  m  hohe  starke  Ufermauer  schützen  und  schließlich 
in  einem  Tunnel  durch  die  Spitze  des  Vorgebirges  führen  müssen. 
Auch  sie  gelangt  durch  ein  befestigtes  Tor  innerhalb  der  Ring- 
mauer. 

Ganz  andere  Formen  wie  am  Kap  Dellys  und  seiner  Um- 
gebung, zwar  auch  Steilküste,  welche  den  Angriffen  des  Meeres 
unterliegt,  aber  gerundete  Landvorsprünge  treten  uns  nach  Westen 
am  Kap  Bengut  und  seiner  Umgebung  entgegen.  Jeder  Land- 
vorsprung und  das  Kap  selbst,  das  einen  großen  Leuchtturm  trägt, 
von  welchem  man  eine  herrliche  Aussicht  über  die  Küste  genießt, 
ist  gebildet  von  miocänen  Andesiten  und  oberoligocänen  Basalten. 
Den  von  diesen  Eruptivgesteinen  durchsetzten  Sandsteinen  und 
Mergeln  entspricht  stets  eine  Einbuchtung  und  flacher  Strand. 

Dieselbe  Erscheinung  wie  bei  Dellys,  die  Bildung  hoher, 
steiler,  sich  in  Klippen  oder  Inseln  fortsetzender  Vorgebirge,  wenn 
auch  nur  im  kleinen,  bedingt  durch  steil  aufgerichtete,  gegen  das 
Meer  ausstreichende  Schichten  numidischer  Sandsteine,  wiederholt 
sich  nun  auf  der  27  km  langen  Strecke  von  Dellys  bis  Tigzirt, 
also  an  der  Küste  der  Kabylei  noch  elfmal.  Da  aber  die  Unter- 
schiede der  Widerstandsfähigkeit  der  numidischen  Sandsteine  und 
der  etwas  älteren  Mergel  und  Sandsteine,  die  im  allgemeinen  die 
daher  auch  mäßig  steile  Küste  bilden,  nicht  sehr  groß  sind,  so 
verläuft  die  Küste  mit  geringer  Kleingliederung  nach  Osten.  Auch 
die  Mündungen  der  zahlreich  vom  Gebirge  herabkommenden  Gieß- 
bäche, obwohl  alle  von  der  Brandungswoge  ausgearbeitet  sind, 
haben  keine  reichere  Gliederung  zu  schaffen  vermocht.  Eine  neue 
Straße  führt  jetzt  an  der  Küste  entlang,  welche  in  Tigzirt  endigt 
und  diesen  Endpunkt  der  europäischen  Besiedelung  mit  der  Welt 
verbindet.     Auch    sie   hat    der  Erbauer   peinlich   genau    dem  Ge- 


Die  Küste  zwischen  Dellys  und  Tigzirt.  141 

lande  angepaßt.  Sie  verläuft  unablässig  in  Windungen  sowohl  in 
wagerechtem,  wie  in  senkrechtem  Sinne:  im  wagerechten,  indem 
sie  in  den  Flußtälern  eine  Wendung  landeinwärts,  auf  den  diese 
trennenden  Bergspornen  seewärts  macht,  im  senkrechten,  indem 
sie  sich  in  den  Tälern  zugleich  senkt,  trotz  der  Windung  talauf- 
wärts,  auf  den  Bergspornen  hebt. 

Die  europäische  Besiedelung  endigt  schon  wenige  Kilometer 
östlich  von  Dellys.  Ein  größerer,  aber  vernachlässigt  erscheinender 
Pachthof,  der  einem  Bankier  in  Lyon  gehört,  ist  von  den  letzten 
europäisch  bearbeiteten  Feldern  umgeben.  Dann  herrscht  Macchia 
vor,  nur  hier  und  da  gelichtet  und  von  leicht  als  solche  kennt- 
lichen Getreidefeldern  der  Eingeborenen  oder  von  Pflanzungen 
von  Feigenbäumen  bedeckt.  Der  Feigenbaum  ist  neben  dem 
Ölbaum  der  Fruchtbaum  der  großen  Kabylei  schlechthin;  ge- 
trocknete Feigen  spielen  in  der  Ernährung  dieser  Gebirgs-Berber 
eine  große  Rolle.  Wasser  und  getrocknete  Feigen  war  alles, 
was  uns  die  gastfreien  Leute  von  Taksebt  zu  bieten  vermochten. 
Keine  ihrer  Siedelungen  liegt  an  der  Straße,  die  gänzlich  un- 
belebt erscheint,  kaum  daß  diese  Spuren  von  Anbau,  hier  und 
da  eine  in  der  Macchia  weidende  Herde  von  Ziegen,  wohl  auch 
Rindern  daran  erinnern,  daß  das  Land  bewohnt  ist  und  zwar 
sehr  dicht  bewohnt  ist,  das  dichtest  bevölkerte  Gebiet  von  ganz 
Algerien,  wo  224  Köpfe  auf  1  qkm  kommen,  trotz  oder  vielmehr 
wegen  des  durchaus  gebirgigen  Charakters  des  Landes;  denn 
dasselbe  bildete,  schon  bei  den  Römern  daher  als  Mons  ferratus 
bezeichnet,  eine  natürliche  Festung,  in  welcher  sich  die  freiheits- 
liebenden Berber  zusammendrängten,  und  die,  obwohl  man  von 
Algier  aus  im  Winter  die  schneebedeckten  Berge  herüber  leuchten 
sieht,  zu  erobern  auch  die  Franzosen  27  Jahre  gebraucht  haben. 
In  der  großen  Kabylei  ist  daher  kein  Raum  für  europäische  An- 
siedlung;  und  wir  haben  so  hier  eines  der  größten  Gebiete  vor 
uns,  in  welchem  die  Masse  der  Eingeborenen  fast  ohne  Be- 
rührung mit  den  Kolonisten  sich  fast  jeder  europäischen  Beein- 
flussung entzieht.  Ein  Markttag  in  Tigzirt  führt,  in  dieser  schein- 
bar unbewohnten  Gegend,  Tausende  von  Eingeborenen  zusammen. 
Näher  gegen  Tigzirt  verdichtet  sich  die  durchaus  aus  immer- 
grünen Sträuchern  gebildete  Macchia,  die  Sträucher  werden  viel- 
fach zu  Bäumen,  und  im  Hintergründe  der  Täler  erblickt  man 
so    dichte    und    hohe    Bäume,    daß    man    wohl    an  Wald    denken 


I A2  n,   5.    An  der  Küste  der  großen  Kabylei. 

kann.  Es  ist  der  Wald  von  Mizrana.  Doch  zeigen  alle  diese 
Wälder  die  Spuren  der  kläglichsten  Verwüstung.  Hier  und  da 
hat  man  den  Eindruck  großartiger  Wildnis. 

Tigzirt  ist  der  berberische  Name  einer  Trümmerstätte  aus 
römischer  Zeit,  des  Vorgebirges,  auf  welchem  dieselbe  liegt,  und 
der  kleinen  Abgliederungsinsel  vor  demselben.  Tigzirt  bedeutet 
die  kleine  Insel.  Die  Römerstadt  hatte  einen  phönikischen  Namen: 
Rusuccuru.  Dies  erscheint  im  dritten  Jahrhundert  als  Municipium, 
auf  der  Tabula  Peutingeriana  als  Colonia.  In  den  Stürmen  der 
Vandalenzeit  zerstört,  wurde  die  Stadt  in  der  byzantinischen  Zeit 
wieder  aufgebaut,  aber  auf  engerem  Räume.  Die  byzantinische 
Stadtmauer  verlief  beträchtlich  innerhalb  der  römischen,  wie  der 
archäologische  Erforscher  dieser  Altertümer,  P.  Gavault1),  nach- 
gewiesen hat,  beide  aber  quer  über  das  Vorgebirgsdreieck  von 
einem  Ufer  zum  andern,  wohl  ähnlich  wie  die  neuen  Mauern  von 
Dellys,  ein  Stück  ins  Meer  hinaus,  um  ein  Eindringen  der  Feinde 
auch  dort  unmöglich  zu  machen.  Eine  große  Basilika,  deren 
Trümmer  wohl  erhalten  sind,  stammt  aus  dem  Ende  des  fünften 
oder  dem  Anfange  des  sechsten  Jahrhunderts.  Sie  lag  innerhalb 
der  römischen  Mauer.  Auf  dieser  Trümmerstätte,  die  man  über- 
haupt erst  1886  zu  erforschen  begonnen  hat,  ist  nun  1888  eine 
französische  Ansiedlung,  und  zwar  unter  Zerstörung  vieler  Altertümer, 
auf  dem  Räume  zwischen  der  römischen  und  der  byzantinischen 
Mauer  gegründet  worden,  offenbar  von  der  Vorstellung  ausgehend, 
daß,  wo  sich  im  Altertum  eine  Stadt  entwickeln  konnte,  die 
mindestens  20000  Einwohner  gezählt  haben  muß,  auch  die  Be- 
dingungen zur  Entwicklung  einer  neuzeitlichen  Siedlung  gegeben 
sein  müßten.  Bisher  ist  aber  davon  nichts  zu  bemerken.  Der 
Ort  wächst  nicht,  Ackerbau  lohnt  nicht,  da  der  Boden  außer- 
ordentlich steinig  und  die  Urbarmachung  des  Landes,  Rodung 
der  Macchia,  Beseitigung  der  Steine  außerordentlich  kostspielig 
ist.  Auch  der  Absatz  der  Erzeugnisse  ist  schwierig;  denn  Dellys 
ist  die  nächste  europäische  Siedlung,  der  Verkehr  zur  See  mit 
Hilfe  eines  kleinen  Steindammes,  den  die  Regierung  erbaut  hat, 
auch  sehr  schwierig  und  nur  bei  ruhigem  Wetter  in  kleinen  Segel- 


*)  Etüde  sur  les  ruines  romaines  de  Tigzirt.  Paris  1897.  Bibl.  d'Archeol. 
Africaine.  Fase.  II.  St.  Gsell  im  Atlas  Archeologique  de  l'Algerie,  Feuille  6, 
p.  11,  identifiziert  übrigens  Dellys  mit  Rusuccuru  und  Tigzirt-Taksebt  mit 
Jomnium. 


Tigzirt.  I43 

booten  möglich.  Die  Bewohner  haben  sich  daher  alle  auf  kleine 
Nebenerwerbe,  Handwerke  u.  dgl.  geworfen,  ohne  daß  es  aber 
auch  nur  einer  in  reichlich  ixj2  Jahrzehnten  zu  etwas  Wohlstand 
gebracht  hat.  Neuerdings  rechnet  man  auch  hier  auf  Sommer- 
gäste und  den  Badestrand.  Dies  und  die  Altertümer  haben  wohl 
bewirkt,  daß  man  in  einem  kleinen  Gasthause  inmitten  der 
Trümmerstätte,  daher  Hotel  des  Ruines  Romaines  genannt,  ein 
recht  erträgliches  Unterkommen,  weit  besser  als  in  Dellys,  findet. 
Eine  Sommerkolonie  italienischer  Sardinenfischer  dürfte  den  Be- 
wohnern wenig  Nutzen  bringen.  Die  völlige  Vereinzelung  dieses 
europäischen  Dorfes,  das  Fehlen  einer  Straße  nach  dem  Innern, 
nach  Tizi-Uzu,  dem  europäischen  Hauptorte  im  Innern  der  ganzen 
Kabylei  im  Tale  des  Sebau,  ist  natürlich  auch  ungünstig.  Tigzirt 
ist  überhaupt  neben  dem  noch  mehr  vereinsamten,  aber  doch 
wenigstens  durch  eine  Straße  mit  dem  Sebau-Tale  verbundenen 
Azeffun,  noch  30  km  nach  Osten,  auch  an  Stelle  einer  römischen 
Siedlung,  der  einzige  Besiedlungsversuch  zwischen  Dellys  und 
Bougie  an  der  sehr  schwierigen  Küste  der  Kabylei. 

Daß  auch  bei  Tigzirt  das  Meer  das  Land  überall  mit  Erfolg 
angreift,  sieht  man,  aber  die  Altertümer  geben  nur  an  einer 
Stelle,  an  der  Ostbucht,  einen  Anhalt  für  das  Maß  der  Land- 
abtragung im  Laufe  der  letzten  1200  Jahre.  Die  Stadt  Rusuccuru 
und  das  heutige  Dorf  Tigzirt  liegen  auf  einer  der  für  die  Küste 
von  Algerien  so  charakteristischen  Strandterrassen,  die  hier,  von 
Steilabstürzen  begrenzt,  von  etwa  20  m  am  vorderen  Rande  sanft 
nach  innen  gegen  den  Fuß  des  Gebirges  ansteigt.  Die  Ober- 
fläche der  Terrasse  wird  gebildet  von  denselben  jungquartären, 
an  Muscheltrümmern  reichen  Kalksteinen,  die  auch  die  Trümmer 
von  Rusgunia  tragen,  Ablagerungen  des  gehobenen  Meeresbodens 
auf  einer  Abrasionsterrasse  eocäner,  das  Vorgebirge  bildender, 
steil  (40 — 500)  aufgerichteter,  hier  und  da  feingefältelter,  ja  zer- 
knitterter Schichten  numidischer  Sandsteine,  Konglomerate  und 
Mergel,  also  scharf  diskordant,  wie  das  Vorgebirge  und  die  Insel 
zeigt.  Diese  Kalksteindecke  ist  heute  noch  kaum  2 — 3  m  mächtig, 
aber  sehr  widerstandsfähig,  am  Vorgebirge  selbst  schon  von  der 
Brandung  zerfressen.  Da  die  Eocänschichten  hier  aus  weichen 
Tonen  und  Tonschiefern  bestehen,  so  unterliegen  dieselben  rasch 
der  Brandungswoge,  und  die  der  Unterlage  beraubte  Decke  stürzt, 
einen    Blockwall    bildend,    nach.      Eine   Querlücke    ist    ein    künst- 


144  ^'   5"    ^"n  ^er  ^üste  ^er  großen  Kabylei. 

licher  Durchstich  durch  das  Vorgebirge  für  den  Weg  nach  dem 
auf  der  anderen  Seite  gelegenen  kleinen  Molo.  Dieser  Durch- 
stich wird  in  nicht  ferner  Zeit  (geologisch  gesprochen)  zu  einer 
Meerenge  und  das  Vorgebirge  zur  Insel  werden.  Ganz  nahe 
diesem  Durchstich,  etwas  weiter  nach  Osten,  dürfte,  nach  der 
Lage  der  Trümmer  der  alten  Stadt,  unten  am  Strande  ein  10  bis 
15  m,  ja  an  einer  Stelle  bis  30  m  breiter  Streifen  des  Stadt- 
plateaus in  den  letzten  1200  Jahren  abgetragen  und  um  so  viel 
der  breite  Streifen  sandigen  Strandes,  auf  welchem  die  italienischen 
Fischer  ihr  Zelt  aufgeschlagen  hatten,  verbreitert  worden  sein. 
Daß  die  Abtragung  an  der  Westseite  noch  größer  gewesen  ist, 
kann  keinem  Zweifel  unterliegen ;  aber  ich  konnte  keine  sicheren 
Belege  dafür  finden.  Gavault1)  nimmt,  jedoch  ohne  näheren 
Nachweis,  20  m  an  seit  dem  fünften  Jahrhundert.  Die  Stadt- 
mauer habe  dort  bis  zu  einem  30  m  entfernten  Felsen  gereicht, 
bis  dahin  erkenne  man  die  3,5  m  breiten  Fundamente  deutlich. 
Ich  sah  diesen  Felsblock,  der  selbst  ein  Zeuge  der  Abtragung  ist. 
Daß  die  namengebende  Insel  durch  Abgliederung  von  dem 
Vorgebirge  entstanden  ist,  unterliegt  keinem  Zweifel  und  ist  bei 
dem  weichen,  das  heutige  Vorgebirge  bildenden  Gestein  sehr 
begreiflich.  Daß  die  zeitweilige  Spitze  desselben  aber  als  Insel 
erhalten  ist,  das  erklärt  sich  daraus,  daß  dort  die  Eocänschichten 
aus  festem,  in  mächtigen  Bänken  auftretendem,  numidischem  Sand- 
steine bestehen.  Dieselben  bilden  jedenfalls  auch  die  brandenden 
Klippen  und  Untiefen,  die  sich  von  der  Insel  noch  1,5  km  weit 
ins  Meer  hinaus  erstrecken  und  ein  Ausbiegen  der  Tiefenlinien 
bis  zur  50  m-Linie  bedingen.  Die  heute  kaum  100  m  vom  Lande 
entfernte  Insel  ist  mit  dichtem  Gestrüpp  von  wilden  Ölbäumen, 
Pistacia  Lentiscus  und  Opuntien  bedeckt.  Wilde  Tauben  und 
Möwen  hausen  in  den  Felsen  an  der  Westseite.  Ich  fand  an  der 
dem  Lande  zugekehrten  Seite  die  Trümmer  eines  ansehnlichen 
Bauwerks,  Gewölbe,  eine  Säulentrommel,  ein  Kapital;  auch  ein 
Brunnen  scheint  vorhanden  gewesen  zu  sein.  Daß  sie  zur  Zeit 
der  Blüte  von  Rusuccuru  durch  einen  Steindamm  mit  dem  Vor- 
gebirge verbunden,  und  daß  damit,  je  nach  der  Windrichtung, 
bald  auf  der  einen,  bald  auf  der  anderen  Seite  ein  ruhiger  Liege- 
platz für  Schiffe  geschaffen  war,  hat  schon  Gavault  angenommen. 

l)  a.  o.  St.  3.  108, 1. 


Tigzirt  und  Taksebt.  i  a  c 

Ich  glaube  noch  die  behauenen  Blöcke  des  Dammes  auf  dem 
Meeresboden,  der  wenig  über  ein  Meter  tief  ist,  gesehen  zu  haben. 
Wenn  Gavault  versichert,  man  könne  bei  ruhigem  Wetter  noch 
zu  Fuß  nach  der  Insel  gelangen,  so  bestätigten  dies  meine  Fähr- 
leute, aber  mit  dem  Zusatz,  auf  eine  kurze  Strecke  müsse  man 
doch  schwimmen.  Daß  die  Brandung,  die  mit  steigender  Sonne 
regelmäßig  in  der  Meerenge  auftritt,  den  Meeresgrund  austieft, 
unterliegt  keinem  Zweifel. 

Drei  Kilometer  östlich  von  Tigzirt  springt  das  hohe  Kap 
Tedles,  auch  aus  festen  numidischen  Sandsteinen  bestehend,  das 
Gegenstück  des  von  Dellys,  weit  gegen  das  Meer  vor.  Die 
an  seiner  Ostseite  so  gebildete  Bucht  bot  guten  Schutz,  und 
so  entwickelte  sich  auch  hier,  teils  unten  am  Strande,  teils 
oben  auf  dem  das  Vorgebirge  mit  dem  Lande  verbindenden 
Sattel,  eine  römische  Siedlung,  von  der  noch  ansehnliche 
Trümmer,  namentlich  die  eines  nach  seiner  Gestalt  von  den 
französischen  Kolonisten  als  Phare  bezeichneten,  weithin  sicht- 
baren Mausoleums  erhalten  sind.  Hoch  über  dem  Meere,  in- 
mitten dieser  römischen  Trümmer  am  Ostgehänge  des  Vor- 
gebirges, liegt  jetzt  ein  echtes  Berberndorf,  Taksebt,  aus  lauter 
kleinen  Steinhäusern  mit  Stroh-  oder  Rohrdächern  und  kleinen, 
von  Dornhecken  umhegten  Höfen.  Alle  Höhen  und  Hänge,  so 
steil  sie  sind,  teilweise  terrassiert  und  mit  Feldern  und  Feigen- 
pflanzungen  bedeckt,  während  noch  heute  die  Macchia  beinahe 
an  Tigzirt  heranreicht.  Welches  der  Name  des  römischen  Taksebt 
war,  weiß  man  nicht.  Es  soll  mit  Rusuccuru  (Tigzirt)  eine  Ge- 
meinde gebildet  haben. 


6.  Die  Bucht  von  Bona.1) 

Die  Bucht  von  Bona  ist  der  Schauplatz  ähnlicher  Vorgänge 
wie  an  der  von  Algier.  Auch  dort  findet  kein  Zurückweichen 
des  Landes  unter  dem  Ansturm  der  Wogen  mehr  statt,  sondern 
vielmehr  Neubildung  von  Land,  entsprechend  der  Tiefe  der  Bucht 


i)  Aus  Peterm.  Mitt.  1887  auf  Grund  meiner  Untersuchungen  von  1886. 
In  französischer  Übersetzung  und  mit  Ergänzungen  von  Woehrel  und  Papier 
im  Bulletin  de  l'Academie  d'Hippone,  Bone  1894  erschienen.  Diese  vom 
Verfasser  erbetenen  Ergänzungen  sind  hier  berücksichtigt. 

Fischer,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge.  10 


j4Ö  n,  6.    Die  Bucht  von  Bona. 

von  nicht  weniger  als  14  km  bei  einer  Breite  der  Öffnung  der 
Bucht  zwischen  Kap  de  Garde  und  Kap  Rosa  von  40  km  und 
der  Einmündung  von  zwei  so  bedeutenden  Flüssen  wie  der 
Mafragh  und  die  Seybuse,  von  denen  letzterer  dem  Chelif  an 
Reichtum  an  Wasser  und  Sinkstoffen  wenig  nachsteht.  Die  Bucht 
von  Bona  ist  rings  von  Dünen  umsäumt,  die  unmittelbar  an  der 
Mündung  der  Seybuse  beginnen  und  ostwärts  an  Höhe  und 
Breite  rasch  zunehmen.  Elf  Kilometer  jenseits  der  Mafragh-Mün- 
dung  treten  jedoch  die  festen  Nummulitenkalke,  welche  das  öst- 
lich begrenzende  Vorgebirge,  Kap  Rosa,  bilden,  an  die  Küste 
heran  und  bilden  30  m  hohe  Klippen.  Doch  sind  auch  diese 
landeinwärts  von  Sand  überweht,  stellenweise  in  einer  Breite  von 
14  km.  In  den  Vertiefungen  sammelt  sich  das  Regenwasser  in 
zahlreichen  kleinen,  im  Sommer  verdunstenden  Teichen  oder  es 
staut  sich  hinter  den  Dünen  zu  ausgedehnten  Sümpfen.  Üppige, 
immergrüne  Macchien  bedecken  Sand  und  Sumpf.  Der  Steilab- 
bruch der  Küste  läßt  hier  ein  Vorrücken  derselben  sehr  unwahr- 
scheinlich erscheinen,  während  an  der  flachen  Küstenstrecke  und 
namentlich  am  westlichsten  Küstenstück  nicht  an  einem  solchen 
gezweifelt  werden  kann.  Es  hat  hier  hinter  den  Dünen  eine 
ausgedehnte  Deltabildung  stattgefunden.  Alle  Binnenwasser  werden 
hier  gestaut,  erweitern  sich  zu  Sümpfen  und  fließen  erst  auf 
lange  Strecken  dem  Meeresufer  parallel,  ehe  ihnen  ein  Durch- 
bruch gelingt.  So  vereinigen  sich  drei  Flüsse,  der  Wed  bu  Namussa, 
der  Wed  Churka  und  der  Wed  el  Kebir,  in  einem  ausgedehnten 
Tamarisken-Sumpfe  zur  Bildung  des  Mafragh  unmittelbar  hinter 
den  Dünen,  die  sie  dann  zu  durchbrechen  vermögen.  Doch  ist 
das  Wasser  der  dem  vollen  Ansturm  der  Brandung  ausgesetzten 
Mafragh-Mündung  stets  durch  eine  Barre  an  freiem  Abfluß  be- 
hindert. Es  liegt  hier  hinter  den  hohen  Dünen  ein  ausgedehnter 
Landstrich  nur  1  —  2  m  über  dem  Meeresspiegel,  so  daß  die  An- 
lage von  Entwässerungskanälen  ihren  Zweck  nicht  erreicht  hat. 
Namentlich  auffällig  ist  die  westliche  Krümmung  der  hier  mün- 
denden Flüsse.  Wie  der  Wed  el  Kebir,  so  floß  auch  der  Khelidj 
lange  hinter  den  Dünen  dem  Meere  parallel  westwärts  —  schon 
3,6  km  oberhalb  der  ehemaligen  Mündung  hatte  er  sich  auf 
0,8  m  dem  Meere  genähert  —  und  die  Seybuse  hat,  nachdem 
sie  dem  Meere  bereits  auf  1700  m  nahe  gekommen  ist,  ihren 
Lauf  noch  um    5  km  demselben  parallel  verlängert.      Wir  wiesen 


Verschiebung  der  Flußmündungen.  j*n 

bereits  früher  darauf  hin,  daß  der  Neerstrom,  der  also  hier  von 
Kap  Rosa  her  gegen  Kap  de  Garde  die  Bucht  umkreist,  diese 
Westwärtswendung  der  Flußmündungen  bewirkt.  Die  die  Sink- 
stoffe zurückwerfende  Brandungswelle  wirkt  dabei  mit.  Am  auf- 
fälligsten ist  das  Westwärtsrücken  bei  der  Seybuse.  Diese  mündete 
nach  der  Peutingerschen  Tafel  5  Mühen,  d.  h.  ca.  7,5  km  östlich 
von  Hippo  Regius.  Die  Lage  von  Hippo  Regius  kennen  wir  ganz 
genau,  die  Stadt  lag  auf  zwei  kleinen  Hügeln,  die  heute,  von 
neu  angeschwemmtem  Lande  umschlossen,  vom  Meeresufer  ab- 
gerückt sind,  und  von  denen  der  kleinere  östliche  von  der  Seybuse 
unmittelbar  bespült  wird.  Rechnen  wir  von  da  7,5  km  nach 
Osten,  so  treffen  wir  (genau  in  7  km  Entfernung  von  Hippo)  auf 
eine  Stelle,  wo  der  Dünensaum  schmäler  wird  und  schließlich 
an  einer  Stelle  von  200  m  Länge  bis  auf  2  m  erniedrigt  ist,  so 
daß  man  erkennt,  daß  derselbe  hier  ehemals  durchbrochen  war. 
Jetzt  führt  der  Fahrweg,  welcher  von  Bona  sich  nahe  der  Küste 
haltend  möglichst  gerade  nach  La  Calle  geht  (die  eigentliche 
Poststraße  macht  wegen  der  Schwierigkeiten,  welche  die  Sümpfe 
hinter  den  Dünen  und  diese  selbst  boten,  einen  großen  Umweg 
nach  Süden),  über  diese  Stelle  der  Dünen,  der  einzige  Punkt, 
wo  sie  unmittelbar  an  das  Meer  herantritt.  Hinter  dieser  „schad- 
haften" Stelle  des  Dünenwalles,  die  es  einem  vorrückenden  Meere 
so  leicht  machen  würde,  in  das  Land  einzubrechen,  dehnen  sich 
die  Bu-Kamira-Sümpfe  der  Küste  parallel  aus.  In  diese  tritt  von 
Süden  her,  dann  aber  in  vielen  Windungen  nordwestliche  und 
westliche  Richtung  einschlagend,  der  Khelidj  ein,  ein  toter  Fluß- 
lauf, der  heute  selbst  bei  allerhöchstem  Wasserstande  sich  nicht 
mehr  belebt,  weil  die  Seybuse  seitdem  an  jener  Stelle  ihr  Bett  tief 
in  den  von  ihr  selbst  gebildeten  Schuttkegel  eingeschnitten  hat, 
daß  dasselbe  selbst  bei  der  großen  Überschwemmung  im  Februar 
1886  nicht  so  weit  gefüllt  war,  daß  es  wieder  in  den  Khelidj 
hätte  eintreten  und  dieser  jene  niedrige  Stelle  im  Dünenwalle  zu 
durchbrechen  vermocht  hätte.  Etwas  mag  dazu  beitragen  der 
aus  dem  Bu-Kamira-Sumpfe  in  westlicher  Richtung  zur  Seybuse 
geführte  Entwässerungskanal,  dessen  Gefälle  allerdings  gleich 
Null  sein  muß.  Der  Khelidj  läßt  sich  landeinwärts  bis  nahe  an 
das  obere  Ende  der  Ebene  von  Bona  bei  Mondovi,  23  km  süd- 
südöstlich von  Bona,  verfolgen  und  stellt  sich  somit  unzweifelhaft 
als   der  alte  Lauf  des  Ubus  (Seybuse)    in   römischer  Zeit   heraus, 


IA.8  H>  6.    Die  Bucht  von  Bona. 

fast  ganz  genau  entsprechend  den  Angaben  der  Peutingerschen 
Tafel.  A.  Papier  macht  auch  darauf  aufmerksam,  daß  die  von 
der  Tabula  Peutingeriana  angegebene  Entfernung  zwischen  der 
Mündung  des  Ubus  (Khelidj)  und  des  Armoniacus  (Mafragh) 
20  Millien  gleich  14-814  km  sehr  gut  den  heutigen  Verhältnissen 
entspricht,  der  Unterschied  von  400  m  könne  recht  gut  auf  die 
Krümmungen  der  Straße  gerechnet  werden.  Der  geringe  Unter- 
schied in  der  Lage  der  heute  noch  erkennbaren  Ubus-Mündung 
und  dieser  Angaben  braucht  keineswegs  auf  ungenaue  Messungen 
der  Römer  zurückgeführt  zu  werden,  sondern  läßt  sich  einfach 
daraus  erklären,  daß  nach  der  der  Peutingerschen  Tafel  zugrunde 
gelegten  Messung  die  Mündung  etwas  weiter  nach  Westen  rückte. 
Auch  bezog  sich  die  Messung  jedenfalls  auf  eine  römische  Straße, 
die,  dem  Zwang  der  physischen  Verhältnisse  folgend,  den  Fluß 
unmittelbar  an  seiner  Mündung  überschritt.  Es  lehren  diese  Ver- 
hältnisse aber  auch,  daß  damals  an  dieser  Stelle  und  überhaupt 
von  da  ostwärts  die  Küstenlinie  wohl  gerade  da  lag,  wo  sie  heute 
liegt.  Nur  westwärts  von  diesem  Punkte  ist  die  Küstenlinie  seit- 
dem wesentlich  vorgerückt.  Wir  können  also  das  Westwärtsrücken 
der  Seybuse  seit  römischer  Zeit  genau  verfolgen.  Doch  müssen 
wir  neben  dem  die  Mündung  nach  Westen  drängenden  Neerstrom 
und  den  sie  überhaupt  zu  sperren  strebenden  Winden  auch  der 
natürlichen  Erhöhung  der  Ebene  durch  den  Fluß  selbst  Rechnung 
tragen.  Derselbe  breitete  sich  beim  Eintritt  in  die  Ebene,  bei 
Hochwasser  sie  weithin  überschwemmend  und  durch  Ablagerung 
seiner  Sinkstoffe  erhöhend,  aus,  erhöhte  sein  Bett  und  neigte 
schon  deshalb  zu  Änderung  seines  Laufes.  Wir  haben  gewiß 
auch  in  andern  Sumpfstrecken  der  Ebene  alte  Läufe  der  Seybuse 
zu  sehen,  eine  sorgsame  Erforschung  derselben  und  der  römischen 
Straßen  wird  das  herausstellen.  Mit  dem  vom  Ubus  mitgebrachten 
und  von  der  Brandung  mit  Meermuscheln  vermischt  zurückge- 
worfenen Sande,  vermehrt  durch  von  Küstenversetzung  und  dem 
Neerstrome  herbeigeführten,  der  die  Abtragung  am  Kap  Rosa 
liefert,  sind  erst  die  Dünen  westlich  seiner  Mündung  vom 
Winde  aufgebaut  worden,  und  sie  liefern  auch  ihrerseits  den 
Beweis,  daß  hier  das  Land  vorgerückt  ist.  Man  erkennt  näm- 
lich hier  durch  langgestreckte,  von  Sumpf  erfüllte  Einsenkungen 
voneinander  getrennte  Dünenreihen,  die  von  der  alten  Ubus- 
Mündung     westwärts     mäßig     divergieren.       Die     innerste     Reihe 


Die  Lage  von  Hippo  Regius.  140 

ist  die  älteste,  die  mittlere  weist  auf  die  Hügel  von  Hippo  hin 
und  endigt  1,2  km  von  dem  kleinen  östlichen  derselben,  genau 
dem  Nordende  des  kleinern  Bu  Hamra-Massivs  gegenüber.  Das 
war  das  Meeresufer  zur  Zeit  der  Blüte  von  Hippo;  die  äußere 
dagegen,  das  jetzige,  erst  etwa  seit  dem  6.  Jahrhundert  n.  Chr. 
gebildete  Meeresufer  weist  auf  Bona  hin  und  endigt  i  km  vom 
Hafen  an  der  heutigen  Seybuse-Mündung. 

Daß  Hippo,  eine  phönikische  Gründung,  am  Meere  lag  und 
nicht  etwa  sich  der  Ubus-Mündung  als  Hafen  bediente,  steht  fest. 
Es  lagen  hier  gewissermaßen  versteckt  im  westlichen  Hintergrunde 
der  Bucht  dicht  am  Lande,  das  sich  hier  nach  S  wie  nach  W 
weithin  eben  ausdehnte  und  eine  Fülle  von  Erzeugnissen  zum 
Tauschhandel  bot,  leicht  zu  verteidigen,  zwei  kleine,  möglicher- 
weise schon  damals  miteinander  durch  Neulandbildung  verwachsene 
Inseln,  aus  der  Tiefe  auftauchende  Bruchstücke  des  Gneismassivs 
des  Edough.  Noch  heute  machen  beide  aus  dem  wagerechten 
Schwemmlande  auftauchenden  Blöcke  von  kristallinischem  Kalk- 
fels den  Eindruck  von  Inseln.  Das  waren  Lagenverhältnisse, 
wie  sie  die  Phöniker  mit  Vorliebe  auszusuchen  pflegten,  sie 
ähnelten  denen  von  Utica.  A.  Papier  weist  jedoch  nach,  daß 
jedenfalls  in  römischer  Zeit  dieser  Teil  des  Golfs  bereits  ver- 
landet war,  was  nicht  ausschließt,  daß  IOOO  Jahre  früher  die 
Hügel  Inseln  waren.  Erst  die  Franzosen  haben  die  sumpfige  und 
fiebererzeugende  Ebene  um  dieselben  und  gegen  Bona  hin  mühsam 
trocken  gelegt  und  dem  Anbau  gewonnen.  Sie  liegt  noch  heute  i  m 
über  dem  Meeresspiegel.  Der  größere  westliche  Hügel,  der  heute 
von  einem  herrlichen  Haine  uralter  Ölbäume  umgeben,  zum  Teil 
noch  bedeckt  ist,  in  welchem  Landhäuser  und  Meierhöfe  malerisch 
versteckt  liegen,  hat  eine  Höhe  von  55  m  und  trägt  außer  aus- 
gedehntesten Trümmern  auf  seinem  Gipfel  einen  weithin  sicht- 
baren Neubau  des  tatkräftigen,  vaterlandsliebenden  Erzbischofs 
und  Kardinals  Lavigerie,  die  Basilika  des  heiligen  Augustin  und 
ein  Greisenasyl,  ein  Zwing-Islam,  wie  derselbe  deren  mehrere  an 
hervorragenden  Punkten  der  Nordküste  von  Afrika  errichtet  hat 
—  sie  erinnerten  mich  lebhaft  an  die  Klosterpaläste,  an  welchen 
man  auf  der  Donau  zwischen  Linz  und  Wien  vorbeifährt  — ,  und 
durch  welche  er  die  beiden  Ziele  seines  Ehrgeizes,  Christianisie- 
rung Nordafrikas  und  die  Patriarchenwürde  von  Afrika,  zu  er- 
reichen   strebte.      Der   kleinere   östliche  Hügel,    von    den   Arabern 


I  co  II)  6.    Die  Bucht  von  Bona. 

Rarf  el  Artran  genannt,  ist  nur  20  m  hoch  und  trägt  eine  heute 
in  ein  Landhaus  verwandelte  ehemalige  Militärstrafanstalt.  An 
der  Westseite  ist  Hippo  jedenfalls  am  frühesten  verlandet,  denn 
dort  mündete  der  wasser-  und  sinkstoffreiche  Bu  Djema  in  die 
Bucht,  die  er  früh  zuzuschütten  begonnen  hat.  Die  Brücke, 
welche  bei  dem  Marabut  Sidi  Brahim,  600  m  nordnordöstlich 
über  den  Fluß  geschlagen  ist,  soll  römischen  Ursprungs  sein;  der- 
selbe mündete  früher  selbständig  ins  Meer,  später  in  den  Hafen 
von  Bona;  da  man  aber  bald  bemerkte,  daß  er  denselben  zu- 
schüttete, so  leitete  man  ihn  1876  bei  Sidi  Brahim  durch  einen 
Kanal  direkt  nach  O  in  die  Seybuse,  150  m  oberhalb  ihrer 
Mündung.  Gefährlich  wurden  die  Neulandbildungen  jedoch  erst 
für  Hippo,  als  in  einer  nicht  genau  zu  bestimmenden  Zeit,  welche 
in  die  ersten  Jahrhunderte  des  Mittelalters  fällt,  die  durch  ihren 
Rückgang  der  Kultur  und  den  Mangel  geschichtlicher  Überliefe- 
rungen und  Denkmäler  auch  für  die  physische  Geographie  eine 
Lücke  bezeichnen,  die  Seybuse  ihren  Lauf  mehr  und  mehr  nach 
Westen  verschob  und  ihre  Sinkstoffe  sich  um  die  Hügel  lagerten. 
Daß  die  Seybouse  sich  erst  seit  dem  Altertum  Hippo  genähert 
hat,  darüber  erlauben  die  obigen  Ausführungen  wohl  kaum  einen 
Zweifel.  Es  ist  mir  aber  auch  gelungen,  Beweisstoff  zusammen- 
zutragen dafür,  daß  der  Strom  noch  heute  hier  nach  W  drängt, 
immer  dichter  an  den  östlichen  Hügel  heran,  von  dem  er  nur 
mehr  140  m  entfernt  ist,  und  daß  er  bereits  angefangen  hat,  die 
Trümmer  von  Hippo  abzutragen.  Ich  wurde  auf  die  Möglichkeit 
dieses  Vorganges  aufmerksam  durch  eine  Bemerkung  in  dem 
verdienstvollen  Werke  des  Professors  zu  Bona,  O.  Niel,  Geo- 
graphie de  l'Algerie  II,  p.  300,  daß  1853  noch  am  linken  Ufer 
der  Seybouse  oberhalb  der  Mündung  ein  etwa  40  m  langes  Stück 
Stadenmauer  vorhanden  gewesen  sei,  welches  das  Hochwasser 
von  1854  zerstört  habe.  Auch  bestätigte  mir  Herr  Doublet,  der 
liebenswürdige  Generalsekretär  der  Academie  d'Hippone,  diese 
Angaben  seinerseits.  Schon  der  Botaniker  Desfontaines  und  der 
Abbe  Poiret  hatten  1784  bzw.  1785  auf  diese  damals  noch  300 
Schritte  lange  Stadenmauer  aufmerksam  gemacht.  Noch  1836 
und  1843  war  sie  vorhanden.  Zwischen  1843  und  1853  war 
also  der  größte  Teil  in  der  Länge  von  260  m  zerstört  worden, 
1854  erlag  der  Rest.  Bei  Kanalisierung  des  Bu  Djema  1876 
fand    man    unterhalb    der    römischen    Brücke    etwa     100  m   vom 


Die  Mündung  der  Seybuse.  I  c  j 

heutigen  Meeresufer  und  in  12 — 15  m  Tiefe  die  untersten  Lagen 
einer  Stadenmauer  aus  mächtigen  Blöcken  Molassesandstein  aus 
den  Steinbrüchen  von  Fort-Genois.  Ich  meine,  die  fragliche 
Stelle,  wo  die  letzten  Reste  der  Mauer  gestanden  hatten,  gefunden 
zu  haben  am  Fuße  des  kleinen  Hügels,  genau  östlich  von  der 
Stadenmauer,  die  auch  ihrerseits  durch  ihr  Verschwinden  meine 
anderweitigen  Beobachtungen  bestätigt;  jedoch  keine  Spur,  nicht 
einmal  Steine,  die  von  ihr  herrührten,  habe  ich  am  Ufer  weder 
vom  Lande,  noch  vom  Kahne  aus  gefunden.  Wenn  es  sich 
wirklich  um  eine  Stadenmauer  aus  römischer  Zeit,  nicht  um 
Schutzbauten  etwa  für  eine  in  jüngster  Vergangenheit  dort  vor- 
handen gewesene  Überfahrt  handelte,  so  lag  dieselbe  natürlich 
nicht  am  Ubus,  sondern  am  Meere.  A.  Papier  hält  es  doch  für 
möglich,  daß  es  ein  Teil  der  Hafenanlagen  von  Hippo  Regius 
war.  Oberst  Mercier  verlege  die  Mündung  des  Ubus  in  römischer 
Zeit  4,7  km  weiter  aufwärts  von  der  heutigen  Mündung. 

Wie  schon  die  Abtragung  dieser  alten  Stadenmauer  durch 
den  Fluß  vermuten  ließ,  so  gelang  es  mir,  bei  einer  genauen 
Untersuchung  der  Ufer  des  Flusses  sowohl  zu  Lande  als  im  Boot 
von  der  Mündung  bis  zur  sogenannten  Brücke  von  La  Calle 
2,2  km  weit  noch  mehrere  Belege  für  das  noch  immer  andauernde 
Westwärtsdrängen  des  Flusses  zu  sammeln.  Die  Untersuchung 
vom  Lande  aus  war  sehr  schwierig,  da  die  Ufer  des  Flusses  mit 
dichtem  Gestrüpp  bewachsen  sind  und,  von  der  Strömung  be- 
ständig unterwaschen,  meist  senkrecht  abfallen  oder  überhängen, 
so  daß  man  ihnen  nur  schwer  nahen  kann.  Das  Ufer  ist  hier 
3  m  hoch  und  besteht  aus  festem,  lehmig- tonigem  Schwemm- 
boden jüngster  Entstehung.  Die  Mächtigkeit  dieses  Schwemm- 
bodens ist  seit  römischer  Zeit  noch  um  ca.  1  m  gewachsen,  es 
unterscheiden  sich  aber  dem  äußern  Ansehen  nach  die  das  Liegende 
einer  dort  noch  erkennbaren  römischen  Straße  bildenden  Schichten 
gar  nicht  von  den  das  Hangende  bildenden,  obwohl  jene  vom 
Bu  Djema  und  andern  kleinen  Bächen,  diese  von  der  Seybuse 
abgesetzt  sind.  Diese  römische  Straße  ist  ca.  200  m  unterhalb 
der  Brücke  an  einem  Einschnitt  der  Eisenbahnlinie  Bona — Guelma 
bloßgelegt,  1  m  unter  der  heutigen  Oberfläche  des  Bodens.  Sie 
geht  in  fast  genau  nördlicher  Richtung  auf  den  Fluß  zu,  an 
dessen  Ufer  ich  vom  Boot  aus  geradezu  in  einem  Querschnitt, 
welchen   der  Fluß  gebildet  hat,   das  Pflaster   der  Straße  und    die 


I  e.2  II,  6.    Die  Bucht  von  Bona. 

breiten  Randsteine  auf  das  deutlichste  erkennen  konnte.  Die 
Straße  ist  4  m  breit,  das  Pflaster  lag  bei  damaligem  (noch  ziem- 
lich hohem)  Wasserstande  2  m  über  dem  Wasserspiegel  der  Sey- 
buse,  reichlich  1  m  unter  der  Oberfläche.  Die  die  Straße  be- 
deckenden Schichten  bestehen  keineswegs  aus  Schutt,  sondern 
aus  Flußschlamm,  Häuser  standen  aber  hier  nicht  an  der  Straße. 
In  dem  Eisenbahneinschnitt  meinte  ich  noch  die  Eindrücke  der 
Räder  in  einem  Stein  zu  erkennen.  Vor  dem  Ende  der  Straße 
liegt  ein  Haufen  Steine,  während  sonst  das  Ufer  völlig  steinfrei 
ist  und  nur  aus  feinen  Schwemmstoffen  besteht.  Die  Steine 
rühren  von  der  Straße  her,  die  der  Fluß  abgetragen  hat,  sie  be- 
legen deutlich,  daß  derselbe  hier  sein  linkes  Ufer  abträgt.  Nach- 
dem ich  selbst  alles  genau  geprüft  hatte,  fragte  ich,  um  ein  ab- 
solut unbefangenes  Urteil  zu  hören,  meinen  Bootsmann,  einen 
Italiener  von  der  Insel  Ponza,  wie  man  deren,  meist  irgendwie 
schiffbrüchige  Leute  an  diesen  Küsten  überall  trifft,  wofür  er  die 
Steine  halte.  Auch  er  erklärte  sie  sofort  für  eine  gepflasterte 
Straße,  die  vom  Fluß  unterbrochen  sei.  Ich  untersuchte  zum  Über- 
fluß die  entsprechende  Stelle  am  rechten  Flußufer,  fand  aber 
natürlich  keine  Fortsetzung  der  Straße.  Dieselbe  führte  jedenfalls 
von  Süden  her,  etwa  in  der  Richtung  der  heutigen  Poststraße 
D'Uzerviile — Bona  nach  Hippo.  Wäre  der  Fluß  damals  hier  ge- 
wesen, so  müßte  natürlich  auch  eine  Brücke,  sei  es  eine  feste, 
sei  es  eine  fliegende,  mit  entsprechenden  Steinbauten  vorhanden 
gewesen  sein.  Sie  müßte  den  Fluß  auch  in  bedeutender  Höhe 
überspannt  haben,  schon  die  Straße  müßte  daher  höher,  vielleicht 
sogar  auf  einem  Damme  zur  Brücke  geführt  worden  sein.  Von 
alledem  keine  Spur. 

Etwa  50  m  stromab,  also  näher  an  Hippo,  fand  ich  sechs 
senkrecht  auf  den  Fluß  stoßende  einander  parallele  Mauern,  je 
3  m  voneinander,  2  m  unter  der  Oberfläche  und  mit  der  untern 
Fläche  der  Fundamente  1  m  über  dem  Wasserspiegel,  alle  in 
gleicher  Tiefe,  also  wohl  demselben  Bauwerke  angehörig.  Ich 
sah  gewissermaßen  die  Mauern  von  unten,  vom  Innern  der  Erde 
aus.  Auch  hier  lag  vor  dem  Kopfende  jeder  Mauer  ein  Haufen 
Steine,  bei  sonst  völlig  steinlosem  Schwemmlandufer,  also  eben- 
falls Belege  für  vorsichgehende  Abtragung  des  Ufers;  einzelne 
Steine  der  Mauern,  die  rückwärts  noch  gehalten  wurden,  ragten 
frei  über  dem  Fluß  vor,  um  in  kürzester  Zeit  auch  herabzustürzen. 


Westwärtsdrängen  des  Seybuse.  js? 

Daran  schloß  sich  stromab  unmittelbar  ein  Doppeltor  an,  jedes 
i  XL  m  breit,  die  Schwelle  von  einem  einzigen  Steine  gebildet, 
ebenso  jeder  der  Türpfeiler,  die  aber  an  der  Oberfläche  des 
Bodens  abgebrochen  sind.  Es  lag  die  Schwelle  dieses  Doppel- 
tores nur  i  m  unter  der  Oberfläche,  also  doch  wohl  in  gleichem 
Niveau  mit  dem  Bauwerk  daneben,  dessen  Grundmauern  natür- 
lich tiefer  in  den  Boden  reichten  als  das  Tor.  Ist  meine  Er- 
klärung dieser  Trümmer  als  die  eines  Tores  richtig,  so  wird 
dasselbe  vielleicht  schon  heute  verschwunden  sein,  sicher  aber 
beim  nächsten  Hochwasser  im  Herbst  oder  Winter  verschwinden. 
Vor  dem  Tore  muß  aber  ein  größeres  Bauwerk  gestanden  haben, 
denn  ein  großer  Haufen  Steine  lag  als  Rückstand  der  abgetragenen 
Masse  vor  demselben,  alle  nur  roh  behauen,  weil  sie  eben  den 
Fundamenten  angehört  hatten.  Von  da  an  ist  das  Flußufer 
regellos  von  großen  und  kleinen  Steinen  bedeckt,  ein  Zeichen, 
daß  der  Fluß  hier  die  Ruinen  von  Hippo,  wenn  auch  bis  jetzt 
wohl  nur  kleinere  Bauwerke  vor  der  eigentlichen  Stadt,  abträgt. 
Das  Westwärtsdrängen  der  Seybuse  ist  also  hier  wirklich  ein 
dauernder  Vorgang,  weil  Wirkung  dauernd  vorhandener  Kräfte. 
Es  handelt  sich  nicht  um  eine  einmalige  Abspülung  bei  Hoch- 
wasser. Wenn  A.  Papier  auf  die  Tatsache  hinweist,  daß  beim 
Bau  eines  Wirtschaftshofes  weiter  stromauf  und  auf  dem  rechten 
Ufer  der  Seybuse  ioo  m  von  der  eisernen  Straßenbrücke  über 
den  Fluß  zahlreiche  Spuren  römischer  Bauwerke,  Gräber,  Topf- 
scherben usw.  auch  4  Grabinschriften  gefunden  wurden,  so  ist 
damit  doch  noch  nicht  der  Beweis  erbracht,  daß  diese  Siedelung 
zu  Hippo  gehörte.  Ihr  Vorhandensein  braucht  nicht  einmal  als 
Beweis  einer  plötzlichen  Laufverlegung  zu  gelten,  obwohl  eine 
solche  neben  dem  jetzigen  langsamen  Westwärtsdrängen  auch 
vorgekommen  sein  kann.  Erst  jetzt  kann  man  sagen,  Hippo, 
oder  vielmehr  seine  Trümmer  liegen  am  Ubus,  aber  auf  dem 
linken  Ufer,  nur  1600  m  von  der  Porte  d'Hippone  von  Bona, 
nicht  wie  noch  Kiepert  (auf  der  dem  Corpus  I.  L.,  T.  8  beige- 
gebenen Karte)  es  darstellen  durfte,  auf  dem  rechten  Ufer,  5  km 
südsüdöstlich  von  diesem  Tore  und  an  einer  Stelle,  die  tatsäch- 
lich von  der  Seybuse  mitten  durchflössen  wird.  Jedenfalls  kann 
das  Westwärtsrücken  nicht  lange  mehr  andauern  und  wird  schon 
jetzt  gegen  früher  wesentlich  verlangsamt  sein,  denn  der  Fluß  ist 
schon  bis    auf   100  m   an   die  Hügel   unterhalb   der  Brücke  heran- 


ic  a  TL,  6.    Die  Bucht  von  Bona. 

gerückt,  und  man  wird  ihm,  da  er  bereits  die  Eisenbahn  zu  be- 
drohen beginnt,  wohl  jetzt  die  Arbeit  noch  künstlich  erschweren. 

Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  diese  einmaligen,  flüchtigen 
Beobachtungen,  bei  denen  eben  deshalb  leicht  Täuschungen  unter- 
laufen können,  von  einheimischen  Forschern  aufgenommen  würden. 
Es  wäre  dies  eine  schöne  Aufgabe  für  die  Academie  d'Hippone 
und  ihren  trefflichen  Präsidenten  Herrn  Papier.  Es  würde  nicht 
schwer  sein,  das  Fortschreiten  der  Erosion  des  Unken  Seybuse- 
ufers,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Eisenbahn  zu  messen. 
Auch  müßte  der  Verlauf  der  römischen  Straßen  in  der  Umgebung 
von  Hippo  auf  das  sorgsamste,  sorgsamer  als  bisher,  festgestellt 
werden. 

Wenn  Hippo  auch  durch  die  Vandalen  zerstört  wurde,  so 
muß  das  doch  nicht  sehr  gründlich  gewesen  sein,  denn  Belisar 
eroberte  es  534  zurück  und  696  nahmen  es  die  Araber  ein. 
Von  da  an  beginnt  erst  die  Verödung.  El  Bekri  kennt  schon 
das  neue  Bona;  zu  seiner  Zeit  (zweite  Hälfte  des  11.  Jahrhun- 
derts) muß  aber  auch  das  alte  noch  bewohnt  gewesen  sein,  wenn 
anders  seine  Angaben  sich  nicht  auf  eine  frühere  Zeit  beziehen. 
Auch  ist  die  Entfernung,  3  Meilen  vom  neuen  Bona,  obwohl  sich 
dasselbe  in  französischer  Zeit  in  der  Richtung  von  Hippo  aus- 
gedehnt hat,  viel  zu  groß.  Die  Angabe,  daß  Bona  etwas  nach 
1058  n.  Chr.  mit  Mauern  umgeben  worden  sei,  läßt  jedoch 
schließen,  daß  dasselbe  erst  im  n.  Jahrhundert  sich  auf  Kosten 
des  alten  zu  größerer  Bedeutung  erhoben  hat.  Verläßlicher  ist 
die  Angabe  Ibn  Haukais,  der  Bona  970  n.  Chr.  selbst  besuchte 
und  als  eine  bedeutende  Handelsstadt  schildert,  die  alte  Stadt 
aber  nicht  erwähnt.  Die  Verödung  von  Hippo  fällt  also  in  die 
Zeit  von  700 — 1000  n.  Chr.  Bedeutungsvoll  ist,  daß  Leo  Afri- 
canus  ausdrücklich  erwähnt,  daß  die  Ruinen  als  Steinbruch  zum 
Aufbau  von  Bona  dienten.  Die  Lage  von  Hippo  war  so  ausge- 
zeichnet, so  natürlich  fest  und  bequem  für  den  Seeverkehr,  daß 
durchaus  kein  vernünftiger  Grund  zu  finden  wäre  für  die  Ver- 
legung der  Stadt  um  volle  2  km  nordwärts  an  das  Steilufer,  wo 
nur  mit  Mühe  der  Baugrund  geebnet  werden  konnte,  für  die 
Verschleppung  der  Trümmer  dorthin,  wenn  wir  nicht  in  dem 
Westwärtsrücken  der  Seybuse  und  der  Verlandung  der  Bucht 
unter  Überhandnehmen  der  Malaria  einen  solchen  hätten.  Die 
Seybuse   konnte    das   zurückweichende  Meer   nicht    als  Hafen  er- 


Bildung  des  Golfs  von  Tunis.  ur 

setzen,  denn  nur  bei  Hochwasser,  wo  sie  aber  sehr  reißend  ist, 
hat  sie  für  kleinere  Seeschiffe  hinreichende  Tiefe,  für  gewöhnlich, 
ja  zuweilen  viele  Jahre  hindurch,  ist  ihre  Mündung  überdies  durch 
eine  Barre  geschlossen.  Natürliche  Vorgänge,  nicht  geschichtliche 
Ereignisse  oder  menschliche  Willkür  haben  Hippo  Regius  den 
Untergang  gebracht.  Das  auf  Felsgrund  im  Anhauch  des  Meeres 
gegründete  Bona  war  dagegen  gesund  und  hat  an  der  ganzen 
gegen  W  und  NW  trefflich  geschützten  Steilküste  in  mehreren 
kleinen  Buchten  guten  Ankergrund.  Die  neuzeitliche  Großschiff- 
fahrt freilich  erforderte  wirkliche,  auch  gegen  Nord-  und  Nord- 
oststürme schützende  Hafenanlagen.  Bona  besitzt  heute  einen 
fast  ganz  sichern,  freilich  bei  genannten  Windrichtungen  schwer 
zugänglichen  Hafen,  der  aber  nur  durch  beständiges  Baggern  in 
der  nötigen  Tiefe  erhalten  werden  kann,  denn-  die  Strömung 
trägt  die  Sinkstoffe  der  Seybuse  hinein.  Der  Dampfer,  mit 
welchem  ich  einlief,  wühlte  die  Sinkstoffe  mit  der  Schraube  auf 
und  der  Kapitän  versicherte  mir,  daß  er  nur  wenige  Zentimeter 
Wasser  unter  dem  Kiele  habe.  Man  hofft  dem  vorzubeugen  da- 
durch, daß  die  Mündung  des  großen  Vorhafens  von  der  Ost- 
auf die  Nordseite  verlegt  werden  soll. 


7.   Die  Stätte  von  Karthago. 

Über  die  Veränderungen  des  Küstensaums  an  der  Westküste 
des  Golfs  von  Tunis  gibt  es  schon  ziemlich  umfang-  und  zahl- 
reiche Veröffentlichungen.  Von  den  Untersuchungen  des  Verfassers 
abgesehen,  haben  J.  Partsch1)  und  Ch.  Tissot2)  sehr  eingehend 
über  die  Neulandbildungen  an  der  Mündung  des  Medscherda 
(Ton  auf  der  ersten  Silbe)  gehandelt.  Auch  Reclus  widmet  dem 
bei  der  großen  geschichtlichen  Wichtigkeit  eine  eingehende  Dar- 
stellung3). Alle  drei  geben  ihren  Untersuchungen  auch  Karten 
bei,  die  jedoch  sämtlich,  sei  es,  weil  die  topographische  Unter- 
lage ungenügend  war  oder  nicht  durch  Selbstsehen  verbessert  und 

1)  Petcrm.  Mitt.  1883,  S.  202.  Diese  Abhandlung  ist  zuerst  auf  Grund 
meiner  Forschungen  an  Ort  und  Stelle   1887  in  Peterm.  Mitt.  erschienen. 

2)  Geographie  comparee  de  la  Province  romaine  d'Afrique.  Paris  1884, 
I,  p.  74  f. 

3)  Geogr.  Univ.,  T.  XI,  p.  159. 


1^6  n,  7.    Die  Stätte  von  Karthago. 

ergänzt  werden  konnte,  noch  mehr  oder  weniger  zahlreiche  Fehler 
enthalten.  Am  mangelhaftesten  ist  die  Darstellung  der  Ober- 
flächenformen  merkwürdigerweise  bei  Tissot.  Ich  habe  diesem 
Gebiete,  das  mich  schon  seit  10  Jahren  beschäftigt  hat,  besondere 
Aufmerksamkeit  gewidmet  und  meine,  noch  manchen  neuen  Ge- 
sichtspunkt mitteilen,  Irrtümer  berichtigen  zu  können.  Um  Wieder- 
holungen, namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  treffliche  quellen- 
kritische Darstellung  j.  Partschs  zu  vermeiden,  sollen  nur  die 
Punkte  hervorgehoben  werden,  über  welche  sich  noch  Neues  vor- 
bringen läßt. 

Suchen  wir  zunächst  uns  zu  vergegenwärtigen,  welches  die 
Verteilung  von  Land  und  Meer  hier  am  Golf  von  Tunis  war,  be- 
vor die  beiden  hier  mündenden  Flüsse,  der  von  Westen  her 
kommende,  in  seinem  untersten  Laufstücke  an  die  Triasschichten 
durchsetzende  Bruchlinien  gebundene  Medscherda  und  der  weit 
kleinere  von  Süden  kommende  Wed  Miliane,  wohl  ein  reiner 
Abdachungsfiuß,  ihre  von  marinen  Kräften  beeinflußte  landbildende 
Tätigkeit  begannen.  Beide  sind  als  die  einzigen  dauernd  Wasser 
führenden  Flüsse  Tunesiens  anzusehen. 

Wir  haben  den  Golf  von  Tunis,  dessen  Umgebung  freilich 
geologisch  noch  nicht  hinreichend  erforscht  ist,  als  einen  Ein- 
bruchskessel aufzufassen,  der  sich  in  der  Quartärzeit  bildete  im 
Zusammenhange  mit  den  Vorgängen,  welche  Apennin  und  Atlas, 
Sizilien  und  Tunesien  voneinander  trennten  und  in  Verbindung 
mit  welchen  sich  die  vulkanische  Tätigkeit  auf  der  nun  unter- 
seeischen Schwelle  zwischen  Nordwest-  und  Südostbecken  des 
Mittelmeeres  (Pantelleria  und  Umgebung)  entwickelte.  Er  greift 
von  Nordost  nach  Südwest  in  das  Land  ein,  genau  an  der 
Nordostecke  der  Atlasländer  und  auf  der  Grenze  der  beiden 
gegen  diese  Nordostecke  zusammenlaufenden  junggefalteten  Gürtel 
des  Teil-  und  des  Sahara-Atlas.  So  wohl  bekannt  mir  die  Ein- 
würfe sind,  sehe  ich  noch  immer  die  beiden  die  Eingänge  in 
den  Golf  bezeichnenden  Vorgebirge,  Ras  Sidi  AU  el  Mekki 
(Promont.  Pulchrum)  am  westlichen,  Ras  Addar  (Kap  Bon,  393  m 
Promont.  Mercurii)  am  östlichen  Eingange  als  die  Enden  der 
beiden  gefalteten  Gürtel  des  Atlas  an.  Vollends  der  Grund, 
den  Atlas  am  Südrande  des  Golfs  von  Tunis  im  Dj.  Bu  Kurnin 
und  Ressas  endigen  zu  lassen,  weil  die  Halbinsel  Dakhelat 
el    Mauin    oder    el    Beschr    (im    Mittelalter    bei    Edrisi    Djazirat 


Bildung  des  Golfs  von  Tunis.  \cn 

Bachon,  bei  den  Europäern  gewöhnlich  Halbinsel  des  Kap  Bon 
genannt)  nur  aus  miocänen  Schichten  aufgebaut  sei,  kann 
für  den  Geographen  in  keiner  Weise  stichhaltig  sein.  Die 
Öffnung  des  Golfs  beträgt  zwischen  den  beiden  Vorgebirgen 
68  km  und  entspricht  ungefähr  der  Tiefenlinie  von  ioo  m,  die 
aber  im  Bogen  in  den  Golf  eingreift  und  noch  mehr  die  50  m- 
Linie,  die  bis  an  den  Eingang  der  innersten  Bucht  zwischen  Kap 
Kamart  und  Kap  Fartass  reicht.  Die  Tiefenlinie  von  10  m,  die 
für  die  heutige  Schiffahrt  so  wichtig  ist,  liegt  bei  diesen  beiden 
Vorgebirgen  wie  an  den  beiden  andern  dicht  unter  Land,  vor 
La  Goletta  aber  3,5  km  seewärts,  nördlich  von  Kap  Kamart  im 
allgemeinen  2,5  km.  Der  Golf  greift  50  km  tief  in  das  Land  ein. 
Für  seine  Entstehung  als  Einbruchskessel  spricht  die  Steilheit  seiner 
Ufer  an  der  Ostseite,  über  und  unter  See,  und  die  bei  Hammam 
Lif  am  Fuße  des  Dj.  Bu  Kurnin,  Hammam  Korbeus  und  Hammam 
el  Atrus  am  Fuße  von  Steilabstürzen  hervorbrechenden  heißen 
Quellen.  Hammam  Korbeus,  deren  Quellen  56 °  C.  haben,  war 
als  Aquae  Carpitanae  in  römischer  Zeit  ein  glänzender  Badeort 
und  wird  auch  jetzt  benützt,  während  Hammam  Lif  (47 — 490  C.) 
sich  zu  einem  europäischen  Badeort  entwickelt.  Namentlich  spricht 
aber  auch  der  Reichtum  an  Inseln  dafür,  die  man  sofort  alle  als 
junge,  vorwiegend  tektonische  Abgliederungsinseln  erkennen  wird: 
westlich  von  Kap  Bon  die  Aegimuren  der  Alten,  Djamur  el  Kebir 
(455  m)  und  Dj.  es  Srir  (53  m)  (Zembra  und  Zembretta),  vor  dem 
Kap  Sidi  Ali  el  Mekki  die  kleine  niedrige  Insel  Plane,  jene 
durch  die  50,  diese  durch  die  20  m-Linie  an  ihre  Vorgebirge 
angeschlossen.  Nördlich  von  dem  Halbinselvorsprunge  des  Kap 
Sidi  Ali  el  Mekki  die  ebenfalls  kleine,  aber  hohe  Insel  Pilau 
(117  m).  Auch  sah  ich  die  dem  jüngsten  Miocän  angehörigen 
Schichten  dieses  pfeilartig  nach  Osten  streichenden  schmalen  Rückens 
steil  nach  Süden,  also  gegen  den  Golf  einfallen,  wo  ihnen  kalkige 
Molasseschichten  des  Pliocän  (Ostrea  crassissima,  Pecten  Jacobaeus 
usw.)  auflagern,  während  sie  die  Schichtenköpfe  dem  schmalen 
gegen  Norden  vorgelagerten  Vorlande  zukehren.  Vor  allem  war 
aber  der  heute  verlandete  Teil  des  Golfs  an  Inseln  reich,  die 
eben  die  Landbildung  außerordentlich  gefördert  haben.  Solche 
Inseln  waren  der  heutige  Dj.  Menzel  RuI  (165  m),  an  dessen  Nord- 
ostspitze dem  heutigen  Plane  ähnlich  das  Inselchen  von  Utica 
lag.      Ferner  der  schmale    12  km  lange  Kücken   des  Kudiat  Tuba 


j  cg  II,  7.    Die  Stätte  von  Karthago. 

(59  m).  Ein  4.  Inselchen,  Kudiat  el  Mebtuh  (27  m)  und  ein  5.  Dj. 
Chauat  (114  m)  lagen  in  dem  jetzigen  gleichnamigen  Sumpfe. 
Eine  6.  war  Dj.  Maiana  (186  m)  nordöstlich  Teburba,  eine  7.  große 
Insel  ist  die  von  Karthago  (miocäne  Sandsteine,  129  m),  eine  8. 
die  kleine  Insel  Chekli  im  Haff  von  Tunis.  Ob  auch  die  Hügel 
von  Tunis,  der  Dj.  Amar  und  Dj.  Naheli,  als  solche  Inseln  auf- 
zufassen sind,  wage  ich  jetzt  nicht  zu  entscheiden.  Jedenfalls 
läßt  die  Umgebung  von  Tunis  zusammenhangslose  vereinzelte  Hügel 
von  Kreide-  und  Miocän-  (Sandsteine)  Gesteinen  erkennen.  Der 
Dj.  Amar  besteht  aus  Triasgesteinen.  Auch  die  Mornag- Ebene 
an  der  untersten  Miliana  ist  quartär. 

Der  Medschertia  ist  einer  der  eifrigsten  Deltabauer,  sein 
Wasser  ist  stets  mehr  oder  weniger  sihkstoffreich  und  getrübt,  da 
er  eine  ganze  Reihe  stufenförmig  übereinanderliegender  Becken 
durchfließt,  die  in  früherer  Zeit  von  ihm  mit  feinerdigen,  lehmig- 
tonigen  Sinkstoffen  ausgefüllt  worden  sind.  Heute  durchfließt  er 
diese  Becken  in  tief  eingeschnittenem  Bett  und  bereichert  sich 
dabei,  die  Ufer  unterwaschend,  mit  Sinkstoffen.  Diese  lagert  er, 
bei  Hochwasser  wenigstens,  weit  mehr  in  seinem  dann  weithin 
überschwemmten  Delta  als  im  Meere  ab.  Bei  gewöhnlichem 
Hochwasser  führt  er  500  cbm  Wasser  in  der  Sekunde,  bei  Über- 
schwemmung der  Ebene  2000.  Sehr  richtig  vergleicht  ihn  daher 
schon  Shaw  mit  dem  Nil,  denn  es  ist  eine  sehr  bedeutende  Fläche, 
die  so  ziemlich  alljährlich  im  Winter  oder  Frühling  vom  Flusse 
mit  außerordentlich  fruchtbarem,  feinem  Schlamm  überdeckt  und 
somit  allmählich  aufgehöht  wird.  Selbst  künstliche  Erhöhungen 
zur  Anlage  der  Dorfschaften  fehlen  nicht,  wenigstens  findet  sich 
eine  solche  am  heutigen  linken  Flußufer,  3Y2  km  unterhalb  der 
großen  Brücke  am  Fonduk.  Sie  trägt  heute  noch  bedeutende 
antike  Trümmer,  in  welchen  ein  armseliger  Duar  Platz  gefunden 
hat.  Freilich  von  einer  Regelung  der  Überschwemmung,  die  wohl 
jeden  Winter  einmal  die  ganze  Ebene  in  einen  großen  Süßwasser- 
see  verwandelt,  einer  Nutzbarmachung  ist  hier  keine  Rede,  im 
Gegenteil  sie  verwüstet  meist  die  Weizenfelder,  und  ich  fand  die 
Bauern  im  April  (1886)  nach  der  großen  Überschwemmung  vom 
Februar  überall  in  der  Ebene  beschäftigt,  die  eben  trocken 
werdenden  verschlammten  Felder  von  neuem  zu  pflügen,  um  noch 
eine  Gerstenernte  zu  erzielen.  Doch  ist  der  größte  Teil  der  Ebene 
heute  unangebaut,  größere  Sümpfe  und  Wasseransammlungen  halten 


Das  Delta  des  Medscherda. 


!59 


sich  auch  im  Sommer,  weite  Strecken  des  fruchtbaren  Schlammes 
reißen  dann  in  weiten  Spalten  auf,  so  daß  es  gefährlich  ist,  dar- 
über zu  reiten.  Die  eigentliche  Deltabildung  des  Flusses  beginnt 
52  km  oberhalb  der  heutigen  Mündung  bei  Djedeida,  wo  der 
Fluß  aus  einem  kurzen,  nur  10  km  langen  und  1,5  km  breiten 
Durchbruchstale,  zugleich  auch  seine  Richtung  ändernd,  heraustritt. 
Die  neue  Eisenbahn  nach  Algerien  tritt  durch  dieses,  gerade  auf  Tunis 
hinweisende  Tor  in  das  eigentliche  Medscherdatal  ein.  Oberhalb 
dieses  Tores  weitet  sich  das  Tal  sofort  wieder  zu  dem  untersten 
der  erwähnten  Talbecken,  dem  von  Teburba  bis  Medjez-el-Bab 
aus.  Unterhalb  Djedeida  dehnt  sich,  rings  von  Bergen  von  300  m 
Höhe  umgeben,  eine  sich  nach  Norden  neigende  Ebene  aus,  die 
innerste,  in  vorgeschichtlicher  Zeit  zugeschüttete  Ausbuchtung  des 
Golfs  von  Tunis,  die  noch  heute,  namentlich  in  ihrem  nördlichen 
Teile,  wo  sie  Garaet  el  Mebtuh  heißt,  sumpfig  ist  und  nur  als 
Weideland  dient.  Es  erscheint  mir  als  durchaus  wahrscheinlich, 
daß  hier  noch  in  geschichtlicher  Zeit  ungangbarer  Sumpf,  wie 
heute  nach  großen  Überschwemmungen  vorübergehend,  vorhanden 
war.  Diese  ganze  Ebene  würde  unschwer  zu  ent-  und  wieder 
künstlich  zu  bewässern  und  zu  befruchten  sein.  Durch  ein  Stau- 
werk bei  Djedeida  ließen  sich  damit  220  qkm  fruchtbarsten  Landes 
dem  Anbau  gewinnen  und,  nach  den  entsprechenden  Gegenden 
des  Nildeltas  urteilend,  für  mehr  als  50000  Ansiedler,  im  ganzen 
Delta  für  fast  die  dreifache  Zahl  Raum  gewinnen.  Allerdings 
unter  Beseitigung  der  Malariagefahr.  Ein  einsichtiger  Bey  hatte 
im  17.  Jahrhundert  bei  El  Batan  9  km  oberhalb  Djedeida  durch 
einen  holländischen  Wasserbaumeister,  aber  wohl  auf  römischer 
Grundlage  eine  große  Staubrücke  über  den  Medscherda  bauen 
lassen,  und  so  Bewässerungskanäle  durch  die  Olivenhaine  geleitet, 
deren  Spuren  noch  zu  erkennen  sind. 

Diese  ehemalige,  sich  etwa  21  km  in  NNO -Richtung  er- 
streckende Meeresbucht  stand  durch  zwei  Engen  mit  der  äußern 
Bucht  in  Verbindung,  indem  sich  derselben  im  Nordosten  die 
12  km  lange  schmale,  sich  nach  Norden  zuspitzende  Insel  von 
Kalftat  el  Wed  (Castra  Cornelia)  vorlagerte.  Dieser  Höhenrücken 
ist  bei  Tissot  durchaus  falsch  dargestellt1);  er  erreicht  im  Süden 

1)  Auch  das  Blatt  2  der  neuen  französischen  topographischen  Karte 
läßt  hier  eine  ösüichere  flache  Bodenschwclle  von  ca.  20  m  Höhe  nicht 
erkennen. 


1 60  1I>  !•    Die  Stätte  von  Karthago. 

in  dem  Kudiat  Tuba  die  größte  Höhe  von  59  m,  senkt  sich 
dann  an  der  Stelle,  wo  zugleich  seine  Richtung  aus  NNO  in  nahe- 
zu N  übergeht,  auf  20  m  herab  und  bietet  da,  wie  heute  der 
Straße  von  Tunis  nach  Bizerta,  so  im  Altertum  der  von  Karthago 
nach  Utica  den  natürlichen  Übergang.  Dort  führt  denn  auch 
eine  steinerne  Brücke,  deren  Grundlagen  römisch  sein  sollen, 
über  den  Fluß,  bei  welcher  man  einen  Fonduk,  danach  F.  el  Kan- 
tara  genannt,  errichtet  hat,  an  den  sich  ein  kleiner  Duar  anschließt. 
Die  Nordspitze  dieser  ehemaligen  Insel  trägt  bei  Kaläat  el  Andeless 
noch  heute,  obwohl  6l/2  km  ins  Land  gerückt,  durchaus  den 
Charakter  eines  steilen  Vorgebirges,  auf  welchem  man  unwillkür- 
lich einen  Leuchtturm  sucht.  Ehe  der  Fluß  seine  Sinkstoffe  hier 
dem  Meere  zuführte,  war  dies  Vorgebirge  von  der  Brandung  bei 
Nordostwinden  in  ähnlicher  Weise  umspült,  wie  heute  noch  das  von 
Karthago;  es  fiel,  von  der  Brandung  benagt,  in  steilen,  ca.  20  m 
hohen  Abstürzen  zum  Meere  ab,  genau  wie  es  in  Cäsars  Bellum 
civile  geschildert  wird:  „jugum  directum,  eminens  in  mare,  utra- 
que  ex  parte  praeruptum  atque  asperum".  Wenn  aber  schon 
Scipio  hier  um  das  Vorgebirge  sein  Schiffslager  aufschlagen  konnte, 
so  mußte  sich  bereits  ein  Saum  Neuland  um  dieses  aus  jung- 
tertiären bröckeligen  Kalksteinen  bestehende  Vorgebirge  gelagert 
haben.  Heute  liegt  auf  der  Spitze  das  große  Dorf  Kaläat  el 
Wed  oder  Galaat  el  Andeless. 

Das  Südende  dieser  ehemaligen  aus  dem  Schwemmlande 
des  Medscherda  auftauchenden  Insel  war  durch  eine  reichlich 
5  km  breite  Meerenge,  die  noch  heute  mit  ihrem  wagerechten 
Boden  den  Eindruck  einer  solchen  macht,  von  der  Hügelgruppe 
des  Dj.  Amar  (328  m)  und  des  über  eine  Einsattelung  damit  zu- 
sammenhängenden Dj.  Naheli  (261  m)  getrennt.  Durch  diese 
Meerenge  schob  der  Medscherda  in  der  Zeit,  in  welcher  zuerst 
geschichtliche  Überlieferung  diese  so  hervorragend  geschichtlich 
gewordene  Gegend  beleuchtet,  seine  Wasser-  und  Sinkstoffmassen 
dem  Meere  zu.  Hier  lag  die  Mündung  in  der  Zeit  des  soge- 
nannten großen  Söldnerkriegs  (240  v.  Chr.).  Die  durch  Wind  und 
Küstenversetzung  vor  der  Mündung  gebildete  Barre  benutzte 
Hamilkar  Barkas,  um  sein  Heer  auf  das  linke  Ufer  des  Stromes 
zu  bringen.  Vorher  aber  muß  wohl  notwendig  schon  einmal  sein 
Lauf  nach  N  gerichtet  gewesen  sein,  an  der  Westseite  der  Insel 
vorbei,  denn  die  Verlandung  des  Mebtuh-Beckens  und  der  zweiten 


Das  Delta  des  Medscherda.  1 6 1 

Enge,  durch  welche  dieselbe  mit  dem  äußern  Deltaland  in  Ver- 
bindung stand,  zwischen  dem  Nordende  der  Insel  und  dem  ge- 
nau demselben  parallelen  Halbinselvorsprung  von  Utica  kann  nur 
durch  den  Medscherda  erfolgt  sein.  Diese  nördlichere  ehemalige 
Meerenge  hat  eine  Breite  von  3000  m.  Damit  stimmt  allerdings  nicht 
überein  die  Angabe  derselben  oben  angeführten  Stelle  des  Bellum 
civile,  nach  welchem  die  Entfernung  des  Vorgebirges  von  Castra 
Cornelia  von  Utica  geradeswegs  etwas  über  1000  Schritt  betragen 
soll.  Die  Quelle,  die  sich  auf  diesem  geraden,  aber  sehr  sumpfigen 
Wege  befinden  soll,  vermag  ich  nicht  festzulegen,  da  doch  kaum 
die  warme  Quelle  von  Utica  (A'in  el  Hammam)  darunter  zu  ver- 
stehen ist.  Wolle  man  den  Sumpf  vermeiden,  so  müsse  man 
einen  Umweg  von  sechs  Meilen  machen ,  d.  h.  man  müßte  dem 
Höhenrücken  von  Castra  Cornelia  südwärts  folgen  und  die  Ebene 
ungefähr  da  überschreiten,  wo  die  Straße  von  Tunis  nach  Bizerta 
heute  sie  überschreitet,  und  offenbar  auch  die  Straße  Karthago 
bis  Utica  sie  überschritt.  Dort  war  also  schon  damals  ziemlich 
fester  Boden.  Auch  heute  ist  die  Strecke  zwischen  Galaat  und 
Bu  Schater  nur  im  Sommer  fest  und  trocken,  sonst  breiten  sich 
auch  heute  noch,  abgesehen  vom  Flusse  selbst,  Sümpfe  aus.  Es 
darf  wohl  angenommen  werden,  daß  in  dieser  Enge  eine  Er- 
höhung des  Schwemmlandes  dadurch  stattfand,  daß  der  Fluß 
hier,  nachdem  er  die  Mebtuhebene  wohl  in  viele  flache  Arme 
geteilt  durchirrt  hatte,  wieder  zusammengedrängt  und  von  der 
Brandung  gestaut  zum  Fallenlassen  der  letzten  Sinkstoffe  genötigt 
wurde.  Eben  die  Erhöhung  seines  Bettes  ließ  ihn  dann  wohl 
bei  einem  Hochwasser  sich  den  südlichen  Engen  (wieder)  zu- 
wenden. Hier,  wo  der  Fluß  aus  der  Enge  heraustrat,  war  dem- 
nach der  bequemste  Übergang,  wenn  man  von  Karthago  nach 
Utica  wollte,  hier,  fast  genau  mittewegs  Sebala  und  Fonduk,  wo 
die  Straße  heute  noch  einen  alten  Flußlauf  quert,  müssen  wir 
demnach  die  Brücke  und  die  Stadt  an  der  Brücke  suchen,  bei 
welcher  nach  Polybios  (I,  75)  Hamilkar  Barkas  die  Söldner 
schlägt.  An  diese  Stelle  konnten  die  Söldner  von  dem  1 2  km 
entfernten  Utica  zu  Hilfe  eilen,  von  hier  mußten  sich  die  Geschlagenen, 
nachdem  die  am  Südufer  gelegene  Stadt  an  der  Brücke  ge- 
nommen, naturgemäß  nach  Tunis  flüchten,  denn  die  Einsenkung 
zwischen  Dj.  Amar  und  Dj.  Naheli  verbindet  eben  diesen  Punkt 
mit   Tunis.     Der  Verlauf  der   Straßen   ist    in   einem  Gebiete   wie 

Fischer,  Mittelmcerbilder.    Neue  Folge.  II 


IÖ2  n,  7-    Die  Stätte  von  Karthago. 

dieses,  wo  Berge,  Sümpfe  und  Flußläufe  wechseln,  streng  geo- 
graphisch bedingt.  Ich  bin  zweimal  nahe  an  jener  Stelle  vorbei- 
gekommen, hatte  aber  nicht  die  Zeit,  nach  Trümmern  der  Stadt 
und  der  Brücke  zu  forschen,  meinte  auch,  daß  dieselben  im 
Schlamm  vergraben  seien.  Erst  beim  Abschluß  der  Arbeit  fiel 
mir  ein  sehr  versteckter  Bericht  von  Daux  in  die  Hand1),  nach 
welchem  dieser  wirklich  an  der  von  mir  aus  den  örtlichen  Ver- 
hältnissen geschlossenen  Stelle  Reste  einer  Brücke  und  einer 
alten  Stadt  dicht  dabei  auf  etwas  erhöhtem  Boden  gefunden 
haben  will.  Daux  meint,  sie  müsse  Cigissa  oder  Cigisa  geheißen 
haben. 

Hier  lag  also  die  älteste  geschichtlich  festgestellte  Mündung 
des  Medscherda,  sie  war  allmählich  bis  auf  10  km  vom  nord- 
westlichen Stadtteile  von  Karthago,  der  Totenstadt  auf  dem  Vor- 
gebirge Kamart,  vorgerückt  und  lag,  wie  Tissot  und  schon  im 
vorigen  Jahrhundert  Shaw  annehmen,  unmittelbar  unter  dem  nord- 
östlichsten, ebenfalls  Vorgebirgscharakter  tragenden  Vorsprunge 
des  Dj.  Naheli,  den  heute  der  weithin  sichtbare  Marabut  Sidi 
Amor  bu-Ktiua  krönt.  Freilich  lag  eine  Meeresbucht  zwischen 
beiden  Punkten.  Hier  mündete  der  Fluß,  wie  Partsch  hervor- 
gehoben hat,  noch  49  v.  Chr.  In  der  darauf  folgenden  Zeit  be- 
gann er  aber  seine  Mündung  immer  weiter  nach  Norden  vorzuschieben, 
zunächst  an  der  Außenseite  der  Insel  entlang,  wo  noch  heute  der 
alte  Flußlauf  deutlich  zu  erkennen  ist,  dann,  als  der  Weg  durch 
die  südliche  Enge  mehr  und  mehr  versperrt  wurde,  an  der  Innen- 
seite entlang,  so  daß  er  schließlich  die  heutige  Richtung  ein- 
schlug und  den  Teil  der  Bucht,  welcher  vor  den  Vorgebirgen 
von  Utica  und  Castra  Cornelia  lag,  zu  verlanden  begann.  Daß 
dazwischen  eine  Zeit  gelegen  hat,  wo  der  Fluß  zwei  Mündungen 
nördlich  und  südlich  der  Insel  hatte,  ist  wahrscheinlich  und  er- 
klärt die  abweichenden  Angaben  der  Quellen.  Es  war  genau  so 
wie  heute,  wo  der  eine  Berichterstatter  und  die  eine  Karte  die 
Mündung  in  das  Haff  von  Porto  Farina  verlegen,  der  andre  un- 
mittelbar ins  Meer.  Es  brach  sich  der  Fluß  mit  der  allmählichen 
Verlegung  der  südlichen  Enge  erst  gelegentlich  nach  Norden 
Bahn  und  behielt  noch  die  östliche  als  eigentliche  Mündung  bei, 


1)  Comptes   rendus    de  l'Academie    des    Inscriptions    et   Beiles    Lettres 
N.  S.  IV  a.  1868,  p.  155. 


Das  Delta  des  Medscherda. 


163 


nach  und  nach  aber  wurde  jene  die  Hauptmündung,  und  erlosch 
diese  gänzlich.  Die  Erhöhung  des  Unterlaufes,  die  Verstopfung 
der  Mündung  durch  eine  Barre,  die  Bildung  einer  Nehrung  — 
die  heutige  flache  Sebcha  Er  Riana  ist  wohl  der  Rest  eines  Vor- 
gängers des  Haffs  von  Porto  Farina  —  zugleich  auch  Erhöhung 
und  Verengung  des  Durchganges  zwischen  der  Insel  und  dem 
Dj.  Amar  durch  die  von  demselben  herabkommenden  Gießbäche, 
mochten  die  Hauptursachen  der  nördlichen  Abschwenkung  des 
Flusses  sein.  Daß  derselbe  außer  jener  ältesten  nachweisbaren 
Mündung  unter  Sidi  Amor  bu-Ktiua,  wo  der  Flußlauf  noch  sehr 
deutlich  zu  verfolgen  ist,  noch  mehrere  andere  weiter  nördlich  ge- 
habt hat,  kann  nicht  bezweifelt  werden;  ich  selbst  habe  Stücke 
alter  Flußläufe  in  der  fraglichen  Gegend  gefunden,  einzelne  füllen 
sich  sogar  streckenweise  im  Winter  mit  Regenwasser,  aber  es  ist 
mir  nicht  gelungen,  die  von  Tissot  eingezeichneten  Flußbetten  in 
dieser  sichern  Weise  festzustellen.  Es  muß  auch  Bedenken  er- 
regen, daß  Tissot,  der  freilich  über  ganz  ungenügende  Karten 
verfügte,  den  Höhenrücken  der  ehemaligen  Insel,  die  er  auf 
2i1/2  km  verlängert  (!),  in  der  Mitte,  wo  er  ihn  als  Dj.  Kabeur  el 
Djehela  bezeichnet,  so  riesig  verbreitert,  und  den  Fluß  diese 
tafellandartige  Hügelmasse  rings  umfließen  läßt.  Falls  hier  nicht 
ein  grober  Fehler  des  Zeichners  vorliegt,  wie  wahrscheinlich,  so 
müßte  man  den  Verdacht  hegen,  Tissot,  der  wohl  selbst  diese 
Karte  nicht  mehr  hat  nachsehen  können,  habe  die  Örtlichkeit 
gar  nicht  betreten,  sonst  wäre  eine  so  irrige  Darstellung  des  Ge- 
ländes, die  schon  den  klassischen  Berichten  widerspricht,  unmög- 
lich. Um  diese  Flußläufe  so  festzulegen,  wie  sie  auf  Tissots 
Karte  sich  finden,  ist  eine  sehr  eingehende  Untersuchung  des 
Geländes  Voraussetzung.  Mir  war  gerade  an  diesem  Punkte 
eine  solche  nicht  möglich.  Auf  Partschs  Karte  ist  ein  Flußlauf 
aus  römischer  Zeit  mitten  durch  die  ehemalige  Insel  verzeichnet. 
Das  ist  natürlich  auch  unmöglich.  Die  neuen  französischen  Auf- 
nahmen lassen  mehrere  alte  Flußläufe  in  dieser  ehemaligen  Meer- 
enge erkennen,  auch  ganz  junge  durchgebrochene  Flußschlingen 
finden  sich. 

Seit    den    ersten  Jahrhunderten    unsrer  Zeitrechnung    ist    also 
der  Schauplatz   der  Landbildung  nach  Norden  verlegt. 

Aus    einer   Bemerkung   bei    Shaw   S.  7 1 ,    daß   man   auf  dem 
Wege   von    Sidi   Ali    (Amor)    bu    Ktiua   nach  Galaat   (Kaläat)    die 


164  H>  7.    Die  Stätte  von  Karthago. 

Ebene  mit  Tannenzapfen,  Stämmen  von  starken  Bäumen  und 
andern  Anzeichen  großer  Überschwemmungen  bedeckt  finde, 
müßte  man  schließen,  daß  noch  anfangs  des  18.  Jahrhunderts 
das  Hochwasser  des  Medscherda  durch  die  südliche  Enge  sich 
ausgebreitet  habe.  Es  erscheint  mir  dies  wenig  wahrscheinlich. 
Nördlich  von  Galaat  kann  man  jene  Anzeichen  von  Über- 
schwemmungen heute  allenthalben  finden,  obwohl  ich  Zapfen 
der  Aleppokiefer  entsprechend  der  Verwüstung  der  Wälder 
im  Quellgebiet  des  Medscherda  nicht  mehr  sehr  häufig  gefunden 
habe.  Die  ganze  Ebene  östlich  des  niedrigen  Rückens  von  Galaat, 
die  Garaa  bu  Ammar,  ist  noch  heute  sumpfig  und  seewärts  von 
Haffen,  welche  ein  schmaler  niedriger  Dünenzug  vom  Meere  trennt, 
begleitet.  Auch  nördlich  von  Galaat  ist  die  Ebene  von  win- 
dungsreichen alten  Flußläufen  gefurcht.  Die  Verlandung  der 
Sebcha  Er  Riana  (oder  Er  Ruan)  ist  auch  noch  in  geschichtlicher 
Zeit  zu  verfolgen.  Sie  war  noch  in  den  letzten  Jahren  des  puni- 
schen  Karthago  ein  offener  Meeresteil,  tief  genug,  daß  eine 
Zeitlang  die  römische  Flotte  an  ihrer  Südküste,  dem  Nordrande 
der  Landenge,  welche  die  Halbinsel  von  Karthago  mit  dem  Fest- 
lande verbindet,  sich  aufstellen  und  die  Verbindung  mit  Italien 
unterhalten  konnte1).  Seitdem  erst  hat  sich  also  die  Nehrung 
gebildet,  die  von  dem  sandreichen  Kap  Kamart  aus  diese  Bucht 
zum  Haff  gemacht  hat.  Sie  liegt  im  Sommer  schon  zum  großen 
Teil  trocken. 

Die  Halbinsel  von  Utica  und  die  nur  kurze  Zeit  als  Halb- 
insel vorhanden  gewesene,  rasch  völlig  verlandete  ehemalige  Insel 
werden  von  Schwemmland  umhüllt.  Utica,  noch  kurz  vor  Beginn 
unsrer  Zeitrechnung  Seestadt  und  Hafen,  wird  bereits  nicht  mehr 
als  solcher  bezeichnet  in  der  uns  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
3.  Jahrhunderts  n.  Chr.  erhaltenen  Abfassung  einer  alten  Segel- 
anweisung (Stadiasmos).  Gegen  Ende  der  Kaiserzeit  beginnt 
Utica  zu  veröden,  denn  mit  Recht  schließt  dies  Daux  aus  dem 
Umstände,  daß  er  keine  Spur  byzantinischer  Neubauten  mit  altern 
Resten  dort  finden  konnte. 

Doch  gab  es  bis  zur  Eroberung  durch  die  Araber  Bischöfe 
von  Utica,  der  letzte,  Potentinus,  floh  683  vor  jenen  nach  Spanien2). 


1)  O.  Meltzer:  Gesch.  der  Karthager  II,  S.  157. 

2)  Maltzan  I,  S.  331. 


Die  Stätte  von  Utica. 


I65 


Seitdem  war  die  immer  mehr  von  fieberschwangern  Sümpfen  um- 
schlossene Halbinsel  wohl  völlig  verödet,  nur  ein  armseliges  Dorf, 
Bu  Schatir,  nach  zwei  dicht  beieinander  auf  dem  zweiten 
Hügel  gelegenen  Marabuts  genannt,  erhob  sich  unmittelbar  über 
der  großen  Zisterne  auf  der  Spitze  des  dritten  Hügels.  An  Stelle 
dieses  seitdem  i1^  km  weiter  westwärts  auf  dem  Höhenrücken 
verlegten,  jetzt  nur  aus  fünf  Hütten  bestehenden  Araberdorfes  ist 
seit  dem  Besuche  Maltzans  (1868)  ein  großer  Meierhof  eines 
rasch  reich,  aber  fast  ebenso  rasch  wieder  arm  gewordenen 
Tunesen  getreten,  nach  demselben  bis  vor  kurzem  Bordsch  Ben 
Ayed  genannt.  Im  Jahre  1885  ist  die  Ruinenstätte  von  Utica 
mit  dem  Meierhof  und  einer  weiten  Umgebung  in  den  Besitz 
eines  französischen  Grafen  Frank  übergegangen,  der  den  ganzen 
Hügelzug  und  die  Stätte  von  Utica  mit  Reben  bepflanzen  läßt. 

Daß  Utica  die  älteste  phönikische  Ansiedelung  am  Golfe 
war,  wird  bei  Untersuchung  und  Vergleichung  der  Örtlichkeiten 
von  Utica  und  Karthago  sofort  klar.  Das  älteste  Utica  lag  auf 
einer  kleinen  Insel  vor  der  Spitze  der  Halbinsel  und  wuchs  erst 
allmählich  auf  die  Halbinsel  hinüber.  Seine  Lage  war  ganz  ge- 
eignet für  eine  erste  Niederlassung  von  Kaufleuten,  sie  war  ähn- 
lich der  von  Ubbo  (Hippo)  eine  echt  phönikische  Handelslage. 
Dagegen  waren  die  Phöniker,  die  sich  auf  der  weiten,  einer 
riesigen  Großstadt  Raum  bietenden,  in  jeder  Hinsicht  groß  ange- 
legten Halbinsel  von  Karthago  niederließen,  unbedingt  von  vorn- 
herein zahlreicher,  selbstbewußter,  sie  waren  nicht  lediglich  auf 
Erwerb  und  gute  Beziehungen  zu  den  Eingeborenen  bedachte 
Kaufleute,  sondern  nicht  unbemittelt  kommende  Glieder  einer  in 
den  innern  Kämpfen  unterlegenen  politischen  Partei,  die  hier  von 
vornherein  nach  politischer  Macht  strebte.  Zwischen  der  Gründung 
von  Utica  und  der  von  Karthago  ist  daher  gewiß  ein  langer 
Zeitraum  verflossen.  Der  Unterschied  der  Lagenverhältnisse  ist 
ein  so  bedeutender,  daß  Utica  jederzeit  hinter  Karthago  zurück- 
stehen mußte.  Auch  die  landschaftlich  so  anziehende  Hügel- 
gruppe von  Karthago  (Höhe  von  Sidi  Bu  Said  141  m)  bildete 
ursprünglich  eine  Insel,  nur  dürfte  deren  Landfestwerden  min- 
destens in  frühquartäre  Zeit  fallen;  die  Landenge  besteht  zum  Teil 
aus  Schichten  ziemlich  festen  Kalksteins,  in  dem  an  den  wenigen 
Punkten,  wo  ich  ihn  untersuchen  konnte,  Versteinerungen  ganz  fehlen. 
Gewiß  war  sie  bei  Gründung  der  Stadt  schmäler  als  jetzt. 


1 66  II.  !•    Die  Stätte  von  Karthago. 

Die  Landbildung  ist  hier  in  den  letzten  18  Jahrhunderten 
sehr  rasch  vor  sich  gegangen,  denn  die  Landfläche,  welche  sich 
seitdem  hier  gebildet  hat,  ist  nicht  sehr  viel  kleiner,  als  die  in 
den  Jahrhunderten  vor  Beginn  unsrer  Zeitrechnung  gebildete. 
Überhaupt  ist  die  Landbildung  in  geschichtlicher  Zeit  viel  rascher 
vor  sich  gegangen  als  in  vorgeschichtlicher.  Den  in  letzterer 
gebildeten  etwa  220  qkm  stehen  350  in  ersterer  gebildete  gegen- 
über, von  denen  die  Sebcha  Er  Riana  und  das  Haff  von  Porto 
Farina  mit  24  und  26  qkm  als  noch  nicht  verlandet  abzuziehen 
sind.  Daß  die  Landbildung  in  geschichtlicher  Zeit  rascher  vor 
sich  gegangen  ist,  durfte  man  bei  sonst  sich  gleich  bleibenden 
Verhältnissen  als  eine  Folge  der  Ausdehnung  des  Anbaues  und 
der  Waldverwüstung,  damit  auch  der  Hochwasser  und  der  in 
diesem  Klima  rascher  fortschreitenden  Abtragung  erwarten.  Das 
Medscherda-Gebiet  war  ja  das  Gebiet  dichtester  Besiedelung  und 
höchster  Kultur  im  römischen  Afrika,  im  Medscherda-Tale  auf- 
wärts drangen  die  römischen  Ansiedler  auf  das  Hochland  vor. 

Besondere  Aufmerksamkeit  verdient  noch  die  Lage  der 
Mündung  des  Flusses,  denn  wunderbarerweise  gehen  darüber  die 
Angaben  auffällig  auseinander.  Ich  selbst  ließ  bisher  auf  Grund 
des  kartographischen  Urmaterials,  der  neuen  französischen  topo- 
graphischen Karte  von  Tunesien,  deren  betreffendes  Blatt  im 
Mai  1884  ausgegeben  ist,  den  Fluß  in  das  Haff  von  Porto  Farina 
münden,  das  Gleiche  und  wohl  aus  gleichem  Grunde  tut  Tissot 
und  Reclus,  während  Partsch,  wohl  der  Darstellung  der  1883 
noch  als  Urmaterial  hier  anzusehenden  Seekarten  folgend,  den 
Fluß,  wenn  auch  unter  Abgabe  von  Nebenarmen  an  das  Haff, 
unmittelbar  ins  Meer  führt.  Und  diese  Darstellung  ist  die  richtige, 
so  schwer  man  an  einen  so  groben  Irrtum  auf  einem  so  wichtigen 
Kartenwerke,  wie  das  genannte  amtliche  französische  ist,  noch 
dazu  in  einer  der  Hauptstadt  nahen  Gegend,  glauben  mag.  Der 
Medscherda  mündet  nicht  in  das  Haff  von  Porto  Farina,  sondern 
unmittelbar  ins  Meer,  er  sendet  nur  gelegentlich  bei  Hochwasser 
im  Winter  Nebenarme  in  das  Haff.  Aber  auch  diese  sind  auf  den 
neuesten  französischen  Kartenausgaben  nicht  eingezeichnet.  Das 
hätte  man  jeden  Tag  im  Kanal  von  La  Goletta  von  den  dort 
liegenden  Barkenführern  von  Porto  Farina  erfahren  können.  Ich 
habe  mir  einen  Einblick  in  diese  Verhältnisse  auf  einer  drei- 
tägigen Fahrt  auf  einer  kleinen  Segelbarke  von  Porto  Farina,  die 


Die  Mündung  des  Medscherda.  l57 

ich  in  La  Goletta  gemietet  hatte,  an  der  ganzen  Küste  entlang 
und  auf  dem  Haff  verschafft,  und  denselben  durch  Fußwande- 
rungen durch  die  nach  dem  Hochwasser  vom  Februar  besonders 
unwegsamen  Sümpfe  an  der  Mündung  des  Flusses  noch  weiter 
vertieft.  Doch  ist  es  erklärlich,  wie  diese  irrige  Darstellung  auf 
die  französische  Karte  gekommen  ist.  Die  Aufnahme  hat  jeden- 
falls im  Winter  stattgefunden,  wo  diese  Sümpfe  allerdings  schwerer 
zugänglich,  aber  frei  von  Fieber  sind.  Vielleicht  war  der  be- 
treffende Winter  ein  besonders  regenreicher,  und  gab  der  Fluß 
infolgedessen  besonders  starke  Arme  an  das  Haff  ab,  die  somit 
leicht  als  Hauptarme  angesehen  werden  konnten.  Freilich  hätte 
die  so  völlig  abweichende  Darstellung  der  französischen  Seekarte 
Nr.  3487  zur  Vorsicht  mahnen  sollen.  Die  Mündung  des  Med- 
scherda liegt  tatsächlich  jetzt  4  km  südöstlich  von  der  Mündung 
des  Haffs  und  ist  seit  der  Aufnahme  Mouchez'  von  1876  und 
wohl  mindestens  100  m  vorgerückt.  Doch  bezieht  sich  dies  nur 
auf  die  Spitze  der  Flußmündung  selbst,  die  sich  aber  unterseeisch 
weit  vorgeschoben  hat,  so  daß  selbst  flachgehende  Barken  eine 
weite  Ausbiegung  nach  O  machen  müssen,  um  diese  sich  vor  die 
Mündung  des  Haffs  vorschiebende  Untiefe  zu  vermeiden.  Im 
April  dieses  Jahres  hatte  sich  vor  der  Mündung,  und  zwar  recht 
bezeichnend  an  der  linken  Seite  eine  wohl  1,5  km  lange  schmale 
Sandinsel  gebildet,  welche  durch  einen  nach  Norden  abgehenden 
seichten  Arm  noch  vom  Lande  geschieden  war,  jedenfalls  aber 
bald  mit  demselben  verwachsen  wird.  Ihre  Südspitze  war  der 
Sammelplatz  einer  ungeheuren  Möwenschar,  die  auf  den  Untiefen 
an  der  Flußmündung  reichliche  Nahrung  fand.  Der  Strand  wird 
von  einer  sehr  flachen,  etwa  200  m  breiten  Düne  gebildet,  hinter 
welcher  sich  die  von  Salzpflanzen  bedeckten,  sich  durch  die 
Überschwemmungen,  welche  feinen  Schlamm  ablagern,  stetig  er- 
höhenden Sümpfe  ausdehnen.  Da  die  Franzosen  auf  der  rechten 
Seite  der  Deltaspitze  wohl  bei  der  neuen  Aufnahme  unter  Manen 
1882  eine  hölzerne  Pyramide  als  Seezeichen  errichtet  haben,  so 
wird  es  möglich  sein,  das  Vorrücken  derselben  zu  messen.  Schon 
eine  Vergleichung  der  Aufnahme  Manens,  deren  Ergebnisse  noch 
nicht  veröffentlicht  sind,  mit  derjenigen  Mouchez'  von  1876  wird 
lehrreich  sein. 

Die   Schwierigkeit,    zu   entscheiden,    ob    der  Medscherda   in 
das  Haff   oder   unmittelbar    ins   Meer  münde,   ist  schon   alt,   aber 


l68  II)   7-    Die  Stätte  von  Karthago. 

durchaus  erklärlich,  zumal  tatsächlich  bezeugt  ist,  daß  der  Strom 
wiederholt  in  das  Haff  gemündet  hat  und  immer  wieder  künstlich 
davon  abgelenkt  worden  ist,  um  seine  Verlandung  zu  verhüten. 
So  neuerdings1),  aber  auch  schon  Ende  des  17.  Jahrhunderts2). 
Von  dem  Augenblicke  an,  wo  der  Fluß  seine  Mündung  nord- 
wärts zwischen  Galaat  und  Bu  Schatir  ins  Meer  vorzuschieben 
begann,  mußte  der  Teil  der  Bucht,  welcher  hier  noch  am  steilen 
Südhange  des  als  scharf  zugespitzte  Halbinsel  und  dem  nach  dem 
Marabut  Sidi  Ali  Mekki  benannten  Vorgebirge  endigenden  Dj. 
Nadur  ins  Land  hinein  rückte,  mehr  und  mehr  zu  einem  sich 
rasch  verengenden  Haff  am  Fuße  des  Gebirges  umgewandelt 
werden.  Der  Fluß  hat  hier  wohl  fast  immer  zwei  Mündungen 
gehabt,  wenn  auch  diejenige  unmittelbar  ins  Meer  immer  die 
Hauptmündung  gewesen  ist.  Das  ergibt  die  Art  des  Vorrückens 
der  Landbildung  und  die  Küstenumrisse.  Die  Absperrung  des 
Haffs  nach  der  Seeseite  ist  vorzugsweise  mit  Sinkstoffen  herge- 
stellt, welche  der  Medscherda  ins  Meer  getragen  hat,  und  die 
nun  von  der  Strömung  (und  den  Wellen)  nordwärts  getragen  und 
vor  dem  Haff  abgelagert  worden  sind.  Ich  habe  schon  früher 
einen  Neerstrom  als  die  Kraft  bezeichnet,  welche  vorzugsweise 
die  nördliche  Verschiebung  der  Medscherda-Mündung  verursacht 
hat.  Es  ist  mir  gelungen,  auch  dafür  einen  neuen  Beweis  zu 
liefern.  Bei  einer  Landung  am  Strand  etwas  nördlich  der  Med- 
scherda-Mündung fand  ich  ein  ganz  frisches,  gekrümmtes  Stück 
Schiffsbauholz,  wie  es  zur  Herstellung  der  Rippen  kleiner  Barken 
verwendet  wird.  Mein  Barkenführer  betrachtete  es  sofort  als 
wertvolle  Beute  und  schleppte  es  an  Bord.  Wir  stellten  fest,  daß 
dasselbe  bei  dem  Nordoststurme  im  Februar,  wo  das  Wasser, 
wie  ich  selbst  noch  auf  der  Nehrung  von  La  Goletta  habe  be- 
obachten können,  weit  auf  die  flachen  Ufer  hinaufstieg,  von  den 
kleinen  Bootsbau-  und  Ausbesserungsplätzen  von  La  Goletta  weg- 
gespült und  von  der  Strömung  50  km  weit  nordwärts  getragen 
worden  ist.  Es  lag,  wohlgemerkt,  auf  der  linken  Seite  der  Fluß- 
mündung, es  war  also  in  das  Flußwasser  geraten,  und  mit  diesem 
nach  links,    nach  N  abgelenkt  worden.     Das  Vorhandensein    der 


1)  Monchicourt,  Ann.  de  Geogr.   1904,  p.  145. 

2)  Davis,  Karthago  und  seine  "Überreste.    Aus  dem  Engl.    Leipzig  1863. 
S.  297. 


Das  Haff  von  Porto  Farina. 


169 


Sebcha  Er  Riana  ließe  auch  auf  eine  solche  Strömung  schließen, 
sie  ist,  weil  zur  Rechten  der  ehemaligen  Medscherda-Mündung 
gelegen,  nicht  verlandet  worden.  Sie  verlandet  erst  jelzt  langsam 
von  der  Seeseite  her,  indem  der  Wind  die  Sandmassen  der 
hohen  Dünen,  welche  er  nördlich  von  Kamart  aufgehäuft  hat, 
landeinwärts  trägt.  Das  lieblich  gelegene  palmenreiche  Dorf 
Kamart  selbst  ist  schon  gefährdet.  Zum  Teil  sind  diese  Dünen 
auf  die  Zerstörung  der  aus  (miocänem)  Sandstein  und  Konglo- 
meraten bestehenden  Steilküste  der  Hügelgruppe  von  Karthago 
zurückzuführen.  Auch  dort  lassen  Trümmer  des  Altertums  vom 
Fuße  des  Byrsahügels  bis  Kap  Kamart  das  Zurückweichen  des 
Strandes  unter  dem  Andrang  der  Brandungswelle  deutlich  er- 
kennen. Der  Hafenkapitän  von  La  Goletta  bestätigte  mir  auch 
das  Vorhandensein  einer  solchen  Gegenströmung,  die  namentlich 
bei  O  und  NO  sehr  kräftig  sei,  doch  komme,  wenigstens  im 
südlichsten  Teile  des  Golfes,  gelegentlich  auch  eine  Strömung  in 
entgegengesetzter  Richtung,  um  das  Südende  des  Golfs  nach  O 
und  NO,  vor,  namentlich  wenn  nach  länger  andauerndem  O  und 
NO  kräftige  Westwinde  eintreten  und  das  vorher  im  Haff  von 
Tunis  aufgestaute  Wasser  um  so  rascher  wieder  abfließen  machen. 
Als  Beleg  führte  er  an,  daß  die  Leichen  von  drei  Matrosen  einer 
am  Eingange  in  dies  Haff  gescheiterten  Bark,  deren  Wrack  ich 
noch  liegen  sah,  gegen  Hammam  Lif  getragen  und  dort  auf- 
gefunden worden  waren,  und  daß  ein  vom  französischen  Ge- 
schwader auf  der  Reede  verloren  gegangener  ungeladener  Torpedo 
in  ebendiese  Richtung  getragen  worden  sei. 

Neben  der  Strömung  ist  aber  unbedingt  auch  der  Wellen- 
bewegung, welche  die  ins  Meer  getragenen  Sinkstoffe  zurückstaut, 
hier  ein  Einfluß  bei  der  Landbildung  und  der  Gestaltung  der 
Küstenumrisse  zuzuschreiben.  Unbedingt  aber  werden,  weil  ab- 
seits der  Flußmündung,  auf  der  rechten  Seite  derselben  gelegen, 
das  Haff  von  Tunis  und  die  Sebcha  Er  Riana,  die  ich  bereits 
eine  Vorgängerin  des  Haffs  von  Porto  Farina  nannte,  länger  vor- 
handen sein  als  letztere,  deren  Verlandung  sehr  rasch  vorschreitet. 
Die  Strömung  und  die  Brandungswelle  baut  die  Mündung  zu, 
die  überhaupt  nur  noch  durch  den  periodisch  einmündenden 
Medscherda  offen  erhalten  wird,  der  aber  seinerseits  das  Haff 
zuschüttet.  Ohne  die  periodisch  vom  Flusse  in  das  Haff  ge- 
führten Wassermassen  würde  die  Mündung  (El  Boghaz),  das  Tief, 


170  II)  7-    Die  Stätte  von  Karthago. 

längst  geschlossen  sein,  das  Wasser  des  Flusses  hält  es  offen, 
und  das  durch  den  Windwechsel  von  O  nach  W  hervorgerufene 
Ein-  und  Ausströmen  wirkt  dabei  mit.  Es  steigt  das  Wasser  im 
Haff  bei  steifem  O  und  SO,  wie  ich  einen  solchen  dort  erlebte, 
sehr  bedeutend,  in  wenigen  Stunden  um  i  m,  die  Brandung  an 
der  Barre  ist  dann  so  riesig,  daß  ein  Aus-  oder  Einlaufen  ganz 
unmöglich  ist,  man  ist  einfach  eingesperrt.  Ich  brauchte,  da 
meine  Zeit  zu  kostbar  war,  als  daß  ich  auf  passendes  Wetter 
hätte  warten  können,  drei  Stunden,  um,  gegen  den  Wind  an- 
kreuzend, über  das  Haff  an  die  Nordspitze  der  südlichen  Nehrung 
zu  gelangen,  3  km  weit!  Auch  war  die  Sache  durchaus  nicht 
ohne  Gefahr;  meine  selbstverständlich  nicht  wasserdicht  gekleideten 
Bootsleute,  die  ich  nur  mit  Mühe  hinausgebracht  hatte,  waren 
nach  wenigen  Minuten  völlig  durchnäßt  und  hatten  viel  Arbeit, 
das  Boot,  das  alle  Augenblicke  vollschlug,  über  Wasser  zu  halten 
und  vor  dem  Kentern  zu  bewahren.  Doch  hatte  ich  gerade  bei 
dieser  Fahrt  gute  Gelegenheit,  den  Einfluß  des  Windes  und  des 
Windwechsels  auf  Bildung  der  Barre  und  der  Nehrung  wie  auf 
Offenhaltung  der  Mündung  zu  beobachten.  Die  Entstehung  dieser 
Nehrung  nämlich  ist  sehr  lehrreich.  Anstoß  zu  ihrer  Bildung  gab 
zunächst  die  Strömung,  die  Küstenversetzung  und  die  Brandungs- 
welle, welche  auf  der  linken  Seite  der  Flußmündung  eine  näher 
an  dieser  bald  überseeisch  werdende,  dem  Meere  die  konkave 
Seite  zukehrende  Nehrung  schuf.  Damit  war  aber  auch  der  An- 
halt zur  Ablagerung  der  feinern  vom  Medscherda  in  das  neu- 
gebildete Haff  herbeigeführten  Sinkstoffe  an  der  innern  Seite  ge- 
geben. So  besteht  die  von  Süden  gegen  das  Tief  vorgeschobene 
Nehrung  aus  zwei  an  der  Spitze  verwachsenen  Kurven,  einer 
äußern  außerordentlich  regelmäßigen,  nach  dem  Meere  konkaven, 
und  einer  innern  von  den  Westwinden  gebildeten,  nach  dem 
Haff  zu  konkaven.  Dazwischen  liegt  noch  offenes  Wasser.  Die 
nördliche,  an  den  Dj.  Nadur  angelagerte  Nehrung  besteht  auch 
ihrerseits  aus  zwei  an  der  Spitze  verwachsenen,  offenes  Wasser 
einschließenden  Kurven,  aber  beide  sind  gegen  das  Haff  hin 
konkav,  beide  sind  vom  Westwinde  auf  der  früher  vorhandenen, 
aber  wohl  unterseeisch  gebliebenen  Nehrung  aufgebaut  worden, 
die  äußere,  flacher  gekrümmte  in  einer  frühern,  kürzern  Periode, 
wo  der  Medscherda  vorwiegend  seine  Wasser-  und  Sinkstoffmassen 
dem  Haff  zuführte,   die  innere  in  einer  spätem,  länger  und  wohl 


Porto  Farina. 


171 


noch  jetzt  andauernden,  daher  breiter.  Jene  ist  lang  und  schmal 
und  verläuft  sowohl  von  innen  wie  außen  regelmäßig,  da  sie 
auch  von  außen  dem  Einfluß  der  Wellen  unterliegt.  Bei  ihr  tritt 
heute  das  vorhanden  gewesene  Ansteigen  nach  innen  nicht  mehr 
hervor.  Um  so  mehr  aber  bei  der  innern  Kurve,  die  vom  Haff 
aus  steil  zu  2  m  Höhe  aufsteigt  und  nach  außen  sich  sehr  sanft 
abdacht,  indem  oben  Sand  und  Staub  allmählich  vom  Strande 
nach  außen  angelagert  wird. 

Diese  nördliche  Nehrung  ist  bereits  zum  Teil  in  Anbau  ge- 
nommen, den  die  fleißigen  Bewohner  von  Porto  Farina  noch 
immer  ausdehnen.  Eine  wichtige,  mir  bis  dahin  neue  Rolle 
spielt  dabei  die  Dattelpalme.  Man  pflanzt  nämlich  überall  bei 
Porto  Farina,  aber  namentlich  auf  der  nördlichen,  mit  breiter 
Grundlinie  mit  dem  jungtertiären  Höhenrücken  des  Nadur  ver- 
wachsenen Nehrung  die  Dattelpalme  unmittelbar  am  Strande  an 
und  läßt  dieselbe  mit  ihren  üppigen  Wurzelschößlingen  und  ihren 
starren  Wedeln  3 — 5  m  hohe  undurchdringliche,  ganz  ausgezeichnet 
auch  gegen  den  Wind  schützende  Zäune  bilden.  Bis  nahe  an 
die  Südspitze  der  Nehrung  sind  diese  Pflanzungen  vorgerückt, 
sie  halten  die  schweren,  vom  Winde  herbeigeführten  Sandkörner 
auf  und  schaffen  so  einen  wahren  Damm,  hinter  welchem  sich 
nur  die  feinern  und  fruchtbaren  Boden  bildenden  Stoffe  ablagern. 
Im  Schutze  dieser  Hecken  von  Dattelpalmen  macht  man  nun  den 
Boden  urbar  und  zieht  Gemüse  aller  Art,  Kartoffeln,  Feigen  und 
Granaten  wie  andres  Obst  von  vorzüglicher  Güte.  Überhaupt 
macht  Porto  Farina  einen  verhältnismäßig  freundlichen  Eindruck, 
obwohl  auch  da  zahlreiche  Häuser  leer  stehen  und  in  Trümmer 
fallen,  eine  für  ganz  Tunesien  und  die  bisher  dort  herrschenden 
Zustände  kennzeichnende  Erscheinung.  Namentlich  der  Hafen, 
das  Arsenal  und  die  alten  steinernen  Festen,  wie  andere  dem 
Staat  gehörige  Bauwerke  sind  in  einem  kläglichen  Zustande. 
Aber  die  Gärten,  welche  sich  an  der  West-  wie  an  der  Ostseite 
der  Stadt  auf  einem  nach  Westen  an  Breite  zunehmenden  Vor- 
lande, das  aber  keineswegs  jüngster  Entstehung  ist,  sondern 
ungefähr  gleichalterig  sein  dürfte  mit  der  Landenge  von  Karthago, 
ausdehnen,  sind  so  vorzüglich  gehalten,  wie  ich  es  in  ganz 
Tunesien  nicht  mehr  gesehen  habe;  die  herrlichsten  Feigen-, 
Johannisbrot-  und  Mandelbäume,  auch  Pflaumen  und  Oliven  be- 
Bchatten    dort    ausgedehnte,    mit    Rebenpflanzungen    wechselnde 


in 2  II,  7.    Die  Stätte  von  Karthago. 

Felder  von  Kartoffeln  und  Mohn,  die  beide  wohl  nur  hier  in 
Tunesien  im  großen  gezogen  werden.  Der  Mohnbau  zur  Opium- 
gewinnung ist  durch  einen  türkischen  Beamten  aus  Kleinasien 
hier  eingeführt  worden.  Die  Kartoffel  ermöglicht  hier  zwei  Ernten 
und  liefert,  nach  Tunis  und  zur  Ausfuhr  gebracht,  eine  der  wich- 
tigsten Einnahmequellen  des  Städtchens.  Eine  dritte  Ernte,  wie 
in  Algerien,  ist  nicht  möglich,  weil  es  an  Wasser  zu  künstlicher 
Bewässerung  fehlt.  Zwar  ist  der  innere  Bau  des  Dj.  Nadur  der 
Bildung  von  Quellen  gerade  an  seinem  Südfuße  sehr  günstig, 
denn  die  Schichten  dieses  wohl  miocänen1)  Rückens,  bald  an 
schlecht  erhaltenen  Versteinerungen  überreicher  Kalkstein,  bald 
Sandstein  und  grobes  Konglomerat,  drüben  in  Sizilien  vorkommenden 
Ablagerungen  außerordentlich  ähnlich,  streichen  genau  West-Ost 
und  fallen  in  einen  Winkel  von  10 °  nach  Süden  ein,  während 
der  Rücken  in  steilem  Abbruch  dem  N  die  Schichtenköpfe  zu- 
kehrt. Doch  ist  hier  ein  breiteres,  ebenfalls  leidlich  angebautes 
Vorland  mit  Baumpflanzungen  und  einzelnen  Höfen  vorgelagert. 
Die  Felspyramide  der  Insel  Pillau  ist  ein  stehen  gebliebenes 
Stück  des  Gebirges.  Dasselbe  ist  mit  dürftigen,  nur  in  den 
Wasserrissen  üppigem  Macchien  bedeckt,  in  welchen  Rosmarinus 
officinalis,  Thymus  vulgaris,  Juniperus  phoenica,  Pistacia  Lentiscus 
und  Pistacia  atlantica  sowie  mehrere  Arten  Genista  vorherrschen. 
Dennoch  treten  bei  Porto  Farina  nur  ziemlich  schwache  Quellen 
und  in  so  tiefem  Niveau  zutage,  daß  künstliche  Bewässerung  un- 
möglich ist.  Die  Dattelpalme,  von  der  man  hier  noch  gelegent- 
lich Palmwein,  aber  keine  Früchte  gewinnt,  ist  hier  besonders 
häufig,  man  trifft  herrliche,  mit  denen  der  Oasen  wohl  zu  wett- 
eifern befähigte  Gruppen  dieses  edlen  Baumes.  Doch  ist  die 
Dattelpalme  überhaupt  auch  in  Nordtunesien  nicht  selten,  da  sie 
sich  im  Küstengebiet  entlang,  wo  kein  unwirtliches  Hochland 
zwischen  den  Gürtel  der  Palmenoasen  und  den  mediterranen 
Nordrand  eingeschoben  ist,  nordwärts  verbreiten  konnte.  In 
Algerien  dagegen  ist  sie  im  Teil,  außer  wo  sie  die  Franzosen 
wieder  häufiger  angepflanzt  haben,  ziemlich  selten,  seltener  als  in 
Südspanien.     Die   verhältnismäßige  Blüte   von   Porto    Farina   mag 


1)  Herr  Prof.  v.  Koenen  in  Göttingen  vermochte  der  schlechten  Er- 
haltung wegen  von  den  mitgebrachten  Handstücken  eine  Auster  nicht  mit 
genügender   Sicherheit   als    Ostrea  Boblayi  Desh.  zu  bestimmen.     Siehe  oben 

S.  157. 


Das  Haff  von  Porto  Farina. 


173 


wohl  mit  dem  bedeutenden  Prozentsatz  christlicher  Elemente, 
Malteser  umd  Italiener,  zusammenhängen;  von  den  etwa  1000  Be- 
wohnern sind  150  Christen,  die  eine  eigene  Kirche  unter  einem 
italienischen,  aus  Südtirol  stammenden  Kapuziner  besitzen. 

Daß  in  den  letzten  Jahrzehnten  die  Hauptmündung  des 
Medscherda  unmittelbar  ins  Meer  gegangen  ist,  darüber  kann  kein 
Zweifel  sein,  für  1860  versicherte  es  V.  Guerin,  für  1868  Maltzan 
ausdrücklich,  auch  stellen  es  die  englischen  Seekarten  dieser 
Zeit  so  dar.  In  Porto  Farina  wurde  mir  von  landeskundigen, 
dort  gebornen  Bewohnern  versichert,  daß  der  Fluß  erst  seit  An- 
fang der  sechziger  Jahre  bei  Hochwasser  Nebenarme  in  das  Haff 
sende.  Doch  gibt  dies  V.  Guerin  schon  für  1860  an,  und  für 
185g  möchte  ich  es  aus  Davis1)  schließen,  obwohl  derselbe  unter 
Hinweis  auf  den  Mangel  an  Übereinstimmung  in  bezug  auf  die 
Flußmündung  dieselbe  unmittelbar  ins  Meer  verlegt.  Denn  die 
Stelle,  wo  er,  im  Boot  den  Fluß  9  km  weit  hinauf  fahrend,  um- 
kehren mußte,  weil  sich  derselbe  verbreiterte  und  verflachte  (nur 
auf  eine  kurze  Strecke,  denn  auch  in  seinem  Delta  fließt  er  bis 
auf  einige  Kilometer  oberhalb  der  Mündung  in  tief  eingeschnittenem 
Bett),  liegt  eben  da,  wo  der  erste  Seitenarm  abgeht.  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  ist  der  Unterlauf  desselben  auch  künstlich  vom 
See  abgelenkt  worden2)  und  um  1850  bestand  die  Absicht,  um 
den  Fluß  selbst  die  Barre  wieder  beseitigen  zu  lassen,  ihn  wieder 
in  das  Haff  zu  lenken.  Das  Haff  von  Porto  Farina  war  i6qo 
noch  der  sicherste  Hafen  von  Tunesien,  wo  die  Kaperflotte  des 
Bey  zu  liegen  pflegte,  große  Werften  waren  und  wo  noch  ein 
Schiff  von  40  Kanonen  einlaufen  konnte.  Um  die  Verlandung 
zu  verhüten,  leitete  man  den  Fluß  unmittelbar  ins  Meer.  Nun 
bildete  sich  aber  mit  den  Sinkstoffen  desselben  eine  Barre  vor 
dem  Tief  des  Haffs,  das  um  1740  nur  noch  10  englische  Fuß 
Wasser  hatte.  Für  die  Verlandung  desselben  ist  es  fast  gleich- 
gültig, ob  der  Fluß  durch  dasselbe  oder  unmittelbar  ins  Meer 
mündet;  in  ersterm  Falle  wird  es  rasch  zugeschüttet,  in  letzterm 
schließt  sich  die  Mündung;  wie  die  Verhältnisse  heute  liegen 
—  und  sie  zu  ändern,  würde  es  bedeutender  Arbeiten  bedürfen  — , 
schreitet    beides    rasch    vor.      Seit    den    Aufnahmen    von    Mouchez 


1)  Davis,  Karthago,  S.  295. 

2)  O.  Meltzer  a.  a.  O.,  S.  159. 


j  -  i  II,  7.    Die  Stätte  von  Karthago. 

im  Jahre  1876  haben  sich  die  Tiefen  im  ganzen  südlichen  und 
östlichen  Teile  sehr  vermindert,  und  ist  das  Land  dort  vorgerückt. 
Das  Tief  hatte  damals  noch  eine  Breite  von  575  m  und  in  einer 
gewundenen  Rinne  1,5  bis  2,5  m  Tiefe,  während  sich  an  der 
Außen-  wie  an  der  Innenseite  Untiefen  gebildet  hatten.  Die 
Rinne  ist  noch  vorhanden,  aber  so  seicht,  daß  meine  Barke,  die 
nicht  ganz  1  m  Tiefgang  hatte,  vor  der  Mündung  erst  den 
größten  Teil  des  Ballastes  auswerfen  mußte,  um  einlaufen  zu 
können.  Noch  185g  war  Davis  mit  dem  englischen  Dampfer  „Harpy" 
eingelaufen1)!  Die  innere  Untiefe  (Barre)  ist  zu  einer  wirklichen, 
fast  mit  der  südlichen  Nehrung  verwachsenen  Sandinsel  geworden, 
die  auch  bei  dem  durch  den  Ostwind  so  bedeutend  erhöhten 
Wasserstande  als  solche  nicht  verschwand.  Und  die  Gegenden 
des  Haffs  unmittelbar  vor  dem  Tief,  in  welchen  Mouchez'  Karte 
Tiefen  von  0,9  bis  1,4  m  südwestlich  vom  Eingange  verzeichnet, 
haben  jetzt  nur  0,5  bis  0,7  m,  nördlich  davon  nur  0,3  bis  0,5  m. 
Nur  der  nordöstlichste  Teil  des  Haffs,  wo  noch  jetzt  Tiefen  von 
2  m  vorkommen,  scheint  seine  Tiefe  nicht  gemindert  zu  haben. 

Daß  das  Haff  von  Tunis,  ehemals  die  innerste  Bucht  des 
Golfes,  deren  Umwandlung  in  ein  Haff  nicht  weit  vor  Beginn 
geschichtlicher  Überlieferung  zurückreicht2),  in  geschichtlicher 
Zeit  seinen  Umfang  und  seine  Tiefe  wesentlich  durch  den  Unrat 
von  Tunis  und  hineingewehten  Sand  vermindert  hat,  hat  J.  Partsch 
und  anfangs  des  vorigen  Jahrhunderts  schon  Shaw  gezeigt.  Dieser 
gab  die  größte  Tiefe  zu  6  bis  7  Fuß  an,  während  Mouchez' 
Karte  nach  den  Lotungen  von  1876  eine  größte  Tiefe  von  1  bis 
1,5  m  (nur  an  einer  Stelle)  im  östlichen  Teile  zeigt.  Es  wechselt 
übrigens,  was  wohl  zu  beachten  ist,  der  Wasserstand  auch  in 
diesem  Haff  sehr  bedeutend,  bei  Westwind  läuft  ein  großer  Teil 
desselben  trocken,  während  bei  Ostwind  das  Wasser  in  starker 
Strömung  eindringt,  und  die  Tiefe  wie  der  Umfang  des  Haffs 
sehr  bedeutend  wächst.  Da  im  Sommer  östliche  Winde  im  all- 
gemeinen vorherrschen,  so  ist  in  dieser  Jahreszeit  das  Haff  weit 
besser  zu  befahren  als  im  Winter.  Im  Altertum,  wo  sich  hier 
ganze  Flotten  frei  bewegten,  war  nicht  nur  die  Tiefe  größer, 
sondern  auch  das  Tief  breiter  und  tiefer  als  heute.  Wäre  das 
Tief  nicht   breiter   gewesen   als   heute,    wo    es    durch   eine  65  m 

1)  Davis,  Karthago,  S.  29. 

2)  Davis  a.  a.  O.,  S.  297. 


Verlandete  Inselwelt.  j  j  e 

lange  Schiffbrücke,  an  welche  sich  ein  kurzer  Steindamm  an- 
schließt, geschlossen  ist,  so  wäre  das  Eindringen  der  römischen 
Flotte  sehr  gewagt  gewesen,  denn  die  Karthager  hätten  es  durch 
einige  versenkte  Schiffe  schließen  können.  Auch  hätte  die  Neh- 
rung, die  heute  einen  bequemen  und  kurzen  Weg  nach  Süden 
von  Goletta  nach  Rades  bietet,  in  den  Kämpfen  um  Karthago 
eine  Rolle  gespielt.  Wie  ich  schon  früher  zeigen  konnte,  daß 
die  Nehrung  seit  dem  Altertum  sich  verbreitert  hat,  so  konnte 
ich  Beweise  für  die  fortschreitende  Verbreiterung  sammeln.  An 
den  nördlichen  Teil  der  Nehrung  hat  sich  seewärts  ein  neuge- 
bildeter breiter  Landstreifen  angelagert,  der  nur  bei  durch  Ost- 
winde (und  Flut)  hervorgerufenem  höhern  Wasserstande  noch  als 
lange  schmale  Insel  erscheint,  und  der  Hafenkapitän  von  La 
Goletta  zeigte  mir  eine  Stelle  unmittelbar  südlich  vom  äußern 
Eingang  in  den  Kanal  von  Goletta,  wo  noch  vor  wenigen  Jahren 
größere  Schiffe  ankern  konnten,  während  heute  das  Meer  sehr 
flach,  zum  Teil  sogar  schon  trockenes  Land  ist.  Die  Sinkstoffe, 
aus  welchen  die  Nehrung  des  Haffs  von  Tunis  erbaut  ist,  liefern 
die  Gießbäche  und  Flüßchen  an  der  Ost-  und  Südküste  des  Golfs, 
vor  allem  der  Wed  Miliana.  Dem  entsprechend  ist  die  südliche 
Nehrung  länger  und  breiter,  zum  großen  Teil  angebaut.  Ohne 
den  künstlichen  Kanal  von  La  Goletta,  der  schon  sehr  früh  im 
Mittelalter  angelegt  ist,  würde  das  Haff  von  Tunis  bei  dem 
Mangel  eines  einmündenden  Flusses  wahrscheinlich  ganz  vom 
Meere  abgesperrt  sein,  so  aber  wird  dadurch,  daß  die  von  Ost- 
winden in  das  Haff  getriebenen  Wassermassen  nicht  durch  den 
engen  Kanal  allein  rasch  genug  bei  eintretenden  heftigen  West- 
winden, wie  sie  im  Winter  nicht  selten  sind,  abfließen  können, 
das  bis  zuletzt  offen  gebliebene  Tief  immer  wieder  ausgetieft. 
Der  See  von  Bizerta  dagegen  verdankt  seine  noch  vorhandene 
Verbindung  mit  dem  Meere  den  einmündenden  Zuflüssen.  Ur- 
sprünglich war  dieselbe  i  km  breit,  sie  ist  aber  längst  durch 
vorgelagerte  Sandmassen  bis  auf  den  engen  Kanal  geschlossen 
worden,  dessen  Tiefe  auch  nur  vom  Eingange  bis  zur  Brücke 
2  m  beträgt.  Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  das  Haff 
von  Tunis  eine  ehemalige  Bucht  ist,  und  der  erste  Anstoß  zur 
Landbildung  hier  durch  die  Insel  von  Karthago  gegeben  wurde. 
Die  Bildung  der  Landenge  von  Karthago  ist  gewiß  in  frühquartäre 
Zeit   zu   setzen. 


176  H>  8.    Die  nordadriaüsche  Haffküste. 

So  ist  also  hier  eine  ganze  Inselwelt  in  seichtem  Meere  ver- 
landet. An  seine  Stelle  ist  fruchtbares,  offenes,  wegsarnes  Land 
getreten,  dem  eine  Fülle  von  Wasser  aus  den  Flüssen,  durch 
leicht  zu  grabende  Brunnen  aus  dem  Untergrunde  zur  Verfügung 
stand  bzw.  ohne  allzugroße  Schwierigkeiten  und  Kosten  Trink- 
wasser aus  der  großen  Kalkmasse  des  Zaghuan  von  S  her  zuge- 
führt werden  konnte.  Daß  so  in  dieser  geographisch  hervorragend 
bevorzugten  Erdstelle  mehrfach  die  topographischen  Bedingungen 
zur  Entwicklung  einer  Großstadt  und  eines  großen  politischen 
Schwerpunkts  gegeben  waren  und  wie  die  Neuzeit  diese  Be- 
dingungen künstlich  verbessert  hat,  habe  ich  an  anderer  Stelle 
gezeigt  *). 


8.    Die  nordadriatische  Haffküste.2) 

Die  Form  der  Haffküste  ist  zwar  weit  verbreitet  und  die 
Hälfte  unserer  deutschen  Ostseeküste  gehört  ihr  an,  aber  ein 
Haffküstengebiet  von  solcher  Vielseitigkeit  der  Beziehungen,  wie 
sie  die  Küste  von  Norditalien  am  Adriatischen  Meere  zu  beiden 
Seiten  der  Po-Mündungen  aufweist,  kehrt  nirgends  auf  der  Erde 
wieder.  Man  muß  sich  fragen,  ob  diese  Küste  anziehender  und 
lehrreicher  ist  in  rein  geomorphologischer  oder  in  anthropogeo- 
graphischer  oder  in  geschichtlicher  Hinsicht.  Das  Werden  und 
die  Veränderungen  dieser  Küste  unter  den  Wirkungen  endogener 
und  exogener  Kräfte,  mariner  und  festländischer  klarzulegen,  ist 
ebenso  anziehend,  wie  die  Beeinflussung  dieser  Kräfte  durch  den 
Menschen,  dem  in  letzter  Stelle  es  zuzuschreiben  ist,  daß  die  tha- 
lassogene  Schwemmlandküste  an  der  Po-Mündung  durch  eine  pota- 
mogene  unterbrochen  wird,  ja,  der  die  flache  Kurve  vor  den  La- 
gunen von  Venedig  hervorgerufen  hat.  Und  von  welcher  Bedeutung 
ist  es,  mitten  in  diesem  amphibischen,  menschenfeindlichen  Gürtel, 
der  ein  dicht  bevölkertes  Hinterland  hermetisch  von  dem  völker- 
verbindenden Meere  scheidet,  einen  Brennpunkt  politischer  Macht 
und  höchster  menschlicher  Gesittung  emporblühen  zu  sehen  und 
festzustellen,    wie    die    Seemacht   Venedig    im    Kampfe    mit    den 


i)  Mittelmeerbilder  I,  Tunis,  Bizerta  und  Tunesien  im  Jahre  1904,  S.  440. 
2)  Nach  La  Penisola  Italiana.     Torino   1902.     Deutsch  bearbeitet. 


Die  nordadriatische  Flachsee. 


177 


Naturkräften,    die    ihm    den   Untergang   drohten,    zur   Landmacht 
werden  mußte. 

Die  Bedeutung  des  Adriatischen  Meeres  ist  für  Italien  eine 
verhältnismäßig  geringe,  weit  geringer,  als  die  des  Tyrrhenischen, 
denn  schon  nach  seiner  Entstehung  wendet  Italien  diesem  das 
Gesicht,  jenem  den  Rücken  zu.  Die  ganze  Ostseite  Italiens  ist, 
bezeichnend  für  eine  Längsküste,  arm  an  Häfen,  selbst  die  herr- 
lichen Riashäfen  von  Brindisi  und  Tarent  haben  nur  im  Alter- 
tume  eine  größere  Wichtigkeit  gehabt,  als  die  östliche  Nachbar- 
halbinsel und  überhaupt  das  östliche  Mittelmeergebiet  größere  Be- 
deutung hatte.  Neben  ihnen  hat  nur  diese  nordadriatische  Haff- 
küste Verkehrsbedeutung  gehabt,  weil  durch  sie  allein  die  Po-Ebene 
und  seit  dem  Mittelalter  auch  die  Alpenländer  und  Mitteleuropa 
einen  Ausgang  nach  dem  Mittelmeere  hatten,  der  freilich,  be- 
ständig durch  die  landbauenden  Flüsse  bedroht,  seine  Stelle  immer 
wieder  geändert  hat:  Spina,  Hadria,  Aquileja,  Ravenna,  Venedig. 
Das  lange  schmale  Adriatische  Meer,  das  sich  als  Mittelmeer 
niederer  Ordnung,  zwischen  den  beiden  gefalteten  Erdgürteln  der 
Apenninen  auf  der  einen,  des  dinarischen  auf  der  andern  Seite 
von  dem  ostwestlichen  Bruchgürtel  des  Mittelmeeres  aus  weit  nach 
Nordnordwesten  in  die  Festlandsmasse  Europas  hinein  schiebt,  ist 
jedenfalls  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  ein  junges  Meer,  jünger 
als  diese  beiden  jungen  Faltengebirge,  die  ihm  beide  ihre  äußeren 
Austönungsgürtel  zukehren.  So  macht  das  ganze  flache  nord- 
westliche Adriatische  Meer  ganz  den  Eindruck  eines  Transgressions- 
meeres.  Es  ist  eine  ganz  flache  Überspülung  der  Erdrinde  ähn- 
lich dem  Persischen  Meerbusen,  dessen  Vormeer,  die  Bucht  von 
Oman,  das  Gegenstück  des  Einbruchskessels  des  südadriatischen 
Beckens  ist.  Zwar  liegt  innerhalb  der  nirgends  200  m  Tiefe  er- 
reichenden unterseeischen  Schwelle,  die,  durch  die  tremi tischen  Inseln 
und  Pelagosa  gekennzeichnet,  vom  Monte  Gargano  nach  Dalmatien 
hinüber  zieht,  noch  ein  kleines  etwas  tieferes  Becken,  das  Pomo- 
becken,  mit  243  m  größter  Tiefe,  aber  von  da  nimmt  die  Tiefe 
rasch  zu  90  m  emporsteigend  nach  Nordwesten  stetig  und  so  gleich- 
mäßig ab,  daß  man  eine  völlig  ebene  Fläche  ähnlich  dem  Boden 
vieler  Alpenseen  vor  sich  hat  und  A.  Grund  ganz  neuerdings  die 
Ansicht  ausgesprochen  hat,  daß  die  nordadriatische  Flachsee  die 
untergetauchte  postglaciale  Po-Ebene  sei,  eine  untergetauchte  Akku- 
mulationsebene,   die   sich    ähnlich    wie    heute   das  Po -Delta   vom 

Fischer,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge.  12 


1^8  II,  8.    Die  nordadriatische  Haffkiistc. 

Fuße  der  Westalpen  bei  Turin  an  bis  an  den  Rand  des  Pomo- 
Beckens  vorgeschoben  hatte.  Jenseits  einer  Linie  vom  Südost- 
ende des  heutigen  nordadriatischen  Deltalandes  nach  der  Süd- 
spitze Istriens  kommen  keine  Tiefen  von  60  m  und  von  den  Po- 
Mündungen  nach  Istrien  hinüber  keine  von  mehr  als  20  m  vor,  ja 
ein  breiter  Gürtel  vor  dieser  Haffküste  hat  nur  Tiefen  von  unter 
10  m.  Bohrprofile  der  unteren  Po-Ebene  zeigen,  daß  in  Tiefen 
von  20 — 80  m,  also  in  Tiefen,  welche  der  nordadriatischen  Flach- 
see entsprechen,  sich  nur  festländische  Ablagerungen  finden,  von 
denen  man  also  annehmen  kann,  daß  sie  sich  im  Boden  dieser 
Flachsee  fortsetzen.  Nehmen  wir  also  an,  daß  diese  Flachsee  so 
jugendlichen  Alters  ist,  so  ergibt  sich,  daß  das  siegreiche  Vor- 
dringen der  Landanschüttungen  der  nordadriatischen  Flüsse  noch 
Jüngern  Datums,  ja,  wie  wir  sehen  werden,  z.  T.  der  geschicht- 
lichen Zeit  angehört  und  sich  noch  mehr  unter  unsern  Augen  voll- 
zieht. Da  drängt  sich  aber  sofort  die  Frage  auf,  ob  die  Vor- 
gänge, welche  dem  Meere  erlaubt  haben,  so  weit  über  die  fest- 
ländisch aufgeschüttete  Po-Ebene  hinüber  zu  greifen,  nicht  vielleicht 
noch  heute  andauern,  d.  h.  ob  zentripetale  Bewegungen  der  Erd- 
rinde in  dieser  Erdgegend  noch  heute  andauern.  Denn  auf  Grund 
meiner  35jährigen  Studien  über  und  Reisen  in  den  Mittelmeer- 
ländern bin  ich  niemals,  auch  nicht  durch  Ed.  Suess'  Einwürfe, 
so  ernst  ich  sie  geprüft  habe,  in  der  Ansicht  wankend  geworden, 
daß  es  sich  bei  allen  Küstenveränderungen,  welche  sich  im  Mittel- 
meergebiet in  geschichtlicher  Zeit  und  vermutlich  in  der  ganzen 
Quartärzeit  vollzogen  haben,  neben  Deltabildungen  und  mariner 
Abtragung  nur  um  Bewegungen  der  festen  Erdrinde  handelt,  nicht 
um  Schwankungen  des  Meeresspiegels.  Wenn  es  sich  heraus- 
stellen sollte,  daß  an  dieser  Haffküste1)  neben  der  landanlagern- 
den Tätigkeit  der  Flüsse,  der  Küstenströmung  und  Küstenversetzung 
ein  Sinken    des   Landes   stattfindet,    so   gewinnen   die  Vorgänge, 


1)  Ich  gebrauche  mit  Vorbedacht  stets  den  Ausdruck  Haffkiiste,  nie- 
mals Lagunenküste,  weil  es  für  den  Deutschen  selbstverständlich  ist,  daß  er 
Deutsch  spricht,  namentlich  da  diese  Küstenform  von  der  Divenow  bis  Memel 
die  ganze  deutsche  Ostseeküste  kennzeichnet  und  selbst  in  Italien  die  Bezeich- 
nung Lagune  nur  für  die  Haffe  von  Venedig  angewendet  wird  —  andere 
Haffe  Italiens  werden  Stagno  genannt  —  und  man  im  Spanischen  und  Portu- 
giesischen diese  Bezeichnung  auch  auf  stehende  Gewässer  anwendet,  die  geo- 
morphologisch  mit  Haffen  gar  nichts  zu  tun  haben. 


Senkungserscheinungen  im  Haffgebiet  von  Venedig.  11Q 

welche  die  Küstenformen  geschaffen  haben,  wie  sie  heute  sind, 
als  Ergebnis  sich  bekämpfender  Kräfte  noch  eine  ganz  andere 
Bedeutung. 

Den  oben  angeführten  Bohrprofilen  lassen  sich  noch  andere 
beifügen,  die  alle  zu  der  Anschauung  führen,  daß  diese  in  post- 
glacialer  Zeit  an  der  Oberfläche  abgelagerten  Schuttmassen  durch 
Senkung  in  diese  Tiefe  gekommen  sind.  Gewiß  wird  man  zuerst 
an  ein  Zusammensitzen  der  lose  aufgeschwemmten  Massen,  an  ein 
Auspressen  des  Wassers,  namentlich  aus  den  ehemals  an  der 
Oberfläche  gebildeten  Torfmassen  denken,  wodurch  schon  die 
Mächtigkeit  der  ganzen  Ablagerung  eine  geringere  werden,  die 
Oberfläche  in  ein  tieferes  Niveau  kommen  und  die  Möglichkeit 
neuer  Ablagerungen  gegeben  sein  muß.  Auch  an  den  Druck  auf- 
gehäufter Massen  von  Dünensand  ist  zu  denken.  Ob  aber  diese 
Vorgänge  genügen,  um  die  unzweifelhaften  Senkungserscheinungen 
zu  erklären,  muß  weiteren  Forschungen  und  Beobachtungen  vor- 
behalten werden.  Tatsache  ist,  daß  man  in  Ravenna  und  ander- 
wärts tief  unter  dem  heutigen  altes  Straßenpflaster  gefunden  hat. 
Namentlich  in  Adria,  das  dem  Meere  den  Namen  gegeben  hat, 
von  dem  es  heute  22  km  entfernt  ist,  das  aber  durch  Auf  höhung 
des  Bodens  bei  Überschwemmungen  heute  3,28  m  im  Mittel  über 
dem  Meeresspiegel  liegt,  hat  man  beträchtlich  unter  dem  heutigen 
Spiegel  des  Adriatischen  Meeres  Reste  von  Bauwerken  aus  römi- 
scher Zeit  gefunden,  ja  die  Türschwellen  von  Häusern,  die  nicht 
älter  als  500  Jahre  sind,  liegen  jetzt  unter  der  Bodenoberfläche. 
In  Venedig  hat  man  zur  Herstellung  eines  Brunnens  im  öffent- 
lichen Garten  eine  Bohrung  bis  121m  niedergeführt,  bei  welcher 
man  bis  85,5  m  nur  sandige  und  tonige  Flußablagerungen  und  zu 
unterst  eine  Torfschicht  antraf,  bei  105  m  Sand  mit  marinen  und 
Süßwassermuscheln  gemischt,  bei  119  m  und  bis  zum  Ende  der 
Bohrung  nur  marine  Muscheln.  Seit  Jahrhunderten  sind  die  Bau- 
meister in  Venedig  peinlich  bemüht,  die  Erdgeschosse  ihrer  Bau- 
werke nicht  nur  über  dem  Niveau  der  gewöhnlichen  Flut,  sondern 
vor  allem  auch  über  dem  von  Zeit  zu  Zeit  unter  Mitwirkung  von 
Windstau  eintretender  hoher  Fluten  zu  halten,  die  1,50  m  zu  er- 
reichen vermögen.  Aber  das  gelingt  ihnen  niemals,  weil  sich  der 
Boden  immer  wieder  senkt.  Der  Markusplatz  liegt  jetzt  nur  0,42  m 
über  dem  Niveau  der  gewöhnlichen  Flut  und  wird  infolgedessen 
zuweilen  überflutet.      Als   man    1742    den   Fußboden   der  Markus- 

12* 


l8o  II»  8.    Die  nordadriatische  Haffküste. 

kirche  zu  0,52  m  über  der  gewöhnlichen  Flut  erneuerte,  fand 
man  einen  alten  Fußboden  1  m  unter  derselben.  Aus  denselben 
Gründen  überstieg  die  hohe  Flut  von  1867  auch  die  Einfassungen 
der  öffentlichen  Zisternen,  die  bis  dahin  niemals  erreicht  worden 
waren,  und  es  ist  eine  ganz  gewöhnliche  Erscheinung,  daß  die 
Erdgeschosse  der  Häuser,  Kirchen,  Verkaufsläden  u.  dgl.  wegen 
zunehmender  Feuchtigkeit  aufgehöht  werden  müssen.  Reste  alter 
Bauwerke,  Pflaster,  Fußböden,  auch  aus  römischer  Zeit,  sind  viel- 
fach bei  Ausschachtungen  2 — 3  m  unter  der  Oberfläche  gefunden 
worden.  Man  kann  also  nicht  daran  zweifeln,  daß  sich  das  mittlere 
Flutniveau  in  Venedig  und  an  der  ganzen  Haffküste  in  geschicht- 
licher Zeit  gehoben  hat.  Das  hat  zur  Folge  gehabt,  daß  überall 
da,  wo  nicht  wie  in  Venedig  künstliche  Aufhöhungen  vorgenommen 
und  sonstige  Schutzvorrichtungen  geschaffen  wurden,  das  Land 
überflutet  wurde.  So  kann  sicher  nachgewiesen  werden,  daß 
mehrere  Haffinseln  verschwunden  sind.  Das  altberühmte,  einst 
so  volkreiche  Städtchen  Torcello  wird  immer  kleiner  und  von  der 
Bevölkerung  verlassen.  Namentlich  sind  solche  Landverluste  bei 
Grado  und  Aquileja  zu  verzeichnen,  die  dadurch  versumpft  sind. 
Der  gewaltige  Bau  der  Murazzi,  eines  schützenden  Blockwalles 
an  der  Außenseite  der  Nehrung  des  Lido,  wurde  notwendig,  weil 
seit  dem  1 6.  Jahrhundert  diese  schützende  Nehrung  immer  schmäler 
und  niedriger  wurde. 

Daß  es  sich  nicht  bloß  um  ein  Zusammensitzen  der  auf- 
geschwemmten Massen  handele,  dieser  Verdacht  drängt  sich  auf, 
wenn  man  drüben  an  der  Felsküste  von  Istrien  und  Dalmatien 
dieselbe  Beobachtung  des  Übergreifens  des  Meeres  über  das  Land 
macht.  Schon  die  Küstengliederung,  bei  Pola  z.  B.,  die  Quarne- 
rischen  Inseln,  die  als  Fortsetzungen  von  Istrien  erscheinen,  die 
wassergefüllten  Flusstäler  des  Canale  di  Lerne,  dell'  Arsa,  di 
Quieto  usw.  lassen  einen  solchen  Schluß  ziehen.  Auch  die  Ab- 
bruche vieler  Inseln  an  Bruchlinien,  welche  längs  der  inneren 
Seite  der  Alpen,  des  Karstes  und  des  Dinarischen  Gebirges  ver- 
laufen und  denen  häufig  heftige  Erdbeben  folgen,  lassen  schließen, 
daß  hier  die  Erdrinde  noch  nicht  in  sich  genügend  verfestigt  ist. 
Auch  dort  finden  sich  Reste  römischer  Bauwerke  an  vielen  Punkten 
unter  dem  Meeresspiegel,  wie  z.  B.  in  Salona  römische  Sarko- 
phage aus  dem  festen  Kalkfels  gehauen  und  auf  Felsboden  unter 
dem  Meeresspiegel  liegen.      Alle  Flußtäler  Dalmatiens,  bis  wohin 


Sinkstofführung  der  Flüsse.  I  8 1 

die  Akkumulationsebene,  die  noch  diejenigen  Istriens  verhüllt, 
nicht  reichte,  setzen  sich  nach  A.  Grund  unterseeisch  fort  und  diese 
rezente  Senkung  hat  nicht  nur  die  fluvioglacialen  Schotter  des 
Narentatales ,  sondern  auch  die  postglacialen  Lößablagerungen 
unter  den  Meeresspiegel  gebracht.  Das  Wasser  des  Vranasees, 
das  bis    1630  süß  war,  ist  seitdem  salzig. 

Worauf  aber  immer  die  Senkungserscheinungen  zurückzu- 
führen sein  mögen,  sie  vermögen  die  Wirksamkeit  der  landbilden- 
den Kräfte  nur  zu  verlangsamen,  nicht  aufzuheben,  denn  die  ört- 
lichen Landverluste  verschwinden  gegenüber  dem  allgemeinen 
Landzuwachs.  Bedeutungsvoll  ist  dabei,  daß  alle  Flüsse  von  der 
inneren  Steilseite  der  Alpen  sowohl,  wie  von  der  sanfteren  äußeren 
Abdachung  der  Apenninen  gegen  einen  Punkt  in  der  Gegend  der 
heutigen  Po-Mündung  hinstreben  und  schon  in  früherer  Zeit  hin- 
strebten, so  daß  sie,  wenn  auch  ihre  Mündungen  vom  Po  selbst 
durch  seine  überlegene  Stoßkraft  stromabwärts  verschleppt  er- 
scheinen, schließlich  Zuflüsse  des  Po  wurden  und  nur  von  der 
Etsch  geschlossen  werden  kann,  daß  ihr  dem  Po  weithin  paralleler 
Lauf  und  ihre  selbständige  Mündung  auf  Abdrängung  zurückzu- 
führen ist.  Jedenfalls  bilden  alle  Flüsse  vom  Isonzo  im  Norden 
bis  zu  der  bei  Rimini  mündenden  Marecchia  gemeinsam  das  große 
nordadriatische  Deltaland.  Das  Wachsen  desselben  ist  vor  allem 
durch  die  Seichtigkeit  des  Adriatischen  Meeres  und  die  Fülle  der 
Sinkstoffe  bedingt,  welche  die  Flüsse  aus  den  Alpen  und  Apen- 
ninen herbeiführen,  obwohl  einzelne,  wie  Adda  und  Tessin,  ihre 
Gerolle  in  den  lombardischen  Seen,  an  deren  Zuschüttung  sie 
arbeiten,  abladen.  Um  so  größer  ist  die  Geröllführung  der  Flüsse 
von  Friaul  und  der  Romagna,  während  der  Po  nur  noch  feinere 
Sinkstoffe  bis  ins  Meer  trägt  bzw.  schiebt.  Aber  immerhin  be- 
rechnet man  dieselben  zu  46  Millionen  Kubikmeter  jährlich.  So- 
lange diese  Sinkstoffe  nur  dem  Walten  der  Natur  überlassen 
waren,  wurden  sie  teilweise  zur  Aufhöhung  der  Ebene  verwendet, 
indem  die  Flüsse  bei  Hochwasser,  die  besonders  im  Herbst  ein- 
treten, wo  gewaltige  Dampfmengen  vom  wannen  Mittelmeere  her 
an  den  schon  erkalteten  Höhen  der  Alpen  verdichtet  werden,  die 
Ebene  weithin  überschwemmten  und  in  einen  ungeheuren  Süß- 
wassersee verwandelten.  Im  unteren  Ende  ihres  Laufes  ließen 
sie  bei  gewöhnlichem  Wasserstande,  geminderter  Strömung  und 
Tragkraft   einen  Teil    ihrer  Sinkstoffe    fallen    und  erhöhten  so  ihr 


182  H>  8.    Die  nordadriatische  Haffküste. 

Bett.  So  fließen  die  Flüsse  von  Friaul,  welche  noch  Gerolle 
führen,  meist  auf  einem  breiten,  von  ihnen  weit  in  die  Ebene 
hinaus  aufgehöhten  Damme.  Auch  vom  Po  gilt  dies.  Sein  Spiegel 
liegt  bei  Hochwasser  bei  Ostiglia  3,5,  bei  Guarda  Veneta  6  m 
über  der  umgebenden  Ebene.  Um  so  größer  mußte  die  Gefahr 
der  Stromverlegungen  werden.  Darauf  beruht  wohl  auch  im 
wesentlichen  die  Teilung  der  Deltaarme.  Die  Sinkstoffmassen, 
welche  ins  Meer  gelangten,  gerieten  dort  neben  der  rasch  er- 
lahmenden Stoßkraft  des  Flusses  unter  den  Einfluß  mariner  Kräfte, 
des  Windes,  der  Wellen  und  vor  allem  der  Küstensrrömung  und 
der  Küstenversetzung.  Diese  lenkten,  wie  man  am  Rauche  eines 
Schornsteins  die  Windrichtung  erkennt,  entsprechend  der  im 
Adriatischen  Meere  an  der  Ostseite  nordwärts,  an  der  Westseite 
südwärts  setzenden  Strömung,  alle  Sinkstoffe  dieser  nordadria- 
tischen  Deltaküste  vom  Isonzo  an,  an  dessen  Mündung  man  das 
besonders  deutlich  erkennen  kann,  nach  rechts,  nach  Süden  ab 
und  bauten  sie  zu  Nehrungen  (hier  lidi  genannt)  auf,  welche 
flache,  randliche  Meeresteile  abschnitten  und  so  die  Hafte  schufen, 
die  die  ganze  Küste  begleiten,  auch  südwärts  vom  Po,  ja  süd- 
wärts von  Ravenna,  wo  nur  noch  kleine  Flüsse  münden.  Nun 
lagerten  die  Flüsse  ihre  Sinkstoffe  vorzugsweise  in  diesen  Haffen 
ab  und  verlandeten  sie.  War  das  erreicht,  so  schoben  sie  wiederum 
die  Sinkstoffe  ins  offene  Meer,  es  bildeten  sich  wieder  Nehrungen 
und  so  fort.  Im  Po -Delta  erkennt  man  noch  heute  diese  ehe- 
maligen, dem  heutigen  von  niedrigen  Dünen  besetzten  Lido  von 
Venedig  ähnlichen  Nehrungen  als  langgestreckte,  z.  T.  mit  Pinien, 
welche  neugebildete  sandige  Anschwemmungen  besonders  lieben, 
bewachsene  niedrige  Sandwälle,  die  heute  weit  im  Innern  liegen, 
mehrere  hintereinander.  Namentlich  lehrreich  ist,  daß  die  Nehrung 
des  heutigen  Lido  von  Venedig  sich  über  Chioggia  in  das  heutige 
Sumpfland  des  Po-Deltas  hinein  und  quer  durch  dasselbe  in  süd- 
licher Richtung  bis  in  das  Haff  von  Comacchio  verfolgen  läßt, 
das  auch  seinerseits  durch  solche  Wälle  in  einzelne  Becken  zer- 
legt wird.  Noch  im  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  lag  südlich  vom  Po 
das  große  Padusa-Haff,  das  sich  südwärts  bis  zur  Mündung  des 
Uso  erstreckte.  Auf  einer  seiner  Inseln  lag  Ravenna.  Die  heu- 
tigen Haffe,  die  heutige  Küste  bezeichnen  also  nur  einen  vorüber- 
gehenden Zustand.  Ohne  das  Eingreifen  des  Menschen  wären 
auch   die    Haffe   von   Venedig    und    Comacchio    bereits    verlandet 


Künstliche  Aufhöhung  der  Haffe.  j  33 

oder  in  Sümpfe  verwandelt.  Das  von  Comacchio  hat  man  der 
reich  lohnenden  Fischereien  wegen  erhalten  und  ihren  gefähr- 
lichsten Feind,  den  zeitweilig  ungeheuer  anschwellenden  und  außer- 
ordentliche Massen  von  Schlamm,  bis  7%,  aus  dem  tonigen 
Apennin  herbeischleppenden  Reno,  unschädlich  gemacht,  indem 
man  ihn  um  das  Haff  herum  nach  Süden  ablenkte.  Weiter  süd- 
wärts sind  die  Seesalzgärten  der  Cervia  auch  nur  künstlich  er- 
haltene Reste  eines  Haffs.  Der  Reno  und  die  Fiumi  Uniti  (Montone 
und  Ronco),  Savio  und  Marecchia,  so  klein  sie  sind,  haben  be- 
reits nach  Ausfüllung  ihrer  Haffe  begonnen,  ihre  Mündungen  vor- 
zuschieben und  die  Bildung  neuer  Haffe  anzubahnen.  Im  Norden 
haben  sich  nur  zwischen  den  Mündungen  der  geröllreichen  Flüsse 
Isonzo  und  Tagliamento  die  Haffe  von  Murano  und  Grado  er- 
halten, obwohl  der  östliche  Teil  derselben  schon  verlandet  ist,  weil 
die  dort  mündenden  Flüsse  aus  Friaul  als  sog.  Fiumi  di  risorgiva, 
d.  h.  als  durch  das  aus  den  Schuttmassen  der  oberen  Ebene 
wieder  zutage  tretende  Grundwasser  gebildet,  zwar  wasserreich, 
aber  arm  an  Sinkstoffen  sind.  Zwischen  Tagliamento  und  Livenza 
dehnt  sich  ein  Haffgebiet  aus,  welches  die  Verlandung  bereits 
in  mehrere  Stücke  aufgelöst  hat.  Zwischen  Livenza  und  Piave 
bezeichnet  das  Sumpfgebiet  des  Valle  dei  Sette  Casoni  die  Stelle 
eines  ehemaligen  Haffs  und  das  Gebiet  von  Ravenna  mit  seiner 
Pineta  den  Abschluß  dieses  Entwicklungsvorgangs.  Dünen,  selbst 
von  so  geringer  Höhe  wie  am  Lido  von  Venedig,  begleiten  diese 
Haff  küste  durchaus  nicht  überall,  die  Küste  ist  auf  weite  Strecken 
niedrig  und  flach,  schwer  anzusegeln,  die  wenigen  Tiefs  noch 
schwerer  aufzufinden,  Land  und  Meer  gehen  unmerklich  inein- 
ander über.  Das  Lot  ist  vorzugsweise  das  Hilfsmittel  zur  Be- 
stimmung der  Entfernung  von  der  Küste. 

Ganz  neuerdings  hat  man,  wenigstens  südlich  vom  Po,  an- 
gefangen, die  Sumpfgebiete,  welche  den  Gürtel  der  Haffe  an  der 
Innenseite  begleiten,  dadurch  gesund  zu  machen  und  dem  Anbau 
zu  gewinnen,  daß  man  sie  künstlich  aufhöht  durch  das  auch 
anderweitig  in  Italien  angewendete  Colmata- System,  indem  man 
die  Flüsse  zwingt,  ihre  Schlammassen  an  bestimmten  Stellen  ab- 
zulagern und  sie  damit  aufzuhöhen.  So  hat  man  durch  den  Lamone 
ein  weites  Sumpfgebiet,  einen  Teil  des  ehemaligen  Padusa-Haffs 
urbar  gemacht,  ganz  nahe  nördlich  und  nordwestlich  von  Ravenna. 
Durch    die    Renozuflüsse    Idice    und  Quaderno    hat   man    an  der 


j  3a  n,  8.    Die  nordadriatische  Haffküste. 

Westseite  des  Haffs  von  Comacchio  14000  ha  aufgehöht.  Man 
erhält  damit  auch  die  kostbaren  Schlammassen,  die  sonst  nutzlos 
ins  Meer  geführt  würden,  dem  Lande.  Hat  man  doch  berechnet, 
daß  Frankreich  in  dieser  Weise  jährlich  Feststoffe  im  Werte  von 
30  Millionen  Franken  verloren  gehen.  Auch  in  holländischer 
Weise  durch  Eindeichen  und  Auspumpen  sind  beträchtliche  Teile 
dieses  Haffgebiets,  an  der  West-  und  an  der  Nordseite  des  Haffs 
von  Comacchio,  bei  Ferrara  und  an  andern  Stellen,  im  ganzen 
etwa  60000  ha,  trocken  gelegt  und  in  fruchtbare  Felder  verwandelt 
worden.  Auch  hier  also,  wo  dieser  menschenleere  und  menschen- 
feindliche Gürtel  der  Haffe  und  Sümpfe,  welcher  das  angebaute 
und  dicht  bevölkerte  Innenland  vom  Meere  scheidet,  bis  zu  30  km 
breit  ist,   wird  derselbe  allmählich  verschmälert. 

Im  Mittel  hat  der  Haffgürtel  eine  Breite  von  15 — 20  km. 
Er  bildet  einen  fast  hermetischen  Abschluß  des  Landes,  denn  er 
ist  unbewohnt  und  wenig  wegsam.  Im  allgemeinen  nimmt  aber 
die  Wegsamkeit  von  Norden  nach  Süden  zu,  mit  der  Zahl  und 
Größe  der  Wasserwege.  Bewohnt  sind  nur  wenige  Punkte,  die 
Schnittpunkte  der  Wasserwege,  wo  sich  die  Menschen  auf  den 
hohen  Dämmen  niedergelassen  haben,  oder  für  die  Fischerei 
günstig  gelegene  Punkte,  also  vorzugsweise  Inseln.  Aber  von  diesen 
auch  nur  diejenigen,  welche  durch  die  kräftige  Gezeitenbewegung 
fieberfrei  gehalten  werden:  Venedig,  Chioggia,  Burano,  Comacchio. 
Alle  Siedelungen  sind  klein,  von  Venedig  und  Chioggia  abgesehen, 
da  sonstige  Hilfsquellen  fehlen.  An  der  Küste  selbst  sind,  wenn 
wir  von  den  vor  Venedig  gelegenen  und  gewissermaßen  als  seine 
Vororte  anzusehenden ,  namentlich  den  Seebädern  absehen, 
zwischen  Duino  und  der  Cervia-Mündung  Caorle  und  Grado  die 
einzigen  bewohnten  Orte.  Es  sind  auch  kleine  Fischersiedelungen. 
Einzig  und  allein  Venedig  ist  großen  Schiffen  zugänglich,  heute 
aber  auch  nur  noch  durch  die  Kunst  der  Wasserbaumeister  und 
die  Tatkraft  der  reichen  Handelsstadt.  Die  Haffe,  die  wir  also 
sämtlich  nach  ihrer  Entstehung  als  randliche  Abgliederungen  des 
Meeres,  daher  als  lange  schmale,  der  Küste  parallele  Strandseen 
anzusehen  haben,  dazu  bestimmt,  dem  Festlande  zugefügt  zu 
werden,  sind  naturgemäß  alle  sehr  flach  und  nur  für  ganz  flache 
Boote  fahrbar.  Die  tieferen  Rinnen,  welche  sie  kennzeichnen  und 
die  bei  Venedig  bis  46  m  größte  Tiefe  erreichen,  sind  wohl 
teilweise    als    durch    das  Sinken    des  Landes   unter    den  Wasser- 


Eigenart  des  Haffgürtels.  I  8  5 

Spiegel  geratene  alte  Flußläufe,  teilweise  aber  als  durch  die  Ge- 
zeitenströmungen ausgewaschen  anzusehen.  Bei  Ebbe  liegen  große 
Flächen  des  Haffbodens  trocken  und  machen  von  dichten  See- 
gräsern bedeckt  den  Eindruck  grüner  Wiesen.  Das  ist  die  sog. 
Laguna  morta,  die  sich  naturgemäß  besonders  an  der  Innenseite 
ausdehnt.  Diese  Vegetation  bedingt  das  reiche  Tierleben  an 
Fischen,  Mollusken,  Krustaceen  usw.  Die  größte  Wasserfläche 
bietet  noch  das  Haff  von  Comacchio.  Mit  407  qkm  ist  es  noch 
heute  größer  als  der  Garda-See.  Die  ganze  von  den  vor- 
geschobenen Flußmündungen  mit  ihren  Neulandbildungen  (Taglia- 
mento,  Livenza,  Piave,  Etsch,  Po,  Reno)  zerschnittene  Haffläche 
mag  noch  800  qkm  betragen.  Treviso ,  Padua,  Ferrara  be- 
zeichnen die  Grenze  des  schon  seit  längerer  Zeit  trockenen  und 
festen  Landes,  alle  drei  völlig  Landstädte,  30 — 50  km  vom  Meere. 
Nur  Ferrara  ist  durch  künstlich  gegrabene  und  sorgsam  unter- 
haltene Kanäle  für  kleine  Seeschiffe  erreichbar,  ebenso  wie  die 
freilich  dem  Meere  viel  näher  liegenden  Ravenna  und  Rimini. 
Die  Hauptsitze  der  Fischerei  sind  neben  Venedig  Chioggia  und 
Comacchio,  letztere  beiden  fast  nur  Fischersiedelungen,  Chioggia 
zugleich  Vorort  von  Venedig  und  Venedig  vielfach  ähnlich  und 
wirtschaftlich  in  ähnlicher  Weise  von  ihm  abhängig  wie  Mestre 
auf  der  Landseite.  Auch  die  heute  toten  Inselstädtchen  Burano 
und  Torcello  können  als  Vororte  von  Venedig  gelten  und  vor 
allem  das  gewerbtätige  Murano.  Comacchio  ist  lediglich  Fischer- 
stadt. Die  ertragreiche  Haffischerei  beruht  hier  namentlich  darauf, 
daß  viele  Fische  während  der  warmen  Jahreszeit  diese  seichten 
Gewässer  und  zu  Beginn  der  kühleren  das  offene,  dann  wärmere 
Meer  aufsuchen.  Das  ist  vorzugsweise  die  Fangzeit.  Das  ganze 
Haff  ist,  sei  es  von  Natur,  sei  es  durch  Kunst,  durch  Dämme  in 
einzelne  Becken,  Valli  genannt,  gegliedert  und  noch  vielfach  durch 
Zäune  geteilt,  so  daß  den  Fischen  die  Wege  vorgeschrieben  sind. 
Der  Schöpfer  dieses  Haffgebietes  ist  natürlich  in  erster  Linie 
der  Po,  der  aber  auch  seinerseits  vom  Menschen  gebändigt  worden 
ist,  so  daß  seine  Deltabildung  heute  in  andrer  Weise  vor  sich 
geht,  wie  früher.  Die  infolge  der  natürlichen  Aufhöhung  seines 
Betts  häufigen  Stromverlegungen  und  Überschwemmungen  zwangen 
den  Menschen,  sobald  eine  gewisse  Verdichtung  der  Bevölkerung 
eingetreten  war,  sich  durch  Eindeichungen  gegen  diese  Natur- 
kraft   zu    schützen.'    Schon    früh    im    Mittelalter    begannen    diese 


1 86  H)  8.    Die  nordadriatische  Haff  küste. 

Eindeichungen,  die  immer  weiter  stromauf  rückten,  heute  400  km 
weit,  bald  auch  die  Nebenflüsse  umfaßten  und  immer  höher  und 
fester  gebaut  wurden.  Dies  hat  den  Strom  zwar  nicht  gehindert 
bei  besonders  hohen  Wasserständen  die  Dämme  zu  durchbrechen 
und  furchtbar  verheerende  Überschwemmungen  anzurichten,  aber 
im  wesentlichen  sind  doch  immer  mehr  Sinkstoffe  ins  Meer  be- 
fördert worden.  Zugleich  hat  die  fortschreitende  Entwaldung 
auch  die  Sinkstoffmengen  vermehrt.  Das  hat  zur  Folge  gehabt, 
daß  das  eigentliche  Delta  seit  den  Deichbauten  und  besonders 
in  den  letzten  Jahrhunderten  immer  rascher  in  das  seichte  Meer 
vorgeschoben  worden  ist,  so  rasch  und  energisch,  daß  die  marinen 
Kräfte  nicht  mehr  imstande  waren  die  Sinkstoffe  an  der  Küste 
zu  verteilen.  Während  es  sich  nämlich  bei  dieser  ganzen  nord- 
adriatischen  Haffküste  um  eine  thalassogene  Schwemmlandküste 
handelt,  eine  Küste,  deren  Verlauf  in  flachen  Bögen  die  marinen 
Kräfte  bestimmen,  bildet  mitten  darin  das  immer  weiter  über 
diese  Bögen  hinaus  ins  offene  Meer  vorgeschobene  Po-Delta  eine 
potamogene  Schwemmlandküste  von  ganz  anderen  Formen.  Der 
Strom  beginnt  im  Meridian  von  Adria  sich  zu  teilen  und  mündet 
schließlich  in  7  Mündungsarmen,  von  denen  der  nördlichste,  der 
Po  di  Maestra,  50  km  vom  südlichsten,  dem  Po  di  Primero  ent- 
fernt ist.  Die  Hauptmündung  ist  heute  der  Po  di  Tolle.  Aber 
obwohl  alle  unter  ungeheuren  Kosten  eingedeicht  sind  und  steter 
kostspieliger  Überwachung  unterliegen,  ist  ihre  Wasserführung 
und  die  Arme  selbst  doch  sehr  wechselnd,  bald  wird  der  eine 
wasserreicher  und  versandet  der  andre  und  umgekehrt.  Die 
Mündungsarme  schieben  daher  auch  ihre  Schlammkegel  mit  ver- 
schiedener Geschwindigkeit  vor,  ja  es  kommt  vor,  daß  beim  Er- 
lahmen des  Flusses  oder  Verlegung  der  Mündung  ein  solcher 
wieder  abgetragen  oder  verkleinert  wird.  Jedenfalls  ist  auch  das 
vorgeschobene  Delta  des  Po  überwiegend  als  ein  Werk  des  Menschen 
zu  bezeichnen.  Die  schon  erwähnten  Dünenreihen  erlauben  das 
Wachstum  des  Deltas  zu  verfolgen.  Das  heutige  auf  40  km  langer 
Basis  20  km  vor  die  thalassogene  Schwemmlandküste  vorge- 
schobene Delta  ist  erst  seit  etwa   1200  n.  Chr.   entstanden. 

Durch  einen  Durchstich  im  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  ver- 
schob man  dasselbe  nach  Süden,  weil  die  nördlichen  Arme  das 
Haff  von  Venedig  bedrohten.  In  einer  seiner  letzten  Arbeiten 
hat  der  treffliche,   der  Wissenschaft  zu  früh  entrissene  Giov.  Mari- 


Wachstum  des  Po-Deltas.    Seehäfen  desselben. 


I87 


nelli  auf  Grund  der  von  den  Österreichern  um  1823,  von  den 
Italienern  um  1 893  vorgenommenen  Küstenaufnahmen  nachgewiesen, 
daß  sich  das  Po -Delta  unter  dem  Einflüsse  der  marinen  Kräfte 
weniger  nach  vorn,  als  seitwärts  vorschiebt  und  zwar  der  Po  di 
Maestra  jährlich  80  m,  Po  di  Tolle  96  m,  Po  di  Gnocca  34  m, 
Po  di  Goro  79  m,  und  daß  allein  in  diesen  etwa  70  Jahren  das 
Po -Delta  um  53  qkm,  das  ganze  nordadriatische  Deltaland  um 
68  qkm  gewachsen  ist  und  daß,  wenn  dies  Wachstum  andauerte, 
nur  1 2  000  Jahre,  also  eine  geologisch  gesprochen  sehr  kurze  Zeit 
nötig  wäre,  damit  das  Delta  die  90  km  entfernt  gegenüberliegende 
Küste  von  Istrien  erreiche.  Dann  würde  das  Nordende  des 
Adriatischen  Meeres  in  ähnlicher  Weise  zu  einem  Landsee  ab- 
geschnürt sein,  wie  der  Latmische  Meerbusen  in  Kleinasien,  an 
welchem  Milet  lag,  durch  das  Vorrücken  des  Deltas  des  Mäander 
zu  einem  Landsee  geworden  ist. 

Durch  dieses  Vorrücken  der  Anschwemmungen  mußten  natur- 
gemäß alle  Siedelungen,  welche  an  oder  in  der  Nähe  der  Fluß- 
mündungen, etwa  auf  Haffinseln  oder  auf  den  Nehrungen  lagen, 
allmählich  ins  Binnenland  rücken  und  außer  stand  gesetzt  werden 
als  Seetore  des  Hinterlands  zu  dienen.  Die  Seestädte  dieser 
Haffküste  haben  daher  alle  nur  eine  verhältnismäßig  kurze  Blüte- 
zeit gehabt.  Immer  wieder  trat  an  Stelle  einer  älteren  eine 
jüngere  weiter  seewärts  oder  der  Gegend  der  raschesten  Land- 
bildung etwas  mehr  entrückte.  Die  älteste  der  aus  diesem  Delta- 
lande bekannten  Seestädte  war  Spina,  deren  Stätte  bis  heute 
noch  nicht  sicher  hat  nachgewiesen  werden  können.  Es  hatte  seine 
Blütezeit  als  Sitz  des  Handels  in  vorrömischer  Zeit.  Sein  Name 
haftet  noch  an  einem  der  südlichsten  Deltaarme  des  Po.  Ihm 
folgte  Adria,  dessen  Blütezeit  um  den  Beginn  der  christlichen 
Zeitrechnung  liegt.  Es  war  eine  echte  Haffstadt  wie  Venedig 
und  lag  im  Hintergrunde  eines  offenbar  vielgeteilten  Haffgebiets, 
das  man  als  die  7  Meere  bezeichnete.  In  den  ersten  Jahrhun- 
derten unserer  Zeitrechnung  begannen  diese  Haffe  zu  verlanden, 
und  das  heutige  Adria,  von  dessen  Bedeutung  nur  bei  Ausgrabungen 
unter  den  seitdem  abgelagerten  Schlammschichten  gefundene  Reste 
zeugen,  ist  eine  stille  Landstadt,  die  seit  dem  17.  Jahrhundert 
aus  einem  im  Sumpfe  verkommenen  Dorfe  wieder  etwas  aufgelebt 
ist.  Es  liegt  am  sogenannten  Canal  Bianco,  der  wahrscheinlich 
ein  ehemaliger  Arm  der  Etsch  ist,   22  km  vom  nächsten  Küsten- 


1 88  n,  8.    Die  nordadriatische  Haffküste. 

punkte,  39  km  in  gerader  Linie,  45  km  den  Windungen  folgend 
von  der  heutigen  Hauptmündung  des  Po.  An  seine  Stelle  trat 
Aquileja,  das  in  den  ersten  christlichen  Jahrhunderten  seine  Blüte- 
zeit hatte.  Es  lag  nahe  dem  Nordende  dieser  Haffküste  und 
war  auch  ein  Haffhafen,  dem  die  Lage  am  Nordende  des  Adria- 
tischen  Meeres  und  nahe  der  Grenze  Italiens  zugute  kam.  Es 
vermittelte  namentlich  den  Handel  Italiens  und  des  Mittelmeer- 
gebiets mit  den  Alpenländern,  besonders  den  östlichen.  Be- 
deutende Altertümer  zeugen  noch  von  seiner  einstigen  Größe. 
Es  liegt  heute  10  km  vom  offenen  Meere,  ohne  Beziehungen  zu 
demselben  in  neberschwangeren  Sümpfen.  Neben  den  natürlichen 
Vorgängen,  die  seine  Verbindung  mit  dem  Meere  abschnitten 
und  so  seine  Lebensader  unterbanden,  trug  zu  seinem  Verfall 
auch  seine  Lage  am  nordöstlichen  Eingangstore  Italiens  bei,  durch 
das  in  der  Völkerwanderung  so  viele  Völkerstürme,  besonders 
die  Hunnen,  gebraust  sind,  für  welche  diese  erste  reiche  Stadt 
Italiens  besonders  verlockend  sein  mußte.  Nun  kam,  diesen  Ge- 
fahren entrückt,  nahe  dem  Südende  der  Haffküste  die  Haffstadt 
Ravenna,  die  nächste  Vorgängerin  von  Venedig,  zur  Blüte,  nament- 
lich weil  es  mit  der  dem  Seeverkehr  günstigen  Lage  große  natür- 
liche Festigkeit  verband,  die  in  jenen  unruhigen  Zeiten  des  Nieder- 
gangs des  Römerreiches  besonders  wertvoll  war.  Es  trug  voll- 
ständig den  Charakter  von  Venedig,  seine  Häuser  standen  auf 
Pfahlrosten,  seine  Straßen  waren  z.  T.  Kanäle.  Im  Haff  hinter 
der  Nehrung  gelegen,  war  es  weder  zu  Lande  noch  zu  Wasser 
angreifbar.  Es  spielte  so  eine  Zeitlang  geradezu  die  Rolle  einer 
Hauptstadt  Italiens,  besonders  soweit  es  von  Ostrom  abhängig 
war,  und  eine  Fülle  kostbarer  Bau-  und  Kunstdenkmäler,  nament- 
lich aus  dem  frühen  Mittelalter,  zeugt  noch  heute  in  der  stillen 
Landstadt,  die  nur  durch  einen  Kanal  geringe  Beziehungen  zu 
dem  8  km  entfernten  Meere,  Porto  Corsini,  unterhält,  von  der 
ehemaligen  Größe  und  den  Beziehungen  derselben  zu  Byzanz. 
Vom  Meere  trennt  sie  die  auf  breitem,  flachem  Dünenwalle,  der 
sich  erst  in  geschichtlicher  Zeit  gebildet  hat,  emporgewachsene 
Pineta  von  Ravenna,  einst  wohl  der  schönste  Pinienwald  der 
Mittelmeerländer,  heute  leider  verwüstet. 

Auf  Ravenna  folgt  Venedig.  Dies  war  sicher  zuerst  eine 
Fischersiedelung  auf  einer  Haffinsel,  wie  es  deren  heute  noch 
gibt.      Aus    den    bei    Fundamentierungen    gefundenen    römischen 


Entwicklung  von  Venedig.  igü 

Resten  ergibt  sich,  daß  es  bereits  in  römischer  Zeit  bestand,  ja 
schon  eine  gewisse  Bedeutung  hatte.  Während  der  Völkerwande- 
rung flüchteten  sich  in  diese  weder  zu  Wasser  noch  zu  Lande 
angreifbare,  nahe  seitwärts  gelegene  Zufluchtsstätte  Bewohner  des 
von  den  Völkerstürmen  verwüsteten  Zuganges  zu  Italien  von  Nord- 
osten her.  Sie  brachten  Unternehmungsgeist,  reichere  Mittel, 
höhere  Bildung,  und  so  wurde  aus  dem  Fischerdorfe  bald  ein  Sitz 
der  Schiffahrt  und  des  Handels,  dessen  Entwicklung,  selbst  während 
der  unruhigen  Zeiten  des  Mittelalters,  infolge  der  Sicherheit  seiner 
Lage  nicht  leicht  gestört  werden  konnte,  bis  die  Bevölkerung, 
namentlich  durch  stete  Zuwanderung,  der  Reichtum  und  die  Macht- 
mittel so  gewachsen  waren,  daß  sie  selbst  über  das  Inselgebiet 
hinaus  greifen  konnte.  Von  der  See  aus  unangreifbar,  weil  die 
Tiefs  (Porti),  welche  allein  durch  den  Wall  der  Nehrungen  in 
das  ruhige  Haff  hineinführen,  leicht  gesperrt  und  verteidigt  werden 
können,  während  dieselben  und  die  tiefen  Rinnen,  welche  das 
Haff  durchziehen,  auch  den  größten  Seeschiffen  den  Zugang  zu 
der  Inselstadt,  ja  in  früheren  Zeiten  bis  in  die  Kanäle  derselben 
ermöglichten.  So  verfügte  Venedig  über  ausgedehnte,  sichere 
Ankerplätze,  die  bald  durch  Kunst  verbessert  wurden.  Die  Ge- 
zeiten, welche  hier  in  dieser  zugespitzten  Verengung  des  Mittel- 
meeres noch  die  beträchtliche  Höhe  von  im  Mittel  0,60  m,  im 
Höchstbetrage  1,20  m  erreichen,  tragen  wie  anderwärts,  in  unserem 
deutschen  Wattenmeere  z.  B.,  dazu  bei,  durch  ihre  Strömungen 
diese  Rinnen  offen  zu  erhalten,  ja  sie  haben  sie  beträchtlich  aus- 
getieft. Je  größer  das  Haff  ist,  dessen  Wassermassen  so  periodisch 
regelmäßig  erneuert  werden,  um  so  tiefer  und  schiffbarer  sind 
die  Tiefs.  Die  Gezeiten  erneuern  auch  das  Wasser  des  Haffs, 
erhalten  es  salzig  und  gesund,  tragen  auch  neben  der  verhältnis- 
mäßig üppigen  Vegetation  von  Seegräsern,  welche  den  Boden 
der  Haffe  bedeckt,  zu  dem  großen  Fischreichtum  des  ganzen 
Haffgebiets  bei,  der  nicht  nur  einem  bedeutenden  Bruchteil  der 
Bevölkerung  lohnende  Beschäftigung,  sondern  der  Gesamtheit 
billige  Nahrung  bietet.  Die  Mannigfaltigkeit  dieser  Fischfauna 
hängt  vielleicht  auch  damit  zusammen,  daß  die  innersten  Teile 
der  Haffe,  die  sog.  Valli,  nicht  mehr  von  den  Gezeiten  erreicht 
werden  und  so  Süßwasser  haben,  das  nur  ausnahmsweise  einmal 
versalzen  wird. 

So  wurde   Venedig    bald   der    einzige  Seehafen    nicht  nur  in 


I  qo  II,  8.    Die  nordadriatische  Haffküste. 

diesem  ganzen  Haffgebiete,  sondern  im  ganzen  Adriatischen 
Meere,  der  End-  und  Knotenpunkt  zahlreicher  Landstraßen,  die 
hier  nicht  nur  aus  dem  ganzen  östlichen  Teile  der  Po -Ebene 
zusammenliefen,  sondern  auch  aus  und  von  jenseits  der  Alpen. 
Die  tiefen  Einkerbungen  der  Alpen  im  Brenner  (und  Reschen- 
scheideck),  der  bequeme  Zugang  zum  Kärntner  Becken  durch 
das  Kanaltal  und  weiter  bis  an  die  Donau  bei  Wien,  erlaubten 
Venedig  in  die  engsten  Handelsbeziehungen  zu  den  süddeutschen 
Handelsstädten,  Augsburg,  Ulm,  Nürnberg,  Konstanz  zu  treten, 
von  denen  noch  heute  am  Canal  Grande  der  Fondaco  Tedesco 
zeugt.  Und  diese  Landstraßen  setzten  sich,  besonders  seit  die 
Kreuzzüge  die  Beziehungen  zum  Orient  belebt  hatten,  in  immer 
wichtiger  werdenden  Wasserstraßen  fort,  die  der  Richtung  des 
Adriatischen  Meeres  entsprechend  auf  das  östliche  Mittelmeer 
zielten  und  dieses  vorzugsweise,  aber  durchaus  nicht  ausschließ- 
lich, zum  Handelsgebiet  der  Venetianer,  zu  einer  Quelle  ihres 
Reichtums  und  ihrer  politischen  Macht  machten.  Diese  Beziehungen 
finden  noch  heute  ihren  Ausdruck  in  dem  Charakter  vieler  der 
herrlichsten  Baudenkmäler  Venedigs,  besonders  San  Marco,  und 
in  dem  Fondaco  dei  Turchi,  der,  erneuert,  auch  seinerseits  zu 
den  anziehendsten  Palästen  an  dem  an  solchen  so  reichen  Canal 
Grande  gehört. 

Aber  drei  Feinde  gefährdeten  die  Entwicklung  Venedigs,  ja 
bedrohten  seine  Zukunft:  zwei  Naturkräfte,  die  Brenta  und  die 
Gezeitenströmungen,  und  die  Seeräuber  der  an  guten  Häfen  und 
versteckten  Zufluchtsstätten  so  reichen  Küste  von  Dalmatien,  die 
die  Zugangsstraße  nach  Venedig  beständig  von  der  Seite  bedrohten. 
Die  Bekämpfung,  die  Besiegung  dieser  Feinde  haben  die  Handels- 
stadt, gewiß  ursprünglich  nicht  ohne  Bedenken,  ja  vielleicht  wider 
Willen,  zu  einem  Brennpunkte  politischer  Macht,  zur  Hauptstadt 
eines  weit  ausgedehnten  Reiches,  das  man  in  der  engeren  Welt 
des  Mittelalters  dem  heutigen  englischen  Weltreiche  vergleichen 
kann,  zur  Weltmacht  gemacht.  Hatte  schon  die  Rom  aufge- 
zwungene Unterwerfung  der  dalmatischen  Seeräuber,  der  Illyrier, 
Vorfahren  der  Albanesen,  Rom  zur  Ausdehnung  seiner  Herrschaft 
nach  Osten  gebracht,  so  auch  Venedig.  Nur  waren  hier  in- 
zwischen Südslawen,  Serben,  an  Stelle  der  Illyrier  getreten,  die 
aber  die  Landesnatur  auch  in  wenigen  Jahrhunderten  zu  den 
vortrefflichen  Seeleuten  erzogen  hatte,    die    sie   noch  heute  sind: 


Venedigs  Kampf  gegen  Menschen  und  Naturkräfte.  jqj 

die  einzigen  unter  den  durchaus  festländischen  Slawen,  Kreuz- 
fahrer im  Dienste  der  wohl  wenig  kriegsgeübten  fürstlichen  Kauf- 
leute, die  ihre  Kriege  ja  immer  mit  Söldnern  führten,  ermöglichten 
es  Venedig,  das  ganze  Ostgestade  des  Adriatischen  Meeres  unter 
seinen  Einfluß  zu  bringen.  Korfu  bildete  dann  besonders  den 
Türken  gegenüber  den  Schlüssel  zu  diesem  rein  venetianischen 
Mittelmeere.  Härter  war  der  Kampf  mit  der  einen  der  Natur- 
kräfte, der  auch  seinerseits  bald  durch  menschliche  Widerstände 
erschwert  wurde.  Diese  wurden  besiegt,  was  zur  Folge  hatte, 
daß  Venedig  auch  auf  dieser  Seite  eine  Landmacht  wurde,  aber 
die  Naturkraft  muß  man  für  unbesiegbar  halten.  Die  gewaltigsten 
Anstrengungen  haben  nur  dazu  geführt,  daß  das  Verhängnis 
hinausgeschoben  worden  ist.  Aber  das  bewundernswerteste  Denk- 
mal dieses  wenigstens  zeitweilig  siegreichen  Kampfes  ist  die  Ge- 
stalt der  Küste  vor  dem  Haffgebiet  von  Venedig,  eine  Einwirkung 
des  Menschen  auf  die  Natur,  wie  sie  in  solchem  Maße  wohl  noch 
nie  vorgekommen  ist.  Die  verhältnismäßig  tiefe  Einbuchtung, 
welche  die  Küste  nördlich  vom  Po -Delta  aufweist,  beruht  auf 
gehindertem  Wachstume  des  Landes.  Und  das,  wie  die  Erhaltung 
des  Haffs,  das  längst  verlandet  oder  in  einen  großen  Malaria  er- 
zeugenden Sumpf  verwandelt  worden  wäre,  ist  das  Werk  der 
Venetianer,  ein  Werk,  das  ihnen  bei  allen  Erdkundigen  zu  höherem 
Ruhme  gereicht  als  alle  Paläste  und  alle  Kunstschätze  dieses 
großen  Museums. 

Die  Brenta  mündete  in  das  Haff,  lud  in  demselben  ihre  aus 
den  Alpen  herbeigeschleppten  Sinkstoffe  ab,  schob  das  Land  vor 
und  drohte  das  ganze  Haff  in  einen  Sumpf  zu  verwandeln, 
Venedig  vom  Meere  abzuschneiden,  vom  Lande  zugänglich  und 
ungesund  zu  machen.  Es  galt  also  die  Brenta  vom  Haff  abzu- 
lenken und  in  einem  langen  und  wegen  des  dadurch  außer- 
ordentlich verringerten  Gefälls  besonders  schwer  zu  unterhaltenden 
Umgehungskanal  südwärts  erst  bei  Fusina,  dann  bei  Malamocco, 
dann  bei  Chioggia  und  schließlich  bei  Brondolo  nahe  der  Etsch- 
mündung  ins  Meer  zu  leiten,  eine  der  schwierigen,  sich  immer, 
namentlich  bei  den  häufigen  Hochwassern  erneuernden  Aufgaben, 
welche  die  Italiener  zu  den  besten  Wasserbaumeistern  der  Welt 
erzogen  haben.  Auch  die  Mündungsarme  des  Po  wurden  nach 
Süden  verschoben  und  im  Norden  der  Sile  in  die  alte  Mündung 
des  Piave  geleitet  und  diesem  selbst  seine  heutige  Mündung  ge- 


in 2  U>  8.    Die  nordadriatische  Haffküste. 

graben.  Doch  ist  trotzdem  die  Aufhöhung  nicht  völlig  fernge- 
halten worden.  Seitdem  wurde  über  die  Erhaltung  des  Haffs  mit 
größter  Sorgfalt  gewacht,  schon  im  14.  Jahrhundert  wurden  die 
Grenzen  desselben  durch  Dämme  und  100  Steinzeichen  festgelegt, 
die  zum  letzten  Male  1791  erneuert  worden  sind.  Aber  das  war 
erst  möglich,  nachdem  man  in  erbittertem,  sich  immer  wieder  er- 
neuerndem Kampfe  das  benachbarte  Padua  unterworfen  hatte. 
Denn  wenn  Venedig  die  Brenta  vom  Haff  fernhalten  mußte,  so 
war  es  ebenso  eine  Lebensfrage  für  Padua  sie  so  rasch  und 
gerade  wie  möglich  in  das  Haff  zu  leiten,  um  die  Überschwemmungs- 
gefahr abzuwenden.  So  griff  Venedig  aus  seiner  sicheren  Stellung 
inmitten  des  Haffs  auf  das  Festland  hinüber  und  immer  weiter 
nach  Westen  aus,  um  sich  die  Wasserstraßen  zu  sichern,  schließ- 
lich selbst  über  den  Mincio  bis  an  den  Corner  See.  Noch  heute 
bezeichnen  wir  diesen  ehemaligen  Besitz  der  Republik  auf  dem 
Festlande,  wo  man  noch  überall,  besonders  in  den  Städten  ihre 
Einflüsse  erkennt,  mit  dem  Namen  Venetien.  Es  ist  in  der  Tat 
eine  der  großen  natürlichen  Landschaften  Italiens,  die  namentlich 
durch  ihr  z.  T.  schiffbares  Flußnetz  nach  Venedig  gravitiert.  Das 
erleichterte  die  Erwerbung  derselben. 

Den  dritten  und  gefährlichsten  Feind  hat  man  erst  sehr  spät 
erkannt,  nämlich  den  Sand,  welcher  von  Strömung  und  Küsten- 
versetzung an  der  Küste  entlang  und  z.  T.  in  das  Haff  hinein- 
geschoben wird  und  die  Tiefs,  welche  nach  Ablenkung  der  Brenta 
der  Druck  des  Binnenwassers  nicht  mehr  hinreichend  offen  zu 
halten  vermag,  zu  verschließen  droht.  Erst  neuerdings  würdigt 
und  studiert  man  diese  Vorgänge.  Das  Tief  des  Lido,  das  viele 
Jahrhunderte  lang  allein  als  Zugangsweg  benützt  wurde,  verlor 
seit  1724  an  Bedeutung  gegenüber  dem  Tief  von  Malamocco, 
dessen  Erhaltung  man  sich  mehr  angelegen  sein  ließ.  Der  be- 
rühmte Wasserbaumeister  Paleocapa  hat  das  Verdienst,  durch  die 
gewaltigen  Dämme,  welche  seit  1840  dieses  Tief  befestigt  haben, 
einen  so  tiefen  Zugangsweg  geschaffen  und  gesichert  zu  haben, 
daß  die  größten  Panzerschiffe  der  Gegenwart  mit  mehr  als  8  m 
Tiefgang  einlaufen  und  vor  Venedig  Anker  werfen  können.  Dies 
ist  heute  auch  italienischer  Kriegshafen.  Aber  dieser  15  km  lange 
Weg  durch  das  Haff  ist  dem  Verkehr  zu  lang,  und  das  Bedürfnis, 
das  nur  5  km  entfernte  Tief  des  Lido  wieder  fahrbar  zu  machen, 
drängte  sich  immer  mehr  auf,  namentlich  da  man  auch  erkannte, 


Gegenwart  und  Zukunft  Venedigs.  I  n  ? 

wie  dringend  nötig  es  sei,  die  Flut  in  voller  Kraft  eindringen  zu 
lassen.  So  hat  man  seit  1882  durch  zwei  weit  ins  offene  Meer 
hinaus  verlängerte  Dämme  einen  900  m  breiten,  die  drei  Kanäle 
del  Lido,  di  San  Erasmo  und  Treporti  in  sich  vereinigenden 
Eingang  geschaffen,  welchen  der  Handel  jetzt  allein  benützt. 
Die  Gezeitenströmungen  haben  denselben  bereits  auf  12  m  aus- 
getieft und  die  Sandbänke,  welche  sich  vor  dem  Eingange  zu 
bilden  begonnen  hatten,  weggefegt.  Schon  seit  1846  verbindet 
eine  3600  m  lange  Eisenbahnbrücke  die  Stadt  mit  dem  festen 
Lande  und  den  Alpenpässen.  Zugleich  ist  sie  durch  Flüsse  und 
Kanäle  der  Knotenpunkt  eines  immer  besser  gepflegten  und  er- 
weiterten Netzes  von  inneren  Wasserstraßen,  welche  bis  Casale 
Monferrato,  zum  Corner  und  Langen  See  und  bis  Modena  aus- 
greifen. Eine  33  km  lange  Leitung  führt  der  Stadt  auch  gutes 
Trinkwasser  zu.  So  hat  sich  die  alte  Herrscherin  der  Adria, 
wenn  auch  ihre  Kräfte  in  den  letzten  Jahrhunderten  erlahmt  zu 
sein  schienen,  doch  wieder  aufgerafft,  neues  Leben  beginnt  wieder 
einzuziehen  und  das  Schicksal  von  Ravenna  scheint  vorläufig  ab- 
gewendet zu  sein.  Aber  gewiß  nicht  für  immer.  Auch  das  Haff 
von  Venedig  wird  sich  einmal  in  einen  Sumpf  und  schließlich  in 
festes  Land  verwandeln,  und  die  Paläste  der  herrlichen  Stadt 
werden  dann  zu  den  künftigen  Geschlechtern  reden,  wie  heute 
Ravenna  zu  uns. 


9.  Der  Schwerpunkt  Griechenlands.1) 

Als  es  sich  bei  Gründung  des  neuen  Königreichs  Griechen- 
land um  die  Wahl  der  Hauptstadt  handelte,  schwankte  man  lange 
zwischen  Korinth  und  Athen.  Korinth  hatte  jedenfalls  viel  für 
sich,  denn  die  Gunst  seiner  Lage  hatte  es  schon  im  Altertume 
stets  eine  wichtige  Rolle  spielen  und  als  Erbin  Athens  in  spät- 
griechischer Zeit  zur  größten  und  reichsten  Handelsstadt  Griechen- 
lands werden  lassen.  Auf  der  Landenge  gelegen,  wo  diese  am 
schmälsten  ist,  so  daß  Beziehungen  zu  beiden  Meeresräumen,  zu 
Ost-  und  zu  Westgriechenland,  zum  östlichen  und  westlichen 
Mittelmeergebiet  möglich  sind,   war  Korinth    in    erster  Linie  See- 

1)  Nach  meiner  Landeskunde  von  Griechenland,  Leipzig  1893,  bearbeitet. 
Fischer,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge.  13 


j  qm  II.  9.    Der  Schwerpunkt  Griechenlands. 

handelsstadt,  was  für  ein  Land,  wie  das  maritime  Gebirgsland 
Griechenland,  unerläßlich  war.  Eine  Schleppbahn  ermöglichte  so- 
gar kleinere  Schiffe  über  die  Landenge  zu  befördern.  Dazu  kam 
aber  die  Lage  an  dem  einzigen  Landwege,  welcher  Mittelgriechen- 
land mit  dem  Peloponnes  verbindet  und  der  dort  in  ein  Bündel 
von  Wegen  ausstrahlt,  welche  an  der  Nord-  und  Ostküste  der 
Halbinsel  und  zwischen  beiden  verlaufen.  Zugleich  beherrscht 
hoch  über  der  Stadt  thronend  Akrokorinth,  das,  wie  in  makedo- 
nischer, so  besonders  auch  in  türkischer  Zeit  eine  der  Fesseln 
Griechenlands  war,  die  Wege  über  die  Landenge  und  den  Ein- 
gang in  den  Peloponnes.  Auch  liegt  Korinth  für  das  Königreich 
in  seiner  damaligen  Ausdehnung  außerordentlich  zentral.  Wenn 
schließlich  die  Entscheidung  für  Athen  fiel,  obwohl  dies  nichts 
wie  ein  Haufe  von  Trümmern  war,  in  dem  sich  kaum  ein  be- 
wohnbares Haus  fand,  das  also  ganz  neu  aufgebaut  werden  mußte, 
so  bewirkte  das  die  große  geschichtliche  Bedeutung  Athens,  die 
glänzende  Rolle,  welche  es  im  Altertum  gespielt  hatte.  Die  doch 
nur  in  gewissen  Grenzen  berechtigte  Vorstellung  der  Neugriechen, 
daß  sie  die  Nachkommen  der  alten  Griechen  seien,  die  sich 
auch  in  dieser  Entscheidung  bedeutungsvoll  geltend  machte,  ist 
als  ethischer  Faktor  in  der  Entwicklung  Griechenlands  und  des 
griechischen  Volks  nicht  hoch  genug  einzuschätzen.  Sie  ist  die 
Quelle  mancher  tüchtigen  Leistung.  Daß  in  diesem  Falle  die 
Wahl  in  doppelter  Hinsicht  eine  gute  war,  zeigt  einerseits  die 
erstaunliche  Entwicklung,  welche  Athen  in  kaum  Dreivierteljahr- 
hundert genommen  hat,  andererseits  das  Schicksal  von  Korinth. 
Korinth  liegt  nämlich  auf  einer  der  gefährlichsten  Erdbebenlinien 
Griechenlands  und  ist  1858  wieder  einmal  so  gründlich  durch 
13  Monate  lang  sich  wiederholende  Erdbeben  zerstört  worden, 
daß  die  Bewohner  darauf  verzichtet  haben,  es  wieder  aufzubauen. 
Die  mächtigen  Säulen  des  alten  dorischen  Tempels  stehen  noch 
aufrecht  inmitten  einer  von  Trümmern  alter  und  neuer  Zeit  be- 
deckten Stätte.  Neu-Korinth  ist  unten  am  Strande  des  Korin- 
thischen Meerbusens  als  regelmäßige,  ärmliche  Stadt  wieder  auf- 
gebaut worden,  da  auch  der  Kanal  keine  neue  Blüte  zu  bringen 
vermocht  hat.  Aber  noch  andere  Punkte  am  Saronischen  Golfe 
haben  in  neuerer  Zeit  eine  Rolle  gespielt,  die  Felseilande  Hydra 
und  Spetzä  und  die  Meerengenstadt  Porös.  Im  Altertum  war 
noch    vor    Athen    die    Insel    und    Inselstadt    Ägina,    von    dessen 


Die  Bedeutung  des  Saronischen  Golfs. 


*95 


Bedeutung  noch  der  Poseidon-Tempel  zeugt,  der  Brennpunkt  des 
Verkehrs  im  Saronischen  Golfe.  Kurz,  wir  sehen,  daß  in  den 
verschiedensten  Perioden  einer  fast  dreitausendjährigen  Geschichte 
der  Sitz  des  Verkehrs  und  der  höchsten  Gesittung  Griechenlands 
an  diesem  Meerbusen  gewesen  ist.  An  ihm  hat  zu  allen  Zeiten 
der  Schwerpunkt  Griechenlands  gelegen. 

Eine  Erklärung  dieser  Tatsache  werden  wir  in  den  geogra- 
phischen Verhältnissen  Griechenlands,  ganz  besonders  aber  der 
wagrechten   Gliederung  seiner  Ostseite  finden. 

Griechenland  ist  der  südlichste  Teil  eines  allerdings,  wie 
die  tiefer  dringende  Forschung  immer  mehr  herauszustellen 
scheint,  nicht  einheitlich  gebildeten  gefalteten  Gürtels  der  Erd- 
rinde, der  in  einer  Länge  von  etwa  1200  km  und  einer  mittleren 
Breite  von  150  km  der  ganzen  Westseite  der  südosteuropäischen 
Halbinsel  ihren  Charakter  aufprägt,  der  dieselbe  ganz  besonders 
als  ein  Gebiet  des  Verharrens,  als  eine  Schranke  des  Verkehrs 
in  westöstlicher  Richtung  erscheinen  läßt.  Dieses  junge  Falten- 
gebirge bedingt  in  Griechenland  zahlreiche  meridionale  Gebirgs- 
ketten, wie  sich  dies  am  auffälligsten  in  den  Epirus  von  Thes- 
salien ,  Ätolien  von  Phokis  trennenden  Ketten ,  in  der  langen 
meridionalen  Erstreckung  des  Peloponnes  und  in  den  drei  Spitzen 
ausprägt,  in  welche  derselbe  nach  Süden  ausgeht.  Aber  schon 
in  Mittelgriechenland  schwenken  diese  meridionalen  Falten  nach 
Osten  ab  und  vermitteln,  am  augenfälligsten  in  Kreta,  die  Ver- 
knüpfung des  griechischen  Faltensystems  mit  dem  taurischen 
Kleinasiens.  Gegen  Ende  der  Tertiärzeit  und  weit  in  die 
Quartärzeit  hinein  tritt  auch  hier  ein  geradezu  für  den  mediter- 
ranen Bruchgürtel  kennzeichnender  Vorgang  in  die  Erscheinung: 
Krustenbewegungen  finden  ihre  Auslösung  nicht  in  der  Bildung 
von  Falten,  sondern  von  Brüchen,  die  den  ganzen  gefalteten 
Gürtel  durchsetzen  und  in  einzelne  Schollen  zerstücken,  die  sich 
gegeneinander  vorzugsweise  in  der  Vertikalen  verschieben  unter 
Überwiegen  zentripetaler  Bewegungen,  aber  auch  gegenteiliger, 
denn  A.  Philippson,  dem  wir  in  erster  Linie  die  geographisch- 
wissenschaftliche Erforschung  Griechenlands  verdanken,  hat  ge- 
zeigt, daß  am  Nordrande  des  Peloponnes  pliocäne  marine  Schichten 
heute  bis  1 800  m  über  dem  Meere  vorkommen.  Dadurch  ist 
das  Faltenland  hier  zum  Bruchlande  geworden.  Nicht  mehr  die 
Faltenbildung,  sondern  die  Bruchbildung  bestimmt  die  senkrechte, 

13* 


I  q6  II,  9.    Der  Schwerpunkt  Griechenlands. 

wie  die  wagrechte  Gliederung  Griechenlands.  Eine  allgemeine 
Senkung  des  Gebiets  in  der  Quartärzeit  geht  damit  Hand  in 
Hand,  so  daß  das  Meer  auch  in  die  von  exogenen  Kräften,  be- 
sonders dem  rinnenden  Wasser  gebildeten  Hohlformen,  nicht  bloß 
in  die  Gräben  und  Brüche  eintritt  und  die  abgesunkenen  Schollen 
bedeckt.  Das  ägäische  Festland  wird  im  Laufe  der  Quartärzeit 
zum  ägäischen  Inselmeere.  Das  Faltenland,  das  zwar  noch 
immer  als  meridionaler  Gürtel  zu  erkennen  ist,  löst  sich  so  in 
eine  große  Zahl  kleiner  Sonderlandschaften,  in  Halbinseln  und 
Inseln  auf.  Denkt  man  sich  die  Wasserhülle  weg,  so  würde 
dieser  Teil  der  Erdrinde  wie  mit  dem  Beile  zerhackt  erscheinen. 
Wie  das  Land  auf  dem  Festlande,  wie  es  auf  den  Halbinseln  und 
Inseln  steil  und  zu  bedeutenden  Höhen  emporsteigt,  so  senkt 
sich  auch  der  Meeresgrund  jäh  zu  großen  Tiefen.  In  wunder- 
barer Weise  erscheint  hier  Land  und  Meer  gemischt,  beide 
durchdringen  und  beeinflussen  einander,  Halbinseln  und  Inseln 
setzen  das  Festland  ins  Meer  hinaus  fort,  Meerbusen,  Meerengen 
und  Mittelmeere  im  Kleinen,  wie  die  Golfe  von  Korinth,  von 
Arta  und  Volo,  das  Meer  ins  Festland  hinein.  Und  die  Bewohner 
nicht  nur  der  Inseln  sind  für  den  Verkehr  auf  das  Meer  ange- 
wiesen, weil  die  Meerfernen  überall  gering  sind,  das  Land  bei 
dem  Vorherrschen  von  Steilküsten,  bei  der  Steilheit  der  Gehänge, 
der  Höhe  und  dem  felsigen  Charakter  der  Gebirge  wenig  weg- 
sam ist,  während  die  überall  vorhandene  Landnähe  und  ein 
großer  Reichtum  an  geschützten  Durchfahrten,  an  kleinen  sicheren 
Buchten,  die  auch  Gelegenheit  bieten,  das  kleine  Segelboot  auf 
flachen  Strand  zu  ziehen,  einen  großen  Teil  des  Jahres  günstige 
Windverhältnisse  und  andere  Umstände  mehr  den  Seeverkehr  er- 
leichterten, den  Menschen  auch  anlockten,  einen  Teil  seiner 
Nahrung  dem  Meere  abzugewinnen  und  so  immer  mehr  mit  dem- 
selben vertraut  zu  werden.  Griechenland  ist  durch  diese  Vor- 
gänge, die  der  jüngsten  geologischen  Vergangenheit  angehören, 
ja  sich  vielleicht  noch  in  der  Gegenwart  fortsetzen,  ein  maritimes 
Gebirgsland  geworden,  ein  wahrer  an  Gegensätzen  reicher 
Mikrokosmos,  und  das  südliche  Drittel  dieses  gefalteten  Erd- 
gürtels unterscheidet  sich  daher  durchaus  von  dem  mittleren 
und  nördlichen  Drittel,  ein  neues,  eigenartiges  und  durch  seine 
Eigenart  und  den  Einfluß,  den  dieser  Erdraum  auf  die  Be- 
wohner ausgeübt  hat,  in  der  Geschichte  der  menschlichen  Kultur- 


Die  Zerstückung  der  Erdrinde  in  Griechenland.  jgy 

entwicklung  einzigartige  Rolle  spielendes  Länderindividuum 
ist  so  entstanden.  Es  möge  hier  nur  noch  kurz  darauf  hinge- 
wiesen werden,  daß  noch  zwei  andere  der  jungen  mediterranen 
Faltengebirge,  die  Apenninen  und  das  andalusische  Faltengebirge, 
dort  wo  sie  sich  tief  hinein  in  den  mediterranen  Bruchgürtel  er- 
strecken, in  ähnlicher  Weise  durch  Brüche  zerstückt  und  in 
Inseln  aufgelöst  wurden,  Sizilien  und  Umgebung,  die  Balearen. 
Die  Zerstückung  der  Apenninen  ist  nur  scheinbar  eine  geringere, 
weil  eine  bedeutende  Hebung  der  Quartärzeit  mindestens  sieben 
größere  Inseln  Süditaliens  wieder  miteinander  verbunden  und  die 
Apenninen  auch  orographisch  wieder  zu  einem  einheitlichen  Ge- 
birge verbunden  hat.  Nur  die  Straße  von  Messina  blieb,  wenn 
auch  verengt,  noch  offen.  Welchen  Einfluß  das  alte  ägäische 
Festland  bei  der  Zusammenfaltung  Griechenlands  und  bei  der 
Umbiegung  der  Falten  nach  Osten  hin  ausgeübt  hat,  soll  hier 
unerörtert  bleiben.  Es  ist  auch  seinerseits  zerstückt  worden  und 
nur  noch  in  Inseln,  besonders  den  dem  entsprechend  vorwiegend 
aus  alten  kristallinischen  Felsarten  aufgebauten  Kykladen  erhalten. 
Aber  diese  lassen  doch  eine  verkehrsgeographisch  außerordent- 
lich wichtige  Tatsache  erkennen:  sie  sind  entsprechend  dem  Um- 
stände, daß  die  Bruchlinien,  wie  es  vielfach  im  Faltenlande  vor- 
kommt, sowohl  dem  Streichen  der  Falten  parallel,  also  südöstlich 
verlaufen,  wie  senkrecht  dazu,  also  westöstlich,  in  Reihen  an- 
geordnet, sie  bilden  also  gewissermaßen  Schrittsteine,  die  von 
Griechenland  nach  Kleinasien  hinüberführen.  Bei  dem  Umbiegen 
der  Falten  an  Griechenlands  Ostseite  werden  dieselben  von  den 
südsüdöstlich  verlaufenden  Brüchen  quer  durchschnitten,  so  daß 
also  hier  und  noch  mehr  am  kleinasiatischen  Gegengestade  eine 
geöffnete,  dem  Verkehr  günstige  Querbruchküste  entstand.  Vulka- 
nische Tätigkeit,  die  an  diese  Bruchlinien  geknüpft  und  nament- 
lich auf  Santorin  noch  rege  ist,  hat  die  Mannigfaltigkeit  der  Erschei- 
nungen und  die  Zahl  der  Inseln  noch  vermehrt.  Am  größten 
ist  die  Zerstückung  der  Erdrinde  an  der  Ostseite  Griechenlands, 
während  die  Westseite  steil  zu  den  größten  Tiefen  des  Mittel- 
meeres, dem  ionischen  Tiefbecken,  hinabsinkt  und  nur  die 
ionischen  Inseln  als  landnahe  Abgliederungsinseln  sich  am  Außen- 
rande  des  Schelfs,  des  Flachseegürtels  erheben. 

In    welcher  Weise    diese  Landzertrümmerung,    diese  Bildung 
von   Inseln   und  Meerengen    sich   vollzogen   hat,    darin   gewähren 


igg  II,  9.    Der  Schwerpunkt  Griechenlands. 

uns  zwei  gut  beobachtete  Vorgänge  der  Neuzeit  einen  Einblick, 
die  uns  auch  weniger  gut  beobachtete  und  überlieferte  Vorgänge 
früherer  Zeiten  verständlich  machen.  Beide  hängen  mit  den  in 
Griechenland  so  häufigen  Erdbeben  zusammen.  Wie  häufig  die- 
selben sind,  ergibt  sich  bereits  aus  den  seit  1892  eingerichteten 
Erdbebenbeobachtungen,  nach  denen  in  dem  fünfjährigen  Zeit- 
räume von  1893 — 98  nicht  weniger  als  3187  Erschütterungen  zur 
Beobachtung  kamen,  die  meisten  längs  der  steilen  westlichen  Abbruchs- 
seite, nächstdem  am  Evripos  und  am  Golfe  von  Korinth.  Das 
zeigt  wie  die  Erdrinde  hier  auch  heute  nicht  zur  Ruhe  gekommen 
ist,  und  macht  den  Kultus  des  Herrn  des  Meeres  und  Erd- 
erschütterers  Poseidon  im  alten  Griechenland  begreiflich.  Er 
wurde  gerade  in  den  am  häufigsten  erschütterten  Landschaften 
am  eifrigsten  verehrt.  Dort  standen  seine  zahlreichsten  Heilig- 
tümer und  es  macht  einen  tiefen  Eindruck,  wenn  Xenophon  er- 
zählt, daß,  als  die  Spartaner  mit  ihren  Bundesgenossen  im  Jahre 
390  v.  Chr.  einen  Einfall  nach  Argolis  machten  und  ein  Erdbeben 
am  ersten  Abende  auf  feindlichem  Gebiete  das  ganze  Lager  in 
Erregung  brachte,  nur  die  Spartaner  den  Kopf  nicht  verloren, 
sondern  in  mächtigem  Chore  einen  Hymnus  auf  Poseidon  durch 
die  stille  Nacht  erschallen  ließen.  Das  eine  dieser  Ereignisse 
war  das  Erdbeben  von  Lokris  im  April  1894,  welches  der  grie- 
chische, in  Deutschland  ausgebildete  Geologe  Skuphos  beobachtet 
und  geschildert  hat.  Bei  demselben  bildete  sich  in  Lokris  dem 
Talantikanal  und  der  Küste  parallel  ein  55  km  langer  Spalt,  der 
durch  Ebene,  Hügel  und  Berge,  durch  Schwemmland,  durch 
tertiäre  und  feste  Gesteine  der  Kreideformation  verlief  bei  einer 
Breite  der  entstandenen  Kluft  von  Z1/^  m  und  einer  sichtbaren 
Tiefe  von  15 — 20  m.  Dabei  hatte  sich  der  so  abgelöste  breite 
Festlandsstreifen  um  i1/«  m  gesenkt,  so  daß  der  Außenrand  des- 
selben dauernd  vom  Meere  bedeckt  und  ein  Teil  als  Insel  ab- 
gegliedert wurde.  Zugleich  hatte  eine  horizontale  Verschiebung 
stattgefunden,  so  daß  die  Betten  der  unterbrochenen  Gießbäche 
nicht  mehr  aufeinander  paßten.  Es  hatte  also  hier  durch  rand- 
liche Abbruche  eine  Erweiterung  des  Talantikanals  und  der  die 
Insel  Euböa  vom  Festlande  trennenden  Meerenge  stattgefunden, 
so  daß  man  sich  eine  Vorstelluug  machen  kann,  wie  dieses 
durch  Bruchlinien  ausgesonderte  Stück  des  Festlands  zur  Insel 
geworden  ist.    Ein  anderes  Erdbeben  veranschaulicht,  in  welcher 


Wirkung  der  Erdbeben.  I  qq 

Weise  neu  gebildetes,  also  das  Festland  vergrößerndes  Land 
wieder  dem  Meere  zum  Opfer  fällt.  Bei  dem  von  dem  deutschen 
Naturforscher  J.  Schmidt,  der  den  größten  Teil  seines  Lebens  in 
Griechenland  als  Direktor  der  Sternwarte  in  Athen  gewirkt  hat, 
gut  beobachteten  Erdbeben  von  Aegion  in  Achaja  (26.  Dez.  1861) 
löste  sich  auf  13  km  langen,  bis  2  m  und  mehr  breiten  Spalten 
der  große  von  den  Flüssen  dort  angeschwemmte  Schuttkegel  vom 
festen  Lande  ab,  offenbar  weil  er  durch  die  Erschütterung  ins 
Gleiten  gekommen  war,  und  sich  in  einer  Ausdehnung  von  1 5  qkm 
gegen  den  Golf  von  Korinth  senkte,  so  daß  ein  randlicher 
Streifen  dauernd  vom  Meere  bedeckt  blieb.  Solche  Vorgänge 
sind  in  Griechenland  nicht  selten  und  erklären  den  aus  dem 
Altertum  berichteten  Untergang  der  in  derselben  Gegend  gelegenen 
Stadt  Helike  373  v.  Chr.  und  den  von  Skarpheia,  das  in  der 
Gegend  des  Erdbebens  von    1894  lag,  im  Jahre  426  v.  Chr. 

Ein  auch  nur  flüchtiger  Blick  auf  eine  Karte  läßt  sofort  die 
Tatsache  erkennen,  daß  die  Ostseite  Griechenlands  zwar  im  all- 
gemeinen aufgeschlossener,  reicher  gegliedert  ist,  als  die  West- 
seite, aber  daß  diese  Aufgeschlossenheit  ein  wirklich  hohes 
Maß  doch  im  wesentlichen  nur  an  einem  kurzen  Küstenabschnitt 
erreicht.  Vom  Golf  von  Saloniki,  von  wo  die  Abgliederung  der 
griechischen  Halbinsel  von  dem  festländischen  Trapez  der  süd- 
osteuropäischen Halbinsel  beginnt,  erstreckt  sich  durch  eine  Bruch- 
linie, die  man  wohl  als  ägäische  Diagonalspalte  bezeichnet  hat, 
bestimmt,  die  Küste  als  geschlossene  Steilküste  auf  ^^^  km  nach 
Südosten,  bis  zum  Dorokanal,  der  zwischen  Euböa  und  Andros 
aus  dem  nordöstlichen  griechischen  Inselmeere  in  das  südwest- 
liche führt.  Die  Bruchlinie  setzt  sich  noch  weiter  in  gleicher 
Richtung  fort,  bildet  an  der  Außenseite  der  Kykladen  eine  tiefe 
Furche  in  der  Sohle  des  Inselmeers  und  weiterhin  bis  zu  der 
weiten  Lücke  zwischen  Rhodos  und  Karpathos  die  Grenze  zwischen 
Europa  und  Asien.  Die  Ostküste  von  Thessalien  und  Euböa 
verläuft  daher,  wenn  sie  auch  als  eine  Querbruchküste  bezeichnet 
werden  muß,  geradlinig,  kaum  daß  sie  größere,  ganz  flache  Aus- 
buchtungen wie  die  im  Altertum  Td  KoiXd  genannte  an  der 
Ostseite  Euböas  aufweist,  die  tektonisch  bedingt  sind  und  kleine 
mehr  oder  weniger  halbkreisförmige,  aber  Schiffen  keinen  Schutz 
bietende  Buchten,  das  Werk  des  hier  namentlich  im  Sommer 
während    des    Wehens    der    Etesien    tobenden  Brandung,    die  die 


200  n,  9.    Der  Schwerpunkt  Griechenlands. 

ganze  Küste  als  eine  Abrasionsküste  erscheinen  läßt.  Hier  ver- 
schließt sich  also  Griechenland  gegen  das  Meer,  so  daß  der  ein- 
zige fast  in  der  Mitte  gelegene  Eingang,  der  Kanal  von  Tricheri 
um  so  wichtiger  sein  muß.  „Thessaliens1)  Ostküste  hat  nicht 
einen  einzigen  sichern  Bergeplatz  für  Schiffe,  welche  der  Nord- 
ostwind überrascht;  gegen  die  steilen  ,?Backofen-Felsen"  (Ipnoi) 
oder  an  den  Rand  der  „Sepias-Küste"  geworfen  zu  werden,  be- 
deutete —  wie  die  Flotte  des  Xerxes  mit  Schrecken  erfuhr  — 
rettungsloses  Verderben.  Noch  berüchtigter  war  bei  der  stärkeren 
Befahrenheit  des  vor  ihr  liegenden  Meeresraumes  die  eiserne 
Ostküste  von  Euböa.  Kein  Punkt  des  ganzen  Ufersaumes  von 
ganz  Griechenland  ward  von  den  Seefahrern  mit  so  banger  Scheu 
betrachtet  als  die  unheimlichen  Wände  am  Vorgebirge  Kaphareus." 
Dazu  kam,  daß  Jahrhunderte  hindurch  auch  die  Seeräuber  hier  die 
Menschen  von  der  Küste  ins  Innere  und  auf  die  Berge  drängten. 
Dieselbe  ist  daher  heute  so  gut  wie  unbewohnt.  Nur  an  dem 
Stückchen  Flachküste,  welches  der  Salamvria  der  Felsküste  an- 
gelagert hat,  hat  sich  Phteri  als  kleiner  Ausfuhrplatz  Nord-Thes- 
saliens entwickelt.  Dasselbe  Schauspiel  wiederholt  sich  an  der 
Ostseite  des  Peloponnes,  die  vom  Golf  von  Nauplion  bis  zum  gefürch- 
teten Kap  Malea  auf  220  km  auch  in  südsüdöstlicher  Richtung 
als  geradlinige  geschlossene  Steilküste,  eine  Längsküste  verläuft, 
von  welcher  felsige  Gebirgslandschaften  steil  ansteigen.  Hier  er- 
scheint der  Peloponnes  am  auffälligsten  trotz  seiner  Halbinselnatur 
als  völlig  festländisches  Gebiet,  dessen  Bewohner,  wie  es  ja  die 
Spartaner  ganz  besonders  als  echte  Festlandsgriechen  kennzeich- 
nete, wie  im  Altertume  so  erst  recht  heute  wenig  Beziehungen 
zum  Meere  unterhalten.  Recht  bezeichnend  ist  der  einzige  Punkt, 
der  an  dieser  Küste,  wenn  auch  mit  Mühen  und  Gefahren  da- 
durch, daß  die  Abrasion  einen  mächtigen  Felsblock  aus  der  Küste 
herauspräpariert  hat,  im  Schutze  der  Festung,  die  der  Felsblock 
trug,  das  Land  zugänglich  macht,  Monemvasia  (uovn,  eußacic, 
der  einzige  Zugang)  genannt  worden.  Nur  in  venetianischer 
Zeit  hat  es  als  Festung  und  Verschiffungsort  für  Wein  (Malvasier) 
eine  gewisse  Bedeutung  gehabt.  Heute  liegt  es  in  Trümmern. 
Inmitten  dieser  beiden  zusammen    also   550  km  langen  ver- 


1)  Neumann -Partsch,     Physikalische     Geographie     von     Griechenland, 
Breslau    1885,  S.  144. 


Zugänge  zur  Ostseite  Griechenlands.  201 

kehrsfeindlichen  Küatenstrecken  liegt  nun  eine  165  km  lange 
dem  Verkehr  um  so  günstiger  gestaltete  zwischen  dem  Dorokanal 
und  der  Küste  des  Peloponnes.  Ihre  Bedeutung  wird  noch  er- 
höht dadurch,  daß  in  sie  auch  eine  der  für  Griechenland  so 
charakteristischen  inneren  Wasserstraßen  einmündet  und  die  größte 
natürliche,  zum  ganzen  übrigen  Griechenland  besonders  gegen- 
sätzliche Sonderlandschaft,  das  ebene,  wasserreiche,  an  Getreide, 
Pferden  und  Rindern  reiche  Thessalien  mit  dem  Schwerpunkt 
Griechenlands  verbindet.  Der  Tricherikanal,  dem  die  felsige 
Inselgruppe  der  nördlichen  Sporaden  vorgelagert  ist,  verdankt 
wie  seine  Fortsetzung  der  Oreoskanal  und  der  Golf  von  Lamia 
seine  Entstehung  Verwerfungen,  die  hier  das  Land  durchsetzen 
und  mit  dem  von  Westen  eindringenden  Golfe  von  Arta  Nord- 
Griechenland  von  Mittel-Griechenland  abschnüren.  An  der  engsten 
Stelle  ist  der  Tricherikanal  nur  7,  ja  am  Eingange  in  den  Golf 
von  Volo  nur  5,5  km  breit.  Dieses  fast  kreisförmige  rings  von 
Steilufern  umgebene  Becken  gleicht  einem  großen  Landsee 
(7 1  o  qkm,  also  wesentlich  größer  als  der  Genfer  See) ,  über 
welchen,  namentlich  im  Südosten,  8  kleine  Inseln  verstreut  sind. 
Nur  an  der  Westseite  findet  sich  die  kleine  von  Gießbächen  ge- 
bildete Ebene  von  Halmyro,  das  im  Mittelalter  als  Seeplatz 
Thessaliens  eine  Rolle  gespielt  hat.  Weit  günstiger  für  den 
Verkehr  mit  der  innerthessalischen  Ebene  ist  aber  seine  nörd- 
liche Ausbuchtung,  von  welcher  aus  nur  der  schmale  Höhenzug 
der  ziragiotischen  Berge,  der  an  einer  Stelle  bis  auf  137  m  ein- 
gekerbt ist,  zu  übersteigen  ist.  Hier  liegt  Volo,  das  einzige 
Seetor  Thessaliens,  heute  der  Ausgangspunkt  des  thessalischen 
Eisenbahnnetzes.  Hier  lagen  bezeichnenderweise  auch  Iolkos, 
Pagasae  und  Demetrias,  die  in  Sage  und  Geschichte  Griechen- 
lands, letzteres  als  eine  der  drei  Fesseln  Griechenlands  in  makedo- 
nischer Zeit,  eine  große  Rolle  gespielt  haben.  Nur  von  Süden 
her  erschließt  das  Meer  Thessalien  und  verknüpft  es  mit  dem 
übrigen  Griechenland.  Auch  auf  gebrechlichen  Fahrzeugen 
konnten  auf  diesen  inneren  Wasserstraßen  aus  dieser  seiner  nächsten 
Kornkammer  dem  dicht  bevölkerten  Mittel-Griechenland  Brotstoffe 
zugeführt  werden.  Ohne  Thessalien  konnte  ein  griechischer 
Staat  kaum  als  lebensfähig  erscheinen.  Daher  ist  Volo  seit  1881 
in  raschem  Aufschwünge. 

Der   westsüdwestlich   gerichtete  Oreoskanal   verengt   sich    als 


202  H,  9.    Der  Schwerpunkt  Griechenlands. 

schmale  fjordartige  Felsengasse  bis  auf  2  km.  Es  scheint,  daß 
hier  an  der  Nordwestspitze  von  Euböa,  einer  von  heftigen  Erd- 
beben besonders  häufig  heimgesuchten  Erdgegend,  sich  zwei, 
vielleicht  drei  Bruchlinien  kreuzen,  da  der  fast  ringsum  von 
flachen,  sumpfigen  Ufern  umgebene  Golf  von  Lamia,  an  dessen 
Zuschüttung  der  Spercheios  und  einige  Gießbäche  mit  Eifer  ar- 
beiten, ziemlich  streng  westliche  Richtung  hat  und  auf  dieser  Linie 
die  drei  bekannten  heißen  Quellen  von  Aidipsos,  den  Thermo- 
pylen  und  Hypata  liegen,  während  die  engen  Durchfahrten  zwischen 
Euböa  und  dem  Festlande  südöstliche  Richtung  haben.  Diese 
letztere  innere  Wasserstraße,  der  Evripos,  läßt  seine  Entstehung 
auf  Bruchlinien  an  einzelnen  Punkten,  wie  am  Kandili-  und  Galt- 
zadesgebirge  Euböas,  deutlich  zurückführen.  Einer  riesigen  Mauer 
ähnlich  steigt  dort  die  Küste  an  der  Bruchfläche  empor,  an  deren 
Nordwestende,  am  Fuße  des  steil  abgebrochenen  Galtzadesgebirges, 
auf  einer  tiefgehenden  Verwerfungskluft  die  heißen  Quellen  von 
Aidipsos  (7  6°  C)  dicht  am  Meere  hervorbrechen.  Und  so  steil 
setzt  sich  die  Bruchfläche  auch  unter  dem  Meeresspiegel  fort, 
daß  man  nur  900  m  vom  Strande  bei  360  m  keinen  Grund  fand. 
Es  sei  hier  auf  die  genetisch,  wie  teilweise  auch  morphologisch 
hervortretende  Ähnlichkeit  zwischen  diesem  Meeresteile  und  dem 
durchaus  parallelen ,  Mittel-Griechenland  von  dem  Peloponnes 
trennenden  tiefen  Graben  hingewiesen.  Der  talantische  Evripos 
entspricht  dem  korinthischen  Golfe,  der  eretrische  dem  innern, 
der  Golf  von  Petali  dem  äußern  saronischen  Golfe.  Der  7  km 
lange  chalkidische  Evripos,  dessen  wechselnde  Strömungen  ein 
Rätsel  waren,  das  erst  neuerdings  gelöst,  auf  Gezeiten-  und  Seiche- 
strömungen zurückgeführt  worden  ist,  besteht  aus  drei  Verengungen, 
die  durch  seeartige,  einige  Inseln  enthaltende  Ausweitungen  von- 
einander getrennt  sind.  Am  nördlichen  Eingange  verengt  er  sich 
auf  60  m  und  verflacht  sich  auf  5 — 6  m,  so  daß  schon  fast  ein 
halbes  Jahrtausend  vor  unserer  Zeitrechnung  eine  Brücke  die  Insel 
ans  Festland  knüpfen  und  Befestigungen  die  Meerenge  schließen 
konnten:  Chalkis  war  zu  allen  Zeiten  eine  der  Fesseln  Griechen- 
lands. Wir  haben  hier  das  Gegenstück  der  Landenge  von  Korinth, 
deren  Breite  selbst  der  Entfernung  zwischen  der  nördlichen  und 
der  südlichen  Enge  entspricht.  Nur  daß  dort  eine  Landenge, 
ein  schmaler  über  den  Meeresspiegel  gehobener  Landstreifen  vor- 
handen ist,  während  er  hier  noch  von  Wasser  bedeckt  ist.     Der 


Talantikanal  und  Evripos.  20^ 

Oreoskanal  und  der  Golf  von  Lamia  entsprächen  dem  Golf  von 
Patras.  Ein  drittes  System  paralleler  Bruchlinien  verläuft  an  der 
Außenseite  von  Euböa  und  hat  die  nördlichen  Sporaden  vom 
Festlande  abgelöst.  An  sicheren  Buchten  und  Häfen  fehlt  es 
dieser  inneren  Meerstraße,  namentlich  auf  der  festländischen  Seite, 
nicht,  es  sei  nur  der  Name  Aulis  genannt,  wo  sich  die  Griechen 
zum  Zuge  nach  Troja  versammelten ,  obwohl  auch  da  die 
Küste  meist  steil  ansteigt,  doch  erscheint  die  Enge  von  Chalkis, 
welche  sowohl  die  Meerstraße  wie  den  Verkehr  zwischen  der 
Insel  und  dem  Festlande  beherrscht,  so  bevorzugt,  daß  keine 
Siedelung  hier  mit  Chalkis,  abgesehen  etwa  von  Eretria,  wett- 
eifern konnte.  Nach  den  von  hier  ausgegangenen  Koloniegrün- 
dungen benennen  wir  ja  die  noch  heute  griechische  dreifingerige 
Chalkidike.  Abgesehen  von  den  beim  Erdbeben  von  1894  ein- 
getretenen Küstenveränderungen,  denen  aber  gewiß  viele  ähnliche 
vorausgegangen  sind,  finden  sich  solche  in  großem  Maßstabe  am 
Golf  von  Lamia,  wo  die  überaus  rasche  Schwemmlandbildung  des 
Spercheios  in  geschichtlicher  Zeit  wohl  136  qkm  der  Fläche  des 
Golfs  zugeschüttet  hat.  Landbildung  verursachen  auch  die  heißen 
Quellen  der  Thermopylen,  die  auch  ihrerseits  nahe  einer  mehr 
als  300  m  hohen  Felswand  hervorbrechen,  die  eine  einzige  Ver- 
werfungsfiäche  darzustellen  scheint,  durch  starke  Sinterbildung. 
Der  nach  diesen  Quellen  benannte  Engpaß  zwischen  der  Steil- 
wand und  dem  Meere  ist  dadurch  außerordentlich  verbreitert, 
ohne  aber  darum  seine  Bedeutung  verloren  zu  haben,  denn  dicht 
neben  der  Straße  liegt  ein  ungangbarer  Sumpf. 

Vom  10  km  breiten  Dorokanal  an,  einer  der  befahrensten 
und  für  Segler  schwierigsten  Engen  des  Mittelmeers  zwischen 
Euböa  und  Andros,  nimmt  die  Küste,  zugleich  im  rechten  Winkel 
umbiegend  und  nach  Südwest  streichend,  ganz  andern  Charakter 
an.  Steil  und  felsig  bleibt  sie  zwar  auch  noch,  ja  die  Kahlheit 
der  Kalkberge,  die  hier  wie  im  ganzen  Osten  von  Griechenland 
überwiegen,  ist  hier  größer  als  irgendwo,  damit  erreichen  aber 
auch  die  eigenartigen  Reize,  die  Formen  und  Farben  der  grie- 
chischen Landschaft  das  höchste  Maß.  Welcher  Zauber,  von  der 
Akropolis  von  Athen  die  Sonne  über  Akrokorinth  untergehen  zu 
sehen!  An  Stelle  der  geschlossenen  Steilküste  tritt  aber  hier  die 
denkbar  größte  Aufschließung.  Treppenförmig  sich  nach  Süd- 
westen vorschiebend  strecken  sich  hier  zwei  Halbinseln,  die  attische 


2oa  -^>  5*    -^er  Schwerpunkt  Griechenlands. 

und  die  argolische,  denen  man  Süd-Euböa  als  dritte  anreihen 
könnte,  nach  Südosten  gegen  das  Inselmeer  vor  und  drängen  sich 
drei  inselreiche  Meerbusen,  der  von  Petali  eingerechnet,  einander 
parallel  und  an  Bruchlinien,  wohl  Grabenbrüche,  gebunden  in 
Südost-Nordwest-Richtung  in  das  Land  hinein.  Während  die 
Küste  an  der  Ostseite  des  Poloponnes  ganz,  an  der  Ostseite 
von  Thessalien  und  Euböa  fast  inselrein  ist,  und  nur  in  der 
sonst  wenig  begünstigten  Gruppe  der  nördlichen  Sporaden  77 
meist  kleine  Inseln  zusammengeschart  sind,  löst  sich  das  Land 
in  und  vor  diesen  Golfen  und  in  der  Fortsetzung  der  Halb- 
inseln in  Schwärme  von  Inseln  auf,  deren  man  hier  auf  engem 
Räume  mehr  als  300  zählt!  Und  an  der  Ostseite  Griechen- 
lands überhaupt  483,  gegen  nur  116  an  der  überdies  der 
Halbinseln  ganz  entbehrenden  Westseite.  Hier  weist  also 
Griechenland  seine  größte  Küstengliederung  auf,  hier  treten 
Festland  und  Meer  in  die  innigsten  Beziehungen,  hier  tritt  der 
maritime  Charakter  Griechenlands  am  auffälligsten  zutage.  Auf 
diese  165  km  lange  Strecke  vom  Dorokanal  bis  zur  Küste  des 
Peloponnes  muß  sich  der  Seeverkehr  Griechenlands  um  so  mehr 
zusammendrängen,  als  von  hier  die  Inseln  und  regelmäßig  wehende 
Winde  die  Verbindung  mit  Kleinasien  und  Kreta,  weiterhin  Syrien 
und  Ägypten,  wie  anderseits  mit  Makedonien,  dem  Hellespont 
und  dem  Pontus  erleichtern,  vor  allem  auch  nur  eine  schmale, 
jetzt  in  einem  Kanal  durchstochene  Landenge  den  mittelsten 
der  drei  Meerbusen  von  einer  bequemen,  fast  ganz  Griechenland 
querenden  Wasserstraße  nach  Westen,  nach  Italien  und  dem 
Adriatischen  Meere  trennt.  Während  der  Golf  von  Nauplion  blind 
verläuft,  der  von  Petali  nur  in  eine  innere  Wasserstraße  nach 
Thessalien  ausgeht,  erscheint  der  saronische,  der  mit  dem  korin- 
thischen an  eine  Grabenversenkung  geknüpft  ist,  als  Teil  einer 
großen  Wasserstraße,  auf  welcher  im  Altertum  geradezu  die  Stel- 
lung Griechenlands  als  Sitz  des  Welthandels  in  der  engen  Welt 
jener  Zeit  beruht.  Und  dieser  größte  unter  den  dreien,  der  ein 
Rhomboid  mit  der  mittleren  Seitenlänge  von  48,5  und  67,5  km 
bildet,  erscheint  auch  noch  dadurch  begünstigt,  daß  hier  im  Gegen- 
satz namentlich  zum  korinthischen  und  dem  Talanti-Kanal,  die 
nicht  selten  durch  heftige  Fallwinde  heimgesucht  sind,  das  Meer 
selten  stürmisch  bewegt,  die  Ufer  nicht  so  steil  und  gebirgig 
sind,  daß  sie  nicht  überall  besiedelt  und  angebaut  sein  könnten, 


Der  Saronische  Golf  und  seine  Umgebung.  2  CK 

ja  sogar  an  der  nördlichen  Ecke  wie  in  Argolis  kleine  frucht- 
bare Ebenen  von  Megara,  Eleusis,  Athen,  Troizen,  Epidauros  sich 
finden,  daß  beide  ihn  begrenzenden  Halbinseln  reich  gegliedert 
und  hafenreich  sind  und  vor  allem  der  Inselreichtum  des  insel- 
reichen Griechenland  hier  am  größten  ist.  Zählt  man  doch  zwischen 
dem  attischen  Säulenkap  und  dem  argolischen  Skylläon  nicht 
weniger  als  62  Inseln,  zu  welchen  noch  29  Inseln  der  Hydra- 
gruppe hinzukommen.  Auch  die  Lage  des  Golfes  in  der  Mitte 
der  Ostseite  auf  der  Grenze  des  festländischen,  des  peninsularen 
und  des  insularen  Griechenland,  da  wo  meridionale  Landstraßen 
in  westöstliche  bzw.  in  Wasserstraßen  übergehen  müssen,  ist  be- 
deutungsvoll. Hier  liegen  auch  außerordentlich  gegensätzliche 
Landschaften  dicht  nebeneinander.  Attika,  nur  dem  Meere  ge- 
öffnet, gegen  Norden  durch  den  leicht  zu  verteidigenden  Quer- 
wall der  Kithäron-Parniskette  geschützt,  von  Westen,  von  der  Land- 
enge und  dem  Poloponnes  nur  auf  dem  gefährlichen  Felspfade  der 
skironischen  Felsen,  der  Kakiskala  zugänglich,  wo  durch  Fels- 
sprengungen mühsam  Raum  für  Straße  und  Eisenbahn  gewonnen 
ist,  dem  Süden  zugekehrt,  sonnig,  trocken,  hafenreich,  erz-  und 
tonreich,  aber  steinig  und  wasserarm,  wenig  für  Ackerbau,  mehr 
für  Zucht  des  Ölbaums,  des  Feigenbaums,  der  Rebe  und  der 
Ziege  geeignet.  Daneben,  in  wenigen  Stunden  erreichbar,  das 
völlig  festländische  Böotien,  ganz  vom  Meere  abgeschlossen,  trotz 
geringer  Meerferne,  weithin  von  Landseen  bedeckt,  daher  mit 
feuchtem  Klima  und  kühlen  Wintern,  die  kaum  Olivenzucht  ge- 
statten, aber  reich  an  fruchtbarem  Boden.  Dort  regsame,  Handel 
und  Gewerbe  pflegende,  rasch  fortschreitende  Ionier,  hier  bedäch- 
tige, bäurische,  langsam  der  Entwicklung  der  griechischen  Kultur 
folgende  Äolier,  die  erst  in  der  Geschichte  des  griechischen 
Mikrokosmos  eine  Rolle  spielen,  als  die  Kräfte  von  Athen  schon 
zu  erlahmen  beginnen.  Auf  der  anderen  Seite  das  nur  Handel 
treibende,  etwas  materielle  Korinth,  das  gebirgige  Hirtenland 
Arkadien  und  das  konservative  monarchische  Bauernland  Lakonien. 
Aber  hier  konnten  auch  am  besten  in  ganz  Griechenland  ferner 
hegende  Gebiete,  großräumige,  an  Erzeugnissen  reiche  Landschaften, 
wie  Kleinasien  auf  der  einen,  Unteritalien  und  Sizilien  auf  der 
anderen  Seite  ihren  Einfluß  ausüben,  von  hier  gingen  die  erfolg- 
reichsten Kolonisationen  aus. 

Auf    dieser    geographischen    Grundlage    erschließt    sich    das 


206  n,  9.    Der  Schwerpunkt  Griechenlands. 

Verständnis  für  die  auffällige  Tatsache,  daß,  so  wechsclvoll  die 
Geschicke  Griechenlands  im  Laufe  von  drei  Jahrtausenden  ge- 
wesen sind,  so  sehr  auch  Zeiten  der  Blüte  mit  Zeiten  des  Ver- 
falls gewechselt  haben,  ob  Griechen  oder,  wenigstens  teilweise, 
Nichtgriechen,  im  Mittelalter  Franken,  in  der  Neuzeit  Albanesen 
hier  gewohnt  haben,  ob  fremde  Herren  hier  geherrscht  oder  die 
Landesbewohner  ihre  Geschicke  selbst  geleitet  haben,  stets  am 
Saronischen  Golfe  die  Brennpunkte  des  maritimen  Lebens  Griechen- 
lands und  damit  der  griechischen  Kultur,  stets  dem  Zeitalter  ent- 
sprechend, gelegen  haben.  Die  geschichtlich  wichtigsten  Städte 
und  Landschaften  Griechenlands  liegen  alle  um  oder  nahe  an 
diesem  reichst  gegliederten  Teile  des  Landes.  An  diesem  Golfe 
muß  naturnotwendig  die  Hauptstadt  Griechenlands  liegen  und  sie 
muß  den  Charakter  einer  Seestadt  tragen.  An  welchem  Punkte 
speziell,  das  hängt  mehr  von  geschichtlichen  Einflüssen  ab,  ob- 
wohl Attika  in  vieler  Hinsicht,  namentlich  auch  als  die  groß- 
räumigste unter  diesen  kleinen  Landschaften,  als  am  meisten  be- 
vorzugt erscheint.  Am  frühesten  scheint  das  mitten  im  Golfe  ge- 
legene Ägina,  welches  den  inneren  Golf  vom  äußeren  scheidet, 
und  nach  welchem  derselbe  auch  häufig  benannt  wird,  die  zweit- 
größte der  Golfinseln,  durch  Seehandel  aufgeblüht  und  reich  ge- 
worden zu  sein.  Die  Trümmer  der  herrlichen  Tempelbauten  auf 
hohen  Vorgebirgen  zeugen  auch  davon.  Bald  aber  nimmt  Athen 
die  erste  Stelle  ein,  namentlich  als  ihm  aus  den  laurischen  Berg- 
werken reiche  Mittel  zufließen.  Es  behauptet  dieselbe  fast  durch 
alle  Perioden  der  Geschichte,  auch  im  Mittelalter,  vor  Nauplion 
und  Patras,  wenn  auch  im  Altertume  zeitweilig,  besonders  durch 
Entwicklung  der  Beziehungen  zum  Westen  Korinth  als  Handels- 
stadt den  Vorrang  erringt.  In  der  Neuzeit,  unter  der  Gewalt- 
herrschaft der  festländischen  Türken  mußte  der  Seehandel  vom 
Festlande  weichen.  Flüchtlinge,  namentlich  Albanesen,  schufen 
ihm  im  18.  Jahrhundert  eine  neue  Heimstätte  auf  den  kahlen, 
wasserlosen  Felseninseln  von  Hydra  und  dem  noch  kleineren,  aber 
fruchtbaren  Spetzä,  am  südlichen  Eingange  in  den  Golf,  die  bis 
zum  Beginn  der  Freiheitskriege,  mit  denen  der  Ruhm  der  Hy- 
drioten  und  Spetzioten  für  alle  Zeiten  verknüpft  ist,  als  fast  un- 
abhängige Gemeinwesen  zu  erstaunlicher  Blüte  gelangten  und  ihre 
Schiffe  nach  Hunderten  zählten.  Daneben  spielte  und  spielt  noch 
heute  auch   Porös  (Kalauria)    eine  Rolle  als  Seestadt,    als  welche 


Athen  und  Piräus. 


207 


es  auch  zweiter  griechischer  Kriegshafen  (Salamis  der  erste)  ist. 
Es  verdankt  dies  dem  ausgezeichneten  Hafen,  welchen  die  1 Y2  km 
nach  Süden  vorspringende,  im  Altertume  mit  dem  Festlande, 
heute  mit  der  Insel  Kalauria  durch  eine  schmale,  flache  Land- 
enge verbundene  und  durch  eine  300  m  breite  Durchfahrt  (Porös) 
vom  Festlande  getrennte  trachy tische  Halbinsel  Sphäria  bildet,  auf 
welcher  die   Stadt  liegt. 

In  der  neuesten  Zeit  ist  der  Piräus  wieder  in  seine  ge- 
schichtlichen Rechte  eingetreten  und  in  rascher  Entwicklung  schon 
heute  zum  ersten  Seehafen  Griechenlands  emporgeblüht.  Der 
Piräus  verdankt  dies,  wie  im  Altertum,  seiner  Eigenschaft  als 
Hafen  der  Hauptstadt  Athen,  mit  welcher  er  heute  mehr  und 
mehr  verwächst,  und  seiner  Vortrefflichkeit  als  Hafen.  Aber  auch 
diese  ist  zum  Teil  ein  Werk  der  Menschen.  Die  aus  dichten, 
einen  guten  Baustein  liefernden  marinen  Kalksteinen  tertiären 
Alters  bestehende  Halbinsel  des  Piräus  mit  ihren  kleinen  Buchten 
von  Munychia  und  Zea  war  ursprünglich  eine  Insel,  die  durch 
die  Anschwemmungen  des  Kephissos,  der  mit  einem  noch  durch 
einen  Gießbach  vom  Daphnegebirge  verstärkten  Hauptarme  in  die 
Bucht  des  Piräus  mündete,  verlandet  worden  ist.  Das  noch  heute 
bei  Regenwetter  schwer  gangbare  Schwemmland  war  lange  Zeit 
sumpfig  und  nur  schwer  gelangte  man  durch  den  Sumpf  nach 
dem  jenseitigen  festen  Boden  der  Insel,  daher  der  Name  Piräus, 
der  Jenseitige.  Deshalb  wurde  die  Halbinsel  auch  verhältnis- 
mäßig spät  besiedelt,  die  flache,  seit  dem  Altertum  auch  durch 
Landbildung  verkleinerte  Bucht  von  Phaleron,  heute  als  Bade- 
strand von  Athen  und  Sammelplatz  der  Kriegsflotten  wichtig,  war, 
weil  näher  an  Athen  gelegen  und  leicht  zugänglich,  der  älteste 
Landeplatz.  Noch  zur  Zeit  der  Erbauung  der  langen  Mauern  war 
der  Boden  so  sumpfig,  daß  denselben  erst  durch  Versenkung 
schwerer  Steine  und  Aufschüttung  von  Kies  eine  feste  Grundlage 
geschaffen  werden  mußte.  Auch  heute  noch  erreicht  nur  ein 
schmaler  wohl  künstlich  aufgehöhter  Streifen  2%  m.  Wirkliche 
Hafenanlagen  schuf  erst  Themistokles ,  der  auch  den  erst  vor 
kurzem  den  Bedürfnissen  der  Schiffahrt  unserer  Zeit  entsprechend 
wieder  erweiterten  Eingang  des  Piräus  durch  Steindämme  von 
310  m  auf  50  m  verengte.  Dadurch  und  seitdem  wurde  Athen 
erst  im  vollsten  Sinne  eine  Seestadt  und  bald  die  Hauptstadt 
eines  großen  Seestaates  und  Seebundes,  die  wirkliche  Hauptstadt 


208  H>  9-    Der  Schwerpunkt  Griechenlands. 

des  maritimen  Griechenland.  Seine  Gründung  und  Entwicklung 
verdankte  es  dem  Umstände,  daß  hier  völlig  isoliert  aus  der 
Ebene  eine  140 — 157  m  hohe  Felsplatte,  rings  von  30 — 50  m 
hohen  steilen  Abstürzen  umgeben,  als  natürliche  Festung  aufstieg, 
die  Akropolis,  die  bei  einer  Länge  von  330  und  einer  Breite 
von  134  m  der  ältesten  Siedelung  Raum  bot,  um  die  dann 
die  Großstadt  herum  wuchs,  die  sich  den  Hafen  schuf.  Den 
Löwen,  welche  die  Marmorpfeiler  dieses  engen  Hafeneinganges 
schmückten,  verdankte  der  Piräus  seinen  erst  jetzt  wieder  ver- 
schwindenden mittelalterlichen  Namen  Porto  Leone  oder  Draco. 
Gereinigt,  vertieft,  mit  Stadenmauern  und  anderen  Anlagen  ver- 
sehen, durch  Eisenbahnen  mit  Athen  verbunden,  ist  der  Piräus, 
an  welchem  zu  Ende  der  Freiheitskriege  auch  nicht  ein  Haus 
mehr  aufrecht  stand,  heute  wieder  ein  sicherer,  den  größten 
Kriegsschiffen  zugänglicher,  allezeit  von  Schiffen  wimmelnder  Hafen, 
der  bereits  für  den  wachsenden  Verkehr  zu  eng  geworden  ist. 
Die  Meerenge  zwischen  dem  Festlande  und  der  küstennahen, 
reichgegliederten  Insel  Salamis  bietet  aber  sicheren  Ankergrund 
für  ganze   Flotten. 

Im  Vergleiche  zum  Saronischen  ist  die  Bedeutung  des  Argo- 
lischen  Golfs  eine  geringe.  Nur  an  der  Ostseite  ist  er  buchten- 
und  inselreich,  am  Nordende  von  zum  Teil  sumpfigem  Schwemm- 
lande umgeben.  Nauplion,  obwohl  Seetor  der  Ebene  von  Argos, 
hat  immer  mehr  als  natürliche,  durch  Kunst  verstärkte  Festung, 
denn  als  Sitz  des  Seehandels  Bedeutung  gehabt,  sein  Seeverkehr 
ist  gering  und  im  Rückgang.  Daß  aber  auch  Argolis  von  seiner 
Lage,  vielleicht  unter  früh  eingetretenen  phönikischen  Kultur- 
einflüssen, Vorteil  zu  ziehen  vermocht  hat,  das  bezeugt  die  Rolle, 
welche  es  in  der  älteren  Zeit,  lange  vor  Attika,  gespielt  hat,  das 
bezeugen  die  Altertümer  von  Argos,  Tiryns,  Mykenä! 

Es  kann  fraglich  sein,  ob  nicht  im  Altertum  zur  Zeit  der 
höchsten  Blüte  Griechenlands  der  Saronische  Golf  und  seine  Ge- 
stadelandschaften im  Verhältnis  noch  mehr  als  heute  nach  Be- 
völkerung, wirtschaftlicher  und  geistiger  Bedeutung  den  Anspruch 
erheben  konnten,  der  Schwerpunkt  Griechenlands  zu  sein.  In  der 
Gegenwart  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daß  der  Schwerpunkt 
nicht  nur  Griechenlands,  sondern  der  ganzen  griechischen  Welt 
hier  liegt.  Athen  ist  der  geistige  Mittelpunkt,  die  große  Bildungs- 
stätte    für     die    ganze    griechische     Welt,     neben    der    Smyrna 


Athen  als  Bildungsstätte.  20Q 

und  Konstantinopel,  obwohl  auch  sie  Sitze  regen  wirtschaftlichen 
und  geistigen  Lebens  des  Griechentums  sind,  obwohl  auch  sie 
von  dem  griechischen  Gemeinwesen  geschaffene  und  unterhaltene 
bedeutende  Bildungsstätten  besitzen  und  Konstantinopel  wahr- 
scheinlich die  Stadt  mit  der  größten  Zahl  griechischer  Einwohner 
ist.  Neben  seiner  nach  deutschem  Muster  eingerichteten  Universi- 
tät besitzt  Athen  noch  eine  ganze  Anzahl  verschiedener  Schul- 
anstalten, Kunst-  und  Altertumssammlungen  in  Prachtpalästen,  fast 
alle  durch  die  Freigebigkeit  und  Vaterlandsliebe  im  Auslande 
reich  gewordener  Griechen.  Die  Jugend  der  ganzen  griechischen 
Welt  bis  tief  nach  Kleinasien  hinein  holt  sich  in  Athen  seine 
Bildung  und  wirkt  dann  als  Träger  nicht  nur  europäischer  Kultur 
in  griechischem  Gewände,  sondern  vor  allem  auch  griechisch- 
nationaler Gesinnung  in  der  Heimat.  In  gewissem  Sinne  kann 
man  das  als  eine  Erscheinung  auffassen,  welche  ähnlich  wirkt 
wie  die  griechischen  Koloniegründungen  des  Altertums,  die  auch 
von  dieser  Gegend  Griechenlands  ausgingen.  Die  Landschaften, 
welche  um  diesen  aufgeschlossensten  Teil  Griechenlands  liegen, 
gehören,  wenn  sie  auch  den  Ionischen  Inseln,  die  eben  keine 
türkische  Herrschaft  und  keine  Freiheitskämpfe  zu  durchleben 
gehabt  haben,  weit  nachstehen,  doch  zu  den  bevölkertsten  Griechen- 
lands. Es  wohnen  um  den  Saronischen  Golf  reichlich  eine  halbe 
Million  Menschen,  d.  h.  ein  Fünftel  der  Bewohner  des  König- 
reichs, und  Athen  mit  dem  Piräus,  obwohl  beide  erst  1834  neu 
erstanden  sind,  ist  heute,  bei  wahrhaft  amerikanischem  Wachstum, 
eine  Großstadt  von  1 80  000  Einwohnern,  gewiß  mindestens  soviel, 
wenn  nicht  mehr,  wie  in  der  glänzendsten  Zeit. 


Fischer,  Mittclmccrbilder.     Neue  Folge.  14 


III.  Zur  Geomorphologie  Italiens. 


i.   Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen- 
Halbinsel.1) 

In  meiner  Länderkunde  von  Südeuropa  habe  ich  versucht, 
zur  Anschauung  zu  bringen,  in  welcher  Weise  ich  seit  einer  langen 
Reihe  von  Jahren  bemüht  gewesen  bin,  soweit  das  der  Stand  der 
Erforschung  erlaubte,  in  den  länderkundlichen  Vorlesungen  ein 
besseres  Verständnis  des  wichtigsten  Abschnitts  der  Landeskunde, 
der  Gestaltung  der  Oberfläche  und  des  Umrisses  des  Landes,  auf 
entwicklungsgeschichtlichem  Wege  zu  vermitteln.  Daß  dies  als 
allein  mögliche  wissenschaftliche  Grundlage  der  Länderkunde 
auch  von  andern  Seiten  erkannt  worden  ist  und  dem  entsprechend 
unterrichtet  wird,  das  zeigen  beispielsweise  de  Lapparents  vor 
kurzem  veröffentlichte,  seit  vier  Jahren  an  der  Ecole  libre  des 
Hautes  -  Etudes  in  Paris  gehaltene  geomorphogenetische  Vor- 
lesungen, denen  wir  besonders  in  methodischer  Hinsicht  große 
Bedeutung  beimessen.  Daß  aber  eine  solche  Betrachtungsweise 
durchaus,  auch  bei  den  deutschen  Geographen,  noch  nicht  die 
allgemein  angenommene  ist,  das  muß  man  unter  anderm  aus  der 
Tatsache  schließen,  daß  die  Begriffe  Land,  das  Dauernde, 
Naturgegebene,  vom  Menschen  doch  nur  in  geringem  Maße  zu 
Beeinflussende,  und  Staat,  das  vom  Menschen  Geschaffene,  darum 
nur  dann  verhältnismäßig  Dauernde,  wenn  es  geographisch  be- 
gründet ist  und  namentlich  an  den  Oberflächenformen  haftet, 
von  vielen  Geographen  gar  nicht  oder  nicht  scharf  genug  aus- 
einandergehalten  werden.     Eine   Landeskunde  von   Deutschland, 


i)  Zuerst  erschienen  in  Pet.  Mitt.  1897. 


Land  und  Staat.  2\\ 

selbst  von  Holland  ist  möglich,  denn  das  sind  Teile  der  Erd- 
oberfläche, welche  nach  ihren  geographischen  Grundzügen  und 
entwicklungsgeschichtlich  sich  als  Länderindividuen,  in  den  ge- 
nannten Beispielen  allerdings  verschiedener  Ordnung,  heraus- 
stellen; wenn  aber  auch  von  einer  Landeskunde  des  Deutschen 
Reichs  oder  Belgiens,  dieser  Eintagsfliegen  der  politischen  Geo- 
graphie, geredet  wird,  so  müssen  wir  daraus  schließen,  daß  die 
oben  angedeuteten  Anschauungen  doch  auch  unter  den  Geographen 
noch  nicht  allgemeine  Anerkennung  gefunden  haben.  Wenn  wir 
beispielsweise  unlängst  den  von  einem  deutschen  Fachgeographen 
ausgesprochenen  Satz  lasen:  „Kein  Land  Europas  hat  in  den 
letzten  dreißig  Jahren  einen  so  proteushaften  Wandel  seiner  Ge- 
staltung durchlebt  wie  Deutschland",  so  mußten  wir  uns  fragen, 
ob  wir  in  diesen  dreißig  Jahren  geschlafen  haben  und  inzwischen 
etwa  die  Nordsee  wiederum  über  unsre  Marschen  hereingebrochen 
ist  oder  die  Alpen  über  ihren  angenommenen  Massendefekten 
zusammengestürzt  sind.  Doch  müssen  wir  uns  vorbehalten,  in 
nächster  Zeit  näher  auf  diese  Frage  einzugehen ;  zur  Kennzeich- 
nung der  nachfolgenden  Untersuchungen  genügen  diese  Andeu- 
tungen. 

Seit  wir  unsre  länderkundliche  Skizze  des  Halbinsellandes 
Italien  (März  1891)  abgeschlossen  haben,  ist  die  geologische 
Durchforschung  Süditaliens,  die  damals  kaum  begonnen  hatte, 
weitergeführt  und  zu  einem  vorläufigen  Abschluß  gebracht  worden. 
Die  seitdem  z.  T.  in  meiner  Penisola  Italiana,  Torino  1902,  ver- 
werteten Ergebnisse  derselben  sind  so  wichtig,  daß  unsre  frühere 
Darstellung  mehrfache  und  wesentliche  Berichtigungen  erfährt,  die 
wir  doch  auch  einem  deutschen  Leserkreise,  da  nicht  jeder  in 
der  Lage  ist,  jene  Arbeiten  im  einzelnen  zu  verfolgen,  zugäng- 
lich machen  möchten.  Nur  um  diese  neuen  Gesichtspunkte, 
nicht  um  eine  systematische  zusammenfassende  Darstellung  handelt 
es  sich. 

a)  Die  Tyrrhenis. 

Einen  wesentlichen  Schritt  weiter  geführt  ist  die  Frage  der 
Tyrrhenis.  Wenn  wir  schon  seit  längerer  Zeit  Anhaltspunkte  für 
die  Annahme  besaßen,  daß  das  südliche  tyrrhenische  Tiefbecken 
noch  heute  zentripetalen  Bewegungen  unterliege,  wie  dies  von 
der  südwestpeloponnesischen  Tiefe  mit  noch  größerer  Wahrschein- 

14« 


2  12        HE»   x  •    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

lichkeit  angenommen  werden  muß,  so  hat  die  geologische  Durch- 
forschung Süditaliens  Tatsachen  festgestellt,  welche  zu  der  An- 
nahme zwingen,  daß  die  archaischen  Schollen  Kalabriens  und 
Siziliens  Reste  eines  großen  archaischen  Gebirgslandes  sind, 
welches  sich  in  frühtertiärer  Zeit  von  dort  in  nordwestlicher 
Richtung  westlich  vom  heutigen  Süditalien  bis  in  die  Breite  der 
Lepinischen  Berge,  ja  bis  westlich  der  Apuanischen  Alpen,  also 
an  der  ganzen  Westseite  des  heutigen  Italien  erstreckte.  Also 
erst  im  Laufe  der  Tertiärzeit  hat  sich  an  Stelle  desselben  der 
große  und  tiefe  tyrrhenische  Einbruchskessel  gebildet,  der  seine 
heutige  Gestalt  aber  erst  in  der  Quartärzeit  erlangt  hat,  denn 
die  randlichen  halbkreisförmigen  Einbruchskessel  von  Neapel  und 
Salerno,  die  allerdings  auch  bereits  zum  Teil  wieder  verlandet 
sind,  sind  quartären  Alters.  Daß  auch  die  südlichsten  Teile  des 
Tyrrhenischen  Meeres,  welche  Sizilien  und  Kalabrien  vorlagern, 
auf  jugendliche  Einbrüche  zurückzuführen  sind,  dafür  spricht 
manches,  ja  die  hier  häufigen  Kabelzerreißungen  deuten  vielleicht 
auf  Veränderungen  des  Meeresgrundes  hin.  Die  Liparen  stehen 
jedenfalls  in  ursächlichen  Beziehungen  zu  dem  Steilabbruch 
Siziliens  und  Kalabriens.  Bergeat  hat  neuerdings  in  seinen  so 
gründlichen  Studien  über  die  Liparen  darauf  hingewiesen,  daß 
das  Tyrrhenische  Meer  im  Süden  und  Südwesten  von  einem 
Staffelbruche  begrenzt  sei  und  daß  die  Ostwestreihe  der  Liparen 
am  Rande  der  innern  Staffel,  also  vom  Lande,  Sizilien  und 
Kalabrien  aus  gesehen,  auf  der  ersten  Bruchlinie  liegt.  Die 
Vulkanreihe  Stromboli,  Panaria,  Salina,  Filicudi,  Alicudi  und 
Ustica  wiederholt  den  Verlauf  der  gegenüber  liegenden  sizilisch- 
kalabrischen  Küste.  Die  übrigen  Inseln,  denen  wahrscheinlich 
die  Secca  del  Capo,  eine  nur  von  10  m  Wasser  überspülte 
ziemlich  ausgedehnte  Untiefe  nördlich  von  Salina  zuzurechnen  ist, 
liegen  auf  einer  geraden  ungefähr  Nord — Süd  streichenden 
Linie,  welche  mindestens  als  ein  Nebenriß,  bzw.  bei  dem  bogen- 
förmigen Verlaufe  der  Ostwestreihe  als  ein  Radialsprung  zu 
deuten  ist,  welchem  aber  auch  vielleicht  eine  große  tektonische 
Bedeutung  zukommt,  denn  ihre  Verlängerung  trifft  genau  auf 
den  Ätna.  Damit  erscheint  auf  den  ersten  Blick  die  bedenkliche 
Lücke  zwischen  Kalabrien  und  Sardinien  ausgefüllt,  doch  muß 
der  Beweis  einer  Zusammengehörigkeit  beider,  wie  andererseits 
von  Beziehungen  zu  den  Westalpen  noch  erbracht  werden.     Viel- 


Das  nördliche  Tyrrhenische  Meer.  21X 

leicht  liefert  ihn  die  noch  sehr  rückständige  Erforschung  Sardiniens. 
Diese  ist  inzwischen  wesentlich  durch  A.  Tornquist1)  gefördert 
worden.  Derselbe  zeigt,  daß  das  breite  Grabental  des  Campidano 
und  die  Ebene  von  Nurra  zwei  geologisch  voneinander  ver- 
schiedene Gebiete  scheiden,  welche  schon  im  Mesozoicum  ver- 
schiedene Wege  wandelten.  Das  Iglesiente  im  Südwesten  und  die 
Nurra  di  Sassari  haben  an  der  altkretaceischen  und  jungtertiären 
Auffaltung  der  jungen  mediterranen  Faltengebirge  teilgenommen. 
Dort  sind  die  Schichten  der  Trias,  des  Jura,  der  Kreide  gefaltet. 
Sie  bilden  einen  Außenfaltengürtel  und  setzen  sich  am  wahr- 
scheinlichsten in  dem  mesozoischen  Gürtel  von  Nizza,  also  dem 
Außengürtel,  dem  Kalkalpengürtel  der  Westalpen  fort.  Er  verhält 
sich  ähnlich  zu  den  Apenninen,  wie  der  Jura  zu  den  Alpen. 

Was  östlich  jener  Hohlform  liegt,  ßarbagia,  Gallura,  Sarrabus, 
ist  von  keiner  jüngeren  Faltung  berührt  worden  und  ist  im  wesent- 
lichen aus  stark  gefalteten  altpaläozoischen  Schiefern  und  ar- 
chaischen Felsarten,  namentlich  Gneisen  und  Graniten  aufgebaut. 
Es  war  zur  Triaszeit  Festland  und  erst  während  der  oberen  Jurazeit 
vom  Meere  bedeckt  und  von  Sedimenten  überlagert:  die  Jura- 
schichten, Konglomerate,  Kalke,  Dolomite  liegen  ungestört  und  sind 
höchstens  durch  Schleppung  an  Verwerfungen  ein  wenig  aufge- 
richtet. Sie  bilden  daher  vielfach,  namentlich  in  der  Barbagia 
Tafelberge,  burgartige  Felstürme  u.  dgl.  auf  dem  steil  aufgerichteten 
Grundgebirge.  Auch  die  Reste  der  mesozoischen  Decke  an  der 
Ostseite  der  Insel  sind  ungefaltet.  Korsika  ist  die  Fortsetzung 
des  östlichen  Sardinien,  sein  Granitgürtel  die  Fortsetzung  des 
Granitlandes  der  Gallura.  Dieser  Gürtel  bildete  zur  Triaszeit  als 
Festland  die  Scheidewand  zwischen  der  außeralpinen  Trias  des 
westlichen  Sardinien  —  dieser  Gürtel  fehlt  in  Korsika  —  und 
der  alpinen  Trias  Nordost-Korsikas.  Er  findet  seine  Fortsetzung 
in  den  Montagnes  des  Maures  der  Provence.  Der  sedimentäre 
Nordosten  Korsikas  gehört  zum  gefalteten  Apenninengürtel.  Erst 
eine  quartäre  Hebung  vereinigte,  indem  sie  das  Campidano 
trocken  legte,  die  verschiedenen  Teile  von  Sardinien,  also  in 
derselben  Zeit,  in  welcher  der  südliche  Apennin  durch  eine  solche 
auch  wieder  zu  einem  orographisch  einheitlichen   Gebirge  wurde. 


i)  Sitzb.  Berliner  Ak.  \V.  XXXV    1902,  S.  8008— 29,    XXXVI   1903, 
S.  685—99. 


2i  a        III,    I.    Zur   Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

Die  Beziehungen  Sardinien -Korsikas  zum  toskanischen  Erz- 
gebirge und  den  Apuanischen  Alpen  scheinen  sich  dagegen  als 
immer  engere  herauszustellen,  wenn  auch  die  Rinne  zwischen 
Korsika  und  Capraja  sich  als  weit  tiefer  erwiesen  hat,  als  man 
bis  vor  kurzem  annahm.  Sie  besitzt  Tiefen,  welche  überall  400  m 
übersteigen.  Auf  Gorgona,  Elba  und  dem  Argentaro  treten  Ge- 
steine zutage,  welche  vielleicht  archaischen,  sicher  vorsilurischen 
Alters  sind:  gneisartige  Schiefer,  Glimmerschiefer,  überlagert  von 
Kalkschiefern,  kristallinischen  Kalken,  Serpentin-  und  Diabas- 
Schiefern.  Auf  Elba  sind  auch  silurische  Schichten  festgestellt. 
Giannutri  besteht  aus  porösem  Kalkstein  des  Rhät,  der  auf  per- 
mischen Schiefern  ruht,  ganz  wie  auf  dem  Argentaro,  in  den 
Pisaner  Bergen,  den  Apuanischen  Alpen,  dem  Höhenzug  von 
Siena1)  und  im  toskanischen  Erzgebirge,  besonders  in  der  Um- 
gebung von  Massa  Marittima.  Die  porösen  Kalksteine  des  Erz- 
gebirges haben  an  ihrer  Basis  deutlich  geschichtete  Kalksteine, 
die  wohl  den  Marmor  der  Apuanischen  Alpen  vertreten,  also  der 
obern  Trias  angehören.  Die  Streichrichtungen  des  toskanischen 
Erzgebirges,  NW — SO,  stimmen,  wo  sie  erkennbar  sind,  ganz  mit 
denen  der  Apuanischen  Alpen  überein. 

Bezüglich  der  biologischen  Verhältnisse  des  toskanischen  Erz- 
gebirges, des  toskanischen  Archipels  und  Sardinien-Korsikas,  auf 
deren  Übereinstimmung  schon  früher  hingewiesen  wurde,  möge  hier 
noch  betont  werden,  daß  Sardiniens  Tierwelt  auf  längere  Ab- 
sonderung der  Insel  als  Teil  eines  größeren  Ländergebiets  hin- 
weist. Nur  hier  ist  in  ganz  Italien  der  Damhirsch  noch  heimisch 
und  wild  erhalten.  Das  Wildschwein  hat  so  eigenartige,  an  das 
ausgestorbene  Sus  palustris  erinnernde  Züge  entwickelt  oder  er- 
halten, daß  manche  Zoologen  es  als  besondere  Art  unterscheiden 
möchten.  Der  Mufflon  von  Sardinien-Korsika  war  ehemals  weiter 
verbreitet.  Pferde,  Esel  und  Rinder  werden  durch  geringe  Größe 
gekennzeichnet. 

Nur  die  Apuanischen  Alpen  sind  durch  die  letzten  gebirgs- 
bildenden  Bewegungen  orographisch  inniger  mit  den  Apenninen 
verbunden  worden.  Von  den  inselartig  aus  jüngstem  Schwemmlande 
aufragenden  Pisaner  Bergen  bis  zum  Querhorste  von  Sorrent,  der 


I)  Lotü:  Descrizione  geologico-mineraria  dei  dintorni  di  Massa  Marittima 
in  Toscana.     (Mem.  descr.  Carta  geol.  d'Italia,  Bd.  VIII,  S.  30.)     Rom   1893. 


Sardinien-Korsika  und  Toskana.    Süd-Apennin.  2  1^ 

aber  auch  seinerseits  durch  den  Bruch  von  La  Cava  orographisch 
fast  vollständig  vom  kampanischen  Apennin  abgelöst  ist,  liegt  der 
überseeisch  gebliebene,  bzw.  durch  Hebung,  Anschwemmung  und 
vulkanische  Tätigkeit  wieder  überseeisch  gewordene  Teil  des  tyrrhe- 
nischen  Senkungsfeldes  an  dessen  Ostseite  als  niedriges  Vorland  vor 
den  Apenninen,  durch  eine  namentlich  hydrographisch  und  als  innere 
Verkehrslinie  von  Lucca  bis  Nocera  in  Kampanien  scharf  hervor- 
gehobene Tiefenlinie  von  denselben  getrennt.  Auch  die  höchsten 
Erhebungen  dieses  tyrrhenischen  Apenninenvorlandes  bleiben  weit 
hinter  denen  der  Apenninen  zurück,  sie  bieten  nur  wie  in  den 
Bergen  von  Chianti  oder  in  den  lepinischen  oder  auf  dem  Vesuv 
erhöhte  Standpunkte  zum  Überblick  über  den  innern  Steilabbruch 
des  Apennin.  Wohl  aber  verdankt  die  Halbinsel  diesem  geo- 
logisch so  mannigfaltigen  Vorlande  ihre  große  Breite,  ihre  großen 
Flüsse,  in  ihm  liegt  Rom,  Florenz,  Neapel. 


b)   Der  Süd-Apennin. 

Vom  Golf  von  Neapel,  also  der  Gegend  der  jüngsten  Ab- 
und  Einbrüche  südwärts,  fehlt  jedes  Vorland,  die  ältesten  am 
Aufbau  des  Apennin  beteiligten  mesozoischen  Schichten  treten 
unmittelbar  ans  Meer,  ja  in  Kalabrien  fehlen  auch  sie,  das  ar- 
chaische Grundgerüst  tritt  an  ihre  Stelle.  Während  nordwärts  von 
Kampanien  Querbrüche  in  größerer  Ausdehnung  nicht  vorkommen 
und  namentlich  die  Bodenplastik  des  Apenninenlandes  durch 
solche  so  gut  wie  gar  nicht  beeinflußt  ist,  sind  Querbrüche  süd- 
wärts davon  in  dieser  Hinsicht  von  größter  Bedeutung.  Sie  zer- 
stückten den  vormiocänen  Apennin  in  eine  Gruppe  von  Inseln, 
indem  ein  erst  in  der  Quartärzeit  geschlossener  pliocäner  Meer- 
arm den  Kampanischen  Golf  mit  der  Adria,  andre  Meerengen  das 
Tyrrhenische  Meer  nicht  nur  an  Stelle  der  Landenge  von  Catan- 
zaro  und  der  heutigen  Meerenge  von  Messina,  sondern  auch 
zwischen  Cinquefronde  und  Mammola1)  in  Süd -Kalabrien,  also 
die  Serra  vom  Aspromonte  scheidend,  mit  dem  Ionischen  ver- 
banden. Ein  randlicher  Abbruch  löste  das  kleine  Poro- Massiv 
von  Kalabrien,  ein  Längsbruch  die  apulische  Scholle  und  den 
Gargäno  vom  Apennin.     So  waren    hier,    wie  dies  noch  heute  in 


i)  Cortese:  Descrizione  geologica  dclla  Calabria.  S.  32  u.  ö.  Rom  1895. 


2i6        HI,   I.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

der  Oberflächengestalt  deutlich  zu  erkennen  ist,  wohl  in  der 
mittlem  Pliocänzeit  nicht  weniger  als  sieben  Inseln  vorhanden. 
Die  Bildung  dieser  jene  Meer-  und  später  Landengen,  sowie  die 
Umrisse  des  Landes  bedingenden  Bruchlinien  muß  erfolgt  sein 
sofort  nach  Ablagerung  des  obern  Miocän,  wenn  auch  in  der 
Gegend  der  Meerenge  von  Messina  die  Zeit  des  tiefsten  Unter- 
tauchens der  Schollen  das  obere  Pliocän  und  das  Altquartär  ist. 
Der  Meerarm,  welcher  das  kleine  Poro-Massiv  etwa  in  der  Richtung 
des  heutigen  Mesima-  und  Angitola- Tales  vom  südkalabrischen 
Massiv  schied,  schloß  sich  noch  vor  dem  obern  Pliocän  wieder. 
Das  Sila-Massiv  dagegen  war,  nur  durch  den  tief  eindringenden 
Crati-Busen  abgesondert,  eine  Halbinsel  des  neapolitanischen 
Apenninenlandes.  Sehr  bezeichnend  aber  ist,  daß  an  der  ganzen 
tyrrhenischen  Seite  Süditaliens  außer  an  den  Rändern  jener  ehe- 
maligen Meerengen  tertiäre  und  quartäre  Ablagerungen  durchaus 
fehlen,  die  archaischen  Gesteine  also  auf  weite  Strecken  in  steilem 
Abbruch  unmittelbar  ans  Meer  treten.  Nördlich  der  Sila  ver- 
schwinden die  archaischen  Gesteine  Kalabriens  allmählich  unter 
dem  mesozoischen  Deckgebirge,  das  die  tyrrhenische  Seite  des 
neapolitanischen  Apennin  bildet.  In  einer  von  der  Trias  bis 
ins  Eocän  reichenden  thalassischen  Periode  lagerte  sich  dasselbe 
in  einer  ca.  8000  m  erreichenden  Gesamtmächtigkeit  über  den 
stark  denudierten  alten  Formationen  ab 1).  Daß  es  einst  auch 
weiter  nach  Süden  vorhanden  war,  davon  zeugen  die  zahlreichen 
bald  kleinern,  bald  größern  Denudationsreste  desselben  auf  dem 
kristallinischen  Gebirge  Kalabriens.  Aber  noch  so  weit  nach 
Norden  wie  in  der  Umgebung  von  S.  Severino  Lucano  im  Tale 
des  zum  Sinni  -  Gebiet  gehörigen  Torrente  Frida  tauchen,  wie 
C.  Viola  nachgewiesen  hat,  archaische  kristallinische  Schiefer  und 
Amphibolite  unter  der  Trias  auf,  wie  Carbonschichten  von  De 
Lorenzo  in  der  Umgebung  von  Lagonegro  von  der  Trias  dis- 
kordant  überlagert  nachgewiesen  worden  sind2).  Heute  haben 
wir  auch  eine  Erklärung  für  die  schon  seit  den  30  er  Jahren  be- 


1)  De  Lorenzo:  Studi  di  geologia  nelP  App.  meridionale.  (Atti  Accad. 
di  Napoli,  Bd.  VHI,  Nr.  7  S.  46.)     Neapel   1897. 

2)  De  Lorenzo  a.  a.  O.,  S.  47  hat  neuerdings  jene  kristallinischen 
Schiefer  für  eocän  erklärt,  obwohl  auch  nach  seiner  Ansicht  hier  die  in 
Kalabrien  zutage  tretenden  kristallinischen  Gesteine  die  Unterlage  der  Trias 
bilden. 


Süd  -  Italien. 


217 


kannten  rätselhaften  Granitblöcke,  oft  von  gewaltigen  Dimensionen, 
und  für  die  granitischen  Konglomerate,  welche  an  immer  zahl- 
reicheren Punkten  verstreut  noch  weiter  nordwärts  um  Vallo  di 
Lucania,  Muro  Lucano,  Vallo  di  Diano  u.  a.  bis  zum  Vultur  und 
Aquilonia  —  die  Breite  der  Ponza-Insel  Zannone  —  nachgewiesen 
sind.  Eocäne  Konglomerate  sind  in  bis  zu  400  m  mächtigen 
Schichtenkomplexen  und  bis  zu  den  höchsten  Gipfeln  ganz  aus 
archaischen  kristallinischen  Felsarten  gebildet,  zuweilen  in  riesigen 
noch  unregelmäßig  eckigen  Blöcken.  Auch  die  Trias- Sandsteine 
bestehen  vielfach  aus  Trümmern  kristallinischer  Gesteine,  bis  zur 
Südgrenze  der  Basilicata  und  bis  ostwärts  von  Potenza.  Auch 
in  Kalabrien,  aber  sehr  bezeichnend  nur  an  der  ionischen  Seite, 
besteht  das  unmittelbar  dem  Archaischen  auflagernde  untere 
Eocän  in  bis  600  m  mächtigen  Schichtensystemen  aus  groben 
kristallinischen  Konglomeraten,  in  der  Sila  bis  zu  1 38 1  m  Höhe. 
Anderseits  sind  von  C.  Viola1)  neuerdings  Denudationsreste  von 
Eocänschichten  mit  granitischen  Gerollen  am  Monte  Cacume  der 
Lepinischen  Berge  aufgefunden  worden.  So  mögen  auch  die  von 
Branco  in  den  vulkanischen  Tuffen  des  gegenüberliegenden  Her- 
niker- Gebirges  gefundenen  granitischen  Gerolle  daher  stammen. 
Ebenso  lassen  die  von  denselben  kristallinischen,  vorwiegend 
Massengesteinen  wie  in  Kalabrien  gebildeten  Einschlüsse  in  den 
Auswurfsmassen  der  Somma  schließen,  daß  dieselben  auch  dort 
die  Unterlage  der  an  der  dem  Golf  von  Salerno  zugekehrten  Seite 
des  Horstes  von  Sorrento  wie  am  Nordhange  des  Massiker- Gebirges 
hervortretenden  Triasschichten  (Hauptdolomit)  bilden.  Leider  ist  es 
nicht  möglich,  bei  dem  gänzlichen  Fehlen  von  Versteinerungen  das 
Alter  der  in  schmalen  Streifen  am  Nordrande  der  Ponza-Insel 
Zannone  unter  den  jungeruptiven  Gesteinen  hervortretenden  Schiefer 
und  Kalksteine  zu  bestimmen.  V.  Sabatini2)  versichert  aber  mit 
aller  Bestimmtheit,  daß  die  Kalksteine,  die  nach  den  Lagerungs- 
verhältnissen jünger  sind  als  die  Schiefer,  wie  H.  Doelter  glaubte 
annehmen  zu  müssen,  petrographisch  mit  den  heute  als  liasisch 
erkannten  des  Kap  Circeo  übereinstimmen.  Bedeutungsvoll  ist 
aber,  daß  schon  Brocchi  und,  seit  1864,  auch  G.  Capellini  an- 
genommen hat,    daß    die  Gerolle   aus  Granit   und  kristallinischen 

1)  Bull.  Comit.  geol.  d'Italia   1895,  S.  324. 

2)  Dcscrizionc    geol.    delle   Isole   Pontinc.      (Bull.    Comit.   geol.    d'Italia 
1893,  S.  309.) 


2i8        IH,   i.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

Schiefern  in  den  eocänen  Konglomeraten  bei  Spezia  von  einem 
nach  Westen  vorhanden  gewesenen  alten  Festlande  herstammen 
müssen.  Später  hat  das  auch  Meneghini  angenommen  und  neuer- 
dings Zaccagna  für  die  gleiche  Formation  in  den  Apuanischen 
Alpen.1) 

Das  Gebirge,  welches  diese  durch  Flüsse  offenbar  in  östlicher 
Richtung  verfrachteten  Geröllmassen  lieferte,  mußte  in  seinem  innern 
Bau  ganz  mit  Kalabrien  und  Nordost-Sizilien  übereinstimmen,  es 
mußte  vorwiegend  granitisch  sein.  Es  erstreckte  sich2),  nach 
diesem  Vorkommen  granitischer  Konglomerate  zu  urteilen,  von 
Kalabrien  der  heutigen  tyrrhenischen  Küste  parallel  nach  NW  bis 
zur  Halbinsel  von  Sorrent,  ja  bis  zur  Südgrenze  von  Ligurien. 
Jene  Granitblöcke,  Konglomerate  und  Sandsteine  zeugen  von  seiner 
Abtragung.  Schließlich  versank  es  in  dem  sich  bildenden  tyr- 
rhenischen Einbruchskessel,  nur  der  gefaltete  und  zertrümmerte 
Außengürtel,  auf  welchen  jene  kristallinischen  Geröllmassen  ab- 
gelagert worden  waren,  blieb  stehen  und  umgibt  heute,  vorwiegend, 
wie  die  geologische  Durchforschung  seit  1892  zu  allgemeiner  Über- 
raschung festgestellt  hat,  aus  Triasgesteinen  aufgebaut,  in  weitem, 
flachem  Halbkreise  ihm  die  hohe  Seite,  die  Schichtenköpfe,  der 
Adria  die  niedere,  konvexe  Seite  zukehrend,  vom  Golf  von  Neapel 
bis  Potenza  und  dem  Agri-Tale  bis  Lagonegro,  Maratea  und  Nord- 
Kalabrien  den  tyrrhenischen  Einbruchskessel.  Es  bildet  dieser 
hohe  triasische  tyrrhenische  Gebirgshalbkreis,  in  welchem  Haupt- 
dolomit und  Dachsteinkalk  eine  große  Rolle  spielen,  bei  einer  Ge- 
samtmächtigkeit der  Triasschichten  bis  zu  3000  m  meist  auch  die 
Wasserscheide,  die  daher  dem  Tyrrhenischen  Meere  wieder  nahe 
rückt.  Faltung  ist  zwar  überall  erkennbar,  tritt  aber  meist  als 
entscheidender  Faktor  der  Bodenplastik  hinter  Bruchspalten  und 
darauf  erfolgten  Vertikalverschiebungen  zurück.  Doch  sind  noch 
bei  Lagonegro  die  Kreideschichten  in  steile  Falten  gelegt,  nach 
Osten  überschoben  und  zusammengepreßt.  Die  Hauptfaltung  er- 
folgte in  nacheocäner  Zeit,  also  etwa  um  die  Mitte  des  Tertiär. 
Sie  ist  für  den  ganzen  Apennin  entscheidend  und  hat  im  Gran 
Sasso  Eocänschichten  bis  zu  2600  m  emporgepreßt.     Zugleich  mit 


i)  Steinmann  hat  ganz  neuerdings  diese  Erscheinungen  aus  der  Wander- 
schollen-Theorie  erklärt,  sie  aber  auch  auf  Korsika  zurückgeführt. 

2)  L.  Baldacci  e  C.  Viola:  Bull.  Comit.  geol.  d'Italia   1894,   S.  389. 


Süd -Italien. 


2  19 


derselben  bildeten  sich  vorwiegend  in  der  gleichen  Richtung  in 
OSO  und  SO  verlaufende  Brüche,  welche  wenigstens  in  der 
Gegend  von  der  Südgrenze  der  Basilicata  bis  zum  Vultur  ein  die 
Triasschichten  umfassendes  voreocänes  Faltensystem,  das  mehr 
meridional  verläuft,  in  Ellipsoide  und  ähnliche  Massen,  wie  der 
Serino  und  Vulturino,  zerstückten1).  Das  ganze  Gebirge,  also  der 
kampanische  und  lukanische  Apennin,  besteht  so  aus  mesozoischen, 
vorwiegend  triasischen  Kalkschollen,  die  aus  niederem  Tertiärland  auf- 
ragend mit  echt  apenninischem  Streichen  in  NW — SO  mehr  oder 
weniger  elliptische  Gestalt  haben.  Der  südliche  Apennin  unter- 
scheidet sich  also,  wie  dies  eine  hier  nicht  beabsichtigte  nähere 
orographische  Betrachtung  noch  klarer  herausstellen  würde,  nach 
seiner  geologischen  Geschichte  und  Tektonik  sehr  wesentlich  vom 
nördlichen  und  mittlem.  Es  stimmen  aber  die  triasischen  Ab- 
lagerungen in  der  Basilicata  und  Kalabrien,  wie  so  eben  noch 
De  Lorenzo2)  betont  hat,  sowohl  untereinander,  wie  mit  denen 
West-Siziliens  überein. 

Die  Herausbildung  einer  reichern  wagerechten  Gliederung  der 
Westseite  Italiens  wie  die  größere  geologische  und  orographische 
Mannigfaltigkeit,  die  in  auffallendem  Gegensatze  zu  der  geschlossenen 
und  einförmigen  Ostseite  steht,  reicht  also  bis  in  die  Tertiärzeit 
zurück.  Auf  jene  Hauptfaltung  folgt  aber  mit  Ende  der  Pliocän- 
zeit  und  weit  in  die  Quartärzeit  hinein  eine  Hebung  des  ganzen 
Gebiets,  die,  anscheinend  ohne  Faltung,  von  Norden  nach  Süden 
an  Intensität  zunahm,  dort  die  früher  erwähnten  Meerengen  schloß 
und  erst  wieder  ein  zusammenhängendes  Gebirge  schuf.  Wir 
müssen  die  Bewegungen  der  festen  Erdrinde,  welche  hier  zuerst 
als  vorwiegend  tangentiale  ein  Faltengebirge  schufen,  dasselbe  dann 
als  vorwiegend  zentripetale  zum  Teil  wieder  zerstückten,  in  enge 
Beziehungen  zur  Bildung  des  Mittelmeeres  setzen,  das  aber  seiner- 
seits nur  ein  Glied  in  einer  Kette  von  Erscheinungen,  nämlich  ein 
Teil  eines  großen  einem  größten  Kreise  der  Erde  folgenden  Bruch- 
gürtels der  Erde  ist,  der  hier  namentlich  an  seiner  Nordseite  von 
Faltengebirgen  begleitet  wird.  Wie  in  diesem  Bruchgürtel  das 
Vorhandensein  einer  tief  verfestigten  alten  Scholle  der  Erdrinde 
einen  weitreichenden  Einfluß  auf  die  Faltengebirge  der  iberischen 
Halbinsel  ausgeübt  hat  und  auch  von  der  rumelischen  Scholle  der 


1)  De  Lorenzo  a.  a.  O.,  S.  48  fr".  2)  A.  a.  O.,  S.  46. 


2  20        HI)   *•    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

südosteuropäischen  Halbinsel  dies  anzunehmen  ist,  so  möchten 
•wir  die  Tatsache,  daß  hier  in  der  Mitte  des  mediterranen  Bruch- 
gürtels ein  Faltengebirge  entstehen  und  gewissermaßen  eine  Brücke 
quer  über  den  Bruchgürtel  bilden  konnte,  in  ursächliche  Beziehungen 
zu  der  alten  tyrrhenischen  Scholle  setzen,  die  im  einzelnen  freilich 
noch  der  Klarlegung  harren.  Sie  diente  derselben  gewissermaßen 
als  Stütze.  Daß  der  tangentiale  Schub,  welcher  dies  Faltengebirge 
schuf,  im  allgemeinen  vom  Nordwestbecken  des  Mittelmeeres,  also 
von  der  Tyrrhenis  her  kam,  ist  klar.  Die  Richtung  des  Schubs 
ging  allmählich  von  N  nach  S  aus  SW  in  N  über.  Derartiges 
Umschwenken  kehrt  ja  im  Alpensystem  (im  weitern  Sinne)  noch 
dreimal  wieder:  an  der  untern  Donau,  in  den  Westalpen  und  an 
der  Straße  von  Gibraltar.  Die  Umbiegung  der  Apenninen  am 
Südrande  des  tyrrhenischen  Kessels,  also  auch  wohl  am  Südrande 
der  Tyrrhenis  ist  darum  schwerer  zu  erkennen,  weil  in  Kalabrien 
die  Faltenbildung  gehemmt  gewesen  zu  sein  scheint  oder  wahr- 
scheinlicher der  größte  Teil  des  gefalteten  sedimentären  Gürtels 
an  der  Außenseite  gegen  das  ionische  Tiefbecken,  das  größte  und 
tiefste  des  ganzen  Mittelmeeres,  abgesunken  sein  dürfte.  Vom 
Golf  von  Tarent  bis  zur  Ätna-Bucht  Siziliens  fehlt  derselbe  fast 
ganz,  und  der  kalabrische  Apennin  unterscheidet  sich  dadurch 
in  auffallender  Weise  vom  übrigen  Apennin;  die  erst  in  der 
Quartärzeit  wieder  miteinander  verbundenen  archaischen  Schollen 
Kalabriens  erscheinen  so  als  ein  riesiger  Steg,  der  zwischen  zwei 
3000—4000  m  tiefen  Einbruchskesseln  mit  5000 — 6000  m  größter 
relativer  Höhe  das  breite  Apenninenland  der  Basilicata  und  Lu- 
kaniens  mit  dem  ebenso  breiten  von  Sizilien  verbindet.  An  der 
Außenseite  Siziliens  fehlt  ein  solcher  Einbruchskessel.  Das  seichte 
Afrikanische  Meer  erscheint  nur  als  eine  Überspülung  des  breiten 
Tertiärgürtels,  dessen  Schichten,  wie  man  aus  den  stehengebliebenen 
Tafeln  von  Malta  und  Lampedusa  schließen  kann,  am  Außenrande 
des  apenninischen  Systems,  wie  ja  vielfach  bei  Faltengebirgen, 
selbst  keine  Faltung  mehr  erfahren  hatten.  Die  Bildung  der  im 
Relief  der  Erdrinde  deutlich  erkennbaren  Bruchspalte,  auf  welcher 
sich  die  noch  heute  rege  vulkanische  Tätigkeit  von  Pantelleria 
entwickelte,  steht  zu  dieser  Überspülung  des  flachen  Tertiärlandes 
und  zur  Loslösung  Siziliens  von  Afrika  in  Beziehungen.  Diese  Vor- 
gänge, die  auch  die  Abgliederung  der  ägatischen  Inseln  von 
Sizilien   herbeiführten,    fallen   etwa   in    die   Mitte    der    Quartärzeit. 


Süd -Italien  und  Sizilien.  22  1 

Die  Überspülung  ist  seitdem  immer  weiter  vorgeschritten,  sowohl 
gegen  die  Küste  von  Sizilien,  die  eine  entfernte  Ähnlichkeit  mit 
den  nordfranzösischen  Falaises  hat  und  wie  diese  durch  Abbruche 
in  einem  allerdings  wohl  wesentlich  langsamem  Zurückweichen 
begriffen  ist,  wie  namentlich  gegen  Tunesien,  Malta  und  Lam- 
pedusa.  An  beiden  letztern  ist  ja  die  fortschreitende  Abtragung 
nachgewiesen.  Beide  müssen  aber  noch  weit  in  die  Quartärzeit 
hinein  Teile  größerer  Festlandsgebiete  und  sowohl  mit  Sizilien 
wie  mit  Tunesien  verbunden  gewesen  sein.  Sowohl  in  Sizilien 
wie  auf  Malta  und  in  Tunesien  sind  in  großen  Mengen  die 
Reste  derselben  diluvialen  Säugetiere  zutage  gefördert  worden,  vor 
allem  von  Elefanten  und  Hippopotami,  die  auf  dem  heutigen  der 
Quellen  wie  des  fließenden  Wassers  so  gut  wie  ganz  entbehrenden 
Malta  ihre  Daseinsbedingungen  unmöglich  finden  könnten.  Die 
von  J.  H.  Cooke  neuerdings  vorgenommene  Durchforschung  der 
Har  Dalam-Höhle  im  SO  der  Insel,  etwa  800  m  von  der  durch 
Meereserosion  entstandenen  Marsa  Scirocco-  Bucht,  lieferte  von 
neuem  den  Nachweis  einer  reichen  diluvialen  Fauna  in  der  Zeit, 
wo  diese  Höhle  von  rinnendem  Wasser  gebildet  und  durchflössen 
wurde,  und  stellte  die  Wahrscheinlichkeit  fest,  daß  der  Mensch 
schon  in  jener  Zeit  die  Verkleinerung  der  Insel  mit  durchlebt  hat, 
wie  er  das  langsame  Fortschreiten  derselben  auch  heute  festzu- 
stellen in  der  Lage  ist. 

Wir  halten  so  mehr  als  je  trotz  der  Einwürfe,  namentlich 
E.  Haugs,  an  der  Richtigkeit  der  von  Eduard  Suess  zuerst  aus- 
gesprochenen Ansicht  fest,  daß  sich  der  Apennin  in  dem  Falten- 
gebirge am  Nordrande  von  Klein-Afrika  fortsetzte,  namentlich  seit 
wir  durch  eigne  Anschauung  fast  an  der  ganzen  Küste  von  Genua 
bis  zur  Westspitze  Siziliens  und  anderseits  vom  Golf  von  Tunis  bis 
Melilla  und  wieder  an  der  Meerenge  von  Gibraltar  und  an  der 
andalusischen  Südküste  Vergleiche  anstellen  konnten.  Rings  um 
die  Ost-  und  Südseite  des  mediterranen  Nordwestbeckens  von 
Genua  über  Sizilien  bis  an  die  Meerenge  von  Gibraltar  sind  die 
Schichtenköpfe  und  die  relativ  ältesten  Formationen  diesem  Becken 
zugekehrt.  Das  andalusische  Faltensystem,  dessen  älteste  Formationen 
ebenfalls  dem  Mittelmeere  zugekehrt  sind,  endet  nach  Osten  hin 
in  den  mediterranen  Bruchgürtel  hinein,  ganz  wie  das  griechische 
Faltengebirge  durch  Querbrüche  zerstückt,  gesenkt  und  in  Inseln 
aufgelöst    auf  Minorka   350  km    westlich    von   Sardinien,    welchem 


22  2        HI,   i.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

gegen  Osten  auf  300  km  Entfernung  der  innere  Abbruchsrand 
der  Apenninen  im  Sabiner  Gebirge  gegenüberliegt.  Mitten  in 
diesem  Wirbel  gefalteter  und  nach  innen  zum  Nordwestbecken 
des  Mittelmeeres  auf  peripherischen,  fast  durchaus  durch  vulkanische 
Tätigkeit  gekennzeichneten  Brüchen  abgesunkener  Gebirge  liegen 
die  Trümmerstücke  einer  alten  Scholle,  der  Tyrrhenis.  Man  wird 
an  die  großen  Verhältnisse  erinnert,  wie  sie  um  den  Stillen  Ozean 
herrschen.  Auch  die  Lage  des  freilich  noch  zu  wenig  erforschten 
Borneo  zu  den  südostasiatischen  Faltenzügen  erweist  sich  vielleicht 
einmal  als  der  von  Sardinien-Korsika  vergleichbar.  Der  Gedanke 
an  einen  Zusammenhang  zwischen  der  Bildung  des  mediterranen 
Nordwestbeckens  und  den  dasselbe  umschließenden  Faltengebirgen, 
speziell  des  tyrrhenischen  Einbruchskessels,  mit  den  Apenninen 
liegt  nahe. 

c)  Terrassenbildung  in  Kalabrien  und  Sizilien. 

Die  neuerdings  durchgeführte  geologische  Erforschung  Kala- 
briens  hat  auch  das  Verständnis  der  letzten  Hebung  des  ganzen 
Apenninenlandes  wesentlich  fördernde  Tatsachen  festgestellt.  Auf 
die  Periode  der  gebirgsbildenden  faltenden  Bewegungen,  die  vom 
Ende  der  Eocänzeit  bis  in  die  Miocänzeit  andauerten,  also  eine 
Periode  des  Auftauchens,  folgte  in  der  Pliocänzeit  eine  kurze 
Periode  des  Sinkens  und  Übergreifens  des  Meeres,  die  noch  in 
der  Pliocänzeit  in  eine  noch  andauernde  Hebung  überging.  Vor 
allem  hat  sich  herausgestellt,  daß  in  Kalabrien,  wie  wir  schon 
vorher  annahmen,  in  der  Quartärzeit  eine  durch  Ruhepausen  unter- 
brochene, daher  durch  Terrassenbildung  veranschaulichte  Hebung 
stattfand,  welche  anscheinend  gegen  die  Meerenge  hin  an  Inten- 
sität zunahm,  wie  auch  in  Sizilien  eine  fast  überall  noch  nach- 
weisbare Hebung  gegen  die  Meerenge  hin  am  bedeutendsten 
gewesen  zu  sein  scheint.  Cortese x)  hat  an  der  ganzen  tyrrhenischen 
Seite  Kalabriens  von  der  Südwestecke  der  Sila  bis  an  die  Meer- 
enge fünf  solcher  Terrassen  festgestellt,  stets  als  Strandbildungen 
zugleich  durch  Ablagerungen  von  Sand  und  roten  Konglomeraten 
gekennzeichuet,  nach  Süden  hin  an  Höhe  zunehmend.  Am  deut- 
lichsten treten  dieselben  bei  Nocera  Tirinese  hervor.  Dort  unter- 
scheidet Cortese  folgende  vier:  1 .  Piano  della  Gabella,  von  10 — 50  m 


1)  Descrizione  geologica  della  Calabria,  S.  .185. 


Die  kalabrischen  Terrassen. 


223 


über  dem  Meere,  200  m  breit.  2.  Piano  del  Casale,  150 — 200m, 
600  m  breit.  3.  Piano  della  Civitä,  350 — 480  m,  1500  m  breit. 
4.  Piano  di  Stia,  640 — 700  m,  1000  m  breit.  Am  Golf  von 
Sta.  Eufemia,  wo  die  gehobenen  Strandbildungen  die  Flüsse 
stauen,  so  daß  ein  furchtbarer  Malariaherd  entstanden  ist,  am 
Poro-Massiv,  in  der  Ebene  von  Gioja,  am  Aspromonte  lassen 
sich  diese  Terrassen  ebenfalls  verfolgen,  aber  am  Poro-Massiv 
liegen  sie  schon  höher  als  bei  Nocera  und  am  Aspromonte 
wiederum  höher.  Am  Piano  della  Limina,  an  Stelle  der  ehe- 
maligen südkalabrischen  Meerenge  zwischen  Cinquefronde  und 
Mammola,  reicht  das  Quartär  bis  1000  m  empor,  und  am  West- 
hange des  Aspromonte  liegen  in  Denudationsresten  erhaltene  plio- 
cäne  Sande  noch  bei  1000  m,  quartäre  (nach  de  Lorenzo  jüngste 
pliocäne)  Ablagerungen  in  den  sogen.  Campi  di  Reggio  und  den 
Piani  di  Aspromonte  bei  1 300  m.  Am  Aspromonte  speziell  unter- 
scheidet de  Lorenzo !)  vier  Gruppen  von  Terrassen.  Die  oberste, 
die  Campi  di  Aspromonte,  1000 — 1300  m;  die  2.  die  Piani  della 
Melia,  550 — 700  m;  die  3.  die  Piani  di  Matinite,  300 — 400  m; 
die  4.  die  Piani  della  costa,  o — 120  m.  Auch  im  Crati-Becken 
lassen  sich  solche  Terrassen  erkennen  und  zu  denen  bei  Nocera 
Tirinese  in  Beziehungen  setzen.  Doch  ist  sonst  an  der  ionischen 
Seite  solche  Terrassenbildung  nur  ausnahmsweise  zu  erkennen 
und  finden  sich  marine  Qartärbildungen  nur  bis  zu  1 70  m,  ver- 
einzelt bis  330  m. 

Man  wird  bei  diesen  kalabrischen  Terrassen  sofort  an  die 
ungefähr  in  derselben  Zeit  gebildeten  am  Nordrande  Algeriens2) 
und  an  die  Hebung  der  Ostküste  Tunesiens3)  denken,  nur  ist  in 
Algerien  seitdem  eine  Senkung  eingetreten. 

In  den  zum  Golf  von  Tarent  ausmündenden  Flußtälern  des 
Agri,  Basento  u.  a.  kann  man  talaufwärts  die  postpliocänen  Ab- 
lagerungen allmählich  in  pliocäne  übergehen  sehen,  die  bei  Avi- 
gliano  918  m,  bei  Carbone  950  m  erreichen4).  Es  bildeten  sich 
bei  dieser  Hebung  vielfach  in  den  Hohlformen  aus  Meeresbuchten 
Seen,  welche  schließlich  ausgesüßt  wurden  und  zuletzt  erloschen, 
so  daß  das  Quartär  dieser  Gegenden  häufig,  wie  im  Vallo  di 
Diano,  bei  Rotonda  und  Lajno,  bei  Lagonegro  und  Lauria  und 
anderwärts  lakuster  ist. 


I)  A.  a.  O.,  S.    123.  2)  Siehe  vorn  S.   126. 

3)  Siehe  vom  S.   109.  4)  De  Lorenzo  a.  a.  O.  S.  89. 


2  2A        m>   '•    ^ur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

Auch  der  Ingenieur  Fr.  Salmojraghi1)  hat  die  kalabrischen 
Küsten terrassen ,  allerdings  weiter  im  Norden,  beobachtet  und 
solche  bis  zum  Golf  von  Policastro  nachgewiesen.  Er  hält  die- 
selben aber  nicht  für  Zeichen  einer  Hebung,  sondern  für  vom 
Meere  abgetragene  alte  Schuttkegel.  Das  mag  wohl  für  die  nied- 
rigen Terrassen  gelten,  die  sich  noch  heute  bilden,  indem  die 
Brandung  die  Schuttkegel  bis  zu  einer  Höhe  von  5  m  über 
Mittelwasser  abzutragen  und  die  Küstenversetzung  die  Geröll- 
massen am  Strande  entlang,  vorzugsweise  nach  Norden,  zu  ver- 
schleppen und  abzulagern  vermag.  Es  findet  so  eine  bedeutende 
Anlagerung  von  Neuland  statt,  am  auffälligsten  an  der  Nordseite 
der  Vorgebirge.  Die  innern  Streifen  dieses  Neulandes  sind  auch 
vielfach  bereits  in  Anbau  genommen.  Selbst  Klippen  und  Inseln 
sind  landfest  geworden.  Für  die  höheren  Terrassen  erscheint 
mir  aber  keine  andere  Erklärung  möglich  als  die  von  Cortese 
gegebene,  denn  gegenüber  Corteses  Feststellung,  nach  welcher 
die  Terrassenablagerungen  quartären  Alters  sind,  ist  Salmojraghis 
Annahme,  dieselben  seien  tertiär,  hinfällig.  De  Lorenzo  pflichtet 
hier  im  wesentlichen  Cortese  bei,  nur  die  ältesten  rückt  er  ins 
Ende   der  Pliocänzeit  hinauf2). 

Westlich  von  der  Straße  von  Messina  hat  der  geologische 
Erforscher  Siziliens,  Baldacci,  auch  bei  Cefalü  bis  90  m  über  dem 
heutigen  Meeresspiegel  in  Terrassen  ansteigende  quartäre  Kon- 
glomerate und  Sande  nachgewiesen,  die  auch  er  als  Beweise 
einer  nachquartären  Hebung  ansieht,  während  Cortese3)  auch  auf 
den  Liparischen  Inseln,  namentlich  auf  Lipari,  ähnliche  Terrassen 
und  Terrassenablagerungen  als  Zeichen  einer  Hebung  erkannt 
hat.  Für  die  mediterrane  Pflanzenreste  enthaltenden  Tuffe  von 
Bagnosecco  speziell  nimmt  er  frühquartäres  Alter  an.  Kalkstein- 
schichten, welche  auf  diesen  Terrassen  auftreten,  beweisen,  daß 
dieselben  marinen  Ursprungs  sind.  Die  Versteinerungen  noch 
lebender  Arten,  die  sie  enthalten,  stimmen  genau  überein  mit 
denen,  welche  sich  bei  Milazzo  in  ähnlichen  Spaltausfüllungen 
des  kristallinischen  Gesteins  dieses  Vorgebirges  finden.  Ganz  in 
gleicher  Weise  in  der  Form  von  Spaltausfülluugen  kehrt  derselbe 


1)  Bull.  Comit.  geol.  d'Italia   1886,  S.  281   f. 

2)  A.  a.  O.  S.   122. 

3)  Cortese    e  Sabatini:    Descrizione   geologico  -petrografica    delle    Isole 
Eolie.     (Memorie  descr.  Carta  geol.  d'Italia,  Bd.  VII.)     Rom   1892. 


Hebung  der  Küste  von  Kalabrien. 


225 


Kalkstein  in  Kalabrien  von  Scilla  bis  Bagnara  und  Palmi  wieder. 
Die  Insel  Lipari  weist  drei  Terrassen  auf,  die  denen  der  Nord- 
küste Siziliens  und  den  drei  untersten  am  Westhange  des  Aspro- 
monte  entsprechen. 

Handelte  es  sich  bei  diesen  Terrassenbildungen  um  quar- 
täre  Vorgänge,  so  reihen  sich  denselben  doch  Erscheinungen  an, 
welche  auf  eine  noch  heute  oder  auch  heute  vor  sich  gehende 
Hebung  zu  schließen  erlauben.  So  hat  Cortese  auf  die  an  der 
tyrrhenischen  Steilküste  bis  8  m  über  dem  heutigen  Mittelwasser 
gelegenen  Linien  von  Bohrlöchern  der  Pholaden  und  auf  die 
fünf  konzentrischen  Küstensäume  am  Golf  von  Sta.  Eufemia  hin- 
gewiesen. In  Tropea  *)  mußte  man  früher,  um  eine  kleine  Kirche 
zu  besuchen,  welche  auf  einer  küstennahen  Klippe  erbaut  ist,  im 
Boot  übersetzen,  da  der  Fuß  der  Klippe  und  der  Felsküste  vom 
Meere  umspült  war.  Jetzt  geht  man  zu  Fuß  zu  der  Kirche,  und 
unter  den  Fenstern  von  Tropea  sind  Gärten  angelegt.  Am  Kap 
Vaticano  sieht  man  vom  Boot  aus  etwa  5  m  über  Meer  im  Granit- 
fels, der  dort  fast  senkrecht  zum  Meere  abstürzt,  die  charakte- 
ristische Marke  und  Bohrlöcher  der  Lithophagen,  welche  zeigen, 
daß  das  Meer  einst  in  dieser  Höhe  stand.  Eine  ähnliche  Marke 
mit  Bohrlöchern  findet  sich  in  etwa  4  m  Höhe  an  der  Felsküste 
zwischen  Porto  Oreste  und  Bagnara.  Vor  Gioja,  das  ursprüng- 
lich auf  einem  hohen,  steilen  Vorgebirge  unmittelbar  über  dem 
Meere  lag,  ist  allmählich  ein  800  m  breiter  Strand  hervorgetreten. 
Einige  dieser  Erscheinungen,  welche  Cortese  alle  lediglich  aus 
einer  Hebung  erklärt,  dürften  sich  wohl  auch  wie  in  Nord- 
Kalabrien  aus  Landanlagerung  erklären  lassen.  Auf  Zusammen- 
sitzen oder  auf  eine  durch  die  Brandung  bewirkte  Wiederab- 
tragung von  Anschüttungen,  welche  von  den  Fiumaren,  der  Küsten- 
versetzung, vielleicht  sogar  von  Menschen  gebildet  wurden,  möchte 
ich  jedoch  entgegengesetzte  Erscheinungen  in  der  Nähe  von 
Reggio  an  der  Meerenge  zurückführen,  die  Cortese  dort  fest- 
gestellt hat,  aber  als  Beweise  eines  Sinkens  der  Küste  ansieht. 
Wo  heute  der  Landungsplatz  von  Reggio  liegt,  ist  eine  Küsten- 
befestigung versunken  und  zerstört.  Ebenso  ist  eine  andere 
Küstenbefestigung,  das  Castel  a  mare,  halb  zerstört,  die  Mauern 
stürzen   ins   Meer,   während   man   noch   im   Jahre    1848   trocknen 


1)  Descrizione  geol.  della  Calabria,  S.   57. 
Fischer,  Mittelmeerbilder.    Neue  Folge.  15 


22b        HI>   !•    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

Fußes  um  dasselbe  herumgehen  konnte.  Das  um  1884  erbaute 
Schlachthaus  von  Reggio  war  etwa  10  Jahre  später  schon  wieder 
vom  Meere  zerstört.  In  gleicher  Weise  werden  zwei  Bahnwärter- 
häuschen in  der  Nähe  vom  Meere  angegriffen.  Ähnliche  Er- 
scheinungen hat  Cortese  seit  1881  bis  gegen  Kap  Spartivento  hin 
beobachtet.  Ebenso  stellt  derselbe  fest,  daß  die  Farospitze  Siziliens 
heute  und  seit  1888  in  Abtragung  begriffen  ist  —  meine  Be- 
obachtungen reichen  nur  bis  1876  —  und  daß  der  neue  Leucht- 
turm 1882  viele  Meter  landeinwärts  erbaut  wurde.  Er  sucht 
auch  dies  durch  ein  Sinken  des  Landes  zu  erklären.  Es  gehört 
aber  wohl  nur  eine  geringe  Änderung  in  den  Wind-  und  Strö- 
mungsrichtungen hinzu,  um  diese  von  beiden  geschaffenen  losen 
Anlagerungen  auch  wieder  zur  Abtragung  zu  bringen.  Zu  der 
in  geschichtlicher  Zeit  erfolgten  Hebung  der  Westküste  Siziliens, 
die  ich  vor  20  Jahren  nachzuweisen  suchte,  möge  noch  angeführt 
werden,  daß  die  Stagnone-Insel  sich  bei  der  vom  Militärgeogra- 
phischen Institut  in  Florenz  1896  vorgenommenen  Messung  um 
°i33  Q^m  größer  darstellte  als  bei  der  Messung  von  1884,  was 
G.  Marinelli  auf  wirkliche  in  der  Zwischenzeit  erfolgte  Vergröße- 
rung der  flachen,  in  seichtem  Meere  gelegenen  Insel  zurück- 
zuführen geneigt  ist1).  Auch  De  Lorenzo2)  nimmt  an,  daß  die 
Hebung  des  Landes  noch  heute  in  Süd-Italien  andauert. 

Genauere  Feststellungen  über  jüngste  Niveauverschiebungen 
liegen  auch  aus  dem  Bereich  der  Pontinischen  Sümpfe  vor.  Die 
von  der  Brandungswelle  ausgewaschenen  Höhlen  bei  Terracina 
und  am  Kap  Circeo,  besonders  die  berühmte  Ziegengrotte  mit 
ihren  von  Lithophagen  durchbohrten  Wänden,  liefern  den  Beweis, 
daß  hier  eine  Hebung  von  etwa  10  m  zu  Beginn  der  Quartär- 
zeit stattgefunden  hat,  infolge  deren  die  Insel  Circeo  landfest 
wurde  und  die  Pontinischen  Sümpfe,  wie  die  dort  bei  den  Ent- 
wässerungsarbeiten aufgeschlossenen  Ablagerungen  zeigen,  sich 
aus  einem  seichten  Meerbusen  in  ein  Brackwassergebiet  und  schließ- 
lich in  Festland  verwandelten,  das  aber  seinerseits  seitdem  wieder 
infolge  einer  Senkung  versumpft  und  unbewohnbar  geworden  ist. 
Auf  eine  Senkung  muß  man  aus  den  Untersuchungen  der  Ziegen- 
grotte schließen.     Die   bei  den  Entwässerungsarbeiten  gemachten 


1)  Atti  R.  Ist.  Veneto,  T.  VIII,  Ser.  VII,   1896/97,  S.   183. 

2)  A.  a.  O.   124. 


Gargäno  -  Apulien.  22  7 

Aufschlüsse  ergaben1)  bei  2,10  m  Tiefe  unter  Torf  und  sonstigen 
Festlandsbildungen  eine  1,20  m  mächtige  fossilreiche  Brack- 
wasserschicht, in  3,3  m  Tiefe  jüngsten  fossilreichen  marinen 
Mergelsand. 

d)  Gargäno  —  Apulien. 

Wie  das  Apenninenland  in  Mittel  -  Italien  ein  breites  Vor- 
land an  der  tyrrhenischen  Seite  besitzt,  so  in  Süd-Italien  an  der 
adriatischen. 

Die  geologische  Geschichte  des  Gargäno  und  Apuliens,  die 
Beziehungen  beider  zum  Apenninengebiet,  zur  Adria  und  zu 
Dalmatien  sind  in  den  letzten  Jahrzehnten  Gegenstand  vielseitiger 
Erörterung  gewesen.  Der  Geograph  kann  nicht  umhin,  auf  diese 
Frage  einzugehen,  da  nur  durch  eine  Klärung  derselben  sich  das 
Verständnis  dieses  eigenartigen  Gebiets,  des  Einflusses,  welches 
dasselbe  auf  seine  Bewohner  ausgeübt  hat,  und  seiner  Zugehörig- 
keit zu  Italien  erschließen  läßt.  Es  handelt  sich  also  auch  hier 
um  einen  Versuch,  individuelle  Züge  einer  Landschaft  entwicke- 
lungsgeschichtlich  zu  erklären. 

Der  Gargäno  und  Apulien  sind  mesozoische  Schollen,  welche 
nach  Oberflächenformen  und  innerm  Bau  vom  Apenninenlande 
durchaus  nicht  so  verschieden  sind,  wie  man  lange  angenommen 
hat,  nachdem  endlich  und  endgültig  die  so  lange  angenommene 
Gabelung  des  Apennin  in  die  kalabrische  und  apulische  Halb- 
insel als  nicht  vorhanden  erwiesen  worden  war.  Im  Gegenteil, 
die  im  letzten  Jahrfünft  mit  großem  Eifer  und  Erfolg  wenigstens 
im  großen  durchgeführte  geologische  Erforschung  des  so  lange 
unbekannt  gebliebenen  neapolitanischen  Apennin  hat  klar  heraus- 
gestellt, daß  dort  zahlreiche  ähnliche  mehr  oder  weniger  tafel- 
förmige Kalkschollen  vorhanden  sind,  die  sich  nur  durch  geringere 
Größe,  aber  bedeutendere  Höhe  unterscheiden.  Solange  man 
nur  den  benachbarten  Tertiär  -  Apennin  und  das  früher  er- 
forschte Dalmatien  zum  Vergleich  heranzog,  schienen  der  Gar- 
gäno und  Apulien  dem  letztern  näher  zu  stehen,  zumal  ja  beide 
auch  durch  eine  inselreiche  unterseeische  Schwelle  auf  einer 
Linie    miteinander    verbunden    sind,    in    welcher    G.    Stäche    die 


l)  R.    Meli:    Sopra    In   natura   geologica delle   paludi  pontine. 

(Estr.  Boll.  Soc.  geol.  ital.,  Bd.  XHI.)     Rom   1894. 

«5* 


2  28        III,   I.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

Südküste  des  ehemaligen  adriatischen  Festlandes  sieht.  Man 
glaubte  daher  den  Gargäno  als  ein  durch  Bildung  der  Adria 
von  Dalmatien  losgelöstes,  in  der  Quartärzeit  dann  durch  Hebung 
mit  dem  Apenninenlande  verbundenes  Stück  der  dalmatinischen 
Tafel  ansehen  zu  müssen.  De  Giorgi  meinte  ein  eigenes  nur 
noch  in  diesen  Resten  erhaltenes  apulisch-garganisches  Hebungs- 
system annehmen  zu  müssen. 

Der  Gargäno  ist  eine  apenninisch  orientierte  Kalkscholle 
der  Jura-  und  der  Kreideformation,  welcher  nur  am  Südost-  und 
am  Nordrande  eocäne  Kalkschichten  in  geringer  Ausdehnung 
auflagern.  Er  bildet  ein  halbes  Ellipsoid,  dessen  aus  jurassischen 
Dolomiten  gebildete  Hebungsachse  sich  echt  apenninisch  in  der 
Richtung  NW — SO  etwa  auf  der  Linie  Varano — Mattinata  er- 
streckt. Die  Faltung  der  etwa  2/3  des  ganzen  Gebiets  bildenden 
Juraschichten  ist  eine  sehr  geringe,  meist  liegen  sie  wagerecht; 
die  Hippuritenkalke  sind  am  Südrande,  der  steilen  Abbruchsseite, 
stärker  geneigt  und  fallen  namentlich  von  Mte.  S.  Angelo  ziem- 
lich steil  gegen  Manfredonia  ein.  Der  Charakter  der  verkarsteten, 
an  Dolinen  reichen  und  selbst  der  Karstseen  nicht,  des  rinnen- 
den Wassers  ganz  entbehrenden  gegen  NO  sanft  geneigten  Hoch- 
fläche ist  darin  begründet.  Auch  das  schien  auf  Dalmatien  hin- 
zuweisen. Heute  wissen  wir,  daß  ähnliche  Gebiete  im  Apennin 
gar  nicht  selten  sind.  E.  Cortese  und  M.  Canavari1)  heben  aus- 
drücklich hervor,  daß  die  Hippuritenkalke  des  Gargäno  solchen 
der  Apenninen  durchaus  ähnlich  sind.  Das  gleiche  behauptet 
der  Petrograph  Bucca  von  den  Jurakalken,  indem  er  dieselben 
speziell  mit  denen  von  Giffoni  Sette  Casali  in  der  Provinz  Salerno 
vergleicht.  Ferner  hat  P.  Moderni2)  auf  die  Übereinstimmung 
der  Nummulitenformation  der  Majella,  eines  jener  apenninischen 
Kalkmassive,  mit  derjenigen  des  Gargäno  hingewiesen,  und  de 
Giorgi3),  der  beste  Kenner  Apuliens,  hebt  hervor,  daß  die  weißen, 
festen  Kalke  der  mittlem  Kreide,  aus  deren  nur  wenig  geneigten, 
nicht  gefalteten  Schichten  der  Alburno,  ein  andres  dieser  apen- 
ninischen Kalkmassive  im  Gebirgslande  des  Cilento,  aufgebaut 
ist,   mit   den    gleichaltrigen   der   Murgie,    also    Apuliens,    überein  - 


i)  Bull.  Comit.  geol.  d'Italia   1884,  Ser.  II,  Bd.  V,  S.  295. 

2)  Bull.  Comit.  geol.  d'Italia  1891,  Bd.  XII,  S.  32. 

3)  Ebenda  Bd.  XII,  S.  39. 


Apulien.  229 

stimmen  und  die  Kalkformation  Apuliens  im  Alburno  wiederkehrt. 
Ebenso  hat  G.  di  Stefano  die  Tatsache  betont,  daß  die  Kreide 
der  Murgie  keineswegs,  wie  behauptet  worden  ist,  eine  lithologisch 
und  paläontologisch  von  der  Kreide  der  Apenninen  verschiedene 
Facies  besitzt.  Dazu  haben  neuerdings  C.  Viola  und  L.  Baldacci 
triassische  Schichten  an  der  Punta  della  Pietre  Nere  nördlich 
von  Gargäno  nachgewiesen,  und  nach  M.  Cassetti1)  stimmt  die 
konkordante  Lagerung  der  urgonischen  Kalksteine  auf  den  Dolo- 
miten im  Matese,  einem  andern  Kalkmassiv  der  Apenninen,  und 
im  Gargäno  überein,  ebenso  der  allmähliche  Übergang  der  einen 
in  die  andern,  so  daß  man  sie  nicht  trennen  kann.  Anderseits 
vermag  A.  Tellini2)  aus  seiner  Untersuchung  der  Tremi tischen 
Inseln,  bei  welcher  er  auch  der  Frage  der  Entstehung  der  Adria 
näher  tritt,  keine  zwingenden  Gründe  für  die  Annahme  bei- 
zubringen, daß  diese  nur  einseitige  Beziehungen  zu  Dalmatien 
haben  sollen.  Auch  ihre  Pflanzen-  und  Tierwelt  spricht  nicht  für 
solche  einseitigen  Beziehungen.  Eine  Landverbindung  Gargäno 
— Apuliens  über  die  Tremiten  in  der  Pliocänzeit,  welche  M.  Neu- 
mayr  angenommen  hatte,  glaubte  er  zurückweisen  zu  müssen;  nur 
in  der  Miocänzeit  habe  eine  solche  bestanden,  aber  mit  Aus- 
schluß der  Tremiten.  Daß  sich  auf  dem  Gargäno  einige  dem 
übrigen  Italien  fehlende  Pflanzen  finden,  wie  Campanula  gar- 
ganica  Ten.,  Inula  Candida  Guss.,  Vesicaria  sinuata  Poir.,  die 
drüben  an  der  dalmatischen  Küste  verbreitet  sind,  kann  nicht  be- 
sonders auffallen  bei  der  räumlichen  Nähe,  der  Verknüpfung 
durch  Luft-  und  Meeresströmungen  und  der  völligen  Überein- 
stimmung von  Klima  und  Boden,  welch  letztere  im  zunächst 
liegenden  Tertiär  -  Apennin  nicht  vorhanden  war,  während  die 
weiter  entfernten  apenninischen  Kalkmassive  sich  bezüglich  des 
Klimas  recht  wesentlich  unterscheiden.  Die  vereinzelt  in  Apulien 
vorkommende  Knopperneiche  (Quercus  Aegilops  L.),  die  sonst 
in  Italien  ganz  fehlt,  aber  das  östliche  Mittelmeergebiet  kenn- 
zeichnet, kann  wegen  der  wertvollen  Eichelbecher  dort  ein- 
geführt sein. 

Wir  glauben  uns  daher  nach  dem  heutigen  Stande  der  Er- 
forschung   dahin    aussprechen   zu    sollen,    daß   der    Gargäno    und 


1)  Bull.  Comit.  geol.  d'Italia   1893,  S.  333. 

2)  Ebenda   1890,  Bd.  XXI,  S.  442. 


2jO        HI,    I.    Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Apenninen-Halbinsel. 

Apulien  Teile  des  vormiocänen  Apennin  sind  und  sich  zu  dem- 
selben ähnlich  verhalten  wie  Malta  zu  Sizilien  oder  der  von  der 
Faltung  des  schweizerischen  Jura  nur  noch  in  geringem  Maße  er- 
griffene und  daher  die  etwas  öden  Hochflächen  der  Franche 
Comte  bildende  Gürtel  an  der  Außenseite  desselben.  Ein  System 
apenninischer  Brüche  trennte  dann  diesen  altern  wenig  gefalteten 
Außengürtel  vom  Apennin,  dessen  letzten  nacheocänen  ent- 
scheidenden Bewegungen  gegenüber  sich  derselbe  als  starre  Scholle 
verhielt,  ja  auf  welchen  stellenweise  die  jüngsten  Falten  geradezu 
hinaufgeschoben  wurden1).  Auf  der  Kreuzung  von  Längs-  und 
Querbrüchen  am  Rande  der  oben  erwähnten  bis  ins  Quartär  hinein 
vom  Golf  von  Tarent  zur  Bucht  von  Vasto  führenden  Meerenge 
entwickelte  sich  dann  die  verhältnismäßig  kurzlebige  vulkanische 
Tätigkeit  des  Vultur.  Die  apulische  Ebene  liegt  da,  wo  sich  die 
beiden  nach  den  Golfen  von  Tarent  und  von  Kampanien  führen- 
den pliocänen  bis  ins  Quartär  erhaltenen  Meerengen  vereinigten. 
Die  Trennung  des  Gargäno  von  Apulien  reicht  also  bis  in  die 
Pliocänzeit  zurück.  Im  Miocän  war  Apulien  Festland,  im  Pliocän 
war  dasselbe  teilweise  untergetaucht,  namentlich  gegen  die  Meer- 
enge hin,  da  dort  bei  Gioja  del  Colle  noch  in  einer  Höhe  von 
360  m  Pliocänschichten  erhalten  sind.  Ja  in  400 — 500  m  Höhe 
kommen  bei  Matera  noch  postpliocäne  marine  Ablagerungen  vor2). 
Daß  Apulien  an  den  jüngsten  Bewegungen  der  Apenninen  nicht 
teilgenommen  hat,  dafür  spricht  wohl  auch  die  von  de  Giorgi 
hervorgehobene  und  sich  auch  aus  einer  von  uns  veröffentlichten 
Erdbebenkarte  von  Italien3)  sofort  ergebende  Tatsache,  daß  das- 
selbe keinen  eigenen  Erdbebenherd  besitzt,  verhältnismäßig  selten 
heimgesucht  wird  und  daß  diese  dann  stets  ihren  Ausgangspunkt 
außerhalb,  aber  viel  seltener  im  Apenninenland  als  im  ionischen 
Einbruchskessel  haben.  Wir  glaubten  daher  die  ganze  eigen- 
artige Stellung  Gargäno — Apuliens  am  besten  zu  kennzeichnen,  in- 
dem wir  es  als  adriatisches  Apenninenvorland  bezeichneten. 

Der  Werdevorgang  des  Halbinsellandes  Italien  ist  also  ein 
recht  verwickelter.  Die  Achse  desselben  scheint  sich  im  allge- 
meinen nach  Osten  verschoben  zu  haben.     Der  älteste  Teil  lieart 


1)  Deecke,    5.  Jahresbericht   der  Geogr.  Ges.   zu  Greifswald   1890 — 93, 
S.  96. 

2)  De  Lorenzo  a.  a.  O.,  S.  89. 

3)  Länderkunde  von  Süd-Europa,  S.  326. 


Kalabrien. 


231 


unter  den  Wogen  des  Tyrrhenischen  Meeres  versenkt,  nur  noch 
Trümmer  ragen  auf.  Dieses  archäische  Italien  trägt  aber  im 
Süden  noch  größere  Reste  des  mesozoischen;  am  Aufbau  Mittel- 
Italiens  sind  Jura-  und  Kreidegesteine,  an  demjenigen  Süd-Italiens 
und  Siziliens  in  unerwartet  großer  Ausdehnung  triassische  betei- 
ligt, während  in  dem  entsprechend  verschmälerten  Nord -Apennin 
nur  noch  der  vorwiegend  aus  Flyschgesteinen  aufgebaute  tertiäre 
Außengürtel  erhalten  ist,  der  aber,  von  geringen  Resten  abgesehen, 
nur  in  Kalabrien  unterbrochen,  von  Piemont  bis  zur  Westspitze 
Siziliens  reicht  und  erst  durch  eine  sehr  junge  Hebung  das  ganze 
Apenninenland  zu  einem  orographisch  und  geologisch  zusammen- 
hängenden Gebiet  gemacht  hat. 


2.    Zur  Hydrographie  von  Kalabrien.1) 

Die  furchtbaren  Verheerungen,  welche  zu  Beginn  des  Früh- 
jahrs 1895  die  Flüsse  des  südlichen  Schwarz-  und  Wasgenwalds 
angerichtet  haben,  allen  voran  die  Dreisam  in  Freiburg,  sind  wohl 
in  erster  Linie  auf  die  für  Mitteleuropa  in  der  Tat  ganz  un- 
gewöhnlich hohen  Niederschläge  in  kurzer  Zeit  zurückzuführen, 
deren  Wirkung  die  gerade  dort  noch  ziemlich  günstige  Wald- 
bedeckung um  so  weniger  aufzuheben  vermochte,  als  im  Gebirge 
gefrorener  Boden  und  schmelzender  Schnee  hinzukam.  Man  wird 
sich  aber  aus  diesem  Vorkommnis  sofort  eine  Vorstellung  von 
der  furchtbar  verheerenden,  umgestaltenden  Wirkung  machen 
können,  welche  so  bedeutende,  in  kurzer  Zeit  fallende  Regen  in 
einem  Lande  erzielen  müssen,  in  welchem  sie  keine  seltene  Aus- 
nahme sind,  Waldlosigkeit  und  bewegliche,  vorher  in  langer  regen- 
loser Zeit  ausgetrocknete  und  tief  aufgerissene  Böden  vorherrschen. 
Diese  Bedingungen  sind  mehr  oder  weniger  überall  in  den  Mittel- 
meerländern, am  meisten  allerdings  im  mediterranen  Spanien  und 
in  Italien,  dort  wieder  im  höchsten  Maße  in  Kalabrien  erfüllt. 
Kalabrien  ist  dasjenige  Land,  dessen  ganzer  Charakter,  nament- 
lich seine  Oberfiächengestalt,  dessen  Rolle  in  der  Geschichte  seit 
griechischer  Zeit,  dessen  Bewohner  am  meisten  im  ganzen  Mittel- 
meergebiet   durch  die  Eigenart,    welche  Bodenbeschaffenheit  und 


I)   Aus  allen  Weltteilen,  Jahrg.  XXVH,    [895. 


2^2  III,  2.    Zur  Hydrographie  von  Kalabrien. 

Klima  seinen  Flüssen  verlieh,  Entwaldung  verschärfte,  beeinflußt 
worden  ist.  Es  dürfte  kaum  ein  Land  der  Erde  von  gleicher 
Ausdehnung  geben,  dessen  Flüsse  in  solchem  Maße  jedes  Kultur- 
wertes  entbehren,  ja  geradezu  neben  den  Erdbeben  und  der  mit 
ihnen  eng  verbundenen  Malaria  zu  den  schädlichsten  Faktoren 
der  Landesnatur  gehören.  Keiner  von  ihnen  ist  schiffbar,  ja, 
wie  mehrfach  wiederholte  Versuche  gezeigt  haben,  nicht  einmal 
zum  Flößen  von  Holz,  schneide  man  es  auch  noch  so  kurz, 
brauchbar;  wenige  vermögen  gewerbliche  Triebkraft  oder  Wasser 
zu  künstlicher  Bewässerung  zu  liefern,  eben  weil  sie  den  größten 
Teil  des  Jahres  wasserarm  oder  wasserlos  sind,  alle  dagegen  er- 
schweren den  Verkehr,  indem  sie  entweder  das  gebirgige  Land 
tief  durchschluchtet  haben  oder  in  breiten  Betten  dahinfließen, 
deren  Geröllmassen  keine  Brücke  dulden,  bei  rascher  Aufhöhung 
des  Bettes  das  angebaute  Land  der  Flußtäler  und  Küstenebenen 
überschütten  oder  versumpfen,  die  Siedelungen  an  der  Küste  zer- 
stören oder  durch  Fieber  unbewohnbar  machen. 

Sie  ziehen  nicht  etwa  wie  in  Mitteleuropa  den  Menschen  an, 
der  sich  dort  mit  solcher  Vorliebe  an  ihnen  niederläßt,  daß  kaum 
eine  größere  Siedelung  abseits  eines  Flusses  zu  denken  ist,  nein, 
sie  scheuchen  ihn  von  sich  weg,  weil  sie  durch  ihre  Unbeständig- 
keit und  Geröllführung  keine  gewerbliche  Anlage,  überhaupt  kein 
Menschenwerk  dulden  und  meist  die  Täler  durch  Malaria  ver- 
pesten. Weg  von  den  Flüssen  auf  die  Höhen,  welche  reine  Luft 
und  natürlichen  Schutz  bieten,  flüchtet  sich  der  Mensch,  nur 
Quellen  bestimmen  wohl  hie  und  da  den  Ort,  wo  er  sich  nieder- 
läßt, z.  T.  allerdings  in  solchem  Maße,  daß  das  Gebundensein 
der  sehr  zahlreichen  albanesischen  Kolonien  in  Kalabrien  an 
Quellen  geradezu  sprichwörtlich  ist. 

Alle  Flüsse  Kalabriens  haben  sehr  bedeutendes  Gefälle,  da 
Kalabrien  durch  und  durch  Gebirgsland  mit,  im  Vergleich  zur 
geringen  Breite  der  Halbinsel,  recht  bedeutenden  Höhen  ist. 
Höhen  von  mehr  als  2000  m  finden  sich  zwar  nur  an  der  Nord- 
grenze, wo  die  Jurakalkkette  des  Mte.  Pollino  im  Dolcedorme 
mit  2271  m  nur  28  km  vom  Ionischen,  34  km  vom  Tyrrhenischen 
Meere  gipfelt,  aber  in  der  Sila  erreicht  der  Botte  Donato  auch, 
nur  34  km  vom  Tyrrhenischen  Meere,  im  Süden  im  Aspromonte 
der  Montalto  nur  18  km  vom  Meere,  fast  volle  2000  m.  Durch 
die   geringen  Meerfernen    und  die  Abdachung   der  Halbinsel    an- 


Der  geologische  Aufbau  Kalabriens.  2  3  3 

nähernd  gleichmäßig  zu  beiden  Meeren  wird  zugleich  eine  Viel- 
zahl lauter  kleiner  gefällreicher  Flüsse  bedingt.  Der  einzige  Crati 
erreicht  dadurch,  daß  er  an  ein  annähernd  der  Erstreckung  der 
Halbinsel  paralleles  Bruchsystem  gebunden  ist,  die  für  Kalabrien 
auffallende  Länge  von  93  km  und  ein  Flußgebiet  von  2300  qkm. 
Diese  übereinstimmenden  Züge  treten  bei  allen  kalabrischen 
Flüssen  bald  mehr,  bald  weniger  hervor  und  fehlen  nur  kürzeren 
Strecken  ihres  Laufes.  Dies  wird  von  den  petrographischen  Ver- 
hältnissen bedingt.  Diese,  im  Verein  mit  der  Entwaldung  und 
dem  Klima  bestimmen  auch,  ob  das  rinnende  Wasser  örtlich  das 
Land  rascher  oder  weniger  rasch  abträgt.  Am  raschesten  voll- 
zieht sich  die  Abtragung,  am  größten  ist  die  Geröllführung  der 
Flüsse,  die  Auf  höhung  und  Versumpfung  der  Täler,  die  An- 
schüttung an  der  Küste  im  Tertiärland.  Kalabrien  besteht  be- 
kanntlich, wie  die  nunmehr  glücklich  durchgeführte  geologische 
Aufnahme  namentlich  durch  den  trefflichen  E.  Cortese  mit  voller 
Schärfe  zu  erfassen  erlaubt,  aus  zwei  großen  archäischen  Inseln, 
welche  erst  im  Laufe  der  Quartärzeit  durch  eine  nach  Süden 
hin  immer  intensiver  werdende  Hebung  an  der  Landenge  von 
Catanzaro  miteinander  (wieder)  verbunden  worden  sind:  das  Sila- 
und  das  Serra-Aspromonte-Massiv.  Von  jeder  derselben  ist  an 
der  tyrrhenischen  Seite  ein  Stück  als  Halbinsel  abgegliedert,  die 
tyrrhenische  Küstenkette  Mittelkalabriens  und  die  Halbinsel  des 
Kap  Vaticano.  Wie  die  Landenge  von  Catanzaro  nur  aus  jung- 
tertiären und  quartären  Ablagerungen  aufgebaut  ist,  so  sind  auch 
die  ehemaligen  jene  Halbinseln  abgliedernden  Meerbusen,  die  wir 
heute  als  Crati-  und  als  Mesima-Tal  bezeichnen,  mit  eben  solchen 
gefüllt.  Dazu  lagert  sich  an  der  ionischen  Seite  der  Halbinsel 
von  der  Meerenge  von  Messina  bis  zum  Golf  von  Tarent  ein  bald 
breiterer,  bald  schmalerer,  aber  namentlich  an  der  Ostseite  der 
Sila  zu  einem  breiten,  niederen  Vorlande  entwickelter,  vorwiegend 
pliocäner  Gürtel  an,  der  aus  den  Trümmermassen  der  abgetragenen 
archäischen  Schollen  gebildet  ist.  Nur  an  der  Nordgrenze  Ka- 
labriens, an  der  Nordostseite  der  Pollinokette  bilden  vorwiegend 
eocäne  Schichten  ein  ausgedehntes  Tertiärland,  das  Gebiet  des 
Sinni.  Aber  ob  älteres  oder  jüngstes  Tertiär,  gebildet  sind  diese 
Schichten  überall  zum  bei  weitem  größten  Teil  von  Sanden, 
Konglomeraten,  weichen  Schiefern,  Mergeln  und  Tonen,  zum  Teil 
den    echten,    so    berüchtigten  Schuppentonen    des  Apennin,    zum 


234  ^*>  2*    ^ur  Hydrographie  von  Kalabrien. 

Teil  ihnen  ähnlichen  Tonen,  also  lauter  leicht  zerstörbaren  Ge- 
steinen. In  diesen  Gebieten  geht  die  Abtragung  außerordentlich 
rasch  vor  sich,  Bergschlipfe  sind  sehr  häufig,  ganze  Hänge  setzen 
sich,  durch  die  lange  Trockenheit  des  Sommers  in  tiefen  Spalten 
aufgerissen,  in  die  das  Wasser  der  Winterregen  eindringt,  in  Be- 
wegung, die  Flüsse  werden  zu  Schlammströmen,  welche  unge- 
heuere Massen  Feststoffe  langsam  vorwärts  schieben,  die  zwischen 
den  Tonschichten  eingeschalteten  dünnen  Kalkschichten  vermögen 
keinen  Halt  zu  bieten,  sie  lösen  sich  in  Kalkbrocken  auf,  welche 
über  die  Tonflächen  gesäet  den  Anblick  noch  unerfreulicher 
machen.  Selbst  Anbau  und  Wiederbewaldung  solcher  Gebiete  ist 
schwierig,  da  die  Wurzeln  der  Pflanzen  immer  wieder  zerrissen 
werden.  Nur  mächtigere  Decken  von  (Nummuliten-)Kalkstein  oder 
von  festeren  Sandsteinen  schützen  und  schaffen  in  luftigen  Höhen 
sicheren  Baugrund  für  die  Siedelungen.  Da  diese  Gesteine  aber 
hier  in  hohem  Grade  durchlässig  sind,  so  erodieren  die  unter 
ihnen  zutage  tretenden  Quellen  die  Tone  um  so  kräftiger,  so  daß 
diese  festen  Decken  an  den  Rändern  abbrechend  sich  langsam 
verkleinern.  Breite,  flache  Täler,  in  welchen  sich  die  Flüsse  für 
gewöhnlich  in  zahlreichen  dünnen  Fäden  in  bis  zu  i  km  breitem, 
gelegentlich  sogar  noch  breiterem,  Geröllbette  dahinschlängeln, 
herrschen  in  diesen  Tertiärgebieten  vor. 

Fiumara,  was  wir  deutsch  etwa  durch  Geröllstrom  ausdrücken 
können,  ist  die  in  Kalabrien  und  Nordost- Sizilien  für  solche 
Flüsse  gebräuchliche  Bezeichnung. 

Nicht  selten  liegt  das  Flußbett  auf  längere  oder  kürzere 
Strecken  ganz  trocken,  das  Wasser  ist  unter  dem  Geröll  ver- 
schwunden, um  dann  an  einem  unterirdischen  Hindernisse  wieder 
hervorzutreten.  In  den  Küstenebenen  verändern  dabei  die  Flüsse 
ihren  Lauf  infolge  Aufhöhung  ihres  Bettes  beständig,  sie  über- 
schütten das  angebaute  kostbare  Land  mit  Geröll,  zerstören  Ort- 
schaften, Straßen,  Eisenbahnen  und  Brücken  und  schaffen  in  den 
zwischen  den  Geröllanhäufungen  bleibenden  Vertiefungen,  die 
sich  mit  stagnierendem  Wasser  füllen,  die  gefährlichsten  Malaria- 
herde. Der  Bau  von  Straßen  und  Eisenbahnen  ist  daher  in 
Kalabrien  sehr  schwierig  und  kostspielig,  Unterhaltung  und  Be- 
trieb verursacht,  ganz  abgesehen  von  der  Malaria,  welche  auch 
noch  zu  besonderen  Aufwendungen  für  die  Beamten  zwingt,  un- 
unterbrochen  große  Kosten.     Bei    der   Ungunst    der   Küsten,   die 


Flüsse  und  geologischer  Aufbau  des  Landes.  2^\ 

eigentlich  keinen  einzigen  natürlichen  Hafen  aufweisen,  ist  aber 
das  Vorhandensein  guter  Straßen  um  so  wichtiger.  Schon  aus 
strategischen  Gründen  mußte  Italien  die  tyrrhenische  Küstenbahn 
bauen,  so  ungeheure  Kosten  namentlich  die  zahllosen  Fiumaren, 
die  zu  überschreiten  sind,  verursachen:  ist  die  ionische  Küsten- 
bahn durch  den  Ausbruch  eines  Geröllstroms  unterbrochen,  so 
darf  man  hoffen,  daß  die  tyrrhenische  brauchbar  ist  und  um- 
gekehrt. 

Wie  rasch  sich  die  unteren  Täler  auf  höhen,  erkennt  man 
am  Crati,  der  zwar  ein  für  seine  Größe  mächtiges  Delta  in  den 
Golf  von  Tarent  vorschiebt,  aber  dabei  durch  die  Ebene  hin  und 
her  irrend  noch  die  Trümmer  des  alten  Sybaris,  wie  die  vor- 
genommenen Untersuchungen  ergeben  haben,  unter  einer  12 — 15  m 
mächtigen  Geröllschicht  vergraben  hat.  Ein  weites  Sumpfgebiet 
ist  nicht  nur  an  seiner  Mündung,  sondern  auch  dort,  wo  er  den 
Coscile  und  wiederum  wo  dieser  den  Esaro  aufnimmt,  entstanden. 
Der  Esaro  fließt  nicht  mehr  unter  der  schönen  Steinbrücke  hin- 
durch, in  welcher  ihn  die  große  kalabrische  Straße  überschreitet, 
man  hat  eine  Notbrücke  über  den  neuen  Lauf  bauen  müssen. 
Und  ähnlich  der  Coscile. 

So  sind  diese  Tertiärlandschaften  Kalabriens  dem  Verkehr, 
dem  Anbau  und  der  Besiedeiung  wenig  günstig,  sie  machen  einen 
öden,  abschreckenden  Eindruck,  der  durch  die  vorherrschend 
bunte  Färbung  dieser  Schichten  nicht  gemildert  wird.  Nicht  viel 
besser  aber  ist  es  in  den  Gebieten  der  einen  großen  Teil  der 
archäischen  Schollen  bildenden  alten  Schiefer. 

Grundverschieden  verhalten  sich  die  Flüsse  in  dem  festen 
Gestein  des  Archäischen,  besonders  in  den  in  der  Sila  und  der 
Serra  verherrschenden  Graniten,  wie  in  den  mesozoischen  Kalken 
an  der  Nordgrenze  von  Kalabrien.  Die  Sila  ist  der  Oberflächen- 
gestalt nach  unserem  Harz  zu  vergleichen,  eine  steil  aus  dem 
sie  fast  rings  umlagernden  tertiären  Gürtel  aufsteigende,  groß- 
wellige Hochfläche  von  1200 — 1300  in  mittlerer  Höhe  und  sanften, 
runden,  sich  mit  geringer  relativer  Höhe  darüber  erhebenden 
Gipfeln,  übermäßig  entwaldet,  z.  T.  mit  Roggenfeldern  bedeckt, 
die  hier,  eine  für  Italien  höchst  auffallende  Erscheinung,  den  Be- 
wohnern das  Brot  liefern,  noch  mehr  Weideland  und  nur  im 
Sommer  in  weithin  verstreuten,  den  Hirten  als  Wohnung  und  zur 
Käsebereitung  dienenden  Einzelhäusern  bewohnt.     Mühsam  steigt 


236  HI,  2.    Zur  Hydrographie  von  Kalabrien. 

man  auf  die  Hochfläche  hinauf,  wie  ja  auch  die  Harzanwohner 
„auf  den  Harz  gehen"  zu  sagen  pflegen,  oben  bieten  sich  keine 
Schwierigkeiten  mehr.  Dort  fließen  die  Flüsse,  in  dem  auch  hier 
wasserreichen  Granitgebiet  von  Quellen  gespeist,  langsam  in  breiten, 
flachen  Tälern  dahin,  die  sich  aber  gegen  den  Rand  des  Ge- 
birges hin  rasch  in  enge,  wilde,  nicht  selten  unzugängliche  Ero- 
sionsschluchten verwandeln,  in  welchen  sie  sich,  der  Bode  unseres 
Harzes  vergleichbar,  über  übereinander  getürmte  Granitblöcke 
schäumend  und  brausend  herabstürzen,  um  dann  im  Tertiärland 
den  oben  geschilderten  Charakter  anzunehmen.  Ähnlich  verhalten 
sich  die  Flüsse  des  Kalkgebiets,  von  denen  der  Lao  als  Muster 
dienen  kann.  Derselbe  sammelt  seine  Gewässer  in  dem  pliocänen 
Seebecken  von  Rotonda,  das  er  entwässert  hat,  sein  Gebiet  be- 
steht aber  fast  ganz  aus  festen  Triaskalken,  in  welche  er  und 
seine  Zuflüsse  enge  Erosionsschluchten  eingeschnitten  haben,  die 
das  ganze  wild  zerrissene  Gebiet  so  unwegsam  machen,  daß  hier 
noch  heute  die  herrlichsten  Wälder  mächtiger  Buchen  im  Urwald- 
zustande verharren.  Ähnlich  hat  der  nördlich  vom  Crati  mün- 
dende Raganello  in  die  Jura-  und  Kreidekalke  der  Pollinokette 
einen  13  km  langen,  bis  800  m  tiefen  Canon  eingeschnitten. 
Nicht  selten  weisen  die  Flüsse  Kalabriens,  während  sie  in  ihrem 
ganzen  Laufe  durchaus  den  Charakter  der  Fiumaren  tragen,  auf 
kurze  Strecken,  wo  sie  eben  feste  Gesteine  zu  durchnagen  hatten, 
enge  Täler  auf.  Man  kann  aus  den  Meßtischblättern  förmlich 
die  geologischen  oder  petrographischen  Verhältnisse  herauslesen. 
So  hat  der  Crati  auf  6  km  zwischen  Tarsia  und  Terranova  di 
Sibari  ein  Engtal  in  auftauchende  archäische  Gesteine  einge- 
schnitten, die  nach  dem  Rückzug  des  Pliocän-  und  Quartärgolfes 
noch  lange  Zeit  einen  See  aufstauten. 

Die  Entwaldung  eines  so  gebirgigen  Landes,  wo  also  überall 
geneigte  Hänge  vorherrschen,  mußte  die  zerstörende  Wirkung, 
welche  in  Felsarten  von  geringer  Widerstandsfähigkeit  plötzlich 
und  in  gewaltigen  Güssen  nach  langer,  regenloser  Zeit  einsetzende 
Regen  hervorbringen  mußten,  noch  außerordentlich  steigern.  Diese 
Entwaldung  vollzog  sich  auch  hier  ursprünglich  wohl  in  sozusagen 
normaler  Weise,  um  den  Anforderungen  der  sich  verdichtenden 
Bevölkerung  zu  genügen.  Sie  steigerte  sich  aber  im  ganzen 
Mittelalter  und  bis  ins  19.  Jahrhundert  dadurch,  daß  durch  die 
Unsicherheit  der  Küsten,   die  unablässig  Überfälle  von  Seeräubern 


Abtragung  des  Landes.  237 

erlitten,  die  Bevölkerung,  die  in  der  besten  Zeit  Groß-Griechen- 
lands  dichtgedrängt  gerade  an  den  Küsten  gesessen  hatte,  ins 
Innere  und  auf  die  Berge  zurückgedrängt  wurde,  und  dann  die 
infolge  der  damit  zusammenhängenden  Verwahrlosung  der  Wasser- 
läufe gerade  im  Küstengebiet  am  furchtbarsten  einsetzende  Malaria 
noch  weiter  in  gleichem  Sinne  wirkte.  Es  wurden  nun,  ähnlich 
wie  vielfach  im  türkischen  Reiche  infolge  der  Bedrückung  der 
Christen,  die  Gebirge  immer  mehr  besiedelt,  immer  mehr  ange- 
baut und  dafür  entwaldet.  Es  schreitet  die  Entwaldung  aber 
noch  heute,  nicht  zum  Ruhme  des  jungen  Königreichs,  in  ver- 
hängnisvoller Weise  fort.  Cortese,  dieser  beste  Kenner  Kalabriens 
unter  allen  jetzt  Lebenden,  berichtet,  daß  noch  heute  in  der 
Sila  die  Wälder  niedergebrannt  werden,  unter  den  Augen  der 
Forstbeamten,  um  Acker-  oder  Weideland  zu  gewinnen,  und  auf 
ganzen  Flächen,  wie  heute  kaum  noch  im  Waldlande  Brasiliens, 
das  zur  Besiedelung  kommt,  noch  so  und  so  lange  die  ange- 
brannten Stümpfe  gen  Himmel  ragen  oder  die  Stämme  umher- 
liegen, so  daß  das  Land  als  Wald  verloren,  als  Ackerland  aber 
nicht  gewonnen  ist.  Auch  die  Pechgewinnung  wird  in  so  bar- 
barischer Weise  betrieben,  daß  die  Wälder  daran  zugrunde 
gehen.  Unheilvoll  hat  in  dieser  Hinsicht  auch  der  Eisenbahnbau 
gewirkt,  indem  der  Bedarf  an  Schwellen  und  sonstigem  Holz  wie 
die  Möglichkeit  auch  anderweitigen  Absatzes  die  Waldverwüstung 
in  Gegenden  trug,  in  denen  bisher  die  Wertlosigkeit  des  Holzes 
der  beste  Schutz  des  Waldes  gewesen  war.  Die  Folgen  haben 
sich  rasch  und  furchtbar  bemerklich  gemacht,  am  meisten  an  den 
Eisenbahnen  selbst.  Die  Abtragung  der  Berge,  die  Verwüstung 
der  angebauten  Hänge,  der  Täler  und  Küstenebenen,  die  Auf- 
häufung von  Schutt  und  Geröll  durch  die  Flüsse  ist  heute  ärger 
als  jemals  in  ganz  Kalabrien. 

So  zunächst  im  tyrrhenischen  Mittelkalabrien ,  im  Gebiete 
der  fauligen  archäischen  Schiefer,  aus  denen  vorwiegend  die 
Küstenkette  aufgebaut  ist.  Die  Wasserscheide  nähert  sich  dort, 
trotzdem  sie  nur  an  wenigen  Punkten  unter  1000  m  herabsinkt, 
streckenweise  dem  Tyrrhenischen  Meere  auf  4  km.  Die  zahl- 
losen kleinen  Sturzbäche  sind  daher  alle  eifrige  geologische 
Arbeiter,  die  das  Gebirge  abtragen  und  Schuttkegel  an  der  Küste 
anhäufen,  so  daß  man  vielfach  keinen  anderen  Ausweg  gefunden 
hat,    als    die  Flüsse    und  Bäche    in    stark    geneigten  Betten    und 


2^8  III,  2.    Zur  Hydrographie  von  Kalabrien. 

über  Brücken  über  die  Eisenbahn  hinweg  ihre  Geröllmassen 
ins  Meer  schütten  zu  machen.  Am  schlimmsten  war  es  bei  Fiume- 
freddo  und  Longobardi,  die  jahrelang  in  der  größten  Gefahr 
sch webten.  Dort  brechen  zahlreiche  Quellen  am  Fuße  der  mehr 
als  300  m  hohen  Triaskalkpyramide  des  Monte  Cocuzzo  (1542  m) 
hervor,  die  den  einen  einförmigen  Rücken  bildenden  Schiefern 
weithin  sichtbar  aufgesetzt  bzw.  als  Denudationsrest  erhalten  ist. 
Infolge  der  Entwaldung  hatten  dieselben  unglaublich  rasch  immer 
tiefere  Täler  ausgegraben  und  in  wenigen  Jahren  40  m  hohe 
Schuttkegel  an  der  Küste  angehäuft.  Es  gelang  indessen  in 
kurzer  Zeit  durch  Wiederbewaldung  namentlich  mit  der  rasch 
wachsenden  kalabrischen  Bergerle  (Alnus  cordifolia)  die  Gefahr 
zu  beschwören. 

Noch  lehrreicher  sind  die  Verhältnisse  an  dem  durch  eine 
Bruchlinie  gebildeten  Steilabsturze  des  Silamassivs  gegen  die 
kalabrische  Landenge  von  Kap  Suvero  über  Sambiase  bis  Nicastro. 
Dort  haben  die  kleinen  Flüsse  und  Bäche  in  einer  früheren  Zeit 
höherer  Kultur,  welche  die  Wälder  des  dahinter  gelegenen  Ge- 
birges verzehrt  hatte,  große  Schuttkegel  aufgehäuft,  welche  heute 
herrliche  Haine  alter  Ölbäume  und  Weinpflanzungen  tragen.  Beim 
Rückgang  der  Kultur  hatte  sich  das  Gebirge  von  selbst  wieder 
mit  Wald  bedeckt,  die  Geröllführung  der  Flüsse  hatte  sich  so 
vermindert,  daß  dieselben  vielmehr  in  die  Schuttkegel  tiefe 
Schluchten  eingerissen  hatten,  etwa  wie  die  Ötztaler  Ache  in  den 
das  ötztal  vom  Inntal  absperrenden  Diluvialwall.  Als  in  neuester 
Zeit  die  Waldverwüstung  wieder  begann,  erwachte  auch  die  Wut 
der  Gießbäche  von  neuem.  Die  Fiumara  von  Sambiase  hat  nicht 
nur  die  Schlucht  ausgefüllt,  sondern  mit  ihrem  an  der  Basis  3  km 
breiten  Schuttkegel  die  Olivenbäume  und  Weinpflanzungen  zu 
überschütten  angefangen  und  bedrohte  selbst  die  vorher  hoch 
über  dem  Becken  des  Flusses  gelegenen  warmen  Bäder  von 
Sambiase,  die  nur  durch  Schutzbauten  erhalten  wurden.  Ebenso 
die  Fiumara  Piazzi,  die  bei  Nicastro  aus  dem  Gebirge  tritt.  Die- 
selbe führte  wieder  Blöcke  bis  zu  6  cbm  Inhalt  aus  dem  Gebirge 
herab,  türmte  einen  5  km  langen  und  an  der  Basis  2  km  breiten 
Schuttkegel  auf  und  zerstörte  die  Vorstadt  Terravecchia  von 
Nicastro,  indem  sie  die  Häuser  teils  wegriß,  teils  bis  zum  ersten 
Stockwerk  begrub.  Durch  kostspielige  Eindämmung,  noch  mehr 
aber  durch  Wiederbewaldung  des  Gebirges   ist   es  auch    hier  ge- 


Veränderungen  an  der  Küste.  2  3Q 

lungen,  die  Gießbäche  zu  zähmen.  Schon  heute  wälzen  dieselben 
nur  noch  wenig  Geröll,  sie  schieben  ihre  Schuttkegel  nicht  allein 
nicht  mehr  vor,  sondern  haben  bereits  wieder  begonnen,  ihre 
Betten  in  dieselben   einzuschneiden. 

Aber  gehen  wir  weiter  nach  Süden,  so  hat  die  Fiumara 
Molaro,  die  ganz  nahe  östlich  vom  Kap  dell'  Armi  mündet,  ein 
verhältnismäßig  kleiner  Wasserriß,  der  nur  etwa  8  km  ins  Innere 
gegen  den  Aspromonte  hinauf  reicht,  dessen  Gebiet  aber  ganz 
dem  Tertiär  und  den  archäischen  Schiefern  angehört,  an  der 
Küste  in  der  Regione  Saline  einen  so  ungeheuren  Schuttkegel 
aufgehäuft,  daß  derselbe  eine  Kirche  und  viele  Häuser  vergraben, 
ja  ganze  Hügel  miocäner  Tone  und  Kalke  bedeckt  hat.  Schon 
bedroht  sie  die  dicht  am  Meeresufer  entlang  geführte  Eisenbahn. 
Schon  mancher  von  den  Agrumenhainen,  die  hier  bei  Reggio  in 
paradiesischem  Gürtel  den  Fuß  des  den  größeren  Teil  des  Jahres 
schneebedeckten,  befruchtende  Wasser  herabsendenden  Aspro- 
monte umsäumen,  ist  der  Wut  der  Gießbäche  zum  Opfer  gefallen. 
Kostspielige  Mauern  vermögen  auf  die  Dauer  nicht  zu  schützen, 
nur  die  Wiederbewaldung  der  abschreckend  öden,  wildzerrissenen 
Landschaft,  die  sich  unmittelbar  hinter  und  über  dieser  Huerta 
ausdehnt,   wird   dies  vermögen. 

Besondere  Beachtung  verdient  bei  der  gerade  bei  Reggio 
greifbaren  gewaltigen  Geröllanschüttung  an  der  Küste  die  durch 
Cortese  hervorgehobene  Erscheinung,  daß  dort  die  Küste  nicht 
allein  nicht  vorrückt,  sondern  vom  Meere  abgetragen  wird,  jeden- 
falls zurückweicht.  Dort,  wo  heute  der  Landeplatz  von  Reggio 
ist,  lag  vor  kurzem  noch  eine  Küstenbefestigung,  und  das  an  der 
Südwestecke  von  Reggio  gelegene  Forte  a  mare,  um  welches  man 
noch  1848  ringsherum  gehen  konnte,  ist  heute  zur  Hälfte  zer- 
stört, die  Mauern  sinken  ins  Meer.  Das  Mitte  der  achtziger  Jahre 
erbaute  Schlachthaus  ist  bereits  vom  Meere  zum  Teil  zerstört, 
das  schon  seine  Fundamente  angreift.  Auch  die  Eisenbahn  ist 
bedroht.  Cortese  will  diese  Erscheinung  auf  ein  Sinken  des 
Landes  zurückführen.  Vielleicht  ergeben  sorgsame  Beobachtungen, 
daß  es  sich  nur  um  örtliches  Gleiten  der  angelagerten  Geröll- 
massen  handelt,  was  in  einem  so  oft  von  Erdbeben  erschütterten 
Gebiet  und  bei  der  Steilheit  der  unterseeischen  Böschung  — 
kaum  3000  m  vom  Strande  von  Reggio  lotet  man  600  m  —  nicht 
auffallen    kann.      Auch  die  Veränderungen,    welche  Cortese,    der 


2A.O  III,   2.    Zur  Hydrographie  von  Kalabriea. 

für  die  ganze  tyrrhenische  Küste  Kalabriens  eine  noch  vor  sich 
gehende  Hebung  glaubt  erweisen  zu  können,  an  der  Farospitze 
Siziliens  feststellt,  möchte  ich  nur  aus  der  bald  an-,  bald  abspülen- 
den Tätigkeit  des  Meeres  erklären.  Ich  habe  früher  ein  An- 
wachsen der  Farospitze  unter  dem  Einflüsse  der  Strömungen  fest- 
zustellen gesucht  und  namentlich  nach  messinesischen  Gewährs- 
männern auf  die  Tatsache  hingewiesen,  daß  mehrfach  der  Leucht- 
turm weiter  vorgerückt  werde.  Cortese  erklärt,  ohne  aber  einen 
Beweis  dafür  zu  bringen,  die  zwei  niedrigen  alten  Rundtürme, 
von  denen  der  eine  südlich,  der  andere  westlich  vom  heutigen 
Leuchtturme  steht,  seien  zu  Telegraphen-  und  Signalzwecken  be- 
stimmt gewesen.  Jedenfalls  ist  aber  nicht  daran  zu  zweifeln,  daß 
nach  Corteses  bis  1880  zurückreichenden  fast  jährlichen  Be- 
obachtungen —  die  meinigen  fallen  Mitte  der  siebenziger  Jahre 
—   hier  das  Land  heute  im  Zurückweichen  begriffen  ist. 

Wir  sehen  somit,  daß,  abgesehen  von  sehr  kurzen  Strecken 
jedes  Strandes,  jeder  jungen  Anlagerung  entbehrender  Steilküste, 
die  sich  aber,  höchst  bedeutungsvoll,  nur  an  der  tyrrhenischen 
Seite  der  Halbinsel  finden,  die  Flüsse  Kalabriens  seit  der  Plio- 
cänzeit  schon,  rascher,  energischer  aber  aus  den  angeführten 
Gründen,  in  geschichtlicher  Zeit,  namentlich  im  Mittelalter  und 
in  der  Neuzeit  dem  Inneren  des  Landes  entnommene  Geröll- 
massen an  der  Küste,  die  wir  also  mit  Philippson  eine  thalassogene 
Schwemmlandküste  nennen  würden,  ablagern,  wo  sie  die  (Strömung 
und)  Brandung  zum  Teil  weiter  schiebt.  Dadurch  wurden  die 
Küstenlandschaften  verwüstet  und  verseucht,  die  Küste  dem  Ver- 
kehr immer  ungünstiger  gestaltet,  die  Seeräuber  halfen  nur  noch 
alles  Leben  ins  Innere  zurückdrängen.  Kalabrien  war  dadurch 
ein  verschlossenes  Land  geworden,  es  ist  dies  auch  noch  heute, 
obwohl  die  Sicherheit  und  die  Eisenbahn  die  Bewohner  von  den 
Bergen  herab  an  die  Küste  zieht.  Es  wird  die  Arbeit  vieler 
Geschlechter  und  ungeheure  Kosten  erfordern,  um  diese  Ungunst 
der  Natur  durch  Wiederbewaldung,  Regelung  der  Wasserläufe 
und  Schaffung  von  Häfen  mit  Erfolg  zu  bekämpfen. 


IV.  Versuch  einer  wissenschaftlichen 
Urographie  der  Iberischen  Halbinsel.1) 

i.    Geschichtlicher  Überblick. 

Die  Iberische  Halbinsel  gehört  nächst  der  südosteuropäischen 
zu  denjenigen  Länderindividuen  zweiter  Ordnung  des  Erdteils 
Europa,  deren  geographische  Erforschung  und  wissenschaftliche 
Darstellung  nur  in  sehr  geringem  Maße  den  Anforderungen  und 
dem  heutigen  Standpunkt  unserer  Wissenschaft  entspricht.  Die 
Grundlage  jeder  wissenschaftlichen  Landeskunde,  die  Bodenplastik, 
ist  uns  dort  nur  in  rohen  Umrissen  bekannt,  denn  die  topo- 
graphische Aufnahme,  so  treffliche  Karten  sie  in  Spanien  liefert, 
umfaßt  erst  einen  sehr  kleinen  Teil  des  Hochlandes  von  Neu- 
Kastilien  und  auch  noch  nicht  ganz  Portugal,  hat  aber  schon 
den  Beweis  erbracht,  daß  mit  dem  Fortschreiten  der  Aufnahmen 
unsre  Vorstellungen  über  die  Oberflächenformen  der  Halbinsel 
nicht  nur  in  den  feinern  Modellierungen  wesentliche  Berichti- 
gungen erfahren  werden'2).  Die  geologische  Durchforschung,  die 
allein  das  Verständnis  der  Oberflächenformen,  eine  wissenschaft- 
liche Erfassung  und  Gruppierung  derselben  ermöglicht,  ist  zwar 
so  ziemlich  für  die  ganze  Halbinsel  durchgeführt,  und  ihre  Er- 
gebnisse liegen  sogar  in  einer  die  ganze  Halbinsel  darstellenden 
geologischen  Karte  in  dem  großen  Maßstab  von  i  :  400  000  ver- 
anschaulicht vor3),  aber  bei  näherer  Prüfung  zeigt  sich,  wie  jeder 


1)  Zuerst  erschienen  in  Peterm.  Mitt.  1894  mit  einem  Profil  und  einer 
bodenplastischen  Kartenskizze. 

2)  Vgl.  Vogel  in  Peterm.  Mitteil.   1888,  S.  300. 

3)  Mapa  geologico  de  Espafia,  que  per  orden  del  ministerio  de  fomento 
ha  formado  y  publica  la  Comision  de  ingenieros  de  minas,  creada  en  28.  de 
marzo  de    1873  bajo  la  direcciön  del  inspector  general  Sr.  Don  Manuel  Fer- 

Kischer,  Mittelmeerbilder.    Neue  Folge.  l6 


242 


IV,   I.    Geschichtlicher  Überblick. 


Kundige  bei  dem  Gegensatz  zwischen  der  Größe  der  Aufgabe 
und  der  zu  ihrer  Lösung  zur  Verfügung  stehenden  Zeit,  Kräften 
und  Mitteln  von  vornherein  erwarten  wird,  daß  es  sich,  so  große 
Anerkennung  das  Geleistete  auch  verdient,  doch  um  kaum  mehr 
als  um  eine  geologische  Rekognoszierung  handelt.  Namentlich 
der  Tektonik,  auf  welche  es  für  das  Verständnis  der  Boden- 
plastik zunächst  ankommt,  haben  begreiflicherweise  als  dem  schwie- 
rigsten, langjährig  geschulte  Kräfte  erfordernden  Teile  der  Auf- 
nahme nur  einzelne  Forscher,  überwiegend  Fremde,  in  erwünschter 
Weise  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Ein  ganzes  wichtiges  Gebirge, 
das  von  uns  sogenannte  Katatonische  Bruchgebirge,  bezeichnet 
hinsichtlich  seiner  Tektonik  und  seiner  Stellung  in  der  geologischen 
Literatur  eine  absolute  Lücke.  Immerhin  ist  aber  die  Einzel- 
forschung so  weit  gediehen,  daß  man  den  Versuch  wagen  kann, 
die  Einzelerscheinungen  auf  wissenschaftlicher  Grundlage  zu  Grup- 
pen und  Systemen  zu  ordnen  und  überhaupt  ein  naturwahreres 
Bild  der  Oberflächenformen  der  Halbinsel  zu  entwerfen.  Vor 
allem  gilt  es  dabei,  die  bisher  gebrauchten  Namen  auf  ihre  Be- 
deutung und  Berechtigung  zu  prüfen  und  die  darin  teilweise 
herrschende  Verwirrung  zu   klären1). 

Wenn  wir  unsern  eignen  Versuch  aus  frühern  geschichtlich 
entwickeln  wollen,  so  ist  darauf  hinzuweisen,  daß  schon  Albrecht 
v.  Roon2)  1838  ein  klares,  später  wieder  vielfach  verdunkeltes 
Bild  der  Oberflächenformen  in  großen  Zügen  entworfen  hat,  frei- 


nandez  de  Castro.  Madrid  1889.  Es  sind  zwei  Ausgaben,  eine  in  iö  Bl. 
und  eine  in  64  Bl.,  dazu  eine  Übersichtskarte  in  1:1500  OOO  erschienen. 
Außerdem  stehen  in  den  Memorias  und  dem  Boletin  de  la  Comision  del 
Mapa  geolögico  de  Espana  geologische  Karten  aller  spanischen  Provinzen  bis 
auf  Lerida  und  Leon,  auch  meist  in   1  :  400  000  zur  Verfügung. 

1)  Der  Verfasser  hat  einen  solchen  Versuch  bereits  gemacht  in  seiner 
Länderkunde  von  Südeuropa  in  „Unser  Wissen  von  der  Erde",  herausgegeb. 
von  A.  Kirchhoff,  Bd.  III,  Abteil.  2,  S.  557  ff.  Hier  handelt  es  sich  um 
eine  Weiterführung  und  -wissenschaftliche  Begründung  des  dort  Gegebenen, 
zu  welcher  letztern  dort  kein  Raum  war.  Auch  lag  dem  Verfasser  daran, 
seinen  Versuch  in  einer  der  ganzen  wissenschaftlichen  Welt  zugänglichen 
Zeitschrift  einer  Prüfung  zu  unterbreiten  und  so  hoffentlich  durch  Hinweis 
auf  die  Lücken  und  verschiedene  einer  Klärung  noch  recht  bedürftige  Fragen 
einem  weitern  Ausbau  entgegenzuführen. 

2)  Grundzüge  der  Erd-,  Völker-  und  Staatenkunde,  2.  Abteil.,  2.  Aufl., 
S.  666  ff.  Berlin  1838,  und:  Die  Iberische  Halbinsel.  Eine  Monographie 
aus  dem  Gesichtspunkte  des  Militärs.     Berlin   1839. 


A.  v.  Roons,  K.  Ritters,  M.  Willkomms  Einteilung. 


243 


lieh,  dem  damaligen  Stande  der  Wissenschaft  und  der  Forschung 
entsprechend,  ohne  wissenschaftliche  Begründung.  Er  unterscheidet 
rein  orographisch  das  Tafelland,  welches  aus  drei  übereinander 
aufsteigenden  und  sich  nach  O  hebenden  Stufenlandschaften,  dem 
Andalusischen  Tieflande,  dem  Neu-  und  dem  Altkastilischen 
Plateau,  besteht  und  an  welches  sich  als  halbinselartige  Gebirgs- 
zungen  die  Pyrenäen  und  das  Oberandalusische  Gebirgsland  an- 
gliedern. Er  spricht  schon  von  einem  erhöhten  Ostrande  des 
Tafellandes,  der  durchaus  keine  wallartige  Gebirgskette  bilde  und 
mit  Unrecht  in  Kompendien  und  auf  Karten  als  Iberische  Ge- 
birgskette gezeichnet  werde.  Er  setzt  denselben  in  enge  Be- 
ziehungen zum  kastilischen  Scheidegebirge.  Die  Pyrenäen  „ge- 
hören ganz  wesentlich  dem  Iberischen  Hochlande  an".  K.  Ritter1), 
in  so  hohem  Maße  er  sich  auch  da  als  Meister  plastischer  Schilde- 
rung bewährt,  zeigt  keinen  wesentlichen  Fortschritt  gegen  v.  Roon. 
In  noch  höherm  Grade  auf  Selbstsehen  beruht  Moriz  Willkomms 2) 
orographische  Einteilung  der  Halbinsel,  die  sich  auch  die  Syste- 
matiker, namentlich  die  deutschen,  mit  Vorliebe  angeeignet  haben, 
wie  Willkomm  seinerseits  selbstverständlich  von  den  einheimischen 
Systematikern  beeinflußt  worden  ist.  Auch  bei  ihm  fehlt  aus  den 
gleichen  Gründen  wie  bei  v.  Roon  die  wissenschaftliche  Begrün- 
dung. Willkomm  spricht  bereits  vom  zentralen  Tafelland  und 
von  peripherischen  Stücken;  mit  dem  Tafellande  stehen  oro- 
graphisch in  Verbindung  die  Pyrenäische  und  die  Bätische  Berg- 
terrasse. Jene  hat  ehemals  an  ihrem  jetzt  freien  Ende  mit  dem 
nordöstlichen  Teile  des  Tafellandes,  diese  mit  dem  Hochlande 
Nordafrikas  zusammengehangen.  Willkomm  hat  weiter  schon  er- 
kannt, daß  das  zentrale  Tafelland  sich  in  mehreren  stufenartigen 
Absätzen  zu  dem  Binnenbecken  von  Aragonien  und  zur  Küsten- 
ebene um  den  Golf  von  Valencia  senkt.  Freilich  nimmt  er  das 
Gleiche  auch  gegen  Süden  an,  wie  auch  K.  Ritter  von  einem 
die  ganze  Halbinsel  zwischen  38  und  590  N.  Br.  von  O  nach 
W  durchsetzenden  Gesamtzuge  spricht.  Er  unterscheidet  dem- 
entsprechend sechs  voneinander  fast  unabhängiger  Gebirgssysteme: 
das  Pyrenäische,  das  Iberische  oder  das  östliche  Randgebirge  des 

1)  Europa.     Vorlesungen,    herausgegeb.    von   H.    A.    Daniel,  S.    321    ff. 
Berlin    1863. 

2)  Das  Pyrenäische  Halbinselland  (Wappaeus,  Handbuch  der  Geographie 
und  Statistik,  Bd.  III,  Abteil.   2,  7.  Aufl.     Leipzig   1862— 71). 

10* 


24.4  ^"'   lm    Geschichtlicher  Überblick. 

Tafellandes,  das  zentrale  System  oder  das  Kastilianisch-Leone- 
sische  Scheidegebirge,  das  Gebirgssystem  von  Estremadura,  das 
Marianische  System  oder  das  südliche  Randgebirge  des  Tafel- 
landes, das  Bätische  System.  E.  Reclus1)  zeigt  Willkomm  gegen- 
über keinen  wesentlichen  Fortschritt,  in  Einzelheiten  sogar  einen 
Rückschritt.  Er  unterscheidet  das  zentrale  Tafelland,  das  aus 
zwei  durch  einen  Wall,  für  welchen  er  keinen  zusammenfassenden 
Namen  hat,  da  er  die  Bezeichnungen  Karpeto-Vetonisches  System 
und  Sra.  de  Guadarrama  gleichsetzt,  voneinander  getrennten 
Stufen,  tertiären  Seebecken,  besteht.  Es  wird  im  Norden  von 
den  Kantabrischen  Pyrenäen  begrenzt;  dem  erhöhten  Ostrande, 
wie  den  Gebirgen  Andalusiens  gibt  er  keinen  zusammenfassenden 
Namen.  Die  Ketten,  in  welchen  die  Quellen  des  Guadiana,  Se- 
gura  und  Guadalimar  liegen,  bilden  nach  ihm  den  Beginn  der 
Sra.  Morena,  die  an  einer  andern  Stelle  als  erhabener  Rand  des 
Tafellandes  von  Kastilien  bezeichnet  wird.  Die  einheimische 
rein  geographische  Forschung  —  wir  sehen  hier  von  den  zum 
großen  Teil  ausgezeichneten  geodätischen  und  topographischen 
wie  von  den  geologischen  Arbeiten  ab  —  ist  der  Entwicklung 
unsrer  Wissenschaft  in  andern  Ländern  leider  so  wenig  gefolgt, 
daß  sie  das  wissenschaftliche  Verständnis  des  eigenen  Landes 
nur  wenig  zu  fördern  vermocht  hat.  Von  zwei  allein  in  Betracht 
kommenden  Werken  entspricht  das  eine,  welches  den  hochver- 
dienten Geologen  Fed.  de  Botella  y  de  Homos  zum  Verfasser 
hat,  leider  nicht  den  Erwartungen,  welche  der  Titel  hervorruft2). 
Botella  unterscheidet  vier  Gebirgssysteme :  i.  das  nördliche,  die 
Asturisch  (oder  auch  Kantabrisch)-Pyrenäische  Kette,  2.  das  zen- 
trale, 3.  das  östliche  und  4.  das  südliche.  Das  zentrale  System 
besteht  1.  aus  der  Cordillera  Lusitano-Arevaca  (unser  Haupt- 
scheidegebirge), 2.  den  Montes  Carpetanos  oder  dem  Lusitano- 
Karpetanischen  Scheidegebirge  (Berge  von  Toledo),  von  Kap 
Espichel  bis  Cerro  de  S.  Felipe,  wo  es  mit  der  Idübeda  ver- 
wächst, sich  aber  in  der  Ilergetanischen  Kette  (unser  Katalonisches 
Bruchgebirge)  fortsetzt,  und  3.  der  Sierra  Marianica  (Sra.  Morena), 

1)  Nouvelle  Geographie  Universelle  I,  S.  666  ff.     Paris   1876. 

2)  Espana.  Geogräfia  morfolögica  y  etiolögica.  Observaciones  acerca 
de  la  constituciön  orogräfica  de  la  peninsula  y  leyes  de  direcciön  de  sus 
sierras,  cordilleras,  costas  y  rios  prmcipales.  Gr.-8°,  129  S.,  mit  3  Karten. 
Madrid   1886. 


Einheimische  Versuche. 


245 


auch  Marianisch-Kontestanisch-Balearische  Scheidekette  genannt. 
Das  östliche  System  besteht  aus  der  Idübeda-Kette,  der  Wasser- 
scheide zwischen  dem  Ebro,  Mijares,  Guadalaviar  und  Jucar  auf 
der  einen,  Duero,  Tajo,  Guadiana  auf  der  andern  Seite,  das 
südliche  aus  der  Bätischen  Kordillere.  Die  Ilergetanische  Kette 
wird  an  andrer  Stelle  als  eine  Abzweigung  der  Pyrenäen  be- 
zeichnet. 

Eine  sozusagen  amtliche  Darstellung  der  Urographie  der 
Halbinsel  bietet  ein  umfangreiches,  mehr  einem  Staatshandbuch 
ähnelndes  Werk,  welches  unter  der  Leitung  des  berühmten  Geo- 
däten General  Ibafiez  veröffentlicht  worden  ist1).  Es  werden  „in 
Übereinstimmung  mit  den  meisten  Geographen"  sechs  Gebirgs- 
systeme  unterschieden:  I.  das  nördliche,  welches  die  Pyrenäen 
und  die  sogenannte  Kantabrische  Kordillere  umfaßt;  2.  das  Ibe- 
rische System,  gebildet  von  den  Massiven,  welche  den  Ebro  auf 
der  rechten  Seite  begleiten  und  sich  bis  Kap  Gata  fortsetzen; 
3.  das  zentrale,  gewöhnlich  Karpeto- Vetonische  oder  Karpetanische 
Kette  genannt,  —  ein  Name,  der  aber  außer  Gebrauch  gesetzt 
werden  müsse,  weil  sich  nur  ein  Teil  des  südöstlichen  Abhanges 
im  Gebiete  des  alten  Karpetanien  befinde;  4.  das  System  der 
Berge  von  Toledo,  die  sogenannte  Oretanische  Kette,  —  ein 
Name,  der  ebenfalls  wenig  passend  sei;  5.  das  Bätische  System 
oder  die  Marianische  Kette,  vorzugsweise  von  der  Sra.  Morena 
gebildet;  6.  das  Penibätische  System,  die  Sra.  Nevada  und  die 
zugehörigen  Ketten.  Weiterhin  wird  eine  Menge  von  Namen 
und  wertvollen  Höhenzahlen  gegeben,  aber  kein  Versuch  ge- 
macht, ein  Bild  der  Gebirge  zu  geben,  sie  wissenschaftlich  zu 
begrenzen  u.  dgl.    Die  Ebenen  finden  sehr  wenig  Berücksichtigung. 

Zu  den  einheimischen  Versuchen  einer  orographischen  Syste- 
matik haben  wir  wohl  auch  denjenigen  zu  rechnen,  welchen  der 
hochverdiente  englische,  aber  in  Spanien  eingebürgerte  Geolog 
J.  Macpherson  gemacht  hat2).  Er  unterscheidet  sechs  große  Ge- 
birgsgruppen,  von  denen  fünf  annähernd  ostwestlich  streichen: 
die  Pyrenäisch-Kantabrische  Kordillere,  die  Karpeto-Vetonica,  die 
Oretana  oder  Oreto-Herminiana,   die  Marianica,  die  Betica.    Die 


1)  Resefia  geogräfica  y  estadistica  de  Espana  por  la  direcciön  general 
del  Institute-  geogräfico  y  estadistico.  40,  251  u.  II 16  S.,  mit  einer  Karte 
der  Halbinsel  in   I  :  l  500  000.     Bes.  S.   58  ff.     Madrid   1888. 

2)  Bosquejo  Geol6gico  de  la   provincia  de  Cädiz,  S.  13  ff.    Cadiz  1872. 


2A.6  rV)   2.    Die  Iberische  Scholle. 

sechste,  die  Keltiberische,  streicht  in  NW— SO  aus  der  Provinz 
Santander  bis  Valencia.  Hervorhebung  von  Einzelheiten  auf  später 
versparend,  möchten  wir  hier  nur  noch  darauf  verweisen,  daß 
Macpherson  weiterhin  (S.  25)  von  einem  O  2  8°  N  streichenden 
Bätischen  und  einem  O — W  streichenden  Penibätischen  System 
spricht.     Er    schließt  sich  aber  hierin  wohl  Botella1)   an. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  diese  geschichtlichen  Betrach- 
tungen zurück,  so  sehen  wir,  daß  eine  große  Verwirrung  in  der 
Namengebung,  keine  Übereinstimmung  in  der  Abgrenzung  der 
Systeme  und  Gruppen  herrscht,  kein  Versuch  gemacht  wird,  die 
Oberflächenformen  zum  innern  Bau  in  Beziehungen  zu  setzen. 
Daß  es  sich  in  den  Pyrenäen  und  den  Andalusischen  Gebirgen 
um  gefaltete  und  daher  vielfach  parallele  Ketten  handelt,  daß 
das  orographische  Streichen  ganzer  Höhenzüge  vielfach,  wie  z.  B. 
in  der  Sierra  Morena,  zum  Streichen  ihrer  einzelnen  Ketten  im 
Gegensatz  steht,  die  Form  der  Hochfläche,  die  immer  wieder- 
kehrt, von  Tafellagerung  der  Schichten  bedingt  wird,  alle  der- 
artigen Betrachtungen  sind  der  Literatur  über  die  Urographie  der 
Iberischen  Halbinsel  bis  jetzt  fast  durchaus  fremd  geblieben.  Es 
ist  also  wohl  nicht  zuviel  gesagt:  dieselbe  entbehrt  bisher  einer 
wissenschaftlichen  Grundlage.  Den  ersten  Anfängen  einer  solchen 
begegnet  man  da,  wo  man  sie  billigerweise  nicht  zuerst  erwarten 
sollte,  in  einem  Lehrbuche,  dem  von  Guthe -Wagner,  das  somit 
auch  da  den  Charakter  eines  wahrhaft  wissenschaftlichen  Werkes 
wahrt.  Es  gilt  uns  also,  einen  ersten  Versuch  zu  wagen,  die 
reiche  geologische  Literatur  für  die  wichtigste  geographische  Auf- 
gabe, Klarlegung  der  Orographie,  auszubeuten. 


2.   Die  Iberische  Scholle. 

Die  Iberische  Halbinsel  gehört  zu  denjenigen  Ländern,  deren 
Oberflächenformen  in  ungewöhnlichem  Maße  von  ihrem  innern 
Bau,  namentlich  von  der  Tektonik,  abhängig  sind.  Sie  besteht 
aus  einer  sehr  alten  schicksalsreichen  Scholle  der  festen  Erdrinde, 
an  welche  später  zwei  fremdartige  jüngere  Gebilde,  das  Anda- 
lusische    und    das    Pyrenäische    Faltenland,    angegliedert    worden 


I)  Descripciön   geolögico-minera    de   las   provincias    de    Murcia  y  Alba- 
cete,  S.   2  Madrid   1868. 


Die  Iberischen  Alpen  und  ihre  Abtragung.  2  47 

sind.  Da  jene  heute  in  ungeheurer  Ausdehnung  eine  Decke 
jüngerer  tafellagernder  Schichten  trägt  und  auch  wo  diese  fehlen 
als  Abrasionsfläche  weite  Ebenen  oder  eine  flachwellige  Ober- 
fläche zeigt,  ähnlich  dem  Rheinischen  Schiefergebirge,  so  sind 
damit  alles  beherrschende  Gegensätze  zwischen  diesem  Iberischen 
Tafellande,  wie  wir  es  wohl  am  besten  nennen,  und  den  Jüngern, 
halbinselartig  angegliederten  Faltenländern  gegeben1). 

a)  Allgemeiner  Überblick. 

Die  alte  Iberische  Scholle  ist  in  großer  Ausdehnung  aus 
archäischen  Gesteinen,  Gneisen,  kristallinischen  Schiefern  und  alten 
Graniten  aufgebaut,  welche  letztere,  namentlich  im  Nordwesten, 
eine  Fläche  von  mehr  als  50  000  qkm  bilden.  Sie  sind  teils 
älter,  teils  etwas  jünger  als  die  ältesten  die  archäischen  Gebilde 
überlagernden  paläozoischen  Schichten,  die  auch  ihrerseits  vom 
Cambrium  bis  zum  Carbon  in  hohem  Maße  an  dem  Aufbau  der 
Scholle  teilnehmen.  Eine  durch  tangentialen  Schub  hervorgerufene 
Faltung  schuf  zu  Ende  des  paläozoischen  Zeitalters  aus 
diesem  Material  hier  ein  gewaltiges  Gebirge  von  alpinen 
Formen,  dessen  namentlich  am  heutigen  Nord-  und  Südrande 
gut  nachgewiesene  Faltenzüge  einen  großen,  vom  rechten  Ufer 
des  Guadalquivir  nach  Nordwesten  gegen  die  Mündung  des 
Douro,  von  dort  mehr  nordwärts  verlaufenden  und  im  östlichen 
Galicien  und  in  Asturien  immer  mehr  nach  Nordosten  und  Osten 
umbiegenden  Bogen  bildeten2).  Der  konvexe  Scheitel  des  Bogens 
liegt  also  im  südlichen  Galicien.  Im  innern  Nord-Portugal  und 
in  den  umgebenden  Landschaften,  die  zugleich  die  geologisch 
noch  am  wenigsten  erforschten  sind,  scheint  die  Streichrichtung 
der  Falten  durch  die  ausgedehnten  Granitdurchbrüche  beeinflußt 
bzw.   verwischt   zu    sein.      Um   so  schärfer,    namentlich  auch   oro- 


i)  Bezüglich  der  Gegensätze  der  Rand-  und  der  inneren  Landschaften 
verweisen  wir  auf  unsre  Darstellung  in  Bd.  I  der  Mittelmeerbilder,  S.  245  fr. 

2)  Wir  folgen  hier  selbstverständlich  den  scharfsinnigen  Darlegungen 
von  Ed.  Sueß,  „Antlitz  der  Erde",  namentlich  Bd.  II,  S.  144  ff.,  verwerten 
aber  davon,  wie  von  der  sonstigen  geologischen  Literatur,  nur  das  geo- 
graphisch Wertvolle.  Die  Urquellen  sind  besonders  Macphersons  noch  zu 
nennende  Arbeiten  und  Barrois'  „Recherches  sur  les  terrains  anciens  des 
Asturies  et  de  la  Galice".  (Memoires  de  la  Soc.  geol.  du  Nord  DT,  Lille 
1882,  S.  603.) 


2aS  rV>  2.    Die  Iberische  Scholle. 

graphisch,  ausgeprägt  ist  sie  aber  am  Süd-  und  am  Nordrande, 
wo  das  alte  Gebirge  heute  an  scharfen,  weithin  geradlinig  ver- 
laufenden, annähernd  parallelen  Bruchlinien  endigt,  dem  Gali- 
cisch- Asturischen  und  dem  Guadalquivir- Bruch.  Es  laufen  so 
die  alten  Falten  und  die  Schichten  in  steiler  Aufrichtung  im 
Süden  gegen  die  Guadalquivirbucht  aus,  im  Norden  gegen  den 
Ozean.  Da  auch  die  Westseite  durch  Steilabbrüche  zum  Ozean 
gebildet  wird  urid  wir  an  der  Ostseite  ein  großes  System 
von  Staffelbrüchen  kennen  lernen  werden,  so  erscheint  also 
dieser  älteste  Teil  der  Halbinsel  der  Anlage  nach  als  ein  ge- 
waltiger Horst. 

Seit  der  Carbonzeit,  also  seit  einem  ungeheuren  Zeiträume, 
dauert  die  Abtragung  dieses  Iberischen  Alpengebirges  teils  durch 
Abrasion  seitens  der  Brandungswogen  des  übergreifenden  Meeres 
im  mesozoischen  Zeitalter,  teils  durch  die  zerstörenden  Kräfte 
des  Luftkreises  seit  Ende  desselben  an,  und  auch  die  großen 
Bruchlinien,  die  dasselbe  zerstückt  und  der  Halbinsel  ihre  eckige 
Grundform  gegeben  haben,  sind  sehr  alt.1)  Es  ist  daher  nur 
noch  der  Sockel  desselben  stehen  geblieben,  vielfach,  wie  im 
südwestlichen  Portugal,  dem  Campo  de  Ourique  (gefaltete  Carbon- 
schichten) und  dem  Campo  de  Beja  (Gneis  und  Granit),  zur 
völligen  Ebene  oder  zu  großwelligem  Hügellande  abgeschliffen, 
häufiger  aber  die  ursprünglichen  Faltenzüge  ähnlich  unserm  Tau- 
nus —  die  Oberflächenformen  des  ganzen  südwestlichen  Viertels 
der  Iberischen  Scholle  erinnern  immer  und  immer  wieder,  wenig- 
stens abseits  der  Granitdurchbrüche,  an  das  Rheinische  Schiefer- 
gebirge —  noch  in  flachen  Höhenrücken  bewahrend.  Diese 
streichen  vom  Guadalquivirbruche,  welchem  der  einzige  Tief- 
landsstrom der  Halbinsel  fast  in  seiner  ganzen  Länge,  vom  hohen 
Andalusischen  Faltungssystem  und  der  Stoßkraft  seiner  linken 
Zuflüsse  an  den  südlichen  Steilrand  der  Scholle  gedrängt,  folgt, 
bis  zum  Hauptscheidegebirge  fast  durchaus  in  NW-Richtung,  also 
senkrecht  zum  Streichen  des  jungen  Andalusischen  Faltensystems, 

i)  Über  diese  meist  in  annähernd  SO — NW-  u.  SW — NO-Richtung 
verlaufenden  und  die  durch  die  Faltenbildung  bedingten  Formen  vielfach  ver- 
wischenden Verwerfungen  verbreitet  sich  Macpherson  namentlich  in  seiner 
„Relaciön  entre  la  forma  de  las  costas  de  la  Peninsula  Iberica,  sus  princi- 
pales  lineas  de  fractura  y  el  fondo  de  sus  mares"  (Rev.  gen.  de  Marina, 
Tl.  XIX   1886,  S.  576  ff.). 


Bodenplastik  und  innerer  Bau.  2 40 

südlich  von  der  Guadalquivirbucht1).  Selbst  die  großen  gürtel- 
förmigen Granitdurchbrüche,  die  hier  häufig  zu  einförmigen  Hoch- 
flächen abgeschliffen  sind  (Los  Pedroches),  haben  diese  Richtung. 
Der  längste  derselben  erstreckt  sich  fast  ohne  Unterbrechung  von 
Andujar  und  Montoro  am  Guadalquivir  bis  jenseits  Alcantara  am 
Tajo  bei  einer  mittleren  Breite  von  15  km  auf  330  km.  Am 
schärfsten  ausgeprägt  sind  diese  parallelen  Höhenzüge,  meist 
Sätteln  silurischer  Quarzite  entsprechend,  im  Gebiet  von  Alcudia. 
Einen  derselben,  die  Sierra  de  Pela,  durchschneidet  der  Gua- 
diana  in  einem  Engtale  unterhalb  Casas  de  San  Pedro,  einen 
zweiten  im  Puerto  Pefia  etwas  oberhalb,  einen  dritten  unter  auf- 
fälliger Kniebildung  unterhalb  Ahijön  in  dem  berühmten  Portillo 
de  Cijarra.  Ähnliche  Durchbrüche  hat  auch  der  Tajo  gebildet, 
der  ja  davon  seinen  Namen  hat,  und  der  ganze  Charakter  der 
Täler  beider  Hochlandsströme,  ihr  geringer  Kulturwert,  beruht 
eben  darauf,  daß  sie  auf  ihrem  Wege  aus  dem  Miocänbecken 
von  Neu-Kastilien  zum  Meere  eine  große  Zahl  dieser  silurischen 
und  cambrischen  Falten  und  die  Granit-  und  Gneismassen  mehr 
oder  weniger  senkrecht  durchbrechen.  Zwischen  Guadiana  und 
Tajo  bestehen  die  Montes  de  Toledo,  die  ja  schon  in  die  topo- 
graphische Aufnahme  inbegriffen  sind,  die  Sierra  de  Altamira,  die 
Sierra  deGuadalupe,  de  S.Pedro,  S.Mamede  u.a.  m.,  aus  solchen  silu- 
rischen und  cambrischen,  meist  steil  aufgerichteten,  aber  fast  bis  zum 
Sockel  abgetragenen,  dicht  gedrängten,  nordwestlich  streichenden 
Falten,  deren  einer  der  Tajo  weithin  folgt,  bis  er  an  der  Mündung 
des  Tietar  durchbricht.  Jenseits  setzt  sich  dieser  Sattel,  wenn  auch 
mehr  und  mehr  nach  W  abgelenkt,  bis  an  den  Südfuß  des 
Hauptscheidegebirges  bei  Penamacor  in  Portugal  fort.  Im  Haupt- 
scheidegebirge selbst  sind  hier  die  Sierra  de  Gata  und  de  Francia, 
deren  Kämme  in  der  dasselbe  kennzeichnenden  NO — SW-Rich- 
tung  streichen,  aufgebaut  aus  WNW — OSO  streichenden  silu- 
rischen und  cambrischen  Schichten2).  Die  gleiche  Richtung  haben 
die  unmittelbar  benachbarten  silurischen  Höhenzüge  der  Provinz 
Salamanca  und  noch  im  westlichen  Leon  die  Sierra  de  la  Culebra 
und  de  Pefia  Negra. 


I)  Diese  auch  bodenplastisch  wichtigen  Gegensätze  hat  namentlich 
Macpherson  in  seinem  „Estudio  geolögico  y  petrografico  del  norte  de  la 
provincia  de  Sevilla"  (Bol.  Com.  Mapa  geol.  de  Esp.,  Bd.  VI,  1879  S.  97 
IT.)  klargelegt.  2)  Macpherson,  „Relation",  S.  670. 


2^0  I^T.   -•    Die  Iberische  Scholle. 

Nur  im  äußersten  Südwesten,  in  der  Provinz  Huelva  und  in 
Süd-Portugal,  geht  die  Nordwestrichtung  der  alten  Faltenzüge, 
die  hier  überwiegend  dem  Carbon  angehören,  mehr  und  mehr  in 
eine  westliche  über,  und  der  gleichen  Richtung  fügen  sich  die 
besonders  in  Huelva  häufigen  Durchbrüche  von  Graniten,  Dia- 
basen und  Porphyren.  Dem  entsprechend  herrschen  hier  ost- 
westlich verlaufende  Höhenzüge  vor,  wie  in  der  Sierra  de  Aracena, 
der  Sierra  de  Caldeira  u.  a.  Doch  ist  die  Zerstückung  durch 
Bruchlinien  hier  eine  so  große,  daß  häufiger  unregelmäßige  Berg- 
landschaften, wie  das  Andevalo  von  Huelva,  entstehen. 

Die  Höhe,  mit  welcher  sich  in  dem  ganzen  betrachteten 
Gebiete  diese  ihre  Erhaltung  fast  ausnahmslos  der  größern  Wider- 
standsfähigkeit der  sie  bildenden  Gesteine  verdankenden  Höhen- 
züge über  die  Umgebung  erheben,  ist  überall  eine  sehr  geringe, 
wie  dies  namentlich  die  Höhenschichtenkarte  Fr.  de  Botellas 
selbst  für  die  Berge  von  Toledo  erkennen  läßt1).  Dazu  kommt, 
daß  nicht  nur  vielfach,  wo  eben  keine  größern  Härteunterschiede 
vorhanden  waren,  das  alte  Gebirge  geradezu  zu  Hochebenen  ab- 
geschliffen ist,  wie  in  Süd-Portugal,  den  Pedroches,  La  Serena, 
dem  Campo  de  Calatrava,  dem  Sayago  und  andern  ähnlichen 
Landschaften,  sondern  daß  auch  Decken  von  jungtertiären  Schichten 
und  Diluvium,  wie  in  großer  Ausdehnung  zu  beiden  Seiten  des 
Guadiana  oberhalb  Badajoz,  ein  ehemaliges  Seebecken,  oder  zu 
beiden  Seiten  des  Tajo  unterhalb  Toledo  die  somit  auf  der  Ibe- 
rischen Scholle  weit  verbreitete  Form  der  Ebene  hervorrufen. 
Die  Flüsse  des  ganzen  Gebiets,  wenigstens  die  kleinern,  lassen  in 
ihrer  Laufrichtung,  am  auffälligsten  zwischen  Guadalquivir  und 
Guadiana,  ihre  Abhängigkeit  von  den  tektonischen  Verhältnissen 
erkennen.  Am  rechten  Ufer  des  Guadalquivir  endigen  alle  Höhen- 
züge in  steilem  Abbruch,  wie  auf  der  geologischen  Karte  auch 
die  in  parallelen  Bändern  angeordneten  alten  Formationen  auf 
einer  ziemlich  geraden  Linie,  eben  dem  Guadalquivirbruche,  von 
Alcaraz,  dessen  Kastell  sich  auf  einer  aus  den  Triasschichten 
auftauchenden  silurischen  Felskuppe  erhebt,  bis  zum  Kap  S.  Vi- 
cente  wie  mit  der  Schere  quer  durchgeschnitten  erscheinen. 

In  der  Nordwestecke  der  Halbinsel,  in  Nord-Portugal  und 
Galicien,    ist   die    alte    Faltung   wegen   der   ausgedehnten    Granit- 

1)  Mapa  hipsometrica  de  Espana  y  Portugal.  I  :  2  000  000.  Madrid 
1891.     Isohypsen  von  IOO  m.     (Bol.  Soc.  Geogr.  Madrid   1891,  S.   17  fr.) 


Nord -Portugal  und  das  Hauptscheidegebirge.  2^1 

durchbräche  bodenplastisch  von  geringerer  Bedeutung.  Immerhin 
ist  die  fast  meridional  zwischen  ähnlich  orientierten,  aber  meist 
an  Verwerfungen  gebundenen  Flüssen  streichende  Sierra  Rona- 
daira  an  ihrem  Nordende  von  einem  Sattel  silurischer  Sandsteine, 
der  am  Kap  Busto  quer  durchgebrochen  ist,  weiter  südwärts  von 
zwei  Antiklinalen  cambrischer  Schiefer  und  Quarzite  gebildet1). 
Auch  die  Sierra  de  Meira  und  der  niedere  Rücken,  welcher  in 
der  Punta  de  la  Estaca  de  Vares  endigt,  die  Sierra  de  Fala- 
doira,  ist  eine  cambrische  Antiklinale,  und  ähnlich  mögen  sonst 
in  Galicien  die  mehrfach  hervortretenden  flachen  Bodenwellen 
der  Westseite  an  das  vorherrschend  südwest-nordöstliche  Strei- 
chen der  archäischen  Schichten2)  gebunden  sein.  Für  Süd- 
Galicien  betont  Cortazar3)  die  verworrene  Lagerung  der  kristal- 
linischen Felsarten,  auf  welche  auch  schon  Schulz4)  hingewiesen 
hatte.  Im  allgemeinen  aber  sind  die  tektonischen  Verhältnisse 
im  ganzen  Nordwesten  infolge  der  in  dem  außerordentlich  nieder- 
schlagsreichen Klima  dieses  Vorgebirges  besonders  wirksamen 
Denudation  und  der  sehr  ausgedehnten,  den  bei  weitem  größten 
Teil  des  Landes  bildenden  Granitdurchbrüche  für  die  Gestaltung 
der  Oberfläche  von  geringem  Belang.  Der  Grad  der  Wider- 
standsfähigkeit der  außerordentlich  mannigfaltigen  Gesteine  — 
auch  alte  grüne  Gesteine  (Gastaldis  Pietre  Verdi  der  Westalpen) 
treten  nach  G.  Schulz  und  Macpherson  vielfach  auf  —  spielt 
hier  die  erste  Rolle.  Die  größten  Erhebungen  sind  granitisch, 
So  bildet  der  größere  Teil  Galiciens  und  Nord-Portugals  unregel- 
mäßige (Berg-  und)  Hügellandschaften  mit  gerundeten  Kuppen, 
oft  mit  magerer  Heide  bedeckt  oder  kahl,  überall  verstreuten  ge- 
rundeten Granitblöcken  und  an  den  Hängen  mächtigen  Ansamm- 
lungen von  Grant  als  Zeugen  der  rasch  fortschreitenden  Ab- 
tragung. Auch  eine  recht  ansehnliche  Diluvialdecke  von  Quarz- 
kieseln,  gerollten   Quarziten,    Sand,    Lehm   u.    dgl.    deutet   darauf 


i)  Ch.  Barrois,  „Recherches",  S.  422. 

2)  Macpherson,  „Uniclinal  structure  of  the  Iberian  Peninsula",  Madrid 
1880,  S.  5. 

3)  „Datos  geolögicos  de  la  prov.  de  Orensc"  (Bol.  Com.  Mapa  geol. 
de  Esp.   1877). 

4)  „Descripciön  geognöstica  de  Galicia",  Madrid  1835,  S.  10.  Dies 
Werkchen  ist  noch  heute  für  die  Geologie  und  Urographie  von  Galicien  un- 
entbehrlich. 


2C9  IV,  2.    Die  Iberische  Scholle. 

hin.  In  großer  Ausdehung  kann  man  sogar  von  einer  Hochebene 
sprechen.  Nur  der  vorwiegend  paläozoische  Osten,  der  auch 
petrographisch  weniger  mannigfaltig  ist,  ist  gebirgiger,  und  Quarzite1) 
bedingen  dort  die  Höhenzüge,  also  ganz  wie  im  Süden  der  Ibe- 
rischen Scholle. 

Ganz  ähnlich  derjenigen  Galiciens  und  in  gleicher  Weise 
bedingt  ist  auch  die  Oberflächengestalt  des  auch  sonst  Galicien 
sehr  ähnlichen  Nord-Portugal,  nördlich  vom  Hauptscheidegebirge, 
namentlich  aber  nördlich  vom  Duero.  Auch  dies  Gebiet  ist  ganz 
und  gar  archäisch,  nur  ein  schmaler,  vom  Duero  oberhalb  Porto 
nordnordwestlich  streichender  Gürtel  abgeschliffener  silurischer 
Falten,  zwischen  Pavoa  de  Varzim  und  Espozende  am  Meere 
schräg  durchgebrochen,  ist  hervorzuheben.  Die  Richtungen  der 
kurzen,  niedern  Höhenzüge  wechseln  vielfach,  doch  scheint  die 
südwestliche,  die  auch  bei  den  rechten  Zuflüssen  des  Douro  vor- 
herrscht, zu  überwiegen.  Da  die  Tektonik  Nord-Portugals  noch 
unaufgehellt  ist,  so  lassen  wir  es  unentschieden,  ob  man  hier 
mit  den  spanischen  Geographen  eine  Fortsetzung  der  Asturischen 
Ketten  zu  sehen  und  an  Beziehungen  zu  den  Falten  und  Brüchen 
Asturiens  zu  denken  hat2),  oder  an  solche  zum  Hauptscheide- 
gebirge. Tiefer  landeinwärts  tritt  in  diesem  wesentlich  grani- 
tischen Hochlande  von  Nord-Portugal,  am  meisten  in  dem  schon 
spanischen  Sayago,  ebenfalls  Galicien  ähnlich,  die  Form  flach 
welliger  Hochebene  auf.  Die  Flußtäler,  am  meisten  das  des 
Douro,  sind  auch  hier  canonartig  eng  und  tief  eingeschnitten,  die 
Flüsse  reich  an  Schnellen. 

b)  Das  Haupt-Scheidegebirge. 

Die  größten  Veränderungen  durch  spätere  Vorgänge  hat  die 
alte  Iberische  Scholle  ungefähr  in  der  Mitte  erfahren,  wo  sich 
heute,  dieselbe  fast  in  ihrer  ganzen  größten  südwest-nordöstlichen 
Ausdehnung  durchziehend,  das  Hauptscheidegebirge  der  Halb- 
insel erhebt,  das  diese,  namentlich  aber  die  alte  Scholle  in  zwei 
Hälften  zerlegt  und  die  Grenze  zwischen  Nord-  und  Südspanien, 
vor  allem  in  pfianzengeographischer  Hinsicht  —  Polargrenze  des 


i)  Schulz  a.  a.  O.,  S.  22. 

2)  Dafür  scheint  neuerdings  Choffat  einzutreten:  Apercu  de  la  geologie 
du  Portugal,  p.  7.     Lisbonne   1900. 


Nord  -  Portugal  und  das  Hauptscheidegebirge.  2S^ 

Ölbaumes  und  der  mediterranen  Baumzucht  — ,  bildet.  Wir 
haben  es  hier  mit  einem  System  von  Ketten  und  Höhenzügen 
zu  tun,  welche  miteinander  zusammenhängend  eine  wenn  auch 
nur  lose  orographische  Einheit,  eine  Wasserscheide  von  einer 
Länge  von  700  km  bilden.  Die  Länge  der  einzelnen  Ketten, 
diese  Bezeichnung  im  engern  Sinne  gefaßt,  ist  eine  geringe.  Ge- 
meinsam ist  allen  das  nur  wenig  von  NO-SW  abweichende  Streichen 
und  die  einander  parallele  staffeiförmige  Aneinanderreihung,  sowie 
das  Überwiegen  archäischer  Felsarten  in  ihrem  Aufbau.  Die  Frage 
der  Entstehung  und  der  tektonischen  Verhältnisse  dieses  viel- 
seitig anziehenden  Gebirges  ist  noch  ungelöst,  wenn  wir  auch  die 
geologischen  Verhältnisse  desselben  im  allgemeinen  kennen.  Ed. 
Sueß1)  gibt  wenigstens  für  die  Osthälfte  eine  Erklärung:  „Südlich 
von  Salamanca  geht  in  Virgation  ein  mächtiger  Ast  (des  alten 
hier  in  SSO  und  SO  streichenden  Iberischen  Faltensystems)  gegen 
O  und  ONO  ab.  Er  besteht  hauptsächlich  aus  Granit  und  Gneis 
und  bildet  die  Sierra  de  Gredos  und  Sierra  de  Guadarrama." 
Wir  können  uns  dieser  Anschauung  des  geistreichen  Forschers 
nicht  anschließen. 

Zunächst  haben  wir  vergebens  nach  einer  auf  Beobachtung 
beruhenden  Quelle  für  diese  Tatsache  gesucht,  nach  welcher  wir 
also  die  beiden  genannten  Kettensysteme,  demnach  wohl,  da  von 
ihnen  die  der  Westhälfte  unmöglich  getrennt  werden  können,  das 
ganze  Scheidegebirge  als  durch  Faltung  entstanden  ansehen  müßten. 
Ferner  kennen  wir  kein  Faltengebirge,  welches  orographische  Formen 
besitzt  wie  dieses.  Weiter  ist  überaus  auffällig,  daß  in  der 
ganzen  Ausdehnung  desselben  südwestliches  Streichen,  d.  h.  ein 
zu  den  Iberischen  Falten  dieser  Gegend  geradezu  senkrechtes 
herrscht.  Ebenso  sahen  wir  bereits,  daß  an  der  Südseite  die 
nordwestlich  streichenden  paläozoischen  Faltenzüge,  etwas  nach 
W  abgelenkt,  bis  unmittelbar  an  das  Scheidegebirge  herangehen 
und  sich  an  der  Nordseite  (Höhenzüge  von  Salamanca,  Sierra  de 
la  Culebra)  in  gleicher  Richtung  fortsetzen,  ja  daß  ein  Teil  des 
Scheidegebirges  selbst  (Sierra  de  Gata  und  de  Francia),  trotz  dem 
auch  hier  vorhandenen  kennzeichnenden  orographischen  Streichen 


1)  „Antlitz  der  Erde"  II,  S.  148.  Ganz  neuerdings  scheint  Choffat 
a.  a.  O.,  S.  7,  aber  ohne  irgend  welche  Begründung,  das  Scheidegebirge  auf 
Faltung  zurückführen  zu  wollen. 


2cj.  IV,  2.    Die  Iberische  Scholle. 

in  NO — SW-Richtnng,  aufgebaut  ist  aus  WNW — OSO,  also  auch 
ziemlich  senkrecht  dazu,  streichenden  stark  gefalteten  silurischen 
und  cambrischen  Schichten.  Schließlich  ist  noch  zu  betonen, 
daß  das  Scheidegebirge  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  trotz  der 
petrographischen  Übereinstimmung  zu  allen  übrigen  Höhenzügen 
der  Iberischen  Scholle,  wie  sie  sich  bis  heute  erhalten  haben,  in 
grellstem  Gegensatze  steht  durch  seine  bedeutende  absolute  und 
namentlich  relative  Höhe.  Obwohl  sich  dasselbe  auf  dem  höchsten 
Teile  der  alten  Scholle  erhebt,  ragt  es  bis  um  etwa  1500  m  im 
Mittel,  bis  2000  m  im  Höchstbetrage  über  die  Fläche  derselben 
empor!  Es  bildet  also  in  der  Tat  ein  ausgezeichnetes  Scheide- 
gebirge, welches  die  Halbinsel   in  zwei  fast  gleiche  Teile  teilt. 

Es  scheint  demnach  demselben  ein  anderer  Ursprung  zuzu- 
schreiben zu  sein,  und  wir  möchten  die  Vermutung  aussprechen, 
daß  wir  in  ihm  ein  Bruchgebirge  vor  uns  haben,  in  welchem  die 
Grundfesten  der  alten  Scholle,  etwra  im  Beginne  der  Tertiärzeit 
und  im  Zusammenhange  mit  der  Bildung  der  großen  kastilischen 
Seebecken,  zu  ansehnlicher  Höhe  emporgepreßt  wurden.  Auch 
die  mesozoischen  Ablagerungen  am  Westrande  der  Iberischen 
Scholle  zu  beiden  Seiten  der  Tejomündnng  wurden  in  diese  Be- 
wegungen hineingezogen.  Es  muß  natürlich  der  exakten  Be- 
obachtung vorbehalten  bleiben,  zu  entscheiden,  ob  diese  Ver- 
mutung haltbar  ist.  Ihr  widerspricht  zunächst  nicht  der  fast  überall 
vorhandene  einseitige  Steilabsturz  nach  Süden.  Dafür  sprechen 
die  oben  erwähnten  Verhältnisse  der  Sierra  de  Gata  und  de 
Francia  und  was  sonst  noch  Macpherson,  den  wir  wohl  als  den 
besten  Kenner  der  Halbinsel  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  und 
als  denjenigen  der  einheimischen  Geologen  anzusehen  haben,  der 
den  tekionischen  und  genetischen  Verhältnissen  die  größte  Auf- 
merksamkeit gewidmet  hat,  in  dieser  Hinsicht  anführt,  wenn  er 
auch  nicht  ausdrücklich  und  mit  genügender  Klarheit  sich  in 
diesem  Sinne  ausspricht.  Er  spricht  von  einem  Einfallen  der 
Gneisschichten  der  Sierra  de  Guadarrama  und  de  Gredos  auf 
Verwerfungen  nach  Südosten1)  und  einem  großen  Bruchgürtel, 
welcher  die  ganze  Halbinsel   vom  Golf  von  Biscaya    in  den  bas- 


1)  Breve  noticia  acerca  de  la  especial  estructura  de  la  Peninsula  Ibe- 
rica.  (An.  Soc.  Esp.  de  Hist.  Nat.,  T.  8,  S.  20,  Madrid  1879,  und  Re- 
laciön,  S.  650  ff.) 


Das  Hauptscheidegebirge.  2^ 

kischen  Provinzen  bis  zur  Tejomündung  durchsetzt.  An  dieser 
Depression  liegt  das  große  Scheidegebirge  mit  seinen  in  NO — 
SW  orientierten  archäischen  Massen  und  seinen  in  gleicher  Rich- 
tung orientierten  Massenausbrüchen  von  Granit,  ihr  folgen  auch 
der  Tejo  von  seinem  Eintritt  in  Portugal  und  seine  rechten  Zu- 
flüsse Alagon  und  Ponsul,  auf  ihr  liegt  schließlich  die  tertiäre 
Tejobucht,  in  welche  der  Strom  oberhalb  Abrantes  eintritt.  Die- 
selbe ist  mit  miocänen  und  pliocänen  Ablagerungen  gefüllt.  Auch 
die  aus  zum  Teil  Jüngern  Schichtgesteinen  aufgebauten  äußersten 
Enden  des  Scheidegebirges  lassen  auf  Brüche  und  senkrechte 
Verschiebungen,  nicht  auf  Faltung  schließen.  Dort,  wo  dasselbe 
aus  dem  östlichen  Randgebirge  hervortritt,  wird  es  in  der  Sierra 
Ministra  und  den  Altos  de  Barahona  von  Triasschollen  gebildet, 
welche  ihre  200  bis  300  m  hohen  Schichtenköpfe  der  Neukasti- 
lischen  Hochebene  zukehren.  Weiter  nach  W,  in  der  Sierra  de 
Pela,  besteht  das  Gebirge,  das  man  eigentlich  erst  hier  beginnen 
lassen  kann,  aus  stark  gestörten,  nach  S W  einfallenden  Jura-  und 
Kreideschichten  mit  bereits  bedeutenderen  Höhen  und  in  der 
Sierra  de  Ayllon  aus  silurischen  nach  SO  einfallenden  Schiefern, 
die  den  in  der  Somosierra  zuerst  hervortretenden  Gneisen  kon- 
kordant  auflagern.  Im  SW  scheint  die  Serra  da  Estrella,  die 
überwiegend  aus  cambrischen  Tonschiefern  und  nur  in  ihrem 
nördlichsten,  höchsten  Teile  aus  Granit  besteht,  ein  Horst  zu  sein, 
der  seine  Haupterstreckung  ebenfalls  in  NO — SW  hat,  von  welchen 
sich  dann  das  Scheidegebirge  noch  bis  zum  Cabo  da  Roca  als 
niederer  Rücken  aus  vorwiegend  jurassischen  Gesteinen  fortsetzt, 
die  aber  vielfach  von  Bruchlinien  zerstückt  sind,  auf  denen  Erup- 
tivgesteine, namentlich  ein  granitartiges,  noch  die  Kreideschichten 
durchbrechendes,  emporgedrungen  sind,  die  hier  ein  sehr  wechsel- 
und  reizvolles  kleines  Gebirgsland,  die  Serra  da  Cintra,  geschaffen 
haben.  Eine  Reihe  niederer  domförmiger  Ophitkuppen  begleitet 
den  Jurarücken  an  seiner  Westseite.1)  Die  Serra  da  Arrabida 
ist  eine  aufgekippte  Schollenkante,  die  ihren  scharfen,  in  ONO 
verlaufenden  Bruchrand  und  ihre  Schichtenköpfe,  als  tiefste 
Schichten  Lias,  der  Bucht  von  Setubal  zukehrt. 

Bei    den    spanischen    Geographen,   die    dies    Scheidegebirge 


I)  Communicacoes  da  Comissao  dos  Trabalhos  geolögicos  de  Portugal, 
T.  I,  S.  50.     Lissabon   1883—87. 


256  IV>  2-    Die  Iberische  Scholle. 

auch  als  ein  einheitliches  aufzufassen  pflegen,  herrscht  auch  hier 
in  der  Namengebung  keine  Übereinstimmung.  Botella  bezeichnet 
dasselbe  bald  als  Cordillera  Lusitano-Arevaca,  bald  als  Lusitano- 
Carpetana,  die  Resefia  als  Carpeto-Vetonica,  auch  kurz  als  Car- 
petanica,  spricht  aber  auch  von  einem  zentralen  System.  Mac- 
pherson  hat  die  Bezeichnung  „Carpeto-Vetonische  Cordillere". 
Bei  den  deutschen  Geographen  findet  sich  schon  bei  v.  Roon 
der  am  häufigsten  gebrauchte  Name  „Kastilisches  Scheidegebirge", 
bis  zum  Cabo  da  Roca,  Willkomm  spricht  von  einem  zentralen 
System  oder  dem  Kastilianisch-Leonesischen  Scheidegebirge.  Wir 
möchten  den  Namen  „zentrales"  oder  besser  iberisches  „Haupt- 
scheidegebirge" für  den  bezeichnendsten  und  den  deutschen  Geo- 
graphen kaum  eine  Neuerung  bietenden  halten. 

Von  größern  zusammenhängenden  Höhenzügen  der  Ibe- 
rischen Scholle  pflegt  man  gewöhnlich  noch  zwei  zu  unter- 
scheiden, die  in  der  Streichrichtung  dem  Hauptscheidegebirge 
annähernd  parallel,  aber  von  demselben  nach  innerm  Bau,  Ent- 
stehung, Höhe  und  Bedeutung  grundverschieden  sind:  die  Montes 
de  Toledo  und  die  Sierra  Morena.  Es  ist  nicht  zu  leugnen, 
daß  zwischen  dem  mittlem  Guadiana  und  dem  Tajo  eine  ge- 
birgsartige  Wasserscheide  mit  im  allgemeinen  westsüdwestlicher 
Richtung  vorhanden  ist  und  daß  sich  dieselbe,  wenn  auch  boden- 
plastisch sehr  wenig  ausgeprägt,  bis  nach  Portugal  hinein,  ost- 
wärts, wenn  man  dort  überhaupt  von  einer  orographisch  selbst 
kaum  merkbaren  Fortsetzung  sprechen  will,  quer  durch  das  Neu- 
kastilische  Tertiärbecken,  nahe  dem  Laufe  des  Tajo  bis  zum 
östlichen  Randgebirge,  mit  welchem  es  durch  die  sogenannten 
Altos  de  Cabrejas  bei  Cuenca  verwächst,  verfolgen  läßt.  Es  ist 
dieser  durch  auffallende  Windungen  der  Wasserscheide  gekenn- 
zeichnete flache  Rücken  wohl  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  als 
eine  Denudationserscheinung  aufzufassen,  sowohl  da,  wo  er  aus 
wagerechten  Schichten  des  lakustren  Miocän  besteht,  wie  da, 
wo  er  aus  den,  wie  wir  sahen,  im  allgemeinen  in  nordwestlicher, 
in  den  östlichen  Montes  de  Toledo  mehr  in  westnordwestlicher 
Richtung  streichenden  Falten  des  Paläozoikum  und  den  dasselbe 
durchdringenden  Graniten  herausgearbeitet  ist.  Lediglich  die 
größere  Widerstandsfähigkeit  der  silurischen  und  cambrischen  Quar- 
zite  läßt  diese  meist  sehr  steilen,  dicht  gedrängten  Sättel  hie  und 
da  noch  eine  das  großwellige  Hügelland,    als  welches  das  ganze 


Die  Südhälfte  der  Meseta. 


257 


Gebiet  zwischen  den  beiden  Strömen  zu  bezeichnen  ist,  um 
1000  m  überragende  Höhe  erreichen.  Wirklicher  Gebirgscharakter 
mit  schwierigen  Paßübergängen  u.  dgl.  fehlt  fast  durchaus,  und 
nur  die  zum  Teil  auf  den  unfruchtbaren  Bodenarten,  welche  die 
Schiefer  und  Quarzite  geben,  beruhende  furchtbare  Verödung 
dieses  weithin  mit  dürftigem  Gestrüpp  bedeckten  Gebietes  —  man 
denkt  an  die  Eichenschälwälder  des  Rheinischen  Schiefergebirges 
und  das  Schiffelland  der  Eifel  —  vermag  hier  den  Eindruck 
eines  trennenden  Gebirges  hervorzurufen.  Die  gelehrte  spanische 
Geographie,  die,  zu  großes  Gewicht  auf  die  Wasserscheide  legend, 
allerdings  meist  von  einem  vom  Kap  Espichel  bis  zum  Cerro  de 
S.  Felipe  im  östlichen  Randgebirge  sich  erstreckenden  Scheide- 
gebirge spricht,  was  ganz  unhaltbar  ist,  gebraucht  auch  hier  ver- 
schiedene Namen,  bald  Lusitano-Karpetanisches,  bald  Oretanisches, 
bald  Oretanisch-Herminianisches  Gebirge.  Es  dürfte  sich  emp- 
fehlen, der  geringen  Bedeutung  dieser  Hügelzüge  und  dem  Mangel 
eines  innern  Zusammenhanges  entsprechend  hier  überhaupt  auf 
jede  zusammenfassende  Bezeichnung  zu  verzichten  und  nur  die 
allgemein  eingebürgerten  Sondernamen,  wie  Montes  de  Toledo, 
Sierra  de  Guadelupe  u.  a.  zu  gebrauchen. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  der  Sierra  Morena,  die  über- 
haupt kein  Gebirge,  sondern  nur  die  südliche,  steil  über  dem 
Andalusischen  Tieflande  am  Guadalquivirbruche  aufragende  Kante 
der  Iberischen  Scholle  ist.  Nur  von  dort,  vom  algarvischen  Bei- 
ramar,  und  von  den  am  Guadalquivir  gelegenen  Sitzen  alter, 
hoher  Gesittung  aus  macht  diese  von  den  zerstörenden  Kräften 
des  Luftkreises  der  wechselnden  Widerstandsfähigkeit  der  so  stark 
gestörten  Schichten  entsprechend  ausgearbeitete  und  namentlich 
von  den  gefällreichen,  wenn  auch  wasserarmen  Bächen  und 
Flüssen  tief  eingekerbte  Schollenkante  den  Eindruck  eines  Ge- 
birges von  ansehnlicher,  wenn  auch  500 — 600  m  relativ  selten 
übersteigender  Höhe.  Wer  sich  über  die  Scholle  hin  in  der 
Richtung  des  Guadalquivir  bewegt,  durchschneidet  überall  nur 
ein  welliges,  ödes,  gestrüppbedecktes  und  menschenleeres  Hügel- 
land, das  durch  höchstens  taunusartige,  wenig  von  der  Nord- 
westrichtung —  die  Richtung  der  Schollenkante  ist  WSW  —  ab- 
weichende Höhenzüge  gekennzeichnet  wird,  bis  ziemlich  plötzlich, 
wenigstens  da,  wo  man  nicht  den  meist  schluchtartigen  Flußtälern 
folgen  kann,  der  kurze  Steilabstieg  beginnt.  Erreichen  und  Über- 
I'isc  her,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge.  17 


258  IV,  2.    Die  Iberische  Scholle. 

steigen  doch  in  dem  ganzen  Gebiet  zwischen  Guadiana  und 
Guadalquivir  nur  wenige  Punkte  1000  m!  Schon  Ferdinand 
Römer1)  erkannte  den  wunderbaren  Gegensatz  beim  Aufstieg 
über  die  fast  senkrecht  stehenden  Tonschiefer-  und  Quarzit- 
schichten  der  Schlucht  von  Despenaperros  auf  die  Hochfläche, 
die  dort  in  geringer  Entfernung  von  der  Schollenkante  von  jenen 
diskordant  in  wagerechter  Lagerung  bedeckenden  Schichten  hell- 
grauer Süßwassermergel  gebildet  wird.  Selbst  weiter  westwärts, 
in  Huelva  und  Algarve,  wo  die  Falten  mehr  westwärts  streichen, 
gewinnt  man  nur  von  Süden  her  gebirgsartigen  Eindruck,  wenn 
auch  in  diesen  Gegenden  der  südliche  Steilabsturz  gemildert 
und  verbreitert  erscheint.  Die  Wasserscheide  zwischen  dem  Gua- 
diana und  dem  Guadalquivir  verläuft  kaum  merkbar  in  zahlreichen 
Windungen  dem  Guadalquivirbruche  zwar  annähernd  parallel, 
aber  quer  zum  Streichen  der  Falten.  Diese  Eigenart  dieses  „Ge- 
birges" sich  stets  gegenwärtig  haltend,  muß  man  dann  allerdings 
dasselbe  vom  Kap  S.  Vicente  bis  Alcaraz  als  eine  einheitliche 
Bildung  auffassen  und  dies  auch  in  Namen  ausdrücken.  Da  man 
als  Sierra  Morena  nur  den  Teil  der  Schollenkante  bezeichnet, 
dem  der  Guadalquivir  folgt,  die  spanischen  Geographen  aber 
auch  hier  zu  keiner  Übereinstimmung  gekommen  sind  und  ab- 
wechselnd die  Namen  „Bätisches  System",  „Marianische  Kette" 
oder  „Marianisch-Contestanische  Kette"  gebrauchen,  so  schlagen 
wir  den  Namen  „Südliches  Iberisches  Randgebirge"  vor.  Roon 
nennt  es  „Andalusisches  Scheidegebirge",  Willkomm  „Marianisches 
System". 

c)    Das  Iberische  Tafelland. 

Wir  hatten  uns  bisher  nur  mit  dem  Teil  der  alten  Iberischen 
Scholle  beschäftigt,  in  welchem  die  Grundfesten  derselben  zutage 
liegen.  Anders  in  der  Osthälfte.  Dort  sind  diese  von  Jüngern, 
fast  durchaus  noch  tafellagernden  Schichten  bedeckt,  und  sie 
treten  nur  an  einigen  Randstellen  hervor,  gerade  hinreichend,  um 
ihr  Vorhandensein  feststellen  zu  können.  Mit  dem  Anfange  des 
mesozoischen  Zeitalters  beginnt  das  Meer  fast  allenthalben  —  nur 
im  Nordwesten  fehlen  heute  die  Belege  dafür  —  die  Ränder  der- 
selben zu  überfluten,  und  neue  Schichten  bilden  sich  auf  seinem 

I)  „Geologische  Reiseskizzen  aus  Spanien".     (Jahrbuch   1864,    S.  794.) 


Die  mesozoische  Transgression.  250, 

Grunde  aus  den  von  den  Iberischen  Alpen  abgetragenen  Massen. 
Am  Süd-  und  Westrande  bilden  mesozoische  Ablagerungen,  dis- 
kordant  und  ungefaltet,  nur  hier  und  da  auf  Brüchen  verschoben, 
das  gefaltete  paläozoische  und  archäische  Grundgebirge  über- 
lagernd, von  Alcaräz  bis  Kap  St.  Vincent  und  von  dort  bis  nahe 
an  die  Dueromündung  einen  meist  schmalen  Saum,  gleichsam 
einen  Rahmen  um  die  alte  Scholle.  Zwischen  Kap  S.  Yicent 
und  der  Serra  da  Arrabida  sind  sie  allerdings  infolge  späterer 
Abbruche  nur  in  Resten  erhalten.  Über  den  mesozoischen 
Schichten  lagern  konkordant  jungtertiäre  —  das  Eocän  fehlt  im 
ganzen  Bereich  der  Iberischen  Scholle  — ,  Miocän  und  Pliocän, 
die  in  großer  Ausdehnung,  wie  wir  sahen,  die  Bucht  des  Tajo 
und  Sado  füllen.  Diese  ganze  meso-  (und  käno-)  zoische  Trans- 
gression bildet  hier  nur  am  Südwestende  des  Hauptscheidegebirges 
Berg-  und  Hügelland,  sonst  nur  schmale  Küstenebenen.  Einzig 
dem  Miocän-  und  Pliocängebiet  der  Tajobucht  entsprechen  die 
weiten  Tiefebenen  von  Mittel -Portugal.  Anders  an  der  Ostseite 
der  Scholle.  Dort,  wo  wir  heute  die  höchste  Massenanschwellung 
der  ganzen  Halbinsel  haben,  drang  das  mesozoische  Meer,  die- 
selbe weithin  überflutend,  bis  gegen  Segovia  vor,  und  über  dem 
Grundgebirge  lagerten  sich  Triasschichten,  Jura,  aber  namentlich 
Kreide  ab.  In  der  Kreidezeit  reichte  die  Überflutung  am  weitesten, 
denn  Kreideschichten  lagern  nicht  nur  dem  Nordrande  der  Sierra 
de  Guadarrama  an,  sondern  scheinen  nach  den  selbst  im  Innern 
des  Gebirges,  wie  z.  B.  im  obersten  Lozoya-Tale,  erhaltenen 
Resten  einen  großen  Teil  des  Gebirges  selbst  bedeckt  zu  haben. 
Auch  unter  dem  lakustren  Tertiär  der  Neukastilischen  Hochebene 
treten  häufig  und  bis  Quintanar  de  la  Orden  nach  Südwesten 
Kreideschichten  hervor.  Als  sich  das  Meer,  wohl  infolge  einer 
Hebung  der  ganzen  Scholle,  die  im  Osten  bedeutender  war  als 
im  Westen  —  das  Ansteigen  der  Tertiärschichten  gegen  Osten 
spricht  namentlich  dafür1)  — ,  zurückzog,  bildeten  sich  in  den 
Einbruchskesseln  zu  beiden  Seiten  des  Hauptscheidegebirges  und 
auf  Verwerfungen,  welche  dem  Ostrande  in  geringer  Entfernung 
parallel  liefen,  große  Seen-),  die  allmählich  und  Hand  in  Hand  mit 


1)  Vgl.  Calderon  y  Arana:    „Ensäyo    orogenico  sobre  la  meseta  centra 
de  Espaöa".    (An.  Soc.  Esp.  de  Hist.  Nat.,  Madrid   1885,  Bd.  XIV  S.   150.) 

2)  A.  Penck,    Das  Klima  Spaniens  während  der  jüngeren  Tertiär-  und 
Diluvialperiode,  ZGE  Berlin  1894,  hat  seitdem,  im  Gegensatz  zu  den  spanischen 

17* 


2ÖO  IV»  2.    Die  Iberische  Scholle. 

der  Ausbildung  der  Abflußrinnen  nach  Westen  mit  den  Geröllmassen 
der  iberischen  Alpen  ausgefüllt  wurden.  Da  auch  die  Schichten  des 
lakustren  Tertiär  keine  Störungen  erfahren  haben,  so  entstanden 
hier  die  weiten  Hochebenen  von  Alt-  und  Neukastilien,  deren 
lakustre  Ablagerungen  an  den  Rändern  der  Gebirge  noch  in 
großer  Ausdehnung  durch  diluviale  bedeckt  sind,  die  von  Teruel, 
von  Almazan  und  andere  kleinere.  In  dem  ganzen  ungeheuren 
Gebiet  mesozoischer  mariner  und  tertiärer  lakustrer  Ablagerungen 
herrscht  noch  heute  Tafellagerung  der  Schichten ;  die  Ausgestaltung 
der  Oberfläche  in  demselben  ist  nur  auf  Denudation  und  Erosion 
und  auf  die  Bildung  von  Brüchen  und  Verwerfungen,  die  den 
Ostrand  der  alten  Scholle  ganz  besonders  kennzeichnen,  zurück- 
zuführen. Auch  in  dem  außerordentlich  zerstückten  mesozoischen 
Gebiet  kehrt  immer  die  Form  der  Hochfläche  wieder.  Schon  de 
Verneuil1)  hebt  den  Gegensatz  zwischen  dem  reichgegliederten 
Steilabsturz  zur  Küstenebene  von  Valencia  und  dem  Tafelland- 
charakter gerade  der  durch  den  gemeinsamen  Ursprung  zahlreicher 
Flüsse  gekennzeichneten  Gegend  in  der  Umgebung  der  Muela  de 
S.  Juan  hervor.  Kein  Gipfel  erhebt  sich  auffällig  über  diese  lang- 
gestreckten Hochflächen,  die  nur  durch  tiefe  Schluchten  voneinander 
getrennt  sind.  Namentlich  bilden  die  aus  Kreide  bestehenden 
Bergzüge  streng  genommen  Reihen  von  Tafelbergen;  schon  die 
Bezeichnungen  Paramo,  Paramera  und  Muela,  die  hier  so  häufig 
sind,  deuten  darauf  hin.  Faltung  gehört  lediglich  zu  den  örtlichen 
und  untergeordneten  Erscheinungen.2)  Meist  empfängt  man  nur  in 
den  tief  eingeschnittenen  Flußtälern  und  in  höherm  Maße  in  der 
Umgebung  des  Moncayo  und  der  Sierra  de  la  Demanda  den 
Eindruck  des  Gebirgsartigen.  Obwohl  die  geologische  Durch- 
forschung noch  in  hohem  Grade  der  Vertiefung  bedarf,  kann  man 


Geologen,  diese  abflußlosen  Binnenbecken  als  in  einer  Zeit  trockenen  Klimas 
mit  lockeren  Fluß-  und  Binnenablagerungen  gefüllt  bezeichnet,  so  daß  nicht 
eigentlich  von  lakustren  Schichten  zu  sprechen  wäre. 

i)  „Coup  d'ceil  sur  la  Constitution  geologique  de  quelques  provinces  de 
l'Espagne".  (Bull.  Soc.  geol.  de  France  1852/53,  X,  2e  Serie,  S.  96,  97, 
106,   118.) 

2)  Spanische  Geologen  (Sanchez  Lozano,  Descripcion  fisica,  geolögica 
y  minera  de  la  provincia  de  Lagroüo,  Mem.  Com.  del  Mapa  Geol.  de  Erp. 
Madrid  1894,  scheinen  neuerdings  eine  wirkliche,  wenn  auch  sehr  geringe 
Faltung  des  Mesozoikum  anzunehmen. 


Das  östliche  Iberische  Randgebirge.  26l 

auf  Grund  derselben  schon  heute  sagen,  daß  unsere  Karten,  die 
auch  hier  die  Oberfläche  als  durchaus  gebirgsartig  gestaltet  dar- 
stellen, sehr  viel  einfachere  Formen  zeigen  werden,  wenn  einmal 
auf  den  ausgezeichneten  topographischen  Karten  in  —  leider  noch 
ziemlich  ferner  Zukunft  auch  dieses  Gebiet  zu  naturwahrer  Dar- 
stellung gelangen  wird.  Hier  in  der  Osthälfte  der  Iberischen 
Scholle  haben  wir  so  das  eigentliche  Iberische  Tafelland,  die 
Meseta,  vor  uns. 

Der  reichstgegliederte  mesozoische  Teil  bildet  den  erhöhten 
Ostrand  desselben,  der  sich  orographisch  im  Nordwesten  durch 
ausgedehnte  Kreide-Hochflächen  mit  dem  Kantabrischen,  im  Süd- 
osten, an  der  Südgrenze  der  Provinz  Valencia,  mit  dem  Anda- 
lusischen  Faltengebirge  verbindet.  Der  Aufstieg  auf  diesen  höch- 
sten Teil  des  Iberischen  Tafellandes  von  den  Kastilischen  Hoch- 
ebenen aus  ist  überall  ein  merkbarer,  aber  sanfter,  er  beträgt 
überall  nur  wenige  hundert  Meter;  der  Abstieg  nach  Nordosten 
gegen  den  tiefen,  bergumwallten  Trog  des  Ebrobeckens,  und  nach 
Südosten  gegen  die  Küstenebene  von  Valencia  ist  dagegen,  wo 
man  nicht  den  Flußtälern  zu  folgen  vermag,  ein  sehr  steiler.  Die 
Höhenunterschiede  betragen  da  nicht  unter  iooo  m,  denn  in 
einer  Ausdehnung  von  etwa  40000  qkm  erreicht  dieser  Teil  des 
Iberischen  Tafellandes  eine  mittlere  Höhe  von  1000 — 1500  m, 
etwa  15000  qkm  im  Quellgebiet  des  Guadalaviar  sogar  1300  bis 
1500  m.  Man  kann  daher  hier  wirklich  von  einem  erhöhten  Ost- 
rande der  Iberischen  Scholle  sprechen,  und  die  Bezeichnung  öst- 
liches Iberisches  Randgebirge  scheint  uns  die  passendste  zu  sein. 
Die  spanischen  Geographen  gebrauchen  dafür  die  Namen  Idübeda 
(Botella),  das  Iberische  System  oder  das  Celtiberische,  wohl  auch 
Iberische  Cordillere,  eine  Bezeichnung,  die,  wenn  daneben  von 
einer  Kantabrischen  oder  Bätischen  gesprochen  wird,  grundfalsche 
Vorstellungen  wecken  muß;  v.  Roon,  dessen  scharfsinnige  Erfassung 
der  Oberflächenformen  trotz  der  damaligen  ungenügenden  Er- 
forschung wir  immer  wieder  bewundern  müssen,  sieht  das  ganze 
Gebiet  nur  als  den  höchsten  Teil  der  Hochebenen  von  Alt-  und 
Neukastilien  an;  ähnlich  schildert  es  auch  K.  Ritter  (Europa, 
S.  335  ß-)-  Willkomm  bezeichnet  es  als  Iberisches  System,  hat 
aber  ebenfalls  schon  eine  im  wesentlichen  richtige  Vorstellung 
der  hier  herrschenden   Oberflächenformen. 

Über   die    Tektonik    hat    der   spanische    Geolog   Calderon   y 


2Ö2  IV,  2-    Die  Iberische  Scholle. 

Arana1)  Aufschlüsse  gegeben,  die  das  Verständnis  der  Ober- 
flächen formen  zu  vertiefen  imstande  sind.  Nach  ihm  ist  dieser 
höchste  Teil  der  Meseta  durch  eine  Reihe  von  in  SO — NW 
orientierten  Staffelbrüchen  gegliedert,  welche  unter  sich  und  dem 
Ebrolaufe,  der  auch  durch  eine  solche  Bruchlinie  bedingt  ist, 
parallel  streichen.  Die  Unterlage  dieses  mesozoischen  breiten 
Rahmens,  die  Trias,  kehrt  so  die  hohen,  heute  die  Wasserscheide 
bildenden  Kanten  ihrer  Schollen  dem  Tafellande  zu,  während  sie 
nach  außen  von  jungem  Ablagerungen  bedeckt  wurde,  die  auch 
ihrerseits  später  von  Staffelbrüchen  zerstückt  wurden.  Man  steigt 
so  über  parallele,  langgestreckten  Ketten  ähnliche  Stufen  zum 
Hochlande  empor.  In  der  Sierra  de  la  Demanda  und  dann 
wieder  von  dem  triassischen  Moncayo  bis  zu  dem  tertiären  Hoch- 
lande von  Teruel  tritt  selbst  in  langen,  schmalen,  einander  par- 
allelen und  nur  durch  den  mit  lakustrem  Miocän  gefüllten  Bruch 
des  Jiloca-Tales  getrennten  Gürteln  das  paläozoische  (Silur  und 
Kambrium)  Grundgebirge  (Sierra  de  la  Virgen,  Sierra  de  Vicor  usw.) 
zutage.  Auch  weiter  nach  dem  Innern  des  Tafellandes,  in  der 
Sierra  Menera,  Sierra  Alta,  in  den  Parameras  de  Molina,  tauchen 
die  paläozoischen  Schichten  meist  in  Gestalt  flacher  Rücken  silu- 
rischer Quarzite  auf,  stets  aber  miteinander  parallelem,  nordwest- 
lichem Streichen  auch  der  Schichten,  also  der  gleichen  Richtung 
wie  in  der  Sierra  Morena2).  Am  Rande  des  Ebrobeckens  treten 
bei  Prejano  und  Turrucun  auf  einer  Verwerfung  Karbonschichten 
hervor,  so  daß  sie  in  gleichem  Niveau  mit  dem  lakustren  Miocän 
hegen.  Die  Trias  hegt  auch  hier  diskordant  auf  dem  Paläozoikum. 
Die  französischen  Forscher  Chudeau  und  A.  Dereims3)  erklären 
die  beiden  silurischen  Parallelgürtel  als  Teile  einer  Antiklinale, 
deren  niedergebrochener  Sattel  das  mit  lakustrem  Miocän  gefüllte 
Jiloca-Ribota-Tal  ist.  Die  Silurschichten  erscheinen  überall  stark 
gefaltet  und  verworfen,    doch   ist  die   Forschung   noch   nicht  weit 


i)  „Ensayo",  S.  146. 

2)  Die  hierhergehörigen  Provinzbeschreibungen,  besonders  Donayre, 
„ßosquejo  de  una  descripciön  fisica  geolögica  de  la  prov.  de  Zaragoza"  (Bol. 
Com.  Mapa  geol.  de  Esp.,  Madrid  1873,  Bd.  I).,  und  D.  de  Cortazar,  „Bos- 
quejo  fisico-geolögico  y  minero  de  la  prov.  de  Teruel"  (ebenda,  Bd.  XII), 
berücksichtigen  leider  die  Tektonik  fast  gar  nicht. 

3)  „Le  plateau  de  Soria"  (Ann.  de  Geographie,  Paris  1892,  I,  S.  279). 
A.  Dereims,  „Nouvelles  observations  sur  la  geographie  physique  du  plateau 
de  Teruel"  (ebenda  DI,  S.  3 15  ff.). 


Der  nördliche  gefaltete  Gürtel.  262, 

genug  fortgeschritten,  daß  wir  entscheiden  möchten,  ob  Ver- 
werfungen, so  daß  man  die  paläozoischen  Rücken  etwa  als  Horste 
oder  auch  als  Staffelbrüche  aufzufassen  hätte,  oder  Faltungen  die 
Oberflächengestaltung  mehr  beeinflussen. 


3.   Das  Kantabrisch-Pyrenäische  Faltenland. 

Im  vollsten  Gegensatz  zu  der  alten  Iberischen  Scholle  und 
namentlich  dem  Teile,  der  den  ausgeprägtesten  Tafellandcharakter 
trägt,  steht  das  den  größern  Teil  des  Nordrandes  der  Halbinsel 
und  dieses  Tafellandes  selbst  bildende  Kantabrisch-Pyrenäische 
Faltensystem.  Dank  den  Forschungen  eines  Ch.  Barrois,  Adan 
de  Yarza,  Magnan,  E.  de  Margerie  u.  a.  kennen  wir  dasselbe 
heute  hinreichend.  Zunächst  möchten  wir  gegenüber  vereinzelt 
auftretenden  gegenteiligen  Anschauungen  feststellen,  daß  alle  diese 
Erforscher  des  Systems  keine  Trennung  von  Pyrenäen  und  Kan- 
tabrischem  Gebirge  in  genetisch -tektonischer  Hinsicht  zugeben, 
wie  auch  orographisch  eine  Grenze  zwischen  beiden  sich  nur 
ungefähr  ziehen  läßt,  eine  wirkliche  Trennung  aber  nicht  vor- 
handen ist.  Ch.  Barrois1)  läßt  Asturien  am  Westende  der  Pyre- 
näen gelegen  sein  und  betont,  daß  die  große  Bewegung  des 
kantabrischen  Bodens,  welche  zwischen  Eocän  und  Miocän  fällt 
und  diesem  Gebiete  endgültig  seine  Oberflächenformen  vorzeich- 
nete, gleichzeitig  mit  derjenigen  eintrat,  welche  das  Relief  der 
Pyrenäen  bestimmte,  ja  mit  derselben  identisch  ist.  De  Margerie2) 
hebt  nachdrücklich  hervor,  daß  die  von  den  Geographen  ange- 
nommene Grenze  der  Pyrenäen  am  Port  de  Velate  oder  Idiazabal 
geologisch  ganz  unzulässig  sei.  Es  habe  wohl  in  den  baskischen 
Provinzen  eine  Minderung  der  vertikalen  Kraftäußerung  stattge- 
funden, da  die  paläozoischen  Schichten  dort  nicht  zutage  treten, 
aber  die  Faltung  hält  die  gleiche  Richtung  ein  und  erfährt  keine 
Unterbrechung  bis  zu  dem  paläozoischen  Gebiet  von  Asturien,  wo 
gewissermaßen  gegenseitige  Durchdringung  der  karbonischen  und 
der  nachkretazeischen  Faltungen  eintritt.  Eine  Ausdehnung  des  Kanta- 
brisch-Pyrenäischen   Systems,    in    dessen  Namengebung   auch   bei 


1)  „Recherches",   S.  601    u.  604. 

2)  De  Margeric    et  Fr.  Schrader:  „Apercu    de    la    stiucture    geologique 
des  Pyrenöes".    (Kxtr.  Annuaire  Club  Alpin  Francais  Paris  1892,  XVIII,  S.  64.) 


26a  IV,  3.    Das  Kantabrisch-Pyrenäische  Faltenland. 

den  spanischen  Geographen  Übereinstimmung  herrscht,  bis  Ga- 
licien  und  Kap  Finisterre,  wie  diese  und  auch  noch  Macpherson1) 
will,  ist  natürlich  schon  nach  unsrer  obigen  Darstellung  unmöglich, 
ebensowenig  wahrscheinlich  ist  es  nach  dem  heutigen  Stande  der 
Forschung,  daß  die  Asturischen  Ketten  in  südwestlicher  Richtung 
sich  bis  in  das  obere  Silgebiet  oder  gar  nach  Nord-Portugal 
fortsetzen.  Casiano  de  Prado2)  hat  festgestellt,  daß  die  Gebirge 
des  obern  Silgebiets  und  der  Fluß  selbst  NO  —  SW- Richtung 
haben,  das  Streichen  der  Schichten  (Kambrium,  Silur,  Karbon) 
jedoch  in  dieser  ganzen  Gegend  im  Mittel  N  55 °  W  ist  und  die 
heutigen  Oberflächenformen  Erzeugnis  der  Denudation  sind.  In- 
dem wir  so  die  Grenze  des  Kantabrischen  Gebirges  im  W  nach 
West  -  Asturien  legen,  kann  als  Grenze  gegen  die  Pyrenäen  die 
Gegend  der  wohl  durch  Querverwerfungen,  die  zur  Bildung  des 
Ebrobeckens  in  Beziehung  stehen  dürften,  verursachten  größten 
Erniedrigung  des  Kreidegebirges  südlich  von  dem  flachen  Golfe 
von  S.  Sebastian  angesehen  werden. 

a)  Das  Kantabrische  Gebirge. 

Entsprechend  seiner  Entstehung  durch  tangentialen  Schub  in 
der  Richtung  von  N  nach  S3),  also  gegen  die  Iberische  Scholle 
hin,  in  einer  Zeit,  welche  zwischen  Eocän  und  Miocän  liegt,  er- 
scheint das  Kantabrische  Gebirge  als  ein  im  wesentlichen  in 
Westostrichtung  streichendes  System  von  Parallelketten,  der  meer- 
fernsten, im  allgemeinen  auch  der  höchsten4).  Es  herrschen  kar- 
bonische Gesteine  vor,  namentlich  Kohlenkalk,  oft,  wie  in  dem 
höhlenreichen  Gebiete  von  Covadonga,  der  letzten  Zufluchtsstätte 
der  Christen,  marmorartig  auftretend.  Namentlich  sind  auch  die 
Picos    de   Europa   karbonisch,   wenn   sich    auch    Reste   von    Lias- 

1)  „Breve  noticia",  S.  12. 

2)  „Breve  resena  geolögica  de  la  parte  occidental  de  la  provincia  de 
Leon"  (Madrid   1862),  S.  12. 

3)  Barrois,  „Recherches",  S.  604. 

4)  Das  Hauptwerk  über  die  Urographie  von  Asturien  ist  noch  immer: 
G.  Schulz'  „Descripciön  geolögica  de  Asturias",  Madrid  1S58,  mit  einem 
geologisch-topographischen  Atlas,  der  namentlich  geographisch  sehr  lehrreiche 
geologische  Profile  enthält.  Dazu  P.  Labrouche  et  le  Cte  de  Saint-Saud,  XX 
1893,  P-  I29 — x86.  A.  Penck,  Die  Picos  de  Europa  und  das  Kantabrische 
Gebirge,  GZ.   1897,  P-  2/8 — 81. 


Baskisches  Gebirge.  265 

Kalken  zwischen  den  paläozoischen  Massen  eingeklemmt  erhalten 
haben.  Bei  dem  Vorherrschen  dieser  festen,  vielfach  zu  Karren- 
feldern ähnlichen  Formen  ausgearbeiteten  Kalksteine  und  dem 
bedeutenden  Gefäll  der  wasserreichen  Flüsse  und  Bäche,  das 
durch  die  geringe  (80  km)  Entfernung  der  2000  m  hohen  Wasser- 
scheide vom  Meere  bedingt  ist,  haben  diese,  namentlich  der  Tru- 
bia,  Sella,  Aller,  Caudal,  Dares  Ponga,  Nalon  u.  a.,  allenthalben 
tiefe  Erosionsschluchten,  wahre  Canons,  gebildet,  von  den  Landes- 
bewohnern Hoces,  Foces,  Escabios  genannt.  Der  Canon  des  Aller 
ist  an  der  Foz  de  Paraya  300  m  tief.  Barrois  (S.  525)  nennt 
diesen  Kohlenkalk,  das  unterste  Schichtensystem  des  Karbon, 
geradezu  calcaire  des  canons.  Um  die  schon  durch  die  Namen 
torres  und  penas  für  die  Gipfel  gekennzeichneten  Formen  noch 
wilder  zu  machen,  kommt  aber  hinzu,  daß  die  Schichten  des  Paläo- 
zoikum durch  die  doppelte  Faltung,  die  jüngere  für  die  Oberflächen- 
formen weit  wichtigere  in  Meridian-,  die  ältere  zu  Ende  des 
Karbon  mehr  in  Parallelrichtung,  und  dazu  kommende  Brüche 
und  Verwerfungen  ganz  außerordentliche  Störungen  erfahren  haben 
und  wild  durcheinandergeworfen  sind.  Das  Karbon  ist  dadurch 
in  außerordentlich  verschiedene  Höhenlagen  gekommen.  Bei  Ar- 
nao  werden  Steinkohlen  unter  dem  Meeresniveau  gewonnen,  etwas 
südlich  davon,  im  Becken  von  Sama  de  Langreo,  in  220  m  Höhe, 
und  in  der  Kantabrischen  Kette  liegen  Karbonschichten  in  2000  m 
Höhe1).  Talweitungen  und  Ebenen  fehlen  fast  durchaus,  so  daß 
kaum  eine  1  km  lange  ebene  Strecke  zu  einer  Basismessung  ge- 
funden werden  konnte.  Die  während  der  mesozoischen  Überflutung 
auch  dieses  Teils  der  Iberischen  Scholle  abgelagerten  Schichten 
gehören  ebenfalls  vorwiegend  der  Kreide  an  und  füllen  besonders 
stark  gefaltet  und  zum  Teil  ihrerseits  von  Eocän  konkordant  über- 
lagert die  auch  hydrographisch  gut  ausgeprägte  Längsmulde  (Syn- 
klinalbecken) von  Oviedo.  Es  treten,  die  Faltung  kennzeichnend, 
die  mesozoischen  Formationen  in  Asturien  vorzugsweise  in  west- 
östlichen Bändern  auf.  Daß  die  Wildheit  der  Formen  zum  Teil 
durch  das  Klima  bestimmt  ist,  ersieht  man  daraus,  daß  an  der 
sanftem  dem  Hochlande  zugekehrten  Abdachung  sofort  sanftere 
Formen  auftreten.  Man  wird  demnach  das  Kantabrische  Gebirge, 
wenn  auch  in  anderm  Sinne  wie  die  Sierra  Morena,  als  ein  Rand- 
gebirge auffassen  können. 

i)  Barrois,   „Recherches**,   S.  605. 


266  IV,  3-    Das  Kantabrisch-Pyrenäische  Faltenland. 

In  den  Baskischen  Provinzen,  wo  zwischen  den  Meridianen 
von  Santander  und  Tolosa  andre  als  Kreidegesteine  so  gut  wie 
ganz  fehlen,  sind  zwar  die  Höhen  der  den  geologischen  For- 
mationen entsprechend  westöstlich  (in  Viscaya  zum  Teil  mehr 
nordwestlich)  streichenden  Ketten  geringer,  die  Steilheit  des  nörd- 
lichen Hanges  und  die  Wildheit  der  Formen  ist  aber  noch  recht 
bedeutend,  denn  auch  hier  haben  die  Schichten,  abgesehen  von 
der  Tätigkeit  des  Wassers  in  diesem  niederschlagsreichen  Gebiete, 
sehr  bedeutende  Störungen  und  Pressungen  erfahren1).  Dem  auch 
hier  von  Norden  her  erfolgten  Zusammenschub  folgte  ein  steiler 
Ab-  und  Einbruch  nach  N  unter  Hervortreten  von  Eruptivgesteinen 
auf  den  Bruchspalten.  Dem  Norden  sind  so  meist  die  Schichten- 
köpfe in  steilen  Hängen  zugekehrt.  Gegen  das  Meer  hin  werden 
die  Falten  immer  schmäler,  wird  die  Schichtenstellung  immer  steiler. 
Wie  bedeutende  Wirkungen  aber  auch  die  Erosion  zu  erzielen 
vermag,  das  zeigt  der  großartige  Zirkus  von  Orduna,  den  Adän 
de  Yarza  nur  als  solche  auffaßt.  Auf  nur  etwa  35  km  Entfernung 
streicht  die  Hauptkette  der  Küste  parallel.  Diabas-  und  Ophit- 
durchbrüche  sind  namentlich  in  Vizcaya  und  Guipuzcoa  von  Be- 
deutung für  die  Oberflächengestalt,  sie  folgen  meist  dem  Streichen 
der  Falten  und  verursachen  eine  besonders  reich  gegliederte  Land- 
schaft zwischen  Vergara  und  Azpitia.  Die  sanfte  Neigung  geht 
auch  hier  nach  innen,  und  an  der  Innenseite  besonders  setzen 
sich  die  Falten  der  Kreide-  und  Eocänschichten  ununterbrochen 
in  die  Pyrenäen  hinein  fort.  Flache,  mit  lakustrem  Tertiär  oder 
Diluvium    gefüllte    Becken    (Vitoria,    Trevino)    sind    eingeschaltet. 

b)   Die  Pyrenäen. 

Nicht  nur  durch  größere  Höhe  und  Breite,  sondern  noch 
mehr  durch  größere  Mannigfaltigkeit  des  innern  Baues  zeichnen 
sich  die  Pyrenäen  vor  dem  Kantabrischen  Gebirge  aus.  Die 
topographischen  Arbeiten  Franz  Schraders,  die  geologischen 
Forschungen   E.   de  Margeries   und   die   lichtvollen   Darstellungen 


1)  Adan  de  Yarza:  „Descripciön  fisica  y  geolögica  de  la  prov.  de  Gui- 
puzcoa" (Memorias  de  la  Comisiön  del  Mapa  geolögico  de  Espafia,  Jahrgang 
1884,  S.  10).  Derselbe,  „Descripciön  &c.  de  Alava"  (Madrid  1885),  Vizcaya 
(Madrid  1892),  bes.  S.  9  u.  97.  Diese  Arbeiten  zeichnen  sich  namentlich  auch 
durch  besondre  Berücksichtigung  der  geographischen  Beziehungen  aus. 


Die  Pyrenäen.  767 

beider  haben  uns  erst  neuerdings  das  Verständnis  der  Pyrenäen, 
wenigstens  der  spanischen,  erschlossen.  Wir  wissen  so,  daß  die 
Fläche  der  letztern  zwei  Drittel  des  ganzen  Gebirges  ausmacht1), 
daß  die  orographische  Mannigfaltigkeit  dort  am  größten,  der  Ein- 
blick in  den  innern  Bau  am  leichtesten  ist,  da  die  Abtragung  an 
dieser  niederschlagsärmeren  Seite  weit  weniger  fortgeschritten  ist. 
Im  großen  betrachtet  bilden  die  Pyrenäen  eine  aus  stark  gefalteten 
alten,  von  Granitmassen  durchsetzten  Gesteinen  aufgebaute  Kette, 
die  zu  beiden  Seiten  von  Nebeugürteln  mesozoischer  und  tertiärer 
Gesteine  begleitet  wird.  Ihre  Gesamtrichtung  ist  WNW — OSO2). 
Das  Streichen  der  Falten  ist  genau  O  30 °  S,  weiter  nach  O  biegen 
sie  in  ONO  um.  De  Margerie  sucht  eine  Art  Fächenstruktur  in 
der  ganzen  Ausdehnung  der  Pyrenäen  zu  erweisen.  Es  folgen 
im  senkrechten  Querschnitt  stets  mehrere,  auf  der  französischen 
Seite  orographisch  und  hydrographisch  kaum  erkennbare  parallele 
Gürtel  aufeinander,  auf  der  spanischen  Seite  1.  der  Gürtel  des 
Mt.  Perdu,  orographisch  in  diesem  Hochgipfel,  der  Pena  Colla- 
rada,  Tendenera,  Cotiella,  Turbon  u.  a.,  ausgeprägt  (obere  Kreide 
und  Eocän,  die  nur  hier  an  der  Bildung  der  höchsten  Gipfel  be- 
teiligt sind);  2.  der  des  Aragon  (Eocän),  orographisch  an  der 
auffälligen  Längsmulde  am  besten  kenntlich,  welcher  im  soge- 
nannten Canal  de  Berdun  der  Aragon  von  Jaca  abwärts  folgt, 
während  dieselbe  in  der  Landschaft  Tulivana  sich  weiter  nach 
Osten  bis  über  den  Gallego  hinaus,  der  sie  zu  durchqueren  ver- 
mochte, fortsetzt;  3.  der  Gürtel  der  Sierras  (Trias,  Kreide,  Eocän). 
Dieser  letztere  Gürtel  ist  auch  orographisch  der  hervorstechendste 
Zug  der  spanischen  Pyrenäen.  Steil,  sich  girlandenartig  mit- 
einander verknüpfend  erheben  sich  diese  ihrer  Tertiärdecke  bis 
auf  geringe  Reste  beraubten  Antiklinalen  auf  dem  etwa  500  m 
hohen  Sockel  des  Gebirges  unmittelbar  am  Rande  desselben  gegen 
das  raiocäne  Ebrobecken.  Ihr  Bau  ist  ein  sehr  verwickelter,  die 
Trias  grenzt  zum  Teil  unmittelbar  an  das  Miocän  des  Ebrobeckens. 
Meist  verbergen  sie  dem  Blick  von  diesem  aus  nicht  nur  die 
hinter  ihnen  liegenden  langgestreckten  tertiären  Synklinalen, 
sondern  sogar  den  im  Mittel  etwa   50 — 60  km   entfernten  Kamm 


1)  Fr.  Schradcr  u.  E.  de  Margerie:  „Apercu  de  la  forme  et  relief  des 
Pyrönees",  Paris   1893,  S.  23.     Schöne  hypsometrische  Karte. 

2)  Fr.  Schradcr  u.  E.  de  Margerie:  „Apercu  de  la  strueture  geolögique 
des  Pyrenees",  Paris   1892,  S.  12,  23.     Schöne  geologische  Karte. 


2 68  IV»  4«    Das  Katalonische  Gebirge. 

der  eigentlichen  Pyrenäen.  Sie  haben  den  Charakter  langer 
Falten  gut  bewahrt,  und  die  vordersten  an  der  Ebroebene  sind 
nicht  selten  nach  außen  überstürzt.  Es  sind  die  Sierra  de  Santo 
Domingo,  Puig  Chicibro,  Sierra  de  Guara,  Carodilla  und  Montsech. 
In  diesem  tritt  die  nordöstliche  Umbiegung  deutlich  hervor,  die 
Sierra  de  Cadi,  die  Verlängerung  des  Canigou,  schließt  sich  un- 
mittelbar an.  Westlich  von  der  Sierra  de  Santo  Domingo  setzen 
sich  diese  Falten,  den  Rand  des  Gebirges  bildend,  in  gleicher 
Richtung  noch  weiter  fort,  nur  ist  die  Tertiärdecke  erhalten,  erst 
in  der  Sierra  de  Cantabrio  bilden  wieder  die  Kreideschichten  den 
Kamm.  Der  Ebro,  der  hier  in  der  Enge  der  Conchas  de  Haro 
in  sein  Becken  eintritt,  schneidet  die  Montes  Obarenes,  die  Fort- 
setzung jener,  von  ihnen  ab.  In  ähnlichen  engen  Durchbruchs- 
tälern durchbrechen  sämtliche  Pyrenäenflüsse  diesen  steilen  Außen- 
rand des  Gebirges,  im  Innern  desselben  folgen  dieselben  aber 
meist  und  auf  lange  Strecken  den  tektonischen  Linien,  während 
auf  der  französischen  Seite  fast  alle  Hindernisse  beseitigt  und 
die  Wasserläufe  meist  in  der  Richtung  des  größten  Gefälles 
geradegelegt  sind.  Nur  die  Esera  und  die  beiden  Nogueras 
machen  eine  Ausnahme  und  fließen  daher  fast  durchaus  in  engen 
Tälern,  oft  ungangbaren  Schluchten,  während  ihre  wasserarmen 
Zuflüsse  in  breiten  Tälern  den  tektonischen  Linien  folgen. 


4.    Das  Katalonische  Gebirge. 

Schwer  ist  die  Grenze  zwischen  den  Pyrenäen  und  dem 
Katalonischen  Gebirge  zu  ziehen.  Wir  ziehen  dieselbe  auf  dem 
Hochlande  von  Llusanes,  das  als  eine  sehr  flache  Eocänmulde 
zwischen  der  Sierra  de  Cadi  und  der  innern  Katalonischen  Kette 
liegt  und  sich  nach  der  einen  Seite  gegen  das  Ebrobecken,  nach 
der  andern  gegen  die  Ebene  des  Ampurdan  neigt,  in  der  Mitte 
tief  ausgefurcht  durch  die  von  dem  hohen  Kamme  der  Sierra  de 
Cadi  herabkommenden  Gewässer,  welche  dann,  zum  großen  Teil 
in  der  Llobregatrinne  vereinigt,  das  niedrigere  Katalonische  Ge- 
birge durchbrechen  bzw.  im  Ter  der  Mulde  selbst  nach  Osten  folgen. 

Das  Katalonische  Gebirge  ist  nach  seinen  tektonischen  Ver- 
hältnissen und  seiner  Stellung  gänzlich  unerforscht.    De  Margerie 


Das  Katatonische  Gebirge.  2ÖQ 

und  Schrader  bezeichnen  1892  l)  dasselbe,  ganz  in  Übereinstimmung 
mit  unsrer  Auffassung,  als  den  eigentlichen  Pyrenäen  fremd,  18932) 
dagegen  ziehen  sie  einen  Teil  der  Innerkatalonischen  Kette  vom 
Montserrat  über  die  Berge  von  S.  Llorens  zum  Monseny  zu  den 
Pyrenäen  als  einen  Teil  der  oben  geschilderten  Ketten  des  Außen- 
randes derselben,  aber  ohne  eine  nähere  Begründung  zu  geben, 
anscheinend  auch  ohne  eigene  Forschungen  an  Ort  und  Stelle. 
Die  spanischen  Geologen3)  versagen  für  diese  Frage  völlig,  die 
Geographen  haben  meist  nicht  einmal  einen  eigenen  Namen  für 
das  Gebirge,  da  sie  es  entweder  ganz  unberücksichtigt  lassen 
oder  zu  den  Pyrenäen  rechnen.  Botella  unterscheidet  wenigstens 
die  Südwesthälfte  als  Ilergeten-Kette.  Willkomm  und  v.  Roon 
rechnen  dasselbe  auch  zu  den  Pyrenäen.  Das  scheint  uns  ganz 
unmöglich,  da,  abgesehen  von  minder  wichtigen  Unterschieden, 
die  Streichungsrichtungen  auf  den  pyrenäischen  Ketten  nahezu 
senkrecht  stehen,  das  Gebirge  auch  seine  Entstehung  südwest- 
nordöstlich verlaufenden  Brüchen  zu  verdanken  scheint  und  oro- 
graphisch  aus  zwei  parallelen  Höhenzügen  besteht,  die  durch 
ein  fast  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  mit  Jüngern  und  jüngsten 
Ablagerungen  gefülltes  Längstal  voneinander  geschieden  werden. 
Dasselbe  beginnt  mit  dem  Einbruchskessel  des  Ampurdan  und 
endigt  am  Meere  bei  Tarragona.  Es  dürfte  als  eine  Graben- 
versenkung aufzufassen  sein  und  ist  reich  an  heißen  Quellen  und 
vulkanischen  Ausbrüchen4).  Das  lakustre  Miocän,  das  hier  wie 
auf  der  Iberischen  Scholle  dem  Silur  auflagernd  vorkommt,  hat 
noch  bedeutende  Störungen  erfahren,  —  also  auch  eine  von  den 
Pyrenäen  abweichende  Erscheinung.  Vielleicht  kommen  wir  der 
Wahrheit  am  nächsten,  wenn  wir  die  Vermutung  aussprechen, 
daß  wir  hier  einen  Teil  der  Iberischen  Scholle,  von  der  das 
Katalonische  Gebirge  auch  nur  durch  das  Erosionstal  des  Ebro, 


1)  „Structure  geol.",  S.  24. 

2)  „Apercu  de  la  forme",  S.  II. 

3)  Es  kommen  namentlich  in  Betracht:  Jose  Maureta  und  S.  Thös  y 
Codina,  „Descripciön  fisica  &c.  de  Barcelona"  (Memorias  Com.  Mapa  geol. 
de  Esp.,  Jahrg.  1881);  Bauza,  „Breve  resena  geol.  de  la  prov.  de  Gerona" 
(Bol.  Com.  Mapa  geol.,  Bd.  1,  Jahrg.  1874),  und  L.  Vidal,  „Resena  geol.  y 
minera  de  la  prov.  de  Gerona"  (Bol.,  Bd.  XIII) ;  Mallada,  „Reconocimiento 
geogrifico  y  geolögico  de  la  prov.  de  Tarragona"  (Bol.,  Bd.  XVI). 

4)  Wir  verweisen  auf  unsre  Darstellung  in  „Unser  Wissen  von  der 
Erde".  Bd.  in,  S.  6(7  ff. 


2  70        IV,  5-    Das  Ebrobecken.     6.   Das  Andalusische  Faltenland. 

über  welches  die  Formationen  und  Höhenzüge  unverändert  hin- 
überstreichen, getrennt  ist,  vor  uns  haben,  welcher  durch  Anda- 
lusische Bruchlinien  zerstückt  worden  ist. 


5.   Das  Ebrobecken. 

Das  Tiefbecken  von  Aragonien  schließlich  ist  als  ein  großer 
Einbruchskessel  auf  dem  Ebrobruche  mit  den  Ablagerungen  eines 
großen  Tertiärsees  gefüllt,  welcher  im  NW  mit  demjenigen  von 
Alt-Kastilien  in  breiter  Verbindung  stand.  Daß  die  Geschicke 
des  Ebrobeckens  von  demjenigen  der  Kastilischen  etwas  ab- 
weichende waren,  hat  Calderon  y  Arana  betont1).  Erosion  und 
Denudation  haben  die  Miocänschichten  derartig  ausgearbeitet, 
daß   die  Form   der   Ebene   nur    in   geringer   Ausdehnung    auftritt. 


6.  Das  Andalusische  Faltenland. 

Geologisch  gut  erforscht,  wenigstens  in  seiner  größern  Süd- 
westhälfte, ist  das  große  Andalusische  Faltenland,  namentlich  dank 
den  Arbeiten  wie  schon  früher  eines  Verneuil,  so  in  der  alier- 
neusten  Zeit  der  französischen  Geologen,  die  unter  Fouques 
Leitung  das  Erdbeben  vom  25.  Dezember  1884  klargelegt 
haben.  Zum  Andalusischen  Faltenlande  rechnen  wir  das  ganze 
Gebiet  südlich  von  der  Guadalquivir-Bucht  und  dem  Iberischen 
Tafellande  bis  zum  Kap  Nao.  Daß  die  niedern  Gebirgszüge  der 
Provinzen  Murcia  und  Alicante  bis  in  das  südliche  Valencia,  die 
bei  den  Systematikern  bisher  entweder  keine  Beachtung  gefunden 
haben  oder  zum  Tafellande  selbst  gezogen  worden  sind,  dem 
großen  Andalusischen  Faltensystem  zuzurechnen  sind,  das  geht 
schon  aus  den  Untersuchungen  von  de  Verneuil2)  hervor,  deren 
Ergebnissen  Macpherson  sich  später  durchaus  angeschlossen  hat. 
Derselbe   rechnet   seine   Bätische   Kordillere   bis   zum   Kap  Nao3) 


1)  „Ensayo",  S.  146. 

2)  „Coup  d'ceil  sur  la  Constitution  geologique  de  quelques  provinces 
de  l'Espagne"  (Bull.  Soc.  geol.  de  France,  T.  I,  2e  ser.,  1852/53,  bes. 
S.  84  u.  91). 

3)  „Bosquejo  geol.  de  Cadiz",  S.  17  u.  25  fr.  Ich  konnte  diese  Schrift 
erst  nach  Vollendung  meiner  „Landeskunde  von  Spanien"  erlangen.     Es   ist 


Gebirge  von  Murcia  und  Alicante.  2  71 

und  begreift  den  Moncabrer,  dessen  Aufbau  aus  gefalteten  und 
verworfenen  Kreideschichten  schon  de  Verneuil  nachgewiesen  hat, 
die  Sierra  del  Carche,  de  la  Pila,  de  Alcaräz  und  Sagra  unter 
derselben.  Botella  dagegen1)  rechnet  diese  Gebirge,  obwohl  ge- 
rade seine  hypsometrische  Karte2)  auch  rein  orographisch  die 
Sierra  de  Alcaräz  scharf  von  der  Sierra  Morena  und  dem  Tafel- 
lande abhebt  und  mit  der  Sierra  de  Segura,  de  Maria  etc.  eng 
verbindet,  zu  einer  Marianisch-Kontestanisch-Balearischen  Scheide- 
kette, die  die  eigentliche  Südgrenze  der  Halbinsel  bildet  und  am 
Kap  S.  Antonio  endet,  um  sich  in  den  Gebirgen  der  Balearen 
fortzusetzen.  In  seinem  18  Jahre  früher  erschienenen  Werke  über 
die  Provinz  Murcia3)  rechnet  auch  er  es  allerdings  zum  Bätischen 
System.  Dafür  spricht  vor  allem  noch  die  große  Ausdehnung  und 
Bedeutung,  welche  hier  das  marine  Miocän  erlangt,  das  auf  dem 
Tafellande  ganz  fehlt.  Nach  dem  heutigen  Stande  unsrer  Kenntnis 
kann  es  nicht  dem  geringsten  Zweifel  unterliegen,  daß  die  Anda- 
lusischen  Faltenzüge  sich  bis  zum  Kap  Nao  und  S.  Antonio 
fortsetzen  und  daß  sich  auch  hier  die  vorwärts  bewegten  Schichten 
am  Südrande  der  alten  Scholle  stauten.  Botella  selbst  hebt  in 
seiner  frühern  Arbeit  über  Murcia4)  hervor,  daß  die  paläozoischen 
Schichten  westlich  der  Sierra  de  Alcaräz  dem  Silur  und  der  Sierra 
Morena  angehören  und  fast  in  saigerer  Richtung  annähernd  nord- 
westlich streichende  Faltenzüge  bilden,  während  die  dem  Penn 
angehörigen,  auch  petrographisch  verschiedenen  Schichten,  die  nur 
im  Ausbiß  am  Süd-  wie  am  Nordrande  der  auf  einem  jener 
Längsbrüche  gelegenen  Huerta  von  Murcia  hervortreten,  schwächer 
gefaltet  in  N  28 °  O  streichen.  Wie  die  Sierra  de  Alcaräz  aus 
denselben  gefalteten  nordöstlich  streichenden  Triasschichten  be- 
steht, die  weiterhin  im  Campo  de  Montiel  wagerecht  lagernd  eine 
mehr  als  1000  m  hohe  Hochebene  bilden,  den  höchsten  Teil  der 
Mancha,    so    sind    auch   die   Schichten    der  Trias,    des   Jura,    der 


deshalb  um  so  wichtiger,  daß  ich  ganz  unabhängig  von  Macpherson  zur 
Unterscheidung  eines  Andalusischen  Diagonal-  und  eines  Äquatorialsystems 
gekommen  bin,  genau  der  Bätischen  und  der  Pcnibäüschen  Kordillere  jenes 
entsprechend. 

1)  „Geogräfia  morfolögica",  S.  IOO. 

2)  Vgl.  Anm.  1,  S.  250. 

3)  S.  246,  Anm.  I. 

4)  Botclla,  „Murcia",  S.  35  u.  29. 


2  7  2  IV,  6.    Das  Andalusische  Faltenland. 

Kreide  und  des  Eocän  in  Murcia  und  Alicante,  wenn  auch  viel- 
fach von  Verwerfungen  durchsetzt,  vorwiegend  in  der  andalusischen 
Diagonalrichtung  gefaltet1).  De  Verneuil  fand  die  Nummulit- 
schichten  in  der  äußersten  Nordostecke  der  Provinz  Alicante, 
gegen  Kap  Nao  hin,  so  stark  gefaltet,  daß  dort  ein  reichgegliedertes 
Gebirgsland  mit  Höhen  von  1000  bis  1200  m  gebildet  wird,  das 
ihn  mit  seinen  wild  durcheinandergeworfenen  Schichten  an  die 
Alpen  erinnerte.  Starke  Faltung,  ja  gegen  das  Hochland  be- 
wegte Wanderschollen,  hat  neuerdings  hier  auch  R.  Nickles  an- 
genommen.2) 

Wir  haben  hier  dasjenige  etwas  ausgedehntere  Gebiet  der 
Halbinsel  vor  uns,  welches  am  längsten,  bis  zum  Beginn  der 
Pliocänzeit,  Meer  war3).  In  der  Miocänzeit  bestand  hier  nur  ein 
Archipel. 

Es  handelt  sich  somit  im  Andalusischen  Faltenland  um  ein 
jugendliches  Faltensystem,  das  sich  mit  dem  zugehörigen  der 
nordafrikanischen  Küste  zwischen  dem  alten  Iberischen  Horste 
auf  der  einen,  dem  alten  afrikanischen  Festlande  auf  der  andern 
Seite  in  ähnlicher  Weise  bildete  wie  die  Pyrenäen  zwischen  jenem 
und  dem  Zentral -Plateau  von  Frankreich4).  Erst  zu  Ende  der 
Kreidezeit  wurde  hier  ein  wirkliches  Gebirge  emporgefaltet,  die 
faltenden  Bewegungen  umfaßten  aber  noch  einen  großen  Teil 
der  Tertiärzeit ,  bis  zu  Beginn  der  Pliocänzeit ,  während  die 
vom  Meere  erst  zur  Meerenge  von  Gibraltar  ausgearbeitete  Quer- 
verwerfung sich  erst  in  der  Quartärzeit  bildete,  das  Tal  des 
Guadalquivir  aber  dauernd  Festland  wurde.  Noch  während 
der  Miocänzeit  (Helvetien)  ging  eine  Meerenge  vom  Ozean  zum 
Mittelmeer,  die  im  N  vom  Südrande  der  Iberischen  Scholle, 
im  S  von  der  Sierra  Nevada  und  deren  Fortsetzungen  begrenzt 
wurde.     De  Verneuil5)    hat    diese   Ansicht    zuerst    ausgesprochen, 


1)  Vgl.  auch  de  Verneuil  a.  a.  O.,  S.  76,  78,  84,  86. 

2)  B.  S.  Geol.  de  France   1904.     4.  Ser.,  Bd.  rV,  S.  223. 

3)  Man  vergleiche  dazu  die  Karte  Botellas  im  Bol.  Soc.  Geogr.  Madrid 
1877,  II,  Taf.  3. 

4)  „Mission  d'Andalousie.  Etudes  relatives  au  tremblement  de  terre  du 
25  dec.  1884  et  la  Constitution  geologique  du  sol  ebranle  par  les  secousscs. 
Directeur  de  la  mission  M.  F.  Fouque"  (Memoires  present6s  par  divers  savants 
ä  l'Academie  des  Sciences  de  l'Institut  national  de  France,  Paris  1889, 
T.  XXX,  No.  2,  S.   572 ff.) 

5)  „Coup  d'ceil"  etc.,  S.  79. 


Quer-  und  Längsfurchen  des  Andalusischen  Faltenlandes.  273 

und  die  Gelehrten1)  der  Mission  d'Andalousie  halten  sie  noch 
fest.  Erst  zur  Miocänzeit  hat  die  Sierra  Nevada  ihre  Höhe  er- 
reicht; das  obere  Miocän  hat  zum  Teil  noch  bedeutende  Störungen 
erfahren,  örtlich  aber  lagert  es,  wenn  auch  zu  Höhen  bis  1000  ru 
emporgehoben,  noch  fast  wagerecht  —  eine  für  die  wechselnden 
Oberfiächenformen  dieses  Gebiets  wichtige  Tatsache  — ;  so  in 
dem  von  den  Flüssen  tief  durchschluchteten  Tafellande  von 
Ronda2),  in  der  weiten,  großwelligen  Hochebene  südwestlich  von 
Granada,  an  der  Nordseite  der  Sierra  de  Alhama  und  Sierra  de 
Almijara,  namentlich  aber  in  großer  Ausdehnung  im  nordöstlichen 
Tale  des  Andalusischen  Faltenlandes,  das  dadurch  einen  wesent- 
lich verschiedenen  Charakter  erhält.  Hier  scheint  auch  die  In- 
tensität der  Faltung  eine  geringere  gewesen  zu  sein.  Störungen, 
welche  auch  das  Pliocän,  namentlich  an  der  Küste,  hier  und  da 
erfahren  hat,  glauben  die  Geologen  der  Mission  d'Andalousie  auf 
einfache  Gleiterscheinungen  oder  örtliche  Senkungen  zurückführen 
zu  müssen8).  Für  eine  späte  Hebung  zeugen  aber  die  in  der 
Provinz  Almeria  600  m  Höhe  erreichenden  Pliocänschichten4). 
Ganz  ausnahmsweise  bilden  auch  die  Kreideschichten,  nur  zu  ganz 
flachen  Wellen  gefaltet,  Hochebenen,  wie  um  die  Fuente  de  Piedra 
und  in  der  sogenannten  Sierra  de  las  Yeguas5). 

Dieser  Entstehung  des  Gebirges  entsprechend  haben  wir  es 
in  dem  ganzen  Gebiet  von  Cadiz  und  der  Meerenge  bis  zum 
Südrande  der  Küstenebene  von  Valencia  mit  langgestreckten 
einander  mehr  oder  weniger  parallelen  Gebirgsketten  zu  tun. 
Daß  dieselben  eine  gewisse  Länge  nicht  überschreiten  und  die 
Sierra  Nevada  mit  80  km  Länge  die  längste  dieser  meist  als 
antiklinale  Sättel  aufzufassenden  Ketten  sein  dürfte,  das  bewirkte 
ein   zweiter   für   die    Oberflächengestaltung   wichtiger    tektonischer 


1)  Bertrand  et  Kilian,  „Etudes  sur  les  terrains  secondaires  et  tertiaires 
dans  les  provinces  de  Grenade  et  de  Malaga",  S.  480. 

2)  Macpherson,  „Relaciön  entre  las  formas  orogräficas  y  la  constituciön 
geolögica  de  la  Serrania   de    Ronda"    (Bol.  Soc.  geogr.  Madrid  X,    S.  280). 

3)  Das  Bild  in  der  „Länderkunde"  S.  552  stellt  solche  Störungen  nach 
einer  Photographie  des  Verfassers  dar. 

4)  F.  M.  Donayre,  „Datos  por  una  resena  fisica  y  geolögica  de  la  regiön 
SO  de  la  prov.  de  Almeria"  (Bol.  Com.  Mapa  geol.  de  Esp.  1877,  Bd.  IV, 
S.  383). 

5)  D.  de  Orueta,  „Bosquejo  fisico-geolögico  de  la  regiön  septentrional 
de  la  prov.  de  Malaga"  (ebend.  1877,  Bd.  IV,  S.  89). 

Fischer,  Mittclmcerbildcr.     Neue  Folge.  l8 


? 74  IV,  6.    Das  Andalusische  Faltenland. 

Vorgang,  nämlich  die  Bildung  großer,  annähernd  zur  Richtung 
der  Falten  senkrechter,  durch  die  Denudation  und  Erosion  der 
Tertiär-  und  Quartärzeit  orographisch  schärfer  ausgearbeiteter  Quer- 
brüche in  nachtriassischer  Zeit.  Diese  zerstücken  namentlich  die 
innern  Faltenzüge  in  einzelne  Ketten,  aber  ohne  den  Zusammen- 
hang derselben  völlig  zu  lösen,  zugleich  mit  einem  gewissen 
Grade  von  wagerechter  Verschiebung  der  Stücke.  Wir  bezeichnen 
diese  Querbrüche,  die  als  die  Haupterdbebenlinien  erkannt  worden 
sind,  nach  Malaga,  Motril  und  Guadix1).  Jedem  entspricht  eine 
einen  Zugang  aus  dem  Innern  zum  Mittelmeere  schaffende  Ein- 
kerbung des  höchsten  Faltenzugs,  ein  dort  zum  Meere  durch- 
brechender Fluß  (Guadalhorce,  Guadalfeo,  Almeria)  und  eine  von 
demselben  heute  zum  großen  Teil  schon  wieder  verlandete  Meeres- 
bucht. Neben  diesen  und  andern,  minder  wichtigen  Querbrüchen 
treten  aber  auch  zahlreiche  Längsverwerfungen,  ja  wahre  Ein- 
bruchskessel oberflächengestaltend  hervor.  Ein  ganzes  System  von 
solchen  schafft  im  Innern  des  Andalusischen  Faltenlandes  eine 
Art  orographische  Längsfurche,  die  zugleich  eine  geologische 
Grenze  zwischen  dem  archäischen  und  paläozoischen  Gürtel  auf 
der  einen,  dem  mesozoischen  und  tertiären  Gürtel  auf  der  andern 
Seite  bildet  und  auch  hydrographisch  und  als  natürlicher  Ver- 
kehrsweg im  Innern  des  Gebirgslandes,  an  welchen  zugleich  die 
wichtigsten  Siedelungen  (Loja,  Granada,  Guadix,  Baza,  Lorca, 
Murcia,  Orihuela,  Alicante)  gebunden  sind,  an  die  große  Längs- 
furche der  Alpen  erinnert.  Genauer  erforscht  ist  von  diesen 
Längsbrüchen  nur  der  von  Granada,  ein  zu  Ende  der  Miocän- 
zeit  durch  angehäufte  Sande  und  Rollkiesel,  die  zum  größern  Teil 
von  der  Sierra  Nevada,  zum  kleinern  von  den  nördlichen  Ketten 
herstammen,  ausgefüllter  Einbruchskessel2)  mitten  im  Faltenlande. 
Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  von  Guadix  und  Baza3).  Weiter 
nach    Osten   ist   am   Nordrande    dieses   Gürtels  von  Längsverwer- 


i)  „Mission  d'Andalousie",  S.  117  fr.  Dieselben  finden  sich  dort  auf 
einer  Karte  dargestellt.  Vgl.  auch  E.  de  Margerie,  „La  Geologie  de  l'Anda- 
lousie"  (Extr.  Revue  Generale  des  Sciences  pures  et  appliquees),  S.  4;  mit 
Karte.     Paris   1890. 

2)  Außer  der  Mission  d'Andalousie  ist  hier  auf  von  Dräsche,  „Geol. 
Skizze  des  Hochgebirgsteils  der  Sierra  Nevada"  (Jahrb.  d.  Geol.  Reichs- 
anstalt, Wien   1879,  Bd.  29),  zu  verweisen. 

3)  L.  Siegert,  ZGE  Berlin  1905,  S.  528. 


Der  Gürtel  der  Längsbrüche.  27  S 

fungen  die  Sierra  de  Maria  als  eine  ONO  streichende,  an  beiden 
Seiten  durch  Verwerfungen  begrenzte  jurassische  Antiklinale  mit 
nach  S  gegen  das  alte  Gebirge,  von  dem  die  Verwerfung  trennt, 
einfallenden  Schichten  erkannt  worden1),  während  die  ihr  jen- 
seits nahezu  parallel  streichende  Sierra  de  las  Estancias  aus 
kambrischen  Schichten  aufgebaut  ist,  mit  einem  Reste  triassischer 
am  Rande  des  hier  mit  Diluvium  gefüllten  Bruches.  Auf  einer 
geologischen  Grenze  gelegen,  müssen  diese  Einbruchskessel  auch 
in  der  Geschichte  des  Andalusischen  Faltensystems  eine  wichtige, 
noch  näher  festzustellende  Rolle  spielen,  denn  wie  sie  rein  oro- 
graphisch  das  ganze  System  in  ein  inneres,  vorwiegend  aus  altern 
Gesteinen  und  Formationen  aufgebautes,  die  höchsten  Ketten  und 
Gipfel  enthaltendes,  wirkliches  Hochgebirge  mit  wildern  Formen 
und  ein  äußeres,  nur  aus  mesozoischen  und  tertiären  Schichten 
aufgebautes,  mit  weit  niedrigem  Ketten,  scheiden,  so  bezeichnen 
sie  zugleich  auch  eine  auffällige  Änderung  der  Richtung  der 
Faltenzüge  und,  dadurch  bedingt,  der  Gebirgsketten.  Innerhalb 
dieses  Gürtels  von  Längsbrüchen  herrscht  ziemlich  genau  west- 
östliche Richtung  vor,  landeinwärts  desselben  nahezu  südwest- 
nordöstliche. Diese  Unterschiede  sind  so  auffällig,  daß  sie  schon 
längst  bemerkt  und  auch  in  der  Namengebung  zum  Ausdruck 
gekommen  sind.  Botella2),  für  welchen  diese  Richtungsänderung 
im  Sinne  des  Elie  de  Beaumontschen  Fentagonalsystems  von 
größter  Wichtigkeit  war,  unterschied  so  lediglich  auf  Grund  der- 
selben alle  Ketten  von  der  Sierra  Nevada  bis  zum  Kap  Palos 
als  Penibätisches  System  von  den  Ketten  von  der  Serrania  de 
Ronda  bis  zum  Kap  San  Antonio,  die  er  als  Bätisches  System 
bezeichnet.  Ihm  folgt  Macpherson3),  nur  daß  er  richtiger  die 
Gebirge  bis  zum  Ozean  zu  letzterm  rechnet  und  beide  Systeme 
in  der  Serrania  de  Ronda,  wo  die  Umbieg ung  nach  S  eintritt, 
sich  vereinigen  läßt.  Das  Penibätische  System  läßt  er  das  eine 
Mal  in  der  Sierra  de  los  Filabres  beginnen,  dehnt  es  aber  rich- 
tiger ein  andermal  bis  zur  Provinz  Cartagena,  also  wohl  bis  zum 


1)  D.  de  Cortazar,  „Resefia  fisica  y  geolögica  de  la  regiön  norte  de 
la  prov.  de  Almeria"  (Bol.  Comision  del  Mapa  geo'ögico  de  Espana  1875, 
Bd.  II).  Vgl.  auch  J.  Macpherson,  „Breve  noticia  acerca  de  la  especial 
estructura  de  la  Peninsula  Iberica"  (Anal.  Soc.  esp.  de  Hist.  Nat.,  Madrid 
1879,  T.  VIH,  S.   18). 

2)  „Murcia",  S.  2.  3)  „Cadiz",   S.  23. 

18* 


2i 6  rV»  6.    Das  Andalusische  Faltenland. 

Kap  Palos  aus.  Auch  gebraucht  er  gelegentlich  die  Bezeichnung 
Bätische  Kordillere  für  das  ganze  Andalusische  Gebirge  und 
schreibt  derselben  die  Richtung  O  2  8°  N  zu.  Die  französischen 
Geologen  verstehen  unter  Bätischem  System  nur  das  südliche, 
aus  altern  Felsarten  aufgebaute,  das  nördliche  bezeichnen  sie  als 
Subbätisch.  Ed.  Sueß1),  der  diese  Forschungen  noch  nicht  be- 
nutzt hat,  versteht,  wohl  im  Anschluß  an  Macpherson,  unter  der 
Bezeichnung  Bätische  Kordillere  das  ganze  Andalusische  Falten- 
land, von  der  Meerenge  bis  zum  Kap  Nao,  unterscheidet  aber 
ebenfalls  den  innern  Schiefergürtel  von  dem  äußern,  aus  meso- 
zoischen und  eocänen  Gesteinen  bestehenden,  stark  gefalteten 
und  von  Verwerfungen  vielfach  durchschnittenen.  Durch  Sueß 
dürfte  wohl  bei  den  deutschen  Geographen  die  Bezeichnung 
,,Bätisches  Gebirge"  am  meisten  eingebürgert  sein.  Da  aber  die 
amtliche  Resena2)  unter  dem  Bätischen  System,  das  sie  auch  als 
Marianisches  (Sierra  Morena)  bezeichnet,  den  Südrand  der  Ibe- 
rischen Scholle  versteht,  die  Gebirge  von  Hoch-Andalusien  aber 
Penibätisches  System  nennt,  die  Sierra  de  Alcaräz,  Sagra,  de  los 
Filabres  etc.  jedoch  zum  Iberischen  rechnet,  so  sehen  wir  die 
tollste  Verwirrung  in  der  Namengebung  vor  uns,  aus  welcher 
herauszukommen  wir  vorschlagen,  den  so  viel  mißbrauchten,  so 
weit  hergeholten,  noch  dazu  einem  Flusse  entnommenen  Ausdruck 
„Bätisch"  ganz  fallen  zu  lassen  und  dafür  die  wohl  überall  sofort 
verständlichen  Bezeichnungen  Andalusisches  Faltenland, 
Andalusisches  Äquatorial-System  und  Andalusisches 
Diagonal-System  einzuführen. 

Gemeinsam  ist  dem  ganzen  Andalusischen  Faltenlande  die 
größere  Steilheit  und  Höhe  der  Ketten  an  der  Mittelmeerseite, 
der  Ab-  und  Einbruchsseite,  von  welcher  der  seitliche  Druck  her- 
kam —  der  Kamm  der  Sierra  Nevada  ist  in  der  Luftlinie,  ob- 
wohl ihr  noch  ein  niedrigerer  paralleler  Zug,  Sierra  de  Contra- 
viesa  und  Sierra  de  Gador,  vorgelagert  ist,  nur  35  km  vom 
Mittelmeer  entfernt  — ,  nach  innen  ist  die  Neigung  der  Schichten 
der  immer  jungem  Formationen  überall  eine  geringere,  ja  wir 
sahen  schon,  daß  bei  ganz  flachlagernden  Miocänschichten  die 
Form  der  Hochfläche  vielfach  wiederkehrt.    Dies  schon  im  eigent- 


1)  „Das  Antlitz  der  Erde",  Bd.  I,  S.  298  ff.     Prag  1893. 

2)  Vgl.  S.  245,  Anm.   1. 


Sein  Ostende.     Jüngere  Durchbrüche.  2  77 

liehen  Hoch-Andalusien,  noch  mehr  aber  in  Murcia  und  Alicante. 
Dort  erheben  sich,  schmalen  Inseln  ähnlich,  die  aus  gefalteten, 
vielfach  noch  durch  Längsbrüche  zerstückten  Schichten  des  Jura, 
der  Kreide  und  des  Eocän,  hier  und  da  auch  der  Trias,  ge- 
bildeten Ketten,  die  alle  SW — NO-Streichen  haben,  mit  meist 
geringer  relativer  und  absoluter  Höhe  über  die  einförmigen  Hoch- 
flächen oder  das  flachwellige  Hügelland  des  Jüngern  marinen 
Tertiär.  Dadurch  sowohl  wie  durch  die,  selbst  wo  sie  die  Falten- 
züge queren,  breit  ausgewaschenen  Flußtäler  des  Segura  und 
Vinalapö  wird  dieser  Teil  des  Andalusischen  Faltenlandes  in 
hohem  Grade  gangbar.  Cartagena  und  Alicante  sind  daher 
wichtige  und  die  am  bequemsten  erreichbaren  Häfen  von  Kastilien, 
und  es  ist  dies  ganze  Gebiet,  das  infolge  seiner  Dürre  und  bei 
dem  Vorherrschen  der  nur  magern,  nicht  selten  salzhaltigen  Boden 
liefernden  Tertiärschichten  mehr  dem  Hochlande  ähnelt  als  den 
Randlandschaften ,  von  jeher  in  den  engsten  Beziehungen  zu 
jenen  gewesen,  auch  xj±  Jahrtausend  früher  wieder  christlich  ge- 
worden als  Hoch-Andalusien. 

Jüngere  Eruptivgesteine,  die  man  an  der  innern  Seite  des 
einseitigen  Gebirges  erwarten  wird,  treten  die  Oberflächenformen 
beeinflussend  nur  am  Kap  Gata  auf,  wo  sie  ein  eigenartiges 
kleines  Gebirge  bilden,  das  alle  Erscheinungen  in  solcher  Voll- 
ständigkeit aufweist,  daß  man  es  als  das  Modell  eines  vulkanischen 
Ausbruchs-  und  Aufschüttungsgebirges  ansehen  könnte 1).  Von 
da  finden  sich  meist  niedere  Hügel,  im  Mar  Menor  Inseln  bildend, 
vereinzelt  jung-eruptive  Gesteine  in  einem  200  km  langen  Gürtel 
bis  zum  Kap  Palos,  weiterhin  auch  noch  in  der  Provinz  Murcia. 
Eine  große  Serpentinmasse  ist  entscheidend  für  die  Oberflächen- 
gestaltung der  Serrania  de  Ronda.  Sie  bildet  gewissermaßen 
einen  Wall  des  Hochlandes  gegen  das  Meer2).  Zahlreiche  Ophit- 
durchbrüche  der  Provinz  Cadiz  sind  bodenplastisch  bedeutungslos. 


1)  A.  Osann,  „Über  den  geologischen  Bau  des  Kap  Gata"  (Ztschr.  f. 
d.  Deutschen  geolog.  Gesellsch.  1891,  S.  323 — 346  u.  688 — 722).  Drei 
Kärtchen  stellen  die  Verbreitung  der  verschiedenen  Eruptivgesteine  dar. 

2)  Macpherson,  „Serrania  de  Ronda"  (vgl.  Anm.  2,  S.  273).  Calderon 
y  Arana,  „Estudio  petrogrdfico  sobre  las  rocas  vulcanicas  del  cabo  de  Gata 
y  isla  de  Alboran"  (Bol.  Com.  Mapa   geol.  de  Esp.   1881,  Bd.  IX,  S.  333). 


278  rV>  7«    Die  Guadalquivirbucht. 

7.   Die  Guadalquivirbucht. 

Die  Guadalquivirbucht,  Nieder- Andalusien,  bezeichnet  noch 
heute  am  deutlichsten  den  Verlauf  jener  rniocänen  Meerenge 
zwischen  Ozean  und  Mittelmeer,  die  erst  gegen  Ende  der  Tertiär- 
zeit im  wesentlichen  durch  Hebung  verlandet  wurde.  Sie  er- 
scheint als  ein  sehr  spitzes  Dreieck,  etwa  mit  der  Grundlinie 
Cadiz-Guadianamündung  und  der  Spitze  bei  Villacarillo.  Nament- 
lich die  nördliche  Seite  fällt  sehr  scharf  mit  dem  Guadalquivir- 
bruch  und  bis  Cantillana  (oberhalb  Sevilla),  wo  sich  der  Strom, 
von  der  Tiefe  des  Golfs  von  Cadiz  angezogen,  vom  Rande  der 
iberischen  Scholle  unter  auffallender  Richtungsänderung  ablöst, 
mit  dem  Guadalquivirlaufe  zusammen.  Die  Bucht  ist  also  zum 
großen  Teil  mit  rniocänen  Ablagerungen  gefüllt,  erst  unterhalb 
Sevilla  tritt  Pliocän  auf,  aber  auch  nur  an  den  Rändern,  am 
Strome  selbst  wird  es  durch  einen  breiten  Gürtel  diluvialer  und 
alluvialer  Gebilde  bedeckt.  Die  Form  der  Ebene  ist  daher  ledig- 
lich auf  letztere,  also  etwa  auf  ein  Dreieck,  dessen  Spitze  etwas 
unterhalb  Cantillana  liegt  und  das  wir,  auch  mit  Rücksicht  auf 
die  Stromteilung,  wohl  als  eine  Deltabildung  auffassen  können, 
beschränkt.  Noch  in  römischer  Zeit  lag  nach  dem  Zeugnisse  des 
Pomponius  Mela  (III,  5),  eines  gebornen  Südspaniers,  an  Stelle 
der  heutigen  Marismas  ein  großes  Haff,  welchem  der  Guadal- 
quivir  in  zwei  Armen  entströmte.  Nieder  -  Andalusien  ist  also 
überwiegend  welliges  Hügelland  mit  stromaufwärts  deutlich  aus- 
geprägten Höhenzügen,  den  sogenannten  Lomas  (de  Chiclana, 
de  Ubeda),  und  breiten,  tief  eingeschnittenen  Tälern  der  Neben- 
flüsse des  Guadalquivir  und  des  Stromes  selbst.  Wo  die  Miocän- 
schichten  aus  Mergeln  und  Kalkstein  bestehen,  bieten  sie  guten 
Ackerboden  (Campina  de  Cordoba)  und  tragen  sie  die  ungeheuren 
Olivenhaine  Nieder-Andalusiens,  wo  sie  aber  sandig  und  wasser- 
arm *),  hier  und  da  selbst  noch  salzhaltig  sind,  daher  der  Fluß- 
name Salado  nicht  weniger  als  siebenmal  wiederkehrend,  treten 
Ödländereien,  ja  Steppen  auf,  in  einer  Ausdehnung,  die  mit  der 
Vorstellung,  die  man  sich  gewöhnlich  von  Andalusien  macht, 
schwer  zu  vereinigen  ist. 


1)    L.  Mallada,  „Reconocimiento  geolögico  de  la  prov.  de  Jaen"  (Bol. 
Com.  Mapa  geol.  de  Esp.  1884,  Bd.  XVI). 


V.   Klimatologische  Studien. 

i.  Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine 
Folge  Wirkungen. *) 

Die  Zahl  der  Deutschen,  die,  sei  es  zu  ihrem  Vergnügen, 
sei  es  zu  ihrer  Belehrung  oder  aus  gesundheitlichen  Gründen, 
die  Mittelmeerländer,  zu  Lande  oder  zur  See,  bereisen  oder  am 
Ufer  des  Mittelmeeres  längere  oder  kürzere  Zeit  Aufenthalt  nehmen, 
wächst  außerordentlich  rasch.  Und  ebenso  wächst,  wie  man  aus 
verschiedenen  Anzeichen  schließen  muß,  die  Zahl  derjenigen  All- 
gemeingebildeten, die  sich  nicht  mit  ihrem  Reisehandbuche  be- 
gnügen, sondern  ihr  Verständnis  für  diese  Länder  auch  noch 
aus  andern  Quellen  zu  vertiefen  und  damit  den  Genuß  der  Reise 
zu  erhöhen  bemüht  sind.  Diesem  Bedürfnis  in  bezug  auf  einige 
bisher  weniger  beachtete  Fragen  entgegenzukommen  ist  der  Zweck 
dieses  Aufsatzes. 

Das  Klima  der  Mittelmeerländer,  das  ja  zu  den,  den  Nord- 
länder am  meisten  anziehenden  Eigenschaften  dieses  Länder- 
gebietes gehört,  wird  gekennzeichnet  durch  die  Milde  des  Winters 
bei  nur  mäßig  gesteigerter  Sommerwärme,  wozu  die  das  ganze 
Jahr,  aber  besonders  im  Sommer  wegen  der  wunderbaren  Mischung 
von  Land  und  Meer,  die  diesen  Erdgürtel  ferner  kennzeichnet, 
lebhaft  bewegte  Luft  beiträgt,  vor  allem  aber  durch  eine  je  weiter 
nach  Süden  um  so  schärfer  hervortretende  Scheidung  des  Jahres 
in  eine  Regenzeit  und  eine  Trockenzeit.  Die  Regenzeit  der 
Mittelmeerländer  beginnt ,  wenn  diese ,  entsprechend  der  Ver- 
schiebung des  subtropischen  Luftdrucks  an  der  Ostseite  des 
Atlantischen    Ozeans    nach    dem    scheinbaren    Gange    der   Sonne 


i)  Erschienen  in  der  Deutschen  Rundschau.     33.  Jahrg.   1907. 


280      V,   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

äquatorwärts,  in  den  Mitteleuropa  das  ganze  Jahr  kennzeichnen- 
den Gürtel  veränderlicher  Winde  eintreten;  sie  endigt,  wenn  sie 
südlich  von  diesem  Gürtel  veränderlicher  Winde  liegen  und  mehr 
das  Ausgangsgebiet  von  Luftströmungen,  also  vorzugsweise  nörd- 
licher sind.  Freilich,  der  Nordländer,  der  den  Süden  wegen  der 
Milde  des  Winters  aufsucht,  macht  sich  nicht  immer  klar,  daß 
er  da  zugleich  in  die  Regenzeit  hineinkommt,  und  empfindet  da- 
her zuweilen  eine  gewisse  Enttäuschung.  Doch  wird  er  bald  fest- 
stellen, daß  ein  Regentag  in  den  südlichen  Mittelmeerländern, 
ja  selbst  noch  an  der  Riviera,  etwas  andres  bedeutet  als  in 
Mitteleuropa;  denn  der  Satz,  den  Cicero  nach  seinen  dort  ge- 
machten Erfahrungen  aussprach,  in  Sizilien  herrsche  nie  so  schlechtes 
Wetter,  daß  man  nicht  jeden  Tag  die  Sonne  sehe,  war  in  der 
Tat  eine  nur  sehr  geringe  Übertreibung.  Vereinzelte,  kurze, 
heftige  Güsse,  die  oft  große  Niederschlagsmengen  liefern,  kenn- 
zeichnen die  Winterregenzeit  der  Mittelmeerländer.  Nach  einem 
solchen  Gusse  bricht  sofort  die  Sonne  wieder  durch.  Der  Wärme- 
gang  sowohl  in  der  täglichen  wie  in  der  jährlichen  Periode  ist 
zwar  weit  entfernt  von  der  Gleichmäßigkeit  des  reinen  See-  oder 
des  Äquatorialklimas,  aber  doch  weit  gleichmäßiger  als  in  Mittel- 
europa, um  so  gleichmäßiger,  je  mehr  die  betreffende  Örtlichkeit 
nach  ihrer  Lage  dem  Einflüsse  des  Mittelmeeres  ausgesetzt  ist. 
Dieser  bewirkt,  daß  beispielsweise  der  Unterschied  der  Mittel- 
temperatur des  wärmsten  und  des  kühlsten  Monats  in  Palermo 
nur  14,4,  in  Malta  14,0,  in  Alexandria  11,5°  C  beträgt,  gegen 
19,3  in  Frankfurt  a.  M.,  20,2  in  München.  Dieser  Gegensatz 
wird  im  allgemeinen  unter  festländischen  Einflüssen  von  Süden 
nach  Norden  und  von  Westen  nach  Osten,  ebenso  von  den 
Küsten  ins  Innere  der  Mittelmeer -Halbinseln  größer.  Aber  das 
ganze  Mittelmeergebiet  nimmt  an  der  thermischen  Begünstigung 
Europas  teil,  am  meisten  im  Winter;  denn  man  kann  sagen,  daß 
das  Mittelmeer,  das  —  dank  seiner  Abgeschlossenheit  gegen  den 
Ozean  durch  die  unterseeische  Schwelle  am  äußeren  Eingange 
der  Straße  von  Gibraltar  seine  thermischen  Verhältnisse  selbst 
regelt  und,  abgesehen  von  einer  nur  etwa  350  m  mächtigen  Ober- 
flächenschicht, mit  nach  dem  Stande  der  Sonne  veränderlicher 
Temperatur,  —  einem  gewaltigen  Troge  mit  Wasser  von  etwa 
130  C  gleicht,  der  als  mäßige  Warmwasserheizung  wirkt.  Auch 
in   den  größten  Tiefen  des  Mittelmeeres,    in  der  südwestpelopon- 


Winter  und  Winterregen  der  Mittelmeerländer.  28  I 

nesischen  Tiefe,  hat  man  bei  4400  m  noch  13,5°  C  nachgewiesen. 
Daneben  sendet  aber  auch  die  große  Wüste  als  Herd  einer  aller- 
dings meist  nicht  angenehm  empfundenen  (Scirocco)  Warmluft- 
heizung in  vereinzelten  Luftwirbeln  große  Massen  meist  staub- 
reicher, warmer  Luft  in  das  Mittelmeergebiet  hinein,  die  sich 
örtlich,  über  Gebirgswälle  herabsinkend,  ähnlich  dem  Föhn  unsrer 
Alpen,  zu  ungewöhnlichen  Wärmegraden,  noch  in  Palermo  bis 
nahe  an  500  C,  zu  erhitzen  vermag.  Obwohl  die  Niederschlags- 
mengen infolge  der  Mischung  von  warmen  Meeresflächen  und 
hohem  Lande  im  allgemeinen  größer  sind  als  in  Mitteleuropa, 
so  ist  bei  der  höheren  Wärme  die  relative  Feuchtigkeit  und  die 
Bewölkung  doch  weit  geringer,  die  Heiterkeit  des  Himmels  sehr 
viel  größer.  Tatsächlich  verfügen  die  meisten  Mittelmeerländer 
und  namentlich  die  Ostseiten  der  Halbinseln,  je  weiter  nach 
Süden  um  so  mehr,  wenn  das  dem  gerade  in  der  Regenzeit  die- 
selben besuchenden  Nordländer  auch  nicht  gleich  einleuchten 
will,  über  eine  so  große  Zahl  heiterer  Tage,  wie  sie  kaum  in 
einer  andern  Erdgegend  vorkommen  dürfte. 

Diesen  so  skizzierten  klimatischen  Charakterzügen  des  Mittel- 
meergebietes entspricht  nun  eine  ganze  Reihe  von  Folgewirkungen 
verschiedener  Art,  die  sich  einmal  vor  Augen  zu  führen  lohnend 
und  für  das  Verständnis  dieses  so  vielseitig  anziehenden  Länder- 
gürtels von  Wert  sein  dürfte. 

Zunächst  möge,  ohne  auf  feinere  physiologische  Untersuchungen 
und  Spekulationen  einzugehen,  auf  gewisse  offensichtliche  Wirkungen 
des  Klimas  auf  den  Menschen  hingewiesen  werden.  So  ist  es 
noch  nicht  lange  her,  ja  in  abgelegeneren  Orten  Italiens,  Spaniens 
und  anderwärts  tritt  uns  das  heute  noch  entgegen,  daß  der  Nord- 
länder, ehe  mit  dem  gesteigerten  Reiseverkehr  eigens  für  seine 
in  der  kurzen,  winterlichen  Regenzeit  hervortretenden  Bedürfnisse 
gebaut  wurde,  die  steinernen  Fußböden  in  den  steinernen  Häusern 
schmerzlich  empfand.  Die  Häuser  sind  eben  vorzugsweise  der 
Sommerwärme  angepaßt,  die  abzuhalten  in  Nordafrika  meist  die 
engen  Gassen  nicht  nur  mit  Weinranken  oder  Segeltuch  über- 
spannt, sondern  sogar  hier  und  da  tunnelähnlich  überwölbt  sind. 
Im  Winter  schützt  man  sich  durch  Pelzwerk  und  dicke  Kleidung, 
wohl  auch  durch  das  gefährliche  Kohlenbecken,  oder  man  sucht 
die  Sonnenseite  der  Straßen  auf.  So  kann  man  vielfach,  nament- 
lich nach  Regenwetter,   die  Bewohner  sich  sonnen  sehen,   und  in 


2  82      V,    i.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

Andalusien  spricht  man  ebenso  von  tomar  el  sol  (wörtlich:  Sonne 
nehmen),  wie  man  von  tomar  tabaco  oder  tomar  chocolate  (eine 
Schokolade  nehmen)  spricht.  Fast  das  ganze  Leben  der  Mittel- 
meervölker spielt  sich  im  Freien  ab  und  bewahrt  den  Menschen 
vor  den  üblen  Folgen  des  Lebens  in  eingeschlossener,  vielfach 
verdorbener  Luft.  Wie  viel  geringer  sind  die  Anforderungen  an 
Wohnung,  Kleidung  und  Nahrung! 

Eine  weitere  Folgewirkung  des  Mediterranklimas  liegt  darin, 
daß  der  Mensch  durch  den  Wechsel  einer  niederschlagsreichen 
und  niederschlagsarmen  Jahreszeit  förmlich  auf  die  Aufspeiche- 
rung von  Wasser  zunächst  für  sich  und  sein  Vieh,  weiterhin  aber 
auch  für  seine,  ihm  selbst  und  seinem  Vieh  Nahrung  bietenden 
Pflanzen,  also  zur  künstlichen  Berieselung  während  des 
trockenen  aber  warmen  Sommers  angeleitet  wird,  der  dann  die 
Pflanzen  um  so  besser  gedeihen  macht.  Der  Anbau  des  Bodens 
steht  daher  im  Mittelmeergebiet  unter  ganz  anderen  Bedingungen 
wie  in  Mittel -Europa.  Ohne  künstliche  Berieselung  können  nur 
Gewächse  gezogen  werden,  denen,  wie  z.  B.  der  Weizen,  die 
niedrige  Temperatur  der  Regenzeit  noch  genügt. 

Es  gibt  im  Mittelmeergebiete  ganze  Landschaften  von  größter 
Fruchtbarkeit  des  Bodens,  die  nur  für  Nomaden  und  nur  während 
der  Regenzeit  bewohnbar  waren.  War  diese  vorüber,  so  wurde  der 
Wassermangel  bald  so  groß,  daß  auch  sie  abziehen  mußten.  In 
diesen  Landschaften  hat  offenbar  das  Vorhandensein  natürlicher 
Wasserlöcher  in  Felsbecken  den  Menschen  dazu  geführt,  diese  künst- 
lich zu  vermehren,  zu  vergrößern,  sie  mit  zugeleitetem  Wasser  zu 
füllen,  und  ihm  so  die  Möglichkeit  zu  schaffen,  sich  dauernd  nieder- 
zulassen. Dies  gilt  vor  allem  von  der  Landschaft  En  Nukra  im 
nordöstlichen  Palästina,  die,  obwohl  ihr  rotbrauner,  tiefgründiger 
Boden,  ein  vulkanischer  Zersetzungsstoff,  die  reichsten  Ernten 
wundervollen  Weizens  mit  Hilfe  der  Winterregen  hervorzubringen 
vermag,  nur  durch  künstliche  Aufspeicherung  des  Wassers  dauernd 
bewohnbar  war.  Und  so  war  es  mehr  oder  weniger  für  einen 
großen  Teil  von  Palästina.  Jerusalem  selber  war  ja  im  wesent- 
lichen auf  die  Zisternen,  deren  jedes  Haus  eine  besaß  und  be- 
sitzt, und  die  großen  in  der  Bibel  so  oft  genannten  Teiche  an- 
gewiesen, die  mit  Regenwasser  gefüllt  wurden.  So  litten  während 
der  vielen  Belagerungen  wohl  die  Belagerer,  nicht  aber  die  Be- 
lagerten an  Wassermangel. 


Bedeutung  künstlicher  Bewässerung.  28  3 

Auch  in  Italien  gibt  es  Gegenden,  wo  die  Bevölkerung  allein 
auf  das  in  Zisternen  künstlich  aufgespeicherte  Wasser  angewiesen 
ist.  Nahezu  %  Mill.  Menschen,  namentlich  in  Apulien,  haben 
nur  solches,  und  da  es  in  ungenügender  Menge  vorhanden  und 
häufig  verunreinigt  ist,  so  sind  Typhus  und  andere  Erscheinungen 
dort  an  der  Tagesordnung. 

Ähnlich  war  in  einem  großen  Teile  von  Tunesien,  wo  in 
den  glücklichen  Zeiten,  deren  sich  dies  Land  in  den  ersten 
christlichen  Jahrhunderten  als  Zubehör  des  römischen  Kaiser- 
reiches erfreute,  ein  großer  Teil  seiner  dichten  Bevölkerung,  da 
es  nur  wenige  Quellen  dort  gibt  und  die  Flüsse  nur  zeitweilig 
Wasser  führen,  auf  künstliche  Aufspeicherung  der  winterlichen 
Regenmengen  angewiesen.  Nur  dadurch  war  eine  solche  Boden- 
verwertung und  Verdichtung  der  Bevölkerung  möglich.  Reste 
dieser  Anlagen,  zum  Teil  so  wohl  erhalten,  daß  die  gute  fran- 
zösische Verwaltung  sie  ohne  große  Kosten  hat  wieder  herstellen 
können,  finden  sich  noch  allenthalben.  Aber  alle  Kunst  ver- 
mochte nur  Wasser  für  Menschen  und  Tiere  aufzuspeichern,  nicht 
auch,  oder  nur  ganz  ausnahmsweise,  für  künstliche  Berieselung 
des  Landes,  obwohl  man  vielfach  Wasserbehälter  von  großen 
Ausmessungen  findet.  Brunnen  waren  nur  ausnahmsweise  möglich. 
Es  gab  ansehnliche  Städte,  die  nur  von  der  Aufspeicherung  der 
Winterregen  lebten,  die  auf  die  kahlen  Berge  der  Umgebung 
fielen.  Diese  waren  künstlich  mit  zementierten  Rinnen  überzogen, 
die  alles  Regenwasser  in  Zisternen  leiteten. 

Während  die  Franzosen  in  Algerien,  wohl  nach  spanischen 
Mustern,  wahre  Seen  hinter  mächtigen  Staudämmen  aufstauten, 
die  schon  wiederholt  bei  den  gewaltigen  Regenmengen,  die  zu- 
weilen in  den  südlichen  Mittelmeerländern  plötzlich  herabstürzen, 
weggerissen  worden  sind,  so  daß  unsägliches  Unheil  angerichtet 
worden  ist,  legten  die  Römer  zahlreiche  kleine  Stauwerke  an, 
meist  vom  Ursprung  der  Bäche  und  Flüsse  an,  was  zur  Folge  hatte, 
daß  sich  nicht  nur  der  Wasserdruck  verteilte,  ein  Becken  sich 
nach  dem  andern  füllte,  sondern  auch  der  Humus  aufgespeichert 
wurde  und  einzelne  dieser  Becken  angebaut  werden  konnten. 

Auch  im  Atlas -Vorlande  von  Marokko,  namentlich  in  den 
durch  eine  Decke  fruchtbarster  Schwarzerde  ausgezeichneten  Ge- 
bieten der  Abda  und  Dukkala,  wo  Brunnenbohrungen  sehr  schwierig 
und  kostspielig  sind,  häufig  auch  kaum  genießbares  Wasser  liefern, 


284      V,   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

Quellen  und  Flüsse  weithin  völlig  fehlen,  konnte  ich  feststellen, 
daß  diese  Gegenden  trotz  ihrer  Fruchtbarkeit  erst  durch  künst- 
liche Aufspeicherung  der  Winterregen  dauernd  bewohnbar  ge- 
worden sind.  Dort  wurde  der  Mensch  auch  wohl  zu  diesem  Ver- 
fahren angeleitet  dadurch,  daß  sich  auf  der  ihrer  Entstehung 
nach  noch  zu  schildernden  Kalkkruste  in  Vertiefungen  das  Regen- 
wasser längere  Zeit  hielt.  Man  hat  dort  in  großer  Zahl  offene, 
meist  kreisrunde  Teiche  angelegt,  die  von  flachen  Wällen  des 
ausgehobenen  Bodens  umgeben  sind.  Dagegen  sammelt  man  auf 
der  Hochebene  von  Marrakesch,  offenbar  weil  die  vom  Atlas  herab- 
kommenden Flüsse,  wenigstens  die  kleineren  nach  der  Schnee- 
schmelze versiegen  bzw.  ihr  Wasser  in  den  Geröllfeldern  versinkt, 
das  Grundwasser  der  Geröllfelder  in  außerordentlich  geschickt 
angelegten  unterirdischen  Sammelkanälen,  den  sog.  Chattaras,  die 
schließlich  als  Bäche  an  die  Oberfläche  treten. 

Künstliche  Berieselung  ist  in  den  Mittelmeerländern  gewiß, 
wenn  auch  nur  im  kleinen,  uralt.  Schon  in  den  homerischen 
Dichtungen  werden  künstlich  bewässerte  Gärten  erwähnt.  Wenn 
es  auch  denkbar  ist,  daß  die  Mittelmeervölker  künstliche  Beriese- 
lung von  Ägypten  und  Mesopotamien  her  über  Syrien  kennen 
gelernt  haben,  notwendig  ist  das  nicht.  Die  erziehende,  kultur- 
fördernde Wirkung  der  künstlichen  Berieselung  kann  nicht  gut 
überschätzt  werden.  Sie  sichert  und  erhöht  die  Ernte,  sie  zwingt 
die  Menschen  bald,  sich  zu  Genossenschaften  zusammen  zu  tun, 
um  Rieselwasser  im  großen  zu  sichern  und  weiter  zu  leiten,  sie 
zeitigt  ein  besonderes  Wasserrecht,  sie  zwingt,  um  die  Kosten 
der  Wasseranlagen  zu  decken,  zum  Anbau  reicher  lohnender  Ge- 
wächse, die,  wenn  sie  dauernde  Wasserzufuhr  bei  hoher  Wärme 
bedürfen,  eben  nur  unter  künstlicher  Bewässerung  gezogen  werden 
können  und  oft  aus  den  entferntesten  Erdgegenden  herbeigeholt 
worden  sind,  wie  schon  im  Mittelalter  Zuckerrohr  und  Baumwolle. 
Vor  allem  aber  erfordert  Baumzucht  meist  dauernde  Wasser- 
zufuhr. Wenigstens  die  Zucht  der  am  reichsten  lohnenden,  aus 
dem  regenreichen  südostasiatischen  Monsungebiete  stammenden 
Aurantiaceen  ist  nur  unter  künstlicher  Berieselung  möglich.  Der 
gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  in  den  kleinen  Küsten- 
ebenen der  andalusischen  Südküste  reichen  Ertrag  gebende  Zucker- 
rohrbau hat  großartige  Wasseranlagen  möglich  gemacht.  Der 
Charakter  ganzer  Landschaften  wird  unter  künstlicher  Berieselung 


Künstliche  Bewässerung  in  Marokko.  285 

ein  anderer.  Der  Wert  und  der  Ertrag  des  Bodens  steigern  sich 
außerordentlich.  In  Sizilien  bringt  bewässerter  Boden  20  fachen, 
in  der  Huerta  von  Murcia  bis  3  7  fachen  Ertrag  und  in  der  süd- 
lichen Huerta  von  Valencia  ist  schon  ein  Hektar  bewässerbarer 
Apfelsinenhain  mit  30  000  Franken  bezahlt  worden.  Ja  selbst 
an  sich  minderwertige  Gewächse  können  unter  künstlicher  Be- 
rieselung reichen  Ertrag  geben.  So  die  Luzerne-  und  Kleefelder 
der  Lombardei,  die  ausnahmsweise  bis  achtmal  im  Jahre  ge- 
schnitten werden  können,  ja  einige  Lombarden,  die  sich  in  der 
römischen  Campagna  angesiedelt  haben  und  mit  Hilfe  von  Riesel- 
wiesen Rom  mit  Milch  und  Butter  versehen,  erzielen  bis  zu  zehn 
Schnitte  im  Jahre.  Auf  solchen  Rieselwiesen  beruht  im  wesent- 
lichen die  hochgestiegene  und  ungeheure  Mengen  von  Butter  und 
Käse  (Gorgonzola,  Strachino,  Parmesan  usw.)  liefernde  Viehzucht 
der  niederen  Lombardei.  Man  berechnet  die  jetzt  in  Italien 
künstlich  berieselte  Fläche  auf  16  700  qkm,  zu  denen  in  Zukunft 
weitere  als  berieselbar  erwiesene  1 4  000  qkm  hinzukommen  werden. 
Italien  würde  dann  also  eine  Fläche  künstlich  berieselten  Bodens 
etwa  von  der  Größe  der  Provinz  Pommern  haben.  Nehmen  wir 
nun  den  Ertrag  dieses  Riese! landes  im  Mittel  um  zehnmal  größer  an 
(wohl  zu  hoch),  so  würde  das  also  einer  Vergrößerung  des  Landes 
um  zehn  Provinzen  wie  Pommern  entsprechen.  Der  so  viel  größere 
Ertrag  findet  aber  auch  einen  Ausdruck  in  der  viel  dichteren 
Bevölkerung,  die,  auf  kleine  Fläche  zusammengedrängt,  eine  ganz 
andere  Bedeutung  hat  als  die  gleiche  Menschenzahl,  die  über 
einen  weiten  Raum  verstreut  ist.  An  der  Nord-  und  Ostküste 
Siziliens,  die  einem  fast  ununterbrochenen  Fruchthaine  mit  künst- 
licher Berieselung  gleicht,  in  dem  bei  Palermo  eine  Quelle,  die 
nur  1  1  Wasser  in  der  Sekunde  gibt,  einer  jährlichen  Rente  von 
3000  Franken  entspricht,  drängen  sich  die  Menschen,  obwohl 
sie  fast  ausschließlich  auf  die  Bodenverwertung  angewiesen  sind, 
derartig,  daß  in  dem  Küstengürtel  von  o — 50  m  Höhe  1003  Köpfe 
(allerdings  wegen  Palermo)  auf  1  qkm  kommen.  Ähnlich  ist  es 
in  den  Huertas  von  Spanien.  In  der  größten,  der  von  Valencia, 
wohnen  200  Menschen  auf  1  qkm,  in  dem  sich  darüber  erheben- 
den Hügellande  von  Teruel  dagegen  nur    17. 

Auf  künstliche  Aufspeicherung  der  winterlichen  Regenmengen 
weisen  vor  allem  auch  die  durch  die  sommerliche  Trockenheit 
bedingten  Gegensätze    der  Wasserführung    der  Flüsse  und  Bäche 


286      V,   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

hin,  die  so  groß  sind,  daß  nur  eine  nach  Süden  hin  immer  kleiner 
werdende  Minderzahl  derselben  dauernd  Wasser  führt.  Das  Fluß- 
netz der  Mittelmeerländer,  wie  es  meist  auf  unsern  Karten  dar- 
gestellt wird,  muß  daher  bei  dem  Nichtkundigen  falsche  Vor- 
stellungen hervorrufen.  Es  müßten  Dauerflüsse  von  nur  zeitweilig 
fließenden  durch  besondere  Zeichen  unterschieden  werden,  wie 
das  Volk  schon  in  Italien  einen  Torrente  oder  eine  Fiumara  (in 
Kalabrien  und  Sizilien)  von  einem  Fiume,  in  Spanien  eine  Rambla 
von  einem  Rio,  in  Nordafrika  einen  Wadi  von  einem  Wed  unter- 
scheidet. Führen  doch  an  der  250  km  langen  Küste  von 
Palästina  von  den  zahlreichen,  aus  dem  Westjordan -Hochlande 
herabkommenden  Flüssen,  von  starken  Quellen  am  Fuße  des 
Hochlandes  gespeist,  nur  zehn  dauernd  Wasser,  aber  auch  nur 
in  der  Küstenebene.  Allerdings  hat  der  Boden,  sein  Pflanzen- 
kleid und  seine  Verwitterungs-  und  Humusdecke  auf  die  Wasser- 
stände der  Flüsse  einen  großen  Einfluß.  Denn  auch  diese  zehn 
würden  Gießbäche  sein,  wenn  sie  eben  nicht  ein  Gebiet  mit 
durchlässigem  Gestein  (Kalkfels)  entwässerten,  in  dem  sich  die 
durch  Poren,  Spalten,  Klüfte  rasch  in  die  Tiefe  sinkenden  Meteor- 
wasser zu  unterirdischen  Wasseradern,  zuweilen  wahren  unter- 
irdischen Flüssen  sammeln,  die  dann  auf  undurchlässigen  Schichten 
an  geeigneten  Stellen  zutage  treten.  Es  ist  daher  bedeutungsvoll, 
daß  die  Gestadeländer  des  Mittelmeeres  in  großer  Ausdehnung 
aus  Kalkgebirgen  bestehen,  die,  wenn  auch  nicht  zahlreichen,  so 
doch  starken  Quellen  Ursprung  geben,  welche  vielfach  geradezu 
als  zutage  tretende  unterirdische  Flüsse  oder  als  unterirdische 
Abflüsse  von  Karstseen  anzusehen  sind.  Solche  Quellen  sind 
meist  von  großer  Bedeutung,  an  ihnen  siedelt  sich  der  Mensch 
an,  sie  ermöglichen  ihm  durch  Berieselung  dem  Boden  höchste 
Erträge  abzugewinnen.  Daher  hat  man  überall  eigene,  fast  überall 
das  Gleiche  bedeutende  Namen  für  solche  Quellen:  Ras  el  Arn 
in  Syrien,  Kephalari  in  Griechenland,  Capo  d'acqua  in  Italien, 
Nacimiento  in  Spanien.  Freilich  tragen  diese  Kalkgebiete  überall 
den  Charakter  der  Karstländer:  Palästina,  der  Südrand  Klein- 
asiens, der  ganze  Westrand  der  südosteuropäischen  Halbinsel, 
Apulien  usw.  Das  obere  Tibergebiet  gibt  uns  ein  lehrreiches 
Beispiel  für  den  Einfluß  des  Bodens  auf  die  Wasserstände  der 
Flüsse.  Der  obere  Tiber  entwässert  ein  fast  durchweg  aus  un- 
durchlässigen Felsarten  aufgebautes  Gebiet,  und  der  Fluß  schwillt 


Dauer-  und  zeitweilige  Flüsse.  287 

daher  nach  heftigem  Regen  oder  rascher  Schneeschmelze  im 
Apennin  gewaltig  an,  während  er  in  der  Trockenzeit  zu  einem 
dünnen  Wasserfaden  herabsinkt,  der  bei  tiefstem  Stande  nur 
5  cbm  Wasser  führt.  Dagegen  sammelt  der  erste  größere  Neben- 
fluß des  Tiber,  die  Nera,  ihre  Gewässer  in  einem  an  mächtigen 
Kalkstöcken  reichen  Gebiete  der  Apenninen  und  wird  daher  vor- 
zugsweise von  starken  Quellen  genährt.  Sie  hat  daher  im  Mittel 
eine  Wasserführung  von  100  cbm  in  der  Sekunde  und  selbst  bei 
niedrigstem  Stande  noch  68  cbm.  Es  leuchtet  ein ,  daß  der 
Kulturwert  beider  Flüsse  völlig  verschieden  ist.  Am  Tiber  würden 
gewerbliche  und  Bewässerungsanlagen  in  der  einen  Zeit  weg- 
gerissen, in  der  andern  ohne  Wasser  sein,  während  an  der  Nera 
das  ganze  Jahr  die  gleichen  Wassermengen  als  Triebkraft  und 
zu  Bewässerungen  zur  Verfügung  stehen.  So  führen  die  meisten 
Flüsse  des  hybläischen  Berglandes  in  Südost-Sizilien,  obwohl  dies 
der  niederschlagsärmste  Teil  der  Insel  ist,  dauernd  Wasser,  weil 
sie  in  dem  aus  Kalkfels  und  vulkanischem  Gestein  aufgebauten 
Lande  von  Quellen  genährt  werden,  während  im  niederschlags- 
reicheren peloritanischen  Gebirge  der  Nordostecke  der  Insel  den 
undurchlässigen  Felsarten,  besonders  Gneisen,  Fiumare  entsprechen, 
die  zu  den  wildesten  gehören,  die  man  kennt.  Ähnlich  ist  es 
in  den  Atlasländern,  wo  man  die  wirklichen  Flüsse  leicht  zählen 
kann  —  in  Tunesien  gibt  es  tatsächlich  nur  zwei  —  und  der 
größte  Fluß  Algeriens,  der  Schelif,  bei  niedrigstem  Stande  nur 
3 — 5  cbm,  bei  höchstem  1400  cbm  in  der  Sekunde  wälzt.  Die 
Schiffbarkeit  der  Mittelmeerflüsse  und  überhaupt  ihr  Kulturwert, 
wo  sie  nicht  zu  künstlicher  Berieselung  verwendet  werden  können, 
ist  daher  sehr  gering.  Von  Binnenschiffahrt,  die  doch  im  übrigen 
Europa  eine  so  große  Rolle  spielt  und  beispielsweise  die  groß- 
gewerbliche Entwicklung  des  Deutschen  Reichs  in  so  hohem 
Grade  gefördert  hat,  ist  im  mediterranen  Europa  kaum  die  Rede. 
Ja,  die  Mittelmeerflüsse  sind  vielfach  schwere  Verkehrshindernisse, 
die  zu  überwinden  allen  Scharfsinn  der  Wegebaumeister  und 
große  Kosten  erfordert.  Die  beiden  wichtigen  Küstenbahnen 
Kalabriens  haben  eine  große  Zahl  von  fast  immer  trocken  da- 
liegenden Fiumaren  in  mächtigen,  langen  Brücken  überschreiten 
müssen,  die  doch  noch  häufig  zerstört  werden,  wenn  sich  die 
Geröllmassen,  die  diese  plötzlich  dahertobenden  Ungeheuer  mit 
sich    schieben,    vor    den    Brückenbögen    stauen.     In    besonderen 


288      V,   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

Fällen  zieht  man  es  vor,  die  Gießbäche  in  breiten  Brücken  über 
die  Eisenbahnen  hinwegschießen  zu  lassen.  In  Spanien  ist  man 
bei  Straßenbauten  auf  den  billigeren  Ausweg  verfallen,  daß  man 
das  Bett  der  Gießbäche,  dort  wo  die  Straße  sie  zu  überschreiten 
hat,  in  breitem,  flachem,  aber  stark  geneigtem  Bett  abpflastert. 
Dann  schießen  die  Wasser-  und  Gerölimassen  rasch  zu  Tal,  so 
daß  man,  auch  wenn  die  Gießbäche  angeschwollen  sind,  durch 
sie  hindurchfahren  kann.  Aber  selbst  diese  Anlagen  werden  noch 
zuweilen  zerstört,  wenn  auch  nicht  so  oft  wie  Brücken,  die  man 
bei  Dauerflüssen  doch  nicht  entbehren  kann.  Wenn  der  Reisende 
daher  in  Spanien  oft  gewaltige  Brücken  in  hohen  Bögen  über 
armselige  Wässerchen  gespannt  sieht,  so  würde  er  das  in  diesem 
Falle  mit  Unrecht  spanischer  Prunksucht  zuschreiben. 

Anderwärts  haben  die  Mittelmeerflüsse,  da  in  dem  trockenen 
Klima  die  Tiefenerosion  rascher  arbeitet,  wie  die  allgemeine  Ab- 
tragung des  Landes  tiefe  canonartige  Schluchten  gebildet,  und 
fließen  sie  daher  tief  unter  der  Landoberfläche,  so  daß  sie  schwer 
zu  überschreiten  und  schwer  zu  Berieselungszwecken  zu  ver- 
wenden sind.  So  besonders  auf  dem  iberischen  Tafellande  und 
dem  ihm  so  ähnlichen  Atlasvorlande  von  Marokko,  aber  auch 
auf  der  südosteuropäischen  Halbinsel  und  anderwärts.  Während 
der  Trockenzeit  lösen  sich  viele  Flüsse,  indem  sie  zu  fließen 
aufhören,  in  Tümpel  auf  oder  erzeugen  Sümpfe,  die  Brutstätten 
von  Stechmücken. 

Sehr  groß  ist  die  geomorphologische  Bedeutung  des  Medi- 
terranklimas. Es  beeinflußt  die  Oberflächenformen,  den  Land- 
schaftscharakter und  bewirkt  vor  allem,  daß  die  Abtragung  des 
Landes,  die  Einebnung  der  Gebirge  und  dementsprechend  auch 
die  Zurückdrängung  des  Meeres  durch  neu  angeküstetes  Land 
rascher  vor  sich  geht  als  vielleicht  irgendwo  auf  der  Erde.  Selbst- 
verständlich wird  der  petrographische  Aufbau  des  Landes  diese 
klimatischen  Einflüsse  bald  fördern,  bald  verlangsamen.  Auch 
der  Mensch  wird  durch  Eingriffe  in  die  Natur,  z.  B.  durch  Wald- 
verwüstung, diese  klimatisch  bedingten  Gefahren  noch  erhöhen. 
Am  raschesten  dürfte  sich  die  Abtragung  vollziehen  in  Gebieten 
von  leicht  zerstörbarem  Gestein,  namentlich  in  tonigem  Gelände. 
Während  des  langen  Sommers  trocknet  der  Boden  aus,  reißt  in 
Spalten  auf,  die  den  plötzlich  und  in  gewaltigen  Güssen  ein- 
setzenden Winterregen  willkommene  Angriffslinien  bieten.     Ganze 


Flüsse  im  Mittelmeerklima. 


:8g 


Landschaften  werden  dann  in  kurzer  Zeit  von  tiefen  Schrunden 
zergliedert,  ganze  Hänge  setzen  sich  in  Bewegung,  die  Täler 
werden  aufgehöht  und  gleichen  trägen  Schlammströmen,  Flächen, 
die  noch  von  Bäumen  besetzt  sind,  deren  Laub  die  Regenwasser 
aufhält,  auch  den  Boden  vor  zu  großer  Austrocknung  schützt, 
deren  Wurzeln  den  Boden  festhalten,  werden  in  kurzer  Zeit  zu 
Hügeln  herauspräpariert.  In  Toskana  gibt  es  Gegenden,  deren 
Oberfläche  sich  infolgedessen  so  rasch  verändert,  daß  man  alle 
zehn  bis  zwanzig  Jahre  die  Feldgrenzen  neu  festlegen  muß.  Da 
ein  großer  Teil  der  Apenninen,  die  man  irrtümlich  häufig  als 
ein  Kalkgebirge  bezeichnet,  aus  tertiären  Tonen  aufgebaut  ist, 
namentlich  in  dem  Außengürtel,  von  Piemont  bis  nach  Sizilien: 
so  sind  dort  derartige  Veränderungen,  wahre  Gleiterscheinungen 
und  Bergschlipfe,  im  Winter  nach  dem  Einsetzen  des  Regens 
außerordentlich  häufig.  Nicht  allein,  daß  die  Schaffung  und  Er- 
haltung von  Verkehrswegen  dadurch  sehr  erschwert  und  verteuert 
wird,  nicht  allein,  daß  die  Eisenbahnen  häufig  zerstört  werden, 
indem  der  ganze  Bahnkörper  mit  den  Hängen  ins  Gleiten  kommt 
und  man  dann  neben  einer  noch  benutzbaren  Linie  hier  und  da 
ein  paar  zerstörte  sieht  —  nein,  auch  viele  Siedelungen  sind 
beständig  bedroht,  und  kein  Winter  vergeht,  in  dem  nicht  die 
eine  oder  die  andere  ganz  oder  teilweise  zerstört  wird  und 
Menschenleben  verloren  gehen.  Diese  durch  Boden  und  Klima 
bedingten  Gleiterscheinungen  (Frane)  gehören  geradezu  neben 
dem  Erdbeben  und  der  Malaria  zu  den  Landplagen  Italiens. 
Die  besonders  heftig  einsetzenden  Herbstregen  des  Jahres  1896, 
um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  bewirkten  derartige  Gleiterschei- 
nungen, daß  das  ganze  Dorf  Sant'  Anna  de  Pieve  Pelago  in  der 
Landschaft  Frignano  des  Apennin  dell'  Emilia,  1 1 8  Häuser  und 
60  Ställe,  zerstört  wurden.  Die  Quellen  verschwanden,  Gießbäche 
wurden  abgelenkt  und  die  Staatsstraße  zerstört.  Die  uralte 
Etruskerstadt  Volterra,  die  auf  einer  Felsplatte  inmitten  solch 
gleitenden  Geländes  liegt,  ist  in  langsamer  Zerstörung  begriffen. 
Sehr  übel  treten  diese  Erscheinungen  auch  im  obersten  Tiber- 
gebiet hervor.  Dort  bildete  sich  1  km  südlich  von  Pieve  St.  Stefano 
am  17.  Februar  1855  dadurch,  daß  ein  Berghang  ins  Tal  hinab- 
glitt und  den  Fluß  abdämmte,  ein  60  m  tiefer  See,  der  das 
Städtchen  unter  Wasser  setzte  und  den  Boden  so  mit  Schlamm 
aufhöhte,    daß  man  die  Erdgeschosse  der  Häuser  dauernd,  auch 

Fischer,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge.  19 


2QO      V,   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

nachdem  der  See  sich  bald  wieder  geleert  hatte,  in  Keller  ver- 
wandeln mußte.  Frisch  gepflügtes  Ackerland  pflegt  so  im  Oktober 
und  November  großer  Mengen  des  besten  Bodens  beraubt  zu 
werden. 

Dementsprechend  ist  natürlich  die  Geröll-  und  Schlamm- 
führung der  Flüsse  eine  ungeheure.  Sie  hat  hier  und  da  eine 
Schätzung  der  Abtragung  der  betreffenden  Flußgebiete  erlaubt. 
Alle  vorliegenden  Schätzungen  scheinen  ihrerseits  zu  bestätigen, 
daß  die  Abtragung  sehr  rasch  vor  sich  geht,  rascher  als  wohl 
irgendwo  auf  der  Erde.  Von  dem  kleinen,  aber  außerordentlich 
geröllreichen  geschichtlichen  Grenzflusse  zwischen  Frankreich  und 
Italien,  dem  Var,  nimmt  man  an,  daß  er  jährlich  12  Mill.  cbm 
Geröll  und  Schlamm  ins  Meer  schiebt,  vierzigmal  so  viel  als  der 
Rhein  bei  Germersheim  vorbeiführt,  und  daß  er  demnach  sein 
Einzugsgebiet  in  nur  310  Jahren  um  1  m  erniedrige.  Mag  das 
vielleicht  auch  eine  zu  hohe  Schätzung  sein,  so  hat  man  doch 
auch  für  das  Einzugsgebiet  des  Po  die  Abtragung  um  1  m  in 
2400  Jahren  und  seine  Sinkstofführung  auf  46  Mill.  cbm  ge- 
schätzt. Für  den  Tiber  liegt  eine  neue,  auf  gute  Beobachtungen 
gestützte  Berechnung  vor,  nach  der  sein  Stromgebiet  in  3758 
Jahren  um  1  m  erniedrigt  wird.  Das  sind  alles  Werte,  denen 
nur  wenige  Stromgebiete  gleichkommen.  Schon  die  Namen  vieler 
Mittelmeerflüsse  deuten  auf  ihre  reiche  Sinkstofführung  hin.  So 
werden  viele  danach  als  Weißwasser  bezeichnet:  Aspropotamo, 
Aksu,  Guadalaviar,  Argens,  wie  auch  der  Tiber  bei  den  Römern 
stets  als  flavus  Tiberis  bezeichnet  wird.  Beim  toskanischen 
Ombrone,  der  vorzugsweise  ein  toniges  Gebiet  entwässert,  steigt 
neuerdings  die  Schlammführung  gelegentlich  auf  8  °/0 ,  während 
der  gerade  nach  seiner  reichen  Sinkstofführung  benannte  Hoangho 
nur  0,5  %  Sinkstoffe  führt.  Bei  vielen  Mittelmeerflüssen  ist  auch 
das  Meer  weithin  durch  sie  getrübt,  wie  schon  Herodot  angibt, 
daß  die  griechischen  Seefahrer  annahmen,  sie  befänden  sich  noch 
eine  Tagesfahrt  von  der  ägyptischen  Küste,  wenn  sie  das  durch 
den  Nil  getrübte  Wasser  erreicht  hatten.  So  sah  ich  den  durch 
die  Frühlingsregen  geschwellten  Sebau,  den  Hauptfluß  der  großen 
Kabylei  in  Algerien,  licht  gefärbte  Wassermassen  ins  Mittelmeer 
wälzen,  die  aber  sofort  von  der  Küstenströmung  nach  Osten  ab- 
gelenkt wurden.  Die  Deltabildung  fast  aller  Gewässer  der  Mittel- 
meerländer   hängt   mit    dieser   reichen  Sinkstofführung  zusammen, 


Schlammführung  der  Flüsse.  2QI 

ist  also  auch  mittelbar  eine  Folgewirkung  des  Mittelmeerklimas. 
Kann  man  doch  annehmen,  daß  die  Landfläche  Italiens  jetzt 
sich  jährlich  um  i  —  1%  qkm  in  dieser  Weise  vergrößert.  An 
der  Arno-  und  Serchiomündung  wird  das  angeschwemmte  Land 
von  Zeit  zu  Zeit  vom  Staat  veräußert.  Für  Frankreich  hat  man 
den  Wert  der  so  dem  Lande  durch  die  Flüsse  entzogenen  Fest- 
stoffe auf  30  Mill.  Franken  jährlich  geschätzt. 

In  Italien  wendet  man  jetzt  ein  Verfahren  an,  einen  Teil 
dieser  Feststoffe  im  Innern  des  Landes  künstlich  zur  Ablagerung 
zu  bringen,  also  ähnlich  wie  in  Ägypten,  nur  gilt  es  hier  in  erster 
Linie  der  Bekämpfung  der  Malaria.  Es  ist  das  sogenannte  Col- 
mata- System,  das  darin  besteht,  daß  man  das  sinkstoffreiche 
Wasser  in  künstliche  Becken  leitet  und  es  dort  seine  Flußtrübe 
ablagern  läßt.  Diese  gibt  in  der  Ebene  von  Grosseto  aus  dem 
Ombrone  auf  je  7  m  Wasser  Y2  m  Schlamm.  Durch  derartige 
künstliche  Ablagerung  und  Aufhöhung  des  Bodens  mit  etwa 
130  Millionen  cbm  hat  man  dort  eine  Fläche  von  120  qkm  trocken 
und  gesund  gemacht.  Die  großartigste  Leistung  Italiens  in  dieser 
Hinsicht  ist  wohl  die  Aufhöhung  einer  200  qkm  großen  Fläche 
im  toskanischen  Chiana- Tale  um  2  —  5  m,  wodurch  eine  neue 
Wasserscheide  zwischen  Tiber  und  Arno  geschaffen,  den  vorher 
stagnierenden  Gewässern  Gefäll  verliehen  und  dadurch  das  früher 
malariaverpestete  Chiana -Tal  gesund  geworden  ist.  Viel  älter 
aber  ist  ein  anderes  Verfahren,  die  Davonführung  der  fruchtbaren 
Verwitterungsdecke  durch  Wind  und  Regen  zu  verhindern  und 
selbst  steil  geneigte  Hänge  dem  Anbau  zu  gewinnen:  die  Terras- 
sierungen.  Bei  der  im  allgemeinen,  aber  namentlich  einen  großen 
Teil  des  Jahres  herrschenden  Trockenheit  geht  die  Verwitterung 
des  Felsbodens  viel  langsamer  vor  sich,  namentlich  die  chemische. 
Die  Regen  leisten  viel  mechanische,  aber  wenig  chemische  Arbeit. 
Der  Pflanzenwuchs  wirkt  nur  wenig  zersetzend.  Mehr  tragen  die 
starken  Temperaturschwankungen  zur  Lockerung  des  Gefüges  der 
Felsen  bei.  Und  die  sich  bildende  Verwitterungsdecke  wird 
durch  keine  Rasennarbe,  ja  überhaupt  kaum  durch  Vegetation 
geschützt,  in  der  Trockenzeit  vom  Wind,  in  der  Regenzeit  von 
den  heftigen  Güssen  davongetragen.  Das  Fehlen  einer  Humus- 
decke ist  daher  charakteristisch  besonders  für  die  südlichen 
Mittelmeerländer,  in  erster  Linie  die  Kalkgebiete,  die  daher, 
wie   Griechenland    und  Palästina   den  Eindruck   wahrer  Felsland- 

19* 


2Q2      V,   i.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

Schäften  machen.  Aber  auch  dieser  Umstand  wirkte,  wenn  erst 
eine  gewisse  Kulturhöhe  erreicht  war,  kulturfördernd:  er  spornte 
an,  die  kostbare,  im  Laufe  langer  Zeiträume  gebildete  Verwitte- 
rungsdecke künstlich  zurückzuhalten.  So  sammelte  man  die  Fels- 
brocken zu  schützenden  Wällen  und  Stützmauern  und  wandelte 
die  geneigten  Hänge  in  Terrassen  um,  wie  wir  sie  noch  heute  im 
Libanon  und  in  einzelnen  Gegenden  Italiens  sehen,  wie  sie  aber 
nach  den  vorhandenen  Spuren  zu  schließen  besonders  in  Palä- 
stina allgemein  waren.  Es  ist  bewundernswert,  was  viele  Genera- 
tionen an  derartigen  Kulturarbeiten  in  den  Mittelmeerländern  ge- 
leistet haben. 

Da  es  im  Mittelmeergebiet  auch  abflußlose  Gebiete  gibt,  so 
sind  diese  gleichfalls,  wie  in  anderen  Erdgegenden  Gebiete  natür- 
licher Aufhöhung  des  Landes  und  natürlicher  Umgestaltung  der 
Oberfläche.  Am  meisten  gilt  dies  von  dem  Steppenhochlande 
von  Algerien,  in  dem  zahlreiche  Flüsse  des  Sahara- Atlas  und 
auch  einige  des  Teil-  und  marokkanischen  Atlas  ihr  Ende  finden 
und  den  Boden  mit  ihren  Geröll-  und  Sinkstoffmengen  aufhöhen. 
Dadurch  zerfällt  dies  Hochland  heute  in  zahlreiche  Einzelbecken, 
deren  tiefste  Stellen  meist  von  flachen,  im  Sommer  vielfach  ganz  ver- 
dunstenden Salzseen  eingenommen  sind.  Kahle  felsige  Bergketten 
ragen  noch  aus  den  mächtig  aufgehöhten  Schuttmassen  auf.  Doch 
beginnt  diese  Aufhöhung  schon  um  die  Mitte  der  Tertiärzeit.  Sie 
dauert  aber  noch  heute  an,  und  neben  dem  rinnenden  Wasser  wirkt 
hier  bereits  während  der  Trockenzeit  der  Wind  als  Bildner  der 
Erdoberfläche.  Auch  im  südöstlichen  Tunesien  gibt  es  solche  ab- 
flußlose Becken,  und  selbst  im  Atlasvorlande  von  Marokko  sah 
ich  Gießbäche  von  der  oberen  Stufe  herabkommen,  die,  ohne 
das  Meer  oder  einen  der  größeren  Flüsse  erreichen  zu  können, 
ermattend  und  versiegend  ihre  Sinkstoffe  auf  der  unteren  fallen 
lassen.  Auch  in  Spanien  kommt  dies  im  kleinen  vor,  im  größeren 
Maßstabe  wieder  im  Innern  von  Kleinasien. 

Eine,  wie  in  neuerer  Zeit  vielfach  beobachtet  worden  ist, 
außerordentlich  rasche  Abtragung  des  Landes  findet,  allerdings 
unter  Mitwirkung  des  Menschen,  der  die  Wälder  verwüstet,  in 
den  sehr  ausgedehnten  Kalkgebieten  der  Mittelmeerländer  statt, 
eine  Erscheinung,  die  man  mit  der  Bezeichnung  Verkarstung  am 
besten  kennzeichnet.  Je  reiner  der  Kalkfels  ist,  in  um  so 
höherem  Maße  unterliegt  er  der  völligen  chemischen  Verwitterung, 


Abtragung  des  Landes. 


293 


um  so  geringer  ist  der  unlösliche  Rückstand  roter  eisenhaltiger 
Tonerde.  Werden  nun  die  Wälder,  die  auch  diese  Kalkgebirge 
bedecken  und  bedeckten,  verwüstet,  so  wird  in  kurzer  Zeit  die 
in  langen  Zeiträumen  gebildete  Verwitterungsschicht  abgeschwemmt, 
und  der  kahle  Fels  tritt  zutage,  der  sehr  bald  eine  grauliche, 
weißliche  Färbung  annimmt  und  seinerseits  der  chemischen  Ver- 
witterung nun  um  so  rascher  unterliegt,  so  daß  sich  bald  Karren- 
felder bilden  und  die  ganze  Landschaft  einer  öden  Felswüste 
gleicht,  ohne  Wasser,  da  dieses  rasch  in  die  Tiefe  sinkt,  ohne 
Pflanzenkleid.  Gibt  es  doch  im  Karstlande  Montenegro  Gegenden, 
die  eine  Niederschlagshöhe  von  4  m  haben,  die  höchste  in 
Europa  vorkommende,  und  wo  die  Hirten,  die  im  Sommer  hier 
ihre  Herden  weiden,  auf  die  erhaltenen  und  künstlich  geschützten 
Schneeanhäufungen  als  einziges  Trinkwasser  angewiesen  sind! 
Auch  in  Mitteleuropa  gibt  es  Kalkgebiete,  die  unvorsichtiger- 
weise entwaldet  worden  sind,  aber  von  der  furchtbaren  Öde  der 
Karstlandschaften,  die  das  Mittelmeerklima  schafft,  geben  sie  keine 
Vorstellung.  Doch  trägt  zur  Verödung,  neben  den  heftigen 
Herbst-  und  Winterregen,  auch  der  trockene  Sommer  und  der 
Wind,  vor  allem  in  Dalmatien  die  Bora  bei,  die  allen  gelockerten 
Boden  davonführt.  Auch  die  Zucht  von  Ziegen  und  Schafen, 
die  das  Pflanzenkleid  noch  weiter  zerstören  und  den  Boden 
lockern,  kommt  hinzu. 

Aber  nicht  bloß  Kalklandschaften  werden  infolge  unvorsich- 
tiger Entwaldung  und  unter  der  Einwirkung  geschichtlicher  Vor- 
gänge im  Mediterranklima  rasch  ihrer  Humusdecke  beraubt,  mehr 
oder  weniger  gilt  dies  auch  von  allen  anderen  Gesteinsarten. 
Und  das  Mediterranklima  ist  es  dann  auch ,  das  bei  einem 
Kulturrückgange  und  in  andern,  dem  freien  Walten  der  Natur 
günstigeren  Zeitläufen  vielfach  verhindert,  daß  der  Boden  sich 
von  selbst  wieder  mit  Wald  bedeckt,  wie  es  doch  in  dem  feuchten 
Klima  von  West-  und  Mitteleuropa  der  Fall  sein  würde.  Hie 
und  da  ist  das  wohl  der  Fall  gewesen  und  würde  es  noch  heute 
der  Fall  sein,  aber  meist  entwickelt  sich  nur  Gestrüpp,  wie  ja 
die  Vegetationsformation  der  Macchia  die  Mittelmeerländer  kenn- 
zeichnet. Aber  so  traurig  der  Eindruck  ist,  den  man  empfindet, 
wenn  man  diese  unwirtlichen  Felslandschaften  fast  rings  um  das 
Mittelmeer  durchwandert,  um  so  malerischer  erscheinen  sie  von 
fern,  etwa  vom  Meere  aus  gesehen.    Sie  geben  mit  ihren  Formen 


2Q4      V,   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

und  Farben  der  Mittelmeerlandschaft  ihren  besonderen  Reiz. 
Wem  werden  nicht  die  kahlen  Felsklötze,  die  Felskegel  und  Fels- 
wände, welche  die  Bucht  von  Palermo  umsäumen  und  steil  über 
dem  üppig  grünen  Fruchthaine  der  Conca  d'Oro  aufsteigen,  un- 
vergeßlich sein?  Vor  allem  der  Monte  Pellegrino !  In  wessen 
Gedächtnis  wird  sich  je  das  Bild  verwischen,  das  er  auf  der 
Akropolis  von  Athen  oder  von  Akrokorinth  und  von  andern 
Punkten  der  griechischen  Landschaft  empfangen  hat,  namentlich 
bei  einem  schönen  Sonnenuntergänge?  Vielfach  treten  uns 
infolgedessen  im  Mittelmeergebiet  auch  in  geringer  Höhe,  ja  am 
Meere  selbst,  Formen  entgegen,  die  wir  sonst  nur  im  Hoch- 
gebirge zu  sehen  gewohnt  sind.  Und  welchen  Eindruck  macht 
es,  zu  schweigen  von  den  meist  von  kahlen  Felsgebirgen  um- 
schlossenen Huertas  und  Vegas  Spaniens,  wenn  man  plötzlich  in- 
mitten dieser  öden  Felslandschaften  in  einer  Doline  oder  Polje 
oder  in  einem  der  Täler  des  Antilibanon  eine  üppig  grüne  Oase, 
einen  großen  Garten  der  herrlichsten  Fruchtbäume  erblickt,  den 
dort  der  von  Wind  und  Regen  zusammengetragene  Verwitterungs- 
boden mit  dem  Wasser  hat  aufsprießen  lassen,  welches  das  Ge- 
birge aus  seinem  Innersten  zutage  sendet! 

Der  Wind  spielt  in  den  Mittelmeerländern  als  abtragende, 
davonführende  und  ablagernde  Kraft  bei  der  allgemeinen,  aber 
namentlich  im  Sommer  so  scharf  hervortretenden  Trockenheit 
eine  weit  größere  Rolle  als  in  feuchten  Ländern.  Namentlich 
auch  bei  der  Nähe  des  größten  Wüstengebiets  der  Erde.  Bei 
dem  großen,  sorgsam  in  seinen  Ausgängen  aus  der  nördlichen 
Sahara,  südlich  von  Tunesien  und  auf  seinem  Wege  durch  Tu- 
nesien, quer  über  das  Mittelmeer,  über  Italien  und  Deutschland 
bis  an  die  Ostsee  erforschten  Staubsturme  vom  g.  bis  12.  März  1901 
wurden  allein  in  Nordafrika  150  Millionen  Tonnen  Feststoffe 
abgelagert.  Die  zahlreichen  Tafelberge  und  kleinen  Tafelrücken- 
gebirge im  Atlasvorlande  von  Marokko  sind  als  „Zeugen"  äoli- 
scher  Denudation,  der  Abtragung  durch  Wind  aufzufassen.  Die 
abgetragenen  Massen  sind  dann  zum  Teil  im  Küstengürtel,  wo 
der  Boden  während  des  Winters  doch  etwas  mehr  durch- 
feuchtet wurde  und  ein  zum  Teil  außerordentlich  üppiges  Kleid, 
freilich  meist  nur  einjähriger  Pflanzen  unter  Ausschluß  aller  Holz- 
gewächse trägt,  als  Staub  abgelagert  und  von  dem  feuchten 
Boden  und  der  Pflanzendecke  festgehalten  worden.    Unter  Hinzu- 


Geologische  Arbeit  des  Windes.  2QK 

kommen  der  pflanzlichen  Zersetzungsstoffe  hat  sich  so  die  äußerst 
fruchtbare  Decke  von  Schwarzerde  gebildet,  die  in  einer  Aus- 
dehnung von  etwa  20000  qm  die  untere  Stufe  des  Atlasvorlands  von 
Marokko  zu  einer  der  Kornkammern  der  Erde  machen  könnte.  Auch 
in  Südtunesien  und  in  Algerien  kann  man  häufig  die  abtragende 
und  ablagernde  Tätigkeit  des  Windes  beobachten.  Aber  auch 
sonst  ist  sie  vielfach  bezeugt.  So  berichtet  uns  der  Geologe 
E.  Tietze  aus  dem  kleinasiatischen  Lykien  von  bedeutenden 
Staubablagerungen  und  Lößbildung  in  der  Dumbre-Ebene.  Das 
alte  Theater  von  Myra  und  viele  Felsengräber  stecken  jetzt  tief 
in  seitdem  abgesetztem  Löß.  Eine  im  fünften  oder  sechsten  Jahr- 
hundert errichtete  Kirche  des  heiligen  Nikolaus,  die  noch  heute 
benutzt  wird,  ist  mit  ihrem  unteren  Gemäuer  inmitten  der  Löß- 
absätze verschwunden,  so  daß  man  wiederholt  Grabungen  hat 
vornehmen  müssen,  um  den  Eingang  in  das  Gotteshaus  zugänglich 
zu  erhalten.  Das  Niveau  der  Lößebene  liegt  nahezu  4  m  über 
dem  Fußboden  der  Kirche.  Es  hätte  sich  also  hier  die  Löß- 
schicht um  Y3  m  im  Jahrhundert  erhöht.  Die  nach  ihrer  vor- 
herrschenden Färbung  benannte  Terra  rossa,  der  unlösbare  Rück- 
stand chemisch  verwitterter  KalkfelsmasseD ,  aus  denen  ja  die 
Mittelmeerländer  in  großer  Ausdehnung  aufgebaut  sind,  ist  auch 
ihrerseits  vielfach  durch  Wind  umgelagert. 

Als  eine  Folgewirkung  des  Mediterranklimas  muß  auch  eine 
Erscheinung  angesehen  werden,  die  bisher  nach  ihrer  Entstehung 
und  Bedeutung  nicht  hinreichend  gewürdigt  worden  ist:  die  Bil- 
dung einer  Kalkkruste.  Man  hat  dieselbe  vielfach  für  an- 
stehenden Fels  gehalten,  während  es  sich  tatsächlich  nur  um  eine 
oft  kaum  1 — 2  cm,  zuweilen  aber  auch  einen  halben  Meter  und 
mehr  mächtige  neu  gebildete  Kruste  handelt,  deren  Zusammen- 
setzung aus  lauter  ganz  dünnen  Lagen,  etwa  wie  beim  Karls- 
bader Sprudelstein,  häufig  deutlich  zu  erkennen  ist.  Unter  der 
Kruste  befindet  sich  ein  ganz  weiches,  bröckeliges  Gestein,  ja 
nicht  selten  ist  geradezu  Flußgeröll  durch  Bildung  einer  Kalk- 
kruste fest  verbunden.  Die  Oberfläche  kann,  namentlich  wenn 
sie  noch  von  Flechten  bedeckt  ist,  ganz  den  Eindruck  von  ge- 
schichtetem Kalkgestein  machen.  Jedenfalls  ist  der  Boden  durch 
die  Kruste  ganz  verschlossen.  Er  bringt  kaum  in  Spalten  und 
Löchern  einige  kümmerliche  Pflanzen  hervor,  die  steppenartig 
dürftigstes  Weideland  bilden,  so  daß  namentlich  die  mitten  im  Ge- 


2QÖ      V,   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

biete  der  Schwarzerde  vorkommenden  Kalkkrusten  den  grellsten 
Gegensatz  zu  den  Fruchtgefilden  jener  bilden.  Ihre  Farbe  ist 
immer  eine  lichte,  äußerlich  grau.  Die  mit  dem  Namen  Ham- 
mada bezeichnete  Erscheinungsform  der  Wüste  beruht  häufig  auf 
einer  solchen  Kalkkruste. 

Die  Verbreitung  dieser  Kalkkruste  ist  in  den  südlichen 
Mittelmeerländern  eine  sehr  große.  Ich  sah  sie  im  Atlasvorlande 
von  Marokko  häufig  sowohl  auf  der  unteren  Stufe  wie  auf  dem 
weiten  Schotterfelde  am  Fuße  des  hohen  Atlas  und  bei  Marra- 
kesch.  Dort  löste  sich  unter  mechanischen  Einflüssen,  wie  den 
Hufen  der  Last-  und  Reittiere,  die  Kalkkruste  häufig  wieder  in 
die  Gerolle  auf,  die  sie  verbunden  hatte.  Sie  bildet  oft  große, 
geschlossene  Flächen,  gelegentlich  aber  auch  flache  Schalen,  in 
denen  sich  das  Regenwasser  eine  Weile  hält.  Geringe  Neigung 
des  Bodens  scheint  überall  eine  Rolle  zu  spielen.  Selbst  in  dem 
Dünengürtel  von  Mogador  in  Südwest-Marokko  fand  ich  Stücke 
dieser  Kalkkruste  eingeschaltet,  die  landeinwärts  immer  größer 
wurden  und  eine  geschlossene  Decke  bildeten.  In  Algerien  und 
Tunesien  kehrt  sie  überall  wieder,  namentlich  in  großer  Ausdeh- 
nung auf  dem  inneren  Steppenhochlande.  Der  einheimische 
Name  dafür  ist  in  Tunesien  Tafaize.  In  der  nördlichen  algeri- 
schen Sahara  bildet  diese  kalkige  oder  gipsigkalkige  Kruste  als 
Abschluß  und  Neubildung  auf  den  diluvialen  sandigen  Schwemm- 
gebilden nach  Rolland  ebenfalls  felsige  Hammaden.  Ich  habe 
in  Ligurien  bei  Bordighera  ebenfalls  diese  Kalkkruste  beobachtet. 
Was  der  Geologe  Karstens  von  Capri  beschreibt,  dürfte  auch  als 
Kalkkruste  oder  Oberflächenbildung  zu  verstehen  sein  und  ebenso, 
was  ich  in  Katalonien  gesehen  habe. 

Die  Bildung  einer  Kalkkruste  ist  verhängnisvoll  für  die  Mittel- 
meerländer. Große  Gebiete  werden  dadurch  dem  Anbau  ent- 
zogen. Auch  der  geologischen  Forschung  bietet  sie  schwere 
Hindernisse,  indem  sie  eine  Untersuchung  des  wirklichen  Auf- 
baues der  Erdrinde  unmöglich  macht.  Einen  gewissen  wirtschaft- 
lichen Wert  hat  sie  in  sonst  kalkarmen  Ländern,  indem  sie  Kalk 
zum  Kalkbrennen,  zur  Mörtel-  und  Zementgewinnung  bietet.  Das 
sah  ich  bei  Marrakesch  und  in  Tunesien,  wo  schon  in  römischer 
Zeit  daraus  hydraulischer  Kalk  gewonnen  wurde,  mit  dem  man 
die  Wasserleitungen  und  Zisternen  auskleidete.  Mit  Ziegelbrocken 
vermischt,  bildete  er  den  Beton,  in  den  man  die  Mosaikfußböden 


Die  Kalkkruste  der  Mittelmeerlünder. 


297 


einlegte.  Auch  für  die  Anlegung  von  Matamoren,  unterirdischen 
Behältern  für  Getreide  und  andere  trocken  aufzubewahrende 
Gegenstände,  ist  die  Kalkkruste,  wenn  sie  mächtig  und  fest  genug 
ist,  von  Wert.  Wo  sie  nur  geringe  Festigkeit  hat,  ist  es  nicht 
schwer,  sie  zu  zertrümmern  und  so  den  Boden  durch  Erschließung 
der  weichen  Unterlage  wieder  anbaufähig  zu  machen.  Selbst  in 
Marokko,  wo  doch  noch  viel  gutes  Land  des  Anbaues  harrt, 
habe  ich  gesehen,  daß  man  die  Kalkkruste  zerbricht  und  die 
flachen  Brocken  in  Haufen  und  Wällen  zum  Einhegen  der  Felder 
auftürmt.  So  z.  B.  nahe  bei  Mogador  und  in  Abda,  wo  hie  und 
da  in  dieser  Hinsicht  wohl  von  Generationen  eine  gewaltige 
Kulturarbeit  geleistet  worden  ist.  In  Katalonien  bei  Tarragona 
muß  man  zu  schweren  Hämmern  und  zu  Sprengstoffen  greifen,  um 
die  schon  mächtigere  Kalkkruste  zu  bewältigen.  Doch  macht 
die  Fruchtbarkeit  des  so  gewonnenen  Bodens  und  der  nament- 
lich bei  künstlicher  Berieselung  erzielte  hohe  Ertrag  solche  Ar- 
beiten möglich. 

Die  Entstehung  dieser  Kalkkruste,  die  sofort  an  die  dunkle 
Schutzrinde  vieler  Wüstengesteine  denken  macht,  ist  auf  klima- 
tische Einflüsse  zurückzuführen,  besonders  auf  die  große  Luft- 
trockenheit, die  lange  Sonnenscheindauer,  die  beide  eine  rasche 
und  starke  Verdunstung  von  dem  nur  wenig  durch  ein  Pflanzen- 
kleid geschützten  Boden,  nach  ziemlich  reichlichen,  in  plötzlichen 
Güssen  mit  hoher  Temperatur  herabstürzenden  Regenmassen  und 
sich  daraus  ergebendem,  nicht  zu  tiefem  Stande  des  Grund- 
wassers bedingen.  Die  Kalkkruste  ist  eine  travertin-  oder  tuff- 
artige Bildung,  eine  Art  Versinterung.  Die  dünnen  Lagen  kohlen- 
sauren Kalks,  aus  denen  sie  besteht,  stammen  aus  dem  Unter- 
grunde. Die  große  Sonnenhitze  saugt  mit  löslichem  kohlensaurem 
Kalk  beladenes  Grundwasser  empor,  wo  dieses  rasch  verdunstet 
und  der  kohlensaure  Kalk  sich  in  dünnen  Schichten  nieder- 
schlägt, die  unter  Umständen  große  Mächtigkeit  erlangen  können. 
Diese  travertinartigen  Niederschläge  können  auch  die  Sand-  und 
Mergelkörnchen  der  Oberfläche  umkleiden  und  Rollkiesel  mit- 
einander verbinden.  Bei  manchen,  durch  Zertrümmerung  der 
Kalkkruste  gebildeten  Gerollen  kann  man  die,  einen  weicheren 
Kern  umschließenden,  konzentrischen  Lagen  deutlich  erkennen. 
Das  Auftreten  der  Kruste  in  flachen  Schalen,  mit  ausgeprägten 
Rändern,    in  denen  sich   das  Regenwasser   eine  Weile  hielt,    wie 


9qg      V,    I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

ich  es  bei  Marrakesch  sah,  legte  mir  die  Vorstellung  nahe,  daß 
es  sich  unter  Umständen  um  kohlensauren  Kalk  handeln  könne, 
der  von  dem  warmen,  kohlensäurehaltigen  Regenwasser  an  der 
Oberfläche  von  den  Kalkgeröllen  gelöst  und  bei  der  raschen  Ver- 
dunstung wieder  niedergeschlagen  worden  ist. 

Als  eine  letzte  Folgewirkung  des  Klimas  der  Mittelmeer- 
länder  haben  wir  die  Malaria  anzusehen.  Die  Auffassung  der 
Malariafieber  ist  zwar  neuerdings  dadurch  eine  andere  geworden, 
daß  man  nicht  mehr  wie  bisher,  und  wie  es  auch  der  italienische 
Name  andeutet,  die  Ursache  der  Krankheit  in  den  Fieberdünsten 
sucht,  welche  die,  der  sommerlichen  Regenzeit  entsprechend,  im 
Sommer  nicht  mehr  fließenden,  versumpfenden  und  stehenden  Ge- 
wässer bei  der  hohen  Wärme  und  den  sich  zersetzenden  pflanz- 
lichen Resten  aushauchen,  sondern  in  gewissen  Stechmücken,  be- 
sonders der  Gattung  Anopheles,  die  Träger  und  Übertrager  des 
Malariagiftes  erkannt  hat.  Aber  die  klimatische  Einwirkung 
bleibt  doch  bestehen,  denn  die  im  Sommer  bei  der  hohen  Wärme 
versumpfenden  Gewässer  sind  die  Brutstätten  dieser  Mücken. 
Neben  dem  Schutz  gegen  sie  muß  daher  auch  Beseitigung  ihrer 
Brutstätten  angestrebt  werden.  Dazu  führt  im  allgemeinen  die 
wirtschaftliche  Entwicklung  eines  Landes  von  selbst,  wie  man 
namentlich  in  Griechenland  sehen  kann,  das  zwar  auch  heute  im 
Sommer  noch  in  vielen  Gegenden  malariaverseucht  ist,  aber  nicht 
entfernt  mehr  so,  wie  nach  den  Freiheitskriegen,  als  fast  alle 
Städte  und  Dörfer  in  Trümmern  lagen,  der  Anbau  und  die  Ge- 
wässer vernachlässigt  waren.  Wie  schwer  haben  da  namentlich 
die  bayrischen  Truppen  an  Malaria  gelitten,  wie  viele  wissen- 
schaftliche Forscher  sind  ihr  erlegen!  Aber  auch  auf  dem  Wege 
zum  wirtschaftlichen  Aufschwünge  gibt  es  noch  gefährliche  Rück- 
fälle, wie  Italien  lehrt.  Dort  hat  der  Eisenbahnbau  vielfach  große 
Erdarbeiten  veranlaßt,  die  den  Abfluß  der  Gewässer  verhindert 
haben.  Vor  allem  sind  dadurch  vorher  verschlossene  und  noch 
waldreiche  Gebiete  erschlossen,  die  Wälder  zugänglich  und  ab- 
getrieben worden.  Dem  ist  die  Abspülung  der  Verwitterungs- 
decke und  die  Versumpfung  der  Täler  auf  dem  Fuße  gefolgt. 
So  hat  neuerdings  die  Malaria  in  Italien  zugenommen.  Selbst  in 
Rom,  das  vorher  als  eine  so  ziemlich  malariafreie  Insel  inmitten 
der  malariaverpesteten  Campagna  gelten  konnte,  nahm  die  Malaria 
bei   der  riesigen   Bautätigkeit  nach  1870,    die  große   Bodenbewe- 


Die  Malaria. 


199 


gungen,  Abtragung  alter  Schuttmassen  u.  dgl.  zur  Folge  hatte, 
rasch  zu.  Doch  ist  auch  da  bald  wieder,  schon  seit  1880,  eine 
bedeutende  Besserung  eingetreten.  Und  vor  allem  muß  sofort 
bemerkt  werden,  daß,  wie  nur  im  Sommer  die  Gewässer  stocken 
und  Stechmücken  ausbrüten,  die  Malariagefahr  auch  auf  diese 
Jahreszeit  beschränkt  ist,  so  daß  also  die  gewöhnlichen  Besucher 
der  Mittelmeerländer,  die  diese  eben  des  milderen  Klimas  wegen 
im  Winter  und  im  Frühling  aufsuchen  und  sie  fliehen,  sobald  die 
Wärme  zu  groß  wird,  in  keiner  Weise  Gefahr  laufen.  In  diesen 
Jahreszeiten  gibt  es  keine  stockenden  Gewässer  und  keine  gefähr- 
lichen Mücken.  Vielleicht  sind  auch  dieselben  Mücken  in  dieser 
Jahreszeit  nicht  gefährlich.  Ich  selbst  bin  vor  Jahrzehnten  in  Tra- 
pani  in  Sizilien,  wo  es  damals  keine  geschützten  Betten  gab,  im 
April  derartig  von  Mücken  zerstochen  worden,  daß  ich  erst  Nacht- 
ruhe fand,  als  ich  die  Reithandschuhe  auch  nachts  trug,  die 
Ärmel  zuband  und  den  Kopf  in  Schleier  hüllte.  Nach  drei  Mo- 
naten sah  man  die  Beulen  an  Händen  und  Gesicht  noch.  Aber 
von  Malaria,  an  der  es  im  Spätsommer  in  Trapani  nicht  fehlt, 
keine  Spur!  Nur  der  wissenschaftliche  Forscher,  der  Künstler 
und  ähnliche  Leute,  die  eben  auch  im  Sommer  in  den  Mittel- 
meerländern festgehalten  werden,  laufen  Gefahr,  von  Malaria  be- 
fallen zu  werden.  Doch  wird  es  auch  diesen  bei  einiger  Kennt- 
nis der  Gefahr,  einiger  Vorsicht  in  der  Ernährung  und  Lebens- 
weise möglich  sein,  sie  zu  vermeiden,  bzw.  Gegenden  aufzusuchen, 
die  malariafrei  sind.  Bei  meinen  vielen  Reisen  und  langen  Auf- 
enthalten in  den  Mittelmeerländern  habe  ich  nur  einen  einzigen, 
allerdings  äußerst  heftigen  Fieberanfall  in  einer  fieberverpesteten 
Gegend  Tunesiens  (1886)  gehabt,  wo  kurz  vorher  ein  zu  großen 
Hoffnungen  berechtigender  junger  deutscher  Gelehrter  der  Malaria 
erlegen  und  sein  Nachfolger  in  den  betreffenden  Forschungen  so 
schwer  erkrankt  war,  daß  auch  er  wenige  Jahre  nachher  an  den 
Folgen  von  Malaria  gestorben  ist.  Es  gelang  mir,  einen  kräftigen 
Schweißausbruch  hervorzurufen,  womit  die  Entwicklung  des  Fiebers 
unterbunden  war.  Ein  hervorragender  deutscher  Arzt,  der  als 
Leiter  eines  längeren  deutschen  Forschungswerks  im  tropischen 
Afrika  ein  Jahrzehnt  früher  Gelegenheit  gehabt  hatte,  sich  gründ- 
lich mit  Malaria  vertraut  zu  machen,  erklärte  mir,  ich  habe  nach 
seinen  Erfahrungen  das  richtige  Mittel  gefunden,  die  Krankheit 
abzuschneiden. 


300      V>   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

Wie  man  in  der  Neuzeit  in  Italien  eine  Zunahme  der  Ma- 
laria festgestellt  hat,  so  ist  das  auch  und  aus  gleichen  Gründen 
vielfach  in  Kleinasien  geschehen.  Auch  die  Mittelmeerinseln,  vor 
allem  Sardinien,  sind  von  Malaria  heimgesucht,  und  in  Sizilien 
gab  es  Gegenden,  wo  in  den  siebziger  Jahren  darauf  geachtet 
wurde,  daß  die  Reisenden  in  dem  Postwagen  selbst  am  Tage 
nicht  einschliefen,  weil  man  annahm,  daß  man  im  Schlafe  auch 
am  Tage  von  Malaria  befallen  werde.  Ebenso  leidet  Südfrank- 
reich, besonders  Languedoc,  schwer  unter  Malaria;  aber  auch  in 
der  Provence  sind  ihr  diejenigen  Täler  ausgesetzt,  die  dem  zwar 
lästigen,  aber  die  Luft  reinigenden  und  offenbar  wegen  seiner 
Stärke  und  niederen  Temperatur  der  Entwicklung  der  Stech- 
mücken ungünstigen  Mistralwinde  nicht  zugänglich  sind.  In 
Spanien  ist  es  besonders  der  Süden  und  der  Südosten,  der  unter 
Malaria  leidet,  doch  lange  nicht  in  dem  Maße  wie  Italien.  Da- 
gegen ist  ein  großer  Teil  von  Algerien  und  Tunesien  malaria- 
verseucht, und  das  französische  Heer  hat  namentlich  während  der 
Eroberung  furchtbare  Verluste  erlitten.  Noch  größere  freilich  die 
französischen  Ansiedler  in  Algerien.  Wenn  es  mit  der  fran- 
zösischen Besiedelung  so  langsam  gegangen  ist,  und  namentlich 
in  der  westlichen  Provinz  Oran  die  Spanier,  die  gegen  die  Ma- 
laria und  überhaupt  gegen  ungünstige  klimatische  Einflüsse  wider- 
standsfähiger sind,  die  Oberhand  erlangt  haben,  auch  kinder- 
reicher sind,  so  ist  das  zwar  nicht  lediglich,  aber  doch  in  erster 
Linie  der  Malaria  zuzuschreiben.  Namentlich  die  Besiedelung  der 
fruchtbaren,  aber  feuchten  und  noch  heute  nicht  völlig  entsumpften 
Mitidj aebene  landeinwärts  von  Algier  hat  die  Opfer  zu  vielen 
Tausenden  gefordert.  Das  heute  ziemlich  gesunde,  blühende 
Städtchen  Boufarik  mit  ioooo  Einwohnern  ist  so  ein  wahres 
Grab  für  Generationen  von  Kolonisten  gewesen.  Dagegen  gehört 
es  zu  den  Vorzügen  des  in  jeder  Hinsicht  von  der  Natur  am 
reichsten  unter  den  Atlasländern  ausgestatteten  Marokko,  daß  es 
bis  auf  wenige  Punkte  ganz  malariafrei  ist.  Sogar  die  große  Be- 
rieselungsoase von  Marrakesch,  der  südlichen  Hauptstadt,  ist  ma- 
lariafrei, während  selbst  in  der  Sahara  die  künstlich  berieselten 
Oasen  von  Malaria  heimgesucht  sind,  obwohl  die  Menschen  sich 
meist  außerhalb  des  Palmenhaines,  womöglich  auf  einem  felsigen, 
luftigen  Hügel  über  demselben  angesiedelt  haben. 

Welche  Landplage  die  Malaria  sein  kann,  das  lehrt  besonders 


Verbreitung  der  Malaria. 


301 


Italien.  Dort  ist  eigentlich  nur  Ligurien  malariafrei,  wenn  auch 
Nord-  und  die  inneren  Berglandschaften  Mittel-Italiens  weniger 
darunter  leiden.  Wiewohl  schon  im  Altertume  Malaria  in  Italien 
vorkam  und  z.  B.  Syrakus  wiederholt  von  seinen  Belagerern  be- 
freit worden  ist,  weil  die  Malaria  sie  dahinraffte,  so  war  das 
Übel  doch  nicht  entfernt  so  allgemein  wie  heute,  wo  ganze  Land- 
schaften, wie  die  römische  Campagna,  das  Küstengebiet  von  Tos- 
kana, die  berüchtigten  Maremmen,  die  Ebene  von  Apulien  u.  a.  m. 
geradezu  durch  Malaria  unbewohnbar  geworden  sind.  Im  süd- 
westlichen Sardinien  muß  man  der  Malaria  wegen  im  Sommer 
den  Bergbau  einstellen.  Ganze  Eisenbahnlinien  gibt  es,  wo  be- 
sondere Züge  die  sämtlichen  Beamten,  trotzdem  man  sie  besser 
bezahlt  und  nährt,  abends  abholen  und  nach  gesunden  Stationen 
bringen,  um  sie  am  Morgen  wieder  auf  ihre  Posten  zu  befördern. 
Es  gibt  Standorte  der  Truppen,  wo  selbst  diese  jungen,  gesunden, 
kräftigen  Menschen,  trotzdem  für  bessere  Unterkunft  und  Ver- 
pflegung gesorgt  ist,  alle  von  Malaria  befallen  werden.  In  Co- 
senza  in  Kalabrien  z.  B.  zählt  man  auf  1000  Mann  1500  Malaria- 
erkrankungen im  Jahre.  Die  Feldarbeiter,  die  zur  Bestellung  der 
Felder  und  zur  Ernte  aus  den  Gebirgen  in  die  Küstenebenen 
herabsteigen,  allein  in  die  römische  Campagna  etwa  10  000  im 
Jahresdurchschnitt,  nehmen  nur  zu  häufig  die  Keime  der  Krank- 
heit in  ihre  gesunde  Heimat  mit.  Wie  außerordentlich  wird  die 
Arbeitskraft  und  die  Lebensdauer  wohl  bei  Millionen  von  Be- 
wohnern Italiens  dadurch  beeinträchtigt!  Wie  wird  das  Wirt- 
schaftsleben, der  Unternehmungsgeist,  das  Wachstum  des  Wohl- 
stands usw.  davon  beeinflußt,  wenn  man  auch  die  Zahl  der  un- 
mittelbar durch  Malaria  verursachten  Todesfälle  nur  auf  15  bis 
16000  jährlich  schätzt.  Es  mögen  wohl  Hunderte  von  Millionen 
Franken  sein,  um  die  Italien  jährlich  durch  Malaria  geschädigt 
wird.  Und  in  Languedoc  dürfte  es  kaum  besser  sein.  Dort 
steigt  die  Kindersterblichkeit,  die  in  Frankreich  sonst  nur  312 
auf  1000  beträgt,  auf  400  und  500  und  sinkt  die  mittlere  Lebens- 
dauer von  35%  Jahren  auf  20,  ja   15  Jahre! 

Die  erfolgreichste  Art  der  Bekämpfung  der  Krankheit  in 
Italien  bestand  bis  jetzt  in  der  Regelung  der  Gewässer,  in  der 
Entsumpfung  versumpfter  Gebiete  durch  Entwässerung  und  künst- 
liche Aufschwemmung.  Dadurch  sind  namentlich  in  Toskana, 
neben    Piemont   seit   Jahrhunderten    der    bestverwaltete  Kleinstaat 


X02      V,   I.    Das  Klima  der  Mittelmeerländer  und  seine  Folgewirkungen. 

früherer  Zeit,  außerordentliche  Erfolge  erzielt  worden.  Das  Chiana- 
Tal,  das  Arno-Delta  bei  Pisa,  selbst  schon  Teile  der  Maremmen 
sind  so  völlig  gesund  geworden.  Und  eben  schickt  man  sich  an, 
von  deutschem  Unternehmungsgeiste  geführt,  die  verpesteten 
Pontinischen  Sümpfe,  die  im  Altertum  noch  gesund  und  dicht 
bevölkert  waren,  trocken  zu  legen  und  wieder  gesund  zu  machen. 
In  manchen  Gegenden,  namentlich  in  Süditalien,  hat  schon  die 
Beseitigung  des  Reisbaues,  der  überreicher  Bewässerung  bedarf, 
auch  von  Malaria  befreit.  Die  bessere  Erkenntnis  der  Ursachen 
der  Krankheit  wird  wohl  auch  bald  einfachere  Mittel  zu  ihrer 
Bekämpfung  an  die  Hand  geben.  So  schützt  man  die  Eisen- 
bahnbeamten, indem  man  durch  feine  Vergitterung  aller  Öffnungen 
der  Wärterhäuser  den  Mücken  den  Zugang  unmöglich  macht. 
Gesicht  und  Hände  schützt  man  durch  Schleier  und  Handschuhe. 
Man  übergießt  die  Sumpfgewässer  mit  Petroleum,  was  die  Ent- 
wicklung der  Brut  unmöglich  macht,  tötet  diese  wohl  noch  in 
anderer  Weise. 

Diese  klimatischen  Einflüsse  sind  es  also  in  erster  Linie, 
welche  geschichtliche  Vorgänge  so  wirksam  gemacht  haben,  daß 
sich  daraus  die  verhältnismäßige  Verödung  eines  großen  Teils 
der  Mittelmeerländer,  die  Kahlheit  der  Berge,  die  Versumpfung 
der  Täler  und  Ebenen  ergeben  hat.  Jedes  dieser  alten  Kultur- 
länder hat  eine  Zeit  höchster  Blüte,  dichtester  Besiedelung  ge- 
gehabt, wo  das  Waldkleid  vernichtet  wurde,  das  gewiß  einmal 
den  größten  Teil  der  Mittelmeerländer  bedeckt  hat,  um  den 
Holzbedarf  zu  decken  oder  Raum  für  Anbau  zu  gewinnen.  Kamen 
dann  Kriegszeiten,  brachen  Barbaren  ein,  so  konnte  sich  im 
Mediterranklima,  wenn  durch  lange  Vernachlässigung  die  in  sehr 
langen  Zeiträumen  gebildete  Verwitterungs-  und  Humusdecke 
durch  Regen  und  Wind  von  den  geneigten  Hängen  entführt  war, 
die  Terrassen,  die  Berieselungsanlagen,  Schöpfungen  der  müh- 
samen Arbeit  vieler  Generationen  zerfallen  waren,  nicht  wie 
in  Gebieten  mit  feuchtem  Klima  Wald  und  Vegetation  das  ver- 
ödete Kulturland  rasch  wieder  überziehen  oder  der  Mensch  das- 
selbe bei  Eintritt  friedlicher  Zeiten  rasch  zurückerobern.  Hie 
und  da  hat  in  der  Tat  der  Wald  vom  verödeten  Kulturlande 
wieder  Besitz  genommen,  aber  nur  unter  besonders  günstigen 
Verhältnissen,  namentlich  in  Klein-Asien,  wo  man  vielfach,  am 
häufigsten  in  Lykien  und  Karien,  zahlreiche  Trümmerstätten  mitten 


Verödung  der  Mittelmeerländer.  303 

im  Urwalde  findet,  deren  architektonischer  Schmuck,  Skulpturen 
u.  dgl.  davon  zeugen,  daß  hier  hochgesittete  Menschen  dicht 
beieinander  wohnten.  Aber  im  allgemeinen  ist  an  Stelle  des 
Waldes  dürftiges  Gestrüpp,  ja  kahle  Felslandschaft  oder  öde 
Steppe  getreten,  die  die  Wirtschaftsmethoden  der  heutigen  Be- 
wohner, namentlich  die  Viehzucht,  immer  intensiver  gestalten.  Die 
fast  baumlose  Steppenlandschaft  Mittel-Tunesiens,  die  heute 
nur  wenige  tausend  Halbnomaden  zu  ernähren  vermag,  ist  dicht 
übersät  mit  Trümmern  von  Ansiedelungen  aus  spätrömischer  Zeit, 
von  denen  wir  annehmen  müssen,  daß  sie  durch  einen  un- 
geheuren Hain  von  Frucht-,  namentlich  Ölbäumen  verstreut  waren. 
Die  verhältnismäßige  Verödung  eines  großen  Teils  der  Mittel- 
meerländer erklärt  sich  so  aus  der  Geschichte  und  aus  dem 
Klima,  wie  es  heute  ist.  Es  bedarf  nicht  der  Annahme  einer 
Klimaänderung  d.  h.  Verminderung  der  Niederschläge.  Aber  mit 
den  Hilfsmitteln  der  Neuzeit  ist  auch  die  Möglichkeit  einer 
Wiederbelebung  gegeben,  die  freilich  auch  ihrerseits  lange  Zeit- 
räume erfordern  wird. 


2.   Das  Klima  von  Marokko.1) 

Wie  in  jeder  anderen  Hinsicht  Marokko  heute  zu  den  un- 
bekanntesten Teilen  von  Afrika  gehört  oder  bis  vor  wenigen 
Jahren  gehörte,  so  auch  in  bezug  auf  sein  Klima.  Bei  dem 
Kulturzustand  der  Bewohner  ist  naturgemäß  von  dieser  Seite  nichts 
zu  erwarten,  und  hat  wohl  kein  marokkanischer  Staatsmann  an 
die  Einrichtung  meteorologischer  Stationen  auch  nur  gedacht,  ob- 
wohl das  Land  durchaus  auf  seine  Landwirtschaft  angewiesen  ist 
und  namentlich  von  den  Niederschlagsverhältnissen  das  Wohl  und 
Wehe  der  Bewohner  in  einschneidendster  Weise  beeinflußt  wird. 
Was  wir  über  das  Klima  von  Marokko  wissen  —  noch  immer  herzlich 
wenig,  —  verdanken  wir  der  Einsicht  der  im  Lande  wohnenden 
Europäer,  der  Opfenvilligkeit  einzelner  Privatleute,  die  an  ihren 
Wohnorten  meteorologische  Beobachtungen  eingerichtet  haben. 
Da  bis  heute  so  gut  wie  keine  Europäer   im  Innern   wohnen,   so 


1)  Erschienen  in  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdk.    Bd.  XXXV.     1900.     Siehe 
rückwärts  das  Regenkärtchen  von  Marokko. 


304  V,  2-    ^as  Klima  von  Marokko. 

bezieht  sich  das  Wenige,  was  an  klimatologischem  Beobachtungs- 
stoff vorliegt,  nur  auf  einzelne  Küstenpunkte.  Allerdings  wäre 
jetzt  die  Möglichkeit  gegeben,  auch  im  Innern,  wenigstens  in  den 
beiden  Hauptstädten  Fäs  und  Marrakesch  meteorologische 
Stationen  einzurichten,  da  dort  je  ein  englisches  und  ein  fran- 
zösisches Konsulat  besteht,  die  beide  nicht  mit  Amtsgeschäften 
überhäuft  sein  dürften.  Auch  wohnen  an  beiden  Orten  jetzt 
englische  Missionare  dauernd,  deren  Missionstätigkeit  allem  An- 
schein nach  auch  noch  Zeit  für  eine  solche  nützliche  Beschäfti- 
gung freilassen  dürfte.  Immerhin  ist  es  mir  gelungen,  bei  meiner 
letzten  Reise,  von  deutscher  Seite  zwei  neue  Beobachtungsposten 
einzurichten,   den  einen  in  Marrakesch,  den  anderen  in  Casablanca. 

a)  Der   klimatologische  Beobachtungsstoff. 

Der  erste,  welcher  meteorologische  Beobachtungen  in  Ma- 
rokko angestellt  hat,  ist  der  auch  sonst  um  die  Erforschung  des 
Landes  verdiente  langjährige  französische  Konsul  Beaumier  in 
Mogador  gewesen.  Derselbe  las  auf  der  den  inneren  Hof  seines 
Hauses  umgebenden  Galerie  Thermometer  und  Barometer  (Aneroid) 
ab,  beobachtete  die  Windrichtungen,  die  Bewölkung  und  Nebel 
und  zählte  die  Regentage.  Die  Beobachtungen  umfassen  die  Zeit 
August  1866  bis  August  1868,  Januar  1869  bis  Dezember  18741). 
Daß  die  Temperaturen  durch  die  Art  der  Aufstellung  des  Ther- 
mometers beeinflußt  worden  sind,  wie  schon  Hann  annahm,  unter- 
liegt keinem  Zweifel.  Nicht  nur  die  Extreme  sind  sicher  sehr 
abgeschwächt,  auch  die  Mitteltemperaturen  dürften  zu  hoch  und 
die  auf  Grund  dieser  Beobachtungen  allgemein  verbreitete  Vor- 
stellung von  der  ungewöhnlichen  Gleichmäßigkeit  des  Klimas  von 
Mogador  doch  vielleicht  etwas  übertrieben  sein.  Ich  habe  leider 
das  französische  Konsulat  nicht  gesehen,  weiß  auch  nicht,  ob  es 
noch  heute  in  demselben  Hause  untergebracht  ist,  wie  vor  30 
Jahren.  Ich  vermute  aber,  daß  Beaumiers  Beobachtungen  ziem- 
lich unter  den  gleichen  Bedingungen  gemacht  wurden,    wie  eine 


I)  Mitgeteilt  im  Bull.  Soc.  Geogr.  Paris,  Jahrg.  1868,  1872.  Ver- 
wertet und  besprochen  ist  dies  Material  von  Hann  in  der  Zeitschrift  der 
Österr.  Ges.  für  Meteorolog.  VIII,  1873,  S.  8  und  von  Ollive:  Climat  de 
Mogador  et  de  son  influence  sur  la  phthisie.  Bull.  Soc.  Geogr.  Paris  1875, 
I  S.  363ff. 


Meteorologische  Beobachtungen.  305 

neuere  Beobachtungsreihe,  welche  wir  dem  deutschen  Vizekonsul 
Herrn  von  Maur  verdanken.  Auch  da  sind  die  von  der  Deutschen 
Seewarte  gelieferten,  dem  Dienst  einer  Station  2.  Ordnung  ent- 
sprechenden einwandsfreien  Instrumente  (Quecksilber- Barometer) 
etwa  8  m  über  Mittelwasser  auf  der  inneren  Galerie  des  Hauses 
aufgestellt.  Dasselbe  liegt  etwa  100  m  vom  Strand.  Diese 
Beobachtungen1)  beginnen  mit  dem  1.  April  1894  und  werden 
noch  heute  fortgesetzt.  Seit  Juli  1899  ist  auch  in  Saffi  von 
Seiten  der  Deutschen  Seewarte  eine  meteorologische  Station  ein- 
gerichtet worden. 

Weiter  liegen  Beobachtungen  von  Casablanca  vor,  welche 
der  damalige  französische  Vizekonsul  Gilbert  in  der  Zeit  von 
März  1867  bis  Februar  1868  angestellt  hat2).  Dieselben  er- 
strecken sich  auf  Barometer,  Thermometer,  Wind  und  Beschaffen- 
heit des  Meeres.  Da  aber  weder  über  die  Instrumente  und  ihre 
Aufstellung  etwas  angegeben  wird,  auch  die  Beobachtungen  zu 
ganz  verschiedenen  Stunden,  bald  einmal,  bald  zweimal,  bald 
dreimal  täglich  vorgenommen  wurden,  so  müssen  dieselben  als 
wissenschaftlich  unverwertbar  bezeichnet  werden.  Um  so  dankens- 
werter ist  es,  daß  der  jetzige  schwedische  Konsul  Herr  Fernau 
mir  bei  meiner  Anwesenheit  in  Casablanca  die  Ergebnisse  der 
Beobachtungen  zur  Verfügung  gestellt  hat,  welche  derselbe  seit 
1896  angestellt  hat.  Dieselben  umfassen  Ablesungen  an  einem 
Maximum-  und  Minimum-Thermometer,  das  allerdings  im  Korridor 
des  Hauses  aufgestellt  ist,  von  Oktober  1899  bis  Mai  1900.  Ebenso 
Ablesungen  an  einem  Barometer,  das  Herr  Fernau  selbst  als  nicht 
zuverlässig  bezeichnet.  Wichtiger,  ja  von  großem  Wert,  sind  aber 
die  Regenmessungen,  welche  die  Jahre  1896 — 1900  umfassen. 
Der  Regenmesser  ist  auf  dem  Dach  des  Hauses  aufgestellt.    Dazu 


1)  Bis  31.  Dezember  1896,  also  nicht  ganz  drei  Jahrgänge  sind  ver- 
öffentlicht in:  Deutsche  überseeische  meteorologische  Beobachtungen,  ges.  u. 
herausg.  von  der  Deutschen  Seewarte,  Heft  VIII,  Hamburg  1899.  Durch 
die  Güte  des  Direktors  der  Seewarte,  Herrn  Wirkl.  Geheimen  Admiralitäts- 
rat Dr.  Neumayer,  wurde  mir  auch  das  noch  nicht  veröffenüichte  Material 
bis  1899  im  Auszug  zur  Verfügung  gestellt.  Für  die  Niederschlagsverhält- 
nisse sind  auch  die  Jahrgänge  bis  1904,  wie  von  allen  anderen  Stationen 
verwertet. 

2)  Veröffentlicht  im  Bull.  Soc.  Geogr.  Paris,  V.  Bd.  14,  1867  n, 
S.  698,  1868  I,  S.  403  u.   1868,  U.  S.  88. 

Fischer,  Mittelmecrbilder.     Neue  Folge.  20 


•3o6  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

sind  nun  seit  1 902  die  Beobachtungen  der  von  mir  eingerichteten, 
1 907   von  den  Franzosen  zerstörten  deutschen  Station  gekommen. 

Von  Rabat  liegen  Beobachtungen  vor,  welche  der  Leibarzt 
des  Sultans,  Dr.  Linares,  dort  angestellt  hat1).  Dieselben  um- 
fassen die  Zeit  von  Juli  188 1  bis  Februar  1882  und  Oktober 
bis  Dezember  1882.  Der  Beobachtungsort  lag  10  m  über  dem 
Meer.  Über  Instrumente  und  Beobachtungszeit  wird  nichts  mit- 
geteilt. Beobachtet  wurden  Luftdruck,  Wind,  Temperatur  und 
Regen.  Ergänzt  werden  diese  Beobachtungen  durch  die  von 
dem  früheren  englischen  und  deutschen  Konsul  Herrn  John  Frost 
in  den  Jahren  Oktober  1874  bis  Juni  1897  angestellten.  Das 
darüber  geführte  Tagebuch  ist  mir  von  Herrn  Frost  bei  meinem 
zweiten  Aufenthalt  in  Rabat  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt 
worden.  Die  täglich  um  9  Uhr  vormittags  gemachten  Be- 
obachtungen wurden  im  Hause  des  Herrn  Frost  etwa  15  m  über 
Meer  angestellt  und  umfaßten  neben  dem  Zustand  der  vom 
Fenster  aus  sichtbaren  Barre  des  Bu  Regreg2)  Ablesungen  am 
Barometer  (ein  nicht  sehr  zuverlässiges  Aneroid)  und  Thermo- 
meter, die  Windrichtungen  und  die  Zahl  der  Regentage. 

Der  nächste  Ort,  von  welchem  meteorologischer  Beobachtungs- 
stoff vorliegt,  ist  Tanger.  Dort  hat  zunächst  der  deutsche  Mi- 
nisterresident Weber  vom  1.  Oktober  1879  bis  30.  September  1885 
Temperatur,  Bewölkung,  Niederschlag,  Gewitter  und  Regen  be- 
obachtet. Das  Thermometer  war  in  einer  bedeckten,  aber  nach 
Norden  offenen  Halle  des  Gesandtschaftsgebäudes  aufgehängt, 
das  mitten  in  einem  baumreichen  Garten  liegt.  Nach  meiner 
Kenntnis  der  Örtlichkeit  und  der  Verhältnisse  halte  ich  die  Be- 
obachtungen für  recht  zuverlässig.  Die  Meereshöhe  des  Tores 
der  deutschen  Gesandtschaft  bestimmte  ich  zu  43  m,  die  Be- 
obachtungsstelle mag  daher  etwa  45  m  hoch  liegen3).     Eine  sehr 


1)  Mitgeteilt  in  der  Meteorologischen  Zeitschrift   1886,  S.  370. 

2)  Die  darauf  bezüglichen  Beobachtungen  habe  ich  in  meinem  als 
Ergänzungsheft  Nr.  133  zu  Petermanns  Mitteilungen  erschienenen,  die 
sonstigen  wissenschaftlichen  Ergebnisse  enthaltenden  Werk:  „Reise  im  AÜas- 
Vorlande  von  Marokko"  S.  42  im  Auszug  abgedruckt. 

3)  Diese  Beobachtungen  sind  von  J.  Hann  in  der  Zeitschrift  der  Österr. 
Ges.  f.  Meteorlog.  1887,  S.  26  bearbeitet  worden.  Ebenso  in  den  Annalen  der 
Hydrographie  Jahrg.  1880  ff.  Ich  konnte  durch  freundliches  Entgegenkommen 
der  Direktion  der  Deutschen  Seewarte  die  im  Archiv  derselben  aufbewahrten 
Original-Tagebücher  vom  Mai   1883  bis  September  1885  benutzen. 


Beobachtungsstationen  am  Kap   Spartel  und  in  Marrakesch.  jqj 

willkommene  Ergänzung  bzw.  Fortsetzung  haben  diese  Be- 
obachtungen durch  diejenigen  des  englischen  Konsuls  Herrn 
H.  White  erfahren.  Die  Instrumente  sind  im  Landhause  des- 
selben etwa  1  km  vom  Meer  und  in  68  m  Höhe  im  Freien 
durchaus  zweckentsprechend  aufgestellt.  Herr  White  hat  mir 
die  Monatsmittel  der  Ablesungen  am  trocknen  und  am  feuchten 
Thermometer  um  9  Uhr  vormittags,  sowie  am  Maximum-  und 
am  Minimum-Thermometer,  ferner  die  monatlichen  Maxima  und 
Minima,  sowie  die  Mittel  der  relativen  Feuchtigkeit  für  die  Jahre 
1897  und  1898  mitgeteilt.  Diese  sind  von  besonderem  In- 
teresse zum  Vergleich  mit  den  gleichzeitigen  Ablesungen  am  Kap 
Spartel.  Dort  ist  nämlich  in  der  seit  1893  etwas  südlich  vom 
Leuchtturm  dicht  am  Meeresufer  und  in  60  m  über  demselben 
errichteten  Lloyds  Signalstation  auch  eine  meteorologische  Station 
eingerichtet  worden,  die  seit  Januar  1894  in  Tätigkeit  ist.  Die 
Aufstellung  aller  Instrumente  ist  einwandsfrei.  Es  ist  die  beste, 
fast  die  einzige,  allen  wissenschaftlichen  Ansprüchen  genügende 
meteorologische  Station  in  Marokko.  Es  werden  um  9  Uhr 
morgens  und  abends  Barometer,  trockenes  und  feuchtes  Thermo- 
meter, Maximum-  und  Minimum-Thermometer,  Wind,  Bewölkung 
und  Niederschlag  beobachtet,  seit  1896  auch  Sonnen-Thermo- 
meter abgelesen.  Das  Barometer  ist  60  m,  der  Regenmesser 
58,5  m  über  Meer  aufgestellt,  die  Auffangöffnung  des  letzteren 
0,3  m  über  dem  Boden.  Die  Ergebnisse  werden  in  einer 
jährlichen  Übersichtstafel  von  Lloyds  veröffentlicht,  scheinen 
aber  bisher,  wie  das  Vorhandensein  der  Station  überhaupt, 
in  den  Kreisen  der  Meteorologen  völlig  unbekannt  zu  sein. 
Auch  ich  sah  erstaunt,  als  ich  1899  zum  erstenmal  wieder 
nach  Kap  Spartel  hinausritt,  das  neue  Bauwerk,  erfuhr  aber 
erst  in  Tanger  von  Herrn  Konsul  White,  daß  dasselbe  auch 
eine  meteorologische  Station  berge.  Bei  einem  neuen  Be- 
such konnte  ich  dieselbe  besichtigen.  Nicht  ohne  Mühe  machte 
mir  Herr  Dr.  L.  Friederichsen  in  Hamburg  die  bisher  vor- 
liegenden Beobachtungs- Jahrgänge,  für  die  Niederschläge  also 
1894 — 1904,  durch  den  dortigen  Vertreter  von  Lloyds  zu- 
gänglich. 

Aus  dem  Innern  von  Marokko  fehlen,  wenn  wir  von  ver- 
einzelten Angaben  der  Reisenden  absehen,  meteorologische  Be- 
obachtungen noch  ganz.     Nur  von  Marrakesch  liegen  solche  von 


tq8  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Januar  bis  März  1886  und  vom  Winter  1886 — 1887  vor1).  Die- 
selben wurden  im  französischen  Konsulat  angestellt  und  beziehen 
sich  auf  Luftdruck,  Temperatur  und  Niederschläge.  Selbst  diese 
Bruchstücke  sind  dankenswert.  Ich  hoffte,  daß  es  mir  möglich 
sein  würde,  bei  meiner  nächsten  Reise,  wenigstens  in  Marrakesch, 
eine  meteorologische  Station  einzurichten.  Das  ist  in  der  Tat 
1900  geschehen,  indem  die  Geographische  Gesellschaft  in  Leipzig 
die  Mittel  zur  Verfügung  stellte,  um  die  Instrumente  für  eine 
Station  2.  Ordnung  von  Fuess  liefern  zu  lassen.  Die  Station  ist, 
so  gut  es  in  marokkanischen  Städten  überhaupt  möglich  ist,  in 
dem  Kaufhofe  des  Herrn  H.  Marx  eingerichtet.  Die  Beobachtungen 
haben  am  1.  Januar  1900  begonnen  und  sind  mit  einer  kurzen 
Unterbrechung  im  April  1902,  wo  der  Kaufhof  auf  Befehl 
der  deutschen  Gesandtschaft  ganz  unnötigerweise,  wie  man  in 
Marrakesch  selbst  annahm ,  wegen  Aufstandsbesorgnisse  ge- 
schlossen werden  mußte,  durch  die  deutschen  Angestellten  des 
Herrn  Marx  sorgsam  durchgeführt  worden  bis  August  190  7,  wo 
in  der  Tat  infolge  der  Beschießung  von  Casablanca  durch  die 
Franzosen  selbst  für  die  Deutschen  die  Lage  in  Marrakesch  ge- 
fährlich wurde. 

Ferner  sollen  die  Beobachtungen  verwertet  werden,  welche 
1884  und  1885  an  der  1878  von  der  englischen  Nordwest- 
afrikanischen Gesellschaft  am  Kap  Juby  270  58'  n.  Br.,  120  52' 
w.  L.  v.  Gr.  angestellt  worden  sind2),  so  wenig  zuverlässig  die- 
selben erscheinen.  Ebenso  wird  es  nötig  sein,  die  Beobach- 
tungen von  San  Fernando,  Tarifa  und  Gibraltar  zum  Vergleich 
heranzuziehen  3). 

Ich  selbst  habe  den  klimatologischen  Beobachtungen  während 
meines  Aufenthaltes  in  Marokko  von  Februar  bis  Juni  1899  und 
besonders  während    der    Landreise  durch  das  Atlas -Vorland  be- 


1)  Mitgeteilt  in  der  Meteorologischen  Zeitschrift   1895,  S.   in. 

2)  Bearbeitet  durch  v.  Danckelmann  in  der  Meteorolog.  Zeitschr.  1887, 
S.  25.  Die  Station  liegt  unmittelbar  am  Meer,  ja,  eigentlich  auf  einer  Insel. 
Der  Sultan  von  Marokko  hat  sie,  um  Waffeneinfuhr  in  die  unsicheren  süd- 
lichen Grenzlandschaften  zu  verhindern,  der  Gesellschaft  für  schweres  Geld 
abgekauft.  Der  Afrika  Pilot  I,  S.  93  gibt  als  geograph.  Koordinaten  270 
56'  41"  n.  Br.,   12°  56'  41"  w.  L.  v.  Gr. 

3)  Meteorolog.  Zeitschr.  1887  u.  1900,  Annalen  der  Hydrographie  1881, 
S.  225. 


Reisebeobachtungen   1899.  30Q 

sondere  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  habe  auf  der  ganzen 
Reise  täglich  um  7  Uhr  vorm.  und  2  und  6  Uhr  nachm.  Baro- 
meter und  Thermometer  abgelesen,  Tau,  Bewölkung  und  Nieder- 
schläge beobachtet.  Meine  Ausrüstung,  soweit  hier  davon  zu 
sprechen  ist,  umfaßte  zunächst  die  beiden  Aßmannschen  Aspi- 
rations-Psychrometer  Nr.  238  und  250  in  vollständiger  Reise- 
ausrüstung, die  mir  vom  Königl.  Meteorologischen  Institut  in 
Berlin  in  überaus  dankenswerter  Weise  geliehen  und  vor  der  Ab- 
reise von  der  Königl.  Physikalisch-Technischen  Reichsanstalt  ge- 
prüft worden  waren.  Dieselben  haben  sich  als  außerordentlich 
brauchbar  und  leicht  zu  befördern  bewährt.  Da  es  mir  besonders 
auf  Erforschung  der  Luftfeuchtigkeit  und  deren  Abnahme  von 
der  Küste  ins  Innere  ankam,  so  ging  meine  Absicht  dahin,  das 
eine  Instrument  immer  mit  mir  zu  führen  und  das  andere  an 
der  Küste  zu  vereinbarten  Stunden  ablesen  zu  lassen.  So  über- 
nahm Herr  Konsul  von  Maur  in  Mogador,  der,  wie  oben  erwähnt, 
seit  1894  schon  beobachtet  hat,  das  Instrument  Nr.  238  und 
hat  dasselbe  auch  regelmäßig  an  sorgsam  ausgewählter  Stelle 
dreimal  täglich  vom  29.  März  bis  zum  25.  April  abgelesen,  während 
welcher  Zeit  ich  durch  das  Tensift-Tal  nach  Marrakesch  und 
Demnät  und  von  dort  durch  das  Gebiet  der  Um-er-Rbia  wieder 
an  den  Ozean  nach  Casablanca  und  Rabat  reiste.  Es  sollte  Herr 
Konsul  von  Maur  dies  Instrument  dann  nach  Rabat  schicken,  wo 
Herr  Ingenieur  Rottenburg  seinerseits  mit  demselben  beobachten 
wollte,  während  ich  durch  das  Sebu-Gebiet  nach  Fäs  und  von 
da  nach  Tanger  reiste.  Leider  wurde  das  von  mir  mitgeführte 
Instrument  Nr.  250  durch  einen  Unfall  kurz  vor  Marrakesch  un- 
heilbar beschädigt.  Es  liegen  somit  nur  für  die  Tage  vom 
29.  März  bis  zum  4.  April  korrespondierende  Beobachtungen  vor. 
In  Rabat  richtete  ich  dann  mit  Herrn  Rottenburg  mit  Hilfe  zweier 
mit  meinem  Normal-Thermometer  verglichener  Thermometer  in 
geeigneter  Aufstellung  in  dessen  Hause  etwa  30  m  über  dem 
Meer  korrespondierende  Beobachtungen  ein,  die  natürlich  kein 
voller  Ersatz  für  das  Aspirations-Psychrometer  sein  können.  Das 
Instrument  Nr.  238  führte  ich  dann  mit  mir  und  habe  an  dem- 
selben vom  11.  bis  26.  Mai  um  7  Uhr  vorm.,  2  und  3  Uhr 
nachm.  regelmäßig  beobachtet.  Es  ist  auch  in  tadellosem  Zustand 
zurückgebracht  worden. 

Außer  den  beiden  Aspirations-Psychrometern  führte  ich    das 


3 1  o  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

mir  gehörige,  von  der  Kgl.  Physikalisch-Technischen  Reichsanstalt 
geprüfte  Normal-Thermometer  von  Fuess  Nr.  1338  und  je  ein 
Fuesssches  Maximum-  (Nr.  421)  und  Minimum-  (Nr.  397)  Ther- 
mometer mit  mir,  die  wenigstens  letzteres  auf  der  ganzen  Reise 
täglich  abgelesen  worden  sind.  Dieses  legte  ich  auf  einem 
niedrigen  Gestell  1  cm  über  dem  Boden  allnächtlich  vor  meinem 
Zelt  ganz  frei,  aber  doch  gegen  zufällige  oder  absichtliche  Be- 
schädigung so  gut  geschützt  aus,  daß  es  tatsächlich  unversehrt 
zurückgekommen  ist.  Außerdem  habe  ich  einige  Male  mit  dem 
Schwarzkugel-Thermometer  beobachtet  und  mit  dem  Quellen- 
Thermometer  die  Temperatur  aller  Quellen  und  aller  Brunnen, 
bei  denen  es  möglich  war,  gemessen.  Diese  beiden  Instrumente 
waren  mir  von  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  geliehen 
worden,  deren  tatkräftige  Unterstützung  mir  überhaupt  erst  die 
Reise  ermöglichte.  Ich  möchte  ihr  daher  auch  an  dieser  Stelle 
den  wärmsten  Dank  aussprechen. 

Es  ist  mir  dann  gelungen,  wie  schon  erwähnt,  die  Geo- 
graphische Gesellschaft  in  Leipzig  und  die  Deutsche  Seewarte  in 
Hamburg,  die  bereits  zu  der  schon  länger  bestehenden  Station 
in  Mogador  1896  eine  solche  in  Saffi  eingerichtet  hatte,  von 
neuem  für  diese  Frage  zu  erwärmen.  Die  Seewarte  lieferte  die 
Instrumente  für  eine  Station  in  Casablanca,  welche  ich  persönlich 
1901  eingerichtet  habe,  die  Geographische  Gesellschaft  in  Leipzig 
die  für  Marrakesch.  Auch  auf  der  Reise  von  1901  habe  ich  ähnlich 
wie  1 899  beobachtet.  Von  anderer  Seite  ist  dann  noch  eine  fünfte 
deutsche  Station  in  Mazagan  eingerichtet  worden.  Die  Ergeb- 
nisse dieser  neuen  Beobachtungen,  abgesehen  von  Mazagan,  die 
nicht  zu  erlangen  waren,  sind  bis  1905,  aber  nur  bezüglich  der 
Niederschläge,  von  einem  meiner  früheren  Zuhörer  Herrn  Dr. 
K.  Knoch,  Assistent  vom  Meteorologischen  Institut  in  Berlin,  ver- 
arbeitet worden  in  seiner  Dissertation:  Die  Niederschlagsverhält- 
nisse der  Atlasländer.  Marburg  1906.  Er  verwertet  hier  diese  Er- 
gebnisse. 

Der  so  zusammengebrachte  Beobachtungsstoff  ist  im  fol- 
genden zu  einem  ersten  Versuch,  das  Klima  von  Marokko  im 
Zusammenhang  darzustellen,  verarbeitet  worden.  Es  lag  nahe, 
die  Beobachtungen  von  Kap  Spartel  und  die  neue  Reihe  von 
Mogador  gründlich  zu  bearbeiten.  Doch  glaubte  ich  bei  ein- 
gehender  Erwägung   gegenüber   dem   Umstand,    daß   von    beiden 


Bodenplastische   Skizze.  ?n 

Punkten  erst  sechs  Jahrgänge  vorliegen,  während  kein  Zweifel 
aufkommen  kann,  daß  die  Beobachtungen  für  zehn  Jahre  und 
länger  werden  fortgesetzt  werden,  dies  mir  für  später  vorbehalten 
zu  sollen.  Das  jetzt  erreichbare  Ergebnis  würde  der  aufzu- 
wendenden Zeit  und  Mühe  nicht  entsprochen  haben.  Selbst- 
verständlich sind  die  englischen  Maße  der  Herren  Frost,  Fernau 
und  White,  wie  der  Station  auf  Kap  Spartel  umgerechnet. 


b)    Bodenplastische  Skizze. 

Wie  in  bezug  auf  andere  geographische' Züge  nimmt  Marokko 
auch  nach  seinem  Klima  eine  Sonderstellung  innerhalb  der  Atlas- 
Länder  ein.  Wenn  wir  vom  Muluja-Gebiet,  das  auch  in  dieser 
Hinsicht  mehr  zum  Mittelland  Algerien  gehört,  und  von  den  trans- 
atlantischen Landschaften  absehen,  die  völlig  saharisches  Klima 
haben,  besteht  Marokko  aus  dem  Hochgebirgsgürtel  des  Atlas, 
welchem  sich  das  wie  in  jeder  Hinsicht  so  auch  klimatologisch 
noch  völlig  unerforschte  Gebirgsland  des  Rif  anschließt.  Diesem 
Gürtel  von  Faltengebirgslandschaften  ist  nun  von  der  Meer- 
enge von  Gibraltar  im  Norden  bis  zum  Südwestende  des  Hohen 
Atlas  am  Kap  Ghir  das  Atlas -Vorland  vorgelagert,  das  im 
wesentlichen  als  ein  Tafelland  aufzufassen  ist.  Dieses  Atlas- 
Vorland  bildet  den  Kern  des  Staates  Marokko,  dessen  Grenzen 
nur  am  Ozean  und  gegenüber  Algerien  feststehend  sind. 
Aber  selbst  innerhalb  dieser  Grenzen  erkennt  nur  ein  Bruch- 
teil der  Bewohner  den  Staat  Marokko  an.  Die  Länderkunde 
kann  selbstverständlich  unter  Marokko  nur  jenen  Hochgebirgs- 
gürtel des  atlantischen  Faltenlandes  und  das  Atlas -Vorland 
verstehen.  Da  jener  klimatologisch  noch  unerforscht  ist,  vor 
allem  auch  außerhalb  des  Bereichs  meiner  eigenen  Forschungen 
liegt,  so  wird  sich  die  Darstellung  im  wesentlichen  auf  das  Atlas- 
Vorland  beschränken.  Dieses  steigt  als  Tafelland  in  Stufen  ziem- 
lich steil  vom  Meere  auf,  so  daß  in  einer  Meerferne  von  etwa 
60  bis  70  km  bereits  fast  allenthalben  eine  mittlere  Höhe  von 
400  m  vorhanden  ist,  die  sich  dann  bis  zu  dem  fast  überall 
scharf  ausgeprägten  Fuß  des  Gebirges  in  unmerklichem  Anstieg 
auf  etwa  600  km  steigert.  Im  Südwesten,  in  den  Landschaften 
Mtuga  und  Haha  ist  die  Meereshöhe  des  infolgedessen  auch 
etwas    reicher    gegliederten    Tafellandes    bedeutender;    es    treten 


5j2  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Höhen  von  400  m  schon  etwa  40  km  von  der  Küste  auf,  wäh- 
rend im  Norden  die  vom  Sebu  durchflossene  Tiefebene  des  Gharb, 
eine  tertiäre  und  quartäre  Meeresbucht,  mit  einer  mittleren  Höhe 
von  etwa  50  m  90  m  weit  in  das  Tafelland  eingreift,  das  sich 
seinerseits  von  dort  bis  zur  Meerenge  an  der  Außenseite  des 
Faltenlandes  auf  etwa   10  bis  20  km  verschmälert. 

Gemildert  wird  die  bodenplastische  Einförmigkeit  des  Tafel- 
landes, wenn  auch  nur  örtlich,  dadurch,  daß  in  den  höheren 
Teilen  desselben  wie  im  Südwesten,  in  Mtuga  und  Haha,  so 
namentlich  im  Gebiet  des  Bu-Regreg  die  Erosionskraft  der  vom 
Atlas  kommenden  Gewässer  wirksamer  gewesen  ist,  während 
anderwärts,  namentlich  im  Gebiet  des  mittleren  Tensift  und  des 
Um-er-Rbia  vorzugsweise  äolische  Denudation  flache  Wannen 
und  Tafelberge  gebildet  hat.  Die  Abtragung  ist  örtlich  so 
weit  fortgeschritten,  daß  unter  den  jüngeren  tafellagernden 
Schichten  das  alte  gefaltete  Grundgebirge ,  das  wohl  wesent- 
lich durch  Abrasion  zu  einer  Fastebene  umgestaltet  worden 
war,  zutage  tritt  und  Felsgebirge  von  geringer  relativer  Höhe 
und  Erstreckung  bildet.  Der  Einfluß ,  welchen  diese  wie 
die  Wannen  in  klimatologischer  Hinsicht  auszuüben  vermögen, 
dürfte  jedoch  außerordentlich  gering  sein.  Die  Meerferne  ist  von 
weit  größerer  Bedeutung  als  diese  geringen  Störungen  des  Tafel- 
landcharakters. Größeren  Einfluß  übt  nur  das  steil  über  dem 
Vorland  mit  einer  relativen  Höhe  von  2500  bis  3000  m  auf- 
steigende Gebirge  aus.  Wie  ein  Wall  schließt  es  jenes  von  der 
Wüste  und  zum  Teil  auch  vom  Mittelmeer  ab  und  macht  es 
gegen  den  Ozean  schauen. 

c)    Luftdruck    und    Luftströmungen. 

Für  Luftdruck  und  Luftströmungen  ist  entscheidend  die  Lage 
zum  subtropischen  Hochdruckgürtel  des  östlichen  Atlantischen 
Ozeans.  Der  hohe  Gebirgswall  gestattet  den  thermischen  und 
barischen  Verhältnissen  der  Sahara,  namentlich  der  sommerlichen 
Depression,  nur  geringen  Einfluß.  Während  des  Winters  liegt 
Marokko  noch  in  diesem  Hochdruckgürtel,  wenn  auch  in  der 
östlichen  Hälfte  desselben  und  mit  nach  Westsüdwesten  zuneh- 
mendem Druck.  Der  mittlere  Barometerstand  des  Januar  ist  (frei- 
lich  nur   in  dem  einen  Jahr   1885)    am  Kap  Juby   765,4  mm,    in 


Luftdruckverhältnisse  des  Atlas -Vorlandes. 


3*3 


Mogador  764,3 1),  in  Rabat  (wenig  zuverlässig,  zwei  Jahre  nach 
Linares)  764,4.  Aus  den  Nachbargebieten  beträgt  der  mittlere 
Luftdruck  des  Januar  auf  Tenerife,  Madeira  sowohl,  wie  andrer- 
seits in  Lagos,  San  Fernando  und  Gibraltar  765  bis  766  mm.  Vom 
Januar  nimmt  der  Luftdruck  gegen  den  Sommer  hin,  wenn  auch 
nicht  gleichmäßig,  ab,  so  daß  derselbe  im  Juli  am  Kap  Juby 
764,4,  in  Mogador  (nach  von  Maur  3 jähr.)  762,2  mm2)  beträgt; 
dagegen  in  Gibraltar  762,8,  in  San  Fernando  761,3,  in  Lagos 
761,9,  auf  Madeira  763,8,  in  Ponta  Delgada  auf  den  Azoren 
767,1  mm,  also  zunehmend  gegen  Nordwesten.  Es  liegt  Marokko 
danach  im  Sommer  im  allgemeinen  südlich  vom  Hochdruckgürtel, 
während  dann  jenseits  des  Atlas  sich  über  der  großen  Wüste 
eine  ausgedehnte  Depression  entwickelt.  Wie  sich  die  Luftdruck- 
verhältnisse im  Innern  des  Atlas -Vorlandes,  namentlich  auf  der 
subatlantischen  Hochebene  gestalten,  darüber  lassen  sich  nur  Ver- 
mutungen aussprechen ;  Vermutungen,  welche  sich  auf  wenige  Baro- 
meter-Ablesungen und  auch  nur  während  des  Winters  und  Früh- 
lings, namentlich  aber  auf  die  beobachteten  Luftströmungen  wäh- 
rend des  Frühlings  und  Sommers  stützen,  aber  natürlich  der 
Bestätigung  durch  längere  Beobachtungen,  in  Marrakesch  etwa, 
bedürfen.  Danach  wäre  anzunehmen,  daß  im  Winter  über  dem 
ganzen  Atlas -Vorland  und  dem  Atlas -Gebirge  ähnlich  wie  an  der 
Küste  verhältnismäßig  hoher  Luftdruck  herrscht,  während  sich  im 
Sommer  und  schon  von  Ende  März  an  hier  ein  örtlich  be- 
schränktes Auflockerungsgebiet  entwickelt.  Es  wäre  also  die 
subatlantische  Hochebene  dem  Pendschab  entfernt  ähnlich. 

Die  für  den  Winter  1886/87  vorliegenden  Barometer- Ab- 
lesungen in  Marrakesch3)  zeigten  deutlich  eine  Druckzunahme 
vom  September  zum  Dezember,  wo  der  mittlere  Stand  724  mm 
war,  und  eine  ebenso  regelmäßige  Abnahme  zum  März,  wo  der 
mittlere  Stand    721,1  mm,    fast   gleich  dem   vom  September   war. 


1)  Das  achtjährige  Mittel  (1867 — 1874)  der  Beobachtungen  Beaumiers 
nach  Ollive:  Climat  de  Mogador  im  Bull.  Soc.  Geogr.  Paris  1875,  II,  S.  387 
ist  765,2.  Das  von  Hann  (Zeitschrift  der  Österr.  Ges.  f.  Meteorolog.  1873, 
S.  9)  berechnete  fünfjährige  Mittel  ist  764,3.  Das  sich  aus  den  Beobachtun- 
gen des  Herrn  von  Maur  ergebende  zweijährige  Mittel(l895 — 1896)  ist  ebenfalls 
764,3.  Ich  halte  diesen  Wert  für  der  Wahrheit  näher  kommend,  da  er  auf 
drei  täglichen  Ablesungen  eines  Quecksilber-Barometers  beruht. 

2)  Nach  Hanns  fünfjährigem  Mittel  760,5,  nach  Ollive  761,6  mm. 

3)  Meteorolog.  Zeitschrift  1895,    S.  III. 


314  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Auf  das  Meeresniveau  reduziert1)  und  die  Meereshöhe  von  Marra- 
kesch  zu  500  m2)  angenommen,  gäbe  das  768,2  und  765,2  mm 
gegen  (2 jähr.  Mittel  nach  von  Maur)  766,1  und  762,9  mm  in 
Mogador.  Also  bedeutende  Druckzunahme  nach  dem  Innern. 
Leider  liegen  für  den  Sommer  keine  entsprechenden  Vergleichs- 
beobachtungen vor.  Ich  selbst  habe  nach  Vereinbarung  mit  Herrn 
von  Maur  meine  zwei  bzw.  drei  Aneroide  während  des  1  7  tägigen 
Aufenthalts  in  Marrakesch  vom  5.  —  21.  April  1899  regelmäßig  um 
7  Uhr  vorm.,  2  Uhr  und  9  Uhr  nachm.  abgelesen.  Ein  Vergleich 
der  beiderseitigen  Ablesungen  dieser  kurzen  Periode  ergab  eben- 
falls einen  höheren  Barometerstand  in  Marrakesch,  wie  in  Moga- 
dor, nämlich  724,2,  also  auf  das  Meeresniveau  reduziert  767,3 
in  Marrakesch,  764,7  in  Mogador.  Trotzdem  glaube  ich  im 
Sommer  für  das  Innere  des  Atlas-Vorlandes  und  besonders  für 
die  subatlantische  Hochebene  entsprechend  der  raschen  und  be- 
deutenden Wännezunahme  eine  Abnahme  des  Luftdrucks  gegen- 
über der  Küste  annehmen  zu  müssen.  Dies  würde  auch  erklären, 
daß  ich  im  April  und  Mai  fast  täglich  mit  steigender  Sonne 
westliche  und  nordwestliche  Winde  sich  entwickeln  und  an  Stärke 
zunehmen  sah,  die  dann  gegen  Abend  einlullten.  Dieselben 
brachten  kühle  Luft  vom  Ozean  und  wurden  als  außerordentlich 
wohltuend  empfunden.  Auch  die  später  zu  besprechenden 
sommp.rlinrtp.n  Staubtromben  und  heißen  Winde  mit  ihren  Be- 
gleiterscheinungen sind  wohl  aus  der  großen  Wärmezunahme  zu 
erklären. 

Dieser  Luftdruckverteilung  entsprechen  die  Luftströmungen: 
im  Winter  von  Süden  nach  Norden  immer  häufiger  werdendes 
Auftreten  des  West  und  Südwest  bis  zu  völliger  Vorherrschaft  im 
Norden,  im  Sommer  so  gut  wie  Alleinherrschaft  nordöstlicher 
Winde,  des  Passats.  Je  weiter  nach  Süden,  um  so  länger  und 
regelmäßiger  weht  derselbe.  Am  Kap  Juby  herrschen  acht  Monate 
hindurch  kühle  Nordnordost -Winde.  Von  November  bis  Februar 
sind  die  Winde  veränderlich,  aber  der  Nordost  herrscht  vor.    In 


i)  Nach  Hann:    Atlas  der  Meteorologie  S.  6. 

2)  Dies  dürfte  doch  wohl  etwas  zu  hoch  sein.  Vgl.  Ergänzungsheft 
zu  Peterm.  Mitteilungen  Nr.  133,  S.  77.  Daß  das  Innere  von  Marokko  im 
Winter  durch  eine  wesentliche  Druckzunahme  gekennzeichnet  wird,  nimmt 
auch  Dr.  Knoch  auf  Grund  der  neuen  Beobachtungen  in  Marrakesch  an. 
Ebenso  die  sommerliche  Auflockerung. 


Windverhältnisse  Nord -Marokkos. 


315 


Mogador  sind  ebenfalls  Nordnordost  und  Nordost  die  vorherr- 
schenden Windrichtungen.  Sie  wehen  besonders  von  Mai  bis 
September  unter  Tags  und  im  Juli  sozusagen  Tag  für  Tag  mit 
großer  Stärke,  während  nachts  und  morgens  Windstille  herrscht. 
Im  Winter,  von  November  bis  März  und  April,  sind  südwestliche, 
westsüdwestliche,  westliche  und  auch  südliche  Winde  nicht  gar 
selten.  Von  5475  Windbeobachtungen  Beaumiers  von  1870  bis 
1874  kamen  305g  auf  Nordost.  Nach  von  Maurs  Beobachtungen 
(1894 — 1899)  herrschen  in  allen  Monaten  des  Jahres  nordöst- 
liche und  nordnordöstliche  Winde  vor,  im  Sommer  naturge- 
mäß mehr  als  im  Winter.  Im  Juli  z.  B.  herrschen  diese  beiden 
Windrichtungen  an  26,3  Tagen  vor,  aber  auch  im  Januar  noch 
an  20,5  Tagen.  In  den  drei  Jahren  1894^ — 1896  waren  im  Juli 
70  °/0  im  Jahr  1895  und  1896  im  Januar  44%  aller  beob- 
achteten Windrichtungen  solche  des  ersten  Quadranten.  West-, 
Südwest-  und  Südsüdwestwinde,  die  Regenbringer ,  kennzeichnen 
die  Zeit  von  Oktober  bis  April  durch  eine  gewisse  Häufigkeit 
ihres  Auftretens,  während  sie  im  Sommer  sehr  selten  sind.  In  den 
drei  Jahren  1894 — 1896  kamen  im  Juli  auf  279  Windbeobachtun- 
gen nur  2 1  mal  Winde  aus  dem  dritten  Quadranten,  während  im 
Januar  1895  und  1896  auf  186  Windbeobachtungen  234-8  aus 
dem  dritten  Quadranten  kamen.  Leider  liegen  mir  nur  diese 
zwei  Jahre  vor,  in  denen  der  Januar  1896  durch  große  Regen- 
armut als  nicht  normal  erscheint.  Selbst  der  Januar  1895  bleibt 
mit  nur  65,9  mm  Regen  hinter  dem  6jährigen  (1895  — 1900) 
Mittel  von  97,3  mm  beträchtlich  zurück.  Ich  schließe  daraus, 
daß  auch  diese  2^  mal  unter  93  Beobachtungen  festgestellten 
Winde  des  dritten  Quadranten  unter  dem  Mittel  sind  und  min- 
destens ein  Drittel  aller  im  Januar  beobachteten  Windrichtungen 
solche  aus  dem  dritten  Quadranten  sind.  Wir  können  also  an- 
nehmen, daß  in  Mogador  die  Winde  dieses  Quadranten  im 
Juli  nur  7,5,  im  Januar  S3°/0  der  beobachteten  Windrichtungen 
ausmachen.  Süd-  und  Südostwinde  sind  sehr  selten  und  treten 
nur  in  geringem  Maß  mit  den  Erscheinungen  des  Scirocco  (Föhn) 
auf.  Sie  wehen  etwa  einen  halben  Tag  zwei-  bis  dreimal  im 
Jahr.  Immerhin  richtete  ein  am  23.  Juni  1900  drei  Stunden 
nachmittags  wehender  Ostsüdost-Sturm  beträchtlichen  Schaden  an 
Mauern  und  (flachen!)  Dächern  an.  Ablandige  Winde,  wozu 
in  Mogador  alle  Winde  etwa  zwischen  Nordosten  und  Süden  zu 


3  I  6  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

rechnen  sind,  wehen  im  Juli  zu  68°/0,  im  Januar  zu  73%.  Doch 
ist  der  letzte  Prozentsatz  wegen  der  nicht  normalen  Januare  bei 
beiden  Beobachtungsjahren  zu  hoch.  Immerhin  wird  man  auch 
im  Januar  wohl  noch  über  die  Hälfte  aller  Windrichtungen  als 
ablandige  ansehen  können.  Sehr  deutlich  laßt  die  2  Uhr  nach- 
mittags-Beobachtung,  bei  welcher  63%  auflandige  Winde  sind, 
im  Juli  den  Wechsel  von  See-  und  Landwind  erkennen.  Die 
Windstärke  pflegt  bei  Nordwest  und  Nordnordwest,  gelegent- 
lich auch  bei  Südwest  und  im  Winter  am  größten  zu  sein,  doch 
erreicht  auch  der  Passat  untertags  nicht  selten  eine  große  Stärke. 
Windstille  ist  in  Mogador,  wie  im  übrigen  ja  meist  an  den  Küsten 
des  Ozeans,  eine  seltene  Erscheinung.  Im  Januar  kam  1895 
und  1896  Windstille  überhaupt  nicht  zur  Beobachtung,  im  Juli 
1894  — 1896  auf  279  Beobachtungen  nur  fünfmal.  Das  wäre 
von  großer  Wichtigkeit  für  die  Aufstellungen  von  Windmotoren 
zur  Bewässerung  der  Gärten  in  der  Umgebung  der  Küstenstädte 
und  im  ganzen  Küstengebiet  an  Stelle  von  Eseln  und  Maultieren, 
die  heute  allgemein  zum  Emporheben  des  Wassers  in  den  Norias 
verwendet  werden. 

Wie  sich  weiter  nach  Norden  die  Windverhältnisse  gestalten, 
kann  man  sich  ungefähr  vorstellen,  nämlich  größere  Häufigkeit 
des  Südwest  im  Winter,  geringere  des  Nordost  im  Sommer. 
Doch  fehlt  es  an  genügenden  Beobachtungen.  In  Rabat  kommen 
nach  den  nicht  ausreichenden  Beobachtungen  des  Dr.  Linares 
im  Winter  auf  Winde  des  dritten  Quadranten  44%,  des  ersten 
S3°l0,  im  Sommer  47%  un<^  43 %•  ^m  Sommer  weht  also  der 
Passat  hier  weniger  lange  und  regelmäßig,  wenn  auch  nörd- 
liche und  nordöstliche  Windrichtungen  im  Sommer  viel  häufiger 
sind  als  im  Winter.  Man  pflegt  auch  gewöhnlich  am  Kap  Cantin, 
zwischen  Mogador  und  Rabat  die  Polargrenze  des  ausgebildeten 
Passats  anzusetzen.  Nach  den  Beobachtungen  des  Herrn  Frost 
weht  in  Rabat  im  Mittel  im  Januar  an  10  Tagen  Ost-,  an  9  Tagen 
Westwind,  im  Juli  an  27  bzw.  4  Tagen.  Diese  auffallende  Er- 
scheinung ist  nur  aus  der  Lage  des  Standorts  des  Beobachters 
am  Rand  des  Bu  Begreg -Tales  zu  erklären.  Es  werden  dort 
offenbar  und  nach  meiner  Kenntnis  der  Ortlichkeit  begreiflicher- 
weise fast  alle  Winde  durch  das  tief  in  das  Tafelland  annähernd 
in  Westost-Richtung  eingeschnittene  Flußtal  abgelenkt.  Ich  glaube 
demnach    diesen   Beobachtungen    entnehmen   zu   können,   daß  im 


Windverhältnisse  der  Straße  von  Gibraltar. 


317 


Sommer  dort  die  Winde  des  ersten  Quadranten  außerordentlich 
überwiegen  und  auch  im  Winter  noch  sehr  häufig  sind.  Es  würde 
sonach  das  Bild  der  Windverhältnisse  von  Rabat  noch  nicht  allzu 
stark  von  Mogador  abweichen. 

Sehr  eigenartig  sind  die  Windverhältnisse  der  Straße  von 
Gibraltar.  Für  das  Verständnis  derselben  gilt  es  natürlich  neben 
den  Beobachtungen  auf  Kap  Spartel  und  in  Tanger  auch  die 
von  Tarifa,  Gibraltar  und  San  Fernando  heranzuziehen.  Stellen 
wir  zunächst  die  beobachteten  Tatsachen  zusammen.  An  der 
Signalstation  auf  Kap  Spartel  zeigt  sich  sofort  die  Bedeutung  der 
Meerenge  für  den  Ausgleich,  wie  der  Gegensätze  von  Ozean  und 
Mittelmeer  in  bezug  auf  Salzgehalt,  Schwere,  Temperatur  usw., 
so  auch  der  Luftmassen  über  beiden  Wasserflächen.  Alle  Luft- 
strömungen werden  durch  diesen  engen  Durchgang,  der  im  Süden 
wie  im  Norden  von  hohem  Lande  und  von  Gebirgen  mit  Höhen 
von  2000  m  und  mehr  begrenzt  wird,  abgelenkt  und  nehmen 
ähnlich  wie  in  einer  engen  Gasse  an  Stärke  zu.  Die  Gegensätze 
der  Erwärmung  und  des  Luftdrucks  über  beiden  Meeren,  nament- 
lich bei  der  Ausbildung  von  Depressionen  über  dem  warmen 
Mittelmeer  während  des  Winters  werden  auch  ihrerseits  zur  Er- 
zeugung von  Luftströmungen  meist  beträchtlicher  Stärke  beitragen. 
In  der  Tat  ist  die  Straße  von  Gibraltar,  wenigstens  im  Winter, 
eines  der  greulichsten  Zuglöcher  der  Erde.  Der  Aufenthalt  in 
Tanger  erscheint  jedenfalls  durch  den  fast  ununterbrochen, 
häufig  sturmartig,  bald  von  Ost,  bald  von  West  wehenden  Wind 
im  Winter,  bis  man  sich  daran  gewöhnt  hat,  als  wenig  angenehm. 
Der  Bosporus,  das  zweite  große  Zugloch  des  Mittelmeergebiets, 
ist,  was  die  Luftbewegung  anlangt,  nicht  so  schlimm,  freilich  die 
Wirkung  der  dort  hereinbrechenden  nördlichen  Winde  wesentlich 
größer.  Im  Sommer  ist  die  Windstärke  an  und  für  sich  nicht 
geringer,  wird  aber  bei  der  herrschenden  Wärme  eher  angenehm 
empfunden.  Nur  im  August  und  September  herrscht  hier  etwas 
größere  Ruhe. 

Es  kommen  im  sechsjährigen  Mittel  an  Kap  Spartel  bei 
den  zweimal  täglichen  (9  Uhr  vorm.  und  9  Uhr  nachm.)  Beob- 
achtungen im  Jahresmittel  $2  %  a^er  beobachteten  Windrich- 
tungen auf  O,  29  %  auf  SW  und  w-  Dabei  ist  bezeichnend, 
daß  alle  andern  östlichen  Richtungen  verhältnismäßig  selten 
sind,  weil  eben  alle  durch  die  Meerenge  abgelenkt  zur  Beobach- 


•5j8  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

tung  kommen,  während  Südwest  etwas  häufiger  auftritt  als  West 
und  nebenbei  auch  Süd  und  Nordwest  eine  gewisse  Häufig- 
keit haben,  die  ihrerseits  erst  hier  am  westlichen  Eingang  in 
die  Meerenge  eine  Ablenkung  erfahren.  In  Tanger,  wo  die 
Lage  des  Beobachtungsortes  keine  sehr  verschiedenen  Bedin- 
gungen von  dem  12  km  entfernten  Kap  Spartel  aufweist,  kom- 
men im  sechsjährigen  Mittel  auf  O  20  °/0,  auf  SO  io°/0,  auf  SW 
16  %,  auf  NW  13  %,  auf  W  28%  während  N,  S  und  SO  noch 
seltener  auftreten  als  am  Kap  Spartel.  In  Gibraltar  sind  ebenfalls 
im  sechsjährigen  Mittel1)  Ost-  und  Nordwest-  bzw.  Südwest-  und 
Westwinde  am  häufigsten.  O  weht  an  89  Tagen,  NW  an  95, 
SW  an  60,  W  an  43  Tagen.  Auch  hier  sind  N,  S  und  SO  ver- 
hältnismäßig selten.  Der  Ostwind,  Levanter  genannt,  hält  zu- 
weilen 4  bis  5  Wochen  an.  Während  dieser  Zeit  hängt  eine  dicke, 
dunkle  Wolke  über  dem  Felsen. 

Was  die  jahreszeitliche  Verteilung  dieser  vorherrschenden 
Windrichtungen  anlangt,  so  kommen  am  Kap  Spartel  im  Januar 
auf  O  2  6°/0,  auf  W  und  SW  2i0/0  der  beobachteten  Windrich- 
tungen, im  Juli  auf  O  39%'  am°  W  und  SW  32°/0.  Wir  sehen 
also,  daß  auch  hier  die  Ostwinde,  unter  welchen  vorwiegend 
Windrichtungen  des  ersten  Quadranten  zu  verstehen  sind,  im 
Jahr  und  besonders  im  Sommer  noch  überwiegen,  aber  die  Winde 
des  dritten  Quadranten  stehen  ihnen  an  Häufigkeit  nicht  mehr 
viel  nach.  In  Tanger  kommen  im  Januar  auf  O  2$°/0,  auf  W 
und  SW  52%,  im  Juli  auf  O  26%,  auf  W  und  SW  35%.  In 
Gibraltar  weht  im  Winter  der  O  an  19,  im  Sommer  an  29  Tagen, 
der  W,  SW  und  NW  im  Winter  an  je  10,  n  und  29  Tagen, 
im  Sommer  an  je  12,  15  und  15  Tagen.  Es  herrscht  also  im 
Sommer  der  Ost-,  im  Winter  der  Westwind  vor. 

Die  Windstärke  ist  nach  den  Beobachtungen  am  Kap  Spartel 
im  sechsjährigen  Mittel  im  Januar  nach  der  12  teiligen  Skala  3,2, 
im  Juli  3,4,  im  März,  der  meist  sehr  stürmisch  ist,  3,6,  im  Sep- 
tember, dem  verhältnismäßig  ruhigsten  Monat,  3,0.  Es  sind  be- 
sonders die  Ostwinde,  welche  stürmisch  auftreten  und  den  Ver- 
kehr über  die  Meerenge  erschweren,  ja  tagelang  unmöglich  machen. 
Das  zeigen  namentlich  auch  die  Beobachtungen  von  Tanger. 
Auf  ihnen    beruht    die    ungewöhnliche  Windstärke   des  Sommers. 


1)  Zeitschrift  der  Österr.  Ges.  f.  Meteorolog.   1874,    S.  75. 


Kühle  Auftriebküste.  310 

Im  fünfjährigen  Mittel  kommen  Oststürme  (Stärke  7 — 10)  an 
nicht  weniger  als  8g  Tagen  vor,  in  jedem  der  fünf  Monate  Mai 
bis  September  im  Durchschnitt  an  1 1  Tagen.  Auch  der  Nordost 
tritt  im  Sommer  ziemlich  häufig  und  in  großer  Stärke  auf,  während 
Südwest-  (an  41  Tagen  jährlich)  und  Weststürme  (an  39  Tagen) 
besonders  die  Zeit  von  Dezember  bis  April  kennzeichnen.  Die 
anemometrischen  Aufzeichnungen  am  Marine  -  Observatorium  zu 
San  Fernando1)  ergeben  ebenfalls  für  den  Ostwind  die  bei  weitem 
größte  mittlere  Geschwindigkeit,  nämlich  19,2  km  in  der  Stunde, 
gegen   15,2  für  den  Westwind. 

Wenn  wir  diese  Betrachtungen  über  die  Windverhältnisse 
von  Marokko  von  einem  bestimmten  Gesichtspunkt  aus  kurz  zu- 
sammenfassen, so  sehen  wir,  daß  an  der  Straße  von  Gibraltar 
noch  4 — 5  Monate  Winde  vorherrschen,  welche  als  ablandige 
bezeichnet  werden  können,  und  daß  dieselben  mit  größter  Stärke 
auftreten.  In  Mogador  herrschen  dieselben  schon  das  ganze 
Jahr  vor  und  überwiegen  auch  noch  im  Winter,  am  Kap  Juby 
ist  beides  in  noch  höherem  Grade  der  Fall.  Dieser  Umstand 
beeinflußt  das  Klima  des  ganzen  Küstengebiets  in  überaus  auf- 
fälliger Weise  und  ruft  einen  grellen  Gegensatz  zwischen  diesem 
und  dem  Innern  des  Atlas -Vorlandes  hervor.  Mit  demselben 
hängt  zusammen  die  niedrige  Temperatur  des  Meeres  an  der 
Küste,  große  Luftfeuchtigkeit,  Nebel,  Tau,  außerordentlich  gleich- 
mäßige Wärme  des  Küstengebiets,  Seltenheit  von  Gewittern,  jahres- 
zeitliche Verteilung  und  Menge  der  Niederschläge. 

d)    Kühle  Auftriebsküste. 

Bei  meinen  Studien  über  das  Klima  der  Mittelmeerländer 
stieß  mir  schon  im  Jahre  1877  die  Tatsache  auf,  daß  an  der 
Küste  von  Portugal,  Spanien  und  Marokko  die  Luft  ganz  auf- 
fällig kühl  sei,  besonders  im  Sommer,  und  das  Meer  hier  einen 
großen  Teil  des  Jahres  (acht  Monate)  in  einem  allerdings  nicht 
sehr  breiten  Gürtel  des  Küstenlandes  in  hohem  Grade  Temperatur 
erniedrigend  wirke.  Line  genügende  Erklärung  für  diese  Er- 
scheinung glaubte  ich  in  der  die  Küste  begleitenden,  aus  hohen 
in  niedrigere  Breiten  gehenden  und  darum  kühl  erscheinenden 
nordafrikanischen  oder  Kanarenströmung  nicht  erkennen  zu  können. 


1)  Zeitschrift  der  Österr.  Ges.  f.  Mcteorolog.   1874,  S.  75. 


X20  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Ich  suchte  die  Erklärung  der  auffallend  niedrigen  Oberflächen- 
temperatur des  Meeres  an  der  Küste  in  „aus  der  Tiefe  auf- 
tauchenden Schichten"1).  Wohl  als  einer  der  ersten  hatte  ich 
so  die  Erscheinung  der  kühlen  Auftriebwasser  erkannt,  freilich 
ohne  auch  bereits  in  den  ablandigen  Winden  die  Kraft  zu  er- 
kennen, welche  diese  kühlen  Wassermassen  aus  der  Tiefe  empor- 
zog. Ich  wies  damals  auch  schon  auf  die  diesen  Küstengürtel 
kennzeichnenden  Nebel  hin.  Einer  meiner  Schüler,  Dr.  Puff2), 
hat  dann  1890  aus  den  Schiffstagebüchern  der  Deutschen  See- 
warte diese  Verhältnisse  klargelegt.  Es  ergab  sich,  daß  der 
Unterschied  zwischen  Luft-  und  Oberflächenwasserwärme  im 
Sommer  an  der  Küste  von  Norden  nach  Süden  immer  größer 
wird  und  ein  verhältnismäßig  schmaler  Gürtel  nahe  unter  Land 
auffallend  kühl  erscheint.  Dr.  Puff  zeigte,  daß  an  der  Küste  des 
äußersten  Nordwest -Marokko  das  ganze  Jahr  Wasser  aus  der 
Tiefe  emporgesogen  wird,  wenn  sich  dies  naturgemäß  auch  nur 
im  Sommer  als  thermisch  wirksam  erweist.  Während  dieses 
Oberflächenwasser  vor  der  Meerenge  vom  Juli  bis  September 
etwa  190  C  hat,  dat  es  draußen  auf  dem  Ozean  in  gleicher  Breite 
20 — 22°  C,  im  Mittelmeer  21 — 230  C.  Und  so  an  der  Küste 
von  Marokko  südwärts.  Bei  seinen  so  bedeutungsvollen  Unter- 
suchungen über  die  Strömungen  in  der  Straße  von  Gibraltar 
"stellte  Carpenter3)  im  August  1872  fest,  daß  die  Oberflächen- 
temperaturen von  der  spanischen  nach  der  marokkanischen  Küste 
stetig  abnahmen.  Im  Profil  der  größten  Verengung  der  Straße, 
von  Pearl  Rock,  wo  man  22,5°  C  fand,  nahm  die  Oberflächen- 
temperatur gegen  die  Mitte  mit  16,6°  C  und  gegen  Punta  Cires, 
wo  man  nur  15,3°  C  feststellte,  auffallend  ab.  Ähnlich  von  Tarifa 
bis  zur  Tangerbucht  19,3,  16,7,  16,5°  C.  Also  Temperaturen, 
wie  man  sie  an  der  Oberfläche  im  August  erst  an  der  Südküste 
von  Irland  findet.  Bei  Mogador  fanden  Buchanan  und  Nares4) 
im  August  dicht  am  Lande  15,6°  C,  20  Seemeilen  von  der 
Küste  schon   21,1°  C. 

Am  Kap  Juby,   wo    die  Meerestemperatur   bei  eingetretenem 


1)  Peterm.  Mitt.  Ergänzungsh.   58,  S.  25. 

2)  Das  kalte  Auftriebwasser  an  der  Ostseite  des  Nordatlantischen  Ozeans. 
Marburger  Dissertation   1890,  S.  12. 

3)  Proc.  Roy.  Geogr.  Soc.   1874,  S.  333. 

4)  S.  ebenda   1886,  S.  764. 


Kühle  Auftriebküste. 


321 


Hochwasser  beobachtet  wurde,  war  dieselbe  von  April  bis  Oktober 
niedriger  als  im  Winter;  im  Juni  z.  B.  16,3°  C  gegen  16,9°  C 
im  Januar,  17,7°  C  im  November  und  Februar,  I7,8°C  im  März. 
Das  Jahresmittel  ist  17,2°  C,  das  absolute  Maximum  im  August 
20, 8°  C.  Das  sind  also  ungewöhnlich  niedrige  Temperaturen  für 
die  Breite  von  270  28'  N.  Auch  die  die  Gewässer  des  kühlen 
Auftriebs  gewöhnlich  kennzeichnende  flaschengrüne  Farbe  findet 
sich  an  der  atlantischen  Küste.  Meine  Absicht,  auch  meinerseits 
zur  weiteren  Klärung  dieser  Verhältnisse  durch  Beobachtungen 
mit  Aräometer ,  Thermometer  und  Farbenskala  beizutragen, 
scheiterte  daran,  daß  die  Instrumente  aus  Versehen  nach  Mogador 
vorausgegangen  waren,  in  Mogador  selbst  aber  die  bewegte  See 
jede  Beobachtung  unmöglich  machte.  Sehr  erwünscht  kamen  mir 
daher  die  Beobachtungen,  welche  Herr  Stabsarzt  Dr.  Krämer  auf 
Anregung  von  Professor  O.  Krümmel  an  Bord  S.  M.  Schulschiff 
„Stosch",  das  damals  an  der  marokkanischen  Küste  kreuzte,  am 
24.  und  25.  August  1899  auf  der  Fahrt  von  Tanger  nach  den 
Kanarischen  Inseln  anstellte  und  die  mir  Herr  Professor  Krümmel, 
dessen  Rat  ich  für  meine  eigenen  Beobachtungen  erbeten  hatte, 
freundlichst  zur  Verfügung  gestellt  hat.  Die  herrschende  Wind- 
richtung war  Ost,  d.  h.  die  nach  den  Beobachtungen  auf  Kap 
Spartel  im  August  bei  weitem  überwiegende  Windrichtung,  auf 
welche  speziell  im  August  1899  fast  die  Hälfte  aller  beobachteten 
Windrichtungen  kam.  Ich  lasse  die  Beobachtungstabelle  auf 
S.  322   auszugsweise  folgen. 

Es  ergibt  sich  aus  diesen  Beobachtungen,  daß  die  Küsten- 
gewässer um  Kap  Spartel  nach  Temperatur,  Dichte  und  Salz- 
gehalt dem  kühlen  Auftrieb  angehörten,  aber  nur  in  einem  sehr 
schmalen  Gürtel.  In  einem  Abstand  von  12  km  steigt  die  Ober- 
flächentemperatur sehr  rasch,  allerdings  Dichte  und  Salzgehalt 
weniger  rasch.  Auch  die  Lufttemperatur  steigt  entsprechend. 
Bei  der  letzten  Beobachtung  um  9  Uhr  abends  ist  die  Ober- 
flächentemperatur bereits  auf  21,5°  C  gestiegen.  Die  Beobach- 
tungen am  25.  August,  die  eine  etwa  130,  die  andere  etwa 
158  km  westlich  von  Arsila,  zeigen  die  normale  Temperatur, 
Dichte  und  Salzgehalt  des  Ozeans  in  dieser  Gegend  und  Jahreszeit. 

Wie  es  auch  anderwärts  vielfach  der  Fall  ist,  so  wird  auch 
das  Gestade  dieses  Gürtels  kühlen  Auftriebs,  der  natürlich  örtlich 
von  der  Boden-  und  der  Küstengestalt  beeinflußt  ist,  um  ZU- 
Fischer,   Mittelmeerbilder.    Neue   Folge.  2  1 


32: 


V,   2.    Das  Klima  von  Marokko. 


Zeit 

Ort 

Kurs 

d.  See-    H 
wassers    g 

d.Luft      ° 

Aräometer- 
gewicht 

Wasser- 
temperatur 

in  ° 
«■CO 

•6* 

•3 

ja 

24.VIII.99 

!   ! 

3hp 

etw.  östl.v.Kap  Spartel 

WNWVjW 

16,4         1027,6  17,611027,5 

36,0 

3h  io'p 

1  y4  Sm.  w.  v.  K.  Sp. 

16,4 

20,7!  1027,8  17,4t  1027,7 

36,3 

3h  2o'p 

2 

1 1027,6  I7,6|i027,5  36,0 

3h30'p 

2,5    „ 

17,1 

1027,8  t  17,8;  1027,6136,1 

3h35'p 

3      j) 

i7»3 

1027,6117,8 

1027,6136,1 

3h4o'p 

3>5      .. 

17,3 

3h45'p 

4 

17.3 

3h55'p 
4h  io/p 

5 

6,5      „  ab  K.  Sp. 

wNwysw 

i7>3 
i8,3 

21,3 

1027,5 

18,6 

1027,6 

36,1 

4h  2o'p 

7>5      » 

18,7 

1027,5 

18,8 

1027,7 

36.3 

25.Vm.99 

8h  io'a 

35°25'N 
7°i5'W 

24,2 

24,2 

1026,4 

24,4 

1028,0 

36,7 

I2hm 

35°261;,N 
7°3o'W 

24,6 

25,6 

1026,0 

25,6 

1027,5 

36,4 

nächst  die  augenfälligen  Erscheinungen  hervorzuheben,  durch 
hohe  relative  Feuchtigkeit,  häufige  Nebel  und  reichliche  Taufälle 
gekennzeichnet,  also  Erscheinungen,  welche  alle  in  den  engsten 
Beziehungen  zueinander  stehen.  Nebel  sind  allerdings  am  Kap 
Juby  selten  und  nie  von  langer  Dauer.  Wohl  aber  wird  diese 
Küste  durch  ungewöhnliche  Taubildung  gekennzeichnet.  Dies 
bezeugen  vom  Rio  de  Oro  die  spanischen  Forscher  E.  Bonelli x) 
und  Fr.  Quiroga  *).  Ganz  wie  ich  es  am  unteren  Tensift  beob- 
achtete, würde  man  dort,  wenn  man  im  Freien  schlafen  wollte, 
bis  auf  die  Haut  durchnäßt  werden,  während  drei  Tagereisen 
von  der  Küste  Taufälle  selten  sind  und  große  Lufttrockenheit 
herrscht.  Weiter  nach  Süden  sind  die  Taufälle  noch  reichlicher, 
und  Schiffe,  welche  in  der  Nähe  des  Landes  vor  Anker  liegen, 
gewähren  nach  einem  solchen  Taufalle  den  Anblick,  als  ob  ihr 
Deck  und  Takelwerk  abgespült  sei3).  Von  Choree  und  St.  Louis 
berichtet  Borius4),   daß  dort  während  der  Trockenzeit,  besonders 


1)  El  Sahara.     Madrid   1887. 

2)  Observaciones  geologicas  hechas  en  el  Sahara  occidental.    Anal.  Soc 
Espafi.  de  Hist.  Nat.  T.  XVIH   1889,  S.  313. 

3)  Puff  a.  a.  O.,  S.  56. 

4)  Ztschr.  d.  Österr.  Ges.  f.  Met.   1875,  S.  374. 


Tau  und  Nebel  im  Küstengebiet.  ^21 

von  März  bis  Mai,  der  Taufall  so  reichlich  ist,  daß  in  einigen 
Häusern  das  so  niedergeschlagene  Wasser  in  Zisternen  geleitet 
wird  und  oft  in  einer  Nacht  die  Niederschlagshöhe  des  Taus 
2  mm  erreicht.  Am  Kap  Juby  ist  die  relative  Feuchtigkeit  das 
ganze  Jahr  sehr  groß,  namentlich  aber  vom  Mai  bis  Oktober, 
wo  sie  im  August  94%  erreicht.  Selbst  im  Januar,  wo  sie  am 
geringsten  ist,  beträgt  sie  noch  8i,5°/0.  Es  ist  somit  kaum  zu 
bezweifeln,  daß  auch  hier  sehr  bedeutende  Taubildung  stattfindet. 
Dem  entspricht  auch  die  Bewölkung,  die  im  Winter  am  geringsten 
ist,  aber  selbst  im  November,  dem  wolkenfreiesten  Monat  2,2 
beträgt,  dagegen  auch  ihrerseits  im  Sommer  beträchtlich  ist  und 
im  Mai  auf  6,8,  im  Juli  auf  6  steigt.  Nach  dem  von  der  Deut- 
schen Seewarte  herausgegebenen  Segelhandbuch  für  den  Atlanti- 
schen Ozean  (i.  Aufl.,  S.  113)  herrschen  an  der  marokkanischen 
Küste  von  Mai  bis  September  häufig  dichte  Nebel,  durch  welche 
die  Sonne  viele  Tage  nur  zur  Mittagszeit  matt  scheint  und  bei 
welchen  die  Lufttemperatur  um  die  wärmste  Tageszeit  selten 
über  2 50  C  steigt.  Von  Agadir  hebt  Rohlfs l)  hervor,  daß  dort 
im  August  die  Sonne  den  Nebel  vor  Mittag  selten  durchdrang. 
Die  Eingeborenen  versicherten  ihm,  daß  sie  selbst  im  hohen 
Sommer  diese  aus  dem  Meer  aufsteigenden  Nebel  selten  vor 
Mittag  zu  zerstreuen  vermöge. 

Auch  in  Mogador  sind  Nebel  recht  häufig,  besonders  im 
Sommer,  wie  schon  J.  Hooker  dies  an  der  Küste  von  Süd- 
Marokko  feststellte.  Aus  den  neueren  Beobachtungen  des  Herrn 
von  Maur,  deren  darauf  bezügliche  Ergebnisse  mir  allerdings  nur 
für  die  Zeit  von  April  1 894  bis  Ende  1 896  zur  Verfügung  stehen, 
ergibt  sich,  daß  der  Winter,  die  eigentliche  Regenzeit,  fast  frei 
von  Nebeln  ist,  dagegen  solche  und  dunstige  Luft  im  Sommer 
recht  oft  auftreten.  Während  in  der  Beobachtungszeit  sowohl  im 
Dezember  wie  im  Januar  an  keinem  Tage  Nebel  oder  dunstige 
Luft  beobachtet  wurde,  begannen  dieselben  von  Mai  an  häufiger 
zu  werden,  erreichten  ihr  Maximum  im  August,  wo  im  Durch- 
schnitt 5,3  Tage  mit  Nebel  und  15,3  Tage  mit  dunstiger  Luft 
vorkommen,  um  dann  bis  November  wieder  abzunehmen  und  zu 
verschwinden.  Immerhin  waren  auch  für  Juli  die  betreffenden 
Mittelwerte  5,3  und  13,  für  September  3,7  und  8,0.  Im  Jahres- 
mittel kommen  in  Mogador  21  Nebel-  und  67  dunstige  Tage  vor. 

1)  Mein  erster  Aufenthalt  in   Marokko,   S.  420. 


?24  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Bei  den  im  ganzen  9 1  Beobachtungen,  welche  de  Foucauld 
während  seines  44tägigen  Aufenthalts  (29.  Januar  bis  13.  März 
1884)  in  Mogador  vornahm,  war  der  Himmel  45  mal  dunstig. 
Am  11.  Februar  verzeichnete  er  dichten  Nebel,  der  bis  11  Uhr 
vormittags  anhielt. 

Die  Luftfeuchtigkeit  ist  dementsprechend  in  Mogador  ähnlich 
wie  am  Kap  Juby  ziemlich  groß.  Die  relative  Feuchtigkeit  be- 
trägt im  sechsjährigen  Jahresmittel  88  °/0.  Ohne  überhaupt  großen 
Schwankungen  unterworfen  zu  sein,  ist  sie  doch  im  Sommer  sehr 
groß,  so  groß,  daß  dann  alles  Lederwerk,  Kleider  u.  dgl.  rasch 
muffig  und  stockig  werden,  wenn  man  sie  nicht  möglichst  oft 
und  sorgsam  lüftet.  Doch  ist  diese  übergroße  Luftfeuchtigkeit 
in  Mogador  im  Sommer  zum  Teil  örtlich  bedingt  und  beschränkt. 
Der  stürmische  Nordost-Passat  nämlich  ruft  an  den  Felsen  an 
der  Nordseite  der  Stadt  so  heftige  turmhohe  Brandung  hervor, 
daß  ununterbrochen  fein  zerstäubtes  Seewasser  oft  unter  Regen- 
bogenbildung über  die  Stadt  hingeweht  wird.  Daß  aber  noch 
sonst  an  der  Küste  und  schon  im  Frühjahr  die  Luft  nicht  sehr 
weit  von  der  Sättigung  mit  Wasserdampf  entfernt  ist,  das  be- 
weisen J.  Hookers  Klagen  (im  April),  daß  die  große  Luftfeuchtig- 
keit an  der  ganzen  Küste  das  Trocknen  der  Pflanzen  außer- 
ordentlich erschwere.  Die  Bewölkung,  über  welche  auch  nur 
Herrn  von  Maurs  hier  nicht  ganz  lückenlose  Beobachtungen  von 
x\pril  1894  bis  Dezember  1896  zur  Verfügung  stehen,  erscheint, 
soweit  bereits  ein  Urteil  möglich  ist,  im  allgemeinen  im  Winter 
schon  etwas  größer  als  im  Sommer.  Im  Mittel  der  sechs  Monate 
Oktober  bis  März  beträgt  sie  3,9,  vom  April  bis  September  3,1. 
Nach  Beaumiers  Beobachtungen  zählt  man  29,3  mittlere  und 
60,9  bedeckte,  1 1 , 1  Nebeltage,  zu  denen  aber  noch  50  dunstige 
Tage  hinzukommen. 

Gehen  wir  weiter  nach  Norden,  so  ergibt  sich  aus  den 
Beobachtungen  des  französischen  Konsuls  Gilbert  in  Casablanca, 
daß  dort  von  März  1867  bis  Februar  1868  nicht  weniger  als 
23  Tage  mit  Nebel  vorkamen,  davon  19  von  Juli  bis  Oktober, 
6  allein  im  August,  häufig  sehr  dicht  und  den  ganzen  Tag  an- 
haltend. Die  Beobachtungen,  welche  Herr  Ingenieur  Rottenburg 
nach  Vereinbarung  mit  mir,  in  der  Zeit  vom  n.  bis  31.  Mai  1899 
in  Rabat  anstellte,  während  der  Zeit,  wo  ich  auf  der  Reise  von 
Rabat  nach  Meknäs  und  Fäs  und  von  da  nach  Tanger  begriffen 


Tau  und  Nebel  in  Nord -Marokko. 


325 


war,  ergaben  unter  diesen  2 1  Tagen  nicht  weniger  als  4  bei  der 
Morgenbeobachtung  (7  Uhr  vormittags)  ganz  bewölkte  und  noch 
weitere  7,  an  welchen  die  Hälfte  des  Himmels  und  mehr  wolken- 
bedeckt war.  Bei  der  Abendbeobachtung  (9  Uhr  nachmittags) 
herrschte  an  2  Tagen  volle,  an  3  weiteren  mehr  als  halbe  Be- 
wölkung, während  bei  der  Mittagsbeobachtung  (2  Uhr  nachmittags) 
nur  an  2  Tagen  halbe  Bewölkung,  an  8  Tagen  vollkommene 
Heiterkeit  herrschte.  Die  relative  Feuchtigkeit  sank  an  zwei 
Tagen  bis  auf  82  °/0,  während  andererseits  ebenfalls  an  zwei 
Tagen  nahezu  volle  Sättigung  erreicht  wurde,  es  aber  auch  nur 
an  zwei  Tagen  zu  Regen  kam.  Nur  3  von  den  2 1  Tagen  waren 
taufrei!  Es  waren  die  Tage,  an  welchen  Regen  eintrat  oder 
sehr  starke  Bewölkung  herrschte.  Es  ist  daraus  zu  schließen, 
daß  auch  in  Rabat  noch  im  Sommer  denen  von  Mogador  ziem- 
lich  ähnliche  Verhältnisse  herrschen. 

Von  Tanger  liegen  leider  keine  Beobachtungen  über  Nebel 
vor.  Die  Bewölkung  läßt  nach  den  sechsjährigen  Beobachtungen 
des  Ministerresidenten  Weber  ganz  den  mediterranen  Typus  er- 
kennen. Sie  ist  am  größten  im  eigentlichen  meteorologischen 
Winter,  wo  reichlich  38%  ganz  trübe  Tage  sind;  aber  selbst  in 
der  langen,  sich  von  Oktober  bis  April  ausdehnenden  Regenzeit, 
sind  noch  34  °/0  ganz  trübe.  Die  drei  Sommermonate,  in  denen 
im  Süden  Marokkos  so  besonders  häufig  Nebelbildung  auftritt, 
haben  nur  IO°/0  trüber  Tage.  Ähnliche  Verhältnisse  zeigt  auch 
die  Bewölkung  am  Kap  Spartel.  Im  Winter  erreicht  sie  im 
Durchschnitt  4,4  (10 teilige  Skala),  im  Sommer  nur  2,1,  es  ist 
hier,  wo  der  Ozean  noch  größeren  Einfluß  auszuüben  vermag, 
also  immerhin  die  Heiterkeit  des  Himmels  nicht  so  groß  wie  in 
Tanger.  Die  relative  Feuchtigkeit  ist  ebenfalls  das  ganze  Jahr 
bedeutend,  aber  ebenfalls,  im  Gegensatz  zu  Süd -Marokko,  im 
Sommer  bereits  geringer  als  im  Winter.  Sie  beträgt  im  sechs- 
jährigen Mittel  82,2%,  im  Januar  86,3%,  im  Juli  77,6%.  De  la 
Martiniere1),  ein  gründlicher  Kenner,  bezeichnet  Tanger  in  der 
Regenzeit  als  sehr  feucht,  alles  roste  und  rheumatische  Leiden 
seien  häufig. 

Es  sei  aber  noch  einmal  betont,  daß  diese  große  Luft- 
feuchtigkeit nur  dem  unmittelbaren  Küstengebiete  eigen  ist,    und 


1)  Marocco,  London   1889,  S.  38. 


■226  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

ebenso  die  Nebel-  und  Dunstbildung.  Sie  ist  nur  als  eine  in 
dieser  Breite  auffallende  Erscheinung  anzusehen.  Es  würde  aber 
irrig  sein,  wenn  man  danach  das  marokkanische  Küstenland  als 
ein  Nebelland  ansehen  wollte.  Denn  dazu  ist  die  Zahl  der 
Nebeltage  und  die  Bewölkung  viel  zu  gering.  Im  Gegenteil, 
auch  hier  kann  man,  wenn  auch  weniger  als  im  Innern  und  in 
den  gleichen  Breiten  der  Mittelmeerländer,  vom  warmen,  sonnigen 
Süden  sprechen. 

e)    Die   thermischen  Verhältnisse. 

Als  Ergebnis  der  bisherigen  Betrachtungen  wird  man  bereits 
in  der  Lage  sein,  sich  ganz  bestimmte  Vorstellungen  über  das 
x\usmaß  und  den  Gang  der  Wärme  im  marokkanischen  Küsten- 
lande zu  machen.  Man  wird  erwarten,  daß,  je  weiter  nach 
Süden  sich  um  so  mehr  der  Einfluß  des  Passats  und  des  kühlen 
Auftriebs  mit  allen  Begleiterscheinungen  die  Wärme  mäßigend 
und  Gegensätze ,  die  jahreszeitlichen  wie  die  täglichen ,  aus- 
gleichend wirken  wird.  Der  vorliegende  Beobachtungsstoff,  der 
allerdings  noch  so  mangelhaft  ist,  daß  er  nur  näherungsweise  die 
Wahrheit  erkennen  läßt,  bestätigt  diese  Vorstellung.  Die  mittlere 
Jahrestemperatur  ist  an  der  ganzen  Küste  verhältnismäßig  niedrig, 
die  jährliche,  wie  die  tägliche  Temperaturschwankung  ist  gering, 
indem  die  Wärme  im  Sommer  und  am  Tage  durch  Wind  und 
Meer  herabgedrückt  wird.  Erst  an  der  Meerenge  tritt  dieser 
Zug  maritimen  Klimas  etwas  weniger  hervor.  Bei  Kap  Juby  und 
IWogador  ist  dabei  noch  der  Umstand  in  Betracht  zu  ziehen, 
daß  beide  sozusagen  auf  Inseln  liegen. 

Die  mittlere  Jahrestemperatur  am  Kap  Juby  dürfte  nahe  an 
190  C  betragen.  Für  1885  wird  sie  (wohl  nach  den  Index- 
thermometern) zu  19,2°  C,  für  1884  zu  18,9°  angegeben.  Die 
sicher  zu  niedrigen  Mittel  aus  der  Morgen-  und  Abendbeobach- 
tung waren  18,0  und  18,3°  C.  Die  mittlere  monatliche  Schwan- 
kung der  Temperatur  wird  zu  1 20  C,  die  mittlere  tägliche  zu 
3,9°  C  angegeben.  Die  höchste  bei  Landwind  beobachtete  Tem- 
peratur betrug  39,8°  C,  die  niedrigste  9,3°  C.  Erstere  würde 
sich  bei  längerer  Beobachtung  sicher  bedeutend  erhöhen,  minde- 
stens auf  450  C,    letztere    dagegen   sich   wohl  nur  wenig  ändern. 

Sind  die  Beobachtungen  am  Kap  Juby  zu  kurz,  um  sich  ein 


Thermische  Verhältnisse  von  Mogador. 


32; 


ganz  richtiges  Bild  machen  zu  können,  so  kommt  in  Mogador, 
wie  schon  angedeutet,  zu  der  auch  noch  nicht  hinreichenden 
Länge  der  Beobachtungsreihen  noch  die  nicht  ganz  einwandfreie 
Aufstellung  der  Instrumente  hinzu.  Diese  läßt  das  Klima  von 
Mogador  als  noch  gleichmäßiger  erscheinen,  als  es  ohnehin  unter 
dem  Einfluß  seiner  fast  insularen  Lage  und  dem  starken  Über- 
wiegen einer  einzigen  Windrichtung  in  allen  Jahreszeiten  tatsäch- 
lich ist.  Die  mittlere  Jahrestemperatur,  die  sich  aus  den  7  bis 
8  jährigen  dreimaligen  (8  Uhr  vorm.,  2  und  10  Uhr  nachm.)  Ab- 
lesungen Beaumiers1)  ergibt,  ist  19,3°  C,  die  des  Januar  16,2°  C, 
des  (Juli  2i,4°C)  August  21,7.  Die  entsprechenden  Werte  in 
J.  Hanns  Bearbeitung2)  der  damals  erst  fünfjährigen  Beobachtungs- 
reihe Beaumier's  sind  19,7°  C,  16,4°  C  und  (Juli)  22,4°  C.  Die 
neuen  Beobachtungen  des  Herrn  von  Maur  (6  jähr.)  geben  als 
aus  den  Angaben  des  Maximum-  und  Minimum  -Thermometers 
abgeleitetes  Jahresmittel  17,7°  C,  während  ich  aus  den  drei  täg- 
lichen Ablesungen  für  die  Zeit  von  April  1894  bis  Dezember  1896 
17,9°  C  ermittelte.  Für  Januar  ergibt  sich  I4,4°C,  für  September 
20,4.  Ist  somit  auch  die  mittlere  Jahrestemperatur  von  Mogador 
noch  ziemlich  unsicher,  so  unterliegt  es  doch  keinem  Zweifel, 
daß  die  Jahresschwankung  hier  eine  sehr  geringe  ist  und  sicher 
6°  nicht  wesentlich  übersteigen  dürfte.  Dem  entspricht  auch  die 
geringe  Veränderlichkeit  der  Temperatur  im  allgemeinen  und  die 
äußerste  Seltenheit  sogenannter  Temperatursprünge.  Dieses  sechs- 
jährige Mittel  der  Jahrestemperatur  am  Maximum -Thermometer 
ist  2i,8°  C,  am  Minimum -Thermometer  13,6°  C.  Am  geringsten 
sind  die  Gegensätze  im  Sommer,  im  Juli  nur  6°  C.  Im  drei- 
jährigen Mittel  betrug  der  Unterschied  zwischen  der  7  Uhr  Vorm.- 
und  2  Uhr  Nachm. -Beobachtung  im  Juli  i,6°  C,  zwischen  der 
2  Uhr  Nachm.-  und  9  Uhr  Nachm.- Beobachtung  1,5°  C.  Im 
Januar  waren  die  entsprechenden  Werte  3,2°  C  und  i,6°  C. 
Auch  darin  zeigt  sich  die  große  Gleichmäßigkeit,  daß  im  Juli  die 
Abweichungen  von  diesem  Mittel  selten  und  gering,  im  Januar 
zwar  beträchtlicher,  aber  doch  auch  noch  mäßig  sind.  Aber 
diese  Erscheinung  der  großen  Gleichmäßigkeit  der  Wärmevertei- 
lung, die  Mogador  neben  Madeira  stellt,  ist  in  diesem  ungewöhn- 


1)  Bei  Ollive    S.  376. 

2)  Zeitschrift  der  Österr.  Ges.  f.   Met.    1873,  S.  7. 


^2  8  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

liehen  Betrag  eine  örtlich  bedingte  und  örtlich  beschränkte.  Das 
wenig  nördlich  von  Mogador  gelegene  Saffi  z.  B. ,  das  in  einer 
von  ziemlich  hohen  Bergen  umschlossenen  Bucht  dem  Einfluß 
des  Passats  nicht  ausgesetzt  ist,  hat  einen  sehr  heißen  und  weit 
trockneren  Sommer  und  somit  keineswegs  das  durchaus  maritime 
Klima  von  Mogador.  In  den  drei  Jahren  1894 — 1896  war  in 
Mogador  das  absolute  Maximum  26,2°  C,  am  24.  September  1896 
bei  Ostwind,  also  Scirocco,  das  absolute  Minimum  7,7°  C  am 
6.  Januar  1894  trat  ebenfalls  bei  Ostwind  ein.  Die  Annahme 
liegt  nahe,  daß  die  Landwinde  im  Sommer  bzw.  Herbst  die  Wärme 
ungewöhnlich  erhöhen,  im  Winter  herabdrücken.  Beaumier  be- 
obachtete 1873  ein  Maximum  von  3 1  °  C.  Es  kann  aber  keinem 
Zweifel  unterliegen ,  daß  auch  hier  beträchtlich  höhere  Tempera- 
turen mit  Ost  und  Südost  vorkommen.  Nach  Herrn  von  Maurs 
Beobachtungen  wehte  der  Scirocco  aber  nur  2  bis  3  mal  im  Jahre 
und  nie  länger  als  etwa  einen  halben  Tag.  Damit  stimmen 
Beaumiers  Beobachtungen  durchaus  überein.  Es  dürfte  kaum 
noch  einen  derartig  selten  von  heißen,  trockenen  Winden  heim- 
gesuchten Ort  in  Marokko  geben.  Es  muß  jedoch  diese  Selten- 
heit des  Scirocco  und  damit  das  seltene  Eintreten  hoher  Tem- 
peraturen (und  großer  Lufttrockenheit)  als  eine  örtlich  beschränkte 
und  nur  bodenplastisch  zu  erklärende  Erscheinung  angesehen 
werden.  VonAgadir,  weiter  südwärts,  erwähnt  Jackson *) ,  daß  ein- 
mal, was  allerdings  für  ungewöhnlich  galt,  heiße  Winde  28  Tage 
lang  wehten.  Auch  er  beobachtete  solche  in  Mogador  nur  an 
drei  oder  sieben  Tagen. 

Die  Thermometer -Beobachtungen  des  Konsul  Fernau  in 
Casablanca  umfassen  nur  die  Monate  November  1899  bis  Mai 
1900  und  nur  Maximum  und  Minimum  im  Korridor  seines  Hauses. 
Die  Mittelwerte  der  Monate  sind  danach:  Nov.  19,5,  Dez.  16,5, 
Jan.  16,0,  Febr.  17,2,  März  17,6,  April  18,6,  Mai  19,5°  C.  Die 
tägliche  Temperaturschwankung  erscheint  als  sehr  gering.  Am 
1.  November  wurde  ein  Maximum  von  23,6°  C,  ein  Minimum  von 
13,9°  C  im  Dez.,  Jan.   Febr.  mehrmals  erreicht. 

Die  Beobachtungen  des  Dr.  Linares  in  Rabat  lassen  er- 
kennen, daß  dort  die  Jahresschwankung  (Januar  12,6°  C,  August 
23,9°  C)    schon    bedeutender    ist,  wie    1880    auch   ein    absolutes 


i)  An  aecount  of  the  Empire  of  Marocco.     London   1809.  S.  17. 


Thermische  Verhältnisse  von  Nord-Marokko. 


329 


Minimum  von  0,9°  C  beobachtet  wurde.  Dem  entspricht  es, 
daß  aus  den  kurzen  Beobachtungen  des  Herrn  Rottenburg  im  Mai 
1899  sich  die  tägliche  Schwankung  als  sehr  viel  größer  erwies, 
als  in  Mogador.  Es  war  nämlich  im  Durchschnitt  der  20  Beob- 
achtungstage der  Unterschied  der  7  Uhr  Vorm.-  und  der  2  Uhr 
Nachm. -Ablesung  2,5°  C,  der  der  2  Uhr  Nachm.-  und  9  Uhr 
Nachm. -Ablesung  4,8°  C.  Die  Mitteltemperatur  des  Januar  und 
Juli  nach  Herrn  Frosts  allerdings  nur  zwei-  bzw.  dreijährigen 
Ablesungen  um  9  Uhr  vorm.  stimmt  mit  obigen  des  Dr.  Linares 
auffallend  überein,  nämlich  12,6°  C  und  23,7°  C.  Jedenfalls  er- 
gibt sich  so  viel,  daß  die  thermischen  Verhältnisse  von  Rabat  schon 
nicht  mehr  so  ausgeprägt  maritim  beeinflußt  sind. 

Dem  Kap  Spartel  eignet  nach  den  sechsjährigen  Beob- 
achtungen (roh  ohne  Korrektur  aus  9  Uhr  vorm.,  9  Uhr  nachm., 
Maximum  und  Minimum  berechnet)  eine  mittlere  Jahrestemperatur 
von  17,7°  C,  was  sehr  gut  mit  dem  sechsjährigen  Mittel  von 
Tanger  nach  Hanns  Berechnung  übereinstimmt,  nämlich  I7,8°C. 
Die  Mitteltemperatur  des  Januar  ist  12,4°  C,  des  August  23,3 
(Juli  23,2),  die  Jahresschwankung  demnach  10,9°  C.  In  Tanger 
sind  die  gleichen  Werte  13,9°  C,  24,2°  C  und  11,2°  C.  Diese 
Unterschiede  entsprechen  ganz  genau  dem,  was  jeder,  welcher 
die  Lage  der  beiden  Stationen  kennt,  der  einen  unter  dem  vollen 
Einflüsse  des  Meeres,  der  anderen  schon  demselben  entzogen, 
erwarten  muß.  Sehr  lehrreich  ist  in  dieser  Hinsicht  ein  Ver- 
gleich, welchen  mir  das  freundliche  Entgegenkommen  des  engli- 
schen Konsuls  in  Tanger,  Herrn  White,  ermöglichte.  Derselbe  hat 
mir  für  die  Jahre  1897  unfi  1898  die  Ergebnisse  seiner  zur 
gleichen  Zeit  wie  an  Kap  Spartel  vorgenommenen  Thermometer- 
Ablesungen  zur  Verfügung  gestellt.  Da  erwies  sich  der  Ozean 
als  temperaturerniedrigend  von  April  bis  Oktober.  Nur  in  den 
Monaten  November  bis  März  ist  der  Stand  des  Thermometers 
am  Kap  Spartel  gleich  oder  höher,  aber  nur  wenig  höher,  wäh- 
rend die  Sommermonate  in  Tanger  wesentlich  wärmer  sind.  Das 
Mittel  der  Maxima  des  Januar  ist  am  Kap  Spartel  1 8,9,  der  Mi- 
nima 4,8°  C,  des  Juli  35,6  und  16,2°  C,  die  Unterschiede  also 
14,7  und    19,4°  C. 

Das  in  den  sechs  Jahren  am  Kap  Spartel  zur  Beobachtung 
gekommene  absolute  Maximum  ist  39,1  °  C  im  Juli  1898,  während 
das  Maximum    in  Tanger  nur  35,6°  C   war.     Dieser  Unterschied 


330  V.   2.    Das  Klima  von  Marokko. 

ließe  sich  nur  erklären,  wenn  es  sich  um  einen  Föhn  gehandelt 
hätte.  Das  absolute  Minimum  am  Kap  Spartel  war  — i,i°  C  im 
Januar  1894.  Die  absoluten  Minima  der  beiden  Vergleichsjahre 
lagen  selbstverständlich  tiefer  in  Tanger  als  am  Kap  Spartel, 
nämlich  +0,2  zu  +3»5°C  im  Januar  1897.  Es  kann  sonach 
keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  Temperaturen  unter  Null  nicht 
gar  selten  in  Tanger  vorkommen,  aber  nur  als  Augenblickstempe- 
raturen. Wenn  in  der  sechsjährigen  Beobachtungszeit  des  Minister- 
residenten Weber  nur  ein  Maximum  von  33,5°  C  am  14.  Aug. 
1881  und  ein  Minimum  von  +50  C  am  23.  Dez.  1884  festge- 
stellt wurde,  so  war  J.  Hanns  Annahme,  daß  die  absolute  Wärme- 
schwankung im  Freien  erheblich  größer  sei,  voll  begründet.  Es 
kommen  also  in  Nord-Marokko  selbst  an  der  Küste  Temperaturen 
unter  Null  vor.  Dagegen  dürfte  schon  südlich  von  Rabat  an  der 
Küste  ein  Sinken  der  Temperatur  unter  Null  wohl  nicht  mehr 
vorkommen.  Aber  selbst  im  Küstengebiet  von  Nord-Marokko  ist 
dasselbe  für  die  Vegetation  belanglos.  Aus  dem  Innern  bezeugt 
de  la  Martiniere  für  Uesan  (Meereshöhe  402  m,  Meerferne 
70  km)  ausdrücklich,  daß  die  schönen  Agrumenhaine  nie  unter 
Frost  leiden.  Immerhin  beobachtete  derselbe  dort  noch  am  27.  Mai 
2  Uhr  nachm.  nur  2,2°  C  (?).  Das  mittlere  nächtliche  Minimum 
im  Mai  war  3,4°  C,  das  mittlere  Maximum  um  2  Uhr  nachm. 
19,4°  C,  das  höchste  am  30.  Mai  und  6.  Juli  28,3°  C.  Am  Kap 
Spartel  wird  auch  seit  1896  ein  Sonnen-Thermometer  abgelesen, 
das  im  Juli  1806  ein  Maximum  von  63,9°  C  angab.  Selbst  im 
Januar  sind  noch  51,5°  C  beobachtet  worden,  gegenüber  einer 
höchsten  Schattentemperatur  dieses  Monats  von   20 °  C. 

f)    Die    Niederschlagsverhältnisse. 

Die  oben  gekennzeichneten  Luftdrucks-  und  Windverhältnisse 
bedingen  die  jahreszeitliche  Verteilung  der  Niederschläge,  der 
kühle  Auftrieb  beeinflußt  die  Niederschlagsmenge,  die  hohe  Wärme 
schließt  Niederschläge  in  fester  Form,  wenigstens  Schnee,  im 
Küstengebiet  so  gut  wie  völlig  aus.  In  der  Tat  finden  wir  in 
den  meteorologischen  Beobachtungen  und  in  Reiseberichten  von 
Tanger  und  Kap  Spartel  Schneefälle  nicht  erwähnt.  Nur  in 
längeren  Zeiträumen  und  als  ganz  vereinzelte  und  vorüber- 
gehende Erscheinung  wird  man  hier  einmal  Schneeflocken  sehen. 


Regenzeit  in  Marokko.  ijj 

Nach    de    la    Martiniere1)    soll    1871    in    Tanger    Schnee    gelegen 
haben. 

Die  Niederschläge  sind  durchaus  periodisch,  an  die  Zeit 
des  niedrigsten  Sonnenstandes  und  die  dann  herrschenden  Winde 
südwestlicher  und  westlicher  Richtung  gebunden,  also  Winde,  die 
in  vorüberziehenden  Depressionen  vom  Meer  auf  das  Land,  von 
niederen  in  höhere  Breiten  wehen ,  während  der  Passat ,  zumal 
derselbe  fast  durchaus  als  ablandiger  Wind  auftritt,  keine  Nieder- 
schläge bringen  kann.  Die  Regenzeit  wird  daher,  je  weiter  nach 
Süden,  um  so  kürzer  und  um  so  weniger  ergiebig  werden.  Am 
Kap  Juby  waren  in  den  zwei  Beobachtungsjahren  die  Monate 
Mai  bis  August  regenlos,  in  Mogador,  in  der  sechsjährigen 
Periode,  Juni,  Juli,  August,  doch  lassen  die  neueren  Beobach- 
tungen von  Mogador  erkennen,  daß  der  Mai  und  namentlich  der 
September  schon  so  oft  regenlos  sind,  daß  man  beide  Monate 
noch  zur  Trockenzeit  zu  rechnen  hat.  Nicht  selten  verkürzt 
sich  die  Regenzeit  aber  noch  mehr.  Im  Jahr  1894  z.  B.  fiel 
kein  Regen  vom  9.  April  bis  zum  26.  September,  ja  bis  zum 
17.  Oktober,  der  den  ersten  wirklich  ausgiebigen  und  für  die 
Vegetation  wirkungsvollen  Regen  brachte.  Im  Jahre  1895  war 
die  Regenzeit  Mitte  April  zu  Ende  und  begann  erst  wieder  mit 
dem  25.  Oktober,  1896  fiel  der  letzte  ausgiebige  Regen  am 
7.  April  und  dann  erst  wieder  am  8.  September.  Doch  folgte 
dem  gewaltigen  Regenguß  dieses  Tages  (46,7  mm)  eine  weitere 
regenlose  Zeit  bis  zum  17.  Oktober.  Ganz  so  genau  sind  Beau- 
miers  ältere  Aufzeichnungen  nicht.  Immerhin  fiel  1867  kein 
Regen  vom  6.  Mai  bis  1.  September,  1869  vom  5.  Mai  bis  24.  Ok- 
tober, 1870  vom  29.  April  bis  31.  August,  1871  vom  17.  Mai 
bis  19.  Oktober.  Man  kann  also  nur  geradezu  von  einer  Halbie- 
rung des  Jahres  sprechen.  Und  dies  wird  mindestens  auch  vom 
Kap  Juby  gelten.  Wir  hätten  also  im  Küstengebiet  von  Süd- 
Marokko  eine  von  Mitte  Oktober  bis  Mitte  April  dauernde  Regen- 
zeit anzunehmen.  Es  war  daher  sicher  ein  Fehlschluß,  wenn 
Hooker2)  daraus,  daß  er  in  Mtuga  in  etwa  800  m  Meereshöhe 
und   50  km  Meerferne  Maisbau  ohne  künstliche  Berieselung  fand, 


1)  Marocco.     London   1889,  S.  38. 

2)  Journal  of  a  tour  in  Marocco  and  the  Great  Atlas.     London   1878, 
S.   308. 


tt  2  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

schloß,  daß  es  dort  im  April,  Mai  und  Juni  nicht  selten  regne. 
Wenn  auch  einzelne  Schauer  noch  fallen  werden,  so  dürfte  der 
Maisbau  doch  wohl  ähnlich  wie  in  Schauia  auf  die  reichlichen 
Taufälle  begründet  sein.  Er  fand  ihn  auch  nur  auf  besonders 
fruchtbarem  Boden. 

In  Mittel  -  Marokko  ist  die  Regenzeit  nach  den  Beob- 
achtungen des  Herrn  Konsul  Fernau  in  Casablanca  schon  um 
etwa  einen  Monat  verlängert  und  umfaßt  von  Ende  September 
bis  Mai  volle  sieben  Monate.  In  Nord-Marokko  tritt  zwar  auch 
noch  der  Gegensatz  von  Regen-  und  Trockenzeit  deutlich  hervor, 
aber  während  im  Süden  die  meteorologischen  Sommermonate  auch 
in  einer  längeren  Beobachtungszeit  absolut  regenlos  bleiben,  sind 
sie  dies  im  Norden  nur  selten.  In  der  sechsjährigen  Beobach- 
tungsreihe (1894 — 1899)  am  Kap  Spartel  war  kein  Monat  regen- 
los, der  Juli  und  August  je  fünfmal,  der  Juni  zweimal.  In  der 
fünfjährigen  Beobachtungsreihe  (1880 — 1 885)  des  Minister-Resi- 
denten Weber  in  Tanger  war  der  Juli  viermal,  der  August  zwei- 
mal regenlos.  Gelegentlich  sind  aber  auch  Mai  und  September 
in  Tanger  regenlos,  nicht  aber  am  Kap  Spartel.  Immerhin  aber 
sind  Juni  und  September  so  niederschlagsarm,  daß  sie  noch  zur 
Trockenzeit  gerechnet  werden  müssen  und  diese  etwa  die  Zeit 
von  Mitte  Mai  bis  anfangs  Oktober,  also  nicht  ganz  fünf  Monate 
umfaßt. 

Die  Niederschläge  verteilen  sich  in  Mogador  in  der  Weise 
auf  die  kühlere  Jahreshälfte,  daß  dieselben  nach  vereinzelten 
Güssen  im  September  im  Oktober  kräftig  einsetzen,  im  November 
ein  Maximum  erreichen,  sich  im  Dezember  mindern,  um  im  Januar 
das  Hauptmaximum  zu  erreichen.  Februar  und  März  sind  gleich 
regenreich,  schon  im  April  tritt  eine  bedeutende  Minderung  ein. 
Der  Mai  bringt  schon  weniger  Regen  als  der  September.  De 
Foucauld  verzeichnete  während  seines  Aufenthaltes  in  Mogador 
vom  29.  Januar  bis  13.  März  1884  zehn  Regentage.  Davon 
regnete  es  sehr  stark  am  5.  und  6.  Februar,  am  5.  März  den 
ganzen  Tag  in  Strömen.  Am  Kap  Spartel  tritt  das  Maximum 
auch  im  November  ein,  doch  sind  Oktober,  Dezember  und  Januar 
fast  so  regnerisch,  und  man  muß  eine  längere  Beobachtungszeit 
abwarten,  ob  sich  dies  Maximum  nicht  etwa  auf  den  Dezember 
verschiebt.  Der  Februar  zeigt  eine  entschiedene  Minderung  der 
Niederschläge;    während    der   März   wieder    so   niederschlagsreich 


Regenmengen.  ■>  2  ■> 

ist  wie  Oktober,  November  und  Dezember.  In  Tanger  fällt, 
ebenfalls  in  einer  zu  kurzen  Beobachtungsreihe,  das  Maximum  auf 
den  März,  während  Dezember,  Januar  und  April  fast  ebenso 
niederschlagsreich  sind.  Eine  geringe  Minderung  im  Februar  tritt 
auch  da  hervor.  Immerhin  ist  am  Kap  Spartel  wie  in  Tanger 
der  meteorologische  Winter  die  regenreichste  Jahreszeit.  Ich 
glaube  daher  annehmen  zu  sollen,  daß  wir  im  Küstenland  von 
Marokko  ganz  wie  anderwärts  in  den  Küstenländern  des  süd- 
lichen Mittelmeergebiets  vorzugsweise  Winterregen  vor  uns  haben. 
Allerdings  sind  der  Herbst  und  der  Frühling  auch  bereits  ziem- 
lich regenreich,  da  in  Tanger  und  am  Kap  Spartel  auf  ersteren 
2$  bzw.  3i,6°/0,  auf  letzteren  38  bzw.  25,6  °/0  der  Jahres- 
menge kommen.  Daß  der  März  in  Nord -Marokko  noch  sehr 
regenreich  sein  kann,  konnte  ich  selbst  erproben.  In  der  Um- 
gebung von  Tanger  waren  infolgedessen  die  Naturpfade  in  dem 
vorherrschenden  Tonboden  unergründlich  geworden  und  alle 
Wege,  auf  denen  sich  der  Verkehr  mit  dem  Süden,  nach  El  Ksar- 
el  Kebir  und  Fäs  vollzieht,  teils  deshalb,  teils  wegen  der  ange- 
schwollenen Flüsse  ungangbar.  Bei  einer  kleinen  Reise,  die  ich 
nach  Arsila  unternahm,  mußte  ich  aus  diesem  Grund  den  innern 
Weg  verlassen  und  wie  alle  Handelskarawanen  in  dieser  Zeit 
den  Weg  am  Strand  entlang  mit  dem  großen  Umwege  über  Kap 
Spartel  einschlagen.  Der  von  den  Wellen  festgeschlagene  Sand 
am  Strand  ermöglicht  dann  allein  die  Landverbindung  von  Tanger 
mit  dem  Süden,  da  die  kleinen  Flüsse  mit  Hilfe  der  Barren  an 
ihren  Mündungen  überschritten  werden  können  und  der  Tahad- 
dart  dort  ein  Fährboot  besitzt.  Noch  im  April  i8go  regnete  es 
in  Nord-Marokko  so  andauernd,  daß  die  deutsche  Gesandtschaft 
unter  Graf  Tattenbach  auf  dem  Weg  nach  Fäs  in  der  Gegend 
von  Arsila  sechs  Tage  lang  zwischen  den  geschwollenen  Flüssen, 
die  ich  Ende  Mai  1899  fast  trocken  liegend  fand,  gefangen  ge- 
halten wurde.  Das  Lager  verwandelte  sich  in  einen  Sumpf,  und 
die  Vorräte  begannen  knapp  zu  werden,  als  endlich  der  Regen 
aufhörte  und  die  Flüsse  überschritten  werden  konnten.  Ich  hatte 
im  Mai  1899  im  Küstengebiet  noch  an  drei  Tagen  Regen,  von 
denen  der  eine  in  der  Umgebung  von  Meknäs  eine  bedeutende 
Niederschlagsmenge  lieferte.  Ähnlich  bemerkt  de  la  Martiniere1) 
von  Uesan,  daß  es  dort  im  Mai  noch  sehr  häufig  regnete. 

I)  Marocco,   London    1 889,   S.   125. 


??A  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Für  das  ganze  Küstengebiet  und  speziell  die  Trockenzeit 
möge  aber  noch  einmal  auf  die  schon  erwähnten  und  ihrer  Be- 
deutung nach  noch  näher  zu  würdigenden  Taufälle  hingewiesen 
werden. 

Die  Regenmengen  werden  sich  mit  der  Verkürzung  der 
Regenzeit  nach  Süden  hin  mindern.  Wie  groß  dieselben  sind, 
das  wußten  wir  bisher  nur  annähernd  von  Tanger.  Von  Moga- 
dor  lagen  Regenmessungen  nur  für  das  eine  Jahr  1874  vor1), 
das  ein  besonders  niederschlagsarmes  gewesen  sein  muß.  Doch 
wissen  wir  über  Aufstellung  und  Beschaffenheit  des  Regenmessers 
nichts.  Es  wurden  nur  267  mm  gemessen.  Ebenso  am  Kap 
Juby  1884  138,5  mm,  1885  225  mm.  Danach  war  man  bisher 
geneigt,  Süd-Marokko  eine  sehr  geringe  Niederschlagsmenge  zu- 
zuschreiben. Freilich  würde  jeder,  welcher  die  Vegetations- 
und Anbauverhältnisse  des  Küstengebietes  aufmerksam  geprüft 
hätte,  unbedingt  zu  der  Anschauung  kommen  müssen,  namentlich 
seit  wir  die  Niederschlagsmengen  -der  entsprechenden  Breiten 
Süd-Tunesiens  kennen,  daß,  von  Ausnahmejahren  abgesehen,  die 
dann  auch  durch  Mißernten  gekennzeichnet  werden,  die  Nieder- 
schlagsmenge nördlich  vom  Kap  Ghir  beträchtlich  größer  sein 
müsse,  als  man  bisher  annahm.  Das  haben  nun  die  Beobach- 
tungen des  Herrn  von  Maur  voll  bestätigt.  Danach  fielen  näm- 
lich in   der  Regenzeit,  je  September  bis  Mai:   1894/95   525,2  mm 

1895/96   275,6     „ 
1896/97    450,6     „ 
1897/98   495,8     „ 
1898/99   330,8     „ 
1 899/1900  363,0     „ 
also    im    sechsjährigen    Mittel    407   mm.      Im    zehnjährigen   Mittel 
(1894 — 1904)  waren  es  402  mm.     Nach    den    allerdings  lücken- 
haften Beobachtungen  in  Saffi  (1896 — 1904)  beträgt  die  Nieder- 
schlagshöhe dort  351  mm.     Wie  die  Tabelle  zeigt,  sind  die  Ab- 
weichungen  vom  Jahresmittel    nicht   auffallend  groß,  freilich  groß 
genug,  um,  da  die  Grenze,  bei  welcher  Mißernten  eintreten,  dem 
Jahresmittel  sehr  nahe  und  wahrscheinlich  nicht  weit  unter  400  mm 
liegt,  Mißernten  zu  verursachen. 

Die  folgende  Tabelle  gibt  die  zehnjährigen  Monatsmittel 
von  Mogador  wieder: 

1)  Bei  Ollive  a.  a.  O.,  S.  383. 


Regenmengen.  ?ir 

Dez.  50  mm              März  68  mm              Juni  3  mm  Sept.     8  mm 

Jan.  86     „                April   18     „                 Juli  o     „  Okt.  38     „ 

Febr.  60,1  „                  Mai     8     „                Aug.  o     „  Nov.     6     „ 


Winter   198     mm     Frühling  94  mm       Sommer  3   mm       Herbst   109  mm 
Prozente  50,0  22,0  0  28 

Die  Beobachtungen  des  Herrn  Konsul  Fernau  in  Casa- 
blanca  umfassen  die  vier  Regenperioden  von  September  1896 
bis  Mai  1900.  Dazu  kommen  die  neuen  Beobachtungen  des 
Herrn  Ficke  1902  — 1904.  Das  Mittel  der  jährlichen  Nieder- 
schlagsmenge ist  nach  der  ersten  Reihe  457,  nach  der  letzten 
300  mm.  Die  größte  Regenmenge  brachte  1897/98,  nämlich 
482,3  mm  (Mogador  495,8),  die  geringste  1896/97,  nämlich 
358,1  mm  (Mogador  450,6).  Die  Schwankungen  der  Jahresmenge 
sind  also  mäßig.  Die  ersten  Regen  pflegen  im  September,  die 
letzten  im  Mai,  ausnahmsweise  auch  im  Juni  zu  fallen,  so  daß 
nur  Juli  und  August  regenlos  sind.  Monatsmittel  stehen  mir  nur 
für  die  drei  Regenperioden  1897/98,  1898/99  und  1899/1900 
zur  Verfügung.  Danach  kamen  im  Mittel  der  ersten  Beobach- 
tungsreihe  auf 

Juni  3,4  mm 


Sept. 

7,5   mm 

Dez. 

45,9  mm 

März 

118,5  mm 

Okt. 

35>2     » 

Jan. 

56,1     „ 

April 

18,9     ,, 

Nov. 

94,9     „ 

Febr. 

51,9    ,, 

Mai 

24,2      „ 

Herbst   137,6  mm     Winter   153,4  mm     Frühling  162,0  mm     Sommer  3,4  mm 

Danach  wäre  hier  der  Frühling  die  Hauptregenzeit.  Doch 
ist  eine  längere  Beobachtungsperiode  abzuwarten.  In  der  Tat 
ergab  die  zweite  Beobachtungsreihe  die  folgenden  Mittel  der 
Jahreszeiten:  Herbst  99  mm,  Winter  162  mm,  Frühling  111  mm, 
Sommer  8  mm. 

Die  Jahresmenge  vom  Kap  Spartel  beträgt  im  zehnjährigen 
Mittel  (1894 — 1904)  819  mm.  Auch  da  sind  die  Abweichungen 
vom  Jahresmittel  nicht  so  bedeutend,  wie  sonst  vielfach  an  der 
Äquatorialgrenze  der  Winterregen.  Einem  Maximum  von  1143  mm 
im  Jahre  1895  steht  ein  Minimum  von  573  mm  im  Jahr  1896 
gegenüber, 

Es  ergaben  sich  folgende  Monatsmittel: 

Dez.    109  mm  März   117  mm  Juni    14  mm  Sept.     33  mm 

Jan.   119    „  April     54    „  Juli     2    „  Okt.     85    „ 

Febr.   115    „  Mai     43    „  Aug.     3    „  Nov.   125    „ 

Winter  343  mm      Frühling  214  mm  Sommer   19  mm  Herbst  243  mm 

Prozente  41,9  26,1  2,3  29,7 


336  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Die  Jahresmenge  von  Tanger  ist  nach  Hanns  Berechnung 
815  mm.     Die  jahreszeitliche  Verteilung  ist  folgende: 

Dez.    110  mm  März   128  mm  Juni     7  mm  Sept.      10  mm 

Jan.   118     „  April   119     „  Juli     3     „  Okt.     85      „ 

Febr.     90     „  ■     Mai        63     „  Aug.     9     „  Nov.     75     „ 

Winter  318  mm     Frühling  310  mm        Sommer   19  mm         Herbst  168  mm 
Prozente  39  38  0,2  23,0 

Knoch  hat  für  die  Periode  187g  —  1885  für  die  Jahres- 
zeiten Winter  318,  Frühling  310,  Sommer  73,  Herbst  104  und 
für  das  Jahr  815  mm  berechnet,  in  Prozenten  39,   38,   2,3,   20,6. 

Die  Zahl  der  Regentage  nimmt  selbstverständlich  nach 
Süden  ebenfalls  ab.  In  Mogador  kommen  nach  Beaumiers  Be- 
obachtungen (8  jährig.)  im  Durchschnitt  42  Regentage  vor1) ;  es 
schwankt  die  Zahl  derselben  zwischen  einem  Minimum  von  26 
und  einem  Maximum  von  51.  Im  Jahr  1805  gab  es  67,  1896 
44  Regentage,  d.  h.  Tage  mit  meßbarem  Niederschlag.  Es  will 
danach  scheinen,  als  sei  Beaumiers  Zählung,  die  nicht  zugleich 
mit  Messung  der  Niederschlagsmenge  verbunden  war,  nicht  hin- 
reichend sorgfältig  gewesen,  wie  leicht  begreiflich  ist,  und  daher 
das  Mittel  von  42  Tagen  zu  niedrig.  Dafür  spricht  namentlich 
auch  der  Umstand ,  daß  in  Mogador  in  den  zwei  mir  zur  Ver- 
fügung stehenden  Beobachtungsjahren  von  Maurs  sehr  viele  Tage 
mit  sehr  geringen  Niederschlagsmengen  vorkommen,  wie  man  es 
in  diesen  Breiten  der  Mittelmeerländer  anderwärts  nicht  erwarten 
darf.  Die  Regenmenge  von  525,3  mm  des  Jahres  1895  auf  die 
67  Regentage  verteilt,  gibt  nur  7,8  mm  auf  einen  Regentag,  1896 
kamen  auf  die  44  Regentage  392,4  mm,  also  für  einen  Regentag 
8,9  mm.  Die  Regenwahrscheinlichkeit  ist  also  nicht  so  gering, 
die  Regendichtigkeit  nicht  so  groß,  wie  man  auf  diese  Breiten 
von  vornherein  anzunehmen  geneigt  ist.  In  dem  regnerischen 
Jahr  1895  zählte  man  im  Februar  14,  im  März  15,  im  April  13 
Regentage,  welche  letzteren  zusammen  sogar  nur  22,8  mm  Regen 
lieferten.  Über  die  Dauer  des  Regens  an  jedem  Regentage  lie- 
gen keine  Beobachtungen  vor;  aber  es  unterliegt  keinem  Zweifel, 
daß  immer  nur  ein  kleiner  Bruchteil  eines  solchen  wirklich  mit 
Regen  ausgefüllt  ist.  Und  kurze  gewaltige  Regengüsse  sind  nicht 
gar   selten,    namentlich   setzt   im    Herbst    die   Regenzeit  gern   mit 

1)  Bei  Ollive  a.  a.  O.  S.  412. 


Regentage.  ^ 

solchen  ein.  So  am  8.  September  1896  mit  einem  solchen  von 
49,7  mm,  am  25.  Oktober  1895  mit  einem  Guß  von  74  mm. 
Regen  von  mehr  als  25  mm  finde  ich  in  den  zwei  Beobachtungs- 
jahren elfmal  verzeichnet,  bei  zusammen  110  Regentagen.  Die 
größte  einheitliche  Regenmenge  fiel  am  2.  November  1896,  näm- 
lich 8 1  mm,  d.  h.  1 8°/0  der  ganzen  Regenperiode.  Zum  Vergleich 
möchte  ich  anführen,  daß  in  Marburg  bei  um  ein  Drittel  größerer 
Jahresmenge  in  den  beiden  Jahren  1899  und  1900  Tagesmengen 
von  mehr  als  25  mm,  die  hier  doch  nicht  wie  dort  so  ausschließ- 
lich in  kurzen  heftigen  Güssen  herabstürzen,  nur  dreimal  vor- 
kamen. Im  zehnjährigen  Mittel  zählt  man  nach  von  Maurs  Be- 
obachtungen 51  Regentage,  nämlich  22  im  Winter,  16  im  Früh- 
ling, 1  im  Sommer  und  12  im  Herbst.  Nur  Juli  und  August 
waren  stets  niederschlagslos. 

Dabei  sind  Gewitter  an  dieser  ganzen  Auftriebsküste  sehr 
seltene  Erscheinungen.  Leider  liegen  darüber  von  Mogador  nur 
die  Beobachtungen  Beaumiers  vor,  nach  denen1)  im  fünfjährigen 
Durchschnitt  deren  nur  3,4  vorkamen,  und  zwar,  wie  selbstver- 
ständlich, nur  in  der  Regenzeit.  Daß  es  im  Norden  ähnlich  ist, 
obwohl  weder  von  Kap  Spartel  noch  von  Tanger  darüber  Beob- 
achtungen vorliegen,  müssen  wir  daraus  schließen,  daß  in  Tarifa 
(fünfjährig)  nur  2,2,  ja  in  S.  Fernando  (sechsjährig)  nur  0,5  Gewitter- 
tage gezählt  wurden.  Dagegen  kamen  in  Tanger  im  Durchschnitt 
deren  14,6  vor,  die  meisten  (7,3)  im  Frühling.  Aber  auch  2,7 
im  Sommer,  bei  allerdings  nur  5   Regentagen. 

In  Casablanca  betrug  die  Zahl  der  Regentage  in  den  drei 
Regenperioden  1897 — 1900  im  Mittel  54,3.  Sie  schwankte  zwi- 
schen 63  und  49.  Aber  gerade  die  ergiebigste  Regenzeit  von 
1897/98  hatte  die  kleinste  Zahl  von  Regentagen.  Der  März  und 
der  November  1898  hatten  je  16  Regentage,  von  denen  jeder 
im  März  11,3  mm,  im  November  9,8  mm  lieferte.  Das  waren 
also  außerordentlich  günstige  Monate.  Der  für  den  Ausfall  der 
Ernte  in  diesem  getreidereichen  Gebiet  sehr  wichtige  Monat  März 
hat  im  Mittel  9  Regentage,  deren  jeder  13,2  mm  gibt.  Der 
April  hat  noch  3,4  Regentage,  jeden  mit  im  Mittel  4,4  mm,  der 
Mai  3  mit  je  8,1  mm.  Nach  K.  Fickes  Beobachtungen  hatte 
Casablanca  im  dreijährigen  Mittel   70  Regentage,  nämlich   24  im 


I)  Bei  Ollive  S.  369. 
Fi 8 ch  er,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge. 


7  3 8  V,   2.   Das  Klima  von  Marokko. 

Winter,  25  im  Frühling,  7  im  Sommer  und  14  im  Herbst.  Kein 
Monat  war  völlig  regenlos.  Ziehen  wir  dazu  den  in  Mittel- 
Marokko  weit  verbreiteten  Tirsboden  in  Betracht,  der  bei  großer 
Fruchtbarkeit  die  Feuchtigkeit  lange  festzuhalten  und  durch  die 
reichlichen  Taufälle  immer  wieder  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
zu  ergänzen  vermag,  so  sehen  wir,  daß  hier  im  allgemeinen  die 
Verhältnisse  für  den  Ackerbau  sehr  günstig  liegen. 

Am  Kap  Spartel  hat  man  im  Durchschnitt  88  Regentage  zu 
erwarten,  in  Tanger  95.  Dort  würden  also  auf  einen  Regentag 
9,3  mm  kommen,  6,8  hier,  also  noch  größere  Mengen  wie  in 
Mogador.  Auch  die  Regenwahrscheinlichkeit  ist  im  Norden 
wesentlich  größer,  namentlich  in  Tanger.  Am  Kap  Spartel  be- 
trägt nach  Knoch  die  mittlere  Regenwahrscheinlichkeit  im  Winter 
0,37,  im  Frühling  0,30,  im  Sommer  0,05,  im  Herbst  0,24.  Sie 
ist  am  größten  im  Februar  mit  0,43  und  März  mit  0,42.  In 
Tanger  sind  die  entsprechenden  Werte  0,38,  0,39,  0,07,  0,21, 
im  März  0,48,  im  April  0,43.  Dort  bringt  im  März  und  April 
jeder  zweite  Tag  Regen,  im  Oktober,  Dezember,  Januar,  Februar 
jeder  dritte  Tag.  Selbst  im  Juni  darf  man  noch  alle  zwölf  Tage 
einmal  Regen  erwarten.  Bezeichnend  ist  jedoch  für  die  Trocken- 
zeit, daß  von  Juni  bis  September  auf  den  einen  alle  17  Tage 
zu  erwartenden  Regentag  im  Durchschnitt  nur  4  mm  Regen 
kommen,  d.  h.,  daß  diese  Zeit,  zu  der  noch  die  zweite  Hälfte 
des  Mai  und  das  erste  Drittel  des  Oktober  hinzuzunehmen  ist, 
für  die  Pflanzenwelt  namentlich  bei  der  herrschenden  hohen  Wärme 
als  regenlos  zu  gelten  hat.  Die  Regenzeit  erscheint  aber  in  der 
Tat  bei  der  noch  dann  herrschenden  hohen  Wärme  als  für  die 
Pflanzenwelt  außerordentlich  günstig.  Diese  sich  so  häufig  wieder- 
holenden Regen  erklären  aber  auch  die  dann  überall  da,  wo 
nicht  geradezu  Felsboden  herrscht,  eintretende  Ungangbarkeit  der 
hier  noch  durch  keine  Kunststraßen  ersetzten  Naturwege.  Auch 
in  Nord- Marokko  sind  große  Regengüsse  nicht  selten;  es  ist, 
wenn  auch  nicht  in  gleichem  Maße  wie  im  Süden,  immer  nur  ein 
Bruchteil  eines  Regentages  wirklich  von  Regen  ausgefüllt.  Die 
größten  an  einem  Tage  gefallenen  Mengen  waren  in  Tanger 
80  mm  am  21.  November  1884,  79  mm  im  Dezember  1879. 
Merkwürdig  ist,  daß  bei  diesem  reichlichen  und  heftigen  Regen 
in  ganz  Marokko  das  flache  Dach  vorherrscht.  Nur  in  den  zwei 
Städten    El    Ksar-el-Kebir   und    Scheschauen    findet    man    hohe 


Trockenzeit. 


339 


Ziegeldächer.  Bezeichnend  für  den  verhältnismäßigen  Wasser- 
reichtum des  Küstengebiets,  wie  andererseits  des  Gürtels  der  sub- 
atlantischen Berieselungsoasen,  ist  die  ungeheure  Zahl,  in  welcher 
der  Storch  auftritt.  Ich  möchte  ihn  geradezu  den  Charakter- 
vogel von  Marokko  nennen.  Selbst  im  vorderen  Klein-Asien  ist 
er  nicht  so  häufig.  Nur  den  Steppengürtel,  das  Paradies  der 
Schnecken,  meidet  er. 

Fassen  wir  diese  Betrachtungen  zusammen,  so  sehen  wir, 
daß  das  Küstengebiet  von  Marokko  als  klimatisch  in  hohem  Grade 
begünstigt  bezeichnet  werden  muß.  Es  vereinigt  mit  hoher,  aber 
ungewöhnlich  gleichmäßiger  Wärme  periodische  Niederschläge, 
welche  im  Norden  als  reichlich,  in  Mittel-  und  Süd-Marokko  als 
für  die  Pflanzenwelt  und  den  Anbau  des  Bodens  als  in  der 
Regel  genügend  erscheinen;  um  so  mehr  als  die  Luft  aus  ört- 
lichen Gründen  stets  einen  hohen  Feuchtigkeitsgehalt  hat,  Nebel- 
und  Dunstbildung  eine  häufige,  Bewölkung  keine  seltene  Er- 
scheinung ist  und  Taufälle  die  Regen  um  so  wirksamer  ergänzen, 
als,  wie  wir  sehen  werden,  im  Küstengebiet  in  der  Tirserde  eine 
Bodenart  vorhanden  ist,  welche  ganz  besonders  geeignet  ist,  die 
Feuchtigkeit  aufzunehmen  und  festzuhalten.  Im  Küstengebiet  von 
Marokko  sind  daher,  soweit  das  Klima  in  Frage  kommt,  die  Be- 
dingungen zum  Anbau  aller  Gewächse,  einjähriger  wie  Holzge- 
wächse, gegeben,  welche  in  den  südlichen  Mittelmeerländern  ohne 
künstliche  Bewässerung  gedeihen,  ja  selbst  für  einige,  denen  dort  die 
in  der  Regenzeit  herrschende  Wärme  nicht  genügt.  Hier  ge- 
deihen nur  mit  Hilfe  der  Winterregen  und  des  Taus,  der  Minsla, 
wie  die  einheimische  Bezeichnung  bei  den  Schauia  ist  und  deren 
Bedeutung  den  Bauern  wohlbekannt  ist,  beispielsweise  Mais,  wenn 
auch  nur  eine  Spielart  von  kurzer  (dreimonatlicher,  April  bis  Juni) 
Vegetationszeit,  Durrah,  Kichererbsen,  Koriander,  Kürbisse,  alles 
Gewächse,  deren  Anbau  in  den  südlichen  Mittelmeerländern  nur 
unter  künstlicher  Berieselung  möglich  ist. 

Die  Niederschläge  genügen  im  Küstengebiet  sogar,  um  Wald 
hervorzubringen,  nicht  bloß  in  Nord-Marokko,  das  nördlich  vom 
Sebu  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  als  natürliches  Waldland  bezeich- 
net werden  muß,  sondern  auch  im  Süden,  soweit  die  dem  Baum- 
wuchs ungünstige  Schwarzerde  nicht  vorherrscht.  In  Schedma, 
Haha,  Mtuga,  den  südlichsten  Landschaften  des  Atlasvorlandes, 
finden    sich    ausgedehnte    lichte  Haine,    in  welchen  der  Südwest- 

22* 


340  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Marokko  eigentümliche  Arganbaum  der  Charakterbaum  ist,  neben 
dem  aber  auch  Callitris  quadrivalvis,  diese  das  ganze  Atlasgebiet 
bis  nach  Tunis  kennzeichnende  Konifere,  mehrere  Juniperusarten 
u.  a.  m.  vorkommen.  Freilich  deutet  der  geringe  Höhenwuchs, 
der  Dornenreichtum  und  andere  Erscheinungen  bei  diesen  Holz- 
gewächsen auf  die  relative  Trockenheit  des  Klimas  hin. 

Weizen  und  Gerste  sehen  hier  ihre  klimatischen  Bedingungen 
in  vollstem  Maße  erfüllt.  Und  man  kann  das  Küstengebiet  von 
Marokko,  namentlich  da  der  Tirsboden  dem  Baumwuchs  nicht 
günstig  ist,  ein  Getreideland  schlechthin,  eines  der  besten  der  Welt, 
nennen.  Je  nach  dem  Eintritt  der  Winterregen  gesäet,  unter  Um- 
ständen erst  im  Dezember,  entwickeln  die  Getreidearten  sich  ohne 
Unterbrechung  bis  zur  Reife.  Die  Gerstenernte  findet  in  Schedma, 
südlich  vom  Tensift,  um  Mitte  April  statt,  bei  den  Schauia  anfangs 
Mai,  nördlich  vom  Sebu  gegen  Ende  Mai,  um  Tanger  um  den 
i.  Juni  statt.  Die  Weizenernte  fällt  in  Mittel-Marokko  um  Mitte 
Mai,  im  Norden  um  Mitte  Juni,  die  Maisernte  in  Mittel-Marokko 
um  den  I.  Juni.  Man  erntet  also  hier  die  wichtigsten  Brotfrüchte 
in  einer  Zeit,  wo  man  in  Mitteleuropa  noch  Monate  darauf  zu 
warten  hat.  Bei  künstlicher  Berieselung,  für  welche  in  dem 
breiten  Alluvialtal  des  Lukkos  zwischen  El  Ksar-el-Kebir  und 
Larasch,  in  der  Tiefebene  des  Gharb  mit  Hilfe  des  Sebu  und 
seiner  Nebenflüsse,  Wed  Rdem,  Wed  Beht  u.  a. ,  dann  an  der 
Küste  zwischen  Rabat,  Casablanca  und  Azemur  die  reichlichsten 
Wasservorräte  und  geeigneter  Boden  auf  viele  Tausende  von 
Quadratkilometern  vorhanden  sind,  ließen  sich  hier  unter  weit 
günstigeren  Bedingungen  als  in  den  südlichen  Mittelmeerländern 
Zuckerrohr,  Baumwolle,  Reis,  Mais,  Apfelsinen  und  andere  Au- 
rantiaceen ,  Bananen  u.  dergl.  ziehen  und  Huertas  anlegen, 
welche  die  von  Valencia  oder  Malaga  tief  in  Schatten  stellen 
würden. 

Durch  künstliche  Berieselung,  die  im  ganzen  Küstengebiet 
heute  eine  untergeordnete  Rolle  spielt,  zwar  nirgends  unbekannt, 
aber  immer  nur  auf  kleine  Gärten  in  der  Umgebung  der  Ort- 
schaften ausgedehnt  ist,  ließe  sich  vor  allem  auch  den  zeitweilig 
infolge  ungenügender  Winterregen  eintretenden  Mißernten  und 
Hungersnöten  vorbeugen.  Zwar  ist  Marokko  groß  genug,  so  daß 
selten  im  ganzen  Lande  Mißernte  eintritt,  auch  sucht  der  Bauer 
durch   Aufspeicherung    der    Vorräte    in    unterirdischen   Behältern, 


Bedingungen  des  Anbaus.  ?ai 

den  sogenannten  Matamoren,  wo  sich  das  Getreide  in  dem 
trocknen  Klima  jahrelang  hält,  der  Not  vorzubeugen;  aber  das 
Verkehrswesen  hegt  derartig  im  argen,  daß  die  Beförderung  von 
Brotstoffen  aus  einer  Landschaft  in  eine  entfernte  Notstandsgegend 
sozusagen  unmöglich  ist.  Trotz  den  bestehenden  Ausfuhrver- 
boten für  Brotstoffe  kann  in  der  einen  Gegend  Überfluß,  in  der 
andern  Hungersnot  herrschen.  Im  Jahr  1899  war  im  Küsten- 
gebiet vom  Tensift  nach  Norden  die  Ernte  ausgezeichnet ;  man 
sagte  mir  aber  in  Rabat,  daß  der  Bauer  zwei  Tagereisen  ins 
Innere  die  Gerste  gar  nicht  ernte,  weil  sie  wertlos  sei. 

Mit  den  zuweilen  infolge  ungenügender  Winterregen  ein- 
tretenden Mißernten  hängt  die  auch  hier  heimische  Sitte  der 
Regenprozession  zusammen,  eine  Erscheinung,  die  ähnlich  in  allen 
Gegenden  mit  periodischen  Regen  wiederkehrt.  O.  Lenz  *•)  be- 
obachtete solche  im  Januar  1880  in  der  Tiefebene  des  Gharb, 
einer  der  Kornkammern  von  Marokko,  nachdem  noch  1878  eine 
Hungersnot  als  Folge  einer  Mißernte  viele  Tausende  hingerafft 
hatte.  Frauen  und  Kinder  zogen  in  langen  Prozessionen  tanzend 
und  singend  umher,  die  Männer  besuchten  die  Zauijas  oder  ihre 
Gebetplätze,  um  den  Segen  des  Himmels,  nämlich  Regen,  zu  er- 
flehen. „Gegen  Abend  brach  ein  heftiges  Gewitter  los,  und  die 
Freude  und  der  Jubel  war  allgemein.  Die  ganze  Nacht  dauerten 
die  Tänze  und  Gesänge,  Gewehrsalven  krachten  zur  Feier  des 
freudigen  Ereignisses  und  überall  sah  man  freudige  Gesichter." 
Weiter  nach  Südwesten  hatte  es  nur  wenig  geregnet,  und  Lenz 
traf  am  nächsten  Tage  die  Bevölkerung  wiederum  bei  Regen- 
prozessionen. 

g)    Ausdehnung  des  Küstengebietes. 

Wenn  wir  sahen,  daß  das  Klima  des  Küstengebietes  durch 
den  jahreszeitlichen  Windwechsel  und  den  kühlen  Auftrieb  und 
seine  Folgeerscheinungen  in  hohem  Maß  beeinflußt  wird,  so  wird 
man  fragen,  wie  weit  nach  dem  Innern  diese  Einflüsse  reichen, 
ob  und  in  welchem  Maß  die  Niederschlagsmengen  mit  der  Ent- 
fernung vom  Ozean  abnehmen.  Ich  habe  diese  Fragen  auf 
meiner  Reise  möglichst  im  Auge  behalten  und  glaube  sie  beant- 


I)  Timbuktu  I,  S.  187. 


242  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

worten  zu  können.  Der  der  Küste  parallele  Landgürtel,  welcher, 
wenn  auch  mit  gelegentlichen  Mißernten  lediglich  mit  Hilfe  der 
Winterregen  und  des  Taues  anbaufähig  ist,  ist  verhältnismäßig 
schmal  und  geht  nach  innen,  wenigstens  in  Mittel-  und  Süd- 
Marokko,  durch  einen  sehr  schmalen  Übergangsgürtel  in  das 
Steppenland  über.  Ich  beobachtete  dies  im  Tale  des  Tensift 
bei  der  ersten  Durchquerung  des  Atlasvorlandes  zwischen  dem 
Ozean  und  Marrakesch  und  dann  wiederum  im  Tale  der  Um- 
er-Rbia,  bei  der  zweiten  Durchquerung  zwischen  Demnat  und 
Casablanca.  Für  das  Gebiet  südlich  vom  Tensift,  wo  ich  nur 
den  Kulturlandgürtel  kenne,  wurden  meine  Beobachtungen  von 
den  Schilderungen  wissenschaftlicher  Reisender  bestätigt.  Im 
Norden,  im  Gebiet  des  Sebu  und  nordwärts  davon,  verschmälert 
sich  das  Atlasvorland  und  tritt  die  Form  der  Hochfläche  neben 
reich  gegliedertem  Berg-  und  Hügelland  derartig  in  den  Hinter- 
grund, daß  unter  Mitwirkung  der  nördlicheren  Lage  die  Regen- 
menge größer  ist,  die  Regenzeit  länger  andauert  und  daher  bis 
auf  örtlich  beschränkte  und  mehr  im  Boden  begründete  Aus- 
nahmen das  ganze  Land  zum  Kulturlandgürtel  zu  rechnen  ist. 

Südlich  vom  Tensift  haben  wir  nach  J.  Hookers x)  nament- 
lich pflanzengeographisch  gut  begründeter  Darstellung  bei  A'in 
Umest,  etwa  70  km  von  der  Küste,  die  innere  Grenze  des  Kultur- 
landgürtels anzusetzen,  wo  das  vorzugsweise  wegen  der  größeren 
Höhe  bewegtere  Gelände  von  Schedma  in  die  einförmige  Ebene 
der  Uled-bu-Sbah  übergeht  und  an  Stelle  des  angebauten  Landes, 
der  Arganhaine  und  Gestrüppdickichte  einförmige  Artemisia-  und 
Gypsophilasteppe  tritt.  Ähnlich  beobachtete  ich  im  Tensifttal, 
wie  von  etwa  50  km  vom  Ozean  an  in  einem  Gürtel  von  nur 
etwa  10 — 15  km  Breite  der  anbaufähige  Gürtel  in  die  Steppe 
überging.  Auf  der  welligen,  steinigen  Hochebene  verschwanden 
östlich  vor  dem  kleinen  Berberdorf  Sidi  -  el  -  Arosi  die  letzten 
Spuren  von  Anbau,  die  lichten  Arganhaine,  welche  das  Hügel- 
land des  Kulturgürtels  südlich  vom  Tensift  ganz  besonders  kenn- 
zeichnen, werden  immer  lichter,  niedriger,  die  Bäume  krüppel- 
hafter; an  ihre  Stelle  treten,  vereinzelt  über  die  Fläche  verstreut, 
Gummi-Akazien  und  Zizyphus-Lotus,    die  kennzeichnenden  Holz- 


ig Journal    of  a  tour  in  Marocco  and  the  Great  Atlas.     London   1878, 
S.   109. 


Breite  des  Kulturlandgürtels.  24? 

gewächse  der  Steppe.  Erstere  niedrige,  nur  2 — z11^  m  hohe, 
dornige  Bäume  mit  dürftigen  Fiederblättern,  aber  einer  Fülle  von 
Schoten,  letztere  meist  niedriges  Gestrüpp,  überaus  reich  an 
scharfen  Dornen  an  den  wie  abgestorben  aussehenden  großen 
Ästen  und  Zweigen,  an  denen  eben  Ende  März  die  zartgrünen 
Fiederblättchen  auszutreiben  begannen.  Bald  aber  werden  beide 
immer  seltener ,  die  reine  Artemisiasteppe  örtlich  mit  Getaf 
(Atriplex  Halimus)  oder  einer  Stipaart  (wohl  Stipa  tortilis) 
wechselnd,  beginnt.  Im  Gebiet  der  Um-er-Rbia  sah  ich  etwa 
80  km  vom  Ozean  die  Steppe  der  Beni  Meskin,  die  zu  den 
ödesten  Teilen  des  Atlasvorlandes  gehört  und  weithin  als  steinige 
Hammada  auftritt,  die  nur  im  Frühling  Herden  zu  nähren  vermag, 
ziemlich  rasch  durch  immer  reicher  werdendes  Weideland  mit 
eingestreuten  immer  größer  werdenden  Gerstenfeldern  mit  Opuntien- 
gärten in  die  üppigen  Weizen-  und  Gerstengefilde  der  Schauia 
übergehen.  Dazu  trug  allerdings  das  Auftreten  des  Tirsbodens1) 
bei.  So  tritt  hier  erst  anfangs  Juli  der  Sommerschlaf  der  Vege- 
tation ein.  Dann  freilich,  wenn  auch  die  Spätfrüchte,  Mais  u.  dgl., 
abgeerntet  sind,  gleicht  das  baumlose  Schwarzerdeland  ebenfalls 
sonnenverbrannter,  öder  Steppe. 

Auch  die  Verbreitung  reichlicher  Taufälle  und  größerer  Luft- 
feuchtigkeit dürfte  für  die  Breite  des  Kulturlandgürtels  mit  be- 
stimmend sein.  Was  meine  eigenen  Beobachtungen  anlangt,  so 
stellte  ich,  solange  ich  mich  innerhalb  eines  Abstandes  von 
60  km  vom  Meer  im  unteren  Tensiftgebiet  befand,  in  der  Zeit 
vom  26.  März  bis  1.  April  1891  jeden  Morgen  starken,  meist 
sehr  starken  Taufall  fest,  ja  bei  Sidi-A'issa-Bu-Chabia  am  Tensift, 
etwa  18  km  vom  Ozean,  war  derselbe  so  stark,  daß  die  Zelte 
derartig  durchnäßt  waren,  daß  sie  erst  an  der  Sonne  getrocknet 
werden  mußten,  ehe  sie  zusammengepackt  werden  konnten.  Dazu 
hatte  allerdings  die  vom  Strom,  an  dessen  Ufer  ich  mein  Lager 
aufgeschlagen  hatte,  aufsteigende  Feuchtigkeit  beigetragen;  denn 
selbst  die  Wäsche  im  Zelt  war  etwas  feucht  geworden.  Von 
Sidi-el-Arosi  an  auf  dem  Marsche  weiter  ins  Innere  und  nach 
Marrakesch  am  1.,  2.,  3.,  4.  April,  war  jedoch  keine  Spur  von 
Taufall  zu  beobachten,   übrigens  entsprechend  den  Angaben  des 


1)  Über  Entstehung,  Verbreitung,  Eigenart  dieser  Humuserde  s.  Peterm. 
Mitt,  Erg.-Heft  No.  133,  S.  117—124. 


■iaa  V,  2.   Das  Klima  von  Marokko. 

Aspirations-Psychrometers,  und  zwar  bei  völlig  wolkenlosem  Himmel 
und  völliger  Windstille  am  Morgen,  obwohl  über  Tag  und  als  alltäg- 
liche Erscheinung  ein  wohltuend  empfundener  kühlender  Wind  vom 
Ozean  her  wehte.  Während  der  ganzen  Zeit,  die  ich  tiefer  im 
Innern  verbrachte,  also  vom  i.  April  bis  i.  Mai,  wo  ich  im  Ge- 
biet der  Schauia  wieder  in  den  Küstengürtel  eintrat,  beobachtete 
ich  nur  dreimal  Taufall,  aber  nur  wenn  ich  in  einer  der  Be- 
rieselungsoasen der  subatlantischen  Hochebene  lagerte,  trotzdem 
sich  jede  Nacht  ein  wolkenloser  Himmel  über  uns  ausspannte 
und  Windstille  herrschte.  Die  17  Tage  meines  Aufenthalts  in 
Marrakesch  sind  allerdings  abzurechnen,  da  dort  derartige  Beob- 
achtungen ausgeschlossen  waren.  Leider  war  das  auch  an  einem 
Tage  auf  dem  Marsche  durch  das  Gebiet  der  Schauia  an  den 
Ozean  der  Fall;  an  den  anderen  aber  beobachtete  ich  wieder 
reichlichen  Taufall,  ja  bei  Dar  Ber  Reschid  entwickelte  sich  etwa 
40  km  vom  Ozean  am  3.  Mai  ein  nordwest- europäischer  feiner 
Nebelregen,  der  eine  halbe  Stunde  anhielt,  der  einzige  dieser  Art, 
den  ich  in  Marokko  beobachtet  habe. 

Am  Morgen  des  7.  Mai  trat  zwischen  Casablanca  und  Rabat 
bei  Ben  Schakschak  am  Ozean  bei  völlig  bewölktem  Himmel  ein 
kurze  Zeit  andauernder  Platzregen  ein.  Auf  dem  Wege  von 
Rabat  nach  Meknäs  und  Fäs  zwischen  dem  11.  und  16.  Mai 
konnte  ich  bei  heiterem  Wetter  jeden  Morgen  Taufall  feststellen. 
Am  14.  Mai,  auf  dem  Wege  von  Sidi  Käsern  über  den  Bab  Tis'at 
Djoruf,  den  Paß  der  neun  Klippen,  in  das  Hochland  von  El  Gharb 
durch  das  Rdemtal  nach  Meknäs  regnete  es  bei  leichten  Ge- 
wittern wiederholt,  ja  am  Abend  des  14.  Mai  ging  in  Meknäs 
ein  schwerer  Gewitterregen  nieder,  dem  kleinere  Schauer  in  der 
Nacht  und  am  Morgen  des  15.  Mai  folgten.  Auf  dem  Marsche 
von  Fäs  nach  Tanger,  vom  20.  bis  zum  26.  Mai,  fiel  am  21. 
und  22.,  auf  dem  Hochlande  bzw.  unmittelbar  am  Fuß  desselben 
reichlich  Tau;  am  23.,  wo  ich  an  der  Furt  des  Sebu  Bab-el- 
Ksiri  gelagert  hatte,  herrschte,  wie  schon  am  Abend  vorher,  am 
Morgen  mittlere,  am  Morgen  des  24.  Mai  auf  der  Wasserscheide 
zum  Wed  Lukkos  volle  Bewölkung.  Am  25.  Mai  10  km  nördlich 
von  El  Ksar  -  el  -  Kebir  und  etwa  ebensoweit  vom  Ozean  ver- 
zeichnete ich  starken  Taufall  und  ebenso  am  26.  Mai  auf  der 
Hochfläche  von  Gharbia  etwa  1 5  km  vom  Ozean.  In  der  Literatur 
ist    leider    von    derartigen    Beobachtungen    nur    wenig    enthalten. 


Taufälle  und  Luftfeuchtigkeit.  -j^c 

Nur  bei  H.  de  la  Martiniere  l),  der  Nord-Marokko  von  zahlreichen 
und  langen  Reisen  gut  kennt,  finde  ich  die  Bemerkung,  daß  am 
Morgen  des  8.  Mai  1884  etwa  7  km  südlich  von  El  Ksar  so 
starker  Tau  gefallen  war,  daß  die  Zelte  ganz  naß  waren  und 
starke  Taubildung  infolge  der  großen  Gegensätze  der  Nacht-  und 
der  Tagestemperatur  die  Regel  sei.  Der  bis  gegen  1 1  Uhr  klare 
Himmel  verliere  allmählich  an  Klarheit,  feuchte  Kälte  mache  sich 
in  Verbindung  mit  einem  immer  dichter  werdenden  Nebel  geltend, 
der  eine  Schicht  Wasser  niederschlage.  Gegen  Morgen  hebt  sich 
der  Nebel  und  verschwindet  bald  ganz.  Auch  für  den  8.  Juni 
1884  verzeichnet  de  la  Martiniere2)  weiter  im  Innern,  in  etwa 
160  m  Meereshöhe,  am  Wed  Uergha  südsüdöstlich  von  Uessan, 
so  starken  Tau,  daß  die  Zelte  wie  von  Regen  durchnäßt  waren 
und  erst  getrocknet  werden  mußten.  Auch  Lenz  verzeichnet 
unter  dem  28.  Januar  1880  nördlich  von  Rabat  ungewöhnlichen 
Taufall. 

Was  meine  Psychrometerbeobachtungen  anlangt,  so  ergeben 
dieselben  leider  infolge  des  früher  erwähnten  Unfalls  nur  die 
drei  Profile  Mogador — Marrakesch  mit  den  gleichzeitigen  Beob- 
achtungen Herrn  von  Maurs  in  Mogador,  Rabat — Fäs  und  Fäs — 
Tanger.  Das  erste  umfaßt  die  Strecke  von  Mogador  bis  50  km 
westlich  von  Marrakesch  und  die  Tage  vom  26.  März  bis  zum 
3.  April,  von  denen  leider  aber  nur  am  29.,  30.,  31.  März  gleich- 
zeitig in  Mogador  beobachtet  wurde 3).  Der  Witterungscharakter 
war  der  gleiche  während  dieser  Tage.  Da  zeigte  sich  denn, 
daß,  solange  ich  mich  im  Küstengebiet  aufhielt,  die  relative 
Feuchtigkeit  überhaupt  eine  sehr  große  und  auch  bei  der  2  Uhr- 
Beobachtung  noch  beträchtlich  war,  also  mäßige  Schwankung, 
während  mit  der  Entfernung  von  der  Küste  die  relative  Feuchtig- 
keit im  allgemeinen  sank,  während  der  nächtlichen  Abkühlung 
aber  morgens  und  abends  immerhin  noch  beträchtlich  war, 
während  mittags  fast  wüstenhafte  Trockenheit  herrschte.  Schon 
am  31.  März  in  34  km  Abstand  vom  Meere  (Luftlinie)  stellte 
sich  eine  relative  Feuchtigkeit  von  2o°/0,  am  3.  April  in  127  km 
Abstand  von   24  °/0  und  zwar  schon  um  1 2  Uhr  mittags  ein.    Da- 

1)  Revue  de  Geogr.,  Bd.  XVII,  S.  415. 

2)  Ebenda  Bd.  XVIII,  S.  214. 

3)  Die  Berechnung  ist  mit  Hilfe  der  Wild-Jelinekschen  Psychrometer- 
tafeln  vorgenommen. 


-ia()  V,  2.   Das  Klima  von  Marokko. 

gegen  waren  in  Mogador  die  Schwankungen  sehr  gering,  immer- 
hin aber  sank  am  31.  März,  wo  ich  am  Morgen,  allerdings  un- 
mittelbar am  Ufer  des  Tensift,  eine  relative  Feuchtigkeit  von 
92%,  Herr  von  Maur  in  Mogador  nur  78%  festgestellt  hatte, 
bei  der  2  Uhr-Beobachtung,  die  im  Innern  2Ö°/0  ergab,  dieselbe 
auch  in  Mogador  auf  61  °/0.  Ich  fasse  die  Ergebnisse  in  folgen- 
der Tabelle  zusammen: 


Relative 

Tag 

Stunde 

Ort 

Meerferne 
km 

Feuchtigkeit 
/o 

26 

März 

2P 

Kap  Mulay  Bu  Serchtun 

2 

74 

26 

„ 

9P 

Am  el  Hadjar   108  m 

8 

82 

27 

s> 

7a 

» 

8 

92 

27 

„ 

2p 

>> 

8 

71 

27 

»5 

9p 

>> 

8 

83 

28 

>> 

?a 

>> 

8 

74 

28 

j) 

9P 

j> 

8 

89 

29 

)5 

?a 

>) 

8 

100 

29 

>> 

2P 

>) 

8 

64 

29 

,, 

2P 

Mogador 

0 

80 

29 

,, 

9P 

Ain  el  Hadjar 

8 

94 

29 

„ 

9P 

Mogador 

0 

89 

30 

„ 

7a 

Ain  el  Hadjar 

8 

96 

30 

„ 

?a 

Mogador 

0 

81 

3  c1 

>> 

2P 

Ebene  von  Akermut    198  m 

1 1 

66 

30 

)> 

9P 

Sidi  Aissa  Bu  Chabia  45  m 

18 

86 

30 

J) 

9P 

Mogador 

0 

89 

31 

)? 

7a 

Sidi  A'issa  Bu  Chabia 

18 

92 

31 

)> 

?a 

Mogador 

0 

79 

3] 

)J 

2P 

Meschra-en-Nejum   113  m 

34 

26 

31 

„ 

2P 

Mogador 

0 

61 

31 

,, 

9P 

Sidi  el-Arosi   140  m 

40 

59 

I 

April 

?a 

„ 

40 

70 

I 

3) 

2P 

Ain  Derola    164  m 

60 

37 

I 

)» 

9P 

Mehdi   191  m 

75 

87 

2 

»> 

?a 

„ 

75 

86 

2 

>> 

9P 

Dachr  Kaid  El  Amri    246  m 

112 

52 

3 

»J 

7a 

»> 

112 

70 

3 

» 

12%  * 

Wed  Bulachres  275  m 

127 

24 

Ergänzend  füge  ich  hinzu,  daß  nach  den  Beobachtungen 
im  französischen  Konsulat  in  Marrakesch  im  Winter  1886/87  die 
relative  Feuchtigkeit  betrug:  Dezember  41%,  Januar  48  °/0, 
Februar  45  °/0,  März  39  °/0.  Man  kann  aus  diesen  wie  aus  meinen 
Beobachtungen  schließen,  daß  im  Innern  des  Atlasvorlandes  die 
Lufttrockenheit  das  ganze  Jahr,  aber  namentlich  im  Sommer  eine 
sehr    große    ist,    wohl    kaum    geringer    als    in   wirklichen  Wüsten- 


Luftfeuchtigkeit. 


347 


gebieten.  Das  macht  begreiflich,  daß  in  Marrakesch  trotz  der 
Meereshöhe  von  nahezu  500  m  die  Datteln  noch  reifen. 

Während  der  Reise  von  Rabat  nach  Fäs  und  von  dort  nach 
Tanger,  vom  11.  bis  26.  Mai,  stellte,  wie  oben  erwähnt,  Herr 
Ingenieur  Rottenburg  korrespondierende  Beobachtungen,  allerdings 
mit  ungenügenden  Instrumenten  an.  Es  ergab  sich  als  selbst- 
verständlich, daß  diese  nahe  dem  Ozean  angestellten  Beobach- 
tungen stets  eine  wesentlich  höhere  relative  Feuchtigkeit  nach- 
wiesen, als  gleichzeitig  im  Innern  herrschte.  Dieselbe  war  nicht 
wesentlich  geringer  als  in  Mogador  und  schwankte  zwischen  80 
und  100  °/0-  Nur  einmal  sank  sie  auf  6g°/0,  während  ich  gleich- 
zeitig zwischen  den  Dünen  von  Aamor,  nur  6  km  vom  Ozean, 
47  °/0  beobachtete. 

Im  allgemeinen  nahm  auch  hier  im  Norden  mit  der  Ent- 
fernung vom  Ozean  die  Luftfeuchtigkeit  ab;  nur  wenn  ich  am 
Ufer  eines  Flusses  lagerte,  steigerte  sich  die  relative  Feuchtig- 
keit sofort  bedeutend.  In  dem  Sumpfgebiet  der  Beni  Ahsen  z.  B. 
stieg  sie  selbst  in  der  Mittagsbeobachtung  auf  q6%>  an  der  Furt 
des  Sebu  betrug  sie  am  Abend  des  22.  Mai  88°/0,  am  Morgen 
80  °/0.  Um  so  größere  Trockenheit  herrschte  aber  auf  dem  Hoch- 
lande in  der  Umgebung  des  Djebel  Zerhun,  nachdem  die  zwei 
Regentage  bei  Meknäs  vorüber  waren.  Während  ich  an  diesen 
zwischen  80  und  go°/0  feststellte,  sank  die  relative  Feuchtigkeit 
in  Fäs  einmal  mittags  auf  2g°/0;  es  war  das  Mittel  der  drei 
Tage,  die  ich  mich  dort  aufhielt,  obwohl  ich  in  einem  mit 
Bäumen  besetzten  Garten  mit  einem  Springbrunnen  beobachtete 
(12  Beobachtungen):  54%.  An  den  ersten  drei  heißen  Tagen 
des  Marsches  von  Fäs  nach  Tanger,  am  20.,  21.  und  22.  Mai, 
war  die  Lufttrockenheit  ungeheuer.  Ich  konnte  das  schon  daran 
feststellen,  daß  das  von  Wasser  durchtränkte  Tuch,  welches  ich 
mir,  um  die  Schleimhäute  etwas  anzufeuchten,  vor  den  Mund 
band,  da  ich  nur  filtriertes  und  abgekochtes  Wasser,  auf  dem 
Marsch  überhaupt  nichts  trank,  nach  einer  halben  Stunde  völlig 
trocken  war.  An  zwei  Tagen  sank  bei  der  zweiten  Beobachtung 
die  relative  Feuchtigkeit  auf  13  bzw.  14%,  am  dritten  Tage 
(dem  Pfingstmontage)  war  ich,  da  ich  mich  von  der  Karawane 
hatte  trennen  müssen,  zehn  Stunden  im  Sattel  fast  ohne  zu  essen 
und  zu  trinken  und  konnte  keine  Mittagsbeobachtung  anstellen. 
Sicher    ist    an    diesem  Tage    die    relative   Feuchtigkeit    auf   io°/0 


•2/1.8  V>  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

gesunken.  Selbst  bei  der  9  Uhr -Nachmittagsbeobachtung  ergab 
sich  am  20.  nur  39  °/0,  bei  der  Morgenbeobachtung  (diesmal 
6  Uhr  vormittags)  nur  30%.  Auch  im  Innern  von  Nord-Marokko 
herrscht  also  im  Sommer  große  Lufttrockenheit.  Als  ich  nach 
Überschreitung  des  Sebu  mich  in  geringer  Entfernung  vom  Ozean 
nordwärts  bewegte,  stieg  auch  die  relative  Feuchtigkeit  sofort  auf 
im  Mittel  etwa  85  °/0.  Die  Mittagsbeobachtung  ergab  allerdings 
einmal,  in  El  Ksar-el-Kebir,  nur  42  °/0. 


h)  Das  Innere.     Niederschlagsverhältnisse. 

Es  ergibt  sich  aus  diesen  Betrachtungen,  daß  das  Küsten- 
gebiet nur  eine  Breite  von  60 — 80  km  hat.  Dann  ist  bereits 
die  Luftfeuchtigkeit  und  die  Menge  der  winterlichen  Nieder- 
schläge so  weit  gesunken,  daß  das  ganze  Atlasvorland  bis  an  den 
Fuß  des  Gebirges  den  Charakter  der  Steppe  annimmt,  die  nur 
im  Winter  und  Frühling  noch  ergrünt,  aber  nur  ausnahmsweise 
örtlich  und  zeitlich  etwas  Anbau,  jedoch  auch  nur  von  Gerste, 
ohne  künstliche  Berieselung  gestattet.  Es  ist  somit  in  begreif- 
licher Weise  nur  der  zu  400 — 500  m  Höhe  in  Stufen  ansteigende 
Rand  des  Tafellandes,  an  dem  sich  die  Wasserdampfmengen 
vom  Ozean  her  verdichten  und  als  Regen  und  Tau  nieder- 
schlagen. Was  weiter  landeinwärts  liegt,  ist  um  so  niederschlags- 
ärmer, als  sich  dort  mehrfach  flache  Wannen  finden  oder  Ge- 
biete, die  im  Regenschatten  der  Aufragungen  des  Grundgebirges, 
wie  z.  B.  das  Djebilet,  liegen.  Zur  Meerferne  kommt  also  die 
Bodenplastik  als  ungünstiger  Faktor  hinzu.  Wir  werden  daher 
im  Innern  des  Atlasvorlandes  neben  großer  Lufttrockenheit  und 
geringen  Niederschlägen  auch  einen  bereits  mehr  kontinentalen 
Wärmegang  zu  erwarten  haben;  dazu  wirkt  natürlich  auch  die 
Höhe  mit.  Am  meisten  kontinentalen  Anstrich  wird  das  Klima 
auf  der  subatlantischen  Hochebene  haben.  Auch  die  jahreszeit- 
liche Verteilung  der  Niederschläge  dürfte  eine  andere  sein.  Das 
Maximum  derselben  fällt  wahrscheinlich  nicht  auf  die  Zeit  des 
niedrigsten  Sonnenstandes,  sondern  auf  die  Äquinoktien,  nament- 
lich die  des  Frühlings.  Dadurch  scheint  sich  auch  die  Zeit,  in 
welcher  Regen  zu  erwarten  sind,  gegenüber  der  Küste  zu  ver- 
längern, da  ausgiebige  Regengüsse  noch  anfangs  Juni  und  wieder 


Kontinentalklima  des  Innern. 


349 


anfangs  September  bezeugt  sind.  Der  August  ist  nach  den  neuen 
Beobachtungen  regenlos. 

Thomson  beobachtete  in  Marrakesch  1888  die  ersten  Regen, 
welche  die  beginnende  Regenzeit  ankündigten,  in  den  ersten  Tagen 
des  September,  wie  ich  andererseits  den  ersten  Regen,  seit  ich 
am  26.  März  die  Küste  verlassen  hatte,  am  3.  April  30  km  west- 
lich von  Marrakesch  beobachtete.  Derselbe  hielt  i3/4  Stunden 
an,  war  sehr  heftig  und  Begleiterscheinung  eines  Gewitters.  Der 
tonige  Boden  wurde  in  kürzester  Zeit  für  die  Lasttiere  fast  un- 
gangbar. Schon  am  2.  April  hatte  ich  gegen  Abend  Wetter- 
leuchten im  Osten  beobachtet.  Auch  der  4.  April  brachte  in 
Marrakesch  ein  Gewitter,  der  5.  ein  solches  mit  sintflutartigem 
Regen,  der  eine  Stunde  anhielt  und  mindestens  20  mm,  wie  am 
3.  April *)  gegeben  hat:  also  vier  Tage  hintereinander  stets  gegen 
Abend  Gewitter,  zwei  mit  starkem  Regen.  In  der  Nacht  vom 
16.  zum  17.  April  fiel  wieder  Regen.  Dann  aber  herrschte 
völlige  Regenlosigkeit  bis  zu  dem  bereits  erwähnten  feinen  Nebel- 
regen am  3.  Mai  schon  nahe  der  Küste.  O.  Lenz2)  fand  am 
10.  Februar  die  Um-er-Rbia,  wo  er  sie  unterhalb  der  Einmündung 
des  Tasaut  überschritt,  infolge  starken  Regens  geschwollen  und 
wurde  gründlich  durchnäßt.  Am  26.  Februar  verzeichnete  Lenz 
ein  Gewitter  in  Marrakesch  gegen  den  Atlas  hin,  aber  ohne  daß 
Regen  in  der  sonnendurchglühten  Ebene  eintrat.  Erst  am 
29.  Februar  regnete  es  in  Marrakesch,  nachdem  es  in  der  Um- 
gebung schon  an  den  Tagen  vorher  reichlich  geregnet  hatte. 
Lenz  verzeichnet  dann  noch  Regen  am  Abend  des  8.  März  süd- 
lich von  Marrakesch,  ein  starkes  Gewitter  am  Abend  des  9. 
Von  Fritsch 3)  erwähnt  noch  einen  kurzen  Regenschauer  und 
Regenbogen  am  Nachmittag  des  1.  Juni  und  ebenso  ein  ge- 
waltiges Gewitter   und   furchtbaren   Regenguß   am  2.  Juni  (1872). 

Es  ergibt  sich  aus  diesen  wenigen  Beobachtungen  die  eine 
wichtige  Tatsache,  daß  im  Innern,  im  Gegensatz  zur  Küste,  Ge- 
witter eine  sehr  häufige  Erscheinung  sind  und  daß  die  Regen 
vorzugsweise  bei  Gewittern  fallen.  Die  Nähe  des  Gebirges  dürfte 
wesentlich  zur  Gewitterbildung  beitragen. 

1)  Ich  glaube  ziemlich  gut  schätzen  zu  können,  da  ich  seit  vielen 
Jahren  in  Marburg  Regenmessungen  vornehme. 

2)  Timbuktu  I,  S.  225. 

3)  Mitt.  d.  Ver.  f.  Erdk.  Halle   1878,  S.  54. 


•j-q  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Regenmessungen  aus  dem  Innern  gibt  es,  abgesehen  von 
wenigen  Monaten  in  Marrakesch,  noch  nicht.  Ich  glaube  aber 
Schlüsse  ziehen  zu  können,  indem  ich  den  Landschaftscharakter 
des  inneren  Atlasvorlandes,  soweit  er  von  der  Pflanzenwelt  be- 
stimmt wird,  mit  dem  mir  ebenso  aus  eigener  Anschauung  be- 
kannten von  Süd-Tunesien  in  annähernd  der  gleichen  Breite  ver- 
gleiche. Dort  nämlich,  wie  in  ganz  Tunesien,  haben  die  Franzosen, 
die  überhaupt  in  bezug  auf  wissenschaftliche  Erforschung  und 
Aufschließung  dieses  Landes  Mustergültiges  geleistet  haben,  meteo- 
rologische Stationen  in  geeigneter  Zahl  und  an  geeigneten  Punkten 
errichtet,  so  daß  heute  bereits  das  Klima  als  gut  erforscht  gelten 
kann.  Wo  in  Süd -Tunesien  —  und  man  pflegt  dies  auch  für 
Algerien  anzunehmen  —  die  Niederschlagsmenge  unter  400  mm 
sinkt,  kann  nach  Augustin  Bernard  kein  regelmäßiger  Ackerbau 
mehr  getrieben  werden,  das  Land  trägt  Steppencharakter.  Wo 
die  Niederschlagsmenge  200  mm  nicht  mehr  erreicht,  beginnt  die 
Wüste. 

Von  Wüste,  um  dies  vorweg  zu  nehmen,  kann  man,  soweit 
meine  Kenntnis  reicht,  im  Atlasvorland  von  Marokko  nirgends 
sprechen.  Ich  habe  dort  nirgends  so  wirklich  wüstenhafte  Land- 
striche gesehen,  wie  etwa  im  südtunesischen  Schottgebiet  oder 
selbst  schon  in  der  Umgebung  von  Biskra.  Dabei  hat  Gabes 
eine  Regenhöhe  von  215  mm,  die  in  der  Zeit  von  Ende  Oktober 
bis  Anfang  April  fallen,  Tozer  15g  mm,  die  von  November  bis 
April  fallen.  Ich  möchte  daher  schließen,  daß  im  Atlasvorland 
von  Marokko  die  Niederschlagsmenge  im  Mittel,  von  Dürrejahren 
abgesehen,  nirgends  unter  200  mm  sinkt,  wenn  sie  auch  in  dem 
eigentlichen  Steppengürtel,  weiter  ab  vom  Meer  als  vom  Ge- 
birge, nicht  viel  darüber  liegen  mag.  Die  vorliegenden  Regen- 
messungen von  Marrakesch  *),  so  dankenswert  sie  sind,  umfassen 
leider  nicht  einmal  eine  ganze  Regenperiode,  nämlich  nur  die 
Zeit  von  Januar  bis  März  1886  und  von  September  1886  bis 
März  1887.  Danach  erscheint  die  Regenperiode  1885/86  als 
sehr  ergiebig,  die  von  1886/87  als  regenarm.  Es  wurden  folgende 
Monatsmittel  festgestellt: 

1886:  Jan.         Febr.        März  Sept.       Okt.         Nov.       Dez. 

mm  54,2  42,9  48,0     ....     0,0  16,0  37,4         0,0 

1887:  7,4  19,4  18,0 


1)  Meteorol.  Zeitschrift  1895,  s-  in- 


Niederschläge  des  inneren  Atlasvorlandes.  ?;j 

An  einer  vollständigen  Regenperiode  fehlen  noch  die  Monate 
April,  Mai  und  Juni,  von  denen,  wie  ich  erproben  konnte,  der 
April  noch  ausgiebig  Regengüsse  bringt,  vermutlich  auch  der 
Mai  und  vereinzelt  selbst  noch  der  Juni,  andererseits  der  September. 
Das  Jahr  1886  hätte,  wenn  wir  nach  meinen  Beobachtungen  im 
April  1899,  wo  zwei  Güsse  gegen  40  mm  gaben,  dem  April, 
Mai  und  Juni  noch  etwa  50  mm  zuschreiben,  rund  250  mm  ge- 
geben. Daraus,  daß  der  Januar  bis  März  1887  noch  nicht 
Y3  der  Regenmenge  vom  Januar  bis  März  1886  gegeben  haben, 
muß  man  aber  schließen,  daß  jenes  Jahr  ein  besonders  günstiges 
war.  Überdies  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  Marra- 
kesch  bei  nur  40  km  Entfernung  vom  Gebirge  schon  eine  be- 
deutende Steigerung  der  Regen  hat.  Und  so  erscheint  auch  die 
Verlängerung  der  Regenzeit  als  eine  weniger  günstige  Erschei- 
nung, namentlich  da  die  Regen  in  weit  höherem  Maß  als  an 
der  Küste  in  vereinzelten  heftigen  Güssen  zu  fallen  scheinen. 
Das  muß  man  aus  den  oben  angeführten  Fällen,  wie  namentlich 
daraus  schließen,  daß  die  obigen  sieben  Monate  der  Periode 
1886/87  nebst  Januar  bis  März  1886  nur  27,5  Regentage  hatten. 
Ich  habe  an  anderer  Stelle  gezeigt,  daß  die  Bildung  traver un- 
artiger Kalkplatten,  die  im  Atlasvorland  vielfach  die  Oberfläche 
des  Bodens  bilden,  aufs  engste  mit  der  klimatischen  Eigenart 
zusammenhängt. 

Ich  nehme  daher  für  das  innere  Atlasvorland  eine  Nieder- 
schlagshöhe von  200 — 400  mm  an,  wohl  meist  näher  an  200 
als  an  400.  Die  Richtigkeit  dieser  Schätzung  haben  die  von 
Dr.  Knoch  berechneten  Beobachtungen  von  1886/87  und  die 
neuen  an  der  von  mir  gegründeten  Station  von  1900 — 1905 
ergeben.  Das  Jahresmittel  von  Marrakesch  ist  danach  237  mm, 
wovon  87  auf  den  Winter  =36,7%»  82  auf  den  Frühling 
=  34,6°/0,  12  auf  den  Sommer  =  5,1  °/0,  56  auf  den  Herbst 
=  23>7%  kommen.  Sehr  bezeichnend  ist,  daß  die  sommerliche 
Niederschlagsarmut  im  Innern  nicht  so  groß  ist,  wie  an  der  Küste. 
Es  ist  dasselbe  aber  durchaus  als  Steppe  zu  bezeichnen,  bald 
von  größerem,  bald  von  geringerem  Wert  als  Weideland,  im 
Sommer  sonnenverbrannt  und  wüstenhaft,  so  daß  dann  die  Be- 
wohner teilweise  mit  ihren  Herden  ins  Gebirge  ausweichen.  Da 
die  großen  Flüsse,  welche  dasselbe  queren,  wenn  auch  meist  in 
engen,  tiefen,  streckenweise  unzugänglichen  Tälern,  und  Brunnen, 


ic2  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

die  in  großer  Zahl  vorhanden  sind,  ja  auch  vereinzelt  auf  dem 
undurchlässigen  Grundgebirge  zutage  tretende  Quellen  hinreichend 
Wasser  bieten,  so  ist  dies  Steppenland  überall  dauernd  bewohnbar 
und  reich  an  großen  Herden  von  Rindern  und  Schafen,  zum  Teil 
auch  an  Kamelen,  Ziegen,  Pferden.  Selbst  Ackerbau  wird  im 
kleinen  getrieben,  wenn  auch  nur  auf  Gerste,  die  eine  sehr  kurze 
Vegetationszeit  hat,  und  unter  häufigen  Mißernten.  Vereinzelte 
kleine  Gerstenfelder  auf  unbewässertem  Boden  sah  ich  mehrmals 
in  dem  Steppengürtel.  Freilich  waren  dieselben  auch  meist  ver- 
dorrt oder  in  Notreife.  Weizen  habe  ich  nirgends  gesehen.  Zum 
Vergleich  möge  bemerkt  werden,  daß  in  Mittel-Tunesien  bei 
Kairuan,  das  im  Durchschnitt  in  der  Zeit  von  Ende  September 
bis  Anfang  Mai  an  53  Regentagen  eine  Regenhöhe  von  353  mm 
erhält,  man  drei  Jahre  auf  eine  Weizenernte  rechnet,  bei  Sfax, 
wo  an  45  Tagen  von  Ende  September  bis  Anfang  April  274  mm 
fallen,  alle  fünf  Jahre. 

Anbau  des  Bodens  ist  daher  im  Innern  des  Atlasvorlandes 
auf  künstliche  Berieselung  angewiesen.  Während  diese  im  Küsten- 
gebiet nur  zu  höchster  Steigerung  der  Erträge  beiträgt,  wie  in 
Spanien,  ermöglicht  sie  im  Innern  überhaupt  erst  Anbau.  Man 
kann  also  dort  geradezu  von  Oasen  sprechen.  Da  solche  Oasen 
in  großer  Zahl  und  großer  Ausdehnung  mit  den  Wassermengen 
hervorgerufen  sind,  welche  die  zahlreich  aus  dem  Gebirge  her- 
vorbrechenden Flüsse  und  das  Grundwasser  liefert,  das  im  Unter- 
grund des  ungeheuren  Schotterfeldes,  welches  dieselben  vorwiegend 
in  der  Diluvialzeit  geschaffen  haben,  vorhanden  ist,  so  bezeichne 
ich  die  Hochebene  am  Fuß  des  Hohen  Atlas  als  den  Gürtel 
der  subatlantischen  Berieselungsoasen.  Das  Grundwasser  wird 
in  kunstvollen  unterirdischen  Leitungen,  den  sogenannten  Chattaras, 
dem  zu  bewässernden  Land  zugeführt,  das,  mit  südlichen  Frucht- 
bäumen, Oliven,  Granaten,  Apfelsinen,  Feigen,  Datteln  usw.  be- 
pflanzt, die  reichsten  Erträge  liefert.  Außerhalb  der  Oasen  herrscht 
aber  völlige  Steppe.  Da  ein  mittlerer  Landgürtel,  den  alle  Ge- 
wässer, die  das  Hochgebirge  herabsendet,  in  den  zwei  großen, 
tief  eingesenkten  Rinnen  Tensift  und  Um-er-Rbia  vereinigt,  durch- 
fließen, auch  an  Quellen  arm,  somit  der  künstlichen  Berieselung 
nur  in  geringer  Ausdehnung  zugänglich,  zugleich  sicher  auch 
niederschlagsärmer  ist,  als  die  Hochebene  am  Fuß  des  Gebirges, 
so  bezeichne  ich  ihn  schlechthin  als  Steppengürtel.    Es  sind  also 


Klima  des  Gebirgslandes.  323 

im  Atlasvorland  drei  Landgürtel  vorzugsweise  klimatisch  bedingt, 
die  ich  kulturgeographisch  kurz  als  Getreideland,  Weideland  und 
Fruchtbaumland  bezeichne. 


i)    Das  Gebirgsland. 

Daß  mit  der  Annäherung  an  das  Gebirge  und  im  Gebirge 
selbst  die  Niederschläge  zunehmen,  ist  selbstverständlich.  In  der 
Tat  stellte  ich  fest,  daß  in  einem  schmalen  Gürtel  am  Fuß  des 
Gebirges,  aber  erst  etwa  von  der  Höhenlinie  von  700  m  an, 
südwestlich  von  Demnat,  nicht  nur  Gerste,  sondern  streckenweise 
selbst  Weizen  auf  unberieseltem  Boden  gebaut  wurde  und  auch 
in  diesem  Jahr,  wo  ich  kurz  vorher  im  Steppengürtel  die  ver- 
einzelten kleinen  Gerstenfelder  verdorrt  gesehen  hatte,  ganz  gut 
geraten  war.  Hier  trat  auch  die  Zwergpalme,  welche  den  Steppen- 
gürtel meidet,  wieder  auf.  Und  ihr  gesellen  sich  bald  auch  die 
meisten  Holzgewächse  des  Küstengebietes  bei:  Callitris,  Juniperus 
u.  a.  m.  Hier  müßte  also  die  Niederschlagsmenge  wieder  auf 
etwa  400  mm  gestiegen  sein.  Höher  hinauf  und  tiefer  ins  Ge- 
birge nimmt  dieselbe  sicher  noch  mehr  zu,  aber  doch  innerhalb 
enger  Grenzen.  Denn  darin  stimmen  alle  Beobachter,  nament- 
lich soweit  sie  botanisch  geschult  waren,  überein,  —  ich  selbst 
bin  nicht  tiefer  in  das  Gebirge  eingedrungen  —  daß  der  Charakter 
der  Vegetation,  das  Fehlen  einer  eigentlichen  alpinen  Flora,  die 
Zusammensetzung  und  Dürftigkeit  des  Pflanzenkleides,  die  kahlen 
Hänge,  die  Geröllhalden,  die  großartige  Öde  auch  im  Gebirge 
von  einer  gewissen  Trockenheit  zeugen.  Alpenweiden  fehlen  so 
gut  wie  ganz,  Senn  Wirtschaft,  wie  in  den  Alpen,  ist  ausgeschlossen. 
wenn  auch  die  berberischen  Stämme  der  Beni  Mtir,  der  Zaian, 
der  Beni  Mgild  südlich  und  südöstlich  von  Fäs  und  Meknäs  im 
Sommer  mit  ihren  Herden  ins  Gebirge  und  in  die  dort  noch  er- 
haltenen Urwälder  von  Zedern,  Callitris  usw.  wandern.  Doch 
handelt  es  sich  da  bereits  um  die  niedersehlagsreicheren  nörd- 
lichen Gebirgslandschaften.  Die  Bewohnbarkeit  des  Hohen  Atlas 
ist  jedenfalls  gering.  Und  in  den  Gebirgstälern  ist,  da  dort  der 
niederschlagsreiche  Winter  zu  kalt  ist,  für  den  sommerlichen 
Anbau  von  Mais  (bis  1 700  m),  Weizen,  Gerste,  Roggen,  während 
mehrmonatlicher  Niederschlagslosigkeit  künstliche  Berieselung  nötig. 
Der   größere    Teil    der    Niederschläge    fällt    im  Gebirge    auch    in 

Fischer,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge.  23 


2e.A  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

fester  Form;  daher  ist  dasselbe  regelmäßig  jeden  Winter  und 
einen  großen  Teil  des  Jahres  von  Schnee  bedeckt,  der  schmelzend 
im  Frühling  und  Frühsommer  die  Flüsse  schwellt  und  reichlich 
Wasser  zu  Berieselungszwecken  liefert,  in  der  Zeit,  wo  der  Be- 
darf am  größten  ist.  Nach  de  Foucauld  begann  im  Hohen  Atlas 
die  Regenzeit  Mitte  Oktober.  Gegen  Ende  Oktober  bis  Anfang 
November  regnete  es  fast  täglich  bis  Tazenacht  (1500  m  hoch 
im  Quellbecken  des  Draa,  also  jenseits  der  Hauptkette).  Von 
da  an  aber,  während  der  Zeit,  wo  er  also  auf  der  saharischen 
Seite  des  Gebirges  reiste,  selten.  Ergänzt  werden  diese  An- 
gaben durch  diejenigen  des  Marquis  de  Segonzac *)  im  Hohen 
und  Mittleren  Atlas.  Im  Juni  und  Juli  regnete  es  auf  der  ozea- 
nischen Seite  des  Gebirges  bei  fast  täglichen  heftigen  Nach- 
mittagsgewittern sehr  häufig  und  heftig.  An  57  Tagen,  vom 
2.  Juni  bis  28.  Juli  1901,  wurden  an  34  Tagen  Gewitter  beob- 
achtet, an  18  Tagen  mit  Regen  oder  Hagel.  Nach  den  An- 
gaben der  Eingeborenen  scheint  das  die  Regel  in  dieser  Jahres- 
zeit zu  sein.  Im  Rifgebirge  müssen  nach  den  Beobachtungen 
de  Segonzacs,  trotz  der  Nähe  des  freilich  dort  schmalen  Mittel- 
meeres, die  Niederschläge  gering  sein,  wohl  unter  600  mm  im 
Jahresmittel,  während  er  in  Fez  im  Februar  und  März  1901  fast 
täglich  heftige  Regen,  oft  sintflutartig,  hatte,  meist  bei  West-,  ge- 
legentlich auch  Südwestwinden.  Nach  dem  heutigen  Stande 
unserer  Kenntnis  und  nach  den  Beobachtungen  in  Marrakesch 
müssen  wir  anneinnen,  daß  im  Innern  und  im  Gebirge,  wenn 
auch  das  Maximum  an  der  ozeanischen  Seite  noch  auf  den 
Winter  fällt,  sich  doch  die  Niederschläge  über  den  Frühling  und 
bis  in  den  Sommer  hinein  ausdehnen  und  an  Gewitter  geknüpft 
in  allen  Monaten  des  Jahres  vorkommen  können.  De  Segonzac 
hatte  1901  im  Mittel- Atlas  zwar  im  August  nur  selten  Regen, 
aber  Ende  August  steigerten  sich  dieselben  wieder  bedeutend, 
so  daß  vom  22.  bis  31.  August,  abgesehen  vom  27.,  es  täglich 
regnete. 

Es  ist  anzunehmen,  daß  von  etwa  1000  m  Höhe  an  jeden 
Winter  von  November  bis  April  Schneefälle  vorkommen,  ja 
Hooker2)  hatte  noch  Mitte  Mai  187 1  südöstlich  von  Marrakesch 
in    etwa    2500  m  Höhe    Schneefall,    der    das    Gebirge    bis    etwa 

1)  Voyages  en  Maroc.     Paris  1903,  bes.  S.  131. 

2)  Journal  of  a  tour  in  Marokko,  S.  222,  224. 


Schneedecke  des  Hohen  Atlas. 


355 


2100  m  herab  bedeckte.  Es  bildet  der  Atlas,  wie  bekannt,  eine 
scharf  ausgeprägte  Klimascheide,  und  es  kann,  wie  schon  Hooker 
annahm,  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  wie  bei  den  großen 
Gegensätzen  des  Luftdruckes  über  der  Wüste  und  dem  Ozean 
vom  Atlasvorland  gegen  die  Azoren  heftige  Unwetter,  die  im 
Hochgebirge  von  Schneefällen  begleitet  sind,  besonders  im  Sommer 
vorkommen.  Je  höher  hinauf,  um  so  länger  hält  die  Schneedecke 
aus.  Ich  konnte  im  April,  wo  ich  das  Gebirge  täglich  bald  in 
größerer,  bald  in  geringerer  Entfernung  vom  Vorland  aus  vor  mir 
sah,  deutlich  beobachten,  wie  die  Schneegrenze  ziemlich  rasch 
nach  oben  rückte  und  die  Flüsse  im  Vorlande  wasserreicher 
wurden.  Von  Fritsch *)  und  Rein  trafen  im  oberen  Rherhayatal 
am  ii.  Juni  den  ersten  Schneefleck  in  2400  m  an.  Thomson2) 
fand  Mitte  Juli  am  Ogdimt  noch  Schneestreifen  und  Massen  von 
Schnee  in  einer  Schlucht  bis  unter  2700  m  herab  und  am 
Likumpt  noch  Anfang  September.  Und  de  Foucauld  sah  den 
Hauptkamm  während  seiner,  von  Juni  1883  bis  Mai  1884  aus- 
gedehnten Reise,  wo  er  ihn  zu  Gesicht  bekam,  in  großer  Aus- 
dehnung mit  Schnee  bedeckt 3).  Er  sowohl,  wie  Thomson,  also 
die  beiden  besten  Kenner  des  Hohen  Atlas,  glauben  das  Vor- 
kommen ewigen  Schnees  annehmen  zu  müssen.  Auch  G.  Rohlfs 
spricht  von  solchem.  De  Segonzac  traf  bei  seiner  Besteigung  des 
Ari  Aiach  am  7.  Juli  1901,  dessen  Höhe  er  zu  4250  m  be- 
stimmte, bei  3000  m  auf  die  ersten  Schneeflecken,  die  sich  an 
schattigen  und  geschützten  Stellen  erhalten  hatten.  Der  Schnee 
hatte  ein  rötliches  Aussehen,  da  er  mit  feinem  Verwitterungsstaub 
bedeckt  war.  Auch  die  übrigen  Gipfel  trugen  Schneerlecken. 
Nach  den  Eindrücken,  welche  ich  empfangen  habe,  und  nach 
diesen  Zeugnissen  scheint  es  mir  keinem  Zweifel  zu  unterliegen, 
daß  im  Süden  und  Südosten  von  Marrakesch  größere  Schnee- 
anhäufungen an  geschützten  Stellen  das  ganze  Jahr  ausdauern. 
Dieser  höchste  Teil  des  Gebirges  ist  auch  der  Wassersammler 
und  Wasserbehälter  für  eine  weite  Umgebung.  Dort  sammeln 
die  Quellflüsse  des  Tensift,  der  Um-er-Rbia,  des  Draa  und  des 
Sus  ihre  Gewässer,  mit  denen  sie  auch  im  Hochsommer  nicht 
versiegend  so  zahlreichen  Oasen  Leben  spenden. 

1)  Mitt.  d.  Ver.  f.  Erdk.     Halle   1879.     S.  27. 

2)  Travels  in  the  Atlas  and  Southern  Marokko.    London  1889.    S.  315. 

3)  Reconnaissance  au  .vlaroc.     Paris   1888.     S.  315. 

23* 


356  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

k)  Die  thermischen  Verhältnisse  des  Innern. 

Über  die  Wärmeverhältnisse  des  innern  Marokko  können 
wir  uns  auch  nur  Vorstellungen  machen,  die  der  Wahrheit  mehr 
oder  weniger  nahe  kommen.  Darüber  kann  kein  Zweifel  sein, 
daß  der  Wärmegang  ein  durchaus  kontinentaler,  der  Gegensatz 
von  Sommer  und  Winter,  von  Tag  und  Nacht  ein  sehr  großer 
ist.  In  bezug  auf  die  thermischen  Verhältnisse  ist  also  das 
Innere  durchaus  und  in  noch  höherem  Maß  als  bezüglich  der 
Niederschläge  verschieden  vom  Küstenland.  Die  Beobachtungen 
im  französischen  Konsulat  in  Marrakesch  lassen  dies  deutlich 
erkennen.     Die  Monatsmittel  der  Temperatur  waren  danach: 

Sept.  Okt.  Nov.  Dez.  Jan.         Febr.  März 

26,9°  C  21,4°  C  14,4°  C  12,3°  C     10,9°  C     12,5°  C  17,9°  C 

Abs.  Max.    39,0  34,2  26,3  23,3  21,8  23,2  32,8 

„      Min.    16,2  11,4  5,5  3,8     —    0,7      —    1,1  5,2 

Wir  sehen  daraus,  daß  die  Wärme  mit  der  Entfernung  vom  Ozean 
im  Sommer  sehr  rasch  steigt,  im  Winter  sinkt,  namentlich  in  der 
Nacht;  denn  am  Tage  herrscht,  trotz  der  Meereshöhe  von  etwas 
unter  500  m,  bei  der  Reinheit  und  Trockenheit  der  Luft  ganz  an- 
genehme Wärme.  Die  Temperaturen  unter  Null,  die  im  Januar  und 
Februar  in  Marrakesch  wohl  jeden  Winter  vorkommen  können, 
sind  doch  immer  nur  Augenblickstemperaturen,  die  dem  vorzüg- 
lichen Gedeihen  der  Apfelsinen,  auch  noch  in  größerer  Meeres- 
höhe als  Marrakesch,  in  Tameslocht  600  m  z.  B. ,  und  dem 
Reifen  der  Datteln  keinen  Eintrag  tun.  Zum  Vergleich  mögen 
auch  die  mittleren  Maxima  und  Minima  der  Beobachtungsmonate 
von  Marrakesch  und  Mogador  (sechsjährig)  nebeneinandergestellt 
werden : 

Mittlere  Max. 
Mittlere  Min. 

Das  absolute  Maximum  vom  September  1896  ist  mit  390  C  natür- 
lich bei  weitem  nicht  die  höchste  hier  vorkommende  Schatten- 
temperatur. Diese  mag  nahe  an  500  C  betragen.  Ich  selbst  las 
schon  am  5.  April  1899  in  Marrakesch  am  Maximum -Thermo- 
meter 350  C  ab,  am   21.  Mai  zwischen  Volubilis  und  Sidi  Käsern 


Sept. 

Okt. 

Nov. 

Dez. 

Jan. 

Febr. 

März 

Marrakesch : 

34,2 

26,6 

18,8 

18,1 

16,0 

17,6 

23,3 

Mogador : 

25,0 

23,5 

22,0 

20,0 

18,0 

20,5 

20,5 

Marrakesch : 

21,6 

16,2 

10,1 

6,6 

5.8 

7,4 

11,8 

Mogador : 

17,5 

15.5 

13,0 

10,0 

9,5 

11,0 

10,5 

Thermische  Verhältnisse  des  inneren  Atlas  Vorlandes. 


357 


in  400  m  Höhe  38,2°  C  und  am  Sonnenthermometer  am  2$.  April 
an  der  Furt  von  Uled  Adat  am  Tasaut  Tahtia  in  712m  Meeres- 
höhe 470  C,  an  der  Furt  von  Ben  Challu  an  der  Um-er-Rbia  in 
349  m  Meereshöhe  am  27.  April  59,3°  C.  Bei  dieser  Temperatur 
war  das  eiserne  Futteral  des  Instruments,  das  während  der  Beob- 
achtung am  Boden  gelegen  hatte,  so  heiß  geworden,  daß  ich  es 
nur  mit  dem  Taschentuch  anfassen  konnte.  Den  fast  angenehm 
kühl  zu  nennenden  Sommern  unmittelbar  an  der  Küste  stehen 
also  sehr  heiße  Sommer  im  Innern  gegenüber. 

In  Ergänzung  der  Beobachtungen  von  Marrakesch  möchte 
ich  anführen,  daß  meine  eigenen,  die  Zeit  vom  5. —  21.  April 
umfassenden  Beobachtungen  dort,  weil  mir  kein  anderer  Ort  als 
die  bedeckte  Galerie  meines  Hauses  mitten  in  der  Stadt  zur 
Verfügung  stand,  namentlich  bezüglich  der  täglichen  Minima  nur 
beschränkten  Wert  haben.  Die  niedrigste  Temperatur  dieser 
Periode  war  am  2  1 .  April  -f-  11,5°  C,  während  sonst  das  Minimum- 
Thermometer  meist  13 — 150  C  zeigte.  Dagegen  hatte  ich  draußen 
in  der  freien  Steppe  auf  dem  Weg  vom  unteren  Tensift  gegen 
Marrakesch  am  31.  März  in  Sidi  A'issa  Bu  Chabia  -j-  6°  C,  am 
1.  April  in  Sidi  El  Arosi  -f-  6,5°  C,  am  2.  in  Mehdi  1 1°  C,  am 
3.  in  Dachr  Kaid  El  Amri  8,3°  C  abgelesen.  Und  ähnlich  auf 
dem  Weg  von  Marrakesch  nach  Demnät  in  La  Hamria  604  m 
am  22.  April  wiederum  nur  8,o°  C,  in  El  Fekarin  680  m  am 
2^.  April  7,8°  C,  in  Demnät  selbst  951  m  am  25.  April  ii,o°C. 
Also  durchaus  niedrigere  Werte  als  in  Marrakesch.  Auf  dem 
Weg  von  Demnät  nach  Casablanca  vom  25.  April  bis  3.  Mai 
lagen  die  Minima  entsprechend  der  vorgeschrittenen  Jahreszeit 
zwischen  10, 8°  C  in  Uled  Terraf  371  m  nahe  der  Mündung  des 
Tasaut  am  27.  April  und  19,5°  C  in  Schescha  310  m  am  1.  Mai. 
Solange  ich  mich  dann  im  Küstengürtel  aufhielt,  lagen  die 
Minima  wiederum  um  mehrere  Grad  tiefer;  ja  am  12.  Mai  im 
Lager  bei  El  Kantara  am  unteren  Sebu  in  nur  39  m  Meereshöhe 
las  ich  nur  8°  C  ab.  Während  der  Zeit,  wo  ich  mich  auf  dem 
Hochland  in  der  Umgebung  des  Dj.  Zerhun  aufhielt,  waren  im 
allgemeinen  die  Nächte  nach  heißen  Tagen  kühl,  ja  in  Djedida 
las  ich  am  16.  Mai  in  529  m  Meereshöhe  noch  einmal  6°  C  ab. 
Recht  bezeichnend  war  aber  die  niedrigste  Temperatur  an  dem 
Regentage  an  der  Westseite  des  Dj.  Zerhun  +  160  C.  Das 
Maximum-Thermometer  abzulesen  war  nur  ausnahmsweise  Gelegen- 


358  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

heit,  da  ich  zur  Zeit  der  höchsten  Tageswärme  fast  stets  unter- 
wegs war.  Dagegen  habe  ich  sehr  regelmäßig  um  2  Uhr  das 
Aspirations-Psychrometer  abgelesen.  Daraus  ergab  sich  auf  dem 
Weg  von  der  Küste  nach  Marrakesch  alle  24  Stunden,  also  mit 
im  Mittel  um  38  km  gewachsener  Entfernung  vom  Ozean,  trotz 
wachsender  Meereshöhe  bei  gleichem  Witterungscharakter  ein  sehr 
regelmäßiges  Steigen  der  Temperatur  um  2°  C.  Die  gleiche  Er- 
scheinung, nur  gemäßigt,  nämlich  eine  regelmäßige  Zunahme  von 
i°  C  mit  um  42  km  im  Durchschnitt  wachsender  Meeresferne, 
ergab  sich  aus  der  2  Uhr-Beobachtung  auf  dem  Weg  von  Rabat 
nach  Meknäs,  also  in  einem  mehr  als  zwei  Breitengrade  weiter 
nordwärts  gelegenen  Profile.  Auch  während  des  siebentägigen 
Marsches  von  Fäs  nach  Tanger  (20. — 26.  Mai)  war  die  2  Uhr- 
Beobachtung  sehr  lehrreich.  An  den  ersten  drei  Tagen  ergab 
sich  34,5,  38,2,  34,4°  C,  an  den  letzten  drei  Tagen  (den  7.  war 
ich  um  2  Uhr  schon  in  Tanger),  wo  ich  mich  in  einer  Meeres- 
ferne, die  sich  von  anfangs  30  km  bis  auf  10  km  verminderte, 
ziemlich  genau  von  Süden  nach  Norden  bewegte,  30,4,  24,6, 
2i,8°  C.  Die  tägliche  Temperaturschwankung  wuchs,  sobald  ich 
auf  dem  Weg  von  Mogador  nach  Marrakesch  das  Küstengebiet 
hinter  mir  hatte.  Sie  betrug  mit  der  Entfernung  von  der  Küste 
wachsend,  am  31.  März  18,2°  C,  am  1.  April  19,9°  C,  am  3.  April 
20,9°  C.  Wenn  sie  in  Marrakesch  im  allgemeinen  nur  15  bis 
160  C  betrug,  so  lag  das  an  der  schlechten  Aufstellung  der 
Instrumente.  Wir  sehen  somit,  daß  auch  die  tägliche  Temperatur- 
schwankung im  Innern  sehr  groß  ist. 

Von  Fritsch  x)  beobachtete  in  Marrakesch  anfangs  Juni  gegen 
Sonnenaufgang  17 — 190  C,  schon  um  9  Uhr  26 — 270  C,  gegen 
3  Uhr  am  3.  und  4.  Juni  320  C,  sonst  gewöhnlich  30,5 — 31,5°  C. 

Es  dürfte  sich  Mogador  und  Marrakesch,  aber  überhaupt 
die  Küste  und  das  Innere  ungefähr  verhalten  wie  die  schon 
länger  bekannten  Stationen  der  französischen  Senegal-Kolonie  an 
der  Küste  und  im  Innern,  etwa  St.  Louis  und  Bakel.  Während 
der  Januar  an  der  Küste  eine  Temperatur  von  etwa  160  C,  der 
Juli  oder  August  von  etwa  2 2°  C  hat,  mögen  dieselben  Monate 
auf  der  subatlantischen  Hochebene  etwa  ii°  C  und  340  C  haben. 
Die  Bauart  der  Häuser,  die  überdachten  Straßen  zu  Marrakesch 
deuten  schon  auf  große  Sommerhitze  hin. 

I)  Mitt.  d.  Ver.  f.  Erdk.     Halle   1878,  S.  62. 


Staubstiirme  im  Innern. 


1)    Staubwinde. 


359 


Eine  Folgeerscheinung  der  großen  sommerlichen  Erhitzung 
des  inneren  Atlasvorlandes  sind  sich  örtlich  entwickelnde  Staub- 
tromben,  eine  Erscheinung,  auf  die  ich  ganz  besonders  die  Auf- 
merksamkeit künftiger  Forscher  lenken  möchte.  Ich  selbst  habe 
solche  Staubtromben  schon  im  April  in  der  Umgebung  von  Marra- 
kesch  über  die  Steppe  dahin  wirbeln  sehen;  im  Mai  beobachtete 
ich  eine  solche  noch  im  Norden  auf  der  Hochebene  nördlich 
vom  Djebel  Zerhun.  Sie  sind  im  Land  selbst  so  bekannt,  daß 
mein  Dolmetscher  mit  Rücksicht  darauf  auf  besonders  sorgfältige 
Herrichtung  und  Verankerung  meiner  Zelte  drang.  Ähnlich  wie 
ich,  beobachtete  der  englische  Reisende  W.  B.  Harris1)  Mitte 
April  1888  nordwestlich  von  Marrakesch  bei  großer  Hitze  zahl- 
reiche Staubtromben,  die  den  Staub  der  Steppe  säulenförmig 
aufhoben  und  über  die  Ebene  trugen.  Eine  derselben  riß  das 
Zelt  von  den  Pflöcken.  Namentlich  in  Tedla,  das  ich  das 
marokkanische  Ferghana  nennen  möchte,  bilden  sich  im  Sommer 
sehr  häufig  nachmittags  Wirbelwinde,  welche  Zelte  aufheben  und 
ungeheure  Staubmassen  davonführen.  Sie  endigen  oft  mit  Regen 
und  Hagel.  Badia  *)  erwähnt  Verdunklung  der  Luft  durch  Staub 
in  Marrakesch  im  Juli.  Hooker3)  sah  im  Mai  mächtige  Staub- 
hosen, zuweilen  drei  zu  gleicher  Zeit,  über  die  Hochebene  von 
Marrakesch  dahineilen.  Zuweilen  dürfte  es  sich  um  Samumstürme 
handeln.  So  schildert  Badia  einen  solchen,  den  er  in  Marra- 
kesch am  31.  Juli  1804  beobachtete  und  der  den  ganzen  Tag 
andauerte.  Bei  heftigem  Südostwind  verdunkelte  sich  die  Luft, 
der  Horizont  war  wie  in  Flammen,  die  Sonne  schien  matt  und 
glich  einer  Scheibe  weißen  Papiers,  die  Hitze  war  erstickend, 
das  Thermometer  stieg  auf  450  C.  Den  folgenden  Tag  minderten 
sich  diese  Erscheinungen,  zwei  Tage  später  trat  aber  wieder  ein 
heftiger  Sturm  mit  Gewitter  und  Regen  auf,  eine  in  dieser  Jahres- 
zeit sehr  seltene  Erscheinung.  Man  wird  an  Schilderungen  des 
Einsetzens  der  Regenzeit  in  den  Tropen  erinnert.  Ähnlich  er- 
wähnt   J.  Thomson 4) ,    der    kein    sehr    aufmerksamer    Beobachter 


S.  2i 


1)  The  Land  of  an  afrikan  Sultan.     London   1889,  S.  182. 

2)  Ali  Bey  el  Abbasi,  Voyages  en  Afrique  et  en  Asie.    Paris    18 14,  I, 
8. 

3)  A.  a.  O.,  S.  122.  4)  Travels,  S.  315. 


^60  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

war,  in  Marrakesch  am  28.  Juli  1888  einen  wie  aus  einem 
glühenden  Ofen  wehenden  Südwind,  bei  welchem  feiner  Staub 
die  Luft  verdunkelte.  Und  nochmals  am  5.  und  am  6.  August, 
wo  ein  heißer  Südwest  unter  Donner  und  Blitz  erstickende  Staub- 
wolken dahertrug.  Am  5.  August  stieg  das  Thermometer  auf 
37,8°  C,  am  6.,  nachdem  es  morgens  auf  29,4°  C  gefallen  war, 
sogar  auf  44,4°  C.  Selbst  in  den  sorgsam  geschützten  inneren 
Räumen  sank  es  nicht  unter  35,6°  C.  Auch  in  den  folgenden 
Tagen  machten  heiße  Südwestwinde  es  noch  wiederholt  auf 
3  8°  C  und  mehr  steigen.  Um  einen  echten  Föhn,  nicht  um 
einen  Wüstenwind,  wie  Thomson  meinte  x),  handelte  es  sich  aber 
in  einem  der  Atlastäler  bei  Demnät  in  der  Nacht  vom  4.  zum 
5.  Juni  1888.  Ein  heißer,  trockener  Wind  stürzte  sich  mit  un- 
widerstehlicher Gewalt  von  den  schneebedeckten  Bergen  herab. 
Er  hielt  den  ganzen  Tag  an  und  versetzte  den  Reisenden  in 
einen  fieberhaften  Zustand.  Jackson  2),  der  lange  Zeit  in  Marokko 
lebte,  bezeichnet  namentlich  den  September  als  den  Monat,  in 
welchem  heiße  Winde  am  häufigsten  auftreten. 

Diese  Winde  sind  es,  welche  im  inneren  Atlasvorland  überall 
da,  wo  nicht  Berieselung  oder  vorübergehend  die  Winterregen 
sie  festhalten,  die  feinen  Verwitterungsstoffe  davonführen  und 
bald  steinige  Hammaden,  bald  reingefegte  Felsflächen  schaffen. 
Sie  spielen  so,  wie  ich  an  anderer  Stelle  gezeigt  habe,  im  Steppen- 
gürtel eine  hervorragende  Rolle  als  Bildner  der  Erdoberfläche. 
Die  dauernde  Ablagerung  dieser  so  davongeführten  Massen  findet 
vorzugsweise  im  Küstengebiet  statt,  wo  dieselben  von  dem  durch 
ergiebigere  Winterregen  und  Tau  durchfeuchteten  und  mit  Vege- 
tation bedeckten  Boden  festgehalten  werden  und  namentlich  zur 
Bildung  des  Tirsbodens  beitragen. 

Heiße  Winde  kennzeichnen  somit  das  innere  Atlasvorland 
ganz  besonders. 

m)  Quellen-  und  Brunnentemperaturen. 

Anhangsweise  mögen  hier  auch  die  Ergebnisse  meiner 
Messungen  der  Temperatur  von  Quellen  und  Brunnen  folgen. 
Die    Gelegenheit   solche   vorzunehmen   bot   sich    selten,    da   eben 


1)  Ebenda,  S.  191. 

2)  An  account  of  the  Empire  of  Marocco.     London   1809,  S.  17. 


Malaria.    Gesundheitszustand. 


36l 


Quellen  nicht  zahlreich  sind  und  Brunnen  zu  messen  bei  der 
beschränkten  Zeit  nur  an  den  Rastorten  möglich  war.  Ich  füge 
auch  hier  den  Abstand  vom  Meer  in  Luftlinie  bei. 


Quellen -Temperaturen, 
„^"rwt        Meereshöhe  Meeresferne    M  *  Temperatur  Bemerkungen 


bzw.  Ort 

A'in  el  Hadjar 

Hauptquelle 


108  m 


8  km      27.  HL  99      21,7°  C 


Nebenquelle       ca.  130  „ 
Tmasin 
Ben 
Schakschak 


401   „ 
10  „ 


9 
100 


o,5 


27.  in.  99    20,7°  „ 
29.  rv.  99    2i,5°  „ 

7.  V.    99         20,0°   „ 


Mitteltemperatur 
des  25  km  ent- 
fernten Mogador 
i9>3°  c 


Name 

bzw.  Ort 

Schescha 

in  Uled  Bu  Ziri 

Kasbat-es- 
SkiuinSchauia 


Brunnen-Temperaturen. 

Ta£  der 
Meereshöhe         Tiefe         Meeresferne     ,,  s 

Messung 


310  m 
304  „ 


10,75  m 
9 


90  km 
40     „ 


30.  IV.  99 
2.  V.  99 


Temperatur 
21,2°  C 
18,0°  „ 


n)   Malaria. 

Einen  großen  Vorzug  besitzt  Marokko  neben  Spanien  allein 
unter  allen  Mittelmeerländern,  die  fast  völlige  Freiheit  von  Malaria. 
Während  die  übrigen  Atlasländer  furchtbar  unter  Malaria  leiden 
und  die  europäische  Besiedelung  von  Algerien,  wie  bekannt,  da- 
durch außerordentlich  erschwert  worden  ist,  sind  nur  wenige 
Punkte  in  Marokko,  soweit  unsere  Kenntnis  heute  reicht,  von 
Malaria  heimgesucht.  Es  sind  das  besonders  El  Ksar  el  Kebir 
und  Larasch,  die  unter  der  Versumpfung  des  unteren  Lukkos- 
tales leiden,  und  Rabat,  welchem  das  breite,  von  versumpftem 
Schwemmland  gefüllte  Tal  des  Bu  Regreg  gefährlich  ist,  das  die 
Flut  nicht  völlig  überspült.  Auch  Saffi,  dessen  Luft  der  Passat 
des  Bergschutzes  wegen  nicht  reinigen  kann,  gilt  im  Sommer  als 
ungesund.  Ich  habe  weder  in  Marrakesch,  noch  in  Fäs,  obwohl 
beide  Städte  von  Berieselungswasser  umgeben  und  unsäglich 
schmutzig  sind,  über  Malaria  klagen  hören. 

Man  wird  das  Klima  von  Marokko,  da  die  häufigen  Augen- 
leiden der  Eingeborenen  doch  wesentlich  von  diesen  selbst  ver- 
schuldet sind,  als  ein  gesundes,  eine  gesunde,  kräftige  Bevölke- 
rung   hervorzubringen    geeignetes    zu    bezeichnen    haben.     In  der 


?  6 2  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

Tat  muß  man  auch  die  Bevölkerung  von  Marokko,  vielleicht  ab- 
gesehen von  einem  Bruchteil  der  Bevölkerung  der  großen  Städte, 
als  eine  gesunde  und  kräftige  Rasse  ansehen.  Zum  Teil  beruht 
das  allerdings  auch  mit  darauf,  daß  nur  kräftige  Individuen  auf- 
kommen. Man  wird  kaum  irgendwo,  außer  etwa  unter  den 
Osmanli,  beispielsweise  ein  besseres  Soldatenmaterial  finden  als 
hier.  Nur  im  marokkanischen  Heer  darf  man  es  nicht  suchen. 
Was  meine  Leute  zu  leisten  vermochten,  war  erstaunlich.  Wenn 
sie  bei  glühendem  Sonnenbrande  mit  kahl  rasiertem  Kopf  und 
ohne  Kopfbedeckung  40 — 50  km  marschiert  waren,  merkte  man 
ihnen  keine  Ermüdung  an.  Ich  selbst  kann  nur  eine  außer- 
ordentliche wohltätige  Wirkung  des  Klimas  von  Marokko  an  mir 
feststellen.  Ich  bin,  allerdings  bei  großer  Vorsicht,  namentlich 
beim  Genuß  des  vielfach  sehr  schlechten  Brunnen-  und  Fluß- 
wassers, auch  nicht  eine  Stunde  krank  gewesen  und  entwickelte 
eine  körperliche  und  geistige  Leistungsfähigkeit,  die  mich  selbst 
in  Staunen  versetzt  hat.  Allerdings  hatte  ich  13  Jahre  früher 
dieselbe  Beobachtung  in  dem  ähnlichen  Klima  von  Süd-Tunesien 
machen  können. 

Wir  kommen  also  zu  dem  Ergebnis,  daß  Marokko  nicht  nur 
im  Küstengebiet  als  ganz  hervorragend  klimatisch  begünstigt  er- 
scheint, sondern  auch  im  Innern  teils  durch  die  Niederschläge, 
teils  durch  die  vom  Schnee  des  Atlas  gespeisten  Flüsse  hin- 
reichende Wasservorräte  besitzt,  um  großen  Flächen  bei  der 
herrschenden  Wärme  durch  künstliche  Berieselung  eine  Fülle  der 
mannigfaltigsten  Erzeugnisse  abzugewinnen.  Und  selbst  die  Steppe 
vermag  noch  ungeheure  Herden  zu  nähren.  Ich  muß  mich  da- 
her dem  Urteil,  welches  der  englische  Botaniker  J.  Hooker  schon 
1871  fällte,  man  könne  sich  über  die  Hilfsquellen  von  Marokko 
kaum  eine  zu  große  Vorstellung  machen,  nur  durchaus  an- 
schließen. 

o)    Tanger  und  Mogador  als  klimatische  Kurorte. 

Tanger  und  Mogador  sind  schon  seit  längerer  Zeit  vielfach, 
auch  von  ärztlicher  Seite,  als  klimatische  Kurorte,  namentlich  für 
Lungenleidende  empfohlen  worden  und  werden  in  der  Tat  auch 
als  solche  schon  benutzt.  Da  sich  meine  Beobachtungen  auch 
in  dieser  Richtung:  erstreckt  haben   und  ich  nicht  nur  fast  samt- 


Tanger  als  klimatischer  Kurort. 


363 


liehe  klimatische  Kurorte  der  Mittelmeerl ander  mehr  oder  weniger 
genau  kenne,  sondern  auch  selbst  Erfahrungen  in  ihrer  Benutzung 
gesammelt  habe,  so  möchte  ich  einige  darauf  bezügliche  Be- 
merkungen über  beide  Orte  noch  anführen. 

Daß  das  Klima  von  Tanger  ein  sehr  gesundes,  abgesehen 
etwa  von  rheumatischen  Leiden,  kräftiges  und  kräftigendes  ist, 
unterliegt  keinem  Zweifel.  In  der  größeren  Hälfte  des  Jahres, 
im  Sommer,  muß  es  mit  seiner  beständig,  wenn  auch  dann  nicht 
übermäßig  stark  bewegten  staubarmen  Luft,  seinem  mäßigen 
Feuchtigkeitsgehalt  unter  Ausschluß  von  Regen  und  nur  io°/0 
trüber  Tage,  bei  der  angenehmen  Temperatur  von  230  C  (Mittel- 
temperatur des  Sommers)  und  der  Seltenheit  großer  Hitze  — 
absolutes  Maximum  am  Kap  Spartel  im  Laufe  von  sechs  Jahren 
39,1°  C  —  sogar  ein  außerordentlich  angenehmes  sein.  Ganz 
besonders  angenehm  wird  das  empfinden,  wer  dann  von  dem 
heißen  Gibraltar  oder  Malaga  herüberkommt.  Dazu  kommt  der 
schöne  Badestrand  an  der  Bucht  östlich  von  der  Stadt,  die  an- 
ziehende Landschaft,  die  Welt  des  Islam  und  mit  ihr  der  Orient 
im  fernen  Westen,  im  Angesicht  von  Europa,  die  bedeutungsvolle 
Lage  an  der  größten  Welthandelsstraße  der  Welt!  Dies  macht 
begreiflich,  daß  schon  jetzt  der  Zuzug  im  Sommer  von  Spanien 
her,  aber  auch  aus  der  englischen  Welt  über  Gibraltar  ein  be- 
deutender ist,  zumal  auch  der  Prozentsatz  der  dauernd  in  Tanger 
niedergelassenen  Spanier  ein  sehr  hoher  ist.  Gehören  diese  auch 
fast  durchaus  den  niederen  und  niedrigsten  Schichten  an,  so 
bilden  doch  die  hier  wohnenden  Gesandtschaften  der  meisten 
Staaten  Europas  den  Kern  einer  sonstigen  recht  ansehnlichen 
europäischen  Kolonie,  und  manche  von  ihnen,  wie  die  englische, 
französische,  deutsche  die  Kristallisationspunkte  für  andere  nationale 
Elemente.  So  sind  bereits  außerhalb  der  Mauern  der  doch  noch 
immer,  trotz  mancher  Durchbrechungen,  wesentlich  orientalisch- 
mohammedanischen Charakter  tragenden  Stadt  um  die  Hochfläche 
des  Marschan  gegen  Westen  zahlreiche  europäische  Villen  ent- 
standen und  noch  weiter  nach  Westen  entwickelt  sich  auf  dem 
Ostende  des  Djebel  - —  daher  diese  Villensiedelung  gewöhnlich 
Monte  genannt  wird  — ,  der  kleinen  Bergscholle,  auf  deren  West- 
ende der  Leuchtturm  des  Kap  Spartel  steht,  eine  ganze  Ortschaft 
von  parkumgebenen  Villen,  die  alle  inmitten  einer  reichen  Pflanzen- 
welt unablässig  vom  kühlen  Anhauch  des  Ozeans  gefächelt  werden 


•3  6a  V,  2-    Das  Klima  von  Marokko. 

und  über  Ausblicke  verfügen,  die  zu  dem  Schönsten  gehören, 
was  die  Welt  in  dieser  Hinsicht  zu  bieten  vermag. 

Als  Seebad  und  Sommerfrische  besitzt  Tanger  somit  hervor- 
ragende Eigenschaften,  und  man  darf  ihm  eine  große  Zukunft 
voraussagen,  abgesehen  von  seiner  Eigenschaft  als  Haupttor  von 
Marokko  und  Emporium  der  Meerenge.  Zu  einem  winterlichen 
Kurorte  für  Lungenleidende,  wenigstens  für  solche,  deren  Leiden 
schon  ernste  Formen  angenommen  hat,  eignet  es  sich  aber  durch- 
aus nicht.  Die  gleichmäßige  Wärme,  130  C  Mitteltemperatur  des 
Winters,  8°  C  Mittel  der  Minima,  der  Mangel  oder  die  Selten- 
heit jäher  Temperaturwechsel,  die  an  Salzteilen  reiche,  ziemlich 
feuchte  Luft  mögen  ja  günstige  Faktoren  sein.  Aber  dieselben 
werden  aufgehoben  durch  die  im  Winter,  wie  wir  gesehen  haben, 
mit  seltenen  und  immer  nur  kurzen  Unterbrechungen  oft  sturm- 
artig wehenden  Winde,  gegen  die  es  keinen  Schutz  gibt  und 
welche  den  Regen  —  im  März  ist  jeder  zweite  Tag  ein  Regen- 
tag —  ins  Gesicht  peitschen.  Auch  an  lästigem  Staub  fehlt  es 
gelegentlich  nicht,  während  man  für  gewöhnlich  in  stinkendem 
Schmutz  watet  und  die  große  Feuchtigkeit  unangenehm  empfindet. 
Es  gibt  bis  heute  wenigstens  keine  Möglichkeit,  sich  in  leicht 
zugänglichen,  windgeschützten  Gärten  den  Tag  über  im  Freien 
aufzuhalten.  Alle  Spaziergänge  sind  durch  Schmutz  und  Mangel 
an  Wegen  erschwert,  man  muß  fast  immer  reiten.  Und  selbst 
das  ist  in  dem  tiefgründigen  Boden  der  Umgebung  vielfach  nicht 
möglich.  Denn  gebahnte  Wege  gibt  es  in  ganz  Marokko  nicht, 
nur  Naturpfade.  Selbst  der  einzige  von  dem  internationalen  Aus- 
schuß zur  Unterhaltung  des  Leuchtturms  auf  Kap  Spartel  dorthin 
gebaute  Reitweg  ist  in  kläglicher  Verfassung.  Freilich  ein  Fort- 
schritt ist  1899  gemacht:  die  Europäer  haben  vom  Stadttor  bis 
zur  Villenkolonie  auf  dem  Marschan  fast  1  km  weit  eine  ge- 
pflasterte Straße  angelegt,  die  einzige  und  erste,  die  seit  den 
Römern  in  diesem  Lande  gebaut  worden  ist,  auf  der  sogar  eine 
Droschke  verkehrt! 

Wesentlich  anders  liegen  die  Verhältnisse  in  Mogador.  Bei 
diesem  kann  es  sich  nur  um  eine  Winterstation  für  Lungenkranke 
handeln.  Als  solche  besitzt  es  in  der  Tat  große  Vorzüge.  Die 
Milde  und  Gleichmäßigkeit  der  Temperatur  ist  außerordentlich 
groß,  so  daß  es  in  dieser  Hinsicht  kaum  von  einem  Ort  außer- 
halb   des    Äquatorialklimas    übertroffen    werden    kann.     Die   Luft 


Mogador  als  Winterstation.  3Ö5 

ist  zwar  ziemlich  feucht,  aber  sehr  salzreich  und  staubarm,  im 
Winter,  wo  windstille  Tage  gar  nicht  selten  sind,  nicht  allzu 
bewegt  und  sonnig.  Regen  sind  nicht  häufig  und  nicht  von 
langer  Dauer.  Es  ist  hier  die  Möglichkeit  geboten,  sich  den 
ganzen  Tag  im  Freien  aufzuhalten.  Es  wird  behauptet,  daß 
Lungenleiden  dort  sehr  selten  seien.  Die  Eingeborenen  schreiben 
auch  ihrerseits  dem  NO   den  guten  Gesundheitszustand  zu. 

Namentlich  französische  Ärzte  sind  wiederholt  für  Mogador 
als  Gesundheitsstation  eingetreten.  Auch  ich  möchte  nach  den 
empfangenen  Eindrücken  Mogador  als  Winterstation  für  Lungen- 
kranke in  klimatischer  Hinsicht  eine  ganz  hervorragende  Stellung 
einräumen.  Es  ist  in  dieser  Hinsicht  der  günstigste  Ort,  den  ich 
überhaupt  kennen  gelernt  habe. 

Leider  stehen  dem  große  Schattenseiten  gegenüber.  Die 
Stadt  ist  eine  Anhäufung  weiß  getünchter  Pisebauten,  von  hohen 
Mauern  umschlossen,  mit  Gassen,  die  man,  marokkanischen  Ver- 
hältnissen Rechnung  tragend,  gerade  und  breit  nennen  kann,  ja 
mit  Plätzen,  die  auch  in  Europa  groß  und  luftig  genannt  würden. 
Aber  dieser  weiße  Stein-  bzw.  Lehmhaufen  liegt  auf  einer  flachen, 
felsigen  Insel  zwischen  dem  blauen  Meer  auf  der  einen,  einem 
breiten  Gürtel  hoher,  gelber  Dünen  auf  der  anderen  Seite.  Keine 
Baumpflanzung,  kein  Grün  irgendwelcher  Art  verschönt  den  Stein- 
haufen, selbst  eine  vereinzelte  Dattelpalme,  die  sonst  überall  über 
die  Mauern  der  marokkanischen  Küstenstädte  emporragt  und 
einen  wohltuenden  Anblick  für  das  Auge  bildet,  sucht  man  hier 
vergebens.  Einige  kleine,  armselige  Gemüsegärten,  die  man  an 
der  Nordseite  der  Stadt  angelegt  hat,  sieht  man  hinter  den  hohen 
Umzäunungen  nicht.  Noch  heute  gibt  es  kein  europäisches  Gast- 
haus *).  Schatten  bieten  nur  weiße  Mauern.  Auch  die  heftigen 
Winde  sind  keineswegs  angenehm.  Man  wird  also  Bedenken 
tragen,  heute  einen  Lungenkranken  nach  Mogador  zu  schicken. 
Die  Stadt  selbst  wird  sich  auch  in  absehbarer  Zeit  nicht  soweit 
verändern,  um  wirklich  als  Winterstation  empfohlen  zu  werden. 
Ein  unternehmender  Engländer,  der  ein  kleines  Landhaus  etwa 
10  km  nach  Südosten  auf  der  Höhe  landeinwärts  besaß,  hat  das- 
selbe zu  einer  Krankenstation,  Palmenhaus  genannt,  eingerichtet, 
die  aber  keinen  rechten  Aufschwung  nehmen  will.     Dagegen  liegt 

i)  Gilt  nicht  mehr  für   1907. 


2 66  V,  2.    Das  Klima  von  Marokko. 

25  km  nach  Nordosten  von  Mogador,  8  km  vom  Meer,  eine  Ört- 
lichkeit, die  alle  Bedingungen  zu  einer  ausgezeichneten  Winter- 
station in  sich  vereinigt:  A'in  el  Hadjar.  In  lieblicher,  waldreicher 
Umgebung,  in  einer  an  Palmen  und  Fruchthainen  reichen  Land- 
schaft, welche  zahlreiche  kleine  Berberndörfer  beleben,  entspringt 
dort  unter  einer  Felswand  die  danach  ,, Steinquelle"  genannte 
starke  Quelle.  Ihr  Wasser  könnte  das  ganze  Tal  in  ein  Paradies 
verwandeln  und,  da  sie  eine  Temperatur  von  21,7°  C  hat,  ein 
auch  im  Winter  zu  benutzendes  Badebecken  speisen.  Eine  male- 
risch von  hohen  Dattelpalmen  beschattete  Kubba  auf  einem 
Felsen  am  Talrande  ist  heute  das  einzige  Bauwerk  im  Tal,  aber 
Trümmer  und  verkommene  Gärten  zeugen  von  vergangenen 
besseren  Tagen.  Schlackenhalden  weisen  auf  uralten  Eisenberg- 
bau hin,  den  hier  wohl  die  Phönizier  betrieben  haben,  ein  eigen- 
artiges schmales  Gebirge,  das  im  Nordwesten  aufsteigt,  heißt 
geradezu  das  Eisengebirge,  Djebel  Hadid.  Die  Örtlichkeit  ist 
so  neben  den  klimatischen  Vorzügen,  die  etwas  abgestumpft  die 
gleichen  wie  in  Mogador  sind,  vielseitig  anziehend.  Ich  habe 
mich  dort  in  der  Gesellschaft  unsers  liebenswürdigen  Konsuls 
von  Maur,  der  dort  mit  seiner  Familie  Frühlingsaufenthalt  zu 
nehmen  pflegt,  im  Zeltlager  selbstverständlich,  vier  Tage  auf- 
gehalten und  hoffe  in  kurzem  wieder  dort  zu  weiteren  Forschungen 
mein  Zelt  aufzuschlagen.  Möge  es  deutschem  Unternehmungs- 
geist beschieden  sein,  an  dieser  Stätte  einer  uralten  Kultur  eine 
Heilstätte  für  die  leidende  Menschheit  ins  Leben  zu  rufen! 


VI.   Anthropogeographische  Studien. 


i.   Marokko  als  Kriegsschauplatz.1) 

Oskar  Peschel  hat  einmal  geäußert,  daß  es  sein  Wunsch  sei, 
durch  seine  Vorlesungen  auch  zum  Verständnis  der  Zeitgeschichte 
beizutragen,  indem  er  betonte,  daß  eine  gute  geographische  Vor- 
bildung vor  allem  auch  dem  Staatsmann,  dem  Volksvertreter  und 
dem  Journalisten  vonnöten  sei.  Derartige  Vorstellungen  waren  es 
wohl,  welche  den  Herausgeber  der  Geographischen  Zeitschrift  ver- 
anlaßten,  mich  zu  ersuchen,  mich  über  obige  Frage  zu  äußern. 
Indem  ich  das  tue,  muß  ich  allerdings  vorausschicken,  daß  nach 
der  augenblicklichen  Lage  (14.  September  1907)  es  sehr  unwahr- 
scheinlich ist,  daß  die  Franzosen  den  tatsächlichen  Kriegszustand, 
in  welchem  sie  sich  zu  ganz  Marokko  befinden,  sich  in  einen  er- 
klärten werden  weiterentwickeln  lassen.  Sie  werden,  wenn  es 
irgend  geht,  ihre  Truppen  ganz  aus  Casablanca  zurückziehen 
oder  wenigstens  keinen  Vorstoß  ins  Innere  vornehmen.  Freilich 
ist  dann  nicht  zu  verstehen,  warum  man  ohne  Not  die  Einge- 
borenen zu  dem  Aufstande  in  Casablanca  herausgefordert,  warum 
man  ohne  Not  zu  der  Besetzung  und  Sühneforderung,  die  ohne 
Blutvergießen  hätten  erfolgen  können,  die  Beschießung  mit  allen 
sich  daran  anschließenden  Greueln  hinzugefügt  hat. 

Obwohl  Marokko  doch  immer  erst,  trotz  der  bewunderns- 
werten Forscherleistungen  der  Franzosen,  in  den  großen  Zügen 
bekannt  und  namentlich  die  Aufnahmen  französischer  Offiziere, 
allen  voran  des  Kapitän  Larras,  und  die  Ergebnisse  der  Küsten- 
aufnahme noch  unzugänglich  sind,  so  kann  man  doch  sagen,   daß 


I)  Erschienen  in  der  Geograph.  Zeitschrift,  Oktober  1907.  —  Bis 
25.  Januar  1908  haben  die  Franzosen  den  tatsächlichen  Kriegszustand  nicht 
in  den  erklärten  übergehen  lassen  und  keine  nennenswerten  Vorstöße  ins 
Innere  vorgenommen. 


^68  VI,   i.    Marokko  als  Kriegsschauplatz. 

es  für  ein  europäisches  Heer  einen  der  schwierigsten  Kriegs- 
schauplätze bildet,  die  man  sich  denken  kann.  Ich  selbst  habe 
auf  meinen  Reisen  dieser  Frage  stets  besondere  Aufmerksamkeit 
geschenkt,  da  ich  die  Erforschung  der  Landesnatur  auch  von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  als  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  des 
wissenschaftlichen  Geographen  ansehe.  Und  von  Marokko  kann 
man  ja  geradezu  sagen,  daß  dies  Land  in  erster  Linie  seine  nie 
verlorene  Unabhängigkeit  dem  Umstände  verdankt,  daß  es  für 
einen  fremden  Eroberer  ein  außerordentlich  schwieriger  Kriegs- 
schauplatz ist.  Seine  ganze  politische  Geographie  wird,  wenn  ich 
mich  so  ausdrücken  darf,  von  seiner  physischen  beherrscht.  Es 
soll  sich  hier  natürlich  nur  um  eine  kurze,  die  wichtigsten  Seiten 
der  Frage  andeutende  Skizze  handeln. 

Zunächst  ist  auf  die  Abgelegenheit  des  Landes  hinzuweisen, 
die  ihm  in  der  Welt  des  Islam  den  Namen  des  äußersten  Westens 
und  auch  in  religiösen  Dingen  große  Selbständigkeit  verschafft 
hat.  Doch  hat  sich  dieser  Zug  seiner  Lage  und  Weltstellung  in 
der  Neuzeit  wesentlich  anders  gestaltet,  ja  er  ist  in  das  Gegen- 
teil verwandelt,  denn  heute  liegt  Marokko  an  der  wichtigsten 
Straße  des  Welthandels,  es  nimmt  an  der  Beherrschung  derselben 
teil,  und  seine  Küstenplätze  am  Ozean  können  wichtige  Stütz- 
punkte für  friedliche  und  kriegerische  Unternehmungen  an  der 
Westküste  Afrikas  wie  nach  Mittel-  und  Südamerika  werden. 
Das  hat  also  die  Bedeutung  des  Landes  gegenüber  dem  Mittel- 
alter und  Altertum  außerordentlich  erhöht. 

Voll  aufrecht  erhalten,  ja  noch  vergrößert  hat  sich  aber  der 
zweite  Charakterzug,  seine  Abgeschlossenheit  und  Unzugänglichkeit. 
Diese  gilt  vor  allem  von  der  Küste.  Diese  erscheint  gegenüber 
den  Anforderungen  der  Schiffahrt  der  Neuzeit  als  wesentlich  un- 
günstiger als  früher.  So  buchtenreich  dieselbe  am  Mittelmeere 
auch  ist,  ein  so  nahes  Gegengestade  sie  hat,  so  nahe  sie  der  Pforte 
ins  Mittelmeer  liegt,  so  entbehrt  sie  doch  der  natürlichen  Häfen 
in  dem  Maße,  daß  dort  weder  im  Altertume  noch  im  Mittelalter, 
auch  nicht  zur  Blütezeit  von  Fes,  das  in  Luftlinie  doch  keine 
120  km  von  der  Mittelmeerküste  entfernt  ist,  sich  dort  ein  See- 
platz zu  größerer  Bedeutung  zu  entwickeln  vermocht  hat.  Ceuta, 
dessen  Handel  sich  vor  der  Besetzung  durch  die  Portugiesen 
(141 5)  namentlich  durch  die  Italiener  sehr  gehoben  hatte,  und 
auch  Tanger  waren  immer  mehr  Meerengenstädte  als  Häfen  von 


Abgeschlossenheit  und  Unzugänglichkeit.  xÖQ 

Marokko.  Noch  größer  ist  die  Unzugänglichkeit  der  Ozeanküste. 
Diese  ist  als  ungegliederte  Schollenküste  zu  bezeichnen.  Selbst 
auf  der  kurzen  Strecke,  wo  man  sie  doch  wohl  als  Querbruchküste 
wird  auffassen  müssen,  im  Sus,  ist  nirgends  Schutz  für  Schiffe, 
denn  Agadir,  das  man  bisher  als  den  verhältnismäßig  günstigsten 
Küstenplatz  am  Ozean  glaubte  bezeichnen  zu  müssen,  ist,  seit 
man  es  genauer  kennen  gelernt  hat,  dieses  Vorzugs  entkleidet 
worden.  Die  Küste  ist  eine  überwiegend  steile.  Meist  steigt  sie 
ioo  m  zur  untersten  Stufe  des  Atlasvorlandes  empor  und  erscheint 
sie  auf  lange  Strecken  wie  mit  einer  felsigen  Abrasionsterrasse  ge- 
panzert. Kleinere  Buchten  und  Inseln  fehlen  so  gut  wie  ganz, 
selbst  der  z.  T.  in  eine  Insel  verwandelte  Haken  von  Mogador 
schafft  keinen  sicheren  Hafen.  Daß  zu  allen  Zeiten  an  der  Stelle 
von  Casablanca  ein  wohl  schon  von  den  Phönikern  zu  einer  ge- 
wissen Bedeutung  gebrachter  Küstenplatz  (Anfa)  gelegen  hat,  ist. 
abgesehen  von  der  besonderen  Fruchtbarkeit  des  Schwarzerde- 
gebiets der  Schauia,  darauf  zurückzuführen,  daß  dort  den  eine 
breite  Abrasionsterrasse  bildenden  steil  aufgerichteten  Devon- 
schichten des  Grundgebirges  des  Atlasvorlandes  zwischen  dünnen 
Lagen  von  festen  Schiefern  und  mächtigen  Bänken  von  Sandstein 
ein  Schichtenkomplex  weichen  tonigen  Gesteins  eingelagert  ist, 
welchen  die  Brandung  bei  fast  ununterbrochener  starker  Dünung  an 
der  ganzen  Küste  ausgewaschen  und  somit  eine  Bucht,  einen  Zugang 
zum  Lande  durch  die  Abrasionsterrasse  geschaffen  hat,  die  auch 
bei  Ebbe  von  den  Leichtern  benutzt  werden  kann,  die  die  weit 
draußen  auf  offener  Reede  Hegenden  Dampfer  mit  dem  Lande 
verbinden.  Aber  auch  Casablanca  ist  im  Winter  zuweilen  wochen- 
lang unzugänglich,  und  auch  im  Sommer  müssen  alle  Dampfer 
beständig  unter  Dampf  liegen,  um  jeden  Augenblick  bei  los- 
brechendem Sturme  das  hohe  Meer  gewinnen  zu  können.  Daß 
die  französischen  Kriegsschiffe,  die  seit  den  ersten  Tagen  des 
August  die  Küste  bewachen,  so  gutes  Wetter  gehabt  haben,  ist 
ein  besonderer  Glücksumstand.  Die  französischen  Landungstruppen 
hätten  von  vornherein  damit  rechnen  müssen,  daß  sie  zeitweilig 
oder  längere  Zeit  ohne  Unterstützung  seitens  der  Schiffskanonen, 
ohne  Zufuhr  von  Lebensmitteln,  Schießbedarf,  Verstärkungen  hätten 
aushalten  müssen.  Es  war  daher  sehr  verständig,  daß  Frankreich 
die  Durchführung  seiner  Eroberungspläne  mit  der  Aufnahme  der 
Küste  und  einem  Hafenbau  in  Casablanca  begann.    Daß  es  dieses 

Fischer,  Mittelmeerbildcr      Neue  Folge.  24 


■2-jQ  VI,    i.    Marokko  als  Kriegsschauplatz. 

nur  unter  bewaffnetem  Schutze  werde  durchführen  können,  das 
hätte  man  wohl  wissen  müssen  und  hat  man  wohl  auch  gewußt. 

Diese  Unzugänglichkeit  gilt  aber  weiter  erst  recht  vom  Innern 
des  Landes.  Das  Innere  von  Marokko  ist,  abgesehen  vom  Atlas- 
vorlande und  einem  Teile  des  Mulujagebiets,  durchaus  gebirgig, 
ja  hochgebirgig,  wenig  wegsam  und  reich  an  natürlich  festen 
Stellungen.  Selbst  im  Atlasvorlande,  das  man  als  eine  in  zwei 
Stufen  aufsteigende  Ebene,  die  untere  zwischen  ioo  bis  250  m, 
die  andere  zwischen  400  und  etwa  700  m  Höhe  ansehen  kann, 
fehlen  solche  nicht  ganz.  Zunächst  ist  der  Aufstieg  von  der 
unteren  zur  oberen  meist  ein  so  steiler,  daß  von  den  Karawanen 
nur  einzelne  Talrinnen  dazu  benutzt  werden.  So  die  Wege  von 
Mogador,  von  Saffi,  von  Mazagan  und  Casablanca  nach  Marra- 
kesch1).  Das  gilt  auch  von  den  Wegen  nach  Fes,  von  der  Sebu- 
Ebene  aus,  wo  die  steilen  Aufstiege  von  Bab  Tsiuka  und  Bab 
Tisra-Djorf  über  Sidi  Kassem,  das  am  Ausgange  der  ungangbaren 
Schlucht  liegt,  durch  welche  der  Wed  Rdem  von  der  oberen 
Stufe  herabsteigt,  für  eine  europäische  Truppe  kaum  zu  umgehen 
sein    dürften.     Das    sind    also  leicht   zu  verteidigende  Stellungen. 

Ja,  das  wilddurchschluchtete  Hochland,  in  welchem  der  bei 
Rabat  mündende  Bu  Regreg  und  der  Sebu-Nebenfluß  Wed  Beht 
ihre  Gewässer  sammeln,  ist  so  schwer  zugänglich,  daß  es  von 
jeher  im  Besitze  unabhängiger  Berbernstämme  gewesen  ist  und 
stets  die  Grenze  zwischen  Nord-  und  Süd-Marokko  gebildet,  den 
kürzesten  Verkehrsweg  zwischen  Marrakesch  und  Fes  unterbunden 
hat.  Diese  beiden  natürlichen  Hauptstädte  müssen  selbstverständlich 
die  nächsten  Ziele  eines  fremden  Eroberers  sein,  nicht  nur  in  ihrer 
Eigenschaft  als  Hauptstädte,  sondern  wegen  der  Fülle  ihrer  eigenen 
Hilfsmittel  und  derjenigen  ihrer  Umgebung,  vor  allem  aber,  weil 
sie  natürliche  Knotenpunkte  von  Verkehrswegen  sind,  namentlich 
beide  die  Ein-  und  Übergänge  des  Atlas  beherrschen.  Marrakesch 
kr.nn  mit  Mailand  verglichen  werden. 

1)  An  diesem  hier  noch  reichlich  150  m  hohen  Aufstieg,  der  aber  auch 
hier  durch  das  Erosionstal  eines  von  der  oberen  Stufe  herabkommenden 
Flüßchens,  des  Wed  Mussa,  erleichtert  wird,  fanden  denn  auch  die  verhältnis- 
mäßig blutigen  Kämpfe  um  Mitte  Januar  statt.  Settat,  der  wichtigste  Ort 
der  Schauiastämme ,  das  die  Franzosen  nach  Ei  zwingung  des  Aufstiegs  an- 
griffen ,  aber  nicht  erobern  konnten ,  liegt  9  km  hinter  dem  Aufstieg  in 
einer  kleinen  Talweitung  des  Wed  Mussa,  zu  beiden  Seiten  von  Höhen  be- 
herrscht. 


Wegsamkeit  des  Atlasvorlandes.  -in  \ 

Sonst  bietet  das  Atlasvorland  dem  Verkehr  meist  so  geringe 
Schwierigkeiten,  daß  Reiterei  und  Geschütze  und  selbst  Kraftwagen 
ohne  wesentliche  Wegbahnung  in  vollstem  Maße  in  Verwendung 
kommen  könnten.  Aber  um  so  größer  ist  ein  anderes  Hindernis: 
der  Mangel  an  Wasser  und  teilweise  selbst  an  Vorräten.  Diese 
letzteren,  auf  der  unteren  Stufe  infolge  der  Bedeckung  mit  frucht- 
barster Schwarzerde  in  ungeheuren  Mengen  vorhanden,  v/erden  in 
unterirdischen  Behältern,  Matamoren,  aufbewahrt,  wo  sich  das  Ge- 
treide jahrelang  trocken  erhält.  Aber  diese  Matamoren  sind  meist 
mit  Rücksicht  auf  die  ewigen  Fehden  der  Stämme  untereinander 
und  die  Plünderungszüge  der  Sultane  selbst  so  versteckt  angelegt, 
daß  ein  europäisches  Heer,  das  über  den  reichsten  Vorräten 
lagert,  verhungern  kann.  Aber  weit  schwieriger  ist  die  Wasser- 
frage, der  ich  daher  neben  Boden  und  Anbau  auf  meinen  Reisen 
stets  sorgsamste  Beachtung  geschenkt  habe.  Wie  schon  der  Auf- 
stand von  Casablanca  in  letzter  Stelle  durch  Wassermangel  hervor- 
gerufen worden  ist,  so  sind  im  ganzen  Atlasvorlande  wegen  seines 
geologischen  Aufbaus  und  der  Geringfügigkeit  der  Niederschläge, 
deren  Höhe  zwischen  400  und  200  mm  liegt,  Quellen  sehr  selten, 
Brunnen  ebenso,  Flüsse  fast  an  den  Fingern  zu  zählen.  Dazu 
liefern  viele  Quellen  und  Brunnen  untrinkbares  Wasser.  Der 
Wassermangel  ist  gerade  in  den  fruchtbarsten  Gebieten  der  un- 
teren Stufe  so  groß,  daß  diese  überhaupt  erst  dauernd  bewohn- 
bar geworden  sind  durch  Brunnengrabungen,  oft  bis  60,  ja  100  m 
tief,  und  Schaffung  künstlicher  Wasserbecken,  die  aber  im  Spät- 
sommer auch  meist  trocken  liegen.  Die  Wasserarmut  ist  so  groß, 
daß  ein  europäisches  Heer,  außer  vielleicht  während  zwei  bis 
drei  Monaten  mitten  in  einem  regenreichen  Winter,  sich  nur  längs 
der  großen  Flüsse  vorwärts  bewegen  könnte,  die  ihre  Gewässer 
im  Gebirge  sammeln  und  das  ganze  Vorland  queren:  Sebu,  Um- 
er-Rbia,  Tensift.  Diese  sind  infolge  der  Schneeschmelze  im  Hoch- 
gebirge auch  bis  weit  in  den  Sommer  hinein  wasserreich.  Freilich 
sind  sie  mit  ihren  tief  und  steil  eingeschnittenen  Tälern  schwer 
zugänglich  und  außerordentliche  Verkehrshindernisse.  Am  meisten 
die  Um-er-Rbia,  z.  T.  aber  auch  der  Tensift,  der  allein  und  auch 
nur  einmal,  nahe  bei  Marrakesch,  überbrückt  ist.  Bei  dem  den 
Kulturzustand  Marokkos  kennzeichnenden  Fehlen  aller  gebahnten 
Straßen  und  fast  aller  Brücken  bilden  im  Winter  selbst  kleine 
Flüsse     so     schwere     Verkehrshindernisse,     daß    gelegentlich     ein 

24* 


•r  i  y  VI,    I .    Marokko  als  Kriegsschauplatz. 

Heeresteil  zwischen  zwei  geschwollenen  Flüssen  tagelang  gefangen 
gehalten  werden  könnte. 

Die  Eingänge  in  das  Gebirge,  den  hohen  wie  den  mittleren 
Atlas,  sind  meist  von  engen  Schluchten  gebildet,  durch  welche 
reißende  Gebirgsflüsse  in  das  Vorland  eintreten.  Das  mag  mit 
der  herrschenden  Trockenheit  zusammenhängen,  infolge  deren  die 
Tiefenerosion,  die  noch  besonders  durch  die  Steilheit,  mit  welcher 
das  Gebirge  über  dem  Vorlande  aufsteigt,  meist  steiler  als  die 
Alpen  über  der  Po-Ebene,  erhöht  wird,  weit  größer  ist  als  die 
allgemeine  Abtragung. 

Diese  Schwierigkeiten  werden  aber  noch  erhöht  durch  die 
Eigenart  der  Berbern,  wenn  irgend  das  Gelände  es  gestattet,  auf 
steilen  Höhen  in  kreisförmigen  Siedelungen  zu  wohnen,  die  da- 
durch zu  wahren  Festungen  werden,  daß  die  Rückmauern  der 
kleinen  steinernen  Häuser  aneinander  anschließend  die  Ringmauer 
bilden  und  nur  ein  Eingang  in  diese  Festung  führt.  Oder  aber 
die  Siedelungen  liegen  um  ein  gemeinsames,  festes  Vorratshaus 
herum,  in  Marokko  Tirremt  genannt,  das  eine  oft  nur  auf  Treppen 
und  Leitern  erreichbare  Höhe  krönt.  Diese  Tirremt  erinnern  an 
Burgruinen  Deutschlands  und  säumen  in  Marokko  vielfach  den 
Rand  des  Gebirges  und  sperren  die  Eingänge  in  die  Täler. 
Auf  diesen  Geländeschwierigkeiten  beruht  es,  neben  der  Freiheits- 
liebe, Tapferkeit,  Todesverachtung  und  Kriegstüchtigkeit  dieser 
Gebirgsberbern,  daß  dieselben  niemals  einem  fremden  Eroberer 
unterworfen  gewesen  sind,  ihre  ethnische  Eigenart  und  Sprache 
bewahrt  haben.  Sie  bilden  auch  heute  den  Hauptbestandteil  der 
Bled-es-Ssiba,  des  unabhängigen  Gebiets. 

Bei  einer  Eroberung  Marokkos  durch  die  Franzosen,  an  die 
allein  zu  denken  ist,  würden  allerdings  noch  andere  Angriffslinien 
in  Frage  kommen.  Zunächst  die  gegen  das  Stammland  der 
Dynastie  der  Filali,  die  Oasengruppe  von  Tafilelt,  die  aber 
jenseits  des  Atlas  gelegen,  mit  schwieriger  Verbindung  mit  dem 
Atlasvorlande,  von  untergeordneter  Bedeutung  ist.  Ihr  rücken 
die  Franzosen  durch  ihre  Eisenbahnlinie  ohnehin  täglich  näher, 
so  daß  schon  heute  der  Handel  von  Tafilelt  von  Oran  be- 
herrscht wird. 

Weit  wichtiger,  ja  geradezu  für  die  Franzosen  die  wichtigste 
Angriffslinie  ist  aber  die  geologisch  als  Grenzlinie  zwischen  dem 
Atlas-  und   dem  Rifgebirge   gekennzeichnete   Tiefenlinie,    welcher 


Die  Angriffslinie  Tlemcen-  -Udschda — Taza — Fes.  273 

von  einer  Talwasserscheide  westwärts  zum  Sebu  der  Tnnauen, 
ostwärts  zur  Muluja  der  Msun  folgt,  die  Linie  Tlemcen — Udsch- 
da— Taza — Fes.  Sie  erscheint  gewissermaßen  für  die  künftige 
Verlängerung  der  heute  schon  das  ganze  Atlasgebiet  von  Tunis 
über  Algier  bis  Tlemcen  durchziehenden  Längsbahn  von  Fes  bis 
zum  Ozean  bei  Mehedyia  an  der  Mündung  des  Sebu  von  der 
Natur  geschaffen  zu  sein.  Geländeschwierigkeiten  sind  von  der 
Grenze  Algeriens  bis  Fes  kaum  vorhanden.  Die  Wasserscheide 
wird  in  wenig  über  600  m  Höhe  kaum  merkbar  überschritten. 
Die  Länge  der  ganzen  Strecke  beträgt  etwa  350  km.  Höchstens 
die  Wasserversorgung  kann  auch  hier  streckenweise  schwierig 
sein.  Beherrscht  wird  diese  Linie,  wie  uns  zuerst  ein  Offizier 
völlig  klargelegt  hat,  der  Marquis  de  Segonzac,  durch  die  natür- 
liche Festung  Taza,  die  daher  auch  in  der  Kriegsgeschichte  eine 
Rolle  gespielt  hat  und  von  den  Eingeborenen  geradezu  als  Fum 
el  Gharb  (Tor  des  Westens)  bezeichnet  wird.  Taza  liegt  auf 
einem  steilen,  nur  von  einer  Seite  zugänglichen  Bergrücken,  der 
gegen  diese  Tiefenlinie  weit  vorspringt.  Aber  der  Besitz  von 
Taza  würde  zur  Beherrschung  dieser  Linie  nicht  genügen.  Es 
gehört  dazu  auch  die  Beherrschung  der  anliegenden  Gebirgs- 
landschaften des  mittleren  Atlas  und  des  Rif.  Und  diese  sind  von 
besonders  unbändigen,  freiheitsliebenden  Berberstämmen,  den 
Riata  und  den  Tsul  bewohnt.  Diese  müßten  also  erst  gründlich 
unterworfen  werden  und  noch  einmal  und  noch  öfter.  Das  mag 
die  Franzosen  bestimmt  haben,  von  dieser  Operationslinie  ganz 
abzusehen,  so  viel  eine  Zeitlang  von  ihr  die  Rede  war,  und  so 
sehr  auch  der  Aufstand  des  Bu  Hamara,  der  sich  wesentlich  auf 
derselben  bewegte,  die  Aufmerksamkeit  auf  sie  gelenkt  hat. 

Diese  mehr  ethnographisch  bedingten  Schwierigkeiten  haben 
diese  Tiefenlinie  auch  in  römischer  Zeit  keine  Rolle  spielen  lassen. 
Das  römische  Mauritania  Tingitana  war  von  Andalusien  aus  er- 
obert und  römisch  kolonisiert  worden.  Es  stand  mit  Mauritania 
Caesareensis  nicht  etwa  durch  eine  an  diese  Tiefenlinie  gebundene 
Römerstraße  in  Verbindung,  sondern  durch  eine  Wasserstraße  längs 
der  Rifküste.  Das  Vorhandensein  dieser  erst  in  arabischer  Zeit 
als  Verkehrslinie  wichtig  gewordenen  Tiefenlinie  erklärt  aber  die 
in  arabischer  Zeit  engen  auch  die  Staatenbildung  beeinflussenden 
Beziehungen  zwischen  dem  Atlasvorlande  und  dem,  was  wir  heute 
Algerien  nennen,    erklärt    die    heutige   Zugehörigkeit    des    Muluja- 


■yjA      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

gebiets  zum  Staate  des  Atlasvorlands.  Sie  kann  in  Zukunft  die 
eiserne  Klammer  bilden,  welche  wenigstens  das  nördliche  Atlas- 
vorland, El  Gharb,  ähnlich  mit  Algerien  verbindet  wie  die  Arl- 
berglinie  das  schwäbische  Vorarlberg   mit   dem  bayrischen  Tirol. 

Schließlich  wäre  noch  eine  dritte  Operationslinie  mit  Fes 
als  Ziel  denkbar,  nämlich  von  der  Rifküste  aus,  von  deren  näch- 
stem Punkte  Fes  ja,  wie  schon  erwähnt,  nur  etwa  120  km  ent- 
fernt ist,  etwa  die  spanischen  Presidios  Penon  de  Velez  oder 
Alhucemas  als  Stützpunkte.  Hier  ist  im  Mittelalter  ein  für  Fes 
wichtiger  Verkehrsweg  nach  dem  Küstenorte  Badis  vorhanden  ge- 
wesen, dessen  Verhältnisse  wir  aber  bis  heute,  auch  durch  Marquis 
de  Segonzac,  nur  ungenügend  kennen  gelernt  haben.  Tanger 
wie  Ceuta  können  als  Stütz-  und  Ausgangspunkte  von  Kriegs- 
unternehmungen niemals  größere  Bedeutung  erlangen,  genau  wie 
für  den  Handel.  Sie  haben  kein  Hinterland  und  liegen  abseits. 
Sie  sind  im  wesentlichen  Meerengenstädte.  Größere  Bedeutung, 
aber  auch  nur  für  das  Mulujagebiet,  könnte  Melilla  erlangen. 

jedenfalls  ergibt  sich  aus  dieser  Skizze,  daß  Marokko  ein 
recht  schwieriger  Kriegsschauplatz  ist,  der  ein  großes  europäisches 
Heer  viele  Jahre  lang  fesseln  und  mancherlei  nicht  vorherzusehende 
Zwischenfälle  bieten  könnte. 


2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  und  ihre 
weltpolitische  Bedeutung.1) 

Das  Mittelmeergebiet  steht  seit  Jahren  im  Vordergrunde  der 
Weltpolitik.  Marokko,  das  doch  auch  zu  den  Mittelmeerländern 
gehört,  lenkt  die  Blicke  der  ganzen  Welt  auf  sich,  im  Augenblick 
zwar  am  meisten  durch  die  Vorgänge  an  der  Ozeanküste,  aber 
diese  haben  bereits  zur  Besetzung  der  östlichen  Grenzstadt  Udschda 
durch  die  Franzosen  geführt,  in  deren  Nähe  auch  noch  Bu 
Hamara  sein  Wesen  treibt,  und  welchen  Widerhall  die  Vorgänge 
in  und  um  Casablanca  in  ganz  Marokko,  in  den  übrigen  Atlas- 
ländern  und   in   der   ganzen  Welt    des  Islam    finden  werden,    ist 


1)  Erschienen  in  der  Internationalen  Wochenschrift,  September  1907. 
Erscheint  jetzt  auch  auf  Wunsch  des  Smithonian  Institution  im  Report  to 
Congress  for  the  year  IQ07. 


Weltpolitische  Bedeutung  der  Mittelmeerländer.  ?j  s 

abzuwarten.  Jedenfalls  erwachsen  England  in  Ägypten  täglich 
neue  Schwierigkeiten.  Kreta  und  Mazedonien  bezeichnen  tiefe 
Kummerfalten  im  Antlitze  der  europäischen  Diplomatie.  Italien 
als  Mittelmeermacht  glaubt  sich,  obwohl  Glied  des  Dreibundes, 
gedrängt,  möglichst  gute  Beziehungen  zu  den  Mittelmeermächten 
England  und  Frankreich  zu  unterhalten,  obwohl  es  die  Lehren 
einer  dreitausendjährigen  Geschichte,  nach  welchen  Tunesien  im 
Besitz  einer  starken  Macht  eine  unerträgliche  Bedrohung  Siziliens 
und  Sardiniens  ist,  durch  das  Festhalten  am  Dreibunde  zu  be- 
herzigen scheint.  England,  Frankreich,  Spanien  schließen  ein 
Übereinkommen  zur  Wahrung  ihres  Besitzstandes  im  Bereich  des 
westlichen  Mittelmeerbeckens  und  des  benachbarten  Ozeangebiets. 
Wer  bedroht  dieselben?  Das  Deutsche  Reich  ist  keine  Mittelmeer- 
macht, hat  bisher  auch  in  keiner  Weise  angedeutet,  daß  es  eine 
solche  zu  werden  beabsichtige;  aber  es  scheint  zu  genügen,  daß 
seine  wirtschaftliche  Entwicklung ,  lediglich  aus  seiner  Macht- 
stellung und  den  Kräften  des  Volkes  heraus,  auch  im  Mittelmeer- 
gebiet sich  geltend  macht.  In  der  Tat  sieht  man  in  allen  Mittel- 
meerhäfen die  deutsche  Flagge  immer  häufiger  und  auf  immer 
stattlicheren  Schiffen  wehen,  die,  sei  es  lediglich  dem  Waren- 
verkehr, sei  es  vorwiegend  der  Beförderung  von  Reisenden  dienen. 
Immer  größer  und  einflußreicher  werden  in  allen  Mittelmeerhäfen 
die  deutschen  Kolonien,  wie  ich  durch  meine  35jährige  Be- 
schäftigung mit  und  Reisen  in  diesem  Gebiet  feststellen  kann. 
Die  reichsdeutschen,  neben  denen  die  deutsch-österreichischen 
weit  zurückstehen,  obwohl  die  Deutschen  in  Österreich  dem 
Mittelmeergebiet  ja  räumlich  viel  näher  stehen  und  fast  allein 
die  Interessen  der  habsburgischen  Monarchie  dort  vertreten. 
Innere  Schwierigkeiten  hindern  sie,  den  zukunftsreichen  Ländern 
am  östlichen  Mittelmeer  die  nötige  Aufmerksamkeit  zu  schenken. 
Österreich  -  Ungarn  erschöpft  sich  schon  seit  langem  auf  der 
benachbarten  südosteuropäischen  Halbinsel.  Das  große  russische 
Reich,  dessen  Politik  in  den  letzten  zwei  Jahrhunderten  unent- 
wegt auf  die  Gewinnung  eines  offenen  Tores  ans  Mittelmeer 
gerichtet  war,  scheidet  vorläufig  aus  denselben  Gründen  aus. 
Gegenüber  dem  lebhaften  Interesse,  welches  anscheinend  alle 
Völker  Europas  dem  Mittelmeergebiet  entgegenbringen,  scheinen 
die  Bewohner  desselben,  soweit  es  sich  nicht  um  ganz  örtliche 
Fragen    handelt,    völlig  in   den  Hintergrund   zu   treten.      Daß  mau 


2^5      VI,  2.  Die  "Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

sie  zu  wenig  kennt,  daß  man  sie  wenig  beachten  zu  brauchen 
glaubt,  hat  schon  wiederholt  der  europäischen  Diplomatie  und 
den  Völkern  Europas  recht  unangenehme  Überraschungen  bereitet. 
Die  folgenden  Ausführungen  bezwecken  daher  ein  in  den  großen 
Zügen  umrissenes  Bild  des  bunten  Völkergemisches  an  den  Ufern 
und  in  den  Gestadeländern  des  Mittelmeeres,  ihrer  Verteilung 
und  Zahl  zu  entwerfen.  Die  Zahlen,  die  zusammenzustellen  nicht 
umgangen  werden  kann,  sind  nur  abgerundete,  wie  es  für  diesen 
Zweck  auch  genügt.  Oder  könnten  andere  genau  angeben,  wie 
viele  Berbern  und  Albanesen,  ja  selbst  Griechen  und  Türken 
es  gibt? 

Das  wichtigste  Ergebnis  dieser  Untersuchung,  um  dies  vor- 
wegzunehmen, wird  ein  dreifaches  sein,  nämlich: 

1.  Die  Mittelmeerländer  weisen  ein  ungewöhnlich  buntes 
ethnographisches  Bild,  eine  große  ethnische  Zersplitterung  auf. 

2.  Die  Mittelmeerländer  sind  im  allgemeinen  sehr  dünn 
bevölkert,  und  die  Menschen  drängen  sich  allenthalben  an  die 
Küsten. 

3.  Ein  Drittel  aller  Bewohner  der  Gestadeländer  des  Mittel- 
meeres gehört  einem  einzigen  Volke  an,   dem  italienischen. 

Die  Eigenschaft  des  Mittelmeergebiets,  ein  großer  Kultur- 
herd zu  sein,  der  die  menschliche  Kulturentwicklung  bis  auf  die 
Gegenwart  so  nachhaltig  beeinflußt  hat,  ist  mit  dem  Mittelalter 
immer  mehr  in  den  Hintergrund  getreten.  Die  Römer  hatten  das 
ganze  Mittelmeergebiet  staatlich  geeinigt  und  zu  einer  großen 
Lebensgemeinschaft  ausgestaltet.  In  römischer  Zeit  waren  alle 
ethnischen  Unterschiede  von  einer  mehr  oder  weniger  oberfläch- 
lichen römischen  bzw.  im  Osten  hellenistischen  Tünche  verhüllt. 
Die  sogenannte  Völkerwanderung,  die  sich  aber  hier  bis  zum  Ende 
des  Mittelalters  mehrfach  wiederholt  hat,  hat  an  Stelle  dieser  in 
langen  geschichtlichen  Vorgängen  gewordenen  verhältnismäßigen  Ein- 
förmigkeit die  bunte  Mannigfaltigkeit  der  Völkerkarte  von  heute 
gesetzt.  Die  Einbrüche  der  Germanen  haben,  wenn  sie  auch 
von  der  höheren  römischen  Gesittung  aufgesogen  wurden,  auf 
die  romanischen  Völker  an  der  Nordwestecke  des  Mittelmeer- 
gebiets, Italiener,  Franzosen,  Spanier,  Portugiesen,  tiefgreifenden 
Einfluß  ausgeübt.  Die  ganze  Völkerkarte  der  Mittelmeerländer 
ist  dadurch  eine  andere  geworden,  aber  z.  T.  nur  scheinbar, 
denn  vielfach  ist  die  Urbevölkerung  nur  unter  einer  neuen  Sprache 


Die  Albanesen. 


377 


und  Religion,  die  sie  angenommen  hat,  verborgen.  Man  wolle 
sich  beispielsweise  erinnern ,  daß  die  ganze  bunt  zusammen- 
gesetzte Bevölkerung  Kleinasiens,  die  keltischen  Galater  ein- 
geschlossen, allmählich  griechische  Sprache  angenommen  hatte, 
während  heute  dieselben  Menschen  alle  vorzugsweise  türkisch 
sprechen.  Aus  den  Zeiten  vor  der  Völkerwanderung  haben  sich 
so  beides,  ihre  nationale  Sprache  und  Eigenart,  nur  vier  Mittel- 
meervölker zu  bewahren  vermocht,  die  also  als  die  ältesten  an- 
zusehen sind,  dank  dem  gebirgigen,  schwer  zugänglichen,  aber 
auch  wenig  anlockenden  Charakter  ihres  Wohngebiets,  zwei  da- 
von aber  auf  geringe  Reste  zusammengeschrumpft  und  zum  Ver- 
schwinden in  nicht  ferner  Zukunft  bestimmt:  Basken  und  Alba- 
nesen. Trotzdem  haben  beide  noch  in  der  neuesten  Geschichte 
eine  große  Rolle  gespielt.  Die  Basken  waren  die  Träger  der 
karlistischen  Aufstände  in  Spanien,  die  Albanesen  spielen  in  der 
orientalischen  Frage  eine  große  Rolle.  Jene  sind  die  Nach- 
kommen der  alten  Iberer,  die  sich  in  den  Tälern  der  westlichen 
Pyrenäen  und  dem  nach  ihnen  benannten  benachbarten  baskischen 
Gebirge  teils  auf  französischem,  teils  auf  spanischem  Boden,  etwa 
zwischen  Bilbao  und  Bayonne,  erhalten  haben  und  durch  Aus- 
wanderung, besonders  im  ig.  Jahrhundert  in  die  La  Plata-Staaten, 
und  Aufsaugung  auf  etwa  xj%  Million  Köpfe  zusammengeschrumpft 
sind.  Die  Albanesen  sind  die  Nachkommen  der  alten  Illyrier, 
die  sich  auch  nur  in  einem  Teile  ihres  früheren  Wohngebiets, 
den  unzugänglichsten  mittleren  Strichen  des  großen  gefalteten 
Erdgürtels,  welcher  die  ganze  Westseite  der  südosteuropäischen 
Halbinsel  kennzeichnet,  zu  erhalten  vermocht  haben.  Die  langen 
Kämpfe  erst  mit  der  slawischen  Überflutung,  dann  mit  den  Türken, 
vor  deren  Bedrückungen  sie  in  Menge  im  15.  Jahrhundert  nach 
Italien  und  Griechenland  auswanderten,  haben  sie  nicht  zum  Ver- 
schwinden gebracht.  In  Süd -Italien  bis  nach  Sizilien  zählt  man 
ihrer  noch  etwa  80  000,  doch  sind  sie  schon  als  ganz  vom 
Italienertum  aufgesogen  anzusehen  oder  im  Begriff,  es  zu  werden. 
Noch  mehr  Albanesen  dürften  im  Griechentum  aufgegangen  sein. 
In  Griechenland  haben  sich  die  albanesischen  Viehzüchter  und 
Ackerbauer  rasch  zu  Seefahrern  entwickelt,  so  daß  die  Seehelden 
des  griechischen  Freiheitskampfes  z.  T.  Albanesen  waren.  Auch 
in  Süd -Albanien  und  Epirus  gehen  sie,  soweit  sie  dem  griechi- 
schen Christentume  gewonnen  sind,    willig   im  Griechentume  auf. 


2j8      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

Verhängnisvoll  ist  nämlich  für  sie,  noch  mehr  wie  die  inneren 
Kulturzustände,  ihre  ethnische  Eigenart  und  diejenige  ihrem  Wohn- 
gebiet entsprechende  Zersplitterung  in  viele  kleine,  untereinander 
vielfach  in  der  Volksvermehrung  nachteiliger  Blutrache  liegender 
Clane  und  die  religiöse  Dreigeteiltheit :  von  Süden  her  zog  sie 
die  griechisch  -  orientalische  Kirche  an ,  von  Italien  her  die 
römische,  und  die  Türken  gewannen  sie  z.  T.  dem  Islam.  Da- 
durch wurden  viele  von  ihnen  als  Soldaten  und  Beamte,  oft  in 
hohen  Stellungen,  über  das  weite  türkische  Reich  zerstreut.  Diese 
Zersplitterung  läßt  ihre  Zahl  von  etwa  i1/^  Millionen,  trotz  aus- 
gezeichneter kriegerischer  Eigenschaften,  die  sie  im  türkischen 
Heere  und  als  Helfer  bei  den  türkischen  Eroberungen  eine  große 
Rolle  hat  spielen  lassen  —  Albanesen  bilden  noch  heute  die 
Leibwache  des  Türkensultans  —  noch  weniger  ins  Gewicht  fallen. 
Jedenfalls  sind  sie,  obwohl  wenig  botmäßig,  als  eine  Hauptstütze 
der  türkischen  Herrschaft  im  Westen  der  Halbinsel  anzusehen, 
während  Italien  die  katholischen  Albanesen,  deren  Priester  meist 
in  Rom  ausgebildet  werden,  für  sich  zu  gewinnen  und  damit 
festen  Fuß  auf  der  Halbinsel  zu  fassen  bemüht  ist:  einer  der 
Gegensätze  gegen  die  Monarchie  der  Habsburger. 

Ethnisch  als  Reste  der  vorrömischen  Urbevölkerung  sind 
auch  die  über  die  südosteuropäische  Halbinsel,  namentlich  als 
Wanderhirten  verstreuten  und  namentlich  auch  in  etwas  zu- 
sammenhängenderem Wohngebiete  im  Pindus  und  in  den  Ge- 
birgen nördlich  davon  erhaltenen  noch  Romanisch  sprechen- 
den Reste  anzusehen,  die  Aromunen,  Zinzaren  oder  Wlachen. 
Im  12.  Jahrhundert  hatten  sie  noch  einen  großen  Teil  von 
Thessalien  inne,  das  damals  die  große  Walachei  genannt  wurde. 
Sie  entbehren  des  romanisch  nationalen  Bewußtseins  meist,  sind 
griechische  Christen  und  neigen  zum  Griechentum.  Viele  sind 
dreisprachig  (neben  Romanisch,  Türkisch  und  Griechisch).  Doch 
treten  auch  sie,  wenn  sie  auch  kaum  200  000  Köpfe  zählen  dürften, 
neuerdings  politisch  hervor,  indem  Sendboten  aus  Rumänien, 
namentlich  die  mazedonischen  Wlachen  dem  griechischen  Einfluß 
zu  entziehen  bemüht  sind. 

Auch  in  Klein -Asien  gibt  es  noch  bedeutende  Reste  der 
Urbevölkerung ,  welche  sich  heute ,  weil  sie  ihr  griechisches 
Christentum  bewahrt  haben,  für  Griechen  halten  und  selbst  durch 
Gründung  griechischer  Schulen  und  Berufung  griechischer  Lehrer 


Die  Berbern.    Ihre  kulturelle  Glanzzeit. 


379 


hellenisieren.  Ebenso  sind  viele,  ja  nach  dem  Urteil  der  besten 
Kenner  die  Mehrzahl  der  sogenannten  Türken  Klein-Asiens  oder 
Angehörige  mohammedanischer  Sekten  ethnisch  als  Reste  der 
Urbevölkerung  anzusehen.  Und  die  im  3.  Jahrhundert  v.  Chr. 
eingewanderten  Kelten  (Galater)  in  der  Nordhälfte  des  inneren 
Hochlands  sind,  wenn  auch  Mohammedaner  und  Türkisch  sprechend, 
in  ihrem  physischen  Typus,  an  ihren  lichtbraunen  Haaren,  blauen 
oder  grauen  Augen  noch  deutlich  erkennbar  und  leicht  zu  unter- 
scheiden von  den  Kappadokiern,  auch  „Türken",  mit  tiefschwarzem 
Haar,  schmalem  Gesicht  und  eigentümlicher  Nase. 

Ganz  anders  stehen  diesen  im  Verschwinden  begriffenen 
Völkern  zwei  andere  zur  Urbevölkerung  zu  rechnende  gegenüber: 
Berbern  und  Griechen. 

Die  Berbern,  welche  zur  hamitischen  Völkergruppe  gehören, 
sind  ein  außerordentlich  anziehendes,  aber  in  seiner  Sprache  und 
Eigenart  noch  zu  wenig  erforschtes  Volk,  weil  sie  selbst  bis  heute 
mit  rücksichtsloser  Tatkraft  alles  Fremde  von  sich  fern  halten. 
Ihr  Hauptwohngebiet,  die  Atlasländer  oder  Klein  -  Afrika,  nannte 
man  früher  meist  nach  ihnen  die  Berberei,  eine  Bezeichnung, 
die  ganz  unberechtigterweise  in  neuerer  Zeit  außer  Gebrauch  zu 
kommen  scheint.  Meist  braucht  man  an  Stelle  des  Namens 
Berbern  die  von  den  Franzosen  in  Algerien  verbreitete  Bezeich- 
nung Kabylen.  Dies  Wort  bedeutet  eigentlich  nichts  weiter  als 
Stamm.  Man  bezeichnet  in  erster  Linie  als  Kabylen  die  ziem- 
lich rein  erhaltenen  Berbern  der  hohen  Küstengebirge  Algeriens 
östlich  von  Algier  und  benennt  danach  das  Gebirgsland  des 
Dj.  Djurdjura  große,  das  Gebirgsland  östlich  von  Bougie  kleine 
Kabylei. 

Die  Berbern  haben  schon  einmal,  im  arabischen  Mittelalter, 
eine  große  politische  und  kulturelle  Rolle  gespielt,  sie  werden 
auch  in  Zukunft  wieder  eine  solche  spielen,  wie  in  diesem  Augen- 
blick ja  sich  die  Aufmerksamkeit  der  ganzen  Welt  ihnen  zu- 
wendet. 

Überwiegend  aus  Berbern  zusammengesetzte  Heere  waren 
es,  welche  Sizilien  und  Spanien  eroberten.  Berbern  spielten 
unter  den  „arabischen"  Gelehrten,  Künstlern  usw.  jener  Zeit  eine 
große  Rolle.  Die  Aghlabiten  in  dem  von  den  Arabern  unter 
Sidi  Okba  669  n.  Chr.  gegründeten  Kaiman,  unter  denen  im 
9.  Jahrhundert    wissenschaftliches    Leben    anhebt,    sind    Berbern. 


280      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

Auch  von  den  Fatimiden,  die  seit  Beginn  des  10.  Jahrhunderts 
in  Mahedia  herrschten,  gilt  dies.  Ebenso  von  den  Ziriden, 
welche  an  Stelle  der  Fatimiden  Tunesien  verwalteten ,  als  diese 
ihren  Herrschersitz  nach  Ägypten  verlegten. 

Die  Sekte  der  Almoraviden,  zum  Islam  bekehrte  Wüsten- 
berbern, eroberte  1060  n.  Chr.  unter  Abu  Beker  Marokko.  Dessen 
Nachfolger  Yussuf  Ben  Taschfin  gründete  Marrakesch  und  bildete 
aus  dem  heutigen  Marokko  mit  dem  westlichen  Algerien  ein 
großes  Reich,  dem  er  auch  Spanien  angliederte.  Noch  weiter, 
von  Tanger  bis  Barka,  reicht  die  Herrschaft  der  Almohaden  (seit 
1145),  einer  andern  wesentlich  berberischen  Sekte  und  Dynastie. 
Diese  Glanzzeit  der  berberischen  Dynastien  dauert  bis  1 26g. 
Zum  Teil  in  ihren  Diensten  breiten  sich  in  dieser  Zeit  die  ein- 
gewanderten arabischen  Stämme  immer  weiter  aus  und  drängen 
den  Berbern  als  Träger  des  Islam  ihre  Sprache  und  zum  Teil 
ihre  Sitten  auf.  Auch  die  Reiche  und  Dynastien  der  Meriniden 
in  Fez,  der  Zianiten  in  Tlemcen,  des  Hafsiden  in  Tunis  (seit 
1228)  sind  wesentlich  berberisch.  In  den  unaufhörlichen  Kämpfen 
derselben  untereinander  beginnt  der  Verfall,  der  im  15.  Jahr- 
hundert so  rasch  fortschreitet,  daß  bald  allgemeine  Anarchie 
herrscht,  die  im  16.  Jahrhundert  den  Türken  die  Unterwerfung 
Algeriens  und  Tunesiens  erleichtert,  während  Marokko  sich  seit- 
dem immer  mehr  als  selbständiger  und  unabhängiger  Staat  ab- 
sondert. Die  ewigen  Fehden  der  Stämme  untereinander,  das 
Halbnomadentum  vieler  haben  noch  vielfach  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten Verschiebungen  der  Stämme  oft  auf  große  Entfernungen 
hin   hervorgerufen. 

Auch  vergesse  man  die  hohe  Blüte  des  heutigen  Tunesien 
und  eines  großen  Teils  von  Algerien  in  römischer  Zeit  nicht, 
denn  die  Römer  waren  in  verhältnismäßig  geringer  Zahl  als 
Soldaten  und  Beamte  nur  die  Träger  römischer  Kultur.  Massen- 
ansiedelung fand  nicht  statt.  Die  Mehrzahl  der  Bevölkerung 
trägt  punische  und  berberische  Namen,  wenn  auch  etwas  latini- 
siert. Was  an  Kulturleistungen  aus  jener  Zeit  noch  erkennbar 
ist,  ist  den  Berbern  zuzuschreiben.  Auch  leisteten  dieselben, 
ganz  abgesehen  von  den  früheren  Kämpfen,  den  Römern  außer- 
ordentlich zähen  Widerstand.  Den  Aufstand  des  Tacfarinas  z.  B., 
der  freilich  in  römischem  Kriegsdienste  geschult  war,  von 
17  —  24  n.  Chr.   niederzuwerfen   kostete    den   Römern   große   An- 


Wohngebiet  und  Herkunft  der  Berbern.  7$ j 

strengungen.  Und  ähnlich  war  es  beim  Einbruch  der  Araber, 
die  zuerst  647  in  Tunesien  erschienen,  das  sie  bis  669  unter 
dem  Namen  Ifrikia  völlig  unterwarfen  und  als  Provinz  organisierten. 
Aber  schon  685  wird  Okba  von  dem  Berbernfürsten  Koce'ila  ge- 
schlagen und  getötet  —  jeder  Besucher  von  Biskra  besucht  auch 
sein  Grab  in  der  kleinen  Nachbaroase  Sidi-Okba  —  die  Araber 
wieder  völlig  aus  Ifrikia  verdrängt,  wo  Koce'ila  seinen  Herrscher- 
sitz in  dem  von  Okba  begründeten  Kairuan  aufschlägt  und  das 
ganze  östliche  Atlasgebiet  in  einem  Reiche  einigt.  Er  erliegt 
690  einem  neuen  Einfalle  der  Araber,  aber  die  Fürstin  Dina  der 
Zenata  im  östlichen  Auresgebirge,  gewöhnlich  Kahena  (Priesterin) 
genannt  —  daß  eine  Frau  eine  solche  Rolle  spielen  kann,  ist 
auch  echt  berberisch,  auch  andere  Berbernstämme  hatten  Frauen 
als  Königinnen  —  organisierte  den  Widerstand,  vertrieb  die 
Araber  von  neuem,  erlag  aber  703,  von  den  immer  wieder  in 
sich  zerfallenden  Berbern  verlassen,  einem  neuen  Anstürme  der 
Araber.  Jetzt  wurden  1 2  000  gewaltsam  zum  Islam  bekehrte 
Berbernkrieger  dem  arabischen  Heere  einverleibt.  Die  zu  machende 
Beute  und  die  Klugheit,  mit  welcher  die  Araber  die  Interessen 
der  Berbern  mit  ihren  eigenen  zu  verknüpfen  verstanden,  brachten 
von  nun  an  viele  Berbern  zu  freiwilligem  Anschlüsse.  Auch  Tarik, 
der  Sieger  über  die  Westgoten,  war  ein  Berber. 

Die  Berbern  bewohnten  bis  weit  in  vorgeschichtliche  Zeit 
hinein  ihr  heutiges  Wohngebiet,  das  mediterrane  Nord -Afrika 
vom  Roten  Meere  bis  an  den  Ozean  und  auf  die  Kanarischen 
Inseln,  wenn  sie  auch  aus  Teilen  desselben  verdrängt  bzw.  unter 
dem  Einfluß  des  Islam  ihrer  Sprache  zugunsten  des  Arabischen 
beraubt  und  auch  sonst  bald  mehr,  bald  weniger  arabisiert  worden 
sind.  Am  reinsten  haben  sie  sich  überhaupt  in  den  Gebirgen, 
ganz  besonders  aber  denen  des  abgelegenen,  abgeschlossenen 
Marokko  erhalten,  dessen  Bevölkerung  nicht,  wie  man  früher 
wohl  annahm  und  oberflächliche  Beurteiler  noch  heute  annehmen, 
aus  Arabern,  sondern  fast  ausschließlich  aus  Berbern  besteht. 

Die  Frage ,  ob  die  Berbern  aus  Vorder  -  Asien  oder  aus 
Europa  in  ihr  Wohngebiet  in  vorgeschichtlicher  Zeit  eingewandert 
sind,  ist  viel  erörtert  worden,  dürfte  sich  aber  der  Entscheidung 
für  letzteres  nähern.  Wenn  sich  neuerdings  der  französische 
Arzt  und  Anthropologe  Bertholon  auf  Grund  der  Erforschung 
der  vorgeschichtlichen  Altertümer    Nord -Afrikas    der  Ansicht    zu- 


,82      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

neigt,  daß  die  Erbauer  der  rnegalithischen  Denkmäler  (Dolmen, 
Menhir)  Tunesiens  und  Ost-Algeriens  derselben  Rasse  angehören, 
welche  in  Europa  ähnliche  Denkmäler  hinterlassen  hat,  so  spräche 
dies  für  eine  Einwanderung  aus  Europa.  Auch  hat  man  jetzt 
aus  der  auffälligen  Übereinstimmung  gewisser  Geräte  auf  Ver- 
wandtschaft der  Berbern  mit  den  Basken  geschlossen  und  diese 
Verwandtschaft  auch  aus  sprachlichen  Gründen  gefolgert.  Der 
hervorragende  französische  Nord-Afrikaforscher  Ch.  Tissot  spricht 
sich  namentlich  für  Einwanderung  aus  Europa  aus,  weil  der 
blonde  Typus  der  Berbern  südlich  der  Straße  von  Gibraltar  am 
häufigsten  sei,  von  da  nach  Osten  seltener  werde.  Die  Zeit  der 
Einwanderung  müsse  man  vor  1 500  v.  Chr.  setzen,  da  schon  die 
Denkmäler  der  19.  Dynastie  in  Ägypten  die  Libu  als  ein  blondes 
und  blauäugiges  Volk  darstellen. 

Die  Berberstämme  der  Djuala  und  der  Uled  Hannech  in 
Algerien,  die  Krumir  Nord -Tunesiens,  die  Schaamba  der  alge- 
rischen Sahara  errichten  noch  heute  Grabstätten,  welche  den 
megalithischen  ähneln.  Das  von  Algier  aus  so  viel  besuchte  sog. 
Grab  der  Christin,  tatsächlich  das  Grab  berberischer  Fürsten, 
und  der  sog.  Medracen,  ein  etwas  älteres  Grab  berberischer 
Fürsten  (Massinissa?)  jetzt  in  völliger  Einöde  zwischen  Constantine 
und  dem  Auresgebirge,  sind  nichts  als  die  vollendeten  Formen 
dieser  megalithischen  Grabstätten.  Auch  bedienen  sich  die  Zelt- 
bewohner Tunesiens  noch  heute  derselben  Typen  von  Ton- 
gefäßen, wie  sie  in  den  megalithischen  Grabkammern  gefunden 
werden.  Auch  sonst  lassen  sich  noch  vielfach  uralte  europäische 
Einflüsse  erkennen.  Gewisse  Unterschiede  auch  im  physischen 
Typus  der  Berbern  lassen  sich  weit  zurückverfolgen,  nach  welchen 
man  auch  die  Namen  der  Alten,  die  eigentlichen  Berbern  von  den 
Libyern,  von  den  Afri,  deren  Name  noch  von  Tunesien  aus  dem 
Erdteile  anhaftet,  von  den  Maxyes,  deren  Name  noch  in  der  natio- 
nalen Bezeichnung  der  Tuareg  (Imoschagh)  erhalten  ist,  und  von 
den  Gätuleren  des  südwestlichen  Atlasgebietes  zu  unterscheiden 
habe.  Diese  Stammeszersplitterung  hat  sich  bis  in  die  Gegen- 
wart erhalten  und  schon  oft  als  verhängnisvoll  erwiesen.  Viele 
schon  von  Ptolemaios  im  heutigen  Marokko  genannte  Stämme 
sind  noch  heute  dort  nachweisbar.  In  den  Mazikes  erkennen 
wir  die  Masig  (Sing.  Amasig,  Plur.  Amasigen),  den  Volksnamen, 
welchen    sich    die  Berbern    des  Nordwestens   von  Marokko  selbst 


Das  Wohngebiet  der  Berbern.  2  g  2 

beilegen.  Seine  Autololes  sind  die  Ait  Hiläla,  seine  Macenites 
die  Miknärza,  die  Baenatae  die  Berguäta,  und  den  Namen  Mauren, 
nach  welchem  im  Altertum  Marokko  Mauritania  hieß,  leiten  Tissot 
und  Quedenfeldt  von  dem  semitischen  Maurim  her,  was  wörtlich 
übersetzt  der  Bezeichnung  entspricht,  welche  sich  die  Marokkaner 
jetzt  vielfach  selbst  beilegen:  el-garbaua,  die  Leute  des  Westens. 
Der  Name  Berber  war  schon  vor  Ankunft  der  Griechen  und  der 
Römer  in  Nord-Afrika  vorhanden  und  haftet  heute  noch  speziell 
als  zusammenfassender  Name  Bräber  oder  Beräber  an  den 
Stämmen  im  mittleren  und  hohen  Atlas  Mittel -Marokkos.  Von 
ihnen  unterscheidet  man  die  des  Südwestens  als  Schlu  oder 
Schlöh,  die  des  Nordens  als  Amasigen  oder  Amazirghen.  Wie 
im  Altertum  gibt  es  noch  heute  in  Nubien  Berabra.  Das  Somal- 
land  hieß  Barbaria  und  ein  anderes  Berbernland  lag  in  Tro- 
glodytien  zwischen  dem  Nil  und  dem  Roten  Meere  südlich  des 
Hafens  Berenike.  Diese  Namen  deuten  auf  die  ehemalige  Ver- 
breitung der  Berbern  hin.  Auch  Schädelmessungen  der  alten 
Ägypter  zeigen  Übereinstimmung  mit  den  Berbern.  Daß  die 
Guanchen  der  Kanarischen  Inseln  Berbern  waren ,  wird  wohl 
heute  von  niemand  mehr  bezweifelt.  Berberische  Inschriften  sind 
von  Cyrenaika,  das  heute  von  Arabern  bewohnt  ist,  bis  zu  den 
Kanarischen  Inseln  und  tief  in  die  Sahara  hinein  gefunden  worden. 
Das  heutige  Wohngebiet  der  Berbern  reicht  von  den  Oasen 
der  Libyschen  Wüste  bis  an  den  Ozean  und  umfaßt  die  ganze 
westliche  Sahara  bis  zur  Gebirgsoase  von  Air  und  zum  Nigerknie 
bei  Timbuktu  und  bis  zum  Senegal,  der  seinen  Namen  ja  dem 
noch  heute  eine  berberische  Mundart  sprechenden  Berberstamm 
des  Zenaga  verdankt,  die  erst  seit  dem  16.  Jahrhundert  aus  den 
südlichen  Atlastälern  dorthin  ausgewandert  bzw.  verdrängt  worden 
sind.  Alle  die  sog.  maurischen  Stämme,  mit  welchen  die  Fran- 
zosen in  den  letzten  Jahren  vom  Senegal  aus  zusammengestoßen 
sind,  sind  mehr  oder  weniger  reine  Berbern.  Die  Tuareg  der 
westlichen  Sahara,  die  jetzt  auch  als  den  Franzosen  unterworfen 
gelten  können,  sind  wohl  erst  im  Mittelalter  in  die  Wüste  ge- 
drängte Berbern,  die  zu  den  am  wenigsten  vermischten  gerechnet 
werden  müssen.  Unablässig  in  ihrem  an  Hilfsmitteln  so  armen 
Wohnräume  mit  dem  Hunger  kämpfend,  der  sie  zu  Wüsten- 
räubern gemacht  hat,  ist  ihre  Zahl  auch  erstaunlich  gering.  Nach 
neuesten    französischen    Schätzungen    sollen    ihre    beiden    größten 


384      ^Ij  2-  ^e  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

Stämme,  die  Hogar  nur  1200,  die  Asdscher  nur  300  Krieger 
stellen  können.  Ihre  Sprache  ist  rein  von  arabischen  Worten. 
Sie  besitzen  auch  eine  eigene  Schrift,  die  aber  nur  zu  Inschriften 
auf  ihren  Schilden,  auf  Felsen  und  zu  Versen  bei  gelegentlichen 
Festen  dient.  Auch  die  Schaamba  in  der  algerischen  Sahara, 
die  bisher  kaum  bessere  Wüstenräuber  waren,  jetzt  aber  völlig 
unterworfen  sind,  sind  Berbern.  Ebenso  die  Bewohner  der  vor 
kurzem  von  den  Franzosen  unterworfenen  Oasengruppen  von 
Tuat,  Gurara  und  Tidikelt.  Sie  gehören  dem  alten  Berbern- 
stamme der  Zenata  an.  Auch  ihre  Zahl  ist,  als  ein  Ausdruck 
der  Armut  auch  dieses  Gebiets,  nicht,  wie  man  annahm,  400  000, 
sondern  nur  60  000.  Auch  die  Bewohner  der  Oasen  des  Wed 
Rir  sind  berberisch  sprechende  Berbern,  ebenso  die  der  tune- 
sischen Sahara  und  des  ganzen  mit  kleinen  Oasen  besetzten,  im 
Bogen  von  der  Kleinen  Syrte  bei  Gabes  bis  zum  westlichen  Ein- 
gange in  die  Große  Syrte  bei  Misrata  verlaufenden  gebirgsartig 
gegliederten  Steilabsturzes  der  großen  Wüstentafeln  sind  reine 
Berbern.  Ebenso  die  halbnomadischen  Stämme  in  dem  den 
Ozean  begleitenden  Hügellande  südlich  vom  Atlas  bis  zum  Kap 
Juby,  heute  zu  Marokko  gerechnete  Landschaften.  Das  wichtigste 
Wohngebiet  der  Berbern  sind  aber  die  Atlasländer,  obwohl  man 
bis  vor  kurzem  nach  dem  Vorherrschen  der  arabischen  Sprache, 
und  weil  namentlich  die  Franzosen,  die  lange  Zeit  den  ver- 
hängnisvollen Irrtum  begangen  haben,  Araber  und  Berbern  nicht 
unterscheiden  zu  können,  allgemein  nur  von  Arabern  sprachen, 
dort  kaum  etwas  anderes  sah,  als  Araber.  Und  doch  sind  beide 
Völker  im  physischen  Typus  und  geistiger  Eigenart  so  grund- 
verschieden ! 

Die  Zahl  der  wirklichen  Araber  ist  in  ganz  Nordwest-Afrika 
eine  sehr  kleine.  Schon  die  Eroberer  und  Einwanderer  waren 
sowohl  an  und  für  sich  wie  gegenüber  der  berberischen  Bevölke- 
rung, die  sie  vorfanden,  gering  an  Zahl.  Wo  hätten  auch  große 
Menschenmengen,  wirklich  wandernde  Völker,  aus  dem  menschen- 
armen Arabien  herkommen  sollen?  Jahrhundertelang  handelte  es 
sich  nur  um  Kriegsheere,  die  sowohl  an  und  für  sich  wie  nach 
unsern  heutigen  Begriffen  klein  waren  und  ihre  Erfolge  lediglich 
den  Ideen,  deren  Träger  sie  waren,  der  fanatischen  Begeiste- 
rung, die  sie  durchdrang,  aber  auch  der  ohnmächtigen  Zersplitte- 
rung  und  Verkommenheit    verdankten,    die    sie    vorfanden.     Erst 


Die  Berbern  Tunesiens.  ?8<% 

um  1050  n.  Chr.  fand  eine  Einwanderung  in  großem  Maßstabe 
statt,  die  der  mittelarabischen  Wanderstämme  der  Uled  Hilal  und 
Uled  Sole'im,  die  aber  allerhöchstens  250000  Köpfe  betragen  hat. 
Mit  diesen  Wanderhirten  beginnt  erst  die  Verwüstung  des  Landes. 
Sie  verteilte  sich  z,  T.  auch  über  die  Sahara.  Die  Araber  be- 
setzten als  Herdenzüchter  vorzugsweise  die  Ebenen  und  offenen 
Landschaften  und  drängten  die  Berbern  in  die  Gebirge.  Sie 
rückten  allmählich  bis  in  den  äußersten  Westen,  in  die  Ebenen 
des  Atlasvorlandes  von  Marokko,  vor,  wo  noch  heute  arabische 
Stämme,  wie  die  Amar  etwas  südlich  von  Tanger,  die  Khlot  und 
Tliq  zwischen  El  Ksar  und  Larasch,  die  Howara  im  Sus,  die 
Uled  Delim  südlich  vom  Tensift,  sich  so  weit  rein  erhalten  haben, 
daß  man  sie  an  ihrem  physischen  Typus  erkennt,  wenn  sie  auch 
vieles  Berberische  aufgenommen  haben.  Sie  sind  auch  bis  heute 
Nomaden  geblieben  oder  haben  sich  höchstens  unter  dem  Ein- 
flüsse der  günstigeren  Landesnatur  zu  Halbnomaden  aufge- 
schwungen. Wie  groß  heute  die  Zahl  der  wirklichen  Araber  in 
den  Atlasländern  ist,  ist  sehr  schwer  zu  sagen.  In  Tunesien  hat 
sie  neuerdings  Hamy  unter  etwa  i1/^  Millionen  Einwohnern  auf 
60000  geschätzt.  Die  Stämme  der  Hamema  in  Süd-Tunesien, 
in  der  Umgebung  von  Gafsa,  die  Riah  zwischen  Ed  Djem  und 
Medjez  el  Bab  sind  Araber.  Gerade  in  Tunesien,  das  vorwiegend 
offenes,  leicht  zugängliches  Land  ist,  konnte  die  Vermischung 
beider  Rassen  und  die  Arabisierung  der  Berbern  am  raschesten 
fortschreiten,  wenn  auch  das  berberische  Element  ethnisch  heute 
bei  weitem  überwiegt,  obwohl  tatsächlich,  neben  den  Bewohnern 
der  Insel  Djerba  und  der  Berge  des  südtunesischen  Arad,  nur 
noch  einige  Dörfer  Nord-Tunesiens  auf  dem  Gebiet  des  bei  der 
Besetzung  durch  die  Franzosen  so  viel  genannten  Großgrund- 
besitzes der  Enfida  nordwestlich  von  Susa  an  der  Ostküste 
(Tacrüna,  Djerada,  Zriba)  die  berberische  Sprache  bewahrt 
haben.  Ihre  Mundart  ist  der  der  Schauia  des  Auresgebirges 
ähnlich.  Aber  der  physische  Typus  der  Mehrzahl  der  Be- 
wohner, die  Sitten  sind  noch  dieselben,  wie  sie  uns  Sallust 
und  Pomponius  Mela  beschreiben.  Die  Gurbi  (Reisighütten)  sind 
Sallusts  Mapalia.  In  Algerien,  wo  die  Franzosen  es  unter- 
lassen haben,  das  Zahlenverhältnis  zwischen  Arabern  und  Berbern 
klarzustellen,  auch  nachdem  sie  beide  zu  unterscheiden  gelernt 
hatten,    hat  ein  Kenner  behauptet,    daß  ihre,    der  Araber,    Zahl 

Fischer,  Mittelmecrbilder.    Neue  Folge.  25 


386      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

so  gering  sei,  daß  sie  in  nicht  ferner  Zeit  ganz  verschwinden 
würden.  Ähnliches  gilt  von  Marokko.  Nur  wird  diese  Tatsache 
weniger  hervortreten,  weil  viele  Berberstämme  so  weit  arabisiert 
sind,  daß  sie  nicht  nur  ihre  Sprache  aufgegeben  und  vielfach 
arabische  Sitten  angenommen  haben ,  sondern  sich  selbst  für 
Araber  halten  und  ausgeben.  Das  beobachtete  ich  bei  dem 
mitteltunesischen  halbnomadischen  Stamme  der  Freschisch,  der 
Nachkommen  der  Frexes,  die  seit  zweitausend  Jahren  die  gleichen 
Wohnsitze  haben,  und  in  deren  Zeltlagern  ich  1886  gastfreund- 
liche Aufnahme  fand.  Auch  ihre  Nachbarn,  die  Madjer,  die 
Matmata  und  die  Urghemma,  eigentlich  ein  Bund  von  Stämmen, 
weiter  nach  der  Sahara  hin  sind  Berbern.  Sehr  rein  scheinen 
sich  die  Bewohner  der  Kerkenah- Inseln  und  von  Djerba  er- 
halten zu  haben.  Letztere  sprechen  unter  sich  nur  Berberisch. 
Auch  die  vielgenannten  Krumir  und  die  Mogod  im  Gebirge 
am  Nordrande  Tunesiens  sind  Berbern.  Jene  zählen  freilich 
nur  6500,  diese  5900  Köpfe.  Selbst  die  wegen  ihrer  wilden 
Freiheitsliebe  bekannten  Rhiata,  die  Wächter  des  wichtigen 
Verkehrswegs ,  welcher  auf  der  geologischen  und  orographi- 
schen  Grenze  zwischen  dem  Rifgebirge  und  dem  marokka- 
nischen Atlas  von  Fez  nach  Osten  das  Stromgebiet  der  Muluja 
mit  dem  Atlasvorlande  von  Marokko  verbindet,  sehen  sich  für 
Araber  an,  obwohl  sie  reine,  typische  Berbern  sind  und  z.  T. 
noch  Tamazirt  sprechen.  Wie  sich  diese  Arabisierung  vollzieht, 
kann  man  in  der  Umgebung  von  Tanger  recht  gut  beobachten. 
Die  ganze  Umgebung  von  Tanger,  alle  Dörfer  im  Angesicht  der 
Stadt,  ist  von  der  Regierung  in  den  letzten  100 — 200  Jahren 
mit  Militärkolonien  besiedelt  worden,  die  aus  dem  Rifgebiet 
stammen  und  fast  alle  noch  ihre  dortige  Zugehörigkeit  kennen. 
Sie  bilden  jetzt  einen  neuen  Stamm,  die  Fah^ya.  Dadurch,  daß 
sie  wirtschaftlich  ganz  von  Tanger  abhängig  sind,  zu  dessen 
Schutze  sie  angesiedelt  sind,  nehmen  sie  mehr  und  mehr  arabische 
Sprache  an,  nur  die  Dörfer  am  Südhange  des  kleinen  Tafel- 
rückengebirges westlich  von  Tanger,  auf  dessen  Westende  der 
Leuchtturm  des  Kap  Spartel  steht,  des  Djebel  el  Kebir,  in  Tanger 
meist  spanisch  Monte  genannt,  sprechen  noch  Berberisch,  da  sie 
etwas  abseits  liegen.  Aber  die  Bauart  der  Dörfer,  die  Sitten 
und  Einrichtungen,  der  physische  Typus  der  Leute,  unter  welchen 
sich  viele  mit  braunen  oder  blonden  Haaren   und  blauen  Augen 


Die  Arabisierung  der  Berbern.  ^87 

finden,  ist  ganz  berberisch.  Die  Marktleute,  welche  die  Be- 
sucher von  Tanger  sehen  und  für  „Araber"  halten,  sind  ganz 
reine  Berbern.  Wenn  man  einen  dieser  Bauern  wie  einen  deut- 
schen Bauern  kleidete,  niemand  würde  zweifeln,  einen  solchen 
vor  sich  zu  haben.  Naturgemäß  sind  so  auch  der  Bevölkerung 
von  Tanger  viele  berberische  Elemente  beigemischt.  Auch  die 
Stämme ,  welche  das  Hinterland  der  jetzt  so  viel  genannten 
Küstenstädte  Marokkos  am  Ozean  bewohnen,  sind  alle  mehr  oder 
weniger  reine  Berbern  und  z.  T.  Halbnomaden.  So  die  Schauia 
um  Casablanca,  die  Dukkala  um  Masagan,  die  Schedma  um 
Mogador,  die  Semmur  und  Zair  um  Rabat,  die  Beni  Ahsen  am 
unteren  Sebu;  weiter  ins  Gebirge  hinein  die  Zaian,  Geruan,  Beni 
Mgild,  Beni  Mtir,  Beni  Uarain,  welche  de  Segonzac  die  häß- 
lichsten unter  allen  Berbern  nennt,  die  Ait  Yussi  u.  a.  Einzelne 
dieser  Stämme  steigen  im  Sommer  mit  ihren  Herden  höher  und 
tiefer  ins  Gebirge  hinein,  sind  so  sehr  beweglich  und  schwer  zu 
fassen.  Sie  vermögen  jedem  überlegenen  Feinde,  wie  die  Sultans- 
heere so  oft  erfahren  haben,  auszuweichen  und  ihm  an  geeigneten 
Stellen  ungeheure  Verluste  beizubringen.  Ait  (Söhne)  ist  die  echt 
berberische  in  Mittel-  und  Südwest  -  Marokko  noch  herrschende 
Stammesbezeichnung,  während  im  Norden  das  arabische  Beni,  im 
Osten  Uled  vorherrscht. 

In  Algerien  haben  die  Franzosen  ganz  außerordentlich  zur 
sprachlichen  Arabisierung  der  Berbern  beigetragen,  indem  sie  alle 
Eingeborenen  jahrzehntelang  für  Araber  hielten  und  ihnen  durch 
die  Verwaltung,  Gericht,  Pflege  des  Islam  usw.  geradezu  die 
arabische  Sprache  aufdrängten.  Noch  1859  schätzte  der  gründ- 
liche Kenner  der  Berbern,  Hanoteau,  die  Zahl  der  Berbern  in 
Algerien  auf  850000,  also  die  damalige  Mehrzahl  der  eingeborenen 
Bevölkerung,  während  er  nur  1/6  den  wirklichen  Arabern  zu- 
rechnete. Dagegen  ist  heute  die  berberische  Sprache  fast  auf 
die  Gebirge,  den  Dj.  Djurdjura  und  den  Dj.  Aures  beschränkt, 
aber  von  einer  Französisierung  der  Berbern  noch  keine  Spur 
vorhanden.  Von  Marokko  sagt  ein  Kenner  wie  der  Marquis  de 
Segonzac,  daß  es  wirkliche  Araber  dort  nicht  mehr  gebe.  Man 
darf  aber  nicht  annehmen,  daß  sich  die  Anähnlichung  beider 
grundverschiedener  Völker  stets  friedlich  vollzogen  habe.  Im 
Gegenteil,  wir  haben  wohl  die  ewigen  Fehden  und  Bürgerkriege 
beispielsweise  selbst  unter  den  „Arabern"  in  Sizilien  vielfach  auf 

25* 


388      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

Rassenhaß  zurückzuführen.  Selbst  in  Marokko  hat  sich  die 
Herrschaft  der  heute  dort  herrschenden  arabischen  Schürfa  von 
Tafilalet  stets  nur  auf  die  arabischen  und  arabisierten  Stämme 
erstreckt.  Es  wird  behauptet,  daß  die  Arabisierung  bei  den 
sonst  sittenstrengen  Berbern  auch  stets  einen  Verfall  der  Sitten 
hervorrufe.  Namentlich  wird  die  ganz  auffällige  Sittenlosigkeit 
der  Djebala,  der  Gebirgsstämme  des  westlichen  Rifgebietes,  also 
südöstlich  von  Tanger,  deren  Wohngebiet  heute  allein  in  ganz 
Marokko  fast  noch  unerforscht  ist,  auf  die  Arabisierung  zurück- 
geführt. 

Die  Berbern  sind  eine  körperlich  außerordentlich  kräftige 
und  leistungsfähige  Rasse,  schlank,  von  etwas  über  Mittelgröße, 
muskulös,  aber  ohne  Neigung  zur  Fettbildung,  die  nur  bei  den 
jungen  Mädchen  einzelner  Stämme  künstlich  gefördert  wird.  Im 
Ertragen  von  körperlichen  Anstrengungen  und  Entbehrungen,  in 
Witterungsunbilden  in  Hitze  und  Kälte  leisten  sie  Erstaunliches, 
ganz  besonders  sind  sie  hervorragende  Fußgänger.  Die  berbe- 
rischen Eilboten,  welche  die  deutsche  Post  in  Marokko  befördern, 
legen  unglaubliche  Strecken  zurück,  bis  zu  120  km  in  24  Stunden. 
Wenn  meine  mich  zu  Fuß  begleitenden  Leute  40 — 45  km  mar- 
schiert waren,  barhäuptig  und  mit  glatt  geschorenem  Schädel  bei 
gelegentlich  bis  7 2°  C  in  der  Sonne,  zeigten  sie  keine  Spur  von 
Ermüdung.  In  welchem  Maße  sie,  im  grellsten  Gegensatz  zu 
dem  trägen  Araber,  Körperübungen  lieben,  sieht  man  daraus,  daß 
Ballspiele  bei  ihnen  sehr  beliebt  sind,  ja  allenthalben  wie  bei 
uns  Sportgesellschaften   bestehen,    für   Schießen,    Fechten   u.  dgl. 

Der  kriegerische  Sinn  der  Berbern  äußert  sich  auch  in  den 
ewigen  Räubereien  und  den  Stammesfehden  der  Stämme  unter- 
einander. Diese  Räubereien  haben  zuweilen  einen  ritterlichen 
Anstrich.  Der  schon  länger  bestehende  stetig  wachsende  Haß, 
dessen  sich  die  Franzosen  erfreuen,  bestimmte  vor  einigen  Jahren 
eine  Gruppe  von  Angehörigen  des  Stammes  der  Za'ir,  einem  von 
Casablanca  nach  Rabat  reisenden  Franzosen  die  Pferde  zu  stehlen. 
Um  dies  zu  können,  mußten  sie,  da  derselbe  in  einer  von  hohen 
Mauern  umschlossenen  Kasba  übernachtete,  ein  Loch  in  die 
Mauer  brechen,  die  Pferde  fesseln  und  durch  das  Loch  ziehen. 
Als  sie  am  andern  Tage  entdeckten,  daß  die  Pferde  einem 
Deutschen  gehörten,  gaben  sie  sie  zurück.  Bei  denselben  Za'ir 
gilt    es    als    höchster  Sport    dem    Sultan,    wenn    er    in    der   Nähe 


Physischer  Typus  der  Berbern.  28g 

ihres  Gebietes  inmitten  seines  Heeres  lagert,  Wertgegenstände 
aus  seinem  Harem  zu  stehlen.  Zu  diesem  Zweck  gleiten  sie  wie 
Schlangen  völlig  nackt  unter  den  Zeltdecken  durch. 

Die  ewigen  Stammesfehden  werden  in  Marokko  geflissentlich 
von  der  väterlichen  Regierung  unterhalten,  um  alle  zu  schwächen 
und  zu  beherrschen.  Man  übergibt  einen  Stamm,  dem  man  nicht 
wohlwill,  einem  oder  mehreren  andern  zum  „Aufessen".  Da 
diese  dies  Geschäft  so  gründlich  wie  möglich  unter  Verübung 
der  größten  Scheußlichkeiten  ausführen,  so  ist  auf  lange  Zeit  für 
unversöhnlichen  Haß  gesorgt.  Der  Gegensatz  zwischen  den  durch- 
aus landbewohnenden  bäurischen,  kriegerischen  Berbern  und  den 
verweichlichten  maurischen  Städtebewohnern  ist  zugleich  ein 
ethnischer  und  vielleicht  noch  größer  als  zwischen  einem  biederen 
deutschen  Bauern  und  einem  sozialdemokratisch  verseuchten 
Großstadtarbeiter.  Das  erklärt,  mit  welchem  Behagen  bei  sich 
bietenden  Gelegenheiten  die  Küstenstädte  ausgeplündert  werden. 

Die  Berbern  besitzen  alle  körperlichen  und  Charaktereigen- 
schaften, um  ausgezeichnete  Soldaten  zu  werden:  hochgradige 
persönliche  Tapferkeit  und  Todesverachtung,  Nüchternheit;  und 
die  Franzosen  würden  sie  schon  lange  im  großen  ins  Heer  ein- 
gereiht haben,  wenn  sie  nicht  guten  Grund  zu  der  Annahme 
hätten,  daß  sie  sich  damit  nur  ein  feindliches  Heer  großzögen, 
sie  begnügen  sich  daher  mit  einigen  tausend  Mann.  Namentlich 
bilden  Berbern  den  Grundstock  der  Tirailleur-Regimenter.  Doch 
ist  zu  beachten,  daß  diese  körperlichen  Eigenschaften,  wie  die 
erstaunliche  Langlebigkeit,  die  schon  von  den  römisch-berberischen 
Inschriften  im  östlichen  Atlasgebiete  bezeugt  wird,  gewiß  z.  T. 
darauf  zurückzuführen  sind,  daß  nur  ganz  kräftige  Individuen  bei 
der  geringen  Pflege  der  Kinder  erhalten  bleiben.  Die  rasche 
Heilung  von  Wunden  hängt  auch  damit,  wie  mit  der  genügsamen 
Lebensweise  zusammen.  Die  Hautfarbe  der  Berbern  ist  eine 
leichte  Bräunung,  wie  bei  Südeuropäern,  das  Haar  ist  vorwiegend 
braun,  aber  auch  häufig  blond  und  die  Augen  blau,  das  Gesicht 
offen  und  frei,  intelligent,  das  Auge  lebhaft.  Die  Beni  Mgild 
des  mittleren  Atlas  von  Marokko  bezeichnet  de  Segonzac  als 
rötlich  blond,  auch  die  benachbarten  A'it  Aiach,  die  noch  Tama- 
zirt  sprechen,  aber  auch  meist  Arabisch  verstehen,  bezeichnet  er 
als  vorwiegend  blond  und  blauäugig,  wie  wir  auch  die  Fahcya 
um  Tanger  schon  als  meist  braun  oder  blond  mit  blauen  Augen 


3QO     VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

kennen  lernten.  Ch.  Tissot  stellt  fest,  daß  das  blonde  Element 
unter  den  Berbern  des  marokkanischen  Atlas,  wo  diese  sich 
überhaupt  am  reinsten  erhalten  haben,  am  häufigsten  sei.  Min- 
destens Y3  aller  Individuen  sei  dort  blond.  So  sei  es  auch  bei 
den  Berbern  des  Djurdjura  und  des  Auresgebirges  in  Algerien. 
Von  den  Schauia,  den  Bewohnern  dieses  letzteren  Gebirges  sagt 
Oberst  Lartique,  der  gründliche  Erforscher  derselben,  daß  sie 
weiß  von  Hautfarbe  seien,  weißer  als  die  Araber,  wenn  auch 
von  der  Sonne  gebräunt  und  außerordentlich  abgehärtet.  Ihr 
physischer  Typus  sei  ganz  der  der  Kabylen  des  Djurdjura,  sie 
seien  ganz  europäerähnlich,  meist  schwarzhaarig,  aber  auch 
viele  blond.  Sie  seien  sehnig  und  mager,  die  mittlere  Körper- 
höhe beträgt  1,75  m.  Auf  der  südtunesischen  Insel  Djerba 
wurde  diese  zu  nur  1,64  m  festgestellt,  bei  den  Krumir  zu 
1,67  m.  Der  deutsche  Arzt  und  Naturforscher  Kobelt  stellte 
fest,  daß  bei  Miliana  westlich  von  Algier  die  Hälfte  der 
Kinder  blondes  Haar  und  blaue  Augen  hatten  und  auch 
unter  den  Erwachsenen  auffallend  viele  Blonde  oder  ganz 
Hellbraune  waren.  Auch  die  Berbern  von  Djerba  sind  blond 
oder  kastanienbraun.  Das  wird  schon  in  der  ältesten  uns 
erhaltenen  Segelanweisung  für  das  Mittelmeer,  dem  Stadias- 
mos  aus  der  zweiten  Hälfte  des  dritten  nachchristlichen  Jahr- 
hunderts, hervorgehoben,  wo  diese  Berbern  als  blond  und  sehr 
schön  bezeichnet  werden.  Doch  fand  Dr.  Collignon  nur  15% 
lichte  Typen  auf  Djerba,  bei  den  Krumir  19%-  Ein  Grieche 
aus  Kyrene,  der  berühmte  Dichter  Kallimachos  im  dritten  vor- 
christlichen Jahrhundert,  hebt  das  auch  von  den  Eingeborenen 
von  Kyrene  hervor,  wie  auch  auf  den  ägyptischen  Denkmälern 
die  Libu  und  Tamahu  mit  europäischen  Zügen  und  blondem 
Haar  dargestellt  sind.  Auf  den  Kanarischen  Inseln  fanden  die 
Spanier  einen  blonden  und  einen  braunen  Typus. 

Rasche  Fassungskraft,  namentlich  für  praktische  Dinge,  und 
große  Arbeitsamkeit  kennzeichnet,  recht  im  Gegensatz  zu  den 
Arabern,  die  Berbern.  Berberische  Taschenspieler,  oft  von  un- 
glaublicher Gewandtheit,  durchziehen  die  Welt,  und  man  kennt 
sie  auch  in  Deutschland,  wo  einzelne  dieser  intelligenten  Leute 
mit  großem  wissenschaftlichen  Erfolge  zum  Studium  ihrer  Sprache, 
besonders  der  Schilha- Mundart,  der  Sprache  der  im  Südwesten 
abgelegen  wohnenden  Schluh  verwendet  worden  sind.    Der  Berber 


Landwirtschaftliche  Betriebsamkeit  der  Berbern. 


391 


ist  leidenschaftlich  und  beweglich,  dabei  aber  ernst,  ja  traurig. 
Er  besitzt,  wie  ich  vielfach  selbst  habe  feststellen  können,  per- 
sönlichen Stolz  und  erträgt  schlechte,  verächtliche  Behandlung 
nicht,  was  viele  Europäer  nicht  beachten.  Der  Berber  hält  sein 
Wort!  Hoch  entwickelt  ist  der  Erwerbsinn,  und  ebenso  einfach 
ist  seine  Nahrung  und  Hauswirtschaft  bei  großer  Bedürfnislosig- 
keit. Auch  der  Reiche  trägt  denselben  schmutzigen  und  zer- 
fetzten Burnus  wie  der  Arme.  Der  Berber  kennt  und  schätzt 
persönliches  Eigentum.  Viele  Berbern  Süd -Tunesiens  wandern 
nach  Tunis,  viele  Gebirgs-  und  Oasenbewohner  Algeriens  nach 
Algier  und  in  andere  Küstenstädte,  um  eine  kleine  Summe  zu 
ersparen,  mit  welcher  sie  dann  in  die  Heimat,  an  der  sie  un- 
verbrüchlich hängen,  ein  Stück  Land  und  ein  Häuschen,  die 
Sehnsucht  jedes  Berbern,  erwerben.  Aus  Marokko  wandern  oder 
wanderten  alljährlich  Tausende  von  Berbern  —  ich  bin  selbst 
gelegentlich  längere  Zeit  im  Innern  des  Atlasvorlandes  von 
Marokko  mit  solchen  Gruppen  gereist,  um  ihre  Anschauungen 
und  Erfahrungen  kennen  zu  lernen  —  nach  Algerien,  um  als 
Eisenbahnarbeiter,  auch  bei  der  Ernte,  bei  Hafenbauten,  in  Berg- 
werken u.  dgl.  Geld  zu  verdienen.  Ob  das,  was  sie  da  sehen, 
wirklich  der  Verbreitung  der  französischen  Herrschaft  günstig  ist, 
wie  die  Franzosen  annehmen,  ist  mir  sehr  zweifelhaft.  Die 
Berbern  sind  eifrige  Ackerbauer  und  Baumzüchter.  In  den  Ge- 
birgen haben  sie  überall,  um  dem  kostbaren  Boden  bei  relativer 
örtlich  vorkommender  Übervölkerung  —  in  Djurdjura  wohnen 
fast  100  Menschen  auf  1  qkm  —  möglichst  auszunutzen,  die 
Hänge  terrassiert  und  künstlich  bewässert  und  gedüngt.  Jedes 
Fleckchen  Erde  wird  ausgenutzt.  Sie  haben  so  manche  Gebirge 
in  wahre  Gartenlandschaften  verwandelt,  wie  die  Hänge  und 
Täler  des  Serhun,  des  heiligen  Gebirges  bei  Fez,  die  Hänge  des 
Atlas  bei  Dernnat  und  ähnlich  im  Djurdjura  und  Aures  Algeriens. 
In  ersterem  Gebirge  spielt  neben  dem  Ölbaum  der  Feigenbaum, 
welche  wesentlich  zur  Ernährung  beitragen  und  durch  Verkauf 
der  Erzeugnisse  Bargeld  liefern,  in  letzteren  der  Aprikosenbaum 
die  Hauptrolle.  Wie  kostbar  dies  den  Felsen  abgerungene  be- 
wässerte Gartenland  in  dem  verhältnismäßig  dicht  bevölkerten 
Gebirge  werden  kann ,  zeigt ,  daß  man  im  Auresgebirge  bis 
16000  Franken  für  den  Hektar  zahlt.  Die  Insel  Djerba  ist  ein 
einziger  großer  Garten  und   Fruchthain. 


392      ^*>  2'  ^ie  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

Staunenswert  ist  auch,  wie  die  Berbern  die  trocknen,  felsigen, 
aber  natürliche  Sicherheit  bietenden  Gebirge  Süd -Tunesiens, 
namentlich  der  Landschaft  Arad  südlich  von  Gabes,  und  in 
Tripolitanien  dem  Anbau  zu  gewinnen  verstanden  haben.  Die 
Bienenzucht  wird  namentlich  auch  eifrig  von  ihnen  betrieben  und 
Wachs  gehört  daher  zu  den  Ausfuhrgegenständen  Süd-Marokkos. 

Neigung  zur  Seßhaftigkeit  und  Landbau  scheint  allen  Berbern 
derartig  eigen  zu  sein,  daß  man  annehmen  möchte,  daß  die- 
jenigen Stämme,  welche  Halbnomaden  oder  Nomaden  sind,  dies 
erst  aus  Not  geworden  sind.  Auch  geschickte  Handwerker  sind 
die  Berbern,  Maurer,  Schreiner,  Weber,  Töpfer  u.  dgl.  Noch 
heute  blüht  Töpferei  und  Wollenweberei  auf  Djerba,  und  die 
Leute  von  Djerba  haben  in  Tunis  fast  allein  den  Handel  mit 
Wollstoffen  in  der  Hand.  Anderwärts  wird  Gerberei,  Färberei, 
Seifensiederei,  Lederverarbeitung  u.  dgl.  betrieben.  Die  Mozabiten 
sind  äußerst  geschickte  Kaufleute. 

In  sittlicher  Hinsicht  scheinen  die  Berbern  große  Gegen- 
sätze aufzuweisen.  Ein  Kenner  faßt  sein  Urteil  scharf  in  dem 
Satze  zusammen:  reine  Berbern  haben  reine  Sitten.  Namentlich 
wird  den  Gebirgsberbern  des  Rif  und  den  Bräber,  den  unberührte- 
sten unter  allen,  Sittenstrenge  nachgerühmt.  Leider  werden  uns 
aber  von  vielen  Stämmen  lose  Sitten  bezeugt,  und  dies  reicht, 
wenigstens  bei  den  Oasenbewohnern  der  großen  Wüste,  weit 
zurück.  Es  mag  die  Sitte,  die  eigenen  Frauen  und  Töchter  den 
Karawanen  darzubieten,  mit  den  furchtbaren  Entbehrungen  der 
Wüstenreisen,  ähnlich  wie  bei  großen  Seereisen  und  Seeleuten 
zusammenhängen,  wie  ja  vielfach,  namentlich  früher,  die  großen 
Karawanen  in  den  Oasen  festlich  empfangen  wurden.  Haben 
die  Berbern  auch  meist  nur  eine  Frau,  so  wechseln  sie  dieselben, 
bei  der  Leichtigkeit  der  Scheidung  im  Islam,  häufig.  Den  Be- 
suchern von  Biskra  sind  die  Töchter  des  benachbarten  Berbern- 
stammes der  Uled  Nayl  bekannt,  die  sich  dort  als  Tänzerinnen 
und  öffentliche  Dirnen  Geld  erwerben  und  dann  daheim  um  so 
mehr  zu  Frauen  begehrt  werden.  Auch  von  den  Frauen  der 
Schauia  im  Auresgebirge  sagt  Oberst  Lartique,  daß  es  dort  kaum 
Frauen  gibt,  die  sich  nicht  gegen  Geld  hingeben.  Das  Dorf 
Menaä  des  Abdi-Tales,  das  reichste  im  ganzen  Gebirge,  ist  durch 
die  allgemeine  Prostitution  seiner  Frauen  bekannt,  die  viele 
Männer  ringsum  anzieht,    obwohl    diese  Gebirgsberbern  in  dieser 


Kalender  der  Berbern. 


393 


Hinsicht  alle  nicht  streng  sind.  Noch  weit  übler  scheint  es  mit 
den  arabisierten  Djebala  zu  stehen,  bei  denen  zwar  Ehebrechern 
die  Augen  mit  glühenden  Eisen  ausgestochen,  die  Ehebreche- 
rinnen mit  Knütteln  totgeschlagen  werden,  daneben  aber  öffent- 
liche Dirnen  in  Menge  vorkommen  und  auch  das  Laster  der 
Sodomie  im  Schwünge  ist.  Die  Frauen  werden  gekauft.  Doch 
ist  bei  vielen  Stämmen  die  Stellung  derselben  eine  viel  freiere 
als  bei  den  Arabern,  was  sich  schon  daraus  ergibt,  daß  sie  un- 
verschleiert  gehen. 

Dem  Islam  sind  die  Berbern  sämtlich  gewonnen,  doch  ist 
derselbe  erst  im  16.  Jahrhundert  allgemein  durchgedrungen  und 
wird  meist  nur  äußerlich  befolgt.  Selten  tragen  sie  religiösen 
Fanatismus  zur  Schau,  am  wenigsten  die  tunesischen;  die  oben- 
genannten Djebala  trinken  Wein,  den  sie  sowohl  selbst  keltern, 
wie  von  Juden  und  Christen  kaufen,  so  daß  Trunkenheit  bei 
ihnen  nicht  selten  ist.  Auch  rauchen  sie  unmäßig  Kif  und  essen 
Wildschwein.  Heilige  und  ihre  Grabstätten,  bald  kleine  würfel- 
förmige Kuppelbauten,  Marabut  oder  Kubba  genannt,  bald  auch 
moscheeähnliche  Bauwerke,  stets  sorgsam  in  weißem  Kalkanstrich 
gehalten  und  darum  weithin  sichtbar,  genießen  namentlich  in 
Marokko  besondere  Verehrung  und  sind  außerordentlich  häufig, 
während  Moscheen  selten  sind.  Sherifen-Familien,  die  als  Nach- 
kommen des  Propheten  und  als  solche  als  heilig  gelten  und  be- 
sondere Vorrechte  genießen,  oft  ganze  Dörfer,  sind  häufig.  Sie 
mußten  als  solche  natürlich  Araber  sein.  Zuweilen  gelingt  es 
besonders  angesehenen  Sherifen,  unter  den  durch  Blutrache,  die 
bei  den  Gebirgsberbern  noch  häufig  vorkommt,  verfeindeten 
Stämmen  Frieden  zu  stiften  und  als  schützende  Geleiter  über- 
haupt das  Reisen  in  feindlichen  Gebieten  zu  ermöglichen.  Nur 
von  solchen  Sherifendörfern  habe  ich  Unfreundlichkeiten  erfahren. 
So  schmutzig  und  verkommen  diese  Heiligen  zu  sein  pflegen, 
der  Christ  durfte  nicht  einmal  in  ihrer  Nähe  lagern,  weil  er  sie 
beschmutzte.  Religiöse  Orden  und  Sekten  spielen  auch  politisch 
eine  große  Rolle,  wie  in  der  Gegenwart  die  des  Ma-el-Ainin  in 
Süd-Marokko.  Vom  Islam  haben  die  Berbern  die  arabische 
Jahreseinteilung  angenommen,  aber  nur  bei  allen  politischen, 
bürgerlichen,  religiösen  Akten,  während  für  die  Abschnitte  des 
landwirtschaftlichen  Jahres  die  römisch-christliche  noch  in  Geltung 
ist.     So  fällt,   da  der  Unterschied  jetzt  auf  13  Tage  angewachsen 


3Q4      VI»  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

ist,  das  große  landwirtschaftliche  Fest  Ansera  um  die  Sommer- 
sonnenwende 13  Tage  nach  Johanni.  Der  landwirtschaftliche 
Kalender  der  marokkanischen  Berbern  und  so  selbst  der  Fah^ya 
vor  den  Toren  von  Tanger,  hat  folgende  Monate:  Jenair,  Febra'ir, 
Mars,  Ebril,  Maio,  Junio,  Juliuz,  Aghocht  oder  Ghocht,  Chutembir, 
Octuber,  Nuambir,  Dudjambir.  Selbst  die  Tuareg  der  Wüste 
haben  diese  Zeitrechnung  noch.  Die  Schauia  des  Auresgebirges, 
die  noch  manche  altertümliche,  ursprünglich  christliche  Sitten  er- 
halten haben,  feiern  noch  das  Weihnachtsfest  unter  dem  Namen 
Bu  Ini.  Der  erste  Tag  des  Jahres  wird  allgemein  Junär  (Januar) 
genannt,  alle  Kleider  werden  gewaschen,  alle  im  Gebrauch  be- 
findlichen Gegenstände  geändert  und  die  Neujahrsnacht  durch 
ein  Mahl  gefeiert,  bei  welchem  Fleisch  und  Eier  gegessen  werden. 
Sechs  Wochen  später,  wo  dort  der  Frühling  beginnt,  feiern  die 
Leute  von  Menaä  ein  ländliches  Fest,  wo  man  sich  unter  Flöten- 
klang ins  Gebirge  begibt  und  mit  grünen  Zweigen  und  Kräutern 
zurückkehrt.  Unter  den  bei  den  Berbern  verbreiteten  mohammeda- 
nischen Sekten  verdient  die  der  Uabhiten  (nicht  Wahabiten)  Er- 
wähnung, die  Nachkommen  der  mittelalterlichen  Karedjiten,  welcher 
die  Mozabiten  im  südlichen  Algerien,  die  erst  im  Mittelalter  aus 
der  Gegend  der  Kleinen  Syrte  dorthin  verdrängt  wurden,  und  die 
Bewohner  von  Djerba  angehören,  die  sich  ihre  Sprache  und 
Eigenart  wesentlich  dadurch  bewahrt  haben,  daß  sie  sich  als  Sekte 
stets  sorgsam  gegen  andere  Mohammedaner  abschlössen. 

Die  Berbern  sind  ein  durch  und  durch  demokratisches  Volk, 
namentlich  die  Gebirgsberbern,  und  auch  dadurch  von  den  Arabern 
grundverschieden.  Die  Djemaä,  die  Gemeindeversammlung  der 
älteren  angesehenen  Männer  des  Dorfes  oder  des  Stammes,  der 
Ausdruck  ihrer  altüberlieferten  Selbstverwaltung,  leitet  die  An- 
gelegenheiten. Jedes  Dorf  hat  ein  Gemeindehaus,  Be'it-es-Corfa, 
das  auch  vielfach,  wie  bei  den  Djebala,  zur  Aufbewahrung  der 
Waffen  und  des  Schießpulvers  dient.  Im  Djurdjura  ist  das  Ge- 
meindehaus meist  ein  einfacher  Steinbau  mit  Steinbänken  im 
Innern,  am  Eingange  des  Dorfes.  Das  Bewußtsein  der  Zusammen- 
gehörigkeit geht  selten  über  den  Stamm  hinaus.  Doch  gibt  es 
zahlreiche  Konföderationen,  die  in  etwas  den  ewigen  Fehden 
der  Stämme  untereinander  steuerten.  Soweit  die  französische 
Herrschaft  reicht,  sind  diese  jetzt  beseitigt.  Das  hat  aber  neben 
dem    erleichterten  Verkehr    und    den   weit  verbreiteten  religiösen 


Die  Siedelungen  der  Berbern.  ige 

Orden,  die  über  weite  Räume  verstreuten  Stämme  miteinander 
bekannt  gemacht  und  mehr  und  mehr  das  Verständnis  für 
nationale  Zusammengehörigkeit  geweckt  und  vertieft.  Das  wird 
bei  künftigen  Aufständen  schwer  ins  Gewicht  fallen. 

Eigenartig,  dem  kriegerischen  Charakter  des  Berbernvolkes, 
der  herrschenden  Unsicherheit,  aber  auch  den  topographischen 
Verhältnissen  angepaßt  sind  die  Siedelungen  der  Berbern.  Sie 
sind  alle  klein,  Dorfsiedelungen  Dchar,  plur-Dchur,  Ksar,  plur- 
Ksur,  auch  Dechera  genannt,  wie  es  einer  im  wesentlichen  acker- 
bauenden Bevölkerung  entspricht.  Nur  in  den  Oasen  und  ein- 
zelnen weiteren,  wasserreichen  Tälern  findet  man  größere  stadt- 
ähnliche Siedelungen.  Aber  alle  Siedelungen  sind  geschlossene, 
fest ungs artig,  an  Hängen  oder  auf  Höhen  gelegen,  beherrschend, 
weithin  sichtbar.  Meist  sind  die  kleinen,  niederen  Steinhäuser 
derartig  im  Kreise  gebaut,  daß  ihre  aneinanderstoßenden  Rück- 
wände zugleich  die  Umfassungsmauer  der  kleinen  Festung  bilden, 
in  welche  ein  einziges  Tor  hineinführt.  Selbst  die  verhältnis- 
mäßig neuen  Dörfer  der  Fahcya  um  Tanger  weisen  diese  Lage 
und  Bauart  auf.  Sie  bestehen  aus  lauter  kleinen,  hochgelegenen 
Siedelungen,  aus  kleinen  strohgedeckten  Häusern  oder  Hütten 
(Gurbi),  deren  meist  drei  einen  umzäunten  Hof  bilden,  das  ganze 
Dorf  rund  oder  viereckig  von  den  Rückseiten  der  Häuser  oder 
von  dichten,  undurchdringlichen  Opuntienhecken  umschlossen. 
Ähnlich  ist  es  bei  den  berberischen  Bergnestern  Mittel-Tunesiens, 
von  Bargu  und  Kessera.  Auf  dem  Platze  im  Innern  steht  bei 
dem  Fahcya  meist  das  einstöckige,  weiß  getünchte  Haus  des 
Moqaddem,  des  Dorfschulzen,  meist  des  wohlhabendsten  Mannes. 
Vor  demselben,  im  Schatten  eines  Baumes,  wird  die  Djemaä,  die 
Ratsversammlung,  abgehalten.  Auch  die  Moschee,  meist  nur 
eine  Hütte,  in  welcher  Schule  gehalten  wird,  liegt,  wenn  vor- 
handen, hier.  Sie  dient  nur  als  Nachtquartier  für  rechtgläubige 
Gäste.  Auch  in  Süd-Marokko  fand  ich  in  der  Ebene  die  Berbern- 
dörfer im  Kreise  gebaut  und  von  einem  undurchdringlichen  Wall 
von  Dornen  (Zizyphus  Lotus  L.)  verschanzt,  welcher  nur  einen, 
des  Nachts  auch  mit  Dornen  verschlossenen  Eingang  hat.  Diese 
Festungen  zu  erobern  ist  nicht  leicht.  Zuweilen  gestattet  das 
Gelände  nicht  diese  Bauart  anzuwenden,  dann  steigen  die  kleinen 
Häuser  und  Höfe  amphitheatralisch  die  Hänge  hinauf  und  krönen 
möglichst  steile  Höhen.     So    ist  es  allenthalben  in  Marokko ,    im 


3QÖ      "VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

Djurdjura-,  Aures-  und  andern  Gebirgen  Algeriens  und  Tunesiens. 
Dies  hat  sie  ganz  besonders  in  die  Lage  versetzt,  ihre  Eigenart 
und  Sprache  in  diesen  großen  natürlichen,  aus  lauter  kleinen 
Häusern  bestehenden  Festungen  zu  erhalten.  Den  Djurdjura, 
die  große  Kabylei,  haben  die  Römer,  darum  von  ihnen  Mons 
ferratus  genannt,  niemals,  die  Franzosen  erst  nach  27  jährigen 
harten  Kämpfen  unterworfen.  Er  war  noch  1871  der  Hauptherd 
des  Aufstandes.  Das  marokkanische  Atlas-  und  das  Rifgebirge 
bilden  eine  einzige  derartige  Festung.  Dabei  ist  zu  beachten, 
daß  diese  Gebirgsberbern  meist  auf  steilen  Höhen  über  ihren 
Dörfern  feste  Burgen  aus  Stein-  oder  Lehmmauern  zu  errichten 
pflegen,  in  welchen  sie  alle  ihre  "Vorräte  und  Kostbarkeiten  unter- 
bringen, jede  Familie  in  besonderen  Räumen.  Sie  dienen  auch 
als  Zufluchtsstätten  im  Kriege.  So  sind  alle  Höhen  am  Rande 
des  Hohen  Atlas  von  Marokko  südlich  und  östlich  von  Marra- 
kesch,  besonders  bei  Demnat  und  Entifa,  mit  solchen  mittelalter- 
lichen Burgruinen  Deutschlands  ähnelnden  Vesten,  hier  Tirremt 
genannt,  gekrönt.  Ähnlich  im  oberen  Mulujagebiet.  Sie  er- 
innerten mich  sofort  an  die  Kirchenburgen  der  Siebenbürger 
Sachsen,  die  ähnlich  und  aus  ähnlichen  Gründen  entstanden  sind. 
Im  ganzen  Wohngebiet  der  Berbern  kehren  solche  Burgen  wieder. 
Im  Auresgebirge  bezeichnet  man  diese  gemeinsamen  festen  Vor- 
ratshäuser als  Gelaä  oder  Thaqelet  (Schloß).  Meist  liegt  die 
Dechera,  das  Dorf,  das  aus  niederen  würfelförmigen  Häusern 
aus  Steinen  oder  Luftziegeln  besteht,  am  Hange  um  die  Gelaä. 
Manche  Gelaä  ist  nur  mit  Hilfe  von  Seilen  zugänglich.  Ähnlich 
ist  es  im  inneren  Mittel-Tunesien,  wo  zahlreiche  Tafelberge  solche 
natürliche  Festungen  bilden  und  zur  Besiedelung  einladen.  Diese 
haben  dort  denselben  Namen  Kelaä.  Die  bekannteste  derselben 
ist  Kalaat-es-Senam,  das  schon  in  römischer  Zeit  besiedelt  war 
und  in  der  neueren  Geschichte  Tunesiens  als  Herd  des  Wider- 
standes gegen  den  Bey,  jetzt  als  Mittelpunkt  einer  an  Kalk- 
phosphaten reichen  Landschaft  viel  genannt  worden  ist.  Es  ist 
nur  durch  eine  in  Felsen  gehauene  Treppe  ersteigbar.  In  größtem 
Maßstab  kehren  diese  festen  Vorratshäuser  in  der  südtunesischen 
Landschaft  Arad,  dem  von  der  Kleinen  Syrte  meridional  verlaufen- 
den gebirgsartig  gegliederten  Steilrande  der  großen  Wüstentafel 
wieder.  Sie  sind  dort  förmliche  feste  Städte ,  wie  El  Mudenin 
und  Metamer,  die  Vorratshäuser  ganzer  Stämme,  ja  Konföderationen, 


Siedehmgsweise  und  Sprache  der  Berbern.  ?Q7 

die  im  wesentlichen  Nomaden  sind.  El  Mudenin,  die  Vorrats- 
kammer von  20  000  Nomaden  rein  berberischen  Stammes  der 
Urghemma,  ist  im  Winter,  wo  diese  tiefer  in  die  Wüste  hinein 
ihre  Herden  weiden,  nur  von  den  Wächtern,  einigen  Händlern 
und  Kaffeewirten  bewohnt.  Von  innen  gleichen  die  6 — 7  Stock- 
werke hohen  Häuser  geöffneten  Bienenwaben.  Es  sind  lauter 
kleine  gewölbte  Räume,  einer  über  dem  andern,  durch  vor- 
springende Steine  zugänglich.  Womöglich  liegen  diese  großen 
Vorratshäuser  auch  noch  auf  steilen  Höhen  und  haben  nur  ein 
Tor  an  der  steilsten  Stelle.  In  dieser  Gegend  bewohnen  die 
Berbern,  namentlich  des  Stammes  der  Matmata,  neben  den  cha- 
rakteristischen Bergnestern  auch  Höhlenwohnungen ,  welche  sie 
künstlich  an  den  Gehängen  der  Täler  in  lehmigen,  hinreichend 
festen  Mergeln  ausgearbeitet  haben.  Ganz  ansehnliche  Dörfer, 
wie  Hadege,  bestehen  so  nur  aus  Höhlenwohnungen,  so  daß  man 
hier  von  einem  Troglodytengebirge  spricht.  Auch  im  Aures- 
gebirge  kommen  Höhlendörfer  vor.  Ein  Tunnel  führt  in  einen 
großen,  meist  viereckigen  Hof,  der  oben  offen  ist  und  auf  welchen 
Wohn-,  Vorratsräume  nebst  Ställen  ausmünden.  Sie  enthalten  auch 
Zisternen.  Diese  Gebiete  waren  daher  so  gut  wie  unabhängig 
von  Tunis  und  sind  erst  1882  von  den  Franzosen  unterworfen 
worden.  Das  selbst  mit  Kanonen  versehene  tunesische  Heer, 
das  dies  1876  versuchte,  mußte  vor  einer  dieser  Bergfesten  Ksar- 
Beni-Knezer  unverrichteter  Sache  abziehen.  Auch  die  weiterhin 
im  tripolitanischen  Teile  dieses  Steilabsturzes  wohnenden  Berbern 
bereiten  den  Türken  beständig  Schwierigkeiten,  da  auch  sie  in  natür- 
liche Festungen  bildenden  Felsennestern  oder  in  Höhlen  wohnen. 
Hochbedeutungsvoll  ist  aber  die  Feststellung,  welche  wir 
den  Franzosen  verdanken,  daß  nämlich  in  Tunesien  von  138000 
Wohnungen,  die  man  1890  zählte,  57  000  Häuser  und  81000 
Zelte  waren.  Doch  glaube  ich  nicht,  daß  in  Algerien  und  noch 
viel  weniger  in  Marokko  das  Verhältnis  der  Zeltbewohner  so 
groß  sein  wird,  wie  in  dem  offenen  überwiegend  ebenen  Tunesien. 
Auch  brauchen  die  Zeltbewohner  durchaus  nicht  Nomaden  zu 
sein,  sie  können  recht  gut  höchstens  Halbnomaden  sein.  Be- 
weglich, in  der  Lage,  Angriffen  auszuweichen,  sind  sie  auf  jeden 
Fall.  Auch  die  Zeltdörfer  der  halbnomadischen  Berbern  sind 
ringförmig,  daher  Duar  genannt,  was  eigentlich  rund  sein,  die 
Kreisform  geben  bedeutet.     In   den  Kreisring  wird  dann  allnächt- 


3Q8      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

lieh  das  Vieh  getrieben  und  bei  den  Beni  Ahsen  der  Sebu-Ebene 
Marokkos  standen  meine  Zelte,  die  ich  aus  Furcht  vor  den 
räuberischen  Zemmur  dringend  im  Zeltringe  aufzuschlagen  ge- 
beten wurde,  mitten  unter  den  Rinderherden. 

Was  schließlich  die  Sprache  der  Berbern,  das  Tamazirt,  auf 
deren  Erhaltung  und  Verbreitung  wir  schon  eingingen,  anlangt, 
so  ist  dieselbe  noch  nicht  genügend  erforscht  und  zerfällt,  wie 
es  bei  der  weiten  Verbreitung  dieses  Volkes  begreiflich  ist,  in 
zahlreiche  Mundarten.  Sie  macht  den  Sinn  der  wenigen  Bruch- 
stücke des  alten  Libyschen  verständlich,  die  auf  uns  gekommen  sind. 

Auf  libyschen  Denkmälern  der  punischen  Zeit  finden  sich 
die  Schriftcharaktere,  welche  noch  heute  angewendet  werden, 
namentlich  im  Alphabet  der  Tuareg  Hogar.  Erst  seit  man  das 
Targi  -  Alphabet  (Tifinagh)  kennt,  konnte  man  ernstlich  an  das 
Wiederherstellungswerk  gehen,  zu  welchem  die  zweisprachige  In- 
schrift von  Thugga  in  Tunesien  den  ersten  Anhalt  geboten  hat. 
Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  die  heutigen  Berbern  die 
Sprache  ihrer  Vorfahren  sprechen,  wenn  auch  etwas  verändert. 
In  römischer  Zeit  bediente  man  sich  noch  beständig  des  libyschen 
Alphabets,  erst  durch  den  Islam  kam  es  zugunsten  des  arabi- 
schen außer  Gebrauch.  Doch  soll  es  bei  den  Rifberbern  alte 
Korane  in  berberischen  Schriftzügen  geben. 

Die  Zahl  aller  Berbern  kann  nur  ungefähr  geschätzt  werden. 
Es  mögen    12  — 13   Millionen  sein. 

Von  den  Berbern  sind  in  den  Atlasländern  nicht  nur  die 
Araber,  sondern  auch  die  sogenannten  Mauren  zu  unterscheiden. 
Mit  diesem  Namen  faßt  man  jetzt  gewöhnlich  alle  Arabisch 
sprechenden  Städtebewohner  der  Atlasländer  zusammen.  Diese 
sind  ein  hochgradig  gemischtes  Volkselement.  Der  Grundstock 
wird  sicher  berberisch  sein,  wie  auch  jetzt  noch  unablässig  ber- 
berisches Blut  diesen  Stadt- Arabern,  wie  man  wohl  auch  sagt, 
beigemischt  wird.  Dazu  sind  nun  aber  die  mannigfaltigsten 
sonstigen  Bestandteile  hinzugekommen:  im  Altertum  schon  Phö- 
niker,  dann  römische  Ansiedler,  Araber  und  vor  allem  seit  dem 
15.  Jahrhundert  sogenannte  Andalusier,  mohammedanische  Aus- 
wanderer aus  Spanien,  die  zum  Teil  noch  lange  Spanisch  sprachen, 
vorzugsweise  die  Träger  des  Piratenwesens  waren.  Und  durch 
dieses  in  großer  Zahl  Christen  aus  allen  Mittelmeerländern,  deren 
viele  als  Renegaten  in  der  mohammedanischen  Bevölkerung  auf- 


Juden  und  Griechen.  tqq 

gingen,  bzw.  christliche  Frauen  und  Mädchen  den  Harems  ein- 
verleibt wurden. 

Wohl  auch  schon  in  römische  Zeit  reicht  die  Einwande- 
rung von  Juden  in  das  Wohngebiet  der  Berbern  zurück.  In 
Cyrenaika  waren  sie  ja  im  Anfang  des  2.  Jahrh.  n.  Chr.  nahe 
daran,  einen  eigenen  Staat  zu  bilden.  Noch  mehr  dürften  sie 
sich  im  Gefolge  der  Araber  und  dann  auch  als  Rückwanderer 
aus  Spanien  über  die  Atlasländer  verbreitet  haben.  Sie  sind  auch 
hier  vorzugsweise  Städtebewohner  und  beschäftigen  sich  mit  Handel 
und  Geldgeschäften,  aber  auch  vielfach  mit  Handwerk.  In  Marokko 
sind  sie  noch  meist  auf  eigene  Stadtteile  (Mellah)  bzw.  einzelne  Dörfer 
beschränkt.  Doch  findet  man  einzelne  jüdische  Familien  und 
kleine  Gruppen  solcher  überall  in  den  Atlasländern  bis  in  die 
innersten  Täler  des  marokkanischen  Atlas.  Die  meisten  marokka- 
nischen Kaids  halten  sich  für  ihre  Geldgeschäfte  „Hofjuden". 
Ja,  Marquis  de  Segonzac  fand  im  oberen  Mulujagebiet  ganze 
befestigte  Dörfer  mit  jüdischer  Bevölkerung,  die  sich  wie  ihre 
arabischen  und  berberischen  Nachbarn  mit  den  Waffen  in  der 
Hand  ihrer  Haut  wehrten.  Ihre  Zahl  dürfte  im  ganzen  Atlas- 
gebiete aber  200000  Köpfe  nicht  überschreiten,  obwohl  sie  im 
Verkehr  eine  große  Rolle  spielen.  Politisch  treten  sie  jetzt  be- 
deutungsvoll hervor,  indem  sie  nach  ihrer  Emanzipierung  in 
Algerien  überall  die  Träger  und  Verbreiter  französischen  Ein- 
flusses und  französischer  Sprache  sind,  was  ihnen  freilich  den 
doppelten  Haß  der  Eingeborenen  zugezogen  hat.  Jedenfalls 
haben  wir  die  Juden  zu  den  ältesten  Völkern  des  Mittelmeer- 
gebietes zu  rechnen,  wenn  auch  ihre  Zahl  in  demselben  heute 
nicht  groß  ist,  da  sie  ja  in  früheren  Zeiten  aus  Spanien,  Italien 
und  Griechenland  vertrieben  worden  sind  und  auch  auf  der  Süd- 
ost-europäischen  Halbinsel  nur  in  Saloniki  und  Konstantinopel 
sich  größere  Kolonien  dieser  Spaniolen  finden,  in  Kleinasien  in 
Smyrna.  Die  Zahl  aller  Juden  im  Mittelmeergebiet  dürfte  trotz 
der  bedeutenden  Rückwanderung  nach  Palästina  eine  halbe 
Million  nicht  erreichen. 

Die  Griechen,  eines  der  vor  allem  auch  politisch  wichtigen 
Völker  des  Mittelmeergebiets,  gehören  zu  den  ältesten  Völkern 
Europas,  die  mit  bewundernswerter  Zähigkeit  sich  in  ihrem  alten 
Wohnräume  und  in  den  wichtigsten  Zügen  ihrer  ethnischen  Eigen- 
art behauptet  und  alle  fremden  Eindringlinge  aufgesogen  haben. 


400      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

Denn  was  immer  man  an  den  jetzigen  Griechen  an  guten  und 
schlechten  Eigenschaften  beobachtet,  das  findet  man  schon  bei 
den  alten  Griechen,  wenn  man  sich  nur  von  der  künstlich  von 
den  Philologen  uns  angequälten  Veridealisierung  der  alten  Griechen 
frei  zu  machen  vermag.  Namentlich  muß  man  an  den  Neugriechen 
ihre  Vaterlandsliebe,  ihren  Nationalstolz,  ihren  Bildungstrieb,  ihre 
Opferfähigkeit  für  diese  Ideale  bewundern.  Das  ist  Rüstzeug 
und  Waffen  im  Kampfe  ums  nationale  Dasein,  die  man  nicht 
hoch  genug  schätzen,  um  die  wir  Deutschen,  die  wir  uns  sonst 
wohl  besserer  Charaktereigenschaften  rühmen  können,  sie  beneiden 
müssen.  Diese  Eigenschaften  sind  es,  welche  trotz  der  kläglichen 
innerpolitischen  Zustände  des  Königreichs,  trotz  ihrer  Parteisucht, 
Unzuverlässigkeit,  Aberglauben  usw.  dasselbe  doch  unentwegt  wirt- 
schaftlich, dank  ihrer  Intelligenz,  ihrer  Tatkraft,  ihrem  Erwerbsinn 
und  ihrer  Genügsamkeit  aufblühen  machen,  welche  Athen  wieder 
zur  Hauptstadt  des  ganzen  Griechentums,  zum  Brennpunkte  des 
wirtschaftlichen  und  geistigen  Lebens,  zum  Ausgangspunkte  euro- 
päischer Gesittung  in  griechischem  Gewände  für  den  ganzen, 
nicht  nur  den  griechischen  Orient  gemacht  haben,  welche  das 
kleine  Volk  nicht  allein  keinen  Verlust  an  Volksgenossen,  wo 
immer  es  sei,  erleiden,  sondern  es  unablässig  Angehörige  weniger 
widerstandsfähiger  Völker  sich  einverleiben  lassen.  Das  Griechen- 
tum ist  überall  im  Fortschreiten  begriffen,  spielt  schon  heute  und 
wird  in  Zukunft  eine  noch  größere  Rolle  bei  den  politischen 
Wandlungen  im  Orient  spielen.  Wie  wir  die  Griechen  heute  in 
Griechenland  die  Albanesen  aufsaugen  sehen,  die  selbst  Griechen 
sein  wollen,  so  haben  sie  im  Mittelalter  die  slawische  Flut,  nach 
welcher  der  Peloponnes  lange  Zeit  Sclavinia  genannt  wurde,  wieder 
aufgesogen.  Dazu  sind  italienische  und  andere  fränkische  Bei- 
mischungen gekommen,  so  daß  wir  die  Neugriechen  als  ein  Misch- 
volk bezeichnen  müssen.  Nur  in  einigen  abgelegenen  Gebirgs- 
gegenden, wie  in  der  Maina  und  Tsakonien  des  Peloponnes  und 
auf  einigen  Inseln  dürften  wir  weniger  gemischte  Nachkommen 
der  alten  Griechen  zu  suchen  haben,  wie  sich  das  auch  im  phy- 
sischen Typus,  namentlich  der  Frauen,  ausprägt.  Es  liegen  in  den 
Griechen  Kulturkräfte  weit  über  ihre  Zahl  hinaus.  Schulzwang  ist 
bei  einem  Volke  unnötig,  bei  welchem  unfieißige  Kinder  nach 
15  maliger  Schulversäumnis  der  Schande  verfallen,  vom  Schul- 
besuch ausgeschlossen  zu  werden. 


Charakter  und  Bedeutung  der  Griechen.  40 1 

Um  zu  würdigen,  was  die  Griechen  in  dem  letzten  halben 
oder  dreiviertel  Jahrhundert  geleistet  haben,  muß  man  sich  nur 
gegenwärtig  halten,  wie  lange  das  Volk  unter  türkischer  Knecht- 
schaft geseufzt  hatte,  und  daß  der  Freiheitskampf  das  Land  in 
eine  Wüste,  die  Bevölkerung  in,  man  möchte  fast  sagen,  eine  Räuber- 
bande verwandelt  hatte.  Selbst  die  Sprache  hat  man  wieder  ge- 
reinigt. Daß  die  Griechen  nie  so  tief  in  der  Kultur  herabgedrückt 
worden  sind  wie  z.  B.  die  Bulgaren,  erklärt  sich  allerdings  aus  der 
Natur  ihres  Landes,  das  man  am  besten  als  maritimes  Gebirgs- 
land  bezeichnet,  und  das  daher  die  Türken  niemals  völlig  und 
auf  die  Dauer  zu  unterjochen  vermochten.  Die  Griechen  unter- 
hielten zur  See  immer  Beziehungen  zum  christlichen  Abendlande 
und  seiner  Bildung. 

Das  Meer  prägt  der  griechischen  Landschaft  und  dem  grie- 
chischen Volke  seinen  Charakter  auf.  Sein  Wohnraum  ist  das 
meerdurchsetzte  Griechenland  und  die  Gestade  des  griechischen 
Inselmeeres,  ein  Teil  der  Erdoberfläche,  fast  so  groß  wie  das 
Deutsche  Reich,  freilich  zu  kaum  ein  Viertel  Land!  Überall 
haften  die  Griechen  an  den  Küsten,  wie  Kleinasiens,  von  Kilikien 
und  Cypern  ringsum  bis  an  die  Ostgrenze  Kleinasiens  am  Pontus, 
so  auch  auf  der  südosteuropäischen  Halbinsel  in  Thrakien,  Make- 
donien, Albanien.  Griechen  sind  die  Frachtfahrer  des  ganzen 
östlichen  Mittelmeergebietes  von  Odessa  bis  Alexandria,  westwärts 
bis  Triest,  Malta  und  Marseille.  Bulgaren  und  Türken  sind  sie 
so  unentbehrlich.  Griechen  sind  die  Fischer  des  östlichen  Mittel- 
meeres von  der  syrischen  bis  zur  tunesischen  Küste.  Aber  freilich 
der  Sitz  des  Welthandels  wie  in  der  engeren  Welt  des  Altertums 
ist  Griechenland  nicht  mehr  und  wird  es  nie  wieder  werden!  Und 
die  griechische  Kriegsflotte  wird  noch  lange  eine  untergeordnete 
Rolle  spielen,  so  ausgezeichnete  Seeleute  die  Griechen  sind  und 
sich  im  Freiheitskriege,  freilich  nur  gegen  die  völlig  festländischen 
Türken,   bewährt  haben. 

Namentlich  auf  türkischem  Gebiet  im  vorderen  Kleinasien 
sind  die  Griechen  in  unaufhaltsamem  Fortschreiten  begriffen. 
Die  Türken  hatten  ihnen  allenthalben  den  fruchtbaren  Boden 
abgenommen  und  sie  zu  Zinsbauern  türkischer  Großgrundbesitzer 
gemacht.  Sie  haben  dafür  den  schlechten  Boden  und  die  Berge 
in  dicht  besiedelte  Gartenlandschaften  verwandelt  und  schließlich 
auch  die  Türken  ausgekauft.  Bei  dem  hochentwickelten  Familien- 
Fischer,  Mittelmeerbilder.     Neue  Folge.  26 


A02      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

sinn  und  dem  fleckenlosen  Familienleben  ist  die  Kinderzahl  über- 
all eine  ansehnliche,  so  daß  auch  darin  ein  Anstoß  zum  Erwerb 
und  zur  Ausdehnung  liegt.  Namentlich  von  den  Inseln,  welche 
die  ungeheuren  Menschenverluste  im  Freiheitskriege  wieder  aus- 
geglichen haben  und  wieder  dicht  bevölkert,  zum  Teil  übervölkert 
sind,  wie  Samos,  drängt  der  junge  Nachwuchs  aufs  Festland  und 
in  den  fruchtbaren  Tälern  immer  weiter  ins  Innere.  Viele  suchen 
nach  Erwerb  in  den  großen  Städten,  wie  Konstantinopel,  Odessa, 
Smyrna,  Alexandria,  und  kehren,  wohlhabend  geworden,  wieder 
heim,  um  Grundbesitz  zu  erwerben. 

Die  Kopfzahl  des  griechischen  Volks  kann  man  auf  5  Millio- 
nen schätzen,  gewiß  eine  kleine  Zahl,  aber  man  muß  sich  gegen- 
wärtig halten,  daß  im  Königreich  zu  Ende  des  Freiheitskrieges 
nur  noch  600000  Menschen  übrig  waren,  während  es  heute  aller- 
dings in  etwas  erweiterten  Grenzen  von  2%  Millionen  Menschen 
bewohnt  ist.  Aber  5  Millionen  durch  nationale  Gesinnung  und 
Vaterlandsliebe  geeinigte  Menschen  bedeuten  im  menschenarmen 
Orient  mehr  als  in  Westeuropa.  Das  griechische  Volk  ist  ein 
ernster  Faktor,  mit  welchem  die  Politik  rechnen  muß,  wie  der 
Anschluß  von  Thessalien  und  von  Kreta,  der  nur  noch  der  Form 
nach  zu  vollziehen  ist,  zeigt. 


Zu  diesen  uralten  Bestandteilen  der  mediterranen  Völker- 
familie fügte  nun  die  Völkerwanderung  neue  hinzu,  indem  teils 
unter  Aufsaugung  der  Einwanderer  und  Eroberer  seitens  der 
schon  ihrerseits  vielseitig  gemischten  und  romanisierten,  dadurch 
auf  eine  höhere  Kulturstufe  gestiegene  Urbevölkereng  neue  Völker 
sich  bildeten,  teils  unter  Vernichtung  oder  Aufsaugung  der 
vorgefundenen  Bevölkerung  die  von  außen  hereingebrochenen 
Völker  weite  Gebiete  besetzten.  So  bildeten  sich  um  das  Nord- 
westbecken die  romanischen  Völker  alle  mit  bedeutendem  ger- 
manischen Einschlag:  Italiener,  Franzosen,  Spanier,  Portugiesen. 
War  der  Einbruch  der  Germanen  in  das  Mittelmeergebiet,  der 
ja  vorübergehend  auch  die  südosteuropäische  Halbinsel  und  die 
Atlasländer  in  Mitleidenschaft  gezogen  hatte,  zunächst  von  Norden 
her  und  vorzugsweise  von  Mittel -Europa  aus  erfolgt,  so  ging 
doch  der  Anstoß  zu  diesem  Völkersturme,  der  die  alte  medi- 
terrane   Kultur    zunächst    gewaltig    schädigte,    weiterhin    sie    aber 


Völkerwanderungen.  40  ? 

neue  Blüten  treiben  ließ,  auf  Zentral  -  Asien  zurück.  Hinter  den 
Germanen  rückten  die  Slawen  und  Bulgaren,  hinter  diesen  die 
Mongolen  und  Türken  nach,  auch  sie  aus  Zentral -Asien,  und 
zuletzt  sandten  die  Steppen  Arabiens  den  arabischen  Völkersturm 
über  ganz  Vorder-Asien  und  über  das  südliche  Mittelgebiet  aus, 
von  wo  er  nach  Europa  übersetzend  seinen  Weg  als  ein  wahrer 
Wirbelsturm  am  Nordrande  des  Mittelmeeres  wieder  von  Westen 
nach  Osten  zurücknahm,  bis  ihm  germanische,  fränkische  Volks- 
kraft nahe  der  Westgrenze  Mittel -Europas  Halt  gebot,  wie  ein 
halbes  Jahrtausend  später  dem  Mongolensturme  an  der  Ostgrenze 
Mittel-Europas. 

Die  romanischen  Völker  sind,  soweit  sie  zum  Mittelmeer- 
gebiet gehören,  mit  rund  34  Millionen  Italiener,  selbstverständlich 
Korsen,  Malteser,  Nizzarden,  Tessiner  usw.  eingerechnet,  2x/2  Millio- 
nen Franzosen,  hinter  denen  die  übrigen  Franzosen  stehen, 
und  noch  etwa  300000  in  Algerien  und  Tunesien  kommen, 
18  Millionen  Spanier  und  4,7  Millionen  Portugiesen.  Zu  er- 
wähnen sind  dann  noch,  abgesehen  von  den  etwa  200000  Zin- 
zaren,  etwa  300000  Rumänen  in  Serbien,  Bulgarien  und  der 
Dobrudscha. 

Von  den  Slawen  kamen  die  Serben  von  Norden,  die  erst 
auf  der  Halbinsel  selbst  slawisierten  Bulgaren  von  Nordosten. 
Nachdem  beide  kaum  das  türkische  Joch  abgeschüttelt  haben,  be- 
kämpfen sie  einander  auf  das  heftigste.  Der  Zankapfel  sind  die 
in  ihrer  ethnischen  Stellung  noch  unklaren  makedonischen  Slawen. 
Die  Zahl  aller  Slawen  der  südosteuropäischen  Halbinsel  kann 
man  auf  10  Millionen  angeben,  je  5  Millionen  Serben  und 
Bulgaren.  Die  Kroaten  an  der  Nordwestgrenze  können  hier  außer 
Betracht  bleiben,  aber  für  die  Serben  ist  fast  ebenso  verhängnis- 
voll wie  für  die  Albanesen,  daß  auch  sie  z.  T.  römische,  z.  T. 
griechische  Christen,  z.  T.  Mohammedaner  sind,  daß  sie  politisch 
zersplittert  sind  in  zwei  nationale  Staaten ,  Montenegro  und 
Serbien ,  in  Dalmatien ,  Bosnien  und  Herzegowina ,  während  in 
Alt -Serbien  noch  ein  beträchtlicher  Bruchteil  unter  türkischer 
Herrschaft  steht.  Von  den  Bulgaren  ist  doch  der  bei  weitem 
größte  Teil  im  nationalen  Staate  geeinigt  und  nur  ein  ver- 
schwindender Bruchteil  unter  der  Bezeichnung  Pomaken  zum 
Islam  übergetreten.  Allerdings  bildet  im  Orient  die  Religion 
eine   unübersteigbare   Scheidewand. 

26* 


aqa      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

Der  Zeit  nach  folgt  auf  die  slawische  die  arabische  Völker- 
welle,   welche    das    zum  großen   Teil   hellenisierte  Syrien,    dessen 
Bevölkerung  aber  noch  überwiegend  aus    dem  alten  aramäischen 
Grundstock    besteht,    arabisiert,    ebenso   Ägypten    und    das    ganz 
mediterrane  Nord-Afrika.     Der  Islam  richtet  eine  bis  heute  zwar 
erniedrigte    und    vielfach    durchbrochene,     aber    nicht    beseitigte 
Schranke    quer    durch    das  Mittelmeergebiet    auf,    das    bis    dahin 
eine  große  Lebensgemeinschaft  gebildet  hatte  und  nun  viele  Jahr- 
hunderte  hindurch    zur    heißesten   Reibungsfläche    zwischen    dem 
abendländischen  Christentum  und  der  morgenländischen  Welt  des 
Islams  wurde.    Und  diese  Reibungsfläche  wurde  noch  vergrößert, 
der  Raum   der   christlichen  Kulturwelt   noch   verkleinert   dadurch, 
daß  die  Steppen  Asiens  noch  einmal  eine  unwiderstehliche  Völker- 
woge durch  Vorder-Asien  gegen  das  Mittelmeergebiet  und  Europa 
aussandten,  die  Türken,  denen  rasch,  aber  ebenso  rasch,  wenig- 
stens   aus    dem    Mittelmeergebiet,    zurückebbend    die    Mongolen 
folgen.     Die  Türken  dagegen  setzen  sich  dauernd  in  Kleinasien 
fest,  machen  dem  letzten  Rest  des  oströmischen  Reiches  ein  Ende 
und  erobern  fast    die   ganze    südosteuropäische  Halbinsel.     Auch 
ihnen  gebietet  erst  deutsche  Tatkraft  Halt,  während   sie   sich   im 
16.  Jahrhundert  noch   zu  Herren   fast  der  ganzen   bis  dahin  ara- 
bischen Welt  des  Islam  machen:  Syrien,  Ägypten  und  ganz  Nord- 
Afrika  bis  an  die  Grenzen  von  Marokko.     Unter  türkischer  Herr- 
schaft waren  diese  Teile  des  Mittelmeergebiets  noch  mehr  gegen 
christliche    Einflüsse    abgeschlossen,    wie   unter   arabischer.      Was 
vom    16.  bis  ins    ig.  Jahrhundert  die  politische  durch  die  Mittel- 
meerländer  gehende,    die    Völker    trennende    Grenze    bedeutete, 
davon  kann    sich  selbst  derjenige  nur  eine  schwache  Vorstellung 
machen,    der   etwa   aus  dem  Herzen  Deutschlands  kommend   die 
russische    Grenze    im   polnischen    Gebiet   überschreitet.      Diesseits 
reichen  deutsche  Einflüsse,  deutsche  Kultur,   deutsche  Verwaltung 
von  Westen  her  bis  an   die  Grenze,  jenseits   tritt   ihnen   so   weit 
aus  Großrußland,    aus  Halbasien  vorgeschoben   russisches  Wesen, 
russische  Verwaltung  mit  allen  Erscheinungen  ihrer  Eigenart,  echt 
polnische  Dörfer,  polnische  Art,  das  Land  zu  bestellen  usw.  ent- 
gegen.    Hinter  den  türkischen  Grenzen  verkommen  Bulgaren  und 
Serben    in    Unkultur,    bildet  Albanien   heute   den   unbekanntesten 
Teil  von  Europa,  bleiben  Kleinasien,  Syrien  und  ganz  Nord-Afrika 
völlig  verschlossen  und  unbekannt.     Tunesien   ist   erst   seit   1881 


Die  türkische  Überflutung.  aqc 

erforscht  worden,  Marokko  erst  seit  1900  und  auch  nur  in  den 
großen  Zügen,  von  Tripolitanien  und  Barka  gilt  dies  in  gleichem 
Maße.  Seit  dem  Beginn  des  19.  Jahrhunderts,  ja  schon  seit  dem 
18.  hat  nun  diese  türkische  Flut  zurück  zu  ebben  begonnen: 
Griechenland,  Serbien,  Bulgarien,  sind  der  christlichen  Welt  wieder 
einverleibt,  Algerien  ist  völlig,  Tunesien  beträchtlich  französisch, 
Ägypten  englisch  geworden,  freilich  ohne  daß  dadurch  der  Gegen- 
satz zwischen  Christentum  und  Islam  geringer  geworden  wäre. 
Im  Gegenteil,  es  liegt  wie  elektrische  Spannung  über  dem  ganzen 
Mittelmeergebiet  und  wird  sich  bei  jeder  kriegerischen  Verwick- 
lung im  Bereich  desselben,  namentlich  in  den  Atlasländern  und 
Ägypten,  in  einer  Weise  geltend  machen,  die  den  Unkundigen 
überraschen  wird. 

Was  die  arabische  und  die  türkische  Überflutung  von  se- 
mitischem und  mongolenähnlichem  Volkstum  in  das  Mittelmeer- 
gebiet geführt  haben,  war  gering  an  Zahl,  denn  beide  Völker 
waren  selbst  nicht  zahlreich.  Aber  sie  haben,  sei  es  durch  ihre 
Gewaltherrschaft,  sei  es  durch  die  Macht  des  Islam,  wie  wir  schon 
bei  den  Berbern  sahen,  fremdes  Volkstum  in  großem  Maßstaue 
sich  einverleibt.  Wir  können  daher  nicht  nur  die  Bewohner  von 
Barka  und  Marmarika,  freilich  nur  etwa  300000  Köpfe,  die 
wirkliche  Araber  sind,  sondern  auch  die  Bewohner  Unter- Ägyptens 
und  Syriens  als  „Araber"  ansehen.  Aber  während  die  Veränderung 
der  politischen  Karte  im  arabischen  Bereich  des  Islam  keine  irgend- 
wie ins  Gewicht  fallenden  ethnischen  Verschiebungen  hervorgerufen 
hat,  ist  dies  im  türkischen  Bereich  in  hohem  Grade  der  Fall  ge- 
wesen. Allerdings  weil  die  Türken  im  größten  Teile  ihres 
Reiches  nur  durch  Beamte  und  Soldaten,  höchstens  durch  Militär- 
kolonien vertreten  waren  und  diese  mit  der  türkischen  Herrschaft 
auch  wieder  verschwunden  sind.  So  gibt  es  in  Algerien  und 
Tunesien,  in  Ägypten  keine  Türken  mehr.  In  Algerien  sind  selbst 
die  Kuluglis,  die  Nachkommen  türkischer  Väter,  verschwunden. 
Die  türkischen  Militärkolonien  in  Griechenland,  in  Serbien  und 
Bulgarien,  die  dort  namentlich  alle  wichtigen  Punkte  an  den 
großen  Heerstraßen  sicherten,  die  von  Konstantinopel  und  Saloniki 
quer  durch  die  Halbinsel  nach  Belgrad  führten,  vor  allem  die 
in  Belgrad  selbst,  sind  verschwunden.  Nicht  nur  die  Türken 
selbst,  sondern  auch  die  Tataren  und  Tscherkessen,  die  sich 
in    ihrem    Schutze    in    Bulgarien    niedergelassen    hatten ,    sind    in 


a  06      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

das  noch  türkische  Gebiet,  namentlich  nach  Kleinasien  aus- 
gewandert, wo  sie  als  sogenannte  Muhadschir  die  Reihen  der 
Türken  wesentlich  verstärken ,  namentlich  wirtschaftlich ,  da  sie 
kulturell  auf  einer  etwas  höheren  Stufe  stehen.  Durch  solche 
Rückwanderungen  hat  sich  die  Zahl  der  Türken  im  noch 
türkischen  Teile  der  südosteuropäischen  Halbinsel ,  ganz  be- 
besonders  in  Konstantinopel  wesentlich  vermehrt.  Freilich  ist 
festzuhalten,  daß,  wenn  wir  die  Zahl  der  Bekenner  des  Islam 
auf  der  südosteuropäischen  Halbinsel  zu  etwa  ^/2  Millionen  an- 
geben und  diese  sich  meist  selbst  als  Türken  ansehen,  davon 
kaum  iY2  Millionen  Osmanli  sind  und  auch  diese,  wie  das  ganze 
türkische  Volk,  etwa  von  den  später  nachgerückten  Turkmenen  in 
Kleinasien  und  an  der  Nordgrenze  Syriens  abgesehen,  ethnisch 
durch  Aufnahme  arischen  Blutes,  durch  Einverleibung  von  Rene- 
gaten — -  man  denke  nur  an  die  Janitscharen,  die  ja  vorzugsweise 
aus  gefangenen  kräftigen  christlichen  Knaben  sich  ergänzten  — 
durch  persische,  slawische,  griechische,  cirkassische  Sklavinnen  usw. 
so  gemischt  sind,  daß  in  ihrem  physischen  Typus  meist  jede 
Mongolenähnlichkeit  geschwunden  ist,  wenn  sie  in  Sitten  und 
Sprache  auch  ihre  Eigenart  gewahrt  haben.  An  Zahl  vermindern 
sich  die  Türken  auch  in  ihrem  Stammlande  Kleinasien  beständig, 
da  sie  allein  in  den  unaufhörlichen  Kriegen  die  Blutsteuer  tragen, 
die  junge  Mannschaft  viele  Jahre  hindurch  der  Heimat  entzogen 
ist  —  in  einzelnen  Vilajets  übersteigt  die  Zahl  der  Frauen  die 
der  Männer  um  1 2  °/0  —  viele  gar  nicht  oder  körperlich  und 
sittlich  geschädigt  zurückkehren,  auch  die  herrschende  Rasse 
wirtschaftlich  mehr  unter  der  schlechten  türkischen  Verwaltung 
leidet,  als  die  schlauen  Griechen,  Armenier  und  andere.  Wie 
im  vorderen  Kleinasien  das  türkische  Volkstum  von  dem  grie- 
chischen zurückgedrängt  wird,  ist  mit  Händen  zu  greifen  und 
ziffernmäßig  zu  belegen.  Auch  das  wird  in  naher  Zukunft  po- 
litisch bedeutungsvoll  werden.  Wie  groß  die  Zahl  der  osmanischen 
Türken  und  derer  ist,  die  sich  für  solche  halten,  ist  sehr  schwer 
anzugeben.  Wenn  wir  sie  zu  10  Millionen  annehmen,  so  ist  das 
hoch  gegriffen.  Neben  „Türken"  und  Griechen  sind  in  Klein- 
asien nur  noch  einige  Hunderttausend  Armenier  zu  erwähnen, 
welche  durch  die  Türken  gewaltsam  über  die  Halbinsel  und 
bis  nach  Konstantinopel  verbreitet  worden  sind.  Die  Arabisch 
sprechende  Bevölkerung  von  Syrien,  von  der  aber  ein  bedeutender 


Völkerstatistik  des  Mittelmeergebiets.    Überwiegen  der  Christen.       iq7 

Bruchteil  Christen  sind,  können  wir  auf  2  Millionen,  die  von  Unter- 
Ägypten auf  5%  Millionen  einsehätzen. 

Wir  würden  also  unter  Weglassung  kleiner  für  unsere  Gesichts- 
punkte belangloser  Bruchteile,  wie  z.  B.  einiger  Tausend  Deutsche 
in  Konstantinopel,  Palästina,  Italien  usw.,  in  runden  Zahlen  folgende 
Tafel  der  Völker  des  Mittelmeergebiets  aufstellen  können. 

1.  Romanische,    katholische  Völker   um    das  Nordwestbecken     60  Millionen 

a)  Italiener 34  Millionen 

b)  Spanier 18  „ 

c)  Portugiesen 4,7      „ 

d)  Franzosen 2,8      „ 

e)  Dazu    die    Aromunen    und    Rumänen 

(griech.  Christen) 0,5       „ 

2.  Slawen  der  südosteuropäischen  Halbinsel  (griech.  Christen;      10  „ 

a)  Serben 5   Millionen 

b)  Bulgaren 5  „ 

3.  Albanesen  (Mohammedaner,  griech.  u.  katholische  Christen)        1,5  ,, 

4.  Griechen 5  ,, 

5.  „Türken" 10  ,, 

6.  Berbern 13  „ 

7.  „Araber" 8*/4  „ 

Gesamtsumme  der  Mohammedaner 31   Millionen 

„  „     Christen 75  „ 

„  „     Bewohner  der  Mittelmeerländer 106  „ 

Es  ergibt  sich  also  daraus  die  außerordentliche  Überlegen- 
heit der  christlichen  Bewohner  der  Mittelmeerländer  schon  der 
Zahl  nach.  Aber  auch  in  der  geistigen  Kultur,  im  Wirtschafts- 
leben usw.  Es  ergibt  sich  ferner,  daß  die  von  Mohammedanern 
bewohnten  Mittelmeerländer  außerordentlich  dünn  bevölkert  sind. 
Darin  prägt  sich  nicht  so  sehr  ihre  geographische  Benachteiligung 
aus,  denn  Syrien,  Barka,  Tripolitanien,  Tunesien  usw.  waren  in 
römischer  Zeit  sehr  dicht  bevölkert,  als  die  Wirkung  der  schiechten 
Verwaltung,  welche  heute  alle  mohammedanischen  Länder  kenn- 
zeichnet. Ägypten,  Tunesien,  Algerien  zeigen,  daß  dieselben 
Länder,  unter  europäisch  -  christliche  Verwaltung  gestellt,  sich 
wirtschaftlich  rasch  heben  und  ihre  Bevölkerung  vermehren.  Diese 
Gegensätze  zwischen  dem  christlichen  und  dem  mohammedanischen 
Mittelmeergebiet  waren  nicht  immer  so,  ja  es  gab  eine  Zeit,  wo 
das  mohammedanische  dem  christlichen  gleich  stand,  ja  teilweise 
überlegen  war.  Die  heutigen  Zustände  finden  politisch  ihren 
Ausdruck    darin ,     daß    das    mohammedanische    Mittelmeergebiet 


408      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

völlig  unter  christlich-europäischem  Einflüsse  steht  und  der  Rest 
von  Selbständigkeit,  welchen  sich  Marokko  und  das  türkische 
Reich  bewahrt  haben,  in  raschem  Schwinden  begriffen  ist. 

Die  Überlegenheit  der  christlichen  Völker  über  die  mo- 
hammedanischen im  Mittelmeergebiet  wird  aber  noch  erhöht 
dadurch,  daß  die  letzteren  als  ursprüngliche  Steppen-  und  Hirten- 
völker bis  heute  die  trockensten  Gegenden  des  Mittelmeergebietes 
bewohnen,  völlig  festländisch  und  meerscheu  sind,  Türken  wie 
Araber.  Griechen,  Italiener  und  andere  Christen  besorgen  für 
sie  den  Seeverkehr.  Die  Türken  haben  vom  Seewesen  nie  etwas 
verstanden  und  verstehen  heute  nichts  davon.  In  den  Zeiten,  wo 
es  eine  mächtige  türkische  Flotte  gab,  war  dieselbe  von  Rene- 
gaten geführt  und  von  Christen  bemannt.  Und  die  Piraten  der 
Berberei  waren  eben  aus  Spanien  vertriebene  „Andalusier"  und 
Berbern,  im  16.  Jahrhundert  auch  vorzugsweise  Renegaten.  Das 
Meer  spielt  also  im  Leben  und  in  der  Kulturentwick- 
lung der  Bekenner  des  Islam  im  Mittelmeergebiet  keine 
Rolle! 

Die  letzte  wichtigste  Schlußfolgerung,  welche  sich  aus  diesem 
Zahlenbilde  ergibt,  ist  wohl  die,  daß  von  den  106  Millionen 
Bewohnern  der  Mittelmeerländer  34  Millionen  d.  h.  32%  Italiener 
sind.  Das  ist  eine  politische,  für  die  nächste  Zukunft  wohl  zu 
beachtende  Tatsache,  da  sich  die  staatliche  Einigung  des  ita- 
lienischen Volkes,  der  jetzt  bei  sich  anbahnender  Überwindung 
geschichtlich  bedingter  Kinderkrankheiten  auch  ein  großer  wirt- 
schaftlicher Aufschwung  folgt,  auch  durch  sich  mehrendes  politisches 
Schwergewicht  geltend  machen  und  die  Gunst  der  zentralen  Lage 
und  andere  geographische  Faktoren  in  Wirksamkeit  setzen  wird. 
Dies  um  so  mehr,  als  ein  Zug,  welcher  das  Mittelmeer  und  die 
Volksverteilung  im  Mittelmeergebiet  ganz  besonders  kennzeichnet, 
in  Italien  am  schärfsten  hervortritt:  Das  Drängen  der  Menschen 
an  dieses  Meer,  die  Verdichtung  der  Bevölkerung  an  seinen  Ge- 
staden. 

Italien  muß  schon  nach  seiner  langen,  schlanken  Erstreckung 
und  als  eine  Brücke,  die  quer  über  den  mediterranen  Einbruchs- 
kessel vom  Fuße  der  Alpen  zum  Atlas  hinüber  geschlagen  ist,  bei 
seiner  gewaltigen  Küstenlänge  und  geringen  Meerfernen  ein  durch- 
aus maritimes  Land  sein.  In  der  Tat  sehen  wir  die  Menschen 
sich  dort  an  den  Küsten    drängen,    am   auffälligsten    in  Ligurien, 


Verdichtung  der  Bevölkerung  am  Meere.  iOQ 

Apulien,  an  der  Nord-  und  Ostküste  Siziliens,  am  Golf  von  Ne- 
apel. Alle  größeren  Städte  liegen  am  Meere,  selbst  die  Meer- 
ferne von  Mailand  beträgt  nur  120  km,  von  Turin  nur  105  km. 
Für  8o°/0  des  Flächeninhalts  des  Königreichs  beträgt  die  Meer- 
ferne nur  100  km',  d.  h.  in  2  Stunden  kann  man  an  dasselbe 
hinabsteigen,  ja  i6°/0  der  Bevölkerung  wohnt  unmittelbar  am 
Meere.  Das  ist  für  die  Sichgeltendmachung  Italiens  im  Mittel- 
meere von  großer  Bedeutung.  Von  jeher  waren  die  Italiener 
ausgezeichnete  Seeleute  und  die  Fischereien  im  Mittelmeere  liegen 
zum  großen  Teile  in  ihrer  Hand.  Aber  ähnlich  wohnen  auch  in 
fast  allen  übrigen  Mittelmeerländern  die  Menschen  vorzugsweise 
am  Meere.  In  Spanien  prägt  sich  der  ja  in  der  neuesten  Zeit 
besonders  rasch  wachsende  Gegensatz  zwischen  den  inneren  und 
den  Randlandschaften  auch  besonders  darin  aus,  daß  in  letzteren 
die  Bevölkerung  sich  unablässig  mehrt,  in  ersteren  zurückgeht. 
Bei  der  erstaunlich  geringeren  mittleren  Volksdichte  Spaniens 
von  35  Köpfen  auf  1  qkm,  sinkt  dieselbe  in  den  inneren  Pro- 
vinzen noch  bis  auf  14  und  15,  während  sie  in  den  mediterranen 
Randlandschaften  in  Valencia  auf  68,  Malaga  71,  Alicante  76, 
Barcelona  117  Köpfe,  eben  das  Mittel  des  ganzen  Deutschen 
Reichs,  steigt.  In  den  Atlasländern  tritt  das  Drängen  der  Men- 
schen ans  Meer  noch  auffälliger  zutage,  alle  größeren  Städte 
liegen  am  Meere,  selbst  die  Meerferne  von  Constantine  und 
Tlemcen  in  Algerien  bleibt  unter  100  km,  nur  bei  Fez  und 
Marrakesch  beträgt  sie  mehr.  Man  wird  annehmen  können, 
daß  etwa  2/3  aller  Bewohner  der  Atlasländer  innerhalb  100  km 
Meerferne  wohnen.  Ganz  ebenso  ist  es  in  Syrien,  wo  schon  bei 
weniger  als  100  km  Meerferne  die  Wüste  beginnt,  und  in  Klein- 
asien, erst  recht  in  Griechenland.  Nur  das  festländische  Trapez 
der  südosteuropäischen  Halbinsel  weicht  teilweise  ab,  obwohl 
selbst  das  verkarstete  Dalmatien  wesentlich  dichter  bevölkert  ist 
als  Bosnien,  und  auch  in  Frankreich  erhöht  sich  die  Volksdichte 
der  Mittelmeerlandschaften  wegen  der  Haffe  und  Fieber  von 
Languedoc  nicht  über  das   allgemeine   Mittel   (71). 

Vergegenwärtigen  wir  uns  aber  zum  Schluß,  daß  alle  Mittel- 
meerländer im  Altertum  dicht  bevölkert  gewesen  sind  und  daß 
sich  die  Landesnatur  nicht  so  wesentlich  geändert  hat,  daß  sie 
nicht  auch  heute  eine  weit  dichtere  Bevölkerung  zu  ernähren 
vermöchten    —    Kleinasien    allein,    wo    heute    nur    18  Köpfe    auf 


4 1 0      VI,  2.  Die  Völker  des  Mittelmeergebiets  u.  ihre  weltpolitische  Bedeutung. 

i  qkm  kommen,  bietet  noch  Raum  für  43  Millionen,  der  Land- 
gürtel, der  vor  den  Toren  Wiens  beginnt  und  an  der  Euphrat- 
mündung  endet,  für  100  Millionen  —  und  daß,  wie  Ägypten  und 
Algerien  zeigen,  schon  heute  dort  unter  europäischer  Verwaltung 
die  Bevölkerung  sich  wieder  zu  mehren  begonnen  hat,  so  sehen 
wir,  daß  das  Mittelmeergebiet  nicht  nur  eine  große  Vergangenheit, 
sondern  auch  eine  große  Zukunft  hat  und  daß  somit  die  poli- 
tische Wichtigkeit  desselben  unablässig  und  rasch  steigen  muß. 


Namen-  und  Sachregister. 


Abda  283 

Abrantes  255 

Abrasionsküste  64 

Abul  Hassan  9 

Acium  137 

Adan  de  Yarza  263,  266 

Adria  177,   178,   187 

Adriatisches  Meer  28,  29,   177,   18 1, 

188 
Ägaeis  4,  29,  41,   196,   197 
Ägatische  Inseln  220 
Agina  194,  206 
Ägion  61,   199 
Ägypten  6,  32,  284,  410 
Ägypter  3 
Ätolien  4 
Afri   382 
Afrika   I,  9,  37 
Afrikanisches  Meer  226 
Agadir  323,  368 
Agaven  46 
Agde  81,  82,  86,  87 
Aghlabiten  379 
Agri  223 
Ahijön  249 
Aidipsos  202 
Aigues  mortes  86 
Ain-el-Hadjar  366 

,,    Umest  342 
Air  383 
Ai't  Aiach  389 

„     Yussi  387 
Akaba  20 

Akrokorinth   194,  203 
Alagon  255 
Albaner  Gebirge  80 
Albanesen  5,  40,  206,  377 
Alboran-Becken  22 
Alburno  228 
Alcaraz  250,  258,  259 
Alcudia  249 

Alexander  der  Große  4,  6 
Alexandria  4,  5,   17,  280 
Algarve  258 

Algerien  24,    66,    69,    90,    91,     159, 
283,  292,  410 


Algesiras  9 

Algier  24,    63,    67,    71,    72,    75,    88, 

92,  110,  113,  117,  130 
Alicante  270,  272,  277 
Alhucemas  373 
Almazan  260 

Almeria  113,  117,  130,  214,  218,273 
Almohaden  380 
Almoraviden  380 
Alvise  Cadamosto   10 
Alpen   15,    16,  33 
Altos  de  Barahona  255 

„        ,,    Cabrejas   256 
Alt-Kastilien  21 
Amar  385 
Amasighen  383 
Amerika  8 
Ampurdan  268,  269 
Anadob"  29 
Andalusien  38 

Andalusische  Einbruchsbecken  22 
Andalusisches  Faltengebirge    23,    30, 

270 
Andalusisches  Äquatorialsystem  276  fr. 
Anden   1 6 
Andevalo  250 
Andrea  Bianco    12 
Andros   199,  203 
Andujar  249 
Anti-  Libanon  20 

„     Taurus  42 
Antiochien  35 
Antonio  da  Noli    10 
Apenninen   17,  25,  30,  64,  197,  215, 

289 
Apuanische  Alpen  24,    25,    214,   218 
Apulien  227,  283 
Apulische  Scholle  215 
Aquileja    177,    180,    188 
Aquitanische  Schwelle  34 
Araber   14,  384,  385,  404,  408 
Arabien  4,   14,  20 
Arad  385,  392,  396 
Aragonien   22 
Arganbaum  340,  342 
Argentaro  214 


4I2 


Namen-  und  Sachregister. 


Argolischer  Golf  208 

Arkadien  4 

Arles  87 

Armenien   15,  32,  35 

Armenier  406 

Arnao  265 

Arno  80 

Aromunen  378 

Arsila  333 

Arta  201 

Arzeu  67,   137 

Aschak  137 

Asien   I,   II,   16 

Asowsches  Meer  30,  34 

Aspromonte  26,  223,  232,  239 

Astruc  83 

Asturien  252,  263 

Athen  4,  7,   123,  194,  205,  206,  208, 

209,  294 
Atlas,  marokkanischer  4,   16,  25 
Atlantischer  Ozean  12,   15,  16 
Atlasländer  8,  32,  37,  62,  64,   156 
Atlasvorland  von  Marokko    23,    283, 

292,  296,  350,  369 
Attika  205 
Aubert  209 
Aude  83,  85,  86 
Auflandige  Winde   120 
Auftriebküste  320  fr. 
Aulis  203 
Aures  89 
Aute  82 
Autololes  382 
Avienus  82 
Avigliano  223 
Azeffun   143 
Azemur  340 
Azpitia  266 
Azteken  6 

Babylonien  6 

Badajoz  9 

Badia  359 

Badis  374 

Baenatae  383 

Bagnara  225 

Bakel  358 

Baldacci  224,  229 

Balearen  271 

Balkan  29,  30,  33 

Barbagia  213 

Bargu  395 

Barka  19,  32,   37,  70,  405 

Barrois,  Charles  263,  265 


Bartas   137 

Basento  223 

Basilicata  219,  2  20 

Basken  376,  377 

Baskische  Provinzen  266 

Batum  43 

Baumgrenze  52 

Baza  274 

Beaumier  304,  324,  327,  337 

Beaumont,  Elie  de  84 

B£de   109 

Beechey  70 

Beled  el  Djerid  89 

Ben  Coucha  100 

Beni  Ahsen  347,  387,  398 

Meskin  343 

Mgild  387,  389 

Mtir  387 

Saf  66 

Uarain  387 
Belgrad  34,  40 
Ben  Schakschak  344 
Berard  97,  98,   100,   128 
Berbern  379  ff. 
Berenike  36 
Bergeat  212 

Berieselung,  künstliche  282 
Bertholon  381 
Beziers  86 
Birmandreis   128 
Biscaya,  Golf  von  22,  23 
Biserta  24,  76,   108,   160,   174 
Biskra  89,  3  50 
Boeotien  205 

Bona  67,  69,  73,  93,   145  ff. 
Bonelli,  Em.  322 
Borius  322 
Bosnien  409 

Bosporus  29,  30,  35,  42 
Bosporanisches  Reich  35 
Botte  Donato  232 
Botella  y  Hornos,  Fed.  244,  250,  256, 

269,  271,  275 
Bouc  85 
Boufarik  300 

Bougie  67,  68,  71,   III,   130,  138 
Bourdon   109 
Bräber  383,  392 
Brandungsbuchten  61 
Branco  217 
Brenner  27,   190 
Brenta   190,   191,   192 
Brescou  82 
Brindisi  39,    177 


Namen-  und  Sachregister. 


413 


Bristol   10,   II 
Brocchi  25,  217 
Brügge   11,   13 
Bruchgürtel  16 
Bucca  228 
Buchanan  320 
Bu  Djema   150,   151 

„    Hamara  373 

„    Hamra-Massiv   149 

„    Kamira-Sumpf  147 

„    Schater  161,   165,   168 
Bulgaren  403 

Bulgarische  Kreidetafel  29 
Burano   184,   185 
Bu  Regreg  306,  370 
Buzarea-Massiv  68,  94,    126 
Byzanz  30,  34 

Cabotto,  Giov.  9,   10 

„         Sebast.  9,   10,   11 
Cabo  da  Roca  255 
Cadiz  23,  277 
Calais   1 3 

Calderon  y  Arana  261,  270 
Callitris  quadrivalvis  3  40 
Campagna  Romana  285 
Campidano  213 
Campo  de  Beja  248 

„         „   Calatrava  250 

„        „    Montiel  271 

„         „    Ourique  248 
Canal  Bianco   187 
Canale  dell'  Arsa  180 

„       di    Lerne   180 

„         „    Quieto   180 
Canavari  228 
Cannes  82 
Cantillana  278 
Caorle   184 
Capellini  25,   217 
Capestang  83 
Capraja  214 
Capri  27 
Carbone  223 
Carpenter,  W.  320 
Cartagena  277 
Casablanca  304,  305,  310,  324,  337, 

340,  342,  344»  367,  369 
Casas  de  S.  Pedro  249 
Casetti  229 

Casiano  de  Prado  264 
Castel  Rousillon  86 
Castiglione  98,   100 
Cat,  Ed.    136,   137 


Catanzaro  233 

Cefalu  224 

Cerro  de  S.  Felipe  257 

Cervia   183,   184 

Cette  82,  84,  85,  87 

Ceuta  9,  368,  374 

Chabet  el  Akra  96 

Chaldaea  6 

Chalkis  202,  203 

Chalkidike  203 

Chattaras  284 

Chekli    158 

Chelif  70,  96,  286,  287 

Chelifebene  67 

Chenoua  Plage   124 

Cherchel  67,  70,    136 

Chersonesos  34 

Chianti  215 

China   1 1 

Chioggia   182,   184,   185 

Chudeau  262 

Cilento  228 

Cipango   I I 

Collignon  390 

Collioure  81 

Colmata  -  System   183,  291 

Colombi   137 

Columbus  8,   10 

Comacchio   182,   183,   184,   185 

Cons  86 

Cooke,  J.  H.  221 

Cordilleren   16 

Corsika  s.  Korsika 

Cortazar  251 

Cortese  222,  224,  225,  226,  228,  233, 

237.  239,  240 
Cortez  6 
Coscile  235 
Coursan  83 
Covadonga  264 
Cypern  2,  35 
Cyrenaika  383,  390 

Dakhelat  el  Mauin  156 

Dalmatien  41,  180,  190,  228,  293,  409 

Damaskus   35 

Dar  Ber  Reschid  344 

Dardanellen  30 

Daux   162,    164 

Davis   173,   174 

De  Giorgi  228,  230 

Dellys   130,   138,   143,   145 

Delos  7 

Delphi   7 


4H 


Namen-  und  Sachregister. 


De  Lorenzo  216,  218,  223,  224,  226 

Demnat  342 

Dereims,  A.   262 

Desfontaines   150 

Despefiaperros  258 

Deutschland  und  die  Mittelmeerländer 

*4»  375 
Dina  (Kahena)  381 
Dinarisches  Gebirge   180 
Diniz  III  9 

Djebala  388,  393,  394 
Djebel  Amar  158,   160,   163 

Aures  387,  390,  391 

Bu  Kurnin   156,   157 

Chanat   158 

Edough  68,   149 

Hadid  366 

Kabeur  el  Djehela   163 

el  Kebir  386 

Maiana   158 

Menzel  Rul  157 

Nadur   168,   170,   172 

Naheli    158,   160,   162 

Ressas   156 

Zerhun  347,  357,  359 
Djebilet  348 
Djedeida   1 59 

Djerba  385,  386,  390,  391,  394 
Djidjelli  68 

Djurdjura  68,  387,  390,  391,  394,  396 
Doelter,  H.  27 
Donau  41,   190 
Dorokanal   199,  203 
Doublet  250 
Doumet-Adanson   109 
Dreisam  230 
Duero  252 
Dufresnoy   84 
Duino   1 84 
Dukkala  283,  286 
Dumbre-Ebene  295 
Durance  85 

Ebro  22,  268,  269 

Ebrobecken  261,  263,  267,  270 

Edrisi   116 

Eduard  DI.   10 

Eduard  TV.   II 

Elba  214 

El  Batan  159 

El  Bekri   110,   154 

Elche  46 

Eleusis  205 

El  Gharb  340,  341,  373 


Elisabeth  von  England   10 
El  Klut  76 

„    Ksar  el  Kebir  338,  340 

„    Melah  76 

„    Mudenin  396,  397 

„    Sedjumi  76 

„    Ubeira  76 
Eine  86 
Enfida  385 

England  9,    10,   II,    13 
En  Nukra  282 
Epidauros  205 
Eretria  203 

Er  Ruan  77,   163,   164,   166,    169 
Esaro  235 
Esera  268 
Espichel  257 
Espozendo  252 
Etang  de  Bage  82 
Etna   52,  220 
Etsch   187 

Euboea   199,  202,  203 
Euphrat  2,  3,  33,  35 
Europa  1,   12,   16,  38 
Evripos    198,  202 

Fahcya  369,  389,  394,  395 

Faltenland,  eurasiatisches   17 

Farospitze  226 

Fauna  des  Mittelmeeres   56 

Feriana  89 

Fernau  305,  328,  332,  335 

Ferrara   184,   185 

Ferdinandea   18 

Ferrol  23 

Fetzara-See  76 

Fez  23,   370 

Ficheur  67,   119 

Ficke,  K.  337 

Filfila  69 

Fiumara  di  Piazzi  238 

„         „   Molaro  239 
Fiumare  Kalabriens  234  ff. 
Fiume  freddo  238 
Fiumi  Uniti    183 
Flachküste,  aufgeschlossene  63 
Flandern  9 
Flick   108,    109 
FloreDz  215 
Föhn  im  Atlas  360 
Föhrdenküste  63 
Fonduk   158,   160,  161 
Fort  de  l'Eau   II 8,   124 
„      Genois   151 


Namen-  und  Sachregister. 


4*5 


Fos  85 

Foucauld,  de  324,  354,  355 

Fouque  270 

Fra  Mauro   10 

Frankreich  22,  23,  28,  409 

Frejus  82 

Freschisch  (Frexes)  386 

Friaul  181,  182,  183 

Fritsch,  K.  von  349,  355,  358 

Frost,  John  306,  329 

Fruchthaine  53 

Fuente  de  Pietra  273 

Fussana  89 

Gabes  36,  89,  90,   108,  350,  384 

Gafsa  89,  90 

Galaat   161,   163,   164,   168 

Galater  378 

Galicia  9,  250,  251,  252,  264 

Gallien  8,  86 

Gallura  213 

Galtzadesgebirge  202 

Ganges  2 

Garaa  bu  Ammar   164 

Garaet  el  Mebtuh   159 

Garda-See   185 

Gargano  215,  227  fr. 

Garrigues  51 

Gavault,  P.   142,   144,   145 

Genua   10,   13 

Genuesen  8,   10 

Geräa  bu  K'mira  78 

Germain  85 

Germanen  41,  402 

Geruan  387 

Gharbia  344 

Ghor  20 

Gibraltar  9,  22,  28,  35,  36,  43,  272, 

280,  317 
Gilbert  305,  324 
Gioja  223,  225 

„      del  Colle  230 
Gleiterscheinungen  (Frane)  289 
Golf  von  Biscaya  255 
„        ,,     Korinth  60 
Gorgona  214 

Grab  der  Christin   101,   131 
Grado  80,   183,    184 
Granada  9,  274 
Grau  de  Grazel  85 
Griechen  3,  4,  5,  7,   14,   125,  399  fr. 
Griechenland   1,    4,   5,   7,    17,  30,  41, 

60,    193  fr. 
Griechisches  Inselmeer  28 


Groß-Novgorod  13 

Grottes  du  Nador   127 

Gruissan  82 

Grund,  A.   177,   181 

Grüne  Vorgebirge   10 

Gsell,  Stephan  132,   133 

Guadalaviar  261 

Guadalquivir  250,  258 

Guadalquivirbruch  248,  250,  257 

Guadalquivirbucht  22,    23,    248,  270, 

277  fr. 
Guadiana  249,  250,  256,  258 
Guadix  274 
Guanchen  382 
Guarda  Veneta   182 
Guenn,  V.   108,   173 
Guipuzcoa  266 
Guthe -Wagner  246 
Guyotville  96,   123 

Hadege  397 

Haffküste,  nordadriatische   176 

Hafsiden  380 

Haha  339 

Halmyro  201 

Hallulasumpf  130 

Hamema  385 

Hamilkar  Barkas   160,   16 1 

Hammam  el  Atrus   157 

„  Korbeus   157 

„  Lif  157,   168 

Hamy  385 
Hanoteau  387 
Hansa   1 3 
Hanseaten   II,    13 
Harris,  W.  B.  359 
Haug,  E.  221 

Hauptscheidegebirge    Iberiens    252  ff. 
Heinrich  VIII.  von  England   II 
Heinrich,  Prinz  von  Portugal   10 
Helike  61,   199 
Hellenismus  7 
Herault  85 
Hercegovina  41 

Hippo  Regius  78,  147,  149,  151,  154 
Höhenregionen   51  ff. 
Holland   13 
Holländer   1 1 
Honein  67 
Hooker,  J.   109,  323,  324,  331,  342, 

354,  359 
Howard  384 
Huelva  23,  250,  258 
Hybläisches  Bergland  287 


416 


Namen-  und  Sachregister. 


Hydra  194,  206 
Hyeres  82 
Hypata  202 

Ibafiez  245 

Iberische  Halbinsel  8,  38,  45,  46,  240  fr. 
„         Scholle  22,  246  ff. 
Tafelland  258  ff. 
Ibn  Haukai   154 
Idice   183 
Idubeda  261 
Iglesiente  213 
Illyrisch  -  griechisches     Faltengebirge 

29,  30,  33»  39.   195 
Immergrüne  Region  52 
Indus  2 

Indien  3,  4,  6,    10,   14 
Innauen  373 
Ionien  6 

Ionisches  Tiefbecken   16,   19,  20 
Iran   15 
Irland  66 
Iskanderun  32 
Isonzo   181,   182,   183 
Istrien   177,   180 
Italien   17,  25,  39,  47,   177 
Italiener  8,    9,    10,    II,   13,   123,  408 

Jackson  328,  360 
Jaffa  3 
Jaxartes  2 
Jean  Bart  124 
Jerusalem  282 
Jilocatal  262 
Jordan   19,  20 
Juden  399 

Kabylei    117,    128,   130,   137  ff.,  379 

Kaffa  35 

Kairuan  352,  379,  381 

Kaläat  el  Wed  77,   159 

„        ,,    Andless   160 
Kalabrien  24,    25,    27,    216,    222  ff., 

225,  231  ff.,  287  ff. 
Kalender  der  Berbern  394 
Kalkkruste  der  Mittelmeerländer  29  5  ff. 
Kallimachos  390 
Kamart   157,   162,   164,   169 
Kanaltal   190 
Kanarische  Inseln  390 
Kandiligebirge  202 
Kantabrisch  -  pyrenäisches    Faltenland 

23,  263  fr. 
Kap  Bengut   139,    140 


Kap  Blanco    112 

Bon  73,  75 

Bougaroni  74 

Busto    156,  251 

Carbon  68 

Cavallo  68 

Caxine  94,   125 

Chenoua   67,    93,    95,    98,    HO, 
123,   131,   136 

Circeo  217,  226 

Couronne  81,  85 

Dellys   139,    140 

delF  Armi  239 

Djinet  68 

Fartass   157 

Finisterre  264 

de  Garde   146,   147 

Gata  277 

Ghir  95 

Juby  308,    314,    320,  322,  323, 
326,  384 

Malea  200 

Matifu    100,   114,   137 

Nao  75,  270,  272,  276 

Palos  75,  275,  277 

Rosa  69,   146,   147 

San  Antonio  271,  275 
„     Vicente  250,  258,  259 

Sidi  Ferrouch   67,    68,    75,    94, 
98,   123,    127 

Spartel  22,    109,  307,  325,  329, 

^  332,  335.  337.  338 

Spartivento  226 

Suvero  238 

Tedles   145 

Trafalgar  22 

Vaticano  225,  233 
Kapland  62 
Kappadokien  379 
Karl  V.  9,  73 
Karmel  20 
Karpathos    199 
Karst   180 

Karthago  7,  24,  77,  155 ff.,  165,  175 
Kaspisches  Meer  20 
Kastilien  9 

Katalonisches  Gebirge  268  ff. 
Kaukasus  30,  33 
Kelten   14 

Kerkenah-Inseln  386 
Kessera  395 

Khalidj   78,    146,    147,    148 
Khlot  385 
Kiepert,  H.   117,   153 


Namen-  und  Sachregister. 


417 


Kleinasien  6,   17,  20,  30,  40,  41,  42, 

409 
Klima  der  Mittelmeerländer  279  ff. 

,,        des  Gebirgslandes  von  Marokko 

353  ff- 
Knoch,  K.  310,  326,  338,  351 
Kobelt  390 
Koceila  381 

Konstantinopel  4,  34,  42,  209 
Korfu  4,   199 

Korinth    193,    194,    198,    199 
Korsika  25,  75,  213 
Krämer,  Dr.  321 
Kreta  4,   5,  30,   36,  42 
Krim   33 
Kristallinische       Konglomerate       der 

Apenninen  217 
Kroaten  403 
Krumir  382,  386,   390 
Krümmel,  O.    321 
Ksar  Beni   Knezer  397 
Kühle  Auftriebsküste  von  Marokko  3 1 9 
Kulturkreis,  mediterraner   1 
„  ostasiatischer    1 

Küste  von  Toskana  79 
Küstenströmung  von  Algerien   74 

„  „     Languedoc  84 

Kykladen   197,    199 

Labheira  76 

La  Calle   147,   151 

La  Cava  215 

La  Corufia  23 

Lacus  Rubresus  83 

La  Goletta   157,    166,   167,   168,    109, 

174 
Lagonegro  218,  223 
Lajno  223 
La  Marsa  90 
Lambert   108 
Lamia   20 1,   202,   203 
Lamone   183 
Lamothe,   de    126 
Lampedusa   17,    18,  226 
Languedoc  22,    79,    81,    82,    83,  86, 

87,  409 
La  Nouvelle  85 
Lao  236 
La  Perouse   124 
Larasch  340 
Larras,  Kapitän  367 
l.artigue   390,   392 
Lasaulx,  A.  von  66 
La   Serena  250 

Fiteber,  Bdittelmeerbilder.   Neue  Folg« 


Latium  25 

La  Trappe   127 

Lauria   223 

Lavigerie   149 

Lenz,   O.    109,   341,   345 

Leo  Africanus  70,   115,   154 

Lepinische  Berge  215,  217 

Leucate  81,  82,  85 

Leukos  Limen  36 

Libanon  2,  20 

Libu  390 

Libysche  Wüste  383 

Ligurien  27 

Linares  306,  328 

Linosa   18 

Liparen  212,   224,   225 

Lissabon  9,   14,  23,  32 

Livenza    183 

Livorno   80 

Llobregat  268 

Llusanes  268 

Lokris    198 

Lomas  de  Chiclana  278 

„    Ubeda  278 
Lombardei  285 
London   10,   II,    13 
Longobardi  238 
Los  Pedroches  249,  250 
Lozaya  259 
Lucca  215 

Ludwig  der  Heilige   10 
Luftdruck     und     Luftströmungen     in 

Marokko  312 
Luftfeuchtigkeit  in   Marokko   345  ff. 
Lukanien  220 
Lukkos-Tal  340 
Lykien  2  1 

Macchien  der  Mittelmeerländer  49 

Maceniten  382 

Mac  Carthy,  O.  92,  95 

Macpherson,  J.    245,    251,  255,  256, 

264,  270,  275,  276 
Macrochloa  tenacissima  51 
Madjcr  386 
Madonie  45 
Mafragh   146,    148 
Magnan  263 
Maison  Carree   118 
Majella  228 
Makedonien  6,   18 
Makri    134,  324 
Malaga  274 
Mali  moeco    192 


4i8 


Namen-  und  Sachregister. 


Malaria   der  Mittelmeerländer    298  ff. 

„         von  Italien  301 

„         in  Marokko  36 1 
Malta  5,    17,    18,  220,  221,  280 
Maltzan,  H.  von  8g,   IOI,   165,    173 
Mancba  271 
Manen   167 
Manfredonia  228 
Marburg  337 
Marco  Polo   10,    II 
Marecchia   181,   183 
Marengo  97,   103 
Margerie,  E.  de  263,  266,  268 
Maria,  die  Katholische    1 1 
Marinelli   186 
Marismas   278 
Marmarameer  30,  74 
Marmarika  5,   19,  405 
Mar  Menor  277 
Marokko  24,  36,  303  ff.,  311  ff.,  367  ff., 

374 
Marrakesch    46,    284,  307,  310,  342, 

343»  344,  347-  349.  35'.  356,  358 
Marseille  34 
Martiniere,  de  la  325,   330,  331,  m, 

345 
Martiro  d'Anghiera,  P.  9 
Marx,  H.   308 
Massa  Marittima  214 
Massiker  Gebirge  217 
Matera  2  30 
Matese  229 
Matmata  397 
Matten   51 
Mattinata  228 

Maur,  H.  von  305,  309,   346 
Mauren  9,   383,  398 
Mauritania  Caesareensis  373 

„  Tingi  tana  373 

Maw   109 
Maxyes  382 

Mazafran  97,  98,  99,   128,   129 
Mazagan  310 
Mazikes   382 
Mebtuhbecken   160 
Medjerda  24,    76,    77,    78,    90,    155, 

156,    158,    160,  161,  162,  164,  166, 

167,    168,    170,    173 
Medjez  el  Bab    159 
Meerengen,  pliocäne,  von  Süd-Italien 

215 
Megara  205 
Mehamla  89 
Mehedyia  373 


Mekran  62 

Melilla  374 

Menaä  392 

Meneghini  25,  218 

Mercier  151 

Meriniden  380 

Mers  el  Kebir  67,    137 

Meseta,  Iberische  21,  23 

Mesima  233 

Mesopotamien  3,  33,  35,   284 

Messina  25,  27,  28,   197,  233 

Metamer  396 

Milazzo  224 

Milet  6 

Minorka   221 

Misrana -Wald   142 

Misrata  383 

Mitidja  67,  68,  95,  97,  99,  117,  124, 

129,    130 
Mitidja- Atlas    130 
Mittel-Europa   15,  40 

„      Marokko   338 
Mittelmeer  43,  60 
Moderni,  P.  228 
Mogador  120,  315,  327,   332,  334  ff., 

337.  338,  356,  358,  362 
Mogod  386 
Molukken  9 
Moncabrer  279 
Moncayo  260,  262 
Mondovi    147 
Monemvasia  200 
Mongolen  404 
Monseny  269 

Montagne  de  la  Chape  82,  83 
Montagnes  des  Maures  213 
Monte  Amiata   52 

„       Cocuzzo  238 

„       Polhno  232,  233 

„       Sant'  Angelo  228 
Montenegro  293 
Montes  de  Toledo  249,   256 
Montoro  249 
Montpellier  86 
Montserrat  269 
Mornag-Ebene   158 
Mostaganem  67 
Motril  274 

Mouchez  73,   78,    167,    173,    174 
Mozabiten  392,  394 
Muela  de  .San  Juan  260 
Muhadschir  406 
Mulahacen  23 
Mulujagebiet  311,  370 


Namen-  und  Sachregister. 


419 


Murcia  270,  271,  272,  277,  285 
Murgie   228 
Mustapha   117 
Mtuga  331,  339 

Nachtigal,  G.  90 

Nadelhölzer   der  Mittelmeerländer  48 

Nähr  Zerka  20 
Narbonne  34,  83,   86 

Nares  320 

Nauplion  200,  206,  208 

Neapel  27,  79,  215 

Nebel  an  der  Küste  von  Marokko  323 

Neerströme  an  der  Küste  der  Berbe- 
rei  75 

Nemours    121 

Nera  286 

Neu-Griechen  7 
,,     Kastilien  21 
„     Korinth   194 

Neumayr,  M.  60,   229 

Nicastro  238 

Nickles  272 

Niederdeutschland   1 1 

Niederschlagsverhältnisse  des  Küsten- 
landes von  Marokko  330  ff. 

Niel,  O.   150 

Nil  4,    17,    19,  20,  36,   158 

Nizza  82 

Nocera  215 

„        Tirinese  222,   223 

Nogueia   268 

Nordenskjöld   1 1 

Nord-Marokko  338,  339,  348 

Nordsee   13 

Nord-Syrien  32,  ^^ 

Norwegen  4 

Norweger    1 1 

Numidischer  Golf  68 

Nurra   213 

Odessa  5,   30,  34 
Ölbaum   53 
Olympia  7 

Oman,  Bucht  von   177 
Onibrone   80 
Oporto  23,   252 
Opuntien  46 
Oran  67,  72,  73,  75 
Orb   85 
Orduna  266 
Oreos-Kanal  201 
Oreste   225 
Orleansville  96 
Ost-Afrika  4 


Ostiglia   182 
Ostsee   13,    14 
Oubay  72 
Oviedo  265 
Oxos  2 

Padua   185,   192 

Padusa-Haff  1S2,    183 

Palästina   1,  3,  7,    14,   31,  286 

Paleocapa   192 

Palermo  63,  280,  285,  294 

Palmi  225 

Palmyra  35 

Pantelleria   l8,  28,  220 

Pantikapaeon  34 

Papier,  A.    148,    149,    151,    153,   154 

Paramera  de  Molina  262 

Partsch,  J.    77,    108,    155,    156,    162, 

163,   166,   174 
Pasmathus    137 
Patras   208 

Pavoa  de  Varzim  252 
Pedro,  Prinz  von  Portugal   10 
Peirac  82 

Peloponnes  41,    194,   195 
Peloritanisches  Gebirge   24,   26 
Penamacor  249 

Penon  de  Velez  de  la  Gomera  374 
Perestrello    10 
Perpignan  83 
Perrier  78 
Persischer  Meerbusen   14,   15,  33,35, 

177 
Pervinquiere    108,    109 
Peschel,  O.   366 
Pessagno,  Emm.  9,    10 
„  Carlo  9 

„  Leonardo   10 

Pctali  202,  204 

Pflanzenwelt  des  Mittelmeergebiets  44 
Phaleron  207 
Phanagoria  34 
Philipp   der  Schöne    10 
Philippeville  72,   73,  92 
Philippson,  A.   195 
Phöniker   2,    3,   4,    14 
Phrygana  51 
Phteri   200 
Piave   183,   191 
Picos  de  Europa  264 
Pillau   76,    157,    172 
Piräus  207,  208 
Pisaner  Berge  219 
Planasse  82 


420 


Namen-  und  Sachregister. 


Plane  76,   157 
Po   182,   185  ff. 
Po-Delta   182,   186 
„    Ebene   178 

Pointe  Pescade  94,  95,    1 10,    125 
Poiret   150 
Pola  180 
Policastro  224 
Polybios    161 
Pomel   108 
Pomobecken  177 
Ponsul   155 

Pontinische  Sümpfe  226 
Poro-Massiv  215,  216,  222 
Porös   194,  206 
Portillo  de  Cigarra  249 
Porto  252 
Porto  Bullones  9 

,,      Farina  yj,  78,    162,    166,    169, 

171,   173 

„         anto   10 
Port  de  Velate  263 
Portugal  9,    10,     13,    38,    248.    250, 

252,  256,  264 
Portugiesen  9 
Poseidonkultus   198 
Pozzuoli  28 
Prejano  262 
Provence  81,  85 
Ptolemaios  382 
Puerto  Pefia  249 
Punta  della  Estaca  de  Vares   251 
Puff,  Dr.  320 
Pyrenäen  22,  23,  266 

Quaderno    183 
Quarnerische  Inseln   180 
Quellentemperatur  in  Marokko  360 
Quintanar  de  la  Orden  259 
Quiroga,  Fr.  322 

Rabat  306,  316,  340,  341,  344 

Rachgun  66 

Raganello  236 

Ras  Acrata  98,   IOO 

„     Addar   156 

,,     el  Amuch   127 

„     Engeiah   112 

„     Sidi  Ali  el  Mekki   156 
Ravenna    177,    178,    182,    183,    185, 

188 
Reclus,  E.   108,   155,   166,  244 
Reggio  225,  229 
Rein,  J.  J.  355 
Reno    183 


Rhia  385 
Rhiata   7,72»  3^6 
Rhodapegebirge  29 
Rhodos  4 

Rhonetal  28,  34,  79,  82,  85 
Richelieu  87 
Richthofen,  F.  v.  90,  91 
Rif  22,  23,  73,  392 
Rimini   181,   185 
Ritter,  K.  243,  260 
Riviera  280 
Rohlfs  71,  323,  355 
Rom  7,   14,  215 
Romagna   181 
Romanische  Völker  403 
Römer  8 

F.  258 
Ronda  273 

Roon,  A.  von  242,  258,   261,  269 
Rotes  Meer  4,    17,  20,  35,  36 
Rotonda  223,  236 
Rottenburg  309,  324,  329,  347 
Roudaire   108 
Rumänen  5,  23,   199 
Rumelische  Scholle  28,   39 
Ruscino  83 
Rusgunia   115,    116,    117,    130,    137, 

139 
Rusibricari  Matidiae   137 
Russische  Tafel   16 
Rußland   1 1 
Rusubbicarri   116 
Rusuccurru   117,   142,   143 

Saatfelder  52 
Sabatini,  V.  2 1 7 
Sabiner  Gebirge  222 
Sado  259 
Saffi  310,  328 
Sahara  96 
Sahara-Atlas  24 
Sahel  von  Algier  95 

„         „     Tipaza  95,  97,    129 
Saint  Eugene   113,   122 

„      Gilles  87 

„      Louis  du  Senegal  358 

„      Martin  82 
Sainte  Lucie  82 
Salado,  Rio  278 
Salamanca  249,  253 
Salamvria  200 
Salerno  217 
Salleles  83 
Salmojraghi   224 


Namen-  und  Sachregister. 


42£ 


Saloniki  30,   34,  40,    19g 
Sama  de  Langreo   265 
Sambiase  239 
San  Fernando  337 
„     Sebastian  264 
St.  Llorens  269 
Santa  Eufemia  223,  225 
Santander  266 
Santorin  5 
Sarajevo  41 

Sardinien  24,  25,  28,  75,  213,  214 
Sarmatisches  Meer  30 
Saronischer  Golf  194,  204,  205,  206, 

208 
Sarrabus  213 
Säulenkap  Attikas  205 
Savio   183 
Sayago  250,  252 
Schaamba  384 
Schauia  339,  340,  343.  344.  387.  390, 

392 
Schedma  339,  340,  342,  387 
Schelif  s.  Chelif 
Scherifen  393 
Scheschauen  338 
Schluh  390 
Schmidt,  J.   199 
Schott   12  t 
Schrader,  Fr.  266 
Schulz  251 

Schwarzes  Meer  6,  30,  74 
Schwarzwald  230 
Scilla  225 
Sebala   16 1 
Sebau    138,   143 

Sebubucht  23,  339,  340,  342,  371 
Segonzac,    de    354,    373,    374,    387, 

389,  399 
Segovia  259 
Segura  277 
Semmur  387,   398 
Serben  41,  403 
Serbien  28 
Serchio  79 
Serino  219 
Sena-Aspromonte-Massiv  233,   235 

..      da  Estrella   255 

,,      „    Cintra  255 

„     Arrabida  255,  259 
Serrama  de  Ronda  275,  277 
Settat    370 
Setubal  23,   255 
Sevilla  23 
Seybuse  78,  96,   146,   147,    150 


Shaw   116,   158,   162,    163,    174 
Sidi  Aissa  bu  Chabia   343 
„     Amor  bu  Ktiua    163 
,,     Bu  Said   165 
„     el  Arosi  342,   343 
„     Kassem  344,  370 
Siedelungen  der  Berbern  395 
Sierra  Alta  262 

de  Alcaraz   271 
Alhama  273 
Almijara  273 
Altamira  249 
Aracena  250 
Ayllon  255 
Cadi  268 
la  Caldeira  2 50 
Carche  27 I 
Contraviesa  276 
la  Culebra  249,  253 
„    Demanda  260,  262 
las  Estancias  274 
Faladeiro  251 
los  Filabres  275 
Francia  249,  253,  255 
Gador  276 
Gata  249,  253,  255 
Gredas   253,  255 
Guadalupe  249 
Guadarama  253,  255,  259 
Maria  274 
Meira  251 
Menera  262 
Ministra  255 

Morena  256,  257,  258,   262 
Nevada  273,  275,  276 
de  Pela  249,  255 
„    Pena  Negra  249 
„    Pila  271 
Rofiadaira  251 
Sagra  27 I 

de  San  Mamede  249 
„      „     Pedro  249 
„    Vicor  262 
„    la  Virgen  262 
„    las  Yeguas  273 
Sicilien   17,   18,  24,  90,  285 
Sicilisch-afrikanisches  Meer   1 7 
Siena   214 
Siga    137 

Sila  25,   27,  216,  232,  233,  235,  238 
Sile   191 
Silgebiet  264 

Sinkstoftuhrung  der  Flüsse    290 
Skarpheia  61,    199 


422 


Namen-  und  Sachregister. 


Skuphos    198 

Skylax   137 

Skyllaeon  205 

Slawen   5,  403 

Smyrna  5,  208 

Sofia  29 

Sorrent  28,  214,   217 

Spanien  9,   50,  409 

Spanier  6,   123,   124 

Spercheios  202 

Spetzae   194,  206 

Spezia  25,  79,  218 

Spina   177,   187 

Sporaden  201,  203,  204 

Srigina  71 

Stäche  227 

Stagnone-Insel  226 

Staubwinde  Inner-Marokkos  359 

Stefano,  G.  de  229 

Steilküste,  aufgeschlossene  63 

Stora   71 

Strabon  86 

Subatlantische  Berieselungsoasen  352 

Sudan  32 

Sudak  35 

Südosteuropäische  Halbinsel  39 

Südwestpeloponnesische  Tiefe   16,  20 

Suess,  E.  60,  64,  75,    110,    178,  199, 

221,  253,  276 
Suez  35 
Sybaris  235 
Syrakus  6 

Syrien   5,  6,   17,  20,  32,  41,  284,  409 
Syrte,  große  5,  22 

„       kleine   18,  27,  32,    120 
Syrtenmeer   19,  37 

Tacfarinas  380 

Tafilelt  372,  388 

Tafna   137 

Taganrog  43 

Tagliamento    183 

Tajo  249,  251,  256,  259 

Taksebt   141,   145 

Talantikanal   198 

Tamahu  390 

Tanger  306,  325,  337,  338,  340,  362fr., 

374 
Tarent  6,  27,  39,  177,  220,  230,  233, 

235 
Tarik   381 
Tarragona  269 
Tarsia  236 
Tasa  23,  373 


Tasaut  349 

Tataren  405 

Taufälle  in  Marokko  322,  343  ff. 

Taurus  42 

Tchihatscheff  114 

Tebessa  89 

Teburba  77,    158,    159 

Tech  85 

Tedla  359 

Teil- Atlas  23,  24 

Tellini,  A.  229 

Tenes  67,  72,  73 

Tensift  340,  341,  342,  343,  352,  371 

Ter  268 

Terracina  226 

Terranova  236 

Terrassen  in  Kalabrieu  222 

Teruel  260,  285 

Tet  85 

Theben  3 

Thermische  Verhältnisse  Inner  -  Ma- 
rokkos 326,  356 

Thermopylen  202,  203 

Thessalien   199,  200 

Thomson,  J.  349,  355,  359,  360 

Thrakien  28 

Thugga  398 

Tiber  288 

Tiberias-See   19 

Tiberius,  Kaiser  27 

Tierwelt  55 

Tietar  249 

Tigris  2,  33,  35 

Tigzirt    117,    138,    139,    140,  141,  143 

Timbuktu  36,  383 

Tipaza  67,  88,  93,  101,  122,  123, 
129  ff. 

Tirremt   396 

Tirsboden  339,  340,  343 

Tissot,  Ch.  77,  155,  156,  158,  162, 
163,    166,  382,  390 

Tizi  Uzu   143 

Tlemcen  373 

Tliq   385 

Tolosa  265 

Tomillares   5 1 

Torcello   178,    185 

Tornquist  25,  213 

Toscanelli  8 

Toskana  289 

Toskanisches  Erzgebirge  24,  214 

Toskanische  Inseln  24,  80 

Totes  Meer  33 

Tremeaux   103,   129 


Namen-  und  Sachregister. 


42,3 


Tremitische  Inseln  229 

Treviso    185 

Tricheri  200,   201 

Triest  30 

Tripolis  36,  70 

Tripolitanien  32,  392 

Troizen  205 

Tropea  225 

Tropez  82 

Tschad-See  36 

Tscherkessen  405 

Tschifalo    124 

Tsul  373 

Tuareg  383,  398 

Tunesien   17,  23,  24,  45 

Tunis  72,  76,  77,  90,  156,  169,  174, 

221,  283,  292,  350 
Turkestan  6 
Turrucum  262 
Tuthmosis  III.  3 
Türken  5,   14,  378,  404,  408 
Tyrrhenis  24,  25,  211fr".,  220 
Tyrrhenisches  Meer   64,   80,  177,  212 

Uabhiten  394 

Udschda  23 

Uessan  330 

Uled  bu  Sba  342,  343,  349 

„      Delim  385 

„      Hilal  385 

„      Na'il  392 

„       Solei'm   385 
Ura-er-Rbia  342,  352,  371 
Ungarn  40 
Usodimare   10 


Utik 


iodimare   10 

ika  24,  77,    157,    i6r,    164,   165 

Valencia  22,  261,  270,  285 

Valle  dei  Sette  Casoni    183 

Vallo  di  Diano  223 

Varano  228 

Vasto  230 

Vegetation  der  Wasserläufe   51 

Venedig  10,   13,  36,  39,   176  fr. 

Verazzano,  Giov.   10 

Verdunstung  über  dem  Mittelmeere  74 

Vergara  266 

Verkarstung  292 

Verneuil,  de  260,  270,   272 

Verödung  der  Mittelmeerländer  302 

Vespucci,  A.  9 

Vesuv  215 

VigO    23 


Vinalapö   277 

Viola,  C.  216,  217,  229 

Vizcaya   266 

Völkerleben   57 

Völkerstatistik  407 

Volksdichte  am  Mittelmeere  408 

Volo   201 

Vorderasien  6 

Vrana-See   181 

Vultur  52,  219,  23U 

Vulturnino   219 

Wälder  der  Mittelmeerländer  48 
Wasgenwald  231 
Wasserstraßen  der  Po-Ebene   193 
Weber  306,  325,  332 
Wed  bu  Namussa   146 

Beht  370 

Churka    146 

Hamiz   117,    118 

Harrach   1 1 7 

el  Kebir  146 

Miliana  156,   158 

Msun  372 

Nador  97,  99,   103,    129,    133 

Rdem  370 

Rir  384 
Wegsamkeit    des  Atlasvorlandes   von 

Marokko  371 
Weinbau  in  Algerien   129 
White,  H.  306 
Wien,  Senkungsfeld  von  30 
Willkomm,  M.    243,    256,    258,  261, 

269 
Wind    als    geologischer  Arbeiter  294 
Wirbel  von  Faltengebirgen  221 
Wlachen  41,  378 
Wüstentafel    15,   17,   19,  32,   35 

Xataves  9 

Yssuf-el-Hadschadschi  9 

Zaccagna  25,  218 
Zaghuan   176 
Zaian   387 
Zair  388 
Zannone  217 
Zembra  76,    157 
Zembretta  76,    157 
Zenaga   383 
Zenata   384 
Zianidcn  380 
Zinzaren   378 


Druck  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig. 


Tafel  I. 


<Me Dunenzüge  ^^ln  geschichtlicher Zeit 
gebildetes  Land 


4.  Die   Rundbucht 
von  Algier 
i  :  350000 


rafe!  l. 


20'  ö.  v.  Gr. 

i.   Die  tektonischen  Grundzüge  des   Mittelmeergebiets 
1  :  35000000 

st%  Junge  Faltengebirge 

«BS  Alte  Rumpfschollen  (die  lydische  und  die  kykladische  Masse  nach  Philippson) 

I  I  I  I  Bereich  des  eurasiatischen  Faltenlandes 

///  Bereich  der  großen  Wüstentaf.-l 


Caöa  de  Creus 


6.  Die  nordadriatische 

Haffküste 
1  : i 500000 


2.  Thalassogene 

Schwemmlandküste 

von   Languedoc. 

1  :  r  500000 

+  Verlandete  Inseln 


3.   Brandungsbuchten  bei  Tipaza 
1 : 50000 


Pijchei     Mittc-Ii 


,.  Die   Rundbucht 

von   Algier 
1 : 350000 


Tafel  II. 


Mitte! iild, 


Verlag-  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin. 

Vom  Verfasser  erschien  früher: 

MITTELMEERBILDER. 

GESAMMELTE  ABHANDLUNGEN  ZUR  KUNDE 
DER  MITTELMEERLÄNDLR. 

[VI  u.  480  3.]    gr.  8.     1906.     geh.  M  6.  — ,  in  Leinwand  geb.  M  7 . — 

Inhalt:  I.Aus  dem  Orient.  Ein  Ausflug  von  Konstantinopel  zur  Höhle  von 
Yarim-Burgas.  Landschaftsbilder  von  der  bithynischen  Riviera.  Die  geographische 
und  ethnographische  Unterlage  der  orientalischen  Frage.  Die  Dattelpalme  im 
Kultur-  und  Geisteslebeu  des  Orients.  II.  Palästina.  Eine  länderkundliche 
Studie.  Allgemeine  Charakteristik  und  Entwicklungsgeschichte.  Die  Küstenebene. 
Westjordanland.  Jerusalem.  Das  Ghor.  Sodom  und  Gomorrha.  Ostjordanland. 
Das  Klima.  Pflanzenwelt.  Bevölkerung.  Wirtschaftliche  Verhältnisse.  Ver- 
waltungseinteilung. Zukunft  des  Landes.  III.  Italien.  Eine  länderkundliche 
Skizze.  Entwicklungsgeschichte.  Bodenplastik.  Klima  und  Pflanzenwelt.  Be- 
völkerung. Wirtschaftliche  Verhältnisse.  Volksdichte  und  Siedelungskunde.  Die 
sizilische  Frage.  Ansiedelung  und  Anbau  in  Apulien.  Land  und  Leute  in  Korsika. 
IV.  Die  Iberische  Halbinsel.  Geographische  Skizze  der  Iberischen  Halbinsel. 
Skizzen  aus  Südspanien.  V.  Die  Atlasländer.  Die  Küstenländer  Nordafrikas 
in  ihren  Beziehungen  und  in  ihrer  Bedeutung  für  Europa.  Zwischen  Tebessa  und 
Gabes.  Reiseskizzen  aus  Südtunesien.  Reiseeindrücke  aus  Marokko  im  Jahre  1899. 
Marokko.  Eine  länderkundliche  Skizze.  Französische  Kolonialpolitik  in  Nord- 
westafrika. Fünfzehn  Jahre  französischer  Kolonialpolitik  in  Tunesien.  Tunis, 
Biserta  und  Tunesien  im  Jahre  1904.  Palmenkultur  und  Brunnenbohrungen  der 
Franzosen   in    der   Algerischen   Sahara.     Namen-   und  Sachregister. 

Die  vorliegende  Sammlung  von  Abhandlungen  zur  Kunde  der 
Mittelmeerländer  enthält  Früchte  dreiunddreißigjähriger  Studien  über 
die  Mittelmeerländer  und  von  einigen  zwanzig  bald  längeren,  bald 
kürzeren  Reisen  im  Bereich  derselben  vom  Bosporus  bis  Südwest- 
marokko in  den  Jahren  1872 — 1902.  Sie  beruhen  fast  durchaus  auf 
Selbstsehen,  ja  einige  sind  geradezu  Reiseschilderungen,  andere  da- 
gegen enthalten  in  gedrängtester  Kürze  die  Ergebnisse  einer  langjährigen 
Denkarbeit,  die  sowohl  auf  vielseitige  eigene  Beobachtungen,  wie  auf 
Verarbeitung  einer  Fülle  wissenschaftlichen  Quellenstoffes  der  ver- 
schiedensten Art  zurückzuführen  ist. 

„Alle  Freunde  des  Mittelmeergebiets,  der  alten  Heimstatt  unserer  wissen- 
schaftlichen Bildung,  des  ewig  jungen  Zauberkreises  erfrischender,  neu  anregender 
Eindrücke  in  den  Erholungspausen  des  Lebenstagewerks,  werden  es  dem  Verfasser 
Dank  wissen,  daß  er,  nachdem  er  die  gewichtigen  Früchte  seiner  planvollen  Forschungen 
in  bedeutenden  Werken  und  gehaltvollen  Einzelstudien  niedergelegt,  nun  auch  die 
anmutigen  Blüten,  die  er  an  seinen  Wanderpfaden  gepflückt,  und  die  für  die  ganze 
gebildete  Welt  bestimmten  Zusammenfassungen  seiner  Eindrücke  von  Ländern  seines 
besonderen  Arbeitsfeldes,  Augenblicksbilder  ihrer  Zustände  und  vor-  und  rückwärts 
gekehrte  Übersichten  ihrer  Entwicklung  und  ihrer  Bedeutung,  in  einem  stattlichen 
und  doch  noch  handlichen  Bande  vereint  hat.  Er  hat  damit  dem  Leser  mehr  ge- 
boten, als  er  selber  plante,  nicht  nur  die  einheitliche  Wirkung  von  Studien,  die 
über  33  Jahre  sich  verteilen,  sondern  auch  den  Eindruck  seiner  eigenen  Entwicklung 
als  Forscher  und  Darsteller  von  den  munteren,  vom  blanken  Spiegel  eines  jungen 
wissensdurstigen  Sinnes  in  farbenfrischer  Unbefangenheit  zurückgestrahlten  Wahr- 
nehmungen der  ersten  Reisen  bis  zu  den  mit  dem  Bewußtsein  methodischer  Ver- 
antwortüi  hkeit.  bedächtigeren  Schrittes,  mit  sorgsam  gedichtetem  Gedankengefüge 
und  minder  leirhtflü^i^em  Satzbau  auftretenden  Essays  des  ausgereiften,  in  seiner 
Eigenart  abgeschlossenen  geographischen  Denkers." 

'Dr.  A  Petermanns  Geogr.  Mitteilungen.     1907.  Heft   1. 


Verlag  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig-  und  Berlin. 

DAS 

MITTELMEERGEBIET. 

SEINE    GEOGRAPHISCHE   UND    KULTURELLE 

EIGENART. 

Von  Dr.  A.  PHILIPPSON. 

PROFESSOR    AN    DER    UNIVERSITÄT    HALLE    A./S. 

2.  verbesserte    Auflage.     Mit   9    Figuren   im   Text,    13  Ansichten   und 

10  Karten  und   15  Tafeln.     [XII  u.  261  S.]  gr.  8.     1907.     In  Leinwand 

geb.  Jl.  7.  — 

„Es  ist  in  jeder  Hinsicht  eine  des  Meisters  der  Länderkunde,  Ferd.  v.  Richt- 
hofens,  dem  es  gewidmet  ist,  würdige  Gabe.  Die  Aufgabe,  die  sich  der  Verfasser 
gesetzt  hatte,  das  Mittelmeergebiet  als  ein  nach  seiner  Entstehung  und  seinen 
Charakterzügen  einheitliches  darzustellen,  den  ursächlichen  Zusammenhang  der 
Erscheinungen,  soweit  sie  geographisch  bedingt  sind,  herauszuarbeiten  und  überall 
auf  dem  festen  Boden  exakter  Beobachtung,  nicht  der  geistreichen  Spekulatiou, 
nachzuweisen,  ist  glänzend  gelöst.  Philippson  enthüllt  hier  ganz  neue  Seiten  seines 
Wissens  und  Könnens  und  bietet  auch  dem  Kulturhistoriker  und  dem  Soziologen 
sehr  viel.  Methodisch  bedeutsam  ist  auch  die  überall  scharf  durchgeführte  Scheidung 
von  Geologie  und  Geographie." 

(Dr.  A.  Petermanns  Geogr.  Mitteilungen  1904,  Heft  VIL) 

„Überall  werden  uns  frische,  in  dem  weiten  Gottesgarten  selbst  gepflückte 
Früchte  geboten,  nicht  trockene,  mühsam  im  Lehnstuhle  angequälte   Weisheit." 

(Literarisches  Zentralblatt.     1904.     Nr.  27.) 

„Ein  Buch ,  das  sich  viele  Freunde  unter  den  Gebildeten  erwerben  und  allen 
denen,  die  den  sonnigen  Süden  aufsuchen  wollen  oder  von  dort  zurückgekehrt  sind, 
eine  Quelle  echten  Genasses  sein  wird.  Besonders  aber  bietet  es  dem  Lehrer,  der 
sich  im  Unterricht  mit  irgend  einem  Gebiete  der  Mittelmeerländer  zu  beschäftigen 
hat,  sei  er  Philologe,  Historiker  oder  Geograph,  die  reichste  Anregung.  Gerade 
für  die  Bedürfnisse  der  höheren  Schulen  füllt  das  zusammenfassende  Werk  eine 
bisher  sehr  empfundene  Lücke  aus." 

(Zeitschr.  f.  d.  Gymnasialw.     LIX.  Jahrg.     Heft  2/3.) 

„Mit  großer  Genugtuung  darf  man  das  vorliegende  Buch  Philippsons  empfehlen, 
es  steht  auf  der  vollen  wissenschaftlichen  Höhe."     (Q\e  Umschau     1004     Nr   50 ) 

„Eine  ganz  ausgezeichnete,  nach  Anlage,  Durchführung  und  Beschränkung  auf 
das  Wesentliche  geradezu  vorbildliche  Übersicht  über  die  dem  Mittelmeergebiet 
gemeinsamen  geographischen  und  kulturellen  Faktoren." 

(Annalen  d.  Hydrographie  u.  Maritimen  Meteorologie,  1904.    Juli.) 

„Für  jeden,  der  die  politische  Entwicklung,  die  Tagesgeschichte  verfolgt,  für 
jeden,  der  eine  Verpflichtung  fühlt,  sich  über  die  Grundlagen  seiner  persönlichen 
Kultur  klar  zu  werden,  ja  für  jeden,  der  der  Belehrung  und  des  ästhetischen  Genusses 
wegen  die  südlichen  Länder  zu  besuchen  pflegt,  ist  ein  Buch  wie  Philippsons 
Mittelmeergebiet  eine  anregende,  ja  geradezu  fesselnde  Lektüre.  Gedankenreich 
ist  das  Buch,  geschrieben  von  einem,  der  das  Mittelmeergebiet  genau  kennt,  dessen 
Forschungsarbeit  vorzüglich  dem  östlichen  Mittelmeergebiet   zugute  gekommen  ist." 

(Frankfurter  Zeitung.     1904.     Nr.  302.) 


Verlag  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin. 

VOM   HEILIGEN   BERGE 
UND  AUS  MAKEDONIEN. 

Von  HEINRICH  GELZER. 

Reisebilder  aus  den  Athosklöstern   und  dem  Insurrektionsgebiet.     Mit 

43  Abbildungen  im  Text  und  einem  Kärtchen.     [XII  u.  262  S.]  gr.  8. 

1904.     geh.  M.  6.  — ,  geb.  M.  7.  — 

Der  erste  Teil  dieser  Skizzen  beschäftigt  sich  mit  der  Klosterrepublik  des 
Heiligen  Berges,  der  einzigen  Stätte,  wo  altchristliche  Askese  und  byzantinisches 
Mönchtum  sich  völlig  bis  in  die  Gegenwart  erhalten  haben.  Ein  allgemeiner  Über- 
blick skizziert  kurz  die  Geschichte  der  Athosklöster,  wendet  sich  dann  zu  deren 
heutiger  Verfassung  und  Organisation,  sowie  zu  dem  auch  in  dieser  abgeschiedenen 
Welt  hervortretenden  Zwist  der  hellenischen  und  der  slawischen  Nationalitäten. 
Einläßlich  schildert  der  Verfasser  dann  die  von  ihm  besuchten  Klöster,  so  die 
griechischen:  lwiron,  Lawra,  Watopedi,  Esfigmenu,  und  die  slawischen:  Russiko, 
Chilandari  und  Zografu. 

Der  zweite  Teil,  gibt  die  Eindrücke  der  Reise  des  Verfassers  durch  West- 
makedonien wieder.  Über  Monastir,  wo  er  die  Gastfreundschaft  und  werktätige 
Unterstützung  des  später  so  grausig  dahingemordeten  russischen  Konsuls  Rostkowsky 
genoß,  wandte  er  sich  nach  Ochrida.  Nach  einer  Schilderung  der  heutigen  Stadt 
werden  die  makedonischen  Zustände  überhaupt  und  der  dortige  Nationalitätenkampf 
besprochen.  Wie  Ochrida  den  Mittelpunkt  des  bulgarischen,  so  bildet  Korytza  den 
des  albanesischen  Volkstums.  Im  Anschluß  an  die  Reiseerlebnisse  werden  Geschichte 
und  Bräuche  der  Albanesen  und  die  Stellung  der  orthodoxen  Toska  charakterisiert, 
deren  Kultur  eine  völlig  griechische  ist.  Den  Abschluß  bildet  der  Besuch  in  Kastoria, 
mit  dessen  Bischof  der  Verfasser  in  nähere  Beziehungen  trat.  Zugleich  war  es  ein 
Zentrum  der  Südmakedonien  besetzenden  türkischen  Armee.  So  kam  es  zu  manchen 
interessanten  Berührungen  mit  den  höheren  daselbst  stationierten  oder  durch- 
reisenden türkischen  Militärs. 

Zahlreiche  Abbildungen,  die  zum  Teil  auf  für  den  Verfasser  besonders  gefertigten 
Aufnahmen  beruhen,  sowie  eine  Karte  derAthoshalbinsel  sind  dem  Texte  beigegeben. 

VOM   KAUKASUS 
ZUM   MITTELMEER. 

EINE  HOCHZEITS-  UND  STUDIENREISE  DURCH 

ARMENIEN. 

Von  Dr.  PAUL  ROHRBACH. 

Mit  42  Abbildungen  im  Text.  [IV  u.  224  S.]  gr.  8.   1903.  geh.  JC  5. — , 

gebunden  JC   6. — 

Das  Buch  schildert  die  Hochzeitsreise  des  Verfassers  durch  das  russische  und 
türkische  Armenien  und  die  Gebirgslandschaften  bis  an  die  Südküste  Kleinasiens. 
Die  großen  Armeuiermassacres  der  Jahre  1895 — 1897  waren  unmittelbar  vorher- 
gegangen; der  ganze  verwüstete  Zustand  des  Landes,  der  Ruin  und  die  Dezimierung 
der  Bevölkerung  enthüllten  sich  in  einem  schrecklichen,  wochenlangen  Panorama 
den  Blicken  der  beiden  Reisenden.  Neben  diesem  unmittelbar  aktuellen  Thema 
ergibt  sich,  aufgereiht  an  dem  fortschreitenden  Faden  der  Reise ,  eine  mannigfaltige 
Folge  von  persönlichen  Erlebnissen,  politischen,  kulturgeschichtlichen  und  ethno- 
graphischen Beobachtungen  aus  der  bunten,  wenig  bekannten  Völkerwclt  jener 
Gebiete.  Die  landschaftliche  Schilderung  und  die  Bezugnahme  auf  die  historische 
Vergangenheit  bilden  Hintergrund  und  Rahmen.  Zur  Veranschaulichung  des  Dar- 
gestellten tragen  die  Bilder  von  Volkstypen  und  Landschaften  wesentlich  bei.  Das 
Buch  ist  der  beste  Wegweiser,  um  zu  einer  gerechten  und  verständigen  Beurteilung 
der  armenischen  Frage  zu  kommen.  Auch  der  Kenner  Xenophons  wie  der  für  deutsche 
Wirtschaftspolitik  im  Orient  Interessierte  findet  in  dem  Werke  wertvolle  Nachrichten. 


VLBLAG  VON  B.  G.TEUBNER  IN  LEIPZIG  UND  BERLIN 


DIE  HELLENISCHE  KULTUR 

DARGESTELLT  VON 

FRITZ  BAUMGARTEN,  FRANZ  POLAND,  RICHARD  WAGNER 

2.  Auflage.     Mit  7  farbigen  Tafeln,  2  Karten 
und   gegen   400   Abbildungen   im   Text  und   auf  2   Doppeltafeln. 

[XI  u   530  S.]   gr.  8.    1908.    geh.  M.  10.—,  in  Leinw.  geb.  Jt.11.— 

Die  glänzende  Aufnahme,  die  das  Buch  sowohl  bei  der  Kritik 
als  auch  in  weiten  Leserkreisen  gefunden  hat,  beweist,  daß  das 
Bedürfnis  nach  einer  zusammenfassenden  Darstellung  der  helle- 
nischen Kultur,  die  auf  der  Höhe  der  heutigen  Forschung  steht, 
vorlag,  und  daß  die  Verfasser  ihre  Aufgabe  vortrefflich  gelöst 
haben.  In  der  zweiten  Auflage  wird  den  neuen  Entdeckungen  der 
letzten  beiden  Jahre,  sowie  der  außerordentlichen  Bedeutung  der 
Vasenmalerei  für  die  heutige  Forschung  Rechnung  getragen.  Der 
schon  außerordentlich  reiche  Bilderschmuck  ist  durch  eine  beträcht- 
liche weitere  Anzahl  sorgsam  ausgewählter  neuer  Abbildungen 
vermehrt.  So  liegt  denn  ein  Werk  vor,  das  nach  Form  und  Inhalt 
Vollendetes  leistet.  Nicht  nur  Lehrer  und  Schüler  der  Oberklassen 
höherer  Lehranstalten,  sondern  ebenso  Studierende  und  Künstler, 
alle  Freunde  des  klassischen  Altertums,  ja  alle  Gebildeten  finden 
in  dieser  Darstellung  der  hellenischen  Kultur  die  mustergültige 
Grundlage  für  ein  geschichtliches  Verständnis  aller  späteren  kul- 
turellen Entwicklung. 

„Seine  Verfasser  woUten  in  erster  Linie  ein  Buch  für  Schule  und  Haus 
schaffen  und  nahen  bei  diesem  Bestreben  eine  äußerst  glückliche  Hand  bewiesen. 
In  schöner,  ebenmäßiger  Darstellung  entrollt  sich  vor  dem  Blick  des  Lesers  die 
reiche  hellenische  Kulturwelt.  Wir  sehen  Land  und  Leute  im  Lichte  klarer  und 
scharfer  Charakteristik  und  träumen  uns  mit  Hilfe  der  beigegebenen  herrlichen 
Landschaftsbilder  in  die  große  Vergangenheit  zurück.  Das  staatliche,  gesellschaft- 
liche und  religiöse  Leben,  das  Schöpferische  in  Kunst-  und  Schrifttum  steigt  in 
leuchtenden  Farben  vor  uns  auf.  Der  feine  kritische  Sinn,  der  die  Verfasser 
niemals  verläßt,  erfüllt  mit  Zuversicht  in  ihre  Urteile.  Für  einen  Schüler  der 
höheren  Gymnasialklassen  z.  B.  läßt  sich  daher  in  der  ganzen  gleichgearteten 
Literatur  ein  schöneres,  anregenderes  Buch  kaum  finden."  (Hochland.) 

„Eine  wohlgelungene  Leistung,  die  mit  großer  Gewissenhaftigkeit  gemacht 
und  von  reiner  Begeisterung  für  die  Sache  getragen  ist.  Die  Sorgfalt  und  die 
Kenntnis  der  Verfasser  verdienen  aufrichtige  Anerkennung:  das  Ergebnis  ist  ein 
Buch,  das  ein  glückliches  Muster  populärer  Behandlung  eines  manchmal  recht 
spröden  Stoffes  darstellt.  Man  möchte  ihm  recht  weite  Verbreitung  in  den  Kreisen 
derjenigen  wünschen,  die  sich  nicht  bloß  mit  dem  konventioneUen  „Namen  des 
Gebildeten"  zufriedengeben,  sondern  in  Wahrheit  zu  dem  geschichtlichen  Ver- 
ständnis unserer  heutigen  geistigen  und  politischen  Lage  vorzudringen  trachten; 
und  den  Schülern  der  oberen  Klassen  unserer  Gymnasien  sowohl,  als  auch  den 
Studierenden  unserer  Hochschulen,  besonders  den  Anfängern,  wird  das  Werk 
Ausgangspunkt  und  eine  solide  Grundlage  für  weitere,  quellenmäßige  Studien  sein." 

(Historische  Vierteljahrsschrift.) 


Verlag"  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin. 


OSTASIENFAHRT. 

ERLEBNISSE  UND  BEOBACHTUNGEN 
EINES  NATURFORSCHERS  IN  CHINA,  JAPAN  UND  CEYLON. 

Von  Dr.  FRANZ  DOFLEIN, 

PROFESSOR     DER     ZOOLOGIB     AN     DER     UNIVERSITÄT     MÜNCHEN     UND 
II.    CONSERVATOR   DER   K.    BAYER.    ZOOLOGISCHEN   STAATSSAMMLUNG. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen  im  Text  und  auf  8  Tafeln,  sowie  mit  4  Karten. 
[XIII  u.  512  S.]     gr.  8.     1906.     In  Leinwand  geb.  M   13. — 

Dies  Buch  ist  kein  Reisewerk  im  gewöhnlichen  Sinne.  Es  gibt 
nicht  in  feuilletonistischer  Weise  flüchtige  Eindrücke  wieder,  sondern 
es  ist  das  Ergebnis  eingehender  Forschung.  Verfasser  verbindet  mit 
dem  scharf  beobachtenden  Blick  des  Naturforschers  die  allgemeinen 
Interessen  des  Kulturhistorikers.  In  selten  anschaulicher  Sprache  ent- 
wirft er  ein  glänzendes  Bild  von  dem  farbenfrohen  Leben  des  fernen 
Ostens,  dessen  Menschen,  Tiere  und  Pflanzen  er  in  die  verschiedenen 
Äußerungen  ihres  Seins  verfolgt. 

„Dofleins  Ostasienfahrt  gehört  zu  den  allerbesten  Reiseschilderungen,  die  Ref. 
überhaupt  kennt,  die  er  getrost  neben  die  Darwins  stellen  möchte,  nur  daß  an 
Stelle  der  ernsten  Bedächtigkeit  und  Zurückhaltung  des  Briten  das  lebhafte 
Temperament  des  Süddeutschen  tritt,  dem  das  Herz  immer  auf  der  Zunge  liegt, 
und  der  deshalb  auch  vor  einem  kräftigen  Wort  nicht  zurückscheut,  wo  es  die 
Verhältnisse  aus  ihm  herausdrängen.  Es  liegt  eine  solche  Fülle  feinster  Natur- 
und  Menschenbeobachtung  in  dem  Werk ,  über  das  Ganze  ist  ein  solcher  Zauber 
künstlerischer  Auffassung  gegossen,  und  allen  Eindrücken  ist  in  geradezu  meister- 
hafter Sprache  Ausdruck  verliehen,  daß  das  Ganze  wirkt  nicht  wie  eine  Reise- 
Beschreibung,  sondern  wie  ein  Kunstwerk,  dem  der  russisch-japanische  Krieg,  der 
zur  Zeit  der  Reise  gerade  wütete,  einige  dramatische  Akzente  verleiht.  Auch  die 
Ausstattung  des  Werkes  ist  eine  vorwiegend  feinsinnig  künstlerische." 

[Die  Umschau.     1907.     Nr.  24.] 

„Mit  innigem  Anteil  wird  der  Leser  durch  des  Verfassers  offene  Augen  Natur 
und  Kunst  und  die  Menschheit  im  fernen  Osten  sich  ansehen,  mit  ihm  sich  er- 
wärmen für  das  Schöne  und  Gute  auch  unter  anders  gefärbter  Haut  und  mitfühlen 
den  im  stillsten  Winkel  des  Herzens  verborgenen  Weltschmerz  des  Naturforschers, 
daß  die  Erde  und  ihre  Bewohner  so  nivelliert  werden." 

[Dr.  A.  Petermanns  Mitteilungen.     1907.     Heft  3.] 

„Nicht  nur  ein  Forscher,  sondern  auch  ein  Mensch  mit  offenen  Augen,  der  sich 
redlich  bemüht,  die  Dinge  nicht  durch  die  vorgefaßter  Meinungen  zu  sehen,  tritt 
dem  Leser  entgegen.  Fast  möchte  ich  meinen,  die  Art,  wie  unser  Autor  das 
Menschliche  schildert,  dem  er  begegnet,  reicht  zum  mindesten  an  seine  Be- 
schreibungen der  Fauna  und  Flora  von  Meer  und  Land  heran.  Hier  ist  nichts  zu 
spüren  von  der  Überhebung  des  Westländers,  die  so  vielfach  falsche  Urteile  pro- 
duziert, wenn  es  sich  um  asiatische  Verhältnisse  handelt.  Unvoreingenommen,  mit 
dem  Wunsche  zu  verstehen  und  gerecht  zu  sein,  betrachtet  Doflein  diese  Kultur 
und  ihre  Träger.  Liebevoll  sucht  er  sich  hineinzufühlen  in  die  Seele  des  japanischen 
Volkes,  das  uns  Europäern  so  viele  Rätsel  aufgibt.  Ich  kann  nicht  schließen,  ohne 
meinen  Dank  gegen  den  Verfasser  in  den  Wunsch  gekleidet  zu  haben,  recht  viele 
möchten  die  Gelegenheit  benützen,  sich  durch  die  Lektüre  dieses  schönen  und 
reichen  Buches  einen  reinen  Genuß  zu  verschaffen." 

[Frankfurter  Zeitung.     1906.     Nr.  3.] 

„Es  ist  eine  Freude  mit  Doflein  zu  reisen!  wird  jeder  ausrufen,  der  mit  ihm 
die  Abenteuer  seiner  Ostasienfahrt  im  Geiste  miterlebt  hat.  Ich  wünsche  dem  inner- 
lich und  äußerlich  vornehmen  Buche  zahlreiche  Leser,  nicht  allein  um  des  Buches, 
sondern  mehr  noch  um  ihrer  selbst  willen." 

(Geographischer  Anzeiger.     1907.     Heft  5.) 


Verlag  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin. 

WELTREISEBILDER. 

Von  JULIUS  MEURER. 

Mit  116  Abbildungen  im  Text  und  auf  Tafeln,  sowie  einer  Weltkarte. 
[VHI  u.  397  S.]     gr.  8.      1906.     In  Leinwand  geb.  JC.  9. — 

Der  als  Reiseschriftsteller  bekannte  Verfasser  bringt  seine  Reiseerlebnisse  und 
-eindrücke  in  Form  von  abgeschlossenen  Bildern,  deren  ein  jedes  einen  Reiseabschnitt 
behandelt.  In  diesen  Abschnitten  stellt  der  Autor  möglichst  anschaulich  dar,  was 
dem  Weltreisenden  in  den  einzelnen  Ländern,  z.  B.  Indien,  Java,  China,  Japan, 
Nordamerika,  auf  einer  längeren  See-  oder  Landreise,  oder  in  einer  besonders  her- 
vorragenden Landschaftsszenerie  —  wie  der  Himalaia  —  entgegentritt.  Sein  be- 
sonderes Augenmerk  hat  der  Verfasser  darauf  gerichtet,  Vergleiche  zu  ziehen  mit 
europäischen  Verhältnissen ,  um  dadurch  ein  leichteres,  der  Wahrheit  oder  Wirk- 
lichkeit näher  tretendes  Verständnis  des  Lesers  hervorzurufen,  dem  jene  Länder 
und  Völker  fremd  sind.  Besondere  Sorgfalt  widmet  der  Verfasser  der  Schilderung 
der  besonderen  Eigenart  der  ostasiatischen  Völker,  und  zwar  der  Inder  und  ihrer 
Religionskulte,  der  Javaner  und  Malaien,  der  Chinesen  und  Japaner.  —  Auch  die 
unerreicht  großartigen  Kunstbauten,  sowie  die  unvergleichlichen  Kunsterzeugnisse 
Indiens,  Chinas  und  besonders  Japans  werden  eingehender  behandelt. 

AUF  JAVA  UND  SUMATRA. 

STREIFZÜGE  UND  FORSCHUNGSREISEN  IM 

LANDE  DER  MALAIEN. 

Von  Dr.  K.  GIESEN  HAGEN. 

Mit  16  farbigen  Vollbildern,  zahlreichen  Abbildungen  und  I  Karte, 
gr.  8.  geh.  JC  9. — ,  in  Leinwand  geb.  JL  10. — 
Diese  Reisebeschreibung  beruht  auf  den  Aufzeichnungen,  die  der  Verfasser 
während  seiner  Forschungsreise  unter  dem  unmittelbaren  Eindrucke  der  Gegenwart 
gemacht  hat,  und  entwirft  ein  anschauliches  Bild  der  indomalaiischen  Tropen,  ins- 
besondere von  Java  und  Sumatra.  Geographie  und  Landesnatur,  Vegetation  und 
Tierleben  werden  lebendig  und  eindrucksvoll  geschildert,  ebenso  die  sozialen  Ver- 
hältnisse der  durchreisten  Länder  und  das  malaiische  Volkstum  in  seinen  ver- 
schiedensten Lebensäußerungen.  Besondere  Beachtung  findet  auch  die  tropische 
Agrikultur  der  Inseln  und  ihre  hervorragende  Bedeutung  für  Welthandel  und 
Weltverkehr.  Bei  dem  ungemein  großen  Anteil,  den  deutsche  Arbeit  und  deutsches 
Kapital  an  der  wirtschaftlichen  Erschließung  dieser  für  uns  so  wichtigen  Länder 
haben,  wird  das  Buch  vielen  erwünschte  Aufschlüsse  über  ihren  Kulturzustand 
geben  können. 

EINE  AUSTRALIEN-  UND 
SÜDSEEFAHRT. 

Von  Dr.  A.  DAIBER. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen  im  Text  und  auf  Tafeln,  sowie  einer 
Kartenbeilage.  [VIII  u.  320  S.]  gr.  8.  1902.  In  Leinwand  geb.  Jl.  7. — 
Über  die  südliche  Halbkugel  beginnt  Australien  immer  mehr  als  Königin  zu 
herrschen.  Es  ist  staunenswert,  in  welch  kurzer  Zeit  sich  dieser  ferne  Kontinent 
zu  einem  großen  Mittelpunkt  der  Zivilisation  emporgerungen  hat.  Merkwürdigerweise 
ist  dieser  jüngste  Weltteil  in  Europa,  speziell  auch  in  Deutschland,  noch  nicht  so 
gewürdigt,  wie  es  ihm  seiner  heutigen  Bedeutung  nach  zukommt.  Australien  dem 
deutschen  Publikum  näher  zu  bringen,  ist  der  Zweck  des  vorliegenden  Werkes. 
Auch  die  deutschen  Kolonien  der  fernen,  palmenreichen  Südsee,  wenn  auch  nur  in 
Skizzen,  der  Heimat  vertrauter  zu  machen,  hat  der  Verfasser  versucht.  Schlicht  und 
wahr,  dabei  aber  lebendig  und  anschaulich  weiß  er  Land  und  Leute  zu  schildern  und 
die  geschichtliche  Entwicklung  verständlich  zu  machen ;  besonderes  Interesse  widmet 
er  dem  sozialen  Leben  und  der  wirtschaftlichen  Bedeutung  der  durchreisten  Länder. 


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