MITTELM!
LIBRARY
BUIYERSHY OF CALIFORNIA
RIVERSIDE
MITTELMEERBILDER
GESAMMELTE ABHANDLUNGEN
ZUR KUNDE DER MITTELMEERLÄNDER
VON
Dr. THEOBALD FISCHER
GKH. REG.-RAT, PROFESSOR DER GEOGRAPHIE AN DER UNIVERSITÄT MARBURG
NEUE FOLGE
MIT 8 KARTCHEN
LEIPZIG UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER
1908
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ALLE RECHTE,
EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
Vorrede.
Der im Jahre 1 906 erschienene Band meiner Mittelmeerbilder
hat zu meiner Freude und Überraschung nicht nur in den weiteren
Kreisen allgemein Gebildeter, für welche sie in erster Linie bestimmt
waren, sondern auch bei den Fachgenossen in hohem Maße An-
erkennung gefunden. Das war für mich eine Ermutigung, eine von
vornherein ins Auge gefaßte Neue Folge nicht zu lange hinaus-
zuschieben.
Diese unterscheidet sich von der ersten insofern, als sie z. T.
mehr wissenschaftliche Untersuchungen enthält, die aber auch mög-
lichst allgemeinverständlich gehalten sind und das Verständnis für
das Mittelmeergebiet, das inzwischen noch mehr in den Vordergrund
der Weltpolitik gerückt ist, auch in dieser Richtung zu vertiefen
geeignet sein dürften. Es handelt sich auch hier überwiegend um
bereits veröffentlichte Abhandlungen und Vorträge. Daneben aber
auch um Vorträge, welche zwar öffentlich vor größeren Zuhörerkreisen
gehalten, aber noch nicht veröffentlicht worden sind. Das gilt
namentlich von den ersten drei, die zur Einführung unerläßlich
schienen. Gekennzeichnet wird der Band besonders durch Studien
über die Küsten des Mittelmeeres, die fast durchaus auf Selbstsehen
beruhen und besonders die geschichtlichen Beziehungen zwischen
dem Wohnräume und den Geschicken der Menschen klarzulegen
bemüht sind. Und gerade die Küstenlandschaften sind es, in welchen
sich die Geschichte der Mittelmeerländer vorzugsweise abspielt, und
die von den Reisenden mit Vorliebe besucht werden.
XV Vorrede.
Zum Verständnis der Zeitgeschichte dürften ganz besonders
die letzten Aufsätze beitragen, welche Marokko und die Mittelmeer-
völker behandeln, ganz besonders aber nach eigenen auf fünf Reisen
gemachten Beobachtungen und nach in 30 Jahren gesammelten
Lesefrüchten ein Bild der heute im Vordergrunde der Weltpolitik
stehenden Berbern entwerfen.
Marburg, im März 1908.
Theobald Fischer.
Inhaltsübersicht.
I. Das Mittelmeergebiet.
1. Seine kulturgeschichtliche Bedeutung i
2. Seine Entstehung und Entwicklung 15
3. Die geographischen Grundzüge des Mittelnieergebietes 31
II. Küstenstudien aus den Mittelmeerländern.
1. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten 59
2. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier 88
1. Die Abrasionsküste bei Tipaza 93
2. Vergleichender Überblick über die Küste von Tunesien und
Algerien 108
3. Veränderungen der Küste am Golf von Algier 112
4. Neue Küstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier . 119
5. An der Küste der großen Kabylei 137
6. Die Bucht von Bona 14c
7. Die Stätte von Karthago 155
8. Die nordadriatische Haffküste 176
9. Der Schwerpunkt Griechenlands 193
III. Zur Geomorphologie Italiens.
1. Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel 210
a) Die Tyrrhenis 211
b) Der Süd-Apennin 215
c) Terrassenbildung in Kalabrien und Sizilien 222
d) Gargäno — Apulien 227
2. Zur Hydrographie von Kalabrien 231
IV. Versuch einer wissenschaftlichen Urographie
der Iberischen Halbinsel.
1. Geschichtlicher Überblick 241
2. Die Iberische Scholle 247
a) Allgemeiner Überblick 247
b) Das Haupt-Scheidegebirge 252
( I )as Iberische Tafelland 258
VI Inhaltsübersicht.
Seite
3. Das Kantabrisch-Pyrenäische Faltenland 263
a) Das Kantabrische Gebirge 264
b) Die Pyrenäen 266
4. Das Katatonische Gebirge 268
5. Das Ebrobecken 270
6. Das Andalusische Faltenland 270
V. Klimatologische Studien.
1. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen .... 279
2. Das Klima von Marokko 303
a) Der klimatologische Beobachtungsstoft" 304
b) Bodenplastische Skizze 311
c) Luftdruck und Luftströmungen 312
d) Kühle Auftriebsküste 319
e) Die thermischen Verhältnisse 326
f) Die Niederschlagsverhältnisse 330
g) Ausdehnung des Küstengebietes 341
h) Das Innere. Niederschlagsverhältnisse 348
i) Das Gebirgsland 353
k) Die thermischen Verhältnisse des Innern 356
1) Staubwinde 359
m) Quellen- und Brunnentemperaturen 360
n) Malaria 361
o) Tanger und Mogador als klimatische Kurorte 362
VI. Anthropogeographische Studien.
1. Marokko als Kriegsschauplatz 367
2. Die Völker des Mittelmeergebiets und ihre weltpolitische Bedeutung 374
Namen- und Sachregister. 411
Verzeichnis der Kärtchen.
1. Tektonische Grundzüge der Mittelmeerländer zu I 2
2. Die thalassogene Schwemmlandküste von Languedoc ,, II I
3. Die Brandungsbuchten bei Tipaza „ II 2
4. Die Rundbucht von Algier „ II 3
5. Der Golf von Tunis „ II 7
6. Die nordadriatische Haffküste „ II 8
7. Die Ostseite von Griechenland „ II 9
8. Regenkärtchen von Marokko „ VI 1
I. Das Mittelmeergebiet.
i. Seine kulturgeschichtliche Bedeutung.
Wir sprechen von einem mediterranen Kulturkreise, in welchen
die Wurzeln unserer europäischen, seit der Mitte des 19. Jahr-
hunderts sich rasch zur ozeanischen, zur Weltkultur entwickelnden
Kultur hineinreichen: Christentum und klassische Bildung. Die
Wiege des ersteren stand in dem kleinen Mittelmeerlande Palästina,
die der letzteren in dem kaum größeren Griechenland. Unter den
Charakterzügen des Mittelmeergebiets, die dasselbe ganz besonders
befähigten eine Heimstätte höherer Kultur zu werden, ist neben
der Auflösung der Erdteile in Halbinseln und Inseln, neben der
sich immer wiederholenden Annäherung des einen an den anderen,
neben der gegenseitigen Durchdringung von Land und Meer,
neben der Übereinstimmung in Klima, Pflanzenwelt und Bedin-
gungen des Bodenbaues vor allem auch die Zugänglichkeit dieses
weiten Erdraumes aus der Umwelt, vor allem von Europa und
Asien aus zu nennen. Während das Mittelmeergebiet als Kultur-
herd zu Afrika nur wenige Beziehungen, sei es gebend, sei es
nehmend unterhalten hat, hat es Europa fast nur mitgeteilt, von Asien
fast nur empfangen. Je weiter wir die Anfänge griechischer
Kultur durch die Ausgrabungen auf griechischem Boden zurück-
verfolgen können, um so mehr orientalische Einflüsse lassen sich
nachweisen. Doch reichen dieselben nur bis Vorderasien, allen-
falls bis Indien. Der ostasiatische Kulturkreis ist ein völlig in sich
abgeschlossener gewesen, eine Welt für sich, die weder von
außen beeinflußt worden ist, noch nach außen Einfluß ausgeübt
hat. Wohl aber haben mehr oder weniger alle Kulturherde des
süd- und vorderasiatischen Kulturkreises, wie untereinander, so
zum mediterranen Beziehungen unterhalten. Sie alle sind durch-
Fischcr, Mittelmeerbilder. Neue Folge. I
2 I> I. Kulturgeschichtliche Bedeutung des Mittelmeergebietes.
aus festländische und erscheinen als gebunden an große Ströme:
Ganges und Indus, Oxus und Jaxartes, Euphrat und Tigris, Nil.
Auch der leider noch zu wenig erforschte südarabische ist
mit Hilfe künstlicher Berieselung erwachsen. Diese Ströme
waren die lebenspendenden Naturkräfte in fast regenlosen Ge-
bieten, die den Menschen förmlich herausforderten sie beherrschen
zu lernen und sich dienstbar zu machen. Dort in der trocknen,
reinen Luft der Wüste entwickelte sich aus der Beobachtung der
Gestirne zur Feststellung der Zeit der Überschwemmungen die
Wissenschaft der Astronomie, die Notwendigkeit, die nach den
Überschwemmungen verwischten Flurgrenzen neu festzulegen, die
Besteuerung zu regeln, das befruchtende Wasser nach Bedarf
einzudämmen oder auszubreiten u. dgl. m. legte den Grund zur
Mathematik, zur Meßkunst usw. Die Flüsse entwickelten sich zu
Verkehrswegen. So wurden diese Oasenlandschaften Sitze einer
immer dichter, einer immer zahlreicher werdenden Bevölkerung,
die Brennpunkte des Handels, die Ausgangspunkte politischer
Macht, vielfach die Kerne von Großreichen. Der so angehäufte,
ungleichmäßig verteilte Wohlstand erlaubte Hingabe an rein
geistige Tätigkeit, förderte Kunstgewerbe und Kunst.
Es sind wohl weniger die Erzeuger und Träger dieser vorder-
und südasiatischen Kultur selbst gewesen, welche die Errungen-
schaften derselben ins Mittelmeer übertragen haben, als das
Handelsvolk der Phöniker, die auch ihrerseits, ohne die viel
umstrittene Frage ihrer Herkunft damit entscheiden zu wollen, erst
durch Wanderung Mittelmeeranwohner geworden waren. Der
phönikische Handel war gewiß ursprünglich Landhandel, hat sich
aber sehr früh zum Seehandel entwickelt. Daß die syrische
Küste eine solche Entwicklung besonders begünstigt habe, ist
eine irrige Annahme. Sie war und ist keineswegs besonders
hafenreich. Dessen bedurfte es auch in der ältesten Zeit gar
nicht, viel wertvoller war ein flacher Strand, auf welchen man die
kleinen Schiffe hinaufzog. Schiffsbauholz, Kupfer, auch Eisen
boten der Libanon und Cypern. Der Fischreichtum des Meeres
mußte bald zur Ernährung der in den kleinen Küstenebenen, auf
den Schuttkegeln der Libanonflüsse rasch verdichteten Bevölke-
rung in Anspruch genommen werden. Mit den Fischen gewann man
wohl auch bald kostbaren Farbstoff liefernde Schnecken. Später
leisteten kleine küstennahe Inseln, auf denen oder hinter denen,
Die Phöniker. 2
gewissermaßen als Hafendämme, die Seestädte sich entwickelten,
wesentliche Dienste. Bald wurden diese natürlich geschützten
Liegeplätze weiter durch Dämme zu wirklichen Häfen ausgebaut,
auch wurden Hafenbecken auf dem Festlande selbst, wie solche
vielfach die Karthager angelegt haben, sog. Kothone, durch Aus-
schachtungen geschaffen. Die Phöniker haben das Seewesen
wesentlich verbessert, Schiffstypen erfunden, die lange maßgebend
gewesen sind, sie haben es auch gelernt, unter Benützung der
Gestirne und nach ihrer auf Erfahrung beruhenden Kenntnis der
Segelkraft des Windes sich von den Küsten loszulösen und größere
Strecken des offenen Meeres zu befahren. Doch ist, was wir
von der Kultur der Phöniker wissen, leider sehr lückenhaft und
beruht z. T. auf den Berichten ihrer Feinde. In ihren Seestädten
hatte Handel und Gewerbtätigkeit große Reichtümer aufgehäuft,
die immer und immer wieder die Eroberer anlockten und trotz
zähen Widerstands dieselben erobern ließen. Sie hatten den Land-
handel von Mesopotamien und von Indien her in der Hand, da
am nordsyrischen Gestade die den beiden Schenkeln des Euphrat
folgenden Straßen ans Mittelmeer ausmündeten. Sie haben schon
das Mittelmeer zu einem Durchgangsmeere gemacht, indem sie
zur See ihre eigenen Erzeugnisse und die des ferneren Ostens dem
Westen zuführten. Sie vermittelten namentlich auch, schon früh
auf Landwegen den Ägyptern unterworfen, zur See, an dem un-
nahbaren Strande von Palästina vorbei, wo sie bis weit in die
israelitische Geschichte hinein Jaffa besetzt hielten, den Handel
oder einen Teil des Handels von Vorderasien mit Ägypten
und Ägyptens mit der Mittelmeerwelt. Schon um 1600 v. Chr.
unter Tuthmosis III. sind die Phöniker auf den Denkmälern von
Theben dargestellt als dem Könige Tribut bringend in der Ge-
stalt von Edelmetallen und Edelsteinen bzw. aus solchen gefertigten
und damit geschmückten Geräten, die auf den Handel der
Phöniker mit dem ferneren Osten bis nach Indien und die kunst-
gewerbliche Verarbeitung durch den Landhandel bezogener Roh-
stoffe hinweisen. Ägypten ist eine durchaus festländische Oase
in der Wüste, seine Bewohner, so gut sie sich auf die Nilschiff-
fahrt verstanden, waren zu allen Zeiten meerscheu. Der breite,
von Sümpfen und Haffen gebildete Gürtel am Rande des Deltas
schloß das Land gegen das Meer ab. Die Phöniker und später
die Griechen benutzten nur die Flußmündungen und Flußarme als
a 1,1. Kulturgeschichtliche Bedeutung des Mittelmeergebietes.
Zugänge und Häfen. Erst Alexander der Große legte am offenen
Meere und am Westrande des Deltas, dessen landbildende Sink-
stoffe die Küstenströmung nach Osten trägt, im Schutze einer
kleinen Insel, einer verfestigten alten Düne, die bald mit dem
Lande verbunden wurde, eine nach seinem Namen benannte
Seestadt an, welche sich bald, namentlich durch den wohl aus-
schließlich von Griechen betriebenen Handel durch das Rote
Meer nach Südarabien, Indien und Ostafrika, zur ersten Welt-
handelsstadt entwickelte. Alexandria war aber eine griechische
Stadt, wie auch das seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts,
wiederum dank der Beziehungen zum Roten Meere, wieder auf-
gelebte jetzige Alexandria kaum als ägyptische Stadt anzusehen
ist. Die Phöniker haben also auch die Errungenschaften der ur-
alten Kulturoase des Nils in den Bäuchen ihrer Schiffe dem
Mittelmeergebiete zugeführt.
Wenn wir mehr von den Phönikern wüßten, so würden wir
auch besser beurteilen können, welchen erziehenden Einfluß das
Meer auf sie ausgeübt hat. Ein günstigeres Geschick haben in
dieser Hinsicht die Griechen gehabt.
Von den Griechen kann man sagen, daß bei ihnen erst
das Meer voll und ganz an Stelle der großen Ströme der Kultur-
herde Asiens getreten ist. Man kann Griechenland kurz als
ein maritimes Gebirgsland bezeichnen, Norwegen vergleichbar.
Durch Bewegungen in der Erdrinde, die in diesem Teile des
mediterranen Bruchgürtels ihren höchsten Betrag erreichten, ist
hier sowohl ein junges Faltengebirge als auch eine alte Scholle
(der Ägaeis) zerstückt und in Inseln und Halbinseln aufgelöst
worden. Das Meer hat sich überall zwischen das Land gedrängt
und das große Kugeltrapez, das durch die Parallelkreise von
Kreta und Konstantinopel, die Meridiane etwa von Korfu und
Rhodos begrenzt ist, besteht zum größeren Teil aus Wasser: die
Welt der heutigen Griechen und die älteste griechische Welt.
Aber auch das Festland ist zerstückt und zerfällt in lauter kleine
Landschaften, von denen einige, trotz geringer Meerferne, nur
geringe Beziehungen zum Meere unterhalten und daher erst
spät in die griechische Kulturbewegung hineingezogen werden.
So Böotien, das die Hegemonie erlangt, als Athen aufgebraucht
ist, so Arkadien und Ätolien, die gewissermaßen die Rolle von
Reservezellen spielen. Ganz Griechenland kann man einen
Die Griechen. c
Mikrokosmos nennen. Die Bewohner Griechenlands werden
förmlich aufs Meer gedrängt, der Bau von Straßen ist durch den
felsigen, gebirgigen Charakter des Landes außerordentlich er-
schwert und auch das neuzeitliche Griechenland hat daher erst
spät und unvollkommen ein Netz von Straßen- und Eisenbahnen
erhalten. Aller Verkehr vollzog sich vor kurzem und vollzieht
sich noch heute zum großen Teile zur See, im leichten Segelboote.
Sehen wir doch, daß die erst in türkischer Zeit eingewanderten,
ursprünglich ganz festländischen Albanesen in Griechenland sehr
rasch so hervorragend seetüchtig geworden sind, daß die ,, grie-
chischen" Seehelden im Unabhängigkeitskampfe gegen die Türken
z. T. Albanesen waren. Ähnlich dürften im Mittelalter die ein-
gedrungenen Slawen angeähnlicht worden sein. Das Meer hat
auch in der Zeit der türkischen Übermacht die Griechen ge-
schützt und hat Teile griechischen Bodens von türkischer
Herrschaft frei, wenn auch unter venetianischer Hoheit, erhalten.
Das hat bewirkt, daß das griechische Volk nicht gleich den
Slawen, Albanesen, Rumänen auf Jahrhunderte von der abend-
ländischen Kultur abgesperrt und in tiefe Unkultur versunken ist.
Noch heute sind die Griechen ein Seevolk. Der griechische
Seehandel spielt im ganzen östlichen Mittelmeer, von Odessa bis
Alexandria, von Smyrna bis nach Malta eine große Rolle. Die
griechische Flagge weht in allen Häfen des östlichen Mittelmeers
auf zahlreichen, heute auch immer mehr durch Dampfer ersetzten
Segelschiffen. An den Küsten von Syrien und Marmarika bis
an die tunesische Ostküste findet man im Sommer ganze Flotten
griechischer Fischerboote. Das Meer hat die Griechen erzogen,
hat sie zu seiner Beherrschung angeleitet. Und eine um so viel
gewaltigere Naturkraft das Meer ist, wenn es auch nur ein
zahmes Meer war, das griechische Inselmeer, später das ganze
Mittelmeer, im Vergleich zu den großen Strömen der Kulturherde
Vorderasiens, um so höher ist die griechische Kultur. Die Aus-
grabungen auf Kreta, Santorin und anderwärts haben neben den
orientalischen Kultureinflüssen doch den Beweis geliefert, daß
auf den Inseln und an den Küsten Griechenlands schon in
früher Zeit, wohl schon um 2000 v. Chr., eine hohe Kultur
herrschte. Die Argonautensage weist schon auf weite Seefahrten
und die Kenntnis ferner Länder hin. Eine Odyssee, ein wahres
Schifferepos, konnte nur entstehen und allgemeine Verbreitung
6 I, I. Kulturgeschichtliche Bedeutung des Mittelmeergebietes.
finden in einem Volke, das völlig mit dem Meere verwachsen
war. Das Meer und der Verkehr auf dem Meere ließ nun aber
auch früh einen anderen kulturfördernden Faktor in Wirksamkeit
treten: den Raum. Durch die Schiffahrt erweitert sich der Raum,
auf welchem sich die griechische Kultur entwickelt, immer mehr
und immer rascher. Die räumliche Beschränkung, welche die
Kulturherde Vorderasiens kennzeichnet, verschwindet im griechischen
immer mehr, namentlich auch durch die Koloniegründungen. Wie bei
den phönikischen, so spielten auch bei den griechischen Kolonie-
gründungen innere Unruhen, wohl durch örtliche und zeitliche
Übervölkerung hervorgerufen, eine Rolle. Recht bezeichnend für
den Einfluß des Raumes, dessen Größe immer neue Stoffe,
immer neue Menschen hereinzieht, zu immer neuen Austauschen
und Reibungen führt, ist es, daß neben, ja z. T. vor den Städten
des Mutterlandes Pflanzstädte, wie Milet, das Beziehungen zu
ganz Kleinasien und zu den Ufern des Schwarzen Meeres unter-
hielt, Syrakus, Tarent die Sitze des höchsten griechischen Geistes-
lebens wurden. Die Wiege der geographischen Wissenschaft stand
ja in Ionien und besonders in Milet.
Auch darin prägt sich der Einfluß des Raumes aus, daß
die griechische Kultur erst zur weltbeherrschenden wurde, als sie
sich den Griechenland nächsten größeren einheitlichen Raum,
das Land Makedonien völlig unterworfen hatte, freilich mit der
Wirkung des rasch darauf folgenden Verlustes der eigenen poli-
tischen Selbständigkeit. Wie wir heute wohl einmal ein Panzer-
schiff oder einen der herrlichen deutschen Dampfer, die die
weiten Räume des Ozeans bezwingen, als das höchste Erzeugnis
neuzeitlicher Kultur preisen, so konnte man das Heer Alexanders
des Großen das höchste Erzeugnis griechischer Kultur nennen.
So klein es war, so überlegen war es nach seiner Bewaffnung,
seiner taktischen Gliederung, der Ausbildung jedes Mannes usw.
den ungezählten Scharen der asiatischen Despoten. Der Gegen-
satz war fast so groß wie der zwischen der Handvoll Spanier
des Cortez und den Scharen des neuweltlichen, auf engem Räume
emporgewachsenen Kulturvolks der Azteken. Durch Alexander
den Großen erweiterte sich der Schauplatz der griechischen
Kultur über ganz Vorderasien, bis nach Indien, bis Turkestan.
Die uralten Kulturherde von Babylonien und Chaldäa , von Ägypten,
ganz Syrien wurden ihm einverleibt. In der griechischen Sprache
Die Griechen. y
wurde ein Verkehrsmittel allerersten Ranges geschaffen, dessen
Vorhandensein nachmals vor allem auch der Ausbreitung des in
dem kleinen, abgeschlossenen, abgelegenen Mittelmeerlande
Palästina gezeitigten Christentums außerordentlich förderlich ge-
worden ist.
Inzwischen hatte sich aber griechische Kultur, namentlich
durch die griechischen Kolonien über das ganze westliche Mittel-
meergebiet ausgedehnt. Die Ausgrabungen und Forschungen
der letzten Jahrzehnte haben ja gezeigt, wie groß der griechische
Einfluß auch in Karthago gewesen ist, so eifersüchtig dies auch
die Griechen selbst von seinem Machtbereiche fern hielt. Wir
wissen, wie nachhaltig das Geistesleben der ganz anders gearteten
Römer durch den Handel, durch viele Tausende von Griechen
beeinflußt worden ist, die als Gelehrte und Lehrer, als Privat-
sekretäre u. dgl. in Rom wirkten. Griechenland war sozusagen
der Mittelpunkt der damaligen Welt, der Brennpunkt des medi-
terranen Kulturkreises geworden. Der Welthandel lag, wenn er
auch nicht ausschließlich seinen Sitz in Griechenland selbst hatte,
doch fast ausschließlich in griechischen Händen und kam dem
griechischen Volke zugute. Fast für ein halbes Jahrtausend.
Wie in Griechenland jede Stadt eine Art heiligen Bezirkes hatte,
wo die Heiligtümer der Götter lagen, die Volksversammlungen
gehalten wurden usw., ähnlich ja auch in Rom, so war Griechen-
land der heilige Bezirk für die ganze griechische oder griechisch
sein wollende Welt des Altertums. Wer immer in dem weiten
Bereiche des Hellenismus, sei es ein Herrscher, sei es ein reicher
Privatmann, sich über Seinesgleichen erheben wollte, suchte
griechische Herkunft nachzuweisen und betätigte seine vornehme
Herkunft und feinere Bildung damit, daß er nicht nur daheim
alle Seiten griechischen Geisteslebens, der Kunst, der Wissen-
schaft usw. eifrig zu fördern bemüht war, sondern daß er auch
selbst nach Griechenland wallfahrtete , an den Festspielen in
Olympia teilnahm oder durch Abgesandte an den Orakelstätten
und Heiligtümern von Delphi, Delos, Olympia kostbare Weih-
geschenke übergeben ließ, so daß die Schatzkammern dieser
heiligen Stätten mit unermeßlichen Schätzen an Edelmetallen und
Kunstwerken gefüllt, die Städte selbst mit den herrlichsten Bau-
werken geschmückt wurden. Wie die Neugriechen den alten,
wenn man diese unbefangen ansieht, vielfach ähneln, so auch in
8 1,1. Kulturgeschichtliche Bedeutung des Mittelmeergebietes.
dieser Hinsicht : Athen, heute wieder der Brennpunkt des geistigen
Lebens der ganzen griechischen Welt, ist mit Prachtbauten ge-
schmückt, welche reiche Griechen im Auslande gestiftet haben.
Und selbst in kleinen Orten, oft abgelegenen Gebirgsdörfern
findet man Schulhäuser, welche Söhne des Dorfes gebaut haben,
die in der Fremde reich geworden sind.
Durch die Römer, welche der griechischen Kultur die Er-
zeugnisse ihrer Eigenart hinzufügten, wurde die Peripherie des
mediterranen Kulturkreises noch weiter nach Westen gerückt, die
Atlasländer, die Iberische Halbinsel, Gallien wurden einbezogen.
Nach ihren Anfängen als kriegerisches Bauernvolk an einer hafen-
losen Schwemmlandküste, standen die Römer dem Seewesen
durchaus fern, und die Erzählung, sie hätten ihre erste Flotte
nach dem Muster eines gestrandeten karthagischen Schiffes ge-
baut, ist bekannt. Sie legten aber fortan das größte Gewicht
auf das Seewesen, da sie sich immer und immer wieder über-
zeugen mußten, daß sie nur im Besitz einer starken Flotte die
Herrschaft über die Mittelmeerländer behaupten konnten. Sie
erkannten, daß das Meer allein ihr Weltreich zusammenhalte und
daher die Beherrschung der Wasserwege unerläßlich sei. Durch
die Römer, die Meister der Verwaltung und der Organisation, die
die Errungenschaften griechischer Kultur auf praktische Ziele rich-
teten, wurde erst das ganze Mittelmeergebiet auch politisch geeinigt,
wurde es in voller Wahrheit zu einer Lebensgemeinschaft und
wurden neue Faktoren der Entwicklung herangezogen. Das Im-
perium Romanum umfaßte den ganzen sich rings um das Mittel-
meer ausbreitenden Orbis Terrarum jener Zeit. Aber die Römer
trugen auch bereits die mediterrane Kultur über die Grenzen
des Mittelmeergebiets hinaus, wenn auch noch das ganze Mittel-
alter hindurch sich das Mittelmeer als Kulturmeer bewährte und
die Mittelmeerländer für das übrige Europa die Heimstätten
höherer Gesittung waren.
Auf dem Mittelmeer geschulte Seeleute waren es, welche die
Völker am Ozean zu Seefahrern erzogen, sie zuerst anleiteten
den stürmischen Wogen desselben Trotz zu bieten, seine weiteren
Räume zu überwinden. Vor allem Italiener. Der Italiener
Toscanelli hat die Entdeckung Amerikas vorbereitet, Columbus
sie ausgeführt, nach einem Italiener benennen wir die Neue Welt.
Schon zu Beginn des 12. Jahrhunderts werden Genuesen als
Die Italiener. g
Schiffsbauer und als Bekämpfer der Muhamedaner zur See nach
Galicia berufen. Im 13. und 14. Jahrhundert finden wir Italiener
als Admiräle an der Spitze der kastilischen Flotte. Lange Zeit
lag in Spanien die Leitung des Seewesens, die Prüfung der an-
gehenden Steuerleute, die Ausarbeitung von Segelanweisungen
für Schiffe, welche zu langen Fahrten bestimmt waren, in den
Händen von Italienern. Sebastian Cabotto und Amerigo Vespucci
waren bekannlich Großpiloten von Spanien. Giovanni Cabotto
saß mit einem anderen Italiener, dem bekannten Pietro Martiro
d'Anghiera im indischen Rate, 15 18 machte ihn Karl V. zum
Großpiloten von Spanien, als welcher er 1524 den Vorsitz in
der Konferenz von Badajoz führte, in welcher der Besitz der
Molukken Spanien zugesprochen wurde.
Von den Portugiesen muß man geradezu sagen, daß sie
erst durch die Italiener zu Seefahrern erzogen worden sind. Erst
nachdem Lissabon 1 1 47 mit Hilfe niederdeutscher Kreuzfahrer
den Mauren entrissen worden war, war überhaupt an Seehandel
in Portugal zu denken. Lissabon blieb aber lange lediglich
Station der italienischen Flotten auf ihrem Wege nach England
und Flandern. Erst König Diniz III. beschloß die Gründung
einer portugiesischen Flotte und berief zu diesem Zweck den
Genuesen Emmanuel Pessagno 13 17 nach Lissabon, den er zum
Admiral ernannte und gegen reiche Besoldung verpflichtete, sich
mit mindestens 3 Galeeren und 20 des Seewesens kundigen Ge-
nuesen als Kapitänen und Piloten in seine Dienste zu stellen.
Emmanuels Sohn und Nachfolger in der Admiralswürde, Carlo
Pessagno, besiegte 1340 mit 10 portugiesischen Galeeren, welche
durch 1 2 genuesische unter Egidio Boccanegra im Dienste
Kastiliens verstärkt wurden, bei Xataves in der Nähe von
Algeciras und dann bei Porto Bullones in der Meerenge von
Gibraltar die vereinigten Flotten des Sultans Abul Hassan von
Fez und Yussuf-el-Hadschadschi von Granada. Noch zahlreiche
Glieder der Familie Pessagno erscheinen im 14. und 15. Jahr-
hundert als Admiräle und Kapitäne in portugiesischen Diensten
und neben ihnen zahlreiche andere Italiener. Sie sind als die
Schöpfer der Flotte von 200 Schiffen anzusehen, welche mit der
Eroberung von Ceuta 141 5 den Grund zu dem Aufschwung
Portugals zur Welthandels- und Seemacht gelegt hat. Auch bei
den darauf folgenden Entdeckungen an der Westküste Afrikas,
IO I, i- Kulturgeschichtliche Bedeutung des Mittelmeergebietes.
die zur Auffindung des Seeweges nach Indien führte, spielen
Italiener als Kapitäne, ja ganze italienische Schiffsmannschaften
eine Rolle. So der Genuese Usodimare, Bart. Perestrello, der
Kolonisator von Porto Santo und Schwiegervater des Columbus
(wenn nicht der Vater desselben), Antonio da Noli, lange Zeit
portugiesischer Statthalter des Grünen Vorgebirges, Alvise Coda-
mosto, ein Vorfahr einer noch heute in Venedig blühenden
Familie. Prinz Heinrich ließ, wohl unter dem Einflüsse seines
Bruders Pedro , der ihm eine Handschrift von Marco Polos
Reisen und italienische Seekarten von Venedig mitgebracht hatte,
den berühmten Camaldulenser Fra Mauro eine Neuzeichnung
seiner großen Weltkarte anfertigen. Diese Karten haben auf die
Entdeckung des Seewegs nach Indien großen Einfluß ausgeübt,
denn es ist ausdrücklich bezeugt, daß den Seekapitänen, welche
1487 auf 2 Karavelen auf Entdeckungen ausgeschickt wurden,
eine Karte mitgegeben wurde, die von einer Weltkarte abge-
zeichnet war.
Ähnlich wie in Portugal war es in Frankreich. Ganze
genuesische Geschwader standen im Dienste Ludwigs des Heiligen
und Philipps des Schönen. Zahlreiche Italiener erscheinen als
französische Admirale. Der in der Entdeckungsgeschichte soviel
genannte Giovanni Verrazzano stand in französischen Diensten.
Und ebenso in England, das ja erst im 16. Jahrhundert nament-
lich unter der Königin Elisabeth und unter eifrigster Pflege des
Seewesens seitens der Herrscher angefangen hat, sich zu einem
Sitze des Seehandels und der Seemacht zu entwickeln. Schon
1317 finden wir Leonardo Pessagno, den Bruder Emmanuel
Pessagnos, mit 5 in Genua ausgerüsteten, bewaffneten und be-
mannten Kriegsgaleeren im Dienste König Eduards II. Ein
anderer Italiener Nicolö Usodimare erscheint 1337 als englischer
Vizeadmiral gegen die Franzosen. Andrea Bianco zeichnete
seine berühmte, von mir herausgegebene, Seekarte von 1448 als
Kapitän einer venezianischen Galeere in London. Die Beziehungen
des Columbus, der von Bristol aus seine Islandfahrt unternahm,
und seines Bruders Bartolomeo zu England sind bekannt.
Außerordentlich bedeutungsvoll ist aber der Aufenthalt der beiden
Cabotto, Giovanni und Sebastiano, in England geworden, sowohl
in bezug auf die Entwicklung des englischen Seewesens wie auch
der Neigung zu Entdeckungen. Giovanni Cabotto wird von einem
Die Italiener. Die Niederdeutschen. I I
gleichzeitigen englischen Geschichtschreiber magister navis scien-
tificus marinarius totius Angliae genannt. Seit 1491 leitete er
von Bristol ausgehende Entdeckerfahrten in westlicher Richtung,
aber in höheren Breiten, welche das durch Marco Polo bekannt
gewordene Cipango (Japan) zum Ziele hatten. Sein Sohn Sebas-
tiano, der sich an diesen Entdeckungsfahrten beteiligt und 15 17
während kurzer Zeit im Dienste Heinrichs VIII. nach einer nord-
westlichen Durchfahrt nach China gesucht hatte, war 1548, nach
England zurückgekehrt, zum Großpiloten ernannt worden, als
welchem ihm die Prüfung der Piloten, die Ausarbeitung von Segel-
anweisungen für Schiffe weiter Fahrt, die Anfertigung geogra-
phischer und hydrographischer Karten oblag. Vor allem hatte
er auch König Eduard VI. in der Nautik und im Gebrauche des
Kompaß zu unterrichten. Er war die Seele der 155 1 gegrün-
deten Gesellschaft zur Entdeckung und kaufmännischen Aus-
beutung neuer Länder, zu deren Leiter er von Maria der Katho-
lischen 1553 auf Lebenszeit ernannt wurde. Als solcher rief er
die englischen Forschungsfahrten nach dem nördlichen Rußland
und dem Nordrande der Alten Welt ins Leben, die bezweckten,
was erst Nordenskiöid gelungen ist, Asien zu umsegeln und
einen Weg nach China zu finden. Sebastiano Cabotto hat so
den tiefgreifendsten Einfluß auf die Entwicklung des englischen
Seewesens ausgeübt.
Die Niederdeutschen allein und neben ihnen wohl die Nor-
weger, die Bewohner eines maritimen Gebirgslandes, ähnlich wie
Griechenland, haben ihr Seewesen selbständig und ohne Beein-
flussung seitens der Italiener entwickelt. Auch sie an und auf
einem Mittelmeer, der Ostsee und ihrem Vormeere, der Nordsee.
Sehr bezeichnend ist, daß die italienischen Seekarten des Mittel-
alters, die auf dem Mittelmeere zur Entwicklung gekommen sind,
nur bis zum Eingange des deutschen Meeres reichen, wo in
Brügge und London Deutsche und Italiener ihre Waren aus-
tauschten. Die Hanseaten waren den Italienern im Seewesen
voll gewachsen, sie hielten sie völlig von ihrem Handelsbereiche
fern. An Stelle der sinkenden Hansa traten dann die westlichen
Niederdeutschen, die Holländer, die Bewohner des westlichen,
ganz von Meerarmen und Flußmündungen durchsetzten völlig
maritimen Teils des norddeutschen Flachlands, die auch im Kampfe
mit dem Meere groß geworden sind.
12 1,1. Kulturgeschichtliche Bedeutung des Mittelmeergebietes.
Wir sehen so, daß um die Zeit, von welcher wir die Neu-
zeit der Geschichte zu datieren pflegen, auf dem Mittelmeere
geschulte Seemänner es sind, welche die am Ozean wohnenden
Völker Europas zu Seefahrern erziehen, den Raum der Betätigung
mediterraner Kultur auf ganz Europa ausdehnen und die Völker
Europas in den Stand setzen, sich zu Herren des ganzen durch
Italiener erweiterten Erdkreises zu machen. Seit dem 1 6. Jahr-
hundert ist der Ozean, in erster Linie der Atlantische, an die
Stelle des Mittelmeeres getreten, die mediterrane Kultur ist zu
einer ozeanischen geworden und wird immer mehr zur Weltkultur.
Das Weltmeer wirkt seitdem erziehend, indem es den mensch-
lichen Geist zu seiner Beherrschung, zu seiner Dienstbarmachung
anspornt. Es wird in seinen Luft- und Meeresströmungen immer
sorgsamer erforscht, beide werden je nach Bedarf benutzt oder
gemieden, seine Bewegungsformen, seine Tiefen werden er-
gründet und dem Verkehr dienstbar gemacht, seine Lebewelt
nach ihren Beziehungen und zum Nutzen des Menschen erforscht.
Immer bessere, Sturm und Wellen Trotz zu bieten geeignetere
Schiffe mit immer mächtigeren Maschinen zur Bezwingung des
Raumes werden erfunden. Immer mehr wird der Ozean zum
großen Wege des Weltverkehrs, auf welchem die entferntesten
Erdgegenden mit ihren Bewohnern, ihren Stoffen und Kräften,
nicht bloß, wie im Altertum und Mittelalter die Umwelt des
Mittelmeeres, in Beziehungen zueinander treten. Handelte es
sich bei den Völkerwanderungen früherer Zeiten nur um Ver-
schiebungen meist von wenigen Hunderttausenden von Menschen,
so sehen wir heute in einem Jahre eine Million von Bewohnern
Europas der verschiedensten Völker das Weltmeer überschreiten,
um die Hilfsquellen der Neuen Welt zur Entwicklung zu bringen,
neue Stoffe und Kräfte, neue Natureinflüsse auf die Weiterent-
wicklung der menschlichen Kultur einwirken zu machen , neuen
Riesenvölkern Ursprung zu geben. Über die ganze Erde hin
sehen wir Reibungsflächen zwischen den verschiedensten Völkern,
deren jedes im Daseinskampfe angespornt wird alle seine geistigen
und Körperkräfte einzusetzen, um nicht zu unterliegen. Nur die
Völker, welche an der Beherrschung des Ozeans teilhaben,
sehen wir auf der Höhe der Weltkultur stehen und der vom
Deutschen Kaiser dem deutschen Volke zugerufene Satz: „Unsere
Zukunft liegt auf dem Meere" zeugt von voller Erkenntnis einer der
Die Deutschen.
13
großen Lehren der Geschichte. Selbst kleine Staaten, wie
Venedig, Genua, Portugal, Holland, haben durch Beherrschung
des Meeres die Rolle von Weltmächten zu spielen vermocht.
Freilich nur verhältnismäßig kurze Zeit, weil die Basis ihrer
Macht zu klein war, die Kräfte des kleinen Staats und Volks
mit der Zeit erschöpft wurden. Auch bei England treten bereits
Anzeichen hervor, daß der Höhepunkt seiner Weltmachtstellung
überschritten ist und ein vielleicht geringfügiger Stoß die ganze
Schwäche der Basis, auf welcher das ungeheure Weltreich ruht,
enthüllen wird. Wenn wir Deutschen uns zur Welthandels-, wenn
auch noch nicht zur Weltmacht aufgeschwungen haben, so ver-
danken wir das nicht so sehr einer günstigen Lage und anderen
Vorzügen unseres Landes, denn letztere sind gering und erstere
tief im Innern des Erdteils, an einem Mittelmeere und nur auf
eine kurze Strecke an einem Randmeere, sondern der hohen
Kultur und der Kraft des deutschen Volkes, das die Ungunst
der Natur bezwungen, die größte deutsche Landschaft, das nord-
deutsche Flachland, aus Sumpf und See, aus Moor und Heide
in ein reiches Kulturland verwandelt, eine ungünstige Küste be-
festigt und geschützt, durch den Nordostseekanal einheitlich ge-
macht, die Ströme zu leistungsfähigen Zufahrtsstraßen der Fluß-
mündungshäfen gemacht hat.
Auch wir Deutschen haben schon einmal eine Periode
maritimer Betätigung gehabt: zur Zeit der Hansa. Auch uns
hat ein Mittelmeer, die Ostsee mit ihrem Vormeer, der Nordsee,
welche die Engländer noch heute das Deutsche Meer nennen,
zu Seefahrern erzogen. Auch wir haben viele Jahrhunderte hin-
durch nicht nur den Handel dieser deutschen Meere beherrscht,
sondern auch auf alle Gestadeländer tiefgreifenden politischen
und kulturellen Einfluß ausgeübt, von der Straße von Calais
an, an deren innerem Eingange, in Brügge und London sich
Italiener und Hanseaten die Hand reichten und die Handels-
gegenstände ihrer eifersüchtig bewachten Handelsgebiete aus-
tauschten, bis nach Groß-Novgorod, dem Ende der von der
Ostsee ausgehenden Wasserstraßen, wo die Rohstoffe Rußlands zu-
sammenströmten, um von den Hanseaten der übrigen Welt zu-
geführt zu werden. Aber was waren Nord- und Ostsee im Ver-
gleich zum Mittelmeere? Wie viel enger war der Raum, wie-
viel kleiner, wie viel dürftiger ausgestattet, wie viel menschen-
\a 1,1. Kulturgeschichtliche Bedeutung des Mittelmeergebietes.
ärmer waren die Gestadeländer der Ostsee! Im Norden lag
die Grenze des Kulturlandes, wenn nicht der Ökumene überhaupt
ganz nahe, ja die Ostsee reichte selber im Finnischen Meerbusen
noch in diese unwirtliche Kugelkappe hinein ! Nur nach Süden, auf
den durch Deutschland führenden Landstraßen, auf denen sich
die Deutschen die Erzeugnisse mediterraner Kultur herbeiholten,
freilich nur tropfenweise, sozusagen auf dem Rücken von Saum-
tieren, über die einen großen Teil des Jahres verschneiten
Pässe der Alpen, und nach Südwesten reichten die Beziehungen
weiter. Hier brachten aber die Italiener die Erzeugnisse ihres
Handelsgebiets, wenn die Niederdeutschen auch schon während
der Kreuzzüge den Weg ins Mittelmeer gefunden hatten und
beispielsweise die Portugiesen bei der Eroberung von Lissabon,
das nun der wichtigste Stützpunkt auf den Flandernfahrten der
Italiener werden sollte, von den Mauren machtvoll unterstützten.
Von Nord- und Ostsee hielten die Hanseaten die Italiener durch-
aus fern. Wüßten wir das nicht aus anderen Quellen, so könnten
wir es mit Sicherheit daraus schließen, daß die italienischen See-
karten, die sogenannten Kompaßkarten, aus denen unsere heutigen
Seekarten hervorgegangen sind, nur bis zum Eingang in die Nordsee
jene bewundernswerte Genauigkeit aufweisen, von da an, wenn
sie überhaupt weiter reichen, nur ungenaue, vage Skizzen sind.
Wie ganz anders das Mittelmeer und seine Gestadeländer!
Uralte Handelsstraßen münden an seinen Ecken und Enden, tief
aus dem Innern der Erdteile kommend, ja sie, wie vom Roten
Meere und dem Persischen Meerbusen her mit der Mittagsseite
der Alten Welt und den dort gelegenen uralten Kulturherden,
Südarabien und Indien verbindend. Am Mittelmeere stauten
sich nicht nur die stofflichen und geistigen Erzeugnisse dieser Erd-
teile, nein, auch die Völker! Dort mußten sie sich mischen,
wenn es nicht ausnahmsweise gelang, über das Meer zur nächsten
Halbinsel den Nachdrängenden auszuweichen. Die Gestade des
Mittelmeeres sind das Ziel zahlreicher Völkerbewegungen ge-
wesen: Phöniker, Griechen, Araber, Türken, Kelten, Germanen
usw. Und sie sind es noch heute, wenn auch in anderem Sinne:
viele Tausende pilgern heute aus religiösen Beweggründen aus
der ganzen christlichen Welt nach Palästina und Rom, vielleicht
ebensoviele aus anderen Gründen überallhin in die Gestadeländer
des Mittelmeeres.
Geologische Erforschung. I r
2. Seine Entstehung und Entwicklung.
Diese große Rolle in der Geschichte der Menschheit hat das
Mittelmeergebiet nur zu spielen vermocht dank seiner geographi-
schen Eigenart. Und diese wiederum ist bedingt durch die Ge-
schichte dieses Teils der Erdrinde.
Die geologische Erforschung der Mittelmeerländer, die freilich
noch vielfach, namentlich in den Gestadeländern des Südost-
beckens, lückenhaft und rückständig ist, hat wenigstens so viel klar
gestellt, daß wir hier einen Erdraum vor uns haben, der, soweit
wir die Erdgeschichte rückwärts verfolgen können, sich immer
durch große Bewegungen in der Erdkruste und dadurch bedingte
Verschiebungen von hoch und tief, von Land und Meer ausge-
zeichnet hat. Namentlich gilt dies von der sog. Tertiärzeit, der
Neuzeit der Erde, ja noch von der Quartärzeit, der Gegenwart
der Erdgeschichte. So ist das Mittelmeer, wenn auch nicht als
Meeresraum überhaupt, so doch wenigstens nach seinen diesen
Namen als recht bezeichnend erscheinen lassenden Grundzügen,
als ein junges Meer zu bezeichnen. Zu beiden Seiten, im Norden
wie im Süden, sind diesem noch heute nach der Bewegtheit seines
Reliefs, nach der Häufigkeit seiner Erdbeben, nach seiner leb-
haften vulkanischen Tätigkeit, nach seinen Niveau- und Küsten-
linienverschiebungen als „unruhig" erscheinenden Erdgürtel Teile
der Erdrinde angelagert, die dem gegenüber den Eindruck großer,
einförmiger, „ruhiger" Schollen machen: im Süden die große
Wüstentafel, in welcher vom Atlantischen Ozean bis an den Fuß
der Hochländer von Armenien und Iran und bis an den Persi-
schen Meerbusen die Außenseite der Erdrinde von wagrecht lagern-
den und daher auch große Einförmigkeit der Erdoberfläche be-
dingenden Schichten gebildet wird; im Norden, jenseits der Alpen
das Schollenland von Mitteleuropa, in welchem ebenfalls tafel-
lagernde Schichten eines jüngeren Deckgebirges zum großen Teil
ein altes Grundgebirge verhüllen, von dessen einst zu alpinen
Höhen emporgepreßter Formenfülle nur noch der Sockel erhalten
ist, der durch Bildung von Bruchlinien in einzelne Rumpfschollen
zerstückt und durch Vertikalverschiebungen in der Tertiärzeit,
welche die Abtragung begünstigten, der Decke beraubt, heute
höchstens Reliefformen von der Höhe und Größe der höchsten
unserer deutschen Mittelgebirge bildet. Ja, an dies mitteleuropäi-
l5 I, 2. Entstehung und Entwicklung des Mittelmeergebietes.
sehe Schollenland schließt sich nach Osten die große russische
Tafel an, deren Einförmigkeit noch als weit größer als die der
großen Wüstentafel erscheinen würde, wenn Breitenlage und meteo-
rologische Ursachen ihr nicht ein Pflanzenkleid verliehen und
sie dadurch für seßhafte Menschen bewohnbar machten.
Wie bewegt muß demgegenüber dieser im Mittel etwa i 500 km
breite Erdgürtel erscheinen, in welchem das Antlitz der Erde
Runzeln aufweist, die, wie die Alpen und der marokkanische Atlas,
einer Verlängerung des Erdradius fast um 5 km entsprechen, neben
Kummer- und Altersfurchen oder Narben, welche, wie im Ioni-
schen Tiefbecken und in der südwestpeloponnesischen Tiefe, sich
dem Erdmittelpunkte fast um den gleichen Betrag nähern.
Das Mittelmeergebiet liegt auf einem die Erde im größten
Kreise umziehenden Bruchgürtel der Erdrinde, welcher von Mittel-
amerika ostwärts und wiederum bis zum Stillen Ozean die drei
Norderdteile von den drei Süderdteilen scheidet. Fast alle Meeres-
räume, die wir heute auf Grund vieler gemeinsamer Züge unter
der Bezeichnung Mittelmeere zusammenfassen, liegen auf diesem
Bruchgürtel. In unserem Mittelmeergebiete sind diese Einbruchs-
becken sowohl auf Kosten eines gefalteten Erdgürtels, wie auf
Kosten des ihm im Norden wie im Süden anlagernden (Tafel-)
Schollenlandes gebildet. Dieser gefaltete Erdgürtel kann wohl
als das altweltliche Gegenstück des die beiden Erdteile der Neuen
Welt an ihrer pazifischen Seite kennzeichnenden, die große meri-
dionale Erstreckung und die einseitige atlantische Abdachung
derselben bedingenden gefalteten Gürtels der Anden und Kordil-
leren angesehen werden. Auch er bedingt die große westöstliche
Erstreckung Europas und Asiens, weshalb wir von einem eurasi-
schen Faltenlande sprechen, auch er kennzeichnet den Südrand
dieser Erdteile und bewirkt, daß dieselben auch ihrerseits sich
überwiegend zum Atlantischen Ozean und dessen nördlichem Neben-
meere, dem sog. Nördlichen Eismeere neigen. Die wagrechte
Gliederung des Mittelmeeres weist, soweit es in dies eurasische
Faltenland, das Westende .desselben, eingebettet ist, so auffällige
Unterschiede gegen den auf Kosten der Tafelschollen gebildeten
Teil auf, daß ein Blick auf die Karte sofort diese Gegensätze
erkennen läßt. Und dieser wagrechten Gliederung des Mittel-
meeres entsprechen auch die Gegensätze der senkrechten Gliede-
rung der Gestadeländer des Mittelmeeres, während das Boden-
Entstehung des Mittelmeeres.
17
relief des Mittelmeeres diese Gegensätze zwar auch erkennen
läßt, aber doch nur in geringem Maße. Wir sehen also, daß das
Mittelmeer der Gegenwart jünger sein muß, als dieser Teil der
eurasischen Faltengebirge. Und diese sind alle jung, ja sie ge-
hören z. T. zu den jüngsten Faltengebirgen der Erde. Besteht
doch das ganze gefaltete und seine Charakterzüge diesem ge-
falteten Erdgürtel verdankende Halbinselland Italien zu zwei
Dritteln, die Insel Sizilien zu vier Fünfteln aus Gesteinen, welche
sich erst im Laufe der Tertiärzeit, ja noch später auf dem Meeres-
grunde gebildet haben, dann durch tangentialen Schub zusammen-
und emporgepreßt bzw. gehoben wurden.
Das eurasische Faltenland des Mittelmeergebiets kennzeichnet
die reiche Gliederung der Küsten, im großen wie im kleinen,
der Reichtum an Halbinseln, Inseln, Buchten und Mittelmeeren
im kleinen, hohe, steil vom Meere aufsteigende Gebirge, weite
klimatische Oasen, deren Flüsse üppig fruchtbare Deltaland-
schaften schaffen, kurz all die charakteristischen Reize der Mittel-
meerlandschaft, und dadurch bedingt die ungeheure Mannigfaltig-
keit des Völkerlebens. Im Bereiche der großen Wüstentafel da-
gegen herrscht große Einförmigkeit der wagrechten, wie der senk-
rechten Gliederung, Mangel an Inseln, an Buchten und Häfen,
an einmündenden, die Länder aufschließenden Flüssen, von dem
einen Nil abgesehen, der seine Gewässer weit jenseits der großen
Wüstentafel in den Hochländern des tropischen Afrika sammelt.
Alexandria ist an dieser ungeheuren menschenarmen und kultur-
feindlichen Tafelschollenküste vom Golf von Tunis bis in den
Winkel zwischen Kleinasien und Syrien der einzige Naturhafen!
Jung ist aber auch diese kleinere Südosthälfte des Mittel-
meeres, dessen Nordgrenze ungefähr dem 36. Parallel entspricht,
der nahezu die Südspitzen Kleinasiens, Griechenlands und Sizi-
liens berührt, andererseits längs der Nordküste Kleinafrikas und
der Straße von Gibraltar, also längs dem Südrande des Nord-
westbeckens des Mittelmeeres verläuft. Das sizilisch-afrikanische
Meer, bei weitem überwiegend Flachsee, liegt zum großen Teil
auf dem Austönungsgürtel des sizilischen Apennin, dessen Faltung
sich drüben in Tunesien fortsetzt. Die kleine jungtertiäre Insel-
tafel von Lampedusa, politisch zu Italien, geographisch zu Tunesien
gehörig, und die Inselgruppe von Malta, von Bruchspalten durch-
setzt, durch die Tiefenlinie von 200 m an Sizilien geknüpft, sind
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 2
l8 I, 2. Entstehung und Entwicklung des Mittelmeergebietes.
Reste dieses Austönungsgürtels und eines flachen ausgedehnten
Festlandsgebiets, auf welchem noch in der Quartärzeit Herden
von Elefanten, Flußpferden usw. ihre Daseinsbedingungen fanden,
deren Knochen noch heute in den Höhlen der Inselgruppe wie
Siziliens in Menge gefunden werden. Wie die Südküste Siziliens
allenthalben als in Abtragung durch die Brandungswoge begriffen
anzusehen ist, so verkleinern sich auch Malta und Lampedusa
noch heute beständig. Dabei mag allerdings ein viel umstrittener
Vorgang mitwirken, nämlich eine in der jüngeren Quartärzeit ein-
getretene und vielleicht noch heute andauernde Verbiegung der
Erdrinde nach dem Erdmittelpunkte hin, so daß das übergreifende
Meer das Land um so wirksamer abtragen konnte.
Da hier nicht der Platz ist, auf die Frage einzugehen, ob
sicher nachgewiesene, nicht lediglich auf Landanschwemmung
oder Landabtragung zurückzuführende Verschiebungen der Küsten-
linie aus Schwankungen des Meeresspiegels oder der festen Erd-
rinde — positive Niveauverschiebung, wenn der Meeresspiegel
gegen das Land ansteigt und über dasselbe übergreift, negative,
wenn er zurücksinkt und zurückweicht — zu erklären sind, begnüge
ich mich mit dem kurzen Hinweis, als nie wankend gewordenes
Ergebnis mehr als 30 jähriger Mittelmeerstudien, daß im Bereich
des Mittelmeeres von Schwankungen des Meeresspiegels, abge-
sehen von örtlich und zeitlich beschränkten Windwirkungen, keine
Rede sein kann. Die feste Erdrinde ist es, welche Bewegungen
unterliegt. Das ist ja in den letzten Jahrzehnten auch von andern
Forschern im Bereiche des Mittelmeeres und anderwärts sicher
nachgewiesen worden.
Für eine zentripetale Verbiegung der Erdrinde in dieser
Gegend sprechen nämlich zwei Erscheinungen. Der herrliche
Hafen von Malta, der dieser Inselgruppe neben ihrer Lage so
große Bedeutung verleiht, ist nämlich nichts andres, als das Tal-
stück eines Flusses, in welches das Meer eingetreten ist, und in
der inneren kleinen Syrte hat die sorgsame Auslotung durch die
Franzosen ein Bodenrelief, einen so merkwürdigen Wechsel von
tiefen Rinnen und dazwischen gelegenen Hochformen, eine solche
Übereinstimmung mit dem nahen Festlande erwiesen, daß man
sofort nicht lediglich an Wirkungen der Gezeiten, sondern an ein
überflutetes Festland hat denken müssen. Diese Vorgänge, die in
eine Zeit fallen, in welcher der Mensch bereits dieses heute über-
Entstehung des östlichen Mittelmeerbeckens. ig
flutete Festland bewohnte, lassen sofort an die vulkanische Tätig-
keit denken. Diese ist vorzugsweise an eine tiefe, diese Flachsee
in ostsüdöstlicher Richtung durchziehende Rinne geknüpft, welche
als die Grenze von Europa und Afrika anzusehen ist, und in welcher
die vulkanischen Inseln Linosa und Pantelleria, diese aus iooo m
tiefem Meere zu 836 m Höhe aufgetürmt worden sind, nach welch
letzterer wir auch am besten diese Meerenge benennen. Vulka-
nische, z. T. unterseeische Ausbrüche sind hier noch heute häufig.
Solche schufen 1831 und 1832 eine kleine Insel, Ferdinandea ge-
nannt, die schließlich 70 m Höhe und 700 m Umfang erreichte, aber,
da sie aus lose aufgeschütteten Auswurfsstoffen bestand, bald von
den Wogen wieder abgetragen und eingeebnet wurde. Doch fand
1863 an derselben Stelle ein Ausbruch statt, und die Lotungen
haben auf dem Meeresgrunde einen zwar etwas verwischten, aber
noch deutlich erkennbaren Krater nachgewiesen. Während auf
Pantelleria noch mehrere Krater erkennbar und Gasaushauchungen
häufig sind, fand 1891 5 km nach NW ein gewaltiger untersee-
ischer Ausbruch statt, bei welchem die Nordostküste von Pantelleria
auf eine lange Strecke um 75 cm gehoben wurde.
Ist so dieser wichtige das Nordwest- mit dem Südostbecken
verbindende Meeresteil ganz jugendlichen Alters — die hier
liegende Wanderstraße der Zugvögel, die nicht wissen können,
daß das Meer hier so schmal ist, soll die ehemalige Landbrücke
noch andeuten — , so gilt das gleiche vom äußersten Südosten,
dem Meere an der ägyptischen und syrischen Küste. Schon
das Hochland von Barka, die stumpfe Halbinsel, welche, mit
Kreta durch eine unterseeische Schwelle verbunden, das levantische
Becken von dem großen zentralen Einbruchskessel des Ionischen
und des Syrtenmeeres scheidet, besteht aus jungtertiären marinen
Schichten, welche heute bis auf mehr als 500 m über dem Meeres-
spiegel gehoben von bedeutenden Krustenbewegungen zeugen.
Und ebenso das Küstenland Marmarica. Ja, das heute von den
Sinkstoffen des Nils aufgefüllte Dreieck war noch in der Glazial-
zeit ein Meerbusen, der vorübergehend und durch eine ganz
flache Meerenge mit dem Roten Meere in Verbindung stand. Der
Nil mündete vorher viel weiter nordwärts und der heute als Palästina
bezeichnete Teil der großen Wüstentafel wurde zum Nil ent-
wässert und die Fauna des Jordans und des Tiberiassees stimmt
noch mit der des Nils überein, ja in dem kleinen südlich vom
2o T> -• Entstehung und Entwicklung des Mittelmeergebietes.
Karmel mündenden Nähr Zerka kommen noch Krokodile vor, die
der Mensch im Nil selbst weit nach Süden verscheucht hat. Mit
den Krustenbewegungen, welche das Mittelmeer sich so weit nach
Südosten ausdehnen machten, steht die Herausbildung individueller
Züge in dem dem heutigen Mittelmeere dort parallelen Streifen
der großen Wüstentafel, den wir, von dem einförmigen, wüsten
Nordarabien scharf unterschieden, Syrien nennen. Der heutigen,
in Südsyrien (Palästina) allerdings durch noch jüngere Vorgänge
umgestalteten Küste Syriens läuft in dem geringen Abstände von
30 — 50 km ein System von Bruchlinien parallel, an welche der
sog. syrische Graben gebunden ist, eine tiefe Narbe im Antlitz der
Erde, die ganz Syrien vom Fuße des taurischen Faltenlandes an
der Südgrenze Kleinasiens an durchzieht und sich, zuletzt mit
Meerwasser gefüllt, im Golf von Akabah bis zum Roten Meere,
dem Erythräischen Graben fortsetzt. Vom Jordan durchflössen
und z. T. durch die Spiegel der drei Jordanseen verhüllt, ist der
südlichste Teil des syrischen Grabens unter dem Namen Ghor,
das Tiefland, weil tief unter dem Spiegel des Mittelmeeres ge-
legen, am bekanntesten. In Staffelbrüchen ist der heute das
Westjordanland von Palästina bildende Streifen der Tafelscholle
zum Mittelmeere hinabgesunken, so daß dasselbe vom Ostjordan-
lande überragt wird. Dagegen sind in Mittelsyrien dieselben
Streifen der Erdrinde zu beiden Seiten des Grabens, dessen
Sohle hier auch bis zu 1000 m über dem Meere emporgehoben
ist, in dem mittelsyrischen Zwillingshorste des Libanon und Anti-
libanon so steil emporgepreßt worden, daß der Libanon nur 15
bis 20 km vom Meere mauerartig bis zu 3000 m Höhe über
dem Mittelmeere emporsteigt und der Fuß des Gebirges, das
große Dampfmengen verdichtet und den größten Teil des Jahres
schneebedeckt weithin dem die syrische Küste Ansegelnden ent-
gegen leuchtet, durch die Gebirgsbäche reichlich getränkt in
üppiger Fülle der subtropischen Pflanzenwelt prangt. So ist ganz
Syrien, wenn auch nur in einer Breite von etwa 100 km anbau-
fähig, während in Nordafrika, von der Niloase abgesehen, Steppe
und Wüste an das Mittelmeer heranreicht, soweit die große
Wüstentafel seine Gestade bildet.
Die größten Tiefen des Mittelmeeres gehören diesem offenen,
inselarmen Südostbecken an. Im Ionischen Meere liegen in der
südwestpeloponnesischen Tiefe die größten bisher im Mittel-
Entstehung des westlichen Mittelmeergebietes. 2 I
meere überhaupt geloteten Tiefen von 4400 m, nur 12 km
von Sapienza schon 3700 m. Dieser ungeheure Steilabbruch
am West- und Südrande des Peloponnes wird noch immer
durch häufige und heftige Erdbeben gekennzeichnet, in welchen
sich die Krustenbewegungen auslösen, und es ist wahrscheinlich,
daß die häufigen Zerreißungen der hier auf dem Meeresgrunde
ruhenden Kabel auf solche zurückzuführen sind. Ähnlich liegen
auch im levantischen Meere die größten Tiefen von nahe an
4000 m dicht unter Land zwischen Rhodos und Lykien.
In der Entwicklungsgeschichte der größeren nordwestlichen
Hälfte des Mittelmeeres und der Mittelmeerländer spielen drei
aus früheren Erdperioden erhaltene alte, offenbar tief in der Erd-
rinde verankerte Schollen die entscheidende Rolle, die iberische,
die tyrrhenische und die rumelische. Sie bedingen die drei süd-
europäischen Halbinseln und die Eigenart jeder einzelnen. Alle
drei sind überwiegend aus Gesteinen der Urzeit (archäischen)
und des Altertums der Erde (paläozoischen) aufgebaut und nehmen
die Stelle alter bis auf die Grundfesten wieder abgetragener Falten-
gebirge von alpinen Höhen ein. An ihrer Stelle treten uns heute
weite Hochebenen oder mäßig gegliedertes Hochland entgegen,
da die steil aufgerichteten, einst hohe Gebirgsketten bildenden
Schichten vielfach wie mit dem Rasiermesser quer durchgeschnitten
erscheinen und die Form der Ebene im grellsten Gegensatze zu
den unter unseren Füßen himmelwärts ausstreichenden Schichten
steht. In großer Ausdehnung, namentlich gegen die Ränder der
Schollen, ist dies alte Grundgebirge aber, ähnlich dem des deutschen
Mittelgebirgslandes, von den tafellagernden und daher auch Ebenen
bildenden Schichten eines jüngeren Deckgebirges überlagert, das
sich auf dem Grunde des über die alten Schollen hinübergreifen-
den Meeres mit den Trümmern des abgetragenen alten Gebirges
bildete. Diesem Vorherrschen ebenflächiger Ausbreitungen ent-
sprechend bezeichnen wir wohl auch die alte iberische Scholle
als iberische Meseta, wie dort auch im kleinen die Bezeichnungen
Mesa (Tisch) und die annähernd gleichbedeutenden Muela und
Paramo häufig wiederkehren. Doch haben spätere Krusten-
bewegungen auch diese Scholle zerstückt und Einbruchskessel
geschaffen, die in der Tertiärzeit Seen waren, die heute mit Ge-
birgsschutt aufgefüllt die baumarmen Hochebenen von Alt- und
Ncukastilien bilden, zwischen welchen das kastilische Scheide-
2 2 I, 2. Entstehung und Entwicklung des Mittelmeergebietes.
gebirge zu Höhen von 2700 m, etwa 2000 m relativ emporragt,
während das Becken von Aragonien vom Ebro in engem Durch-
bruchstale entwässert wurde. An diese alte Scholle als Wider-
lager wurde nun in der Tertiärzeit durch tangentialen Schub
von Norden, vom Tiefbecken des Golfs von Biscaya her, das
kantabrische Gebirge an- und emporgefaltet, das sich in den
Pyrenäen nach Osten fortsetzt, die schließlich an einem hafen-
reichen Querbruche am Mittelmeere endigen. Da in den Pyre-
näen auch vom Ebrobecken her seitlicher Druck wirksam war,
so weisen diese Fächerstruktur auf. Und in ähnlicher Weise
wurde von Süden her das andalusische Faltengebirge an die
iberische Meseta angefaltet und dadurch gegen Ende der Tertiär-
zeit die Meerenge, welche durch Niederandalusien, die Guadal-
quivirbucht, Ozean und Mittelmeer verband, geschlossen, während
seit Beginn der Quartärzeit und noch in geschichtlicher Zeit der-
jenige Querbruch des andalusischen Faltengebirges, welcher der
stärksten Spannung der Schichten an der Umbiegung derselben
nach Süden und Osten, wo es sich im nordafrikanischen Rif-
gebirge fortsetzt, entspricht, zur Straße von Gibraltar durch Ge-
zeiten und Brandungswoge ausgearbeitet wurde. Sie verbindet
jetzt Ozean und Mittelmeer, aber dem gefalteten Gebirgsbogen
entspricht noch eine unterseeische Schwelle, die am äußeren
Eingange in die Meerenge mit nur etwa 200 m mittlerer Tiefe
Kap Trafalgar mit Kap Spartel verbindet, die einander auf 44 km
gegenüberliegen, und den westlichsten in der Reihe der medi-
terranen Einbruchskessel, den andalusischen, vor der Meer-
enge gelegenen , von dem Alboranbecken scheidet. So ist
auch die Verbindung des Mittelmeers mit dem Ozean, die an
der engsten Stelle östlich der Südspitze Europas nur 14 km
erreicht, jungen Ursprungs. Wie die Pyrenäen am medi-
terranen Bruchgürtel in einem Querbruche endigen, so auch
das andalusische Faltengebirge, nur daß sich dieses in den
Balearen noch weit in jenen hinein fortsetzt. Zwischen den
Enden beider Gebirge reicht die alte iberische Scholle ans Mittel-
meer, wie jenseits der Pyrenäen zwischen diesen und den Alpen
das Zentralplateau von Frankreich, aber beide durch schmale
Vorländer, die Küstenebenen von Valencia und von Languedoc,
die die sie entwässernden Flüsse mit dem herabgeführten Schutt
gebildet haben, vom Meere getrennt. So ist hier und nur hier
Entstehung des westlichen Mittelmeergebietes. 2X
am ganzen Nordwestbecken des Mittelmeeres der Typus der
Schollenküste mit vorgelagerter hafenloser Schv/emmlandebene
vertreten.
Die große Übereinstimmung des Atlasvorlands von Marokko
mit der iberischen Meseta konnte ich auf meiner Forschungsreise
im Jahre 1899 feststellen. Wie das Rifgebirge die umgebogene
Fortsetzung des andalusischen Faltengebirges ist, so ist die Tertiär-
bucht des Sebu das Gegenstück der Guadalquivirbucht. Und
wie sich von dieser eine Tiefenlinie der alten Meerenge ent-
sprechend nach Osten fortsetzt, so scheidet eine solche, nur noch
schärfer ausgeprägt über Fez , Tasa und Udschda das Rif-
gebirge vom marokkanischen Atlas, wie die Sebubucht es vom
Atlasvorlande scheidet. Dieses besteht genau wie die Meseta
aus denselben steil aufgerichteten und bis auf die Grundfesten
abgetragenen alten Formationen, die auch ihrerseits teils unter
tafellagernden Schichten eines jungen Deckgebirges, teils offen
zutage tretend, weite Hochebenen bilden.
Wie das Rifgebirge gegen die alte Scholle des Atlasvorlands
angepreßt und steil vom Mittelmeere aufsteigend, wenn auch nur
mit Höhen, die nirgends 3000 m erreichen dürften, Marokko vom
Mittelmeere trennt, so bildet das andalusische Faltengebirge, das
im Mulahacen mit 3500 m, nur 35 km vom Mittelmeere, die
höchsten Höhen Europas außerhalb der Alpen erreicht, einen
Spanien vom Mittelmeere und seinem afrikanischen Gegengestade
trennenden hohen Wall, genau wie Pyrenäen (Aneto 3400 m)
und kantabrisches Gebirge, auch diese die Meseta weit über-
ragend, einen solchen abschließenden Wall gegen Frankreich und
den Golf von Biscaya bilden. So neigt sich die iberische Halb-
insel zwischen diesen beiden hohen Randgebirgen nach Westen
zum ungeheuren Ozean, zu welchem sie aber auch in gerad-
liniger Schollenküste steil abbricht, die nur dadurch einige gute
Häfen besitzt, daß das Meer dort neuerdings über das Festland
hinübergreift, in die Flußmündungen eindringt (Oporto, Lissabon,
Setubal, Huelva, Sevilla) oder Inseln abgliedernd und mit Hilfe
der Gezeiten die Mündungen selbst kleiner Flüsse zu Rias aus-
geweitet hat (Cadiz, Vigo, Ferrol, La Coruna).
Das Rifgebirge, ein Teil der großen gefalteten Gebiete der
Atlasländer, setzt sich ostwärts im sog. Tellatlas fort, der auch
seinerseits, bis an den Golf von Tunis reichend, auf jungen, durch
2± I, 2. Entstehung und Entwicklung des Mittelmeergebietes.
vulkanische Tätigkeit gekennzeichneten Bruchlinien steil zum
Mittelmeere abbricht. So reich gegliedert, wenigstens im kleinen,
durch mehr oder weniger halbkreisförmige Brandungsbuchten diese
Längsküste von Marokko, Algerien und Tunesien auch erscheint,
so entbehrt sie doch der Naturhäfen durchaus und bildet eine
wahre Absperrungsküste, an welcher selbst Kunsthäfen, auch wenn
keine Kosten gespart werden, wie der von Algier zeigt, weder
Dauer noch volle Sicherheit verheißen. Nur am Golf von Tunis,
wo das Meer in die Längsmulde zwischen den dort konvergieren-
den Faltengürteln des Teil- und des Saharaatlas eingedrungen
ist, ist das Land aufgeschlossen, und dieser Punkt mit seiner Eck-
lage, Sizilien und Sardinien gegenüber, an der beide Mittelmeer-
becken verbindenden Meerenge, deren Verkehr Luft- und Meeres-
strömungen wie Untiefen überdies an die afrikanische Küste
drängen, wo auch die Landstraßen von Süden, wie namentlich
von Westen her durch das Medjerdatal zusammenlaufen, mußte
zu allen Zeiten einen Mittelpunkt des Handels und einen politischen
Schwerpunkt großziehen, zumal an dem dem Seeverkehr günstigen
Strande sich natürlich feste Punkte fanden: Insellage wie bei Utika,
Halbinsellage nebst natürlich festen Höhen wie bei Karthago und
Tunis. Ergänzend kommt das nahegelegene Biserta (Hippo Zaritus)
hinzu, dessen herrlichen, unangreifbaren Naturhafen die Franzosen
eben zu einem der größten Seekriegshäfen der Welt ausbauen.
Die Geschichte von fast drei Jahrtausenden lehrt, daß Tunesien
im Besitze einer starken Macht eine unerträgliche Bedrohung
Siziliens und Sardiniens ist.
Etwas anderen Charakter wie die iberische trägt die alte
tyrrhenische Scholle. Von dieser sind nur noch einige Trümmer-
stücke erhalten, die aber eine Vorstellung von ihrer früheren
Ausdehnung und von ihrem Einflüsse auf die jüngsten Gebirgs-
bildungen im Mittelmeergebiet zu geben vermögen. Sardinien-
Korsika, die toskanischen Inseln, das toskanische Erzgebirge, die
Apuanischen Alpen, andrerseits im Südosten Kalabrien und das
Peloritanische Gebirge Nordostsiziliens sind die Reste dieser Fest-
landsscholle, welche durch Krustenbewegungen, die schon im
Mittelalter der Erde einsetzten, aber die ganze Tertiärzeit hin-
durch, ja bis in die Quartärzeit und vielleicht in die Gegenwart
sich fortsetzten. Es waren vorwiegend zentripetale Bewegungen.
Und so liegt jetzt an Stelle der Tyrrhenis der tiefe Einbruchs-
Die Tyrrhenis.
25
kessel des Tyrrhenischen Meeres mit Tiefen von 3700 m. Wie
in der Umgebung desselben, am Golf von Neapel, noch in ge-
schichtlicher Zeit bedeutende Schwankungen der Küste statt-
gefunden haben, an der tyrrhenischen Seite Kalabriens noch heute
ein Aufsteigen des Landes nachweisbar ist, so bezeugen die
quartären, vom Meere gebildeten Terrassen Kalabriens, die Stufen
ähnlich übereinanderliegend bis zur Höhe von 1200 m ansteigen,
die furchtbaren Erdbeben und die vulkanische Tätigkeit an der
inneren, der Abbruchsseite Italiens, daß die Umgebung des Tyrrhe-
nischen Meeres und dies Meer selbst eine der am wenigsten in
sich gefestigten Teile der Erdrinde bezeichnet. Da auch im süd-
östlichen Tyrrhenischen Meere Kabelzerreißungen häufig sind, so
lassen sich auch diese vielleicht auf Veränderungen des Meeres-
bodens zurückführen. Wenn die Terrassen des fast 2000 m er-
reichenden kalabrischen Aspromonte bezeugen, daß die Empor-
pressung dieser Scholle der Tyrrhenis in und seit der Quartär-
zeit erfolgt ist, so kann man wenigstens daran denken, daß auch
die bedeutenden Höhen von Sardinien (Gennargentu fast 2000 m)
und Korsika (Monte Cinto 2700 m) so erklärt werden könnten, ob-
wohl auf Korsika kein Anhalt für eine solche Hypothese geboten
ist, während das wechselvoller zusammengesetzte Sardinien aller-
dings erst wieder durch eine quartäre Hebung, die die beträcht-
lichen Ebenen der Insel geschaffen hat, zu einer einheitlichen
Insel geworden ist.
Daß diese alte Festlandsscholle noch zu Beginn der Tertiär-
zeit viel weiter nach Osten, bis an die Westseite des heutigen
Italiens reichte, dafür sprechen auch in den Apenninen, aber
nur an der tyrrhenischen Seite von Kalabrien nordwärts bis an
die Südgrenze von Latium vorkommende, hier und da bis 400 m
mächtige Konglomerate des oberen Eozän aus Gerollen oft mit
großen, kaum gerundeten Blöcken derselben archäischen Ge-
steine, die noch heute bei weitem überwiegend den Osten von
Sardinien und den größten Teil von Korsika bilden. In Kala-
brien, an dessen Nordgrenze die archäischen Formationen unter
die mesozoische und tertiäre Decke hinabtauchen, sind die noch
nicht wieder abgewaschenen Reste des Eozän, die in der Sila
noch 1380 m erreichen, ebenfalls aus solchen kristallinischen
Konglomeraten gebildet, ja, was lange nicht beachtet worden war,
schon 1864 hat G. Capellini und noch früher Brocchi ange-
2 6 I, 2. Entstehung und Entwicklung des Mittelmeergebietes.
nommen, daß die Gerolle aus Granit und kristallinischen Schiefern
in den eozänen Konglomeraten bei Spezia von einem nach Westen
vorhanden gewesenen alten Festlande herstammten. Später hat
das auch Meneghini angenommen und Zaccagna für die gleiche
Formation in den Apuanischen Alpen.
An der Ostseite dieses alten Festlands, dessen Vorhanden-
sein als solches, wenigstens was das ganze östliche Sardinien
anlangt, während der Triaszeit noch neuerdings Tornquist be-
stätigt hat, dehnte sich während des ganzen mesozoischen Zeit-
alters bis ins Eozän an Stelle der heutigen Apenninen das Meer
aus, in welchem sich, offenbar bei stetig sinkendem Meeresgrunde,
auf der abgetragenen archäischen Scholle die Schichten des
Mesozoikums bis zum Eozän in einer Mächtigkeit von 8000 m
ablagerten. In der jüngeren Tertiärzeit wurden dann diese
Schichten durch tangentialen Schub von der niedersinkenden
Tyrrhenis her zusammen- und emporgepreßt. Sie bildeten das
junge Faltengebirge der Apenninen, die daher, im Gegensatz zu
den vorwiegend westöstlich verlaufenden eurasischen Falten-
gebirgen, aber, wie wir sehen werden, nicht zu dem benachbarten
illyrisch -griechischen, weil an der Ost- und Südseite der sich
meridional erstreckenden tyrrhenischen Scholle gelegen, meridional
in den mediterranen Bruchgürtel hinein verlaufen, dann aber,
schon dem Südrande desselben nahe, nach Westen umschwenken
und sich im gefalteten Gürtel des Atlas fortsetzen. So bilden
die Apenninen eine Landbrücke quer über das Mittelmeer. Das
verleiht Italien seine bevorzugte Stellung im Mittelmeergebiet.
Freilich bestand das Apenninenland, wenigstens der Süden,
zu Ende der Tertiärzeit aus lauter Inseln. Das Faltengebirge
war dort, wo es aus der Süd- in die Westrichtung umschwenkte,
ähnlich dem andalusischen, durch Querbrüche zerstückt, Meer-
engen verbanden das Tyrrhenische Meer mit dem südadriatischen
und Ionischen. Erst jene quartäre Hebung schuf wieder ein
orographisch einheitliches Gebirge — so jung sind also die
Apenninen — und schloß diese Meerengen bis auf die eine von
Messina, die aber auch bis auf 3200 m verengt und auf 102 m
am nördlichen Eingange verflacht wurde. Denkt man sich hier
die Wasserhülle weg, so weisen die Apenninen, die auch hier,
von der Sohle des ionischen und tyrrhenischen Tiefbeckens aus
gesehen, als ein mindestens 3000 m hohes Gebirge erscheinen
Die Apenninen. 2 7
würden, nur eine Einkerbung zwischen dem Aspromonte und
dem Peloritanischen Gebirge auf, etwa wie der Brenner eine
solche zwischen den Ötztaler und Zillertaler Alpen darstellt.
Kalabrien besteht im wesentlichen nur aus Trümmerstücken der
alten tyrrhenischen Scholle, da an der ionischen Seite der tertiäre
Außengürtel, welcher die Apenninen in ihrer ganzen Ausdehnung
von Piemont bis Sizilien kennzeichnet, vom Golf von Tarent bis
zu dem Querbruche, welcher die Ostseite von Sizilien begrenzt
und an welchen die Meerenge von Messina gebunden ist, bis
auf geringe Reste zum ionischen Einbruchskessel abgesunken ist.
Bei den Höhen von beinahe 2000 m, welche der kristallinische
kalabrische Apennin in der Sila, wie im Aspromonte erreicht, er-
scheint so Kalabrien von den Sohlen der beiden angrenzenden
Tiefbecken aus als ein schmaler, fast 6000 m hoher Steg, welcher
Sizilien mit dem übrigen Apenninenlande verbindet, als eine Mauer
der Erdrinde, welche beide Tiefbecken scheidet.
Ähnlich wie in der Kleinen Syrte lassen auch in dem so
häufig von Erdbeben heimgesuchten Ligurien vor der Küste liegende
unterseeische Täler und die Gestalt der Küste mit ihren
Ingressionsbuchten auf ein junges Vordringen des Meeres schließen.
Auch der Golf von Neapel wird als ein junges Einbruchsbecken
angesehen. Seine Ufer und seine Umgebung mit ihrer Fülle
menschlicher Siedelungen und Trümmer von solchen haben aber
den Beweis ermöglicht, daß hier die Erdrinde unablässigen Schwan-
kungen unterliegt. Die berühmte Blaue Grotte von Capri, ein
Werk der Meereserosion, wurde geschaffen, als Capri in vor-
geschichtlicher Zeit etwa 18 m höher über dem Meeresspiegel
emporragte als heute. Noch zur Zeit des Tiberius war die Insel
6 m höher als heute. Die noch heute unter Wasser sichtbaren
Stufen der Treppe im Hintergrunde der Grotte, welche durch
einen jetzt verschütteten Gang zu einem Palaste des Tiberius
emporführte, reichen so weit ins Wasser hinunter. Seitdem hat
sich die Insel noch weiter gesenkt, der hohe und breite Eingang
der Grotte ist zu einem großen Unterwasserfenster geworden,
durch dessen eben noch über dem Meeresspiegel emporragende
und nur von flachen Booten bei ruhigem Wasser gangbare oberste
Öffnung man in die Grotte gelangt. Seitdem erst rief das seit-
lich von außen in die Grotte sich fortpflanzende Licht die wunder-
baren Lichtwirkungen hervor. Ähnliche Niveauschwankungen sind
28 I) -• Entstehung und Entwicklung des Mittelmeergebietes.
auch drüben auf dem Festlande bei Sorrent und vor allem bei
Pozzuoli nachgewiesen.
So erscheint das Nordwestbecken des Mittelmeeres als rings
von einem großen Wirbel junger Faltengebirge umschlossen,
die alle ihre steilen, durch vulkanische Tätigkeit gekennzeichneten
Abbruchsseiten, gleichsam die Schichtenköpfe, in welchen die
ältesten sie bildenden Gesteine zutage treten, dem Meere zu-
kehren und nur an drei Stellen tiefere Einkerbungen aufweisen:
die also noch jüngeren Straßen von Messina, von Pantelleria und
von Gibraltar. Nur im Nordwesten treten an Stelle dieser Falten-
gebirgen parallelen Längsküsten lange Strecken von Schollen-
und Schwemmlandküsten zu beiden Seiten der Querbruchküste
der Pyrenäen. Und dort liegen im Rhonetale und in der aqui-
tanischen Schwelle die zwei bequemsten Landzugänge zum Mittel-
meere, die zunächst Frankreich mit dem Mittelmeergebiete ver-
binden und ihm früher als dem durch den Alpenwall getrennten
Deutschland mediterrane Kultur zuführten. Das erklärt, daß Frank-
reich früher zu höherer Kultur emporstieg und so auf Deutsch-
land einen so großen Einfluß ausüben konnte. Diese beiden
Zugänge lassen aber auch als große Zuglöcher große Massen
kalter, schwerer Luft von Norden und vom Ozean her in das
Mittelmeergebiet eindringen und beeinflussen das Klima des Nord-
westbeckens.
Mitten aus diesem großen Wirbel ragen Sardinien-Korsika
auf, letzteres ein alpines Gebirge in immergrünem Gewände, die
als Reste einer alten, einst ausgedehnteren Festlandsscholle in
ihrer Pflanzen- und Tierwelt, ja man kann sagen auch in ihren
Bewohnern, viel Altertümliches in ihrer Abgeschlossenheit bewahrt
haben und auf den aufmerksamen Reisenden, von wo immer
kommend er auf den Inseln landet, den Eindruck des Fremden
hervorrufen.
In zwei Armen, die die sonstige Ungunst seiner Verhältnisse
etwas ausgleichen, greift das Südostbecken des Mittelmeeres nach
Nordwesten gegen Mitteleuropa aus, den ebenfalls jungen Meeres-
räumen des adriatischen und des griechischen Inselmeeres. Beide
stehen genetisch in engen Beziehungen zur rumelischen Scholle,
welcher ein großer Teil der südosteuropäischen Halbinsel an-
gehört: Thrakien, Makedonien, Serbien. Die Bezeichnung
„rumelische Scholle" für dies erdgeschichtlich und geschichtlich
Die rumelische Scholle.
29
zusammengehörige Gebiet habe ich eingeführt, weil dasselbe
ungefähr dem türkischen Rumelien, Rumili, entspricht, dem
einzigen, jene großen Landschaften, im Gegensatz zu Anadoli,
Kleinasien zusammenfassenden Namen. In Sofia hatte der
Beylerbey von Rumili seinen Sitz, und noch heute liegen am
Bosporus die beiden gewaltigen Festen einander gegenüber, durch
welche es den Türken gelang, den Bosporus zu sperren und so
endlich Konstantinopel zu erobern: Rumili und Anadoli Hirsar.
Ost -Rumelien hat man neuerdings Ober -Thrakien genannt.
Auch die rumelische Scholle ist durch spätere Krustenbewegungen
zerstückt worden und wird so ganz besonders durch zahlreiche
kleine, für sich abgeschlossene Beckenlandschaften gekennzeichnet,
die meist von Seen gefüllt waren und durch enge Schluchten
entwässert werden. Teils ist die alte Scholle, wie im oberen
und unteren Maritzabecken Thrakiens oder auf der bulgarischen
Kreidetafel zwischen Balkan und Donau, von jüngeren mesozoi-
schen und tertiären Ablagerungen verhüllt, teils ragt sie als ge-
waltiger Rumpfhorst wie im Rhodopegebirge zu Höhen von 3000 m
auf. Ganz in Inseln, ähnlich der Tyrrhenis, aufgelöst ist die
Aegaeis, die doch vielleicht einen südlichen Teil der rumelischen
Scholle bildete, wenn das auch noch nicht völlig klargelegt ist.
An ihrer Stelle dehnt sich heute das griechische Inselmeer aus,
das einen von Bruchlinien zerstückten Teil der Erdrinde be-
zeichnet, über welchen seit Ende der Tertiärzeit, aber besonders in
der Quartärzeit von Süden her das Mittelmeer vordrang. Aber ähnlich
wie die iberische Scholle von zwei hohen, jungen Faltengebirgen
begleitet wird, so auch die rumelische: das illyrisch-griechische
Faltengebirge und der Balkan. Nur ist nach dem heutigen Stande
unsers Wissens anzunehmen, daß bei beiden der tangentiale Schub
von der alten Scholle ausging, bei ersterem somit nach Westen,
bei letzterem nach Norden gerichtet war. Auf dem Austönungs-
gürtel des ersteren liegt das flache, nördliche Adriatische Meer,
also auch einer der jüngsten Teile des Mittelmeers, den des
letzteren bildet die bulgarische Kreidetafel. Ersteres bedingt die
große meridionale, letzterer, ein zwar 600 km langer, aber kaum
30 km breiter gefalteter Erdgürtel mit einseitigem Steilabsturz,
die westöstliche Erstreckung der südosteuropäischen Halbinsel,
die die Wissenschaft doch nachgerade nicht mehr nach diesem
längst als ganz untergeordnet erwiesenen Zuge nennen sollte.
30 I» -• Entstehung und Entwicklung des Mittelmeergebietes.
Aber genau wie das andalusische und das apenninische Falten-
gebirge gegen das Innere des mediterranen Bruchgürtels sich in
Inseln auflösen, so auch das illyrisch-griechische. Die jung-
tertiären und quartären Bruchlinien, welche den Archipel schufen,
zerstückten das südliche Drittel auch dieses schließlich nach Osten,
nach Kleinasien, wie das in Kreta so auffällig hervortritt, um-
biegenden Faltensystems. So entstand ein neues Länderindi-
viduum, das maritime Gebirgsland Griechenland, dessen wag-
rechte und senkrechte Gliederung nicht mehr durch Falten, sondern
durch Brüche bestimmt wird.
Aber das somit ganz junge, vielleicht auch erst in der Zeit,
wo dies Gebiet schon von Menschen bewohnt war, gebildete
griechische Inselmeer, von dessen Nordwestende bei Saloniki
ähnlich wie von der Nordspitze des Adriatischen Meeres von
Triest und Venedig wichtige Landstraßen nach Mitteleuropa aus-
gehen, hat noch einen maritimen Ausgang nach Nordosten. Hier
drang das Meer in der Quartärzeit von Süden her, wohl infolge
einer Senkung des Landes im Zusammenhange mit der Bildung
des kleinen Einbruchskessels des Marmarameeres, dessen Längs-
achse noch heute häufig von heftigen Erdbeben erschüttert wird,
in das dadurch zerstückte Tal eines großen Flusses ein, die Meer-
engen der Dardanellen und des Bosporus, und wurde so eine
Verbindung der Reihe von Einbruchskesseln des eigentlichen
Mittelmeeres mit einer etwas nördlicheren Reihe hergestellt, die
man im inneralpinen Senkungsfelde von Wien beginnen und sich
durch das ober- und niederungarische und das walachische, die
heute Tiefebenen bilden, zum Schwarzen und Kaspischen Meere
fortsetzen lassen kann. Hier dehnte sich in der Tertiärzeit das
Sarmatische Meer aus, das aber bis zu Beginn der Quartärzeit
sich in kleine Brackwasserseen aufgelöst und vom Kaspischen
Meere getrennt hatte, an deren Stelle aber durch neue Einbrüche
nun das Schwarze Meer trat, das nach Norden hin zu beiden
Seiten eines den Kaukasus mit dem Balkan verbindenden Falten-
gebirgsstücks, aus welchem durch maritime Anschwemmungen die
Halbinsel Krim wurde, aus dem eurasischen Faltenlande hinaus
sogar über die große russische Tafel hinübergriff und diese im
Golf von Odessa und dem Asowschen Meere aufschloß. Beide,
aber namentlich letzteres, sind ganz flache Überspülungen dieser
Tafel und morphologisch vom Schwarzen Meere ganz verschieden,
Das Schwarze Meer. Zusammenfassung. ? 1
aber sie bilden geschichtlich außerordentlich wichtige Zugänge
zum Mittelmeere und Ausgangspunkte von Welthandelsstraßen, die
sich als Wasserstraßen mit andern im Bosporus vereinigend durch
das Mittelmeer fortsetzten. Von Byzanz her wurde so ganz Ruß-
land dem griechisch-orientalischen Christentume gewonnen, auch
dies eine der letzten hochbedeutungsvollen Einwirkungen des schon
von seiner Höhe herabgesunkenen mediterranen Kulturkreises.
So hat sich das Mittelmeer, indem ein Einbruchskessel mit
dem andern in der jüngsten Tertiär- und in der Diluvialzeit in
Verbindung trat, so tief in die Festlandsmasse der Alten Welt
ausgedehnt, die es seitdem als Wasserstraße erschließt. So wechseln
Ausweitungen und Verengungen unablässig und nähern sich die
Erdteile bald einander bis auf Sehweite, bald scheinen sie vor-
einander zu fliehen. Dies in der Geschichte der Menschheit
wichtigste Meer hat so, wenn auch aus lauter Teilbecken be-
stehend, wenn wir das Schwarze Meer einrechnen, einen Flächen-
inhalt, der fast einem Drittel des Erdteils Europa gleichkommt.
Wie sich diese Ausgestaltung des Mittelmeers zu seinen
heutigen Verhältnissen vollzogen hat, wie sich die Begrenzungs-
linie von Land und Meer, genauer der Begrenzungsgürtel, auch
heute noch beständig verschiebt, an der einen Stelle das Land
gegen das Meer vorrückt, an einer andern das Meer und marine
Kräfte das Land zurückdrängen, so daß sich aus diesen Kämpfen
selbst schon in geschichtlicher Zeit, ein verschwindend kurzer
Zeitabschnitt gegenüber geologischen Perioden, recht beträchtliche
Veränderungen ergeben, das wird in Einzeluntersuchungen näher
dargelegt werden.
3. Die geographischen Grundzüge des
Mittelmeergebietes.
Gegenüber dem Umstände, daß man gewöhnlich das Mittel-
meergebiet in drei Erdteilen aufzuteilen pflegt, bedarf es wohl
einer Erklärung des Begriffs Mittelmeergebiet und der Tatsache,
daß man sich gewöhnt hat, in demselben trotzdem eine große
geographische Einheit zu sehen, die den Erdteilen als gleich-
wertig gilt und vielfach als solche nach meinem Vorgange an
unseren Hochschulen als Gegenstand akademischer Vorlesungen
?2 I» 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
behandelt wird. In der Tat haben wir hier einen Teil der Erd-
oberfläche vor uns, welcher so scharf ausgeprägte Sonderzüge
besitzt, die überall wiederkehren und als Unterschiede, ja Gegen-
sätze gegen die übrigen Teile des betreffenden Erdteils hervor-
treten, daß eine Abgliederung von denselben und eine Zusammen-
fassung zu einem besonderen Erdraume nicht nur möglich, son-
dern zum vollen Verständnis desselben geboten erscheint
Vor allem ist das Mittelmeergebiet gut gegen seine Um-
gebung abgegrenzt. Im Süden und Südosten bildet diese Grenze
die große Wüstentafel der Alten Welt vom Ufer des Atlantischen
Ozeans südlich von Marokko bis an den Fuß des eurasischen
Faltenlandes in Nordsyrien und Armenien. Das cissaharische
Afrika, die Atlasländer, ist nach seinem geologischen Bau als
ein Teil des eurasischen Faltenlandes, aber auch nach seinen
sonstigen Zügen völlig unafrikanisch und vom Sudan durch den
breiten Wüstengürtel wirksamer geschieden, als wenn an Stelle
desselben ein Meer flutete. Von der Kleinen Syrte ostwärts
und bis zur Nordgrenze von Syrien am Golf von Iskanderun
tritt die große Wüstentafel unmittelbar ans Mittelmeer, dessen
ganze kleinere Südosthälfte auf Kosten derselben entstanden ist,
so daß nur ihre überall schmale und steile Abdachung zu den
mediterranen Einbruchsbecken , im Anhauche des Mittelmeeres
noch mediterranen Charakter trägt: Tripolitanien, Barka und
Marmarika, das Nildelta und Syrien. Die Emporpressung der
tafellagernden Schichten der großen Wüstentafel von dem medi-
terranen Einbruchsbecken her hat diesem Abbruchsrande größere
Höhe und Breite, die Fähigkeit, in höherem Maße die vom
Mittelmeere aufgestiegenen Wasserdämpfe zu verdichten, verliehen.
So besonders in Tripolitanien, Barka und Syrien. Aber an der
Großen Syrte reicht die Wüste selbst bis ans Mittelmeer, und
auch in Ägypten würde das der Fall sein, wenn dort nicht ein
gewaltiger Strom, der durch den Wüstengürtel hindurch, wenn
auch unter ungeheuren Verdunstungsverlusten, die Wassermengen
dem Mittelmeere zuführte, welche die Tropenregen über den
Sudan und Abessinien ausgeschüttet haben. Aber selbst in
Syrien, wo die Krustenbewegungen so energische gewesen sind,
daß die tafellagernden Schichten in Mittel - Syrien ein Ge-
birge von der Höhe des Libanon, bis zu beinahe 3000 m,
unmittelbar über dem Mittelmeere , in Süd - Syrien jenem
Die Grenzen des Mittelmeergebietes. -> ->
parallel eine bis beinahe iooo m unter den Mittelmeerspiegel,
an der Sohle des Toten Meeres, hinabreichende tiefe Narbe
im Antlitz der Erde bilden , ist dieser mediterrane Gürtel nur
etwa ioo km breit. Dahinter liegt die syrisch-arabische Wüste,
welche bis an den Euphrat reicht, der im Verein mit dem
Tigris am Fuße des iranischen Faltenlandes die Oasenland-
schaften von Mesopotamien geschaffen hat, die nach allen ihren
Verhältnissen, namentlich aber mit völlig kontinentalem Klima
und ohne regelmäßige Winterregenzeit, nichts weniger als medi-
terran sind. Der Euphrat strebt bei seinem Austritt aus dem
armenischen Faltenlande und seinem Übertritt auf die große
Wüstentafel den taurischen Faltenzügen folgend dem Mittelmeere
zu, wird aber nur noch 150 km (Leipzig- — Gotha) von demselben
durch die Störungen, welche die nordsyrische Tafel erfahren hat,
erst nach Süden, diesen Bruchlinien parallel, und dann nach
Südosten abgelenkt , um schließlich in den fernen Persischen
Meerbusen zu münden. Seine beiden Schenkel bilden so wichtige
Zugangsstraßen zum Mittelmeere und machen Nordsyrien zu einem
der geschichtlich wichtigsten Durchgangsländer des Weltverkehrs.
Wie so im Süden und Südosten die Wüste die Mittelmeer-
länder von der Umwelt abgrenzt, so im Norden die Gebirgswälle
des eurasischen Faltenlandes: der Kaukasus, seine Fortsetzung
in dem kleinen Gebirge der Krim, das sich seinerseits im Balkan
fortsetzt, von welchem wir zu dem illyrischen Gebirge und den
Alpen gelangen. Zwischen diesen und dem pyrenäisch-kanta-
brischen Faltengebirge, das die Iberische Halbinsel scharf gegen
Norden begrenzt, bildet auch das Zentralplateau von Frankreich
und die Cevennen einen Abschluß.
Die Größe des Mittelmeergebiets können wir auf etwa 3/.
der Größe des Erdteils Europa schätzen, wovon allerdings ein
Drittel, mit dem Schwarzen Meer sogar etwa 2, 9 Millionen qkm,
auf das Mittelmeer selbst kommen.
Wo immer man diese Grenze des Mittelmeergebiets, die >vir
uns natürlich nicht als eine Linie, sondern als einen bald
schmäleren, bald breiteren Landgürtel zu denken haben, über-
schreitet, empfängt man sofort den Eindruck, daß man sich in
einem andern Erdraume befindet. Selbst da, wo bequeme Zu-
gänge aus den drei Erdteilen in die Mittelmeerwelt führen.
Diese Zugänge sind für die kulturgeschichtliche Bedeutung
'ier, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 3
■1A I, 3. Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
des Mittelmeergebiets von größter Bedeutung. Im Norden sind
sie durch auch in klimatischer Hinsicht, als Zuglöcher, wichtige
Lücken in dem Gebirgswalle gebildet. So in Frankreich die
aquitanische Schwelle, die ins Garonnebecken führt, und das
Rhonetal. Das sind die beiden Wege, auf welchen mediterrane
Kultur in breitem Strome von Marseille und von Narbonne her
nach Frankreich einströmte, über Frankreich nach den britischen
Inseln und Deutschland, jenem eine frühere Kulturentwicklung
und kulturelle Überlegenheit sichernd. Nur auf den Rücken
von Saumtieren, sozusagen tropfenweise, vermochte sich Deutsch-
land über hohe, einen großen Teil des Jahres verschneite Alpen-
pässe die Erzeugnisse mediterraner Kultur zuzuführen. Nur an
der äußersten Südostgrenze Deutschlands bot sich von der Nord-
spitze des Adriatischen Meeres nach Wien ein uralter, verhältnis-
mäßig bequemer Handelsweg, der im späteren Mittelalter nicht
unwesentlich zu dem raschen kulturellen Aufblühen dieses deut-
schen Siedlerlandes beigetragen hat, wie es schon in römischer
Zeit durch blühende Städte bezeichnet wurde.
Weiter nach Osten bilden die tiefen Einkerbungen der südost-
europäischen Halbinsel, im engeren Sinne der rumelischen Scholle,
welche durch den Lauf des Vardar und der Morawa und die
Eisenbahnlinie Saloniki-Belgrad einerseits, das obere und untere
Maritzabecken und die Linie Belgrad-Konstantinopel andererseits be-
zeichnet werden, Zugänge zum Mittelmeer, aufweichen die römische
Herrschaft in Dacien und die Beherrschung Ungarns durch die Türken
beruhte, und die wohl in Zukunft noch größere Bedeutung er-
langen werden, zumal die Wasserstraßen der Donau und der
Theiß aus dem Herzen von Europa auf sie hinzielen. Von
großer Bedeutung sind auch die beiden breiten Zugangstore vom
osteuropäischen Flachlande her zum Schwarzen Meere, östlich
und westlich der Krim, die Bucht von Odessa und das Asowsche
Meer. Beide waren früh mit griechischen Kolonien besetzt, von
deren einer ja Odessa seinen Namen hat, die die Erzeugnisse
des Landes, besonders Getreide, dem Mittelmeergebiete zuführten.
Von hier aus wirkte Byzanz als Kulturmittelpunkt, wie sich noch heute
in der „griechischen" Kirche Rußlands ausprägt. Wie schon in
spätgriechischer Zeit an der mediterranen Südküste der Krim
und an dem ins Asowsche Meer führenden Tore große Handels-
städte wie Chersonesos, Pantikapäon, Phanagoria u. a. aufblühten,
Zugänge zu dem Mittelmeere. a c
ja ein ganzer griechischer Staat, das Bosporanische Reich, hier
lange Zeit bestand, so entwickelten sich im Mittelalter, wo von
hier zugleich Handelswege nach Inner- und Ostasien ausgingen,
reiche italienische Handelsstädte wie Kaffa und Sudak. Von
geringerer Bedeutung war der Zugang vom südkaspischen Meere
her über die kaukasische Landschwelle. Alle diese Wege liefen
aber schließlich im Bosporus zusammen und machten diesen
neben der Straße von Gibraltar zum wichtigsten Eingange ins
eigentliche Mittelmeer.
Die große Wüstentafel ihrerseits bietet nur zwei Zugänge
zum Mittelmeere, die darum um so wichtiger waren und zu den
kulturgeschichtlich wichtigsten Wegen des Weltverkehrs gehören.
Beide beruhen auf tektonischen Vorgängen, welche mit der Bil-
dung des großen Bruchgürtels der Erde und somit auch mit der
Entstehung des Mittelmeeres selbst in Beziehungen stehen, die
Grabenversenkung des Roten Meeres, welche, wohl erst in quar-
tärer Zeit entstanden, die ganze Wüstentafel in ihrer ganzen
Breite quert und in der Meerenge von Suez, die allerdings nur
kurze Zeit bestand und sehr flach war, das Mittelmeer mit dem
Indischen Ozeane verband, und der Persische Meerbusen, der
z. T. wohl auch eine Grabenversenkung, z. T. ein flaches Trans-
gressionsmeer auf der geologischen Grenze der großen Wüsten-
tafel und des eurasischen Faltenlandes ist. Letzterem streben,
aus dem Hochlande von Armenien herabstürzend, längs dieser
geologischen Grenze die Zwillingsströme Euphrat und Tigris zu,
nachdem ersterer sich dem Mittelmeere auf 1 50 km genähert hat.
Sie haben den flachen inneren Teil des Persischen Meerbusens
bereits weithinauf zugeschüttet und so das fruchtbare Schwemm-
land von Mesopotamien geschaffen, einen der ältesten Sitze
menschlicher Kultur, welcher zwischen Indien auf der einen, dem
Mittelmeergebiete auf der anderen Seite vermittelte. Ist dieser
Zugang zum Mittelmeer längs dem Euphrat und durch Nordsyrien,
auf welchem die Blüte der phönikischen Seestädte, von Palmyra
und von Antiochien wie später von Damaskus beruhte, auch
kulturgeschichtlich wichtiger als jener durch das Rote Meer, so
ist er heute doch durch diesen, besonders seit der Grabung des Suez-
kanals, verdunkelt, kann aber jeden Augenblick seine Bedeutung
zurückerhalten, weshalb sich die Engländer auch den Schlüssel
zu diesem Welthandelswege, Cypern, gesichert haben. Das
3*
^6 I) 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
Rote Meer hat Ägypten außer der ihm an und für sich inne-
wohnenden großen Bedeutung zum wichtigsten Durchgangslande
des Welthandels gemacht. Den Seglern des Altertums freilich
erschwerten die Windverhältnisse des nördlichen Roten Meeres,
die vorherrschenden Nordwinde, den Verkehr derartig, daß dieser
den Nil möglichst weit aufwärts bis zu Punkten größerer An-
näherung benutzte, um möglichst weit nach Süden gelegene
Häfen (Leukos Limen und Berenike) quer durch die felsige
Wüste zu erreichen. Das Niltal selbst hat niemals, etwa wie in
neuerer Zeit, eine hervorragende Rolle als Verbindungsweg mit
dem Sudan gespielt. Das Christentum ist auf dem Seewege nach
Abessinien gekommen.
Auch die Wüstenstraßen, welche, durch Oasenreihen bedingt,
vom Tschadsee her bei Tripolis und Gabes am Syrtenmeere
ausmündeten, wie diejenigen, die Timbuktu am Nigerknie mit
dem äußersten Südwesten von Marokko verbinden, haben niemals
eine besondere kulturhistorische Bedeutung erlangt, wenn wir
davon absehen, daß auf diesen Wegen der Islam ins Innere von
Afrika getragen worden ist.
Um so wichtiger ist aber das große Zugangstor vom Ozean
her, die Straße von Gibraltar.
Auf diesen Zugangswegen konnten die drei Erdteile, die
am Mittelmeergebiet teilhaben, auf dieses einwirken. Menschen
und Erzeugnisse derselben, stoffliche wie geistige, die oft aus
unbekannten Fernen herstammten, gelangten hier ans Meer. So
unterhielt das Mittelmeergebiet die vielseitigsten Beziehungen zu
seiner Umwelt, bald empfangend, bald gebend. Wie viele Völker
sind auf diesen Zugangswegen ins Mittelmeergebiet eingedrungen
und haben dort die gewaltigsten Umwälzungen hervorgerufen. Man
denke nur an Germanen, Araber und Türken!
Daß dieser Charakterzug der Vielseitigkeit der Beziehungen
für das ganze Mittelmeergebiet wirksam werden konnte, dazu trug
die eigenartige wagrechte Gliederung der Mittelmeerländer bei.
Entsprechend der Entstehung des Mittelmeeres auf dem großen Bruch-
gürtel der Erde teils auf Kosten der großen Wüstentafel, nament-
lich aber auf Kosten des eurasischen Faltenlands weisen alle
drei Erdteile am Mittelmeere eine reiche Gliederung auf, sie
lösen sich in Halbinseln und Inseln auf, die sich einander ent-
gegenstrecken. Man kann die Halbinsel geradezu als die mor-
Gliederung des Mittelmeergebietes.
37
phologische Charakterform der Mittelmeerländer bezeichnen.
Afrika, eine große, hohe, ungegliederte Scholle, wird durch das
Syrtenmeer, einen der mediterranen Einbruchskessel, an welchem
die Wüstenstraßen ausmünden, aufgeschlossen. Es schiebt die
stumpfe Halbinsel von Barka, welche wie eine Bastion die West-
oststraße durch das Mittelmeer zu beherrschen vermag, ins Mittel-
meer, das sich hier zwischen Kreta und Barka auf 250 km ver-
engt, vor, und die Atlasländer, ein völlig unafrikanisches Stück
des eurasischen Faltenlandes, rings von Wüste und Meer um-
geben, werden recht bezeichnend von den Arabern Dschesiret-
el-Maghreb, die Insel des Westens genannt. Die Atlasländer
sind so völlig unafrikanisch, sind so wirksam durch die große
Wüste vom Sudan geschieden, daß sie selbst die Vermittlerrolle
zwischen Afrika und dem Mittelmeergebiet nur in geringem Maße
gespielt haben. Auch ihre berberische, seit dem Mittelalter z. T.
arabische Bevölkerung steht derjenigen Europas und Asiens näher
als derjenigen Afrikas. An zwei Stellen, im Westen und im
Osten in Sehweite Europas, an beiden in hohem Maße befähigt,
nicht nur die Welthandelsstraße durch das Mittelmeer zu be-
herrschen, sondern auch auf die Gegengestade einen tief greifenden
politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Einfluß auszuüben,
haben die Atlasländer, seit sie durch die Phöniker und noch
mehr durch die Römer in die Kulturbewegung des Mittelmeer-
gebiets einbezogen wurden, auf dieses und auf die Kulturentwick-
lung der Menschheit einen großen Einfluß ausgeübt. Man ver-
gegenwärtige sich, was die Atlasländer erst in spätrömischer Zeit,
dann wieder im arabischen Mittelalter an Dichtern und Gelehrten
hervorgebracht hatten, und daß sie viele Jahrhunderte hindurch die
ganze iberische Halbinsel, Sizilien und Sardinien sozusagen
von der christlichen Welt losgelöst und sich und der Welt des
Islam angegliedert hatten. Und andererseits, daß drei Jahr-
hunderte hindurch die aus ihren Häfen auslaufenden Seeräuber-
flotten den Verkehr im ganzen Mittelmeere störten, die Küsten
Spaniens und Italiens, an denen noch heute verfallene, malerische
WTarttürme auf allen Vorgebirgen von jener schrecklichen Zeit
zeugen, völlig verödeten. Umgekehrt beherrscht heute eine euro-
päische Mittelmeermacht bereits den größten Teil der Atlasländer
und hofft dieselben nicht nur zu einer der mächtigsten Stützen
seiner Weltmacht zu machen, sondern sogar dort ein neues
^8 I. 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
europäisches, kulturell und sprachlich französisches Volkstum
großzuziehen, eine Verjüngung des eigenen gealterten Volkes.
Noch schärfer als in Afrika tritt die morphologische
Charakterform der Mittelmeerländer in Europa hervor, sich nach
Osten immer mehr steigernd, indem die Halbinselform sich auch
im kleinen wiederholt und der Inselreichtum immer größer
wird, entsprechend der Zerstückung der eurasischen Faltengebirge,
die die geographischen Grundzüge von ganz Südeuropa bestimmen,
wo immer sie tiefer in den mediterranen Bruchgürtel hineinreichen.
Zunächst freilich ist die Gliederung der iberischen Halb-
insel eine geringe, ja man kann sie noch mehr als in sich ab-
geschlossen ansehen wie die Atlasländer. Im Norden und im
Süden von hohen Faltengebirgen überragt und von den Nach-
barländern getrennt, neigt sich dieselbe als ein hohes vereinsamtes
Vorgebirge Europas zum Ozean, dessen ferne Gegengestade erst
von einem seefahrenden Mittelmeervolke entdeckt werden mußten,
dann aber mit ihren Schätzen einen ungeheuren, aber mehr
schädlichen als wohltuenden und kulturfördernden Einnuß auf
diese Mittelmeerhalbinsel ausgeübt haben. Die ganze verhältnis-
mäßige Verödung des heutigen Spanien und Portugal ist eine
Folge dieser Beziehungen zu Mittel- und Südamerika, andererseits
aber zu Afrika und der Welt des Islam, denn der jahrhunderte-
lange Kampf gegen diesen hat auch seinerseits den Charakter
des spanischen Volkes aufs ungünstigste beeinflußt, indem er die
Religion über alles setzte, das Priestertum allmächtig werden und
schlichte bürgerliche Erwerbstätigkeit als minderwertig, ja ver-
ächtlich erscheinen ließ. Noch heute tritt uns die lange Herr-
schaft des nordafrikanischen Islams allenthalben entgegen, am
meisten in Andalusien, nicht nur wegen seiner räumlichen Nähe
zu Marokko, sondern auch weil es sich nach Südwesten öffnet
und eine der am schärfsten ausgeprägten Sonderlandschaften ist.
An diesen ist die Halbinsel reich und stehen namentlich die
Randlandschaften, wenn auch nur eine, Portugal, auch politisch
selbständig ist, in stetig wachsendem Gegensatz zu den zentralen.
Spanien ist das Land der Gegensätze, so europafremd wie kaum
der Rest des türkischen Reichs in Europa, so daß man in
Frankreich sprichwörtlich sagt: hinter den Pyrenäen beginnt
Afrika. In der Tat hat die Halbinsel in der Höhe und der
Geschlossenheit ihres Umrisses und in seinem Klima etwas
Das Halbinselland Italien.
39
Afrikanisches. Es ist der heißeste und trockenste Teil Europas,
wo allein die Dattelpalme ihre Früchte reift, der Baum, welchen
nach der Vorstellung des Orientalen die Vorsehung den Be-
wohnern der Wüste geschenkt hat. Zum Mittelmeergebiet hat es
immer die Rolle eines westlichen Grenzlandes gespielt, der Ver-
kehr ging um die Halbinsel herum, nicht durch dieselbe. Der
Einfluß, welchen dieselbe auf das übrige Mittelmeergebiet und
auf Europa ausgeübt hat, ist zeitlich beschränkt und stets gering
gewesen, etwa von dem echt spanischen Erzeugnis des Jesuitismus
abgesehen, der ein Meer von Blut und Tränen über die Welt
ergossen hat.
Das ausgeprägteste Halbinselland ist Italien, zugleich das
zentralste und maritimste, dasjenige, welches nach seiner Lage,
Erstreckung und Hafenreichtum am meisten die Vermittlerrolle
von Erdteil zu Erdteil zu spielen berufen erscheint und auch
immer wieder in der Geschichte gespielt hat. Es erscheint als
eine vom Fuße der Alpen quer 'durch und über den mediterranen
Bruchgürtel nach Afrika geschlagene, freilich bei der Häufigkeit
der Erdbeben, gleichsam noch schwankende Landbrücke, die
einerseits über Sizilien sich Afrika, andererseits in der apulischen
Halbinsel mit ihren herrlichen Naturhäfen von Tarent und Brindisi
eine Art Landesteg nach Südosten vorschiebend, auch der öst-
lichen Nachbarhalbinsel auf Sehweite nähert. Den Verkehr nach
Südosten fördert auch das Adriatische Meer von seinem die Po-
ebene erschließenden Haffhafen Venedig aus. Aber die Stirn-
seite Italiens ist auch aus genetischen Gründen die reich ge-
gliederte und inselreiche Westküste, während das Tiefland des
Nordens nicht nur den Verkehr auf hier wichtigeren Landwegen
mit Mitteleuropa vermittelt, sondern auch ein wichtiger Abschnitt
einer Durchgangsstraße am Südrande des Festlandsrumpfes von
Europa, von der unteren Donau her durch Südfrankreich nach
Spanien, ist. Ziehen wir die schon durch die Länge der meri-
dionalen Erstreckung bedingte Abstufung des Klimas und der
Erzeugnisse noch in Betracht und den großen klimatischen Ein-
fluß, welchen das Mittelmeer überall auf das schlanke Halb-
inselland auszuüben vermag, das Vorherrschen fruchtbarer Boden-
arten in dem jungen Lande, die große Volksdichte, namentlich
an den Küsten — Italien allein beherbergt fast 1/3 der Bewohner
des Mittelmeergebiets — so erscheint uns Italien als die geo-
iO I> 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
graphisch am meisten bevorzugte Mittelmeerhalbinsel, wie sie
auch, obwohl bei weitem die kleinste derselben zur Beherrschung
des Mittelmeeres berufen erscheint, wie in römischer Zeit, so
in Zukunft, und auf das ganze Mittelmeergebiet, ja die Mensch-
heit im klassischen Altertum, im Mittelalter als Sitz des Welt-
handels, in der Renaissancezeit und durch das Papsttum den
größten Einfluß ausgeübt hat.
Eine Art Doppelhalbinsel nach ihrer Entstehung ist die
südosteuropäische, wie man sie nennen muß, nachdem längst
festgestellt ist, daß die Benennung nach dem Balkan auf ganz
falschen Vorstellungen von der Größe und Erstreckung dieses
nicht einmal das rumelische Schollenland, dem es angehört, ge-
schweige die ganze Halbinsel kennzeichnenden Gebirges beruhte.
An das rumelische Schollenland, welches die größere Osthälfte
bildet und die große westöstliche Erstreckung bedingt, ist im
Westen das lange illyrisch-griechische Faltensystem angegliedert,
auf welchem die große meridionale Erstreckung beruht. Das
rumelische Schollenland ist offenes, wegsames, von allen Seiten
zugängliches und daher eine Fülle von Beziehungen unterhaltendes,
geschichtsreiches Gebiet, das, auch an inneren Schätzen reich,
bei meist sehr fruchtbarem Boden und überwiegend mitteleuro-
päischem, im Sommer noch regenreichem Klima eine dichte
Bevölkerung zu ernähren vermag. Es streckt sich nach Nord-
osten von der unteren Donau aus Rußland entgegen, nach Süd-
osten Kleinasien und wird von Saloniki und Konstantinopel aus
von zwei der geschichtlich wichtigsten Verkehrswege von Europa
gequert, welche von Belgrad aus durch Ungarn auf Mitteleuropa
zielen.
Ganz anders das westliche Faltenland. Dies ist überwiegend
Gebirgsland, vielfach mit Höhen von mehr als 2000, ja bis 3000 m,
in großer Ausdehnung aus Kalkfels aufgebaut, entwaldet und ver-
karstet, ein armes, verschlossenes Gebiet, da die Flüsse meist
in engen, ungangbaren Quertälern aus den breiteren Längstälern
zum Adriatischen Meere oder nach Osten durchbrechen. Könnte
man das beziehungsreiche rumelische Schollenland auch in ge-
schichtlichem Sinne ein Gebiet der Bewegung nennen, so haben
wir hier ein Gebiet des Verharrens vor uns. Hier sitzen noch
in urtümlichen Zuständen die Albanesen, die Nachkommen der
alten Illyrier, die sich durch alle Stürme hindurch im Schutz
Das illyrisch -griechische Faltenland. a j
ihrer Berge Sprache und Eigenart zu bewahren vermocht haben.
Hier haben sich die Wlachen, Reste der romanisierten Urbevölke-
rung erhalten, und die Serben der Schwarzen Berge haben gegen
alle Angriffe der Türken ihre Freiheit zu behaupten vermocht.
Wie alle Verkehrswege, außer in der Zeit des künstlichen Straßen-
baus des Römerreichs (Via Egnatia, Dyrrhachium-Konstantinopel),
vor diesem wenig wegsamen Landgürtel nach Norden gegen die
Donau, oder nach Süden gegen Griechenland abbogen, so ist
das Küstenland des illyrischen Gebirges, Dalmatien, niemals den
Türken unterworfen gewesen, die nur das Narentagebiet, die
Herzegovina, dadurch ihrem Reiche anzugliedern vermochten, daß
dasselbe von innen, aus dem Becken von Sarajevo, verhältnis-
mäßig leicht zugänglich war. Alle Staatenbildungen erscheinen
hier in die Länge gezogen.
Zu einem neuen Länderindividuum wurde aber das südliche
Drittel dieses gefalteten Erdgürtels ausgestaltet dadurch, daß der-
selbe, je weiter hinein in den mediterranen Bruchgürtel um so
mehr von den jungen Bruchlinien zerstückt wurde, welche das
Festland der Aegaeis in quartärer Zeit in das griechische Insel-
meer auflösten, Bruchlinien, welche bald dem Streichen der Falten
parallel laufen, bald mehr oder weniger senkrecht auf demselben
stehen. Auch Vertikalverschiebungen kamen vielfach vor, sowohl
Einbrüche, wie Emporpressungen, die beispielsweise am Nord-
rande des Peloponnes jungtertiäre Ablagerungen in Höhen von
1800 m über dem heutigen Mittelmeerspiegel gebracht haben.
Überall drang das Meer in die Senkungsfelder und Hohlformen
ein, und so entstand das maritime Gebirgsland Griechenland,
das sich immer mehr in Halbinseln und Inseln auflöste, in seiner
Zerstückung in zahlreiche kleine Sonderlandschaften , die alle
Sonderzüge, besondere Beziehungen zueinander und zu dem stets
nahen Meere hatten, besondere Einflüsse auf ihre Bewohner aus-
übten: ein Mikrokosmos, der in der Geschichte der Menschheit
eine große Rolle gespielt hat, der gegenüber auf der vergrößerten
Erde, wo auch die Größe des Raumes eine Rolle spielt, das
heutige Griechenland als besonders klein und arm erscheint.
Auch Asien nimmt durch zwei Halbinseln am Mittelmeer-
gebiet teil, Kleinasien und Syrien. Letzteres dank der Lage
am Mittelmeere und der Höhe seiner die Wasserdämpfe des-
selben verdichtenden Gebirge in einem ca. 100 km breiten Gürtel
4 2 I» 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
auch ohne künstliche Berieselung anbaufähig, anthropogeographisch
eine Art Halbinsel zwischen Wüste und Meer, gleichsam ein hoher
Steg, der vom Südrande Kleinasiens und von den beiden auf
das Mittelmeer weisenden Schenkeln des Euphratlaufes den Ver-
kehr zwischen diesen Gebieten, Arabien und Ägypten vermittelt.
Klein asien, das Faltenland des Taurussystems, das nach Westen
hin mit dem nach Osten umbiegenden griechischen in Beziehung
stand, wie Kreta noch deutlich erkennen läßt, bildet in seiner
großen westlichen eurasischen Erstreckung mit den nach Norden
und nach Süden steil abbrechenden, sich nach Westen neigen-
den und durch Längstäler geöffneten Gebirgen die eine Hälfte
einer Landbrücke, welche Vorderasien mit Mitteleuropa verbindet
— das rumelische Schollenland ist die andere — , und ist um so mehr
ein Durchgangsland, als es nur der schmale Strom des Bosporus,
an dessen südlichem Eingange in Konstantinopel die Natur einen
Knotenpunkt von Land- und Wasserstraßen geschaffen hat, wie er
kaum noch einmal auf der Erde wiederkehrt, von Europa trennt,
auch die hafenreichen Buchten der Querbruchküste des vorderen
Kleinasiens sich gegen Europa öffnen und man aus den weiten,
kaum ein Verkehrshindernis bietenden Steppen des inneren Hoch-
lands bequem in die westlichen Flußtäler hinabsteigt und durch
sie zum Meere gelangt. Nur der festländische Zugang zu dieser
Landbrücke von Mesopotamien und Syrien her ist durch die hohen
Ketten des Taurus und Antitaurus erschwert. So reich und
mannigfaltig Kleinasien überhaupt, aber namentlich auch mit inneren
Schätzen ausgestattet ist, eine so dichte Bevölkerung es im größten
Teile seines Gebiets zu ernähren und höherer Gesittung zuzu-
führen vermag, so fehlt ihm doch wegen des echt asiatischen
Steppencharakters des inneren Hochlands eine beherrschende Land-
schaft, also ganz ähnlich wie seiner südosteuropäischen Schwester-
halbinsel. Es hat daher niemals ein einheitliches Staatswesen
für sich gebildet, sondern ist nur dann in seiner ganzen Aus-
dehnung politisch geeint gewesen, wenn es von der gemeinsamen
Hauptstadt Konstantinopel aus mit der südosteuropäischen Halb-
insel verbunden war.
Wie sich somit die Mittelmeerhalbinseln, die mediterranen
Einbruchskessel mit ihren Faltengebirgen umschließend, einander
immer und immer wieder bis in die Sehweite nähern oder durch
Inseln miteinander in Verbindung treten, so durchdringt das
Klimatischer Einfluß des Mittelmeeres.
43
Mittelmeer diesen ganzen Erdgürtel, verbindet die einzelnen
Teile aufs innigste miteinander und vereinigt sie zu einer großen
Lebensgemeinschaft, deren einzelne Glieder alle voneinander be-
einflußt werden. Das Mittelmeer verbindet die Mittelmeerländer
besser miteinander, als wenn sie durch entsprechende Strecken
festen Landes miteinander verbunden wären. Wenn wir uns das
Mittelmeer wegdenken, so haben wir die Alte Welt als ungeheure
geschlossene Landmasse vor uns. Nicht nur die geographischen
Verhältnisse der Mittelmeerländer, sondern der ganzen Alten
Welt würden völlig verändert sein. Die große Welthandelsstraße,
welche heute durch das Mittelmeer die Abendseite der Alten
Welt und die dort sich drängenden Menschen mit der Mittags-
und Morgenseite derselben mit ihrem noch größeren Menschen-
gewimmel verbindet, das Bündel von Wasserstraßen, welches durch
die Pforte von Gibraltar alle Verzweigungen des Mittelmeeres bis
Taganrog und Batum erschließt, wäre nicht mehr vorhanden.
Namentlich würde auch die Einwirkung wegfallen, welche das
Mittelmeer auf das Klima dieses Erdgürtels ausübt. Der Gürtel
der tropischen Regen bei höchstem Sonnenstande, der unter Ein-
wirkung des Mittelmeeres mit seinem im Sommer relativ hohen
Luftdrucke nur bis an den Südrand der Sahara reicht, würde
sich bis an ihren Nordrand verschieben, und vor allem die große
Warmwasserheizung, der Trog niederen Luftdrucks, als welcher
das Mittelmeer im Winter erscheint, und damit die regenbringen-
den winterlichen Zyklonen würden für dieses Gebiet wegfallen.
Dadurch, daß das Mittelmeer durch die flache Schwelle an seinem
Eingange von den Tiefen des Ozeans und seinen bis wenig über
Null abgekühlten Gewässern abgesperrt ist, muß es seine thermi-
schen Verhältnisse selbst regeln, und so besitzen seine Tiefen
eine Temperatur, welche ungefähr der Temperatur der Oberfläche
im kühlsten Monate entspricht, nämlich 12 — I3°C, im südlichen
Südostbecken auch noch etwas mehr. Nur eine Oberflächen-
schicht von 300 — 400 m ändert ihre Temperatur jahreszeitlich,
so daß in derselben im Spätsommer beispielsweise die Wärme
bis zur Tiefe von etwa 400 m sehr rasch abnimmt, von da an,
auch wo die darunterliegende Wasserschicht 4000 m mächtig ist,
so ziemlich gleich bleibt, während im Spätwinter wohl die ganze
Wassersäule dieselbe Temperatur haben kann. Im Winter ist also
das Mittelmeer mit warmem Wasser gefüllt, es erzeugt über seinen
a* I, 3. Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
Teilbecken Zyklonen, welche den Gestadeländern Wärme und
Regen zuführen. Das Mittelmeergebiet hat so in der winterlichen
Jahreshälfte veränderliche Winde und Regen, in der sommerlichen,
wo es auch südlich von dem Gürtel hohen Luftdrucks an der
Ostseite des Atlantischen Ozeans liegt, ist es vorwiegend bei
relativ hohem Luftdruck Ausgangsgürtel von (nördlichen) Luft-
strömungen und daher niederschlagsarm bis (im Süden) nieder-
schlagslos. Thermisch erscheint aber das Mittelmeergebiet in
seiner ganzen Ausdehnung begünstigt, wenn diese Begünstigung
auch nach Osten hin abnimmt. Am größten ist sie naturgemäß
im Winter. Die milden Winter der Mittelmeerländer sind ja be-
kannt und gehören in erster Linie zu den Anziehungen, welche
jeden Winter viele Tausende von Fremden in die Mittelmeer-
länder locken, begreiflicherweise meist an die Ufer des Mittel-
meeres selbst und in die klimatischen Oasen, welche im milden
Anhauche dieses Meeres überall da entstehen, wo steil und hoch-
aufsteigende Faltengebirge südliche Exposition und Schutz gegen
kalte Nord- und Binnenwinde gewähren. Freilich darf man nie
vergessen, daß der Winter zugleich die Regenzeit der Mittelmeer-
länder ist.
Die Eigenart des Mediterranklimas und ihre Folgewirkungen
wird eine besondere Abhandlung beleuchten.
Wie das Klima, so gehört auch die Pflanzenwelt zu den
einheitlichen, individuellen Zügen der Mittelmeerländer. Sie übt
auf die Phantasie des Nordländers den größten Einfluß aus und
weckt am meisten bei ihm den Eindruck, ein zu seiner Heimat
gegensätzliches Gebiet, den Süden, betreten zu haben. Freilich
bedarf die landläufige Vorstellung von der Verbreitung der Medi-
terranflora einer bedeutenden Einschränkung. Wie der Deutsche
nach Überschreitung der Alpen, wenn er die wenigen künstlich
und mühsam an den Ufern der lombardischen Seen eingebürgerten
Vertreter der Mediterranflora hinter sich hat, in der Poebene,
wenn er sich nicht durch die fremden Wirtschaftsformen beirren
läßt, fast nur mitteleuropäische Gewächse um sich sieht, so
verschwinden die charakteristischen Formen der Mittelmeerflora
sehr rasch, wenn man sich von den Ufern des Mittelmeers ent-
fernt und ins Innere der Mittelmeerhalbinseln eindringt und in
die Berge emporsteigt. Die südosteuropäische Halbinsel, Klein-
asien, Südfrankreich, ja selbst Italien ist nur von einem schmalen,
Die Pflanzenwelt des Mittelmeergebietes. ac
immergrünen Saume längs der Küsten umgeben, auch in Syrien
ist derselbe höchstens ioo km breit, noch schmaler in Barka und
Tripolitanien. Nur auf der iberischen Halbinsel gehört etwa die
Südhälfte bis zum kastilischen Scheidegebirge und in den Atlas-
ländern der Nordosten und der Nordwesten der Mediterrannora
an. Also nur ein Bruchteil der Fläche der Mittelmeerländer ist
in dieser Hinsicht völlig mediterran. Wie in bezug auf das Klima,
so ist nach dem Pflanzenkleide der bei weitem größte Teil der
südosteuropäischen Halbinsel mitteleuropäisch, dem auch Formen
des Ostens eingestreut sind. Ebenso ist es im westpontischen
Gebiete und am Nordrande der iberischen Halbinsel. Und selbst
im Süden kehren im Gebirge die Formen Mitteleuropas wieder.
In den Madonie Siziliens pflückt man im Sommer unter Buchen
Erdbeeren wie im Harze.
Es kann somit keinem Zweifel unterliegen, daß die Medi-
terranflora völlig an das Mittelmeer gebunden, von dieser großen
Warmwasserheizung abhängig ist. Sie reicht nur so weit land-
einwärts, als diese ihren milde Winter bedingenden Einfluß geltend
machen kann. Scheidet ein, wenn auch nur schmaler und nied-
riger Gebirgswall das Innere vom warmen Anhauche dieses Meeres,
wie etwa in Ligurien, Thessalien, Nordsyrien, so bilden sich grelle
Gegensätze aus, um so greller, wenn zugleich, wie in Ligurien,
die Streichrichtung des Gebirgs eine dem Süden zugekehrte, vor
rauhen Winden aus dem Innern und von Norden geschützte Ab-
dachung schafft. Tunesien und das östliche Algerien dagegen,
die sanft zum Mittelmeere geneigt und dem Einflüsse desselben
nur in geringem Maße durch Höhenzüge entzogen werden, tragen
in großer Ausdehnung ein mediterranes Pflanzenkleid, in welches
erst weiter nach Süden mit zunehmender Trockenheit Steppen-
und Wüstenpflanzen eingemischt sind. Das gleiche gilt von Nord-
marokko und dem Atlasvorlande von Marokko, andrerseits von
dem sich zum Ozean neigenden Südwesten der iberischen Halb-
insel, welche beide dem noch wirksameren Einflüsse des Ozeans
ausgesetzt sind. Das andalusische Faltengebirge bildet in dieser
Hinsicht keinen scheidenden Wall, da es der vorherrschenden
Windrichtung parallel streicht.
Für das Verständnis der Mediterranflora ist aber weiter von
Wichtigkeit, daß wir uns hier auf dem Schauplatze einer langen
Geschichte, auf einem alten Kulturherde, in einem Brennpunkte
4 6 I) 3- -Die geographischen Grundziige des Mittelmeergebietes.
des Welthandels befinden. Das hat Jahrtausende hindurch un-
unterbrochen, wenn auch in gewissen Perioden besonders auf-
fällig, beabsichtigt und unbeabsichtigt, nicht nur den ursprüng-
lichen Pflanzenbestand der einzelnen Mittelmeerländer zum Ge-
meingut aller gemacht, wenn auch noch heute ein gewisser Unter-
schied zwischen West und Ost zu erkennen ist, sondern denselben
auch fast aus allen Florengebieten der Erde bereichert, aus dem
feuchten Monsungebiete Südostasiens ebensogut, wie aus dem
trockenen Hochlande von Mexiko, dem Kaplande oder Australien.
Aus den verschiedensten Erdgegenden sind in verschiedenen
Zeiten Nutz- oder Ziergewächse und mit ihnen, wie mit den ver-
schiedensten Handelsgegenständen, zahlreiche „Unkräuter" in das
Mittelmeergebiet eingeführt worden und dort mehr oder weniger
verwildert. Die Agaven und Opuntien der Trockengebiete des
tropischen Amerika haben sich im Mittelmeergebiet so einge-
bürgert, sie passen auch so gut zu den wenigstens im Südwesten
einheimischen Aloe und Stapelien, daß schon mancher Künstler,
ohne zu ahnen, daß er Fremdlinge vor sich hat, durch sie die
Mittelmeerlandschaft ganz besonders zu kennzeichnen glaubte.
Ähnliches gilt von den zahlreichen Mesembryanthemumarten und
Geranien des Kaplands, von denen einzelne ganz verwildert sind,
den Eukalypten Australiens, ja selbst den Aurantiaceen Südost-
asiens, den japanischen Mispeln oder den Kamelien, die an den
oberitalischen Seen so stattlichen Wuchs erreichen, nicht zu
vergessen die Dattelpalme, die heute über alle Küstenländer
des Mittelmeers verbreitet, in Europa nur im trockensten Süd-
osten Spaniens, in der Oase von Elche, und selbst im medi-
terranen Nordafrika nur in Ägypten, Südtunesien und in der
Umgebung von Marrakesch ihre (aber auch dort minderwertigen)
Früchte reift.
Ob dieser Bereicherung nicht eine ebensogroße Verarmung
infolge der alten Kultur und der Waldverwüstung gegenübersteht,
dürfte schwer zu entscheiden sein. Immerhin muß man das medi-
terrane oder richtiger mediterran-orientalische Florenreich als ein
im Vergleich zu der zur Verfügung stehenden Fläche reiches be-
zeichnen. Beherbergt es doch gegen 8000 Arten von Gefäß-
pflanzen, von denen etwa 60 °/0 eigentümliche sind. Die iberische
Halbinsel für sich allein besitzt 5400 Arten, von denen 3800
ausdauernde und nicht weniger als 963 Holzgewächse, und von
Charakteristik der Mittelmeerflora.
47
diesen fast die Hälfte immergrüne sind. Italien besitzt 4000 Arten,
ja das kleine, aber zentral gelegene Sizilien 3000!
Die Mittelmeerflora muß sich vor allem den klimatischen
Verhältnissen anpassen. Sie muß so organisiert sein, daß sie die
lange sommerliche Trockenheit zu ertragen vermag und daß ihr
die Wärme, die auch im Winter hier noch herrscht, genügt. Niedrige
Wintertemperaturen, die die ihren Vertretern eigene lange Vege-
tationsperiode unmöglich machten, vollends wo dieselben mit
sommerlicher Trockenheit gepaart sind, schließen sie aus. Zur
Ertragung der sommerlichen Trockenheit sind die Mittelmeer-
gewächse in verschiedenster Weise organisiert. So spielen Holz-
gewächse mit immergrünem Laube eine so große Rolle, daß man
geradezu von einem das Mittelmeer umsäumenden immergrünen
Gürtel spricht. Auch ist die Zahl der einjährigen Arten sehr
groß, die im Laufe des Winters ihre Samen reifen und aus-
streuen, die dann erst nach Wiederbeginn der Regenzeit zu keimen
anfangen. Man kann geradezu von einer vorzugsweise aus ein-
jährigen Pflanzen gebildeten Winterflora sprechen, die durch be-
ständigen Wechsel ihrer Vertreter, Monat für Monat, immer eine
oder wenige Pflanzen in ungeheurer Individuenzahl, gekennzeichnet
wird. Das immergrüne Laubblatt, lederartig, steif, glänzend, ist
gegen zu starke Verdunstung geschützt, die Blattflächen sind auch
klein, das Lorbeerblatt gehört schon zu den größten, und von
da stufen sich dieselben ab, bis sie zu nadel- oder schuppen-
artigen Gebilden werden, wie bei den Eriken, Rosmarin, Tamarix,
ja bis zur völligen Unterdrückung der Blattbildung, an deren
Stelle Dornen treten oder die Stengel selbst die Blattfunktionen
übernehmen, wie bei den Spanien und Marokko ganz besonders
kennzeichnenden Rutenpflanzen (Spartium, Retama). Die Kurz-
lebigkeit der einjährigen Pflanzen teilen bis zu einem gewissen
Grade auch die zahlreich vertretenen Knollen- und Zwiebel-
gewächse (Orchideen, Asphodelus, Arum, Scilla usw.), deren ober-
irdische Organe mit ihren oft wundervollen Blüten sich jährlich
nur für wenige Wochen entwickeln. Ferner befähigt viele ihre
Sukkulenz (Agave, Opuntia, Mesembryanthemum, Sedum, Stapelia,
Aloe usw.) zur Ertragung der Sommerdürre. Oder sie scheiden
ätherische Öle aus und setzen dadurch die Verdunstung herab.
Die Erzeugung von Riechstoffen ist daher charakteristisch für
viele Mittelmeerpflanzen, was ja auch gewerblich ausgebeutet wird.
4.8 I> 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
Ach die mehr oder weniger schiefe Blattstellung vieler wirkt
schützend. Ebenso die wollig-filzige Behaarung.
Ein im wesentlichen auch durch das Klima bedingter Charakter-
zug des Pflanzenkleides der Mittelmeerländer ist die Weitständig-
keit, so daß immer nur ein Bruchteil des Bodens, je weiter nach
Süden, um so weniger wirklich von Pflanzen bedeckt ist, und bei
fast allen Holzgewächsen, namentlich den immergrünen, der ge-
ringe Höhenwuchs. Selbst einige der zahlreichen Nadelhölzer
kennzeichnet derselbe. Den 8 in Deutschland vorkommenden
stehen hier 18 gegenüber.
Das Pflanzenkleid der Mittelmeerländer läßt sich im wesent-
lichen zu den drei Formationen der Wälder, der Macchien und
der Matten ordnen.
Waldarm sind die Mittelmeerländer alle, die alte Kultur,
der Einzug von Hirtenvölkern haben den Wald, der gewiß ein-
mal den bei weitem größten Teil des Gebiets, Italien z. B. noch
in geschichtlicher Zeit, wie gut bezeugt ist, bedeckte, vernichtet,
nur ausnahmsweise ist nach Verfall der Kultur wieder Wald empor-
gewachsen, meist nur Macchia, Gestrüppdickicht, ja selbst diese,
immer wieder als Brennholz niedergehauen oder zur Gewinnung
von Weideland niedergebrannt, von weidenden Tieren, besonders
Ziegen benagt, ist immer mehr verkümmert. Immerhin ist die
Waldarmut der Mittelmeerländer nicht so groß, wie der gewöhn-
liche Reisende annimmt. In abgelegenen Gegenden, besonders
in feuchten Gebieten und in den Gebirgen finden sich noch
schöne Wälder, die aber neuerdings, am auffälligsten in Italien
und Kleinasien, der Wiedereinzug der Kultur, die Erschließung
des Landes durch Eisenbahnen rasch verzehrt. Auch das Feuer
ist bei der sommerlichen Trockenheit ein besonders gefährlicher
Feind der Wälder. Von Waldschutz und geregelter Forstwirt-
schaft ist, abgesehen von Versuchen der Franzosen in Algerien,
noch nirgends die Rede, so daß auch die Flächenzahlen für die
Waldbedeckung, zumal sich keine scharfe Grenze zwischen Wald
und Macchia ziehen läßt und allenthalben in den Waldrevieren
sich weite Lichtungen finden, sehr unsichere sind. Für Italien
werden i6°/0, für Sizilien 5.5%, für Griechenland 9.3%, für
Serbien 25%, für Spanien 7 °/0, für Portugal 5 °/0 angegeben.
Die Holzarmut ist in den Mittelmeerländern überall groß, so daß
schon deshalb fast durchaus der Steinbau vorherrscht. Der Be-
Die Macchien.
49
darf an Bau- und Werkholz wird von weit her, aus den Aipen,
ja von Skandinavien gedeckt. Gestrüpp und meist daraus her-
gestellte Holzkohlen dienen als Brennstoff, was wohl wesentlich
dazu beiträgt, daß Garküchen in den Städten überall eine ganz
andere Rolle spielen wie in Mitteleuropa. Ja, vielfach ist man
auf getrockneten Viehdünger und Stroh als Brennstoff angewiesen.
Im Innern Siziliens, in Alt- und Neukastilien, im größten Teile
der Atlasländer bekommt wohl die Mehrzahl der Bewohner ihr
Lebenlang nie einen hochstämmigen Baum zu sehen!
Man muß zwischen den Wäldern der immergrünen Region
und den Gebirgswäldern unterscheiden. In ersterer spielen Hart-
laubbäume die erste Rolle, namentlich Eichen, an denen, sowohl
immergrünen wie laubabwerfenden, das Mittelmeergebiet außer-
ordentlich reich ist. Alle haben geringen Höhenwuchs, mehrere
verkrüppeln. Dazu kommt der wilde Ölbaum, der Lorbeer, Hex
aquifolium, das zum Baume wird, der Arganbaum, der in Süd-
westmarokko fast allein lichte Haine bildet, und einige aber mehr
auf feuchten Boden beschränkte, wie Pistacia atlantica im Westen,
Pistacia terebinthus im Osten, die orientalische Platane, die nur
kurze Zeit unbelaubt ist, und einige sommergrüne. Vor allem
aber Nadelbäume, wie die Aleppokiefer, die Pinie, die vorzugs-
weise neugebildetes sandiges Schwemmland besiedelt, die Zypresse,
Pinus Pinaster und Pinus Maritima, Callitris quadrivalvis (im
Atlasgebiet) und einige Wachholder.
In den Gebirgswäldern sind neben der Buche, die in Sizilien
bis zum 38. Par. nach Süden reicht, der Edelkastanie, sommer-
grünen Eichen, dem Walnußbaum u. a. ebenfalls Nadelbäume
häufig: die Zeder im Libanon, Taurus und Atlas, Edeltannen,
Lariciokiefern, Pinus silvestris, Wachholder. Diese Gebirgswälder
mit dem gedrängteren Wuchs ihrer auch größere Höhe erreichen-
den Stämme ähneln noch am meisten unseren mitteleuropäischen
Wäldern.
Die Charakterformation des Mittelmeergebiets sind aber die
Macchien, überwiegend immergrüne Gestrüppe oft buntester Zu-
sammensetzung, aber nach der Dürftigkeit der Belaubung, die
höchstens die Größe des Lorbeerblatts erreicht, so recht der Aus-
druck der herrschenden Trockenheit. Je nach Boden und Feuchtig-
keit sind die Macchien bald 3 — 4 m hoch, dicht gedrängt, durch
Schlingpflanzen (Smilax, Tamus, Clematis, in den Atlasländern
Fischer, Mitti'lmeerbilder. Neue Folge. 4
cq I, 3. Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
auch Ephedra altissima, Asparagus acutifolius, Rubusarten, Rosa
sempervirens) geradezu undurchdringlich, bald erreichen sie
höchstens 1 m und lösen sie sich in einzelne dürftige Büsche
auf. Nach der Dürftigkeit der Belaubung ähneln diese Sträucher
einander vielfach, erst zur Blütezeit, im Frühling tritt ihre häufig
außerordentlich bunte Zusammensetzung auffällig hervor, noch
mehr aber der intensiv-aromatische Geruch, der diese Sträucher
kennzeichnet und an dem Napoleon I. noch auf St. Helena seine
Heimatinsel erkennen zu können erklärte. In der Tat habe ich
im ganzen Bereich der Mittelmeerländer nirgends so üppige und
so aromatische Macchien getroffen wie auf Korsika. Örtlich herrscht
wohl eine einzige Form vor, wie am Bosporus, aber auch in
Spanien und Marokko hier und da, Erica arborea oder Cistus-
rosen, diese besonders zu beiden Seiten der Straße von Gibraltar.
Wie groß die Zahl dieser Sträucher ist, geht daraus hervor, daß
etwa 20 Arten nach der Blattbildung der Oleanderform, etwa
30 der Myrtenform angehören. Bei etwa 44 Arten fehlen
die Blätter entweder ganz oder sind nur kurze Zeit vorhanden,
so daß die Funktionen des Laubes auf die grünen, zylindrischen
Zweige übergehen. Etwa 20 davon haben Dornen. Mit zu-
nehmender Trockenheit nimmt auch die Bedornung zu. Einer
der dornigsten dieser Sträucher, der für die trockensten Gebiete
des mediterranen Nordafrikas charakteristisch ist und für sich
allein dort Dickichte bildet, ist Zizyphus lotus.
Daß die Macchien schon ursprünglich im Mittelmeergebiet
vorhanden gewesen sind und beispielsweise schon in griechischer
Zeit in Sizilien in der gleichen Zusammensetzung wie heute vor-
kamen, unterliegt ebensowenig einem Zweifel, wie daß sie bei
dem Rückgange der Kultur an Stelle der verwüsteten Wälder ge-
treten sind. Am reichsten an Macchien ist wohl Spanien. Dort
sind Flächen von vielen Tausenden von Quadratkilometern so
gut wie menschenleere Gestrüppdickichte, besonders in Estre-
madura und im Bereich der Sierra Morena. Die Macchien
werden in Südfrankreich, Algerien, Dalmatien wohl zur Gewinnung
von Wohlgerüchen, wo sie aus Cistusrosen bestehen, wohl auch
zur Gewinnung von Ladanbalsam, allgemein zur Erzeugung von
Holzkohlen oder unmittelbar als Feuerholz verwertet. Sie sind
noch heute auf Korsika und waren es ehemals, besonders in
Mittelitalien, Schlupfwinkel für Banditen und Wild.
Die Matten. Vegetation der Wasserläufe. z I
Indem die Macchien immer dürftiger werden, die Büsche
immer niedriger und vereinzelter, gehen sie in die Matten über,
die an Stelle der Wiesen Mitteleuropas treten. Man unterscheidet
wohl auch noch eine Zwischenformation, die in Spanien die
Tomillares (Thymian) umfaßt, in Südfrankreich die Garrigues, in
Griechenland die Phrygana genannt sind. Das Pflanzenkleid der
Matten ist besonders dürftig, der Nährwert, obwohl sie neben
den Macchien die Hauptweidegründe bilden, ein sehr geringer.
Leguminosen, Labiaten, Kräuter, Zwiebelgewächse, einjährige Gräser
(Bromus, Avena, Briza u. a. m.), meist alles buntgemischt, kenn-
zeichnen sie. Im Frühling ähneln sie bei etwas besserem Boden
und bei Vorherrschen etwa von Aegylops ovata einem mageren
Getreidefelde. Im Sommer tritt an ihre Stelle sonnenverbrannter
Steppenboden. Auch verschiedene Asphodelusarten, oft in un-
geheurer Individuenzahl, anderwärts Disteln und besonders Arti-
schockendisteln kennzeichnen zuweilen diese Matten, die wohl
auch im Südwesten, in Nordmarokko und Südwestspanien in un-
geheure Bestände der einzigen im Mittelmeergebiet heimischen
Palme, der Zwergpalme übergehen. Wirkliche Grassteppen bilden
mit dichtverfilzten Wurzelballen ausdauernde trockenhalmige Gra-
mineen, besonders Macrochlea tenacissima in Südostspanien, auf
dem Atlashochlande von Algerien, in Tunesien und Tripolitanien.
Ganz wertlos wird der Boden, wo er von dem unausrottbaren
Adlerfarn überwuchert ist.
Eine eiger Tegetation begleitet die Wasserläufe, bald nur
in der Gestalt -er Büsche, wie der weitverbreitete blüten-
prächtige Oleai d der duftige Keuschbaum (Vitex agnus
castus), zu denen sich wohl das sog. spanische Rohr (Arundo
donax), auch Arundo phragmites gesellt, bald in Gestalt eines
breiteren Saumes vorwiegend baumartiger Holzgewächse, die ein
wenig an die Galeriewälder des tropischen Afrika erinnern. Da
handelt es sich namentlich um Tamarisken, oft stattliche Bäume,
Rizinus, Elaeagnus und Euphratpappeln.
Wenn wir die Pflanzenwelt des Mittelmeergebiets auch nach
Höhenregionen ordnen, so bietet noch mehr wie zur Bestimmung
der Polargrenze der wichtigste Fruchtbaum des Mittelmeergebiets,
der Ölbaum einen wertvollen Anhalt. In beiden Richtungen
fällt seine Verbreitung im wesentlichen mit derjenigen der Medi-
terranflora zusammen, er kennzeichnet die immergrüne
4*
C2 I, 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
Region. In Languedoc und Istrien nur etwa bis 200 m empor-
steigend, erreicht er schon in Ligurien 700 m, in Sizilien 900 m
und im hohen Atlas von Marokko 1 300 m, ja örtlich 1 500 m.
Besonders die Vulkankegel Italiens lassen sehr schön die
Höhenregionen erkennen. Am Mte. Amiata Toskanas steigen
Ölbaum und Rebe bis 600 m empor, dann folgt bis 950 m die
Kastanie und bis zum Gipfel (1734 m) die Buche. Am Vultur
Apuliens steigt der Ölbaum bis 700 m, der Kastaniengürtel reicht
bis 1000 m und von 1000 — 1330 m (Gipfel) die Buche. Am
Etna steigen die Aurantiaceen bis 560 m, der Ölbaum bis 920 m,
die Rebe bis 1030 m, der Kastaniengürtel reicht von 900 — 1500 m,
der Buchengürtel von 1000 — 2000 m. Bei 2080 m trifft man
die letzten Birken, darüber liegt die überall im Mittelmeergebiet
wenig entwickelte alpine Region.
Sehr auffällig ist, daß die Baumgrenze im Mittelmeergebiet
bei 2000 m eher in geringerer Höhe liegt als in den Alpen und
nach Süden hin kaum ansteigt. Auch das ist aus klimatischen
Gründen, vor allem aber daraus zu erklären, daß die Nadel-
bäume, die in den Alpen am höchsten emporsteigen, die Rot-
tanne, die Arve, die Lärche im Mittelmeergebiet ganz fehlen.
Auch Alpenweiden sind wenig entwickelt und Sennwirtschaft
fehlt fast ganz, obwohl wandernde Herden im Sommer, wo unten
alles verbrannt ist, die Gebirge aufsuchen, ja z. T. von der
Malaria vertrieben in Kleinasien und Griechenland die Bevölke-
rung zahlreicher Ortschaften zu Sommerdörfern emporsteigt.
Dauernde Siedelungen, die man in den Alpen (Engadin) noch
bis 2000 m findet, erreichen daher auch im Mittelmeergebiet
geringe Höhen. Selbst auf Massenanschwellungen, wie im öst-
lichen Spanien, liegen die höchsten Ortschaften nur in 1600 m
Höhe, in den Abruzzen und dem Peloponnes in 1 300 m.
Eine ganz andere Rolle wie in Mitteleuropa spielen im
Mittelmeergebiet auch die Kulturgewächse, wenigstens die eine
der beiden Formationen, in welche man dieselben gliedern kann:
die Fruchthaine. Die Saatfelder, offene, baumlose Flächen
ähneln den unsrigen im allgemeinen und dehnen sich vielfach,
wie in Sizilien, Kastilien, den Küstenlandschaften Marokkos und
anderwärts, unabsehbar einförmig aus. Je weiter nach Süden um
so früher, an der Südgrenze schon im April und Mai, tritt die
Ernte ein, um so länger ähnelt das im Winter üppig grüne Land
Saatfelder und Fruchthaine. c -i
sonnenverbrannter Steppe. Aber die Zahl der angebauten Ge-
wächse ist wesentlich größer. Sind doch im Mittelmeergebiet
nicht weniger als 15 Getreidegräser bzw. Hülsenfrüchte ursprüng-
lich heimisch. Dasselbe ist unter allen Pflanzenreichen der Erde,
ganz abgesehen von den eingeführten (Reis, Mais) daran am
reichsten. Dazu kommen noch 25 Genußmittelpflanzen (Kümmel,
Koriander, Senf, Zwiebel usw.), Gewerbepflanzen (Lein, Saffran,
Krapp usw.), Heilpflanzen u. dgl. m. Die Mannigfaltigkeit der
in den Fruchthainen vereinigten Fruchtbäume ist eine sehr große,
eine so große, daß wir uns in Mitteleuropa davon, wie von der
wirtschaftlichen und landschaftlichen Bedeutung der Fruchthaine
kaum eine Vorstellung machen können. Denn wenn die im Jahre 1 901
durchgeführte Zählung der Obstbäume im Deutschen Reiche deren
im ganzen 164 Millionen ergab, so zählt man in Spanien allein
300 Millionen Ölbäume, in Italien, das ja wenig über halb so
groß, und soweit das dem Ölbaum zugängliche Gebiet anlangt,
noch nicht x/5 des Deutschen Reichs ausmacht, 100 Millionen.
Dazu kommt mit mindestens der gleichen Zahl der Maulbeer-
baum, der allerdings weniger als Fruchtbaum, wenigstens der weiße,
als als Ernährer der Seidenraupe in Betracht kommt. Dazu,
landschaftlich überall überaus bedeutsam, wirtschaftlich nur in
der Oase von Elche in Murcia und in Nordafrika, die Dattel-
palme, die verschiedenen Aurantiaceen (Apfelsinen, Limonen,
Mandarinen, Pampelmusen, Pomeranzen usw.), die japanische
Mispel, der Feigenbaum, der Mandelbaum, Aprikosen, Pfirsiche,
Pistazien, Granaten, Johannisbrotbaum, auch die Opuntie ist zu
nennen, deren Früchte im südlichen Mittelmeergebiet so massen-
haft und so billig zu haben sind, daß dann monatelang weniger
Brotstoffe verbraucht werden. Dazu kommen dann alle unsere
mitteleuropäischen Obstarten, nur daß dieselben weiter nach Süden
in höherer Lage besser gedeihen. Im marokkanischen Atlas ist
der Walnußbaum außerordentlich häufig, fast wie die Edel-
kastanie am Südhange der Alpen und sonst allenthalben in den
Mittelmeerländern. Auch der Haselnußstrauch ist als Kultur-
pflanze hier weit verbreitet. Auch der Weinbau spielt, wie be-
kannt, in denselben eine große Rolle, in Italien, Spanien, Griechen-
land, wo die Korinthe wichtiger ist als die Wein gebende Rebe,
von alters her, in Algerien erst neuerdings.
Die Flächen, welche mit Fruchthainen bedeckt sind, zu
s.a I, 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
schätzen ist schwer, sowohl weil derartige statistische Angaben in
diesen Ländern immer sehr unsicher sind, sodann aber weil ge-
mischter Anbau dem Klima entsprechend häufig ist: Fruchtbäume
über Felder verstreut, ja nicht selten drei Früchte zu gleicher
Zeit auf derselben Fläche, etwa Ölbaum, Reben, Gerste. Erstere
geben gerade erwünschten Schatten, letztere wird abgeerntet,
meist als Grünfutter, wenn die Rebe eben zu grünen beginnt.
In Algerien sieht man jetzt vielfach zum Schutz der jungen Triebe
des Weinstocks gegen den Seewind schmale Streifen Roggen
zwischen die Reben gesäet. Der Wert der Fruchthaine wird
noch dadurch erhöht, daß die Früchte, abgesehen von Wein-
und Ölbereitung, dank ihrem hohen Zuckergehalt und der trockenen
Wärme des Herbstes, nicht frisch versendet zu werden brauchen,
wie Apfelsinen, sondern sich leicht trocknen lassen und dann
lange haltbar sind. So Feigen, Aprikosen, Trauben, Johannisbrot,
Mandeln usw. In der Welt des Islam zieht man vorzugsweise
Trauben, soweit sie nicht frisch gegessen werden, um sie trocken
aufzubewahren oder einen Sirup daraus zu gewinnen. Die Küsten
der Mittelmeerländer sind in großer Ausdehnung von Frucht-
hainen begleitet. So kann man in Italien das ganze ligurische
Küstengebiet einen einzigen großen Fruchthain nennen. Ebenso
ist die Küste von Apulien in einem breiten Gürtel von solchen
bedeckt und die Küsten von Sizilien ringsum außer an der afrika-
nischen Seite. Ähnlich in Syrien bis hoch hinauf an den Hängen
des Libanon. Niederandalusien ist zu beiden Seiten des Guadal-
quivir von einem ungeheuren Olivenhaine bedeckt usw. Daß die
Fruchtbäume die allgemeine Waldarmut der Mittelmeerländer
etwas ausgleichen, wenigstens landschaftlich, ist klar. Sie erhöhen
die Reize der Mittelmeerlandschaft in hohem Grade und bewirken,
daß gelegentlich, selbst wo Saatfelder vorzugsweise weite Ebenen
bedecken, diese nicht die Einförmigkeit unserer Getreidefelder be-
sitzen. Wie baumreich ist z. B. die ganze Poebene! Im allgemeinen
nimmt in den Mittelmeerländern der Reichtum an Fruchtbäumen zu,
je mehr man in die Täler, die Becken, an die Küsten hinab-
steigt, doch wenn die Bodenfeuchtigkeit in den Alluvialebenen
zu groß wird, verschwinden die Fruchtbäume. Doch gibt es auch
Gegenden, wo Baumzucht noch möglich ist, wenn die Bäume nur
erst bei sorgsamer Pflege der Setzlinge eine feuchte Bodenschicht
erreicht haben, wo selbst Getreidebau nicht mehr möglich ist.
Bedeutung der Baumzucht. e c
Welche Bedeutung die Baumzucht und ihre Erzeugnisse im
Wirtschaftsleben der Mittelmeervölker hat, möge nur der kurze
Hinweis beleuchten, daß, obwohl überall bei weitem das Meiste
im Lande selbst verbraucht wird, in Griechenland 4/5, in Spanien
2/3 der Ausfuhr auf Erzeugnisse der Baumzucht kommt und daß
Italien allein an Rohseide jährlich für mehr als 500 Millionen
Frcs. ausführt! Dabei ist in Griechenland nur 20, in Italien 46,
in Spanien 40 °/0 des Bodens angebaut !
Aber noch höher muß die kulturelle Bedeutung der Baum-
zucht eingeschätzt werden. Sie ermöglicht in den Mittelmeer-
ländern die größte Verdichtung der Bevölkerung, sie macht den
Menschen wahrhaft seßhaft und führt ihn höherer Gesittung zu,
sie läßt dem Boden die höchsten Erträge abgewinnen, freilich
nur bei sorgsamer Pflege. Sie bezeichnet, zumal sie meist auch
unter künstlicher Berieselung betrieben wird, die höchste Stufe
des Ackerbaus, der da mehr Gartenbau, Hackbau ist. Gebiete
der Baumzucht sind wahre Gartenlandschaften. In Sizilien
wohnen in dem Gürtel der höchst entwickelten Baumzucht 350
Menschen auf 1 qkm, ja an der Nordküste 1000. Und in
Mitteltunesien, heute durchaus Weideland, wo der ha nur
etwa 10 Frcs. wert ist, steigt der Wert desselben Bodens, wenn
er mit Ölbäumen bepflanzt ist, auf 700 — 800 Frcs., und wo
heute nur 1 — 3 Menschen auf 1 qkm gerechnet werden können,
müssen nach der Zahl und Dichte der Trümmerstätten von
Städten, Dörfern und Meierhöfen in der glänzenden Zeit der
letzten Jahrhunderte des römischen Kaiserreichs mindestens 100
Menschen auf 1 qkm gewohnt haben. In den Atlasländern
blühte in dieser Zeit die Baumzucht derartig, daß die Araber,
freilich Wüsten- und Steppenbewohner, daher in dieser Hinsicht
zu Übertreibungen geneigt, bei ihrem Einbruch staunend meldeten,
man könne von Tripolis bis Tanger im Schatten der (Frucht-)
Bäume wandeln.
Bezüglich der Tierwelt des Mittelmeergebiets, das in dieser
Hinsicht und in seiner ganzen Ausdehnung, so daß das Mittel-
meer nicht etwa eine Scheidewand bildet, eine Subregion der
palaearktischen Region ist, möge nur kurz bemerkt werden, daß
dasselbe überhaupt ein tierarmes Gebiet ist und daß eine
dreitausendjährige Geschichte die Tierwelt außerordentlich be-
einflußt hat. Der Löwe, der einst durch Vorderasien bis Griechen-
2 6 I> 3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
iand und über die Atlasländer verbreitet war, ist ausgestorben. Und
so viele andere Tiere. Auch Viehzucht spielt meist eine unter-
geordnete Rolle, selbst die Schafzucht ist allenthalben gegen
früher zurückgegangen, obwohl doch die vorherrschende Trocken-
heit noch am besten dem Schafe zusagt. Klimatisch bedingt ist
wandernde Vieh-, besonders Schafzucht in einem großen Teile
der Mittelmeerländer. Im Winter weiden die Herden in der
warmen Küstenregion, im Sommer steigen sie in die Berge hinauf.
Diese wandernde Schafzucht hat namentlich früher, durch staat-
liche Vorrechte geschützt, in Spanien und Italien große wirt-
schaftliche Bedeutung gehabt. In Griechenland und Kleinasien
wandern vielfach mit den Herden auch die Menschen in die
Sommerdörfer hinauf und in Algerien sind diese klimatisch be-
dingten Wanderungen von großer politischer Bedeutung, denn
die Stämme der nördlichen Sahara sind im Sommer gezwungen,
zur Erhaltung ihrer Herden auf das Atlashochland, ja in die
Wälder an der Grenze des Teil emporzusteigen, und geraten
daher in Abhängigkeit von den Franzosen.
Die Fauna des Mittelmeeres ist im wesentlichen eine ver-
armte Fauna des Atlantischen Ozeans. Es ist nachgewiesen, daß
sich mit der Entfernung vom Ozean nicht nur die Artenzahl
mindert, sondern auch die Individuen derselben Art nach Osten
hin kleiner werden. Auch ist das Tierleben des Mittelmeeres
im Vergleich zu gewissen Gegenden der Ozeane nicht als reich
anzusehen. Fischereigründe von so ungeheuerer Ergiebigkeit,
wie wir sie vielfach in den Ozeanen finden, fehlen hier und bei
dem großen Bedarf an Fischnahrung der der katholischen oder
griechischen Kirche angehörigen Mittelmeerbewohner wegen der
vielen Festtage, auch weil aus klimatischen Gründen Fleischnah-
rung nicht so erforderlich, aber auch schwerer zu haben ist,
findet überall eine bedeutend größere Einfuhr von getrockneten
Fischen vom Ozeane her statt, wie Ausfuhr etwa von Tunfischen
(in Ol), von Sardinen und Sardellen. Die Tunfischereien, die
große Anlagen erfordern, beschränken sich fast ganz auf das
Mittelmeer und kennzeichnen dasselbe. Es finden sich noch
heute Tunfischereien an Punkten, wo sie schon vor 2000 Jahren
erwähnt werden. Sardellen und Sardinen werden überall im
Mittelmeere im Sommer im großen gefangen. Ihr Fang liegt
heute durchaus in den Händen der Italiener, die mit den
Völkerleben des Mittelmeergebietes. cn
Griechen, als Ausdruck des maritimen Charakters beider Länder,
fast allein die Fischereien im Mittelmeere in der Hand haben.
Im Sommer schwärmt die Fischerbevölkerung Liguriens und
des Golfs von Neapel, wie vieler griechischer Inseln weithin
aus, um Fische, namentlich aber auch Edelkorallen und Bade-
schwämme, diese charakteristischen tierischen Erzeugnisse des
Mittelmeeres, zu fischen. Griechen findet man an den Küsten
von Syrien, von Marmarika und Barka, wie von Tunesien,
Italiener an der ganzen Küste von Tunesien und Algerien, wo
sie teils in Sommerlagern an den Küsten fischen, teils ganze
neue Fischerdörfer gegründet haben. Die allerverschiedenartigsten
Erzeugnisse des Meeres, auch solche, die man im Norden nicht
zu essen pflegt, dienen dem Mittelmeeranwohner als frutti di
mare zur Ernährung, und es ist bekannt, welche große Be-
deutung die phönikische Purpurfärberei mit Hilfe der geringen
Mengen Farbstoffe, welche gewisse Schnecken des Mittelmeers
boten, im Altertume erlangt hatte.
Bezüglich des Völkerlebens des Mittelmeergebiets begnüge
ich mich ebenfalls mit einigen kurzen Bemerkungen, da eine
besondere Abhandlung näher auf diese Frage eingehen wird.
Die Vielgeteiltheit, die Vielseitigkeit der Beziehungen, die Wir-
kungen einer langen Geschichte treten auch da hervor. Die
wenigstens sprachliche Vereinfachung, welche die römische Herr-
schaft herbeigeführt hatte, so daß neben dem Lateinischen nur
noch das Griechische, besonders seit Alexander d. Gr. und im
Osten eine Rolle spielte, ist längst wieder verwischt. Das Vor-
dringen der Bekenner des Islams an die Ufer des Mittelmeeres
zog eine scharfe, bis heute nicht verwischte Schranke zwischen
den Mittelmeervölkern. Noch heute meint man von einem
christlichen Mittelmeergestade in ein muhamedanisches gelangend
eine andere Welt zu betreten und im Orient scheidet die Religion,
ob christlich oder muhamedanisch, ja selbst christliche Bekennt-
nisse Angehörige desselben Volkstums, derselben Sprache usw.
scharf voneinander. Neben Mittelmeervölkern, welche zu den
ältesten Europas gehören, wie Albanesen und Basken, gibt es
ganz junge Zuwanderer wie Türken, Turkmenen und Araber.
Neben solchen, die sich wenig mit anderen vermischt haben,
wie die Albanesen und beträchtliche Teile der Berbern der
Atlasländer, gibt es hochgradig gemischte, wie die heutigen
c8 1-3- Die geographischen Grundzüge des Mittelmeergebietes.
Türken, Italiener, Spanier, Griechen usw. Auch die Kultur-
zustände sind außerordentlich verschiedene. Mitten in den
Trümmern, die von der hohen Gesittung der Landesbewohner
früherer Zeit zeugen, hausen heute auf niederer Kulturstufe
stehende andersrassige Menschen, unter Umständen aber auch
die verkommenen Nachkommen jener. Auch in dieser Hinsicht
bildet das Mittelmeer eine Welt für sich.
IL
Küstenstudien aus den Mittelmeerländern.
i. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten.1)
Wie uns ein volles wissenschaftliches Verständnis der Ober-
flächenformen des Festen nur dadurch erschlossen wird, daß wir
dieselben nicht mehr als etwas schlechthin Gegebenes lediglich
beschreiben, sondern als etwas Gewordenes und in steter Weiter-
entwicklung Begriffenes unter steter Bezugnahme auf die geo-
logischen, tektonischen , petrographischen , klimatischen Verhält-
nisse etc. ursächlich erklären, so muß auch das gleiche Verfahren
auf die Betrachtung der Umrisse des Festen, auf die Gestaltung
der Küsten angewendet werden. Denn nur so treten uns die
Beziehungen der Länder zum Meere, die Bedeutung der Küsten
für Verkehr und Kulturentwicklung, für eigentümliche Erschei-
nungen im Völkerleben, für die Verteilung und die wechselnden
Geschicke der menschlichen Wohnplätze klar entgegen, nur so
können wir die Frage, ob ein Küstengebiet und sein Hinterland
die Bedeutung, welche es heute hat — von der Einwirkung
menschlicher und geschichtlicher Verhältnisse abgesehen — ,
stets gehabt hat oder stets haben wird. Derartige Untersuchungen
sind im letzten Jahrzehnt häufiger angestellt und unsere Erkenntnis
geographischer Gesetze dadurch außerordentlich gefördert worden.
Doch ist die Frage noch nicht bis zur Aufstellung eines wohl-
begründeten natürlichen Systems der Küsten gediehen, wie wir
ein solches, im wesentlichen allgemein angenommenes von den
Inseln besitzen. Möchten die hier niedergelegten Untersuchungen
über die Entstehung, Weiterentwicklung und Veränderungen von
Küsten, auf welche seit Jahrtausenden das Licht geschichtlicher
Überlieferung fällt, mit zur Erreichung jenes Zieles beitragen!
i) Erschienen in Petermanns Geogr. Mitteilungen. 1885, Heft XI.
6o II) !• Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
Das Mittelmeer kennzeichnet eine Bruchzone der festen
Erdrinde, eine Stelle geringerer Widerstandsfähigkeit derselben;
der Anlage nach reicht es in eine sehr frühe geologische Periode
zurück, die wesentlichen Züge seiner Umrisse sind jedoch sehr
jugendlichen Alters; Meeresteile, welche hier wirklich erst ein
Mittelmeer geschaffen haben, wie der Archipel, die Straßen von
Pantelleria und Gibraltar, sind diluvialer oder noch späterer
Entstehung. Ed. Suess, M. Neumayr und andere haben nach-
gewiesen, daß hier die feste Erdkruste von zahlreichen Bruch-
linien durchsetzt wird, zu welchen die das Mittelmeer in seiner
ganzen Erstreckung kennzeichnende vulkanische und Erdbeben-
Tätigkeit in engen Beziehungen steht. Das Mittelmeergebiet
läßt uns wie wenige erkennen, daß unser Planet noch voll Leben
und Bewegung, daß er noch weit von der Erstarrung des Todes
entfernt ist. Diese Bruchlinien haben die Umrisse der Mittel-
meerländer bestimmt, ja die Küsten des Mittelmeeres sind, so
große Veränderungen sich an ihnen selbst in der kurzen Spanne
unserer geschichtlichen Kenntnis anderwärts nachweisen lassen,
zum Teil noch als völlig frische Bruchlinien zu bezeichnen.
Dies gilt namentlich von den Küsten Griechenlands, an dessen
Felsgerüst sich nur an wenigen, besonders begünstigten Stellen
Neubildungen von Land anzulegen und zu erhalten vermocht
haben. Die Steilheit der Abbruche und noch mehr die sich so
oft wiederholenden Bewegungen des Festen haben dies verhindert.
Da über diese Verhältnisse von andrer Seite in allernächster Zeit
Untersuchungen erscheinen werden, so soll hier nur auf die
Vorgänge an der peloponnesischen Seite des Golfs von Körinth
hingewiesen werden. Diese bezeichnet eine besonders scharfe,
steil in die Tiefe reichende Bruchlinie. Die so zahlreichen
kleinen Flüsse und Bäche, welche an Wasser und Sinkstoffen
verhältnismäßig arm vom Hochlande herabstürzen, der Vostitza,
Buphusia, Kalavryta, Akrata u. a., sind fast sämtlich bemüht,
ihren Verhältnissen entsprechende Deltas zu bauen, ohne aber
dadurch wesentliche und dauernde Veränderungen der Küsten-
linie herbeizuführen. Die der steilen Böschung angelagerten,
häufig miteinander verwachsenden kleinen Schuttkegel erliegen
früh oder spät meist den hier so häufigen und heftigen Erdbeben
— es ist bezeichnend, daß auch in den Städten der achäischen
Küste der Erderschütterer Poseidon besondere Verehrung genoß — ,
Die Küsten Griechenlands. 5 j
sie werden von Spalten zerrissen, lösen sich vom Felsgeriiste ab
und gleiten in die Tiefe. Der Vorgang vom 26. Dezember 1861,
das Erdbeben von Ägion, das Julius Schmidt so eingehend
untersucht hat1), bei welchem sich der dortige Schuttkegel durch
einen 13 km langen und bis 2 m breiten Spalt vom Grund-
gebirge ablöste und von Spalten durchsetzt um 1 — 2 m, in einem
äußern Streifen selbst unter den Meeresspiegel senkte, wird sich
öfters und gelegentlich in größerm Maßstabe wiederholen, wie es
schon aus frühern Zeiten bezeugt ist. Der Untergang des nahe
gelegenen Helike im Jahre 373 v. Chr., die teilweise Zerstörung
von Skarpheia am Südufer des Malischen Busens und gewiß
mancher andrer Ortschaft in dunklern Zeiten, ist auf das ganze
oder teilweise Versinken solcher Schuttkegel zurückzuführen.
Ähnliche mehr oder weniger scharfe und frische Bruchlinien
bestimmen den Verlauf und Charakter der Küsten des Nordwest-
beckens des Mittelmeeres und bedingen im wesentlichen die mor-
phologische Einförmigkeit, welche auf der 3000 km (genau 2950)
langen Küstenstrecke von der Meerenge von Gibraltar längs der
Küste Kleinafrikas, Siziliens und Unteritaliens so auffällig hervor-
tritt. Von der Meerenge bis zum Golf von Neapel wiederholt
sich nicht weniger als 23 mal die Form der nahezu halbkreis-
förmigen, von zwei hohen, steilen, weit vorspringenden Vorgebirgen
begrenzten Bucht von kleinem Durchmesser, der im Mittel 30
bis 35 km beträgt. Es sind die Buchten von Neapel, Salerno,
Policastro, Santa Eufemia, Gioja, Milazzo, Patti, Termini, Palermo,
Castellamare, Tunis, Biserta, Bona, Stora, Collo, Bougie, Algier,
Tipaza, Arzeu, Oran, Mlila, Alhucemas und Tanger. Sehr lehr-
reich ist, daß an der andalusischen Längsbruchküste solche
Brandungsbuchten fehlen! Je größer der Maßstab der benutzten
Karten ist, um so größer wird die Zahl dieser sich ins Endlose
wiederholenden halbkreisförmigen Buchten, selbst die größern
Golfe bestehen ihrerseits wiederum aus kleinern von Halbkreis-
form. Es handelt sich hier überall um Steilküste, nur auf kurze
Strecken am Golf von Tunis, von Santa Eufemia und Salerno
tritt Flachküste auf. Und diese Steilküste sinkt überall jäh zu
großen Tiefen hinab, die Tiefenlinie von 200 m liegt im Mittel
7Y2 km von der Küste, die von 1000 m 10 km, aber 14 km
1 Studien über Erdbeben, 2. Ausgabe, S. 68 ff.
6 2 n, i. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
vor der Hafeneinfahrt von Algier finden sich Tiefen von 2300 m,
d. h. Tiefen, die den größten des zentralen Nordwestbeckens nahe-
kommen. Nur im Tyrrhenischen Meere kommen Tiefen vor,
welche 3000 m wesentlich übersteigen.
Man vergleiche die Küste von Mekran, die, auch Längsküste,
unter teilweiser Zertrümmerung von äußern Ketten und Bildung
von halbkreisförmigen Buchten, wie die von Gwadar, ähnliche
Verhältnisse aufweist.
Die morphologischen (und die Wind-) Verhältnisse dieser
ganzen langen Küstenstrecke haben unabänderlich die Punkte
bestimmt, an welchen allein sich Seestädte entwickeln konnten,
nämlich immer am westlichen Eingange des Golfes im Schutze
des westlichen Vorgebirges. Derartig ist die Lage von Tanger,
Mlila, Mers el Kebir, Arzeu, Algier, Dellys, Bougie, Dschidschelli,
Collo, Stora, Bona, Biserta, Porto Farina, ja auch Utika und
Karthago, Palermo, Milazzo, dem ehemals wichtigen Santa
Eufemia, Policastro, Salerno, Neapel. Nur Oran macht eine
scheinbare Ausnahme, sein Emporblühen beruht auf der natür-
lichen Festigkeit seiner Lage, der Fruchtbarkeit der Umgebung
und der leichten Verbindung mit dem Innern, es zog aber von
jeher und zieht noch heute Vorteil von dem nahen Mers el Kebir,
dem Portus divinus der Römer, wo die steil aufsteigenden Fel-
sen keinen Raum für eine größere Ansiedelung lassen. Die
Nachbarstädte von Palermo, Termini und Castellamare haben
trotz ihrer in mancher Hinsicht günstigem, durch andere Ver-
hältnisse bestimmten Lage im Hintergrunde der Golfe, als See-
städte nie eine Rolle gespielt. Namentlich in Algerien sind die
Lagenverhältnisse der dort genannten Seestädte, auch in bezug
auf das Hinterland so übereinstimmende, daß dieselben sämtlich
abwechselnd nach Maßgabe der politischen Verhältnisse eine
Zeitlang eine große Rolle gespielt haben. Am schärfsten prägt
sich wohl diese gleichmäßige natürliche Ausstattung darin aus,
daß selbst unter einer so zentralisierten Verwaltung, wie die
französische ist, Oran und Bona lange Zeit durchaus mit Algier
zu wetteifern vermochten.
Noch einmal kehren genau dieselben Küstenformen (und
Windverhältnisse), wie hier an der Küste der Atlasländer, an der
Südküste des Kaplands wieder, und auch dort haben sich, so-
weit die sonstigen Verhältnisse eine dichtere Besiedelung ge-
Küstenstädte der Atlasländer, Italiens und des Kaplandes. 6 X
statteten, die bedeutendsten Seeplätze, wie Port Elisabeth, Aliwal
und Simonstown, genau an derselben Stelle der Golfe entwickelt.
Besiedelung und Verkehr unterliegen also an diesem Küstentypus
ebenso strengen geographischen Gesetzen wie an der Föhrden-
küste der Ostsee1) oder an der aufgeschlossenen Flach-
küste der Vereinigten Staaten, wo sämtliche Häfen, Savannah,
Charleston, Wilmington, Richmond, Washington, Baltimore, Phila-
delphia und New York Fluß- (bzw. Flußmündungs-) Häfen
sind und von Richmond an sämtlich auf der Grenze des Tertiär
und der laurentischen Gneißformation liegen, d. h. da, wo festeres
Gestein die Ausweitung und Vertiefung der Flußmündung durch
die Flut, unter Mitwirkung einer positiven Niveauveränderung, zu
hindern beginnt und festerer Boden, wie die Möglichkeit, den
Fluß zuerst oberhalb seiner Mündung zu überschreiten, die An-
siedelung begünstigte. Dem entsprechend rücken die Seestädte
je weiter nach Norden, um so weiter ins Innere. Es möchte
naheliegen , unsern Küstentypus als die (algerische) durch
Brandungsbuchten aufgeschlossene Form der Steilküste zu
bezeichnen. Die Buchten von Algier und Palermo, beide fast voll-
kommene Halbkreise, jene mit einer Öffnung von 15 km und
einer Tiefe von 6,5 km, diese mit einer Öffnung von 14,2 km und
einer Tiefe von 7,8 km2), kennzeichnen die Form der Auf-
schließung dieser Steilküste am besten, auch sind die sie be-
grenzenden Vorgebirge Pointe Pescade und Kap Matifou, Monte
Pellegrino und Kap Mongerbino bekannt genug. Es scheint mir
allerdings richtiger, derartige Küstentypen nach ihrer Form und
Entstehung, nicht nach ihrem Vorkommen zu benennen, wie wir
Flachküsten, Steilküsten, Fjordküsten, Haff küsten etc. unterscheiden,
doch vermag ich für jetzt keinen bessern Ausdruck für diese
1) Es lassen sich an der deutschen Ostseeküste drei wesentlich ver-
schiedene scharf gekennzeichnete Küstentypen unterscheiden : die Föhrden-
küste, die Boddenküste (von der Neustädter Bucht bis zur Oder-Mündung)
und die Haffküste.
2) Alle Messungen und Untersuchungen, die hier angeführt werden, sind
auf Grund des kartographischen Urmaterials vorgenommen, also hier zunächst
auf den französischen Küstenkarten von Algerien in 1 : 100 000, die auf den
Aufnahmen des Admiral Mouchez von 1867 — 73 beruhen, Blatt 3412, 3483,
32,9. 3234, 3202, 3030 und 3405, sowie auf den italienischen topographischen
Karten in 1 : 25000, I : 50000 und 1 : 100 000.
6 a II, i. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
halbkreisförmig aufgeschlossene Steilküste vorzuschlagen als etwa
gebuchtete Abrasionsküste.
Nach Ed. Suess, der es so meisterhaft versteht, das Antlitz
der Erde von einem erhöhten Standpunkte aus zu betrachten und
uns seine Züge zu enträtseln, haben wir hier eine große Bruch-
linie zu sehen, eine Linie, längs welcher die kristallinische Mittel-
zone des Apennin und des Atlas bis auf geringe, an gewissen
Punkten der Küste anstehende Reste in die Tiefen des Mittel-
meeres hinabgesunken ist (und vielleicht noch heute, namentlich
an der südöstlichen Ausbuchtung des Tyrrhenischen Meeres, im
Hinabsinken begriffen ist). Die fortgeschrittene geologische Er-
forschung des Apennin und Atlas lassen eine auffällige Über-
einstimmung im Bau beider erkennen. „Es wiederholt sich süd-
wärts gewendet in Nordafrika der Bau des Apennin"1). Auch
hier ist wie an der innern, dem Tyrrhenischen Meere zugekehrten
Seite der Apenninen der Gürtel der kristallinischen Felsarten
bis auf wenige Reste eingebrochen, und das gefaltete Gebirge
landeinwärts gestaut, auch hier bezeichnen vulkanische Gesteine
die Gürtel der Einbrüche. Die ganze innere Seite Italiens ist
von der Insel Capraja an, von welcher das Trachytvorkommen
von Campiglia nördlich von Populonia und das Basaltvorkommen
bei Piombino die Verbindung mit dem Monte Amiata herstellt,
sei es auf dem Festlande, sei es auf den vorgelagerten Inseln
bis Ustica, von noch tätigen oder erloschenen Vulkanen begleitet
und ein Gebiet häufiger, heftiger Erdbeben. Ganz ähnlich treten
am Nordrande der Atlasländer, sei es an der Küste, sei es auf
den vorgelagerten kleinen Inseln2) von Linosa und Pantelleria,
welche, weder zu Afrika noch zu Europa gehörig, sich mitten in
der Sizilien von Afrika trennenden Bruchlinie erheben, bis zur
i) Ed. Suess, Das Antlitz der Erde. Leipzig 1883. I, S. 297.
2) Nur die vielumstrittene Galitagruppe besteht doch wohl nicht aus
vulkanischem Gestein, sondern nach Arthur Issel aus Granit, neben welchem
Quarzite und Schiefer, vielleicht silurischen Alters, und quartäre Bildungen
auftreten (vgl. Guido Coras Cosmos, Vol. VI, 1880, p. 383, und Tafel X.
Velain dagegen (Comptes rendus de l'Academie des sciences, Bd. 78, 1874,
p. 70) erklärt Galita für vorzugsweise aus eigentümlichen Trachyten aufgebaut.
Die französischen Offiziere Lt. de Galbert und Cpt. Perret haben die Gruppe
1900 topographisch aufgenommen und ersterer sie eingehend, aber ohne
Förderung des Verständnisses ihres geologischen Aufbaus geschildert: L'ile
de la Galite. Grenoble 1904.
Die innere Abbruchsküste Italiens und der Atlasländer. 5-
Meerenge allenthalben vulkanische Gesteine hervor. Und auch
hier haben wir häufige Erdbeben, welche fast ausnahmslos der
Küste folgen. Da diese Tatsache doch nicht so ganz allgemein
bekannt sein dürfte, namentüch auch bei den Bauten der Fran-
zosen in Algier in gefährlicher Weise mißachtet erscheint, so
will ich nur an einige heftigere Erdbeben der allerneuesten Zeit
erinnern, wie das von 1848, welches Mlilla stark beschädigte,
das vom 21. und 22. August 1856, welches Dschidschelli zer-
störte und auch Bougie und einige andre Küstenstädte beschä-
digte, das Erdbeben von Tunis am 14. September 1863, das
von Blidah am 2. Januar 1867, das von Algier und Cherchell
am 28. März und 11. April 1874, das von Tenes am 2. und
25. März 1880, welche letzteren beiden auch das Cheliftal be-
rührten. Ein zweiter Gürtel längs der Küste, welcher aber auch
die Galitagruppe und die kleine Insel Plane westlich von Oran
angehört, besteht aus altern Felsarten, Gneiß, älterm Granit,
Glimmer- und Tonschiefer mit Lagen von körnigem Marmor.
Nur insofern zeigt sich ein gewisser Unterschied, als sich an der
Küste der Atlasländer nicht wie in Italien die auf einer Haupt-
spalte liegenden kesseiförmigen Einstürze, welche bogenförmig in
das Gebirge eingreifen, unmittelbar aneinanderreihen, sondern
daß die Bruchlinie auf weite Strecken glatt verläuft und dann
die Küste, wie z. B. zwischen den Golfen von Algier und Bougie
auf 185 km, den Anblick einer mehrere hundert Meter hohen
geschlossenen Mauer bietet. Doch haben wir zwischen den
Golfen von Santa Eufemia und Policastro ein ähnliches Küsten-
stück. E. Suess1) meint namentlich die Bucht von Algier als
einen Einsturzkessel und die dieselbe begrenzenden Vorgebirge
ähnlich der Halbinsel von Sorrent mit der Insel Capri als Horste
auffassen zu müssen. Daß auch an der Küste der Atlasländer
I) Außer den schon von Ed. Suess benutzten Quellen, und Tchihatchef,
Spanien, Algerien und Tunis, deutsche Ausgabe Leipzig 1882, habe ich
namentlich die neue vorläufige geologische Karte von Algerien von Tissot,
Pomel und Pouyanne, 5 Bl. in I : 800000, Algier 1881, und den dazu ge-
hörigen Texte explicatif de la carte geologique provisoire, 2 Bände, Algier
1881 und 1882, verwertet. Dazu die neuen Blätter der geologischen Karte
von Algerien in 1 : 100000 mit Erläuterungen, besonders Carte geologique
detaillce Bl. Alger bis bearbeitet von E. Ficheur, Alger 1904. Auch die
Küstenkarten in I : IOOOOO sind benüUt.
Fischer, Mittelraeerbilder. Neue Folge. 5
66 n, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
manche dieser halbkreisförmigen Buchten dieser Entstehung sind,
ist wahrscheinlich, doch wird sich für nicht wenige eine andere
Entstehungsweise annehmen lassen, und daß wohl alle die eigen-
tümliche gleichmäßige Form, in welcher sie uns jetzt entgegen-
treten, den gleich näher zu kennzeichnenden Vorgängen und
Kräften verdanken, ist kaum zweifelhaft.
A. v. Lasaulx1) hat gezeigt, daß die Fjorde im südwestlichen
Irland wesentlich als Wirkung der Brandung anzusehen sind,
welche (weniger durch den Golfstrom, als vielmehr durch die
vorherrschenden und häufig sehr stürmisch auftretenden Südwest-
winde hervorgerufen) die zwischen von SW nach NO streichenden
Wällen von Old Red Sandstone gelagerten Kohlenkalkmulden,
das leichter verwitterbare Gestein zwischen widerstandsfähigerm
herausgenagt hat. Ähnliche Verhältnisse haben auch bei der
Herausbildung unsres Küstentypus mitgewirkt. Zunächst möchte
ich auf die Tatsache hinweisen, daß in Algerien, welches Land
allein bis jetzt hinreichend geologisch erforscht ist, die zahlreichen
weit vorspringenden Vorgebirge aus alten kristallinischen Felsarten,
Gneißen, Graniten, Schiefern, die als feinkörnig und fest be-
zeichnet werden, oder aus Jüngern Eruptivgesteinen, besonders
Basalt, ausnahmsweise auch aus hartem, kompaktem Nummuliten-
kalk bestehen, während in den Buchten mioeäne Mergel, plioeäne,
grobe, schlecht verkittete Sandsteinkonglomerate und Sandsteine,
kurz weichere, jüngere Felsarten anstehen, welche augenscheinlich
den zerstörenden Kräften des Luftkreises und der Brandung
leicht unterliegen. Dunkle Glimmerschiefer, begleitet von Ton-
schiefer und Jüngern Granitgängen, bilden die Vorgebirge von
Cutha und Kap Negro südlich davon, ähnliches gilt von dem
weit vorspringenden Ras ed Deir; an vielen Küstenpunkten der
Provinz Oran treten granitische Gesteine auf, und ein größeres
Granitgebiet (wohl palaeozoisch) liegt bei Nedroma nahe der Küste.
In der Nähe der Tafna-Mündung bilden Basalte eine an einem
Punkte bis 560 m hohe Steilküste bis zur Bucht von Beni Saf.
Auch das Inselchen Rachgun ist der Rest eines alten Vulkans.
Von Beni Saf an hat die Brandung alte Schiefer bloßgelegt, die
auch das 272 m hohe Kap Ulhassa bilden, ebenso wie Kap Lindes
1) Aus Irland, Reiseskizzen und Studien, Bonn 1877, S. 87 ff. Wir
rechnen diese Küste jetzt zu den Riasküsten und schreiben die Herausbildung
dieser spitz zulaufenden Rias in erster Linie den Gezeiten zu.
Die Küste von Algerien. 5 7
und Falcon, während von Kap Figalo bis zur Mündung des Wed
Madar vulkanische Gesteine steile, am Dj. Tuila 371m hohe Wände
bilden. In pliocäne, schlecht verkittete Konglomerate, Sandsteine
und Sande ist die kleine Bucht von Honein, östlich von Nemours,
eingeschnitten, während die benachbarten Vorgebirge Tarca und
Noe mit ihren 100 m hohen, fast senkrechten Wänden aus mäch-
tigen, häufig als Marmor auftretenden Kalksteinschichten des untern
Jura bestehen. Die gleichen leicht zerstörbaren Felsarten umschließen
die innern Buchten von Oran und von Arzeu. Sehr lehrreich ist
das Küstenstück vom Golf von Arzeu bis zum Kap Sidi Ferruch;
geringer Wechsel der Formationen und Felsarten fällt dort mit
geringer Gliederung der Küste zusammen. Dies 300 km lange
Küstenstück bildet auf lange Strecken eine den normannischen
Falaises ähnliche, gelegentlich beträchtlich höhere Steilküste, die
an vorgelagerten Klippen und kleinen Felsinseln besonders reich
ist. Von Mostaganem bis Tenes wird diese Küste von miocänen
Mergeln und Tonen gebildet, die leicht und gleichmäßig der
Zerstörung unterliegen, von da bis zum Kap Chenoua, östlich
von Cherchel, aus mergeligen Kalksteinen der obern Kreide.
Die ostwärts von Kap Chenoua einschneidende flache Bucht
von Tipaza ist wiederum, wie die von Honein, von Oran, von
Arzeu in pliocäne, schlecht verkittete Konglomerate und Sand-
steine eingeschnitten, deren steiler Abbruch allenthalben die
Meereserosion erkennen läßt. Auf dieser ganzen Küstenstrecke
wird nur durch die zwei Vorgebirge von Tenes und Chenoua
die Einförmigkeit gemildert, und es ist daher sehr bezeichnend,
daß diese 2- bis 300 m hoch mit steilen Wänden ansteigenden,
zu jeder Jahreszeit von heftiger Brandung umtobten Vorgebirge
aus sehr hartem, kompaktem Nummulitenkalk bestehen, der am
Kap Chenoua marmorartig auftritt und als solcher ausgebeutet
wird. Die Ilalbinselvorsprünge von Mers el Kebir und von
Arzeu bestehen aus festen (wohl palaeozoischen) Schiefern, die-
jenigen, welche im Westen wie im Osten die Bucht von Algier
begrenzen, vorherrschend aus kristallinischen Kalken wohl palaeo-
zoischen Alters (Ficheur) und Glimmerschiefern, während an der
Bucht südöstlich von Algier tertiäre Sandsteine, Konglomerate,
Tone und Mergel auftreten, also ganz wie an den genannten west-
lichem Buchten und an den östlichen von Bougie und Bona. Die
Ebenen, wie die Mitidja, die Chelifebene, die um den Salzsee
68 II, i. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
von Oran sind nicht etwa Deltabildungen, eben erst ausgefüllte
und noch in Ausfüllung begriffene Buchten, ihre Entstehung reicht
vielmehr in die Pliocänzeit zurück. Die Mitidja ist ein pliocäner
Meeresgolf, dann durch Bildung des Sahel vom Meere getrennt
ein erst allmählich aufgefüllter in den letzten Resten jetzt künst-
lich entwässerter See. Sie besteht meist aus gerollten Kieseln
jeder Größe, die nur selten zu einem Konglomerat zusammen-
gebacken und von einem gelblich grauen Schlamme bedeckt
sind: ältere und jüngere Alluvionen. Auch reichen diese Ebenen,
soweit sie dieser Entstehung sind, nirgends oder nur in sehr
schmalen Streifen bis ans Meer, sie sind vielmehr durch ältere
(miocäne und Buzarea-Massif) Formationen von demselben ge-
trennt, so daß die heutigen Golfe durchaus nicht als Reste ehe-
mals größerer angesehen werden können. Auch Dünen kommen
an diesen Buchten wohl vor, sind aber nie von irgendwelcher Aus-
dehnung, eben weil der flache, sandige, zeitweilig trocken liegende
Strand fehlt. Auch das geschichtlich bedeutsame, weit vor-
springende Kap Sidi Ferruch, westlich von Algier, besteht aus
faserigem Granit und Glimmerschiefer, Kap Djinet, östlich von
Algier, aus Basalt. Die gewaltige Gneiß- und Granitmasse am
Nordhange des Dschurdschura tritt bei Bougie nahe ans Meer
heran, die völlig geschlossene und unnahbare Steilküste zwischen
Dellys und Bougie besteht ganz aus Nummulitenkalk- und Sand-
steinen, der Gebirgssporn , in dessen Schutze Bougie liegt, und
das Kap Carbon bestehen aus festen Jurakalksteinen. Das die
Bucht von Bougie an der Ostseite begrenzende Kap Cavallo besteht
aus einer Gruppe hoher Kegelberge tertiärer Granite, die durch
tiefe Schluchten voneinander getrennt sind. Einige vorgelagerte
Klippen zeugen von der vorsichgehenden Zerstörung. Von
Dschidschelli ostwärts, wo das Teil meist aus kristallinischen
Felsarten besteht, zeigt sich wiederum auffallend, daß der große
Numidische Golf mit seinen Buchten von Collo und Philippeville
von zwei mächtigen, aus festen Felsarten bestehenden Pfeilern
begrenzt wird, der Halbinsel von Collo, die am Kap Bougaroni
(die sieben Kaps) mit ihren Granit- und Quarzporphyrwänden
steil zu großen Meerestiefen hinabstürzt und bei einer Höhe von
ii 86 m aus Granit und Jüngern Eruptivgesteinen aufgebaut ist,
und dem ebenfalls aus Granit und kristallinischem Schiefer be-
stehenden fast insularen Dschebel Edough, der nach Westen das
Die Küste von Algerien. 6ü
nach dem Eisengehalt seiner eruptiven Felsmassen benannte Cap
de Fer vorstreckt. An der Ostseite, bei Bona und namentlich
am Cap de Garde, fallen die deutlich geschichteten Gneiß- und
Glimmerschiefer in Winkeln von 60 — 80 ° nach SO ein. Das
breite Vorgebirge Filfila (Felfelah) , welches die Bucht von
Philippeville in zwei Unterabteilungen scheidet, besteht aus ver-
schieden gefärbtem, feinkörnigem und höchst wertvollem Marmor,
der schon von den Römern ausgebeutet wurde; das Kap Rosa,
am östlichen Eingange des Golfs von Bona, wiederum aus 20
bis 30 m hohen Felswänden aus Nummulitenkalk.
Wir sehen also, daß an der ganzen Küste von Algerien die
Buchten in leichter zerstörbare Felsarten eingeschnitten sind,
während die Vorgebirge aus den festesten, widerstandsfähigsten
bestehen. Es kommt nun noch ein zweiter Umstand hier in
Betracht: das Küstengebiet von Algerien ist ein vielfach gestörtes,
an Verwerfungen, Verschiebungen, Spalten und Bruchlinien
reiches, wie die geologische Durchforschung an vielen Punkten
festgestellt hat, und neuerdings auch Tchihatchef bezeugt. Die
Schichten sind an vielen Punkten stark aufgerichtet und ihr
Streichen nahezu senkrecht auf der Küstenrichtung, so daß also
bei dem Vorhandensein von Spalten und Brüchen und bei dem
Wechsel härterer und weicherer Felsarten der Brandungswelle
sich allenthalben Punkte zu erfolgreichem Angriff boten. Noch
bis in die nächste geologische Vergangenheit muß hier die
feste Erdrinde großen Bewegungen unterworfen gewesen sein,
denn selbst die jüngsten Ablagerungen, wie in der Mitidja und
in der Chelifebene, haben noch Störungen erlitten. Eine Unter-
suchung in dieser Richtung ergibt, daß an der Küste von Algerien
das Vorkommen der halbkreisförmigen Buchten gebunden ist
nicht nur an raschen Wechsel der Formationen und Felsarten,
sondern auch an Gebiete eng mit jenen zusammenhängender
großartiger Schichtenstörungen. Einförmigkeit der geologischen
und tektonischen Verhältnisse prägt sich dagegen auch in der
Einförmigkeit der Küstenumrisse aus.
Daß die Küste von Algerien allenthalben vom Meere ange-
griffen wird, dafür liegen zahlreiche Zeugnisse vor. Es zeugen
dafür die zahlreichen vor der Küste liegenden Inselchen und
Klippen, die auf weite Strecken überhängenden und von zahl-
losen, geräumigen Grotten durchbohrten Felswände, vor allem
70 II, i. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
aber auch die Hafenbauten der Römer und der Franzosen.
Diese Grotten sind meist von Scharen von Tauben bewohnt,
oft aber sind sie so groß, daß die Fischer- und Zollboote darin
Unterkommen finden. Von den Hafenbauten der Römer sind
heute, wie ähnlich von den mittelalterlichen der Genuesen an
der Südküste des Schwarzen Meeres, kaum noch Spuren vor-
handen, wenn sie nicht, wie das kleine Hafenbecken von Cherchel,
in den Felsen gehauen waren. Von dem gewaltigen Felsdamm,
durch welchen die Römer der alten Julia Caesarea einen Vor-
hafen geschaffen hatten, ist trotz der Lage an einer ziemlich
geschützten Bucht nichts als ein stark brandender unterseeischer
Trümmerhaufen übriggeblieben. Die mit großen Kosten aufge-
führten Hafendämme der Franzosen1) können da, wo sie ohne
natürlichen Schutz im Hintergrunde der Buchten, wie bei Philippe-
ville und Oran, errichtet worden sind, nur mit Mühe erhalten
werden, jeder Sturm richtet Zerstörungen an, und sie gewähren
den Schiffen nur wenig Schutz. Die riesige Brandung schlägt
über die Hafendämme und zertrümmert sie mitsamt den Schiffen,
die hinter ihnen Schutz suchen. Von Landbildung, Anschwem-
mung, Landfestwerden von Inseln ist an dieser ganzen Küste
(außer an der Westseite des Golfs von Tunis) keine Rede, nur
der Chelif hat vermocht, ein sehr kleines, noch nicht 3Y2 qkm
großes Delta der Küste anzulagern, an welcher ausnahmsweise
die ioo m-Linie fast 10 km entfernt liegt. Auch anderwärts an
der Küste von Nordafrika müssen wir der Brandung bei den in
historischer Zeit nachweisbaren Veränderungen große Bedeutung
zuschreiben. Daß in Barka z. B., wo ich allerdings nach wie
vor auch eine positive Niveauverschiebung meine annehmen zu
müssen, daneben oder besser infolge davon auch die Brandung
die aus jungtertiären Schichten bestehende Küste um so erfolg-
reicher angreift, lassen die Vorgänge bei Bengasi nicht mehr be-
zweifeln. Die bei Tripolis eingetretenen Veränderungen lassen
sich jedoch vollkommen auf letztere Ursache zurückführen. Schon
Leo Africanus berichtet im Anfang des 1 6. Jahrhunderts von der
dort wirksamen Meereserosion, welche die Stadt zurückweichen
machte, und Admiral Beechey empfing zu Anfang des 19. Jahr-
I) Für diese Fragen ist benutzt: Mouchez, Instructions nautiques sur
les cötes de PAlgerie, Paris 1879, und Mouchez, La cote et les ports de
l'Algerie, au point de vue de la colonisation. Paris 1881.
Stürme an der Küste der Atlasländer.
71
hunderts den gleichen Eindruck. G. Rohlfs hält freilich an einem
raschen Sinken des Landes fest. Er führt an, daß man vor
30 Jahren noch außerhalb der Stadtmauer am Strande entlang
gehen konnte, was jetzt das Meer, dessen Wellen an den Mauern
emporschlagen, nicht mehr erlaubt, ja er behauptet, daß inner-
halb eines Jahres, 1878 bis 187g, nach seinen Beobachtungen
das Meer sehr bedeutende Fortschritte gemacht habe. Da ich
selbst Gelegenheit gehabt habe, die sogar längere Zeit und in
gewissen Perioden sehr verschiedenen Wasserstände an den
Küsten des Mittelmeeres zu beobachten, so möchte ich derartigen
einmaligen Beobachtungen kein großes Gewicht beilegen. Auch
Malta verkleinert sich lediglich unter dem Anprall der Wogen,
nur darauf sind die an steiler Felswand endenden Karrenspuren
zurückzuführen.
Daß an der ganzen Nordküste von Afrika einen großen Teil
des Jahres eine bedeutende Brandung herrschen muß, ergibt
sich sofort aus den dortigen Erwärmungs-, Luftdruck- und Wind-
verhältnissen, über welche uns der beste Kenner derselben, Ad-
miral Mouchez, gründlichen Aufschluß gibt. Es herrschen an
der Küste von Algerien nahezu sieben volle Monate Winde aus
dem vierten Quadranten, namentlich NW und N, beide treten
häufig stürmisch und verheerend auf. Man bezeichnet letztere
Windrichtung geradezu sprichwörtlich als den „Zimmermann von
Majorka", weil dann gewöhnlich der Strand und die Häfen mit
Schiffstrümmern bedeckt werden1). Ein einziger solcher Nord-
sturm vernichtete im Januar 1835 sämtliche (11) in die Bucht
von Bougie geflüchteten Schiffe, ein andrer im Februar desselben
Jahres überschüttete die Magazine auf den Molen von Algier,
vernichtete 18 Schiffe im Hafen selbst und beschädigte 5 andre
schwer; 1841 wurden sämtliche auf der scheinbar so sichern
Reede von Stora liegenden Schiffe, auch ein Kriegsschiff, ver-
nichtet, und 1854 blieben von 29 dort liegenden Schiffen nur
7 unverletzt; die 50 m hohe Felseninsel Srigina wird oft völlig
von den Wogen verhüllt. Nach amtlicher Schätzung von 1856,
d. h. in einer Zeit, wo der Verkehr hier noch sehr gering war,
betrug der jährlich durch Schiffbruch allein auf der Reede von
Stora erlittene Verlust 1 l/2 Millionen Franken. Noch im Winter
1) Schon der englische Admiral -Smyth zu Anfang des 19. Jahrhunderts
kennt diese Bezeichnung.
y2 II, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
von 1878 wurden im Hafen von Philippeville hinter Dämmen,
welche 15 Millionen Franken gekostet haben, 5 Schiffe zerschellt.
Gleichen Gefahren ist auch der Golf von Tunis ausgesetzt, in
welchem ebenfalls wiederholt ganze Flotten durch plötzlich herein-
brechende Stürme vernichtet worden sind. Selbst im Sommer
und bei schönem Wetter tobt an einzelnen Küstenpunkten, wie
z. B. Kap Tenes, untertags häufig eine außerordentlich heftige
Brandung, nur durch die regelmäßige, sommerliche nordöstliche
Brise hervorgerufen, das Meer löst sich in weißen Schaum auf,
und kein Schiff könnte sich unter Segel gegen diesen Wind
halten. Fast an der ganzen Küste ist auch im Sommer das
Landen nur in wenigen geschützteren Buchten und in den künst-
lichen Häfen möglich. Auch die Fischerei wird an der ganzen,
meist sehr fisch- und korallenreichen Küste, namentlich des west-
lichen Algerien, durch die häufigen heftigen Stürme und die
Strömung erschwert; Thunfischereien anzulegen ist nur an wenigen
Punkten möglich gewesen. Nur an einem Punkte an der Mün-
dung der Wed Oubay, nahebei, südöstlich, von Dellys, ist die
Anlegung von Salzgärten möglich gewesen x). Auch der Mangel
an Ankergrund bei den großen Tiefen macht die Küste unnahbar,
und so sehen wir, daß dieselbe auf ungeheure Strecken unbewohnt
und unbebaut ist, man im Vorüberfahren nur hier und da das
Feuer eines einsamen Hirten erblickt, und sich die Bewohner
auf den wenigen begünstigteren Küstenpunkten zusammendrängen.
Auf eine Strecke von 334 km entbehrt z. B. die Küste zwischen
Oran und Algier jeder natürlichen Zufluchtsstätte. So ist die
geringe Sicherheit und Zugänglichkeit der Küste ein schweres
Hindernis der Entwicklung des Landes. Selbst die wenigen
natürlichen Reeden, die gegen W, zum Teil auch gegen NW
geschützt sind, sind, wie die oben angeführten Unfälle zeigen,
weit weniger sicher, als man auf den ersten Blick glauben möchte,
denn auch dort ist das Meer beständig bewegt, weil die um das
Vorgebirge hereinkommenden Wellen (und Strömung) den von
der Südostseite der Bucht zurückgeworfenen begegnen. Selbst
der geringste Sturm, welcher auf dem Golfe du Lion ausbricht,
ruft, auch wenn er die Küste von Algerien gar nicht erreicht,
1) Wenn sie überhaupt noch bestehen, müssen sie von so geringer
Ausdehnung sein, daß ich sie 1906, wo ich zweimal dicht an ihnen vorbei
gekommen bin, nicht gesehen habe!
Stürme und Strömungen an der Küste der Atlasländer. n -j
dort heftige Brandung hervor. Meist kann man sich dieser Küste
nur bei ganz ruhigem Wetter ungefährdet nähern, aber auch
dann drohen die dieselben kennzeichnenden Nordstürme, die meist
urplötzlich hereinbrechen, beständig Gefahr. Einzelne Vorgebirge
sind fast zu jeder Zeit so umstürmt, daß ihnen die Schiffer ähn-
lich wie dem Ras Addär, dem treulosen Vorgebirge, von den
Europäern schmeichelnd Kap Bon genannt, Namen wie Teufels-
spitze, Tolle Spitze, Verfluchtes Kap u. a. beigelegt haben.
Diese Verhältnisse sind es, welche die Bewohner dieser Küsten
im Altertum instand setzten , sie erst so spät Griechen und
Römern bekannt werden und später wieder in Dunkel versinken
zu lassen, so daß die Rifküste heute noch zu den wenigst be-
kannten Küsten der Erde gehört. Ein vom Lande wie von der
See schwer zugängliches Küstengebiet nahe einer vielbefahrenen
Meerstraße, das sind die günstigsten Bedingungen zur Entwick-
lung der Seeräuberei. Eben diese Verhältnisse, namentlich die
so häufig und plötzlich hereinbrechenden Nordstürme, haben die
zahlreichen Versuche europäischer Mächte — es sei nur an
Karls V. Unternehmen gegen Algier 1 541 erinnert — , diesem
Unwesen zu steuern, scheitern gemacht.
Es ist daher sehr auffallend, daß die Franzosen erst sehr
spät, und nachdem sie schweres Lehrgeld hatten zahlen müssen,
begonnen haben, Häfen anzulegen, zum Teil aber nach Mouchez'
Ansicht an Küstenpunkten, wo sie ihren Zweck nie völlig zu er-
füllen vermögen und steter Gefahr ausgesetzt sind. Namentlich
gilt dies von den im Hintergrunde der Buchten angelegten Häfen
von Oran und Philippeville, in welchen die Schiffe nie völlig
sicher sind und Segler nur bei ruhigem Wetter einlaufen können,
die auch sofort beim Erlahmen der Wachsamkeit dem Schicksale
des Hafens von Tenes erliegen werden, dessen auf eine kleine
Felsinsel gestützte Dämme noch vor der Vollendung vom ersten
Sturme zertrümmert wurden. Selbst der geschützteste, der Hafen
von Algier, ist häufigen Beschädigungen ausgesetzt, der von Bona
ist zu klein und seicht, um z. B. Panzerschiffe aufzunehmen, und,
das einzige Beispiel dieser Art, von Versandung bedroht.
Eine weitere Kraft, welche bei der Herausbildung dieses
Küstentypus tätig ist, ist die Küstenströmung. Es ist bekannt,
daß der Verdunstungsverlust des Mittelmeeres vorzugsweise durch
einströmende Wassermassen aus dem Ozean und dem Schwarzen
ja II, I . Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
Meere ersetzt werden muß. Auf Grund eingehender, erst zu
späterer Veröffentlichung bestimmter Untersuchungen, die nament-
lich auch die bisherigen Vorstellungen über die Strömungen im
Mittelmeere klären und vielfach ändern werden, bin ich zu dem
Ergebnis gelangt, daß über dem Mittelmeere eine Wasserschicht
von mindestens 3 m jährlich verdunstet, wahrscheinlich beträcht-
lich mehr (also jedenfalls mehr als doppelt soviel als man bis-
her mit J. Herschel gewöhnlich annahm), davon werden ca. 25
Prozent unmittelbar durch Regen, ca. 10 Prozent mittelbar durch
die Flüsse ersetzt. Vom Schwarzen Meere her ist der Ersatz
aber gering, etwas über 7 Prozent des Verdunstungsverlustes, wie
man schon daraus schließen konnte, daß der Salzgehalt des
Archipels, ja des Marmara-Meeres kaum merkbar herabgedrückt
wird. Der Ozean muß also im wesentlichen den Verdunstungs-
verlust des Mittelmeeres ersetzen, und der Querschnitt der Meer-
enge ist ein so großer, daß in der Tat auch unter Berücksich-
tigung der untern Gegenströmung die noch zu ersetzende Wasser-
menge nicht nur leicht ersetzt werden kann, sondern die Ge-
schwindigkeit der Einströmung auch ihrerseits es wahrscheinlich
macht, daß die Mächtigkeit einer Verdunstungsschicht zu 3 m zu
niedrig angenommen ist. Jedenfalls sind es gewaltige Wasser-
massen, welche durch die starke Verdunstung in das Mittelmeer
gezogen werden, die Verdunstung und die Winde sind dort die
Kräfte, welche Strömungen hervorrufen. Von einer großen, das
ganze Mittelmeer umkreisenden Strömung, von der man noch
immer zuweilen lesen kann, ist selbstverständlich keine Rede,
selbst die an der Nordküste Afrikas ostwärts bis gegen die
syrische Küste hin verfolgbare Strömung, welche die Gebiete der
stärksten Verdunstung kennzeichnet, nach welchen noch überdies
die vorherrschende Windrichtung die Wassermassen hintreibt,
wird sehr häufig durch den Wind unterbrochen und abgelenkt.
Am schärfsten ist die Strömung an der Nordküste von Klein-
afrika ausgeprägt, wo, wie ich früher nachgewiesen habe, die
kühlem Wassermassen des Ozeans sogar klimatisch wirksam sind.
Ihre mittlere Geschwindigkeit beträgt an der Küste von Algerien
I Seemeile in der Stunde, etwas weiter hinaus jedoch häufig
2 — 3 Seemeilen, so daß Lotungen und Fischen fast unmöglich
werden. Nach Osten hin wird sie schwächer und jenseits Kap
Bougaroni wird sie in ihrer Richtung und Stärke schon wesent-
Küsten des nordwestlichen Mittelmeerbeckens.
75
lieh vom Winde beeinflußt. Die häufigen Nordwinde drängen
nun diese Strömung an die Küste heran und geben ihr eine mehr
ostsüdöstliche und südöstliche Richtung, so daß sie, schräg auf
die Westseite der weit vorspringenden Vorgebirge stoßend, zum
Teil gegen Süden abgelenkt wird, in die Golfe eindringt und,
dieselben als Neerstrom umkreisend, an ihrem westlichen Ein-
gange wieder in die Hauptströmung einbiegt. In allen diesen
Golfen ist ein solcher Wirbel nachgewiesen. Je weiter das öst-
liche Vorgebirge vorspringt, um so regelmäßiger und stärker ist
diese Gegenströmung; im Golf von Oran und von Algier treibt
sie die aus diesen Häfen bei schwachem Winde auslaufenden
Segler häufig nach Westen gegen Mers el Kebir und Pointe Pes-
cade ab. Während also in i — 2 Seemeilen Abstand von der
Küste die östliche Strömung herrscht, herrscht in den Buchten
eine westliche Gegenströmung. Die Fahrt in östlicher Richtung
geht immer schneller als in westlicher, und die von N kommen-
den Schiffe müssen dieser Strömung wegen stets eine 8 — io See-
meilen westlichere Richtung einhalten; nach Algier bestimmte
Schiffe z. B. müssen so steuern, als ob Kap Sidi Ferruch ihr Ziel
wäre. Winde vermögen diese Strömung wohl zu beeinflussen,
aber höchst selten umzukehren. Es kann kein Zweifel sein, daß
diese Strömungen, wie sie einerseits die Golfe von Sinkstoffen
rein halten, anderseits bei der Herstellung der Kurve, vielleicht
auch der Vertiefung der Buchten, mitwirken.
Denselben, hier seiner Entstehung und Herausbildung nach
betrachteten Küstentypus haben wir nun auch an der spanischen
Mittelmeerküste von der Meerenge bis Kap Palos. Dort haben
wir nach E. Suess den abgebrochenen Innenrand der Betischen
Kette. Wenn die Ausbuchtung dieser Steilküste weniger regel-
mäßig ist, so beruht dies sowohl auf den etwas abweichenden
geologischen und tektonischen Verhältnissen, als namentlich auf
dem Fehlen der Kräfte, welche sich an der gegenüberliegenden
Küste so wirksam erwiesen, Brandung und Strömung. Das Küsten-
stück von Kap Palos bis Kap Nao bildet den Übergang zu dem
zweiten hier zu betrachtenden Küstentypus, welcher jenseits Kap
Nao deutlich ausgeprägt ist. Die Küsten von Sardinien und
Corsica bedürfen noch eingehender Untersuchung, jedenfalls hat
die Meereserosion auch dort bei der Herausbildung der heutigen
Formen wesentlich mitgewirkt, der Gegensatz zwischen der dem
7 6 II, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
Südwest zugekehrten Seite und der ruhigen Ostküste ist ein zu
auffälliger; von Corsica wissen wir überdies, daß dort in den
Riasbuchten die Brandung in hohem Grade zerstörend wirkt1).
Wo bleiben nun die an der Nordküste Kleinafrikas abge-
riebenen Massen? Ich möchte die Vermutung aussprechen, daß
sie teilweise an der Bildung der Sand- und Schlammbänke der
Flachsee zwischen Sizilien und Afrika teilnehmen, teilweise an
der Westseite des tief eindringenden Golfs von Tunis durch die
Gegenströmung abgelagert werden und mit dem Medscherda jene
großartigen Landbildungen und einen neuen Küstentypus hervor-
rufen. Über diese Gegend sollen hier nur wenige Bemerkungen
folgen, da über dieselbe in letzter Zeit von verschiedenen Seiten,
auch in diesen Blättern, Untersuchungen angestellt worden sind2).
Die mit dem Absinken eines Teiles des Gebirges verbundene
Landzertrümmerung hat hier etwas größere Ausdehnung gehabt;
die beiden Seen von Biserta füllen Einsturzbecken aus, ihre Ver-
bindung mit dem Meere ist vielleicht lediglich auf die Süßwasser-
flüsse zurückzuführen, welche sie aufnehmen. Gleicher Entstehung
dürften die Sebcha El Sedjum bei Tunis und der jetzt in Aus-
trocknung begriffene Fetzarasee bei Bona, sowie die vier kleinen
küstennahen Becken bei La Calle sein, El Melah (salzig), El
Ubeira, El Hut und Labheira (nur ein Sumpf). Der Golf von
Tunis war dem entsprechend inselreich; außer den noch vor-
handenen Zembra und Zembretta, Plane und Pillau waren auch
der Hügel von Karthago und der Höhenrücken (Kabeur el Djeheli),
1) Recherches hydrographiques sur le Regime des Cötes, Depot des
cartes et plans de la Marine, Heft 2, p. HO.
2) Vgl. besonders Charles Tissot, Geographie comparee de la Province
romaine de l'Afrique, Paris 1884, I, p. 76 ff., und F. Partsch, Peterm. Mitt.
1883, S. 201 ff. Meine dort von Partsch widerlegte Ansicht bezüglich des
Medscherda hatte ich selbst längst als irrig erkannt (vgl. Deutsche Revue 1882,
S. 234), und jenen Hebungserscheinungen, die ich übrigens nicht als selbst-
beobachtet hinstellte, sondern auf Guerin und Reclus zurückführte, stehe ich
seit Jahren sehr skeptisch gegenüber; 1876 war auch ich allerdings nicht
frei von den damals herrschenden Anschauungen. Das Verständnis der
dortigen Vorgänge wird wesentlich gefördert durch die auch von Tissot noch
nicht benutzten neuen Aufnahmen der Franzosen, Carte de la Tunisie.
1:200000. Paris 1884, namentlich Blatt 2 und 5 (Biserta und Tunis).
Auch die beiden französischen Seekarten Nr. 3603 (Bucht von Tunis in
1 135000) und 3487 (Porto Farina in I : 25000) kommen wesentlich in Be-
tracht. Eine eingehende Untersuchung würde hier zu viel Raum erfordern.
Am Golf von Tunis.
77
welcher mit Kaläat el Wed (Castra Cornelia) endet, ursprünglich
Inseln. Dieser letztere Höhenrücken hat eine Länge von 1 2 km
und eine Höhe von 50 m, er wird jetzt an seiner Westseite vom
Medscherda begleitet, während dieser seit den Bürgerkriegen und
bis ins Mittelalter der Ostseite folgte. Jedenfalls legt Tissot (ab-
weichend von Partsch) keine der sich stetig verschiebenden Med-
scherda-Mündungen durch diesen Höhenrücken, und auch die
neue Karte macht es unwahrscheinlich, daß der Hügel von Kaläat
el Wed noch eine Insel für sich gebildet habe. Der Hügel von
Utika ist vielleicht nicht erst durch Anschwemmung verlandet,
sondern gehört einer aus etwas älterm Gestein bestehenden Land-
zunge an. Die geringe Meerestiefe und die Inseln kamen wesent-
lich in Betracht bei den raschen Landbildungen, die der Med-
scherda und die Strömung vereint hier bewirkten. Die Delta-
bildung des Medscherda beginnt schon ca. 6 km oberhalb Teburba.
Tissot schätzt den Landzuwachs hier seit 21 00 Jahren auf
250 qkm, das gesamte Neuland mag eher wohl das Doppelte
betragen. Die Haffe von Tunis, von Karthago (Sebcha er
Ruan), von Porto Farina und die noch heute über das Delta des
Flusses, namentlich in der Nähe des Hügels von Utika verstreuten
Sumpfbecken kennzeichnen die vor sich gehende Verlandung.
Nach der genauen Beschreibung des Polybios (I, 73) muß die
heute durch einen Dünensaum vom Meere getrennte Sebcha er
Ruan noch eine Meeresbucht gewesen sein; die Landenge, welche
damals zwischen dieser Bucht und dem Haff von Tunis die
Halbinsel von Karthago mit dem Festlande verband, scheint sich
aber seit jener Zeit, eben weil sie der Anschwemmung entrückt
wurde, nur sehr wenig verbreitert zu haben, denn während Poly-
bios ihre Breite zu ca. 25 Stadien, d. h. 4,6 km (die Stadie zu
185 m) angibt, beträgt sie jetzt 5 km. Wohl aber hat sich
der südliche, das Haff von Tunis absperrende Dünenzug von
Y2 Stadie (nach Appian) auf 6- bis 900 m und selbst an der
schmälsten Stelle auf mehr als 200 m verbreitert1). Die Mitwir-
kung der Strömung2) bei diesen Landbildungen prägt sich deut-
1) Nach Carte de la Tunisie Blatt 5: die Seekarte 3603 gibt beträcht-
lich geringere, aber noch immer dem Altertum gegenüber weit größere Zahlen.
2) Ich finde das Vorhandensein einer solchen Gegenströmung im Golf
von Tunis allerdings nirgends bezeugt, meine es aber schließen zu müssen.
Auch die Gegenströmungen in den kleinen algerischen Buchten, namentlich
y8 II, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
lieh in der genau zu verfolgenden Verschiebung der Medscherda-
Mündung gegen Norden aus. Mag der Fluß auch bei Hoch-
wasser schon im vorigen Jahrhundert sich teilweise in das Haff
von Porto Farina ergossen haben, so scheint er doch seine Haupt-
mündung erst in allerneuester Zeit dorthin verschoben zu haben.
Während nämlich Mouchez 1876 noch die Hauptmündung un-
mittelbar in den Golf gehen läßt, zeichnet Perrier 1884 nur eine
Mündung in das Haff. Die gleiche Erscheinung aus gleicher
Ursache wie hier haben wir an dem dem Medscherda nächsten
größern Flusse des östlichen Kleinafrika, der Seybuse. Diese hat
seit römischer Zeit ihre Mündung 7—8 km nach Westen verrückt
und ergießt sich heute unterhalb der Ruinen von Hippo. Ihr
altes Bett ist 1 7 km oberhalb in einem trocknen Arme angedeutet,
den die Eingeborenen El Khelidj, die Kanäle, nennen, und der
am Meere in den Sümpfen von Geräa bu k'mira endet1).
So tritt uns hier infolge dieser Neubildungen ein neuer
Küstentypus entgegen, eine flache, einem schwach gespannten
Seile ähnliche Kurve, gestützt auf die landfest gewordene Insel
von Karthago und die felsige Halbinsel von Porto Farina. Dieser
Küstentypus, bei welchem sich also eine mit großem Radius be-
schriebene flache Kurve an die andere reiht und die so gebil-
deten flachen Buchten durch mäßig vorspringende, aus landfest
gewordenen Inseln bestehende Vorgebirge (seltener durch vor-
geschobene Deltaspitzen) begrenzt werden, ist Flachküsten eigen,
die im Vorrücken begriffen und von Haffen begleitet sind. Auf
Karten kleinen Maßstabes könnte man diesen Küstentypus mit
der von Bona, haben wir erst durch Mouchez kennen gelernt, nur westlich
der Halbinsel Tres Forcas war eine solche schon früher bekannt (vgl. Medi-
terranean Pilot vol. London 1873, p. 25;. Da nun eine starke östliche, auf
Kap Bon gerichtete Strömung quer vor dem Golf von Tunis vorhanden und
hier die vorherrschende Windrichtung eine ausgesprochen nordöstliche ist,
so scheint mir kein Zweifel erlaubt, daß auch hier eine solche Gegen-
strömung vorhanden ist, welche im Verein mit den Nordostwinden die Ost-
seite des Golfs rein von Sinkstoffen und die dortigen größern Meerestiefen
erhält, während sie an der Westseite die Sinkstoffe ablagert und den Med-
scherda nordwärts drängt. Daß die vorherrschenden Ostwinde eine Barre
vor dem in das Haff von Tunis führenden Kanäle bilden, bezeugt Medit.
Pilot p. 265.
I) Tissot a. a. O. p. 45. Vgl. die folgenden Abschnitte: Die Stätte von
Karthago und Am Golf von Bona.
Die Küste von Toskana.
79
dem eben erforschten leicht verwechseln. Er ist ganz andrer
Entstehung und für Besiedelung und Verkehr noch weit un-
günstiger, insofern eine solche Küste wegen der Flachheit des
angrenzenden Meeres unnahbar ist und der natürlichen Zufluchts-
stätten ganz entbehrt, künstliche Häfen wegen der andauernden
Neubildung von Land noch vergänglicher sind als dort. Dieser
Küstentypus ist außerordentlich häufig am Mittelmeere, am schärf-
sten ausgeprägt an der Westseite Italiens vom Golf von Neapel
bis zum Golf von Spezia und vor allem an der Küste von Langue-
doc. Diese Form der Flachküste steht in der Mitte zwischen
der geschlossenen Flachküste, wie wir sie etwa an der Nordwest-
seite von Jütland oder an der atlantischen Seite der Sahara
haben, und der aufgeschlossenen Flachküste, als deren Muster
die atlantische Küste der Vereinigten Staaten anzusehen ist. Sie
wäre vielleicht besser statt als Küstentypus von Languedoc als
flachbogige Flachküste zu bezeichnen.
Auch an der Westküste Mittelitaliens haben wir es mit einem
Abbruch und mit Einsturzkesseln zu tun, durch welche dieselbe
ursprünglich reicher gegliedert war. Hier aber vereinigten sich
verschiedene Umstände, um diesen ungünstigen, einförmigen
Küstentypus herauszubilden. Es blieben Bruchstücke des hier
nur in geringe Tiefe gesunkenen kristallinischen Kerns, ja selbst
Teile der geschichteten äußern Zone des Ur-Apennin als Inseln
in seichterm Meere erhalten. Sie dienten, ähnlich wie am Golf
von Tunis, wenn sie küstennahe waren, wie die von Gaeta, Cir-
cello, Monte Argentaro, Piombino u. a., oder wenn sie innerhalb
der Golfe lagen, wie die Monti dell' Ucellina und die Pisaner
Berge, den Sinkstoffen als Stützpunkte, welche die hier auf der
niederschlagreichern, breitern Südwestabdachung der verbreiterten
Halbinsel größere Entwickelung erlangenden Flüsse mit sich führten.
Diese Sinkstoffe werden durch die zeitweilige nach NW gerichtete
Strömung an der Küste entlang geführt und an günstigen Punkten,
wie man namentlich jetzt am Golf von Spezia beobachtet, ab-
gelagert. Der Serchio verdankt dieser Küstenströmung das auf-
fällige Knie in seinem untersten Laufstück. In der Zeit von
175g — 1806, wo man ihn genau beobachtete, wich er beständig
nach Norden aus, bis man ihn in letzterm Jahre durch Kunst-
bauten festlegte. Auch dort kennzeichnen wie an der Mündung
des Rhone zur Sicherung der Einfahrt errichtete Festen von
8o II) I. 2ur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
I759» 1 797 und 1853 das Ausweichen und Vorrücken der
Mündung, das ca. 2 km im Jahrhundert betrug1). Auch der Arno
ändert genau an der entsprechenden Stelle wie der Serchio seine
bisherige Südwestrichtung. Diese Küstenströmung wird lediglich
durch die einen großen Teil des Jahres herrschenden Südwest-
winde hervorgerufen, welche große Wasserrnassen durch die breite
Öffnung zwischen Sizilien und Sardinien ins Tyrrhenische Meer
hineindrängen, und an den entgegenstehenden Küsten, da sie
nur nach NW über die Flachsee des Toskanischen Archipels
einen Abfluß finden, zuweilen bis 4 m steigen machen2). Auch
die vulkanische Tätigkeit, die hier in der Diluvialzeit und noch
später besonders hervortrat und ganze Gebirge, wie das Albaner
und die des südlichen Toskana, geschaffen hat, hat wesentlich
bei Ausfüllung der Golfe mitgewirkt. Die Veränderungen, welche
sich hier selbst noch in geschichtlicher Zeit vollzogen haben, sind
so großartige, daß an der toskanischen Küste von den Be-
dingungen, unter welchen sich die Tyrrhener zu einem Seevolke
entwickelten, nur noch der Erzreichtum, teilweise auch die Inseln
geblieben sind; die Golfe und sichern Häfen sind durch riesige
Anschwemmung infolge der Ausrodung der im Altertum das
Schiffsbauholz liefernden Wälder verschwunden, Malaria brütet
über den verödeten Stätten einer altehrwürdigen Kultur3). Der
Reichtum einzelner toskanischer Flüsse an Sinkstoffen ist ein
staunenswerter, der Ombrone führt bei Hochwasser 5 Prozent, in
neuester Zeit 8 Prozent fester Stoffe mit sich. Toskana ist heute
ein vom Meere abgewendetes Land, seine einzige Hafenstadt,
Livorno, ist nur durch Kunst geschaffen und wird nur durch
Kunst erhalten, seine Städte liegen im Innern, die Küstengebiete
sind dünn bevölkert und von geringer Bedeutung.
Größere, geradezu wunderbare Formenschönheit und Regel-
1) A. Cialdi, Sul moto ondoso del mare e su le correnti di esso, spe-
cialmente su quelle littorali. Rom 1866. pag. 447.
2) Cialdi a. a. O. p. 373.
3) Nähere Ausführungen mögen auch hier unterbleiben. Es sei auf
meine Untersuchungen in der Zeitschrift für wissenschaftliche Geographie,
Bd.V, S. 65, und auf E. Reyer, Aus Toscana. Geologisch-technische und
kulturhistorische Studien. Wien 1884. S. 89 fr".: auch H. Nissen, Italische
Landeskunde. Berlin 1883. S. 305ff., und G. vom Rath, Zeitschrift der
Deutschen Geolog. Gesellsch. XXV, S. 118, verwiesen.
Küste der Provence und von Languedoc. 3 I
rnäßigkeit weist dieser Küstentypus in Languedoc1) auf. Dort
schwingt sich die Küste vom Fuß der Pyrenäen bei Collioure in
acht Kreisbogen zum Alpensystem am Kap Couronne; land-
fest gewordene Inseln und die Rhonemündungen bilden die Stütz-
punkte der Kreisbogen. Der schönste derselben ist der zwischen
der Jurakalkinsel von Leucate und dem Inselvulkan von Agde
aufgehängte; derselbe ist von beinahe absoluter Regelmäßigkeit,
wie vielleicht nirgends wieder in der Natur, und mit einem
Radius von 45,75 km beschrieben. Die Öffnung der Bucht2) be-
trägt 53,25 km, die Tiefe 11,85 km. Diese Zahlen kennzeichnen
diesen Flachküstentypus am besten, wenn man sie mit den oben
für den Steilküstentypus von Algerien gegebenen vergleicht:
herrschte dort Zerstörung vor, so hier Aufbau. Die Meerestiefen
sind überall sehr geringe, und die Tiefenlinie von 10 m verläuft
peinlich regelmäßig in einem konzentrischen Kreisbogen in einem
Abstände von 1,35 km. Dort, wo der Mittelpunkt des Kreises
zu suchen ist, wird eben die Tiefe von 100 m erreicht, also in
einem Abstände von 45 km, während in Algerien die ioom-Linie
nur 4 — 5 km entfernt ist. Die Regelmäßigkeit, mit welcher sich
der Meeresgrund senkt, ist so groß, daß die Fischer aus der
Meerestiefe ihre Entfernung von der Küste berechnen, und zwar
auf je 20 m Tiefe einen Küstenabstand von 3 Milles (5,5 km)
annehmen.
Auch diese Küste, wie sie heute ist, ist zum Teil erst in
geschichtlicher Zeit geworden. Die Bewegungen der festen Erd-
rinde, von welcher auch hier das Auftreten vulkanischer Berge
zeugt, hatten hier eine Küste geschaffen, welche an Aufgeschlossen-
heit und reicher Gliederung derjenigen der Provence, welche die
ursprünglichen Verhältnisse besser zu wahren vermocht hat, sehr
ähnlich war. An der Küste der Provence3) fehlten die Be-
dingungen zu größern Veränderungen fast ganz, sie war und ist
1) Vgl. die französischen Küstenkarten Nr. 2358 und 2474 in 1:150000.
Vir haben hier ein gutes Muster einer thalassogenen Schwemmlandküste
vor uns.
2) Gemessen von Kap Leucate nach Kap Agde; der Radius bezieht
sich auf den Bogen von der Grau de la Franqui zur Herault-Mündung. Wie
in bezug auf Toskana beruhen die Ausführungen des Verfassers auch hier
zum Teil auf eigenen Beobachtungen.
3) Vgl. französische Küstenkarten Nr. 2681 und 2682.
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Fule^. 6
82 II, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
ärmer an Inseln, die wenigen vorhandenen sind sehr klein und
erheben sich meist schon aus tieferm Meere und in größerm Ab-
stände von der Küste, die Küste sinkt hier überhaupt rasch zu
großen Meerestiefen hinab, es münden nur wenige kleinere und
sinksto ff ärmere Flüsse, die nur kleinere Teile der tiefer ein-
schneidenden Buchten, wie bei Cannes, Frejus, Tropez, Hyeres,
zu verlanden vermocht haben, es fehlte vor allen Dingen ein großer
sinkstoffreicher Strom wie der Rhone, der etwa bei Nizza mün-
dete, und dessen Sinkstoffe die auch hier vorhandene (zeitweilige)
Küstenströmung hätte westwärts tragen und in den Buchten und
zwischen den Inseln ablagern können. Auch ist der Südost hier
in dem engern Meere schon weniger wirksam. So haben wir
hier einen Steilküstentypus, welcher, rein morphologisch betrachtet,
etwa in der Mitte steht zwischen dem von Algerien und dem am
Archipel vorherrschenden. Mit dem von Algerien hat er die kleinen
halbkreisförmigen Buchten gemeinsam, die hier in gewisser Zahl
auftreten, aber sämtlich durch Neulandbildungen entstanden sind.
Auch das ursprünglich felsige Gestade von Languedoc war
reich an Buchten, weit vorspringenden Vorgebirgen und Inseln.
Ein ganzer Archipel von 12 — 15 Inseln, meist Bruchstücke des
nördlich angrenzenden Jura- und Kreidekalkgebirges der südlichen
Cevennen, erhob sich hier vor der Küste aus seichtem Meere.
Teils sind sie heute ganz verlandet, wie die Montagne de la
Clape, die größte von allen, die durch ihre langgestreckte Gestalt
am meisten die Landbildung gefördert hat, die Gruissan, St-Martin,
Ste-Lucie und Peyriac, teils bilden sie Vorgebirge, wie das von
Leucate und der aus Dolomit und Kalkstein der Juraformation
aufgebaute Felsen von Cette, teils sind sie aber auch noch als
Haffinseln erhalten, wie Aute (alta) und Planasse im Etang de
Bages. Dazu kam noch, abgesehen von einigen kleinern, der
doch wohl ursprünglich insulare Vulkan von Agde mit der vor-
gelagerten vulkanischen Klippe Brescou, der vielleicht vor 2500
bis 3000 Jahren noch tätig gewesen ist. Er ist als der letzte
Ausläufer einer Reihe vulkanischer Durchbrüche, welche über
St. Thibery, Gabian, Caux, Nizas bis Escandolgue de Lodeve und
dem vulkanischen Gebiete des Aveyron, Cantal usw. hinleitet. Ein
inneres Meer breitete sich zwischen und hinter diesen Inseln aus.
Dasselbe wird uns von Avienus (Ora Marittima v. 576 — 584) im
vierten nachchristlichen Jahrhundert, allerdings wohl im Anschluß
Küste von Languedoc. 8 3
an ältere Quellen, sehr anschaulich geschildert. Es war der
Lacus Rubresus, wie ihn Pomponius Mela (II, 5), oder Rubrensis,
wie ihn Plinius (III, 5) nennt, der aber schon damals so seicht
war, daß die Römer Kunstbauten errichten mußten, um mit
Schiffen größten Tiefganges Narbonne noch zu erreichen, das
damals noch dicht an der Audemündung lag. Daß der große
(spatiosus admodum) Rubresus-See schon zu Beginn unserer Zeit-
rechnung nur durch einen oder mehrere enge Kanäle mit dem
Meere verkehrte, also bereits durch eine die äußern Inseln mit-
einander verbindende Nehrung abgeschlossen war, bezeugt aus-
drücklich Pomponius Mela (II, 5). Während aber die Römer-
straße von Ruscino nach Narbo sich an der Landseite des innern
Meeres hielt, geht heute die Eisenbahn von Perpignan nach
Narbonne mitten durch das seitdem an seine Stelle getretene
Schwemmland.
Die Landbildung begann hier von zwei Seiten, von innen
und von außen1); an der innern beteiligte sich am eifrigsten der
Au de, der dort, wo er bei Salleles in die Bucht eintrat, das
Schwemmland sogar um 1 2 m über Meer erhöht hat. Die
alten Denkmäler von Narbonne lassen erkennen, daß dort eine
Schicht von 30 — 40 cm im Jahrhundert aufgeschwemmt worden
ist. In den letzten sieben Jahrhunderten ist zwischen Coursan
und dem Meere eine 14 km lange Ebene geschaffen worden.
Der Fieber erzeugende See von Capestang (Caput stagni), der
durch einen bei Salleles abgeleiteten Kanal mit den Sinkstoffen
des Aude zugeschüttet werden sollte, was aber durch ein Hoch-
wasser des Aude vereitelt wurde, ist die innerste Bucht des ehe-
maligen Binnenmeeres, welche ähnlich dem latmischen Golfe
durch den senkrecht auf die vorgelagerte Insel la Clape ein-
mündenden Aude abgeschnitten wurde. Die eigentümliche Be-
stätigung der hier in geschichtlicher Zeit rasch fortgeschrittenen
Neubildung von Land, welche uns noch heute die Ortsnamen von
Languedoc liefern, hat schon Astruc2) hervorgehoben: alle Orts-
i) Über die Anschwemmungen des Aude gibt recht lehrreichen Auf-
schluß Cons, Privatdozent der Geographie zu Montpellier, im Bulletin de
la Soc. Languedocienne de Geographie, T. V, 1882, p. 161 ff. Vgl. auch
Ch. Lentheric, Les villes mortes du Golfe de Lyon, ßeme ed. Paris 1879,
p. 179 ff.
2) Memoires pour l'histoire naturelle du Languedoc. Paris 1737.
P- 372. ,*
$a II, r. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
namen im Innern sind keltischen, diejenigen an der Küste griechi-
schen oder lateinischen Ursprungs. Das Küstengebiet ist eben
erst später gebildet und bewohnbar geworden. Jedenfalls spielte
der Seewind , der Autan , der zuweilen die Wassermassen staut
und sie zwingt, ihre Sinkstoffe in den See fallen zu lassen, sowie
namentlich von November bis April der vorherrschende SO bei
der Verlandung eine Rolle. Weit wichtiger aber ist die Küsten-
strömung, welche von außen Dünenwälle vor den Lücken zwischen
den Inseln aufbaute, durch welche sich die Flüsse eine Mündung
offenhalten mußten. Die Küste von Languedoc wird nämlich
durch eine der Küste von der Rhonemündung gegen die Pyrenäen
hin folgende Küstenströmung gekennzeichnet, welche die vom
Rhone und den weiter westwärts mündenden Flüssen ins Meer
geführten Sinkstoffe nach Westen trägt und an der Küste entlang
ablagert, also zunächst vorzugsweise an den Eingängen in das
ehemalige ruhige innere Meer. Doch ist festzuhalten, daß diese
Küstenströmung, wie diejenige an der Westseite Italiens, nur eine
zeitweilige ist, hervorgerufen durch die in diesem Meere vor-
herrschenden SO -Winde; an 85 Tagen des Jahres hat man an
dieser Küste im Mittel O und SO, und davon an 23 Tagen
schwere See, während nur an 17 Tagen SW herrscht, der hier
nie schwere See hervorruft. Es vermag diese Strömung eine Ge-
schwindigkeit von 5,5 bis 7,5 km in der Stunde zu erreichen.
Die vorherrschende Windrichtung und die heftigen Südoststürme
wirken nun auch insofern bei der Verteilung und Ablagerung der
Sinkstoffe mit, als sie auf dem seichten Grunde Sand und
Schlamm aufregen und gegen die Küste drängen, wo sie die,
wie man aus der Verteilung der Sinkstoffe schließen muß, sehr
schmale, vielleicht nur 4 km breite Küstenströmung, bzw. die
Küstenversetzung weiter nach Westen trägt, in der Weise, daß,
wie in einem Flusse jedes Hochwasser die schweren Rollstücke,
sie verkleinernd, ein Stück weiter stromab trägt, die durch jeden
Sturm hervorgerufene oder verstärkte Küstenströmung die Massen,
die beim Erlahmen ihrer Kraft zu Boden gesunken waren, wenig-
stens die etwas schwerern Teile wieder aufhebt und ein Stück
weiter trägt. Eine von Elie de Beaumont und Dufresnoy vor-
genommene Untersuchung der Sandproben, welche westlich von
der Rhonemündung und bei Cette entnommen worden waren,
ergab, daß dieselben von der Zerstörung ein und derselben
Küste von Languedoc.
85
Felsart herstammen müssen, nämlich des Granits, und daß sie
daher nur auf den Rhone bzw. Durance zurückzuführen sind.
Das gleiche Ergebnis liefern zahlreiche Beobachtungen, nach
welchen im Hafen von Cette Baumstämme und andere schwim-
mende Gegenstände angetrieben wurden, welche nur von einer
Überschwemmung des Rhone herstammen konnten x). Durch die
Küstenströmung unter Mitwirkung des Südost vom Rhone herbei-
geführte Sinkstoffe sind es also, welche den Hafen von Cette
versanden, aus welchem man jährlich bis 1 00000 cbm Sand und
Schlamm ausbaggern muß, und welche nach Bourguignon-Duperre
den ganzen Strand zwischen den Rhonemündungen und Cette
geschaffen haben. Weiter nach Westen mögen dann die Sink-
stoffe des Herault und der andern Küstenflüsse überwiegen. Die
roten Tone des Herault finden sich noch an der Mündung des
Orb, und die Quarzsande des Aude gehen bis zur Grau de Grazel
(gradellus). Die Wirkung der Strömung und des Windes erkennt
man auch darin, daß keiner der Küstenflüsse seine Mündung
vorzuschieben und eine größere Kurve in zwei kleinere zu zer-
legen vermag, selbst wenn er sehr reich an Sinkstoffen ist und
bereits den ihm benachbarten Teil des innern Meeres zugeschüttet
hat. Die Abweichung, welche Tet und Tech von der Regel-
mäßigkeit der großen flachen Kurve von Kap Leucate zu den
Pyrenäen verursacht haben, ist außerordentlich gering. Die Strö-
mung verteilt eben die Sinkstoffe längs der Küste. In der engen
Einfahrt von la Nouvelle muß man jährlich 45000 cbm Schlamm
ausbaggern, ohne eine größere Tiefe als 2 m erreichen zu können.
Gegen das Vorhandensein einer beständigen westlichen Strömung
spricht namentlich auch, daß man bei ruhigem Wetter das trübe
Wasser des Rhone sich nach allen Seiten ausbreiten sieht, ost-
wärts bis gegen Kap Couronne hin. Mag nun diese Schicht
auch von geringer Mächtigkeit sein, so daß darunter doch eine
westliche Strömung vorhanden sein könnte, so widersprechen dem
doch die Fischer, die doch mit ihren Netzen die sichersten Be-
obachtungen machen können, aufs entschiedenste, indem sie nur
einen Wechsel der Strömung mit dem Winde zugestehen. Der
Hydrograph Germain leugnet daher an der Küste von Languedoc
wie der Provence jede beständige Westströmung2). Der Selten-
]) Recherches, Heft I, p. 6. 1) Recherches, HeftV, p. 25.
86 II, i. Zur Entwicklungsgeschichte der Küsten des Mittelmeeres.
heit und Schwäche der Südwestwinde an dieser Küste entspricht
es aber, daß die Sinkstoffe des Rhone, trotz der nach SO ge-
richteten Hauptmündung, sich nicht nach Osten verbreiten und
am Eingang in den Hafen von Bouc nicht mehr nachweisbar
sind, obwohl die Zuschüttung der Bucht von Fos eben durch das
Vorrücken der Rhonemündung rasche Fortschritte macht1).
Die Küstenströmung und der Südost haben, die vorgelagerten
Inseln als Stützpunkte benutzend, rascher das innere Meer durch
einen vorgelagerten Dünensaum abgesperrt, als die in dasselbe
mündenden Flüsse es zuzuschütten vermochten, es sind daher
noch zahlreiche und ausgedehnte Reste desselben in den Etangs
vorhanden. Küstenströmung, Küstenversetzung, Wellenbewegung
und Südost haben also die schönen Kurven geschaffen, in welchen
sich hier die Küste von Vorgebirge zu Vorgebirge schwingt. Man
kann hier in bezug auf Verkehr und Ansiedelung von einer dop-
pelten Küste sprechen, einer äußern und einer innern. Jeden-
falls hat sich der Wert dieser Küste selbst in geschichtlicher Zeit
in dieser letztern Hinsicht ganz gewaltig geändert. Noch in ge-
schichtlicher Zeit war dieselbe der Sitz eines lebhaften Seeverkehrs,
Languedoc ein dem Meere zugekehrtes Land. Die Gründung
von Narbonne ist gewiß in sehr frühe Zeit zurückzuverlegen,
wenn auch nicht notwendig bis ins n. oder gar 13. Jahrhundert
v. Chr., wie Cons will. Jedenfalls war es eine bedeutende See-
stadt, als es sich den Römern anschloß ; die größten Schiffe ge-
langten noch in ihren Hafen. Strabon (IV, 1) nennt es (wohl
mit Übertreibung gegenüber Marseille) wegen seines wichtigen
Handels den Hafen von ganz Galizien. So war es auch noch
im Mittelalter, wenn auch der Zugang schon künstlich offen-
gehalten werden mußte. Im 14. Jahrhundert begann infolge der
Laufänderung des Aude und der fortschreitenden Verlandung
der rasche Verfall. Ähnlich ist auch Montpellier, das im Mittel-
alter einen sehr bedeutenden Seeverkehr unterhielt, heute völlig
zur Landstadt geworden. Ähnliches gilt von Eine (Illiberis),
Castel Rousillon (Ruscino), Beziers (Biterrae), Agde, Aigues mortes,
1) Ch. Lentheric, La Grece et l'Orient en Provence, 2eme ed. Paris
1878, p. 312. Lentheric nimmt in einem andern Werke, Les villes mortes
du Golfe de Lyon, 3eme ed. Paris 1879, p. 251, weiter nach Westen, zwischen
Port Vendres und Leucate, eine von S nach N gerichtete Strömung an, aber
ohne Belege dafür beizubringen.
Küste von Languedoc. 3y
St. Gilles und Arles. Die Schaffung des Kunsthafens von Cette
im Jahre 1666, der nur unter großer Mühe und Kosten offen zu
erhalten ist und heute das einzige Seetor der fruchtbaren Küsten-
landschaft bildet, mag allerdings wohl mit zur völligen Verödung
aller übrigen Seeplätze beigetragen haben. Die Schaffung eines
solchen Hafens an der äußern Küste war aber notwendig ge-
worden, weil die innern sämtlich unbrauchbar geworden waren.
Schon Richelieu hatte 1632 den Versuch gemacht, am Kap Agde
einen Hafen zu bauen. Auch hier wird das Leben ins Innere
zurückgedrängt, die ganze Küstenzone ist von Fiebern heimge-
sucht, die Kindersterblichkeit ist eine ungeheure, und während
das mittlere Lebensalter für ganz Frankreich 35,75 Jahre be-
trägt, sinkt es hier auf 20, ja 15 Jahre herab1). Languedoc ist
heute ein dem Meere verschlossenes, nicht Seehandel, sondern
Landbau treibendes Land. Die Seichtigkeit des Meeres, die
heftige Brandung, die Hafenlosigkeit macht den trostlos öden,
sandigen Strand von Languedoc zum gefährlichsten des Mittel-
meeres. Man rechnet im Jahresmittel in der Nähe von Cette
auf je 8 km Küstenlänge ein verlorenes Schiff, bei Agde und
Aigues mortes sogar auf ^,^ — 3,6 km eines. So erweist sich
auch dieser Küstentypus als dem Verkehr feindlich, vielleicht
ebenso feindlich wie die geschlossene Flachküste. Aber, wir be-
tonen es noch einmal, er ist mit all seinen Eigentümlichkeiten,
seinen harmonisch geschwungenen Kreisbogen sowohl, wie seiner
tödlichen Einförmigkeit und Unbelebtheit, sozusagen erst gestern
entstanden.
Vielleicht läßt sich nun aus den hier vorgelegten Unter-
suchungen der Satz ableiten, daß überall da, wo das Meer durch
Brandungswellen und Strömungen überwiegenden Einfluß auf die
Gestaltung und Entwickelung der Küsten, seien es Steilküsten
oder Flachküsten, ausübt, die Küstenlinie die Form aneinander-
gereihter Kreisbogen annimmt, an Steilküsten mit kleinem, an
Flachküsten mit großem Radius, während da, wo die Küsten
andre Umrisse aufweisen, die Mitwirkung des Meeres bei ihrer
Ausgestaltung zwar durchaus nicht ausgeschlossen ist, aber doch
andre Verhältnisse, in erster Linie die tektonischen Niveauver-
änderungen und Bewegungen der festen Erdkruste einflußreicher
sind oder bis vor kurzem waren.
1) Bulletin de la Soc. Languedocicnne, V, p. 558.
II, 2. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
2. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.1)
Meine Reise durch die mittlem und östlichen Atlasländer,
die ich, in Erfüllung eines seit Jahren gehegten Wunsches, im
Frühjahre 1886 ausführte, hatte im wesentlichen den Zweck, eine
der letzten Lücken meiner auf Selbstsehen beruhenden Kenntnis
der Mittelmeerländer auszufüllen. Doch lag es von vornherein
in meinem Plane, einen möglichst großen Teil meiner für ein-
gehendere Forschungen viel zu knapp bemessenen Zeit und Mittel
auf Küstenstudien zu verwenden. Meine Beobachtungen und
Forschungen an den Küsten der Mittelmeerländer seit 1872, später
durch solche in Niederdeutschland und Skandinavien ergänzt,
hatten mir von Jahr zu Jahr mehr zum Bewußtsein gebracht, wie
dürftig unsre Kenntnis, wie lückenhaft der Schatz beobachteter Tat-
sachen ist, wo es sich um die Gestaltung der Meeresküsten handelt,
um die Vorgänge und Kräfte, welche dabei wirksam sind. Na-
mentlich war mir aufgefallen, daß die Brandungswelle in ihrer
Bedeutung als in hervorragender Weise küstengestaltende Kraft
bisher kaum hinreichend gewürdigt worden war. Ich hatte ver-
sucht, die Aufschließung der Küste von Algerien durch mehr oder
weniger halbkreisförmige Buchten als Wirkung dieser Kraft hin-
zustellen (vgl. die vorhergehende Abhandlung von 1885), und
so galt es in erster Linie, zu untersuchen, ob diese am Schreib-
tisch gewonnenen Anschauungen die Beobachtung an Ort und
Stelle bestätigen würde.
Die im ganzen nur neun Wochen umfassende Reise, die es
mir hoffentlich durch eine zweite, an Zeit und Mitteln weniger
beschränkte zu ergänzen gelingt, begann zunächst mit einem
längern Aufenthalt in Algier, von wo aus Untersuchungen in der
näheren und ferneren Umgebung, westwärts bis Tipaza, nach dem
Innern bis Medeah vorgenommen und zugleich die Forschungen
einheimischer Gelehrter eingesehen wurden. In Algier hatte ich
auch die große Freude, unsern trefflichen Julius Fröbel, Karl Ritters
Zeitgenossen und wissenschaftlichen Gegner, kennen zu lernen, der,
vielleicht von den meisten Fachgenossen für tot gehalten, dort trotz
*) Zuerst erschienen in Petermanns Mitteilungen Jahrg. 1887 unter Bei-
gabe einer Kartenskizze und Profile.
Süd -Tunesien.
89
seiner einundachtzig Jahre noch körperlich und geistig frisch als
Konsul des Deutschen Reiches wirkt. Er hat mir einzelne wert-
volle allgemeine Winke zuteil werden lassen. Von Algier aus
bereiste ich die Küste ostwärts bis Bona und kreuzte dann von
Bona aus Teil und Hochland über Constantine und Batna, von
wo ich einen Ausflug in die gegen Ende März noch mit Schnee
bedeckten Zedernwälder des Aures unternahm, bis Biskra, also
bis in die algerische Sahara. Von Biskra kehrte ich nach Con-
stantine zurück und durchschnitt von da, zum großen Teil zu
Pferde, nochmals das Hochland in diagonaler Richtung über
Tebessa, Feriana und Gafsa, also durch das tunesische Beled-
el-Djerid, und das Schottgebiet nach Gabes. Die sehr selten
von deutschen Reisenden, soviel mir bekannt, nur teilweise von
H. v. Maltzan bereiste Strecke Tebessa — Gabes war,1) da ich
ohne eignes Zelt und auch sonst nur mangelhaft ausgerüstet, nur
mit einem Führer, einem Stadtaraber aus Tebessa, reiste, wegen
der großen Entfernung der Brunnen und Oasen nicht ohne
Schwierigkeiten und Entbehrungen. Ich lernte dabei die diese
Gegenden kennzeichnenden auffälligen Wärmeschwankungen, die
heißen Tage und bitterkalten Nächte aus eigner Erfahrung kennen.
Im Hochbecken von Fussana, 35 ° n. Br., 800 m Meereshöhe,
stand am 1. April das Thermometer unter dem vorn offenen
Zelte eines Araberscheikhs vom Stamme der Freschisch, der mich
gastlich aufgenommen hatte, um 6 Uhr morgens auf Null, während
es am Nachmittag des Tages vorher bis auf 30 ° C gestiegen war.
Eine andre Nacht, die ich im Schottgebiet mittewegs Gafsa bis
Gabes am Brunnen Mehamla im Freien verbringen mußte, war
zum Glück von diesen Gegensätzen frei, da bei 34 ° n. Br. und
fast im Meeresniveau der Himmel mit Wolken bedeckt war und
sogar einen Teil derselben, dem Reisenden weniger erfreulich,
in einem tüchtigen Regengusse dem Sande der Wüste zukommen
ließ. Auch war zu sonstigen Besorgnissen, die vor kurzem in
Südtunesien, wie die zahlreichen zum Andenken Erschlagener,
namentlich in der Nähe der Brunnen errichteten Steinhaufen
zeigen, gehegt werden mußten, kein Anlaß, da einerseits die
Franzosen den landesüblichen Räubereien so ziemlich ein Ende
i) Dieser Teil der Reise ist eingehend dargestellt in Mittelmeerbilder Bd. I,
S. 301.
go II, i. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
gemacht haben, anderseits ich mich auch einer kleinen an dem
Brunnen rastenden Karawane anschließen konnte. Die auf dieser
Linie erlangte Vertrautheit mit der Steppe und Wüste, mit dem
Leben der Nomaden, mit einem Scirocco, der früher in Sizilien
beobachtete Sciroccostürme weit in den Schatten stellte, sowie eine
zweitägige, an neuen Eindrücken und Beobachtungen reiche Rast
in der herrlichen Oase Gafsa wog natürlich die unangenehmen
Zugaben vielfach auf. Wie ich in Algerien von französischen
Gelehrten die liebenswürdigste Aufnahme und Förderung meiner
Studien gefunden hatte, so leistete mir in Südtunesien ein offner
Brief der tunesischen Regierung sehr wesentliche Dienste. Ich
fand nachher Gelegenheit, in Tunis dem Herrscher des Landes
meinen Dank auszusprechen und hatte dabei auch die Freude,
zu sehen, daß unser dem Vaterlande und der Wissenschaft allzu
früh entrissener Nachtigal dort noch im allerbesten Andenken
steht. Dankbar gedachte der Bei seines tatkräftigen Eingreifens
als Arzt bei Gelegenheit eines Eisenbahnunfalls im Juli 1880 bei
La Marsa, wo der Bei, damals noch Prinz, leicht, und der Sohn
des damaligen Bei schwer verletzt worden war. Nachtigal war
zufällig auch im Zuge und unverletzt gewesen.
Von Gabes aus bereiste ich die ganze Ostküste von Tunesien
bis Tunis und verwandte dann die letzten zehn Tage auf afrika-
nischem Boden fast ganz zur Erforschung des Medscherda-Deltas.
Die Rückreise nahm ich über Cagliari, Sizilien, wo ich einige
vor zehn und zwölf Jahren besuchte Punkte bezüglich der seitdem
eingetretenen Veränderungen prüfen konnte, und durch Italien.
Die Reise hatte, wie schon die weiten, mit zum Teil sehr un-
vollkommenen Beförderungsmitteln zurückgelegten Strecken zeigen,
der Hauptsache nach die Aufgabe, meine aus Bücher- und Karten-
studien erlangte Kenntnis dieser Länder durch Selbstsehen zu
vertiefen und zu ergänzen. Dieses Ziel ist erreicht worden. Ein-
gehendere wissenschaftliche Forschungen waren nur an einzelnen
Punkten geplant. Die auf der Reise gemachten Beobachtungen
werden der Hauptsache nach erst bei einer späteren Veröffent-
lichung verwertet werden, für jetzt und an dieser Stelle sollen
nur die Küstenstudien zur Mitteilung gelangen, da es sich hier-
bei um anscheinend jetzt mehr und mehr in den Vordergrund
tretende Fragen handelt. Daß dies geschieht, dazu wird wohl
das vor kurzem erschienene Werk Ferdinands v. Richthofen
Die Küste von Algerien. q j
wesentlich beitragen, das unter dem bescheidenen Titel eines
, .Führers für Forschungsreisende" einerseits, namentlich in me-
thodischer Hinsicht, einen bedeutenden Schritt vorwärts für unsre
Wissenschaft bezeichnet, anderseits weitere Fortschritte anbahnt
und der Forschung die Wege weist. Aus keinem Werke wird
man wie aus diesem die Fülle der Aufgaben, welche der geo-
graphischen Wissenschaft noch gestellt sind, das jugendfrische
Aufstreben und die weite Zukunft, die sich ihr noch öffnet, so
klar erfassen. Mit ganz besonderer Vorliebe auf Grund um-
fassender eigner Beobachtungen, vielfach neue Gesichtspunkte
einführend, scheinen in dem Werke die Küsten behandelt zu
sein. Dasselbe kam mir durch die Güte des Verfassers wenige
Tage vor meiner Abreise zu und bildete wohl das wertvollste
Stück meiner Ausrüstung. Ich bin somit wohl der erste Geograph,
der an der Hand dieses Führers gewandelt ist, und ich muß
dankbar anerkennen, daß ich durch ihn in der Übung des Sehens,
des Lesens in dem großen, allezeit aufgeschlagenen Hauptbuche
des Geographen, der Natur, wesentlich gefördert worden bin.
Gerade die Küsten von Algerien sind ja vorzugsweise geeignet,
um Richthofens Theorie über die Entstehung der Abrasionsflächen
zu prüfen, denn dort geht tatsächlich die Bildung einer solchen
vor sich. Auf diesen Vorgang, auf die große Bedeutung, welche
die Bildung von Abrasionsfiächen und übergreifender Schichten
bei positiver Strandlinienverschiebung für die Entwicklung und
das Verständnis der Oberflächenformen und die Umrisse des
Festen hat, hingewiesen zu haben, ist ja eins der großen und
zahlreichen Verdienste Ferdinands v. Richthofen um die geo-
graphische Wissenschaft.
Es war mir also vergönnt, eine Reihe von Küstenpunkten zu
besuchen und dort zu prüfen, ob die von mir ein volles Jahr
vorher ausgesprochenen Ansichten über die die Gliederung der
Küste von Algerien bewirkenden Vorgänge einer Prüfung stand-
hielten. Es ist dies in der Tat der Fall gewesen, es ist mir
möglich gewesen, einen reichlichen Tatsachenschatz, der noch
lauter für den großen Einfluß der Brandungswelle auf die Ent-
wicklung der Küstenformen Algeriens spricht, beizubringen. Die
hier niedergelegten eignen Beobachtungen sind daher zum großen
Teil nur weitere Ausführungen der früher am Schreibtisch ge-
machten Forschungen ; sie liefern an bestimmten Punkten ge-
02 II, 2. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
wonnene Beweise für die küstengestaltende Kraft der Bran-
dungswelle.
Ich war zunächst bemüht, zur weitern Begründung des früher
dargelegten Einflusses der an der Küste von Algerien herrschenden
Winde auf Hervorrufung einer besonders zerstörungskräftigen
Brandungswelle Beobachtungen über Windrichtung und Windstärke
zu sammeln. Solche sind von Herrn O. Mac Carthy, wohl dem
besten Kenner der physischen Geographie von Algerien, seit
einigen Jahren angestellt worden, und wurden mir von demselben
die Jahrgänge 1883 (von April an) bis 1885 zur Verfügung ge-
stellt. Es ergibt sich daraus, daß die Windstärke zwischen den
extremen Monatsmitteln der Beobachtungsreihe von 1,2 und 2
schwankt1). Aber es treten dabei die gar nicht so seltenen
Stürme nicht genügend hervor, während anderseits sich die sehr
wichtige Tatsache klar herausstellt, daß NO die vorherrschende
Windrichtung ist, und daß in den Sommermonaten, wo sie fast
allein herrscht, auch die Windstärke weit bedeutender ist als im
Winter. In den sechs Monaten Mai bis Oktober überwiegen
Winde des ersten Quadranten, meist NO, vor solchen aller drei
übrigen Quadranten zusammengenommen, unter denen aber Nord-
west noch ziemlich häufig ist, während in den übrigen sechs
Monaten Winde des ersten Quadranten und besonders Nordost
durchaus nicht selten sind. Wir haben demnach hier ganz auf-
fällig häufiges Wehen der Winde gegen die Küste hin und es
werden also die Küsten Algeriens von einer zwar nicht allzuoft
zu ganz besonderer Heftigkeit aufgeregten, aber fast ununter-
brochen kräftig wirkenden Brandungswelle angegriffen. Anderseits
hatte ich als willkommene Ergänzung dieser Beobachtungen Ge-
legenheit, an den Hafendämmen von Algier und Philippeville
— in Oran ist es ähnlich gewesen — die ganz frischen Spuren
der gewaltigen Kraft zu sehen, mit welcher die Wogen hier bei
Nord- und Nordoststürmen die Küste angreifen. Drei Wochen
vor meiner Ankunft, am 9. Februar, hatte nämlich an dieser
Küste ein Sturm gewütet, der zu den furchtbarsten gehört, die
man hier beobachtet hat. Ich konnte mir zwei große Photo-
graphien verschaffen, welche den Hafen und die Küste bei Algier
I) Zur Beurteilung der gewählten Skala diene, daß die Stärke der hef-
tigsten in die Beobachtungszeit fallenden Stürme mit 3 angegeben wird.
Stürme an der Küste von Algerien.
93
während des Sturmes darstellen, ein grauenhaft großartiges Schau-
spiel. Turmhoch wurden die Wellen über die Häuser und über
den Hafendamm gepeitscht, und die zahlreich im Hafen ver-
ankerten Schiffe schwebten lange Zeit in der größten Gefahr.
Der Hafendamm hat schwer gelitten und sich an verschiedenen
Stellen gesenkt. Man meint das nunmehr besonders der Eigen-
tümlichkeit zuschreiben zu sollen, daß man unten in demselben
Öffnungen gelassen hat, weil man glaubte, dadurch den Stoß zu
vermindern, während anscheinend der Brandungswelle damit erst
recht Angriffspunkte geschaffen sind. Ähnlich war es in Philippe-
ville. In Oran war der Schade noch weit größer. Während der
fünfzehn Tage, welche ich der Küste von Algerien von Kap
Chenoua bis Bona im März gewidmet habe, waren nur drei der-
artig, daß es möglich gewesen wäre, im Boot Untersuchungen zu
machen, und zwar in Bona. Diese habe ich zum Teil auch
dazu benutzt, während der übrigen Zeit war, wie gewöhnlich, die
Brandung so stark, daß es geradezu unmöglich war, im Boot
Forschungen, wie ich sie namentlich gern bei Tipaza angestellt
hätte, zu machen. Das kennzeichnet diese Küste.
i. Die Abrasionsküste bei Tipaza.
Es ist mir gelungen, den sichern Nachweis zu führen, daß
an einer ganzen Reihe von Punkten die Küste von Algerien seit
dem Beginn des Mittelalters unter dem Andrang der Brandungs-
welle sehr bedeutend zurückgewichen ist, an zwei Punkten, daß
sie auch heute noch rasch zurückweicht. Am augenfälligsten ist
dies an der schon bei meinen früheren Untersuchungen in Be-
tracht gezogenen flachen Bucht von Tipaza, westlich von Algier.
Daß diese Bucht lediglich ein Werk der Brandungswelle ist,
darüber kann jetzt kein Zweifel mehr bestehen. Sie wird be-
grenzt im Westen von dem aus sehr hartem, kompaktem Nummu-
litenkalk bestehenden massigen Vorgebirge Chenoua, an welchem
dieselben, und zwar genau am Kap Chenoua, marmorartig auf-
tretend als Marmor ausgebeutet werden. Es springt dies sich
bis 907 m erhebende Vorgebirge mehr als 5 km gegen die Bucht
vor und steigt in steilen, 200 bis 300 m hohen Hängen vom
Meere auf; liegt doch selbst jener höchste Punkt nur 3000 m von
der Küste. Die Stirnseite des jahraus jahrein von der Brandung
umtobten Vorgebirges ist in wunderbarer Weise von kleinen
04 II, 2. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
felsigen Buchten zerrissen, von Blöcken, Klippen und Inselchen
umlagert, an der Ostseite ist die Felswand von den Grotten des
Nador durchbohrt. An diesen felsigen Strand schließt sich etwa
bis zur Tiefe von 40 m und einem Küstenabstande von nur 1000 m
ein Saum von sandigen Ablagerungen, dann folgt schon Schlamm,
hier und da jedoch noch Ablagerungen von Muscheln. Ein Quer-
schnitt würde von dem noch zu besprechenden, für Pointe Pescade
gegebenen, nur wenig abweichen. Die Grenze zwischen Vor-
gebirge und Bucht fällt aufs genaueste mit der Grenze der festen
Nummulitenkalke und der leicht zerstörbaren miocänen Kalksteine
von Tipaza zusammen.
Die östliche Begrenzung der Bucht wird gebildet von dem
Massiv von Algier, einer sich nach S sanft abflachenden, nach
N und O steil zum Meere abfallenden Felsmasse, die an ihrer
Stirnseite abwechselnd Granite, Gneiße, Glimmerschiefer, Talk-
schiefer und dunkelblaue Kalkschiefer hervortreten läßt. Das
geschichtlich berühmt gewordene Kap Sidi Ferruch, der westliche
Vorsprung des Massivs von Algier, besteht auch aus faserigem
Granit und Glimmerschiefer. Auch dieses im Bouzarea, 2 km
vom Meeresufer, 407 m erreichende Vorgebirge kehrt seine breite,
hohe Stirn dem Meere zu und ist dort, ähnlich, wenn auch
weniger reich wie das von Chenoua, von Blöcken, Klippen und
Inseln umlagert; auch hier finden sich in den dunkeln Kalkfelsen
in etwa 30 m Höhe Grotten am Kap Caxine und der Pointe
Pescade selbst, von welchen die letztere als eine Wohnstätte des
Menschen der Steinzeit erwiesen worden ist, der hier am heutigen
Ufer des Meeres nur von Landtieren lebte, die zum großen Teil
heute noch im Innern des Landes vorkommen. An den schmalen
Saum der Felsblöcke, Klippen und Inseln, der Arbeitsstätte der
Brandungswelle, über welche das Land meist in Steilabstürzen
von 10 m Höhe und mehr ansteigt, schließt sich seewärts auf
eine Entfernung von 1 — 1 x/2 km vom Ufer und bis zu einer Tiefe
von 40 — 50 m ein Gürtel an, welcher vorwiegend aus Sand, hier
und da auch aus Kies, Korallen und Korallenbruchstücken,
Muscheln und Muschelresten, seltener aus anstehendem Fels be-
steht. Dann folgen bis in die größten Tiefen Schlammablagerungen.
Die dem Strande vorgelagerte flachgeböschte unterseeische (Abra-
sions-) Terrasse hat hier nur eine Breite von ca. 2 km, bei 100 m
Tiefe beginnt der Steilabsturz, so daß in einer Entfernung von
Der Sahel von Tipaza. q e
nur ioooom vor Pointe Pescade sich Tiefen von 2100m finden.
Am Vorgebirge Chenoua sind, wohl entsprechend dem etwas
weniger widerstandsfähigen Gesteine, die entsprechenden Gürtel
breiter, bis zu 100 m Tiefe finden sich Kies und Muscheln, dann
aber, in einem Küstenabstande von 3000 bis 4000 m, also etwa
doppelt so groß wie vor dem Massiv von Algier, beginnen Schlamm-
ablagerungen und der unterseeische Steilabsturz.
Zwischen beiden Vorgebirgen weist nun die im allgemeinen
hier ONO streichende Küste, landeinwärts zurückweichend, wesent-
lich andere Formen auf. Sie wird hier von einem tafelland-
artigen Höhenrücken begleitet, welcher die orographische Ver-
bindung zwischen dem Chenoua und dem Massiv von Algier
bildet und wie ein Damm die westliche Mitidja vor einem Ein-
bruch des Meeres schützt. Er ist ein wesentliches Glied der
sogenannten Küstenkette, das man, ähnlich wie man das Massiv
von Algier in engerm Sinne auch Sahel von Algier nennt, Sahel
von Tipaza nennen könnte. Ich möchte jedoch im Gegensatz
zu der noch immer wiederkehrenden, aber völlig irrigen Dar-
stellung einer am Kap Ghir beginnenden und am Kap Bon
endenden Kette auch hier darauf hinweisen, daß von Ketten in
dem Sinne wie im marokkanischen Atlas in Algerien nicht ge-
sprochen werden kann, noch weniger von sich an jene unmittelbar
anschließenden Ketten. Wir haben es hier mit einer Massen-
anschwellung zu tun, einer muldenförmigen Hochfläche, deren
etwas erhöhte Ränder ihre reiche Gliederung, die Herausbildung
einzelner kürzerer Bergketten, Berggruppen und Massivs, fast aus-
schließlich atmosphärischen Agentien verdanken. Diese schon
früher gebildeten, an Ort und Stelle aber noch mehr befestigten
Anschauungen erwiesen sich beim Gedankenaustausch über diese
Frage als völlig übereinstimmend mit denjenigen O. Mac Carthys
in Algier, der dieselben schon 1881 klar und entschieden in einem
der damals in Algier tagenden Versammlung der französischen
Naturwissenschaftlichen Gesellschaft vorgelegten Schriftchen (G60-
graphie physique de l'Algerie) ausgesprochen hatte.1) Die Erosions-
I) In solcher Schärfe läßt sich diese Ansicht, selbst rein orographisch.
wie sie gemeint ist, nicht mehr aufrecht erhalten. Die zahlreichen kurzen
Ketten, welche den Teil- wie den Sahara-Atlas bilden und sich aneinander,
z. T. kulissenarüg voreinander schieben, sind in erster Linie tektonisch be-
gründet.
q6 II, 2. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
kraft des fließenden Wassers war und ist hier bei der Steilheit
des Absturzes der Hochfläche zum Meere, bei dem geologischen
Bau derselben und vor allem dem Klima, in welchem lange
Perioden trockner Hitze mit gewaltigen plötzlichen Güssen und
Perioden solcher wechseln, eine ganz außerordentliche. Wie die
Ansicht, daß die Trockenbetten der Sahara durch auch jetzt noch,
wenn auch selten eintretende Wasserfluten geschaffen seien, vieles
für sich hat, so haben auch im Teil der Atlasländer erst die
Flüsse den Rand der Hochflächen gegliedert, die Täler und die
sie fast ausnahmslos kennzeichnenden, zum Teil großartigen
Durchbruchschluchten, die großartigste die seit 1873 zugänglich
gemachte Chabet-el-Akra, die Schlucht des in den Golf von
Bougie mündenden Wed Agriun, geschaffen. Ungeheure Massen
sind so in frühquartärer Zeit dem Gebirge am Südrande der
Mitidja entrissen und bilden als gerollte Kiesel den Untergrund der
ausgedehnten Ebene. Die durch den Gegensatz des Luftdrucks über
Mittelmeer und Wüste hervorgerufenen Luftströmungen entladen
eben ihre Wassermassen an dem beide voneinander trennenden
Walle und rufen noch heute ein riesiges Anschwellen der Flüsse
hervor, so daß zu derselben Zeit, wo die gegen die Küste heran-
brausenden Stürme das feste Land in wagrechter Richtung an-
greifen, diesem auch in senkrechter wohl noch erfolgreichere
Angriffe gelten. Dieselben Stürme des Februar hatten in Algerien,
namentlich gegen Osten hin, und in Tunesien furchtbare Ver-
heerungen durch Wasserfluten angerichtet, alle Eisenbahnlinien
der Provinz Constantine und Nordtunesiens waren an vielen
Punkten wochen-, zum Teil monatelang unterbrochen. Doch
wurde sehr glaubwürdig versichert, daß dies zum Teil an dem
leichtfertigen Baue derselben liege, der von der Regierung selbst
in dieser Weise, ohne Rücksicht auf die häufigen Hochwasser
betrieben worden sei, damit man endlich einmal dem Drängen
der öffentlichen Meinung etwas bieten könne. Jedenfalls aber
konnte man im Tal der Seybouse nach fast 1 a/2 Monaten noch
allenthalben die Verheerungen des Flusses erkennen, dessen
Wasserstand 6 — 10 m über dem damaligen, noch immer weit
übernormalen gewesen war. Wie große Massen von festen Stoffen
die Flüsse bei Hochwasser mit sich führen, ergaben die Messungen,
welche am Cheliff bei dem Hochwasser vom 16. Dezember 1877
an dem Staudamme von Orleansville vorgenommen wurden. Während
Die Brandungsbuchtküste bei Tipaza. qj
der Fluß im Winter im Mittel 50 — 60 cbm Wasser in der Sekunde
wälzt, führte er damals 1448 cbm, die so reich an festen Stoffen
waren, daß er deren in 24 Stunden 3777 894 Tonnen dem Meere
zuführte, geeignet, eine Fläche von 3 qkm fast um 1 m zu er-
höhen1). Diese eine Hochflut also hätte das Delta des Cheliff
um 1 m zu erhöhen vermocht. Wenn daher dieser größte Fluß
Algeriens nur ein derartiges Delta-Embryo zu schaffen vermocht
hat, so prägt sich darin die Bedeutung der früher hinreichend
gekennzeichneten Küstenströmung aus.
Der Sahel von Tipaza besteht aus ein sanftes Gewölbe bil-
denden, fast wagerecht liegenden, nur sehr wenig nach N ge-
neigten, in mächtigen Bänken auftretenden, miocänen, grobkör-
nigen Kalksteinen mit Zwischenlagern roter Tone; ostwärts von
dem Dorfe Berard treten pliocäne mit Sand untermischte Kalk-
steine, namentlich an der Küste entlang auf. Beide haben ge-
ringe Festigkeit. Das Gebirge hat den Charakter eines schmalen.
Tafellandes, eines Tafelrückengebirges, das im Winter von zahl-
reichen kleinen Teichen, die im Frühjahr verdunsten, bedeckt
ist, sich steil nach innen zur Mitidja, etwas sanfter nach außen
zum Meere senkt. Man wird es wohl als ein Horstgebirge ansehen
können. Die Wasserscheide gegen die Mitidja, die hier 50 — 60 m
über dem Meere und an der schmälsten Stelle des Rückens nur
2800 m von demselben entfernt liegt, ist meist nur 800 — 1200 m
von der Ebene entfernt. Die mittlere Höhe des Sahel von Tipaza
mag 200 m betragen, zahlreiche Gießbäche eilen dem Meere zu,
wirklich durchbrochen ist das Gebirge aber nur im O vom
Mazafran in einem engen, steilhängigen Tale, dessen Sohle da,
wo der Fluß aus der Mitidja in dasselbe eintritt, nur mehr 14 m
Höhe hat, im W vom Nador, der nahe bei Tipaza mündet, und
dessen breites Tal einen bequemen Zugang zur westlichsten Bucht
der Mitidja bei Marengo bildet. Beide Durchbruchstäler sind
wohl als antezedente aufzufassen. Mit der dichtem Besiedelung
der Mitidja wird man die schwächlichen Versuche, Tipaza zu
einem Seeplatze zu machen, mit mehr Ernst wieder aufnehmen
müssen, denn ohne kostspielige Hafenbauten wird das nicht
möglich sein.
Die Küste bei Tipaza zeigt nun bis zu dem Kolonisten-
1) Comptes rendus T. 88, p. 408.
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge.
q8 II, 2. Die Abrasionskiiste bei Tipaza und Algier.
dörfchen Berard, soweit die grobkörnigen, leicht zerstörbaren
miocänen Kalksteine dieselbe bilden, aber auch noch jenseit
Berard bis gegen Castiglione hin, einem dicht am Meere gelege-
nen aufblühenden Städtchen, entsprechend dem wenig geänderten
petrographischen Charakter der etwas Jüngern Schichten, auffällige,
auf der ganzen 25 km langen Strecke sich gleichbleibende Formen.
Sie ist überall steil, meist wird sie von 10 m hohen Felswänden
gebildet, die nur hier und da an den Buchten, wo die atmo-
sphärischen Agenden die Abtragung rascher zu fördern vermocht
haben, zu geringerer Höhe, aber immer noch kaum irgendwo
unter 2 — 3 m herabsinken, so daß man dort bequemer an den
Strand gelangen kann. Diese Steilküste ist nun durch zahlreiche
kleine Buchten gegliedert, man zählt ihrer auf dieser Strecke
nicht weniger als 22, also fast auf je 1 km eine; je weiter nach
Westen, um so dichter reihen sie sich aneinander, um so tiefer
dringen sie ein. Die größte, die von Tipaza, hat eine Öffnung
von 600 m und eine Tiefe von 300 m. Das Streichen der Küste
ist erst ein auf etwas über 10 km genau westliches, dann ost-
nordöstliches, stets aber dem Schichtenstreichen parallel. West-
lich von Tipaza ist zwischen diesem Küstentypus und der weit
großartigem Steilküste des Vorgebirges Chenoua noch ein mit
niedern Dünen besetztes 2,8 km langes Stück Flachküste zu bei-
den Seiten der Nadormündung, die Öffnung des Nadortales
bezeichnend, eingeschaltet. Östlich von Castiglione bis nahe an
die Mündung des Mazafran behält die Küste noch die gleiche
Höhe und Steilheit, entbehrt aber der Buchten. Von der Mazafran-
mündung an tritt eine von Dünen, zum Teil von beträchtlicher
Höhe, begleitete Flachküste auf, die nur von dem weit vor-
springenden Kap Sidi-Ferruch unterbrochen wird und, in streng
nordöstlicher Richtung streichend, am Ras Acrata, westlich von
Guyotville, wo die Steilküste des Massivs von Algier beginnt, endigt.
Eine Untersuchung dieses ganzen, somit eine flache, sich im
W auf das Vorgebirge Chenoua, im O auf das Massiv von Algier
stützende Kurve bildenden Küstenstücks von 60 km Länge hat
nun Ergebnisse von allgemeiner Wichtigkeit gehabt. Es ist mir
gelungen, den Nachweis zu liefern, warum die Küste auf der einen
Strecke hoch, auf der andern niedrig ist, warum sie auf einer
Strecke ausgebuchtet ist, auf der andern nicht; daß dieselbe dem
Ansturm der Brandungswelle rasch unterliegt, daß hier bei posi-
Die Brandungsbuchtküste bei Tipaza. gn
tiver Strandlinienverschiebung eine Abrasionsfläche in Bildung be-
griffen ist. Selbst ein ungefähres Maß des Zurückweichens meine
ich gefunden zu haben. Es dürfte diese Einzeluntersuchung
demnach in mehrfachem Sinne lehrreich sein und einen Einblick
in die Vorgänge bei der Herausbildung gewisser Küstenformen
überhaupt gewähren.
Daß zunächst vor den Tälern der beiden den Sahel von
Tipaza bis zur Basis durchschneidenden Flüsse Nador und Maza-
fran von Dünen besetzte Flachküste liegt, erklärt sich daraus, daß
hier unter dem Einflüsse der beiden auch heute noch zeitweilig
sehr wasserreichen Flüsse, deren Quellen in den Gebirgen des
Teil in Gegenden liegen, welche zu den niederschlagsreichsten
Algeriens gehören, die in senkrechter Richtung wirkenden Kräfte
die Abtragung des Gebirges weit rascher förderten, als die in
wagerechter Richtung arbeitende Brandungswelle. Die Durch-
bruchstäler des Nador, dessen Spiegel dort, wo er im NW von
Marengo aus der Mitidja austritt, nur etwa 50 m hoch hegt, und
des Mazafran sind schon in derselben frühquartären Zeit gebildet
worden, in welche die Kieselablagerungen der Mitidja fallen.
Die Durchbruchstäler beider sind nur am oberen Ende auf
300 m verengt, dann sind sie durch die seitliche Erosion und
die Schlangenwindungen, in welchen beide Flüsse durch die ebene
Talsohle dem Meere zustreben, immer mehr ausgeweitet. Nament-
lich hat der Nador sich seitdem eine gelegentlich bis 10 m tiefe,
von senkrechten Wänden gebildete Rinne in dem festen lehmigen
Schwemmlande gebildet. Beide führen dem Meere reichlich Sink-
stoffe zu, welche die Brandung zurückwirft und damit die Dünen-
säume aufbaut, durch die jene sich im Sommer nur mit Mühe
einen Weg offen halten. Ihre Mündungen sind dann fast ganz
durch Barren geschlossen. Auch machen beide, und ebenso der
noch näher bei Tipaza mündende kleine Wed Terbout, recht
bezeichnend an der Mündung eine Krümmung nach O bzw. NO.
Ein Zurückweichen des Landes ist hier kaum anzunehmen, wenn
auch der Nordwest bedeutende Mengen Sand, das Wachsen der
Dünen verlangsamend, landeinwärts treibt und namentlich auf der
Stätte des alten Tipaza fallen läßt, dessen Ruinen so seit etwa
12 Jahrhunderten mit einer Sandschicht bedeckt worden sind,
deren Mächtigkeit allerhöchstens 2 m betragen mag. Wurde dem-
nach, wie wohl anzunehmen ist, schon die alte Stadt mit diesem
IOO H> 2- Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
Dünensand überweht, so erreichte, die jährlich gebildete Schicht
doch immer kaum 1,7 mm Mächtigkeit, d. h. sie wurde wohl
gar nicht bemerkt.
Jenseits der Mazafranmündung bis Kap Akrata haben wir
in regelmäßigen flachen Kurven verlaufende, von Dünen begleitete
Flachküste, weil dort die Abtragung des Küstenlandes durch die
atmosphärischen Agentien in dem leicht zerstörbaren Gestein
und geänderter Küstenrichtung rascher erfolgt ist, als durch die
Brandungswelle. Doch ist auch da eine unterseeische Terrasse
von ungefähr gleicher Breite wie bei Tipaza vorhanden.
Die Hauptursache der Buchtenbildung bei Tipaza läßt schon
ein Blick auf die in jede dieser kleinen Buchten mündenden
Gießbäche erkennen. Die Mündung desselben bot der Brandungs-
welle Angriffspunkte, denn er hatte die Schichten bis ins Meeres-
niveau zerschnitten und meist auch noch die Steilküste an der
betreffenden Stelle erniedrigt. Daß jenseit Castiglione unter
sonst gleichen Verhältnissen die Steilküste solcher Buchten ent-
behrt, erklärt sich sofort daraus, daß dort auf dem auf 4,5 km
verbreiterten, fast ganz wagerechten Saheltafelland sich keine Gieß-
bäche zu entwickeln vermögen, sondern nur der Steilabsturz von
zahlreichen, kleinen Wasserrissen durchfurcht ist, von denen aber
keiner durch eine sich hier entwickelnde untere Terrasse, auf
welcher Castiglione schon liegt, das Meer erreicht. Sehr lehrreich
ist in dieser Hinsicht auch ein fast 3 km langes Küstenstück
westlich von Berard bei dem Meierhof Ben Coucha, das der
Buchten ebenfalls entbehrt, weil ein größerer Gießbach durch
Bildung eines der Küste in 1 700 m Entfernung auf 3 km parallelen
Längstales die Bildung anderer Gießbäche verhindert hat. Seine
Mündung ist dafür zu einer entsprechend größern Bucht ausge-
weitet worden. Die Größe der Buchten steht nämlich stets im
Verhältnis zur Lauflänge, Gebiet, Wasserreichtum (und Erosions-
kraft) der in tiefen, unter üppigem immergrünen Gestrüpp ver-
borgenen Rinnen dahinschießenden Gießbäche, und diese wiederum
zur Lage und Höhe der Wasserscheide des Sahel von Tipaza.
Von der Gegend der größten Verschmälerung des völlig mit
immergrünen Macchien bedeckten Tafelrückens, die zusammen-
fällt mit der größten Erniedrigung desselben und der größten
Annäherung der Wasserscheide an das Meer etwas westlich von
dem auf der Höhe des Rückens gelegenen, weithin sichtbaren
Die Brandungsbuchtküste bei Tipaza. loi
Grabmale numidischer Könige, das unter dem Namen Grab der
Christin bekannt ist, wächst nach 0 wie nach W die Höhe und
der Abstand der Wasserscheide vom Meere. Erstere liegt zwischen
200 und 260 m, letzterer zwischen 2200 und 3400 m. Dem ent-
sprechend vergrößert sich auch das Gebiet und die Wasserfülle,
während sich das Gefälle nur wenig mindert. Die Brandungs-
welle konnte also die weitern Mündungen der größern Gießbäche
zu weitern und tiefern Buchten auswaschen. In vereinzelten Fällen,
wie bei der westlichsten dieser kleinen Buchten, in welche nur
ein ganz kleiner Wasserriß mündet, ist das Vorhandensein einer
Kluft die Veranlassung zur Bildung von allerdings nur sehr kleinen
Buchten gewesen.
Schon das Zusammenfallen der Buchten mit den Mündungen
der Gießbäche und das Fehlen ersterer mit dem Fehlen letzterer
läßt keinen Zweifel aufkommen, daß beide in ursächlichen Wech-
selbeziehungen stehen, und daß die Abtragung der Küste an
diesen Punkten rascher fortschreitet, als an den dazwischen
liegenden. Daß eine Abtragung, ein Zurückweichen der Küste
durch die Brandungswelle überhaupt sattfindet, darüber läßt, von
ihrer Gliederung abgesehen, der Steilabbruch der Küste, die an
ihr tosende Brandung, der sie umlagernde Block- und Klippen-
wall, sowie vereinzelte kleine Inseln keinen Zweifel aufkommen.
Das Vorhandensein von Ruinen aus römischer Zeit hat mir aber
hier wie an einigen andern Punkten auch den unmittelbaren
Beweis dafür zu führen und selbst ein annäherndes Maß des
Zurückweichens festzustellen erlaubt. Der heutige kleine Ort
Tipaza, mit wohl kaum mehr als 100 Einwohnern, von einigen
in Reisighütten (Gurbis) inmitten der Ruinen des östlichen Stadt-
teiles wohnenden arabisierten Berbern abgesehen, meist franzö-
sischen Kolonisten, ist erst kurz vor 1860 gegründet worden und
hat sich nur langsam entwickelt. Als H. v. Maltzan kurz vor
1860 die Stätte von Tipaza besuchte, war sie noch unbesiedelt.
In den letzten Jahren scheint es, wesentlich im Zusammenhang
mit der Entwicklung des Weinbaues, etwas rascher zu wachsen,
und wenn man in Zukunft einmal mit der Verdichtung der Be-
völkerung und Hebung der Kultur nicht nur in der unmittelbaren
Umgebung, sondern in der westlichen Mitidja, deren natürliches
Seetor Tipaza ist, Hafenanlagen schaffen wird, welche in der
heute gegen Winde, deren Richtung von der Nordrichtung 300
102 II» 2. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
nach W bis 700 nach 0 abweicht, völlig schutzlosen Bucht
Sicherheit gewähren werden, so kann es sich unzweifelhaft wieder
zur Bedeutung des alten römischen Tipaza erheben. In Würdi-
gung der möglichen Bedeutung des Ortes hat man vor einigen
Jahren ein kleines Stück Staden an dem geschütztesten Winkel
der Bucht errichtet, auf welchem auch einige Güter lagerten.
Auch hat man einen Zollwachtposten in einem über einer antiken
Zisterne erbauten Hause eingerichtet, dessen entgegenkommende
(weil vollkommen beschäftigungslose) Insassen mir einige meine
Forschungen fördernde Winke gegeben haben. Obwohl das Meer
eigentlich ruhig war, war aber doch in der innersten Bucht die
von der herrschenden nördlichen Luftströmung hervorgerufene
Brandung so stark, daß der Staden abwechselnd teilweise über-
flutet wurde, trotzdem man ihn gegen N durch eine hohe, starke
Mauer zu schützen gesucht, hat. Drei kleine Fischerboote, auf
das Land gezogen, waren alles, was die Beziehungen des heutigen
Tipaza zum Meere veranschaulichte. Doch kommt sein Strand
jetzt auch für Seebäder in Aufnahme. Der kleine Ort, so weit-
läufig auch die kleinen Häuschen verstreut sind, nimmt von dem
alten Tipaza nur einen kleinen Teil ein. Die alte Stadt, die
ihrem Umfange nach wohl 20000 Einwohner gehabt haben mag,
lag annähernd halbkreisförmig, von Mauern, deren Verlauf noch
heute ziemlich gut erkennbar ist, umgeben um die Bucht, die
gegen W und NW durch einen halbinselartigen Landvorsprung,
der heute auf seiner steil zum Meere abstürzenden Spitze einen
Leuchtturm vierter Klasse trägt, ziemlich geschützt ist und wohl
zur Gründung und zum Aufblühen des Ortes Veranlassung ge-
geben hat. Es war eine unter Kaiser Claudius gegründete Vete-
ranenkolonie, die von Ptolemäos und im Itinerarium Antonini
und auch sonst einigemal in der Geschichte genannt wird.
Nachdem sie noch ein halbes Jahrtausend geblüht hatte, erhielt
sie den ersten Stoß unter dem Vandalen Hunerich, der bei dem
Versuche, die Bewohner zum Arianismus zu bekehren, den
größten Teil zur Flucht nach Spanien trieb und die zurück-
bleibenden verstümmeln ließ. Der Einbruch der Araber scheint
auch diesem Sitze römischer Kultur den Untergang gebracht
zu haben. Es dürfte also Tipaza seit etwa 1200 Jahren in
Trümmern liegen. Nur wenige Inschriften von geringer Wichtig-
keit sind in denselben gefunden worden. Von diesen Trümmern
Altertümer von Tipaza. 101
sind die einer Kirche auf dem östlich die Bucht begrenzenden
Vorgebirge, sowie die einer recht ansehnlichen Wasserleitung,
welche das Wasser des Wed Nador tief aus dem Innern, aus
der Nähe des heutigen Marengo herbei- und bis in die Zisternen
am Hafen leitete, die auffälligsten, die am Strande gelegenen
für uns die wichtigsten, da sich an ihnen zeigen läßt, daß seit
den 1200 Jahren die Küste zurückgewichen ist. Die Ruinen be-
gleiten die Küste auf einer Strecke von, die Windungen ein-
begriffen, weit über 2 km, von einem westlichen, 30 m hohen
Hügel, dessen höchste Spitze mit Gräbern bedeckt und von
Grabkammern durchbohrt ist, über einen mittlem, der die Höhe
von 34 m erreicht und den Leuchtturm trägt, bis zu einem 35 m
hohen östlichen, der die Ruinen der Kirche und ebenfalls ein
Totenfeld trägt. Zwischen den beiden letztern schneidet die
Bucht von Tipaza ein, die sich im Hintergrunde durch einen
natürlichen Vorsprung, an dessen Ostseite das kleine Stück Staden
angebaut ist, in zwei kleine Buchten gliedert. Alle drei Hügel
steigen gegen das Meer an und stürzen in 15 — 20 m hohen,
meist senkrechten Wänden zu demselben hinab. Die westlichen
sind mit dichten und hohen immergrünen Macchien bedeckt, in
welchen im Winter und Frühling Scharen unsrer Singvögel Unter-
schlupf finden. Die Grabkammern, welche in die dem Meere
zugekehrte Stirnseite des westlichen Hügels eingehauen sind,
liefern den Beweis, daß hier das Meer vorgerückt ist und noch
immer rasch vorrückt; ihre Zugänge liegen nämlich heute an ca.
15 m hoher, senkrecht zum Meere abstürzender Felswand, so
daß kein Zweifel sein kann, daß sie in dieser Lage nicht ange-
bracht worden sind. Denn wenn wir auch vielfach antike Gräber
massenhaft in steile, nur durch Leitern oder Gerüste zugängliche
Felswände eingehauen kennen, so wäre doch hier, wenn die Ver-
hältnisse die heutigen gewesen wären, die Aushöhlung der Grotten
und die Bestattung nur mit Hilfe großartiger Gerüste, die aus
dem unten brandenden Meere hätten aufgebaut werden müssen,
und unter bedeutender Gefahr möglich gewesen. Überdies zeigte
mir Herr Tremeaux, ein seit 2^ Jahren hier ansässiger Groß-
grundbesitzer, dem ein großer Teil der Ruinenstätte und ein
schönes, von einem Park umgebenes Landhaus mitten in den-
selben gehört, und der mich mit großer Liebenswürdigkeit auf
die wichtigsten , für meine Forschung in Betracht kommenden
104 U> 2- ^e Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
Punkte hinwies, eine Stelle an der von Grabkammern durchbohrten
Felswand, wo man noch vor 20 Jahren ohne jede Gefahr vor
diesen Grabkammern vorbeigehen konnte, während dies heute
ganz unmöglich ist. Es ist seitdem auf mindestens 1 m Breite
die Felswand, unten von der Brandung unterwaschen, hinabge-
stürzt. Es ist anzunehmen, daß der ganze Hügel auf der dem
Meere zugekehrten Seite in übereinanderliegenden Reihen zu
Kammern ausgehöhlt war, von denen heute nur noch die obersten,
ursprünglich dem Meere fernsten, erhalten sind. Auch sie werden
in spätestens 100 Jahren verschwunden sein.
Sehr lehrreich sind die die ehemalige Hafenbucht umgeben-
den Trümmer. Diese, wie wir sehen, sich schließlich, den ein-
mündenden beiden Gießbächen entsprechend, in zwei kleine
Buchten gliedernde Bucht war im Altertum weit besser geschützt
als heute. So lag zunächst am östlichen Eingange derselben,
gegen Nordost vortrefflich Schutz gewährend, eine langgestreckte
Insel, die seitdem nicht nur wesentlich verkleinert, sondern auch
in zwei Teile geteilt worden ist, die beide noch den ehemaligen
Zusammenhang erkennen lassende Baureste aus römischer Zeit
tragen. In ihrem heutigen Zustande — es waren wohl Hafen-
anlagen und Bollwerke — wäre die Errichtung so ausgedehnter
Bauwerke kaum denkbar, denn fast die Hälfte des Jahres sind
sie nur ausnahmsweise einmal zugänglich. Ferner bot der west-
lichem der innersten Buchten eine Klippenreihe, die, ungefähr
westöstlich streichend, im ersten Augenblick für einen Steindamm
gehalten werden kennte, reichlich Schutz, denn sie war früher
höher, erstreckte sich weiter ostwärts und zeigte wohl nicht wie
jetzt breite Lücken. Die Oberfläche dieser von der Brandungs-
welle unablässig benagten Kalkfelsen zeigt die wunderlichsten an
Karrenfelder erinnernden Formen, tiefe Rinnen, scharfe Kanten,
kreisrunde wassergefüllte Becken verschiedenster Größe, natürliche
kleine Fischbehälter. Wie wenig heute diese Klippenreihe Schutz
gewährt, erhellt daraus, daß selbst am westlichen, also bei weitem
geschütztesten Ufer, die Wellen mit solcher Kraft auftreten, daß
sie das an der Wurzel der Klippenreihe in verhältnismäßig ge-
schütztester Lage über einer antiken, noch heute das Dorf mit
dem besten Trinkwasser versehenden Zisterne errichtete Zollwacht-
haus gefährden. Die an geschützter Stelle angebrachte Tür des-
selben ist schon wiederholt eingedrückt, und mehrere Kubikmeter
Der Strand bei Tipaza. IO^
große Felsblöcke, welche den etwa 3 m über dem ruhigen Wasser-
spiegel gelegenen kleinen Hof nach der Seeseite schützen sollen,
sind einige Meter einwärts geschleudert worden. Unter solchen
Umständen hätte man gewiß an dieser Stelle eine Zisterne nicht
errichtet.
An der westlichem kleinen Bucht finden sich mehrere in
den Felsen gehauene Kammern nebeneinander, vielleicht ursprüng-
lich Zisternen oder Wasserbehälter am Hafen, deren vordere
Hälfte von den Wellen zerstört ist, die sich bei nur wenig be-
wegtem Meere an den Hinterwänden brechen. Daran reihen
sich ostwärts auch bei niedrigem Wasserstand und ruhigem Meere
stets bedeckte Mauerreste und in Felsen gehauene viereckige
Becken, die wohl auch einst Zisternen oder Wasserbehältern an-
gehörten. Aus dem einen dieser Becken führt eine in den Felsen
gehauene Rinne ins offene Wasser, das mit der Wellenbewegung
bei ruhigem Meere aus- und einflutet. Dicht bei diesem heute
stets unter Wasser liegenden Becken, das offenbar nur der unterste
Teil eines ehemals hohen Raumes ist, der entweder ganz oder
teilweise in den Felsen gehauen war, teils aus Mauerwerk be-
stand, befindet sich landeinwärts, da, wo heute der etwas über
2 m hohe Steilabsturz des Ufers liegt, ein aus zwei Abteilungen
bestehender, in den gewachsenen Felsen gehauener Raum. Die
vordere, größere Abteilung zeigt eine Türöffnung nach der See
zu, eine andere nach der kleinern hintern. Die vordere Fels-
mauer steht nur noch in einer Höhe von 1 m, aber nur 0,5 m
über Wasser; der zementierte Fußboden wird überflutet und ist
nur noch in der hintern Hälfte erhalten, vorn hat die durch die
Türöffnung hereinbrechende Brandungswelle ein 0,5 m tiefes Loch
ausgewaschen. Die hintere kleinere Abteilung ist sehr gut erhalten,
selbst die Hälfte der gewölbten Decke und der 8 cm dicke
Stucküberzug der vom natürlichen porösen Felsen gebildeten
Wände ist noch vorhanden. Es ist möglich, daß auch dies Zi-
sternen waren, und somit hier eine große, aus lauter kleinen,
durch weite Türöffnungen miteinander in Verbindung stehenden
Abteilungen gebildete Zisterne vorhanden war. Dann ist der
Umstand wichtig, daß heute die Grenzlinie zwischen Land und
Meer durch die hintersten Kammern läuft und die vordem mit
ihrem Fußboden 0,5 m unter Wasser liegen, soweit sie erhalten
oder in Spuren erkennbar sind. Auch sonst finden sich an dieser
lOÖ H, 2. Die Abrasioasküste bei Tipaza und Algier.
Bucht, wie an der östlichen allenthalben Mauerreste und in Fels
gehauene Kammern heute vom Wasser bedeckt; allenthalben läßt
sich erkennen, daß diese Buchten, in den letzten 12 Jahrhun-
derten bedeutend sowohl in wagerechter wie in senkrechter Rich-
tung durch die Brandungswelle vertieft, die Grenzlinie zwischen
Land und Meer um einen Streifen von bedeutender Breite — ich
schätzte dieselbe unter Erwägung aller Verhältnisse auf etwa 1 o m
— zurückgedrängt worden ist.
An der östlichen Bucht fällt zunächst ein durch einen stehen
gebliebenen Felskamm noch etwas geschütztes quadratisches, in
den Felsen gehauenes Becken, fast genau 1 qm groß, auf. Es
sieht aus wie die obere Öffnung eines Brunnenschachtes, der,
freilich mit Trümmern gefüllt, nur mehr 0,5 m tief, aber mit
seinem Rande 0,8 m unter dem Wasserspiegel liegt (so daß also
das Wasser jetzt 1,3 m über der Sohle des Beckens steht). Die
viereckige Gestalt müßte bei einem Brunnen allerdings auffallen.
Dicht daneben ist noch ein 2 m langes, ca. 0,8 m breites Becken,
einem Brunnentrog ähnlich (oder Steinsarg?) in Felsen gehauen.
Es ist 0,275 m tief, sein Rand hat ringsum die gleiche, also wohl
die ursprüngliche Höhe, und erhebt sich 0,15 m über Wasser,
wird also bei nur ganz mäßig bewegtem Wasser überflutet und
ist stets mit Wasser gefüllt. Auch für diese Anlage, wozu immer
sie gedient hat, heute unter dem Meeresspiegel und 4 m von der
Grenzlinie von Land und Meer entfernt, läßt sich, wenn die Ver-
hältnisse früher die gleichen gewesen wären, kein vernünftiger
Grund finden. An der Ostseite der Bucht, am Fuße eines einige
Gurbis tragenden Hügels, aus welchen zerlumpte Kinder herbei-
stürzten und völlig unkenntlich gewordene römische Kupfermünzen
und andere wertlose Altertümer anboten, findet sich ein wohl
mindestens 8 qm großer, aus großen viereckigen Platten bestehender
Fußboden unter Wasser. Gegenüber liegt ca. 50 m vom Ufer,
rings von Wasser umgeben, ein ca. 6 m hoher Felsblock, der
viereckig behauen, oben ausgehöhlt, durch übergelegte Steine eine
Art Kammer gebildet zu haben scheint. Seine Basis ist von der
Brandungswelle so weggespült worden, daß er sich geneigt hat
und bald umfallen wird.
Der Hügel des östlichen Stadtteiles diente an der Seeseite
als Steinbruch, weil der dortige Stein besonders fest ist. Auf
eine Strecke von etwa 100 m ist dadurch die Felswand zu einer
Der Strand bei Tipaza. 107
fast 10 m hohen Mauer geglättet, die wohl zugleich den Bau einer
Schutzmauer unnötig machen sollte. Vielleicht entnahm man hier
die Steine zu den Bauten am Hafen. Eine in diese Felswand
gehauene, aber nur in den obersten Stufen noch gangbare Treppe
führte hier zum Strande hinab. Diese Stelle ist sehr wichtig.
Die Treppe ist bis hoch hinauf durch die Brandung zerstört, sie
endet schließlich mit einem 1,5 m hohen Abbruch, an welchem
die Brandung schäumt. Ein Boot könnte hier wohl nur höchst
selten einmal im Sommer, im Winter jedenfalls nie anlegen, und
nur durch einen 1,5 m hohen Sprung könnte man in dasselbe
gelangen. Es mußte hier früher unbedingt ein Strand vorhanden
sein, denn sonst war die Treppe zwecklos. Auch nahm man,
als man hier Steine brach und die glatte Felsmauer zum Schluß
herstellte, den Felsen selbstverständlich nicht bis metertief unter
dem Wasser weg, es lag jedenfalls zu Ende des Steinbruchbe-
triebes hier zwischen der glatten Felswand und dem Meere ein
ziemlich breiter, teils aus größern oder kleinern Steinbrocken, teils
aus stehengelassenem Fels gebildeter Strand, der auch bei Sturm
nicht überflutet wurde. Heute ist dieser Strand verschwunden,
die Brandung hat nach Beseitigung desselben nicht nur bereits
eine fast 2 m tiefe Hohlkehle aus der künstlich behauenen Fels-
wand herausgearbeitet, nein, es sind bereits die östlichen Teile
derselben, so der Stütze beraubt, hinabgestürzt, Mosaikfußböden
und senkrecht zur Felswand verlaufende Mauern sind mitten durch-
gebrochen, auf einem riesigen, wohl mindestens 50 cbm haltenden,
durch mehrere Meter breiten Spalt losgelösten und über das Meer
geneigten Felsblocke finden sich noch Mauerreste. Große, deut-
lich als solche erkennbare Zisternen reichen teils bis dicht an
den Abgrund, teils sind sie, halb auseinandergerissen, schon in
die Tiefe gesunken. Wie diese ganze Steilküste, so ist namentlich
dieser Teil derselben von rasch in Zertrümmerung begriffenen,
also nur kurze Zeit benutzenden Blöcken umlagert. Ich möchte hier
die Breite des seit 1200 Jahren dem Meere erlegenen Landstreifens
eher zu mehr als 10 m annehmen, vielleicht 1 m im Jahrhundert.
Und dies, trotzdem hier der Fels sehr widerstandsfähig, frei von
Spalten und Klüften ist, und dieser Teil der Küste überdies früher
in hohem Grade durch die vorliegende Insel geschützt war.
Diese beobachteten Tatsachen, namentlich an den beiden
kleinen Buchten drängen unabweisbar die Erkenntnis auf, daß
108 Hj -• Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
hier eine positive Strandlinien -Verschiebung stattfindet. Ich finde
diese meine Anschauungen von einem Herrn Lambert bestätigt,
nach dessen Angaben E. Reclus im XI. Band seiner „Geographie
Universelle", p. 497, der mir erst nach meiner Rückkehr zuging,
die Bemerkung aufgenommen hat: „le port de Tipaza, heritier
d'une ville romaine, en partie submergee, soit par l'affaisement
du sol, soit par un phenomene d'erosion local". Daß von einer
bloß örtlichen Zerstörung der Küste durch die Brandungswelle
nicht die Rede sein kann, sondern diese Erscheinung die Küste
von ganz Algerien, abgesehen von nur wenigen Punkten im
Hintergrunde der Buchten, kennzeichnet, ergibt sich teils aus den
frühern Ausführungen, teils aus weiter unten folgenden Be-
obachtungen. Es sei daher hier nur die Frage erörtert, ob sich
noch an andern Punkten der Mittelmeerküste der Atlasländer
eine positive Strandlinien -Verschiebung nachweisen läßt.
2. Vergleichender Überblick über die Küste
von Tunesien und Algerien.
Für die tunesische Küste, die ich von Gabes bis Bizerta an
zahlreichen Punkten selbst habe untersuchen können, möchte ich
nur schon hier bemerken, daß meine frühere, auf Angaben von
Guerin und Reclus gestützte Vermutung einer Hebung in ge-
schichtlicher Zeit von mir selbst, bald nachdem ich sie ausge-
sprochen, aufgegeben und zurückgenommen war. Die scharf-
sinnigen Untersuchungen von J. Partsch haben nachmals erwiesen,
daß hier in geschichtlicher Zeit keine Verschiebung der Strand-
linie irgend welcher Art, außer durch Versandung oder Delta-
bildung, stattgefunden hat. Meine Untersuchung gerade der
zweifelhaften Punkte — das Nähere wird gelegentlich mitzuteilen
sein — hat dies Ergebnis literarisch -kritischer Forschung überall
bestätigt. Doch möchte ich auf Roudaires gegenteilige Be-
obachtungen (Comptes rendus, T. 79, p. 110 und 352) hinweisen.
Ebenso muß hervorgehoben werden, daß sowohl Pomel, wie Flick
und Pervinquiere und andere französische Forscher jeder nach
eigenen Beobachtungen eine quartäre Hebung für die ganze Ost-
küste von Tunesien vom Kap Bon bis nach Zarzis annehmen,
während Djerba und die Kerkenah- Inseln jetzt in Senkung be-
griffen seien. Bei Monastir, Hergla und Bir Lubeita stellte Pomel
1877 gehobene quartäre Schichten mit Strombus mediterraneus
Die Küste von Tunesien.
ioo.
und Conus Mercati fest, Doumet-Adanson 1884 dasselbe auf den
Kerkenah-Inseln und bei Humt-Suk auf Djerba, Aubert und Bede
von andern Küstenpunkten. Flick und Pervinquiere haben diese
jüngsten gehobenen Küstenablagerungen bei Monastir, grobe gelbe
oder gräuliche Kalksteine, reich an marinen Fossilien einer noch
heute im Mittelmeer lebenden Fauna, einer genauen Untersuchung
unterzogen und dabei festgestellt, daß die Sebcha von Moknine,
die 60 qkm groß ist, 10 m unter dem Meeresspiegel liegt, von
welchem sie durch einen 1 — 2 km breiten niedrigen Landstreifen
getrennt ist. Auch liegt diese nur 1,10 m mächtige Küsten-
ablagerung, die ihrerseits von einer Kalkkruste mit Helix, also
einer festländischen Bildung bedeckt ist, nicht wagrecht, sondern
neigt sich nach OSO von 20 m auf ro m. Bei Sfax kehren die
gleichen Ablagerungen wieder, aber nur noch 8 m über Mittel-
wasser, was auf örtliche, langsame Krustenbewegungen zu schließen
zwingt. Die Sebcha von Monastir liegt im Meeresniveau, wird
aber nur zuweilen mit Wasser gefüllt. Das dreieckige Vorgebirge
von Monastir fällt nach N und nach W zur Sebcha steil ab und
besteht aus Miocän, Pliocän und Pleistocän. Das vorliegende
Inselchen La Thonara besteht aus diskordant dem Miocän auf-
lagernden Pliocänschichten. Es erreicht nur 10 m Höhe1).
Sichere Belege einer positiven Strandlinien -Verschiebung
gibt es meines Wissens nur vom Kap Spartel, wo die bekannte
Mühlsteinhöhle, die Hooker und neuerdings auch O. Lenz be-
sucht haben, dieselben liefert2). Ähnliche Beobachtungen machte
der Geolog Maw auch an der marokkanischen Küste bei Moga-
dor3). Dagegen meinte Capt. Bourdon4), in der Nähe von Mosta-
ganem an einem kleinen Küstenstück eine negative Niveauver-
schiebung annehmen zu müssen. Wären diese Beobachtungen
wirklich als vollwichtig anzusehen, so würde es sich wohl nur
um eine örtliche Erscheinung handeln, um eine örtliche Ver-
1) Plages soulevees de Monastir et Sfax. Bull. Soc. Geol. de France
4. Ser. t. IV 1904, p. 194 — 206.
2) Meine eigenen 1899 in den Mühlsteinbrüchen etwas südlich vom
Kap Spartel gemachten Beobachtungen stellten zwar die Tatsache fest, daß
diese Steinbrüche z.T. jetzt dauernd unter Wasser sind, aber nur weil sie
nahe dem Meere bis unter den Meeresspiegel hinab betrieben und die dünne
Scheidewand dann von der Brandungswelle zerstört worden ist.
3) Auch bei Mogador sah ich lediglich Wirkungen mariner Erosion.
4) Bull, de la Soc. de Geogr. de Paris 1869, I, p. 451.
IIO II, 2. Die Abrasionsküste bei Tipaza und Algier.
Schiebung einer einzelnen Scholle in ihrer Lage zum Meeres-
spiegel. Dasselbe wäre nun allerdings auch in bezug auf die
Erscheinung von Tipaza möglich, aber die schon früher angeführten
Tatsachen und die hier niedergelegten Beobachtungen sprechen
doch gar zu laut dafür, daß an der ganzen Küste eine im all-
gemeinen vorherrschende positive Strandlinien -Verschiebung statt-
findet1). Wie an den beiden andern Küstenpunkten, an welchen
wir den Charakter des vorgelagerten Meeresgrundes untersuchten,
so schließt sich auch hier an die Grenzlinie von Land und Meer
ein etwa ioo m breiter, hier und da auch breiterer Saum an,
welcher mit Felsblöcken bedeckt und von aufragenden Klippen
erfüllt ist; daran schließt sich ein im Mittel etwa 12 — 1500 m
breiter Saum mit Sand etwa bis zur Tiefe von 40 — 50 m, dann
folgt Schlammbedeckung bis in die größten Tiefen. Der Steil-
absturz beginnt etwa mit 200 m in einem Abstände von 1 2 km
vom Strande. Während also am Vorgebirge Chenoua und am
Massiv von Algier die Abrasionsfläche eine Breite von gegen 4,
bzw. 2 km hat und der Steilabsturz bei beiden in ca. 100 m Tiefe
beginnt, beträgt der Abstand desselben hier 1 2 km. An der Bucht
von Algier beträgt er 9, bei Oran 12, bei Arzeu sogar 20 km.
Es folgt der unterseeische Steilabsturz, d. h. die den Verlauf der
Küste bestimmende Bruchlinie, im allgemeinen der Richtung der
Küste, vor den Vorgebirgen liegt er näher am Lande, vor den
Buchten weiter ab, demnach verschmälert oder verbreitert sich
die unterseeische Terrasse dem entsprechend. Auf weite Strecken
verläuft der Steilabsturz geradlinig, wie bei Oran und bei Algier,
so daß sich gerade da die Ausgestaltung der Küstenlinie zu Vor-
gebirgen und Buchten ganz auffällig als das Werk der Brandungs-
welle herausstellt. Bei Algier z. B. liegt der unterseeische Steil-
absturz vor Pointe Pescade genau in der gleichen geographischen
Breite wie vor Kap Matifu, vor beiden wie vor der Harrachmün-
dung im tiefsten Hintergrunde der Bucht. Wir müssen daher —
die weiter unten angeführten Beobachtungen bestätigen dies noch
weiter — gerade diese Bucht, welche E. Suess als einen Einsturz-
kessel aufzufassen geneigt ist, als ein Erzeugnis der Erosion be-
trachten. Sie weist, wenn wir das Relief des Meeresgrundes, wie
1) Vgl. die von General Lamothe ganz unabhängig von mir gemachten
und zu demselben Ergebnisse führenden, in der folgenden Abhandlung
mitgeteilten Beobachtungen.
Verlauf der ursprünglichen Küste. j I j
doch notwendig, mit in Betracht ziehen, ganz andre Verhältnisse
auf, wie die durch einen Horst voneinander getrennten Golfe von
Salerno und Neapel. Das sind Einsturzkessel. Diesen ähnelt
dagegen die Bucht von Bougie und der Numidische Golf. An
der Bucht von Bougie, die, wenn auch etwas flacher, den Um-
rissen nach ungefähr der von Algier ähnelt, liegt der dort ganz
besonders steile Absturz nur 5 km vom Strande, während er an
dem westlich angrenzenden, so besonders steilen Küstenstück
von Kap Carbon bis Kap Bengut auch noch nahezu 3 km ent-
fernt ist. Hier haben wir sicher eine von vornherein im Ver-
lauf der Küstenlinie als Einbruchskessel vorgezeichnete Bucht,
die durch die Brandungswelle nur noch etwas ausgetieft worden
ist und durch dieselbe ihre einem Halbkreis oder Kreisbogen
ähnelnde Gestalt erhalten hat, genau so wie dies, teilweise wenig-
stens, auch an den Golfen von Salerno und Neapel, dank den
Sinkstoffen der einmündenden Flüsse geschehen ist.
Die Querschnitte zeigen, daß die unterseeischen Neigungs-
winkel sehr wesentlich von den überseeischen abweichen; die
Bruchlinie entspricht nur mehr im allgemeinen dem Verlauf der
Küste, der ursprünglichen Küste, die Einzelgliederung derselben
ist vorwiegend das Werk der Brandungswelle, welche die Küste
nach dem Wechsel härterer und weicherer Felsarten, nach dem
Vorhandensein von Verwerfungen, Flußmündungen, Klüften usw.
modelliert hat. Die Bucht von Tipaza ist das Werk der Bran-
dungswelle, die hier einen im Maximum 1 2 km breiten Streifen
der Sahelplatte abgetragen hat. Wie sie diese Arbeit im einzelnen
vollzieht, sahen wir. Ebenso sahen wir aber auch, daß an andern
Punkten ein ebenso breiter oder noch breiterer Landstreifen ab-
getragen worden ist, und daß die Abtragung, trotz der schon
vorhandenen Breite der Brandungsterrasse, noch immer fortdauert.
Es ist wohl der Schluß erlaubt, daß auch an den Golfen von
Arzeu und Oran die Herstellung einer so breiten unterseeischen
Terrasse bei der verhältnismäßig kurzen Zeit, welche seit Bildung
dieser Bruchlinie verlaufen ist, durch eine im Gesamtergebnis
positive Strandlinien -Verschiebung unterstützt worden ist, bzw.
wird, daß die Brandungswelle ohne letztere, infolge der Reibung
erlahmend, keine so gewaltige Kraft mehr zu entfalten vermochte,
wie es doch bei Tipaza noch der Fall ist. Wir würden also hier
dem anziehenden Schauspiele der Bildung einer Abrasionsfläche
112 H> 3- Veränderungen der Küste am Golf von Algier.
beiwohnen. Die Sand- und Schlammablagerungen, letztere nur,
wo vor Buchten die Fläche bereits größere Breite erlangt hat,
wären in Bildung begriffene übergreifende Schichten, der Wechsel
im petrographischen Charakter derselben bei unzweifelhafter Gleich-
alterigkeit würde dann sogar einen Schluß auf ihre Entstehung
vor Buchten oder Vorgebirgen erlauben. Doch mögen die hier
in Bildung begriffenen übergreifenden Schichten nur geringe
Mächtigkeit haben, da die Strömung einen großen Teil der ab-
geriebenen oder durch die Flüsse herbeigeführten Massen ost-
wärts davon trägt. Da die positive Strandlinien -Verschiebung
nach Osten geringer wird, ja wohl schon in Ostalgerien ganz
aufhört, auch die Kraft der Strömung erlahmt, so dürfen wir
dort eine geringere Breite der Abrasionsfläche und größere
Mächtigkeit der übergreifenden Schichten erwarten. Auch ist
dort die Meerestiefe eine noch geringere, das Relief des Meeres-
grundes ein sehr verschiedenes. Ein Querschnitt durch die
Nordspitze von Afrika, Ras Engeiah, 10 km westlich des gewöhn-
lich als solche angegebenen, aber um volle 2 Bogenminuten
weiter südlich gelegenen Kap Blanco, weist daher etwas andre
Formen auf.
Wir erkennen ferner, daß die normale Gliederung einer Ab-
rasionsküste durch Bildung konkaver Buchten erfolgt, daß selbst
Einsturzkessel, wie der von Bougie oder am Numidischen Golfe,
oder erweiterte Flußmündungen, wie bei Tipaza, früher oder später
diese Form annehmen. Es kann bei positiver Strandlinien -Ver-
schiebung die Brandungswelle weit nachhaltiger wirken, als bei
unveränderlichem Meeresspiegel. Wir möchten daher den Satz,
mit welchem wir die früheren Untersuchungen schlössen (S. 87),
nunmehr schärfer so fassen, daß an Küsten mit unveränderlichem
Meeresspiegel die Brandungswelle, wenn sie die ausschlaggebende,
küstengestaltende Kraft ist, konkave Buchten, aber wohl immer
nur von geringer Tiefe, schaffen kann, an Abrasionsküsten aber
in der Regel solche schaffen wird.
3. Veränderungen der Küste am Golf von Algier.
Noch an einigen andern Punkten, und zwar an Vorgebirgen
festen Gesteins, nicht bloß an Buchten, ist es mir gelungen, Be-
weise für die fortschreitende Abtragung der Küste durch die
Abrasion bei Algier. hj
Brandungswelle zu sammeln. So zunächst bei Algier. Das Lieblings-
ziel der Ausflüge der Bewohner von Algier, das Boulogner Wäldchen,
der Prater, der Tiergarten von Algier ist das ganz nahe an der
Küste gegen N im vollen Anhauch des Meeres gelegene, rasch auf-
blühende Dorf St. -Eugene, das aus lauter Villen und Kneipen der
verschiedensten Art besteht. Es führt nur eine einzige, darum vom
Morgen bis zum Abend mit Fuhrwerken (und Fußgängern) bedeckte
Straße, meist unmittelbar am Strande entlang dorthin. Als ich diese
Straße an einem schönen, sonnigen Tage, an welchem das Meer
nur ganz mäßig bewegt war, wandelte, stieß ich, nachdem ich
das Nordwesttor von Algier, Bab-el-Wed, und die davorliegende
Vorstadt, Cite Bugeaud, durchschritten hatte, auf eine Stelle der
Straße, welche durch die Brandungswelle schwer beschädigt
worden war und von derselben abwechselnd überschüttet wurde,
so daß man nur- unter Gefahr eines Sturzbades vorüberkonnte.
Die Stellwagen, welche vorzugsweise den Verkehr vermitteln, hatten
vor jener Stelle Halt machen müssen, und andre jenseit derselben
hatten die Fahrgäste wieder aufgenommen, nachdem die Wogen
wiederholt die Fenster derselben zerbrochen und die Fahrgäste
mit Salzwasser überschüttet hatten, auch die Pferde infolge der
Sturzbäder und des furchtbaren Stoßes und Brausens der Bran-
dung scheu geworden waren. Der Sturm vom 9. Februar hatte
die Straße zeitweilig ganz ungangbar gemacht, doch war sie da-
mals notdürftig wiederhergestellt worden. Indessen häufte ein
paar Tage hindurch Mitte März die Brandungswelle während der
Nacht auf eine Strecke von 200 m eine Sandschicht von 0,5 m
Höhe auf der Straße auf, so daß 50 Mann daran arbeiteten, den
Sand immer wieder wegzuschaffen. Diese Stelle liegt vor dem
sogenannten Hospital des Dey, einer ausgedehnten Anlage von
Häusern und Gärten, welche 1791 — 1799 von dem Dey Baba
Hassan als Sommerwohnung geschaffen worden ist und heute als
Militärhospital dient. Die am Strande gelegenen, nur durch die
Straße vom Meere getrennten Teile dieser Anlage, die sogenannte
Salpetriere, sind erst 18 15 durch den schwedischen Konsul Schultz
vollendet worden. Noch vor so kurzer Zeit lagen also hier die
Verhältnisse ganz anders, denn heute, wo die Wogen die Vorder-
wand der Salpetriere über die dazwischenliegende Straße hinweg
bespritzen, würde man eine solche Anlage so unmittelbar am
Meere nicht schaffen. Das Meer hat eben hier, trotzdem es ziem-
Ki scher, Mittelmeerbiltler. Neue Folge. 8
IIA H> 3* Veränderungen der Küste am Golf von Algier.
lieh feste alte Schiefer anzugreifen hat, einen breiten Landstreifen
abgetragen und schließlich die Landstraße selbst erreicht. Etwas
näher am Bab-el-Wed ist in derselben Weise seit der Eroberung
der alte Christenfriedhof von den Wogen abgetragen worden, der
seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Gebrauch ge-
wesen war. Auch weiter nach Nordwesten, vom Fort des Anglais
bis gegen St.-Eugene hin, sind die auf dem Klippenrand stehen-
den Häuser schwer bedroht und werden in Kürze geräumt werden
müssen, da das Meer ihnen immer näher rückt. Man wird sehr
bedeutende Arbeiten vornehmen müssen, um der Brandungswelle
erfolgreich Widerstand zu leisten und die Straße und das Hospital
des Dey, das beim nächsten Sturme der größten Gefahr ausge-
setzt sein würde, zu schützen.
Wie hier am westlichen Eingange der Bucht von Algier so-
mit die Brandungswelle die festesten Felsen abträgt und, wie wir
sahen, bereits eine 2 km breite Abrasionsfläche geschaffen hat,
so auch am östlichen. Das Kap Matifu besteht nach Tchihatchef1)
aus S chiefer felsen, die so quarzreich sind, daß sie fast zu reinem
Quarz werden, oder aber viel Glimmer enthalten und dann einen
quarzigen Glimmerschiefer bilden , der hier und da in Gneis
übergeht. Die Schichten fallen nach Norden in einem Winkel
von 30 ° ein und bilden am Meere phantastische Felsen. Das
Vorkommen dieser Felsarten, auf denen das Vorhandensein des
Vorgebirges überhaupt beruht, steht in Beziehung zu den ähn-
lichen im Massiv von Algier. Nach der geologischen Karte von
Algerien2) besteht der inselartige Hügel des Kap Matifu aus den-
selben Glimmerschiefern und Tonschiefern, wie sie drüben im
Buzarea- Massiv auftreten. Daran lagern sich südwärts und dar-
über mioeäne Mergel und Sandsteine an, die die Steilküste bei
Rusgunia bilden, aber ihrerseits von altem Alluvium bedeckt
sind. Zwei Kilometer südlich vom Kap Matifu nehmen diese
1) Das Vorkommen der altern Felsarten habe ich nicht gesehen, denn
es ist auf sehr engen Raum auf dem Vorgebirge selbst beschränkt, das jetzt
auf der höchsten Erhebung, 72 m, eine Feste trägt, der ich mich auch nur
zu nähern von vornherein nicht die Absicht hatte. Zum Überfluß wurde ich
schon beim Betreten einer zum Cholerahospital bestimmten Anlage, deren
Dasein mir unbekannt geblieben war, von einem Soldaten zurückgewiesen.
Die Ruinen von Rusgunia reichen nicht so weit.
2) Carte geologique detaillee Bl. Alger bis 1:50000, bearbeitet von
Ficheur, Alger 1904.
Der Strand von Rusgunia. 1 1 e
allenthalben am Süd- und Ostrande der Bucht von Algier an-
stehenden miocänen Tone, Mergel und Sandsteine etwas größere
Festigkeit an, und fallen die wenig mächtigen, aber in ihrer
Schichtung deutlich erkennbaren Bänke derselben in einem Winkel
von 300 nach OSO ein, überlagert von völlig wagrechten, hier in
Bänken von 2 — 3 m Mächtigkeit auftretenden jungen Kalk- und
Sandsteinen. Erstere sind oft sehr sandig und wechseln mit Kon-
glomeraten von mehr oder weniger feinem Korn. Diese festern
Schichten schützen die leicht zerstörbaren Tone und Mergel, so
daß sofort mit ihrem Herantreten an die Küste diese zur 10 m
hohen Steilküste wird. Damit war eine sichere Lage für eine
Stadt unmittelbar am Meere und im Schutze des noch höheren
Vorgebirges gegeben. Die Kalk- und Sandsteinbänke lieferten
zugleich leicht zu bearbeitende Bausteine. Auf diesem hohen
Küstenstück finden sich auf mehr als 1 km weit nach Norden bis
an die Grenze der altern Felsarten, da, wo heute ein alter Wart-
turm und die Anlagen einer Thunfischerei stehen, die Ruinen der
römischen Stadt Rusgunia. Landeinwärts dehnt sich das Trümmer-
feld ebenfalls bedeutend aus, so daß Rusgunia an Größe wohl
Tipaza übertroffen haben mag. Zum Teil ist die Ruinenstätte von
mahonesischen Kolonisten, die ihre niedern Häuschen in die
Trümmer hineingebaut haben, in Anbau genommen und vorzugs-
weise in Artischocken- und sonstige Gemüsefelder verwandelt.
Doch sind die erhaltenen Trümmer nicht sehr bedeutend, weil
man dieselben zu Ende des Mittelalters nach Leo Africanus als
Steinbruch zum Bau der Mauern von Algier verwertet hat.
Die Grenze jener altern Felsarten und der Jüngern, auf denen
Rusgunia stand, ist genau gekennzeichnet durch das Zurückweichen
der Küste in östlicher Richtung um etwa 600 m. Dies Zurück-
weichen ist das Werk der Brandungswelle bei Westwinden, denen
allein dies Küstenstück voll ausgesetzt ist. Und die Westwinde ge-
hören hier nicht zu den vorzugsweise stürmisch auftretenden Winden.
Doch erkennt man, daß auch hier die Wassermassen 6 — 8 m hoch
emporgepeitscht werden und somit die Tone und Mergel auf-
lösen. So haben die darüber lagernden festen Bänke im ge-
gebenen Augenblick keinen Halt mehr und brechen ab, die Küsten
nunmehr einige Zeit als malerischer Blockwall schützend. Man
sieht hier diesen Vorgang in den verschiedensten Abschnitten.
Doch erliegen diese Blöcke, wie ihr wunderbar zerfressenes
8*
Il6 H> 3- Veränderungen der Küste am Golf von Algier.
Aussehen zeigt, ganz abgesehen von den mechanischen Angriffen,
der Verwitterung sehr rasch. Ganze Mauerteile, durch guten
Mörtel zusammengehalten, sind mit herabgestürzt und werden
von der Brandungswelle zerkleinert, an verschiedenen Stellen endi-
gen die Grundmauern am Steilrand der Klippe. Mauerreste unten
am Strande, wie solche von Stadenmauern und Hafenanlagen,
die doch vorhanden waren, zu erwarten wären, suchte ich ver-
gebens. Da wohl kaum anzunehmen ist, daß man dieselben mit-
samt den Fundamenten weggeführt habe, so müssen sie der
Brandung erlegen sein. So erkennt man auch hier, daß ein Teil
der alten Stadt verschwunden und ein Küstenstreifen abgetragen
ist. Rusgunia war eine von Augustus angelegte Kolonie, die wohl
auch erst dem Einbruch der Araber erlegen ist. Doch behauptete
es wegen seiner Lage und des Schutzes, den hier die Schiffe
gegen alle Winde, außer W und NW fanden, eine gewisse Be-
deutung; selbst als Algier anfing, größere Wichtigkeit zu erlangen,
diente die flache Bucht unter Kap Matifu gewissermaßen als Er-
gänzung von Algier, denn gerade bei Windrichtungen, wo man
dort keinen Schutz finden konnte, fand man denselben hier. Also
ganz wie bei Tanger noch heute. Im 12. Jahrhundert rühmt Edrisi
noch den guten Hafen neben der kleinen, wenig bevölkerten, in
Trümmern liegenden Stadt Tämadfus, im Beginn des 16. Jahr-
hunderts rühmt auch Leo Africanus den guten Hafen, dessen sich
die Algeriner bedienten, da sie keinen solchen hätten, sondern nur
einen Strand. Diese ausdrückliche Hervorhebung — erst seit 1 53 1
konnte man von einem Hafen in Algier sprechen — läßt vermuten,
daß Rusgunia wirklich einen Hafen besaß, wie auch Shaw, der
eine lange Reihe von Jahren im ersten Drittel des vorigen Jahr-
hunderts in Algier lebte, ausdrücklich erwähnt, es seien noch die
Spuren eines alten Cothon vorhanden. Seitdem erst wären also
diese Anlagen von der Brandungswelle verschlungen worden.
Noch weit gründlicher als mit den Trümmern von Rusgunia
ist mit denen von Rusubbicarri, weiter ostwärts, etwas westlich der
Mündung des Isser, 4 km nordwestlich von dem Dorfe Zamori,
seit dem Mittelalter Mers-el-Djedjadje, Hühnerhafen, genannt, auf-
geräumt worden. El Bekri nennt hier noch eine wichtige Stadt,
Edrisi desgleichen, und hebt namentlich ihre Festungswerke und
den guten Hafen hervor. Heute sind nur ganz dürftige Reste
der alten, gar keine der mittelalterlichen Stadt erhalten, das Meer
Die Bucht von Algier. j j y
hat die Stadt und den Hafen verschlungen, nur eine ganz kleine,
wenig Schutz bietende Einbuchtung ist noch vorhanden. Weiter
ostwärts an der Steilküste der großen Kabylei finden sich Ruinen
einer römischen Seestadt bei dem Kap Tigzirt, in dessen Nähe
1 881 ein danach benanntes Kolonistendorf angelegt worden ist,
ig km östlich von Dellys. Aus gewaltigen Blöcken hatte man
einen die vorgelagerte kleine Felseninsel mit dem Festlande ver-
bindenden Damm gebaut, von dem noch Reste erhalten sind, sowohl
auf dem Lande wie auf dem Grunde des Meeres, bei ruhigem
Wetter bis 50 m weit erkennbar1). Kiepert sucht hier Rusuccuru.
Daß also an den beiden den Golf von Algier begrenzenden
Vorgebirgen die Küste noch immer und zwar ziemlich rasch
zurückweicht, steht fest. Wie verhält es sich nun im Innern des
Golfs? Die Ufer der Bucht von Algier sind von dem oben an-
geführten Punkte 2 km südlich Kap Matifu bis zum Isly-Tore von
Algier, wo faserige Granite auftreten, völlig flach und bilden eine
vollkommene Kurve. Der Anblick, welchen von einer Anhöhe
dieser riesige kreisbogenförmige Wall weißen Schaumes bei etwas
bewegtem Meere bietet, ist ein großartiger. Von Mustapha bis
Rusgunia ist die Küstenlinie ein wie mit dem Zirkel gezogenes
Kreisbogenstück mit dem Radius von 8,5 km. Es reicht der
flache Strand genau soweit wie die leicht zerstörbaren Felsarten
reichen, die Tone und Mergel, die leicht zerreibbaren weißen
Kalksteine, die molasseähnlichen Sandsteine, wohl sämtlich plio-
cänen Alters. Festere, für Bauzwecke brauchbare Steine treten
meines Wissens nur oberhalb des Jardin d'Essai auf, also ziemlich
nahe an Algier und hoch über dem Meere. Wenn wir sehen,
daß selbst die festen Felsarten an den beiden begrenzenden Vor-
gebirgen ziemlich rasch der Brandungswelle erliegen, so können
wir, unter Hinblick auf die schon besprochenen morphologischen
Verhältnisse des Meeresgrundes, nicht daran zweifeln, daß die
Bucht an Stelle der abgetragenen weichern Gesteine getreten ist,
die sich wie im Westen, so auch im Osten an das Massiv von
Algier anlegten. Die beiden hier einmündenden Flüsse, Harrach
und Hamiz, erleichterten der Brandungswelle die Arbeit. Beide Flüsse
haben aber einen die Bucht umschließenden niedern Höhenrücken
zu durchbrechen gehabt, der auch hier die Mitidja vom Meere
l) Vgl. Bulletin de correspondance africaine I, p. 143.
I 1 8 H, 3- Veränderungen der Küste am Golf von Algier.
trennt. Der Harrach tut dies in einem wohl gleichzeitig mit denen
des Mazafran und Nador gebildeten Durchbruchstale, an dessen
Ostseite sich bei Maison Carree noch Höhen von 50 m finden.
Von da nimmt die Höhe des Rückens, jedenfalls wohl weil die
atmosphärischen Agentien die weichern Felsarten rascher abtrugen,
rasch ab bis auf 30 m, aber immerhin nötigt er den Hamiz, auf
fast 3 km der Küste parallel zu fließen, ehe er in scharfem Knie
zum Meere durchzubrechen vermag, nur 1700 m südlich von
Rusgunia. Diesem niedern Rücken ist ein flaches, auf eine Strecke
von 6,5 km zu beiden Seiten der Harrach-Mündung mit Dünen
besetztes Vorland vorgelagert, das an der Harrach-Mündung, wo
man den Artillerieschießplatz auf demselben angelegt hat, 800 m
breit ist, weiter gegen Algier hin sich aber auf 600 m verschmälert.
Dort liegt der berühmte Versuchsgarten der Hamma auf diesem
Vorlande, dessen außerordentlich fruchtbarer, feuchter Boden im
milden Anhauch des Meeres, Palmen und andre Kinder der
Tropen in großer Mannigfaltigkeit und tropischer Üppigkeit her-
vorbringt, ein Treibhaus im Freien. Das ist neugebildetes Land,
gehobener Meeresboden. Hier im Hintergrunde der Bucht findet
jetzt sicher keine Abtragung, sondern vielmehr Auflagerung, wenn
auch gewiß sehr langsam, statt. Dafür spricht auch der Umstand,
daß die Küste bei der schon seitwärts der tiefsten Einbuchtung
gelegenen aufblühenden Niederlassung gemüsebauender .Mahonesen,
die nach einer dicht am Strande liegenden alten Türkenfeste Fort
de l'Eau genannt ist, durchaus nicht von der Kurve abweicht,
was unbedingt der Fall sein würde, wenn hier noch immer Land-
abtragung stattfände, denn dort tritt der Höhenrücken, der gerade
dort feste mächtige Kalkbänke, wie ein Straßeneinschnitt zeigt,
enthält, mit Höhen von 20 m auf 250 m an den Strand heran.
Wir müssen daher annehmen, daß infolge der in östlicher Rich-
tung überhaupt abnehmenden positiven Niveauverschiebung, oder
weil dauernd oder vorübergehend dieselbe zum Stillstand gelangt
ist, die Abrasionsfläche diejenige Breite erlangt hat, bei welcher
die Brandungswelle, durch Reibung erlahmend, nicht mehr abzu-
tragen vermag, sondern die an den Vorgebirgen abgeriebenen
oder von den von zwei Flüssen und zahlreichen Gießbächen
herbeigeführten Massen im Innern der Buchten ablagert. Auch
die Gegenströmung kommt dabei in Betracht. Es dürften hier
die in Bildung begriffenen übergreifenden Schichten schon eine
Die Bucht von Algier. t i g
ziemliche Mächtigkeit erlangt haben. Bohrungen nahe dem Strande,
etwa vor dem Versuchsgarten, könnten dies ohne viel Kosten
feststellen. Wenn ich somit die Bucht von Algier in ihren sonstigen
Verhältnissen als eine Brandungsbucht an einer Abrasionsküste
ansehen muß, so muß ich doch auf die von mir 1 906 beobachtete
Tatsache hinweisen, daß der gewaltige Steilabsturz der hier dis-
kordant und ungestört dem Palaeozoicum auflagernden Miocän-
schichten des Sahel von Algier über dem Jardin d'Essai und
Mustapha Superieur auf einer im flachen Bogen verlaufenden Ver-
werfung beruht.
4. Neue Küstenstudien an der Abrasionsküste
von Tipaza und Algier.1)
Eine Studienreise, welche ich in der Zeit von Ende Februar
bis Anfang Mai 1906 mit Unterstützung der Karl Ritter- Stiftung
der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin unternahm, hatte zwar
vorwiegend den Zweck in Europa, außer etwa in Paris, nicht gut
auszufüllende Lücken in meiner Kenntnis der Atlas -Länder, die
seit langem im Vordergrunde meiner Mittelmeerstudien stehen,
durch Literatur-, kartographische und ähnliche Studien auszu-
füllen; aber ich hatte doch auch Studien im Gelände und nament-
lich an den Küsten von vornherein in meinen Arbeitsplan aufge-
nommen. Obwohl durch einen Anfall der im März in Algier
herrschenden Influenza an solchen Arbeiten gehindert, war es mir
doch möglich, annähernd das gesteckte Ziel zu erreichen und im
Laufe des April auch sonst fast alles auszuführen, was geplant
war. Sehr großen Dank schulde ich dabei dem außerordentlich
freundlichen Entgegenkommen der französischen Gelehrten, vor
allem Prof. Ficheur, dem ausgezeichneten Kenner der Geologie
Algeriens.
Da die hier mitgeteilten Beobachtungen an frühere unmittel-
bar anschließen, so kann ich den Hinweis nicht umgehen, daß
ich mich mit Küstenstudien überhaupt, aber namentlich in Nord-
Afrika, seit Jahrzehnten mit Vorliebe beschäftigt und auf ver-
1) Zuerst erschienen in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde
zu Berlin 1906, wo 12 Bilder nach eigenen Aufnahmen und eine Karte den
Text erläutern.
120 H, 4- Küstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier.
schiedenen Reisen die Küsten der Atlas-Länder, von der Kleinen
Syrte bis Mogador, mehr oder weniger eingehend kennen gelernt
habe. Namentlich kam es mir dabei darauf an, den Einfluß der
Brandungswelle auf die Küstengliederung klar zu legen und an
besonders lehrreichen Punkten zu veranschaulichen; denn ich
hatte längst erkannt, daß es wohl Küsten gibt, an denen uns
die Wirkungen dieser gewaltigen Kraft noch weit packender ent-
gegentreten , die der Britischen Inseln z. B., aber kaum solche,
die so genaue Zeitangaben ermöglichen wie hier. Die Nordküste
der Atlas-Länder ist fast seit drei Jahrtausenden von gesitteten
Völkern besiedelt, die dort bauliche Anlagen der verschiedensten
Art, wenn auch vorzugsweise dem Seeverkehr zu dienen bestimmte,
schufen. Diese Anlagen waren nun dem Ansturm der Brandungs-
welle ausgesetzt, und ihr heutiger Zustand gewährt uns so einen
Zeitmesser für die Arbeitsleistung des Meeres. Daß diese an
einem Mittelmeer von geringer meridionaler Erstreckung und in
der niederen Breite von 36 ° n. Br. geringer sein muß als an den
Ozeanküsten höherer Breiten, namentlich an Küsten, wo stürmische
West- und Südwestwinde, Gezeiten, Frost und dergleichen mit-
wirken, kann von vornherein keinem Zweifel unterliegen; aber an
der ganzen Nordküste von Afrika, vom Kap Spartel bis zur Grenze
Ägyptens gegen Syrien, sind im Jahresmittel auflandige Winde
vorherrschend, ganz besonders in der warmen Jahreshälfte, also
eine lange Zeit und gelegentlich im Winter, wenn sich Tröge
niedern Luftdrucks auf den Teilbecken des Mittelmeeres ent-
wickeln, mit ungeheuerer Stärke wirkende Kraft. In der Tat
kann man ihre Wirkungen überall, bei Alexandria, in Barka, bei
Tripolis und an der ganzen Nordküste der Atlas -Länder wahr-
nehmen. Es ist der Passat, der infolge der gegensätzlichen Er-
wärmungs- und Luftdruckverhältnisse der einander parallel äqua-
torial verlaufenden Erdoberflächengürtel des Mittelmeeres und der
großen Wüste die Südhälfte des Mittelmeeres mehr oder weniger
scharf ausgeprägt in seinen Herrschaftsbereich einbezieht. Die
Windrichtungen schwanken zwischen Nordwest und Nordost, die
Windstärke und dem entsprechend die Brandung wächst mit
steigender Sonne. Nachdem ich diese wohlbekannte Erscheinung
selbst im Frühling, im März und April, wo ich sie nicht erwartet
hatte, zu meinem Schaden festgestellt hatte, benützte ich stets
ganz frühe Morgenstunden, wenn es galt, im Boot vom Meere
Abrasionsküste bei Algier. j 2 i
aus die Küste zu untersuchen, gelegentlich zu landen oder küsten-
nahe Felsinseln zu erreichen. Beides war gegen Mittag der
starken Brandung wegen unmöglich.
Die von der Deutschen Seewarte unter Dr. Schotts Leitung
durchgeführte Verarbeitung der Beobachtungen deutscher Schiffe
auf dem Wege durch das Mittelmeer1), also in geringer Entfernung
der Nordküste Afrikas entlang, stellt das Überwiegen dieser nörd-
lichen Luftströmungen, also auflandiger Winde an der Küste, im
Laufe des Jahres fest. Im Winter herrschen südlich vom 40. Pa-
rallel allgemein Nordwestwinde vor, am meisten mit 37 Prozent
vor Ägypten. An der Küste der Atlas-Länder speziell überwiegen
im Dezember und Januar je weiter nach Osten um so mehr Nord-
westwinde. Im Frühling überwiegt Nordwest noch mehr, je weiter
nach Osten um so mehr. Im Sommer herrscht im nordwestlichen
Mittelmeer vom 40. Parallel nach Süden monsunartiger Nordost,
also Passatrichtweg, im Südostbecken Nordwest, ja vor dem Nil-
Delta zu 67 Prozent. Im Herbst überwiegen im Osten und Norden
des Mittelmeeres Nordwestwinde, doch sind auch andere Wind-
richtungen häufig. Die Wandstärke wächst vom November an
auffallend, dreiviertel aller Stürme fällt auf den Winter.
Diese auf offenem Meere gemachten Beobachtungen finden
im allgemeinen ihre Bestätigung durch diejenigen der Küsten-
stationen2). In Nemours, nahe der Grenze von Marokko, über-
wiegen vom Mai bis Oktober Nordwinde durchaus, in Oran sind
sie in allen Monaten des Jahres häufig bzw. überwiegend, be-
sonders im Sommer, nächstdem Nordwest; auf Kap Falcon über-
wiegt Nordost durchaus im Sommerhalbjahre, in Algier Ostwinde,
nächstdem Nord und Nordost, in Tizi-Uzu etwas landeinwärts im
Tale des Sebau der großen Kabylei sind Nordwest und Nordost
1) Wind, Strom, Luft- und Wassertemperatur auf den wichtigsten
Wasserwegen des Mittelmeeres. Herausgegeben von der Deutschen Seewarte.
Berlin 1905.
2) Einer meiner früheren Zuhörer, Herr Dr. K. Knoch, Assistent am
Kgl. Meteor. Inst, in Berlin, hat die Beobachtungen der fünf Stationen
Nemours, Oran, Kap Falcon, Algier, Tizi-Uzu auf Grund der für seine
Dissertation über die Niederschlagverhältnisse der AÜas-Länder gesammelten
Beobachtungen für mich berechnet und zwar für die Periode von 1885 bis
1900, bemerkt aber dazu, daß die Beobachtungen nicht allzu zuverlässig zu
sein scheinen, da Wechsel der Beobachter oft auch einen Wechsel der Wind-
richtungen bedingt. Vgl. auch S. 92.
12 2 II, 4- Küstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier.
die häufigsten Windrichtungen in allen Monaten des Jahres. Im
März und April 1906 überwogen in Algier nach meinen eigenen
Beobachtungen nordwestliche und nordöstliche Winde in solchem
Maße, daß nur an wenigen Tagen andere Windrichtungen, be-
sonders West, oder Windstillen herrschten.
Mit welcher unwiderstehlichen Gewalt die Stürme hier die
Küste angreifen, das haben die Franzosen bei ihren Hafenbauten
erfahren, die periodisch bei jedem größeren Sturme Schaden
leiden. Wie das bei dem Sturme vom 9. Februar 1886 in Algier
aufgenommene Bilder zeigen, wurden damals die Brandungswogen
turmhoch an den auf hoher Klippe stehenden Häusern empor-
gepeitscht. In Tipaza fand ich 10 m über dem Meeresspiegel
und mindestens ebenso weit von demselben die pliocänen Sand-
steine von der Brandungswelle bienenwabenähnlich zerfressen. Ich
hatte 1886 festgestellt, daß das Meer vor dem alten Nordwesttore
von Algier, dem Bab-el-Wed, anscheinend die Küste unablässig
abtragend und eine Abrasionsterrasse bildend, gegen das Land
vorrückt und die unmittelbar am Strand entlang die Stadt mit
dem Villenvorort St. Eugene verbindende Straße bedroht, ja zeit-
weilig ungangbar macht, wie bei dem Sturme vom 9. Februar.
Man hatte sie notdürftig ausgebessert. So erfolgreich war das
Meer an einer kleinen in den festen alten paläozoischen, prä-
kambrischen (?) bläulichen, tonigen, von Quarzadern durch-
zogenen Schiefern des Buzarea-Massivs ausgearbeiteten Bucht
gegen das Land vorgerückt, daß die so gefährdete Straße nur noch
die Kaserne der Salpetriere, die erst 1815 als ein Teil der
Sommerresidenz des Dey erbaut worden war, vom Strande trennte
und bei Sturm die Wogen die Mauern dieses Bauwerks bespritzten,
das man unmöglich so nahe am Meere errichtet haben würde,
wenn die Verhältnisse eben die gleichen wie heute gewesen wären.
Ich sprach damals aus x) : „Man wird sehr bedeutende Arbeiten
vornehmen müssen, um der Brandungswelle erfolgreichen Wider-
stand zu leisten und die Straße und die Salpetriere, die beim
nächsten Sturme der größten Gefahr ausgesetzt sein würde, zu
schützen." Einer meiner ersten Spaziergänge im März 1906
führte mich an diese Stelle; mit Staunen und Genugtuung stellte
ich fest, daß diese ,,sehr bedeutenden Arbeiten" inzwischen aus-
1) Siehe S. 114.
Besiedelung der Küste von Algerien.
123
geführt worden waren! Eine 5 — 6 m, örtlich noch höhere Ufermauer
aus mächtigen Blöcken des harten blauen Kalksteines des Buzarea-
Massivs schützt jetzt auf mehr als 1 km Länge das Land gegen
die Angriffe des Meeres, und durch Aufschüttungen hinter dem
Damme ist noch Raum für eine am Meere entlang führende
Kleinbahn gewonnen!
Eine kleine Reise galt Tipaza, der Trümmerstätte einer großen
römischen Küstenstadt, 68 km westlich von Algier, um meine dort
vor 20 Jahren gemachten Beobachtungen nachzuprüfen und zu
ergänzen. Dieselbe bot zugleich Gelegenheit, die außerordent-
lichen Fortschritte festzustellen, welche die Kolonisation seitdem
gemacht hat. Die ganze Küste bis zu dem weit aus dem ur-
sprünglich geraden Verlauf der Küstenlinie als hohe Landmarke
von der Brandungswelle herauspräparierten Kap Chenoua, 75 km
westlich von Algier, ist heute besiedelt, von Algier bis zu dem
durch die Landung der Franzosen am 14. Juni 1830 bekannt ge-
wordenen Kap Sidi-Ferruch sogar ziemlich dicht. Aber man stellt
sofort fest, daß Spanier und Italiener, die allerdings hier in der
Umgebung von Algier der Aufsaugung durch die Franzosen rasch
unterliegen dürften, unter den Ansiedlern sehr zahlreich sind und
daß namentlich ihre Arme, meist der einzige Besitz, über welchen
sie verfügen, die großen Weinpflanzungen, die hier angelegt
worden sind, geschaffen haben. Ich bin hier mehr mit Spaniern
und Italienern, auch solchen, die kein Wort Französisch kannten,
zusammengetroffen, als mit Franzosen, aber auch mit Spaniern,
die nicht mehr Spanisch konnten. In Guyotville, einem der
hübschesten Dörfer Algeriens, nur 15 km westlich von Algier,
findet sich sogar die größte geschlossene Landwirtschaft treibende
italienische Kolonie in Algerien, etwa 1000 Köpfe unter den
2800 Einwohnern des Dorfes. Sie bauen namentlich auf dem
warmen sandigen Boden Gemüse und Frühtrauben zur Ausfuhr.
Die angebaute Fläche ist in lauter kleine Felder geteilt, die von
hohen Zäunen von Arundo donax zum Schutze gegen den salzigen
Seewind umschlossen sind. Wo dieses, wohl weil der Boden zu
trocken ist, nicht gedeiht, hat man zu gleichem Zweck zwischen
den hier stets niedrig gehaltenen Reben Streifen von Roggen ge-
säet, der im Frühling, wenn die jungen Triebe der Rebe sich
entwickeln, schon hoch in Ähren steht und so den nötigen Schutz
bietet, das einzige Mal, wo ich Roggen in Algerien gesehen habe.
124 ^' 4* K-üstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier.
Guyotville wird auch immer mehr als Sommerfrische und zum
Genuß der Seebäder aufgesucht, wie fast alle diese Küstenorte
westlich und östlich von Algier. Bei Fort de l'Eau, einer An-
siedlung Gemüse bauender Spanier von der Insel Minorka (Ma-
honesen), östlich von Algier, an der Bucht, das einen herrlichen
feinsandigen Badestrand besitzt, ist ein förmlicher, nur im Sommer
bewohnter Badeort entstanden. Ebenso fand ich die Ansätze zu
einem solchen, zunächst aus ein paar Dutzend kleiner verstreuter
Villen bestehend, auf der schmalen Hebungsterrasse am Ostfuße
der steil aufragenden Kalkwände desKapChenoua, daher „Chenoua
Plage" genannt. Auch Tipaza verdankt seine Entwickelung zum
Teil seiner Eigenschaft als Seebadeort, die gewiß weniger auf
seinem felsigen Strande beruht, der sich wenig dazu eignet, als
auf der lieblichen Umgebung und den Altertümern. Die Ent-
wickelung aller dieser kleinen Küstenplätze zu Seebadeorten unter-
liegt zwingenden geographischen Bedingungen. Die Ebene der
Mitidja, obwohl nur durch den schmalen und niedrigen Damm
des Sahel von Algier vom Meere getrennt, ist so heiß, schon im
April, im Sommer auch noch vielfach von Malaria heimgesucht,
wenn auch nicht entfernt mehr wie in den ersten Jahrzehnten
nach der Eroberung, daß jeder, der es irgendwie kann, sich in den
kühlen Anhauch des so nahen Meeres flüchtet. Und da die Mitidja
jetzt fast in ihrer ganzen Ausdehnung besiedelt und angebaut,
auch der Wohlstand der Ansiedler wesentlich gestiegen ist, so er-
klärt sich dieser neue Faktor der Entwickelung der Küstensiede-
lungen, von welchen vor 20 Jahren noch keine Spur vorhanden
war. Daneben sind aber auch inzwischen reine Fischerdörfer an
dieser fischreichen Küste entstanden. So an der flachen, bisher
namenlosen, aber am besten nach Tipaza zu benennenden Bucht,
zwischen Kap Chenoua und Kap Sidi-Ferruch das Dorf Tschifalo,
ganz italienisch, von italienischen Fischern gegründet und nach
ihrem Heimatorte Cefalu in Sizilien benannt. So am Kap Matifu,
dem östlichen Vorgebirge der Bucht von Algier, nahe nördlich
der Trümmerstätte von Rusgunia , neben dem alten türkischen
Fort, das Dorf La Perouse, 1896 gegründet, und östlich vom
Kap das Dorf Jean Bart, 1893 gegründet, wie schon die Namen
der französischen Seehelden erkennen lassen, staatliche Grün-
dungen, und als solche schon von fern zu erkennen, in welche
man unter den denkbar günstigsten Bedingungen, wie in ein
Besiedelung der Küste von Algerien. 12^
warmes Nest, korsische (La Perouse) und südfranzösische Fischer
gesetzt hat. Auch diese, wie alle anderen im Laufe von Jahr-
zehnten immer und immer wiederholten Versuche, die italienischen
Fischer, die nach wie vor die reichen Fischereigründe an der
algerischen Küste ausbeuten, durch französische zu verdrängen,
sind als gescheitert anzusehen. Nur einige korsische, also im
Grunde auch italienische Fischerfamilien in La Perouse haben sich
gehalten; ich sah einige ihrer Boote mit geschwellten Segeln vom
Fang heimkehren. Sonst sind hier, wie anderwärts, Neapolitaner
an Stelle der Franzosen getreten. Und jede dieser französischen
Fischerfamilien hatte dem Staat ioooo Frcs. gekostet! Freilich
waren es auch vielfach nicht wirkliche Fischer, sondern Leute,
die man in den Häfen der Bretagne oder der Provence aufge-
lesen hatte. Italiener (und Spanier) bilden auch heute noch, wenn
sie auch durch ein 1888 erlassenes Gesetz, welches nur franzö-
sischen Staatsbürgern das Fischen an den Küsten von (Frankreich
und) Algerien gestattet und die italienische Bevölkerung in Algerien
von 1886 — 1896 von 44000 auf 35000 sinken machte, äußer-
lich zu Franzosen gemacht worden sind, die ganze Fischer- und
seemännische Bevölkerung Algeriens. Zu den Seßhaften kommen
aber sommerliche Wandervögel hinzu, noch mehr wie an den
Küsten Algeriens an denen Tunesiens. Dort neben Italienern
auch Griechen, die besonders Schwämme und die getrockneten
als Nahrung in Griechenland so geschätzten Pulpen fischen.
Immerhin sind solche zeitweiligen Niederlassungen italienischer
Fischer an den versteckten Buchten Algeriens nicht selten. Ich
fand eine solche an der Küste der großen Kabylei. Ein großes
Zelt, vor welchem die Boote auf den sandigen Strand gezogen
waren, beherbergte ein Dutzend Fischer und ihre Beute, einge-
salzene Sardinen , Tonne über Tonne hoch aufgestapelt. Auch
in Tipaza fand ich eine solche Sommerkolonie italienischer Fischer.
Manche bringen auch ihre Familien mit, da die Frauen und
Kinder beim Einsalzen helfen können.
Die Küste von Algier bis zum Kap Chenoua ist mäßige Steil-
küste, meist felsig und klippig, außer am Kap Sidi-Ferruch und
an der Mündung des Nador bei Tipaza. Außerordentlich malerisch,
wild zerrissen, von Klippen und felsigen Inselchen begleitet, ist
die Küste des alten Massivs des Buzarea von Algier bis Ras
Acrata, besonders am Kap Caxine und an der Pointe Pescade.
12Ö n, 4. Küstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier.
Auf dieser Strecke kann man die erfolgreichen Angriffe des Meeres
mit Händen greifen. Die Mündung jedes der kleinen Gießbäche,
welche das Buzarea-Massiv so wild durchschluchtet haben, daß
die jetzt im Bau begriffene kleine Straße, welche durch das be-
kannte Frais Vallon auf die miocäne Hochfläche von El Biar
hinaufführt, streckenweise, wenn man von der südlichen Pflanzen-
welt absieht, einem Alpensträßchen gleicht, ist zu einer kleinen
Brandungsbucht ausgearbeitet. Die reichste Kleingliederung ent-
spricht den festen mehr oder weniger kristallinischen blauen
Kalken des Buzarea, nächstdem den Tonschiefern. Am Kap
Caxine treten Gneise, wohl das älteste Gestein des Buzarea-Massivs,
zutage. Daß die flache Bucht von Tipaza zwischen den hohen
Landvorsprüngen des Massivs des Buzarea auf der einen, des
Chenoua auf der anderen Seite als eine auf Kosten der weichen
Neogenschichten des Sahel von Algier gebildete Brandungsbucht
aufzufassen ist, kann keinem Zweifel unterliegen, namentlich wenn
man sieht, wie bei Tipaza das Land unter dem Anprall der Wogen
beständig zurückweicht und im Laufe von kaum 1 1/2 Jahrtausend
um etwa 15, ja vielleicht 25 m zurückgewichen ist.
Ein neues Interesse gewinnt aber diese Frage der Ver-
schiebung der Küstenlinie in der Wagerechten, wenn wir daneben
den Bewegungen derselben in der Senkrechten Aufmerksamkeit
schenken. Wie General de Lamothe1), der diesen Erscheinungen
in Nord-Afrika, auch in Tunesien, gründliche Studien gewidmet
hat, festgestellt hat, lassen sich am Sahel d'Alger acht alte Strand-
linien erkennen, welche den Isohypsen von 17, 30, 55, 100, 140,
200, 265, 320 m entsprechen. Auch sind Spuren einer noch
höheren von 350 m vorhanden. Man kann sie auf große Strecken
verfolgen, da sie topographisch in scharf ausgeprägten Stufen
hervortreten, die Reste unterseeischer Plattformen, wie sich deren
eine nach meiner Ansicht in der Gegenwart hier vor der Küste
bildet, von roten Sanden mit kleinen weißen Quarzkieseln be-
deckt, die ausnahmsweise auch marine Konglomerate bilden. Ihre
Ausbildung fällt in die Zeit vom alten Pliocän (die höchsten) bis
ins obere Quartär. Nach bei Mostaganem gemachten Beobachtungen
glaubt Lamothe annehmen zu müssen, daß nach dem Niveau von
*) Les anciennes lignes de rivage du Sahel d'Alger. C. R. Ac. Sc.
25. Dec. 1904.
Küstenterrassen.
127
15 (17)111 eine große negative Bewegung die Strandlinie unter
das heutige Niveau gesenkt habe, seitdem aber eine positive Be-
wegung sie zum heutigen Niveau ansteigen macht, d. h. er kommt,
ohne meine Arbeit zu kennen, zu derselben Anschauung, zu
welcher ich schon 1886 gekommen war, daß nämlich aus dem
Vorrücken des Meeres in geschichtlicher Zeit und aus dem
Charakter der unterseeischen Abrasionsterrasse auf (eine positive
Bewegung) eine Senkung des Landes geschlossen werden müsse.
Bei Zeralda, südlich vom Kap Sidi-Ferruch , liegen vier solcher
Terrassen, ehemalige Küstenebenen, den Stufen einer Riesentreppe
ähnlich, übereinander. Die größte derselben, auf welcher die
großen Anlagen des ehemaligen Klosters La Trappe liegen, das
Schlachtfeld vom 19. Juni 1830, erstreckt sich kilometerweit ganz
wagerecht. Wie General de Lamothe an der ganzen Küste von
Algerien solche Strandlinien feststellen konnte, so fand ich auch
am Kap Chenoua derartige Terrassenbildung deutlich ausgeprägt.
Ras-el-Amuch, der nordöstliche Landvorsprung, wird von einer
untersten Terrasse gebildet, die etwa der Strandlinie von 17 m
entspricht, die ihrerseits aber bereits wieder zum Teil der
Brandungswoge erlegen ist. Das ganze Vorgebirge erscheint von
der Brandungswelle fast in gleichem Maße wie das Buzarea-Massiv
zernagt. Es ist rings von Klippen und kleinen Felsinseln um-
geben und den höheren Strandlinien entsprechen Reihen von
Höhlen in dem marmorartigen und auch als Marmor und zur
Zementgewinnung am Kap Chenoua selbst ausgebeuteten Kalkfels.
Die bekanntesten dieser Höhlen sind die Grottes du Nador an
den fast senkrechten Felswänden der Ostseite. Auf einer wohl
der Strandlinie von 30 m entsprechenden Terrasse, die man in
dem durch einen Gießbach geschaffenen Aufschlüsse als Aus-
füllung einer Meeresbucht erkennt, hat sich, weltabgeschieden,
von Kap Chenoua selbst, vom Meere und hohen Felswänden um-
schlossen, ein französischer Ansiedler niedergelassen, der mir
liebenswürdige Gastfreundschaft bot. Er betreibt vorzugsweise mit
spanischen Arbeitern neben der Landwirtschaft einen Marmor-
bruch und eine Zementfabrik, deren Erzeugnisse im Segelboot
nach Tipaza und von dort auf Küstendampfern nach Algier ver-
frachtet werden. Ein äußerst malerisches Gebirgssträßchen ver-
bindet jetzt sein Königreich mit der Welt. Die Dünenbildung
ist aufs engste mit den Flußmündungen verknüpft. Am Kap
12 8 n, 4- Küstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier.
Sidi-Ferruch, einem aus der Tiefe inselhaft auftauchenden Bruch-
stück des Buzarea-Massivs, ist es der Wed Mazafran, die Haupt-
wasserader des Mitidja- Atlas, der die Sandvorräte liefert. Die Küsten-
strömung drängt seine namentlich bei Hochwasser außerordentlich
sinkstoffreichen Fluten, nach denen er der gelbe Fluß (Saffran)
benannt ist, nach rechts an der Küste entlang, gegen Kap Sidi-
Ferruch, so daß die linke Seite seiner Mündung ganz dünenfrei
ist. Doch liefert anch die Brandung selbst Stoff zu den Dünen,
die mit immergrünen Macchien, ja zum Teil mit Wald bedeckt
sind. Auch an der Mündung des Wed Nador, der die westlichste
Mitidja entwässert, haben sich kleine Dünen gebildet.
Von der Mazafran-Mündung bis Tipaza ist die Küste aus
wagerechten Schichten pliocänen Sandsteins gebildete 10 — 20 m
hohe Steilküste, die Mündung fast jedes Gießbaches zu einer
kleinen Bucht ausgearbeitet. Das Kolonistendorf Berard liegt auf
der etwas breiter entwickelten 1 7 m -Terrasse. Der ganze Hang
bis hinauf zur Isohypse von 1 00 m, wo noch heute die Macchien
des Sahel beginnen, ist jetzt bebaut, kleine Dörfer und zahlreiche,
meist große Meierhöfe sind hier entstanden. Auch hier, wie in
der Mitidja, erkennt man, daß vorzugsweise französisches Groß-
kapital sich hier niedergelassen und mit Hilfe spanischer Arbeiter
besonders große, sorgsam gepflegte Weinpflanzungen angelegt hat.
Bei Berard waren auch ansehnliche Bananenpflanzungen, die
man auch bei Algier, bei Fort de l'Eau und anderwärts findet.
Diese Kolonistendörfer sind alle, soweit es nur irgend das Gelände
erlaubte, nach demselben Schema in ganz Algerien erbaut und
verraten darin ihren staatlichen Ursprung. Das gilt von den
ältesten in der Umgebung von Algier, wie etwa Birmandreis, wie
von den jüngsten. Den Mittelpunkt bildet ein freier Platz, häufig
mit amerikanischen Platanen bepflanzt, an welchem die Kirche,
die Mairie mit dem Schulhaus, ein (Lauf-)Brunnen und mindestens
ein Kaffeehaus sich findet, meist mehrere, nicht selten als Hotels
bezeichnet, die Gasträume fast immer mit Absinth oder Wein
trinkenden, Billard oder Karten spielenden Männern besetzt. An
diesen Platz schließen sich rechtwinklig schneidende, auch meist
mit Bäumen besetzte, von lauter niederen Häuschen gebildete Straßen
an. Allerdings unterliegt der Weinbau, der den Anbau und die
Kolonisation so mächtig gefördert hat, die Karte, auf welche man
in übertriebener Spekulation meist alles gesetzt hat, augenblicklich
Das heutige Tipaza. j2Q
in Algerien einer schweren Krisis, die durch vollständige Wieder-
herstellung und durch die riesigen Erträge der Weinpflanzungen
im Mutterlande, durch Überfüllung des Marktes und wohl auch
Geringwertigkeit der algerischen Weine verursacht ist, bei deren
Behandlung man in dem heißen Klima noch immer zu lernen
hat. Es waren 1903 im Departement Algier 66000, in Oran
95000, in Konstantine 21000 ha mit Reben bepflanzt. Aber die
auf diesen Pflanzungen ruhende Schuldenlast wurde auf 330 Mill.
Frcs. geschätzt, d. h. 1823 Frcs. auf 1 ha, während man jetzt
in der Mitidja den Hektar fertiges Weinland zu geringerem Preise
kaufen kann. In Konstantine ist der Weinbau in vollem Ver-
falle, ungeheure Flächen sind schuldenhalber zwangsweise ver-
kauft worden.
Tipaza, das bei meinem ersten Besuche 1886 von den
Archäologen kaum entdeckt war und mit seinen wenigen ärm-
lichen Kolonistenhäusern einen wenig hoffnungerweckenden Ein-
druck machte, hat sich seitdem außerordentlich entwickelt, aber
anscheinend nicht so sehr durch Hebung des Anbaues, obwohl
auch das zu beobachten ist und namentlich die Familie des
inzwischen verstorbenen Herrn Tremeaux , der mich 1886
hier freundlich aufnahm, die vom Staate sozusagen geschenkten
Ländereien in eine ganz unabsehbare Weinpflanzung verwandelt
hat. Sein schlichtes Landhaus inmitten eines eigenartigen Parkes
mit sei es dort aufgestellten, sei es an Ort und Stelle befindlichen
zahlreichen Altertümern ist aber gänzlich unverändert, nur einige
schöne Marmorsarkophage sind hinzugekommen. Auch einige
aus Feldsteinen und Reisig errichtete armselige Hütten der Ein-
geborenen auf dem östlichen der drei Hügel, über welche sich
die alte Stadt ausdehnte, sind gänzlich unverändert. Die Kinder,
welche mir, als ich in die Nähe kam, geringwertige römische
Münzen anboten, waren vielleicht die Sprößlinge der Kinder, die
vor 20 Jahren dasselbe getan hatten. Alles gleich armselig,
schmutzig, zerlumpt wie damals.
Der Aufschwung von Tipaza beruht vielmehr auf denselben
geographischen Gründen, die hier in spätrömischer Zeit eine Stadt
von mindestens 20000 Einwohnern schufen. Tipaza ist das natür-
liche Seetor der westlichen Mitidja, die hier durch das Tal des
Wed Nador, der ähnlich dem Mazafran, den Sahel von Algier
durchbricht, einen bequemen Zugang zum Meere hat. Als See-
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 9
I 30 H> 4- Küstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier.
Stadt und Seebadeort ist das alte Tipaza aufgeblüht, und das
neue würde noch mehr aufblühen, wenn das die französischen
Verhältnisse gestatteten. Die Mitidja ist heute in ganz anderer
Weise besiedelt und angebaut wie in römischer Zeit und im
Mittelalter, wo sie in großer Ausdehnung versumpft und ungesund
war. Erst allmählich haben sie die aus dem Mitidja- Atlas un-
geheuer geröllreich hervorbrechenden Flüsse mit ihren Schutt-
kegeln aufgehöht, um so rascher in den letzten Jahrhunderten, je
mehr das Gebirge entwaldet und infolgedessen um so rascher
abgetragen wurde. Den letzten großen Sumpf, den Hallulasumpf,
haben die Franzosen erst künstlich ausgetrocknet. Reste römischer
Siedelungen hat man nur an den Rändern und Enden der Mitidja
und stets nur über derselben gefunden. Selbst Icosium (Algier)
und Rusgunia kamen im Altertum zu keiner größeren Entwick-
lung, weil sie kein Hinterland hatten. Als Seebadeort mag sich
Tipaza entwickeln, soweit es der ungünstige Badestrand erlaubt;
aber seiner Entwicklung als Seestadt sind dieselben Grenzen ge-
setzt, wie allen Küstenplätzen soweit nach Westen und Osten,
als man nur irgend hoffen darf, den Verkehr noch nach Algier
zu lenken, bis Oran im Westen, Philippeville im Osten. In Dellys
und in Bougie, den beiden Seetoren der großen Kabylei, die ein
zwar an Erzeugnissen armes, aber an Menschen reiches Hinter-
land für beide bildet, hört man bitter klagen, daß Wahl- und
andere Rücksichten, welche die Regierung auf Algier nehmen
muß, den Bau von Häfen verhindern, so daß der Großverkehr in
Algier vereinigt ist, und somit diese Stadt, echt französisch
zentralisierend, auf Kosten aller Küstenplätze weithin stetig und
rasch wächst. Nur gerade so viel hat man allen diesen Plätzen
geschaffen, daß kleine Küstendampfer bei gutem Wetter anlegen
können, welche die Landeserzeugnisse, soweit sie nicht auf Eisen-
bahnen verfrachtet werden, nach Algier bringen und Erzeugnisse
des Mutterlandes zurückbringen. Bei Dellys hatte man bereits
den Bau eines Hafens begonnen und 800000 Frcs. darauf ver-
wendet, als es diesen Einflüssen gelang die Arbeiten zum Still-
stand zu bringen, angeblich weil die natürlichen Verhältnisse zu
große Schwierigkeiten böten. Bougie, das an Gunst der Lage
sich durchaus mit Algier messen kann und im Mittelalter, wo
Algier, wie auch im Altertum, kaum genannt wurde, lange Zeit
eine mit herrlichen Bauwerken geschmückte große Seehandelsstadt
Das heutige Tipaza. I 2 j
und Herrschersitz war, würde bei gleicher Begünstigung seitens
der Regierung Algier bald einholen.
Man hat in Tipaza seit 1886, wo hier nur ein Zollwächter-
posten und Seeverkehr fast unmöglich war, eine Ufermauer, an
welcher bei ruhigem Wetter die kleinen Küstendampfer und Segler
anlegen können, und einen gepflasterten Lagerplatz geschaffen,
der aber durch eine starke 5 m hohe Mauer gegen die Brandung
geschützt werden mußte. So können hier die Erzeugnisse der
Umgebung, namentlich riesige Mengen Wein, nach Algier ver-
frachtet werden. Manchen Tag legen zwei kleine Dampfer zu
diesem Zwecke an.
Auch im Altertume waren Kunstbauten nötig gewesen, um
Tipaza zu einer Seestadt zu machen. Diese Anlagen und die
landabtragende Tätigkeit des Meeres genauer zu erforschen, als
ich es 1886 gekonnt hatte, das war meine Aufgabe.
Mitten auf der Trümmerstätte des alten Tipaza, aber nur
den mittleren Teil — wohl auch im alten Tipaza der älteste —
einnehmend, wächst langsam, aber doch seit 1886 recht auffällig,
das neue Tipaza heran, dessen Umgebung schon den Eindruck
der Kulturlandschaft macht. Es besitzt schon 500 (europäische)
Einwohner, drei Gasthäuser, von denen das eine, Hotel du Rivage,
auch einem Verwöhnten leidliches Unterkommen bietet; der schon
1867 errichtete Leuchtturm, die Zufluchtsstätte der wenigen da-
mals vorhandenen Europäer bei dem Eingeborenenaufstande von
1871, ist ein wundervoller Aussichtspunkt; die Trümmerstätte
bietet viel Anziehendes. Das Landschaftsbild der Umgebung ist
nicht ohne Reiz. Offenes Land, mit Weinreben bepflanzt oder
mit Weizen bestellt, mit Waldrestchen, Eukalyptuspflanzungen
und der urwüchsigen immergrünen, im Frühling blühenden, duftigen
Macchia wechselnd, bedeckt das hügelige Gelände, darüber in
der Ferne nach Osten auf der Höhe des Sahel der geheimnis-
volle stumpfe Kegel des Grabmals numidischer Könige, von den
Eingeborenen als Grab der Christin bezeichnet, das immer wieder
die Blicke auf sich zieht, nach Norden das blaue Mittelmeer, im
Westen den Horizont begrenzend, die schönen Linien der ge-
waltigen Kalkmasse des Kap Chenoua. Die Neubauten, wie die
eben im Gange befindlichen Arbeiten zur Erweiterung der
Anlagen am Landeplatze, wobei es sich um Abtragung einer
2 — 2*/2 m mächtigen Bodenschicht handelt, haben manche Alter-
9*
I 32 Hi 4< Kiistenstudien an der Abrasionskiiste von Tipaza und Algier.
tümer zutage gefordert. Ich sah dort eine große Zisterne bloß-
legen, unterirdische Entwässerungskanäle u. dgl.
Seit meiner ersten Anwesenheit haben die Altertümer von
Tipaza unter Verwertung meiner Feststellungen eine gründliche
Untersuchung durch den trefflichen Archäologen Stephan Gsell,
der sich um die Erforschung des römischen Mauritanien große
Verdienste erworben hat, in den Jahren 1891 und 1892/93 er-
fahren1). Nach Gsell handele es sich nach dem Namen, welcher
Durchgang bedeute, um eine phönikische Gründung, die aber
wohl nie besondere Bedeutung erlangt habe. In numidischer Zeit
trete Tipaza auch noch nicht hervor, wenn auch seine Lage zwischen
dem nahe westlich gelegenen Herrschersitze Cherchel und dem
eben genannten Grabmal ihm eine gewisse Bedeutung verleihen
mußte. Unter Kaiser Claudius wurde es römische Kolonie. Später
erlangte es volles Bürgerrecht und nahm unter den Antoninen
und Severus einen rascheren Aufschwung. In der zweiten Hälfte
des 2. oder im Anfange des 3. Jahrhunderts dehnte es sich dem
Meere entlang und um die kleine Bucht herum über die drei
Hügel aus und wurde von einer 2200 m langen, noch deutlich
verfolgbaren, 1,60 m starken Mauer mit Rundtürmen umgeben.
Man kann seine Bevölkerung für jene Zeit auf 20000 schätzen.
Wie heute, wurde in der Umgebung vorzugsweise vom Großgrund-
besitz Weinbau und Olivenzucht getrieben, aber es war in erster
Linie Handelsstadt, mit guter Straßenverbindung mit dem Innern
und an der großen Küstenstraße. Namentlich muß man aus dem
Umstände, daß sich die Bewohner Ende des 5. Jahrhunderts vor
den Vandalen nach Spanien flüchteten, auf Handelsbeziehungen
zu Spanien schließen. Aus den Namen der Inschriften, die nur
wenige punische Anklänge bieten, müssen wir schließen, daß die
Bevölkerung ganz romanisiert war. Wenn auch in vandalischer
Zeit durch die Katholikenverfolgungen geschädigt, bestand Ti-
paza noch in byzantinischer Zeit. In Trümmern dürfte es etwa
seit dem 6. Jahrhundert liegen.
Die Lagenverhältnisse, die Entwickelung des alten Tipaza
und die Veränderungen, welche die Brandungswoge hier im Laufe
von 1 300 Jahren hervorgerufen hat, liegen jetzt durchaus klar
vor mir. Den Anstoß zu der ersten Niederlassung phönikischer
1) Tipaza. Ville de la Mauretanie cesarienne. Rom 1894.
Das alte Tipaza. nj
Kaufleute gab sicher die kleine Bucht und die Verbindung mit
dem Innern durch das Nador-Tal von dieser Stelle aus. Die
älteste Siedelung lag daher unzweifelhaft an der Stelle des heu-
tigen Landeplatzes, und von dort dehnte sich die Stadt über die
ebene, sanft nach innen ansteigende Fläche aus, auf welcher
auch das heutige Dorf steht. Später nahm die Stadt auch das
Hügelvorgebirge in Anspruch, an dessen Fuß das heutige Hotel
du Rivage und das Landhaus Tremeaux steht und auf dessen
Spitze 1867 der kleine Leuchtturm errichtet worden ist. Er heißt
heute Ras-el-A'isch. Gsell nennt ihn nach den Tempelresten, die
er dort nachgewiesen hat, den Hügel der Tempel. In christ-
licher Zeit wuchs die Stadt auch noch auf einen östlichen Hügel
hinauf, der aber nur zum Teil von der Stadtmauer eingeschlossen
wurde. Auf ihm wurde außerhalb der Mauern die Basilika der
heiligen Salsa, der Schutzheiligen von Tipaza, errichtet und ein
christlicher Friedhof angelegt, dessen Gräber zum Teil in den
Felsen gehauen und mit Steinplatten belegt, zum Teil einfache
Steinsarkophage sind und heute ein weites eigenartiges Steinfeld
bilden. Dieser Hügel heißt heute Kudiat Zarar. Ebenso dehnte
sich die Stadt nach Westen über einen dritten Hügel aus, auf
dem ebenfalls eine Basilika errichtet wurde, aber noch innerhalb
der Mauern. Dieser Hügel heißt danach Ras-el-Knissa, Vorge-
birge der Kirche. Auch an diese Basilika schließt sich, aber
innerhalb der Mauern, ein christlicher Friedhof an, von dem aber,
wie ich schon 1886 nachweisen konnte, durch Unterwaschungen
des Meeres und Nachstürzen der etwa 30 m hohen Felswand,
ein Teil zerstört ist.
Dem wachsenden Verkehr der Stadt genügte bald die kleine
Bucht an der südöstlichen Wurzel des Leuchtturmhügels nicht
mehr. Es fehlte namentlich an Raum zum Lagern der
Güter und an Ufermauern, an welchen die Schiffe, allerdings nur
bei ruhigem Wetter, ganz wie heute, anlegen konnten. Diesen
Raum schuf man durch Abtragen der Felsen vom Ufer landein-
wärts, so daß die Häuser des östlichen Stadtteils auf einer 10 m
hohen, so künstlich geschaffenen senkrechten Felswand standen,
über welche man auf in den Felsen gehauenen Treppen auf den
davor liegenden Lager- und Hafenplatz hinabstieg. Die so ge-
wonnenen Steine hat man wohl zum Teil als Bausteine verwertet,
namentlich aber, um noch mehr Raum zu gewinnen zu Auf-
1^4 ^> 4- Küstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier.
schüttungen seewärts und zu Ufermauern. Diese stützten sich
auf etwa i oo m, von Westen nach Osten verlaufend, auf den ge-
wachsenen, aber nach der Seeseite geglätteten und abgesprengten
Fels. Der so künstlich geschaffene Lagerplatz und die Fels-
fundamente der Ufermauer werden heute auch bei ruhigem Wetter
vom Meere überspült! Bei den Felsabtragungen wohl der ältesten
Zeit, an der zuerst als Hafen benützten Bucht, wurde ein mäch-
tiger Felsblock, der stehen geblieben war, viereckig behauen,
3,50 m x 3 m, ausgehöhlt und mit einem nur an einer Ecke,
wohl absichtlich, abgebrochenen Felsdeckel versehen. Auch dieses
merkwürdige Denkmal steht heute dauernd im Wasser. Die
Brandungswoge hat unten eine Hohlkehle ausgewaschen, so daß
es sich bereits etwas auf die Seite geneigt hat und in Zukunft
einmal umstürzen wird. Es ist gewiß ein Mausoleum, und ich
mache, auf jede Deutung meinerseits verzichtend, die Archäologen
darauf aufmerksam, daß an der Küste von Lykien bei Makri1),
heute ebenfalls ganz im Wasser, ein ähnliches, nur künstlerisch
reicher ausgestattetes Denkmal steht.
Daß diese Anlagen, die nur im Sommer zu benutzen waren,
dem wachsenden Verkehr nicht genügten, liegt auf der Hand.
So schuf man, wohl in der Zeit der höchsten Blüte der Stadt,
einen wirklichen, wenn auch kleinen Hafen und zwar mit Hilfe
zweier kleiner Felsinseln, welche dem Osthügel in etwa 120 m
Entfernung, Zeugen der Abtragung, vorgelagert sind. Diese beiden
sich heute nur wenig über 2 m über Mittelwasser erhebenden
Felseninselchen waren sicher einmal vereinigt, ob noch zu der
Zeit, wo man den Hafen schuf, ist nicht zu entscheiden. War
das nicht der Fall, so mußte man sie künstlich miteinander ver-
binden. Kapitän Berard, der zuerst diese Küste aufgenommen
hat, glaubte in der Tat die Reste eines solchen Dammes zu
finden. Ebenso verband man sie durch einen Steindamm mit
dem Ufer. Der so geschaffene kleine Hafen diente wohl nur als
Liegehafen bei unruhigem Wetter; denn er lag abseits der Stadt
und war wohl auch nur im Boot zugänglich oder höchstens auf
Treppen von dem Gräberfelde des Osthügels aus2).
1) Abgebildet u. a. in Eduard Suess: Das Antlitz der Erde. Bd. 2,
S. 567. Wien 1888.
2) Da die vorhandenen Karten nicht genügen, um diese topographi-
schen Verhältnisse zu veranschaulichen, so empfand ich es besonders schmerz-
Abtragung der Küste bei Tipaza. j ■} c
An diesen Anlagen hat nun die Brandungswelle zwölf Jahr-
hunderte lang gearbeitet, Ihre Wirksamkeit erkennt man zunächst
an der Bildung hier vorhandener Hohlkehlen, wie schon das
Grabmal zeigt. Demnächst folgt Nachstürzen der unterwaschenen
Felsen und, wenn der Trümmerwall im Laufe der Zeit aufbe-
reitet und abgetragen ist, Bildung neuer Hohlkehlen u. s. f. Ein
Vergleich des heutigen Zustandes mit dem von 1886 ließ er-
kennen, daß an einer der zum Lagerplatz hinabführenden Treppen,
deren einzelne in den Felsen gehauenen Stufen schon zum großen
Teil zerstört sind und die nach unten an einer Hohlkehle endi-
gen, ein Nachstürzen, aber auch eine schon weit fortgeschrittene
Aufarbeitung der Blöcke stattgefunden hat. Am Osthügel liegen
mehrfach neugebildete Blockwälle vor der bis 30 m hohen Steil-
wand. Überhaupt kehren die drei voneinander durch Brandungs-
buchten geschiedenen und vorgebirgsartig herauspräparierten Hügel
ihre hohen Stirnen dem offenen Meere zu, das dieselben auch
immer weiter zurückdrängt. Die kleinen Buchten entsprechen
durchaus, wie ich schon 1886 gezeigt habe, den Mündungen
von Gießbächen, in welche die Brandungswelle um so erfolgreicher
hineinstürmte, als dieselben zugleich Tiefenlinien größter senk-
rechter Abtragung sind. Auch in den innersten Winkeln dieser
kleinen Brandungsbuchten erkennt man die noch immer vorsich-
gehende Abtragung in den auch da vorhandenen, nur niedrigeren
Steilabbrüchen, vor denen nur geringe Mengen abgeschliffener
Gerolle liegen, während im Hintergrunde so großer und tiefer
Brandungsbuchten, wie die von Algier, heute Sandablagerungen
stattfinden.
Sind die beiden kleinen Felsinseln etwa als, weil aus feste-
rem Gestein bestehend, stehengebliebene Zeugen der Abtragung
aufzufassen, so sieht man an ihnen ganz besonders, wie erfolg-
reich das Meer hier arbeitet. Bei hoher See stürzen sich gewaltige
Brecher über die schon ganz niedrigen Inseln hinweg. Dieselben
sind so zerfressen, karrenfeldartig, daß man nur sehr schwer über
sie hingehen kann, und an der Seeseite sind ganze wagrechte
Felsplatten, die innersten festesten Teile eines Schichtenkomplexes,
herausgearbeitet. Auch Löcher finden sich vielfach, durch welche
lieh, daß ich den Gedanken, selbst Aufnahmen zu machen, sofort fallen
lassen mußte.
1^6 II, 4- Küstenstudien an der Abrasionsküste von Tipaza und Algier.
das Wasser, wenn sich hier eine Welle bricht, meterhoch, wie aus
einer Springquelle, emporspritzt. Auf der größeren Westinsel
glaubte ich eine größere künstlich geglättete Fläche erkennen
zu können; von Mauerwerk ist nur noch ein großer, umgestürzter
Mauerblock an der Innenseite vorhanden, der auch bald ver-
schwinden wird. Auf der kleineren Ostinsel ist noch ein längeres
Stück des Fundaments einer Mauer erhalten. Von dem die Ost-
insel mit dem Festlande verbindenden Steindamme glaube ich die
Trümmer, übereinandergeworfene behauene Blöcke, deutlich unter
Wasser erkannt zu haben. Sie lagen nahe der Insel in so ge-
ringer Tiefe, daß meine Bootsleute, selbstverständlich Italiener,
sehr vorsichtig fahren mußten. Der Hafenlagerplatz des alten
Tipaza, eine weite geglättete Felsfläche, ist heute dauernd über-
spült, ja bei Sturm wird eine 8 m breite, 5 m hohe Terrasse an
der Innenseite derselben überspült, zu welcher die schmalere der
beiden Felstreppen hinabführt, und die, nach den Spuren zu
schließen, Magazine und Zisternen trug. Letztere, meist aus
rotem Mosaikfußboden, der hier seit 1886 beträchtlich zurück-
gewichen ist, so daß die von mir damals geschilderten1) baulichen
Anlagen zum großen Teile heute verschwunden sind, finden sich
mehrfach in der Linie der größten Zerstörung. Die Basilika des
Westhügels stützte sich schon im Altertum auf starke Futter-
mauern. Trotzdem ist der größere Teil der Apsis, ähnlich wie
viele Gräber, zum Meere abgestürzt.
Wenn ich dem im Laufe von zwölf Jahrhunderten hier durch
die Brandungswelle abgetragenen Landstreifen 1886 eine Breite
von etwa 10 m glaubte geben zu sollen, so neige ich heute da-
zu, sie eher auf 15 m zu schätzen. Auch glaube ich an der
Annahme einer in geschichtlicher Zeit eingetretenen Senkung des
Landes unbedingt festhalten zu müssen. Ich möchte aber in Er-
gänzung meiner eigenen Beobachtungen darauf hinweisen, daß
der hervorragende französische Altertumsforscher Ed. Cat2) im
Anschluß an dieselben auch seinerseits für diese Küstenstrecke
westlich von Tipaza, nämlich zwischen dem nahe westlich von
Kap Chenoua gelegenen Cherchel, dem phönikischen Iol, und dem
1) Siehe die vorhergehende Abhandlung.
2) Essai sur la province romaine de Mauretanie cesarienne. Paris
1891, p. 18.
Abtragung der Küste von Algerien. 137
nahe der Tafnamündung, also nahe der marokkanischen Grenze
gelegenen Siga, bedeutende Veränderungen meint annehmen zu
müssen, die sich in geschichtlicher Zeit vollzogen haben, und
zwar auf Grund der Angaben des Periplus des Skylax. In dieser
hier wohl auf phönikische Quellen zurückgehenden Segelanweisung
werden die Küsteninseln Acium, Pasmathus und Bartas aufge-
zählt, die ersteren beiden mit einer Stadt und einem Hafen,
letztere nur mit einem Hafen. Es handle sich offenbar um Inseln
von einiger Bedeutung, groß genug, um Häfen zu bilden und
Städte zu tragen, was bei den heute vorhandenen Inselchen
Aschak, Colombi und anderen undenkbar sei. Die Insel Bartas
sei überhaupt nicht nachzuweisen, da sie in einem Meerbusen
liegen soll, die Golfe von Arzeu und Mers-el-Kebir, die allein
in Frage kommen, keine Inseln haben.
Ich besuchte auch die Trümmerstätte von Rusgunia, am öst-
lichen Eingang in den Golf von Algier, nahe am Kap Matifu,
vermochte aber meinen 1886 dort gemachten Beobachtungen1)
keine neuen hinzuzufügen, außer etwa die Feststellung, daß seit-
dem an einer Stelle durch Wegspülung der steil aufgerichteten
weichen eocänen Tonschichten die mächtigen Bänke jüngster
Kalksandsteine, gehobener Meeresgrund, die jene diskordant über-
lagern, durch Spalten losgelöst abzustürzen und einen Blockwall
zu bilden im Begriff sind. Es ist also auch hier in den letzten
20 Jahren die Landabtragung fortgeschritten. Ich möchte aber
an dieser Stelle noch daraufhinweisen, daß der Archäolog Cat 2) schon
1891 festgestellt hat, daß der Hafen und ein Teil der römischen
Küstenstadt von Rusibricari Matidiae, heute Mers-el-Hadjadje,
Pilgerhafen genannt, etwas östlich vom Kap Matifu, vom Meere
abgetragen worden ist.
5. An der Küste der großen Kabylei.
Auch an der Küste der großen Kabylei durfte ich hoffen
Nachweise der Abtragung der Küste durch die Arbeit des Meeres
in geschichtlicher Zeit erbringen zu können. Namentlich bei
1) Siehe die vorhergehende Abhandlung.
2) Essai sur la province romaine de Mauretanie cesarienne. Paris
1891, S. 117.
138 n, 5. An der Küste der großen Kabylei.
Dellys und der 27 km weiter ostwärts gelegenen Trümmerstätte
von Tigzirt. Dellys ist heute sowohl zur See durch kleine Küsten-
dampfer von Algier erreichbar, die aber sehr unpraktische Abfahr-
zeiten haben, wie zu Lande mit der Eisenbahn, zuletzt mit einer
sogenannten Straßenbahn, die aber nach meinen Erfahrungen die
angenehmste und rascheste Beförderung in Algerien bieten. Dellys
spielt die Rolle der Mündungsstadt des Sebau, der Hauptwasser-
ader und bequemsten Zugangsstraße vom Meere her des in sich
abgeschlossenen Gebirgslandes der großen Kabylei, das westliche
Seetor derselben, wie Bougie das östliche ist. Da sich aber an
der Mündung des Flusses selbst auch nicht der geringste Schutz
bietet, so hat sich als solches die am nächsten Küstenpunkte ge-
legene Siedelung entwickelt, die so viel oder so wenig Schutz
genießt, als die gefährliche algerische Küste überhaupt zu bieten
vermag. Es liegt 6,5 km östlich der Mündung des Sebau an
dem steilen Ostgehänge auf einer 50 m hohen Terrasse eines
hohen dolchartig zugespitzten Vorgebirges, Kap Dellys, hoch über
dem Meere. Die so gebildete Bucht bietet wenigstens gegen
West- und Nordwestwinde Schutz. Dellys liegt also genau so
wie alle Küstenstädte der Atlasländer von Tanger bis Biserta.
Aber obwohl schon in römischer Zeit, vermutlich auch schon
früher besiedelt, hat dieser Punkt doch niemals größere Bedeu-
tung erlangt, wahrscheinlich weil die Bucht doch gar zu wenig
Sicherheit bietet. Es ist heute ein bescheidenes Städtchen, das
aus einem malerischen Eingeborenen -Viertel und einem neuen
europäischen besteht, das Ganze von einer Steinmauer umschlossen,
die vom Meere zu beiden Seiten, das Vorgebirge einschließend,
hoch am Gebirge hinauf bis zu einem 200 m hohen Gipfel, den
ein starkes Blockhaus krönt, geführt und, nur mit Schießscharten
versehen, lediglich auf die Angriffe der Gebirgsberber berechnet
ist. Baumreiche Gärten füllen waldartig den größten Teil des
so umschlossenen Raumes aus, auch die Straßen der französischen
Neustadt sind meist mit Bäumen besetzt. Da auch sonst die
Umgebung, namentlich nach Westen bis zum Kap Bengut, von
baumreichen Gärten bedeckt ist, so ist die Lage von Dellys eine
recht liebliche, luftige und gesunde. Weit schaut man nach Osten
über das Meer und die Höhen der Kabylei.
Von römischen Altertümern, welche als Anhaltspunkte für
die Arbeit des Meeres dienen könnten, ist nichts vorhanden.
Die Küste bei Dellys. I 2q
Wie überall, wo an Stelle einer römischen Siedelung eine mittel-
alterliche getreten ist, haben die Trümmer die Bausteine für diese
geliefert, ja oft sind die fertigen Werkstücke, wo man sie bequem
verladen konnte, weithin verschleppt worden, von Rusgunia hin-
über nach Algier, von Karthago, wie bekannt, sogar nach Italien.
Nur diejenigen Trümmerstätten, an deren Stelle keine spätere
Ansiedelung getreten ist, wie Tipaza, und wie wir gleich sehen
werden, Tigzirt, haben sich leidlich erhalten. Doch war es mög-
lich, auch ohne solche Anhaltspunkte die fortschreitende Abtra-
gung des Landes und die Ausgestaltung der Küste durch die
Brandungswelle festzustellen. Zunächst aus der vollen Gegenwart.
Die riesigen Blöcke, die man dem Vorgebirge selbst entnommen,
teils in natürlichem Zustande, teils als Gußwerk zu den be-
gonnenen Hafenbauten an der Spitze des Vorgebirges selbst
1,2 km nördlich von Dellys verwendet hatte und die zum Teil
einen Schutzwall um das Vorgebirge selbst bilden, sind schon
zertrümmert und untereinander geworfen. Eine Laterne, die 10 m
über Mittelwasser auf der Schutzmauer errichtet war, erlag einem
der ersten Stürme. Dellys muß sich jetzt mit einem steinernen
Landestege begnügen am Fuße der Stadt und in der innersten
Bucht, an dem aber die kleinen Küstendampfer nur bei ganz
ruhigem Meere anlegen können. Drei Fischerboote, die, ver-
ankert, sich ziemlich weit draußen auf den Wellen schaukelten,
und einige auf den Strand gezogene kleine Boote waren alles,
was das Städtchen zur Unterhaltung der Beziehungen zum Meere
besitzt.
Das Kap Dellys, das in scharfer Spitze endigt, auf welcher
30 m hoch ein kleiner Leuchtturm thront, besteht aus fast seigeren
Schichten von Sandsteinen des unteren Oligocän, die in Nord-
ostrichtung gegen das Meer ausstreichen und sich noch mehrere
Kilometer weit in brandenden Untiefen, Zeugen der Abtragung,
fortsetzen. Die steile Aufrichtung der Schichten, zum Teil aber
auch die Arbeit des Menschen bedingt die fast senkrechten Wände
des Vorgebirges. Entsprechend der vorherrschenden Windrichtung
müssen die Angriffe des Meeres an der Nordwestseite am heftigsten
und wirkungsvollsten sein. In der Tat fand ich dort eine wunder-
volle Abrasionsterrasse von mindestens 50 m sichtbarer Breite. Die-
selbe begleitet das Vorgebirge in etwa 1,5 km Länge, bis die
Basalte des Kap Bengut eine Änderung in der Richtung und im
140 n, 5. An der Küste der großen Kabylei.
Charakter der Küste bedingen. Der dem numidischen ähnliche
Sandstein tritt hier teils in ganz dünnen Schichten, teils in 0,5,
ja 1 m mächtigen Bänken auf, die schnurgerade verlaufend, senk-
recht aufgerichtet und von der Brandungswelle wagerecht durch-
geschnitten sind. Es ist so eine Felsplatte entstanden, die wie
mit geraden parallelen Linien dicht nebeneinander überzogen
erscheint. Die mächtigeren, daher widerstandsfähigeren Bänke
sind in der Höhe bis zu im, als wären es stehengebliebene
Grundmauern, aus der Felsfläche herauspräpariert. Die Eisen-
bahn, die hier der Küste folgt, hat man in der Länge von 1 km
durch eine 8 m hohe starke Ufermauer schützen und schließlich
in einem Tunnel durch die Spitze des Vorgebirges führen müssen.
Auch sie gelangt durch ein befestigtes Tor innerhalb der Ring-
mauer.
Ganz andere Formen wie am Kap Dellys und seiner Um-
gebung, zwar auch Steilküste, welche den Angriffen des Meeres
unterliegt, aber gerundete Landvorsprünge treten uns nach Westen
am Kap Bengut und seiner Umgebung entgegen. Jeder Land-
vorsprung und das Kap selbst, das einen großen Leuchtturm trägt,
von welchem man eine herrliche Aussicht über die Küste genießt,
ist gebildet von miocänen Andesiten und oberoligocänen Basalten.
Den von diesen Eruptivgesteinen durchsetzten Sandsteinen und
Mergeln entspricht stets eine Einbuchtung und flacher Strand.
Dieselbe Erscheinung wie bei Dellys, die Bildung hoher,
steiler, sich in Klippen oder Inseln fortsetzender Vorgebirge, wenn
auch nur im kleinen, bedingt durch steil aufgerichtete, gegen das
Meer ausstreichende Schichten numidischer Sandsteine, wiederholt
sich nun auf der 27 km langen Strecke von Dellys bis Tigzirt,
also an der Küste der Kabylei noch elfmal. Da aber die Unter-
schiede der Widerstandsfähigkeit der numidischen Sandsteine und
der etwas älteren Mergel und Sandsteine, die im allgemeinen die
daher auch mäßig steile Küste bilden, nicht sehr groß sind, so
verläuft die Küste mit geringer Kleingliederung nach Osten. Auch
die Mündungen der zahlreich vom Gebirge herabkommenden Gieß-
bäche, obwohl alle von der Brandungswoge ausgearbeitet sind,
haben keine reichere Gliederung zu schaffen vermocht. Eine neue
Straße führt jetzt an der Küste entlang, welche in Tigzirt endigt
und diesen Endpunkt der europäischen Besiedelung mit der Welt
verbindet. Auch sie hat der Erbauer peinlich genau dem Ge-
Die Küste zwischen Dellys und Tigzirt. 141
lande angepaßt. Sie verläuft unablässig in Windungen sowohl in
wagerechtem, wie in senkrechtem Sinne: im wagerechten, indem
sie in den Flußtälern eine Wendung landeinwärts, auf den diese
trennenden Bergspornen seewärts macht, im senkrechten, indem
sie sich in den Tälern zugleich senkt, trotz der Windung talauf-
wärts, auf den Bergspornen hebt.
Die europäische Besiedelung endigt schon wenige Kilometer
östlich von Dellys. Ein größerer, aber vernachlässigt erscheinender
Pachthof, der einem Bankier in Lyon gehört, ist von den letzten
europäisch bearbeiteten Feldern umgeben. Dann herrscht Macchia
vor, nur hier und da gelichtet und von leicht als solche kennt-
lichen Getreidefeldern der Eingeborenen oder von Pflanzungen
von Feigenbäumen bedeckt. Der Feigenbaum ist neben dem
Ölbaum der Fruchtbaum der großen Kabylei schlechthin; ge-
trocknete Feigen spielen in der Ernährung dieser Gebirgs-Berber
eine große Rolle. Wasser und getrocknete Feigen war alles,
was uns die gastfreien Leute von Taksebt zu bieten vermochten.
Keine ihrer Siedelungen liegt an der Straße, die gänzlich un-
belebt erscheint, kaum daß diese Spuren von Anbau, hier und
da eine in der Macchia weidende Herde von Ziegen, wohl auch
Rindern daran erinnern, daß das Land bewohnt ist und zwar
sehr dicht bewohnt ist, das dichtest bevölkerte Gebiet von ganz
Algerien, wo 224 Köpfe auf 1 qkm kommen, trotz oder vielmehr
wegen des durchaus gebirgigen Charakters des Landes; denn
dasselbe bildete, schon bei den Römern daher als Mons ferratus
bezeichnet, eine natürliche Festung, in welcher sich die freiheits-
liebenden Berber zusammendrängten, und die, obwohl man von
Algier aus im Winter die schneebedeckten Berge herüber leuchten
sieht, zu erobern auch die Franzosen 27 Jahre gebraucht haben.
In der großen Kabylei ist daher kein Raum für europäische An-
siedlung; und wir haben so hier eines der größten Gebiete vor
uns, in welchem die Masse der Eingeborenen fast ohne Be-
rührung mit den Kolonisten sich fast jeder europäischen Beein-
flussung entzieht. Ein Markttag in Tigzirt führt, in dieser schein-
bar unbewohnten Gegend, Tausende von Eingeborenen zusammen.
Näher gegen Tigzirt verdichtet sich die durchaus aus immer-
grünen Sträuchern gebildete Macchia, die Sträucher werden viel-
fach zu Bäumen, und im Hintergründe der Täler erblickt man
so dichte und hohe Bäume, daß man wohl an Wald denken
I A2 n, 5. An der Küste der großen Kabylei.
kann. Es ist der Wald von Mizrana. Doch zeigen alle diese
Wälder die Spuren der kläglichsten Verwüstung. Hier und da
hat man den Eindruck großartiger Wildnis.
Tigzirt ist der berberische Name einer Trümmerstätte aus
römischer Zeit, des Vorgebirges, auf welchem dieselbe liegt, und
der kleinen Abgliederungsinsel vor demselben. Tigzirt bedeutet
die kleine Insel. Die Römerstadt hatte einen phönikischen Namen:
Rusuccuru. Dies erscheint im dritten Jahrhundert als Municipium,
auf der Tabula Peutingeriana als Colonia. In den Stürmen der
Vandalenzeit zerstört, wurde die Stadt in der byzantinischen Zeit
wieder aufgebaut, aber auf engerem Räume. Die byzantinische
Stadtmauer verlief beträchtlich innerhalb der römischen, wie der
archäologische Erforscher dieser Altertümer, P. Gavault1), nach-
gewiesen hat, beide aber quer über das Vorgebirgsdreieck von
einem Ufer zum andern, wohl ähnlich wie die neuen Mauern von
Dellys, ein Stück ins Meer hinaus, um ein Eindringen der Feinde
auch dort unmöglich zu machen. Eine große Basilika, deren
Trümmer wohl erhalten sind, stammt aus dem Ende des fünften
oder dem Anfange des sechsten Jahrhunderts. Sie lag innerhalb
der römischen Mauer. Auf dieser Trümmerstätte, die man über-
haupt erst 1886 zu erforschen begonnen hat, ist nun 1888 eine
französische Ansiedlung, und zwar unter Zerstörung vieler Altertümer,
auf dem Räume zwischen der römischen und der byzantinischen
Mauer gegründet worden, offenbar von der Vorstellung ausgehend,
daß, wo sich im Altertum eine Stadt entwickeln konnte, die
mindestens 20000 Einwohner gezählt haben muß, auch die Be-
dingungen zur Entwicklung einer neuzeitlichen Siedlung gegeben
sein müßten. Bisher ist aber davon nichts zu bemerken. Der
Ort wächst nicht, Ackerbau lohnt nicht, da der Boden außer-
ordentlich steinig und die Urbarmachung des Landes, Rodung
der Macchia, Beseitigung der Steine außerordentlich kostspielig
ist. Auch der Absatz der Erzeugnisse ist schwierig; denn Dellys
ist die nächste europäische Siedlung, der Verkehr zur See mit
Hilfe eines kleinen Steindammes, den die Regierung erbaut hat,
auch sehr schwierig und nur bei ruhigem Wetter in kleinen Segel-
*) Etüde sur les ruines romaines de Tigzirt. Paris 1897. Bibl. d'Archeol.
Africaine. Fase. II. St. Gsell im Atlas Archeologique de l'Algerie, Feuille 6,
p. 11, identifiziert übrigens Dellys mit Rusuccuru und Tigzirt-Taksebt mit
Jomnium.
Tigzirt. I43
booten möglich. Die Bewohner haben sich daher alle auf kleine
Nebenerwerbe, Handwerke u. dgl. geworfen, ohne daß es aber
auch nur einer in reichlich ixj2 Jahrzehnten zu etwas Wohlstand
gebracht hat. Neuerdings rechnet man auch hier auf Sommer-
gäste und den Badestrand. Dies und die Altertümer haben wohl
bewirkt, daß man in einem kleinen Gasthause inmitten der
Trümmerstätte, daher Hotel des Ruines Romaines genannt, ein
recht erträgliches Unterkommen, weit besser als in Dellys, findet.
Eine Sommerkolonie italienischer Sardinenfischer dürfte den Be-
wohnern wenig Nutzen bringen. Die völlige Vereinzelung dieses
europäischen Dorfes, das Fehlen einer Straße nach dem Innern,
nach Tizi-Uzu, dem europäischen Hauptorte im Innern der ganzen
Kabylei im Tale des Sebau, ist natürlich auch ungünstig. Tigzirt
ist überhaupt neben dem noch mehr vereinsamten, aber doch
wenigstens durch eine Straße mit dem Sebau-Tale verbundenen
Azeffun, noch 30 km nach Osten, auch an Stelle einer römischen
Siedlung, der einzige Besiedlungsversuch zwischen Dellys und
Bougie an der sehr schwierigen Küste der Kabylei.
Daß auch bei Tigzirt das Meer das Land überall mit Erfolg
angreift, sieht man, aber die Altertümer geben nur an einer
Stelle, an der Ostbucht, einen Anhalt für das Maß der Land-
abtragung im Laufe der letzten 1200 Jahre. Die Stadt Rusuccuru
und das heutige Dorf Tigzirt liegen auf einer der für die Küste
von Algerien so charakteristischen Strandterrassen, die hier, von
Steilabstürzen begrenzt, von etwa 20 m am vorderen Rande sanft
nach innen gegen den Fuß des Gebirges ansteigt. Die Ober-
fläche der Terrasse wird gebildet von denselben jungquartären,
an Muscheltrümmern reichen Kalksteinen, die auch die Trümmer
von Rusgunia tragen, Ablagerungen des gehobenen Meeresbodens
auf einer Abrasionsterrasse eocäner, das Vorgebirge bildender,
steil (40 — 500) aufgerichteter, hier und da feingefältelter, ja zer-
knitterter Schichten numidischer Sandsteine, Konglomerate und
Mergel, also scharf diskordant, wie das Vorgebirge und die Insel
zeigt. Diese Kalksteindecke ist heute noch kaum 2 — 3 m mächtig,
aber sehr widerstandsfähig, am Vorgebirge selbst schon von der
Brandung zerfressen. Da die Eocänschichten hier aus weichen
Tonen und Tonschiefern bestehen, so unterliegen dieselben rasch
der Brandungswoge, und die der Unterlage beraubte Decke stürzt,
einen Blockwall bildend, nach. Eine Querlücke ist ein künst-
144 ^' 5" ^"n ^er ^üste ^er großen Kabylei.
licher Durchstich durch das Vorgebirge für den Weg nach dem
auf der anderen Seite gelegenen kleinen Molo. Dieser Durch-
stich wird in nicht ferner Zeit (geologisch gesprochen) zu einer
Meerenge und das Vorgebirge zur Insel werden. Ganz nahe
diesem Durchstich, etwas weiter nach Osten, dürfte, nach der
Lage der Trümmer der alten Stadt, unten am Strande ein 10 bis
15 m, ja an einer Stelle bis 30 m breiter Streifen des Stadt-
plateaus in den letzten 1200 Jahren abgetragen und um so viel
der breite Streifen sandigen Strandes, auf welchem die italienischen
Fischer ihr Zelt aufgeschlagen hatten, verbreitert worden sein.
Daß die Abtragung an der Westseite noch größer gewesen ist,
kann keinem Zweifel unterliegen ; aber ich konnte keine sicheren
Belege dafür finden. Gavault1) nimmt, jedoch ohne näheren
Nachweis, 20 m an seit dem fünften Jahrhundert. Die Stadt-
mauer habe dort bis zu einem 30 m entfernten Felsen gereicht,
bis dahin erkenne man die 3,5 m breiten Fundamente deutlich.
Ich sah diesen Felsblock, der selbst ein Zeuge der Abtragung ist.
Daß die namengebende Insel durch Abgliederung von dem
Vorgebirge entstanden ist, unterliegt keinem Zweifel und ist bei
dem weichen, das heutige Vorgebirge bildenden Gestein sehr
begreiflich. Daß die zeitweilige Spitze desselben aber als Insel
erhalten ist, das erklärt sich daraus, daß dort die Eocänschichten
aus festem, in mächtigen Bänken auftretendem, numidischem Sand-
steine bestehen. Dieselben bilden jedenfalls auch die brandenden
Klippen und Untiefen, die sich von der Insel noch 1,5 km weit
ins Meer hinaus erstrecken und ein Ausbiegen der Tiefenlinien
bis zur 50 m-Linie bedingen. Die heute kaum 100 m vom Lande
entfernte Insel ist mit dichtem Gestrüpp von wilden Ölbäumen,
Pistacia Lentiscus und Opuntien bedeckt. Wilde Tauben und
Möwen hausen in den Felsen an der Westseite. Ich fand an der
dem Lande zugekehrten Seite die Trümmer eines ansehnlichen
Bauwerks, Gewölbe, eine Säulentrommel, ein Kapital; auch ein
Brunnen scheint vorhanden gewesen zu sein. Daß sie zur Zeit
der Blüte von Rusuccuru durch einen Steindamm mit dem Vor-
gebirge verbunden, und daß damit, je nach der Windrichtung,
bald auf der einen, bald auf der anderen Seite ein ruhiger Liege-
platz für Schiffe geschaffen war, hat schon Gavault angenommen.
l) a. o. St. 3. 108, 1.
Tigzirt und Taksebt. i a c
Ich glaube noch die behauenen Blöcke des Dammes auf dem
Meeresboden, der wenig über ein Meter tief ist, gesehen zu haben.
Wenn Gavault versichert, man könne bei ruhigem Wetter noch
zu Fuß nach der Insel gelangen, so bestätigten dies meine Fähr-
leute, aber mit dem Zusatz, auf eine kurze Strecke müsse man
doch schwimmen. Daß die Brandung, die mit steigender Sonne
regelmäßig in der Meerenge auftritt, den Meeresgrund austieft,
unterliegt keinem Zweifel.
Drei Kilometer östlich von Tigzirt springt das hohe Kap
Tedles, auch aus festen numidischen Sandsteinen bestehend, das
Gegenstück des von Dellys, weit gegen das Meer vor. Die
an seiner Ostseite so gebildete Bucht bot guten Schutz, und
so entwickelte sich auch hier, teils unten am Strande, teils
oben auf dem das Vorgebirge mit dem Lande verbindenden
Sattel, eine römische Siedlung, von der noch ansehnliche
Trümmer, namentlich die eines nach seiner Gestalt von den
französischen Kolonisten als Phare bezeichneten, weithin sicht-
baren Mausoleums erhalten sind. Hoch über dem Meere, in-
mitten dieser römischen Trümmer am Ostgehänge des Vor-
gebirges, liegt jetzt ein echtes Berberndorf, Taksebt, aus lauter
kleinen Steinhäusern mit Stroh- oder Rohrdächern und kleinen,
von Dornhecken umhegten Höfen. Alle Höhen und Hänge, so
steil sie sind, teilweise terrassiert und mit Feldern und Feigen-
pflanzungen bedeckt, während noch heute die Macchia beinahe
an Tigzirt heranreicht. Welches der Name des römischen Taksebt
war, weiß man nicht. Es soll mit Rusuccuru (Tigzirt) eine Ge-
meinde gebildet haben.
6. Die Bucht von Bona.1)
Die Bucht von Bona ist der Schauplatz ähnlicher Vorgänge
wie an der von Algier. Auch dort findet kein Zurückweichen
des Landes unter dem Ansturm der Wogen mehr statt, sondern
vielmehr Neubildung von Land, entsprechend der Tiefe der Bucht
i) Aus Peterm. Mitt. 1887 auf Grund meiner Untersuchungen von 1886.
In französischer Übersetzung und mit Ergänzungen von Woehrel und Papier
im Bulletin de l'Academie d'Hippone, Bone 1894 erschienen. Diese vom
Verfasser erbetenen Ergänzungen sind hier berücksichtigt.
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 10
j4Ö n, 6. Die Bucht von Bona.
von nicht weniger als 14 km bei einer Breite der Öffnung der
Bucht zwischen Kap de Garde und Kap Rosa von 40 km und
der Einmündung von zwei so bedeutenden Flüssen wie der
Mafragh und die Seybuse, von denen letzterer dem Chelif an
Reichtum an Wasser und Sinkstoffen wenig nachsteht. Die Bucht
von Bona ist rings von Dünen umsäumt, die unmittelbar an der
Mündung der Seybuse beginnen und ostwärts an Höhe und
Breite rasch zunehmen. Elf Kilometer jenseits der Mafragh-Mün-
dung treten jedoch die festen Nummulitenkalke, welche das öst-
lich begrenzende Vorgebirge, Kap Rosa, bilden, an die Küste
heran und bilden 30 m hohe Klippen. Doch sind auch diese
landeinwärts von Sand überweht, stellenweise in einer Breite von
14 km. In den Vertiefungen sammelt sich das Regenwasser in
zahlreichen kleinen, im Sommer verdunstenden Teichen oder es
staut sich hinter den Dünen zu ausgedehnten Sümpfen. Üppige,
immergrüne Macchien bedecken Sand und Sumpf. Der Steilab-
bruch der Küste läßt hier ein Vorrücken derselben sehr unwahr-
scheinlich erscheinen, während an der flachen Küstenstrecke und
namentlich am westlichsten Küstenstück nicht an einem solchen
gezweifelt werden kann. Es hat hier hinter den Dünen eine
ausgedehnte Deltabildung stattgefunden. Alle Binnenwasser werden
hier gestaut, erweitern sich zu Sümpfen und fließen erst auf
lange Strecken dem Meeresufer parallel, ehe ihnen ein Durch-
bruch gelingt. So vereinigen sich drei Flüsse, der Wed bu Namussa,
der Wed Churka und der Wed el Kebir, in einem ausgedehnten
Tamarisken-Sumpfe zur Bildung des Mafragh unmittelbar hinter
den Dünen, die sie dann zu durchbrechen vermögen. Doch ist
das Wasser der dem vollen Ansturm der Brandung ausgesetzten
Mafragh-Mündung stets durch eine Barre an freiem Abfluß be-
hindert. Es liegt hier hinter den hohen Dünen ein ausgedehnter
Landstrich nur 1 — 2 m über dem Meeresspiegel, so daß die An-
lage von Entwässerungskanälen ihren Zweck nicht erreicht hat.
Namentlich auffällig ist die westliche Krümmung der hier mün-
denden Flüsse. Wie der Wed el Kebir, so floß auch der Khelidj
lange hinter den Dünen dem Meere parallel westwärts — schon
3,6 km oberhalb der ehemaligen Mündung hatte er sich auf
0,8 m dem Meere genähert — und die Seybuse hat, nachdem
sie dem Meere bereits auf 1700 m nahe gekommen ist, ihren
Lauf noch um 5 km demselben parallel verlängert. Wir wiesen
Verschiebung der Flußmündungen. j*n
bereits früher darauf hin, daß der Neerstrom, der also hier von
Kap Rosa her gegen Kap de Garde die Bucht umkreist, diese
Westwärtswendung der Flußmündungen bewirkt. Die die Sink-
stoffe zurückwerfende Brandungswelle wirkt dabei mit. Am auf-
fälligsten ist das Westwärtsrücken bei der Seybuse. Diese mündete
nach der Peutingerschen Tafel 5 Mühen, d. h. ca. 7,5 km östlich
von Hippo Regius. Die Lage von Hippo Regius kennen wir ganz
genau, die Stadt lag auf zwei kleinen Hügeln, die heute, von
neu angeschwemmtem Lande umschlossen, vom Meeresufer ab-
gerückt sind, und von denen der kleinere östliche von der Seybuse
unmittelbar bespült wird. Rechnen wir von da 7,5 km nach
Osten, so treffen wir (genau in 7 km Entfernung von Hippo) auf
eine Stelle, wo der Dünensaum schmäler wird und schließlich
an einer Stelle von 200 m Länge bis auf 2 m erniedrigt ist, so
daß man erkennt, daß derselbe hier ehemals durchbrochen war.
Jetzt führt der Fahrweg, welcher von Bona sich nahe der Küste
haltend möglichst gerade nach La Calle geht (die eigentliche
Poststraße macht wegen der Schwierigkeiten, welche die Sümpfe
hinter den Dünen und diese selbst boten, einen großen Umweg
nach Süden), über diese Stelle der Dünen, der einzige Punkt,
wo sie unmittelbar an das Meer herantritt. Hinter dieser „schad-
haften" Stelle des Dünenwalles, die es einem vorrückenden Meere
so leicht machen würde, in das Land einzubrechen, dehnen sich
die Bu-Kamira-Sümpfe der Küste parallel aus. In diese tritt von
Süden her, dann aber in vielen Windungen nordwestliche und
westliche Richtung einschlagend, der Khelidj ein, ein toter Fluß-
lauf, der heute selbst bei allerhöchstem Wasserstande sich nicht
mehr belebt, weil die Seybuse seitdem an jener Stelle ihr Bett tief
in den von ihr selbst gebildeten Schuttkegel eingeschnitten hat,
daß dasselbe selbst bei der großen Überschwemmung im Februar
1886 nicht so weit gefüllt war, daß es wieder in den Khelidj
hätte eintreten und dieser jene niedrige Stelle im Dünenwalle zu
durchbrechen vermocht hätte. Etwas mag dazu beitragen der
aus dem Bu-Kamira-Sumpfe in westlicher Richtung zur Seybuse
geführte Entwässerungskanal, dessen Gefälle allerdings gleich
Null sein muß. Der Khelidj läßt sich landeinwärts bis nahe an
das obere Ende der Ebene von Bona bei Mondovi, 23 km süd-
südöstlich von Bona, verfolgen und stellt sich somit unzweifelhaft
als der alte Lauf des Ubus (Seybuse) in römischer Zeit heraus,
IA.8 H> 6. Die Bucht von Bona.
fast ganz genau entsprechend den Angaben der Peutingerschen
Tafel. A. Papier macht auch darauf aufmerksam, daß die von
der Tabula Peutingeriana angegebene Entfernung zwischen der
Mündung des Ubus (Khelidj) und des Armoniacus (Mafragh)
20 Millien gleich 14-814 km sehr gut den heutigen Verhältnissen
entspricht, der Unterschied von 400 m könne recht gut auf die
Krümmungen der Straße gerechnet werden. Der geringe Unter-
schied in der Lage der heute noch erkennbaren Ubus-Mündung
und dieser Angaben braucht keineswegs auf ungenaue Messungen
der Römer zurückgeführt zu werden, sondern läßt sich einfach
daraus erklären, daß nach der der Peutingerschen Tafel zugrunde
gelegten Messung die Mündung etwas weiter nach Westen rückte.
Auch bezog sich die Messung jedenfalls auf eine römische Straße,
die, dem Zwang der physischen Verhältnisse folgend, den Fluß
unmittelbar an seiner Mündung überschritt. Es lehren diese Ver-
hältnisse aber auch, daß damals an dieser Stelle und überhaupt
von da ostwärts die Küstenlinie wohl gerade da lag, wo sie heute
liegt. Nur westwärts von diesem Punkte ist die Küstenlinie seit-
dem wesentlich vorgerückt. Wir können also das Westwärtsrücken
der Seybuse seit römischer Zeit genau verfolgen. Doch müssen
wir neben dem die Mündung nach Westen drängenden Neerstrom
und den sie überhaupt zu sperren strebenden Winden auch der
natürlichen Erhöhung der Ebene durch den Fluß selbst Rechnung
tragen. Derselbe breitete sich beim Eintritt in die Ebene, bei
Hochwasser sie weithin überschwemmend und durch Ablagerung
seiner Sinkstoffe erhöhend, aus, erhöhte sein Bett und neigte
schon deshalb zu Änderung seines Laufes. Wir haben gewiß
auch in andern Sumpfstrecken der Ebene alte Läufe der Seybuse
zu sehen, eine sorgsame Erforschung derselben und der römischen
Straßen wird das herausstellen. Mit dem vom Ubus mitgebrachten
und von der Brandung mit Meermuscheln vermischt zurückge-
worfenen Sande, vermehrt durch von Küstenversetzung und dem
Neerstrome herbeigeführten, der die Abtragung am Kap Rosa
liefert, sind erst die Dünen westlich seiner Mündung vom
Winde aufgebaut worden, und sie liefern auch ihrerseits den
Beweis, daß hier das Land vorgerückt ist. Man erkennt näm-
lich hier durch langgestreckte, von Sumpf erfüllte Einsenkungen
voneinander getrennte Dünenreihen, die von der alten Ubus-
Mündung westwärts mäßig divergieren. Die innerste Reihe
Die Lage von Hippo Regius. 140
ist die älteste, die mittlere weist auf die Hügel von Hippo hin
und endigt 1,2 km von dem kleinen östlichen derselben, genau
dem Nordende des kleinern Bu Hamra-Massivs gegenüber. Das
war das Meeresufer zur Zeit der Blüte von Hippo; die äußere
dagegen, das jetzige, erst etwa seit dem 6. Jahrhundert n. Chr.
gebildete Meeresufer weist auf Bona hin und endigt i km vom
Hafen an der heutigen Seybuse-Mündung.
Daß Hippo, eine phönikische Gründung, am Meere lag und
nicht etwa sich der Ubus-Mündung als Hafen bediente, steht fest.
Es lagen hier gewissermaßen versteckt im westlichen Hintergrunde
der Bucht dicht am Lande, das sich hier nach S wie nach W
weithin eben ausdehnte und eine Fülle von Erzeugnissen zum
Tauschhandel bot, leicht zu verteidigen, zwei kleine, möglicher-
weise schon damals miteinander durch Neulandbildung verwachsene
Inseln, aus der Tiefe auftauchende Bruchstücke des Gneismassivs
des Edough. Noch heute machen beide aus dem wagerechten
Schwemmlande auftauchenden Blöcke von kristallinischem Kalk-
fels den Eindruck von Inseln. Das waren Lagenverhältnisse,
wie sie die Phöniker mit Vorliebe auszusuchen pflegten, sie
ähnelten denen von Utica. A. Papier weist jedoch nach, daß
jedenfalls in römischer Zeit dieser Teil des Golfs bereits ver-
landet war, was nicht ausschließt, daß IOOO Jahre früher die
Hügel Inseln waren. Erst die Franzosen haben die sumpfige und
fiebererzeugende Ebene um dieselben und gegen Bona hin mühsam
trocken gelegt und dem Anbau gewonnen. Sie liegt noch heute i m
über dem Meeresspiegel. Der größere westliche Hügel, der heute
von einem herrlichen Haine uralter Ölbäume umgeben, zum Teil
noch bedeckt ist, in welchem Landhäuser und Meierhöfe malerisch
versteckt liegen, hat eine Höhe von 55 m und trägt außer aus-
gedehntesten Trümmern auf seinem Gipfel einen weithin sicht-
baren Neubau des tatkräftigen, vaterlandsliebenden Erzbischofs
und Kardinals Lavigerie, die Basilika des heiligen Augustin und
ein Greisenasyl, ein Zwing-Islam, wie derselbe deren mehrere an
hervorragenden Punkten der Nordküste von Afrika errichtet hat
— sie erinnerten mich lebhaft an die Klosterpaläste, an welchen
man auf der Donau zwischen Linz und Wien vorbeifährt — , und
durch welche er die beiden Ziele seines Ehrgeizes, Christianisie-
rung Nordafrikas und die Patriarchenwürde von Afrika, zu er-
reichen strebte. Der kleinere östliche Hügel, von den Arabern
I co II) 6. Die Bucht von Bona.
Rarf el Artran genannt, ist nur 20 m hoch und trägt eine heute
in ein Landhaus verwandelte ehemalige Militärstrafanstalt. An
der Westseite ist Hippo jedenfalls am frühesten verlandet, denn
dort mündete der wasser- und sinkstoffreiche Bu Djema in die
Bucht, die er früh zuzuschütten begonnen hat. Die Brücke,
welche bei dem Marabut Sidi Brahim, 600 m nordnordöstlich
über den Fluß geschlagen ist, soll römischen Ursprungs sein; der-
selbe mündete früher selbständig ins Meer, später in den Hafen
von Bona; da man aber bald bemerkte, daß er denselben zu-
schüttete, so leitete man ihn 1876 bei Sidi Brahim durch einen
Kanal direkt nach O in die Seybuse, 150 m oberhalb ihrer
Mündung. Gefährlich wurden die Neulandbildungen jedoch erst
für Hippo, als in einer nicht genau zu bestimmenden Zeit, welche
in die ersten Jahrhunderte des Mittelalters fällt, die durch ihren
Rückgang der Kultur und den Mangel geschichtlicher Überliefe-
rungen und Denkmäler auch für die physische Geographie eine
Lücke bezeichnen, die Seybuse ihren Lauf mehr und mehr nach
Westen verschob und ihre Sinkstoffe sich um die Hügel lagerten.
Daß die Seybouse sich erst seit dem Altertum Hippo genähert
hat, darüber erlauben die obigen Ausführungen wohl kaum einen
Zweifel. Es ist mir aber auch gelungen, Beweisstoff zusammen-
zutragen dafür, daß der Strom noch heute hier nach W drängt,
immer dichter an den östlichen Hügel heran, von dem er nur
mehr 140 m entfernt ist, und daß er bereits angefangen hat, die
Trümmer von Hippo abzutragen. Ich wurde auf die Möglichkeit
dieses Vorganges aufmerksam durch eine Bemerkung in dem
verdienstvollen Werke des Professors zu Bona, O. Niel, Geo-
graphie de l'Algerie II, p. 300, daß 1853 noch am linken Ufer
der Seybouse oberhalb der Mündung ein etwa 40 m langes Stück
Stadenmauer vorhanden gewesen sei, welches das Hochwasser
von 1854 zerstört habe. Auch bestätigte mir Herr Doublet, der
liebenswürdige Generalsekretär der Academie d'Hippone, diese
Angaben seinerseits. Schon der Botaniker Desfontaines und der
Abbe Poiret hatten 1784 bzw. 1785 auf diese damals noch 300
Schritte lange Stadenmauer aufmerksam gemacht. Noch 1836
und 1843 war sie vorhanden. Zwischen 1843 und 1853 war
also der größte Teil in der Länge von 260 m zerstört worden,
1854 erlag der Rest. Bei Kanalisierung des Bu Djema 1876
fand man unterhalb der römischen Brücke etwa 100 m vom
Die Mündung der Seybuse. I c j
heutigen Meeresufer und in 12 — 15 m Tiefe die untersten Lagen
einer Stadenmauer aus mächtigen Blöcken Molassesandstein aus
den Steinbrüchen von Fort-Genois. Ich meine, die fragliche
Stelle, wo die letzten Reste der Mauer gestanden hatten, gefunden
zu haben am Fuße des kleinen Hügels, genau östlich von der
Stadenmauer, die auch ihrerseits durch ihr Verschwinden meine
anderweitigen Beobachtungen bestätigt; jedoch keine Spur, nicht
einmal Steine, die von ihr herrührten, habe ich am Ufer weder
vom Lande, noch vom Kahne aus gefunden. Wenn es sich
wirklich um eine Stadenmauer aus römischer Zeit, nicht um
Schutzbauten etwa für eine in jüngster Vergangenheit dort vor-
handen gewesene Überfahrt handelte, so lag dieselbe natürlich
nicht am Ubus, sondern am Meere. A. Papier hält es doch für
möglich, daß es ein Teil der Hafenanlagen von Hippo Regius
war. Oberst Mercier verlege die Mündung des Ubus in römischer
Zeit 4,7 km weiter aufwärts von der heutigen Mündung.
Wie schon die Abtragung dieser alten Stadenmauer durch
den Fluß vermuten ließ, so gelang es mir, bei einer genauen
Untersuchung der Ufer des Flusses sowohl zu Lande als im Boot
von der Mündung bis zur sogenannten Brücke von La Calle
2,2 km weit noch mehrere Belege für das noch immer andauernde
Westwärtsdrängen des Flusses zu sammeln. Die Untersuchung
vom Lande aus war sehr schwierig, da die Ufer des Flusses mit
dichtem Gestrüpp bewachsen sind und, von der Strömung be-
ständig unterwaschen, meist senkrecht abfallen oder überhängen,
so daß man ihnen nur schwer nahen kann. Das Ufer ist hier
3 m hoch und besteht aus festem, lehmig- tonigem Schwemm-
boden jüngster Entstehung. Die Mächtigkeit dieses Schwemm-
bodens ist seit römischer Zeit noch um ca. 1 m gewachsen, es
unterscheiden sich aber dem äußern Ansehen nach die das Liegende
einer dort noch erkennbaren römischen Straße bildenden Schichten
gar nicht von den das Hangende bildenden, obwohl jene vom
Bu Djema und andern kleinen Bächen, diese von der Seybuse
abgesetzt sind. Diese römische Straße ist ca. 200 m unterhalb
der Brücke an einem Einschnitt der Eisenbahnlinie Bona — Guelma
bloßgelegt, 1 m unter der heutigen Oberfläche des Bodens. Sie
geht in fast genau nördlicher Richtung auf den Fluß zu, an
dessen Ufer ich vom Boot aus geradezu in einem Querschnitt,
welchen der Fluß gebildet hat, das Pflaster der Straße und die
I e.2 II, 6. Die Bucht von Bona.
breiten Randsteine auf das deutlichste erkennen konnte. Die
Straße ist 4 m breit, das Pflaster lag bei damaligem (noch ziem-
lich hohem) Wasserstande 2 m über dem Wasserspiegel der Sey-
buse, reichlich 1 m unter der Oberfläche. Die die Straße be-
deckenden Schichten bestehen keineswegs aus Schutt, sondern
aus Flußschlamm, Häuser standen aber hier nicht an der Straße.
In dem Eisenbahneinschnitt meinte ich noch die Eindrücke der
Räder in einem Stein zu erkennen. Vor dem Ende der Straße
liegt ein Haufen Steine, während sonst das Ufer völlig steinfrei
ist und nur aus feinen Schwemmstoffen besteht. Die Steine
rühren von der Straße her, die der Fluß abgetragen hat, sie be-
legen deutlich, daß derselbe hier sein linkes Ufer abträgt. Nach-
dem ich selbst alles genau geprüft hatte, fragte ich, um ein ab-
solut unbefangenes Urteil zu hören, meinen Bootsmann, einen
Italiener von der Insel Ponza, wie man deren, meist irgendwie
schiffbrüchige Leute an diesen Küsten überall trifft, wofür er die
Steine halte. Auch er erklärte sie sofort für eine gepflasterte
Straße, die vom Fluß unterbrochen sei. Ich untersuchte zum Über-
fluß die entsprechende Stelle am rechten Flußufer, fand aber
natürlich keine Fortsetzung der Straße. Dieselbe führte jedenfalls
von Süden her, etwa in der Richtung der heutigen Poststraße
D'Uzerviile — Bona nach Hippo. Wäre der Fluß damals hier ge-
wesen, so müßte natürlich auch eine Brücke, sei es eine feste,
sei es eine fliegende, mit entsprechenden Steinbauten vorhanden
gewesen sein. Sie müßte den Fluß auch in bedeutender Höhe
überspannt haben, schon die Straße müßte daher höher, vielleicht
sogar auf einem Damme zur Brücke geführt worden sein. Von
alledem keine Spur.
Etwa 50 m stromab, also näher an Hippo, fand ich sechs
senkrecht auf den Fluß stoßende einander parallele Mauern, je
3 m voneinander, 2 m unter der Oberfläche und mit der untern
Fläche der Fundamente 1 m über dem Wasserspiegel, alle in
gleicher Tiefe, also wohl demselben Bauwerke angehörig. Ich
sah gewissermaßen die Mauern von unten, vom Innern der Erde
aus. Auch hier lag vor dem Kopfende jeder Mauer ein Haufen
Steine, bei sonst völlig steinlosem Schwemmlandufer, also eben-
falls Belege für vorsichgehende Abtragung des Ufers; einzelne
Steine der Mauern, die rückwärts noch gehalten wurden, ragten
frei über dem Fluß vor, um in kürzester Zeit auch herabzustürzen.
Westwärtsdrängen des Seybuse. js?
Daran schloß sich stromab unmittelbar ein Doppeltor an, jedes
i XL m breit, die Schwelle von einem einzigen Steine gebildet,
ebenso jeder der Türpfeiler, die aber an der Oberfläche des
Bodens abgebrochen sind. Es lag die Schwelle dieses Doppel-
tores nur i m unter der Oberfläche, also doch wohl in gleichem
Niveau mit dem Bauwerk daneben, dessen Grundmauern natür-
lich tiefer in den Boden reichten als das Tor. Ist meine Er-
klärung dieser Trümmer als die eines Tores richtig, so wird
dasselbe vielleicht schon heute verschwunden sein, sicher aber
beim nächsten Hochwasser im Herbst oder Winter verschwinden.
Vor dem Tore muß aber ein größeres Bauwerk gestanden haben,
denn ein großer Haufen Steine lag als Rückstand der abgetragenen
Masse vor demselben, alle nur roh behauen, weil sie eben den
Fundamenten angehört hatten. Von da an ist das Flußufer
regellos von großen und kleinen Steinen bedeckt, ein Zeichen,
daß der Fluß hier die Ruinen von Hippo, wenn auch bis jetzt
wohl nur kleinere Bauwerke vor der eigentlichen Stadt, abträgt.
Das Westwärtsdrängen der Seybuse ist also hier wirklich ein
dauernder Vorgang, weil Wirkung dauernd vorhandener Kräfte.
Es handelt sich nicht um eine einmalige Abspülung bei Hoch-
wasser. Wenn A. Papier auf die Tatsache hinweist, daß beim
Bau eines Wirtschaftshofes weiter stromauf und auf dem rechten
Ufer der Seybuse ioo m von der eisernen Straßenbrücke über
den Fluß zahlreiche Spuren römischer Bauwerke, Gräber, Topf-
scherben usw. auch 4 Grabinschriften gefunden wurden, so ist
damit doch noch nicht der Beweis erbracht, daß diese Siedelung
zu Hippo gehörte. Ihr Vorhandensein braucht nicht einmal als
Beweis einer plötzlichen Laufverlegung zu gelten, obwohl eine
solche neben dem jetzigen langsamen Westwärtsdrängen auch
vorgekommen sein kann. Erst jetzt kann man sagen, Hippo,
oder vielmehr seine Trümmer liegen am Ubus, aber auf dem
linken Ufer, nur 1600 m von der Porte d'Hippone von Bona,
nicht wie noch Kiepert (auf der dem Corpus I. L., T. 8 beige-
gebenen Karte) es darstellen durfte, auf dem rechten Ufer, 5 km
südsüdöstlich von diesem Tore und an einer Stelle, die tatsäch-
lich von der Seybuse mitten durchflössen wird. Jedenfalls kann
das Westwärtsrücken nicht lange mehr andauern und wird schon
jetzt gegen früher wesentlich verlangsamt sein, denn der Fluß ist
schon bis auf 100 m an die Hügel unterhalb der Brücke heran-
ic a TL, 6. Die Bucht von Bona.
gerückt, und man wird ihm, da er bereits die Eisenbahn zu be-
drohen beginnt, wohl jetzt die Arbeit noch künstlich erschweren.
Es wäre sehr zu wünschen, daß diese einmaligen, flüchtigen
Beobachtungen, bei denen eben deshalb leicht Täuschungen unter-
laufen können, von einheimischen Forschern aufgenommen würden.
Es wäre dies eine schöne Aufgabe für die Academie d'Hippone
und ihren trefflichen Präsidenten Herrn Papier. Es würde nicht
schwer sein, das Fortschreiten der Erosion des Unken Seybuse-
ufers, namentlich mit Rücksicht auf die Eisenbahn zu messen.
Auch müßte der Verlauf der römischen Straßen in der Umgebung
von Hippo auf das sorgsamste, sorgsamer als bisher, festgestellt
werden.
Wenn Hippo auch durch die Vandalen zerstört wurde, so
muß das doch nicht sehr gründlich gewesen sein, denn Belisar
eroberte es 534 zurück und 696 nahmen es die Araber ein.
Von da an beginnt erst die Verödung. El Bekri kennt schon
das neue Bona; zu seiner Zeit (zweite Hälfte des 11. Jahrhun-
derts) muß aber auch das alte noch bewohnt gewesen sein, wenn
anders seine Angaben sich nicht auf eine frühere Zeit beziehen.
Auch ist die Entfernung, 3 Meilen vom neuen Bona, obwohl sich
dasselbe in französischer Zeit in der Richtung von Hippo aus-
gedehnt hat, viel zu groß. Die Angabe, daß Bona etwas nach
1058 n. Chr. mit Mauern umgeben worden sei, läßt jedoch
schließen, daß dasselbe erst im n. Jahrhundert sich auf Kosten
des alten zu größerer Bedeutung erhoben hat. Verläßlicher ist
die Angabe Ibn Haukais, der Bona 970 n. Chr. selbst besuchte
und als eine bedeutende Handelsstadt schildert, die alte Stadt
aber nicht erwähnt. Die Verödung von Hippo fällt also in die
Zeit von 700 — 1000 n. Chr. Bedeutungsvoll ist, daß Leo Afri-
canus ausdrücklich erwähnt, daß die Ruinen als Steinbruch zum
Aufbau von Bona dienten. Die Lage von Hippo war so ausge-
zeichnet, so natürlich fest und bequem für den Seeverkehr, daß
durchaus kein vernünftiger Grund zu finden wäre für die Ver-
legung der Stadt um volle 2 km nordwärts an das Steilufer, wo
nur mit Mühe der Baugrund geebnet werden konnte, für die
Verschleppung der Trümmer dorthin, wenn wir nicht in dem
Westwärtsrücken der Seybuse und der Verlandung der Bucht
unter Überhandnehmen der Malaria einen solchen hätten. Die
Seybuse konnte das zurückweichende Meer nicht als Hafen er-
Bildung des Golfs von Tunis. ur
setzen, denn nur bei Hochwasser, wo sie aber sehr reißend ist,
hat sie für kleinere Seeschiffe hinreichende Tiefe, für gewöhnlich,
ja zuweilen viele Jahre hindurch, ist ihre Mündung überdies durch
eine Barre geschlossen. Natürliche Vorgänge, nicht geschichtliche
Ereignisse oder menschliche Willkür haben Hippo Regius den
Untergang gebracht. Das auf Felsgrund im Anhauch des Meeres
gegründete Bona war dagegen gesund und hat an der ganzen
gegen W und NW trefflich geschützten Steilküste in mehreren
kleinen Buchten guten Ankergrund. Die neuzeitliche Großschiff-
fahrt freilich erforderte wirkliche, auch gegen Nord- und Nord-
oststürme schützende Hafenanlagen. Bona besitzt heute einen
fast ganz sichern, freilich bei genannten Windrichtungen schwer
zugänglichen Hafen, der aber nur durch beständiges Baggern in
der nötigen Tiefe erhalten werden kann, denn- die Strömung
trägt die Sinkstoffe der Seybuse hinein. Der Dampfer, mit
welchem ich einlief, wühlte die Sinkstoffe mit der Schraube auf
und der Kapitän versicherte mir, daß er nur wenige Zentimeter
Wasser unter dem Kiele habe. Man hofft dem vorzubeugen da-
durch, daß die Mündung des großen Vorhafens von der Ost-
auf die Nordseite verlegt werden soll.
7. Die Stätte von Karthago.
Über die Veränderungen des Küstensaums an der Westküste
des Golfs von Tunis gibt es schon ziemlich umfang- und zahl-
reiche Veröffentlichungen. Von den Untersuchungen des Verfassers
abgesehen, haben J. Partsch1) und Ch. Tissot2) sehr eingehend
über die Neulandbildungen an der Mündung des Medscherda
(Ton auf der ersten Silbe) gehandelt. Auch Reclus widmet dem
bei der großen geschichtlichen Wichtigkeit eine eingehende Dar-
stellung3). Alle drei geben ihren Untersuchungen auch Karten
bei, die jedoch sämtlich, sei es, weil die topographische Unter-
lage ungenügend war oder nicht durch Selbstsehen verbessert und
1) Petcrm. Mitt. 1883, S. 202. Diese Abhandlung ist zuerst auf Grund
meiner Forschungen an Ort und Stelle 1887 in Peterm. Mitt. erschienen.
2) Geographie comparee de la Province romaine d'Afrique. Paris 1884,
I, p. 74 f.
3) Geogr. Univ., T. XI, p. 159.
1^6 n, 7. Die Stätte von Karthago.
ergänzt werden konnte, noch mehr oder weniger zahlreiche Fehler
enthalten. Am mangelhaftesten ist die Darstellung der Ober-
flächenformen merkwürdigerweise bei Tissot. Ich habe diesem
Gebiete, das mich schon seit 10 Jahren beschäftigt hat, besondere
Aufmerksamkeit gewidmet und meine, noch manchen neuen Ge-
sichtspunkt mitteilen, Irrtümer berichtigen zu können. Um Wieder-
holungen, namentlich mit Rücksicht auf die treffliche quellen-
kritische Darstellung j. Partschs zu vermeiden, sollen nur die
Punkte hervorgehoben werden, über welche sich noch Neues vor-
bringen läßt.
Suchen wir zunächst uns zu vergegenwärtigen, welches die
Verteilung von Land und Meer hier am Golf von Tunis war, be-
vor die beiden hier mündenden Flüsse, der von Westen her
kommende, in seinem untersten Laufstücke an die Triasschichten
durchsetzende Bruchlinien gebundene Medscherda und der weit
kleinere von Süden kommende Wed Miliane, wohl ein reiner
Abdachungsfiuß, ihre von marinen Kräften beeinflußte landbildende
Tätigkeit begannen. Beide sind als die einzigen dauernd Wasser
führenden Flüsse Tunesiens anzusehen.
Wir haben den Golf von Tunis, dessen Umgebung freilich
geologisch noch nicht hinreichend erforscht ist, als einen Ein-
bruchskessel aufzufassen, der sich in der Quartärzeit bildete im
Zusammenhange mit den Vorgängen, welche Apennin und Atlas,
Sizilien und Tunesien voneinander trennten und in Verbindung
mit welchen sich die vulkanische Tätigkeit auf der nun unter-
seeischen Schwelle zwischen Nordwest- und Südostbecken des
Mittelmeeres (Pantelleria und Umgebung) entwickelte. Er greift
von Nordost nach Südwest in das Land ein, genau an der
Nordostecke der Atlasländer und auf der Grenze der beiden
gegen diese Nordostecke zusammenlaufenden junggefalteten Gürtel
des Teil- und des Sahara-Atlas. So wohl bekannt mir die Ein-
würfe sind, sehe ich noch immer die beiden die Eingänge in
den Golf bezeichnenden Vorgebirge, Ras Sidi AU el Mekki
(Promont. Pulchrum) am westlichen, Ras Addar (Kap Bon, 393 m
Promont. Mercurii) am östlichen Eingange als die Enden der
beiden gefalteten Gürtel des Atlas an. Vollends der Grund,
den Atlas am Südrande des Golfs von Tunis im Dj. Bu Kurnin
und Ressas endigen zu lassen, weil die Halbinsel Dakhelat
el Mauin oder el Beschr (im Mittelalter bei Edrisi Djazirat
Bildung des Golfs von Tunis. \cn
Bachon, bei den Europäern gewöhnlich Halbinsel des Kap Bon
genannt) nur aus miocänen Schichten aufgebaut sei, kann
für den Geographen in keiner Weise stichhaltig sein. Die
Öffnung des Golfs beträgt zwischen den beiden Vorgebirgen
68 km und entspricht ungefähr der Tiefenlinie von ioo m, die
aber im Bogen in den Golf eingreift und noch mehr die 50 m-
Linie, die bis an den Eingang der innersten Bucht zwischen Kap
Kamart und Kap Fartass reicht. Die Tiefenlinie von 10 m, die
für die heutige Schiffahrt so wichtig ist, liegt bei diesen beiden
Vorgebirgen wie an den beiden andern dicht unter Land, vor
La Goletta aber 3,5 km seewärts, nördlich von Kap Kamart im
allgemeinen 2,5 km. Der Golf greift 50 km tief in das Land ein.
Für seine Entstehung als Einbruchskessel spricht die Steilheit seiner
Ufer an der Ostseite, über und unter See, und die bei Hammam
Lif am Fuße des Dj. Bu Kurnin, Hammam Korbeus und Hammam
el Atrus am Fuße von Steilabstürzen hervorbrechenden heißen
Quellen. Hammam Korbeus, deren Quellen 56 ° C. haben, war
als Aquae Carpitanae in römischer Zeit ein glänzender Badeort
und wird auch jetzt benützt, während Hammam Lif (47 — 490 C.)
sich zu einem europäischen Badeort entwickelt. Namentlich spricht
aber auch der Reichtum an Inseln dafür, die man sofort alle als
junge, vorwiegend tektonische Abgliederungsinseln erkennen wird:
westlich von Kap Bon die Aegimuren der Alten, Djamur el Kebir
(455 m) und Dj. es Srir (53 m) (Zembra und Zembretta), vor dem
Kap Sidi Ali el Mekki die kleine niedrige Insel Plane, jene
durch die 50, diese durch die 20 m-Linie an ihre Vorgebirge
angeschlossen. Nördlich von dem Halbinselvorsprunge des Kap
Sidi Ali el Mekki die ebenfalls kleine, aber hohe Insel Pilau
(117 m). Auch sah ich die dem jüngsten Miocän angehörigen
Schichten dieses pfeilartig nach Osten streichenden schmalen Rückens
steil nach Süden, also gegen den Golf einfallen, wo ihnen kalkige
Molasseschichten des Pliocän (Ostrea crassissima, Pecten Jacobaeus
usw.) auflagern, während sie die Schichtenköpfe dem schmalen
gegen Norden vorgelagerten Vorlande zukehren. Vor allem war
aber der heute verlandete Teil des Golfs an Inseln reich, die
eben die Landbildung außerordentlich gefördert haben. Solche
Inseln waren der heutige Dj. Menzel RuI (165 m), an dessen Nord-
ostspitze dem heutigen Plane ähnlich das Inselchen von Utica
lag. Ferner der schmale 12 km lange Kücken des Kudiat Tuba
j cg II, 7. Die Stätte von Karthago.
(59 m). Ein 4. Inselchen, Kudiat el Mebtuh (27 m) und ein 5. Dj.
Chauat (114 m) lagen in dem jetzigen gleichnamigen Sumpfe.
Eine 6. war Dj. Maiana (186 m) nordöstlich Teburba, eine 7. große
Insel ist die von Karthago (miocäne Sandsteine, 129 m), eine 8.
die kleine Insel Chekli im Haff von Tunis. Ob auch die Hügel
von Tunis, der Dj. Amar und Dj. Naheli, als solche Inseln auf-
zufassen sind, wage ich jetzt nicht zu entscheiden. Jedenfalls
läßt die Umgebung von Tunis zusammenhangslose vereinzelte Hügel
von Kreide- und Miocän- (Sandsteine) Gesteinen erkennen. Der
Dj. Amar besteht aus Triasgesteinen. Auch die Mornag- Ebene
an der untersten Miliana ist quartär.
Der Medschertia ist einer der eifrigsten Deltabauer, sein
Wasser ist stets mehr oder weniger sihkstoffreich und getrübt, da
er eine ganze Reihe stufenförmig übereinanderliegender Becken
durchfließt, die in früherer Zeit von ihm mit feinerdigen, lehmig-
tonigen Sinkstoffen ausgefüllt worden sind. Heute durchfließt er
diese Becken in tief eingeschnittenem Bett und bereichert sich
dabei, die Ufer unterwaschend, mit Sinkstoffen. Diese lagert er,
bei Hochwasser wenigstens, weit mehr in seinem dann weithin
überschwemmten Delta als im Meere ab. Bei gewöhnlichem
Hochwasser führt er 500 cbm Wasser in der Sekunde, bei Über-
schwemmung der Ebene 2000. Sehr richtig vergleicht ihn daher
schon Shaw mit dem Nil, denn es ist eine sehr bedeutende Fläche,
die so ziemlich alljährlich im Winter oder Frühling vom Flusse
mit außerordentlich fruchtbarem, feinem Schlamm überdeckt und
somit allmählich aufgehöht wird. Selbst künstliche Erhöhungen
zur Anlage der Dorfschaften fehlen nicht, wenigstens findet sich
eine solche am heutigen linken Flußufer, 3Y2 km unterhalb der
großen Brücke am Fonduk. Sie trägt heute noch bedeutende
antike Trümmer, in welchen ein armseliger Duar Platz gefunden
hat. Freilich von einer Regelung der Überschwemmung, die wohl
jeden Winter einmal die ganze Ebene in einen großen Süßwasser-
see verwandelt, einer Nutzbarmachung ist hier keine Rede, im
Gegenteil sie verwüstet meist die Weizenfelder, und ich fand die
Bauern im April (1886) nach der großen Überschwemmung vom
Februar überall in der Ebene beschäftigt, die eben trocken
werdenden verschlammten Felder von neuem zu pflügen, um noch
eine Gerstenernte zu erzielen. Doch ist der größte Teil der Ebene
heute unangebaut, größere Sümpfe und Wasseransammlungen halten
Das Delta des Medscherda.
!59
sich auch im Sommer, weite Strecken des fruchtbaren Schlammes
reißen dann in weiten Spalten auf, so daß es gefährlich ist, dar-
über zu reiten. Die eigentliche Deltabildung des Flusses beginnt
52 km oberhalb der heutigen Mündung bei Djedeida, wo der
Fluß aus einem kurzen, nur 10 km langen und 1,5 km breiten
Durchbruchstale, zugleich auch seine Richtung ändernd, heraustritt.
Die neue Eisenbahn nach Algerien tritt durch dieses, gerade auf Tunis
hinweisende Tor in das eigentliche Medscherdatal ein. Oberhalb
dieses Tores weitet sich das Tal sofort wieder zu dem untersten
der erwähnten Talbecken, dem von Teburba bis Medjez-el-Bab
aus. Unterhalb Djedeida dehnt sich, rings von Bergen von 300 m
Höhe umgeben, eine sich nach Norden neigende Ebene aus, die
innerste, in vorgeschichtlicher Zeit zugeschüttete Ausbuchtung des
Golfs von Tunis, die noch heute, namentlich in ihrem nördlichen
Teile, wo sie Garaet el Mebtuh heißt, sumpfig ist und nur als
Weideland dient. Es erscheint mir als durchaus wahrscheinlich,
daß hier noch in geschichtlicher Zeit ungangbarer Sumpf, wie
heute nach großen Überschwemmungen vorübergehend, vorhanden
war. Diese ganze Ebene würde unschwer zu ent- und wieder
künstlich zu bewässern und zu befruchten sein. Durch ein Stau-
werk bei Djedeida ließen sich damit 220 qkm fruchtbarsten Landes
dem Anbau gewinnen und, nach den entsprechenden Gegenden
des Nildeltas urteilend, für mehr als 50000 Ansiedler, im ganzen
Delta für fast die dreifache Zahl Raum gewinnen. Allerdings
unter Beseitigung der Malariagefahr. Ein einsichtiger Bey hatte
im 17. Jahrhundert bei El Batan 9 km oberhalb Djedeida durch
einen holländischen Wasserbaumeister, aber wohl auf römischer
Grundlage eine große Staubrücke über den Medscherda bauen
lassen, und so Bewässerungskanäle durch die Olivenhaine geleitet,
deren Spuren noch zu erkennen sind.
Diese ehemalige, sich etwa 21 km in NNO -Richtung er-
streckende Meeresbucht stand durch zwei Engen mit der äußern
Bucht in Verbindung, indem sich derselben im Nordosten die
12 km lange schmale, sich nach Norden zuspitzende Insel von
Kalftat el Wed (Castra Cornelia) vorlagerte. Dieser Höhenrücken
ist bei Tissot durchaus falsch dargestellt1); er erreicht im Süden
1) Auch das Blatt 2 der neuen französischen topographischen Karte
läßt hier eine ösüichere flache Bodenschwclle von ca. 20 m Höhe nicht
erkennen.
1 60 1I> !• Die Stätte von Karthago.
in dem Kudiat Tuba die größte Höhe von 59 m, senkt sich
dann an der Stelle, wo zugleich seine Richtung aus NNO in nahe-
zu N übergeht, auf 20 m herab und bietet da, wie heute der
Straße von Tunis nach Bizerta, so im Altertum der von Karthago
nach Utica den natürlichen Übergang. Dort führt denn auch
eine steinerne Brücke, deren Grundlagen römisch sein sollen,
über den Fluß, bei welcher man einen Fonduk, danach F. el Kan-
tara genannt, errichtet hat, an den sich ein kleiner Duar anschließt.
Die Nordspitze dieser ehemaligen Insel trägt bei Kaläat el Andeless
noch heute, obwohl 6l/2 km ins Land gerückt, durchaus den
Charakter eines steilen Vorgebirges, auf welchem man unwillkür-
lich einen Leuchtturm sucht. Ehe der Fluß seine Sinkstoffe hier
dem Meere zuführte, war dies Vorgebirge von der Brandung bei
Nordostwinden in ähnlicher Weise umspült, wie heute noch das von
Karthago; es fiel, von der Brandung benagt, in steilen, ca. 20 m
hohen Abstürzen zum Meere ab, genau wie es in Cäsars Bellum
civile geschildert wird: „jugum directum, eminens in mare, utra-
que ex parte praeruptum atque asperum". Wenn aber schon
Scipio hier um das Vorgebirge sein Schiffslager aufschlagen konnte,
so mußte sich bereits ein Saum Neuland um dieses aus jung-
tertiären bröckeligen Kalksteinen bestehende Vorgebirge gelagert
haben. Heute liegt auf der Spitze das große Dorf Kaläat el
Wed oder Galaat el Andeless.
Das Südende dieser ehemaligen aus dem Schwemmlande
des Medscherda auftauchenden Insel war durch eine reichlich
5 km breite Meerenge, die noch heute mit ihrem wagerechten
Boden den Eindruck einer solchen macht, von der Hügelgruppe
des Dj. Amar (328 m) und des über eine Einsattelung damit zu-
sammenhängenden Dj. Naheli (261 m) getrennt. Durch diese
Meerenge schob der Medscherda in der Zeit, in welcher zuerst
geschichtliche Überlieferung diese so hervorragend geschichtlich
gewordene Gegend beleuchtet, seine Wasser- und Sinkstoffmassen
dem Meere zu. Hier lag die Mündung in der Zeit des soge-
nannten großen Söldnerkriegs (240 v. Chr.). Die durch Wind und
Küstenversetzung vor der Mündung gebildete Barre benutzte
Hamilkar Barkas, um sein Heer auf das linke Ufer des Stromes
zu bringen. Vorher aber muß wohl notwendig schon einmal sein
Lauf nach N gerichtet gewesen sein, an der Westseite der Insel
vorbei, denn die Verlandung des Mebtuh-Beckens und der zweiten
Das Delta des Medscherda. 1 6 1
Enge, durch welche dieselbe mit dem äußern Deltaland in Ver-
bindung stand, zwischen dem Nordende der Insel und dem ge-
nau demselben parallelen Halbinselvorsprung von Utica kann nur
durch den Medscherda erfolgt sein. Diese nördlichere ehemalige
Meerenge hat eine Breite von 3000 m. Damit stimmt allerdings nicht
überein die Angabe derselben oben angeführten Stelle des Bellum
civile, nach welchem die Entfernung des Vorgebirges von Castra
Cornelia von Utica geradeswegs etwas über 1000 Schritt betragen
soll. Die Quelle, die sich auf diesem geraden, aber sehr sumpfigen
Wege befinden soll, vermag ich nicht festzulegen, da doch kaum
die warme Quelle von Utica (A'in el Hammam) darunter zu ver-
stehen ist. Wolle man den Sumpf vermeiden, so müsse man
einen Umweg von sechs Meilen machen , d. h. man müßte dem
Höhenrücken von Castra Cornelia südwärts folgen und die Ebene
ungefähr da überschreiten, wo die Straße von Tunis nach Bizerta
heute sie überschreitet, und offenbar auch die Straße Karthago
bis Utica sie überschritt. Dort war also schon damals ziemlich
fester Boden. Auch heute ist die Strecke zwischen Galaat und
Bu Schater nur im Sommer fest und trocken, sonst breiten sich
auch heute noch, abgesehen vom Flusse selbst, Sümpfe aus. Es
darf wohl angenommen werden, daß in dieser Enge eine Er-
höhung des Schwemmlandes dadurch stattfand, daß der Fluß
hier, nachdem er die Mebtuhebene wohl in viele flache Arme
geteilt durchirrt hatte, wieder zusammengedrängt und von der
Brandung gestaut zum Fallenlassen der letzten Sinkstoffe genötigt
wurde. Eben die Erhöhung seines Bettes ließ ihn dann wohl
bei einem Hochwasser sich den südlichen Engen (wieder) zu-
wenden. Hier, wo der Fluß aus der Enge heraustrat, war dem-
nach der bequemste Übergang, wenn man von Karthago nach
Utica wollte, hier, fast genau mittewegs Sebala und Fonduk, wo
die Straße heute noch einen alten Flußlauf quert, müssen wir
demnach die Brücke und die Stadt an der Brücke suchen, bei
welcher nach Polybios (I, 75) Hamilkar Barkas die Söldner
schlägt. An diese Stelle konnten die Söldner von dem 1 2 km
entfernten Utica zu Hilfe eilen, von hier mußten sich die Geschlagenen,
nachdem die am Südufer gelegene Stadt an der Brücke ge-
nommen, naturgemäß nach Tunis flüchten, denn die Einsenkung
zwischen Dj. Amar und Dj. Naheli verbindet eben diesen Punkt
mit Tunis. Der Verlauf der Straßen ist in einem Gebiete wie
Fischer, Mittelmcerbilder. Neue Folge. II
IÖ2 n, 7- Die Stätte von Karthago.
dieses, wo Berge, Sümpfe und Flußläufe wechseln, streng geo-
graphisch bedingt. Ich bin zweimal nahe an jener Stelle vorbei-
gekommen, hatte aber nicht die Zeit, nach Trümmern der Stadt
und der Brücke zu forschen, meinte auch, daß dieselben im
Schlamm vergraben seien. Erst beim Abschluß der Arbeit fiel
mir ein sehr versteckter Bericht von Daux in die Hand1), nach
welchem dieser wirklich an der von mir aus den örtlichen Ver-
hältnissen geschlossenen Stelle Reste einer Brücke und einer
alten Stadt dicht dabei auf etwas erhöhtem Boden gefunden
haben will. Daux meint, sie müsse Cigissa oder Cigisa geheißen
haben.
Hier lag also die älteste geschichtlich festgestellte Mündung
des Medscherda, sie war allmählich bis auf 10 km vom nord-
westlichen Stadtteile von Karthago, der Totenstadt auf dem Vor-
gebirge Kamart, vorgerückt und lag, wie Tissot und schon im
vorigen Jahrhundert Shaw annehmen, unmittelbar unter dem nord-
östlichsten, ebenfalls Vorgebirgscharakter tragenden Vorsprunge
des Dj. Naheli, den heute der weithin sichtbare Marabut Sidi
Amor bu-Ktiua krönt. Freilich lag eine Meeresbucht zwischen
beiden Punkten. Hier mündete der Fluß, wie Partsch hervor-
gehoben hat, noch 49 v. Chr. In der darauf folgenden Zeit be-
gann er aber seine Mündung immer weiter nach Norden vorzuschieben,
zunächst an der Außenseite der Insel entlang, wo noch heute der
alte Flußlauf deutlich zu erkennen ist, dann, als der Weg durch
die südliche Enge mehr und mehr versperrt wurde, an der Innen-
seite entlang, so daß er schließlich die heutige Richtung ein-
schlug und den Teil der Bucht, welcher vor den Vorgebirgen
von Utica und Castra Cornelia lag, zu verlanden begann. Daß
dazwischen eine Zeit gelegen hat, wo der Fluß zwei Mündungen
nördlich und südlich der Insel hatte, ist wahrscheinlich und er-
klärt die abweichenden Angaben der Quellen. Es war genau so
wie heute, wo der eine Berichterstatter und die eine Karte die
Mündung in das Haff von Porto Farina verlegen, der andre un-
mittelbar ins Meer. Es brach sich der Fluß mit der allmählichen
Verlegung der südlichen Enge erst gelegentlich nach Norden
Bahn und behielt noch die östliche als eigentliche Mündung bei,
1) Comptes rendus de l'Academie des Inscriptions et Beiles Lettres
N. S. IV a. 1868, p. 155.
Das Delta des Medscherda.
163
nach und nach aber wurde jene die Hauptmündung, und erlosch
diese gänzlich. Die Erhöhung des Unterlaufes, die Verstopfung
der Mündung durch eine Barre, die Bildung einer Nehrung —
die heutige flache Sebcha Er Riana ist wohl der Rest eines Vor-
gängers des Haffs von Porto Farina — zugleich auch Erhöhung
und Verengung des Durchganges zwischen der Insel und dem
Dj. Amar durch die von demselben herabkommenden Gießbäche,
mochten die Hauptursachen der nördlichen Abschwenkung des
Flusses sein. Daß derselbe außer jener ältesten nachweisbaren
Mündung unter Sidi Amor bu-Ktiua, wo der Flußlauf noch sehr
deutlich zu verfolgen ist, noch mehrere andere weiter nördlich ge-
habt hat, kann nicht bezweifelt werden; ich selbst habe Stücke
alter Flußläufe in der fraglichen Gegend gefunden, einzelne füllen
sich sogar streckenweise im Winter mit Regenwasser, aber es ist
mir nicht gelungen, die von Tissot eingezeichneten Flußbetten in
dieser sichern Weise festzustellen. Es muß auch Bedenken er-
regen, daß Tissot, der freilich über ganz ungenügende Karten
verfügte, den Höhenrücken der ehemaligen Insel, die er auf
2i1/2 km verlängert (!), in der Mitte, wo er ihn als Dj. Kabeur el
Djehela bezeichnet, so riesig verbreitert, und den Fluß diese
tafellandartige Hügelmasse rings umfließen läßt. Falls hier nicht
ein grober Fehler des Zeichners vorliegt, wie wahrscheinlich, so
müßte man den Verdacht hegen, Tissot, der wohl selbst diese
Karte nicht mehr hat nachsehen können, habe die Örtlichkeit
gar nicht betreten, sonst wäre eine so irrige Darstellung des Ge-
ländes, die schon den klassischen Berichten widerspricht, unmög-
lich. Um diese Flußläufe so festzulegen, wie sie auf Tissots
Karte sich finden, ist eine sehr eingehende Untersuchung des
Geländes Voraussetzung. Mir war gerade an diesem Punkte
eine solche nicht möglich. Auf Partschs Karte ist ein Flußlauf
aus römischer Zeit mitten durch die ehemalige Insel verzeichnet.
Das ist natürlich auch unmöglich. Die neuen französischen Auf-
nahmen lassen mehrere alte Flußläufe in dieser ehemaligen Meer-
enge erkennen, auch ganz junge durchgebrochene Flußschlingen
finden sich.
Seit den ersten Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung ist also
der Schauplatz der Landbildung nach Norden verlegt.
Aus einer Bemerkung bei Shaw S. 7 1 , daß man auf dem
Wege von Sidi Ali (Amor) bu Ktiua nach Galaat (Kaläat) die
164 H> 7. Die Stätte von Karthago.
Ebene mit Tannenzapfen, Stämmen von starken Bäumen und
andern Anzeichen großer Überschwemmungen bedeckt finde,
müßte man schließen, daß noch anfangs des 18. Jahrhunderts
das Hochwasser des Medscherda durch die südliche Enge sich
ausgebreitet habe. Es erscheint mir dies wenig wahrscheinlich.
Nördlich von Galaat kann man jene Anzeichen von Über-
schwemmungen heute allenthalben finden, obwohl ich Zapfen
der Aleppokiefer entsprechend der Verwüstung der Wälder
im Quellgebiet des Medscherda nicht mehr sehr häufig gefunden
habe. Die ganze Ebene östlich des niedrigen Rückens von Galaat,
die Garaa bu Ammar, ist noch heute sumpfig und seewärts von
Haffen, welche ein schmaler niedriger Dünenzug vom Meere trennt,
begleitet. Auch nördlich von Galaat ist die Ebene von win-
dungsreichen alten Flußläufen gefurcht. Die Verlandung der
Sebcha Er Riana (oder Er Ruan) ist auch noch in geschichtlicher
Zeit zu verfolgen. Sie war noch in den letzten Jahren des puni-
schen Karthago ein offener Meeresteil, tief genug, daß eine
Zeitlang die römische Flotte an ihrer Südküste, dem Nordrande
der Landenge, welche die Halbinsel von Karthago mit dem Fest-
lande verbindet, sich aufstellen und die Verbindung mit Italien
unterhalten konnte1). Seitdem erst hat sich also die Nehrung
gebildet, die von dem sandreichen Kap Kamart aus diese Bucht
zum Haff gemacht hat. Sie liegt im Sommer schon zum großen
Teil trocken.
Die Halbinsel von Utica und die nur kurze Zeit als Halb-
insel vorhanden gewesene, rasch völlig verlandete ehemalige Insel
werden von Schwemmland umhüllt. Utica, noch kurz vor Beginn
unsrer Zeitrechnung Seestadt und Hafen, wird bereits nicht mehr
als solcher bezeichnet in der uns aus der zweiten Hälfte des
3. Jahrhunderts n. Chr. erhaltenen Abfassung einer alten Segel-
anweisung (Stadiasmos). Gegen Ende der Kaiserzeit beginnt
Utica zu veröden, denn mit Recht schließt dies Daux aus dem
Umstände, daß er keine Spur byzantinischer Neubauten mit altern
Resten dort finden konnte.
Doch gab es bis zur Eroberung durch die Araber Bischöfe
von Utica, der letzte, Potentinus, floh 683 vor jenen nach Spanien2).
1) O. Meltzer: Gesch. der Karthager II, S. 157.
2) Maltzan I, S. 331.
Die Stätte von Utica.
I65
Seitdem war die immer mehr von fieberschwangern Sümpfen um-
schlossene Halbinsel wohl völlig verödet, nur ein armseliges Dorf,
Bu Schatir, nach zwei dicht beieinander auf dem zweiten
Hügel gelegenen Marabuts genannt, erhob sich unmittelbar über
der großen Zisterne auf der Spitze des dritten Hügels. An Stelle
dieses seitdem i1^ km weiter westwärts auf dem Höhenrücken
verlegten, jetzt nur aus fünf Hütten bestehenden Araberdorfes ist
seit dem Besuche Maltzans (1868) ein großer Meierhof eines
rasch reich, aber fast ebenso rasch wieder arm gewordenen
Tunesen getreten, nach demselben bis vor kurzem Bordsch Ben
Ayed genannt. Im Jahre 1885 ist die Ruinenstätte von Utica
mit dem Meierhof und einer weiten Umgebung in den Besitz
eines französischen Grafen Frank übergegangen, der den ganzen
Hügelzug und die Stätte von Utica mit Reben bepflanzen läßt.
Daß Utica die älteste phönikische Ansiedelung am Golfe
war, wird bei Untersuchung und Vergleichung der Örtlichkeiten
von Utica und Karthago sofort klar. Das älteste Utica lag auf
einer kleinen Insel vor der Spitze der Halbinsel und wuchs erst
allmählich auf die Halbinsel hinüber. Seine Lage war ganz ge-
eignet für eine erste Niederlassung von Kaufleuten, sie war ähn-
lich der von Ubbo (Hippo) eine echt phönikische Handelslage.
Dagegen waren die Phöniker, die sich auf der weiten, einer
riesigen Großstadt Raum bietenden, in jeder Hinsicht groß ange-
legten Halbinsel von Karthago niederließen, unbedingt von vorn-
herein zahlreicher, selbstbewußter, sie waren nicht lediglich auf
Erwerb und gute Beziehungen zu den Eingeborenen bedachte
Kaufleute, sondern nicht unbemittelt kommende Glieder einer in
den innern Kämpfen unterlegenen politischen Partei, die hier von
vornherein nach politischer Macht strebte. Zwischen der Gründung
von Utica und der von Karthago ist daher gewiß ein langer
Zeitraum verflossen. Der Unterschied der Lagenverhältnisse ist
ein so bedeutender, daß Utica jederzeit hinter Karthago zurück-
stehen mußte. Auch die landschaftlich so anziehende Hügel-
gruppe von Karthago (Höhe von Sidi Bu Said 141 m) bildete
ursprünglich eine Insel, nur dürfte deren Landfestwerden min-
destens in frühquartäre Zeit fallen; die Landenge besteht zum Teil
aus Schichten ziemlich festen Kalksteins, in dem an den wenigen
Punkten, wo ich ihn untersuchen konnte, Versteinerungen ganz fehlen.
Gewiß war sie bei Gründung der Stadt schmäler als jetzt.
1 66 II. !• Die Stätte von Karthago.
Die Landbildung ist hier in den letzten 18 Jahrhunderten
sehr rasch vor sich gegangen, denn die Landfläche, welche sich
seitdem hier gebildet hat, ist nicht sehr viel kleiner, als die in
den Jahrhunderten vor Beginn unsrer Zeitrechnung gebildete.
Überhaupt ist die Landbildung in geschichtlicher Zeit viel rascher
vor sich gegangen als in vorgeschichtlicher. Den in letzterer
gebildeten etwa 220 qkm stehen 350 in ersterer gebildete gegen-
über, von denen die Sebcha Er Riana und das Haff von Porto
Farina mit 24 und 26 qkm als noch nicht verlandet abzuziehen
sind. Daß die Landbildung in geschichtlicher Zeit rascher vor
sich gegangen ist, durfte man bei sonst sich gleich bleibenden
Verhältnissen als eine Folge der Ausdehnung des Anbaues und
der Waldverwüstung, damit auch der Hochwasser und der in
diesem Klima rascher fortschreitenden Abtragung erwarten. Das
Medscherda-Gebiet war ja das Gebiet dichtester Besiedelung und
höchster Kultur im römischen Afrika, im Medscherda-Tale auf-
wärts drangen die römischen Ansiedler auf das Hochland vor.
Besondere Aufmerksamkeit verdient noch die Lage der
Mündung des Flusses, denn wunderbarerweise gehen darüber die
Angaben auffällig auseinander. Ich selbst ließ bisher auf Grund
des kartographischen Urmaterials, der neuen französischen topo-
graphischen Karte von Tunesien, deren betreffendes Blatt im
Mai 1884 ausgegeben ist, den Fluß in das Haff von Porto Farina
münden, das Gleiche und wohl aus gleichem Grunde tut Tissot
und Reclus, während Partsch, wohl der Darstellung der 1883
noch als Urmaterial hier anzusehenden Seekarten folgend, den
Fluß, wenn auch unter Abgabe von Nebenarmen an das Haff,
unmittelbar ins Meer führt. Und diese Darstellung ist die richtige,
so schwer man an einen so groben Irrtum auf einem so wichtigen
Kartenwerke, wie das genannte amtliche französische ist, noch
dazu in einer der Hauptstadt nahen Gegend, glauben mag. Der
Medscherda mündet nicht in das Haff von Porto Farina, sondern
unmittelbar ins Meer, er sendet nur gelegentlich bei Hochwasser
im Winter Nebenarme in das Haff. Aber auch diese sind auf den
neuesten französischen Kartenausgaben nicht eingezeichnet. Das
hätte man jeden Tag im Kanal von La Goletta von den dort
liegenden Barkenführern von Porto Farina erfahren können. Ich
habe mir einen Einblick in diese Verhältnisse auf einer drei-
tägigen Fahrt auf einer kleinen Segelbarke von Porto Farina, die
Die Mündung des Medscherda. l57
ich in La Goletta gemietet hatte, an der ganzen Küste entlang
und auf dem Haff verschafft, und denselben durch Fußwande-
rungen durch die nach dem Hochwasser vom Februar besonders
unwegsamen Sümpfe an der Mündung des Flusses noch weiter
vertieft. Doch ist es erklärlich, wie diese irrige Darstellung auf
die französische Karte gekommen ist. Die Aufnahme hat jeden-
falls im Winter stattgefunden, wo diese Sümpfe allerdings schwerer
zugänglich, aber frei von Fieber sind. Vielleicht war der be-
treffende Winter ein besonders regenreicher, und gab der Fluß
infolgedessen besonders starke Arme an das Haff ab, die somit
leicht als Hauptarme angesehen werden konnten. Freilich hätte
die so völlig abweichende Darstellung der französischen Seekarte
Nr. 3487 zur Vorsicht mahnen sollen. Die Mündung des Med-
scherda liegt tatsächlich jetzt 4 km südöstlich von der Mündung
des Haffs und ist seit der Aufnahme Mouchez' von 1876 und
wohl mindestens 100 m vorgerückt. Doch bezieht sich dies nur
auf die Spitze der Flußmündung selbst, die sich aber unterseeisch
weit vorgeschoben hat, so daß selbst flachgehende Barken eine
weite Ausbiegung nach O machen müssen, um diese sich vor die
Mündung des Haffs vorschiebende Untiefe zu vermeiden. Im
April dieses Jahres hatte sich vor der Mündung, und zwar recht
bezeichnend an der linken Seite eine wohl 1,5 km lange schmale
Sandinsel gebildet, welche durch einen nach Norden abgehenden
seichten Arm noch vom Lande geschieden war, jedenfalls aber
bald mit demselben verwachsen wird. Ihre Südspitze war der
Sammelplatz einer ungeheuren Möwenschar, die auf den Untiefen
an der Flußmündung reichliche Nahrung fand. Der Strand wird
von einer sehr flachen, etwa 200 m breiten Düne gebildet, hinter
welcher sich die von Salzpflanzen bedeckten, sich durch die
Überschwemmungen, welche feinen Schlamm ablagern, stetig er-
höhenden Sümpfe ausdehnen. Da die Franzosen auf der rechten
Seite der Deltaspitze wohl bei der neuen Aufnahme unter Manen
1882 eine hölzerne Pyramide als Seezeichen errichtet haben, so
wird es möglich sein, das Vorrücken derselben zu messen. Schon
eine Vergleichung der Aufnahme Manens, deren Ergebnisse noch
nicht veröffentlicht sind, mit derjenigen Mouchez' von 1876 wird
lehrreich sein.
Die Schwierigkeit, zu entscheiden, ob der Medscherda in
das Haff oder unmittelbar ins Meer münde, ist schon alt, aber
l68 II) 7- Die Stätte von Karthago.
durchaus erklärlich, zumal tatsächlich bezeugt ist, daß der Strom
wiederholt in das Haff gemündet hat und immer wieder künstlich
davon abgelenkt worden ist, um seine Verlandung zu verhüten.
So neuerdings1), aber auch schon Ende des 17. Jahrhunderts2).
Von dem Augenblicke an, wo der Fluß seine Mündung nord-
wärts zwischen Galaat und Bu Schatir ins Meer vorzuschieben
begann, mußte der Teil der Bucht, welcher hier noch am steilen
Südhange des als scharf zugespitzte Halbinsel und dem nach dem
Marabut Sidi Ali Mekki benannten Vorgebirge endigenden Dj.
Nadur ins Land hinein rückte, mehr und mehr zu einem sich
rasch verengenden Haff am Fuße des Gebirges umgewandelt
werden. Der Fluß hat hier wohl fast immer zwei Mündungen
gehabt, wenn auch diejenige unmittelbar ins Meer immer die
Hauptmündung gewesen ist. Das ergibt die Art des Vorrückens
der Landbildung und die Küstenumrisse. Die Absperrung des
Haffs nach der Seeseite ist vorzugsweise mit Sinkstoffen herge-
stellt, welche der Medscherda ins Meer getragen hat, und die
nun von der Strömung (und den Wellen) nordwärts getragen und
vor dem Haff abgelagert worden sind. Ich habe schon früher
einen Neerstrom als die Kraft bezeichnet, welche vorzugsweise
die nördliche Verschiebung der Medscherda-Mündung verursacht
hat. Es ist mir gelungen, auch dafür einen neuen Beweis zu
liefern. Bei einer Landung am Strand etwas nördlich der Med-
scherda-Mündung fand ich ein ganz frisches, gekrümmtes Stück
Schiffsbauholz, wie es zur Herstellung der Rippen kleiner Barken
verwendet wird. Mein Barkenführer betrachtete es sofort als
wertvolle Beute und schleppte es an Bord. Wir stellten fest, daß
dasselbe bei dem Nordoststurme im Februar, wo das Wasser,
wie ich selbst noch auf der Nehrung von La Goletta habe be-
obachten können, weit auf die flachen Ufer hinaufstieg, von den
kleinen Bootsbau- und Ausbesserungsplätzen von La Goletta weg-
gespült und von der Strömung 50 km weit nordwärts getragen
worden ist. Es lag, wohlgemerkt, auf der linken Seite der Fluß-
mündung, es war also in das Flußwasser geraten, und mit diesem
nach links, nach N abgelenkt worden. Das Vorhandensein der
1) Monchicourt, Ann. de Geogr. 1904, p. 145.
2) Davis, Karthago und seine "Überreste. Aus dem Engl. Leipzig 1863.
S. 297.
Das Haff von Porto Farina.
169
Sebcha Er Riana ließe auch auf eine solche Strömung schließen,
sie ist, weil zur Rechten der ehemaligen Medscherda-Mündung
gelegen, nicht verlandet worden. Sie verlandet erst jelzt langsam
von der Seeseite her, indem der Wind die Sandmassen der
hohen Dünen, welche er nördlich von Kamart aufgehäuft hat,
landeinwärts trägt. Das lieblich gelegene palmenreiche Dorf
Kamart selbst ist schon gefährdet. Zum Teil sind diese Dünen
auf die Zerstörung der aus (miocänem) Sandstein und Konglo-
meraten bestehenden Steilküste der Hügelgruppe von Karthago
zurückzuführen. Auch dort lassen Trümmer des Altertums vom
Fuße des Byrsahügels bis Kap Kamart das Zurückweichen des
Strandes unter dem Andrang der Brandungswelle deutlich er-
kennen. Der Hafenkapitän von La Goletta bestätigte mir auch
das Vorhandensein einer solchen Gegenströmung, die namentlich
bei O und NO sehr kräftig sei, doch komme, wenigstens im
südlichsten Teile des Golfes, gelegentlich auch eine Strömung in
entgegengesetzter Richtung, um das Südende des Golfs nach O
und NO, vor, namentlich wenn nach länger andauerndem O und
NO kräftige Westwinde eintreten und das vorher im Haff von
Tunis aufgestaute Wasser um so rascher wieder abfließen machen.
Als Beleg führte er an, daß die Leichen von drei Matrosen einer
am Eingange in dies Haff gescheiterten Bark, deren Wrack ich
noch liegen sah, gegen Hammam Lif getragen und dort auf-
gefunden worden waren, und daß ein vom französischen Ge-
schwader auf der Reede verloren gegangener ungeladener Torpedo
in ebendiese Richtung getragen worden sei.
Neben der Strömung ist aber unbedingt auch der Wellen-
bewegung, welche die ins Meer getragenen Sinkstoffe zurückstaut,
hier ein Einfluß bei der Landbildung und der Gestaltung der
Küstenumrisse zuzuschreiben. Unbedingt aber werden, weil ab-
seits der Flußmündung, auf der rechten Seite derselben gelegen,
das Haff von Tunis und die Sebcha Er Riana, die ich bereits
eine Vorgängerin des Haffs von Porto Farina nannte, länger vor-
handen sein als letztere, deren Verlandung sehr rasch vorschreitet.
Die Strömung und die Brandungswelle baut die Mündung zu,
die überhaupt nur noch durch den periodisch einmündenden
Medscherda offen erhalten wird, der aber seinerseits das Haff
zuschüttet. Ohne die periodisch vom Flusse in das Haff ge-
führten Wassermassen würde die Mündung (El Boghaz), das Tief,
170 II) 7- Die Stätte von Karthago.
längst geschlossen sein, das Wasser des Flusses hält es offen,
und das durch den Windwechsel von O nach W hervorgerufene
Ein- und Ausströmen wirkt dabei mit. Es steigt das Wasser im
Haff bei steifem O und SO, wie ich einen solchen dort erlebte,
sehr bedeutend, in wenigen Stunden um i m, die Brandung an
der Barre ist dann so riesig, daß ein Aus- oder Einlaufen ganz
unmöglich ist, man ist einfach eingesperrt. Ich brauchte, da
meine Zeit zu kostbar war, als daß ich auf passendes Wetter
hätte warten können, drei Stunden, um, gegen den Wind an-
kreuzend, über das Haff an die Nordspitze der südlichen Nehrung
zu gelangen, 3 km weit! Auch war die Sache durchaus nicht
ohne Gefahr; meine selbstverständlich nicht wasserdicht gekleideten
Bootsleute, die ich nur mit Mühe hinausgebracht hatte, waren
nach wenigen Minuten völlig durchnäßt und hatten viel Arbeit,
das Boot, das alle Augenblicke vollschlug, über Wasser zu halten
und vor dem Kentern zu bewahren. Doch hatte ich gerade bei
dieser Fahrt gute Gelegenheit, den Einfluß des Windes und des
Windwechsels auf Bildung der Barre und der Nehrung wie auf
Offenhaltung der Mündung zu beobachten. Die Entstehung dieser
Nehrung nämlich ist sehr lehrreich. Anstoß zu ihrer Bildung gab
zunächst die Strömung, die Küstenversetzung und die Brandungs-
welle, welche auf der linken Seite der Flußmündung eine näher
an dieser bald überseeisch werdende, dem Meere die konkave
Seite zukehrende Nehrung schuf. Damit war aber auch der An-
halt zur Ablagerung der feinern vom Medscherda in das neu-
gebildete Haff herbeigeführten Sinkstoffe an der innern Seite ge-
geben. So besteht die von Süden gegen das Tief vorgeschobene
Nehrung aus zwei an der Spitze verwachsenen Kurven, einer
äußern außerordentlich regelmäßigen, nach dem Meere konkaven,
und einer innern von den Westwinden gebildeten, nach dem
Haff zu konkaven. Dazwischen liegt noch offenes Wasser. Die
nördliche, an den Dj. Nadur angelagerte Nehrung besteht auch
ihrerseits aus zwei an der Spitze verwachsenen, offenes Wasser
einschließenden Kurven, aber beide sind gegen das Haff hin
konkav, beide sind vom Westwinde auf der früher vorhandenen,
aber wohl unterseeisch gebliebenen Nehrung aufgebaut worden,
die äußere, flacher gekrümmte in einer frühern, kürzern Periode,
wo der Medscherda vorwiegend seine Wasser- und Sinkstoffmassen
dem Haff zuführte, die innere in einer spätem, länger und wohl
Porto Farina.
171
noch jetzt andauernden, daher breiter. Jene ist lang und schmal
und verläuft sowohl von innen wie außen regelmäßig, da sie
auch von außen dem Einfluß der Wellen unterliegt. Bei ihr tritt
heute das vorhanden gewesene Ansteigen nach innen nicht mehr
hervor. Um so mehr aber bei der innern Kurve, die vom Haff
aus steil zu 2 m Höhe aufsteigt und nach außen sich sehr sanft
abdacht, indem oben Sand und Staub allmählich vom Strande
nach außen angelagert wird.
Diese nördliche Nehrung ist bereits zum Teil in Anbau ge-
nommen, den die fleißigen Bewohner von Porto Farina noch
immer ausdehnen. Eine wichtige, mir bis dahin neue Rolle
spielt dabei die Dattelpalme. Man pflanzt nämlich überall bei
Porto Farina, aber namentlich auf der nördlichen, mit breiter
Grundlinie mit dem jungtertiären Höhenrücken des Nadur ver-
wachsenen Nehrung die Dattelpalme unmittelbar am Strande an
und läßt dieselbe mit ihren üppigen Wurzelschößlingen und ihren
starren Wedeln 3 — 5 m hohe undurchdringliche, ganz ausgezeichnet
auch gegen den Wind schützende Zäune bilden. Bis nahe an
die Südspitze der Nehrung sind diese Pflanzungen vorgerückt,
sie halten die schweren, vom Winde herbeigeführten Sandkörner
auf und schaffen so einen wahren Damm, hinter welchem sich
nur die feinern und fruchtbaren Boden bildenden Stoffe ablagern.
Im Schutze dieser Hecken von Dattelpalmen macht man nun den
Boden urbar und zieht Gemüse aller Art, Kartoffeln, Feigen und
Granaten wie andres Obst von vorzüglicher Güte. Überhaupt
macht Porto Farina einen verhältnismäßig freundlichen Eindruck,
obwohl auch da zahlreiche Häuser leer stehen und in Trümmer
fallen, eine für ganz Tunesien und die bisher dort herrschenden
Zustände kennzeichnende Erscheinung. Namentlich der Hafen,
das Arsenal und die alten steinernen Festen, wie andere dem
Staat gehörige Bauwerke sind in einem kläglichen Zustande.
Aber die Gärten, welche sich an der West- wie an der Ostseite
der Stadt auf einem nach Westen an Breite zunehmenden Vor-
lande, das aber keineswegs jüngster Entstehung ist, sondern
ungefähr gleichalterig sein dürfte mit der Landenge von Karthago,
ausdehnen, sind so vorzüglich gehalten, wie ich es in ganz
Tunesien nicht mehr gesehen habe; die herrlichsten Feigen-,
Johannisbrot- und Mandelbäume, auch Pflaumen und Oliven be-
Bchatten dort ausgedehnte, mit Rebenpflanzungen wechselnde
in 2 II, 7. Die Stätte von Karthago.
Felder von Kartoffeln und Mohn, die beide wohl nur hier in
Tunesien im großen gezogen werden. Der Mohnbau zur Opium-
gewinnung ist durch einen türkischen Beamten aus Kleinasien
hier eingeführt worden. Die Kartoffel ermöglicht hier zwei Ernten
und liefert, nach Tunis und zur Ausfuhr gebracht, eine der wich-
tigsten Einnahmequellen des Städtchens. Eine dritte Ernte, wie
in Algerien, ist nicht möglich, weil es an Wasser zu künstlicher
Bewässerung fehlt. Zwar ist der innere Bau des Dj. Nadur der
Bildung von Quellen gerade an seinem Südfuße sehr günstig,
denn die Schichten dieses wohl miocänen1) Rückens, bald an
schlecht erhaltenen Versteinerungen überreicher Kalkstein, bald
Sandstein und grobes Konglomerat, drüben in Sizilien vorkommenden
Ablagerungen außerordentlich ähnlich, streichen genau West-Ost
und fallen in einen Winkel von 10 ° nach Süden ein, während
der Rücken in steilem Abbruch dem N die Schichtenköpfe zu-
kehrt. Doch ist hier ein breiteres, ebenfalls leidlich angebautes
Vorland mit Baumpflanzungen und einzelnen Höfen vorgelagert.
Die Felspyramide der Insel Pillau ist ein stehen gebliebenes
Stück des Gebirges. Dasselbe ist mit dürftigen, nur in den
Wasserrissen üppigem Macchien bedeckt, in welchen Rosmarinus
officinalis, Thymus vulgaris, Juniperus phoenica, Pistacia Lentiscus
und Pistacia atlantica sowie mehrere Arten Genista vorherrschen.
Dennoch treten bei Porto Farina nur ziemlich schwache Quellen
und in so tiefem Niveau zutage, daß künstliche Bewässerung un-
möglich ist. Die Dattelpalme, von der man hier noch gelegent-
lich Palmwein, aber keine Früchte gewinnt, ist hier besonders
häufig, man trifft herrliche, mit denen der Oasen wohl zu wett-
eifern befähigte Gruppen dieses edlen Baumes. Doch ist die
Dattelpalme überhaupt auch in Nordtunesien nicht selten, da sie
sich im Küstengebiet entlang, wo kein unwirtliches Hochland
zwischen den Gürtel der Palmenoasen und den mediterranen
Nordrand eingeschoben ist, nordwärts verbreiten konnte. In
Algerien dagegen ist sie im Teil, außer wo sie die Franzosen
wieder häufiger angepflanzt haben, ziemlich selten, seltener als in
Südspanien. Die verhältnismäßige Blüte von Porto Farina mag
1) Herr Prof. v. Koenen in Göttingen vermochte der schlechten Er-
haltung wegen von den mitgebrachten Handstücken eine Auster nicht mit
genügender Sicherheit als Ostrea Boblayi Desh. zu bestimmen. Siehe oben
S. 157.
Das Haff von Porto Farina.
173
wohl mit dem bedeutenden Prozentsatz christlicher Elemente,
Malteser umd Italiener, zusammenhängen; von den etwa 1000 Be-
wohnern sind 150 Christen, die eine eigene Kirche unter einem
italienischen, aus Südtirol stammenden Kapuziner besitzen.
Daß in den letzten Jahrzehnten die Hauptmündung des
Medscherda unmittelbar ins Meer gegangen ist, darüber kann kein
Zweifel sein, für 1860 versicherte es V. Guerin, für 1868 Maltzan
ausdrücklich, auch stellen es die englischen Seekarten dieser
Zeit so dar. In Porto Farina wurde mir von landeskundigen,
dort gebornen Bewohnern versichert, daß der Fluß erst seit An-
fang der sechziger Jahre bei Hochwasser Nebenarme in das Haff
sende. Doch gibt dies V. Guerin schon für 1860 an, und für
185g möchte ich es aus Davis1) schließen, obwohl derselbe unter
Hinweis auf den Mangel an Übereinstimmung in bezug auf die
Flußmündung dieselbe unmittelbar ins Meer verlegt. Denn die
Stelle, wo er, im Boot den Fluß 9 km weit hinauf fahrend, um-
kehren mußte, weil sich derselbe verbreiterte und verflachte (nur
auf eine kurze Strecke, denn auch in seinem Delta fließt er bis
auf einige Kilometer oberhalb der Mündung in tief eingeschnittenem
Bett), liegt eben da, wo der erste Seitenarm abgeht. Ende des
17. Jahrhunderts ist der Unterlauf desselben auch künstlich vom
See abgelenkt worden2) und um 1850 bestand die Absicht, um
den Fluß selbst die Barre wieder beseitigen zu lassen, ihn wieder
in das Haff zu lenken. Das Haff von Porto Farina war i6qo
noch der sicherste Hafen von Tunesien, wo die Kaperflotte des
Bey zu liegen pflegte, große Werften waren und wo noch ein
Schiff von 40 Kanonen einlaufen konnte. Um die Verlandung
zu verhüten, leitete man den Fluß unmittelbar ins Meer. Nun
bildete sich aber mit den Sinkstoffen desselben eine Barre vor
dem Tief des Haffs, das um 1740 nur noch 10 englische Fuß
Wasser hatte. Für die Verlandung desselben ist es fast gleich-
gültig, ob der Fluß durch dasselbe oder unmittelbar ins Meer
mündet; in ersterm Falle wird es rasch zugeschüttet, in letzterm
schließt sich die Mündung; wie die Verhältnisse heute liegen
— und sie zu ändern, würde es bedeutender Arbeiten bedürfen — ,
schreitet beides rasch vor. Seit den Aufnahmen von Mouchez
1) Davis, Karthago, S. 295.
2) O. Meltzer a. a. O., S. 159.
j - i II, 7. Die Stätte von Karthago.
im Jahre 1876 haben sich die Tiefen im ganzen südlichen und
östlichen Teile sehr vermindert, und ist das Land dort vorgerückt.
Das Tief hatte damals noch eine Breite von 575 m und in einer
gewundenen Rinne 1,5 bis 2,5 m Tiefe, während sich an der
Außen- wie an der Innenseite Untiefen gebildet hatten. Die
Rinne ist noch vorhanden, aber so seicht, daß meine Barke, die
nicht ganz 1 m Tiefgang hatte, vor der Mündung erst den
größten Teil des Ballastes auswerfen mußte, um einlaufen zu
können. Noch 185g war Davis mit dem englischen Dampfer „Harpy"
eingelaufen1)! Die innere Untiefe (Barre) ist zu einer wirklichen,
fast mit der südlichen Nehrung verwachsenen Sandinsel geworden,
die auch bei dem durch den Ostwind so bedeutend erhöhten
Wasserstande als solche nicht verschwand. Und die Gegenden
des Haffs unmittelbar vor dem Tief, in welchen Mouchez' Karte
Tiefen von 0,9 bis 1,4 m südwestlich vom Eingange verzeichnet,
haben jetzt nur 0,5 bis 0,7 m, nördlich davon nur 0,3 bis 0,5 m.
Nur der nordöstlichste Teil des Haffs, wo noch jetzt Tiefen von
2 m vorkommen, scheint seine Tiefe nicht gemindert zu haben.
Daß das Haff von Tunis, ehemals die innerste Bucht des
Golfes, deren Umwandlung in ein Haff nicht weit vor Beginn
geschichtlicher Überlieferung zurückreicht2), in geschichtlicher
Zeit seinen Umfang und seine Tiefe wesentlich durch den Unrat
von Tunis und hineingewehten Sand vermindert hat, hat J. Partsch
und anfangs des vorigen Jahrhunderts schon Shaw gezeigt. Dieser
gab die größte Tiefe zu 6 bis 7 Fuß an, während Mouchez'
Karte nach den Lotungen von 1876 eine größte Tiefe von 1 bis
1,5 m (nur an einer Stelle) im östlichen Teile zeigt. Es wechselt
übrigens, was wohl zu beachten ist, der Wasserstand auch in
diesem Haff sehr bedeutend, bei Westwind läuft ein großer Teil
desselben trocken, während bei Ostwind das Wasser in starker
Strömung eindringt, und die Tiefe wie der Umfang des Haffs
sehr bedeutend wächst. Da im Sommer östliche Winde im all-
gemeinen vorherrschen, so ist in dieser Jahreszeit das Haff weit
besser zu befahren als im Winter. Im Altertum, wo sich hier
ganze Flotten frei bewegten, war nicht nur die Tiefe größer,
sondern auch das Tief breiter und tiefer als heute. Wäre das
Tief nicht breiter gewesen als heute, wo es durch eine 65 m
1) Davis, Karthago, S. 29.
2) Davis a. a. O., S. 297.
Verlandete Inselwelt. j j e
lange Schiffbrücke, an welche sich ein kurzer Steindamm an-
schließt, geschlossen ist, so wäre das Eindringen der römischen
Flotte sehr gewagt gewesen, denn die Karthager hätten es durch
einige versenkte Schiffe schließen können. Auch hätte die Neh-
rung, die heute einen bequemen und kurzen Weg nach Süden
von Goletta nach Rades bietet, in den Kämpfen um Karthago
eine Rolle gespielt. Wie ich schon früher zeigen konnte, daß
die Nehrung seit dem Altertum sich verbreitert hat, so konnte
ich Beweise für die fortschreitende Verbreiterung sammeln. An
den nördlichen Teil der Nehrung hat sich seewärts ein neuge-
bildeter breiter Landstreifen angelagert, der nur bei durch Ost-
winde (und Flut) hervorgerufenem höhern Wasserstande noch als
lange schmale Insel erscheint, und der Hafenkapitän von La
Goletta zeigte mir eine Stelle unmittelbar südlich vom äußern
Eingang in den Kanal von Goletta, wo noch vor wenigen Jahren
größere Schiffe ankern konnten, während heute das Meer sehr
flach, zum Teil sogar schon trockenes Land ist. Die Sinkstoffe,
aus welchen die Nehrung des Haffs von Tunis erbaut ist, liefern
die Gießbäche und Flüßchen an der Ost- und Südküste des Golfs,
vor allem der Wed Miliana. Dem entsprechend ist die südliche
Nehrung länger und breiter, zum großen Teil angebaut. Ohne
den künstlichen Kanal von La Goletta, der schon sehr früh im
Mittelalter angelegt ist, würde das Haff von Tunis bei dem
Mangel eines einmündenden Flusses wahrscheinlich ganz vom
Meere abgesperrt sein, so aber wird dadurch, daß die von Ost-
winden in das Haff getriebenen Wassermassen nicht durch den
engen Kanal allein rasch genug bei eintretenden heftigen West-
winden, wie sie im Winter nicht selten sind, abfließen können,
das bis zuletzt offen gebliebene Tief immer wieder ausgetieft.
Der See von Bizerta dagegen verdankt seine noch vorhandene
Verbindung mit dem Meere den einmündenden Zuflüssen. Ur-
sprünglich war dieselbe i km breit, sie ist aber längst durch
vorgelagerte Sandmassen bis auf den engen Kanal geschlossen
worden, dessen Tiefe auch nur vom Eingange bis zur Brücke
2 m beträgt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Haff
von Tunis eine ehemalige Bucht ist, und der erste Anstoß zur
Landbildung hier durch die Insel von Karthago gegeben wurde.
Die Bildung der Landenge von Karthago ist gewiß in frühquartäre
Zeit zu setzen.
176 H> 8. Die nordadriaüsche Haffküste.
So ist also hier eine ganze Inselwelt in seichtem Meere ver-
landet. An seine Stelle ist fruchtbares, offenes, wegsarnes Land
getreten, dem eine Fülle von Wasser aus den Flüssen, durch
leicht zu grabende Brunnen aus dem Untergrunde zur Verfügung
stand bzw. ohne allzugroße Schwierigkeiten und Kosten Trink-
wasser aus der großen Kalkmasse des Zaghuan von S her zuge-
führt werden konnte. Daß so in dieser geographisch hervorragend
bevorzugten Erdstelle mehrfach die topographischen Bedingungen
zur Entwicklung einer Großstadt und eines großen politischen
Schwerpunkts gegeben waren und wie die Neuzeit diese Be-
dingungen künstlich verbessert hat, habe ich an anderer Stelle
gezeigt *).
8. Die nordadriatische Haffküste.2)
Die Form der Haffküste ist zwar weit verbreitet und die
Hälfte unserer deutschen Ostseeküste gehört ihr an, aber ein
Haffküstengebiet von solcher Vielseitigkeit der Beziehungen, wie
sie die Küste von Norditalien am Adriatischen Meere zu beiden
Seiten der Po-Mündungen aufweist, kehrt nirgends auf der Erde
wieder. Man muß sich fragen, ob diese Küste anziehender und
lehrreicher ist in rein geomorphologischer oder in anthropogeo-
graphischer oder in geschichtlicher Hinsicht. Das Werden und
die Veränderungen dieser Küste unter den Wirkungen endogener
und exogener Kräfte, mariner und festländischer klarzulegen, ist
ebenso anziehend, wie die Beeinflussung dieser Kräfte durch den
Menschen, dem in letzter Stelle es zuzuschreiben ist, daß die tha-
lassogene Schwemmlandküste an der Po-Mündung durch eine pota-
mogene unterbrochen wird, ja, der die flache Kurve vor den La-
gunen von Venedig hervorgerufen hat. Und von welcher Bedeutung
ist es, mitten in diesem amphibischen, menschenfeindlichen Gürtel,
der ein dicht bevölkertes Hinterland hermetisch von dem völker-
verbindenden Meere scheidet, einen Brennpunkt politischer Macht
und höchster menschlicher Gesittung emporblühen zu sehen und
festzustellen, wie die Seemacht Venedig im Kampfe mit den
i) Mittelmeerbilder I, Tunis, Bizerta und Tunesien im Jahre 1904, S. 440.
2) Nach La Penisola Italiana. Torino 1902. Deutsch bearbeitet.
Die nordadriatische Flachsee.
177
Naturkräften, die ihm den Untergang drohten, zur Landmacht
werden mußte.
Die Bedeutung des Adriatischen Meeres ist für Italien eine
verhältnismäßig geringe, weit geringer, als die des Tyrrhenischen,
denn schon nach seiner Entstehung wendet Italien diesem das
Gesicht, jenem den Rücken zu. Die ganze Ostseite Italiens ist,
bezeichnend für eine Längsküste, arm an Häfen, selbst die herr-
lichen Riashäfen von Brindisi und Tarent haben nur im Alter-
tume eine größere Wichtigkeit gehabt, als die östliche Nachbar-
halbinsel und überhaupt das östliche Mittelmeergebiet größere Be-
deutung hatte. Neben ihnen hat nur diese nordadriatische Haff-
küste Verkehrsbedeutung gehabt, weil durch sie allein die Po-Ebene
und seit dem Mittelalter auch die Alpenländer und Mitteleuropa
einen Ausgang nach dem Mittelmeere hatten, der freilich, be-
ständig durch die landbauenden Flüsse bedroht, seine Stelle immer
wieder geändert hat: Spina, Hadria, Aquileja, Ravenna, Venedig.
Das lange schmale Adriatische Meer, das sich als Mittelmeer
niederer Ordnung, zwischen den beiden gefalteten Erdgürteln der
Apenninen auf der einen, des dinarischen auf der andern Seite
von dem ostwestlichen Bruchgürtel des Mittelmeeres aus weit nach
Nordnordwesten in die Festlandsmasse Europas hinein schiebt, ist
jedenfalls in seiner ganzen Ausdehnung ein junges Meer, jünger
als diese beiden jungen Faltengebirge, die ihm beide ihre äußeren
Austönungsgürtel zukehren. So macht das ganze flache nord-
westliche Adriatische Meer ganz den Eindruck eines Transgressions-
meeres. Es ist eine ganz flache Überspülung der Erdrinde ähn-
lich dem Persischen Meerbusen, dessen Vormeer, die Bucht von
Oman, das Gegenstück des Einbruchskessels des südadriatischen
Beckens ist. Zwar liegt innerhalb der nirgends 200 m Tiefe er-
reichenden unterseeischen Schwelle, die, durch die tremi tischen Inseln
und Pelagosa gekennzeichnet, vom Monte Gargano nach Dalmatien
hinüber zieht, noch ein kleines etwas tieferes Becken, das Pomo-
becken, mit 243 m größter Tiefe, aber von da nimmt die Tiefe
rasch zu 90 m emporsteigend nach Nordwesten stetig und so gleich-
mäßig ab, daß man eine völlig ebene Fläche ähnlich dem Boden
vieler Alpenseen vor sich hat und A. Grund ganz neuerdings die
Ansicht ausgesprochen hat, daß die nordadriatische Flachsee die
untergetauchte postglaciale Po-Ebene sei, eine untergetauchte Akku-
mulationsebene, die sich ähnlich wie heute das Po -Delta vom
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 12
1^8 II, 8. Die nordadriatische Haffkiistc.
Fuße der Westalpen bei Turin an bis an den Rand des Pomo-
Beckens vorgeschoben hatte. Jenseits einer Linie vom Südost-
ende des heutigen nordadriatischen Deltalandes nach der Süd-
spitze Istriens kommen keine Tiefen von 60 m und von den Po-
Mündungen nach Istrien hinüber keine von mehr als 20 m vor, ja
ein breiter Gürtel vor dieser Haffküste hat nur Tiefen von unter
10 m. Bohrprofile der unteren Po-Ebene zeigen, daß in Tiefen
von 20 — 80 m, also in Tiefen, welche der nordadriatischen Flach-
see entsprechen, sich nur festländische Ablagerungen finden, von
denen man also annehmen kann, daß sie sich im Boden dieser
Flachsee fortsetzen. Nehmen wir also an, daß diese Flachsee so
jugendlichen Alters ist, so ergibt sich, daß das siegreiche Vor-
dringen der Landanschüttungen der nordadriatischen Flüsse noch
Jüngern Datums, ja, wie wir sehen werden, z. T. der geschicht-
lichen Zeit angehört und sich noch mehr unter unsern Augen voll-
zieht. Da drängt sich aber sofort die Frage auf, ob die Vor-
gänge, welche dem Meere erlaubt haben, so weit über die fest-
ländisch aufgeschüttete Po-Ebene hinüber zu greifen, nicht vielleicht
noch heute andauern, d. h. ob zentripetale Bewegungen der Erd-
rinde in dieser Erdgegend noch heute andauern. Denn auf Grund
meiner 35jährigen Studien über und Reisen in den Mittelmeer-
ländern bin ich niemals, auch nicht durch Ed. Suess' Einwürfe,
so ernst ich sie geprüft habe, in der Ansicht wankend geworden,
daß es sich bei allen Küstenveränderungen, welche sich im Mittel-
meergebiet in geschichtlicher Zeit und vermutlich in der ganzen
Quartärzeit vollzogen haben, neben Deltabildungen und mariner
Abtragung nur um Bewegungen der festen Erdrinde handelt, nicht
um Schwankungen des Meeresspiegels. Wenn es sich heraus-
stellen sollte, daß an dieser Haffküste1) neben der landanlagern-
den Tätigkeit der Flüsse, der Küstenströmung und Küstenversetzung
ein Sinken des Landes stattfindet, so gewinnen die Vorgänge,
1) Ich gebrauche mit Vorbedacht stets den Ausdruck Haffkiiste, nie-
mals Lagunenküste, weil es für den Deutschen selbstverständlich ist, daß er
Deutsch spricht, namentlich da diese Küstenform von der Divenow bis Memel
die ganze deutsche Ostseeküste kennzeichnet und selbst in Italien die Bezeich-
nung Lagune nur für die Haffe von Venedig angewendet wird — andere
Haffe Italiens werden Stagno genannt — und man im Spanischen und Portu-
giesischen diese Bezeichnung auch auf stehende Gewässer anwendet, die geo-
morphologisch mit Haffen gar nichts zu tun haben.
Senkungserscheinungen im Haffgebiet von Venedig. 11Q
welche die Küstenformen geschaffen haben, wie sie heute sind,
als Ergebnis sich bekämpfender Kräfte noch eine ganz andere
Bedeutung.
Den oben angeführten Bohrprofilen lassen sich noch andere
beifügen, die alle zu der Anschauung führen, daß diese in post-
glacialer Zeit an der Oberfläche abgelagerten Schuttmassen durch
Senkung in diese Tiefe gekommen sind. Gewiß wird man zuerst
an ein Zusammensitzen der lose aufgeschwemmten Massen, an ein
Auspressen des Wassers, namentlich aus den ehemals an der
Oberfläche gebildeten Torfmassen denken, wodurch schon die
Mächtigkeit der ganzen Ablagerung eine geringere werden, die
Oberfläche in ein tieferes Niveau kommen und die Möglichkeit
neuer Ablagerungen gegeben sein muß. Auch an den Druck auf-
gehäufter Massen von Dünensand ist zu denken. Ob aber diese
Vorgänge genügen, um die unzweifelhaften Senkungserscheinungen
zu erklären, muß weiteren Forschungen und Beobachtungen vor-
behalten werden. Tatsache ist, daß man in Ravenna und ander-
wärts tief unter dem heutigen altes Straßenpflaster gefunden hat.
Namentlich in Adria, das dem Meere den Namen gegeben hat,
von dem es heute 22 km entfernt ist, das aber durch Auf höhung
des Bodens bei Überschwemmungen heute 3,28 m im Mittel über
dem Meeresspiegel liegt, hat man beträchtlich unter dem heutigen
Spiegel des Adriatischen Meeres Reste von Bauwerken aus römi-
scher Zeit gefunden, ja die Türschwellen von Häusern, die nicht
älter als 500 Jahre sind, liegen jetzt unter der Bodenoberfläche.
In Venedig hat man zur Herstellung eines Brunnens im öffent-
lichen Garten eine Bohrung bis 121m niedergeführt, bei welcher
man bis 85,5 m nur sandige und tonige Flußablagerungen und zu
unterst eine Torfschicht antraf, bei 105 m Sand mit marinen und
Süßwassermuscheln gemischt, bei 119 m und bis zum Ende der
Bohrung nur marine Muscheln. Seit Jahrhunderten sind die Bau-
meister in Venedig peinlich bemüht, die Erdgeschosse ihrer Bau-
werke nicht nur über dem Niveau der gewöhnlichen Flut, sondern
vor allem auch über dem von Zeit zu Zeit unter Mitwirkung von
Windstau eintretender hoher Fluten zu halten, die 1,50 m zu er-
reichen vermögen. Aber das gelingt ihnen niemals, weil sich der
Boden immer wieder senkt. Der Markusplatz liegt jetzt nur 0,42 m
über dem Niveau der gewöhnlichen Flut und wird infolgedessen
zuweilen überflutet. Als man 1742 den Fußboden der Markus-
12*
l8o II» 8. Die nordadriatische Haffküste.
kirche zu 0,52 m über der gewöhnlichen Flut erneuerte, fand
man einen alten Fußboden 1 m unter derselben. Aus denselben
Gründen überstieg die hohe Flut von 1867 auch die Einfassungen
der öffentlichen Zisternen, die bis dahin niemals erreicht worden
waren, und es ist eine ganz gewöhnliche Erscheinung, daß die
Erdgeschosse der Häuser, Kirchen, Verkaufsläden u. dgl. wegen
zunehmender Feuchtigkeit aufgehöht werden müssen. Reste alter
Bauwerke, Pflaster, Fußböden, auch aus römischer Zeit, sind viel-
fach bei Ausschachtungen 2 — 3 m unter der Oberfläche gefunden
worden. Man kann also nicht daran zweifeln, daß sich das mittlere
Flutniveau in Venedig und an der ganzen Haffküste in geschicht-
licher Zeit gehoben hat. Das hat zur Folge gehabt, daß überall
da, wo nicht wie in Venedig künstliche Aufhöhungen vorgenommen
und sonstige Schutzvorrichtungen geschaffen wurden, das Land
überflutet wurde. So kann sicher nachgewiesen werden, daß
mehrere Haffinseln verschwunden sind. Das altberühmte, einst
so volkreiche Städtchen Torcello wird immer kleiner und von der
Bevölkerung verlassen. Namentlich sind solche Landverluste bei
Grado und Aquileja zu verzeichnen, die dadurch versumpft sind.
Der gewaltige Bau der Murazzi, eines schützenden Blockwalles
an der Außenseite der Nehrung des Lido, wurde notwendig, weil
seit dem 1 6. Jahrhundert diese schützende Nehrung immer schmäler
und niedriger wurde.
Daß es sich nicht bloß um ein Zusammensitzen der auf-
geschwemmten Massen handele, dieser Verdacht drängt sich auf,
wenn man drüben an der Felsküste von Istrien und Dalmatien
dieselbe Beobachtung des Übergreifens des Meeres über das Land
macht. Schon die Küstengliederung, bei Pola z. B., die Quarne-
rischen Inseln, die als Fortsetzungen von Istrien erscheinen, die
wassergefüllten Flusstäler des Canale di Lerne, dell' Arsa, di
Quieto usw. lassen einen solchen Schluß ziehen. Auch die Ab-
bruche vieler Inseln an Bruchlinien, welche längs der inneren
Seite der Alpen, des Karstes und des Dinarischen Gebirges ver-
laufen und denen häufig heftige Erdbeben folgen, lassen schließen,
daß hier die Erdrinde noch nicht in sich genügend verfestigt ist.
Auch dort finden sich Reste römischer Bauwerke an vielen Punkten
unter dem Meeresspiegel, wie z. B. in Salona römische Sarko-
phage aus dem festen Kalkfels gehauen und auf Felsboden unter
dem Meeresspiegel liegen. Alle Flußtäler Dalmatiens, bis wohin
Sinkstofführung der Flüsse. I 8 1
die Akkumulationsebene, die noch diejenigen Istriens verhüllt,
nicht reichte, setzen sich nach A. Grund unterseeisch fort und diese
rezente Senkung hat nicht nur die fluvioglacialen Schotter des
Narentatales , sondern auch die postglacialen Lößablagerungen
unter den Meeresspiegel gebracht. Das Wasser des Vranasees,
das bis 1630 süß war, ist seitdem salzig.
Worauf aber immer die Senkungserscheinungen zurückzu-
führen sein mögen, sie vermögen die Wirksamkeit der landbilden-
den Kräfte nur zu verlangsamen, nicht aufzuheben, denn die ört-
lichen Landverluste verschwinden gegenüber dem allgemeinen
Landzuwachs. Bedeutungsvoll ist dabei, daß alle Flüsse von der
inneren Steilseite der Alpen sowohl, wie von der sanfteren äußeren
Abdachung der Apenninen gegen einen Punkt in der Gegend der
heutigen Po-Mündung hinstreben und schon in früherer Zeit hin-
strebten, so daß sie, wenn auch ihre Mündungen vom Po selbst
durch seine überlegene Stoßkraft stromabwärts verschleppt er-
scheinen, schließlich Zuflüsse des Po wurden und nur von der
Etsch geschlossen werden kann, daß ihr dem Po weithin paralleler
Lauf und ihre selbständige Mündung auf Abdrängung zurückzu-
führen ist. Jedenfalls bilden alle Flüsse vom Isonzo im Norden
bis zu der bei Rimini mündenden Marecchia gemeinsam das große
nordadriatische Deltaland. Das Wachsen desselben ist vor allem
durch die Seichtigkeit des Adriatischen Meeres und die Fülle der
Sinkstoffe bedingt, welche die Flüsse aus den Alpen und Apen-
ninen herbeiführen, obwohl einzelne, wie Adda und Tessin, ihre
Gerolle in den lombardischen Seen, an deren Zuschüttung sie
arbeiten, abladen. Um so größer ist die Geröllführung der Flüsse
von Friaul und der Romagna, während der Po nur noch feinere
Sinkstoffe bis ins Meer trägt bzw. schiebt. Aber immerhin be-
rechnet man dieselben zu 46 Millionen Kubikmeter jährlich. So-
lange diese Sinkstoffe nur dem Walten der Natur überlassen
waren, wurden sie teilweise zur Aufhöhung der Ebene verwendet,
indem die Flüsse bei Hochwasser, die besonders im Herbst ein-
treten, wo gewaltige Dampfmengen vom wannen Mittelmeere her
an den schon erkalteten Höhen der Alpen verdichtet werden, die
Ebene weithin überschwemmten und in einen ungeheuren Süß-
wassersee verwandelten. Im unteren Ende ihres Laufes ließen
sie bei gewöhnlichem Wasserstande, geminderter Strömung und
Tragkraft einen Teil ihrer Sinkstoffe fallen und erhöhten so ihr
182 H> 8. Die nordadriatische Haffküste.
Bett. So fließen die Flüsse von Friaul, welche noch Gerolle
führen, meist auf einem breiten, von ihnen weit in die Ebene
hinaus aufgehöhten Damme. Auch vom Po gilt dies. Sein Spiegel
liegt bei Hochwasser bei Ostiglia 3,5, bei Guarda Veneta 6 m
über der umgebenden Ebene. Um so größer mußte die Gefahr
der Stromverlegungen werden. Darauf beruht wohl auch im
wesentlichen die Teilung der Deltaarme. Die Sinkstoffmassen,
welche ins Meer gelangten, gerieten dort neben der rasch er-
lahmenden Stoßkraft des Flusses unter den Einfluß mariner Kräfte,
des Windes, der Wellen und vor allem der Küstensrrömung und
der Küstenversetzung. Diese lenkten, wie man am Rauche eines
Schornsteins die Windrichtung erkennt, entsprechend der im
Adriatischen Meere an der Ostseite nordwärts, an der Westseite
südwärts setzenden Strömung, alle Sinkstoffe dieser nordadria-
tischen Deltaküste vom Isonzo an, an dessen Mündung man das
besonders deutlich erkennen kann, nach rechts, nach Süden ab
und bauten sie zu Nehrungen (hier lidi genannt) auf, welche
flache, randliche Meeresteile abschnitten und so die Hafte schufen,
die die ganze Küste begleiten, auch südwärts vom Po, ja süd-
wärts von Ravenna, wo nur noch kleine Flüsse münden. Nun
lagerten die Flüsse ihre Sinkstoffe vorzugsweise in diesen Haffen
ab und verlandeten sie. War das erreicht, so schoben sie wiederum
die Sinkstoffe ins offene Meer, es bildeten sich wieder Nehrungen
und so fort. Im Po -Delta erkennt man noch heute diese ehe-
maligen, dem heutigen von niedrigen Dünen besetzten Lido von
Venedig ähnlichen Nehrungen als langgestreckte, z. T. mit Pinien,
welche neugebildete sandige Anschwemmungen besonders lieben,
bewachsene niedrige Sandwälle, die heute weit im Innern liegen,
mehrere hintereinander. Namentlich lehrreich ist, daß die Nehrung
des heutigen Lido von Venedig sich über Chioggia in das heutige
Sumpfland des Po-Deltas hinein und quer durch dasselbe in süd-
licher Richtung bis in das Haff von Comacchio verfolgen läßt,
das auch seinerseits durch solche Wälle in einzelne Becken zer-
legt wird. Noch im 2. Jahrhundert v. Chr. lag südlich vom Po
das große Padusa-Haff, das sich südwärts bis zur Mündung des
Uso erstreckte. Auf einer seiner Inseln lag Ravenna. Die heu-
tigen Haffe, die heutige Küste bezeichnen also nur einen vorüber-
gehenden Zustand. Ohne das Eingreifen des Menschen wären
auch die Haffe von Venedig und Comacchio bereits verlandet
Künstliche Aufhöhung der Haffe. j 33
oder in Sümpfe verwandelt. Das von Comacchio hat man der
reich lohnenden Fischereien wegen erhalten und ihren gefähr-
lichsten Feind, den zeitweilig ungeheuer anschwellenden und außer-
ordentliche Massen von Schlamm, bis 7%, aus dem tonigen
Apennin herbeischleppenden Reno, unschädlich gemacht, indem
man ihn um das Haff herum nach Süden ablenkte. Weiter süd-
wärts sind die Seesalzgärten der Cervia auch nur künstlich er-
haltene Reste eines Haffs. Der Reno und die Fiumi Uniti (Montone
und Ronco), Savio und Marecchia, so klein sie sind, haben be-
reits nach Ausfüllung ihrer Haffe begonnen, ihre Mündungen vor-
zuschieben und die Bildung neuer Haffe anzubahnen. Im Norden
haben sich nur zwischen den Mündungen der geröllreichen Flüsse
Isonzo und Tagliamento die Haffe von Murano und Grado er-
halten, obwohl der östliche Teil derselben schon verlandet ist, weil
die dort mündenden Flüsse aus Friaul als sog. Fiumi di risorgiva,
d. h. als durch das aus den Schuttmassen der oberen Ebene
wieder zutage tretende Grundwasser gebildet, zwar wasserreich,
aber arm an Sinkstoffen sind. Zwischen Tagliamento und Livenza
dehnt sich ein Haffgebiet aus, welches die Verlandung bereits
in mehrere Stücke aufgelöst hat. Zwischen Livenza und Piave
bezeichnet das Sumpfgebiet des Valle dei Sette Casoni die Stelle
eines ehemaligen Haffs und das Gebiet von Ravenna mit seiner
Pineta den Abschluß dieses Entwicklungsvorgangs. Dünen, selbst
von so geringer Höhe wie am Lido von Venedig, begleiten diese
Haff küste durchaus nicht überall, die Küste ist auf weite Strecken
niedrig und flach, schwer anzusegeln, die wenigen Tiefs noch
schwerer aufzufinden, Land und Meer gehen unmerklich inein-
ander über. Das Lot ist vorzugsweise das Hilfsmittel zur Be-
stimmung der Entfernung von der Küste.
Ganz neuerdings hat man, wenigstens südlich vom Po, an-
gefangen, die Sumpfgebiete, welche den Gürtel der Haffe an der
Innenseite begleiten, dadurch gesund zu machen und dem Anbau
zu gewinnen, daß man sie künstlich aufhöht durch das auch
anderweitig in Italien angewendete Colmata- System, indem man
die Flüsse zwingt, ihre Schlammassen an bestimmten Stellen ab-
zulagern und sie damit aufzuhöhen. So hat man durch den Lamone
ein weites Sumpfgebiet, einen Teil des ehemaligen Padusa-Haffs
urbar gemacht, ganz nahe nördlich und nordwestlich von Ravenna.
Durch die Renozuflüsse Idice und Quaderno hat man an der
j 3a n, 8. Die nordadriatische Haffküste.
Westseite des Haffs von Comacchio 14000 ha aufgehöht. Man
erhält damit auch die kostbaren Schlammassen, die sonst nutzlos
ins Meer geführt würden, dem Lande. Hat man doch berechnet,
daß Frankreich in dieser Weise jährlich Feststoffe im Werte von
30 Millionen Franken verloren gehen. Auch in holländischer
Weise durch Eindeichen und Auspumpen sind beträchtliche Teile
dieses Haffgebiets, an der West- und an der Nordseite des Haffs
von Comacchio, bei Ferrara und an andern Stellen, im ganzen
etwa 60000 ha, trocken gelegt und in fruchtbare Felder verwandelt
worden. Auch hier also, wo dieser menschenleere und menschen-
feindliche Gürtel der Haffe und Sümpfe, welcher das angebaute
und dicht bevölkerte Innenland vom Meere scheidet, bis zu 30 km
breit ist, wird derselbe allmählich verschmälert.
Im Mittel hat der Haffgürtel eine Breite von 15 — 20 km.
Er bildet einen fast hermetischen Abschluß des Landes, denn er
ist unbewohnt und wenig wegsam. Im allgemeinen nimmt aber
die Wegsamkeit von Norden nach Süden zu, mit der Zahl und
Größe der Wasserwege. Bewohnt sind nur wenige Punkte, die
Schnittpunkte der Wasserwege, wo sich die Menschen auf den
hohen Dämmen niedergelassen haben, oder für die Fischerei
günstig gelegene Punkte, also vorzugsweise Inseln. Aber von diesen
auch nur diejenigen, welche durch die kräftige Gezeitenbewegung
fieberfrei gehalten werden: Venedig, Chioggia, Burano, Comacchio.
Alle Siedelungen sind klein, von Venedig und Chioggia abgesehen,
da sonstige Hilfsquellen fehlen. An der Küste selbst sind, wenn
wir von den vor Venedig gelegenen und gewissermaßen als seine
Vororte anzusehenden , namentlich den Seebädern absehen,
zwischen Duino und der Cervia-Mündung Caorle und Grado die
einzigen bewohnten Orte. Es sind auch kleine Fischersiedelungen.
Einzig und allein Venedig ist großen Schiffen zugänglich, heute
aber auch nur noch durch die Kunst der Wasserbaumeister und
die Tatkraft der reichen Handelsstadt. Die Haffe, die wir also
sämtlich nach ihrer Entstehung als randliche Abgliederungen des
Meeres, daher als lange schmale, der Küste parallele Strandseen
anzusehen haben, dazu bestimmt, dem Festlande zugefügt zu
werden, sind naturgemäß alle sehr flach und nur für ganz flache
Boote fahrbar. Die tieferen Rinnen, welche sie kennzeichnen und
die bei Venedig bis 46 m größte Tiefe erreichen, sind wohl
teilweise als durch das Sinken des Landes unter den Wasser-
Eigenart des Haffgürtels. I 8 5
Spiegel geratene alte Flußläufe, teilweise aber als durch die Ge-
zeitenströmungen ausgewaschen anzusehen. Bei Ebbe liegen große
Flächen des Haffbodens trocken und machen von dichten See-
gräsern bedeckt den Eindruck grüner Wiesen. Das ist die sog.
Laguna morta, die sich naturgemäß besonders an der Innenseite
ausdehnt. Diese Vegetation bedingt das reiche Tierleben an
Fischen, Mollusken, Krustaceen usw. Die größte Wasserfläche
bietet noch das Haff von Comacchio. Mit 407 qkm ist es noch
heute größer als der Garda-See. Die ganze von den vor-
geschobenen Flußmündungen mit ihren Neulandbildungen (Taglia-
mento, Livenza, Piave, Etsch, Po, Reno) zerschnittene Haffläche
mag noch 800 qkm betragen. Treviso , Padua, Ferrara be-
zeichnen die Grenze des schon seit längerer Zeit trockenen und
festen Landes, alle drei völlig Landstädte, 30 — 50 km vom Meere.
Nur Ferrara ist durch künstlich gegrabene und sorgsam unter-
haltene Kanäle für kleine Seeschiffe erreichbar, ebenso wie die
freilich dem Meere viel näher liegenden Ravenna und Rimini.
Die Hauptsitze der Fischerei sind neben Venedig Chioggia und
Comacchio, letztere beiden fast nur Fischersiedelungen, Chioggia
zugleich Vorort von Venedig und Venedig vielfach ähnlich und
wirtschaftlich in ähnlicher Weise von ihm abhängig wie Mestre
auf der Landseite. Auch die heute toten Inselstädtchen Burano
und Torcello können als Vororte von Venedig gelten und vor
allem das gewerbtätige Murano. Comacchio ist lediglich Fischer-
stadt. Die ertragreiche Haffischerei beruht hier namentlich darauf,
daß viele Fische während der warmen Jahreszeit diese seichten
Gewässer und zu Beginn der kühleren das offene, dann wärmere
Meer aufsuchen. Das ist vorzugsweise die Fangzeit. Das ganze
Haff ist, sei es von Natur, sei es durch Kunst, durch Dämme in
einzelne Becken, Valli genannt, gegliedert und noch vielfach durch
Zäune geteilt, so daß den Fischen die Wege vorgeschrieben sind.
Der Schöpfer dieses Haffgebietes ist natürlich in erster Linie
der Po, der aber auch seinerseits vom Menschen gebändigt worden
ist, so daß seine Deltabildung heute in andrer Weise vor sich
geht, wie früher. Die infolge der natürlichen Aufhöhung seines
Betts häufigen Stromverlegungen und Überschwemmungen zwangen
den Menschen, sobald eine gewisse Verdichtung der Bevölkerung
eingetreten war, sich durch Eindeichungen gegen diese Natur-
kraft zu schützen.' Schon früh im Mittelalter begannen diese
1 86 H) 8. Die nordadriatische Haff küste.
Eindeichungen, die immer weiter stromauf rückten, heute 400 km
weit, bald auch die Nebenflüsse umfaßten und immer höher und
fester gebaut wurden. Dies hat den Strom zwar nicht gehindert
bei besonders hohen Wasserständen die Dämme zu durchbrechen
und furchtbar verheerende Überschwemmungen anzurichten, aber
im wesentlichen sind doch immer mehr Sinkstoffe ins Meer be-
fördert worden. Zugleich hat die fortschreitende Entwaldung
auch die Sinkstoffmengen vermehrt. Das hat zur Folge gehabt,
daß das eigentliche Delta seit den Deichbauten und besonders
in den letzten Jahrhunderten immer rascher in das seichte Meer
vorgeschoben worden ist, so rasch und energisch, daß die marinen
Kräfte nicht mehr imstande waren die Sinkstoffe an der Küste
zu verteilen. Während es sich nämlich bei dieser ganzen nord-
adriatischen Haffküste um eine thalassogene Schwemmlandküste
handelt, eine Küste, deren Verlauf in flachen Bögen die marinen
Kräfte bestimmen, bildet mitten darin das immer weiter über
diese Bögen hinaus ins offene Meer vorgeschobene Po-Delta eine
potamogene Schwemmlandküste von ganz anderen Formen. Der
Strom beginnt im Meridian von Adria sich zu teilen und mündet
schließlich in 7 Mündungsarmen, von denen der nördlichste, der
Po di Maestra, 50 km vom südlichsten, dem Po di Primero ent-
fernt ist. Die Hauptmündung ist heute der Po di Tolle. Aber
obwohl alle unter ungeheuren Kosten eingedeicht sind und steter
kostspieliger Überwachung unterliegen, ist ihre Wasserführung
und die Arme selbst doch sehr wechselnd, bald wird der eine
wasserreicher und versandet der andre und umgekehrt. Die
Mündungsarme schieben daher auch ihre Schlammkegel mit ver-
schiedener Geschwindigkeit vor, ja es kommt vor, daß beim Er-
lahmen des Flusses oder Verlegung der Mündung ein solcher
wieder abgetragen oder verkleinert wird. Jedenfalls ist auch das
vorgeschobene Delta des Po überwiegend als ein Werk des Menschen
zu bezeichnen. Die schon erwähnten Dünenreihen erlauben das
Wachstum des Deltas zu verfolgen. Das heutige auf 40 km langer
Basis 20 km vor die thalassogene Schwemmlandküste vorge-
schobene Delta ist erst seit etwa 1200 n. Chr. entstanden.
Durch einen Durchstich im Beginn des 17. Jahrhunderts ver-
schob man dasselbe nach Süden, weil die nördlichen Arme das
Haff von Venedig bedrohten. In einer seiner letzten Arbeiten
hat der treffliche, der Wissenschaft zu früh entrissene Giov. Mari-
Wachstum des Po-Deltas. Seehäfen desselben.
I87
nelli auf Grund der von den Österreichern um 1823, von den
Italienern um 1 893 vorgenommenen Küstenaufnahmen nachgewiesen,
daß sich das Po -Delta unter dem Einflüsse der marinen Kräfte
weniger nach vorn, als seitwärts vorschiebt und zwar der Po di
Maestra jährlich 80 m, Po di Tolle 96 m, Po di Gnocca 34 m,
Po di Goro 79 m, und daß allein in diesen etwa 70 Jahren das
Po -Delta um 53 qkm, das ganze nordadriatische Deltaland um
68 qkm gewachsen ist und daß, wenn dies Wachstum andauerte,
nur 1 2 000 Jahre, also eine geologisch gesprochen sehr kurze Zeit
nötig wäre, damit das Delta die 90 km entfernt gegenüberliegende
Küste von Istrien erreiche. Dann würde das Nordende des
Adriatischen Meeres in ähnlicher Weise zu einem Landsee ab-
geschnürt sein, wie der Latmische Meerbusen in Kleinasien, an
welchem Milet lag, durch das Vorrücken des Deltas des Mäander
zu einem Landsee geworden ist.
Durch dieses Vorrücken der Anschwemmungen mußten natur-
gemäß alle Siedelungen, welche an oder in der Nähe der Fluß-
mündungen, etwa auf Haffinseln oder auf den Nehrungen lagen,
allmählich ins Binnenland rücken und außer stand gesetzt werden
als Seetore des Hinterlands zu dienen. Die Seestädte dieser
Haffküste haben daher alle nur eine verhältnismäßig kurze Blüte-
zeit gehabt. Immer wieder trat an Stelle einer älteren eine
jüngere weiter seewärts oder der Gegend der raschesten Land-
bildung etwas mehr entrückte. Die älteste der aus diesem Delta-
lande bekannten Seestädte war Spina, deren Stätte bis heute
noch nicht sicher hat nachgewiesen werden können. Es hatte seine
Blütezeit als Sitz des Handels in vorrömischer Zeit. Sein Name
haftet noch an einem der südlichsten Deltaarme des Po. Ihm
folgte Adria, dessen Blütezeit um den Beginn der christlichen
Zeitrechnung liegt. Es war eine echte Haffstadt wie Venedig
und lag im Hintergrunde eines offenbar vielgeteilten Haffgebiets,
das man als die 7 Meere bezeichnete. In den ersten Jahrhun-
derten unserer Zeitrechnung begannen diese Haffe zu verlanden,
und das heutige Adria, von dessen Bedeutung nur bei Ausgrabungen
unter den seitdem abgelagerten Schlammschichten gefundene Reste
zeugen, ist eine stille Landstadt, die seit dem 17. Jahrhundert
aus einem im Sumpfe verkommenen Dorfe wieder etwas aufgelebt
ist. Es liegt am sogenannten Canal Bianco, der wahrscheinlich
ein ehemaliger Arm der Etsch ist, 22 km vom nächsten Küsten-
1 88 n, 8. Die nordadriatische Haffküste.
punkte, 39 km in gerader Linie, 45 km den Windungen folgend
von der heutigen Hauptmündung des Po. An seine Stelle trat
Aquileja, das in den ersten christlichen Jahrhunderten seine Blüte-
zeit hatte. Es lag nahe dem Nordende dieser Haffküste und
war auch ein Haffhafen, dem die Lage am Nordende des Adria-
tischen Meeres und nahe der Grenze Italiens zugute kam. Es
vermittelte namentlich den Handel Italiens und des Mittelmeer-
gebiets mit den Alpenländern, besonders den östlichen. Be-
deutende Altertümer zeugen noch von seiner einstigen Größe.
Es liegt heute 10 km vom offenen Meere, ohne Beziehungen zu
demselben in neberschwangeren Sümpfen. Neben den natürlichen
Vorgängen, die seine Verbindung mit dem Meere abschnitten
und so seine Lebensader unterbanden, trug zu seinem Verfall
auch seine Lage am nordöstlichen Eingangstore Italiens bei, durch
das in der Völkerwanderung so viele Völkerstürme, besonders
die Hunnen, gebraust sind, für welche diese erste reiche Stadt
Italiens besonders verlockend sein mußte. Nun kam, diesen Ge-
fahren entrückt, nahe dem Südende der Haffküste die Haffstadt
Ravenna, die nächste Vorgängerin von Venedig, zur Blüte, nament-
lich weil es mit der dem Seeverkehr günstigen Lage große natür-
liche Festigkeit verband, die in jenen unruhigen Zeiten des Nieder-
gangs des Römerreiches besonders wertvoll war. Es trug voll-
ständig den Charakter von Venedig, seine Häuser standen auf
Pfahlrosten, seine Straßen waren z. T. Kanäle. Im Haff hinter
der Nehrung gelegen, war es weder zu Lande noch zu Wasser
angreifbar. Es spielte so eine Zeitlang geradezu die Rolle einer
Hauptstadt Italiens, besonders soweit es von Ostrom abhängig
war, und eine Fülle kostbarer Bau- und Kunstdenkmäler, nament-
lich aus dem frühen Mittelalter, zeugt noch heute in der stillen
Landstadt, die nur durch einen Kanal geringe Beziehungen zu
dem 8 km entfernten Meere, Porto Corsini, unterhält, von der
ehemaligen Größe und den Beziehungen derselben zu Byzanz.
Vom Meere trennt sie die auf breitem, flachem Dünenwalle, der
sich erst in geschichtlicher Zeit gebildet hat, emporgewachsene
Pineta von Ravenna, einst wohl der schönste Pinienwald der
Mittelmeerländer, heute leider verwüstet.
Auf Ravenna folgt Venedig. Dies war sicher zuerst eine
Fischersiedelung auf einer Haffinsel, wie es deren heute noch
gibt. Aus den bei Fundamentierungen gefundenen römischen
Entwicklung von Venedig. igü
Resten ergibt sich, daß es bereits in römischer Zeit bestand, ja
schon eine gewisse Bedeutung hatte. Während der Völkerwande-
rung flüchteten sich in diese weder zu Wasser noch zu Lande
angreifbare, nahe seitwärts gelegene Zufluchtsstätte Bewohner des
von den Völkerstürmen verwüsteten Zuganges zu Italien von Nord-
osten her. Sie brachten Unternehmungsgeist, reichere Mittel,
höhere Bildung, und so wurde aus dem Fischerdorfe bald ein Sitz
der Schiffahrt und des Handels, dessen Entwicklung, selbst während
der unruhigen Zeiten des Mittelalters, infolge der Sicherheit seiner
Lage nicht leicht gestört werden konnte, bis die Bevölkerung,
namentlich durch stete Zuwanderung, der Reichtum und die Macht-
mittel so gewachsen waren, daß sie selbst über das Inselgebiet
hinaus greifen konnte. Von der See aus unangreifbar, weil die
Tiefs (Porti), welche allein durch den Wall der Nehrungen in
das ruhige Haff hineinführen, leicht gesperrt und verteidigt werden
können, während dieselben und die tiefen Rinnen, welche das
Haff durchziehen, auch den größten Seeschiffen den Zugang zu
der Inselstadt, ja in früheren Zeiten bis in die Kanäle derselben
ermöglichten. So verfügte Venedig über ausgedehnte, sichere
Ankerplätze, die bald durch Kunst verbessert wurden. Die Ge-
zeiten, welche hier in dieser zugespitzten Verengung des Mittel-
meeres noch die beträchtliche Höhe von im Mittel 0,60 m, im
Höchstbetrage 1,20 m erreichen, tragen wie anderwärts, in unserem
deutschen Wattenmeere z. B., dazu bei, durch ihre Strömungen
diese Rinnen offen zu erhalten, ja sie haben sie beträchtlich aus-
getieft. Je größer das Haff ist, dessen Wassermassen so periodisch
regelmäßig erneuert werden, um so tiefer und schiffbarer sind
die Tiefs. Die Gezeiten erneuern auch das Wasser des Haffs,
erhalten es salzig und gesund, tragen auch neben der verhältnis-
mäßig üppigen Vegetation von Seegräsern, welche den Boden
der Haffe bedeckt, zu dem großen Fischreichtum des ganzen
Haffgebiets bei, der nicht nur einem bedeutenden Bruchteil der
Bevölkerung lohnende Beschäftigung, sondern der Gesamtheit
billige Nahrung bietet. Die Mannigfaltigkeit dieser Fischfauna
hängt vielleicht auch damit zusammen, daß die innersten Teile
der Haffe, die sog. Valli, nicht mehr von den Gezeiten erreicht
werden und so Süßwasser haben, das nur ausnahmsweise einmal
versalzen wird.
So wurde Venedig bald der einzige Seehafen nicht nur in
I qo II, 8. Die nordadriatische Haffküste.
diesem ganzen Haffgebiete, sondern im ganzen Adriatischen
Meere, der End- und Knotenpunkt zahlreicher Landstraßen, die
hier nicht nur aus dem ganzen östlichen Teile der Po -Ebene
zusammenliefen, sondern auch aus und von jenseits der Alpen.
Die tiefen Einkerbungen der Alpen im Brenner (und Reschen-
scheideck), der bequeme Zugang zum Kärntner Becken durch
das Kanaltal und weiter bis an die Donau bei Wien, erlaubten
Venedig in die engsten Handelsbeziehungen zu den süddeutschen
Handelsstädten, Augsburg, Ulm, Nürnberg, Konstanz zu treten,
von denen noch heute am Canal Grande der Fondaco Tedesco
zeugt. Und diese Landstraßen setzten sich, besonders seit die
Kreuzzüge die Beziehungen zum Orient belebt hatten, in immer
wichtiger werdenden Wasserstraßen fort, die der Richtung des
Adriatischen Meeres entsprechend auf das östliche Mittelmeer
zielten und dieses vorzugsweise, aber durchaus nicht ausschließ-
lich, zum Handelsgebiet der Venetianer, zu einer Quelle ihres
Reichtums und ihrer politischen Macht machten. Diese Beziehungen
finden noch heute ihren Ausdruck in dem Charakter vieler der
herrlichsten Baudenkmäler Venedigs, besonders San Marco, und
in dem Fondaco dei Turchi, der, erneuert, auch seinerseits zu
den anziehendsten Palästen an dem an solchen so reichen Canal
Grande gehört.
Aber drei Feinde gefährdeten die Entwicklung Venedigs, ja
bedrohten seine Zukunft: zwei Naturkräfte, die Brenta und die
Gezeitenströmungen, und die Seeräuber der an guten Häfen und
versteckten Zufluchtsstätten so reichen Küste von Dalmatien, die
die Zugangsstraße nach Venedig beständig von der Seite bedrohten.
Die Bekämpfung, die Besiegung dieser Feinde haben die Handels-
stadt, gewiß ursprünglich nicht ohne Bedenken, ja vielleicht wider
Willen, zu einem Brennpunkte politischer Macht, zur Hauptstadt
eines weit ausgedehnten Reiches, das man in der engeren Welt
des Mittelalters dem heutigen englischen Weltreiche vergleichen
kann, zur Weltmacht gemacht. Hatte schon die Rom aufge-
zwungene Unterwerfung der dalmatischen Seeräuber, der Illyrier,
Vorfahren der Albanesen, Rom zur Ausdehnung seiner Herrschaft
nach Osten gebracht, so auch Venedig. Nur waren hier in-
zwischen Südslawen, Serben, an Stelle der Illyrier getreten, die
aber die Landesnatur auch in wenigen Jahrhunderten zu den
vortrefflichen Seeleuten erzogen hatte, die sie noch heute sind:
Venedigs Kampf gegen Menschen und Naturkräfte. jqj
die einzigen unter den durchaus festländischen Slawen, Kreuz-
fahrer im Dienste der wohl wenig kriegsgeübten fürstlichen Kauf-
leute, die ihre Kriege ja immer mit Söldnern führten, ermöglichten
es Venedig, das ganze Ostgestade des Adriatischen Meeres unter
seinen Einfluß zu bringen. Korfu bildete dann besonders den
Türken gegenüber den Schlüssel zu diesem rein venetianischen
Mittelmeere. Härter war der Kampf mit der einen der Natur-
kräfte, der auch seinerseits bald durch menschliche Widerstände
erschwert wurde. Diese wurden besiegt, was zur Folge hatte,
daß Venedig auch auf dieser Seite eine Landmacht wurde, aber
die Naturkraft muß man für unbesiegbar halten. Die gewaltigsten
Anstrengungen haben nur dazu geführt, daß das Verhängnis
hinausgeschoben worden ist. Aber das bewundernswerteste Denk-
mal dieses wenigstens zeitweilig siegreichen Kampfes ist die Ge-
stalt der Küste vor dem Haffgebiet von Venedig, eine Einwirkung
des Menschen auf die Natur, wie sie in solchem Maße wohl noch
nie vorgekommen ist. Die verhältnismäßig tiefe Einbuchtung,
welche die Küste nördlich vom Po -Delta aufweist, beruht auf
gehindertem Wachstume des Landes. Und das, wie die Erhaltung
des Haffs, das längst verlandet oder in einen großen Malaria er-
zeugenden Sumpf verwandelt worden wäre, ist das Werk der
Venetianer, ein Werk, das ihnen bei allen Erdkundigen zu höherem
Ruhme gereicht als alle Paläste und alle Kunstschätze dieses
großen Museums.
Die Brenta mündete in das Haff, lud in demselben ihre aus
den Alpen herbeigeschleppten Sinkstoffe ab, schob das Land vor
und drohte das ganze Haff in einen Sumpf zu verwandeln,
Venedig vom Meere abzuschneiden, vom Lande zugänglich und
ungesund zu machen. Es galt also die Brenta vom Haff abzu-
lenken und in einem langen und wegen des dadurch außer-
ordentlich verringerten Gefälls besonders schwer zu unterhaltenden
Umgehungskanal südwärts erst bei Fusina, dann bei Malamocco,
dann bei Chioggia und schließlich bei Brondolo nahe der Etsch-
mündung ins Meer zu leiten, eine der schwierigen, sich immer,
namentlich bei den häufigen Hochwassern erneuernden Aufgaben,
welche die Italiener zu den besten Wasserbaumeistern der Welt
erzogen haben. Auch die Mündungsarme des Po wurden nach
Süden verschoben und im Norden der Sile in die alte Mündung
des Piave geleitet und diesem selbst seine heutige Mündung ge-
in 2 U> 8. Die nordadriatische Haffküste.
graben. Doch ist trotzdem die Aufhöhung nicht völlig fernge-
halten worden. Seitdem wurde über die Erhaltung des Haffs mit
größter Sorgfalt gewacht, schon im 14. Jahrhundert wurden die
Grenzen desselben durch Dämme und 100 Steinzeichen festgelegt,
die zum letzten Male 1791 erneuert worden sind. Aber das war
erst möglich, nachdem man in erbittertem, sich immer wieder er-
neuerndem Kampfe das benachbarte Padua unterworfen hatte.
Denn wenn Venedig die Brenta vom Haff fernhalten mußte, so
war es ebenso eine Lebensfrage für Padua sie so rasch und
gerade wie möglich in das Haff zu leiten, um die Überschwemmungs-
gefahr abzuwenden. So griff Venedig aus seiner sicheren Stellung
inmitten des Haffs auf das Festland hinüber und immer weiter
nach Westen aus, um sich die Wasserstraßen zu sichern, schließ-
lich selbst über den Mincio bis an den Corner See. Noch heute
bezeichnen wir diesen ehemaligen Besitz der Republik auf dem
Festlande, wo man noch überall, besonders in den Städten ihre
Einflüsse erkennt, mit dem Namen Venetien. Es ist in der Tat
eine der großen natürlichen Landschaften Italiens, die namentlich
durch ihr z. T. schiffbares Flußnetz nach Venedig gravitiert. Das
erleichterte die Erwerbung derselben.
Den dritten und gefährlichsten Feind hat man erst sehr spät
erkannt, nämlich den Sand, welcher von Strömung und Küsten-
versetzung an der Küste entlang und z. T. in das Haff hinein-
geschoben wird und die Tiefs, welche nach Ablenkung der Brenta
der Druck des Binnenwassers nicht mehr hinreichend offen zu
halten vermag, zu verschließen droht. Erst neuerdings würdigt
und studiert man diese Vorgänge. Das Tief des Lido, das viele
Jahrhunderte lang allein als Zugangsweg benützt wurde, verlor
seit 1724 an Bedeutung gegenüber dem Tief von Malamocco,
dessen Erhaltung man sich mehr angelegen sein ließ. Der be-
rühmte Wasserbaumeister Paleocapa hat das Verdienst, durch die
gewaltigen Dämme, welche seit 1840 dieses Tief befestigt haben,
einen so tiefen Zugangsweg geschaffen und gesichert zu haben,
daß die größten Panzerschiffe der Gegenwart mit mehr als 8 m
Tiefgang einlaufen und vor Venedig Anker werfen können. Dies
ist heute auch italienischer Kriegshafen. Aber dieser 15 km lange
Weg durch das Haff ist dem Verkehr zu lang, und das Bedürfnis,
das nur 5 km entfernte Tief des Lido wieder fahrbar zu machen,
drängte sich immer mehr auf, namentlich da man auch erkannte,
Gegenwart und Zukunft Venedigs. I n ?
wie dringend nötig es sei, die Flut in voller Kraft eindringen zu
lassen. So hat man seit 1882 durch zwei weit ins offene Meer
hinaus verlängerte Dämme einen 900 m breiten, die drei Kanäle
del Lido, di San Erasmo und Treporti in sich vereinigenden
Eingang geschaffen, welchen der Handel jetzt allein benützt.
Die Gezeitenströmungen haben denselben bereits auf 12 m aus-
getieft und die Sandbänke, welche sich vor dem Eingange zu
bilden begonnen hatten, weggefegt. Schon seit 1846 verbindet
eine 3600 m lange Eisenbahnbrücke die Stadt mit dem festen
Lande und den Alpenpässen. Zugleich ist sie durch Flüsse und
Kanäle der Knotenpunkt eines immer besser gepflegten und er-
weiterten Netzes von inneren Wasserstraßen, welche bis Casale
Monferrato, zum Corner und Langen See und bis Modena aus-
greifen. Eine 33 km lange Leitung führt der Stadt auch gutes
Trinkwasser zu. So hat sich die alte Herrscherin der Adria,
wenn auch ihre Kräfte in den letzten Jahrhunderten erlahmt zu
sein schienen, doch wieder aufgerafft, neues Leben beginnt wieder
einzuziehen und das Schicksal von Ravenna scheint vorläufig ab-
gewendet zu sein. Aber gewiß nicht für immer. Auch das Haff
von Venedig wird sich einmal in einen Sumpf und schließlich in
festes Land verwandeln, und die Paläste der herrlichen Stadt
werden dann zu den künftigen Geschlechtern reden, wie heute
Ravenna zu uns.
9. Der Schwerpunkt Griechenlands.1)
Als es sich bei Gründung des neuen Königreichs Griechen-
land um die Wahl der Hauptstadt handelte, schwankte man lange
zwischen Korinth und Athen. Korinth hatte jedenfalls viel für
sich, denn die Gunst seiner Lage hatte es schon im Altertume
stets eine wichtige Rolle spielen und als Erbin Athens in spät-
griechischer Zeit zur größten und reichsten Handelsstadt Griechen-
lands werden lassen. Auf der Landenge gelegen, wo diese am
schmälsten ist, so daß Beziehungen zu beiden Meeresräumen, zu
Ost- und zu Westgriechenland, zum östlichen und westlichen
Mittelmeergebiet möglich sind, war Korinth in erster Linie See-
1) Nach meiner Landeskunde von Griechenland, Leipzig 1893, bearbeitet.
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 13
j qm II. 9. Der Schwerpunkt Griechenlands.
handelsstadt, was für ein Land, wie das maritime Gebirgsland
Griechenland, unerläßlich war. Eine Schleppbahn ermöglichte so-
gar kleinere Schiffe über die Landenge zu befördern. Dazu kam
aber die Lage an dem einzigen Landwege, welcher Mittelgriechen-
land mit dem Peloponnes verbindet und der dort in ein Bündel
von Wegen ausstrahlt, welche an der Nord- und Ostküste der
Halbinsel und zwischen beiden verlaufen. Zugleich beherrscht
hoch über der Stadt thronend Akrokorinth, das, wie in makedo-
nischer, so besonders auch in türkischer Zeit eine der Fesseln
Griechenlands war, die Wege über die Landenge und den Ein-
gang in den Peloponnes. Auch liegt Korinth für das Königreich
in seiner damaligen Ausdehnung außerordentlich zentral. Wenn
schließlich die Entscheidung für Athen fiel, obwohl dies nichts
wie ein Haufe von Trümmern war, in dem sich kaum ein be-
wohnbares Haus fand, das also ganz neu aufgebaut werden mußte,
so bewirkte das die große geschichtliche Bedeutung Athens, die
glänzende Rolle, welche es im Altertum gespielt hatte. Die doch
nur in gewissen Grenzen berechtigte Vorstellung der Neugriechen,
daß sie die Nachkommen der alten Griechen seien, die sich
auch in dieser Entscheidung bedeutungsvoll geltend machte, ist
als ethischer Faktor in der Entwicklung Griechenlands und des
griechischen Volks nicht hoch genug einzuschätzen. Sie ist die
Quelle mancher tüchtigen Leistung. Daß in diesem Falle die
Wahl in doppelter Hinsicht eine gute war, zeigt einerseits die
erstaunliche Entwicklung, welche Athen in kaum Dreivierteljahr-
hundert genommen hat, andererseits das Schicksal von Korinth.
Korinth liegt nämlich auf einer der gefährlichsten Erdbebenlinien
Griechenlands und ist 1858 wieder einmal so gründlich durch
13 Monate lang sich wiederholende Erdbeben zerstört worden,
daß die Bewohner darauf verzichtet haben, es wieder aufzubauen.
Die mächtigen Säulen des alten dorischen Tempels stehen noch
aufrecht inmitten einer von Trümmern alter und neuer Zeit be-
deckten Stätte. Neu-Korinth ist unten am Strande des Korin-
thischen Meerbusens als regelmäßige, ärmliche Stadt wieder auf-
gebaut worden, da auch der Kanal keine neue Blüte zu bringen
vermocht hat. Aber noch andere Punkte am Saronischen Golfe
haben in neuerer Zeit eine Rolle gespielt, die Felseilande Hydra
und Spetzä und die Meerengenstadt Porös. Im Altertum war
noch vor Athen die Insel und Inselstadt Ägina, von dessen
Die Bedeutung des Saronischen Golfs.
*95
Bedeutung noch der Poseidon-Tempel zeugt, der Brennpunkt des
Verkehrs im Saronischen Golfe. Kurz, wir sehen, daß in den
verschiedensten Perioden einer fast dreitausendjährigen Geschichte
der Sitz des Verkehrs und der höchsten Gesittung Griechenlands
an diesem Meerbusen gewesen ist. An ihm hat zu allen Zeiten
der Schwerpunkt Griechenlands gelegen.
Eine Erklärung dieser Tatsache werden wir in den geogra-
phischen Verhältnissen Griechenlands, ganz besonders aber der
wagrechten Gliederung seiner Ostseite finden.
Griechenland ist der südlichste Teil eines allerdings, wie
die tiefer dringende Forschung immer mehr herauszustellen
scheint, nicht einheitlich gebildeten gefalteten Gürtels der Erd-
rinde, der in einer Länge von etwa 1200 km und einer mittleren
Breite von 150 km der ganzen Westseite der südosteuropäischen
Halbinsel ihren Charakter aufprägt, der dieselbe ganz besonders
als ein Gebiet des Verharrens, als eine Schranke des Verkehrs
in westöstlicher Richtung erscheinen läßt. Dieses junge Falten-
gebirge bedingt in Griechenland zahlreiche meridionale Gebirgs-
ketten, wie sich dies am auffälligsten in den Epirus von Thes-
salien , Ätolien von Phokis trennenden Ketten , in der langen
meridionalen Erstreckung des Peloponnes und in den drei Spitzen
ausprägt, in welche derselbe nach Süden ausgeht. Aber schon
in Mittelgriechenland schwenken diese meridionalen Falten nach
Osten ab und vermitteln, am augenfälligsten in Kreta, die Ver-
knüpfung des griechischen Faltensystems mit dem taurischen
Kleinasiens. Gegen Ende der Tertiärzeit und weit in die
Quartärzeit hinein tritt auch hier ein geradezu für den mediter-
ranen Bruchgürtel kennzeichnender Vorgang in die Erscheinung:
Krustenbewegungen finden ihre Auslösung nicht in der Bildung
von Falten, sondern von Brüchen, die den ganzen gefalteten
Gürtel durchsetzen und in einzelne Schollen zerstücken, die sich
gegeneinander vorzugsweise in der Vertikalen verschieben unter
Überwiegen zentripetaler Bewegungen, aber auch gegenteiliger,
denn A. Philippson, dem wir in erster Linie die geographisch-
wissenschaftliche Erforschung Griechenlands verdanken, hat ge-
zeigt, daß am Nordrande des Peloponnes pliocäne marine Schichten
heute bis 1 800 m über dem Meere vorkommen. Dadurch ist
das Faltenland hier zum Bruchlande geworden. Nicht mehr die
Faltenbildung, sondern die Bruchbildung bestimmt die senkrechte,
13*
I q6 II, 9. Der Schwerpunkt Griechenlands.
wie die wagrechte Gliederung Griechenlands. Eine allgemeine
Senkung des Gebiets in der Quartärzeit geht damit Hand in
Hand, so daß das Meer auch in die von exogenen Kräften, be-
sonders dem rinnenden Wasser gebildeten Hohlformen, nicht bloß
in die Gräben und Brüche eintritt und die abgesunkenen Schollen
bedeckt. Das ägäische Festland wird im Laufe der Quartärzeit
zum ägäischen Inselmeere. Das Faltenland, das zwar noch
immer als meridionaler Gürtel zu erkennen ist, löst sich so in
eine große Zahl kleiner Sonderlandschaften, in Halbinseln und
Inseln auf. Denkt man sich die Wasserhülle weg, so würde
dieser Teil der Erdrinde wie mit dem Beile zerhackt erscheinen.
Wie das Land auf dem Festlande, wie es auf den Halbinseln und
Inseln steil und zu bedeutenden Höhen emporsteigt, so senkt
sich auch der Meeresgrund jäh zu großen Tiefen. In wunder-
barer Weise erscheint hier Land und Meer gemischt, beide
durchdringen und beeinflussen einander, Halbinseln und Inseln
setzen das Festland ins Meer hinaus fort, Meerbusen, Meerengen
und Mittelmeere im Kleinen, wie die Golfe von Korinth, von
Arta und Volo, das Meer ins Festland hinein. Und die Bewohner
nicht nur der Inseln sind für den Verkehr auf das Meer ange-
wiesen, weil die Meerfernen überall gering sind, das Land bei
dem Vorherrschen von Steilküsten, bei der Steilheit der Gehänge,
der Höhe und dem felsigen Charakter der Gebirge wenig weg-
sam ist, während die überall vorhandene Landnähe und ein
großer Reichtum an geschützten Durchfahrten, an kleinen sicheren
Buchten, die auch Gelegenheit bieten, das kleine Segelboot auf
flachen Strand zu ziehen, einen großen Teil des Jahres günstige
Windverhältnisse und andere Umstände mehr den Seeverkehr er-
leichterten, den Menschen auch anlockten, einen Teil seiner
Nahrung dem Meere abzugewinnen und so immer mehr mit dem-
selben vertraut zu werden. Griechenland ist durch diese Vor-
gänge, die der jüngsten geologischen Vergangenheit angehören,
ja sich vielleicht noch in der Gegenwart fortsetzen, ein maritimes
Gebirgsland geworden, ein wahrer an Gegensätzen reicher
Mikrokosmos, und das südliche Drittel dieses gefalteten Erd-
gürtels unterscheidet sich daher durchaus von dem mittleren
und nördlichen Drittel, ein neues, eigenartiges und durch seine
Eigenart und den Einfluß, den dieser Erdraum auf die Be-
wohner ausgeübt hat, in der Geschichte der menschlichen Kultur-
Die Zerstückung der Erdrinde in Griechenland. jgy
entwicklung einzigartige Rolle spielendes Länderindividuum
ist so entstanden. Es möge hier nur noch kurz darauf hinge-
wiesen werden, daß noch zwei andere der jungen mediterranen
Faltengebirge, die Apenninen und das andalusische Faltengebirge,
dort wo sie sich tief hinein in den mediterranen Bruchgürtel er-
strecken, in ähnlicher Weise durch Brüche zerstückt und in
Inseln aufgelöst wurden, Sizilien und Umgebung, die Balearen.
Die Zerstückung der Apenninen ist nur scheinbar eine geringere,
weil eine bedeutende Hebung der Quartärzeit mindestens sieben
größere Inseln Süditaliens wieder miteinander verbunden und die
Apenninen auch orographisch wieder zu einem einheitlichen Ge-
birge verbunden hat. Nur die Straße von Messina blieb, wenn
auch verengt, noch offen. Welchen Einfluß das alte ägäische
Festland bei der Zusammenfaltung Griechenlands und bei der
Umbiegung der Falten nach Osten hin ausgeübt hat, soll hier
unerörtert bleiben. Es ist auch seinerseits zerstückt worden und
nur noch in Inseln, besonders den dem entsprechend vorwiegend
aus alten kristallinischen Felsarten aufgebauten Kykladen erhalten.
Aber diese lassen doch eine verkehrsgeographisch außerordent-
lich wichtige Tatsache erkennen: sie sind entsprechend dem Um-
stände, daß die Bruchlinien, wie es vielfach im Faltenlande vor-
kommt, sowohl dem Streichen der Falten parallel, also südöstlich
verlaufen, wie senkrecht dazu, also westöstlich, in Reihen an-
geordnet, sie bilden also gewissermaßen Schrittsteine, die von
Griechenland nach Kleinasien hinüberführen. Bei dem Umbiegen
der Falten an Griechenlands Ostseite werden dieselben von den
südsüdöstlich verlaufenden Brüchen quer durchschnitten, so daß
also hier und noch mehr am kleinasiatischen Gegengestade eine
geöffnete, dem Verkehr günstige Querbruchküste entstand. Vulka-
nische Tätigkeit, die an diese Bruchlinien geknüpft und nament-
lich auf Santorin noch rege ist, hat die Mannigfaltigkeit der Erschei-
nungen und die Zahl der Inseln noch vermehrt. Am größten
ist die Zerstückung der Erdrinde an der Ostseite Griechenlands,
während die Westseite steil zu den größten Tiefen des Mittel-
meeres, dem ionischen Tiefbecken, hinabsinkt und nur die
ionischen Inseln als landnahe Abgliederungsinseln sich am Außen-
rande des Schelfs, des Flachseegürtels erheben.
In welcher Weise diese Landzertrümmerung, diese Bildung
von Inseln und Meerengen sich vollzogen hat, darin gewähren
igg II, 9. Der Schwerpunkt Griechenlands.
uns zwei gut beobachtete Vorgänge der Neuzeit einen Einblick,
die uns auch weniger gut beobachtete und überlieferte Vorgänge
früherer Zeiten verständlich machen. Beide hängen mit den in
Griechenland so häufigen Erdbeben zusammen. Wie häufig die-
selben sind, ergibt sich bereits aus den seit 1892 eingerichteten
Erdbebenbeobachtungen, nach denen in dem fünfjährigen Zeit-
räume von 1893 — 98 nicht weniger als 3187 Erschütterungen zur
Beobachtung kamen, die meisten längs der steilen westlichen Abbruchs-
seite, nächstdem am Evripos und am Golfe von Korinth. Das
zeigt wie die Erdrinde hier auch heute nicht zur Ruhe gekommen
ist, und macht den Kultus des Herrn des Meeres und Erd-
erschütterers Poseidon im alten Griechenland begreiflich. Er
wurde gerade in den am häufigsten erschütterten Landschaften
am eifrigsten verehrt. Dort standen seine zahlreichsten Heilig-
tümer und es macht einen tiefen Eindruck, wenn Xenophon er-
zählt, daß, als die Spartaner mit ihren Bundesgenossen im Jahre
390 v. Chr. einen Einfall nach Argolis machten und ein Erdbeben
am ersten Abende auf feindlichem Gebiete das ganze Lager in
Erregung brachte, nur die Spartaner den Kopf nicht verloren,
sondern in mächtigem Chore einen Hymnus auf Poseidon durch
die stille Nacht erschallen ließen. Das eine dieser Ereignisse
war das Erdbeben von Lokris im April 1894, welches der grie-
chische, in Deutschland ausgebildete Geologe Skuphos beobachtet
und geschildert hat. Bei demselben bildete sich in Lokris dem
Talantikanal und der Küste parallel ein 55 km langer Spalt, der
durch Ebene, Hügel und Berge, durch Schwemmland, durch
tertiäre und feste Gesteine der Kreideformation verlief bei einer
Breite der entstandenen Kluft von Z1/^ m und einer sichtbaren
Tiefe von 15 — 20 m. Dabei hatte sich der so abgelöste breite
Festlandsstreifen um i1/« m gesenkt, so daß der Außenrand des-
selben dauernd vom Meere bedeckt und ein Teil als Insel ab-
gegliedert wurde. Zugleich hatte eine horizontale Verschiebung
stattgefunden, so daß die Betten der unterbrochenen Gießbäche
nicht mehr aufeinander paßten. Es hatte also hier durch rand-
liche Abbruche eine Erweiterung des Talantikanals und der die
Insel Euböa vom Festlande trennenden Meerenge stattgefunden,
so daß man sich eine Vorstelluug machen kann, wie dieses
durch Bruchlinien ausgesonderte Stück des Festlands zur Insel
geworden ist. Ein anderes Erdbeben veranschaulicht, in welcher
Wirkung der Erdbeben. I qq
Weise neu gebildetes, also das Festland vergrößerndes Land
wieder dem Meere zum Opfer fällt. Bei dem von dem deutschen
Naturforscher J. Schmidt, der den größten Teil seines Lebens in
Griechenland als Direktor der Sternwarte in Athen gewirkt hat,
gut beobachteten Erdbeben von Aegion in Achaja (26. Dez. 1861)
löste sich auf 13 km langen, bis 2 m und mehr breiten Spalten
der große von den Flüssen dort angeschwemmte Schuttkegel vom
festen Lande ab, offenbar weil er durch die Erschütterung ins
Gleiten gekommen war, und sich in einer Ausdehnung von 1 5 qkm
gegen den Golf von Korinth senkte, so daß ein randlicher
Streifen dauernd vom Meere bedeckt blieb. Solche Vorgänge
sind in Griechenland nicht selten und erklären den aus dem
Altertum berichteten Untergang der in derselben Gegend gelegenen
Stadt Helike 373 v. Chr. und den von Skarpheia, das in der
Gegend des Erdbebens von 1894 lag, im Jahre 426 v. Chr.
Ein auch nur flüchtiger Blick auf eine Karte läßt sofort die
Tatsache erkennen, daß die Ostseite Griechenlands zwar im all-
gemeinen aufgeschlossener, reicher gegliedert ist, als die West-
seite, aber daß diese Aufgeschlossenheit ein wirklich hohes
Maß doch im wesentlichen nur an einem kurzen Küstenabschnitt
erreicht. Vom Golf von Saloniki, von wo die Abgliederung der
griechischen Halbinsel von dem festländischen Trapez der süd-
osteuropäischen Halbinsel beginnt, erstreckt sich durch eine Bruch-
linie, die man wohl als ägäische Diagonalspalte bezeichnet hat,
bestimmt, die Küste als geschlossene Steilküste auf ^^^ km nach
Südosten, bis zum Dorokanal, der zwischen Euböa und Andros
aus dem nordöstlichen griechischen Inselmeere in das südwest-
liche führt. Die Bruchlinie setzt sich noch weiter in gleicher
Richtung fort, bildet an der Außenseite der Kykladen eine tiefe
Furche in der Sohle des Inselmeers und weiterhin bis zu der
weiten Lücke zwischen Rhodos und Karpathos die Grenze zwischen
Europa und Asien. Die Ostküste von Thessalien und Euböa
verläuft daher, wenn sie auch als eine Querbruchküste bezeichnet
werden muß, geradlinig, kaum daß sie größere, ganz flache Aus-
buchtungen wie die im Altertum Td KoiXd genannte an der
Ostseite Euböas aufweist, die tektonisch bedingt sind und kleine
mehr oder weniger halbkreisförmige, aber Schiffen keinen Schutz
bietende Buchten, das Werk des hier namentlich im Sommer
während des Wehens der Etesien tobenden Brandung, die die
200 n, 9. Der Schwerpunkt Griechenlands.
ganze Küste als eine Abrasionsküste erscheinen läßt. Hier ver-
schließt sich also Griechenland gegen das Meer, so daß der ein-
zige fast in der Mitte gelegene Eingang, der Kanal von Tricheri
um so wichtiger sein muß. „Thessaliens1) Ostküste hat nicht
einen einzigen sichern Bergeplatz für Schiffe, welche der Nord-
ostwind überrascht; gegen die steilen ,?Backofen-Felsen" (Ipnoi)
oder an den Rand der „Sepias-Küste" geworfen zu werden, be-
deutete — wie die Flotte des Xerxes mit Schrecken erfuhr —
rettungsloses Verderben. Noch berüchtigter war bei der stärkeren
Befahrenheit des vor ihr liegenden Meeresraumes die eiserne
Ostküste von Euböa. Kein Punkt des ganzen Ufersaumes von
ganz Griechenland ward von den Seefahrern mit so banger Scheu
betrachtet als die unheimlichen Wände am Vorgebirge Kaphareus."
Dazu kam, daß Jahrhunderte hindurch auch die Seeräuber hier die
Menschen von der Küste ins Innere und auf die Berge drängten.
Dieselbe ist daher heute so gut wie unbewohnt. Nur an dem
Stückchen Flachküste, welches der Salamvria der Felsküste an-
gelagert hat, hat sich Phteri als kleiner Ausfuhrplatz Nord-Thes-
saliens entwickelt. Dasselbe Schauspiel wiederholt sich an der
Ostseite des Peloponnes, die vom Golf von Nauplion bis zum gefürch-
teten Kap Malea auf 220 km auch in südsüdöstlicher Richtung
als geradlinige geschlossene Steilküste, eine Längsküste verläuft,
von welcher felsige Gebirgslandschaften steil ansteigen. Hier er-
scheint der Peloponnes am auffälligsten trotz seiner Halbinselnatur
als völlig festländisches Gebiet, dessen Bewohner, wie es ja die
Spartaner ganz besonders als echte Festlandsgriechen kennzeich-
nete, wie im Altertume so erst recht heute wenig Beziehungen
zum Meere unterhalten. Recht bezeichnend ist der einzige Punkt,
der an dieser Küste, wenn auch mit Mühen und Gefahren da-
durch, daß die Abrasion einen mächtigen Felsblock aus der Küste
herauspräpariert hat, im Schutze der Festung, die der Felsblock
trug, das Land zugänglich macht, Monemvasia (uovn, eußacic,
der einzige Zugang) genannt worden. Nur in venetianischer
Zeit hat es als Festung und Verschiffungsort für Wein (Malvasier)
eine gewisse Bedeutung gehabt. Heute liegt es in Trümmern.
Inmitten dieser beiden zusammen also 550 km langen ver-
1) Neumann -Partsch, Physikalische Geographie von Griechenland,
Breslau 1885, S. 144.
Zugänge zur Ostseite Griechenlands. 201
kehrsfeindlichen Küatenstrecken liegt nun eine 165 km lange
dem Verkehr um so günstiger gestaltete zwischen dem Dorokanal
und der Küste des Peloponnes. Ihre Bedeutung wird noch er-
höht dadurch, daß in sie auch eine der für Griechenland so
charakteristischen inneren Wasserstraßen einmündet und die größte
natürliche, zum ganzen übrigen Griechenland besonders gegen-
sätzliche Sonderlandschaft, das ebene, wasserreiche, an Getreide,
Pferden und Rindern reiche Thessalien mit dem Schwerpunkt
Griechenlands verbindet. Der Tricherikanal, dem die felsige
Inselgruppe der nördlichen Sporaden vorgelagert ist, verdankt
wie seine Fortsetzung der Oreoskanal und der Golf von Lamia
seine Entstehung Verwerfungen, die hier das Land durchsetzen
und mit dem von Westen eindringenden Golfe von Arta Nord-
Griechenland von Mittel-Griechenland abschnüren. An der engsten
Stelle ist der Tricherikanal nur 7, ja am Eingange in den Golf
von Volo nur 5,5 km breit. Dieses fast kreisförmige rings von
Steilufern umgebene Becken gleicht einem großen Landsee
(7 1 o qkm, also wesentlich größer als der Genfer See) , über
welchen, namentlich im Südosten, 8 kleine Inseln verstreut sind.
Nur an der Westseite findet sich die kleine von Gießbächen ge-
bildete Ebene von Halmyro, das im Mittelalter als Seeplatz
Thessaliens eine Rolle gespielt hat. Weit günstiger für den
Verkehr mit der innerthessalischen Ebene ist aber seine nörd-
liche Ausbuchtung, von welcher aus nur der schmale Höhenzug
der ziragiotischen Berge, der an einer Stelle bis auf 137 m ein-
gekerbt ist, zu übersteigen ist. Hier liegt Volo, das einzige
Seetor Thessaliens, heute der Ausgangspunkt des thessalischen
Eisenbahnnetzes. Hier lagen bezeichnenderweise auch Iolkos,
Pagasae und Demetrias, die in Sage und Geschichte Griechen-
lands, letzteres als eine der drei Fesseln Griechenlands in makedo-
nischer Zeit, eine große Rolle gespielt haben. Nur von Süden
her erschließt das Meer Thessalien und verknüpft es mit dem
übrigen Griechenland. Auch auf gebrechlichen Fahrzeugen
konnten auf diesen inneren Wasserstraßen aus dieser seiner nächsten
Kornkammer dem dicht bevölkerten Mittel-Griechenland Brotstoffe
zugeführt werden. Ohne Thessalien konnte ein griechischer
Staat kaum als lebensfähig erscheinen. Daher ist Volo seit 1881
in raschem Aufschwünge.
Der westsüdwestlich gerichtete Oreoskanal verengt sich als
202 H, 9. Der Schwerpunkt Griechenlands.
schmale fjordartige Felsengasse bis auf 2 km. Es scheint, daß
hier an der Nordwestspitze von Euböa, einer von heftigen Erd-
beben besonders häufig heimgesuchten Erdgegend, sich zwei,
vielleicht drei Bruchlinien kreuzen, da der fast ringsum von
flachen, sumpfigen Ufern umgebene Golf von Lamia, an dessen
Zuschüttung der Spercheios und einige Gießbäche mit Eifer ar-
beiten, ziemlich streng westliche Richtung hat und auf dieser Linie
die drei bekannten heißen Quellen von Aidipsos, den Thermo-
pylen und Hypata liegen, während die engen Durchfahrten zwischen
Euböa und dem Festlande südöstliche Richtung haben. Diese
letztere innere Wasserstraße, der Evripos, läßt seine Entstehung
auf Bruchlinien an einzelnen Punkten, wie am Kandili- und Galt-
zadesgebirge Euböas, deutlich zurückführen. Einer riesigen Mauer
ähnlich steigt dort die Küste an der Bruchfläche empor, an deren
Nordwestende, am Fuße des steil abgebrochenen Galtzadesgebirges,
auf einer tiefgehenden Verwerfungskluft die heißen Quellen von
Aidipsos (7 6° C) dicht am Meere hervorbrechen. Und so steil
setzt sich die Bruchfläche auch unter dem Meeresspiegel fort,
daß man nur 900 m vom Strande bei 360 m keinen Grund fand.
Es sei hier auf die genetisch, wie teilweise auch morphologisch
hervortretende Ähnlichkeit zwischen diesem Meeresteile und dem
durchaus parallelen , Mittel-Griechenland von dem Peloponnes
trennenden tiefen Graben hingewiesen. Der talantische Evripos
entspricht dem korinthischen Golfe, der eretrische dem innern,
der Golf von Petali dem äußern saronischen Golfe. Der 7 km
lange chalkidische Evripos, dessen wechselnde Strömungen ein
Rätsel waren, das erst neuerdings gelöst, auf Gezeiten- und Seiche-
strömungen zurückgeführt worden ist, besteht aus drei Verengungen,
die durch seeartige, einige Inseln enthaltende Ausweitungen von-
einander getrennt sind. Am nördlichen Eingange verengt er sich
auf 60 m und verflacht sich auf 5 — 6 m, so daß schon fast ein
halbes Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung eine Brücke die Insel
ans Festland knüpfen und Befestigungen die Meerenge schließen
konnten: Chalkis war zu allen Zeiten eine der Fesseln Griechen-
lands. Wir haben hier das Gegenstück der Landenge von Korinth,
deren Breite selbst der Entfernung zwischen der nördlichen und
der südlichen Enge entspricht. Nur daß dort eine Landenge,
ein schmaler über den Meeresspiegel gehobener Landstreifen vor-
handen ist, während er hier noch von Wasser bedeckt ist. Der
Talantikanal und Evripos. 20^
Oreoskanal und der Golf von Lamia entsprächen dem Golf von
Patras. Ein drittes System paralleler Bruchlinien verläuft an der
Außenseite von Euböa und hat die nördlichen Sporaden vom
Festlande abgelöst. An sicheren Buchten und Häfen fehlt es
dieser inneren Meerstraße, namentlich auf der festländischen Seite,
nicht, es sei nur der Name Aulis genannt, wo sich die Griechen
zum Zuge nach Troja versammelten , obwohl auch da die
Küste meist steil ansteigt, doch erscheint die Enge von Chalkis,
welche sowohl die Meerstraße wie den Verkehr zwischen der
Insel und dem Festlande beherrscht, so bevorzugt, daß keine
Siedelung hier mit Chalkis, abgesehen etwa von Eretria, wett-
eifern konnte. Nach den von hier ausgegangenen Koloniegrün-
dungen benennen wir ja die noch heute griechische dreifingerige
Chalkidike. Abgesehen von den beim Erdbeben von 1894 ein-
getretenen Küstenveränderungen, denen aber gewiß viele ähnliche
vorausgegangen sind, finden sich solche in großem Maßstabe am
Golf von Lamia, wo die überaus rasche Schwemmlandbildung des
Spercheios in geschichtlicher Zeit wohl 136 qkm der Fläche des
Golfs zugeschüttet hat. Landbildung verursachen auch die heißen
Quellen der Thermopylen, die auch ihrerseits nahe einer mehr
als 300 m hohen Felswand hervorbrechen, die eine einzige Ver-
werfungsfiäche darzustellen scheint, durch starke Sinterbildung.
Der nach diesen Quellen benannte Engpaß zwischen der Steil-
wand und dem Meere ist dadurch außerordentlich verbreitert,
ohne aber darum seine Bedeutung verloren zu haben, denn dicht
neben der Straße liegt ein ungangbarer Sumpf.
Vom 10 km breiten Dorokanal an, einer der befahrensten
und für Segler schwierigsten Engen des Mittelmeers zwischen
Euböa und Andros, nimmt die Küste, zugleich im rechten Winkel
umbiegend und nach Südwest streichend, ganz andern Charakter
an. Steil und felsig bleibt sie zwar auch noch, ja die Kahlheit
der Kalkberge, die hier wie im ganzen Osten von Griechenland
überwiegen, ist hier größer als irgendwo, damit erreichen aber
auch die eigenartigen Reize, die Formen und Farben der grie-
chischen Landschaft das höchste Maß. Welcher Zauber, von der
Akropolis von Athen die Sonne über Akrokorinth untergehen zu
sehen! An Stelle der geschlossenen Steilküste tritt aber hier die
denkbar größte Aufschließung. Treppenförmig sich nach Süd-
westen vorschiebend strecken sich hier zwei Halbinseln, die attische
2oa -^> 5* -^er Schwerpunkt Griechenlands.
und die argolische, denen man Süd-Euböa als dritte anreihen
könnte, nach Südosten gegen das Inselmeer vor und drängen sich
drei inselreiche Meerbusen, der von Petali eingerechnet, einander
parallel und an Bruchlinien, wohl Grabenbrüche, gebunden in
Südost-Nordwest-Richtung in das Land hinein. Während die
Küste an der Ostseite des Poloponnes ganz, an der Ostseite
von Thessalien und Euböa fast inselrein ist, und nur in der
sonst wenig begünstigten Gruppe der nördlichen Sporaden 77
meist kleine Inseln zusammengeschart sind, löst sich das Land
in und vor diesen Golfen und in der Fortsetzung der Halb-
inseln in Schwärme von Inseln auf, deren man hier auf engem
Räume mehr als 300 zählt! Und an der Ostseite Griechen-
lands überhaupt 483, gegen nur 116 an der überdies der
Halbinseln ganz entbehrenden Westseite. Hier weist also
Griechenland seine größte Küstengliederung auf, hier treten
Festland und Meer in die innigsten Beziehungen, hier tritt der
maritime Charakter Griechenlands am auffälligsten zutage. Auf
diese 165 km lange Strecke vom Dorokanal bis zur Küste des
Peloponnes muß sich der Seeverkehr Griechenlands um so mehr
zusammendrängen, als von hier die Inseln und regelmäßig wehende
Winde die Verbindung mit Kleinasien und Kreta, weiterhin Syrien
und Ägypten, wie anderseits mit Makedonien, dem Hellespont
und dem Pontus erleichtern, vor allem auch nur eine schmale,
jetzt in einem Kanal durchstochene Landenge den mittelsten
der drei Meerbusen von einer bequemen, fast ganz Griechenland
querenden Wasserstraße nach Westen, nach Italien und dem
Adriatischen Meere trennt. Während der Golf von Nauplion blind
verläuft, der von Petali nur in eine innere Wasserstraße nach
Thessalien ausgeht, erscheint der saronische, der mit dem korin-
thischen an eine Grabenversenkung geknüpft ist, als Teil einer
großen Wasserstraße, auf welcher im Altertum geradezu die Stel-
lung Griechenlands als Sitz des Welthandels in der engen Welt
jener Zeit beruht. Und dieser größte unter den dreien, der ein
Rhomboid mit der mittleren Seitenlänge von 48,5 und 67,5 km
bildet, erscheint auch noch dadurch begünstigt, daß hier im Gegen-
satz namentlich zum korinthischen und dem Talanti-Kanal, die
nicht selten durch heftige Fallwinde heimgesucht sind, das Meer
selten stürmisch bewegt, die Ufer nicht so steil und gebirgig
sind, daß sie nicht überall besiedelt und angebaut sein könnten,
Der Saronische Golf und seine Umgebung. 2 CK
ja sogar an der nördlichen Ecke wie in Argolis kleine frucht-
bare Ebenen von Megara, Eleusis, Athen, Troizen, Epidauros sich
finden, daß beide ihn begrenzenden Halbinseln reich gegliedert
und hafenreich sind und vor allem der Inselreichtum des insel-
reichen Griechenland hier am größten ist. Zählt man doch zwischen
dem attischen Säulenkap und dem argolischen Skylläon nicht
weniger als 62 Inseln, zu welchen noch 29 Inseln der Hydra-
gruppe hinzukommen. Auch die Lage des Golfes in der Mitte
der Ostseite auf der Grenze des festländischen, des peninsularen
und des insularen Griechenland, da wo meridionale Landstraßen
in westöstliche bzw. in Wasserstraßen übergehen müssen, ist be-
deutungsvoll. Hier liegen auch außerordentlich gegensätzliche
Landschaften dicht nebeneinander. Attika, nur dem Meere ge-
öffnet, gegen Norden durch den leicht zu verteidigenden Quer-
wall der Kithäron-Parniskette geschützt, von Westen, von der Land-
enge und dem Poloponnes nur auf dem gefährlichen Felspfade der
skironischen Felsen, der Kakiskala zugänglich, wo durch Fels-
sprengungen mühsam Raum für Straße und Eisenbahn gewonnen
ist, dem Süden zugekehrt, sonnig, trocken, hafenreich, erz- und
tonreich, aber steinig und wasserarm, wenig für Ackerbau, mehr
für Zucht des Ölbaums, des Feigenbaums, der Rebe und der
Ziege geeignet. Daneben, in wenigen Stunden erreichbar, das
völlig festländische Böotien, ganz vom Meere abgeschlossen, trotz
geringer Meerferne, weithin von Landseen bedeckt, daher mit
feuchtem Klima und kühlen Wintern, die kaum Olivenzucht ge-
statten, aber reich an fruchtbarem Boden. Dort regsame, Handel
und Gewerbe pflegende, rasch fortschreitende Ionier, hier bedäch-
tige, bäurische, langsam der Entwicklung der griechischen Kultur
folgende Äolier, die erst in der Geschichte des griechischen
Mikrokosmos eine Rolle spielen, als die Kräfte von Athen schon
zu erlahmen beginnen. Auf der anderen Seite das nur Handel
treibende, etwas materielle Korinth, das gebirgige Hirtenland
Arkadien und das konservative monarchische Bauernland Lakonien.
Aber hier konnten auch am besten in ganz Griechenland ferner
hegende Gebiete, großräumige, an Erzeugnissen reiche Landschaften,
wie Kleinasien auf der einen, Unteritalien und Sizilien auf der
anderen Seite ihren Einfluß ausüben, von hier gingen die erfolg-
reichsten Kolonisationen aus.
Auf dieser geographischen Grundlage erschließt sich das
206 n, 9. Der Schwerpunkt Griechenlands.
Verständnis für die auffällige Tatsache, daß, so wechsclvoll die
Geschicke Griechenlands im Laufe von drei Jahrtausenden ge-
wesen sind, so sehr auch Zeiten der Blüte mit Zeiten des Ver-
falls gewechselt haben, ob Griechen oder, wenigstens teilweise,
Nichtgriechen, im Mittelalter Franken, in der Neuzeit Albanesen
hier gewohnt haben, ob fremde Herren hier geherrscht oder die
Landesbewohner ihre Geschicke selbst geleitet haben, stets am
Saronischen Golfe die Brennpunkte des maritimen Lebens Griechen-
lands und damit der griechischen Kultur, stets dem Zeitalter ent-
sprechend, gelegen haben. Die geschichtlich wichtigsten Städte
und Landschaften Griechenlands liegen alle um oder nahe an
diesem reichst gegliederten Teile des Landes. An diesem Golfe
muß naturnotwendig die Hauptstadt Griechenlands liegen und sie
muß den Charakter einer Seestadt tragen. An welchem Punkte
speziell, das hängt mehr von geschichtlichen Einflüssen ab, ob-
wohl Attika in vieler Hinsicht, namentlich auch als die groß-
räumigste unter diesen kleinen Landschaften, als am meisten be-
vorzugt erscheint. Am frühesten scheint das mitten im Golfe ge-
legene Ägina, welches den inneren Golf vom äußeren scheidet,
und nach welchem derselbe auch häufig benannt wird, die zweit-
größte der Golfinseln, durch Seehandel aufgeblüht und reich ge-
worden zu sein. Die Trümmer der herrlichen Tempelbauten auf
hohen Vorgebirgen zeugen auch davon. Bald aber nimmt Athen
die erste Stelle ein, namentlich als ihm aus den laurischen Berg-
werken reiche Mittel zufließen. Es behauptet dieselbe fast durch
alle Perioden der Geschichte, auch im Mittelalter, vor Nauplion
und Patras, wenn auch im Altertume zeitweilig, besonders durch
Entwicklung der Beziehungen zum Westen Korinth als Handels-
stadt den Vorrang erringt. In der Neuzeit, unter der Gewalt-
herrschaft der festländischen Türken mußte der Seehandel vom
Festlande weichen. Flüchtlinge, namentlich Albanesen, schufen
ihm im 18. Jahrhundert eine neue Heimstätte auf den kahlen,
wasserlosen Felseninseln von Hydra und dem noch kleineren, aber
fruchtbaren Spetzä, am südlichen Eingange in den Golf, die bis
zum Beginn der Freiheitskriege, mit denen der Ruhm der Hy-
drioten und Spetzioten für alle Zeiten verknüpft ist, als fast un-
abhängige Gemeinwesen zu erstaunlicher Blüte gelangten und ihre
Schiffe nach Hunderten zählten. Daneben spielte und spielt noch
heute auch Porös (Kalauria) eine Rolle als Seestadt, als welche
Athen und Piräus.
207
es auch zweiter griechischer Kriegshafen (Salamis der erste) ist.
Es verdankt dies dem ausgezeichneten Hafen, welchen die 1 Y2 km
nach Süden vorspringende, im Altertume mit dem Festlande,
heute mit der Insel Kalauria durch eine schmale, flache Land-
enge verbundene und durch eine 300 m breite Durchfahrt (Porös)
vom Festlande getrennte trachy tische Halbinsel Sphäria bildet, auf
welcher die Stadt liegt.
In der neuesten Zeit ist der Piräus wieder in seine ge-
schichtlichen Rechte eingetreten und in rascher Entwicklung schon
heute zum ersten Seehafen Griechenlands emporgeblüht. Der
Piräus verdankt dies, wie im Altertum, seiner Eigenschaft als
Hafen der Hauptstadt Athen, mit welcher er heute mehr und
mehr verwächst, und seiner Vortrefflichkeit als Hafen. Aber auch
diese ist zum Teil ein Werk der Menschen. Die aus dichten,
einen guten Baustein liefernden marinen Kalksteinen tertiären
Alters bestehende Halbinsel des Piräus mit ihren kleinen Buchten
von Munychia und Zea war ursprünglich eine Insel, die durch
die Anschwemmungen des Kephissos, der mit einem noch durch
einen Gießbach vom Daphnegebirge verstärkten Hauptarme in die
Bucht des Piräus mündete, verlandet worden ist. Das noch heute
bei Regenwetter schwer gangbare Schwemmland war lange Zeit
sumpfig und nur schwer gelangte man durch den Sumpf nach
dem jenseitigen festen Boden der Insel, daher der Name Piräus,
der Jenseitige. Deshalb wurde die Halbinsel auch verhältnis-
mäßig spät besiedelt, die flache, seit dem Altertum auch durch
Landbildung verkleinerte Bucht von Phaleron, heute als Bade-
strand von Athen und Sammelplatz der Kriegsflotten wichtig, war,
weil näher an Athen gelegen und leicht zugänglich, der älteste
Landeplatz. Noch zur Zeit der Erbauung der langen Mauern war
der Boden so sumpfig, daß denselben erst durch Versenkung
schwerer Steine und Aufschüttung von Kies eine feste Grundlage
geschaffen werden mußte. Auch heute noch erreicht nur ein
schmaler wohl künstlich aufgehöhter Streifen 2% m. Wirkliche
Hafenanlagen schuf erst Themistokles , der auch den erst vor
kurzem den Bedürfnissen der Schiffahrt unserer Zeit entsprechend
wieder erweiterten Eingang des Piräus durch Steindämme von
310 m auf 50 m verengte. Dadurch und seitdem wurde Athen
erst im vollsten Sinne eine Seestadt und bald die Hauptstadt
eines großen Seestaates und Seebundes, die wirkliche Hauptstadt
208 H> 9- Der Schwerpunkt Griechenlands.
des maritimen Griechenland. Seine Gründung und Entwicklung
verdankte es dem Umstände, daß hier völlig isoliert aus der
Ebene eine 140 — 157 m hohe Felsplatte, rings von 30 — 50 m
hohen steilen Abstürzen umgeben, als natürliche Festung aufstieg,
die Akropolis, die bei einer Länge von 330 und einer Breite
von 134 m der ältesten Siedelung Raum bot, um die dann
die Großstadt herum wuchs, die sich den Hafen schuf. Den
Löwen, welche die Marmorpfeiler dieses engen Hafeneinganges
schmückten, verdankte der Piräus seinen erst jetzt wieder ver-
schwindenden mittelalterlichen Namen Porto Leone oder Draco.
Gereinigt, vertieft, mit Stadenmauern und anderen Anlagen ver-
sehen, durch Eisenbahnen mit Athen verbunden, ist der Piräus,
an welchem zu Ende der Freiheitskriege auch nicht ein Haus
mehr aufrecht stand, heute wieder ein sicherer, den größten
Kriegsschiffen zugänglicher, allezeit von Schiffen wimmelnder Hafen,
der bereits für den wachsenden Verkehr zu eng geworden ist.
Die Meerenge zwischen dem Festlande und der küstennahen,
reichgegliederten Insel Salamis bietet aber sicheren Ankergrund
für ganze Flotten.
Im Vergleiche zum Saronischen ist die Bedeutung des Argo-
lischen Golfs eine geringe. Nur an der Ostseite ist er buchten-
und inselreich, am Nordende von zum Teil sumpfigem Schwemm-
lande umgeben. Nauplion, obwohl Seetor der Ebene von Argos,
hat immer mehr als natürliche, durch Kunst verstärkte Festung,
denn als Sitz des Seehandels Bedeutung gehabt, sein Seeverkehr
ist gering und im Rückgang. Daß aber auch Argolis von seiner
Lage, vielleicht unter früh eingetretenen phönikischen Kultur-
einflüssen, Vorteil zu ziehen vermocht hat, das bezeugt die Rolle,
welche es in der älteren Zeit, lange vor Attika, gespielt hat, das
bezeugen die Altertümer von Argos, Tiryns, Mykenä!
Es kann fraglich sein, ob nicht im Altertum zur Zeit der
höchsten Blüte Griechenlands der Saronische Golf und seine Ge-
stadelandschaften im Verhältnis noch mehr als heute nach Be-
völkerung, wirtschaftlicher und geistiger Bedeutung den Anspruch
erheben konnten, der Schwerpunkt Griechenlands zu sein. In der
Gegenwart unterliegt es keinem Zweifel, daß der Schwerpunkt
nicht nur Griechenlands, sondern der ganzen griechischen Welt
hier liegt. Athen ist der geistige Mittelpunkt, die große Bildungs-
stätte für die ganze griechische Welt, neben der Smyrna
Athen als Bildungsstätte. 20Q
und Konstantinopel, obwohl auch sie Sitze regen wirtschaftlichen
und geistigen Lebens des Griechentums sind, obwohl auch sie
von dem griechischen Gemeinwesen geschaffene und unterhaltene
bedeutende Bildungsstätten besitzen und Konstantinopel wahr-
scheinlich die Stadt mit der größten Zahl griechischer Einwohner
ist. Neben seiner nach deutschem Muster eingerichteten Universi-
tät besitzt Athen noch eine ganze Anzahl verschiedener Schul-
anstalten, Kunst- und Altertumssammlungen in Prachtpalästen, fast
alle durch die Freigebigkeit und Vaterlandsliebe im Auslande
reich gewordener Griechen. Die Jugend der ganzen griechischen
Welt bis tief nach Kleinasien hinein holt sich in Athen seine
Bildung und wirkt dann als Träger nicht nur europäischer Kultur
in griechischem Gewände, sondern vor allem auch griechisch-
nationaler Gesinnung in der Heimat. In gewissem Sinne kann
man das als eine Erscheinung auffassen, welche ähnlich wirkt
wie die griechischen Koloniegründungen des Altertums, die auch
von dieser Gegend Griechenlands ausgingen. Die Landschaften,
welche um diesen aufgeschlossensten Teil Griechenlands liegen,
gehören, wenn sie auch den Ionischen Inseln, die eben keine
türkische Herrschaft und keine Freiheitskämpfe zu durchleben
gehabt haben, weit nachstehen, doch zu den bevölkertsten Griechen-
lands. Es wohnen um den Saronischen Golf reichlich eine halbe
Million Menschen, d. h. ein Fünftel der Bewohner des König-
reichs, und Athen mit dem Piräus, obwohl beide erst 1834 neu
erstanden sind, ist heute, bei wahrhaft amerikanischem Wachstum,
eine Großstadt von 1 80 000 Einwohnern, gewiß mindestens soviel,
wenn nicht mehr, wie in der glänzendsten Zeit.
Fischer, Mittclmccrbilder. Neue Folge. 14
III. Zur Geomorphologie Italiens.
i. Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-
Halbinsel.1)
In meiner Länderkunde von Südeuropa habe ich versucht,
zur Anschauung zu bringen, in welcher Weise ich seit einer langen
Reihe von Jahren bemüht gewesen bin, soweit das der Stand der
Erforschung erlaubte, in den länderkundlichen Vorlesungen ein
besseres Verständnis des wichtigsten Abschnitts der Landeskunde,
der Gestaltung der Oberfläche und des Umrisses des Landes, auf
entwicklungsgeschichtlichem Wege zu vermitteln. Daß dies als
allein mögliche wissenschaftliche Grundlage der Länderkunde
auch von andern Seiten erkannt worden ist und dem entsprechend
unterrichtet wird, das zeigen beispielsweise de Lapparents vor
kurzem veröffentlichte, seit vier Jahren an der Ecole libre des
Hautes - Etudes in Paris gehaltene geomorphogenetische Vor-
lesungen, denen wir besonders in methodischer Hinsicht große
Bedeutung beimessen. Daß aber eine solche Betrachtungsweise
durchaus, auch bei den deutschen Geographen, noch nicht die
allgemein angenommene ist, das muß man unter anderm aus der
Tatsache schließen, daß die Begriffe Land, das Dauernde,
Naturgegebene, vom Menschen doch nur in geringem Maße zu
Beeinflussende, und Staat, das vom Menschen Geschaffene, darum
nur dann verhältnismäßig Dauernde, wenn es geographisch be-
gründet ist und namentlich an den Oberflächenformen haftet,
von vielen Geographen gar nicht oder nicht scharf genug aus-
einandergehalten werden. Eine Landeskunde von Deutschland,
i) Zuerst erschienen in Pet. Mitt. 1897.
Land und Staat. 2\\
selbst von Holland ist möglich, denn das sind Teile der Erd-
oberfläche, welche nach ihren geographischen Grundzügen und
entwicklungsgeschichtlich sich als Länderindividuen, in den ge-
nannten Beispielen allerdings verschiedener Ordnung, heraus-
stellen; wenn aber auch von einer Landeskunde des Deutschen
Reichs oder Belgiens, dieser Eintagsfliegen der politischen Geo-
graphie, geredet wird, so müssen wir daraus schließen, daß die
oben angedeuteten Anschauungen doch auch unter den Geographen
noch nicht allgemeine Anerkennung gefunden haben. Wenn wir
beispielsweise unlängst den von einem deutschen Fachgeographen
ausgesprochenen Satz lasen: „Kein Land Europas hat in den
letzten dreißig Jahren einen so proteushaften Wandel seiner Ge-
staltung durchlebt wie Deutschland", so mußten wir uns fragen,
ob wir in diesen dreißig Jahren geschlafen haben und inzwischen
etwa die Nordsee wiederum über unsre Marschen hereingebrochen
ist oder die Alpen über ihren angenommenen Massendefekten
zusammengestürzt sind. Doch müssen wir uns vorbehalten, in
nächster Zeit näher auf diese Frage einzugehen ; zur Kennzeich-
nung der nachfolgenden Untersuchungen genügen diese Andeu-
tungen.
Seit wir unsre länderkundliche Skizze des Halbinsellandes
Italien (März 1891) abgeschlossen haben, ist die geologische
Durchforschung Süditaliens, die damals kaum begonnen hatte,
weitergeführt und zu einem vorläufigen Abschluß gebracht worden.
Die seitdem z. T. in meiner Penisola Italiana, Torino 1902, ver-
werteten Ergebnisse derselben sind so wichtig, daß unsre frühere
Darstellung mehrfache und wesentliche Berichtigungen erfährt, die
wir doch auch einem deutschen Leserkreise, da nicht jeder in
der Lage ist, jene Arbeiten im einzelnen zu verfolgen, zugäng-
lich machen möchten. Nur um diese neuen Gesichtspunkte,
nicht um eine systematische zusammenfassende Darstellung handelt
es sich.
a) Die Tyrrhenis.
Einen wesentlichen Schritt weiter geführt ist die Frage der
Tyrrhenis. Wenn wir schon seit längerer Zeit Anhaltspunkte für
die Annahme besaßen, daß das südliche tyrrhenische Tiefbecken
noch heute zentripetalen Bewegungen unterliege, wie dies von
der südwestpeloponnesischen Tiefe mit noch größerer Wahrschein-
14«
2 12 HE» x • Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
lichkeit angenommen werden muß, so hat die geologische Durch-
forschung Süditaliens Tatsachen festgestellt, welche zu der An-
nahme zwingen, daß die archaischen Schollen Kalabriens und
Siziliens Reste eines großen archaischen Gebirgslandes sind,
welches sich in frühtertiärer Zeit von dort in nordwestlicher
Richtung westlich vom heutigen Süditalien bis in die Breite der
Lepinischen Berge, ja bis westlich der Apuanischen Alpen, also
an der ganzen Westseite des heutigen Italien erstreckte. Also
erst im Laufe der Tertiärzeit hat sich an Stelle desselben der
große und tiefe tyrrhenische Einbruchskessel gebildet, der seine
heutige Gestalt aber erst in der Quartärzeit erlangt hat, denn
die randlichen halbkreisförmigen Einbruchskessel von Neapel und
Salerno, die allerdings auch bereits zum Teil wieder verlandet
sind, sind quartären Alters. Daß auch die südlichsten Teile des
Tyrrhenischen Meeres, welche Sizilien und Kalabrien vorlagern,
auf jugendliche Einbrüche zurückzuführen sind, dafür spricht
manches, ja die hier häufigen Kabelzerreißungen deuten vielleicht
auf Veränderungen des Meeresgrundes hin. Die Liparen stehen
jedenfalls in ursächlichen Beziehungen zu dem Steilabbruch
Siziliens und Kalabriens. Bergeat hat neuerdings in seinen so
gründlichen Studien über die Liparen darauf hingewiesen, daß
das Tyrrhenische Meer im Süden und Südwesten von einem
Staffelbruche begrenzt sei und daß die Ostwestreihe der Liparen
am Rande der innern Staffel, also vom Lande, Sizilien und
Kalabrien aus gesehen, auf der ersten Bruchlinie liegt. Die
Vulkanreihe Stromboli, Panaria, Salina, Filicudi, Alicudi und
Ustica wiederholt den Verlauf der gegenüber liegenden sizilisch-
kalabrischen Küste. Die übrigen Inseln, denen wahrscheinlich
die Secca del Capo, eine nur von 10 m Wasser überspülte
ziemlich ausgedehnte Untiefe nördlich von Salina zuzurechnen ist,
liegen auf einer geraden ungefähr Nord — Süd streichenden
Linie, welche mindestens als ein Nebenriß, bzw. bei dem bogen-
förmigen Verlaufe der Ostwestreihe als ein Radialsprung zu
deuten ist, welchem aber auch vielleicht eine große tektonische
Bedeutung zukommt, denn ihre Verlängerung trifft genau auf
den Ätna. Damit erscheint auf den ersten Blick die bedenkliche
Lücke zwischen Kalabrien und Sardinien ausgefüllt, doch muß
der Beweis einer Zusammengehörigkeit beider, wie andererseits
von Beziehungen zu den Westalpen noch erbracht werden. Viel-
Das nördliche Tyrrhenische Meer. 21X
leicht liefert ihn die noch sehr rückständige Erforschung Sardiniens.
Diese ist inzwischen wesentlich durch A. Tornquist1) gefördert
worden. Derselbe zeigt, daß das breite Grabental des Campidano
und die Ebene von Nurra zwei geologisch voneinander ver-
schiedene Gebiete scheiden, welche schon im Mesozoicum ver-
schiedene Wege wandelten. Das Iglesiente im Südwesten und die
Nurra di Sassari haben an der altkretaceischen und jungtertiären
Auffaltung der jungen mediterranen Faltengebirge teilgenommen.
Dort sind die Schichten der Trias, des Jura, der Kreide gefaltet.
Sie bilden einen Außenfaltengürtel und setzen sich am wahr-
scheinlichsten in dem mesozoischen Gürtel von Nizza, also dem
Außengürtel, dem Kalkalpengürtel der Westalpen fort. Er verhält
sich ähnlich zu den Apenninen, wie der Jura zu den Alpen.
Was östlich jener Hohlform liegt, ßarbagia, Gallura, Sarrabus,
ist von keiner jüngeren Faltung berührt worden und ist im wesent-
lichen aus stark gefalteten altpaläozoischen Schiefern und ar-
chaischen Felsarten, namentlich Gneisen und Graniten aufgebaut.
Es war zur Triaszeit Festland und erst während der oberen Jurazeit
vom Meere bedeckt und von Sedimenten überlagert: die Jura-
schichten, Konglomerate, Kalke, Dolomite liegen ungestört und sind
höchstens durch Schleppung an Verwerfungen ein wenig aufge-
richtet. Sie bilden daher vielfach, namentlich in der Barbagia
Tafelberge, burgartige Felstürme u. dgl. auf dem steil aufgerichteten
Grundgebirge. Auch die Reste der mesozoischen Decke an der
Ostseite der Insel sind ungefaltet. Korsika ist die Fortsetzung
des östlichen Sardinien, sein Granitgürtel die Fortsetzung des
Granitlandes der Gallura. Dieser Gürtel bildete zur Triaszeit als
Festland die Scheidewand zwischen der außeralpinen Trias des
westlichen Sardinien — dieser Gürtel fehlt in Korsika — und
der alpinen Trias Nordost-Korsikas. Er findet seine Fortsetzung
in den Montagnes des Maures der Provence. Der sedimentäre
Nordosten Korsikas gehört zum gefalteten Apenninengürtel. Erst
eine quartäre Hebung vereinigte, indem sie das Campidano
trocken legte, die verschiedenen Teile von Sardinien, also in
derselben Zeit, in welcher der südliche Apennin durch eine solche
auch wieder zu einem orographisch einheitlichen Gebirge wurde.
i) Sitzb. Berliner Ak. \V. XXXV 1902, S. 8008— 29, XXXVI 1903,
S. 685—99.
2i a III, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
Die Beziehungen Sardinien -Korsikas zum toskanischen Erz-
gebirge und den Apuanischen Alpen scheinen sich dagegen als
immer engere herauszustellen, wenn auch die Rinne zwischen
Korsika und Capraja sich als weit tiefer erwiesen hat, als man
bis vor kurzem annahm. Sie besitzt Tiefen, welche überall 400 m
übersteigen. Auf Gorgona, Elba und dem Argentaro treten Ge-
steine zutage, welche vielleicht archaischen, sicher vorsilurischen
Alters sind: gneisartige Schiefer, Glimmerschiefer, überlagert von
Kalkschiefern, kristallinischen Kalken, Serpentin- und Diabas-
Schiefern. Auf Elba sind auch silurische Schichten festgestellt.
Giannutri besteht aus porösem Kalkstein des Rhät, der auf per-
mischen Schiefern ruht, ganz wie auf dem Argentaro, in den
Pisaner Bergen, den Apuanischen Alpen, dem Höhenzug von
Siena1) und im toskanischen Erzgebirge, besonders in der Um-
gebung von Massa Marittima. Die porösen Kalksteine des Erz-
gebirges haben an ihrer Basis deutlich geschichtete Kalksteine,
die wohl den Marmor der Apuanischen Alpen vertreten, also der
obern Trias angehören. Die Streichrichtungen des toskanischen
Erzgebirges, NW — SO, stimmen, wo sie erkennbar sind, ganz mit
denen der Apuanischen Alpen überein.
Bezüglich der biologischen Verhältnisse des toskanischen Erz-
gebirges, des toskanischen Archipels und Sardinien-Korsikas, auf
deren Übereinstimmung schon früher hingewiesen wurde, möge hier
noch betont werden, daß Sardiniens Tierwelt auf längere Ab-
sonderung der Insel als Teil eines größeren Ländergebiets hin-
weist. Nur hier ist in ganz Italien der Damhirsch noch heimisch
und wild erhalten. Das Wildschwein hat so eigenartige, an das
ausgestorbene Sus palustris erinnernde Züge entwickelt oder er-
halten, daß manche Zoologen es als besondere Art unterscheiden
möchten. Der Mufflon von Sardinien-Korsika war ehemals weiter
verbreitet. Pferde, Esel und Rinder werden durch geringe Größe
gekennzeichnet.
Nur die Apuanischen Alpen sind durch die letzten gebirgs-
bildenden Bewegungen orographisch inniger mit den Apenninen
verbunden worden. Von den inselartig aus jüngstem Schwemmlande
aufragenden Pisaner Bergen bis zum Querhorste von Sorrent, der
I) Lotü: Descrizione geologico-mineraria dei dintorni di Massa Marittima
in Toscana. (Mem. descr. Carta geol. d'Italia, Bd. VIII, S. 30.) Rom 1893.
Sardinien-Korsika und Toskana. Süd-Apennin. 2 1^
aber auch seinerseits durch den Bruch von La Cava orographisch
fast vollständig vom kampanischen Apennin abgelöst ist, liegt der
überseeisch gebliebene, bzw. durch Hebung, Anschwemmung und
vulkanische Tätigkeit wieder überseeisch gewordene Teil des tyrrhe-
nischen Senkungsfeldes an dessen Ostseite als niedriges Vorland vor
den Apenninen, durch eine namentlich hydrographisch und als innere
Verkehrslinie von Lucca bis Nocera in Kampanien scharf hervor-
gehobene Tiefenlinie von denselben getrennt. Auch die höchsten
Erhebungen dieses tyrrhenischen Apenninenvorlandes bleiben weit
hinter denen der Apenninen zurück, sie bieten nur wie in den
Bergen von Chianti oder in den lepinischen oder auf dem Vesuv
erhöhte Standpunkte zum Überblick über den innern Steilabbruch
des Apennin. Wohl aber verdankt die Halbinsel diesem geo-
logisch so mannigfaltigen Vorlande ihre große Breite, ihre großen
Flüsse, in ihm liegt Rom, Florenz, Neapel.
b) Der Süd-Apennin.
Vom Golf von Neapel, also der Gegend der jüngsten Ab-
und Einbrüche südwärts, fehlt jedes Vorland, die ältesten am
Aufbau des Apennin beteiligten mesozoischen Schichten treten
unmittelbar ans Meer, ja in Kalabrien fehlen auch sie, das ar-
chaische Grundgerüst tritt an ihre Stelle. Während nordwärts von
Kampanien Querbrüche in größerer Ausdehnung nicht vorkommen
und namentlich die Bodenplastik des Apenninenlandes durch
solche so gut wie gar nicht beeinflußt ist, sind Querbrüche süd-
wärts davon in dieser Hinsicht von größter Bedeutung. Sie zer-
stückten den vormiocänen Apennin in eine Gruppe von Inseln,
indem ein erst in der Quartärzeit geschlossener pliocäner Meer-
arm den Kampanischen Golf mit der Adria, andre Meerengen das
Tyrrhenische Meer nicht nur an Stelle der Landenge von Catan-
zaro und der heutigen Meerenge von Messina, sondern auch
zwischen Cinquefronde und Mammola1) in Süd -Kalabrien, also
die Serra vom Aspromonte scheidend, mit dem Ionischen ver-
banden. Ein randlicher Abbruch löste das kleine Poro- Massiv
von Kalabrien, ein Längsbruch die apulische Scholle und den
Gargäno vom Apennin. So waren hier, wie dies noch heute in
i) Cortese: Descrizione geologica dclla Calabria. S. 32 u. ö. Rom 1895.
2i6 HI, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
der Oberflächengestalt deutlich zu erkennen ist, wohl in der
mittlem Pliocänzeit nicht weniger als sieben Inseln vorhanden.
Die Bildung dieser jene Meer- und später Landengen, sowie die
Umrisse des Landes bedingenden Bruchlinien muß erfolgt sein
sofort nach Ablagerung des obern Miocän, wenn auch in der
Gegend der Meerenge von Messina die Zeit des tiefsten Unter-
tauchens der Schollen das obere Pliocän und das Altquartär ist.
Der Meerarm, welcher das kleine Poro-Massiv etwa in der Richtung
des heutigen Mesima- und Angitola- Tales vom südkalabrischen
Massiv schied, schloß sich noch vor dem obern Pliocän wieder.
Das Sila-Massiv dagegen war, nur durch den tief eindringenden
Crati-Busen abgesondert, eine Halbinsel des neapolitanischen
Apenninenlandes. Sehr bezeichnend aber ist, daß an der ganzen
tyrrhenischen Seite Süditaliens außer an den Rändern jener ehe-
maligen Meerengen tertiäre und quartäre Ablagerungen durchaus
fehlen, die archaischen Gesteine also auf weite Strecken in steilem
Abbruch unmittelbar ans Meer treten. Nördlich der Sila ver-
schwinden die archaischen Gesteine Kalabriens allmählich unter
dem mesozoischen Deckgebirge, das die tyrrhenische Seite des
neapolitanischen Apennin bildet. In einer von der Trias bis
ins Eocän reichenden thalassischen Periode lagerte sich dasselbe
in einer ca. 8000 m erreichenden Gesamtmächtigkeit über den
stark denudierten alten Formationen ab 1). Daß es einst auch
weiter nach Süden vorhanden war, davon zeugen die zahlreichen
bald kleinern, bald größern Denudationsreste desselben auf dem
kristallinischen Gebirge Kalabriens. Aber noch so weit nach
Norden wie in der Umgebung von S. Severino Lucano im Tale
des zum Sinni - Gebiet gehörigen Torrente Frida tauchen, wie
C. Viola nachgewiesen hat, archaische kristallinische Schiefer und
Amphibolite unter der Trias auf, wie Carbonschichten von De
Lorenzo in der Umgebung von Lagonegro von der Trias dis-
kordant überlagert nachgewiesen worden sind2). Heute haben
wir auch eine Erklärung für die schon seit den 30 er Jahren be-
1) De Lorenzo: Studi di geologia nelP App. meridionale. (Atti Accad.
di Napoli, Bd. VHI, Nr. 7 S. 46.) Neapel 1897.
2) De Lorenzo a. a. O., S. 47 hat neuerdings jene kristallinischen
Schiefer für eocän erklärt, obwohl auch nach seiner Ansicht hier die in
Kalabrien zutage tretenden kristallinischen Gesteine die Unterlage der Trias
bilden.
Süd - Italien.
217
kannten rätselhaften Granitblöcke, oft von gewaltigen Dimensionen,
und für die granitischen Konglomerate, welche an immer zahl-
reicheren Punkten verstreut noch weiter nordwärts um Vallo di
Lucania, Muro Lucano, Vallo di Diano u. a. bis zum Vultur und
Aquilonia — die Breite der Ponza-Insel Zannone — nachgewiesen
sind. Eocäne Konglomerate sind in bis zu 400 m mächtigen
Schichtenkomplexen und bis zu den höchsten Gipfeln ganz aus
archaischen kristallinischen Felsarten gebildet, zuweilen in riesigen
noch unregelmäßig eckigen Blöcken. Auch die Trias- Sandsteine
bestehen vielfach aus Trümmern kristallinischer Gesteine, bis zur
Südgrenze der Basilicata und bis ostwärts von Potenza. Auch
in Kalabrien, aber sehr bezeichnend nur an der ionischen Seite,
besteht das unmittelbar dem Archaischen auflagernde untere
Eocän in bis 600 m mächtigen Schichtensystemen aus groben
kristallinischen Konglomeraten, in der Sila bis zu 1 38 1 m Höhe.
Anderseits sind von C. Viola1) neuerdings Denudationsreste von
Eocänschichten mit granitischen Gerollen am Monte Cacume der
Lepinischen Berge aufgefunden worden. So mögen auch die von
Branco in den vulkanischen Tuffen des gegenüberliegenden Her-
niker- Gebirges gefundenen granitischen Gerolle daher stammen.
Ebenso lassen die von denselben kristallinischen, vorwiegend
Massengesteinen wie in Kalabrien gebildeten Einschlüsse in den
Auswurfsmassen der Somma schließen, daß dieselben auch dort
die Unterlage der an der dem Golf von Salerno zugekehrten Seite
des Horstes von Sorrento wie am Nordhange des Massiker- Gebirges
hervortretenden Triasschichten (Hauptdolomit) bilden. Leider ist es
nicht möglich, bei dem gänzlichen Fehlen von Versteinerungen das
Alter der in schmalen Streifen am Nordrande der Ponza-Insel
Zannone unter den jungeruptiven Gesteinen hervortretenden Schiefer
und Kalksteine zu bestimmen. V. Sabatini2) versichert aber mit
aller Bestimmtheit, daß die Kalksteine, die nach den Lagerungs-
verhältnissen jünger sind als die Schiefer, wie H. Doelter glaubte
annehmen zu müssen, petrographisch mit den heute als liasisch
erkannten des Kap Circeo übereinstimmen. Bedeutungsvoll ist
aber, daß schon Brocchi und, seit 1864, auch G. Capellini an-
genommen hat, daß die Gerolle aus Granit und kristallinischen
1) Bull. Comit. geol. d'Italia 1895, S. 324.
2) Dcscrizionc geol. delle Isole Pontinc. (Bull. Comit. geol. d'Italia
1893, S. 309.)
2i8 IH, i. Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
Schiefern in den eocänen Konglomeraten bei Spezia von einem
nach Westen vorhanden gewesenen alten Festlande herstammen
müssen. Später hat das auch Meneghini angenommen und neuer-
dings Zaccagna für die gleiche Formation in den Apuanischen
Alpen.1)
Das Gebirge, welches diese durch Flüsse offenbar in östlicher
Richtung verfrachteten Geröllmassen lieferte, mußte in seinem innern
Bau ganz mit Kalabrien und Nordost-Sizilien übereinstimmen, es
mußte vorwiegend granitisch sein. Es erstreckte sich2), nach
diesem Vorkommen granitischer Konglomerate zu urteilen, von
Kalabrien der heutigen tyrrhenischen Küste parallel nach NW bis
zur Halbinsel von Sorrent, ja bis zur Südgrenze von Ligurien.
Jene Granitblöcke, Konglomerate und Sandsteine zeugen von seiner
Abtragung. Schließlich versank es in dem sich bildenden tyr-
rhenischen Einbruchskessel, nur der gefaltete und zertrümmerte
Außengürtel, auf welchen jene kristallinischen Geröllmassen ab-
gelagert worden waren, blieb stehen und umgibt heute, vorwiegend,
wie die geologische Durchforschung seit 1892 zu allgemeiner Über-
raschung festgestellt hat, aus Triasgesteinen aufgebaut, in weitem,
flachem Halbkreise ihm die hohe Seite, die Schichtenköpfe, der
Adria die niedere, konvexe Seite zukehrend, vom Golf von Neapel
bis Potenza und dem Agri-Tale bis Lagonegro, Maratea und Nord-
Kalabrien den tyrrhenischen Einbruchskessel. Es bildet dieser
hohe triasische tyrrhenische Gebirgshalbkreis, in welchem Haupt-
dolomit und Dachsteinkalk eine große Rolle spielen, bei einer Ge-
samtmächtigkeit der Triasschichten bis zu 3000 m meist auch die
Wasserscheide, die daher dem Tyrrhenischen Meere wieder nahe
rückt. Faltung ist zwar überall erkennbar, tritt aber meist als
entscheidender Faktor der Bodenplastik hinter Bruchspalten und
darauf erfolgten Vertikalverschiebungen zurück. Doch sind noch
bei Lagonegro die Kreideschichten in steile Falten gelegt, nach
Osten überschoben und zusammengepreßt. Die Hauptfaltung er-
folgte in nacheocäner Zeit, also etwa um die Mitte des Tertiär.
Sie ist für den ganzen Apennin entscheidend und hat im Gran
Sasso Eocänschichten bis zu 2600 m emporgepreßt. Zugleich mit
i) Steinmann hat ganz neuerdings diese Erscheinungen aus der Wander-
schollen-Theorie erklärt, sie aber auch auf Korsika zurückgeführt.
2) L. Baldacci e C. Viola: Bull. Comit. geol. d'Italia 1894, S. 389.
Süd -Italien.
2 19
derselben bildeten sich vorwiegend in der gleichen Richtung in
OSO und SO verlaufende Brüche, welche wenigstens in der
Gegend von der Südgrenze der Basilicata bis zum Vultur ein die
Triasschichten umfassendes voreocänes Faltensystem, das mehr
meridional verläuft, in Ellipsoide und ähnliche Massen, wie der
Serino und Vulturino, zerstückten1). Das ganze Gebirge, also der
kampanische und lukanische Apennin, besteht so aus mesozoischen,
vorwiegend triasischen Kalkschollen, die aus niederem Tertiärland auf-
ragend mit echt apenninischem Streichen in NW — SO mehr oder
weniger elliptische Gestalt haben. Der südliche Apennin unter-
scheidet sich also, wie dies eine hier nicht beabsichtigte nähere
orographische Betrachtung noch klarer herausstellen würde, nach
seiner geologischen Geschichte und Tektonik sehr wesentlich vom
nördlichen und mittlem. Es stimmen aber die triasischen Ab-
lagerungen in der Basilicata und Kalabrien, wie so eben noch
De Lorenzo2) betont hat, sowohl untereinander, wie mit denen
West-Siziliens überein.
Die Herausbildung einer reichern wagerechten Gliederung der
Westseite Italiens wie die größere geologische und orographische
Mannigfaltigkeit, die in auffallendem Gegensatze zu der geschlossenen
und einförmigen Ostseite steht, reicht also bis in die Tertiärzeit
zurück. Auf jene Hauptfaltung folgt aber mit Ende der Pliocän-
zeit und weit in die Quartärzeit hinein eine Hebung des ganzen
Gebiets, die, anscheinend ohne Faltung, von Norden nach Süden
an Intensität zunahm, dort die früher erwähnten Meerengen schloß
und erst wieder ein zusammenhängendes Gebirge schuf. Wir
müssen die Bewegungen der festen Erdrinde, welche hier zuerst
als vorwiegend tangentiale ein Faltengebirge schufen, dasselbe dann
als vorwiegend zentripetale zum Teil wieder zerstückten, in enge
Beziehungen zur Bildung des Mittelmeeres setzen, das aber seiner-
seits nur ein Glied in einer Kette von Erscheinungen, nämlich ein
Teil eines großen einem größten Kreise der Erde folgenden Bruch-
gürtels der Erde ist, der hier namentlich an seiner Nordseite von
Faltengebirgen begleitet wird. Wie in diesem Bruchgürtel das
Vorhandensein einer tief verfestigten alten Scholle der Erdrinde
einen weitreichenden Einfluß auf die Faltengebirge der iberischen
Halbinsel ausgeübt hat und auch von der rumelischen Scholle der
1) De Lorenzo a. a. O., S. 48 fr". 2) A. a. O., S. 46.
2 20 HI) *• Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
südosteuropäischen Halbinsel dies anzunehmen ist, so möchten
•wir die Tatsache, daß hier in der Mitte des mediterranen Bruch-
gürtels ein Faltengebirge entstehen und gewissermaßen eine Brücke
quer über den Bruchgürtel bilden konnte, in ursächliche Beziehungen
zu der alten tyrrhenischen Scholle setzen, die im einzelnen freilich
noch der Klarlegung harren. Sie diente derselben gewissermaßen
als Stütze. Daß der tangentiale Schub, welcher dies Faltengebirge
schuf, im allgemeinen vom Nordwestbecken des Mittelmeeres, also
von der Tyrrhenis her kam, ist klar. Die Richtung des Schubs
ging allmählich von N nach S aus SW in N über. Derartiges
Umschwenken kehrt ja im Alpensystem (im weitern Sinne) noch
dreimal wieder: an der untern Donau, in den Westalpen und an
der Straße von Gibraltar. Die Umbiegung der Apenninen am
Südrande des tyrrhenischen Kessels, also auch wohl am Südrande
der Tyrrhenis ist darum schwerer zu erkennen, weil in Kalabrien
die Faltenbildung gehemmt gewesen zu sein scheint oder wahr-
scheinlicher der größte Teil des gefalteten sedimentären Gürtels
an der Außenseite gegen das ionische Tiefbecken, das größte und
tiefste des ganzen Mittelmeeres, abgesunken sein dürfte. Vom
Golf von Tarent bis zur Ätna-Bucht Siziliens fehlt derselbe fast
ganz, und der kalabrische Apennin unterscheidet sich dadurch
in auffallender Weise vom übrigen Apennin; die erst in der
Quartärzeit wieder miteinander verbundenen archaischen Schollen
Kalabriens erscheinen so als ein riesiger Steg, der zwischen zwei
3000—4000 m tiefen Einbruchskesseln mit 5000 — 6000 m größter
relativer Höhe das breite Apenninenland der Basilicata und Lu-
kaniens mit dem ebenso breiten von Sizilien verbindet. An der
Außenseite Siziliens fehlt ein solcher Einbruchskessel. Das seichte
Afrikanische Meer erscheint nur als eine Überspülung des breiten
Tertiärgürtels, dessen Schichten, wie man aus den stehengebliebenen
Tafeln von Malta und Lampedusa schließen kann, am Außenrande
des apenninischen Systems, wie ja vielfach bei Faltengebirgen,
selbst keine Faltung mehr erfahren hatten. Die Bildung der im
Relief der Erdrinde deutlich erkennbaren Bruchspalte, auf welcher
sich die noch heute rege vulkanische Tätigkeit von Pantelleria
entwickelte, steht zu dieser Überspülung des flachen Tertiärlandes
und zur Loslösung Siziliens von Afrika in Beziehungen. Diese Vor-
gänge, die auch die Abgliederung der ägatischen Inseln von
Sizilien herbeiführten, fallen etwa in die Mitte der Quartärzeit.
Süd -Italien und Sizilien. 22 1
Die Überspülung ist seitdem immer weiter vorgeschritten, sowohl
gegen die Küste von Sizilien, die eine entfernte Ähnlichkeit mit
den nordfranzösischen Falaises hat und wie diese durch Abbruche
in einem allerdings wohl wesentlich langsamem Zurückweichen
begriffen ist, wie namentlich gegen Tunesien, Malta und Lam-
pedusa. An beiden letztern ist ja die fortschreitende Abtragung
nachgewiesen. Beide müssen aber noch weit in die Quartärzeit
hinein Teile größerer Festlandsgebiete und sowohl mit Sizilien
wie mit Tunesien verbunden gewesen sein. Sowohl in Sizilien
wie auf Malta und in Tunesien sind in großen Mengen die
Reste derselben diluvialen Säugetiere zutage gefördert worden, vor
allem von Elefanten und Hippopotami, die auf dem heutigen der
Quellen wie des fließenden Wassers so gut wie ganz entbehrenden
Malta ihre Daseinsbedingungen unmöglich finden könnten. Die
von J. H. Cooke neuerdings vorgenommene Durchforschung der
Har Dalam-Höhle im SO der Insel, etwa 800 m von der durch
Meereserosion entstandenen Marsa Scirocco- Bucht, lieferte von
neuem den Nachweis einer reichen diluvialen Fauna in der Zeit,
wo diese Höhle von rinnendem Wasser gebildet und durchflössen
wurde, und stellte die Wahrscheinlichkeit fest, daß der Mensch
schon in jener Zeit die Verkleinerung der Insel mit durchlebt hat,
wie er das langsame Fortschreiten derselben auch heute festzu-
stellen in der Lage ist.
Wir halten so mehr als je trotz der Einwürfe, namentlich
E. Haugs, an der Richtigkeit der von Eduard Suess zuerst aus-
gesprochenen Ansicht fest, daß sich der Apennin in dem Falten-
gebirge am Nordrande von Klein-Afrika fortsetzte, namentlich seit
wir durch eigne Anschauung fast an der ganzen Küste von Genua
bis zur Westspitze Siziliens und anderseits vom Golf von Tunis bis
Melilla und wieder an der Meerenge von Gibraltar und an der
andalusischen Südküste Vergleiche anstellen konnten. Rings um
die Ost- und Südseite des mediterranen Nordwestbeckens von
Genua über Sizilien bis an die Meerenge von Gibraltar sind die
Schichtenköpfe und die relativ ältesten Formationen diesem Becken
zugekehrt. Das andalusische Faltensystem, dessen älteste Formationen
ebenfalls dem Mittelmeere zugekehrt sind, endet nach Osten hin
in den mediterranen Bruchgürtel hinein, ganz wie das griechische
Faltengebirge durch Querbrüche zerstückt, gesenkt und in Inseln
aufgelöst auf Minorka 350 km westlich von Sardinien, welchem
22 2 HI, i. Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
gegen Osten auf 300 km Entfernung der innere Abbruchsrand
der Apenninen im Sabiner Gebirge gegenüberliegt. Mitten in
diesem Wirbel gefalteter und nach innen zum Nordwestbecken
des Mittelmeeres auf peripherischen, fast durchaus durch vulkanische
Tätigkeit gekennzeichneten Brüchen abgesunkener Gebirge liegen
die Trümmerstücke einer alten Scholle, der Tyrrhenis. Man wird
an die großen Verhältnisse erinnert, wie sie um den Stillen Ozean
herrschen. Auch die Lage des freilich noch zu wenig erforschten
Borneo zu den südostasiatischen Faltenzügen erweist sich vielleicht
einmal als der von Sardinien-Korsika vergleichbar. Der Gedanke
an einen Zusammenhang zwischen der Bildung des mediterranen
Nordwestbeckens und den dasselbe umschließenden Faltengebirgen,
speziell des tyrrhenischen Einbruchskessels, mit den Apenninen
liegt nahe.
c) Terrassenbildung in Kalabrien und Sizilien.
Die neuerdings durchgeführte geologische Erforschung Kala-
briens hat auch das Verständnis der letzten Hebung des ganzen
Apenninenlandes wesentlich fördernde Tatsachen festgestellt. Auf
die Periode der gebirgsbildenden faltenden Bewegungen, die vom
Ende der Eocänzeit bis in die Miocänzeit andauerten, also eine
Periode des Auftauchens, folgte in der Pliocänzeit eine kurze
Periode des Sinkens und Übergreifens des Meeres, die noch in
der Pliocänzeit in eine noch andauernde Hebung überging. Vor
allem hat sich herausgestellt, daß in Kalabrien, wie wir schon
vorher annahmen, in der Quartärzeit eine durch Ruhepausen unter-
brochene, daher durch Terrassenbildung veranschaulichte Hebung
stattfand, welche anscheinend gegen die Meerenge hin an Inten-
sität zunahm, wie auch in Sizilien eine fast überall noch nach-
weisbare Hebung gegen die Meerenge hin am bedeutendsten
gewesen zu sein scheint. Cortese x) hat an der ganzen tyrrhenischen
Seite Kalabriens von der Südwestecke der Sila bis an die Meer-
enge fünf solcher Terrassen festgestellt, stets als Strandbildungen
zugleich durch Ablagerungen von Sand und roten Konglomeraten
gekennzeichuet, nach Süden hin an Höhe zunehmend. Am deut-
lichsten treten dieselben bei Nocera Tirinese hervor. Dort unter-
scheidet Cortese folgende vier: 1 . Piano della Gabella, von 10 — 50 m
1) Descrizione geologica della Calabria, S. .185.
Die kalabrischen Terrassen.
223
über dem Meere, 200 m breit. 2. Piano del Casale, 150 — 200m,
600 m breit. 3. Piano della Civitä, 350 — 480 m, 1500 m breit.
4. Piano di Stia, 640 — 700 m, 1000 m breit. Am Golf von
Sta. Eufemia, wo die gehobenen Strandbildungen die Flüsse
stauen, so daß ein furchtbarer Malariaherd entstanden ist, am
Poro-Massiv, in der Ebene von Gioja, am Aspromonte lassen
sich diese Terrassen ebenfalls verfolgen, aber am Poro-Massiv
liegen sie schon höher als bei Nocera und am Aspromonte
wiederum höher. Am Piano della Limina, an Stelle der ehe-
maligen südkalabrischen Meerenge zwischen Cinquefronde und
Mammola, reicht das Quartär bis 1000 m empor, und am West-
hange des Aspromonte liegen in Denudationsresten erhaltene plio-
cäne Sande noch bei 1000 m, quartäre (nach de Lorenzo jüngste
pliocäne) Ablagerungen in den sogen. Campi di Reggio und den
Piani di Aspromonte bei 1 300 m. Am Aspromonte speziell unter-
scheidet de Lorenzo !) vier Gruppen von Terrassen. Die oberste,
die Campi di Aspromonte, 1000 — 1300 m; die 2. die Piani della
Melia, 550 — 700 m; die 3. die Piani di Matinite, 300 — 400 m;
die 4. die Piani della costa, o — 120 m. Auch im Crati-Becken
lassen sich solche Terrassen erkennen und zu denen bei Nocera
Tirinese in Beziehungen setzen. Doch ist sonst an der ionischen
Seite solche Terrassenbildung nur ausnahmsweise zu erkennen
und finden sich marine Qartärbildungen nur bis zu 1 70 m, ver-
einzelt bis 330 m.
Man wird bei diesen kalabrischen Terrassen sofort an die
ungefähr in derselben Zeit gebildeten am Nordrande Algeriens2)
und an die Hebung der Ostküste Tunesiens3) denken, nur ist in
Algerien seitdem eine Senkung eingetreten.
In den zum Golf von Tarent ausmündenden Flußtälern des
Agri, Basento u. a. kann man talaufwärts die postpliocänen Ab-
lagerungen allmählich in pliocäne übergehen sehen, die bei Avi-
gliano 918 m, bei Carbone 950 m erreichen4). Es bildeten sich
bei dieser Hebung vielfach in den Hohlformen aus Meeresbuchten
Seen, welche schließlich ausgesüßt wurden und zuletzt erloschen,
so daß das Quartär dieser Gegenden häufig, wie im Vallo di
Diano, bei Rotonda und Lajno, bei Lagonegro und Lauria und
anderwärts lakuster ist.
I) A. a. O., S. 123. 2) Siehe vorn S. 126.
3) Siehe vom S. 109. 4) De Lorenzo a. a. O. S. 89.
2 2A m> '• ^ur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
Auch der Ingenieur Fr. Salmojraghi1) hat die kalabrischen
Küsten terrassen , allerdings weiter im Norden, beobachtet und
solche bis zum Golf von Policastro nachgewiesen. Er hält die-
selben aber nicht für Zeichen einer Hebung, sondern für vom
Meere abgetragene alte Schuttkegel. Das mag wohl für die nied-
rigen Terrassen gelten, die sich noch heute bilden, indem die
Brandung die Schuttkegel bis zu einer Höhe von 5 m über
Mittelwasser abzutragen und die Küstenversetzung die Geröll-
massen am Strande entlang, vorzugsweise nach Norden, zu ver-
schleppen und abzulagern vermag. Es findet so eine bedeutende
Anlagerung von Neuland statt, am auffälligsten an der Nordseite
der Vorgebirge. Die innern Streifen dieses Neulandes sind auch
vielfach bereits in Anbau genommen. Selbst Klippen und Inseln
sind landfest geworden. Für die höheren Terrassen erscheint
mir aber keine andere Erklärung möglich als die von Cortese
gegebene, denn gegenüber Corteses Feststellung, nach welcher
die Terrassenablagerungen quartären Alters sind, ist Salmojraghis
Annahme, dieselben seien tertiär, hinfällig. De Lorenzo pflichtet
hier im wesentlichen Cortese bei, nur die ältesten rückt er ins
Ende der Pliocänzeit hinauf2).
Westlich von der Straße von Messina hat der geologische
Erforscher Siziliens, Baldacci, auch bei Cefalü bis 90 m über dem
heutigen Meeresspiegel in Terrassen ansteigende quartäre Kon-
glomerate und Sande nachgewiesen, die auch er als Beweise
einer nachquartären Hebung ansieht, während Cortese3) auch auf
den Liparischen Inseln, namentlich auf Lipari, ähnliche Terrassen
und Terrassenablagerungen als Zeichen einer Hebung erkannt
hat. Für die mediterrane Pflanzenreste enthaltenden Tuffe von
Bagnosecco speziell nimmt er frühquartäres Alter an. Kalkstein-
schichten, welche auf diesen Terrassen auftreten, beweisen, daß
dieselben marinen Ursprungs sind. Die Versteinerungen noch
lebender Arten, die sie enthalten, stimmen genau überein mit
denen, welche sich bei Milazzo in ähnlichen Spaltausfüllungen
des kristallinischen Gesteins dieses Vorgebirges finden. Ganz in
gleicher Weise in der Form von Spaltausfülluugen kehrt derselbe
1) Bull. Comit. geol. d'Italia 1886, S. 281 f.
2) A. a. O. S. 122.
3) Cortese e Sabatini: Descrizione geologico -petrografica delle Isole
Eolie. (Memorie descr. Carta geol. d'Italia, Bd. VII.) Rom 1892.
Hebung der Küste von Kalabrien.
225
Kalkstein in Kalabrien von Scilla bis Bagnara und Palmi wieder.
Die Insel Lipari weist drei Terrassen auf, die denen der Nord-
küste Siziliens und den drei untersten am Westhange des Aspro-
monte entsprechen.
Handelte es sich bei diesen Terrassenbildungen um quar-
täre Vorgänge, so reihen sich denselben doch Erscheinungen an,
welche auf eine noch heute oder auch heute vor sich gehende
Hebung zu schließen erlauben. So hat Cortese auf die an der
tyrrhenischen Steilküste bis 8 m über dem heutigen Mittelwasser
gelegenen Linien von Bohrlöchern der Pholaden und auf die
fünf konzentrischen Küstensäume am Golf von Sta. Eufemia hin-
gewiesen. In Tropea *) mußte man früher, um eine kleine Kirche
zu besuchen, welche auf einer küstennahen Klippe erbaut ist, im
Boot übersetzen, da der Fuß der Klippe und der Felsküste vom
Meere umspült war. Jetzt geht man zu Fuß zu der Kirche, und
unter den Fenstern von Tropea sind Gärten angelegt. Am Kap
Vaticano sieht man vom Boot aus etwa 5 m über Meer im Granit-
fels, der dort fast senkrecht zum Meere abstürzt, die charakte-
ristische Marke und Bohrlöcher der Lithophagen, welche zeigen,
daß das Meer einst in dieser Höhe stand. Eine ähnliche Marke
mit Bohrlöchern findet sich in etwa 4 m Höhe an der Felsküste
zwischen Porto Oreste und Bagnara. Vor Gioja, das ursprüng-
lich auf einem hohen, steilen Vorgebirge unmittelbar über dem
Meere lag, ist allmählich ein 800 m breiter Strand hervorgetreten.
Einige dieser Erscheinungen, welche Cortese alle lediglich aus
einer Hebung erklärt, dürften sich wohl auch wie in Nord-
Kalabrien aus Landanlagerung erklären lassen. Auf Zusammen-
sitzen oder auf eine durch die Brandung bewirkte Wiederab-
tragung von Anschüttungen, welche von den Fiumaren, der Küsten-
versetzung, vielleicht sogar von Menschen gebildet wurden, möchte
ich jedoch entgegengesetzte Erscheinungen in der Nähe von
Reggio an der Meerenge zurückführen, die Cortese dort fest-
gestellt hat, aber als Beweise eines Sinkens der Küste ansieht.
Wo heute der Landungsplatz von Reggio liegt, ist eine Küsten-
befestigung versunken und zerstört. Ebenso ist eine andere
Küstenbefestigung, das Castel a mare, halb zerstört, die Mauern
stürzen ins Meer, während man noch im Jahre 1848 trocknen
1) Descrizione geol. della Calabria, S. 57.
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 15
22b HI> !• Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
Fußes um dasselbe herumgehen konnte. Das um 1884 erbaute
Schlachthaus von Reggio war etwa 10 Jahre später schon wieder
vom Meere zerstört. In gleicher Weise werden zwei Bahnwärter-
häuschen in der Nähe vom Meere angegriffen. Ähnliche Er-
scheinungen hat Cortese seit 1881 bis gegen Kap Spartivento hin
beobachtet. Ebenso stellt derselbe fest, daß die Farospitze Siziliens
heute und seit 1888 in Abtragung begriffen ist — meine Be-
obachtungen reichen nur bis 1876 — und daß der neue Leucht-
turm 1882 viele Meter landeinwärts erbaut wurde. Er sucht
auch dies durch ein Sinken des Landes zu erklären. Es gehört
aber wohl nur eine geringe Änderung in den Wind- und Strö-
mungsrichtungen hinzu, um diese von beiden geschaffenen losen
Anlagerungen auch wieder zur Abtragung zu bringen. Zu der
in geschichtlicher Zeit erfolgten Hebung der Westküste Siziliens,
die ich vor 20 Jahren nachzuweisen suchte, möge noch angeführt
werden, daß die Stagnone-Insel sich bei der vom Militärgeogra-
phischen Institut in Florenz 1896 vorgenommenen Messung um
°i33 Q^m größer darstellte als bei der Messung von 1884, was
G. Marinelli auf wirkliche in der Zwischenzeit erfolgte Vergröße-
rung der flachen, in seichtem Meere gelegenen Insel zurück-
zuführen geneigt ist1). Auch De Lorenzo2) nimmt an, daß die
Hebung des Landes noch heute in Süd-Italien andauert.
Genauere Feststellungen über jüngste Niveauverschiebungen
liegen auch aus dem Bereich der Pontinischen Sümpfe vor. Die
von der Brandungswelle ausgewaschenen Höhlen bei Terracina
und am Kap Circeo, besonders die berühmte Ziegengrotte mit
ihren von Lithophagen durchbohrten Wänden, liefern den Beweis,
daß hier eine Hebung von etwa 10 m zu Beginn der Quartär-
zeit stattgefunden hat, infolge deren die Insel Circeo landfest
wurde und die Pontinischen Sümpfe, wie die dort bei den Ent-
wässerungsarbeiten aufgeschlossenen Ablagerungen zeigen, sich
aus einem seichten Meerbusen in ein Brackwassergebiet und schließ-
lich in Festland verwandelten, das aber seinerseits seitdem wieder
infolge einer Senkung versumpft und unbewohnbar geworden ist.
Auf eine Senkung muß man aus den Untersuchungen der Ziegen-
grotte schließen. Die bei den Entwässerungsarbeiten gemachten
1) Atti R. Ist. Veneto, T. VIII, Ser. VII, 1896/97, S. 183.
2) A. a. O. 124.
Gargäno - Apulien. 22 7
Aufschlüsse ergaben1) bei 2,10 m Tiefe unter Torf und sonstigen
Festlandsbildungen eine 1,20 m mächtige fossilreiche Brack-
wasserschicht, in 3,3 m Tiefe jüngsten fossilreichen marinen
Mergelsand.
d) Gargäno — Apulien.
Wie das Apenninenland in Mittel - Italien ein breites Vor-
land an der tyrrhenischen Seite besitzt, so in Süd-Italien an der
adriatischen.
Die geologische Geschichte des Gargäno und Apuliens, die
Beziehungen beider zum Apenninengebiet, zur Adria und zu
Dalmatien sind in den letzten Jahrzehnten Gegenstand vielseitiger
Erörterung gewesen. Der Geograph kann nicht umhin, auf diese
Frage einzugehen, da nur durch eine Klärung derselben sich das
Verständnis dieses eigenartigen Gebiets, des Einflusses, welches
dasselbe auf seine Bewohner ausgeübt hat, und seiner Zugehörig-
keit zu Italien erschließen läßt. Es handelt sich also auch hier
um einen Versuch, individuelle Züge einer Landschaft entwicke-
lungsgeschichtlich zu erklären.
Der Gargäno und Apulien sind mesozoische Schollen, welche
nach Oberflächenformen und innerm Bau vom Apenninenlande
durchaus nicht so verschieden sind, wie man lange angenommen
hat, nachdem endlich und endgültig die so lange angenommene
Gabelung des Apennin in die kalabrische und apulische Halb-
insel als nicht vorhanden erwiesen worden war. Im Gegenteil,
die im letzten Jahrfünft mit großem Eifer und Erfolg wenigstens
im großen durchgeführte geologische Erforschung des so lange
unbekannt gebliebenen neapolitanischen Apennin hat klar heraus-
gestellt, daß dort zahlreiche ähnliche mehr oder weniger tafel-
förmige Kalkschollen vorhanden sind, die sich nur durch geringere
Größe, aber bedeutendere Höhe unterscheiden. Solange man
nur den benachbarten Tertiär - Apennin und das früher er-
forschte Dalmatien zum Vergleich heranzog, schienen der Gar-
gäno und Apulien dem letztern näher zu stehen, zumal ja beide
auch durch eine inselreiche unterseeische Schwelle auf einer
Linie miteinander verbunden sind, in welcher G. Stäche die
l) R. Meli: Sopra In natura geologica delle paludi pontine.
(Estr. Boll. Soc. geol. ital., Bd. XHI.) Rom 1894.
«5*
2 28 III, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
Südküste des ehemaligen adriatischen Festlandes sieht. Man
glaubte daher den Gargäno als ein durch Bildung der Adria
von Dalmatien losgelöstes, in der Quartärzeit dann durch Hebung
mit dem Apenninenlande verbundenes Stück der dalmatinischen
Tafel ansehen zu müssen. De Giorgi meinte ein eigenes nur
noch in diesen Resten erhaltenes apulisch-garganisches Hebungs-
system annehmen zu müssen.
Der Gargäno ist eine apenninisch orientierte Kalkscholle
der Jura- und der Kreideformation, welcher nur am Südost- und
am Nordrande eocäne Kalkschichten in geringer Ausdehnung
auflagern. Er bildet ein halbes Ellipsoid, dessen aus jurassischen
Dolomiten gebildete Hebungsachse sich echt apenninisch in der
Richtung NW — SO etwa auf der Linie Varano — Mattinata er-
streckt. Die Faltung der etwa 2/3 des ganzen Gebiets bildenden
Juraschichten ist eine sehr geringe, meist liegen sie wagerecht;
die Hippuritenkalke sind am Südrande, der steilen Abbruchsseite,
stärker geneigt und fallen namentlich von Mte. S. Angelo ziem-
lich steil gegen Manfredonia ein. Der Charakter der verkarsteten,
an Dolinen reichen und selbst der Karstseen nicht, des rinnen-
den Wassers ganz entbehrenden gegen NO sanft geneigten Hoch-
fläche ist darin begründet. Auch das schien auf Dalmatien hin-
zuweisen. Heute wissen wir, daß ähnliche Gebiete im Apennin
gar nicht selten sind. E. Cortese und M. Canavari1) heben aus-
drücklich hervor, daß die Hippuritenkalke des Gargäno solchen
der Apenninen durchaus ähnlich sind. Das gleiche behauptet
der Petrograph Bucca von den Jurakalken, indem er dieselben
speziell mit denen von Giffoni Sette Casali in der Provinz Salerno
vergleicht. Ferner hat P. Moderni2) auf die Übereinstimmung
der Nummulitenformation der Majella, eines jener apenninischen
Kalkmassive, mit derjenigen des Gargäno hingewiesen, und de
Giorgi3), der beste Kenner Apuliens, hebt hervor, daß die weißen,
festen Kalke der mittlem Kreide, aus deren nur wenig geneigten,
nicht gefalteten Schichten der Alburno, ein andres dieser apen-
ninischen Kalkmassive im Gebirgslande des Cilento, aufgebaut
ist, mit den gleichaltrigen der Murgie, also Apuliens, überein -
i) Bull. Comit. geol. d'Italia 1884, Ser. II, Bd. V, S. 295.
2) Bull. Comit. geol. d'Italia 1891, Bd. XII, S. 32.
3) Ebenda Bd. XII, S. 39.
Apulien. 229
stimmen und die Kalkformation Apuliens im Alburno wiederkehrt.
Ebenso hat G. di Stefano die Tatsache betont, daß die Kreide
der Murgie keineswegs, wie behauptet worden ist, eine lithologisch
und paläontologisch von der Kreide der Apenninen verschiedene
Facies besitzt. Dazu haben neuerdings C. Viola und L. Baldacci
triassische Schichten an der Punta della Pietre Nere nördlich
von Gargäno nachgewiesen, und nach M. Cassetti1) stimmt die
konkordante Lagerung der urgonischen Kalksteine auf den Dolo-
miten im Matese, einem andern Kalkmassiv der Apenninen, und
im Gargäno überein, ebenso der allmähliche Übergang der einen
in die andern, so daß man sie nicht trennen kann. Anderseits
vermag A. Tellini2) aus seiner Untersuchung der Tremi tischen
Inseln, bei welcher er auch der Frage der Entstehung der Adria
näher tritt, keine zwingenden Gründe für die Annahme bei-
zubringen, daß diese nur einseitige Beziehungen zu Dalmatien
haben sollen. Auch ihre Pflanzen- und Tierwelt spricht nicht für
solche einseitigen Beziehungen. Eine Landverbindung Gargäno
— Apuliens über die Tremiten in der Pliocänzeit, welche M. Neu-
mayr angenommen hatte, glaubte er zurückweisen zu müssen; nur
in der Miocänzeit habe eine solche bestanden, aber mit Aus-
schluß der Tremiten. Daß sich auf dem Gargäno einige dem
übrigen Italien fehlende Pflanzen finden, wie Campanula gar-
ganica Ten., Inula Candida Guss., Vesicaria sinuata Poir., die
drüben an der dalmatischen Küste verbreitet sind, kann nicht be-
sonders auffallen bei der räumlichen Nähe, der Verknüpfung
durch Luft- und Meeresströmungen und der völligen Überein-
stimmung von Klima und Boden, welch letztere im zunächst
liegenden Tertiär - Apennin nicht vorhanden war, während die
weiter entfernten apenninischen Kalkmassive sich bezüglich des
Klimas recht wesentlich unterscheiden. Die vereinzelt in Apulien
vorkommende Knopperneiche (Quercus Aegilops L.), die sonst
in Italien ganz fehlt, aber das östliche Mittelmeergebiet kenn-
zeichnet, kann wegen der wertvollen Eichelbecher dort ein-
geführt sein.
Wir glauben uns daher nach dem heutigen Stande der Er-
forschung dahin aussprechen zu sollen, daß der Gargäno und
1) Bull. Comit. geol. d'Italia 1893, S. 333.
2) Ebenda 1890, Bd. XXI, S. 442.
2jO HI, I. Zur Entwicklungsgeschichte der Apenninen-Halbinsel.
Apulien Teile des vormiocänen Apennin sind und sich zu dem-
selben ähnlich verhalten wie Malta zu Sizilien oder der von der
Faltung des schweizerischen Jura nur noch in geringem Maße er-
griffene und daher die etwas öden Hochflächen der Franche
Comte bildende Gürtel an der Außenseite desselben. Ein System
apenninischer Brüche trennte dann diesen altern wenig gefalteten
Außengürtel vom Apennin, dessen letzten nacheocänen ent-
scheidenden Bewegungen gegenüber sich derselbe als starre Scholle
verhielt, ja auf welchen stellenweise die jüngsten Falten geradezu
hinaufgeschoben wurden1). Auf der Kreuzung von Längs- und
Querbrüchen am Rande der oben erwähnten bis ins Quartär hinein
vom Golf von Tarent zur Bucht von Vasto führenden Meerenge
entwickelte sich dann die verhältnismäßig kurzlebige vulkanische
Tätigkeit des Vultur. Die apulische Ebene liegt da, wo sich die
beiden nach den Golfen von Tarent und von Kampanien führen-
den pliocänen bis ins Quartär erhaltenen Meerengen vereinigten.
Die Trennung des Gargäno von Apulien reicht also bis in die
Pliocänzeit zurück. Im Miocän war Apulien Festland, im Pliocän
war dasselbe teilweise untergetaucht, namentlich gegen die Meer-
enge hin, da dort bei Gioja del Colle noch in einer Höhe von
360 m Pliocänschichten erhalten sind. Ja in 400 — 500 m Höhe
kommen bei Matera noch postpliocäne marine Ablagerungen vor2).
Daß Apulien an den jüngsten Bewegungen der Apenninen nicht
teilgenommen hat, dafür spricht wohl auch die von de Giorgi
hervorgehobene und sich auch aus einer von uns veröffentlichten
Erdbebenkarte von Italien3) sofort ergebende Tatsache, daß das-
selbe keinen eigenen Erdbebenherd besitzt, verhältnismäßig selten
heimgesucht wird und daß diese dann stets ihren Ausgangspunkt
außerhalb, aber viel seltener im Apenninenland als im ionischen
Einbruchskessel haben. Wir glaubten daher die ganze eigen-
artige Stellung Gargäno — Apuliens am besten zu kennzeichnen, in-
dem wir es als adriatisches Apenninenvorland bezeichneten.
Der Werdevorgang des Halbinsellandes Italien ist also ein
recht verwickelter. Die Achse desselben scheint sich im allge-
meinen nach Osten verschoben zu haben. Der älteste Teil lieart
1) Deecke, 5. Jahresbericht der Geogr. Ges. zu Greifswald 1890 — 93,
S. 96.
2) De Lorenzo a. a. O., S. 89.
3) Länderkunde von Süd-Europa, S. 326.
Kalabrien.
231
unter den Wogen des Tyrrhenischen Meeres versenkt, nur noch
Trümmer ragen auf. Dieses archäische Italien trägt aber im
Süden noch größere Reste des mesozoischen; am Aufbau Mittel-
Italiens sind Jura- und Kreidegesteine, an demjenigen Süd-Italiens
und Siziliens in unerwartet großer Ausdehnung triassische betei-
ligt, während in dem entsprechend verschmälerten Nord -Apennin
nur noch der vorwiegend aus Flyschgesteinen aufgebaute tertiäre
Außengürtel erhalten ist, der aber, von geringen Resten abgesehen,
nur in Kalabrien unterbrochen, von Piemont bis zur Westspitze
Siziliens reicht und erst durch eine sehr junge Hebung das ganze
Apenninenland zu einem orographisch und geologisch zusammen-
hängenden Gebiet gemacht hat.
2. Zur Hydrographie von Kalabrien.1)
Die furchtbaren Verheerungen, welche zu Beginn des Früh-
jahrs 1895 die Flüsse des südlichen Schwarz- und Wasgenwalds
angerichtet haben, allen voran die Dreisam in Freiburg, sind wohl
in erster Linie auf die für Mitteleuropa in der Tat ganz un-
gewöhnlich hohen Niederschläge in kurzer Zeit zurückzuführen,
deren Wirkung die gerade dort noch ziemlich günstige Wald-
bedeckung um so weniger aufzuheben vermochte, als im Gebirge
gefrorener Boden und schmelzender Schnee hinzukam. Man wird
sich aber aus diesem Vorkommnis sofort eine Vorstellung von
der furchtbar verheerenden, umgestaltenden Wirkung machen
können, welche so bedeutende, in kurzer Zeit fallende Regen in
einem Lande erzielen müssen, in welchem sie keine seltene Aus-
nahme sind, Waldlosigkeit und bewegliche, vorher in langer regen-
loser Zeit ausgetrocknete und tief aufgerissene Böden vorherrschen.
Diese Bedingungen sind mehr oder weniger überall in den Mittel-
meerländern, am meisten allerdings im mediterranen Spanien und
in Italien, dort wieder im höchsten Maße in Kalabrien erfüllt.
Kalabrien ist dasjenige Land, dessen ganzer Charakter, nament-
lich seine Oberfiächengestalt, dessen Rolle in der Geschichte seit
griechischer Zeit, dessen Bewohner am meisten im ganzen Mittel-
meergebiet durch die Eigenart, welche Bodenbeschaffenheit und
I) Aus allen Weltteilen, Jahrg. XXVH, [895.
2^2 III, 2. Zur Hydrographie von Kalabrien.
Klima seinen Flüssen verlieh, Entwaldung verschärfte, beeinflußt
worden ist. Es dürfte kaum ein Land der Erde von gleicher
Ausdehnung geben, dessen Flüsse in solchem Maße jedes Kultur-
wertes entbehren, ja geradezu neben den Erdbeben und der mit
ihnen eng verbundenen Malaria zu den schädlichsten Faktoren
der Landesnatur gehören. Keiner von ihnen ist schiffbar, ja,
wie mehrfach wiederholte Versuche gezeigt haben, nicht einmal
zum Flößen von Holz, schneide man es auch noch so kurz,
brauchbar; wenige vermögen gewerbliche Triebkraft oder Wasser
zu künstlicher Bewässerung zu liefern, eben weil sie den größten
Teil des Jahres wasserarm oder wasserlos sind, alle dagegen er-
schweren den Verkehr, indem sie entweder das gebirgige Land
tief durchschluchtet haben oder in breiten Betten dahinfließen,
deren Geröllmassen keine Brücke dulden, bei rascher Aufhöhung
des Bettes das angebaute Land der Flußtäler und Küstenebenen
überschütten oder versumpfen, die Siedelungen an der Küste zer-
stören oder durch Fieber unbewohnbar machen.
Sie ziehen nicht etwa wie in Mitteleuropa den Menschen an,
der sich dort mit solcher Vorliebe an ihnen niederläßt, daß kaum
eine größere Siedelung abseits eines Flusses zu denken ist, nein,
sie scheuchen ihn von sich weg, weil sie durch ihre Unbeständig-
keit und Geröllführung keine gewerbliche Anlage, überhaupt kein
Menschenwerk dulden und meist die Täler durch Malaria ver-
pesten. Weg von den Flüssen auf die Höhen, welche reine Luft
und natürlichen Schutz bieten, flüchtet sich der Mensch, nur
Quellen bestimmen wohl hie und da den Ort, wo er sich nieder-
läßt, z. T. allerdings in solchem Maße, daß das Gebundensein
der sehr zahlreichen albanesischen Kolonien in Kalabrien an
Quellen geradezu sprichwörtlich ist.
Alle Flüsse Kalabriens haben sehr bedeutendes Gefälle, da
Kalabrien durch und durch Gebirgsland mit, im Vergleich zur
geringen Breite der Halbinsel, recht bedeutenden Höhen ist.
Höhen von mehr als 2000 m finden sich zwar nur an der Nord-
grenze, wo die Jurakalkkette des Mte. Pollino im Dolcedorme
mit 2271 m nur 28 km vom Ionischen, 34 km vom Tyrrhenischen
Meere gipfelt, aber in der Sila erreicht der Botte Donato auch,
nur 34 km vom Tyrrhenischen Meere, im Süden im Aspromonte
der Montalto nur 18 km vom Meere, fast volle 2000 m. Durch
die geringen Meerfernen und die Abdachung der Halbinsel an-
Der geologische Aufbau Kalabriens. 2 3 3
nähernd gleichmäßig zu beiden Meeren wird zugleich eine Viel-
zahl lauter kleiner gefällreicher Flüsse bedingt. Der einzige Crati
erreicht dadurch, daß er an ein annähernd der Erstreckung der
Halbinsel paralleles Bruchsystem gebunden ist, die für Kalabrien
auffallende Länge von 93 km und ein Flußgebiet von 2300 qkm.
Diese übereinstimmenden Züge treten bei allen kalabrischen
Flüssen bald mehr, bald weniger hervor und fehlen nur kürzeren
Strecken ihres Laufes. Dies wird von den petrographischen Ver-
hältnissen bedingt. Diese, im Verein mit der Entwaldung und
dem Klima bestimmen auch, ob das rinnende Wasser örtlich das
Land rascher oder weniger rasch abträgt. Am raschesten voll-
zieht sich die Abtragung, am größten ist die Geröllführung der
Flüsse, die Auf höhung und Versumpfung der Täler, die An-
schüttung an der Küste im Tertiärland. Kalabrien besteht be-
kanntlich, wie die nunmehr glücklich durchgeführte geologische
Aufnahme namentlich durch den trefflichen E. Cortese mit voller
Schärfe zu erfassen erlaubt, aus zwei großen archäischen Inseln,
welche erst im Laufe der Quartärzeit durch eine nach Süden
hin immer intensiver werdende Hebung an der Landenge von
Catanzaro miteinander (wieder) verbunden worden sind: das Sila-
und das Serra-Aspromonte-Massiv. Von jeder derselben ist an
der tyrrhenischen Seite ein Stück als Halbinsel abgegliedert, die
tyrrhenische Küstenkette Mittelkalabriens und die Halbinsel des
Kap Vaticano. Wie die Landenge von Catanzaro nur aus jung-
tertiären und quartären Ablagerungen aufgebaut ist, so sind auch
die ehemaligen jene Halbinseln abgliedernden Meerbusen, die wir
heute als Crati- und als Mesima-Tal bezeichnen, mit eben solchen
gefüllt. Dazu lagert sich an der ionischen Seite der Halbinsel
von der Meerenge von Messina bis zum Golf von Tarent ein bald
breiterer, bald schmalerer, aber namentlich an der Ostseite der
Sila zu einem breiten, niederen Vorlande entwickelter, vorwiegend
pliocäner Gürtel an, der aus den Trümmermassen der abgetragenen
archäischen Schollen gebildet ist. Nur an der Nordgrenze Ka-
labriens, an der Nordostseite der Pollinokette bilden vorwiegend
eocäne Schichten ein ausgedehntes Tertiärland, das Gebiet des
Sinni. Aber ob älteres oder jüngstes Tertiär, gebildet sind diese
Schichten überall zum bei weitem größten Teil von Sanden,
Konglomeraten, weichen Schiefern, Mergeln und Tonen, zum Teil
den echten, so berüchtigten Schuppentonen des Apennin, zum
234 ^*> 2* ^ur Hydrographie von Kalabrien.
Teil ihnen ähnlichen Tonen, also lauter leicht zerstörbaren Ge-
steinen. In diesen Gebieten geht die Abtragung außerordentlich
rasch vor sich, Bergschlipfe sind sehr häufig, ganze Hänge setzen
sich, durch die lange Trockenheit des Sommers in tiefen Spalten
aufgerissen, in die das Wasser der Winterregen eindringt, in Be-
wegung, die Flüsse werden zu Schlammströmen, welche unge-
heuere Massen Feststoffe langsam vorwärts schieben, die zwischen
den Tonschichten eingeschalteten dünnen Kalkschichten vermögen
keinen Halt zu bieten, sie lösen sich in Kalkbrocken auf, welche
über die Tonflächen gesäet den Anblick noch unerfreulicher
machen. Selbst Anbau und Wiederbewaldung solcher Gebiete ist
schwierig, da die Wurzeln der Pflanzen immer wieder zerrissen
werden. Nur mächtigere Decken von (Nummuliten-)Kalkstein oder
von festeren Sandsteinen schützen und schaffen in luftigen Höhen
sicheren Baugrund für die Siedelungen. Da diese Gesteine aber
hier in hohem Grade durchlässig sind, so erodieren die unter
ihnen zutage tretenden Quellen die Tone um so kräftiger, so daß
diese festen Decken an den Rändern abbrechend sich langsam
verkleinern. Breite, flache Täler, in welchen sich die Flüsse für
gewöhnlich in zahlreichen dünnen Fäden in bis zu i km breitem,
gelegentlich sogar noch breiterem, Geröllbette dahinschlängeln,
herrschen in diesen Tertiärgebieten vor.
Fiumara, was wir deutsch etwa durch Geröllstrom ausdrücken
können, ist die in Kalabrien und Nordost- Sizilien für solche
Flüsse gebräuchliche Bezeichnung.
Nicht selten liegt das Flußbett auf längere oder kürzere
Strecken ganz trocken, das Wasser ist unter dem Geröll ver-
schwunden, um dann an einem unterirdischen Hindernisse wieder
hervorzutreten. In den Küstenebenen verändern dabei die Flüsse
ihren Lauf infolge Aufhöhung ihres Bettes beständig, sie über-
schütten das angebaute kostbare Land mit Geröll, zerstören Ort-
schaften, Straßen, Eisenbahnen und Brücken und schaffen in den
zwischen den Geröllanhäufungen bleibenden Vertiefungen, die
sich mit stagnierendem Wasser füllen, die gefährlichsten Malaria-
herde. Der Bau von Straßen und Eisenbahnen ist daher in
Kalabrien sehr schwierig und kostspielig, Unterhaltung und Be-
trieb verursacht, ganz abgesehen von der Malaria, welche auch
noch zu besonderen Aufwendungen für die Beamten zwingt, un-
unterbrochen große Kosten. Bei der Ungunst der Küsten, die
Flüsse und geologischer Aufbau des Landes. 2^\
eigentlich keinen einzigen natürlichen Hafen aufweisen, ist aber
das Vorhandensein guter Straßen um so wichtiger. Schon aus
strategischen Gründen mußte Italien die tyrrhenische Küstenbahn
bauen, so ungeheure Kosten namentlich die zahllosen Fiumaren,
die zu überschreiten sind, verursachen: ist die ionische Küsten-
bahn durch den Ausbruch eines Geröllstroms unterbrochen, so
darf man hoffen, daß die tyrrhenische brauchbar ist und um-
gekehrt.
Wie rasch sich die unteren Täler auf höhen, erkennt man
am Crati, der zwar ein für seine Größe mächtiges Delta in den
Golf von Tarent vorschiebt, aber dabei durch die Ebene hin und
her irrend noch die Trümmer des alten Sybaris, wie die vor-
genommenen Untersuchungen ergeben haben, unter einer 12 — 15 m
mächtigen Geröllschicht vergraben hat. Ein weites Sumpfgebiet
ist nicht nur an seiner Mündung, sondern auch dort, wo er den
Coscile und wiederum wo dieser den Esaro aufnimmt, entstanden.
Der Esaro fließt nicht mehr unter der schönen Steinbrücke hin-
durch, in welcher ihn die große kalabrische Straße überschreitet,
man hat eine Notbrücke über den neuen Lauf bauen müssen.
Und ähnlich der Coscile.
So sind diese Tertiärlandschaften Kalabriens dem Verkehr,
dem Anbau und der Besiedeiung wenig günstig, sie machen einen
öden, abschreckenden Eindruck, der durch die vorherrschend
bunte Färbung dieser Schichten nicht gemildert wird. Nicht viel
besser aber ist es in den Gebieten der einen großen Teil der
archäischen Schollen bildenden alten Schiefer.
Grundverschieden verhalten sich die Flüsse in dem festen
Gestein des Archäischen, besonders in den in der Sila und der
Serra verherrschenden Graniten, wie in den mesozoischen Kalken
an der Nordgrenze von Kalabrien. Die Sila ist der Oberflächen-
gestalt nach unserem Harz zu vergleichen, eine steil aus dem
sie fast rings umlagernden tertiären Gürtel aufsteigende, groß-
wellige Hochfläche von 1200 — 1300 in mittlerer Höhe und sanften,
runden, sich mit geringer relativer Höhe darüber erhebenden
Gipfeln, übermäßig entwaldet, z. T. mit Roggenfeldern bedeckt,
die hier, eine für Italien höchst auffallende Erscheinung, den Be-
wohnern das Brot liefern, noch mehr Weideland und nur im
Sommer in weithin verstreuten, den Hirten als Wohnung und zur
Käsebereitung dienenden Einzelhäusern bewohnt. Mühsam steigt
236 HI, 2. Zur Hydrographie von Kalabrien.
man auf die Hochfläche hinauf, wie ja auch die Harzanwohner
„auf den Harz gehen" zu sagen pflegen, oben bieten sich keine
Schwierigkeiten mehr. Dort fließen die Flüsse, in dem auch hier
wasserreichen Granitgebiet von Quellen gespeist, langsam in breiten,
flachen Tälern dahin, die sich aber gegen den Rand des Ge-
birges hin rasch in enge, wilde, nicht selten unzugängliche Ero-
sionsschluchten verwandeln, in welchen sie sich, der Bode unseres
Harzes vergleichbar, über übereinander getürmte Granitblöcke
schäumend und brausend herabstürzen, um dann im Tertiärland
den oben geschilderten Charakter anzunehmen. Ähnlich verhalten
sich die Flüsse des Kalkgebiets, von denen der Lao als Muster
dienen kann. Derselbe sammelt seine Gewässer in dem pliocänen
Seebecken von Rotonda, das er entwässert hat, sein Gebiet be-
steht aber fast ganz aus festen Triaskalken, in welche er und
seine Zuflüsse enge Erosionsschluchten eingeschnitten haben, die
das ganze wild zerrissene Gebiet so unwegsam machen, daß hier
noch heute die herrlichsten Wälder mächtiger Buchen im Urwald-
zustande verharren. Ähnlich hat der nördlich vom Crati mün-
dende Raganello in die Jura- und Kreidekalke der Pollinokette
einen 13 km langen, bis 800 m tiefen Canon eingeschnitten.
Nicht selten weisen die Flüsse Kalabriens, während sie in ihrem
ganzen Laufe durchaus den Charakter der Fiumaren tragen, auf
kurze Strecken, wo sie eben feste Gesteine zu durchnagen hatten,
enge Täler auf. Man kann aus den Meßtischblättern förmlich
die geologischen oder petrographischen Verhältnisse herauslesen.
So hat der Crati auf 6 km zwischen Tarsia und Terranova di
Sibari ein Engtal in auftauchende archäische Gesteine einge-
schnitten, die nach dem Rückzug des Pliocän- und Quartärgolfes
noch lange Zeit einen See aufstauten.
Die Entwaldung eines so gebirgigen Landes, wo also überall
geneigte Hänge vorherrschen, mußte die zerstörende Wirkung,
welche in Felsarten von geringer Widerstandsfähigkeit plötzlich
und in gewaltigen Güssen nach langer, regenloser Zeit einsetzende
Regen hervorbringen mußten, noch außerordentlich steigern. Diese
Entwaldung vollzog sich auch hier ursprünglich wohl in sozusagen
normaler Weise, um den Anforderungen der sich verdichtenden
Bevölkerung zu genügen. Sie steigerte sich aber im ganzen
Mittelalter und bis ins 19. Jahrhundert dadurch, daß durch die
Unsicherheit der Küsten, die unablässig Überfälle von Seeräubern
Abtragung des Landes. 237
erlitten, die Bevölkerung, die in der besten Zeit Groß-Griechen-
lands dichtgedrängt gerade an den Küsten gesessen hatte, ins
Innere und auf die Berge zurückgedrängt wurde, und dann die
infolge der damit zusammenhängenden Verwahrlosung der Wasser-
läufe gerade im Küstengebiet am furchtbarsten einsetzende Malaria
noch weiter in gleichem Sinne wirkte. Es wurden nun, ähnlich
wie vielfach im türkischen Reiche infolge der Bedrückung der
Christen, die Gebirge immer mehr besiedelt, immer mehr ange-
baut und dafür entwaldet. Es schreitet die Entwaldung aber
noch heute, nicht zum Ruhme des jungen Königreichs, in ver-
hängnisvoller Weise fort. Cortese, dieser beste Kenner Kalabriens
unter allen jetzt Lebenden, berichtet, daß noch heute in der
Sila die Wälder niedergebrannt werden, unter den Augen der
Forstbeamten, um Acker- oder Weideland zu gewinnen, und auf
ganzen Flächen, wie heute kaum noch im Waldlande Brasiliens,
das zur Besiedelung kommt, noch so und so lange die ange-
brannten Stümpfe gen Himmel ragen oder die Stämme umher-
liegen, so daß das Land als Wald verloren, als Ackerland aber
nicht gewonnen ist. Auch die Pechgewinnung wird in so bar-
barischer Weise betrieben, daß die Wälder daran zugrunde
gehen. Unheilvoll hat in dieser Hinsicht auch der Eisenbahnbau
gewirkt, indem der Bedarf an Schwellen und sonstigem Holz wie
die Möglichkeit auch anderweitigen Absatzes die Waldverwüstung
in Gegenden trug, in denen bisher die Wertlosigkeit des Holzes
der beste Schutz des Waldes gewesen war. Die Folgen haben
sich rasch und furchtbar bemerklich gemacht, am meisten an den
Eisenbahnen selbst. Die Abtragung der Berge, die Verwüstung
der angebauten Hänge, der Täler und Küstenebenen, die Auf-
häufung von Schutt und Geröll durch die Flüsse ist heute ärger
als jemals in ganz Kalabrien.
So zunächst im tyrrhenischen Mittelkalabrien , im Gebiete
der fauligen archäischen Schiefer, aus denen vorwiegend die
Küstenkette aufgebaut ist. Die Wasserscheide nähert sich dort,
trotzdem sie nur an wenigen Punkten unter 1000 m herabsinkt,
streckenweise dem Tyrrhenischen Meere auf 4 km. Die zahl-
losen kleinen Sturzbäche sind daher alle eifrige geologische
Arbeiter, die das Gebirge abtragen und Schuttkegel an der Küste
anhäufen, so daß man vielfach keinen anderen Ausweg gefunden
hat, als die Flüsse und Bäche in stark geneigten Betten und
2^8 III, 2. Zur Hydrographie von Kalabrien.
über Brücken über die Eisenbahn hinweg ihre Geröllmassen
ins Meer schütten zu machen. Am schlimmsten war es bei Fiume-
freddo und Longobardi, die jahrelang in der größten Gefahr
sch webten. Dort brechen zahlreiche Quellen am Fuße der mehr
als 300 m hohen Triaskalkpyramide des Monte Cocuzzo (1542 m)
hervor, die den einen einförmigen Rücken bildenden Schiefern
weithin sichtbar aufgesetzt bzw. als Denudationsrest erhalten ist.
Infolge der Entwaldung hatten dieselben unglaublich rasch immer
tiefere Täler ausgegraben und in wenigen Jahren 40 m hohe
Schuttkegel an der Küste angehäuft. Es gelang indessen in
kurzer Zeit durch Wiederbewaldung namentlich mit der rasch
wachsenden kalabrischen Bergerle (Alnus cordifolia) die Gefahr
zu beschwören.
Noch lehrreicher sind die Verhältnisse an dem durch eine
Bruchlinie gebildeten Steilabsturze des Silamassivs gegen die
kalabrische Landenge von Kap Suvero über Sambiase bis Nicastro.
Dort haben die kleinen Flüsse und Bäche in einer früheren Zeit
höherer Kultur, welche die Wälder des dahinter gelegenen Ge-
birges verzehrt hatte, große Schuttkegel aufgehäuft, welche heute
herrliche Haine alter Ölbäume und Weinpflanzungen tragen. Beim
Rückgang der Kultur hatte sich das Gebirge von selbst wieder
mit Wald bedeckt, die Geröllführung der Flüsse hatte sich so
vermindert, daß dieselben vielmehr in die Schuttkegel tiefe
Schluchten eingerissen hatten, etwa wie die Ötztaler Ache in den
das ötztal vom Inntal absperrenden Diluvialwall. Als in neuester
Zeit die Waldverwüstung wieder begann, erwachte auch die Wut
der Gießbäche von neuem. Die Fiumara von Sambiase hat nicht
nur die Schlucht ausgefüllt, sondern mit ihrem an der Basis 3 km
breiten Schuttkegel die Olivenbäume und Weinpflanzungen zu
überschütten angefangen und bedrohte selbst die vorher hoch
über dem Becken des Flusses gelegenen warmen Bäder von
Sambiase, die nur durch Schutzbauten erhalten wurden. Ebenso
die Fiumara Piazzi, die bei Nicastro aus dem Gebirge tritt. Die-
selbe führte wieder Blöcke bis zu 6 cbm Inhalt aus dem Gebirge
herab, türmte einen 5 km langen und an der Basis 2 km breiten
Schuttkegel auf und zerstörte die Vorstadt Terravecchia von
Nicastro, indem sie die Häuser teils wegriß, teils bis zum ersten
Stockwerk begrub. Durch kostspielige Eindämmung, noch mehr
aber durch Wiederbewaldung des Gebirges ist es auch hier ge-
Veränderungen an der Küste. 2 3Q
lungen, die Gießbäche zu zähmen. Schon heute wälzen dieselben
nur noch wenig Geröll, sie schieben ihre Schuttkegel nicht allein
nicht mehr vor, sondern haben bereits wieder begonnen, ihre
Betten in dieselben einzuschneiden.
Aber gehen wir weiter nach Süden, so hat die Fiumara
Molaro, die ganz nahe östlich vom Kap dell' Armi mündet, ein
verhältnismäßig kleiner Wasserriß, der nur etwa 8 km ins Innere
gegen den Aspromonte hinauf reicht, dessen Gebiet aber ganz
dem Tertiär und den archäischen Schiefern angehört, an der
Küste in der Regione Saline einen so ungeheuren Schuttkegel
aufgehäuft, daß derselbe eine Kirche und viele Häuser vergraben,
ja ganze Hügel miocäner Tone und Kalke bedeckt hat. Schon
bedroht sie die dicht am Meeresufer entlang geführte Eisenbahn.
Schon mancher von den Agrumenhainen, die hier bei Reggio in
paradiesischem Gürtel den Fuß des den größeren Teil des Jahres
schneebedeckten, befruchtende Wasser herabsendenden Aspro-
monte umsäumen, ist der Wut der Gießbäche zum Opfer gefallen.
Kostspielige Mauern vermögen auf die Dauer nicht zu schützen,
nur die Wiederbewaldung der abschreckend öden, wildzerrissenen
Landschaft, die sich unmittelbar hinter und über dieser Huerta
ausdehnt, wird dies vermögen.
Besondere Beachtung verdient bei der gerade bei Reggio
greifbaren gewaltigen Geröllanschüttung an der Küste die durch
Cortese hervorgehobene Erscheinung, daß dort die Küste nicht
allein nicht vorrückt, sondern vom Meere abgetragen wird, jeden-
falls zurückweicht. Dort, wo heute der Landeplatz von Reggio
ist, lag vor kurzem noch eine Küstenbefestigung, und das an der
Südwestecke von Reggio gelegene Forte a mare, um welches man
noch 1848 ringsherum gehen konnte, ist heute zur Hälfte zer-
stört, die Mauern sinken ins Meer. Das Mitte der achtziger Jahre
erbaute Schlachthaus ist bereits vom Meere zum Teil zerstört,
das schon seine Fundamente angreift. Auch die Eisenbahn ist
bedroht. Cortese will diese Erscheinung auf ein Sinken des
Landes zurückführen. Vielleicht ergeben sorgsame Beobachtungen,
daß es sich nur um örtliches Gleiten der angelagerten Geröll-
massen handelt, was in einem so oft von Erdbeben erschütterten
Gebiet und bei der Steilheit der unterseeischen Böschung —
kaum 3000 m vom Strande von Reggio lotet man 600 m — nicht
auffallen kann. Auch die Veränderungen, welche Cortese, der
2A.O III, 2. Zur Hydrographie von Kalabriea.
für die ganze tyrrhenische Küste Kalabriens eine noch vor sich
gehende Hebung glaubt erweisen zu können, an der Farospitze
Siziliens feststellt, möchte ich nur aus der bald an-, bald abspülen-
den Tätigkeit des Meeres erklären. Ich habe früher ein An-
wachsen der Farospitze unter dem Einflüsse der Strömungen fest-
zustellen gesucht und namentlich nach messinesischen Gewährs-
männern auf die Tatsache hingewiesen, daß mehrfach der Leucht-
turm weiter vorgerückt werde. Cortese erklärt, ohne aber einen
Beweis dafür zu bringen, die zwei niedrigen alten Rundtürme,
von denen der eine südlich, der andere westlich vom heutigen
Leuchtturme steht, seien zu Telegraphen- und Signalzwecken be-
stimmt gewesen. Jedenfalls ist aber nicht daran zu zweifeln, daß
nach Corteses bis 1880 zurückreichenden fast jährlichen Be-
obachtungen — die meinigen fallen Mitte der siebenziger Jahre
— hier das Land heute im Zurückweichen begriffen ist.
Wir sehen somit, daß, abgesehen von sehr kurzen Strecken
jedes Strandes, jeder jungen Anlagerung entbehrender Steilküste,
die sich aber, höchst bedeutungsvoll, nur an der tyrrhenischen
Seite der Halbinsel finden, die Flüsse Kalabriens seit der Plio-
cänzeit schon, rascher, energischer aber aus den angeführten
Gründen, in geschichtlicher Zeit, namentlich im Mittelalter und
in der Neuzeit dem Inneren des Landes entnommene Geröll-
massen an der Küste, die wir also mit Philippson eine thalassogene
Schwemmlandküste nennen würden, ablagern, wo sie die (Strömung
und) Brandung zum Teil weiter schiebt. Dadurch wurden die
Küstenlandschaften verwüstet und verseucht, die Küste dem Ver-
kehr immer ungünstiger gestaltet, die Seeräuber halfen nur noch
alles Leben ins Innere zurückdrängen. Kalabrien war dadurch
ein verschlossenes Land geworden, es ist dies auch noch heute,
obwohl die Sicherheit und die Eisenbahn die Bewohner von den
Bergen herab an die Küste zieht. Es wird die Arbeit vieler
Geschlechter und ungeheure Kosten erfordern, um diese Ungunst
der Natur durch Wiederbewaldung, Regelung der Wasserläufe
und Schaffung von Häfen mit Erfolg zu bekämpfen.
IV. Versuch einer wissenschaftlichen
Urographie der Iberischen Halbinsel.1)
i. Geschichtlicher Überblick.
Die Iberische Halbinsel gehört nächst der südosteuropäischen
zu denjenigen Länderindividuen zweiter Ordnung des Erdteils
Europa, deren geographische Erforschung und wissenschaftliche
Darstellung nur in sehr geringem Maße den Anforderungen und
dem heutigen Standpunkt unserer Wissenschaft entspricht. Die
Grundlage jeder wissenschaftlichen Landeskunde, die Bodenplastik,
ist uns dort nur in rohen Umrissen bekannt, denn die topo-
graphische Aufnahme, so treffliche Karten sie in Spanien liefert,
umfaßt erst einen sehr kleinen Teil des Hochlandes von Neu-
Kastilien und auch noch nicht ganz Portugal, hat aber schon
den Beweis erbracht, daß mit dem Fortschreiten der Aufnahmen
unsre Vorstellungen über die Oberflächenformen der Halbinsel
nicht nur in den feinern Modellierungen wesentliche Berichti-
gungen erfahren werden'2). Die geologische Durchforschung, die
allein das Verständnis der Oberflächenformen, eine wissenschaft-
liche Erfassung und Gruppierung derselben ermöglicht, ist zwar
so ziemlich für die ganze Halbinsel durchgeführt, und ihre Er-
gebnisse liegen sogar in einer die ganze Halbinsel darstellenden
geologischen Karte in dem großen Maßstab von i : 400 000 ver-
anschaulicht vor3), aber bei näherer Prüfung zeigt sich, wie jeder
1) Zuerst erschienen in Peterm. Mitt. 1894 mit einem Profil und einer
bodenplastischen Kartenskizze.
2) Vgl. Vogel in Peterm. Mitteil. 1888, S. 300.
3) Mapa geologico de Espafia, que per orden del ministerio de fomento
ha formado y publica la Comision de ingenieros de minas, creada en 28. de
marzo de 1873 bajo la direcciön del inspector general Sr. Don Manuel Fer-
Kischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. l6
242
IV, I. Geschichtlicher Überblick.
Kundige bei dem Gegensatz zwischen der Größe der Aufgabe
und der zu ihrer Lösung zur Verfügung stehenden Zeit, Kräften
und Mitteln von vornherein erwarten wird, daß es sich, so große
Anerkennung das Geleistete auch verdient, doch um kaum mehr
als um eine geologische Rekognoszierung handelt. Namentlich
der Tektonik, auf welche es für das Verständnis der Boden-
plastik zunächst ankommt, haben begreiflicherweise als dem schwie-
rigsten, langjährig geschulte Kräfte erfordernden Teile der Auf-
nahme nur einzelne Forscher, überwiegend Fremde, in erwünschter
Weise Aufmerksamkeit geschenkt. Ein ganzes wichtiges Gebirge,
das von uns sogenannte Katatonische Bruchgebirge, bezeichnet
hinsichtlich seiner Tektonik und seiner Stellung in der geologischen
Literatur eine absolute Lücke. Immerhin ist aber die Einzel-
forschung so weit gediehen, daß man den Versuch wagen kann,
die Einzelerscheinungen auf wissenschaftlicher Grundlage zu Grup-
pen und Systemen zu ordnen und überhaupt ein naturwahreres
Bild der Oberflächenformen der Halbinsel zu entwerfen. Vor
allem gilt es dabei, die bisher gebrauchten Namen auf ihre Be-
deutung und Berechtigung zu prüfen und die darin teilweise
herrschende Verwirrung zu klären1).
Wenn wir unsern eignen Versuch aus frühern geschichtlich
entwickeln wollen, so ist darauf hinzuweisen, daß schon Albrecht
v. Roon2) 1838 ein klares, später wieder vielfach verdunkeltes
Bild der Oberflächenformen in großen Zügen entworfen hat, frei-
nandez de Castro. Madrid 1889. Es sind zwei Ausgaben, eine in iö Bl.
und eine in 64 Bl., dazu eine Übersichtskarte in 1:1500 OOO erschienen.
Außerdem stehen in den Memorias und dem Boletin de la Comision del
Mapa geolögico de Espana geologische Karten aller spanischen Provinzen bis
auf Lerida und Leon, auch meist in 1 : 400 000 zur Verfügung.
1) Der Verfasser hat einen solchen Versuch bereits gemacht in seiner
Länderkunde von Südeuropa in „Unser Wissen von der Erde", herausgegeb.
von A. Kirchhoff, Bd. III, Abteil. 2, S. 557 ff. Hier handelt es sich um
eine Weiterführung und -wissenschaftliche Begründung des dort Gegebenen,
zu welcher letztern dort kein Raum war. Auch lag dem Verfasser daran,
seinen Versuch in einer der ganzen wissenschaftlichen Welt zugänglichen
Zeitschrift einer Prüfung zu unterbreiten und so hoffentlich durch Hinweis
auf die Lücken und verschiedene einer Klärung noch recht bedürftige Fragen
einem weitern Ausbau entgegenzuführen.
2) Grundzüge der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 2. Abteil., 2. Aufl.,
S. 666 ff. Berlin 1838, und: Die Iberische Halbinsel. Eine Monographie
aus dem Gesichtspunkte des Militärs. Berlin 1839.
A. v. Roons, K. Ritters, M. Willkomms Einteilung.
243
lieh, dem damaligen Stande der Wissenschaft und der Forschung
entsprechend, ohne wissenschaftliche Begründung. Er unterscheidet
rein orographisch das Tafelland, welches aus drei übereinander
aufsteigenden und sich nach O hebenden Stufenlandschaften, dem
Andalusischen Tieflande, dem Neu- und dem Altkastilischen
Plateau, besteht und an welches sich als halbinselartige Gebirgs-
zungen die Pyrenäen und das Oberandalusische Gebirgsland an-
gliedern. Er spricht schon von einem erhöhten Ostrande des
Tafellandes, der durchaus keine wallartige Gebirgskette bilde und
mit Unrecht in Kompendien und auf Karten als Iberische Ge-
birgskette gezeichnet werde. Er setzt denselben in enge Be-
ziehungen zum kastilischen Scheidegebirge. Die Pyrenäen „ge-
hören ganz wesentlich dem Iberischen Hochlande an". K. Ritter1),
in so hohem Maße er sich auch da als Meister plastischer Schilde-
rung bewährt, zeigt keinen wesentlichen Fortschritt gegen v. Roon.
In noch höherm Grade auf Selbstsehen beruht Moriz Willkomms 2)
orographische Einteilung der Halbinsel, die sich auch die Syste-
matiker, namentlich die deutschen, mit Vorliebe angeeignet haben,
wie Willkomm seinerseits selbstverständlich von den einheimischen
Systematikern beeinflußt worden ist. Auch bei ihm fehlt aus den
gleichen Gründen wie bei v. Roon die wissenschaftliche Begrün-
dung. Willkomm spricht bereits vom zentralen Tafelland und
von peripherischen Stücken; mit dem Tafellande stehen oro-
graphisch in Verbindung die Pyrenäische und die Bätische Berg-
terrasse. Jene hat ehemals an ihrem jetzt freien Ende mit dem
nordöstlichen Teile des Tafellandes, diese mit dem Hochlande
Nordafrikas zusammengehangen. Willkomm hat weiter schon er-
kannt, daß das zentrale Tafelland sich in mehreren stufenartigen
Absätzen zu dem Binnenbecken von Aragonien und zur Küsten-
ebene um den Golf von Valencia senkt. Freilich nimmt er das
Gleiche auch gegen Süden an, wie auch K. Ritter von einem
die ganze Halbinsel zwischen 38 und 590 N. Br. von O nach
W durchsetzenden Gesamtzuge spricht. Er unterscheidet dem-
entsprechend sechs voneinander fast unabhängiger Gebirgssysteme:
das Pyrenäische, das Iberische oder das östliche Randgebirge des
1) Europa. Vorlesungen, herausgegeb. von H. A. Daniel, S. 321 ff.
Berlin 1863.
2) Das Pyrenäische Halbinselland (Wappaeus, Handbuch der Geographie
und Statistik, Bd. III, Abteil. 2, 7. Aufl. Leipzig 1862— 71).
10*
24.4 ^"' lm Geschichtlicher Überblick.
Tafellandes, das zentrale System oder das Kastilianisch-Leone-
sische Scheidegebirge, das Gebirgssystem von Estremadura, das
Marianische System oder das südliche Randgebirge des Tafel-
landes, das Bätische System. E. Reclus1) zeigt Willkomm gegen-
über keinen wesentlichen Fortschritt, in Einzelheiten sogar einen
Rückschritt. Er unterscheidet das zentrale Tafelland, das aus
zwei durch einen Wall, für welchen er keinen zusammenfassenden
Namen hat, da er die Bezeichnungen Karpeto-Vetonisches System
und Sra. de Guadarrama gleichsetzt, voneinander getrennten
Stufen, tertiären Seebecken, besteht. Es wird im Norden von
den Kantabrischen Pyrenäen begrenzt; dem erhöhten Ostrande,
wie den Gebirgen Andalusiens gibt er keinen zusammenfassenden
Namen. Die Ketten, in welchen die Quellen des Guadiana, Se-
gura und Guadalimar liegen, bilden nach ihm den Beginn der
Sra. Morena, die an einer andern Stelle als erhabener Rand des
Tafellandes von Kastilien bezeichnet wird. Die einheimische
rein geographische Forschung — wir sehen hier von den zum
großen Teil ausgezeichneten geodätischen und topographischen
wie von den geologischen Arbeiten ab — ist der Entwicklung
unsrer Wissenschaft in andern Ländern leider so wenig gefolgt,
daß sie das wissenschaftliche Verständnis des eigenen Landes
nur wenig zu fördern vermocht hat. Von zwei allein in Betracht
kommenden Werken entspricht das eine, welches den hochver-
dienten Geologen Fed. de Botella y de Homos zum Verfasser
hat, leider nicht den Erwartungen, welche der Titel hervorruft2).
Botella unterscheidet vier Gebirgssysteme : i. das nördliche, die
Asturisch (oder auch Kantabrisch)-Pyrenäische Kette, 2. das zen-
trale, 3. das östliche und 4. das südliche. Das zentrale System
besteht 1. aus der Cordillera Lusitano-Arevaca (unser Haupt-
scheidegebirge), 2. den Montes Carpetanos oder dem Lusitano-
Karpetanischen Scheidegebirge (Berge von Toledo), von Kap
Espichel bis Cerro de S. Felipe, wo es mit der Idübeda ver-
wächst, sich aber in der Ilergetanischen Kette (unser Katalonisches
Bruchgebirge) fortsetzt, und 3. der Sierra Marianica (Sra. Morena),
1) Nouvelle Geographie Universelle I, S. 666 ff. Paris 1876.
2) Espana. Geogräfia morfolögica y etiolögica. Observaciones acerca
de la constituciön orogräfica de la peninsula y leyes de direcciön de sus
sierras, cordilleras, costas y rios prmcipales. Gr.-8°, 129 S., mit 3 Karten.
Madrid 1886.
Einheimische Versuche.
245
auch Marianisch-Kontestanisch-Balearische Scheidekette genannt.
Das östliche System besteht aus der Idübeda-Kette, der Wasser-
scheide zwischen dem Ebro, Mijares, Guadalaviar und Jucar auf
der einen, Duero, Tajo, Guadiana auf der andern Seite, das
südliche aus der Bätischen Kordillere. Die Ilergetanische Kette
wird an andrer Stelle als eine Abzweigung der Pyrenäen be-
zeichnet.
Eine sozusagen amtliche Darstellung der Urographie der
Halbinsel bietet ein umfangreiches, mehr einem Staatshandbuch
ähnelndes Werk, welches unter der Leitung des berühmten Geo-
däten General Ibafiez veröffentlicht worden ist1). Es werden „in
Übereinstimmung mit den meisten Geographen" sechs Gebirgs-
systeme unterschieden: I. das nördliche, welches die Pyrenäen
und die sogenannte Kantabrische Kordillere umfaßt; 2. das Ibe-
rische System, gebildet von den Massiven, welche den Ebro auf
der rechten Seite begleiten und sich bis Kap Gata fortsetzen;
3. das zentrale, gewöhnlich Karpeto- Vetonische oder Karpetanische
Kette genannt, — ein Name, der aber außer Gebrauch gesetzt
werden müsse, weil sich nur ein Teil des südöstlichen Abhanges
im Gebiete des alten Karpetanien befinde; 4. das System der
Berge von Toledo, die sogenannte Oretanische Kette, — ein
Name, der ebenfalls wenig passend sei; 5. das Bätische System
oder die Marianische Kette, vorzugsweise von der Sra. Morena
gebildet; 6. das Penibätische System, die Sra. Nevada und die
zugehörigen Ketten. Weiterhin wird eine Menge von Namen
und wertvollen Höhenzahlen gegeben, aber kein Versuch ge-
macht, ein Bild der Gebirge zu geben, sie wissenschaftlich zu
begrenzen u. dgl. Die Ebenen finden sehr wenig Berücksichtigung.
Zu den einheimischen Versuchen einer orographischen Syste-
matik haben wir wohl auch denjenigen zu rechnen, welchen der
hochverdiente englische, aber in Spanien eingebürgerte Geolog
J. Macpherson gemacht hat2). Er unterscheidet sechs große Ge-
birgsgruppen, von denen fünf annähernd ostwestlich streichen:
die Pyrenäisch-Kantabrische Kordillere, die Karpeto-Vetonica, die
Oretana oder Oreto-Herminiana, die Marianica, die Betica. Die
1) Resefia geogräfica y estadistica de Espana por la direcciön general
del Institute- geogräfico y estadistico. 40, 251 u. II 16 S., mit einer Karte
der Halbinsel in I : l 500 000. Bes. S. 58 ff. Madrid 1888.
2) Bosquejo Geol6gico de la provincia de Cädiz, S. 13 ff. Cadiz 1872.
2A.6 rV) 2. Die Iberische Scholle.
sechste, die Keltiberische, streicht in NW— SO aus der Provinz
Santander bis Valencia. Hervorhebung von Einzelheiten auf später
versparend, möchten wir hier nur noch darauf verweisen, daß
Macpherson weiterhin (S. 25) von einem O 2 8° N streichenden
Bätischen und einem O — W streichenden Penibätischen System
spricht. Er schließt sich aber hierin wohl Botella1) an.
Werfen wir einen Blick auf diese geschichtlichen Betrach-
tungen zurück, so sehen wir, daß eine große Verwirrung in der
Namengebung, keine Übereinstimmung in der Abgrenzung der
Systeme und Gruppen herrscht, kein Versuch gemacht wird, die
Oberflächenformen zum innern Bau in Beziehungen zu setzen.
Daß es sich in den Pyrenäen und den Andalusischen Gebirgen
um gefaltete und daher vielfach parallele Ketten handelt, daß
das orographische Streichen ganzer Höhenzüge vielfach, wie z. B.
in der Sierra Morena, zum Streichen ihrer einzelnen Ketten im
Gegensatz steht, die Form der Hochfläche, die immer wieder-
kehrt, von Tafellagerung der Schichten bedingt wird, alle der-
artigen Betrachtungen sind der Literatur über die Urographie der
Iberischen Halbinsel bis jetzt fast durchaus fremd geblieben. Es
ist also wohl nicht zuviel gesagt: dieselbe entbehrt bisher einer
wissenschaftlichen Grundlage. Den ersten Anfängen einer solchen
begegnet man da, wo man sie billigerweise nicht zuerst erwarten
sollte, in einem Lehrbuche, dem von Guthe -Wagner, das somit
auch da den Charakter eines wahrhaft wissenschaftlichen Werkes
wahrt. Es gilt uns also, einen ersten Versuch zu wagen, die
reiche geologische Literatur für die wichtigste geographische Auf-
gabe, Klarlegung der Orographie, auszubeuten.
2. Die Iberische Scholle.
Die Iberische Halbinsel gehört zu denjenigen Ländern, deren
Oberflächenformen in ungewöhnlichem Maße von ihrem innern
Bau, namentlich von der Tektonik, abhängig sind. Sie besteht
aus einer sehr alten schicksalsreichen Scholle der festen Erdrinde,
an welche später zwei fremdartige jüngere Gebilde, das Anda-
lusische und das Pyrenäische Faltenland, angegliedert worden
I) Descripciön geolögico-minera de las provincias de Murcia y Alba-
cete, S. 2 Madrid 1868.
Die Iberischen Alpen und ihre Abtragung. 2 47
sind. Da jene heute in ungeheurer Ausdehnung eine Decke
jüngerer tafellagernder Schichten trägt und auch wo diese fehlen
als Abrasionsfläche weite Ebenen oder eine flachwellige Ober-
fläche zeigt, ähnlich dem Rheinischen Schiefergebirge, so sind
damit alles beherrschende Gegensätze zwischen diesem Iberischen
Tafellande, wie wir es wohl am besten nennen, und den Jüngern,
halbinselartig angegliederten Faltenländern gegeben1).
a) Allgemeiner Überblick.
Die alte Iberische Scholle ist in großer Ausdehnung aus
archäischen Gesteinen, Gneisen, kristallinischen Schiefern und alten
Graniten aufgebaut, welche letztere, namentlich im Nordwesten,
eine Fläche von mehr als 50 000 qkm bilden. Sie sind teils
älter, teils etwas jünger als die ältesten die archäischen Gebilde
überlagernden paläozoischen Schichten, die auch ihrerseits vom
Cambrium bis zum Carbon in hohem Maße an dem Aufbau der
Scholle teilnehmen. Eine durch tangentialen Schub hervorgerufene
Faltung schuf zu Ende des paläozoischen Zeitalters aus
diesem Material hier ein gewaltiges Gebirge von alpinen
Formen, dessen namentlich am heutigen Nord- und Südrande
gut nachgewiesene Faltenzüge einen großen, vom rechten Ufer
des Guadalquivir nach Nordwesten gegen die Mündung des
Douro, von dort mehr nordwärts verlaufenden und im östlichen
Galicien und in Asturien immer mehr nach Nordosten und Osten
umbiegenden Bogen bildeten2). Der konvexe Scheitel des Bogens
liegt also im südlichen Galicien. Im innern Nord-Portugal und
in den umgebenden Landschaften, die zugleich die geologisch
noch am wenigsten erforschten sind, scheint die Streichrichtung
der Falten durch die ausgedehnten Granitdurchbrüche beeinflußt
bzw. verwischt zu sein. Um so schärfer, namentlich auch oro-
i) Bezüglich der Gegensätze der Rand- und der inneren Landschaften
verweisen wir auf unsre Darstellung in Bd. I der Mittelmeerbilder, S. 245 fr.
2) Wir folgen hier selbstverständlich den scharfsinnigen Darlegungen
von Ed. Sueß, „Antlitz der Erde", namentlich Bd. II, S. 144 ff., verwerten
aber davon, wie von der sonstigen geologischen Literatur, nur das geo-
graphisch Wertvolle. Die Urquellen sind besonders Macphersons noch zu
nennende Arbeiten und Barrois' „Recherches sur les terrains anciens des
Asturies et de la Galice". (Memoires de la Soc. geol. du Nord DT, Lille
1882, S. 603.)
2aS rV> 2. Die Iberische Scholle.
graphisch, ausgeprägt ist sie aber am Süd- und am Nordrande,
wo das alte Gebirge heute an scharfen, weithin geradlinig ver-
laufenden, annähernd parallelen Bruchlinien endigt, dem Gali-
cisch- Asturischen und dem Guadalquivir- Bruch. Es laufen so
die alten Falten und die Schichten in steiler Aufrichtung im
Süden gegen die Guadalquivirbucht aus, im Norden gegen den
Ozean. Da auch die Westseite durch Steilabbrüche zum Ozean
gebildet wird urid wir an der Ostseite ein großes System
von Staffelbrüchen kennen lernen werden, so erscheint also
dieser älteste Teil der Halbinsel der Anlage nach als ein ge-
waltiger Horst.
Seit der Carbonzeit, also seit einem ungeheuren Zeiträume,
dauert die Abtragung dieses Iberischen Alpengebirges teils durch
Abrasion seitens der Brandungswogen des übergreifenden Meeres
im mesozoischen Zeitalter, teils durch die zerstörenden Kräfte
des Luftkreises seit Ende desselben an, und auch die großen
Bruchlinien, die dasselbe zerstückt und der Halbinsel ihre eckige
Grundform gegeben haben, sind sehr alt.1) Es ist daher nur
noch der Sockel desselben stehen geblieben, vielfach, wie im
südwestlichen Portugal, dem Campo de Ourique (gefaltete Carbon-
schichten) und dem Campo de Beja (Gneis und Granit), zur
völligen Ebene oder zu großwelligem Hügellande abgeschliffen,
häufiger aber die ursprünglichen Faltenzüge ähnlich unserm Tau-
nus — die Oberflächenformen des ganzen südwestlichen Viertels
der Iberischen Scholle erinnern immer und immer wieder, wenig-
stens abseits der Granitdurchbrüche, an das Rheinische Schiefer-
gebirge — noch in flachen Höhenrücken bewahrend. Diese
streichen vom Guadalquivirbruche, welchem der einzige Tief-
landsstrom der Halbinsel fast in seiner ganzen Länge, vom hohen
Andalusischen Faltungssystem und der Stoßkraft seiner linken
Zuflüsse an den südlichen Steilrand der Scholle gedrängt, folgt,
bis zum Hauptscheidegebirge fast durchaus in NW-Richtung, also
senkrecht zum Streichen des jungen Andalusischen Faltensystems,
i) Über diese meist in annähernd SO — NW- u. SW — NO-Richtung
verlaufenden und die durch die Faltenbildung bedingten Formen vielfach ver-
wischenden Verwerfungen verbreitet sich Macpherson namentlich in seiner
„Relaciön entre la forma de las costas de la Peninsula Iberica, sus princi-
pales lineas de fractura y el fondo de sus mares" (Rev. gen. de Marina,
Tl. XIX 1886, S. 576 ff.).
Bodenplastik und innerer Bau. 2 40
südlich von der Guadalquivirbucht1). Selbst die großen gürtel-
förmigen Granitdurchbrüche, die hier häufig zu einförmigen Hoch-
flächen abgeschliffen sind (Los Pedroches), haben diese Richtung.
Der längste derselben erstreckt sich fast ohne Unterbrechung von
Andujar und Montoro am Guadalquivir bis jenseits Alcantara am
Tajo bei einer mittleren Breite von 15 km auf 330 km. Am
schärfsten ausgeprägt sind diese parallelen Höhenzüge, meist
Sätteln silurischer Quarzite entsprechend, im Gebiet von Alcudia.
Einen derselben, die Sierra de Pela, durchschneidet der Gua-
diana in einem Engtale unterhalb Casas de San Pedro, einen
zweiten im Puerto Pefia etwas oberhalb, einen dritten unter auf-
fälliger Kniebildung unterhalb Ahijön in dem berühmten Portillo
de Cijarra. Ähnliche Durchbrüche hat auch der Tajo gebildet,
der ja davon seinen Namen hat, und der ganze Charakter der
Täler beider Hochlandsströme, ihr geringer Kulturwert, beruht
eben darauf, daß sie auf ihrem Wege aus dem Miocänbecken
von Neu-Kastilien zum Meere eine große Zahl dieser silurischen
und cambrischen Falten und die Granit- und Gneismassen mehr
oder weniger senkrecht durchbrechen. Zwischen Guadiana und
Tajo bestehen die Montes de Toledo, die ja schon in die topo-
graphische Aufnahme inbegriffen sind, die Sierra de Altamira, die
Sierra deGuadalupe, de S.Pedro, S.Mamede u.a. m., aus solchen silu-
rischen und cambrischen, meist steil aufgerichteten, aber fast bis zum
Sockel abgetragenen, dicht gedrängten, nordwestlich streichenden
Falten, deren einer der Tajo weithin folgt, bis er an der Mündung
des Tietar durchbricht. Jenseits setzt sich dieser Sattel, wenn auch
mehr und mehr nach W abgelenkt, bis an den Südfuß des
Hauptscheidegebirges bei Penamacor in Portugal fort. Im Haupt-
scheidegebirge selbst sind hier die Sierra de Gata und de Francia,
deren Kämme in der dasselbe kennzeichnenden NO — SW-Rich-
tung streichen, aufgebaut aus WNW — OSO streichenden silu-
rischen und cambrischen Schichten2). Die gleiche Richtung haben
die unmittelbar benachbarten silurischen Höhenzüge der Provinz
Salamanca und noch im westlichen Leon die Sierra de la Culebra
und de Pefia Negra.
I) Diese auch bodenplastisch wichtigen Gegensätze hat namentlich
Macpherson in seinem „Estudio geolögico y petrografico del norte de la
provincia de Sevilla" (Bol. Com. Mapa geol. de Esp., Bd. VI, 1879 S. 97
IT.) klargelegt. 2) Macpherson, „Relation", S. 670.
2^0 I^T. -• Die Iberische Scholle.
Nur im äußersten Südwesten, in der Provinz Huelva und in
Süd-Portugal, geht die Nordwestrichtung der alten Faltenzüge,
die hier überwiegend dem Carbon angehören, mehr und mehr in
eine westliche über, und der gleichen Richtung fügen sich die
besonders in Huelva häufigen Durchbrüche von Graniten, Dia-
basen und Porphyren. Dem entsprechend herrschen hier ost-
westlich verlaufende Höhenzüge vor, wie in der Sierra de Aracena,
der Sierra de Caldeira u. a. Doch ist die Zerstückung durch
Bruchlinien hier eine so große, daß häufiger unregelmäßige Berg-
landschaften, wie das Andevalo von Huelva, entstehen.
Die Höhe, mit welcher sich in dem ganzen betrachteten
Gebiete diese ihre Erhaltung fast ausnahmslos der größern Wider-
standsfähigkeit der sie bildenden Gesteine verdankenden Höhen-
züge über die Umgebung erheben, ist überall eine sehr geringe,
wie dies namentlich die Höhenschichtenkarte Fr. de Botellas
selbst für die Berge von Toledo erkennen läßt1). Dazu kommt,
daß nicht nur vielfach, wo eben keine größern Härteunterschiede
vorhanden waren, das alte Gebirge geradezu zu Hochebenen ab-
geschliffen ist, wie in Süd-Portugal, den Pedroches, La Serena,
dem Campo de Calatrava, dem Sayago und andern ähnlichen
Landschaften, sondern daß auch Decken von jungtertiären Schichten
und Diluvium, wie in großer Ausdehnung zu beiden Seiten des
Guadiana oberhalb Badajoz, ein ehemaliges Seebecken, oder zu
beiden Seiten des Tajo unterhalb Toledo die somit auf der Ibe-
rischen Scholle weit verbreitete Form der Ebene hervorrufen.
Die Flüsse des ganzen Gebiets, wenigstens die kleinern, lassen in
ihrer Laufrichtung, am auffälligsten zwischen Guadalquivir und
Guadiana, ihre Abhängigkeit von den tektonischen Verhältnissen
erkennen. Am rechten Ufer des Guadalquivir endigen alle Höhen-
züge in steilem Abbruch, wie auf der geologischen Karte auch
die in parallelen Bändern angeordneten alten Formationen auf
einer ziemlich geraden Linie, eben dem Guadalquivirbruche, von
Alcaraz, dessen Kastell sich auf einer aus den Triasschichten
auftauchenden silurischen Felskuppe erhebt, bis zum Kap S. Vi-
cente wie mit der Schere quer durchgeschnitten erscheinen.
In der Nordwestecke der Halbinsel, in Nord-Portugal und
Galicien, ist die alte Faltung wegen der ausgedehnten Granit-
1) Mapa hipsometrica de Espana y Portugal. I : 2 000 000. Madrid
1891. Isohypsen von IOO m. (Bol. Soc. Geogr. Madrid 1891, S. 17 fr.)
Nord -Portugal und das Hauptscheidegebirge. 2^1
durchbräche bodenplastisch von geringerer Bedeutung. Immerhin
ist die fast meridional zwischen ähnlich orientierten, aber meist
an Verwerfungen gebundenen Flüssen streichende Sierra Rona-
daira an ihrem Nordende von einem Sattel silurischer Sandsteine,
der am Kap Busto quer durchgebrochen ist, weiter südwärts von
zwei Antiklinalen cambrischer Schiefer und Quarzite gebildet1).
Auch die Sierra de Meira und der niedere Rücken, welcher in
der Punta de la Estaca de Vares endigt, die Sierra de Fala-
doira, ist eine cambrische Antiklinale, und ähnlich mögen sonst
in Galicien die mehrfach hervortretenden flachen Bodenwellen
der Westseite an das vorherrschend südwest-nordöstliche Strei-
chen der archäischen Schichten2) gebunden sein. Für Süd-
Galicien betont Cortazar3) die verworrene Lagerung der kristal-
linischen Felsarten, auf welche auch schon Schulz4) hingewiesen
hatte. Im allgemeinen aber sind die tektonischen Verhältnisse
im ganzen Nordwesten infolge der in dem außerordentlich nieder-
schlagsreichen Klima dieses Vorgebirges besonders wirksamen
Denudation und der sehr ausgedehnten, den bei weitem größten
Teil des Landes bildenden Granitdurchbrüche für die Gestaltung
der Oberfläche von geringem Belang. Der Grad der Wider-
standsfähigkeit der außerordentlich mannigfaltigen Gesteine —
auch alte grüne Gesteine (Gastaldis Pietre Verdi der Westalpen)
treten nach G. Schulz und Macpherson vielfach auf — spielt
hier die erste Rolle. Die größten Erhebungen sind granitisch,
So bildet der größere Teil Galiciens und Nord-Portugals unregel-
mäßige (Berg- und) Hügellandschaften mit gerundeten Kuppen,
oft mit magerer Heide bedeckt oder kahl, überall verstreuten ge-
rundeten Granitblöcken und an den Hängen mächtigen Ansamm-
lungen von Grant als Zeugen der rasch fortschreitenden Ab-
tragung. Auch eine recht ansehnliche Diluvialdecke von Quarz-
kieseln, gerollten Quarziten, Sand, Lehm u. dgl. deutet darauf
i) Ch. Barrois, „Recherches", S. 422.
2) Macpherson, „Uniclinal structure of the Iberian Peninsula", Madrid
1880, S. 5.
3) „Datos geolögicos de la prov. de Orensc" (Bol. Com. Mapa geol.
de Esp. 1877).
4) „Descripciön geognöstica de Galicia", Madrid 1835, S. 10. Dies
Werkchen ist noch heute für die Geologie und Urographie von Galicien un-
entbehrlich.
2C9 IV, 2. Die Iberische Scholle.
hin. In großer Ausdehung kann man sogar von einer Hochebene
sprechen. Nur der vorwiegend paläozoische Osten, der auch
petrographisch weniger mannigfaltig ist, ist gebirgiger, und Quarzite1)
bedingen dort die Höhenzüge, also ganz wie im Süden der Ibe-
rischen Scholle.
Ganz ähnlich derjenigen Galiciens und in gleicher Weise
bedingt ist auch die Oberflächengestalt des auch sonst Galicien
sehr ähnlichen Nord-Portugal, nördlich vom Hauptscheidegebirge,
namentlich aber nördlich vom Duero. Auch dies Gebiet ist ganz
und gar archäisch, nur ein schmaler, vom Duero oberhalb Porto
nordnordwestlich streichender Gürtel abgeschliffener silurischer
Falten, zwischen Pavoa de Varzim und Espozende am Meere
schräg durchgebrochen, ist hervorzuheben. Die Richtungen der
kurzen, niedern Höhenzüge wechseln vielfach, doch scheint die
südwestliche, die auch bei den rechten Zuflüssen des Douro vor-
herrscht, zu überwiegen. Da die Tektonik Nord-Portugals noch
unaufgehellt ist, so lassen wir es unentschieden, ob man hier
mit den spanischen Geographen eine Fortsetzung der Asturischen
Ketten zu sehen und an Beziehungen zu den Falten und Brüchen
Asturiens zu denken hat2), oder an solche zum Hauptscheide-
gebirge. Tiefer landeinwärts tritt in diesem wesentlich grani-
tischen Hochlande von Nord-Portugal, am meisten in dem schon
spanischen Sayago, ebenfalls Galicien ähnlich, die Form flach
welliger Hochebene auf. Die Flußtäler, am meisten das des
Douro, sind auch hier canonartig eng und tief eingeschnitten, die
Flüsse reich an Schnellen.
b) Das Haupt-Scheidegebirge.
Die größten Veränderungen durch spätere Vorgänge hat die
alte Iberische Scholle ungefähr in der Mitte erfahren, wo sich
heute, dieselbe fast in ihrer ganzen größten südwest-nordöstlichen
Ausdehnung durchziehend, das Hauptscheidegebirge der Halb-
insel erhebt, das diese, namentlich aber die alte Scholle in zwei
Hälften zerlegt und die Grenze zwischen Nord- und Südspanien,
vor allem in pfianzengeographischer Hinsicht — Polargrenze des
i) Schulz a. a. O., S. 22.
2) Dafür scheint neuerdings Choffat einzutreten: Apercu de la geologie
du Portugal, p. 7. Lisbonne 1900.
Nord - Portugal und das Hauptscheidegebirge. 2S^
Ölbaumes und der mediterranen Baumzucht — , bildet. Wir
haben es hier mit einem System von Ketten und Höhenzügen
zu tun, welche miteinander zusammenhängend eine wenn auch
nur lose orographische Einheit, eine Wasserscheide von einer
Länge von 700 km bilden. Die Länge der einzelnen Ketten,
diese Bezeichnung im engern Sinne gefaßt, ist eine geringe. Ge-
meinsam ist allen das nur wenig von NO-SW abweichende Streichen
und die einander parallele staffeiförmige Aneinanderreihung, sowie
das Überwiegen archäischer Felsarten in ihrem Aufbau. Die Frage
der Entstehung und der tektonischen Verhältnisse dieses viel-
seitig anziehenden Gebirges ist noch ungelöst, wenn wir auch die
geologischen Verhältnisse desselben im allgemeinen kennen. Ed.
Sueß1) gibt wenigstens für die Osthälfte eine Erklärung: „Südlich
von Salamanca geht in Virgation ein mächtiger Ast (des alten
hier in SSO und SO streichenden Iberischen Faltensystems) gegen
O und ONO ab. Er besteht hauptsächlich aus Granit und Gneis
und bildet die Sierra de Gredos und Sierra de Guadarrama."
Wir können uns dieser Anschauung des geistreichen Forschers
nicht anschließen.
Zunächst haben wir vergebens nach einer auf Beobachtung
beruhenden Quelle für diese Tatsache gesucht, nach welcher wir
also die beiden genannten Kettensysteme, demnach wohl, da von
ihnen die der Westhälfte unmöglich getrennt werden können, das
ganze Scheidegebirge als durch Faltung entstanden ansehen müßten.
Ferner kennen wir kein Faltengebirge, welches orographische Formen
besitzt wie dieses. Weiter ist überaus auffällig, daß in der
ganzen Ausdehnung desselben südwestliches Streichen, d. h. ein
zu den Iberischen Falten dieser Gegend geradezu senkrechtes
herrscht. Ebenso sahen wir bereits, daß an der Südseite die
nordwestlich streichenden paläozoischen Faltenzüge, etwas nach
W abgelenkt, bis unmittelbar an das Scheidegebirge herangehen
und sich an der Nordseite (Höhenzüge von Salamanca, Sierra de
la Culebra) in gleicher Richtung fortsetzen, ja daß ein Teil des
Scheidegebirges selbst (Sierra de Gata und de Francia), trotz dem
auch hier vorhandenen kennzeichnenden orographischen Streichen
1) „Antlitz der Erde" II, S. 148. Ganz neuerdings scheint Choffat
a. a. O., S. 7, aber ohne irgend welche Begründung, das Scheidegebirge auf
Faltung zurückführen zu wollen.
2cj. IV, 2. Die Iberische Scholle.
in NO — SW-Richtnng, aufgebaut ist aus WNW — OSO, also auch
ziemlich senkrecht dazu, streichenden stark gefalteten silurischen
und cambrischen Schichten. Schließlich ist noch zu betonen,
daß das Scheidegebirge in seiner ganzen Ausdehnung trotz der
petrographischen Übereinstimmung zu allen übrigen Höhenzügen
der Iberischen Scholle, wie sie sich bis heute erhalten haben, in
grellstem Gegensatze steht durch seine bedeutende absolute und
namentlich relative Höhe. Obwohl sich dasselbe auf dem höchsten
Teile der alten Scholle erhebt, ragt es bis um etwa 1500 m im
Mittel, bis 2000 m im Höchstbetrage über die Fläche derselben
empor! Es bildet also in der Tat ein ausgezeichnetes Scheide-
gebirge, welches die Halbinsel in zwei fast gleiche Teile teilt.
Es scheint demnach demselben ein anderer Ursprung zuzu-
schreiben zu sein, und wir möchten die Vermutung aussprechen,
daß wir in ihm ein Bruchgebirge vor uns haben, in welchem die
Grundfesten der alten Scholle, etwra im Beginne der Tertiärzeit
und im Zusammenhange mit der Bildung der großen kastilischen
Seebecken, zu ansehnlicher Höhe emporgepreßt wurden. Auch
die mesozoischen Ablagerungen am Westrande der Iberischen
Scholle zu beiden Seiten der Tejomündnng wurden in diese Be-
wegungen hineingezogen. Es muß natürlich der exakten Be-
obachtung vorbehalten bleiben, zu entscheiden, ob diese Ver-
mutung haltbar ist. Ihr widerspricht zunächst nicht der fast überall
vorhandene einseitige Steilabsturz nach Süden. Dafür sprechen
die oben erwähnten Verhältnisse der Sierra de Gata und de
Francia und was sonst noch Macpherson, den wir wohl als den
besten Kenner der Halbinsel in ihrer ganzen Ausdehnung und
als denjenigen der einheimischen Geologen anzusehen haben, der
den tekionischen und genetischen Verhältnissen die größte Auf-
merksamkeit gewidmet hat, in dieser Hinsicht anführt, wenn er
auch nicht ausdrücklich und mit genügender Klarheit sich in
diesem Sinne ausspricht. Er spricht von einem Einfallen der
Gneisschichten der Sierra de Guadarrama und de Gredos auf
Verwerfungen nach Südosten1) und einem großen Bruchgürtel,
welcher die ganze Halbinsel vom Golf von Biscaya in den bas-
1) Breve noticia acerca de la especial estructura de la Peninsula Ibe-
rica. (An. Soc. Esp. de Hist. Nat., T. 8, S. 20, Madrid 1879, und Re-
laciön, S. 650 ff.)
Das Hauptscheidegebirge. 2^
kischen Provinzen bis zur Tejomündung durchsetzt. An dieser
Depression liegt das große Scheidegebirge mit seinen in NO —
SW orientierten archäischen Massen und seinen in gleicher Rich-
tung orientierten Massenausbrüchen von Granit, ihr folgen auch
der Tejo von seinem Eintritt in Portugal und seine rechten Zu-
flüsse Alagon und Ponsul, auf ihr liegt schließlich die tertiäre
Tejobucht, in welche der Strom oberhalb Abrantes eintritt. Die-
selbe ist mit miocänen und pliocänen Ablagerungen gefüllt. Auch
die aus zum Teil Jüngern Schichtgesteinen aufgebauten äußersten
Enden des Scheidegebirges lassen auf Brüche und senkrechte
Verschiebungen, nicht auf Faltung schließen. Dort, wo dasselbe
aus dem östlichen Randgebirge hervortritt, wird es in der Sierra
Ministra und den Altos de Barahona von Triasschollen gebildet,
welche ihre 200 bis 300 m hohen Schichtenköpfe der Neukasti-
lischen Hochebene zukehren. Weiter nach W, in der Sierra de
Pela, besteht das Gebirge, das man eigentlich erst hier beginnen
lassen kann, aus stark gestörten, nach S W einfallenden Jura- und
Kreideschichten mit bereits bedeutenderen Höhen und in der
Sierra de Ayllon aus silurischen nach SO einfallenden Schiefern,
die den in der Somosierra zuerst hervortretenden Gneisen kon-
kordant auflagern. Im SW scheint die Serra da Estrella, die
überwiegend aus cambrischen Tonschiefern und nur in ihrem
nördlichsten, höchsten Teile aus Granit besteht, ein Horst zu sein,
der seine Haupterstreckung ebenfalls in NO — SW hat, von welchen
sich dann das Scheidegebirge noch bis zum Cabo da Roca als
niederer Rücken aus vorwiegend jurassischen Gesteinen fortsetzt,
die aber vielfach von Bruchlinien zerstückt sind, auf denen Erup-
tivgesteine, namentlich ein granitartiges, noch die Kreideschichten
durchbrechendes, emporgedrungen sind, die hier ein sehr wechsel-
und reizvolles kleines Gebirgsland, die Serra da Cintra, geschaffen
haben. Eine Reihe niederer domförmiger Ophitkuppen begleitet
den Jurarücken an seiner Westseite.1) Die Serra da Arrabida
ist eine aufgekippte Schollenkante, die ihren scharfen, in ONO
verlaufenden Bruchrand und ihre Schichtenköpfe, als tiefste
Schichten Lias, der Bucht von Setubal zukehrt.
Bei den spanischen Geographen, die dies Scheidegebirge
I) Communicacoes da Comissao dos Trabalhos geolögicos de Portugal,
T. I, S. 50. Lissabon 1883—87.
256 IV> 2- Die Iberische Scholle.
auch als ein einheitliches aufzufassen pflegen, herrscht auch hier
in der Namengebung keine Übereinstimmung. Botella bezeichnet
dasselbe bald als Cordillera Lusitano-Arevaca, bald als Lusitano-
Carpetana, die Resefia als Carpeto-Vetonica, auch kurz als Car-
petanica, spricht aber auch von einem zentralen System. Mac-
pherson hat die Bezeichnung „Carpeto-Vetonische Cordillere".
Bei den deutschen Geographen findet sich schon bei v. Roon
der am häufigsten gebrauchte Name „Kastilisches Scheidegebirge",
bis zum Cabo da Roca, Willkomm spricht von einem zentralen
System oder dem Kastilianisch-Leonesischen Scheidegebirge. Wir
möchten den Namen „zentrales" oder besser iberisches „Haupt-
scheidegebirge" für den bezeichnendsten und den deutschen Geo-
graphen kaum eine Neuerung bietenden halten.
Von größern zusammenhängenden Höhenzügen der Ibe-
rischen Scholle pflegt man gewöhnlich noch zwei zu unter-
scheiden, die in der Streichrichtung dem Hauptscheidegebirge
annähernd parallel, aber von demselben nach innerm Bau, Ent-
stehung, Höhe und Bedeutung grundverschieden sind: die Montes
de Toledo und die Sierra Morena. Es ist nicht zu leugnen,
daß zwischen dem mittlem Guadiana und dem Tajo eine ge-
birgsartige Wasserscheide mit im allgemeinen westsüdwestlicher
Richtung vorhanden ist und daß sich dieselbe, wenn auch boden-
plastisch sehr wenig ausgeprägt, bis nach Portugal hinein, ost-
wärts, wenn man dort überhaupt von einer orographisch selbst
kaum merkbaren Fortsetzung sprechen will, quer durch das Neu-
kastilische Tertiärbecken, nahe dem Laufe des Tajo bis zum
östlichen Randgebirge, mit welchem es durch die sogenannten
Altos de Cabrejas bei Cuenca verwächst, verfolgen läßt. Es ist
dieser durch auffallende Windungen der Wasserscheide gekenn-
zeichnete flache Rücken wohl in seiner ganzen Ausdehnung als
eine Denudationserscheinung aufzufassen, sowohl da, wo er aus
wagerechten Schichten des lakustren Miocän besteht, wie da,
wo er aus den, wie wir sahen, im allgemeinen in nordwestlicher,
in den östlichen Montes de Toledo mehr in westnordwestlicher
Richtung streichenden Falten des Paläozoikum und den dasselbe
durchdringenden Graniten herausgearbeitet ist. Lediglich die
größere Widerstandsfähigkeit der silurischen und cambrischen Quar-
zite läßt diese meist sehr steilen, dicht gedrängten Sättel hie und
da noch eine das großwellige Hügelland, als welches das ganze
Die Südhälfte der Meseta.
257
Gebiet zwischen den beiden Strömen zu bezeichnen ist, um
1000 m überragende Höhe erreichen. Wirklicher Gebirgscharakter
mit schwierigen Paßübergängen u. dgl. fehlt fast durchaus, und
nur die zum Teil auf den unfruchtbaren Bodenarten, welche die
Schiefer und Quarzite geben, beruhende furchtbare Verödung
dieses weithin mit dürftigem Gestrüpp bedeckten Gebietes — man
denkt an die Eichenschälwälder des Rheinischen Schiefergebirges
und das Schiffelland der Eifel — vermag hier den Eindruck
eines trennenden Gebirges hervorzurufen. Die gelehrte spanische
Geographie, die, zu großes Gewicht auf die Wasserscheide legend,
allerdings meist von einem vom Kap Espichel bis zum Cerro de
S. Felipe im östlichen Randgebirge sich erstreckenden Scheide-
gebirge spricht, was ganz unhaltbar ist, gebraucht auch hier ver-
schiedene Namen, bald Lusitano-Karpetanisches, bald Oretanisches,
bald Oretanisch-Herminianisches Gebirge. Es dürfte sich emp-
fehlen, der geringen Bedeutung dieser Hügelzüge und dem Mangel
eines innern Zusammenhanges entsprechend hier überhaupt auf
jede zusammenfassende Bezeichnung zu verzichten und nur die
allgemein eingebürgerten Sondernamen, wie Montes de Toledo,
Sierra de Guadelupe u. a. zu gebrauchen.
Ähnlich verhält es sich mit der Sierra Morena, die über-
haupt kein Gebirge, sondern nur die südliche, steil über dem
Andalusischen Tieflande am Guadalquivirbruche aufragende Kante
der Iberischen Scholle ist. Nur von dort, vom algarvischen Bei-
ramar, und von den am Guadalquivir gelegenen Sitzen alter,
hoher Gesittung aus macht diese von den zerstörenden Kräften
des Luftkreises der wechselnden Widerstandsfähigkeit der so stark
gestörten Schichten entsprechend ausgearbeitete und namentlich
von den gefällreichen, wenn auch wasserarmen Bächen und
Flüssen tief eingekerbte Schollenkante den Eindruck eines Ge-
birges von ansehnlicher, wenn auch 500 — 600 m relativ selten
übersteigender Höhe. Wer sich über die Scholle hin in der
Richtung des Guadalquivir bewegt, durchschneidet überall nur
ein welliges, ödes, gestrüppbedecktes und menschenleeres Hügel-
land, das durch höchstens taunusartige, wenig von der Nord-
westrichtung — die Richtung der Schollenkante ist WSW — ab-
weichende Höhenzüge gekennzeichnet wird, bis ziemlich plötzlich,
wenigstens da, wo man nicht den meist schluchtartigen Flußtälern
folgen kann, der kurze Steilabstieg beginnt. Erreichen und Über-
I'isc her, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 17
258 IV, 2. Die Iberische Scholle.
steigen doch in dem ganzen Gebiet zwischen Guadiana und
Guadalquivir nur wenige Punkte 1000 m! Schon Ferdinand
Römer1) erkannte den wunderbaren Gegensatz beim Aufstieg
über die fast senkrecht stehenden Tonschiefer- und Quarzit-
schichten der Schlucht von Despenaperros auf die Hochfläche,
die dort in geringer Entfernung von der Schollenkante von jenen
diskordant in wagerechter Lagerung bedeckenden Schichten hell-
grauer Süßwassermergel gebildet wird. Selbst weiter westwärts,
in Huelva und Algarve, wo die Falten mehr westwärts streichen,
gewinnt man nur von Süden her gebirgsartigen Eindruck, wenn
auch in diesen Gegenden der südliche Steilabsturz gemildert
und verbreitert erscheint. Die Wasserscheide zwischen dem Gua-
diana und dem Guadalquivir verläuft kaum merkbar in zahlreichen
Windungen dem Guadalquivirbruche zwar annähernd parallel,
aber quer zum Streichen der Falten. Diese Eigenart dieses „Ge-
birges" sich stets gegenwärtig haltend, muß man dann allerdings
dasselbe vom Kap S. Vicente bis Alcaraz als eine einheitliche
Bildung auffassen und dies auch in Namen ausdrücken. Da man
als Sierra Morena nur den Teil der Schollenkante bezeichnet,
dem der Guadalquivir folgt, die spanischen Geographen aber
auch hier zu keiner Übereinstimmung gekommen sind und ab-
wechselnd die Namen „Bätisches System", „Marianische Kette"
oder „Marianisch-Contestanische Kette" gebrauchen, so schlagen
wir den Namen „Südliches Iberisches Randgebirge" vor. Roon
nennt es „Andalusisches Scheidegebirge", Willkomm „Marianisches
System".
c) Das Iberische Tafelland.
Wir hatten uns bisher nur mit dem Teil der alten Iberischen
Scholle beschäftigt, in welchem die Grundfesten derselben zutage
liegen. Anders in der Osthälfte. Dort sind diese von Jüngern,
fast durchaus noch tafellagernden Schichten bedeckt, und sie
treten nur an einigen Randstellen hervor, gerade hinreichend, um
ihr Vorhandensein feststellen zu können. Mit dem Anfange des
mesozoischen Zeitalters beginnt das Meer fast allenthalben — nur
im Nordwesten fehlen heute die Belege dafür — die Ränder der-
selben zu überfluten, und neue Schichten bilden sich auf seinem
I) „Geologische Reiseskizzen aus Spanien". (Jahrbuch 1864, S. 794.)
Die mesozoische Transgression. 250,
Grunde aus den von den Iberischen Alpen abgetragenen Massen.
Am Süd- und Westrande bilden mesozoische Ablagerungen, dis-
kordant und ungefaltet, nur hier und da auf Brüchen verschoben,
das gefaltete paläozoische und archäische Grundgebirge über-
lagernd, von Alcaräz bis Kap St. Vincent und von dort bis nahe
an die Dueromündung einen meist schmalen Saum, gleichsam
einen Rahmen um die alte Scholle. Zwischen Kap S. Yicent
und der Serra da Arrabida sind sie allerdings infolge späterer
Abbruche nur in Resten erhalten. Über den mesozoischen
Schichten lagern konkordant jungtertiäre — das Eocän fehlt im
ganzen Bereich der Iberischen Scholle — , Miocän und Pliocän,
die in großer Ausdehnung, wie wir sahen, die Bucht des Tajo
und Sado füllen. Diese ganze meso- (und käno-) zoische Trans-
gression bildet hier nur am Südwestende des Hauptscheidegebirges
Berg- und Hügelland, sonst nur schmale Küstenebenen. Einzig
dem Miocän- und Pliocängebiet der Tajobucht entsprechen die
weiten Tiefebenen von Mittel -Portugal. Anders an der Ostseite
der Scholle. Dort, wo wir heute die höchste Massenanschwellung
der ganzen Halbinsel haben, drang das mesozoische Meer, die-
selbe weithin überflutend, bis gegen Segovia vor, und über dem
Grundgebirge lagerten sich Triasschichten, Jura, aber namentlich
Kreide ab. In der Kreidezeit reichte die Überflutung am weitesten,
denn Kreideschichten lagern nicht nur dem Nordrande der Sierra
de Guadarrama an, sondern scheinen nach den selbst im Innern
des Gebirges, wie z. B. im obersten Lozoya-Tale, erhaltenen
Resten einen großen Teil des Gebirges selbst bedeckt zu haben.
Auch unter dem lakustren Tertiär der Neukastilischen Hochebene
treten häufig und bis Quintanar de la Orden nach Südwesten
Kreideschichten hervor. Als sich das Meer, wohl infolge einer
Hebung der ganzen Scholle, die im Osten bedeutender war als
im Westen — das Ansteigen der Tertiärschichten gegen Osten
spricht namentlich dafür1) — , zurückzog, bildeten sich in den
Einbruchskesseln zu beiden Seiten des Hauptscheidegebirges und
auf Verwerfungen, welche dem Ostrande in geringer Entfernung
parallel liefen, große Seen-), die allmählich und Hand in Hand mit
1) Vgl. Calderon y Arana: „Ensäyo orogenico sobre la meseta centra
de Espaöa". (An. Soc. Esp. de Hist. Nat., Madrid 1885, Bd. XIV S. 150.)
2) A. Penck, Das Klima Spaniens während der jüngeren Tertiär- und
Diluvialperiode, ZGE Berlin 1894, hat seitdem, im Gegensatz zu den spanischen
17*
2ÖO IV» 2. Die Iberische Scholle.
der Ausbildung der Abflußrinnen nach Westen mit den Geröllmassen
der iberischen Alpen ausgefüllt wurden. Da auch die Schichten des
lakustren Tertiär keine Störungen erfahren haben, so entstanden
hier die weiten Hochebenen von Alt- und Neukastilien, deren
lakustre Ablagerungen an den Rändern der Gebirge noch in
großer Ausdehnung durch diluviale bedeckt sind, die von Teruel,
von Almazan und andere kleinere. In dem ganzen ungeheuren
Gebiet mesozoischer mariner und tertiärer lakustrer Ablagerungen
herrscht noch heute Tafellagerung der Schichten ; die Ausgestaltung
der Oberfläche in demselben ist nur auf Denudation und Erosion
und auf die Bildung von Brüchen und Verwerfungen, die den
Ostrand der alten Scholle ganz besonders kennzeichnen, zurück-
zuführen. Auch in dem außerordentlich zerstückten mesozoischen
Gebiet kehrt immer die Form der Hochfläche wieder. Schon de
Verneuil1) hebt den Gegensatz zwischen dem reichgegliederten
Steilabsturz zur Küstenebene von Valencia und dem Tafelland-
charakter gerade der durch den gemeinsamen Ursprung zahlreicher
Flüsse gekennzeichneten Gegend in der Umgebung der Muela de
S. Juan hervor. Kein Gipfel erhebt sich auffällig über diese lang-
gestreckten Hochflächen, die nur durch tiefe Schluchten voneinander
getrennt sind. Namentlich bilden die aus Kreide bestehenden
Bergzüge streng genommen Reihen von Tafelbergen; schon die
Bezeichnungen Paramo, Paramera und Muela, die hier so häufig
sind, deuten darauf hin. Faltung gehört lediglich zu den örtlichen
und untergeordneten Erscheinungen.2) Meist empfängt man nur in
den tief eingeschnittenen Flußtälern und in höherm Maße in der
Umgebung des Moncayo und der Sierra de la Demanda den
Eindruck des Gebirgsartigen. Obwohl die geologische Durch-
forschung noch in hohem Grade der Vertiefung bedarf, kann man
Geologen, diese abflußlosen Binnenbecken als in einer Zeit trockenen Klimas
mit lockeren Fluß- und Binnenablagerungen gefüllt bezeichnet, so daß nicht
eigentlich von lakustren Schichten zu sprechen wäre.
i) „Coup d'ceil sur la Constitution geologique de quelques provinces de
l'Espagne". (Bull. Soc. geol. de France 1852/53, X, 2e Serie, S. 96, 97,
106, 118.)
2) Spanische Geologen (Sanchez Lozano, Descripcion fisica, geolögica
y minera de la provincia de Lagroüo, Mem. Com. del Mapa Geol. de Erp.
Madrid 1894, scheinen neuerdings eine wirkliche, wenn auch sehr geringe
Faltung des Mesozoikum anzunehmen.
Das östliche Iberische Randgebirge. 26l
auf Grund derselben schon heute sagen, daß unsere Karten, die
auch hier die Oberfläche als durchaus gebirgsartig gestaltet dar-
stellen, sehr viel einfachere Formen zeigen werden, wenn einmal
auf den ausgezeichneten topographischen Karten in — leider noch
ziemlich ferner Zukunft auch dieses Gebiet zu naturwahrer Dar-
stellung gelangen wird. Hier in der Osthälfte der Iberischen
Scholle haben wir so das eigentliche Iberische Tafelland, die
Meseta, vor uns.
Der reichstgegliederte mesozoische Teil bildet den erhöhten
Ostrand desselben, der sich orographisch im Nordwesten durch
ausgedehnte Kreide-Hochflächen mit dem Kantabrischen, im Süd-
osten, an der Südgrenze der Provinz Valencia, mit dem Anda-
lusischen Faltengebirge verbindet. Der Aufstieg auf diesen höch-
sten Teil des Iberischen Tafellandes von den Kastilischen Hoch-
ebenen aus ist überall ein merkbarer, aber sanfter, er beträgt
überall nur wenige hundert Meter; der Abstieg nach Nordosten
gegen den tiefen, bergumwallten Trog des Ebrobeckens, und nach
Südosten gegen die Küstenebene von Valencia ist dagegen, wo
man nicht den Flußtälern zu folgen vermag, ein sehr steiler. Die
Höhenunterschiede betragen da nicht unter iooo m, denn in
einer Ausdehnung von etwa 40000 qkm erreicht dieser Teil des
Iberischen Tafellandes eine mittlere Höhe von 1000 — 1500 m,
etwa 15000 qkm im Quellgebiet des Guadalaviar sogar 1300 bis
1500 m. Man kann daher hier wirklich von einem erhöhten Ost-
rande der Iberischen Scholle sprechen, und die Bezeichnung öst-
liches Iberisches Randgebirge scheint uns die passendste zu sein.
Die spanischen Geographen gebrauchen dafür die Namen Idübeda
(Botella), das Iberische System oder das Celtiberische, wohl auch
Iberische Cordillere, eine Bezeichnung, die, wenn daneben von
einer Kantabrischen oder Bätischen gesprochen wird, grundfalsche
Vorstellungen wecken muß; v. Roon, dessen scharfsinnige Erfassung
der Oberflächenformen trotz der damaligen ungenügenden Er-
forschung wir immer wieder bewundern müssen, sieht das ganze
Gebiet nur als den höchsten Teil der Hochebenen von Alt- und
Neukastilien an; ähnlich schildert es auch K. Ritter (Europa,
S. 335 ß-)- Willkomm bezeichnet es als Iberisches System, hat
aber ebenfalls schon eine im wesentlichen richtige Vorstellung
der hier herrschenden Oberflächenformen.
Über die Tektonik hat der spanische Geolog Calderon y
2Ö2 IV, 2- Die Iberische Scholle.
Arana1) Aufschlüsse gegeben, die das Verständnis der Ober-
flächen formen zu vertiefen imstande sind. Nach ihm ist dieser
höchste Teil der Meseta durch eine Reihe von in SO — NW
orientierten Staffelbrüchen gegliedert, welche unter sich und dem
Ebrolaufe, der auch durch eine solche Bruchlinie bedingt ist,
parallel streichen. Die Unterlage dieses mesozoischen breiten
Rahmens, die Trias, kehrt so die hohen, heute die Wasserscheide
bildenden Kanten ihrer Schollen dem Tafellande zu, während sie
nach außen von jungem Ablagerungen bedeckt wurde, die auch
ihrerseits später von Staffelbrüchen zerstückt wurden. Man steigt
so über parallele, langgestreckten Ketten ähnliche Stufen zum
Hochlande empor. In der Sierra de la Demanda und dann
wieder von dem triassischen Moncayo bis zu dem tertiären Hoch-
lande von Teruel tritt selbst in langen, schmalen, einander par-
allelen und nur durch den mit lakustrem Miocän gefüllten Bruch
des Jiloca-Tales getrennten Gürteln das paläozoische (Silur und
Kambrium) Grundgebirge (Sierra de la Virgen, Sierra de Vicor usw.)
zutage. Auch weiter nach dem Innern des Tafellandes, in der
Sierra Menera, Sierra Alta, in den Parameras de Molina, tauchen
die paläozoischen Schichten meist in Gestalt flacher Rücken silu-
rischer Quarzite auf, stets aber miteinander parallelem, nordwest-
lichem Streichen auch der Schichten, also der gleichen Richtung
wie in der Sierra Morena2). Am Rande des Ebrobeckens treten
bei Prejano und Turrucun auf einer Verwerfung Karbonschichten
hervor, so daß sie in gleichem Niveau mit dem lakustren Miocän
hegen. Die Trias hegt auch hier diskordant auf dem Paläozoikum.
Die französischen Forscher Chudeau und A. Dereims3) erklären
die beiden silurischen Parallelgürtel als Teile einer Antiklinale,
deren niedergebrochener Sattel das mit lakustrem Miocän gefüllte
Jiloca-Ribota-Tal ist. Die Silurschichten erscheinen überall stark
gefaltet und verworfen, doch ist die Forschung noch nicht weit
i) „Ensayo", S. 146.
2) Die hierhergehörigen Provinzbeschreibungen, besonders Donayre,
„ßosquejo de una descripciön fisica geolögica de la prov. de Zaragoza" (Bol.
Com. Mapa geol. de Esp., Madrid 1873, Bd. I)., und D. de Cortazar, „Bos-
quejo fisico-geolögico y minero de la prov. de Teruel" (ebenda, Bd. XII),
berücksichtigen leider die Tektonik fast gar nicht.
3) „Le plateau de Soria" (Ann. de Geographie, Paris 1892, I, S. 279).
A. Dereims, „Nouvelles observations sur la geographie physique du plateau
de Teruel" (ebenda DI, S. 3 15 ff.).
Der nördliche gefaltete Gürtel. 262,
genug fortgeschritten, daß wir entscheiden möchten, ob Ver-
werfungen, so daß man die paläozoischen Rücken etwa als Horste
oder auch als Staffelbrüche aufzufassen hätte, oder Faltungen die
Oberflächengestaltung mehr beeinflussen.
3. Das Kantabrisch-Pyrenäische Faltenland.
Im vollsten Gegensatz zu der alten Iberischen Scholle und
namentlich dem Teile, der den ausgeprägtesten Tafellandcharakter
trägt, steht das den größern Teil des Nordrandes der Halbinsel
und dieses Tafellandes selbst bildende Kantabrisch-Pyrenäische
Faltensystem. Dank den Forschungen eines Ch. Barrois, Adan
de Yarza, Magnan, E. de Margerie u. a. kennen wir dasselbe
heute hinreichend. Zunächst möchten wir gegenüber vereinzelt
auftretenden gegenteiligen Anschauungen feststellen, daß alle diese
Erforscher des Systems keine Trennung von Pyrenäen und Kan-
tabrischem Gebirge in genetisch -tektonischer Hinsicht zugeben,
wie auch orographisch eine Grenze zwischen beiden sich nur
ungefähr ziehen läßt, eine wirkliche Trennung aber nicht vor-
handen ist. Ch. Barrois1) läßt Asturien am Westende der Pyre-
näen gelegen sein und betont, daß die große Bewegung des
kantabrischen Bodens, welche zwischen Eocän und Miocän fällt
und diesem Gebiete endgültig seine Oberflächenformen vorzeich-
nete, gleichzeitig mit derjenigen eintrat, welche das Relief der
Pyrenäen bestimmte, ja mit derselben identisch ist. De Margerie2)
hebt nachdrücklich hervor, daß die von den Geographen ange-
nommene Grenze der Pyrenäen am Port de Velate oder Idiazabal
geologisch ganz unzulässig sei. Es habe wohl in den baskischen
Provinzen eine Minderung der vertikalen Kraftäußerung stattge-
funden, da die paläozoischen Schichten dort nicht zutage treten,
aber die Faltung hält die gleiche Richtung ein und erfährt keine
Unterbrechung bis zu dem paläozoischen Gebiet von Asturien, wo
gewissermaßen gegenseitige Durchdringung der karbonischen und
der nachkretazeischen Faltungen eintritt. Eine Ausdehnung des Kanta-
brisch-Pyrenäischen Systems, in dessen Namengebung auch bei
1) „Recherches", S. 601 u. 604.
2) De Margeric et Fr. Schrader: „Apercu de la stiucture geologique
des Pyrenöes". (Kxtr. Annuaire Club Alpin Francais Paris 1892, XVIII, S. 64.)
26a IV, 3. Das Kantabrisch-Pyrenäische Faltenland.
den spanischen Geographen Übereinstimmung herrscht, bis Ga-
licien und Kap Finisterre, wie diese und auch noch Macpherson1)
will, ist natürlich schon nach unsrer obigen Darstellung unmöglich,
ebensowenig wahrscheinlich ist es nach dem heutigen Stande der
Forschung, daß die Asturischen Ketten in südwestlicher Richtung
sich bis in das obere Silgebiet oder gar nach Nord-Portugal
fortsetzen. Casiano de Prado2) hat festgestellt, daß die Gebirge
des obern Silgebiets und der Fluß selbst NO — SW- Richtung
haben, das Streichen der Schichten (Kambrium, Silur, Karbon)
jedoch in dieser ganzen Gegend im Mittel N 55 ° W ist und die
heutigen Oberflächenformen Erzeugnis der Denudation sind. In-
dem wir so die Grenze des Kantabrischen Gebirges im W nach
West - Asturien legen, kann als Grenze gegen die Pyrenäen die
Gegend der wohl durch Querverwerfungen, die zur Bildung des
Ebrobeckens in Beziehung stehen dürften, verursachten größten
Erniedrigung des Kreidegebirges südlich von dem flachen Golfe
von S. Sebastian angesehen werden.
a) Das Kantabrische Gebirge.
Entsprechend seiner Entstehung durch tangentialen Schub in
der Richtung von N nach S3), also gegen die Iberische Scholle
hin, in einer Zeit, welche zwischen Eocän und Miocän liegt, er-
scheint das Kantabrische Gebirge als ein im wesentlichen in
Westostrichtung streichendes System von Parallelketten, der meer-
fernsten, im allgemeinen auch der höchsten4). Es herrschen kar-
bonische Gesteine vor, namentlich Kohlenkalk, oft, wie in dem
höhlenreichen Gebiete von Covadonga, der letzten Zufluchtsstätte
der Christen, marmorartig auftretend. Namentlich sind auch die
Picos de Europa karbonisch, wenn sich auch Reste von Lias-
1) „Breve noticia", S. 12.
2) „Breve resena geolögica de la parte occidental de la provincia de
Leon" (Madrid 1862), S. 12.
3) Barrois, „Recherches", S. 604.
4) Das Hauptwerk über die Urographie von Asturien ist noch immer:
G. Schulz' „Descripciön geolögica de Asturias", Madrid 1S58, mit einem
geologisch-topographischen Atlas, der namentlich geographisch sehr lehrreiche
geologische Profile enthält. Dazu P. Labrouche et le Cte de Saint-Saud, XX
1893, P- I29 — x86. A. Penck, Die Picos de Europa und das Kantabrische
Gebirge, GZ. 1897, P- 2/8 — 81.
Baskisches Gebirge. 265
Kalken zwischen den paläozoischen Massen eingeklemmt erhalten
haben. Bei dem Vorherrschen dieser festen, vielfach zu Karren-
feldern ähnlichen Formen ausgearbeiteten Kalksteine und dem
bedeutenden Gefäll der wasserreichen Flüsse und Bäche, das
durch die geringe (80 km) Entfernung der 2000 m hohen Wasser-
scheide vom Meere bedingt ist, haben diese, namentlich der Tru-
bia, Sella, Aller, Caudal, Dares Ponga, Nalon u. a., allenthalben
tiefe Erosionsschluchten, wahre Canons, gebildet, von den Landes-
bewohnern Hoces, Foces, Escabios genannt. Der Canon des Aller
ist an der Foz de Paraya 300 m tief. Barrois (S. 525) nennt
diesen Kohlenkalk, das unterste Schichtensystem des Karbon,
geradezu calcaire des canons. Um die schon durch die Namen
torres und penas für die Gipfel gekennzeichneten Formen noch
wilder zu machen, kommt aber hinzu, daß die Schichten des Paläo-
zoikum durch die doppelte Faltung, die jüngere für die Oberflächen-
formen weit wichtigere in Meridian-, die ältere zu Ende des
Karbon mehr in Parallelrichtung, und dazu kommende Brüche
und Verwerfungen ganz außerordentliche Störungen erfahren haben
und wild durcheinandergeworfen sind. Das Karbon ist dadurch
in außerordentlich verschiedene Höhenlagen gekommen. Bei Ar-
nao werden Steinkohlen unter dem Meeresniveau gewonnen, etwas
südlich davon, im Becken von Sama de Langreo, in 220 m Höhe,
und in der Kantabrischen Kette liegen Karbonschichten in 2000 m
Höhe1). Talweitungen und Ebenen fehlen fast durchaus, so daß
kaum eine 1 km lange ebene Strecke zu einer Basismessung ge-
funden werden konnte. Die während der mesozoischen Überflutung
auch dieses Teils der Iberischen Scholle abgelagerten Schichten
gehören ebenfalls vorwiegend der Kreide an und füllen besonders
stark gefaltet und zum Teil ihrerseits von Eocän konkordant über-
lagert die auch hydrographisch gut ausgeprägte Längsmulde (Syn-
klinalbecken) von Oviedo. Es treten, die Faltung kennzeichnend,
die mesozoischen Formationen in Asturien vorzugsweise in west-
östlichen Bändern auf. Daß die Wildheit der Formen zum Teil
durch das Klima bestimmt ist, ersieht man daraus, daß an der
sanftem dem Hochlande zugekehrten Abdachung sofort sanftere
Formen auftreten. Man wird demnach das Kantabrische Gebirge,
wenn auch in anderm Sinne wie die Sierra Morena, als ein Rand-
gebirge auffassen können.
i) Barrois, „Recherches**, S. 605.
266 IV, 3- Das Kantabrisch-Pyrenäische Faltenland.
In den Baskischen Provinzen, wo zwischen den Meridianen
von Santander und Tolosa andre als Kreidegesteine so gut wie
ganz fehlen, sind zwar die Höhen der den geologischen For-
mationen entsprechend westöstlich (in Viscaya zum Teil mehr
nordwestlich) streichenden Ketten geringer, die Steilheit des nörd-
lichen Hanges und die Wildheit der Formen ist aber noch recht
bedeutend, denn auch hier haben die Schichten, abgesehen von
der Tätigkeit des Wassers in diesem niederschlagsreichen Gebiete,
sehr bedeutende Störungen und Pressungen erfahren1). Dem auch
hier von Norden her erfolgten Zusammenschub folgte ein steiler
Ab- und Einbruch nach N unter Hervortreten von Eruptivgesteinen
auf den Bruchspalten. Dem Norden sind so meist die Schichten-
köpfe in steilen Hängen zugekehrt. Gegen das Meer hin werden
die Falten immer schmäler, wird die Schichtenstellung immer steiler.
Wie bedeutende Wirkungen aber auch die Erosion zu erzielen
vermag, das zeigt der großartige Zirkus von Orduna, den Adän
de Yarza nur als solche auffaßt. Auf nur etwa 35 km Entfernung
streicht die Hauptkette der Küste parallel. Diabas- und Ophit-
durchbrüche sind namentlich in Vizcaya und Guipuzcoa von Be-
deutung für die Oberflächengestalt, sie folgen meist dem Streichen
der Falten und verursachen eine besonders reich gegliederte Land-
schaft zwischen Vergara und Azpitia. Die sanfte Neigung geht
auch hier nach innen, und an der Innenseite besonders setzen
sich die Falten der Kreide- und Eocänschichten ununterbrochen
in die Pyrenäen hinein fort. Flache, mit lakustrem Tertiär oder
Diluvium gefüllte Becken (Vitoria, Trevino) sind eingeschaltet.
b) Die Pyrenäen.
Nicht nur durch größere Höhe und Breite, sondern noch
mehr durch größere Mannigfaltigkeit des innern Baues zeichnen
sich die Pyrenäen vor dem Kantabrischen Gebirge aus. Die
topographischen Arbeiten Franz Schraders, die geologischen
Forschungen E. de Margeries und die lichtvollen Darstellungen
1) Adan de Yarza: „Descripciön fisica y geolögica de la prov. de Gui-
puzcoa" (Memorias de la Comisiön del Mapa geolögico de Espafia, Jahrgang
1884, S. 10). Derselbe, „Descripciön &c. de Alava" (Madrid 1885), Vizcaya
(Madrid 1892), bes. S. 9 u. 97. Diese Arbeiten zeichnen sich namentlich auch
durch besondre Berücksichtigung der geographischen Beziehungen aus.
Die Pyrenäen. 767
beider haben uns erst neuerdings das Verständnis der Pyrenäen,
wenigstens der spanischen, erschlossen. Wir wissen so, daß die
Fläche der letztern zwei Drittel des ganzen Gebirges ausmacht1),
daß die orographische Mannigfaltigkeit dort am größten, der Ein-
blick in den innern Bau am leichtesten ist, da die Abtragung an
dieser niederschlagsärmeren Seite weit weniger fortgeschritten ist.
Im großen betrachtet bilden die Pyrenäen eine aus stark gefalteten
alten, von Granitmassen durchsetzten Gesteinen aufgebaute Kette,
die zu beiden Seiten von Nebeugürteln mesozoischer und tertiärer
Gesteine begleitet wird. Ihre Gesamtrichtung ist WNW — OSO2).
Das Streichen der Falten ist genau O 30 ° S, weiter nach O biegen
sie in ONO um. De Margerie sucht eine Art Fächenstruktur in
der ganzen Ausdehnung der Pyrenäen zu erweisen. Es folgen
im senkrechten Querschnitt stets mehrere, auf der französischen
Seite orographisch und hydrographisch kaum erkennbare parallele
Gürtel aufeinander, auf der spanischen Seite 1. der Gürtel des
Mt. Perdu, orographisch in diesem Hochgipfel, der Pena Colla-
rada, Tendenera, Cotiella, Turbon u. a., ausgeprägt (obere Kreide
und Eocän, die nur hier an der Bildung der höchsten Gipfel be-
teiligt sind); 2. der des Aragon (Eocän), orographisch an der
auffälligen Längsmulde am besten kenntlich, welcher im soge-
nannten Canal de Berdun der Aragon von Jaca abwärts folgt,
während dieselbe in der Landschaft Tulivana sich weiter nach
Osten bis über den Gallego hinaus, der sie zu durchqueren ver-
mochte, fortsetzt; 3. der Gürtel der Sierras (Trias, Kreide, Eocän).
Dieser letztere Gürtel ist auch orographisch der hervorstechendste
Zug der spanischen Pyrenäen. Steil, sich girlandenartig mit-
einander verknüpfend erheben sich diese ihrer Tertiärdecke bis
auf geringe Reste beraubten Antiklinalen auf dem etwa 500 m
hohen Sockel des Gebirges unmittelbar am Rande desselben gegen
das raiocäne Ebrobecken. Ihr Bau ist ein sehr verwickelter, die
Trias grenzt zum Teil unmittelbar an das Miocän des Ebrobeckens.
Meist verbergen sie dem Blick von diesem aus nicht nur die
hinter ihnen liegenden langgestreckten tertiären Synklinalen,
sondern sogar den im Mittel etwa 50 — 60 km entfernten Kamm
1) Fr. Schradcr u. E. de Margerie: „Apercu de la forme et relief des
Pyrönees", Paris 1893, S. 23. Schöne hypsometrische Karte.
2) Fr. Schradcr u. E. de Margerie: „Apercu de la strueture geolögique
des Pyrenees", Paris 1892, S. 12, 23. Schöne geologische Karte.
2 68 IV» 4« Das Katalonische Gebirge.
der eigentlichen Pyrenäen. Sie haben den Charakter langer
Falten gut bewahrt, und die vordersten an der Ebroebene sind
nicht selten nach außen überstürzt. Es sind die Sierra de Santo
Domingo, Puig Chicibro, Sierra de Guara, Carodilla und Montsech.
In diesem tritt die nordöstliche Umbiegung deutlich hervor, die
Sierra de Cadi, die Verlängerung des Canigou, schließt sich un-
mittelbar an. Westlich von der Sierra de Santo Domingo setzen
sich diese Falten, den Rand des Gebirges bildend, in gleicher
Richtung noch weiter fort, nur ist die Tertiärdecke erhalten, erst
in der Sierra de Cantabrio bilden wieder die Kreideschichten den
Kamm. Der Ebro, der hier in der Enge der Conchas de Haro
in sein Becken eintritt, schneidet die Montes Obarenes, die Fort-
setzung jener, von ihnen ab. In ähnlichen engen Durchbruchs-
tälern durchbrechen sämtliche Pyrenäenflüsse diesen steilen Außen-
rand des Gebirges, im Innern desselben folgen dieselben aber
meist und auf lange Strecken den tektonischen Linien, während
auf der französischen Seite fast alle Hindernisse beseitigt und
die Wasserläufe meist in der Richtung des größten Gefälles
geradegelegt sind. Nur die Esera und die beiden Nogueras
machen eine Ausnahme und fließen daher fast durchaus in engen
Tälern, oft ungangbaren Schluchten, während ihre wasserarmen
Zuflüsse in breiten Tälern den tektonischen Linien folgen.
4. Das Katalonische Gebirge.
Schwer ist die Grenze zwischen den Pyrenäen und dem
Katalonischen Gebirge zu ziehen. Wir ziehen dieselbe auf dem
Hochlande von Llusanes, das als eine sehr flache Eocänmulde
zwischen der Sierra de Cadi und der innern Katalonischen Kette
liegt und sich nach der einen Seite gegen das Ebrobecken, nach
der andern gegen die Ebene des Ampurdan neigt, in der Mitte
tief ausgefurcht durch die von dem hohen Kamme der Sierra de
Cadi herabkommenden Gewässer, welche dann, zum großen Teil
in der Llobregatrinne vereinigt, das niedrigere Katalonische Ge-
birge durchbrechen bzw. im Ter der Mulde selbst nach Osten folgen.
Das Katalonische Gebirge ist nach seinen tektonischen Ver-
hältnissen und seiner Stellung gänzlich unerforscht. De Margerie
Das Katatonische Gebirge. 2ÖQ
und Schrader bezeichnen 1892 l) dasselbe, ganz in Übereinstimmung
mit unsrer Auffassung, als den eigentlichen Pyrenäen fremd, 18932)
dagegen ziehen sie einen Teil der Innerkatalonischen Kette vom
Montserrat über die Berge von S. Llorens zum Monseny zu den
Pyrenäen als einen Teil der oben geschilderten Ketten des Außen-
randes derselben, aber ohne eine nähere Begründung zu geben,
anscheinend auch ohne eigene Forschungen an Ort und Stelle.
Die spanischen Geologen3) versagen für diese Frage völlig, die
Geographen haben meist nicht einmal einen eigenen Namen für
das Gebirge, da sie es entweder ganz unberücksichtigt lassen
oder zu den Pyrenäen rechnen. Botella unterscheidet wenigstens
die Südwesthälfte als Ilergeten-Kette. Willkomm und v. Roon
rechnen dasselbe auch zu den Pyrenäen. Das scheint uns ganz
unmöglich, da, abgesehen von minder wichtigen Unterschieden,
die Streichungsrichtungen auf den pyrenäischen Ketten nahezu
senkrecht stehen, das Gebirge auch seine Entstehung südwest-
nordöstlich verlaufenden Brüchen zu verdanken scheint und oro-
graphisch aus zwei parallelen Höhenzügen besteht, die durch
ein fast in seiner ganzen Ausdehnung mit Jüngern und jüngsten
Ablagerungen gefülltes Längstal voneinander geschieden werden.
Dasselbe beginnt mit dem Einbruchskessel des Ampurdan und
endigt am Meere bei Tarragona. Es dürfte als eine Graben-
versenkung aufzufassen sein und ist reich an heißen Quellen und
vulkanischen Ausbrüchen4). Das lakustre Miocän, das hier wie
auf der Iberischen Scholle dem Silur auflagernd vorkommt, hat
noch bedeutende Störungen erfahren, — also auch eine von den
Pyrenäen abweichende Erscheinung. Vielleicht kommen wir der
Wahrheit am nächsten, wenn wir die Vermutung aussprechen,
daß wir hier einen Teil der Iberischen Scholle, von der das
Katalonische Gebirge auch nur durch das Erosionstal des Ebro,
1) „Structure geol.", S. 24.
2) „Apercu de la forme", S. II.
3) Es kommen namentlich in Betracht: Jose Maureta und S. Thös y
Codina, „Descripciön fisica &c. de Barcelona" (Memorias Com. Mapa geol.
de Esp., Jahrg. 1881); Bauza, „Breve resena geol. de la prov. de Gerona"
(Bol. Com. Mapa geol., Bd. 1, Jahrg. 1874), und L. Vidal, „Resena geol. y
minera de la prov. de Gerona" (Bol., Bd. XIII) ; Mallada, „Reconocimiento
geogrifico y geolögico de la prov. de Tarragona" (Bol., Bd. XVI).
4) Wir verweisen auf unsre Darstellung in „Unser Wissen von der
Erde". Bd. in, S. 6(7 ff.
2 70 IV, 5- Das Ebrobecken. 6. Das Andalusische Faltenland.
über welches die Formationen und Höhenzüge unverändert hin-
überstreichen, getrennt ist, vor uns haben, welcher durch Anda-
lusische Bruchlinien zerstückt worden ist.
5. Das Ebrobecken.
Das Tiefbecken von Aragonien schließlich ist als ein großer
Einbruchskessel auf dem Ebrobruche mit den Ablagerungen eines
großen Tertiärsees gefüllt, welcher im NW mit demjenigen von
Alt-Kastilien in breiter Verbindung stand. Daß die Geschicke
des Ebrobeckens von demjenigen der Kastilischen etwas ab-
weichende waren, hat Calderon y Arana betont1). Erosion und
Denudation haben die Miocänschichten derartig ausgearbeitet,
daß die Form der Ebene nur in geringer Ausdehnung auftritt.
6. Das Andalusische Faltenland.
Geologisch gut erforscht, wenigstens in seiner größern Süd-
westhälfte, ist das große Andalusische Faltenland, namentlich dank
den Arbeiten wie schon früher eines Verneuil, so in der alier-
neusten Zeit der französischen Geologen, die unter Fouques
Leitung das Erdbeben vom 25. Dezember 1884 klargelegt
haben. Zum Andalusischen Faltenlande rechnen wir das ganze
Gebiet südlich von der Guadalquivir-Bucht und dem Iberischen
Tafellande bis zum Kap Nao. Daß die niedern Gebirgszüge der
Provinzen Murcia und Alicante bis in das südliche Valencia, die
bei den Systematikern bisher entweder keine Beachtung gefunden
haben oder zum Tafellande selbst gezogen worden sind, dem
großen Andalusischen Faltensystem zuzurechnen sind, das geht
schon aus den Untersuchungen von de Verneuil2) hervor, deren
Ergebnissen Macpherson sich später durchaus angeschlossen hat.
Derselbe rechnet seine Bätische Kordillere bis zum Kap Nao3)
1) „Ensayo", S. 146.
2) „Coup d'ceil sur la Constitution geologique de quelques provinces
de l'Espagne" (Bull. Soc. geol. de France, T. I, 2e ser., 1852/53, bes.
S. 84 u. 91).
3) „Bosquejo geol. de Cadiz", S. 17 u. 25 fr. Ich konnte diese Schrift
erst nach Vollendung meiner „Landeskunde von Spanien" erlangen. Es ist
Gebirge von Murcia und Alicante. 2 71
und begreift den Moncabrer, dessen Aufbau aus gefalteten und
verworfenen Kreideschichten schon de Verneuil nachgewiesen hat,
die Sierra del Carche, de la Pila, de Alcaräz und Sagra unter
derselben. Botella dagegen1) rechnet diese Gebirge, obwohl ge-
rade seine hypsometrische Karte2) auch rein orographisch die
Sierra de Alcaräz scharf von der Sierra Morena und dem Tafel-
lande abhebt und mit der Sierra de Segura, de Maria etc. eng
verbindet, zu einer Marianisch-Kontestanisch-Balearischen Scheide-
kette, die die eigentliche Südgrenze der Halbinsel bildet und am
Kap S. Antonio endet, um sich in den Gebirgen der Balearen
fortzusetzen. In seinem 18 Jahre früher erschienenen Werke über
die Provinz Murcia3) rechnet auch er es allerdings zum Bätischen
System. Dafür spricht vor allem noch die große Ausdehnung und
Bedeutung, welche hier das marine Miocän erlangt, das auf dem
Tafellande ganz fehlt. Nach dem heutigen Stande unsrer Kenntnis
kann es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß die Anda-
lusischen Faltenzüge sich bis zum Kap Nao und S. Antonio
fortsetzen und daß sich auch hier die vorwärts bewegten Schichten
am Südrande der alten Scholle stauten. Botella selbst hebt in
seiner frühern Arbeit über Murcia4) hervor, daß die paläozoischen
Schichten westlich der Sierra de Alcaräz dem Silur und der Sierra
Morena angehören und fast in saigerer Richtung annähernd nord-
westlich streichende Faltenzüge bilden, während die dem Penn
angehörigen, auch petrographisch verschiedenen Schichten, die nur
im Ausbiß am Süd- wie am Nordrande der auf einem jener
Längsbrüche gelegenen Huerta von Murcia hervortreten, schwächer
gefaltet in N 28 ° O streichen. Wie die Sierra de Alcaräz aus
denselben gefalteten nordöstlich streichenden Triasschichten be-
steht, die weiterhin im Campo de Montiel wagerecht lagernd eine
mehr als 1000 m hohe Hochebene bilden, den höchsten Teil der
Mancha, so sind auch die Schichten der Trias, des Jura, der
deshalb um so wichtiger, daß ich ganz unabhängig von Macpherson zur
Unterscheidung eines Andalusischen Diagonal- und eines Äquatorialsystems
gekommen bin, genau der Bätischen und der Pcnibäüschen Kordillere jenes
entsprechend.
1) „Geogräfia morfolögica", S. IOO.
2) Vgl. Anm. 1, S. 250.
3) S. 246, Anm. I.
4) Botclla, „Murcia", S. 35 u. 29.
2 7 2 IV, 6. Das Andalusische Faltenland.
Kreide und des Eocän in Murcia und Alicante, wenn auch viel-
fach von Verwerfungen durchsetzt, vorwiegend in der andalusischen
Diagonalrichtung gefaltet1). De Verneuil fand die Nummulit-
schichten in der äußersten Nordostecke der Provinz Alicante,
gegen Kap Nao hin, so stark gefaltet, daß dort ein reichgegliedertes
Gebirgsland mit Höhen von 1000 bis 1200 m gebildet wird, das
ihn mit seinen wild durcheinandergeworfenen Schichten an die
Alpen erinnerte. Starke Faltung, ja gegen das Hochland be-
wegte Wanderschollen, hat neuerdings hier auch R. Nickles an-
genommen.2)
Wir haben hier dasjenige etwas ausgedehntere Gebiet der
Halbinsel vor uns, welches am längsten, bis zum Beginn der
Pliocänzeit, Meer war3). In der Miocänzeit bestand hier nur ein
Archipel.
Es handelt sich somit im Andalusischen Faltenland um ein
jugendliches Faltensystem, das sich mit dem zugehörigen der
nordafrikanischen Küste zwischen dem alten Iberischen Horste
auf der einen, dem alten afrikanischen Festlande auf der andern
Seite in ähnlicher Weise bildete wie die Pyrenäen zwischen jenem
und dem Zentral -Plateau von Frankreich4). Erst zu Ende der
Kreidezeit wurde hier ein wirkliches Gebirge emporgefaltet, die
faltenden Bewegungen umfaßten aber noch einen großen Teil
der Tertiärzeit , bis zu Beginn der Pliocänzeit , während die
vom Meere erst zur Meerenge von Gibraltar ausgearbeitete Quer-
verwerfung sich erst in der Quartärzeit bildete, das Tal des
Guadalquivir aber dauernd Festland wurde. Noch während
der Miocänzeit (Helvetien) ging eine Meerenge vom Ozean zum
Mittelmeer, die im N vom Südrande der Iberischen Scholle,
im S von der Sierra Nevada und deren Fortsetzungen begrenzt
wurde. De Verneuil5) hat diese Ansicht zuerst ausgesprochen,
1) Vgl. auch de Verneuil a. a. O., S. 76, 78, 84, 86.
2) B. S. Geol. de France 1904. 4. Ser., Bd. rV, S. 223.
3) Man vergleiche dazu die Karte Botellas im Bol. Soc. Geogr. Madrid
1877, II, Taf. 3.
4) „Mission d'Andalousie. Etudes relatives au tremblement de terre du
25 dec. 1884 et la Constitution geologique du sol ebranle par les secousscs.
Directeur de la mission M. F. Fouque" (Memoires present6s par divers savants
ä l'Academie des Sciences de l'Institut national de France, Paris 1889,
T. XXX, No. 2, S. 572 ff.)
5) „Coup d'ceil" etc., S. 79.
Quer- und Längsfurchen des Andalusischen Faltenlandes. 273
und die Gelehrten1) der Mission d'Andalousie halten sie noch
fest. Erst zur Miocänzeit hat die Sierra Nevada ihre Höhe er-
reicht; das obere Miocän hat zum Teil noch bedeutende Störungen
erfahren, örtlich aber lagert es, wenn auch zu Höhen bis 1000 ru
emporgehoben, noch fast wagerecht — eine für die wechselnden
Oberfiächenformen dieses Gebiets wichtige Tatsache — ; so in
dem von den Flüssen tief durchschluchteten Tafellande von
Ronda2), in der weiten, großwelligen Hochebene südwestlich von
Granada, an der Nordseite der Sierra de Alhama und Sierra de
Almijara, namentlich aber in großer Ausdehnung im nordöstlichen
Tale des Andalusischen Faltenlandes, das dadurch einen wesent-
lich verschiedenen Charakter erhält. Hier scheint auch die In-
tensität der Faltung eine geringere gewesen zu sein. Störungen,
welche auch das Pliocän, namentlich an der Küste, hier und da
erfahren hat, glauben die Geologen der Mission d'Andalousie auf
einfache Gleiterscheinungen oder örtliche Senkungen zurückführen
zu müssen8). Für eine späte Hebung zeugen aber die in der
Provinz Almeria 600 m Höhe erreichenden Pliocänschichten4).
Ganz ausnahmsweise bilden auch die Kreideschichten, nur zu ganz
flachen Wellen gefaltet, Hochebenen, wie um die Fuente de Piedra
und in der sogenannten Sierra de las Yeguas5).
Dieser Entstehung des Gebirges entsprechend haben wir es
in dem ganzen Gebiet von Cadiz und der Meerenge bis zum
Südrande der Küstenebene von Valencia mit langgestreckten
einander mehr oder weniger parallelen Gebirgsketten zu tun.
Daß dieselben eine gewisse Länge nicht überschreiten und die
Sierra Nevada mit 80 km Länge die längste dieser meist als
antiklinale Sättel aufzufassenden Ketten sein dürfte, das bewirkte
ein zweiter für die Oberflächengestaltung wichtiger tektonischer
1) Bertrand et Kilian, „Etudes sur les terrains secondaires et tertiaires
dans les provinces de Grenade et de Malaga", S. 480.
2) Macpherson, „Relaciön entre las formas orogräficas y la constituciön
geolögica de la Serrania de Ronda" (Bol. Soc. geogr. Madrid X, S. 280).
3) Das Bild in der „Länderkunde" S. 552 stellt solche Störungen nach
einer Photographie des Verfassers dar.
4) F. M. Donayre, „Datos por una resena fisica y geolögica de la regiön
SO de la prov. de Almeria" (Bol. Com. Mapa geol. de Esp. 1877, Bd. IV,
S. 383).
5) D. de Orueta, „Bosquejo fisico-geolögico de la regiön septentrional
de la prov. de Malaga" (ebend. 1877, Bd. IV, S. 89).
Fischer, Mittclmcerbildcr. Neue Folge. l8
? 74 IV, 6. Das Andalusische Faltenland.
Vorgang, nämlich die Bildung großer, annähernd zur Richtung
der Falten senkrechter, durch die Denudation und Erosion der
Tertiär- und Quartärzeit orographisch schärfer ausgearbeiteter Quer-
brüche in nachtriassischer Zeit. Diese zerstücken namentlich die
innern Faltenzüge in einzelne Ketten, aber ohne den Zusammen-
hang derselben völlig zu lösen, zugleich mit einem gewissen
Grade von wagerechter Verschiebung der Stücke. Wir bezeichnen
diese Querbrüche, die als die Haupterdbebenlinien erkannt worden
sind, nach Malaga, Motril und Guadix1). Jedem entspricht eine
einen Zugang aus dem Innern zum Mittelmeere schaffende Ein-
kerbung des höchsten Faltenzugs, ein dort zum Meere durch-
brechender Fluß (Guadalhorce, Guadalfeo, Almeria) und eine von
demselben heute zum großen Teil schon wieder verlandete Meeres-
bucht. Neben diesen und andern, minder wichtigen Querbrüchen
treten aber auch zahlreiche Längsverwerfungen, ja wahre Ein-
bruchskessel oberflächengestaltend hervor. Ein ganzes System von
solchen schafft im Innern des Andalusischen Faltenlandes eine
Art orographische Längsfurche, die zugleich eine geologische
Grenze zwischen dem archäischen und paläozoischen Gürtel auf
der einen, dem mesozoischen und tertiären Gürtel auf der andern
Seite bildet und auch hydrographisch und als natürlicher Ver-
kehrsweg im Innern des Gebirgslandes, an welchen zugleich die
wichtigsten Siedelungen (Loja, Granada, Guadix, Baza, Lorca,
Murcia, Orihuela, Alicante) gebunden sind, an die große Längs-
furche der Alpen erinnert. Genauer erforscht ist von diesen
Längsbrüchen nur der von Granada, ein zu Ende der Miocän-
zeit durch angehäufte Sande und Rollkiesel, die zum größern Teil
von der Sierra Nevada, zum kleinern von den nördlichen Ketten
herstammen, ausgefüllter Einbruchskessel2) mitten im Faltenlande.
Ähnlich verhält es sich mit dem von Guadix und Baza3). Weiter
nach Osten ist am Nordrande dieses Gürtels von Längsverwer-
i) „Mission d'Andalousie", S. 117 fr. Dieselben finden sich dort auf
einer Karte dargestellt. Vgl. auch E. de Margerie, „La Geologie de l'Anda-
lousie" (Extr. Revue Generale des Sciences pures et appliquees), S. 4; mit
Karte. Paris 1890.
2) Außer der Mission d'Andalousie ist hier auf von Dräsche, „Geol.
Skizze des Hochgebirgsteils der Sierra Nevada" (Jahrb. d. Geol. Reichs-
anstalt, Wien 1879, Bd. 29), zu verweisen.
3) L. Siegert, ZGE Berlin 1905, S. 528.
Der Gürtel der Längsbrüche. 27 S
fungen die Sierra de Maria als eine ONO streichende, an beiden
Seiten durch Verwerfungen begrenzte jurassische Antiklinale mit
nach S gegen das alte Gebirge, von dem die Verwerfung trennt,
einfallenden Schichten erkannt worden1), während die ihr jen-
seits nahezu parallel streichende Sierra de las Estancias aus
kambrischen Schichten aufgebaut ist, mit einem Reste triassischer
am Rande des hier mit Diluvium gefüllten Bruches. Auf einer
geologischen Grenze gelegen, müssen diese Einbruchskessel auch
in der Geschichte des Andalusischen Faltensystems eine wichtige,
noch näher festzustellende Rolle spielen, denn wie sie rein oro-
graphisch das ganze System in ein inneres, vorwiegend aus altern
Gesteinen und Formationen aufgebautes, die höchsten Ketten und
Gipfel enthaltendes, wirkliches Hochgebirge mit wildern Formen
und ein äußeres, nur aus mesozoischen und tertiären Schichten
aufgebautes, mit weit niedrigem Ketten, scheiden, so bezeichnen
sie zugleich auch eine auffällige Änderung der Richtung der
Faltenzüge und, dadurch bedingt, der Gebirgsketten. Innerhalb
dieses Gürtels von Längsbrüchen herrscht ziemlich genau west-
östliche Richtung vor, landeinwärts desselben nahezu südwest-
nordöstliche. Diese Unterschiede sind so auffällig, daß sie schon
längst bemerkt und auch in der Namengebung zum Ausdruck
gekommen sind. Botella2), für welchen diese Richtungsänderung
im Sinne des Elie de Beaumontschen Fentagonalsystems von
größter Wichtigkeit war, unterschied so lediglich auf Grund der-
selben alle Ketten von der Sierra Nevada bis zum Kap Palos
als Penibätisches System von den Ketten von der Serrania de
Ronda bis zum Kap San Antonio, die er als Bätisches System
bezeichnet. Ihm folgt Macpherson3), nur daß er richtiger die
Gebirge bis zum Ozean zu letzterm rechnet und beide Systeme
in der Serrania de Ronda, wo die Umbieg ung nach S eintritt,
sich vereinigen läßt. Das Penibätische System läßt er das eine
Mal in der Sierra de los Filabres beginnen, dehnt es aber rich-
tiger ein andermal bis zur Provinz Cartagena, also wohl bis zum
1) D. de Cortazar, „Resefia fisica y geolögica de la regiön norte de
la prov. de Almeria" (Bol. Comision del Mapa geo'ögico de Espana 1875,
Bd. II). Vgl. auch J. Macpherson, „Breve noticia acerca de la especial
estructura de la Peninsula Iberica" (Anal. Soc. esp. de Hist. Nat., Madrid
1879, T. VIH, S. 18).
2) „Murcia", S. 2. 3) „Cadiz", S. 23.
18*
2i 6 rV» 6. Das Andalusische Faltenland.
Kap Palos aus. Auch gebraucht er gelegentlich die Bezeichnung
Bätische Kordillere für das ganze Andalusische Gebirge und
schreibt derselben die Richtung O 2 8° N zu. Die französischen
Geologen verstehen unter Bätischem System nur das südliche,
aus altern Felsarten aufgebaute, das nördliche bezeichnen sie als
Subbätisch. Ed. Sueß1), der diese Forschungen noch nicht be-
nutzt hat, versteht, wohl im Anschluß an Macpherson, unter der
Bezeichnung Bätische Kordillere das ganze Andalusische Falten-
land, von der Meerenge bis zum Kap Nao, unterscheidet aber
ebenfalls den innern Schiefergürtel von dem äußern, aus meso-
zoischen und eocänen Gesteinen bestehenden, stark gefalteten
und von Verwerfungen vielfach durchschnittenen. Durch Sueß
dürfte wohl bei den deutschen Geographen die Bezeichnung
,,Bätisches Gebirge" am meisten eingebürgert sein. Da aber die
amtliche Resena2) unter dem Bätischen System, das sie auch als
Marianisches (Sierra Morena) bezeichnet, den Südrand der Ibe-
rischen Scholle versteht, die Gebirge von Hoch-Andalusien aber
Penibätisches System nennt, die Sierra de Alcaräz, Sagra, de los
Filabres etc. jedoch zum Iberischen rechnet, so sehen wir die
tollste Verwirrung in der Namengebung vor uns, aus welcher
herauszukommen wir vorschlagen, den so viel mißbrauchten, so
weit hergeholten, noch dazu einem Flusse entnommenen Ausdruck
„Bätisch" ganz fallen zu lassen und dafür die wohl überall sofort
verständlichen Bezeichnungen Andalusisches Faltenland,
Andalusisches Äquatorial-System und Andalusisches
Diagonal-System einzuführen.
Gemeinsam ist dem ganzen Andalusischen Faltenlande die
größere Steilheit und Höhe der Ketten an der Mittelmeerseite,
der Ab- und Einbruchsseite, von welcher der seitliche Druck her-
kam — der Kamm der Sierra Nevada ist in der Luftlinie, ob-
wohl ihr noch ein niedrigerer paralleler Zug, Sierra de Contra-
viesa und Sierra de Gador, vorgelagert ist, nur 35 km vom
Mittelmeer entfernt — , nach innen ist die Neigung der Schichten
der immer jungem Formationen überall eine geringere, ja wir
sahen schon, daß bei ganz flachlagernden Miocänschichten die
Form der Hochfläche vielfach wiederkehrt. Dies schon im eigent-
1) „Das Antlitz der Erde", Bd. I, S. 298 ff. Prag 1893.
2) Vgl. S. 245, Anm. 1.
Sein Ostende. Jüngere Durchbrüche. 2 77
liehen Hoch-Andalusien, noch mehr aber in Murcia und Alicante.
Dort erheben sich, schmalen Inseln ähnlich, die aus gefalteten,
vielfach noch durch Längsbrüche zerstückten Schichten des Jura,
der Kreide und des Eocän, hier und da auch der Trias, ge-
bildeten Ketten, die alle SW — NO-Streichen haben, mit meist
geringer relativer und absoluter Höhe über die einförmigen Hoch-
flächen oder das flachwellige Hügelland des Jüngern marinen
Tertiär. Dadurch sowohl wie durch die, selbst wo sie die Falten-
züge queren, breit ausgewaschenen Flußtäler des Segura und
Vinalapö wird dieser Teil des Andalusischen Faltenlandes in
hohem Grade gangbar. Cartagena und Alicante sind daher
wichtige und die am bequemsten erreichbaren Häfen von Kastilien,
und es ist dies ganze Gebiet, das infolge seiner Dürre und bei
dem Vorherrschen der nur magern, nicht selten salzhaltigen Boden
liefernden Tertiärschichten mehr dem Hochlande ähnelt als den
Randlandschaften , von jeher in den engsten Beziehungen zu
jenen gewesen, auch xj± Jahrtausend früher wieder christlich ge-
worden als Hoch-Andalusien.
Jüngere Eruptivgesteine, die man an der innern Seite des
einseitigen Gebirges erwarten wird, treten die Oberflächenformen
beeinflussend nur am Kap Gata auf, wo sie ein eigenartiges
kleines Gebirge bilden, das alle Erscheinungen in solcher Voll-
ständigkeit aufweist, daß man es als das Modell eines vulkanischen
Ausbruchs- und Aufschüttungsgebirges ansehen könnte 1). Von
da finden sich meist niedere Hügel, im Mar Menor Inseln bildend,
vereinzelt jung-eruptive Gesteine in einem 200 km langen Gürtel
bis zum Kap Palos, weiterhin auch noch in der Provinz Murcia.
Eine große Serpentinmasse ist entscheidend für die Oberflächen-
gestaltung der Serrania de Ronda. Sie bildet gewissermaßen
einen Wall des Hochlandes gegen das Meer2). Zahlreiche Ophit-
durchbrüche der Provinz Cadiz sind bodenplastisch bedeutungslos.
1) A. Osann, „Über den geologischen Bau des Kap Gata" (Ztschr. f.
d. Deutschen geolog. Gesellsch. 1891, S. 323 — 346 u. 688 — 722). Drei
Kärtchen stellen die Verbreitung der verschiedenen Eruptivgesteine dar.
2) Macpherson, „Serrania de Ronda" (vgl. Anm. 2, S. 273). Calderon
y Arana, „Estudio petrogrdfico sobre las rocas vulcanicas del cabo de Gata
y isla de Alboran" (Bol. Com. Mapa geol. de Esp. 1881, Bd. IX, S. 333).
278 rV> 7« Die Guadalquivirbucht.
7. Die Guadalquivirbucht.
Die Guadalquivirbucht, Nieder- Andalusien, bezeichnet noch
heute am deutlichsten den Verlauf jener rniocänen Meerenge
zwischen Ozean und Mittelmeer, die erst gegen Ende der Tertiär-
zeit im wesentlichen durch Hebung verlandet wurde. Sie er-
scheint als ein sehr spitzes Dreieck, etwa mit der Grundlinie
Cadiz-Guadianamündung und der Spitze bei Villacarillo. Nament-
lich die nördliche Seite fällt sehr scharf mit dem Guadalquivir-
bruch und bis Cantillana (oberhalb Sevilla), wo sich der Strom,
von der Tiefe des Golfs von Cadiz angezogen, vom Rande der
iberischen Scholle unter auffallender Richtungsänderung ablöst,
mit dem Guadalquivirlaufe zusammen. Die Bucht ist also zum
großen Teil mit rniocänen Ablagerungen gefüllt, erst unterhalb
Sevilla tritt Pliocän auf, aber auch nur an den Rändern, am
Strome selbst wird es durch einen breiten Gürtel diluvialer und
alluvialer Gebilde bedeckt. Die Form der Ebene ist daher ledig-
lich auf letztere, also etwa auf ein Dreieck, dessen Spitze etwas
unterhalb Cantillana liegt und das wir, auch mit Rücksicht auf
die Stromteilung, wohl als eine Deltabildung auffassen können,
beschränkt. Noch in römischer Zeit lag nach dem Zeugnisse des
Pomponius Mela (III, 5), eines gebornen Südspaniers, an Stelle
der heutigen Marismas ein großes Haff, welchem der Guadal-
quivir in zwei Armen entströmte. Nieder - Andalusien ist also
überwiegend welliges Hügelland mit stromaufwärts deutlich aus-
geprägten Höhenzügen, den sogenannten Lomas (de Chiclana,
de Ubeda), und breiten, tief eingeschnittenen Tälern der Neben-
flüsse des Guadalquivir und des Stromes selbst. Wo die Miocän-
schichten aus Mergeln und Kalkstein bestehen, bieten sie guten
Ackerboden (Campina de Cordoba) und tragen sie die ungeheuren
Olivenhaine Nieder-Andalusiens, wo sie aber sandig und wasser-
arm *), hier und da selbst noch salzhaltig sind, daher der Fluß-
name Salado nicht weniger als siebenmal wiederkehrend, treten
Ödländereien, ja Steppen auf, in einer Ausdehnung, die mit der
Vorstellung, die man sich gewöhnlich von Andalusien macht,
schwer zu vereinigen ist.
1) L. Mallada, „Reconocimiento geolögico de la prov. de Jaen" (Bol.
Com. Mapa geol. de Esp. 1884, Bd. XVI).
V. Klimatologische Studien.
i. Das Klima der Mittelmeerländer und seine
Folge Wirkungen. *)
Die Zahl der Deutschen, die, sei es zu ihrem Vergnügen,
sei es zu ihrer Belehrung oder aus gesundheitlichen Gründen,
die Mittelmeerländer, zu Lande oder zur See, bereisen oder am
Ufer des Mittelmeeres längere oder kürzere Zeit Aufenthalt nehmen,
wächst außerordentlich rasch. Und ebenso wächst, wie man aus
verschiedenen Anzeichen schließen muß, die Zahl derjenigen All-
gemeingebildeten, die sich nicht mit ihrem Reisehandbuche be-
gnügen, sondern ihr Verständnis für diese Länder auch noch
aus andern Quellen zu vertiefen und damit den Genuß der Reise
zu erhöhen bemüht sind. Diesem Bedürfnis in bezug auf einige
bisher weniger beachtete Fragen entgegenzukommen ist der Zweck
dieses Aufsatzes.
Das Klima der Mittelmeerländer, das ja zu den, den Nord-
länder am meisten anziehenden Eigenschaften dieses Länder-
gebietes gehört, wird gekennzeichnet durch die Milde des Winters
bei nur mäßig gesteigerter Sommerwärme, wozu die das ganze
Jahr, aber besonders im Sommer wegen der wunderbaren Mischung
von Land und Meer, die diesen Erdgürtel ferner kennzeichnet,
lebhaft bewegte Luft beiträgt, vor allem aber durch eine je weiter
nach Süden um so schärfer hervortretende Scheidung des Jahres
in eine Regenzeit und eine Trockenzeit. Die Regenzeit der
Mittelmeerländer beginnt , wenn diese , entsprechend der Ver-
schiebung des subtropischen Luftdrucks an der Ostseite des
Atlantischen Ozeans nach dem scheinbaren Gange der Sonne
i) Erschienen in der Deutschen Rundschau. 33. Jahrg. 1907.
280 V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
äquatorwärts, in den Mitteleuropa das ganze Jahr kennzeichnen-
den Gürtel veränderlicher Winde eintreten; sie endigt, wenn sie
südlich von diesem Gürtel veränderlicher Winde liegen und mehr
das Ausgangsgebiet von Luftströmungen, also vorzugsweise nörd-
licher sind. Freilich, der Nordländer, der den Süden wegen der
Milde des Winters aufsucht, macht sich nicht immer klar, daß
er da zugleich in die Regenzeit hineinkommt, und empfindet da-
her zuweilen eine gewisse Enttäuschung. Doch wird er bald fest-
stellen, daß ein Regentag in den südlichen Mittelmeerländern,
ja selbst noch an der Riviera, etwas andres bedeutet als in
Mitteleuropa; denn der Satz, den Cicero nach seinen dort ge-
machten Erfahrungen aussprach, in Sizilien herrsche nie so schlechtes
Wetter, daß man nicht jeden Tag die Sonne sehe, war in der
Tat eine nur sehr geringe Übertreibung. Vereinzelte, kurze,
heftige Güsse, die oft große Niederschlagsmengen liefern, kenn-
zeichnen die Winterregenzeit der Mittelmeerländer. Nach einem
solchen Gusse bricht sofort die Sonne wieder durch. Der Wärme-
gang sowohl in der täglichen wie in der jährlichen Periode ist
zwar weit entfernt von der Gleichmäßigkeit des reinen See- oder
des Äquatorialklimas, aber doch weit gleichmäßiger als in Mittel-
europa, um so gleichmäßiger, je mehr die betreffende Örtlichkeit
nach ihrer Lage dem Einflüsse des Mittelmeeres ausgesetzt ist.
Dieser bewirkt, daß beispielsweise der Unterschied der Mittel-
temperatur des wärmsten und des kühlsten Monats in Palermo
nur 14,4, in Malta 14,0, in Alexandria 11,5° C beträgt, gegen
19,3 in Frankfurt a. M., 20,2 in München. Dieser Gegensatz
wird im allgemeinen unter festländischen Einflüssen von Süden
nach Norden und von Westen nach Osten, ebenso von den
Küsten ins Innere der Mittelmeer -Halbinseln größer. Aber das
ganze Mittelmeergebiet nimmt an der thermischen Begünstigung
Europas teil, am meisten im Winter; denn man kann sagen, daß
das Mittelmeer, das — dank seiner Abgeschlossenheit gegen den
Ozean durch die unterseeische Schwelle am äußeren Eingange
der Straße von Gibraltar seine thermischen Verhältnisse selbst
regelt und, abgesehen von einer nur etwa 350 m mächtigen Ober-
flächenschicht, mit nach dem Stande der Sonne veränderlicher
Temperatur, — einem gewaltigen Troge mit Wasser von etwa
130 C gleicht, der als mäßige Warmwasserheizung wirkt. Auch
in den größten Tiefen des Mittelmeeres, in der südwestpelopon-
Winter und Winterregen der Mittelmeerländer. 28 I
nesischen Tiefe, hat man bei 4400 m noch 13,5° C nachgewiesen.
Daneben sendet aber auch die große Wüste als Herd einer aller-
dings meist nicht angenehm empfundenen (Scirocco) Warmluft-
heizung in vereinzelten Luftwirbeln große Massen meist staub-
reicher, warmer Luft in das Mittelmeergebiet hinein, die sich
örtlich, über Gebirgswälle herabsinkend, ähnlich dem Föhn unsrer
Alpen, zu ungewöhnlichen Wärmegraden, noch in Palermo bis
nahe an 500 C, zu erhitzen vermag. Obwohl die Niederschlags-
mengen infolge der Mischung von warmen Meeresflächen und
hohem Lande im allgemeinen größer sind als in Mitteleuropa,
so ist bei der höheren Wärme die relative Feuchtigkeit und die
Bewölkung doch weit geringer, die Heiterkeit des Himmels sehr
viel größer. Tatsächlich verfügen die meisten Mittelmeerländer
und namentlich die Ostseiten der Halbinseln, je weiter nach
Süden um so mehr, wenn das dem gerade in der Regenzeit die-
selben besuchenden Nordländer auch nicht gleich einleuchten
will, über eine so große Zahl heiterer Tage, wie sie kaum in
einer andern Erdgegend vorkommen dürfte.
Diesen so skizzierten klimatischen Charakterzügen des Mittel-
meergebietes entspricht nun eine ganze Reihe von Folgewirkungen
verschiedener Art, die sich einmal vor Augen zu führen lohnend
und für das Verständnis dieses so vielseitig anziehenden Länder-
gürtels von Wert sein dürfte.
Zunächst möge, ohne auf feinere physiologische Untersuchungen
und Spekulationen einzugehen, auf gewisse offensichtliche Wirkungen
des Klimas auf den Menschen hingewiesen werden. So ist es
noch nicht lange her, ja in abgelegeneren Orten Italiens, Spaniens
und anderwärts tritt uns das heute noch entgegen, daß der Nord-
länder, ehe mit dem gesteigerten Reiseverkehr eigens für seine
in der kurzen, winterlichen Regenzeit hervortretenden Bedürfnisse
gebaut wurde, die steinernen Fußböden in den steinernen Häusern
schmerzlich empfand. Die Häuser sind eben vorzugsweise der
Sommerwärme angepaßt, die abzuhalten in Nordafrika meist die
engen Gassen nicht nur mit Weinranken oder Segeltuch über-
spannt, sondern sogar hier und da tunnelähnlich überwölbt sind.
Im Winter schützt man sich durch Pelzwerk und dicke Kleidung,
wohl auch durch das gefährliche Kohlenbecken, oder man sucht
die Sonnenseite der Straßen auf. So kann man vielfach, nament-
lich nach Regenwetter, die Bewohner sich sonnen sehen, und in
2 82 V, i. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
Andalusien spricht man ebenso von tomar el sol (wörtlich: Sonne
nehmen), wie man von tomar tabaco oder tomar chocolate (eine
Schokolade nehmen) spricht. Fast das ganze Leben der Mittel-
meervölker spielt sich im Freien ab und bewahrt den Menschen
vor den üblen Folgen des Lebens in eingeschlossener, vielfach
verdorbener Luft. Wie viel geringer sind die Anforderungen an
Wohnung, Kleidung und Nahrung!
Eine weitere Folgewirkung des Mediterranklimas liegt darin,
daß der Mensch durch den Wechsel einer niederschlagsreichen
und niederschlagsarmen Jahreszeit förmlich auf die Aufspeiche-
rung von Wasser zunächst für sich und sein Vieh, weiterhin aber
auch für seine, ihm selbst und seinem Vieh Nahrung bietenden
Pflanzen, also zur künstlichen Berieselung während des
trockenen aber warmen Sommers angeleitet wird, der dann die
Pflanzen um so besser gedeihen macht. Der Anbau des Bodens
steht daher im Mittelmeergebiet unter ganz anderen Bedingungen
wie in Mittel -Europa. Ohne künstliche Berieselung können nur
Gewächse gezogen werden, denen, wie z. B. der Weizen, die
niedrige Temperatur der Regenzeit noch genügt.
Es gibt im Mittelmeergebiete ganze Landschaften von größter
Fruchtbarkeit des Bodens, die nur für Nomaden und nur während
der Regenzeit bewohnbar waren. War diese vorüber, so wurde der
Wassermangel bald so groß, daß auch sie abziehen mußten. In
diesen Landschaften hat offenbar das Vorhandensein natürlicher
Wasserlöcher in Felsbecken den Menschen dazu geführt, diese künst-
lich zu vermehren, zu vergrößern, sie mit zugeleitetem Wasser zu
füllen, und ihm so die Möglichkeit zu schaffen, sich dauernd nieder-
zulassen. Dies gilt vor allem von der Landschaft En Nukra im
nordöstlichen Palästina, die, obwohl ihr rotbrauner, tiefgründiger
Boden, ein vulkanischer Zersetzungsstoff, die reichsten Ernten
wundervollen Weizens mit Hilfe der Winterregen hervorzubringen
vermag, nur durch künstliche Aufspeicherung des Wassers dauernd
bewohnbar war. Und so war es mehr oder weniger für einen
großen Teil von Palästina. Jerusalem selber war ja im wesent-
lichen auf die Zisternen, deren jedes Haus eine besaß und be-
sitzt, und die großen in der Bibel so oft genannten Teiche an-
gewiesen, die mit Regenwasser gefüllt wurden. So litten während
der vielen Belagerungen wohl die Belagerer, nicht aber die Be-
lagerten an Wassermangel.
Bedeutung künstlicher Bewässerung. 28 3
Auch in Italien gibt es Gegenden, wo die Bevölkerung allein
auf das in Zisternen künstlich aufgespeicherte Wasser angewiesen
ist. Nahezu % Mill. Menschen, namentlich in Apulien, haben
nur solches, und da es in ungenügender Menge vorhanden und
häufig verunreinigt ist, so sind Typhus und andere Erscheinungen
dort an der Tagesordnung.
Ähnlich war in einem großen Teile von Tunesien, wo in
den glücklichen Zeiten, deren sich dies Land in den ersten
christlichen Jahrhunderten als Zubehör des römischen Kaiser-
reiches erfreute, ein großer Teil seiner dichten Bevölkerung, da
es nur wenige Quellen dort gibt und die Flüsse nur zeitweilig
Wasser führen, auf künstliche Aufspeicherung der winterlichen
Regenmengen angewiesen. Nur dadurch war eine solche Boden-
verwertung und Verdichtung der Bevölkerung möglich. Reste
dieser Anlagen, zum Teil so wohl erhalten, daß die gute fran-
zösische Verwaltung sie ohne große Kosten hat wieder herstellen
können, finden sich noch allenthalben. Aber alle Kunst ver-
mochte nur Wasser für Menschen und Tiere aufzuspeichern, nicht
auch, oder nur ganz ausnahmsweise, für künstliche Berieselung
des Landes, obwohl man vielfach Wasserbehälter von großen
Ausmessungen findet. Brunnen waren nur ausnahmsweise möglich.
Es gab ansehnliche Städte, die nur von der Aufspeicherung der
Winterregen lebten, die auf die kahlen Berge der Umgebung
fielen. Diese waren künstlich mit zementierten Rinnen überzogen,
die alles Regenwasser in Zisternen leiteten.
Während die Franzosen in Algerien, wohl nach spanischen
Mustern, wahre Seen hinter mächtigen Staudämmen aufstauten,
die schon wiederholt bei den gewaltigen Regenmengen, die zu-
weilen in den südlichen Mittelmeerländern plötzlich herabstürzen,
weggerissen worden sind, so daß unsägliches Unheil angerichtet
worden ist, legten die Römer zahlreiche kleine Stauwerke an,
meist vom Ursprung der Bäche und Flüsse an, was zur Folge hatte,
daß sich nicht nur der Wasserdruck verteilte, ein Becken sich
nach dem andern füllte, sondern auch der Humus aufgespeichert
wurde und einzelne dieser Becken angebaut werden konnten.
Auch im Atlas -Vorlande von Marokko, namentlich in den
durch eine Decke fruchtbarster Schwarzerde ausgezeichneten Ge-
bieten der Abda und Dukkala, wo Brunnenbohrungen sehr schwierig
und kostspielig sind, häufig auch kaum genießbares Wasser liefern,
284 V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
Quellen und Flüsse weithin völlig fehlen, konnte ich feststellen,
daß diese Gegenden trotz ihrer Fruchtbarkeit erst durch künst-
liche Aufspeicherung der Winterregen dauernd bewohnbar ge-
worden sind. Dort wurde der Mensch auch wohl zu diesem Ver-
fahren angeleitet dadurch, daß sich auf der ihrer Entstehung
nach noch zu schildernden Kalkkruste in Vertiefungen das Regen-
wasser längere Zeit hielt. Man hat dort in großer Zahl offene,
meist kreisrunde Teiche angelegt, die von flachen Wällen des
ausgehobenen Bodens umgeben sind. Dagegen sammelt man auf
der Hochebene von Marrakesch, offenbar weil die vom Atlas herab-
kommenden Flüsse, wenigstens die kleineren nach der Schnee-
schmelze versiegen bzw. ihr Wasser in den Geröllfeldern versinkt,
das Grundwasser der Geröllfelder in außerordentlich geschickt
angelegten unterirdischen Sammelkanälen, den sog. Chattaras, die
schließlich als Bäche an die Oberfläche treten.
Künstliche Berieselung ist in den Mittelmeerländern gewiß,
wenn auch nur im kleinen, uralt. Schon in den homerischen
Dichtungen werden künstlich bewässerte Gärten erwähnt. Wenn
es auch denkbar ist, daß die Mittelmeervölker künstliche Beriese-
lung von Ägypten und Mesopotamien her über Syrien kennen
gelernt haben, notwendig ist das nicht. Die erziehende, kultur-
fördernde Wirkung der künstlichen Berieselung kann nicht gut
überschätzt werden. Sie sichert und erhöht die Ernte, sie zwingt
die Menschen bald, sich zu Genossenschaften zusammen zu tun,
um Rieselwasser im großen zu sichern und weiter zu leiten, sie
zeitigt ein besonderes Wasserrecht, sie zwingt, um die Kosten
der Wasseranlagen zu decken, zum Anbau reicher lohnender Ge-
wächse, die, wenn sie dauernde Wasserzufuhr bei hoher Wärme
bedürfen, eben nur unter künstlicher Bewässerung gezogen werden
können und oft aus den entferntesten Erdgegenden herbeigeholt
worden sind, wie schon im Mittelalter Zuckerrohr und Baumwolle.
Vor allem aber erfordert Baumzucht meist dauernde Wasser-
zufuhr. Wenigstens die Zucht der am reichsten lohnenden, aus
dem regenreichen südostasiatischen Monsungebiete stammenden
Aurantiaceen ist nur unter künstlicher Berieselung möglich. Der
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in den kleinen Küsten-
ebenen der andalusischen Südküste reichen Ertrag gebende Zucker-
rohrbau hat großartige Wasseranlagen möglich gemacht. Der
Charakter ganzer Landschaften wird unter künstlicher Berieselung
Künstliche Bewässerung in Marokko. 285
ein anderer. Der Wert und der Ertrag des Bodens steigern sich
außerordentlich. In Sizilien bringt bewässerter Boden 20 fachen,
in der Huerta von Murcia bis 3 7 fachen Ertrag und in der süd-
lichen Huerta von Valencia ist schon ein Hektar bewässerbarer
Apfelsinenhain mit 30 000 Franken bezahlt worden. Ja selbst
an sich minderwertige Gewächse können unter künstlicher Be-
rieselung reichen Ertrag geben. So die Luzerne- und Kleefelder
der Lombardei, die ausnahmsweise bis achtmal im Jahre ge-
schnitten werden können, ja einige Lombarden, die sich in der
römischen Campagna angesiedelt haben und mit Hilfe von Riesel-
wiesen Rom mit Milch und Butter versehen, erzielen bis zu zehn
Schnitte im Jahre. Auf solchen Rieselwiesen beruht im wesent-
lichen die hochgestiegene und ungeheure Mengen von Butter und
Käse (Gorgonzola, Strachino, Parmesan usw.) liefernde Viehzucht
der niederen Lombardei. Man berechnet die jetzt in Italien
künstlich berieselte Fläche auf 16 700 qkm, zu denen in Zukunft
weitere als berieselbar erwiesene 1 4 000 qkm hinzukommen werden.
Italien würde dann also eine Fläche künstlich berieselten Bodens
etwa von der Größe der Provinz Pommern haben. Nehmen wir
nun den Ertrag dieses Riese! landes im Mittel um zehnmal größer an
(wohl zu hoch), so würde das also einer Vergrößerung des Landes
um zehn Provinzen wie Pommern entsprechen. Der so viel größere
Ertrag findet aber auch einen Ausdruck in der viel dichteren
Bevölkerung, die, auf kleine Fläche zusammengedrängt, eine ganz
andere Bedeutung hat als die gleiche Menschenzahl, die über
einen weiten Raum verstreut ist. An der Nord- und Ostküste
Siziliens, die einem fast ununterbrochenen Fruchthaine mit künst-
licher Berieselung gleicht, in dem bei Palermo eine Quelle, die
nur 1 1 Wasser in der Sekunde gibt, einer jährlichen Rente von
3000 Franken entspricht, drängen sich die Menschen, obwohl
sie fast ausschließlich auf die Bodenverwertung angewiesen sind,
derartig, daß in dem Küstengürtel von o — 50 m Höhe 1003 Köpfe
(allerdings wegen Palermo) auf 1 qkm kommen. Ähnlich ist es
in den Huertas von Spanien. In der größten, der von Valencia,
wohnen 200 Menschen auf 1 qkm, in dem sich darüber erheben-
den Hügellande von Teruel dagegen nur 17.
Auf künstliche Aufspeicherung der winterlichen Regenmengen
weisen vor allem auch die durch die sommerliche Trockenheit
bedingten Gegensätze der Wasserführung der Flüsse und Bäche
286 V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
hin, die so groß sind, daß nur eine nach Süden hin immer kleiner
werdende Minderzahl derselben dauernd Wasser führt. Das Fluß-
netz der Mittelmeerländer, wie es meist auf unsern Karten dar-
gestellt wird, muß daher bei dem Nichtkundigen falsche Vor-
stellungen hervorrufen. Es müßten Dauerflüsse von nur zeitweilig
fließenden durch besondere Zeichen unterschieden werden, wie
das Volk schon in Italien einen Torrente oder eine Fiumara (in
Kalabrien und Sizilien) von einem Fiume, in Spanien eine Rambla
von einem Rio, in Nordafrika einen Wadi von einem Wed unter-
scheidet. Führen doch an der 250 km langen Küste von
Palästina von den zahlreichen, aus dem Westjordan -Hochlande
herabkommenden Flüssen, von starken Quellen am Fuße des
Hochlandes gespeist, nur zehn dauernd Wasser, aber auch nur
in der Küstenebene. Allerdings hat der Boden, sein Pflanzen-
kleid und seine Verwitterungs- und Humusdecke auf die Wasser-
stände der Flüsse einen großen Einfluß. Denn auch diese zehn
würden Gießbäche sein, wenn sie eben nicht ein Gebiet mit
durchlässigem Gestein (Kalkfels) entwässerten, in dem sich die
durch Poren, Spalten, Klüfte rasch in die Tiefe sinkenden Meteor-
wasser zu unterirdischen Wasseradern, zuweilen wahren unter-
irdischen Flüssen sammeln, die dann auf undurchlässigen Schichten
an geeigneten Stellen zutage treten. Es ist daher bedeutungsvoll,
daß die Gestadeländer des Mittelmeeres in großer Ausdehnung
aus Kalkgebirgen bestehen, die, wenn auch nicht zahlreichen, so
doch starken Quellen Ursprung geben, welche vielfach geradezu
als zutage tretende unterirdische Flüsse oder als unterirdische
Abflüsse von Karstseen anzusehen sind. Solche Quellen sind
meist von großer Bedeutung, an ihnen siedelt sich der Mensch
an, sie ermöglichen ihm durch Berieselung dem Boden höchste
Erträge abzugewinnen. Daher hat man überall eigene, fast überall
das Gleiche bedeutende Namen für solche Quellen: Ras el Arn
in Syrien, Kephalari in Griechenland, Capo d'acqua in Italien,
Nacimiento in Spanien. Freilich tragen diese Kalkgebiete überall
den Charakter der Karstländer: Palästina, der Südrand Klein-
asiens, der ganze Westrand der südosteuropäischen Halbinsel,
Apulien usw. Das obere Tibergebiet gibt uns ein lehrreiches
Beispiel für den Einfluß des Bodens auf die Wasserstände der
Flüsse. Der obere Tiber entwässert ein fast durchweg aus un-
durchlässigen Felsarten aufgebautes Gebiet, und der Fluß schwillt
Dauer- und zeitweilige Flüsse. 287
daher nach heftigem Regen oder rascher Schneeschmelze im
Apennin gewaltig an, während er in der Trockenzeit zu einem
dünnen Wasserfaden herabsinkt, der bei tiefstem Stande nur
5 cbm Wasser führt. Dagegen sammelt der erste größere Neben-
fluß des Tiber, die Nera, ihre Gewässer in einem an mächtigen
Kalkstöcken reichen Gebiete der Apenninen und wird daher vor-
zugsweise von starken Quellen genährt. Sie hat daher im Mittel
eine Wasserführung von 100 cbm in der Sekunde und selbst bei
niedrigstem Stande noch 68 cbm. Es leuchtet ein , daß der
Kulturwert beider Flüsse völlig verschieden ist. Am Tiber würden
gewerbliche und Bewässerungsanlagen in der einen Zeit weg-
gerissen, in der andern ohne Wasser sein, während an der Nera
das ganze Jahr die gleichen Wassermengen als Triebkraft und
zu Bewässerungen zur Verfügung stehen. So führen die meisten
Flüsse des hybläischen Berglandes in Südost-Sizilien, obwohl dies
der niederschlagsärmste Teil der Insel ist, dauernd Wasser, weil
sie in dem aus Kalkfels und vulkanischem Gestein aufgebauten
Lande von Quellen genährt werden, während im niederschlags-
reicheren peloritanischen Gebirge der Nordostecke der Insel den
undurchlässigen Felsarten, besonders Gneisen, Fiumare entsprechen,
die zu den wildesten gehören, die man kennt. Ähnlich ist es
in den Atlasländern, wo man die wirklichen Flüsse leicht zählen
kann — in Tunesien gibt es tatsächlich nur zwei — und der
größte Fluß Algeriens, der Schelif, bei niedrigstem Stande nur
3 — 5 cbm, bei höchstem 1400 cbm in der Sekunde wälzt. Die
Schiffbarkeit der Mittelmeerflüsse und überhaupt ihr Kulturwert,
wo sie nicht zu künstlicher Berieselung verwendet werden können,
ist daher sehr gering. Von Binnenschiffahrt, die doch im übrigen
Europa eine so große Rolle spielt und beispielsweise die groß-
gewerbliche Entwicklung des Deutschen Reichs in so hohem
Grade gefördert hat, ist im mediterranen Europa kaum die Rede.
Ja, die Mittelmeerflüsse sind vielfach schwere Verkehrshindernisse,
die zu überwinden allen Scharfsinn der Wegebaumeister und
große Kosten erfordert. Die beiden wichtigen Küstenbahnen
Kalabriens haben eine große Zahl von fast immer trocken da-
liegenden Fiumaren in mächtigen, langen Brücken überschreiten
müssen, die doch noch häufig zerstört werden, wenn sich die
Geröllmassen, die diese plötzlich dahertobenden Ungeheuer mit
sich schieben, vor den Brückenbögen stauen. In besonderen
288 V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
Fällen zieht man es vor, die Gießbäche in breiten Brücken über
die Eisenbahnen hinwegschießen zu lassen. In Spanien ist man
bei Straßenbauten auf den billigeren Ausweg verfallen, daß man
das Bett der Gießbäche, dort wo die Straße sie zu überschreiten
hat, in breitem, flachem, aber stark geneigtem Bett abpflastert.
Dann schießen die Wasser- und Gerölimassen rasch zu Tal, so
daß man, auch wenn die Gießbäche angeschwollen sind, durch
sie hindurchfahren kann. Aber selbst diese Anlagen werden noch
zuweilen zerstört, wenn auch nicht so oft wie Brücken, die man
bei Dauerflüssen doch nicht entbehren kann. Wenn der Reisende
daher in Spanien oft gewaltige Brücken in hohen Bögen über
armselige Wässerchen gespannt sieht, so würde er das in diesem
Falle mit Unrecht spanischer Prunksucht zuschreiben.
Anderwärts haben die Mittelmeerflüsse, da in dem trockenen
Klima die Tiefenerosion rascher arbeitet, wie die allgemeine Ab-
tragung des Landes tiefe canonartige Schluchten gebildet, und
fließen sie daher tief unter der Landoberfläche, so daß sie schwer
zu überschreiten und schwer zu Berieselungszwecken zu ver-
wenden sind. So besonders auf dem iberischen Tafellande und
dem ihm so ähnlichen Atlasvorlande von Marokko, aber auch
auf der südosteuropäischen Halbinsel und anderwärts. Während
der Trockenzeit lösen sich viele Flüsse, indem sie zu fließen
aufhören, in Tümpel auf oder erzeugen Sümpfe, die Brutstätten
von Stechmücken.
Sehr groß ist die geomorphologische Bedeutung des Medi-
terranklimas. Es beeinflußt die Oberflächenformen, den Land-
schaftscharakter und bewirkt vor allem, daß die Abtragung des
Landes, die Einebnung der Gebirge und dementsprechend auch
die Zurückdrängung des Meeres durch neu angeküstetes Land
rascher vor sich geht als vielleicht irgendwo auf der Erde. Selbst-
verständlich wird der petrographische Aufbau des Landes diese
klimatischen Einflüsse bald fördern, bald verlangsamen. Auch
der Mensch wird durch Eingriffe in die Natur, z. B. durch Wald-
verwüstung, diese klimatisch bedingten Gefahren noch erhöhen.
Am raschesten dürfte sich die Abtragung vollziehen in Gebieten
von leicht zerstörbarem Gestein, namentlich in tonigem Gelände.
Während des langen Sommers trocknet der Boden aus, reißt in
Spalten auf, die den plötzlich und in gewaltigen Güssen ein-
setzenden Winterregen willkommene Angriffslinien bieten. Ganze
Flüsse im Mittelmeerklima.
:8g
Landschaften werden dann in kurzer Zeit von tiefen Schrunden
zergliedert, ganze Hänge setzen sich in Bewegung, die Täler
werden aufgehöht und gleichen trägen Schlammströmen, Flächen,
die noch von Bäumen besetzt sind, deren Laub die Regenwasser
aufhält, auch den Boden vor zu großer Austrocknung schützt,
deren Wurzeln den Boden festhalten, werden in kurzer Zeit zu
Hügeln herauspräpariert. In Toskana gibt es Gegenden, deren
Oberfläche sich infolgedessen so rasch verändert, daß man alle
zehn bis zwanzig Jahre die Feldgrenzen neu festlegen muß. Da
ein großer Teil der Apenninen, die man irrtümlich häufig als
ein Kalkgebirge bezeichnet, aus tertiären Tonen aufgebaut ist,
namentlich in dem Außengürtel, von Piemont bis nach Sizilien:
so sind dort derartige Veränderungen, wahre Gleiterscheinungen
und Bergschlipfe, im Winter nach dem Einsetzen des Regens
außerordentlich häufig. Nicht allein, daß die Schaffung und Er-
haltung von Verkehrswegen dadurch sehr erschwert und verteuert
wird, nicht allein, daß die Eisenbahnen häufig zerstört werden,
indem der ganze Bahnkörper mit den Hängen ins Gleiten kommt
und man dann neben einer noch benutzbaren Linie hier und da
ein paar zerstörte sieht — nein, auch viele Siedelungen sind
beständig bedroht, und kein Winter vergeht, in dem nicht die
eine oder die andere ganz oder teilweise zerstört wird und
Menschenleben verloren gehen. Diese durch Boden und Klima
bedingten Gleiterscheinungen (Frane) gehören geradezu neben
dem Erdbeben und der Malaria zu den Landplagen Italiens.
Die besonders heftig einsetzenden Herbstregen des Jahres 1896,
um nur ein Beispiel anzuführen, bewirkten derartige Gleiterschei-
nungen, daß das ganze Dorf Sant' Anna de Pieve Pelago in der
Landschaft Frignano des Apennin dell' Emilia, 1 1 8 Häuser und
60 Ställe, zerstört wurden. Die Quellen verschwanden, Gießbäche
wurden abgelenkt und die Staatsstraße zerstört. Die uralte
Etruskerstadt Volterra, die auf einer Felsplatte inmitten solch
gleitenden Geländes liegt, ist in langsamer Zerstörung begriffen.
Sehr übel treten diese Erscheinungen auch im obersten Tiber-
gebiet hervor. Dort bildete sich 1 km südlich von Pieve St. Stefano
am 17. Februar 1855 dadurch, daß ein Berghang ins Tal hinab-
glitt und den Fluß abdämmte, ein 60 m tiefer See, der das
Städtchen unter Wasser setzte und den Boden so mit Schlamm
aufhöhte, daß man die Erdgeschosse der Häuser dauernd, auch
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 19
2QO V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
nachdem der See sich bald wieder geleert hatte, in Keller ver-
wandeln mußte. Frisch gepflügtes Ackerland pflegt so im Oktober
und November großer Mengen des besten Bodens beraubt zu
werden.
Dementsprechend ist natürlich die Geröll- und Schlamm-
führung der Flüsse eine ungeheure. Sie hat hier und da eine
Schätzung der Abtragung der betreffenden Flußgebiete erlaubt.
Alle vorliegenden Schätzungen scheinen ihrerseits zu bestätigen,
daß die Abtragung sehr rasch vor sich geht, rascher als wohl
irgendwo auf der Erde. Von dem kleinen, aber außerordentlich
geröllreichen geschichtlichen Grenzflusse zwischen Frankreich und
Italien, dem Var, nimmt man an, daß er jährlich 12 Mill. cbm
Geröll und Schlamm ins Meer schiebt, vierzigmal so viel als der
Rhein bei Germersheim vorbeiführt, und daß er demnach sein
Einzugsgebiet in nur 310 Jahren um 1 m erniedrige. Mag das
vielleicht auch eine zu hohe Schätzung sein, so hat man doch
auch für das Einzugsgebiet des Po die Abtragung um 1 m in
2400 Jahren und seine Sinkstofführung auf 46 Mill. cbm ge-
schätzt. Für den Tiber liegt eine neue, auf gute Beobachtungen
gestützte Berechnung vor, nach der sein Stromgebiet in 3758
Jahren um 1 m erniedrigt wird. Das sind alles Werte, denen
nur wenige Stromgebiete gleichkommen. Schon die Namen vieler
Mittelmeerflüsse deuten auf ihre reiche Sinkstofführung hin. So
werden viele danach als Weißwasser bezeichnet: Aspropotamo,
Aksu, Guadalaviar, Argens, wie auch der Tiber bei den Römern
stets als flavus Tiberis bezeichnet wird. Beim toskanischen
Ombrone, der vorzugsweise ein toniges Gebiet entwässert, steigt
neuerdings die Schlammführung gelegentlich auf 8 °/0 , während
der gerade nach seiner reichen Sinkstofführung benannte Hoangho
nur 0,5 % Sinkstoffe führt. Bei vielen Mittelmeerflüssen ist auch
das Meer weithin durch sie getrübt, wie schon Herodot angibt,
daß die griechischen Seefahrer annahmen, sie befänden sich noch
eine Tagesfahrt von der ägyptischen Küste, wenn sie das durch
den Nil getrübte Wasser erreicht hatten. So sah ich den durch
die Frühlingsregen geschwellten Sebau, den Hauptfluß der großen
Kabylei in Algerien, licht gefärbte Wassermassen ins Mittelmeer
wälzen, die aber sofort von der Küstenströmung nach Osten ab-
gelenkt wurden. Die Deltabildung fast aller Gewässer der Mittel-
meerländer hängt mit dieser reichen Sinkstofführung zusammen,
Schlammführung der Flüsse. 2QI
ist also auch mittelbar eine Folgewirkung des Mittelmeerklimas.
Kann man doch annehmen, daß die Landfläche Italiens jetzt
sich jährlich um i — 1% qkm in dieser Weise vergrößert. An
der Arno- und Serchiomündung wird das angeschwemmte Land
von Zeit zu Zeit vom Staat veräußert. Für Frankreich hat man
den Wert der so dem Lande durch die Flüsse entzogenen Fest-
stoffe auf 30 Mill. Franken jährlich geschätzt.
In Italien wendet man jetzt ein Verfahren an, einen Teil
dieser Feststoffe im Innern des Landes künstlich zur Ablagerung
zu bringen, also ähnlich wie in Ägypten, nur gilt es hier in erster
Linie der Bekämpfung der Malaria. Es ist das sogenannte Col-
mata- System, das darin besteht, daß man das sinkstoffreiche
Wasser in künstliche Becken leitet und es dort seine Flußtrübe
ablagern läßt. Diese gibt in der Ebene von Grosseto aus dem
Ombrone auf je 7 m Wasser Y2 m Schlamm. Durch derartige
künstliche Ablagerung und Aufhöhung des Bodens mit etwa
130 Millionen cbm hat man dort eine Fläche von 120 qkm trocken
und gesund gemacht. Die großartigste Leistung Italiens in dieser
Hinsicht ist wohl die Aufhöhung einer 200 qkm großen Fläche
im toskanischen Chiana- Tale um 2 — 5 m, wodurch eine neue
Wasserscheide zwischen Tiber und Arno geschaffen, den vorher
stagnierenden Gewässern Gefäll verliehen und dadurch das früher
malariaverpestete Chiana -Tal gesund geworden ist. Viel älter
aber ist ein anderes Verfahren, die Davonführung der fruchtbaren
Verwitterungsdecke durch Wind und Regen zu verhindern und
selbst steil geneigte Hänge dem Anbau zu gewinnen: die Terras-
sierungen. Bei der im allgemeinen, aber namentlich einen großen
Teil des Jahres herrschenden Trockenheit geht die Verwitterung
des Felsbodens viel langsamer vor sich, namentlich die chemische.
Die Regen leisten viel mechanische, aber wenig chemische Arbeit.
Der Pflanzenwuchs wirkt nur wenig zersetzend. Mehr tragen die
starken Temperaturschwankungen zur Lockerung des Gefüges der
Felsen bei. Und die sich bildende Verwitterungsdecke wird
durch keine Rasennarbe, ja überhaupt kaum durch Vegetation
geschützt, in der Trockenzeit vom Wind, in der Regenzeit von
den heftigen Güssen davongetragen. Das Fehlen einer Humus-
decke ist daher charakteristisch besonders für die südlichen
Mittelmeerländer, in erster Linie die Kalkgebiete, die daher,
wie Griechenland und Palästina den Eindruck wahrer Felsland-
19*
2Q2 V, i. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
Schäften machen. Aber auch dieser Umstand wirkte, wenn erst
eine gewisse Kulturhöhe erreicht war, kulturfördernd: er spornte
an, die kostbare, im Laufe langer Zeiträume gebildete Verwitte-
rungsdecke künstlich zurückzuhalten. So sammelte man die Fels-
brocken zu schützenden Wällen und Stützmauern und wandelte
die geneigten Hänge in Terrassen um, wie wir sie noch heute im
Libanon und in einzelnen Gegenden Italiens sehen, wie sie aber
nach den vorhandenen Spuren zu schließen besonders in Palä-
stina allgemein waren. Es ist bewundernswert, was viele Genera-
tionen an derartigen Kulturarbeiten in den Mittelmeerländern ge-
leistet haben.
Da es im Mittelmeergebiet auch abflußlose Gebiete gibt, so
sind diese gleichfalls, wie in anderen Erdgegenden Gebiete natür-
licher Aufhöhung des Landes und natürlicher Umgestaltung der
Oberfläche. Am meisten gilt dies von dem Steppenhochlande
von Algerien, in dem zahlreiche Flüsse des Sahara- Atlas und
auch einige des Teil- und marokkanischen Atlas ihr Ende finden
und den Boden mit ihren Geröll- und Sinkstoffmengen aufhöhen.
Dadurch zerfällt dies Hochland heute in zahlreiche Einzelbecken,
deren tiefste Stellen meist von flachen, im Sommer vielfach ganz ver-
dunstenden Salzseen eingenommen sind. Kahle felsige Bergketten
ragen noch aus den mächtig aufgehöhten Schuttmassen auf. Doch
beginnt diese Aufhöhung schon um die Mitte der Tertiärzeit. Sie
dauert aber noch heute an, und neben dem rinnenden Wasser wirkt
hier bereits während der Trockenzeit der Wind als Bildner der
Erdoberfläche. Auch im südöstlichen Tunesien gibt es solche ab-
flußlose Becken, und selbst im Atlasvorlande von Marokko sah
ich Gießbäche von der oberen Stufe herabkommen, die, ohne
das Meer oder einen der größeren Flüsse erreichen zu können,
ermattend und versiegend ihre Sinkstoffe auf der unteren fallen
lassen. Auch in Spanien kommt dies im kleinen vor, im größeren
Maßstabe wieder im Innern von Kleinasien.
Eine, wie in neuerer Zeit vielfach beobachtet worden ist,
außerordentlich rasche Abtragung des Landes findet, allerdings
unter Mitwirkung des Menschen, der die Wälder verwüstet, in
den sehr ausgedehnten Kalkgebieten der Mittelmeerländer statt,
eine Erscheinung, die man mit der Bezeichnung Verkarstung am
besten kennzeichnet. Je reiner der Kalkfels ist, in um so
höherem Maße unterliegt er der völligen chemischen Verwitterung,
Abtragung des Landes.
293
um so geringer ist der unlösliche Rückstand roter eisenhaltiger
Tonerde. Werden nun die Wälder, die auch diese Kalkgebirge
bedecken und bedeckten, verwüstet, so wird in kurzer Zeit die
in langen Zeiträumen gebildete Verwitterungsschicht abgeschwemmt,
und der kahle Fels tritt zutage, der sehr bald eine grauliche,
weißliche Färbung annimmt und seinerseits der chemischen Ver-
witterung nun um so rascher unterliegt, so daß sich bald Karren-
felder bilden und die ganze Landschaft einer öden Felswüste
gleicht, ohne Wasser, da dieses rasch in die Tiefe sinkt, ohne
Pflanzenkleid. Gibt es doch im Karstlande Montenegro Gegenden,
die eine Niederschlagshöhe von 4 m haben, die höchste in
Europa vorkommende, und wo die Hirten, die im Sommer hier
ihre Herden weiden, auf die erhaltenen und künstlich geschützten
Schneeanhäufungen als einziges Trinkwasser angewiesen sind!
Auch in Mitteleuropa gibt es Kalkgebiete, die unvorsichtiger-
weise entwaldet worden sind, aber von der furchtbaren Öde der
Karstlandschaften, die das Mittelmeerklima schafft, geben sie keine
Vorstellung. Doch trägt zur Verödung, neben den heftigen
Herbst- und Winterregen, auch der trockene Sommer und der
Wind, vor allem in Dalmatien die Bora bei, die allen gelockerten
Boden davonführt. Auch die Zucht von Ziegen und Schafen,
die das Pflanzenkleid noch weiter zerstören und den Boden
lockern, kommt hinzu.
Aber nicht bloß Kalklandschaften werden infolge unvorsich-
tiger Entwaldung und unter der Einwirkung geschichtlicher Vor-
gänge im Mediterranklima rasch ihrer Humusdecke beraubt, mehr
oder weniger gilt dies auch von allen anderen Gesteinsarten.
Und das Mediterranklima ist es dann auch , das bei einem
Kulturrückgange und in andern, dem freien Walten der Natur
günstigeren Zeitläufen vielfach verhindert, daß der Boden sich
von selbst wieder mit Wald bedeckt, wie es doch in dem feuchten
Klima von West- und Mitteleuropa der Fall sein würde. Hie
und da ist das wohl der Fall gewesen und würde es noch heute
der Fall sein, aber meist entwickelt sich nur Gestrüpp, wie ja
die Vegetationsformation der Macchia die Mittelmeerländer kenn-
zeichnet. Aber so traurig der Eindruck ist, den man empfindet,
wenn man diese unwirtlichen Felslandschaften fast rings um das
Mittelmeer durchwandert, um so malerischer erscheinen sie von
fern, etwa vom Meere aus gesehen. Sie geben mit ihren Formen
2Q4 V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
und Farben der Mittelmeerlandschaft ihren besonderen Reiz.
Wem werden nicht die kahlen Felsklötze, die Felskegel und Fels-
wände, welche die Bucht von Palermo umsäumen und steil über
dem üppig grünen Fruchthaine der Conca d'Oro aufsteigen, un-
vergeßlich sein? Vor allem der Monte Pellegrino ! In wessen
Gedächtnis wird sich je das Bild verwischen, das er auf der
Akropolis von Athen oder von Akrokorinth und von andern
Punkten der griechischen Landschaft empfangen hat, namentlich
bei einem schönen Sonnenuntergänge? Vielfach treten uns
infolgedessen im Mittelmeergebiet auch in geringer Höhe, ja am
Meere selbst, Formen entgegen, die wir sonst nur im Hoch-
gebirge zu sehen gewohnt sind. Und welchen Eindruck macht
es, zu schweigen von den meist von kahlen Felsgebirgen um-
schlossenen Huertas und Vegas Spaniens, wenn man plötzlich in-
mitten dieser öden Felslandschaften in einer Doline oder Polje
oder in einem der Täler des Antilibanon eine üppig grüne Oase,
einen großen Garten der herrlichsten Fruchtbäume erblickt, den
dort der von Wind und Regen zusammengetragene Verwitterungs-
boden mit dem Wasser hat aufsprießen lassen, welches das Ge-
birge aus seinem Innersten zutage sendet!
Der Wind spielt in den Mittelmeerländern als abtragende,
davonführende und ablagernde Kraft bei der allgemeinen, aber
namentlich im Sommer so scharf hervortretenden Trockenheit
eine weit größere Rolle als in feuchten Ländern. Namentlich
auch bei der Nähe des größten Wüstengebiets der Erde. Bei
dem großen, sorgsam in seinen Ausgängen aus der nördlichen
Sahara, südlich von Tunesien und auf seinem Wege durch Tu-
nesien, quer über das Mittelmeer, über Italien und Deutschland
bis an die Ostsee erforschten Staubsturme vom g. bis 12. März 1901
wurden allein in Nordafrika 150 Millionen Tonnen Feststoffe
abgelagert. Die zahlreichen Tafelberge und kleinen Tafelrücken-
gebirge im Atlasvorlande von Marokko sind als „Zeugen" äoli-
scher Denudation, der Abtragung durch Wind aufzufassen. Die
abgetragenen Massen sind dann zum Teil im Küstengürtel, wo
der Boden während des Winters doch etwas mehr durch-
feuchtet wurde und ein zum Teil außerordentlich üppiges Kleid,
freilich meist nur einjähriger Pflanzen unter Ausschluß aller Holz-
gewächse trägt, als Staub abgelagert und von dem feuchten
Boden und der Pflanzendecke festgehalten worden. Unter Hinzu-
Geologische Arbeit des Windes. 2QK
kommen der pflanzlichen Zersetzungsstoffe hat sich so die äußerst
fruchtbare Decke von Schwarzerde gebildet, die in einer Aus-
dehnung von etwa 20000 qm die untere Stufe des Atlasvorlands von
Marokko zu einer der Kornkammern der Erde machen könnte. Auch
in Südtunesien und in Algerien kann man häufig die abtragende
und ablagernde Tätigkeit des Windes beobachten. Aber auch
sonst ist sie vielfach bezeugt. So berichtet uns der Geologe
E. Tietze aus dem kleinasiatischen Lykien von bedeutenden
Staubablagerungen und Lößbildung in der Dumbre-Ebene. Das
alte Theater von Myra und viele Felsengräber stecken jetzt tief
in seitdem abgesetztem Löß. Eine im fünften oder sechsten Jahr-
hundert errichtete Kirche des heiligen Nikolaus, die noch heute
benutzt wird, ist mit ihrem unteren Gemäuer inmitten der Löß-
absätze verschwunden, so daß man wiederholt Grabungen hat
vornehmen müssen, um den Eingang in das Gotteshaus zugänglich
zu erhalten. Das Niveau der Lößebene liegt nahezu 4 m über
dem Fußboden der Kirche. Es hätte sich also hier die Löß-
schicht um Y3 m im Jahrhundert erhöht. Die nach ihrer vor-
herrschenden Färbung benannte Terra rossa, der unlösbare Rück-
stand chemisch verwitterter KalkfelsmasseD , aus denen ja die
Mittelmeerländer in großer Ausdehnung aufgebaut sind, ist auch
ihrerseits vielfach durch Wind umgelagert.
Als eine Folgewirkung des Mediterranklimas muß auch eine
Erscheinung angesehen werden, die bisher nach ihrer Entstehung
und Bedeutung nicht hinreichend gewürdigt worden ist: die Bil-
dung einer Kalkkruste. Man hat dieselbe vielfach für an-
stehenden Fels gehalten, während es sich tatsächlich nur um eine
oft kaum 1 — 2 cm, zuweilen aber auch einen halben Meter und
mehr mächtige neu gebildete Kruste handelt, deren Zusammen-
setzung aus lauter ganz dünnen Lagen, etwa wie beim Karls-
bader Sprudelstein, häufig deutlich zu erkennen ist. Unter der
Kruste befindet sich ein ganz weiches, bröckeliges Gestein, ja
nicht selten ist geradezu Flußgeröll durch Bildung einer Kalk-
kruste fest verbunden. Die Oberfläche kann, namentlich wenn
sie noch von Flechten bedeckt ist, ganz den Eindruck von ge-
schichtetem Kalkgestein machen. Jedenfalls ist der Boden durch
die Kruste ganz verschlossen. Er bringt kaum in Spalten und
Löchern einige kümmerliche Pflanzen hervor, die steppenartig
dürftigstes Weideland bilden, so daß namentlich die mitten im Ge-
2QÖ V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
biete der Schwarzerde vorkommenden Kalkkrusten den grellsten
Gegensatz zu den Fruchtgefilden jener bilden. Ihre Farbe ist
immer eine lichte, äußerlich grau. Die mit dem Namen Ham-
mada bezeichnete Erscheinungsform der Wüste beruht häufig auf
einer solchen Kalkkruste.
Die Verbreitung dieser Kalkkruste ist in den südlichen
Mittelmeerländern eine sehr große. Ich sah sie im Atlasvorlande
von Marokko häufig sowohl auf der unteren Stufe wie auf dem
weiten Schotterfelde am Fuße des hohen Atlas und bei Marra-
kesch. Dort löste sich unter mechanischen Einflüssen, wie den
Hufen der Last- und Reittiere, die Kalkkruste häufig wieder in
die Gerolle auf, die sie verbunden hatte. Sie bildet oft große,
geschlossene Flächen, gelegentlich aber auch flache Schalen, in
denen sich das Regenwasser eine Weile hält. Geringe Neigung
des Bodens scheint überall eine Rolle zu spielen. Selbst in dem
Dünengürtel von Mogador in Südwest-Marokko fand ich Stücke
dieser Kalkkruste eingeschaltet, die landeinwärts immer größer
wurden und eine geschlossene Decke bildeten. In Algerien und
Tunesien kehrt sie überall wieder, namentlich in großer Ausdeh-
nung auf dem inneren Steppenhochlande. Der einheimische
Name dafür ist in Tunesien Tafaize. In der nördlichen algeri-
schen Sahara bildet diese kalkige oder gipsigkalkige Kruste als
Abschluß und Neubildung auf den diluvialen sandigen Schwemm-
gebilden nach Rolland ebenfalls felsige Hammaden. Ich habe
in Ligurien bei Bordighera ebenfalls diese Kalkkruste beobachtet.
Was der Geologe Karstens von Capri beschreibt, dürfte auch als
Kalkkruste oder Oberflächenbildung zu verstehen sein und ebenso,
was ich in Katalonien gesehen habe.
Die Bildung einer Kalkkruste ist verhängnisvoll für die Mittel-
meerländer. Große Gebiete werden dadurch dem Anbau ent-
zogen. Auch der geologischen Forschung bietet sie schwere
Hindernisse, indem sie eine Untersuchung des wirklichen Auf-
baues der Erdrinde unmöglich macht. Einen gewissen wirtschaft-
lichen Wert hat sie in sonst kalkarmen Ländern, indem sie Kalk
zum Kalkbrennen, zur Mörtel- und Zementgewinnung bietet. Das
sah ich bei Marrakesch und in Tunesien, wo schon in römischer
Zeit daraus hydraulischer Kalk gewonnen wurde, mit dem man
die Wasserleitungen und Zisternen auskleidete. Mit Ziegelbrocken
vermischt, bildete er den Beton, in den man die Mosaikfußböden
Die Kalkkruste der Mittelmeerlünder.
297
einlegte. Auch für die Anlegung von Matamoren, unterirdischen
Behältern für Getreide und andere trocken aufzubewahrende
Gegenstände, ist die Kalkkruste, wenn sie mächtig und fest genug
ist, von Wert. Wo sie nur geringe Festigkeit hat, ist es nicht
schwer, sie zu zertrümmern und so den Boden durch Erschließung
der weichen Unterlage wieder anbaufähig zu machen. Selbst in
Marokko, wo doch noch viel gutes Land des Anbaues harrt,
habe ich gesehen, daß man die Kalkkruste zerbricht und die
flachen Brocken in Haufen und Wällen zum Einhegen der Felder
auftürmt. So z. B. nahe bei Mogador und in Abda, wo hie und
da in dieser Hinsicht wohl von Generationen eine gewaltige
Kulturarbeit geleistet worden ist. In Katalonien bei Tarragona
muß man zu schweren Hämmern und zu Sprengstoffen greifen, um
die schon mächtigere Kalkkruste zu bewältigen. Doch macht
die Fruchtbarkeit des so gewonnenen Bodens und der nament-
lich bei künstlicher Berieselung erzielte hohe Ertrag solche Ar-
beiten möglich.
Die Entstehung dieser Kalkkruste, die sofort an die dunkle
Schutzrinde vieler Wüstengesteine denken macht, ist auf klima-
tische Einflüsse zurückzuführen, besonders auf die große Luft-
trockenheit, die lange Sonnenscheindauer, die beide eine rasche
und starke Verdunstung von dem nur wenig durch ein Pflanzen-
kleid geschützten Boden, nach ziemlich reichlichen, in plötzlichen
Güssen mit hoher Temperatur herabstürzenden Regenmassen und
sich daraus ergebendem, nicht zu tiefem Stande des Grund-
wassers bedingen. Die Kalkkruste ist eine travertin- oder tuff-
artige Bildung, eine Art Versinterung. Die dünnen Lagen kohlen-
sauren Kalks, aus denen sie besteht, stammen aus dem Unter-
grunde. Die große Sonnenhitze saugt mit löslichem kohlensaurem
Kalk beladenes Grundwasser empor, wo dieses rasch verdunstet
und der kohlensaure Kalk sich in dünnen Schichten nieder-
schlägt, die unter Umständen große Mächtigkeit erlangen können.
Diese travertinartigen Niederschläge können auch die Sand- und
Mergelkörnchen der Oberfläche umkleiden und Rollkiesel mit-
einander verbinden. Bei manchen, durch Zertrümmerung der
Kalkkruste gebildeten Gerollen kann man die, einen weicheren
Kern umschließenden, konzentrischen Lagen deutlich erkennen.
Das Auftreten der Kruste in flachen Schalen, mit ausgeprägten
Rändern, in denen sich das Regenwasser eine Weile hielt, wie
9qg V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
ich es bei Marrakesch sah, legte mir die Vorstellung nahe, daß
es sich unter Umständen um kohlensauren Kalk handeln könne,
der von dem warmen, kohlensäurehaltigen Regenwasser an der
Oberfläche von den Kalkgeröllen gelöst und bei der raschen Ver-
dunstung wieder niedergeschlagen worden ist.
Als eine letzte Folgewirkung des Klimas der Mittelmeer-
länder haben wir die Malaria anzusehen. Die Auffassung der
Malariafieber ist zwar neuerdings dadurch eine andere geworden,
daß man nicht mehr wie bisher, und wie es auch der italienische
Name andeutet, die Ursache der Krankheit in den Fieberdünsten
sucht, welche die, der sommerlichen Regenzeit entsprechend, im
Sommer nicht mehr fließenden, versumpfenden und stehenden Ge-
wässer bei der hohen Wärme und den sich zersetzenden pflanz-
lichen Resten aushauchen, sondern in gewissen Stechmücken, be-
sonders der Gattung Anopheles, die Träger und Übertrager des
Malariagiftes erkannt hat. Aber die klimatische Einwirkung
bleibt doch bestehen, denn die im Sommer bei der hohen Wärme
versumpfenden Gewässer sind die Brutstätten dieser Mücken.
Neben dem Schutz gegen sie muß daher auch Beseitigung ihrer
Brutstätten angestrebt werden. Dazu führt im allgemeinen die
wirtschaftliche Entwicklung eines Landes von selbst, wie man
namentlich in Griechenland sehen kann, das zwar auch heute im
Sommer noch in vielen Gegenden malariaverseucht ist, aber nicht
entfernt mehr so, wie nach den Freiheitskriegen, als fast alle
Städte und Dörfer in Trümmern lagen, der Anbau und die Ge-
wässer vernachlässigt waren. Wie schwer haben da namentlich
die bayrischen Truppen an Malaria gelitten, wie viele wissen-
schaftliche Forscher sind ihr erlegen! Aber auch auf dem Wege
zum wirtschaftlichen Aufschwünge gibt es noch gefährliche Rück-
fälle, wie Italien lehrt. Dort hat der Eisenbahnbau vielfach große
Erdarbeiten veranlaßt, die den Abfluß der Gewässer verhindert
haben. Vor allem sind dadurch vorher verschlossene und noch
waldreiche Gebiete erschlossen, die Wälder zugänglich und ab-
getrieben worden. Dem ist die Abspülung der Verwitterungs-
decke und die Versumpfung der Täler auf dem Fuße gefolgt.
So hat neuerdings die Malaria in Italien zugenommen. Selbst in
Rom, das vorher als eine so ziemlich malariafreie Insel inmitten
der malariaverpesteten Campagna gelten konnte, nahm die Malaria
bei der riesigen Bautätigkeit nach 1870, die große Bodenbewe-
Die Malaria.
199
gungen, Abtragung alter Schuttmassen u. dgl. zur Folge hatte,
rasch zu. Doch ist auch da bald wieder, schon seit 1880, eine
bedeutende Besserung eingetreten. Und vor allem muß sofort
bemerkt werden, daß, wie nur im Sommer die Gewässer stocken
und Stechmücken ausbrüten, die Malariagefahr auch auf diese
Jahreszeit beschränkt ist, so daß also die gewöhnlichen Besucher
der Mittelmeerländer, die diese eben des milderen Klimas wegen
im Winter und im Frühling aufsuchen und sie fliehen, sobald die
Wärme zu groß wird, in keiner Weise Gefahr laufen. In diesen
Jahreszeiten gibt es keine stockenden Gewässer und keine gefähr-
lichen Mücken. Vielleicht sind auch dieselben Mücken in dieser
Jahreszeit nicht gefährlich. Ich selbst bin vor Jahrzehnten in Tra-
pani in Sizilien, wo es damals keine geschützten Betten gab, im
April derartig von Mücken zerstochen worden, daß ich erst Nacht-
ruhe fand, als ich die Reithandschuhe auch nachts trug, die
Ärmel zuband und den Kopf in Schleier hüllte. Nach drei Mo-
naten sah man die Beulen an Händen und Gesicht noch. Aber
von Malaria, an der es im Spätsommer in Trapani nicht fehlt,
keine Spur! Nur der wissenschaftliche Forscher, der Künstler
und ähnliche Leute, die eben auch im Sommer in den Mittel-
meerländern festgehalten werden, laufen Gefahr, von Malaria be-
fallen zu werden. Doch wird es auch diesen bei einiger Kennt-
nis der Gefahr, einiger Vorsicht in der Ernährung und Lebens-
weise möglich sein, sie zu vermeiden, bzw. Gegenden aufzusuchen,
die malariafrei sind. Bei meinen vielen Reisen und langen Auf-
enthalten in den Mittelmeerländern habe ich nur einen einzigen,
allerdings äußerst heftigen Fieberanfall in einer fieberverpesteten
Gegend Tunesiens (1886) gehabt, wo kurz vorher ein zu großen
Hoffnungen berechtigender junger deutscher Gelehrter der Malaria
erlegen und sein Nachfolger in den betreffenden Forschungen so
schwer erkrankt war, daß auch er wenige Jahre nachher an den
Folgen von Malaria gestorben ist. Es gelang mir, einen kräftigen
Schweißausbruch hervorzurufen, womit die Entwicklung des Fiebers
unterbunden war. Ein hervorragender deutscher Arzt, der als
Leiter eines längeren deutschen Forschungswerks im tropischen
Afrika ein Jahrzehnt früher Gelegenheit gehabt hatte, sich gründ-
lich mit Malaria vertraut zu machen, erklärte mir, ich habe nach
seinen Erfahrungen das richtige Mittel gefunden, die Krankheit
abzuschneiden.
300 V> I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
Wie man in der Neuzeit in Italien eine Zunahme der Ma-
laria festgestellt hat, so ist das auch und aus gleichen Gründen
vielfach in Kleinasien geschehen. Auch die Mittelmeerinseln, vor
allem Sardinien, sind von Malaria heimgesucht, und in Sizilien
gab es Gegenden, wo in den siebziger Jahren darauf geachtet
wurde, daß die Reisenden in dem Postwagen selbst am Tage
nicht einschliefen, weil man annahm, daß man im Schlafe auch
am Tage von Malaria befallen werde. Ebenso leidet Südfrank-
reich, besonders Languedoc, schwer unter Malaria; aber auch in
der Provence sind ihr diejenigen Täler ausgesetzt, die dem zwar
lästigen, aber die Luft reinigenden und offenbar wegen seiner
Stärke und niederen Temperatur der Entwicklung der Stech-
mücken ungünstigen Mistralwinde nicht zugänglich sind. In
Spanien ist es besonders der Süden und der Südosten, der unter
Malaria leidet, doch lange nicht in dem Maße wie Italien. Da-
gegen ist ein großer Teil von Algerien und Tunesien malaria-
verseucht, und das französische Heer hat namentlich während der
Eroberung furchtbare Verluste erlitten. Noch größere freilich die
französischen Ansiedler in Algerien. Wenn es mit der fran-
zösischen Besiedelung so langsam gegangen ist, und namentlich
in der westlichen Provinz Oran die Spanier, die gegen die Ma-
laria und überhaupt gegen ungünstige klimatische Einflüsse wider-
standsfähiger sind, die Oberhand erlangt haben, auch kinder-
reicher sind, so ist das zwar nicht lediglich, aber doch in erster
Linie der Malaria zuzuschreiben. Namentlich die Besiedelung der
fruchtbaren, aber feuchten und noch heute nicht völlig entsumpften
Mitidj aebene landeinwärts von Algier hat die Opfer zu vielen
Tausenden gefordert. Das heute ziemlich gesunde, blühende
Städtchen Boufarik mit ioooo Einwohnern ist so ein wahres
Grab für Generationen von Kolonisten gewesen. Dagegen gehört
es zu den Vorzügen des in jeder Hinsicht von der Natur am
reichsten unter den Atlasländern ausgestatteten Marokko, daß es
bis auf wenige Punkte ganz malariafrei ist. Sogar die große Be-
rieselungsoase von Marrakesch, der südlichen Hauptstadt, ist ma-
lariafrei, während selbst in der Sahara die künstlich berieselten
Oasen von Malaria heimgesucht sind, obwohl die Menschen sich
meist außerhalb des Palmenhaines, womöglich auf einem felsigen,
luftigen Hügel über demselben angesiedelt haben.
Welche Landplage die Malaria sein kann, das lehrt besonders
Verbreitung der Malaria.
301
Italien. Dort ist eigentlich nur Ligurien malariafrei, wenn auch
Nord- und die inneren Berglandschaften Mittel-Italiens weniger
darunter leiden. Wiewohl schon im Altertume Malaria in Italien
vorkam und z. B. Syrakus wiederholt von seinen Belagerern be-
freit worden ist, weil die Malaria sie dahinraffte, so war das
Übel doch nicht entfernt so allgemein wie heute, wo ganze Land-
schaften, wie die römische Campagna, das Küstengebiet von Tos-
kana, die berüchtigten Maremmen, die Ebene von Apulien u. a. m.
geradezu durch Malaria unbewohnbar geworden sind. Im süd-
westlichen Sardinien muß man der Malaria wegen im Sommer
den Bergbau einstellen. Ganze Eisenbahnlinien gibt es, wo be-
sondere Züge die sämtlichen Beamten, trotzdem man sie besser
bezahlt und nährt, abends abholen und nach gesunden Stationen
bringen, um sie am Morgen wieder auf ihre Posten zu befördern.
Es gibt Standorte der Truppen, wo selbst diese jungen, gesunden,
kräftigen Menschen, trotzdem für bessere Unterkunft und Ver-
pflegung gesorgt ist, alle von Malaria befallen werden. In Co-
senza in Kalabrien z. B. zählt man auf 1000 Mann 1500 Malaria-
erkrankungen im Jahre. Die Feldarbeiter, die zur Bestellung der
Felder und zur Ernte aus den Gebirgen in die Küstenebenen
herabsteigen, allein in die römische Campagna etwa 10 000 im
Jahresdurchschnitt, nehmen nur zu häufig die Keime der Krank-
heit in ihre gesunde Heimat mit. Wie außerordentlich wird die
Arbeitskraft und die Lebensdauer wohl bei Millionen von Be-
wohnern Italiens dadurch beeinträchtigt! Wie wird das Wirt-
schaftsleben, der Unternehmungsgeist, das Wachstum des Wohl-
stands usw. davon beeinflußt, wenn man auch die Zahl der un-
mittelbar durch Malaria verursachten Todesfälle nur auf 15 bis
16000 jährlich schätzt. Es mögen wohl Hunderte von Millionen
Franken sein, um die Italien jährlich durch Malaria geschädigt
wird. Und in Languedoc dürfte es kaum besser sein. Dort
steigt die Kindersterblichkeit, die in Frankreich sonst nur 312
auf 1000 beträgt, auf 400 und 500 und sinkt die mittlere Lebens-
dauer von 35% Jahren auf 20, ja 15 Jahre!
Die erfolgreichste Art der Bekämpfung der Krankheit in
Italien bestand bis jetzt in der Regelung der Gewässer, in der
Entsumpfung versumpfter Gebiete durch Entwässerung und künst-
liche Aufschwemmung. Dadurch sind namentlich in Toskana,
neben Piemont seit Jahrhunderten der bestverwaltete Kleinstaat
X02 V, I. Das Klima der Mittelmeerländer und seine Folgewirkungen.
früherer Zeit, außerordentliche Erfolge erzielt worden. Das Chiana-
Tal, das Arno-Delta bei Pisa, selbst schon Teile der Maremmen
sind so völlig gesund geworden. Und eben schickt man sich an,
von deutschem Unternehmungsgeiste geführt, die verpesteten
Pontinischen Sümpfe, die im Altertum noch gesund und dicht
bevölkert waren, trocken zu legen und wieder gesund zu machen.
In manchen Gegenden, namentlich in Süditalien, hat schon die
Beseitigung des Reisbaues, der überreicher Bewässerung bedarf,
auch von Malaria befreit. Die bessere Erkenntnis der Ursachen
der Krankheit wird wohl auch bald einfachere Mittel zu ihrer
Bekämpfung an die Hand geben. So schützt man die Eisen-
bahnbeamten, indem man durch feine Vergitterung aller Öffnungen
der Wärterhäuser den Mücken den Zugang unmöglich macht.
Gesicht und Hände schützt man durch Schleier und Handschuhe.
Man übergießt die Sumpfgewässer mit Petroleum, was die Ent-
wicklung der Brut unmöglich macht, tötet diese wohl noch in
anderer Weise.
Diese klimatischen Einflüsse sind es also in erster Linie,
welche geschichtliche Vorgänge so wirksam gemacht haben, daß
sich daraus die verhältnismäßige Verödung eines großen Teils
der Mittelmeerländer, die Kahlheit der Berge, die Versumpfung
der Täler und Ebenen ergeben hat. Jedes dieser alten Kultur-
länder hat eine Zeit höchster Blüte, dichtester Besiedelung ge-
gehabt, wo das Waldkleid vernichtet wurde, das gewiß einmal
den größten Teil der Mittelmeerländer bedeckt hat, um den
Holzbedarf zu decken oder Raum für Anbau zu gewinnen. Kamen
dann Kriegszeiten, brachen Barbaren ein, so konnte sich im
Mediterranklima, wenn durch lange Vernachlässigung die in sehr
langen Zeiträumen gebildete Verwitterungs- und Humusdecke
durch Regen und Wind von den geneigten Hängen entführt war,
die Terrassen, die Berieselungsanlagen, Schöpfungen der müh-
samen Arbeit vieler Generationen zerfallen waren, nicht wie
in Gebieten mit feuchtem Klima Wald und Vegetation das ver-
ödete Kulturland rasch wieder überziehen oder der Mensch das-
selbe bei Eintritt friedlicher Zeiten rasch zurückerobern. Hie
und da hat in der Tat der Wald vom verödeten Kulturlande
wieder Besitz genommen, aber nur unter besonders günstigen
Verhältnissen, namentlich in Klein-Asien, wo man vielfach, am
häufigsten in Lykien und Karien, zahlreiche Trümmerstätten mitten
Verödung der Mittelmeerländer. 303
im Urwalde findet, deren architektonischer Schmuck, Skulpturen
u. dgl. davon zeugen, daß hier hochgesittete Menschen dicht
beieinander wohnten. Aber im allgemeinen ist an Stelle des
Waldes dürftiges Gestrüpp, ja kahle Felslandschaft oder öde
Steppe getreten, die die Wirtschaftsmethoden der heutigen Be-
wohner, namentlich die Viehzucht, immer intensiver gestalten. Die
fast baumlose Steppenlandschaft Mittel-Tunesiens, die heute
nur wenige tausend Halbnomaden zu ernähren vermag, ist dicht
übersät mit Trümmern von Ansiedelungen aus spätrömischer Zeit,
von denen wir annehmen müssen, daß sie durch einen un-
geheuren Hain von Frucht-, namentlich Ölbäumen verstreut waren.
Die verhältnismäßige Verödung eines großen Teils der Mittel-
meerländer erklärt sich so aus der Geschichte und aus dem
Klima, wie es heute ist. Es bedarf nicht der Annahme einer
Klimaänderung d. h. Verminderung der Niederschläge. Aber mit
den Hilfsmitteln der Neuzeit ist auch die Möglichkeit einer
Wiederbelebung gegeben, die freilich auch ihrerseits lange Zeit-
räume erfordern wird.
2. Das Klima von Marokko.1)
Wie in jeder anderen Hinsicht Marokko heute zu den un-
bekanntesten Teilen von Afrika gehört oder bis vor wenigen
Jahren gehörte, so auch in bezug auf sein Klima. Bei dem
Kulturzustand der Bewohner ist naturgemäß von dieser Seite nichts
zu erwarten, und hat wohl kein marokkanischer Staatsmann an
die Einrichtung meteorologischer Stationen auch nur gedacht, ob-
wohl das Land durchaus auf seine Landwirtschaft angewiesen ist
und namentlich von den Niederschlagsverhältnissen das Wohl und
Wehe der Bewohner in einschneidendster Weise beeinflußt wird.
Was wir über das Klima von Marokko wissen — noch immer herzlich
wenig, — verdanken wir der Einsicht der im Lande wohnenden
Europäer, der Opfenvilligkeit einzelner Privatleute, die an ihren
Wohnorten meteorologische Beobachtungen eingerichtet haben.
Da bis heute so gut wie keine Europäer im Innern wohnen, so
1) Erschienen in Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXV. 1900. Siehe
rückwärts das Regenkärtchen von Marokko.
304 V, 2- ^as Klima von Marokko.
bezieht sich das Wenige, was an klimatologischem Beobachtungs-
stoff vorliegt, nur auf einzelne Küstenpunkte. Allerdings wäre
jetzt die Möglichkeit gegeben, auch im Innern, wenigstens in den
beiden Hauptstädten Fäs und Marrakesch meteorologische
Stationen einzurichten, da dort je ein englisches und ein fran-
zösisches Konsulat besteht, die beide nicht mit Amtsgeschäften
überhäuft sein dürften. Auch wohnen an beiden Orten jetzt
englische Missionare dauernd, deren Missionstätigkeit allem An-
schein nach auch noch Zeit für eine solche nützliche Beschäfti-
gung freilassen dürfte. Immerhin ist es mir gelungen, bei meiner
letzten Reise, von deutscher Seite zwei neue Beobachtungsposten
einzurichten, den einen in Marrakesch, den anderen in Casablanca.
a) Der klimatologische Beobachtungsstoff.
Der erste, welcher meteorologische Beobachtungen in Ma-
rokko angestellt hat, ist der auch sonst um die Erforschung des
Landes verdiente langjährige französische Konsul Beaumier in
Mogador gewesen. Derselbe las auf der den inneren Hof seines
Hauses umgebenden Galerie Thermometer und Barometer (Aneroid)
ab, beobachtete die Windrichtungen, die Bewölkung und Nebel
und zählte die Regentage. Die Beobachtungen umfassen die Zeit
August 1866 bis August 1868, Januar 1869 bis Dezember 18741).
Daß die Temperaturen durch die Art der Aufstellung des Ther-
mometers beeinflußt worden sind, wie schon Hann annahm, unter-
liegt keinem Zweifel. Nicht nur die Extreme sind sicher sehr
abgeschwächt, auch die Mitteltemperaturen dürften zu hoch und
die auf Grund dieser Beobachtungen allgemein verbreitete Vor-
stellung von der ungewöhnlichen Gleichmäßigkeit des Klimas von
Mogador doch vielleicht etwas übertrieben sein. Ich habe leider
das französische Konsulat nicht gesehen, weiß auch nicht, ob es
noch heute in demselben Hause untergebracht ist, wie vor 30
Jahren. Ich vermute aber, daß Beaumiers Beobachtungen ziem-
lich unter den gleichen Bedingungen gemacht wurden, wie eine
I) Mitgeteilt im Bull. Soc. Geogr. Paris, Jahrg. 1868, 1872. Ver-
wertet und besprochen ist dies Material von Hann in der Zeitschrift der
Österr. Ges. für Meteorolog. VIII, 1873, S. 8 und von Ollive: Climat de
Mogador et de son influence sur la phthisie. Bull. Soc. Geogr. Paris 1875,
I S. 363ff.
Meteorologische Beobachtungen. 305
neuere Beobachtungsreihe, welche wir dem deutschen Vizekonsul
Herrn von Maur verdanken. Auch da sind die von der Deutschen
Seewarte gelieferten, dem Dienst einer Station 2. Ordnung ent-
sprechenden einwandsfreien Instrumente (Quecksilber- Barometer)
etwa 8 m über Mittelwasser auf der inneren Galerie des Hauses
aufgestellt. Dasselbe liegt etwa 100 m vom Strand. Diese
Beobachtungen1) beginnen mit dem 1. April 1894 und werden
noch heute fortgesetzt. Seit Juli 1899 ist auch in Saffi von
Seiten der Deutschen Seewarte eine meteorologische Station ein-
gerichtet worden.
Weiter liegen Beobachtungen von Casablanca vor, welche
der damalige französische Vizekonsul Gilbert in der Zeit von
März 1867 bis Februar 1868 angestellt hat2). Dieselben er-
strecken sich auf Barometer, Thermometer, Wind und Beschaffen-
heit des Meeres. Da aber weder über die Instrumente und ihre
Aufstellung etwas angegeben wird, auch die Beobachtungen zu
ganz verschiedenen Stunden, bald einmal, bald zweimal, bald
dreimal täglich vorgenommen wurden, so müssen dieselben als
wissenschaftlich unverwertbar bezeichnet werden. Um so dankens-
werter ist es, daß der jetzige schwedische Konsul Herr Fernau
mir bei meiner Anwesenheit in Casablanca die Ergebnisse der
Beobachtungen zur Verfügung gestellt hat, welche derselbe seit
1896 angestellt hat. Dieselben umfassen Ablesungen an einem
Maximum- und Minimum-Thermometer, das allerdings im Korridor
des Hauses aufgestellt ist, von Oktober 1899 bis Mai 1900. Ebenso
Ablesungen an einem Barometer, das Herr Fernau selbst als nicht
zuverlässig bezeichnet. Wichtiger, ja von großem Wert, sind aber
die Regenmessungen, welche die Jahre 1896 — 1900 umfassen.
Der Regenmesser ist auf dem Dach des Hauses aufgestellt. Dazu
1) Bis 31. Dezember 1896, also nicht ganz drei Jahrgänge sind ver-
öffentlicht in: Deutsche überseeische meteorologische Beobachtungen, ges. u.
herausg. von der Deutschen Seewarte, Heft VIII, Hamburg 1899. Durch
die Güte des Direktors der Seewarte, Herrn Wirkl. Geheimen Admiralitäts-
rat Dr. Neumayer, wurde mir auch das noch nicht veröffenüichte Material
bis 1899 im Auszug zur Verfügung gestellt. Für die Niederschlagsverhält-
nisse sind auch die Jahrgänge bis 1904, wie von allen anderen Stationen
verwertet.
2) Veröffentlicht im Bull. Soc. Geogr. Paris, V. Bd. 14, 1867 n,
S. 698, 1868 I, S. 403 u. 1868, U. S. 88.
Fischer, Mittelmecrbilder. Neue Folge. 20
•3o6 V, 2. Das Klima von Marokko.
sind nun seit 1 902 die Beobachtungen der von mir eingerichteten,
1 907 von den Franzosen zerstörten deutschen Station gekommen.
Von Rabat liegen Beobachtungen vor, welche der Leibarzt
des Sultans, Dr. Linares, dort angestellt hat1). Dieselben um-
fassen die Zeit von Juli 188 1 bis Februar 1882 und Oktober
bis Dezember 1882. Der Beobachtungsort lag 10 m über dem
Meer. Über Instrumente und Beobachtungszeit wird nichts mit-
geteilt. Beobachtet wurden Luftdruck, Wind, Temperatur und
Regen. Ergänzt werden diese Beobachtungen durch die von
dem früheren englischen und deutschen Konsul Herrn John Frost
in den Jahren Oktober 1874 bis Juni 1897 angestellten. Das
darüber geführte Tagebuch ist mir von Herrn Frost bei meinem
zweiten Aufenthalt in Rabat freundlichst zur Verfügung gestellt
worden. Die täglich um 9 Uhr vormittags gemachten Be-
obachtungen wurden im Hause des Herrn Frost etwa 15 m über
Meer angestellt und umfaßten neben dem Zustand der vom
Fenster aus sichtbaren Barre des Bu Regreg2) Ablesungen am
Barometer (ein nicht sehr zuverlässiges Aneroid) und Thermo-
meter, die Windrichtungen und die Zahl der Regentage.
Der nächste Ort, von welchem meteorologischer Beobachtungs-
stoff vorliegt, ist Tanger. Dort hat zunächst der deutsche Mi-
nisterresident Weber vom 1. Oktober 1879 bis 30. September 1885
Temperatur, Bewölkung, Niederschlag, Gewitter und Regen be-
obachtet. Das Thermometer war in einer bedeckten, aber nach
Norden offenen Halle des Gesandtschaftsgebäudes aufgehängt,
das mitten in einem baumreichen Garten liegt. Nach meiner
Kenntnis der Örtlichkeit und der Verhältnisse halte ich die Be-
obachtungen für recht zuverlässig. Die Meereshöhe des Tores
der deutschen Gesandtschaft bestimmte ich zu 43 m, die Be-
obachtungsstelle mag daher etwa 45 m hoch liegen3). Eine sehr
1) Mitgeteilt in der Meteorologischen Zeitschrift 1886, S. 370.
2) Die darauf bezüglichen Beobachtungen habe ich in meinem als
Ergänzungsheft Nr. 133 zu Petermanns Mitteilungen erschienenen, die
sonstigen wissenschaftlichen Ergebnisse enthaltenden Werk: „Reise im AÜas-
Vorlande von Marokko" S. 42 im Auszug abgedruckt.
3) Diese Beobachtungen sind von J. Hann in der Zeitschrift der Österr.
Ges. f. Meteorlog. 1887, S. 26 bearbeitet worden. Ebenso in den Annalen der
Hydrographie Jahrg. 1880 ff. Ich konnte durch freundliches Entgegenkommen
der Direktion der Deutschen Seewarte die im Archiv derselben aufbewahrten
Original-Tagebücher vom Mai 1883 bis September 1885 benutzen.
Beobachtungsstationen am Kap Spartel und in Marrakesch. jqj
willkommene Ergänzung bzw. Fortsetzung haben diese Be-
obachtungen durch diejenigen des englischen Konsuls Herrn
H. White erfahren. Die Instrumente sind im Landhause des-
selben etwa 1 km vom Meer und in 68 m Höhe im Freien
durchaus zweckentsprechend aufgestellt. Herr White hat mir
die Monatsmittel der Ablesungen am trocknen und am feuchten
Thermometer um 9 Uhr vormittags, sowie am Maximum- und
am Minimum-Thermometer, ferner die monatlichen Maxima und
Minima, sowie die Mittel der relativen Feuchtigkeit für die Jahre
1897 und 1898 mitgeteilt. Diese sind von besonderem In-
teresse zum Vergleich mit den gleichzeitigen Ablesungen am Kap
Spartel. Dort ist nämlich in der seit 1893 etwas südlich vom
Leuchtturm dicht am Meeresufer und in 60 m über demselben
errichteten Lloyds Signalstation auch eine meteorologische Station
eingerichtet worden, die seit Januar 1894 in Tätigkeit ist. Die
Aufstellung aller Instrumente ist einwandsfrei. Es ist die beste,
fast die einzige, allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende
meteorologische Station in Marokko. Es werden um 9 Uhr
morgens und abends Barometer, trockenes und feuchtes Thermo-
meter, Maximum- und Minimum-Thermometer, Wind, Bewölkung
und Niederschlag beobachtet, seit 1896 auch Sonnen-Thermo-
meter abgelesen. Das Barometer ist 60 m, der Regenmesser
58,5 m über Meer aufgestellt, die Auffangöffnung des letzteren
0,3 m über dem Boden. Die Ergebnisse werden in einer
jährlichen Übersichtstafel von Lloyds veröffentlicht, scheinen
aber bisher, wie das Vorhandensein der Station überhaupt,
in den Kreisen der Meteorologen völlig unbekannt zu sein.
Auch ich sah erstaunt, als ich 1899 zum erstenmal wieder
nach Kap Spartel hinausritt, das neue Bauwerk, erfuhr aber
erst in Tanger von Herrn Konsul White, daß dasselbe auch
eine meteorologische Station berge. Bei einem neuen Be-
such konnte ich dieselbe besichtigen. Nicht ohne Mühe machte
mir Herr Dr. L. Friederichsen in Hamburg die bisher vor-
liegenden Beobachtungs- Jahrgänge, für die Niederschläge also
1894 — 1904, durch den dortigen Vertreter von Lloyds zu-
gänglich.
Aus dem Innern von Marokko fehlen, wenn wir von ver-
einzelten Angaben der Reisenden absehen, meteorologische Be-
obachtungen noch ganz. Nur von Marrakesch liegen solche von
tq8 V, 2. Das Klima von Marokko.
Januar bis März 1886 und vom Winter 1886 — 1887 vor1). Die-
selben wurden im französischen Konsulat angestellt und beziehen
sich auf Luftdruck, Temperatur und Niederschläge. Selbst diese
Bruchstücke sind dankenswert. Ich hoffte, daß es mir möglich
sein würde, bei meiner nächsten Reise, wenigstens in Marrakesch,
eine meteorologische Station einzurichten. Das ist in der Tat
1900 geschehen, indem die Geographische Gesellschaft in Leipzig
die Mittel zur Verfügung stellte, um die Instrumente für eine
Station 2. Ordnung von Fuess liefern zu lassen. Die Station ist,
so gut es in marokkanischen Städten überhaupt möglich ist, in
dem Kaufhofe des Herrn H. Marx eingerichtet. Die Beobachtungen
haben am 1. Januar 1900 begonnen und sind mit einer kurzen
Unterbrechung im April 1902, wo der Kaufhof auf Befehl
der deutschen Gesandtschaft ganz unnötigerweise, wie man in
Marrakesch selbst annahm , wegen Aufstandsbesorgnisse ge-
schlossen werden mußte, durch die deutschen Angestellten des
Herrn Marx sorgsam durchgeführt worden bis August 190 7, wo
in der Tat infolge der Beschießung von Casablanca durch die
Franzosen selbst für die Deutschen die Lage in Marrakesch ge-
fährlich wurde.
Ferner sollen die Beobachtungen verwertet werden, welche
1884 und 1885 an der 1878 von der englischen Nordwest-
afrikanischen Gesellschaft am Kap Juby 270 58' n. Br., 120 52'
w. L. v. Gr. angestellt worden sind2), so wenig zuverlässig die-
selben erscheinen. Ebenso wird es nötig sein, die Beobach-
tungen von San Fernando, Tarifa und Gibraltar zum Vergleich
heranzuziehen 3).
Ich selbst habe den klimatologischen Beobachtungen während
meines Aufenthaltes in Marokko von Februar bis Juni 1899 und
besonders während der Landreise durch das Atlas -Vorland be-
1) Mitgeteilt in der Meteorologischen Zeitschrift 1895, S. in.
2) Bearbeitet durch v. Danckelmann in der Meteorolog. Zeitschr. 1887,
S. 25. Die Station liegt unmittelbar am Meer, ja, eigentlich auf einer Insel.
Der Sultan von Marokko hat sie, um Waffeneinfuhr in die unsicheren süd-
lichen Grenzlandschaften zu verhindern, der Gesellschaft für schweres Geld
abgekauft. Der Afrika Pilot I, S. 93 gibt als geograph. Koordinaten 270
56' 41" n. Br., 12° 56' 41" w. L. v. Gr.
3) Meteorolog. Zeitschr. 1887 u. 1900, Annalen der Hydrographie 1881,
S. 225.
Reisebeobachtungen 1899. 30Q
sondere Aufmerksamkeit geschenkt und habe auf der ganzen
Reise täglich um 7 Uhr vorm. und 2 und 6 Uhr nachm. Baro-
meter und Thermometer abgelesen, Tau, Bewölkung und Nieder-
schläge beobachtet. Meine Ausrüstung, soweit hier davon zu
sprechen ist, umfaßte zunächst die beiden Aßmannschen Aspi-
rations-Psychrometer Nr. 238 und 250 in vollständiger Reise-
ausrüstung, die mir vom Königl. Meteorologischen Institut in
Berlin in überaus dankenswerter Weise geliehen und vor der Ab-
reise von der Königl. Physikalisch-Technischen Reichsanstalt ge-
prüft worden waren. Dieselben haben sich als außerordentlich
brauchbar und leicht zu befördern bewährt. Da es mir besonders
auf Erforschung der Luftfeuchtigkeit und deren Abnahme von
der Küste ins Innere ankam, so ging meine Absicht dahin, das
eine Instrument immer mit mir zu führen und das andere an
der Küste zu vereinbarten Stunden ablesen zu lassen. So über-
nahm Herr Konsul von Maur in Mogador, der, wie oben erwähnt,
seit 1894 schon beobachtet hat, das Instrument Nr. 238 und
hat dasselbe auch regelmäßig an sorgsam ausgewählter Stelle
dreimal täglich vom 29. März bis zum 25. April abgelesen, während
welcher Zeit ich durch das Tensift-Tal nach Marrakesch und
Demnät und von dort durch das Gebiet der Um-er-Rbia wieder
an den Ozean nach Casablanca und Rabat reiste. Es sollte Herr
Konsul von Maur dies Instrument dann nach Rabat schicken, wo
Herr Ingenieur Rottenburg seinerseits mit demselben beobachten
wollte, während ich durch das Sebu-Gebiet nach Fäs und von
da nach Tanger reiste. Leider wurde das von mir mitgeführte
Instrument Nr. 250 durch einen Unfall kurz vor Marrakesch un-
heilbar beschädigt. Es liegen somit nur für die Tage vom
29. März bis zum 4. April korrespondierende Beobachtungen vor.
In Rabat richtete ich dann mit Herrn Rottenburg mit Hilfe zweier
mit meinem Normal-Thermometer verglichener Thermometer in
geeigneter Aufstellung in dessen Hause etwa 30 m über dem
Meer korrespondierende Beobachtungen ein, die natürlich kein
voller Ersatz für das Aspirations-Psychrometer sein können. Das
Instrument Nr. 238 führte ich dann mit mir und habe an dem-
selben vom 11. bis 26. Mai um 7 Uhr vorm., 2 und 3 Uhr
nachm. regelmäßig beobachtet. Es ist auch in tadellosem Zustand
zurückgebracht worden.
Außer den beiden Aspirations-Psychrometern führte ich das
3 1 o V, 2. Das Klima von Marokko.
mir gehörige, von der Kgl. Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
geprüfte Normal-Thermometer von Fuess Nr. 1338 und je ein
Fuesssches Maximum- (Nr. 421) und Minimum- (Nr. 397) Ther-
mometer mit mir, die wenigstens letzteres auf der ganzen Reise
täglich abgelesen worden sind. Dieses legte ich auf einem
niedrigen Gestell 1 cm über dem Boden allnächtlich vor meinem
Zelt ganz frei, aber doch gegen zufällige oder absichtliche Be-
schädigung so gut geschützt aus, daß es tatsächlich unversehrt
zurückgekommen ist. Außerdem habe ich einige Male mit dem
Schwarzkugel-Thermometer beobachtet und mit dem Quellen-
Thermometer die Temperatur aller Quellen und aller Brunnen,
bei denen es möglich war, gemessen. Diese beiden Instrumente
waren mir von der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin geliehen
worden, deren tatkräftige Unterstützung mir überhaupt erst die
Reise ermöglichte. Ich möchte ihr daher auch an dieser Stelle
den wärmsten Dank aussprechen.
Es ist mir dann gelungen, wie schon erwähnt, die Geo-
graphische Gesellschaft in Leipzig und die Deutsche Seewarte in
Hamburg, die bereits zu der schon länger bestehenden Station
in Mogador 1896 eine solche in Saffi eingerichtet hatte, von
neuem für diese Frage zu erwärmen. Die Seewarte lieferte die
Instrumente für eine Station in Casablanca, welche ich persönlich
1901 eingerichtet habe, die Geographische Gesellschaft in Leipzig
die für Marrakesch. Auch auf der Reise von 1901 habe ich ähnlich
wie 1 899 beobachtet. Von anderer Seite ist dann noch eine fünfte
deutsche Station in Mazagan eingerichtet worden. Die Ergeb-
nisse dieser neuen Beobachtungen, abgesehen von Mazagan, die
nicht zu erlangen waren, sind bis 1905, aber nur bezüglich der
Niederschläge, von einem meiner früheren Zuhörer Herrn Dr.
K. Knoch, Assistent vom Meteorologischen Institut in Berlin, ver-
arbeitet worden in seiner Dissertation: Die Niederschlagsverhält-
nisse der Atlasländer. Marburg 1906. Er verwertet hier diese Er-
gebnisse.
Der so zusammengebrachte Beobachtungsstoff ist im fol-
genden zu einem ersten Versuch, das Klima von Marokko im
Zusammenhang darzustellen, verarbeitet worden. Es lag nahe,
die Beobachtungen von Kap Spartel und die neue Reihe von
Mogador gründlich zu bearbeiten. Doch glaubte ich bei ein-
gehender Erwägung gegenüber dem Umstand, daß von beiden
Bodenplastische Skizze. ?n
Punkten erst sechs Jahrgänge vorliegen, während kein Zweifel
aufkommen kann, daß die Beobachtungen für zehn Jahre und
länger werden fortgesetzt werden, dies mir für später vorbehalten
zu sollen. Das jetzt erreichbare Ergebnis würde der aufzu-
wendenden Zeit und Mühe nicht entsprochen haben. Selbst-
verständlich sind die englischen Maße der Herren Frost, Fernau
und White, wie der Station auf Kap Spartel umgerechnet.
b) Bodenplastische Skizze.
Wie in bezug auf andere geographische' Züge nimmt Marokko
auch nach seinem Klima eine Sonderstellung innerhalb der Atlas-
Länder ein. Wenn wir vom Muluja-Gebiet, das auch in dieser
Hinsicht mehr zum Mittelland Algerien gehört, und von den trans-
atlantischen Landschaften absehen, die völlig saharisches Klima
haben, besteht Marokko aus dem Hochgebirgsgürtel des Atlas,
welchem sich das wie in jeder Hinsicht so auch klimatologisch
noch völlig unerforschte Gebirgsland des Rif anschließt. Diesem
Gürtel von Faltengebirgslandschaften ist nun von der Meer-
enge von Gibraltar im Norden bis zum Südwestende des Hohen
Atlas am Kap Ghir das Atlas -Vorland vorgelagert, das im
wesentlichen als ein Tafelland aufzufassen ist. Dieses Atlas-
Vorland bildet den Kern des Staates Marokko, dessen Grenzen
nur am Ozean und gegenüber Algerien feststehend sind.
Aber selbst innerhalb dieser Grenzen erkennt nur ein Bruch-
teil der Bewohner den Staat Marokko an. Die Länderkunde
kann selbstverständlich unter Marokko nur jenen Hochgebirgs-
gürtel des atlantischen Faltenlandes und das Atlas -Vorland
verstehen. Da jener klimatologisch noch unerforscht ist, vor
allem auch außerhalb des Bereichs meiner eigenen Forschungen
liegt, so wird sich die Darstellung im wesentlichen auf das Atlas-
Vorland beschränken. Dieses steigt als Tafelland in Stufen ziem-
lich steil vom Meere auf, so daß in einer Meerferne von etwa
60 bis 70 km bereits fast allenthalben eine mittlere Höhe von
400 m vorhanden ist, die sich dann bis zu dem fast überall
scharf ausgeprägten Fuß des Gebirges in unmerklichem Anstieg
auf etwa 600 km steigert. Im Südwesten, in den Landschaften
Mtuga und Haha ist die Meereshöhe des infolgedessen auch
etwas reicher gegliederten Tafellandes bedeutender; es treten
5j2 V, 2. Das Klima von Marokko.
Höhen von 400 m schon etwa 40 km von der Küste auf, wäh-
rend im Norden die vom Sebu durchflossene Tiefebene des Gharb,
eine tertiäre und quartäre Meeresbucht, mit einer mittleren Höhe
von etwa 50 m 90 m weit in das Tafelland eingreift, das sich
seinerseits von dort bis zur Meerenge an der Außenseite des
Faltenlandes auf etwa 10 bis 20 km verschmälert.
Gemildert wird die bodenplastische Einförmigkeit des Tafel-
landes, wenn auch nur örtlich, dadurch, daß in den höheren
Teilen desselben wie im Südwesten, in Mtuga und Haha, so
namentlich im Gebiet des Bu-Regreg die Erosionskraft der vom
Atlas kommenden Gewässer wirksamer gewesen ist, während
anderwärts, namentlich im Gebiet des mittleren Tensift und des
Um-er-Rbia vorzugsweise äolische Denudation flache Wannen
und Tafelberge gebildet hat. Die Abtragung ist örtlich so
weit fortgeschritten, daß unter den jüngeren tafellagernden
Schichten das alte gefaltete Grundgebirge , das wohl wesent-
lich durch Abrasion zu einer Fastebene umgestaltet worden
war, zutage tritt und Felsgebirge von geringer relativer Höhe
und Erstreckung bildet. Der Einfluß , welchen diese wie
die Wannen in klimatologischer Hinsicht auszuüben vermögen,
dürfte jedoch außerordentlich gering sein. Die Meerferne ist von
weit größerer Bedeutung als diese geringen Störungen des Tafel-
landcharakters. Größeren Einfluß übt nur das steil über dem
Vorland mit einer relativen Höhe von 2500 bis 3000 m auf-
steigende Gebirge aus. Wie ein Wall schließt es jenes von der
Wüste und zum Teil auch vom Mittelmeer ab und macht es
gegen den Ozean schauen.
c) Luftdruck und Luftströmungen.
Für Luftdruck und Luftströmungen ist entscheidend die Lage
zum subtropischen Hochdruckgürtel des östlichen Atlantischen
Ozeans. Der hohe Gebirgswall gestattet den thermischen und
barischen Verhältnissen der Sahara, namentlich der sommerlichen
Depression, nur geringen Einfluß. Während des Winters liegt
Marokko noch in diesem Hochdruckgürtel, wenn auch in der
östlichen Hälfte desselben und mit nach Westsüdwesten zuneh-
mendem Druck. Der mittlere Barometerstand des Januar ist (frei-
lich nur in dem einen Jahr 1885) am Kap Juby 765,4 mm, in
Luftdruckverhältnisse des Atlas -Vorlandes.
3*3
Mogador 764,3 1), in Rabat (wenig zuverlässig, zwei Jahre nach
Linares) 764,4. Aus den Nachbargebieten beträgt der mittlere
Luftdruck des Januar auf Tenerife, Madeira sowohl, wie andrer-
seits in Lagos, San Fernando und Gibraltar 765 bis 766 mm. Vom
Januar nimmt der Luftdruck gegen den Sommer hin, wenn auch
nicht gleichmäßig, ab, so daß derselbe im Juli am Kap Juby
764,4, in Mogador (nach von Maur 3 jähr.) 762,2 mm2) beträgt;
dagegen in Gibraltar 762,8, in San Fernando 761,3, in Lagos
761,9, auf Madeira 763,8, in Ponta Delgada auf den Azoren
767,1 mm, also zunehmend gegen Nordwesten. Es liegt Marokko
danach im Sommer im allgemeinen südlich vom Hochdruckgürtel,
während dann jenseits des Atlas sich über der großen Wüste
eine ausgedehnte Depression entwickelt. Wie sich die Luftdruck-
verhältnisse im Innern des Atlas -Vorlandes, namentlich auf der
subatlantischen Hochebene gestalten, darüber lassen sich nur Ver-
mutungen aussprechen ; Vermutungen, welche sich auf wenige Baro-
meter-Ablesungen und auch nur während des Winters und Früh-
lings, namentlich aber auf die beobachteten Luftströmungen wäh-
rend des Frühlings und Sommers stützen, aber natürlich der
Bestätigung durch längere Beobachtungen, in Marrakesch etwa,
bedürfen. Danach wäre anzunehmen, daß im Winter über dem
ganzen Atlas -Vorland und dem Atlas -Gebirge ähnlich wie an der
Küste verhältnismäßig hoher Luftdruck herrscht, während sich im
Sommer und schon von Ende März an hier ein örtlich be-
schränktes Auflockerungsgebiet entwickelt. Es wäre also die
subatlantische Hochebene dem Pendschab entfernt ähnlich.
Die für den Winter 1886/87 vorliegenden Barometer- Ab-
lesungen in Marrakesch3) zeigten deutlich eine Druckzunahme
vom September zum Dezember, wo der mittlere Stand 724 mm
war, und eine ebenso regelmäßige Abnahme zum März, wo der
mittlere Stand 721,1 mm, fast gleich dem vom September war.
1) Das achtjährige Mittel (1867 — 1874) der Beobachtungen Beaumiers
nach Ollive: Climat de Mogador im Bull. Soc. Geogr. Paris 1875, II, S. 387
ist 765,2. Das von Hann (Zeitschrift der Österr. Ges. f. Meteorolog. 1873,
S. 9) berechnete fünfjährige Mittel ist 764,3. Das sich aus den Beobachtun-
gen des Herrn von Maur ergebende zweijährige Mittel(l895 — 1896) ist ebenfalls
764,3. Ich halte diesen Wert für der Wahrheit näher kommend, da er auf
drei täglichen Ablesungen eines Quecksilber-Barometers beruht.
2) Nach Hanns fünfjährigem Mittel 760,5, nach Ollive 761,6 mm.
3) Meteorolog. Zeitschrift 1895, S. III.
314 V, 2. Das Klima von Marokko.
Auf das Meeresniveau reduziert1) und die Meereshöhe von Marra-
kesch zu 500 m2) angenommen, gäbe das 768,2 und 765,2 mm
gegen (2 jähr. Mittel nach von Maur) 766,1 und 762,9 mm in
Mogador. Also bedeutende Druckzunahme nach dem Innern.
Leider liegen für den Sommer keine entsprechenden Vergleichs-
beobachtungen vor. Ich selbst habe nach Vereinbarung mit Herrn
von Maur meine zwei bzw. drei Aneroide während des 1 7 tägigen
Aufenthalts in Marrakesch vom 5. — 21. April 1899 regelmäßig um
7 Uhr vorm., 2 Uhr und 9 Uhr nachm. abgelesen. Ein Vergleich
der beiderseitigen Ablesungen dieser kurzen Periode ergab eben-
falls einen höheren Barometerstand in Marrakesch, wie in Moga-
dor, nämlich 724,2, also auf das Meeresniveau reduziert 767,3
in Marrakesch, 764,7 in Mogador. Trotzdem glaube ich im
Sommer für das Innere des Atlas-Vorlandes und besonders für
die subatlantische Hochebene entsprechend der raschen und be-
deutenden Wännezunahme eine Abnahme des Luftdrucks gegen-
über der Küste annehmen zu müssen. Dies würde auch erklären,
daß ich im April und Mai fast täglich mit steigender Sonne
westliche und nordwestliche Winde sich entwickeln und an Stärke
zunehmen sah, die dann gegen Abend einlullten. Dieselben
brachten kühle Luft vom Ozean und wurden als außerordentlich
wohltuend empfunden. Auch die später zu besprechenden
sommp.rlinrtp.n Staubtromben und heißen Winde mit ihren Be-
gleiterscheinungen sind wohl aus der großen Wärmezunahme zu
erklären.
Dieser Luftdruckverteilung entsprechen die Luftströmungen:
im Winter von Süden nach Norden immer häufiger werdendes
Auftreten des West und Südwest bis zu völliger Vorherrschaft im
Norden, im Sommer so gut wie Alleinherrschaft nordöstlicher
Winde, des Passats. Je weiter nach Süden, um so länger und
regelmäßiger weht derselbe. Am Kap Juby herrschen acht Monate
hindurch kühle Nordnordost -Winde. Von November bis Februar
sind die Winde veränderlich, aber der Nordost herrscht vor. In
i) Nach Hann: Atlas der Meteorologie S. 6.
2) Dies dürfte doch wohl etwas zu hoch sein. Vgl. Ergänzungsheft
zu Peterm. Mitteilungen Nr. 133, S. 77. Daß das Innere von Marokko im
Winter durch eine wesentliche Druckzunahme gekennzeichnet wird, nimmt
auch Dr. Knoch auf Grund der neuen Beobachtungen in Marrakesch an.
Ebenso die sommerliche Auflockerung.
Windverhältnisse Nord -Marokkos.
315
Mogador sind ebenfalls Nordnordost und Nordost die vorherr-
schenden Windrichtungen. Sie wehen besonders von Mai bis
September unter Tags und im Juli sozusagen Tag für Tag mit
großer Stärke, während nachts und morgens Windstille herrscht.
Im Winter, von November bis März und April, sind südwestliche,
westsüdwestliche, westliche und auch südliche Winde nicht gar
selten. Von 5475 Windbeobachtungen Beaumiers von 1870 bis
1874 kamen 305g auf Nordost. Nach von Maurs Beobachtungen
(1894 — 1899) herrschen in allen Monaten des Jahres nordöst-
liche und nordnordöstliche Winde vor, im Sommer naturge-
mäß mehr als im Winter. Im Juli z. B. herrschen diese beiden
Windrichtungen an 26,3 Tagen vor, aber auch im Januar noch
an 20,5 Tagen. In den drei Jahren 1894^ — 1896 waren im Juli
70 °/0 im Jahr 1895 und 1896 im Januar 44% aller beob-
achteten Windrichtungen solche des ersten Quadranten. West-,
Südwest- und Südsüdwestwinde, die Regenbringer , kennzeichnen
die Zeit von Oktober bis April durch eine gewisse Häufigkeit
ihres Auftretens, während sie im Sommer sehr selten sind. In den
drei Jahren 1894 — 1896 kamen im Juli auf 279 Windbeobachtun-
gen nur 2 1 mal Winde aus dem dritten Quadranten, während im
Januar 1895 und 1896 auf 186 Windbeobachtungen 234-8 aus
dem dritten Quadranten kamen. Leider liegen mir nur diese
zwei Jahre vor, in denen der Januar 1896 durch große Regen-
armut als nicht normal erscheint. Selbst der Januar 1895 bleibt
mit nur 65,9 mm Regen hinter dem 6jährigen (1895 — 1900)
Mittel von 97,3 mm beträchtlich zurück. Ich schließe daraus,
daß auch diese 2^ mal unter 93 Beobachtungen festgestellten
Winde des dritten Quadranten unter dem Mittel sind und min-
destens ein Drittel aller im Januar beobachteten Windrichtungen
solche aus dem dritten Quadranten sind. Wir können also an-
nehmen, daß in Mogador die Winde dieses Quadranten im
Juli nur 7,5, im Januar S3°/0 der beobachteten Windrichtungen
ausmachen. Süd- und Südostwinde sind sehr selten und treten
nur in geringem Maß mit den Erscheinungen des Scirocco (Föhn)
auf. Sie wehen etwa einen halben Tag zwei- bis dreimal im
Jahr. Immerhin richtete ein am 23. Juni 1900 drei Stunden
nachmittags wehender Ostsüdost-Sturm beträchtlichen Schaden an
Mauern und (flachen!) Dächern an. Ablandige Winde, wozu
in Mogador alle Winde etwa zwischen Nordosten und Süden zu
3 I 6 V, 2. Das Klima von Marokko.
rechnen sind, wehen im Juli zu 68°/0, im Januar zu 73%. Doch
ist der letzte Prozentsatz wegen der nicht normalen Januare bei
beiden Beobachtungsjahren zu hoch. Immerhin wird man auch
im Januar wohl noch über die Hälfte aller Windrichtungen als
ablandige ansehen können. Sehr deutlich laßt die 2 Uhr nach-
mittags-Beobachtung, bei welcher 63% auflandige Winde sind,
im Juli den Wechsel von See- und Landwind erkennen. Die
Windstärke pflegt bei Nordwest und Nordnordwest, gelegent-
lich auch bei Südwest und im Winter am größten zu sein, doch
erreicht auch der Passat untertags nicht selten eine große Stärke.
Windstille ist in Mogador, wie im übrigen ja meist an den Küsten
des Ozeans, eine seltene Erscheinung. Im Januar kam 1895
und 1896 Windstille überhaupt nicht zur Beobachtung, im Juli
1894 — 1896 auf 279 Beobachtungen nur fünfmal. Das wäre
von großer Wichtigkeit für die Aufstellungen von Windmotoren
zur Bewässerung der Gärten in der Umgebung der Küstenstädte
und im ganzen Küstengebiet an Stelle von Eseln und Maultieren,
die heute allgemein zum Emporheben des Wassers in den Norias
verwendet werden.
Wie sich weiter nach Norden die Windverhältnisse gestalten,
kann man sich ungefähr vorstellen, nämlich größere Häufigkeit
des Südwest im Winter, geringere des Nordost im Sommer.
Doch fehlt es an genügenden Beobachtungen. In Rabat kommen
nach den nicht ausreichenden Beobachtungen des Dr. Linares
im Winter auf Winde des dritten Quadranten 44%, des ersten
S3°l0, im Sommer 47% un<^ 43 %• ^m Sommer weht also der
Passat hier weniger lange und regelmäßig, wenn auch nörd-
liche und nordöstliche Windrichtungen im Sommer viel häufiger
sind als im Winter. Man pflegt auch gewöhnlich am Kap Cantin,
zwischen Mogador und Rabat die Polargrenze des ausgebildeten
Passats anzusetzen. Nach den Beobachtungen des Herrn Frost
weht in Rabat im Mittel im Januar an 10 Tagen Ost-, an 9 Tagen
Westwind, im Juli an 27 bzw. 4 Tagen. Diese auffallende Er-
scheinung ist nur aus der Lage des Standorts des Beobachters
am Rand des Bu Begreg -Tales zu erklären. Es werden dort
offenbar und nach meiner Kenntnis der Ortlichkeit begreiflicher-
weise fast alle Winde durch das tief in das Tafelland annähernd
in Westost-Richtung eingeschnittene Flußtal abgelenkt. Ich glaube
demnach diesen Beobachtungen entnehmen zu können, daß im
Windverhältnisse der Straße von Gibraltar.
317
Sommer dort die Winde des ersten Quadranten außerordentlich
überwiegen und auch im Winter noch sehr häufig sind. Es würde
sonach das Bild der Windverhältnisse von Rabat noch nicht allzu
stark von Mogador abweichen.
Sehr eigenartig sind die Windverhältnisse der Straße von
Gibraltar. Für das Verständnis derselben gilt es natürlich neben
den Beobachtungen auf Kap Spartel und in Tanger auch die
von Tarifa, Gibraltar und San Fernando heranzuziehen. Stellen
wir zunächst die beobachteten Tatsachen zusammen. An der
Signalstation auf Kap Spartel zeigt sich sofort die Bedeutung der
Meerenge für den Ausgleich, wie der Gegensätze von Ozean und
Mittelmeer in bezug auf Salzgehalt, Schwere, Temperatur usw.,
so auch der Luftmassen über beiden Wasserflächen. Alle Luft-
strömungen werden durch diesen engen Durchgang, der im Süden
wie im Norden von hohem Lande und von Gebirgen mit Höhen
von 2000 m und mehr begrenzt wird, abgelenkt und nehmen
ähnlich wie in einer engen Gasse an Stärke zu. Die Gegensätze
der Erwärmung und des Luftdrucks über beiden Meeren, nament-
lich bei der Ausbildung von Depressionen über dem warmen
Mittelmeer während des Winters werden auch ihrerseits zur Er-
zeugung von Luftströmungen meist beträchtlicher Stärke beitragen.
In der Tat ist die Straße von Gibraltar, wenigstens im Winter,
eines der greulichsten Zuglöcher der Erde. Der Aufenthalt in
Tanger erscheint jedenfalls durch den fast ununterbrochen,
häufig sturmartig, bald von Ost, bald von West wehenden Wind
im Winter, bis man sich daran gewöhnt hat, als wenig angenehm.
Der Bosporus, das zweite große Zugloch des Mittelmeergebiets,
ist, was die Luftbewegung anlangt, nicht so schlimm, freilich die
Wirkung der dort hereinbrechenden nördlichen Winde wesentlich
größer. Im Sommer ist die Windstärke an und für sich nicht
geringer, wird aber bei der herrschenden Wärme eher angenehm
empfunden. Nur im August und September herrscht hier etwas
größere Ruhe.
Es kommen im sechsjährigen Mittel an Kap Spartel bei
den zweimal täglichen (9 Uhr vorm. und 9 Uhr nachm.) Beob-
achtungen im Jahresmittel $2 % a^er beobachteten Windrich-
tungen auf O, 29 % auf SW und w- Dabei ist bezeichnend,
daß alle andern östlichen Richtungen verhältnismäßig selten
sind, weil eben alle durch die Meerenge abgelenkt zur Beobach-
•5j8 V, 2. Das Klima von Marokko.
tung kommen, während Südwest etwas häufiger auftritt als West
und nebenbei auch Süd und Nordwest eine gewisse Häufig-
keit haben, die ihrerseits erst hier am westlichen Eingang in
die Meerenge eine Ablenkung erfahren. In Tanger, wo die
Lage des Beobachtungsortes keine sehr verschiedenen Bedin-
gungen von dem 12 km entfernten Kap Spartel aufweist, kom-
men im sechsjährigen Mittel auf O 20 °/0, auf SO io°/0, auf SW
16 %, auf NW 13 %, auf W 28% während N, S und SO noch
seltener auftreten als am Kap Spartel. In Gibraltar sind ebenfalls
im sechsjährigen Mittel1) Ost- und Nordwest- bzw. Südwest- und
Westwinde am häufigsten. O weht an 89 Tagen, NW an 95,
SW an 60, W an 43 Tagen. Auch hier sind N, S und SO ver-
hältnismäßig selten. Der Ostwind, Levanter genannt, hält zu-
weilen 4 bis 5 Wochen an. Während dieser Zeit hängt eine dicke,
dunkle Wolke über dem Felsen.
Was die jahreszeitliche Verteilung dieser vorherrschenden
Windrichtungen anlangt, so kommen am Kap Spartel im Januar
auf O 2 6°/0, auf W und SW 2i0/0 der beobachteten Windrich-
tungen, im Juli auf O 39%' am° W und SW 32°/0. Wir sehen
also, daß auch hier die Ostwinde, unter welchen vorwiegend
Windrichtungen des ersten Quadranten zu verstehen sind, im
Jahr und besonders im Sommer noch überwiegen, aber die Winde
des dritten Quadranten stehen ihnen an Häufigkeit nicht mehr
viel nach. In Tanger kommen im Januar auf O 2$°/0, auf W
und SW 52%, im Juli auf O 26%, auf W und SW 35%. In
Gibraltar weht im Winter der O an 19, im Sommer an 29 Tagen,
der W, SW und NW im Winter an je 10, n und 29 Tagen,
im Sommer an je 12, 15 und 15 Tagen. Es herrscht also im
Sommer der Ost-, im Winter der Westwind vor.
Die Windstärke ist nach den Beobachtungen am Kap Spartel
im sechsjährigen Mittel im Januar nach der 12 teiligen Skala 3,2,
im Juli 3,4, im März, der meist sehr stürmisch ist, 3,6, im Sep-
tember, dem verhältnismäßig ruhigsten Monat, 3,0. Es sind be-
sonders die Ostwinde, welche stürmisch auftreten und den Ver-
kehr über die Meerenge erschweren, ja tagelang unmöglich machen.
Das zeigen namentlich auch die Beobachtungen von Tanger.
Auf ihnen beruht die ungewöhnliche Windstärke des Sommers.
1) Zeitschrift der Österr. Ges. f. Meteorolog. 1874, S. 75.
Kühle Auftriebküste. 310
Im fünfjährigen Mittel kommen Oststürme (Stärke 7 — 10) an
nicht weniger als 8g Tagen vor, in jedem der fünf Monate Mai
bis September im Durchschnitt an 1 1 Tagen. Auch der Nordost
tritt im Sommer ziemlich häufig und in großer Stärke auf, während
Südwest- (an 41 Tagen jährlich) und Weststürme (an 39 Tagen)
besonders die Zeit von Dezember bis April kennzeichnen. Die
anemometrischen Aufzeichnungen am Marine - Observatorium zu
San Fernando1) ergeben ebenfalls für den Ostwind die bei weitem
größte mittlere Geschwindigkeit, nämlich 19,2 km in der Stunde,
gegen 15,2 für den Westwind.
Wenn wir diese Betrachtungen über die Windverhältnisse
von Marokko von einem bestimmten Gesichtspunkt aus kurz zu-
sammenfassen, so sehen wir, daß an der Straße von Gibraltar
noch 4 — 5 Monate Winde vorherrschen, welche als ablandige
bezeichnet werden können, und daß dieselben mit größter Stärke
auftreten. In Mogador herrschen dieselben schon das ganze
Jahr vor und überwiegen auch noch im Winter, am Kap Juby
ist beides in noch höherem Grade der Fall. Dieser Umstand
beeinflußt das Klima des ganzen Küstengebiets in überaus auf-
fälliger Weise und ruft einen grellen Gegensatz zwischen diesem
und dem Innern des Atlas -Vorlandes hervor. Mit demselben
hängt zusammen die niedrige Temperatur des Meeres an der
Küste, große Luftfeuchtigkeit, Nebel, Tau, außerordentlich gleich-
mäßige Wärme des Küstengebiets, Seltenheit von Gewittern, jahres-
zeitliche Verteilung und Menge der Niederschläge.
d) Kühle Auftriebsküste.
Bei meinen Studien über das Klima der Mittelmeerländer
stieß mir schon im Jahre 1877 die Tatsache auf, daß an der
Küste von Portugal, Spanien und Marokko die Luft ganz auf-
fällig kühl sei, besonders im Sommer, und das Meer hier einen
großen Teil des Jahres (acht Monate) in einem allerdings nicht
sehr breiten Gürtel des Küstenlandes in hohem Grade Temperatur
erniedrigend wirke. Line genügende Erklärung für diese Er-
scheinung glaubte ich in der die Küste begleitenden, aus hohen
in niedrigere Breiten gehenden und darum kühl erscheinenden
nordafrikanischen oder Kanarenströmung nicht erkennen zu können.
1) Zeitschrift der Österr. Ges. f. Mcteorolog. 1874, S. 75.
X20 V, 2. Das Klima von Marokko.
Ich suchte die Erklärung der auffallend niedrigen Oberflächen-
temperatur des Meeres an der Küste in „aus der Tiefe auf-
tauchenden Schichten"1). Wohl als einer der ersten hatte ich
so die Erscheinung der kühlen Auftriebwasser erkannt, freilich
ohne auch bereits in den ablandigen Winden die Kraft zu er-
kennen, welche diese kühlen Wassermassen aus der Tiefe empor-
zog. Ich wies damals auch schon auf die diesen Küstengürtel
kennzeichnenden Nebel hin. Einer meiner Schüler, Dr. Puff2),
hat dann 1890 aus den Schiffstagebüchern der Deutschen See-
warte diese Verhältnisse klargelegt. Es ergab sich, daß der
Unterschied zwischen Luft- und Oberflächenwasserwärme im
Sommer an der Küste von Norden nach Süden immer größer
wird und ein verhältnismäßig schmaler Gürtel nahe unter Land
auffallend kühl erscheint. Dr. Puff zeigte, daß an der Küste des
äußersten Nordwest -Marokko das ganze Jahr Wasser aus der
Tiefe emporgesogen wird, wenn sich dies naturgemäß auch nur
im Sommer als thermisch wirksam erweist. Während dieses
Oberflächenwasser vor der Meerenge vom Juli bis September
etwa 190 C hat, dat es draußen auf dem Ozean in gleicher Breite
20 — 22° C, im Mittelmeer 21 — 230 C. Und so an der Küste
von Marokko südwärts. Bei seinen so bedeutungsvollen Unter-
suchungen über die Strömungen in der Straße von Gibraltar
"stellte Carpenter3) im August 1872 fest, daß die Oberflächen-
temperaturen von der spanischen nach der marokkanischen Küste
stetig abnahmen. Im Profil der größten Verengung der Straße,
von Pearl Rock, wo man 22,5° C fand, nahm die Oberflächen-
temperatur gegen die Mitte mit 16,6° C und gegen Punta Cires,
wo man nur 15,3° C feststellte, auffallend ab. Ähnlich von Tarifa
bis zur Tangerbucht 19,3, 16,7, 16,5° C. Also Temperaturen,
wie man sie an der Oberfläche im August erst an der Südküste
von Irland findet. Bei Mogador fanden Buchanan und Nares4)
im August dicht am Lande 15,6° C, 20 Seemeilen von der
Küste schon 21,1° C.
Am Kap Juby, wo die Meerestemperatur bei eingetretenem
1) Peterm. Mitt. Ergänzungsh. 58, S. 25.
2) Das kalte Auftriebwasser an der Ostseite des Nordatlantischen Ozeans.
Marburger Dissertation 1890, S. 12.
3) Proc. Roy. Geogr. Soc. 1874, S. 333.
4) S. ebenda 1886, S. 764.
Kühle Auftriebküste.
321
Hochwasser beobachtet wurde, war dieselbe von April bis Oktober
niedriger als im Winter; im Juni z. B. 16,3° C gegen 16,9° C
im Januar, 17,7° C im November und Februar, I7,8°C im März.
Das Jahresmittel ist 17,2° C, das absolute Maximum im August
20, 8° C. Das sind also ungewöhnlich niedrige Temperaturen für
die Breite von 270 28' N. Auch die die Gewässer des kühlen
Auftriebs gewöhnlich kennzeichnende flaschengrüne Farbe findet
sich an der atlantischen Küste. Meine Absicht, auch meinerseits
zur weiteren Klärung dieser Verhältnisse durch Beobachtungen
mit Aräometer , Thermometer und Farbenskala beizutragen,
scheiterte daran, daß die Instrumente aus Versehen nach Mogador
vorausgegangen waren, in Mogador selbst aber die bewegte See
jede Beobachtung unmöglich machte. Sehr erwünscht kamen mir
daher die Beobachtungen, welche Herr Stabsarzt Dr. Krämer auf
Anregung von Professor O. Krümmel an Bord S. M. Schulschiff
„Stosch", das damals an der marokkanischen Küste kreuzte, am
24. und 25. August 1899 auf der Fahrt von Tanger nach den
Kanarischen Inseln anstellte und die mir Herr Professor Krümmel,
dessen Rat ich für meine eigenen Beobachtungen erbeten hatte,
freundlichst zur Verfügung gestellt hat. Die herrschende Wind-
richtung war Ost, d. h. die nach den Beobachtungen auf Kap
Spartel im August bei weitem überwiegende Windrichtung, auf
welche speziell im August 1899 fast die Hälfte aller beobachteten
Windrichtungen kam. Ich lasse die Beobachtungstabelle auf
S. 322 auszugsweise folgen.
Es ergibt sich aus diesen Beobachtungen, daß die Küsten-
gewässer um Kap Spartel nach Temperatur, Dichte und Salz-
gehalt dem kühlen Auftrieb angehörten, aber nur in einem sehr
schmalen Gürtel. In einem Abstand von 12 km steigt die Ober-
flächentemperatur sehr rasch, allerdings Dichte und Salzgehalt
weniger rasch. Auch die Lufttemperatur steigt entsprechend.
Bei der letzten Beobachtung um 9 Uhr abends ist die Ober-
flächentemperatur bereits auf 21,5° C gestiegen. Die Beobach-
tungen am 25. August, die eine etwa 130, die andere etwa
158 km westlich von Arsila, zeigen die normale Temperatur,
Dichte und Salzgehalt des Ozeans in dieser Gegend und Jahreszeit.
Wie es auch anderwärts vielfach der Fall ist, so wird auch
das Gestade dieses Gürtels kühlen Auftriebs, der natürlich örtlich
von der Boden- und der Küstengestalt beeinflußt ist, um ZU-
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 2 1
32:
V, 2. Das Klima von Marokko.
Zeit
Ort
Kurs
d. See- H
wassers g
d.Luft °
Aräometer-
gewicht
Wasser-
temperatur
in °
«■CO
•6*
•3
ja
24.VIII.99
! !
3hp
etw. östl.v.Kap Spartel
WNWVjW
16,4 1027,6 17,611027,5
36,0
3h io'p
1 y4 Sm. w. v. K. Sp.
16,4
20,7! 1027,8 17,4t 1027,7
36,3
3h 2o'p
2
1 1027,6 I7,6|i027,5 36,0
3h30'p
2,5 „
17,1
1027,8 t 17,8; 1027,6136,1
3h35'p
3 j)
i7»3
1027,6117,8
1027,6136,1
3h4o'p
3>5 ..
17,3
3h45'p
4
17.3
3h55'p
4h io/p
5
6,5 „ ab K. Sp.
wNwysw
i7>3
i8,3
21,3
1027,5
18,6
1027,6
36,1
4h 2o'p
7>5 »
18,7
1027,5
18,8
1027,7
36.3
25.Vm.99
8h io'a
35°25'N
7°i5'W
24,2
24,2
1026,4
24,4
1028,0
36,7
I2hm
35°261;,N
7°3o'W
24,6
25,6
1026,0
25,6
1027,5
36,4
nächst die augenfälligen Erscheinungen hervorzuheben, durch
hohe relative Feuchtigkeit, häufige Nebel und reichliche Taufälle
gekennzeichnet, also Erscheinungen, welche alle in den engsten
Beziehungen zueinander stehen. Nebel sind allerdings am Kap
Juby selten und nie von langer Dauer. Wohl aber wird diese
Küste durch ungewöhnliche Taubildung gekennzeichnet. Dies
bezeugen vom Rio de Oro die spanischen Forscher E. Bonelli x)
und Fr. Quiroga *). Ganz wie ich es am unteren Tensift beob-
achtete, würde man dort, wenn man im Freien schlafen wollte,
bis auf die Haut durchnäßt werden, während drei Tagereisen
von der Küste Taufälle selten sind und große Lufttrockenheit
herrscht. Weiter nach Süden sind die Taufälle noch reichlicher,
und Schiffe, welche in der Nähe des Landes vor Anker liegen,
gewähren nach einem solchen Taufalle den Anblick, als ob ihr
Deck und Takelwerk abgespült sei3). Von Choree und St. Louis
berichtet Borius4), daß dort während der Trockenzeit, besonders
1) El Sahara. Madrid 1887.
2) Observaciones geologicas hechas en el Sahara occidental. Anal. Soc
Espafi. de Hist. Nat. T. XVIH 1889, S. 313.
3) Puff a. a. O., S. 56.
4) Ztschr. d. Österr. Ges. f. Met. 1875, S. 374.
Tau und Nebel im Küstengebiet. ^21
von März bis Mai, der Taufall so reichlich ist, daß in einigen
Häusern das so niedergeschlagene Wasser in Zisternen geleitet
wird und oft in einer Nacht die Niederschlagshöhe des Taus
2 mm erreicht. Am Kap Juby ist die relative Feuchtigkeit das
ganze Jahr sehr groß, namentlich aber vom Mai bis Oktober,
wo sie im August 94% erreicht. Selbst im Januar, wo sie am
geringsten ist, beträgt sie noch 8i,5°/0. Es ist somit kaum zu
bezweifeln, daß auch hier sehr bedeutende Taubildung stattfindet.
Dem entspricht auch die Bewölkung, die im Winter am geringsten
ist, aber selbst im November, dem wolkenfreiesten Monat 2,2
beträgt, dagegen auch ihrerseits im Sommer beträchtlich ist und
im Mai auf 6,8, im Juli auf 6 steigt. Nach dem von der Deut-
schen Seewarte herausgegebenen Segelhandbuch für den Atlanti-
schen Ozean (i. Aufl., S. 113) herrschen an der marokkanischen
Küste von Mai bis September häufig dichte Nebel, durch welche
die Sonne viele Tage nur zur Mittagszeit matt scheint und bei
welchen die Lufttemperatur um die wärmste Tageszeit selten
über 2 50 C steigt. Von Agadir hebt Rohlfs l) hervor, daß dort
im August die Sonne den Nebel vor Mittag selten durchdrang.
Die Eingeborenen versicherten ihm, daß sie selbst im hohen
Sommer diese aus dem Meer aufsteigenden Nebel selten vor
Mittag zu zerstreuen vermöge.
Auch in Mogador sind Nebel recht häufig, besonders im
Sommer, wie schon J. Hooker dies an der Küste von Süd-
Marokko feststellte. Aus den neueren Beobachtungen des Herrn
von Maur, deren darauf bezügliche Ergebnisse mir allerdings nur
für die Zeit von April 1 894 bis Ende 1 896 zur Verfügung stehen,
ergibt sich, daß der Winter, die eigentliche Regenzeit, fast frei
von Nebeln ist, dagegen solche und dunstige Luft im Sommer
recht oft auftreten. Während in der Beobachtungszeit sowohl im
Dezember wie im Januar an keinem Tage Nebel oder dunstige
Luft beobachtet wurde, begannen dieselben von Mai an häufiger
zu werden, erreichten ihr Maximum im August, wo im Durch-
schnitt 5,3 Tage mit Nebel und 15,3 Tage mit dunstiger Luft
vorkommen, um dann bis November wieder abzunehmen und zu
verschwinden. Immerhin waren auch für Juli die betreffenden
Mittelwerte 5,3 und 13, für September 3,7 und 8,0. Im Jahres-
mittel kommen in Mogador 21 Nebel- und 67 dunstige Tage vor.
1) Mein erster Aufenthalt in Marokko, S. 420.
?24 V, 2. Das Klima von Marokko.
Bei den im ganzen 9 1 Beobachtungen, welche de Foucauld
während seines 44tägigen Aufenthalts (29. Januar bis 13. März
1884) in Mogador vornahm, war der Himmel 45 mal dunstig.
Am 11. Februar verzeichnete er dichten Nebel, der bis 11 Uhr
vormittags anhielt.
Die Luftfeuchtigkeit ist dementsprechend in Mogador ähnlich
wie am Kap Juby ziemlich groß. Die relative Feuchtigkeit be-
trägt im sechsjährigen Jahresmittel 88 °/0. Ohne überhaupt großen
Schwankungen unterworfen zu sein, ist sie doch im Sommer sehr
groß, so groß, daß dann alles Lederwerk, Kleider u. dgl. rasch
muffig und stockig werden, wenn man sie nicht möglichst oft
und sorgsam lüftet. Doch ist diese übergroße Luftfeuchtigkeit
in Mogador im Sommer zum Teil örtlich bedingt und beschränkt.
Der stürmische Nordost-Passat nämlich ruft an den Felsen an
der Nordseite der Stadt so heftige turmhohe Brandung hervor,
daß ununterbrochen fein zerstäubtes Seewasser oft unter Regen-
bogenbildung über die Stadt hingeweht wird. Daß aber noch
sonst an der Küste und schon im Frühjahr die Luft nicht sehr
weit von der Sättigung mit Wasserdampf entfernt ist, das be-
weisen J. Hookers Klagen (im April), daß die große Luftfeuchtig-
keit an der ganzen Küste das Trocknen der Pflanzen außer-
ordentlich erschwere. Die Bewölkung, über welche auch nur
Herrn von Maurs hier nicht ganz lückenlose Beobachtungen von
x\pril 1894 bis Dezember 1896 zur Verfügung stehen, erscheint,
soweit bereits ein Urteil möglich ist, im allgemeinen im Winter
schon etwas größer als im Sommer. Im Mittel der sechs Monate
Oktober bis März beträgt sie 3,9, vom April bis September 3,1.
Nach Beaumiers Beobachtungen zählt man 29,3 mittlere und
60,9 bedeckte, 1 1 , 1 Nebeltage, zu denen aber noch 50 dunstige
Tage hinzukommen.
Gehen wir weiter nach Norden, so ergibt sich aus den
Beobachtungen des französischen Konsuls Gilbert in Casablanca,
daß dort von März 1867 bis Februar 1868 nicht weniger als
23 Tage mit Nebel vorkamen, davon 19 von Juli bis Oktober,
6 allein im August, häufig sehr dicht und den ganzen Tag an-
haltend. Die Beobachtungen, welche Herr Ingenieur Rottenburg
nach Vereinbarung mit mir, in der Zeit vom n. bis 31. Mai 1899
in Rabat anstellte, während der Zeit, wo ich auf der Reise von
Rabat nach Meknäs und Fäs und von da nach Tanger begriffen
Tau und Nebel in Nord -Marokko.
325
war, ergaben unter diesen 2 1 Tagen nicht weniger als 4 bei der
Morgenbeobachtung (7 Uhr vormittags) ganz bewölkte und noch
weitere 7, an welchen die Hälfte des Himmels und mehr wolken-
bedeckt war. Bei der Abendbeobachtung (9 Uhr nachmittags)
herrschte an 2 Tagen volle, an 3 weiteren mehr als halbe Be-
wölkung, während bei der Mittagsbeobachtung (2 Uhr nachmittags)
nur an 2 Tagen halbe Bewölkung, an 8 Tagen vollkommene
Heiterkeit herrschte. Die relative Feuchtigkeit sank an zwei
Tagen bis auf 82 °/0, während andererseits ebenfalls an zwei
Tagen nahezu volle Sättigung erreicht wurde, es aber auch nur
an zwei Tagen zu Regen kam. Nur 3 von den 2 1 Tagen waren
taufrei! Es waren die Tage, an welchen Regen eintrat oder
sehr starke Bewölkung herrschte. Es ist daraus zu schließen,
daß auch in Rabat noch im Sommer denen von Mogador ziem-
lich ähnliche Verhältnisse herrschen.
Von Tanger liegen leider keine Beobachtungen über Nebel
vor. Die Bewölkung läßt nach den sechsjährigen Beobachtungen
des Ministerresidenten Weber ganz den mediterranen Typus er-
kennen. Sie ist am größten im eigentlichen meteorologischen
Winter, wo reichlich 38% ganz trübe Tage sind; aber selbst in
der langen, sich von Oktober bis April ausdehnenden Regenzeit,
sind noch 34 °/0 ganz trübe. Die drei Sommermonate, in denen
im Süden Marokkos so besonders häufig Nebelbildung auftritt,
haben nur IO°/0 trüber Tage. Ähnliche Verhältnisse zeigt auch
die Bewölkung am Kap Spartel. Im Winter erreicht sie im
Durchschnitt 4,4 (10 teilige Skala), im Sommer nur 2,1, es ist
hier, wo der Ozean noch größeren Einfluß auszuüben vermag,
also immerhin die Heiterkeit des Himmels nicht so groß wie in
Tanger. Die relative Feuchtigkeit ist ebenfalls das ganze Jahr
bedeutend, aber ebenfalls, im Gegensatz zu Süd -Marokko, im
Sommer bereits geringer als im Winter. Sie beträgt im sechs-
jährigen Mittel 82,2%, im Januar 86,3%, im Juli 77,6%. De la
Martiniere1), ein gründlicher Kenner, bezeichnet Tanger in der
Regenzeit als sehr feucht, alles roste und rheumatische Leiden
seien häufig.
Es sei aber noch einmal betont, daß diese große Luft-
feuchtigkeit nur dem unmittelbaren Küstengebiete eigen ist, und
1) Marocco, London 1889, S. 38.
■226 V, 2. Das Klima von Marokko.
ebenso die Nebel- und Dunstbildung. Sie ist nur als eine in
dieser Breite auffallende Erscheinung anzusehen. Es würde aber
irrig sein, wenn man danach das marokkanische Küstenland als
ein Nebelland ansehen wollte. Denn dazu ist die Zahl der
Nebeltage und die Bewölkung viel zu gering. Im Gegenteil,
auch hier kann man, wenn auch weniger als im Innern und in
den gleichen Breiten der Mittelmeerländer, vom warmen, sonnigen
Süden sprechen.
e) Die thermischen Verhältnisse.
Als Ergebnis der bisherigen Betrachtungen wird man bereits
in der Lage sein, sich ganz bestimmte Vorstellungen über das
x\usmaß und den Gang der Wärme im marokkanischen Küsten-
lande zu machen. Man wird erwarten, daß, je weiter nach
Süden sich um so mehr der Einfluß des Passats und des kühlen
Auftriebs mit allen Begleiterscheinungen die Wärme mäßigend
und Gegensätze , die jahreszeitlichen wie die täglichen , aus-
gleichend wirken wird. Der vorliegende Beobachtungsstoff, der
allerdings noch so mangelhaft ist, daß er nur näherungsweise die
Wahrheit erkennen läßt, bestätigt diese Vorstellung. Die mittlere
Jahrestemperatur ist an der ganzen Küste verhältnismäßig niedrig,
die jährliche, wie die tägliche Temperaturschwankung ist gering,
indem die Wärme im Sommer und am Tage durch Wind und
Meer herabgedrückt wird. Erst an der Meerenge tritt dieser
Zug maritimen Klimas etwas weniger hervor. Bei Kap Juby und
IWogador ist dabei noch der Umstand in Betracht zu ziehen,
daß beide sozusagen auf Inseln liegen.
Die mittlere Jahrestemperatur am Kap Juby dürfte nahe an
190 C betragen. Für 1885 wird sie (wohl nach den Index-
thermometern) zu 19,2° C, für 1884 zu 18,9° angegeben. Die
sicher zu niedrigen Mittel aus der Morgen- und Abendbeobach-
tung waren 18,0 und 18,3° C. Die mittlere monatliche Schwan-
kung der Temperatur wird zu 1 20 C, die mittlere tägliche zu
3,9° C angegeben. Die höchste bei Landwind beobachtete Tem-
peratur betrug 39,8° C, die niedrigste 9,3° C. Erstere würde
sich bei längerer Beobachtung sicher bedeutend erhöhen, minde-
stens auf 450 C, letztere dagegen sich wohl nur wenig ändern.
Sind die Beobachtungen am Kap Juby zu kurz, um sich ein
Thermische Verhältnisse von Mogador.
32;
ganz richtiges Bild machen zu können, so kommt in Mogador,
wie schon angedeutet, zu der auch noch nicht hinreichenden
Länge der Beobachtungsreihen noch die nicht ganz einwandfreie
Aufstellung der Instrumente hinzu. Diese läßt das Klima von
Mogador als noch gleichmäßiger erscheinen, als es ohnehin unter
dem Einfluß seiner fast insularen Lage und dem starken Über-
wiegen einer einzigen Windrichtung in allen Jahreszeiten tatsäch-
lich ist. Die mittlere Jahrestemperatur, die sich aus den 7 bis
8 jährigen dreimaligen (8 Uhr vorm., 2 und 10 Uhr nachm.) Ab-
lesungen Beaumiers1) ergibt, ist 19,3° C, die des Januar 16,2° C,
des (Juli 2i,4°C) August 21,7. Die entsprechenden Werte in
J. Hanns Bearbeitung2) der damals erst fünfjährigen Beobachtungs-
reihe Beaumier's sind 19,7° C, 16,4° C und (Juli) 22,4° C. Die
neuen Beobachtungen des Herrn von Maur (6 jähr.) geben als
aus den Angaben des Maximum- und Minimum -Thermometers
abgeleitetes Jahresmittel 17,7° C, während ich aus den drei täg-
lichen Ablesungen für die Zeit von April 1894 bis Dezember 1896
17,9° C ermittelte. Für Januar ergibt sich I4,4°C, für September
20,4. Ist somit auch die mittlere Jahrestemperatur von Mogador
noch ziemlich unsicher, so unterliegt es doch keinem Zweifel,
daß die Jahresschwankung hier eine sehr geringe ist und sicher
6° nicht wesentlich übersteigen dürfte. Dem entspricht auch die
geringe Veränderlichkeit der Temperatur im allgemeinen und die
äußerste Seltenheit sogenannter Temperatursprünge. Dieses sechs-
jährige Mittel der Jahrestemperatur am Maximum -Thermometer
ist 2i,8° C, am Minimum -Thermometer 13,6° C. Am geringsten
sind die Gegensätze im Sommer, im Juli nur 6° C. Im drei-
jährigen Mittel betrug der Unterschied zwischen der 7 Uhr Vorm.-
und 2 Uhr Nachm. -Beobachtung im Juli i,6° C, zwischen der
2 Uhr Nachm.- und 9 Uhr Nachm.- Beobachtung 1,5° C. Im
Januar waren die entsprechenden Werte 3,2° C und i,6° C.
Auch darin zeigt sich die große Gleichmäßigkeit, daß im Juli die
Abweichungen von diesem Mittel selten und gering, im Januar
zwar beträchtlicher, aber doch auch noch mäßig sind. Aber
diese Erscheinung der großen Gleichmäßigkeit der Wärmevertei-
lung, die Mogador neben Madeira stellt, ist in diesem ungewöhn-
1) Bei Ollive S. 376.
2) Zeitschrift der Österr. Ges. f. Met. 1873, S. 7.
^2 8 V, 2. Das Klima von Marokko.
liehen Betrag eine örtlich bedingte und örtlich beschränkte. Das
wenig nördlich von Mogador gelegene Saffi z. B. , das in einer
von ziemlich hohen Bergen umschlossenen Bucht dem Einfluß
des Passats nicht ausgesetzt ist, hat einen sehr heißen und weit
trockneren Sommer und somit keineswegs das durchaus maritime
Klima von Mogador. In den drei Jahren 1894 — 1896 war in
Mogador das absolute Maximum 26,2° C, am 24. September 1896
bei Ostwind, also Scirocco, das absolute Minimum 7,7° C am
6. Januar 1894 trat ebenfalls bei Ostwind ein. Die Annahme
liegt nahe, daß die Landwinde im Sommer bzw. Herbst die Wärme
ungewöhnlich erhöhen, im Winter herabdrücken. Beaumier be-
obachtete 1873 ein Maximum von 3 1 ° C. Es kann aber keinem
Zweifel unterliegen , daß auch hier beträchtlich höhere Tempera-
turen mit Ost und Südost vorkommen. Nach Herrn von Maurs
Beobachtungen wehte der Scirocco aber nur 2 bis 3 mal im Jahre
und nie länger als etwa einen halben Tag. Damit stimmen
Beaumiers Beobachtungen durchaus überein. Es dürfte kaum
noch einen derartig selten von heißen, trockenen Winden heim-
gesuchten Ort in Marokko geben. Es muß jedoch diese Selten-
heit des Scirocco und damit das seltene Eintreten hoher Tem-
peraturen (und großer Lufttrockenheit) als eine örtlich beschränkte
und nur bodenplastisch zu erklärende Erscheinung angesehen
werden. VonAgadir, weiter südwärts, erwähnt Jackson *) , daß ein-
mal, was allerdings für ungewöhnlich galt, heiße Winde 28 Tage
lang wehten. Auch er beobachtete solche in Mogador nur an
drei oder sieben Tagen.
Die Thermometer -Beobachtungen des Konsul Fernau in
Casablanca umfassen nur die Monate November 1899 bis Mai
1900 und nur Maximum und Minimum im Korridor seines Hauses.
Die Mittelwerte der Monate sind danach: Nov. 19,5, Dez. 16,5,
Jan. 16,0, Febr. 17,2, März 17,6, April 18,6, Mai 19,5° C. Die
tägliche Temperaturschwankung erscheint als sehr gering. Am
1. November wurde ein Maximum von 23,6° C, ein Minimum von
13,9° C im Dez., Jan. Febr. mehrmals erreicht.
Die Beobachtungen des Dr. Linares in Rabat lassen er-
kennen, daß dort die Jahresschwankung (Januar 12,6° C, August
23,9° C) schon bedeutender ist, wie 1880 auch ein absolutes
i) An aecount of the Empire of Marocco. London 1809. S. 17.
Thermische Verhältnisse von Nord-Marokko.
329
Minimum von 0,9° C beobachtet wurde. Dem entspricht es,
daß aus den kurzen Beobachtungen des Herrn Rottenburg im Mai
1899 sich die tägliche Schwankung als sehr viel größer erwies,
als in Mogador. Es war nämlich im Durchschnitt der 20 Beob-
achtungstage der Unterschied der 7 Uhr Vorm.- und der 2 Uhr
Nachm. -Ablesung 2,5° C, der der 2 Uhr Nachm.- und 9 Uhr
Nachm. -Ablesung 4,8° C. Die Mitteltemperatur des Januar und
Juli nach Herrn Frosts allerdings nur zwei- bzw. dreijährigen
Ablesungen um 9 Uhr vorm. stimmt mit obigen des Dr. Linares
auffallend überein, nämlich 12,6° C und 23,7° C. Jedenfalls er-
gibt sich so viel, daß die thermischen Verhältnisse von Rabat schon
nicht mehr so ausgeprägt maritim beeinflußt sind.
Dem Kap Spartel eignet nach den sechsjährigen Beob-
achtungen (roh ohne Korrektur aus 9 Uhr vorm., 9 Uhr nachm.,
Maximum und Minimum berechnet) eine mittlere Jahrestemperatur
von 17,7° C, was sehr gut mit dem sechsjährigen Mittel von
Tanger nach Hanns Berechnung übereinstimmt, nämlich I7,8°C.
Die Mitteltemperatur des Januar ist 12,4° C, des August 23,3
(Juli 23,2), die Jahresschwankung demnach 10,9° C. In Tanger
sind die gleichen Werte 13,9° C, 24,2° C und 11,2° C. Diese
Unterschiede entsprechen ganz genau dem, was jeder, welcher
die Lage der beiden Stationen kennt, der einen unter dem vollen
Einflüsse des Meeres, der anderen schon demselben entzogen,
erwarten muß. Sehr lehrreich ist in dieser Hinsicht ein Ver-
gleich, welchen mir das freundliche Entgegenkommen des engli-
schen Konsuls in Tanger, Herrn White, ermöglichte. Derselbe hat
mir für die Jahre 1897 unfi 1898 die Ergebnisse seiner zur
gleichen Zeit wie an Kap Spartel vorgenommenen Thermometer-
Ablesungen zur Verfügung gestellt. Da erwies sich der Ozean
als temperaturerniedrigend von April bis Oktober. Nur in den
Monaten November bis März ist der Stand des Thermometers
am Kap Spartel gleich oder höher, aber nur wenig höher, wäh-
rend die Sommermonate in Tanger wesentlich wärmer sind. Das
Mittel der Maxima des Januar ist am Kap Spartel 1 8,9, der Mi-
nima 4,8° C, des Juli 35,6 und 16,2° C, die Unterschiede also
14,7 und 19,4° C.
Das in den sechs Jahren am Kap Spartel zur Beobachtung
gekommene absolute Maximum ist 39,1 ° C im Juli 1898, während
das Maximum in Tanger nur 35,6° C war. Dieser Unterschied
330 V. 2. Das Klima von Marokko.
ließe sich nur erklären, wenn es sich um einen Föhn gehandelt
hätte. Das absolute Minimum am Kap Spartel war — i,i° C im
Januar 1894. Die absoluten Minima der beiden Vergleichsjahre
lagen selbstverständlich tiefer in Tanger als am Kap Spartel,
nämlich +0,2 zu +3»5°C im Januar 1897. Es kann sonach
keinem Zweifel unterliegen, daß Temperaturen unter Null nicht
gar selten in Tanger vorkommen, aber nur als Augenblickstempe-
raturen. Wenn in der sechsjährigen Beobachtungszeit des Minister-
residenten Weber nur ein Maximum von 33,5° C am 14. Aug.
1881 und ein Minimum von +50 C am 23. Dez. 1884 festge-
stellt wurde, so war J. Hanns Annahme, daß die absolute Wärme-
schwankung im Freien erheblich größer sei, voll begründet. Es
kommen also in Nord-Marokko selbst an der Küste Temperaturen
unter Null vor. Dagegen dürfte schon südlich von Rabat an der
Küste ein Sinken der Temperatur unter Null wohl nicht mehr
vorkommen. Aber selbst im Küstengebiet von Nord-Marokko ist
dasselbe für die Vegetation belanglos. Aus dem Innern bezeugt
de la Martiniere für Uesan (Meereshöhe 402 m, Meerferne
70 km) ausdrücklich, daß die schönen Agrumenhaine nie unter
Frost leiden. Immerhin beobachtete derselbe dort noch am 27. Mai
2 Uhr nachm. nur 2,2° C (?). Das mittlere nächtliche Minimum
im Mai war 3,4° C, das mittlere Maximum um 2 Uhr nachm.
19,4° C, das höchste am 30. Mai und 6. Juli 28,3° C. Am Kap
Spartel wird auch seit 1896 ein Sonnen-Thermometer abgelesen,
das im Juli 1806 ein Maximum von 63,9° C angab. Selbst im
Januar sind noch 51,5° C beobachtet worden, gegenüber einer
höchsten Schattentemperatur dieses Monats von 20 ° C.
f) Die Niederschlagsverhältnisse.
Die oben gekennzeichneten Luftdrucks- und Windverhältnisse
bedingen die jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge, der
kühle Auftrieb beeinflußt die Niederschlagsmenge, die hohe Wärme
schließt Niederschläge in fester Form, wenigstens Schnee, im
Küstengebiet so gut wie völlig aus. In der Tat finden wir in
den meteorologischen Beobachtungen und in Reiseberichten von
Tanger und Kap Spartel Schneefälle nicht erwähnt. Nur in
längeren Zeiträumen und als ganz vereinzelte und vorüber-
gehende Erscheinung wird man hier einmal Schneeflocken sehen.
Regenzeit in Marokko. ijj
Nach de la Martiniere1) soll 1871 in Tanger Schnee gelegen
haben.
Die Niederschläge sind durchaus periodisch, an die Zeit
des niedrigsten Sonnenstandes und die dann herrschenden Winde
südwestlicher und westlicher Richtung gebunden, also Winde, die
in vorüberziehenden Depressionen vom Meer auf das Land, von
niederen in höhere Breiten wehen , während der Passat , zumal
derselbe fast durchaus als ablandiger Wind auftritt, keine Nieder-
schläge bringen kann. Die Regenzeit wird daher, je weiter nach
Süden, um so kürzer und um so weniger ergiebig werden. Am
Kap Juby waren in den zwei Beobachtungsjahren die Monate
Mai bis August regenlos, in Mogador, in der sechsjährigen
Periode, Juni, Juli, August, doch lassen die neueren Beobach-
tungen von Mogador erkennen, daß der Mai und namentlich der
September schon so oft regenlos sind, daß man beide Monate
noch zur Trockenzeit zu rechnen hat. Nicht selten verkürzt
sich die Regenzeit aber noch mehr. Im Jahr 1894 z. B. fiel
kein Regen vom 9. April bis zum 26. September, ja bis zum
17. Oktober, der den ersten wirklich ausgiebigen und für die
Vegetation wirkungsvollen Regen brachte. Im Jahre 1895 war
die Regenzeit Mitte April zu Ende und begann erst wieder mit
dem 25. Oktober, 1896 fiel der letzte ausgiebige Regen am
7. April und dann erst wieder am 8. September. Doch folgte
dem gewaltigen Regenguß dieses Tages (46,7 mm) eine weitere
regenlose Zeit bis zum 17. Oktober. Ganz so genau sind Beau-
miers ältere Aufzeichnungen nicht. Immerhin fiel 1867 kein
Regen vom 6. Mai bis 1. September, 1869 vom 5. Mai bis 24. Ok-
tober, 1870 vom 29. April bis 31. August, 1871 vom 17. Mai
bis 19. Oktober. Man kann also nur geradezu von einer Halbie-
rung des Jahres sprechen. Und dies wird mindestens auch vom
Kap Juby gelten. Wir hätten also im Küstengebiet von Süd-
Marokko eine von Mitte Oktober bis Mitte April dauernde Regen-
zeit anzunehmen. Es war daher sicher ein Fehlschluß, wenn
Hooker2) daraus, daß er in Mtuga in etwa 800 m Meereshöhe
und 50 km Meerferne Maisbau ohne künstliche Berieselung fand,
1) Marocco. London 1889, S. 38.
2) Journal of a tour in Marocco and the Great Atlas. London 1878,
S. 308.
tt 2 V, 2. Das Klima von Marokko.
schloß, daß es dort im April, Mai und Juni nicht selten regne.
Wenn auch einzelne Schauer noch fallen werden, so dürfte der
Maisbau doch wohl ähnlich wie in Schauia auf die reichlichen
Taufälle begründet sein. Er fand ihn auch nur auf besonders
fruchtbarem Boden.
In Mittel - Marokko ist die Regenzeit nach den Beob-
achtungen des Herrn Konsul Fernau in Casablanca schon um
etwa einen Monat verlängert und umfaßt von Ende September
bis Mai volle sieben Monate. In Nord-Marokko tritt zwar auch
noch der Gegensatz von Regen- und Trockenzeit deutlich hervor,
aber während im Süden die meteorologischen Sommermonate auch
in einer längeren Beobachtungszeit absolut regenlos bleiben, sind
sie dies im Norden nur selten. In der sechsjährigen Beobach-
tungsreihe (1894 — 1899) am Kap Spartel war kein Monat regen-
los, der Juli und August je fünfmal, der Juni zweimal. In der
fünfjährigen Beobachtungsreihe (1880 — 1 885) des Minister-Resi-
denten Weber in Tanger war der Juli viermal, der August zwei-
mal regenlos. Gelegentlich sind aber auch Mai und September
in Tanger regenlos, nicht aber am Kap Spartel. Immerhin aber
sind Juni und September so niederschlagsarm, daß sie noch zur
Trockenzeit gerechnet werden müssen und diese etwa die Zeit
von Mitte Mai bis anfangs Oktober, also nicht ganz fünf Monate
umfaßt.
Die Niederschläge verteilen sich in Mogador in der Weise
auf die kühlere Jahreshälfte, daß dieselben nach vereinzelten
Güssen im September im Oktober kräftig einsetzen, im November
ein Maximum erreichen, sich im Dezember mindern, um im Januar
das Hauptmaximum zu erreichen. Februar und März sind gleich
regenreich, schon im April tritt eine bedeutende Minderung ein.
Der Mai bringt schon weniger Regen als der September. De
Foucauld verzeichnete während seines Aufenthaltes in Mogador
vom 29. Januar bis 13. März 1884 zehn Regentage. Davon
regnete es sehr stark am 5. und 6. Februar, am 5. März den
ganzen Tag in Strömen. Am Kap Spartel tritt das Maximum
auch im November ein, doch sind Oktober, Dezember und Januar
fast so regnerisch, und man muß eine längere Beobachtungszeit
abwarten, ob sich dies Maximum nicht etwa auf den Dezember
verschiebt. Der Februar zeigt eine entschiedene Minderung der
Niederschläge; während der März wieder so niederschlagsreich
Regenmengen. ■> 2 ■>
ist wie Oktober, November und Dezember. In Tanger fällt,
ebenfalls in einer zu kurzen Beobachtungsreihe, das Maximum auf
den März, während Dezember, Januar und April fast ebenso
niederschlagsreich sind. Eine geringe Minderung im Februar tritt
auch da hervor. Immerhin ist am Kap Spartel wie in Tanger
der meteorologische Winter die regenreichste Jahreszeit. Ich
glaube daher annehmen zu sollen, daß wir im Küstenland von
Marokko ganz wie anderwärts in den Küstenländern des süd-
lichen Mittelmeergebiets vorzugsweise Winterregen vor uns haben.
Allerdings sind der Herbst und der Frühling auch bereits ziem-
lich regenreich, da in Tanger und am Kap Spartel auf ersteren
2$ bzw. 3i,6°/0, auf letzteren 38 bzw. 25,6 °/0 der Jahres-
menge kommen. Daß der März in Nord -Marokko noch sehr
regenreich sein kann, konnte ich selbst erproben. In der Um-
gebung von Tanger waren infolgedessen die Naturpfade in dem
vorherrschenden Tonboden unergründlich geworden und alle
Wege, auf denen sich der Verkehr mit dem Süden, nach El Ksar-
el Kebir und Fäs vollzieht, teils deshalb, teils wegen der ange-
schwollenen Flüsse ungangbar. Bei einer kleinen Reise, die ich
nach Arsila unternahm, mußte ich aus diesem Grund den innern
Weg verlassen und wie alle Handelskarawanen in dieser Zeit
den Weg am Strand entlang mit dem großen Umwege über Kap
Spartel einschlagen. Der von den Wellen festgeschlagene Sand
am Strand ermöglicht dann allein die Landverbindung von Tanger
mit dem Süden, da die kleinen Flüsse mit Hilfe der Barren an
ihren Mündungen überschritten werden können und der Tahad-
dart dort ein Fährboot besitzt. Noch im April i8go regnete es
in Nord-Marokko so andauernd, daß die deutsche Gesandtschaft
unter Graf Tattenbach auf dem Weg nach Fäs in der Gegend
von Arsila sechs Tage lang zwischen den geschwollenen Flüssen,
die ich Ende Mai 1899 fast trocken liegend fand, gefangen ge-
halten wurde. Das Lager verwandelte sich in einen Sumpf, und
die Vorräte begannen knapp zu werden, als endlich der Regen
aufhörte und die Flüsse überschritten werden konnten. Ich hatte
im Mai 1899 im Küstengebiet noch an drei Tagen Regen, von
denen der eine in der Umgebung von Meknäs eine bedeutende
Niederschlagsmenge lieferte. Ähnlich bemerkt de la Martiniere1)
von Uesan, daß es dort im Mai noch sehr häufig regnete.
I) Marocco, London 1 889, S. 125.
??A V, 2. Das Klima von Marokko.
Für das ganze Küstengebiet und speziell die Trockenzeit
möge aber noch einmal auf die schon erwähnten und ihrer Be-
deutung nach noch näher zu würdigenden Taufälle hingewiesen
werden.
Die Regenmengen werden sich mit der Verkürzung der
Regenzeit nach Süden hin mindern. Wie groß dieselben sind,
das wußten wir bisher nur annähernd von Tanger. Von Moga-
dor lagen Regenmessungen nur für das eine Jahr 1874 vor1),
das ein besonders niederschlagsarmes gewesen sein muß. Doch
wissen wir über Aufstellung und Beschaffenheit des Regenmessers
nichts. Es wurden nur 267 mm gemessen. Ebenso am Kap
Juby 1884 138,5 mm, 1885 225 mm. Danach war man bisher
geneigt, Süd-Marokko eine sehr geringe Niederschlagsmenge zu-
zuschreiben. Freilich würde jeder, welcher die Vegetations-
und Anbauverhältnisse des Küstengebietes aufmerksam geprüft
hätte, unbedingt zu der Anschauung kommen müssen, namentlich
seit wir die Niederschlagsmengen -der entsprechenden Breiten
Süd-Tunesiens kennen, daß, von Ausnahmejahren abgesehen, die
dann auch durch Mißernten gekennzeichnet werden, die Nieder-
schlagsmenge nördlich vom Kap Ghir beträchtlich größer sein
müsse, als man bisher annahm. Das haben nun die Beobach-
tungen des Herrn von Maur voll bestätigt. Danach fielen näm-
lich in der Regenzeit, je September bis Mai: 1894/95 525,2 mm
1895/96 275,6 „
1896/97 450,6 „
1897/98 495,8 „
1898/99 330,8 „
1 899/1900 363,0 „
also im sechsjährigen Mittel 407 mm. Im zehnjährigen Mittel
(1894 — 1904) waren es 402 mm. Nach den allerdings lücken-
haften Beobachtungen in Saffi (1896 — 1904) beträgt die Nieder-
schlagshöhe dort 351 mm. Wie die Tabelle zeigt, sind die Ab-
weichungen vom Jahresmittel nicht auffallend groß, freilich groß
genug, um, da die Grenze, bei welcher Mißernten eintreten, dem
Jahresmittel sehr nahe und wahrscheinlich nicht weit unter 400 mm
liegt, Mißernten zu verursachen.
Die folgende Tabelle gibt die zehnjährigen Monatsmittel
von Mogador wieder:
1) Bei Ollive a. a. O., S. 383.
Regenmengen. ?ir
Dez. 50 mm März 68 mm Juni 3 mm Sept. 8 mm
Jan. 86 „ April 18 „ Juli o „ Okt. 38 „
Febr. 60,1 „ Mai 8 „ Aug. o „ Nov. 6 „
Winter 198 mm Frühling 94 mm Sommer 3 mm Herbst 109 mm
Prozente 50,0 22,0 0 28
Die Beobachtungen des Herrn Konsul Fernau in Casa-
blanca umfassen die vier Regenperioden von September 1896
bis Mai 1900. Dazu kommen die neuen Beobachtungen des
Herrn Ficke 1902 — 1904. Das Mittel der jährlichen Nieder-
schlagsmenge ist nach der ersten Reihe 457, nach der letzten
300 mm. Die größte Regenmenge brachte 1897/98, nämlich
482,3 mm (Mogador 495,8), die geringste 1896/97, nämlich
358,1 mm (Mogador 450,6). Die Schwankungen der Jahresmenge
sind also mäßig. Die ersten Regen pflegen im September, die
letzten im Mai, ausnahmsweise auch im Juni zu fallen, so daß
nur Juli und August regenlos sind. Monatsmittel stehen mir nur
für die drei Regenperioden 1897/98, 1898/99 und 1899/1900
zur Verfügung. Danach kamen im Mittel der ersten Beobach-
tungsreihe auf
Juni 3,4 mm
Sept.
7,5 mm
Dez.
45,9 mm
März
118,5 mm
Okt.
35>2 »
Jan.
56,1 „
April
18,9 ,,
Nov.
94,9 „
Febr.
51,9 ,,
Mai
24,2 „
Herbst 137,6 mm Winter 153,4 mm Frühling 162,0 mm Sommer 3,4 mm
Danach wäre hier der Frühling die Hauptregenzeit. Doch
ist eine längere Beobachtungsperiode abzuwarten. In der Tat
ergab die zweite Beobachtungsreihe die folgenden Mittel der
Jahreszeiten: Herbst 99 mm, Winter 162 mm, Frühling 111 mm,
Sommer 8 mm.
Die Jahresmenge vom Kap Spartel beträgt im zehnjährigen
Mittel (1894 — 1904) 819 mm. Auch da sind die Abweichungen
vom Jahresmittel nicht so bedeutend, wie sonst vielfach an der
Äquatorialgrenze der Winterregen. Einem Maximum von 1143 mm
im Jahre 1895 steht ein Minimum von 573 mm im Jahr 1896
gegenüber,
Es ergaben sich folgende Monatsmittel:
Dez. 109 mm März 117 mm Juni 14 mm Sept. 33 mm
Jan. 119 „ April 54 „ Juli 2 „ Okt. 85 „
Febr. 115 „ Mai 43 „ Aug. 3 „ Nov. 125 „
Winter 343 mm Frühling 214 mm Sommer 19 mm Herbst 243 mm
Prozente 41,9 26,1 2,3 29,7
336 V, 2. Das Klima von Marokko.
Die Jahresmenge von Tanger ist nach Hanns Berechnung
815 mm. Die jahreszeitliche Verteilung ist folgende:
Dez. 110 mm März 128 mm Juni 7 mm Sept. 10 mm
Jan. 118 „ April 119 „ Juli 3 „ Okt. 85 „
Febr. 90 „ ■ Mai 63 „ Aug. 9 „ Nov. 75 „
Winter 318 mm Frühling 310 mm Sommer 19 mm Herbst 168 mm
Prozente 39 38 0,2 23,0
Knoch hat für die Periode 187g — 1885 für die Jahres-
zeiten Winter 318, Frühling 310, Sommer 73, Herbst 104 und
für das Jahr 815 mm berechnet, in Prozenten 39, 38, 2,3, 20,6.
Die Zahl der Regentage nimmt selbstverständlich nach
Süden ebenfalls ab. In Mogador kommen nach Beaumiers Be-
obachtungen (8 jährig.) im Durchschnitt 42 Regentage vor1) ; es
schwankt die Zahl derselben zwischen einem Minimum von 26
und einem Maximum von 51. Im Jahr 1805 gab es 67, 1896
44 Regentage, d. h. Tage mit meßbarem Niederschlag. Es will
danach scheinen, als sei Beaumiers Zählung, die nicht zugleich
mit Messung der Niederschlagsmenge verbunden war, nicht hin-
reichend sorgfältig gewesen, wie leicht begreiflich ist, und daher
das Mittel von 42 Tagen zu niedrig. Dafür spricht namentlich
auch der Umstand , daß in Mogador in den zwei mir zur Ver-
fügung stehenden Beobachtungsjahren von Maurs sehr viele Tage
mit sehr geringen Niederschlagsmengen vorkommen, wie man es
in diesen Breiten der Mittelmeerländer anderwärts nicht erwarten
darf. Die Regenmenge von 525,3 mm des Jahres 1895 auf die
67 Regentage verteilt, gibt nur 7,8 mm auf einen Regentag, 1896
kamen auf die 44 Regentage 392,4 mm, also für einen Regentag
8,9 mm. Die Regenwahrscheinlichkeit ist also nicht so gering,
die Regendichtigkeit nicht so groß, wie man auf diese Breiten
von vornherein anzunehmen geneigt ist. In dem regnerischen
Jahr 1895 zählte man im Februar 14, im März 15, im April 13
Regentage, welche letzteren zusammen sogar nur 22,8 mm Regen
lieferten. Über die Dauer des Regens an jedem Regentage lie-
gen keine Beobachtungen vor; aber es unterliegt keinem Zweifel,
daß immer nur ein kleiner Bruchteil eines solchen wirklich mit
Regen ausgefüllt ist. Und kurze gewaltige Regengüsse sind nicht
gar selten, namentlich setzt im Herbst die Regenzeit gern mit
1) Bei Ollive a. a. O. S. 412.
Regentage. ^
solchen ein. So am 8. September 1896 mit einem solchen von
49,7 mm, am 25. Oktober 1895 mit einem Guß von 74 mm.
Regen von mehr als 25 mm finde ich in den zwei Beobachtungs-
jahren elfmal verzeichnet, bei zusammen 110 Regentagen. Die
größte einheitliche Regenmenge fiel am 2. November 1896, näm-
lich 8 1 mm, d. h. 1 8°/0 der ganzen Regenperiode. Zum Vergleich
möchte ich anführen, daß in Marburg bei um ein Drittel größerer
Jahresmenge in den beiden Jahren 1899 und 1900 Tagesmengen
von mehr als 25 mm, die hier doch nicht wie dort so ausschließ-
lich in kurzen heftigen Güssen herabstürzen, nur dreimal vor-
kamen. Im zehnjährigen Mittel zählt man nach von Maurs Be-
obachtungen 51 Regentage, nämlich 22 im Winter, 16 im Früh-
ling, 1 im Sommer und 12 im Herbst. Nur Juli und August
waren stets niederschlagslos.
Dabei sind Gewitter an dieser ganzen Auftriebsküste sehr
seltene Erscheinungen. Leider liegen darüber von Mogador nur
die Beobachtungen Beaumiers vor, nach denen1) im fünfjährigen
Durchschnitt deren nur 3,4 vorkamen, und zwar, wie selbstver-
ständlich, nur in der Regenzeit. Daß es im Norden ähnlich ist,
obwohl weder von Kap Spartel noch von Tanger darüber Beob-
achtungen vorliegen, müssen wir daraus schließen, daß in Tarifa
(fünfjährig) nur 2,2, ja in S. Fernando (sechsjährig) nur 0,5 Gewitter-
tage gezählt wurden. Dagegen kamen in Tanger im Durchschnitt
deren 14,6 vor, die meisten (7,3) im Frühling. Aber auch 2,7
im Sommer, bei allerdings nur 5 Regentagen.
In Casablanca betrug die Zahl der Regentage in den drei
Regenperioden 1897 — 1900 im Mittel 54,3. Sie schwankte zwi-
schen 63 und 49. Aber gerade die ergiebigste Regenzeit von
1897/98 hatte die kleinste Zahl von Regentagen. Der März und
der November 1898 hatten je 16 Regentage, von denen jeder
im März 11,3 mm, im November 9,8 mm lieferte. Das waren
also außerordentlich günstige Monate. Der für den Ausfall der
Ernte in diesem getreidereichen Gebiet sehr wichtige Monat März
hat im Mittel 9 Regentage, deren jeder 13,2 mm gibt. Der
April hat noch 3,4 Regentage, jeden mit im Mittel 4,4 mm, der
Mai 3 mit je 8,1 mm. Nach K. Fickes Beobachtungen hatte
Casablanca im dreijährigen Mittel 70 Regentage, nämlich 24 im
I) Bei Ollive S. 369.
Fi 8 ch er, Mittelmeerbilder. Neue Folge.
7 3 8 V, 2. Das Klima von Marokko.
Winter, 25 im Frühling, 7 im Sommer und 14 im Herbst. Kein
Monat war völlig regenlos. Ziehen wir dazu den in Mittel-
Marokko weit verbreiteten Tirsboden in Betracht, der bei großer
Fruchtbarkeit die Feuchtigkeit lange festzuhalten und durch die
reichlichen Taufälle immer wieder bis zu einem gewissen Grade
zu ergänzen vermag, so sehen wir, daß hier im allgemeinen die
Verhältnisse für den Ackerbau sehr günstig liegen.
Am Kap Spartel hat man im Durchschnitt 88 Regentage zu
erwarten, in Tanger 95. Dort würden also auf einen Regentag
9,3 mm kommen, 6,8 hier, also noch größere Mengen wie in
Mogador. Auch die Regenwahrscheinlichkeit ist im Norden
wesentlich größer, namentlich in Tanger. Am Kap Spartel be-
trägt nach Knoch die mittlere Regenwahrscheinlichkeit im Winter
0,37, im Frühling 0,30, im Sommer 0,05, im Herbst 0,24. Sie
ist am größten im Februar mit 0,43 und März mit 0,42. In
Tanger sind die entsprechenden Werte 0,38, 0,39, 0,07, 0,21,
im März 0,48, im April 0,43. Dort bringt im März und April
jeder zweite Tag Regen, im Oktober, Dezember, Januar, Februar
jeder dritte Tag. Selbst im Juni darf man noch alle zwölf Tage
einmal Regen erwarten. Bezeichnend ist jedoch für die Trocken-
zeit, daß von Juni bis September auf den einen alle 17 Tage
zu erwartenden Regentag im Durchschnitt nur 4 mm Regen
kommen, d. h., daß diese Zeit, zu der noch die zweite Hälfte
des Mai und das erste Drittel des Oktober hinzuzunehmen ist,
für die Pflanzenwelt namentlich bei der herrschenden hohen Wärme
als regenlos zu gelten hat. Die Regenzeit erscheint aber in der
Tat bei der noch dann herrschenden hohen Wärme als für die
Pflanzenwelt außerordentlich günstig. Diese sich so häufig wieder-
holenden Regen erklären aber auch die dann überall da, wo
nicht geradezu Felsboden herrscht, eintretende Ungangbarkeit der
hier noch durch keine Kunststraßen ersetzten Naturwege. Auch
in Nord- Marokko sind große Regengüsse nicht selten; es ist,
wenn auch nicht in gleichem Maße wie im Süden, immer nur ein
Bruchteil eines Regentages wirklich von Regen ausgefüllt. Die
größten an einem Tage gefallenen Mengen waren in Tanger
80 mm am 21. November 1884, 79 mm im Dezember 1879.
Merkwürdig ist, daß bei diesem reichlichen und heftigen Regen
in ganz Marokko das flache Dach vorherrscht. Nur in den zwei
Städten El Ksar-el-Kebir und Scheschauen findet man hohe
Trockenzeit.
339
Ziegeldächer. Bezeichnend für den verhältnismäßigen Wasser-
reichtum des Küstengebiets, wie andererseits des Gürtels der sub-
atlantischen Berieselungsoasen, ist die ungeheure Zahl, in welcher
der Storch auftritt. Ich möchte ihn geradezu den Charakter-
vogel von Marokko nennen. Selbst im vorderen Klein-Asien ist
er nicht so häufig. Nur den Steppengürtel, das Paradies der
Schnecken, meidet er.
Fassen wir diese Betrachtungen zusammen, so sehen wir,
daß das Küstengebiet von Marokko als klimatisch in hohem Grade
begünstigt bezeichnet werden muß. Es vereinigt mit hoher, aber
ungewöhnlich gleichmäßiger Wärme periodische Niederschläge,
welche im Norden als reichlich, in Mittel- und Süd-Marokko als
für die Pflanzenwelt und den Anbau des Bodens als in der
Regel genügend erscheinen; um so mehr als die Luft aus ört-
lichen Gründen stets einen hohen Feuchtigkeitsgehalt hat, Nebel-
und Dunstbildung eine häufige, Bewölkung keine seltene Er-
scheinung ist und Taufälle die Regen um so wirksamer ergänzen,
als, wie wir sehen werden, im Küstengebiet in der Tirserde eine
Bodenart vorhanden ist, welche ganz besonders geeignet ist, die
Feuchtigkeit aufzunehmen und festzuhalten. Im Küstengebiet von
Marokko sind daher, soweit das Klima in Frage kommt, die Be-
dingungen zum Anbau aller Gewächse, einjähriger wie Holzge-
wächse, gegeben, welche in den südlichen Mittelmeerländern ohne
künstliche Bewässerung gedeihen, ja selbst für einige, denen dort die
in der Regenzeit herrschende Wärme nicht genügt. Hier ge-
deihen nur mit Hilfe der Winterregen und des Taus, der Minsla,
wie die einheimische Bezeichnung bei den Schauia ist und deren
Bedeutung den Bauern wohlbekannt ist, beispielsweise Mais, wenn
auch nur eine Spielart von kurzer (dreimonatlicher, April bis Juni)
Vegetationszeit, Durrah, Kichererbsen, Koriander, Kürbisse, alles
Gewächse, deren Anbau in den südlichen Mittelmeerländern nur
unter künstlicher Berieselung möglich ist.
Die Niederschläge genügen im Küstengebiet sogar, um Wald
hervorzubringen, nicht bloß in Nord-Marokko, das nördlich vom
Sebu in seiner ganzen Ausdehnung als natürliches Waldland bezeich-
net werden muß, sondern auch im Süden, soweit die dem Baum-
wuchs ungünstige Schwarzerde nicht vorherrscht. In Schedma,
Haha, Mtuga, den südlichsten Landschaften des Atlasvorlandes,
finden sich ausgedehnte lichte Haine, in welchen der Südwest-
22*
340 V, 2. Das Klima von Marokko.
Marokko eigentümliche Arganbaum der Charakterbaum ist, neben
dem aber auch Callitris quadrivalvis, diese das ganze Atlasgebiet
bis nach Tunis kennzeichnende Konifere, mehrere Juniperusarten
u. a. m. vorkommen. Freilich deutet der geringe Höhenwuchs,
der Dornenreichtum und andere Erscheinungen bei diesen Holz-
gewächsen auf die relative Trockenheit des Klimas hin.
Weizen und Gerste sehen hier ihre klimatischen Bedingungen
in vollstem Maße erfüllt. Und man kann das Küstengebiet von
Marokko, namentlich da der Tirsboden dem Baumwuchs nicht
günstig ist, ein Getreideland schlechthin, eines der besten der Welt,
nennen. Je nach dem Eintritt der Winterregen gesäet, unter Um-
ständen erst im Dezember, entwickeln die Getreidearten sich ohne
Unterbrechung bis zur Reife. Die Gerstenernte findet in Schedma,
südlich vom Tensift, um Mitte April statt, bei den Schauia anfangs
Mai, nördlich vom Sebu gegen Ende Mai, um Tanger um den
i. Juni statt. Die Weizenernte fällt in Mittel-Marokko um Mitte
Mai, im Norden um Mitte Juni, die Maisernte in Mittel-Marokko
um den I. Juni. Man erntet also hier die wichtigsten Brotfrüchte
in einer Zeit, wo man in Mitteleuropa noch Monate darauf zu
warten hat. Bei künstlicher Berieselung, für welche in dem
breiten Alluvialtal des Lukkos zwischen El Ksar-el-Kebir und
Larasch, in der Tiefebene des Gharb mit Hilfe des Sebu und
seiner Nebenflüsse, Wed Rdem, Wed Beht u. a. , dann an der
Küste zwischen Rabat, Casablanca und Azemur die reichlichsten
Wasservorräte und geeigneter Boden auf viele Tausende von
Quadratkilometern vorhanden sind, ließen sich hier unter weit
günstigeren Bedingungen als in den südlichen Mittelmeerländern
Zuckerrohr, Baumwolle, Reis, Mais, Apfelsinen und andere Au-
rantiaceen , Bananen u. dergl. ziehen und Huertas anlegen,
welche die von Valencia oder Malaga tief in Schatten stellen
würden.
Durch künstliche Berieselung, die im ganzen Küstengebiet
heute eine untergeordnete Rolle spielt, zwar nirgends unbekannt,
aber immer nur auf kleine Gärten in der Umgebung der Ort-
schaften ausgedehnt ist, ließe sich vor allem auch den zeitweilig
infolge ungenügender Winterregen eintretenden Mißernten und
Hungersnöten vorbeugen. Zwar ist Marokko groß genug, so daß
selten im ganzen Lande Mißernte eintritt, auch sucht der Bauer
durch Aufspeicherung der Vorräte in unterirdischen Behältern,
Bedingungen des Anbaus. ?ai
den sogenannten Matamoren, wo sich das Getreide in dem
trocknen Klima jahrelang hält, der Not vorzubeugen; aber das
Verkehrswesen hegt derartig im argen, daß die Beförderung von
Brotstoffen aus einer Landschaft in eine entfernte Notstandsgegend
sozusagen unmöglich ist. Trotz den bestehenden Ausfuhrver-
boten für Brotstoffe kann in der einen Gegend Überfluß, in der
andern Hungersnot herrschen. Im Jahr 1899 war im Küsten-
gebiet vom Tensift nach Norden die Ernte ausgezeichnet ; man
sagte mir aber in Rabat, daß der Bauer zwei Tagereisen ins
Innere die Gerste gar nicht ernte, weil sie wertlos sei.
Mit den zuweilen infolge ungenügender Winterregen ein-
tretenden Mißernten hängt die auch hier heimische Sitte der
Regenprozession zusammen, eine Erscheinung, die ähnlich in allen
Gegenden mit periodischen Regen wiederkehrt. O. Lenz *•) be-
obachtete solche im Januar 1880 in der Tiefebene des Gharb,
einer der Kornkammern von Marokko, nachdem noch 1878 eine
Hungersnot als Folge einer Mißernte viele Tausende hingerafft
hatte. Frauen und Kinder zogen in langen Prozessionen tanzend
und singend umher, die Männer besuchten die Zauijas oder ihre
Gebetplätze, um den Segen des Himmels, nämlich Regen, zu er-
flehen. „Gegen Abend brach ein heftiges Gewitter los, und die
Freude und der Jubel war allgemein. Die ganze Nacht dauerten
die Tänze und Gesänge, Gewehrsalven krachten zur Feier des
freudigen Ereignisses und überall sah man freudige Gesichter."
Weiter nach Südwesten hatte es nur wenig geregnet, und Lenz
traf am nächsten Tage die Bevölkerung wiederum bei Regen-
prozessionen.
g) Ausdehnung des Küstengebietes.
Wenn wir sahen, daß das Klima des Küstengebietes durch
den jahreszeitlichen Windwechsel und den kühlen Auftrieb und
seine Folgeerscheinungen in hohem Maß beeinflußt wird, so wird
man fragen, wie weit nach dem Innern diese Einflüsse reichen,
ob und in welchem Maß die Niederschlagsmengen mit der Ent-
fernung vom Ozean abnehmen. Ich habe diese Fragen auf
meiner Reise möglichst im Auge behalten und glaube sie beant-
I) Timbuktu I, S. 187.
242 V, 2. Das Klima von Marokko.
worten zu können. Der der Küste parallele Landgürtel, welcher,
wenn auch mit gelegentlichen Mißernten lediglich mit Hilfe der
Winterregen und des Taues anbaufähig ist, ist verhältnismäßig
schmal und geht nach innen, wenigstens in Mittel- und Süd-
Marokko, durch einen sehr schmalen Übergangsgürtel in das
Steppenland über. Ich beobachtete dies im Tale des Tensift
bei der ersten Durchquerung des Atlasvorlandes zwischen dem
Ozean und Marrakesch und dann wiederum im Tale der Um-
er-Rbia, bei der zweiten Durchquerung zwischen Demnat und
Casablanca. Für das Gebiet südlich vom Tensift, wo ich nur
den Kulturlandgürtel kenne, wurden meine Beobachtungen von
den Schilderungen wissenschaftlicher Reisender bestätigt. Im
Norden, im Gebiet des Sebu und nordwärts davon, verschmälert
sich das Atlasvorland und tritt die Form der Hochfläche neben
reich gegliedertem Berg- und Hügelland derartig in den Hinter-
grund, daß unter Mitwirkung der nördlicheren Lage die Regen-
menge größer ist, die Regenzeit länger andauert und daher bis
auf örtlich beschränkte und mehr im Boden begründete Aus-
nahmen das ganze Land zum Kulturlandgürtel zu rechnen ist.
Südlich vom Tensift haben wir nach J. Hookers x) nament-
lich pflanzengeographisch gut begründeter Darstellung bei A'in
Umest, etwa 70 km von der Küste, die innere Grenze des Kultur-
landgürtels anzusetzen, wo das vorzugsweise wegen der größeren
Höhe bewegtere Gelände von Schedma in die einförmige Ebene
der Uled-bu-Sbah übergeht und an Stelle des angebauten Landes,
der Arganhaine und Gestrüppdickichte einförmige Artemisia- und
Gypsophilasteppe tritt. Ähnlich beobachtete ich im Tensifttal,
wie von etwa 50 km vom Ozean an in einem Gürtel von nur
etwa 10 — 15 km Breite der anbaufähige Gürtel in die Steppe
überging. Auf der welligen, steinigen Hochebene verschwanden
östlich vor dem kleinen Berberdorf Sidi - el - Arosi die letzten
Spuren von Anbau, die lichten Arganhaine, welche das Hügel-
land des Kulturgürtels südlich vom Tensift ganz besonders kenn-
zeichnen, werden immer lichter, niedriger, die Bäume krüppel-
hafter; an ihre Stelle treten, vereinzelt über die Fläche verstreut,
Gummi-Akazien und Zizyphus-Lotus, die kennzeichnenden Holz-
ig Journal of a tour in Marocco and the Great Atlas. London 1878,
S. 109.
Breite des Kulturlandgürtels. 24?
gewächse der Steppe. Erstere niedrige, nur 2 — z11^ m hohe,
dornige Bäume mit dürftigen Fiederblättern, aber einer Fülle von
Schoten, letztere meist niedriges Gestrüpp, überaus reich an
scharfen Dornen an den wie abgestorben aussehenden großen
Ästen und Zweigen, an denen eben Ende März die zartgrünen
Fiederblättchen auszutreiben begannen. Bald aber werden beide
immer seltener , die reine Artemisiasteppe örtlich mit Getaf
(Atriplex Halimus) oder einer Stipaart (wohl Stipa tortilis)
wechselnd, beginnt. Im Gebiet der Um-er-Rbia sah ich etwa
80 km vom Ozean die Steppe der Beni Meskin, die zu den
ödesten Teilen des Atlasvorlandes gehört und weithin als steinige
Hammada auftritt, die nur im Frühling Herden zu nähren vermag,
ziemlich rasch durch immer reicher werdendes Weideland mit
eingestreuten immer größer werdenden Gerstenfeldern mit Opuntien-
gärten in die üppigen Weizen- und Gerstengefilde der Schauia
übergehen. Dazu trug allerdings das Auftreten des Tirsbodens1)
bei. So tritt hier erst anfangs Juli der Sommerschlaf der Vege-
tation ein. Dann freilich, wenn auch die Spätfrüchte, Mais u. dgl.,
abgeerntet sind, gleicht das baumlose Schwarzerdeland ebenfalls
sonnenverbrannter, öder Steppe.
Auch die Verbreitung reichlicher Taufälle und größerer Luft-
feuchtigkeit dürfte für die Breite des Kulturlandgürtels mit be-
stimmend sein. Was meine eigenen Beobachtungen anlangt, so
stellte ich, solange ich mich innerhalb eines Abstandes von
60 km vom Meer im unteren Tensiftgebiet befand, in der Zeit
vom 26. März bis 1. April 1891 jeden Morgen starken, meist
sehr starken Taufall fest, ja bei Sidi-A'issa-Bu-Chabia am Tensift,
etwa 18 km vom Ozean, war derselbe so stark, daß die Zelte
derartig durchnäßt waren, daß sie erst an der Sonne getrocknet
werden mußten, ehe sie zusammengepackt werden konnten. Dazu
hatte allerdings die vom Strom, an dessen Ufer ich mein Lager
aufgeschlagen hatte, aufsteigende Feuchtigkeit beigetragen; denn
selbst die Wäsche im Zelt war etwas feucht geworden. Von
Sidi-el-Arosi an auf dem Marsche weiter ins Innere und nach
Marrakesch am 1., 2., 3., 4. April, war jedoch keine Spur von
Taufall zu beobachten, übrigens entsprechend den Angaben des
1) Über Entstehung, Verbreitung, Eigenart dieser Humuserde s. Peterm.
Mitt, Erg.-Heft No. 133, S. 117—124.
■iaa V, 2. Das Klima von Marokko.
Aspirations-Psychrometers, und zwar bei völlig wolkenlosem Himmel
und völliger Windstille am Morgen, obwohl über Tag und als alltäg-
liche Erscheinung ein wohltuend empfundener kühlender Wind vom
Ozean her wehte. Während der ganzen Zeit, die ich tiefer im
Innern verbrachte, also vom i. April bis i. Mai, wo ich im Ge-
biet der Schauia wieder in den Küstengürtel eintrat, beobachtete
ich nur dreimal Taufall, aber nur wenn ich in einer der Be-
rieselungsoasen der subatlantischen Hochebene lagerte, trotzdem
sich jede Nacht ein wolkenloser Himmel über uns ausspannte
und Windstille herrschte. Die 17 Tage meines Aufenthalts in
Marrakesch sind allerdings abzurechnen, da dort derartige Beob-
achtungen ausgeschlossen waren. Leider war das auch an einem
Tage auf dem Marsche durch das Gebiet der Schauia an den
Ozean der Fall; an den anderen aber beobachtete ich wieder
reichlichen Taufall, ja bei Dar Ber Reschid entwickelte sich etwa
40 km vom Ozean am 3. Mai ein nordwest- europäischer feiner
Nebelregen, der eine halbe Stunde anhielt, der einzige dieser Art,
den ich in Marokko beobachtet habe.
Am Morgen des 7. Mai trat zwischen Casablanca und Rabat
bei Ben Schakschak am Ozean bei völlig bewölktem Himmel ein
kurze Zeit andauernder Platzregen ein. Auf dem Wege von
Rabat nach Meknäs und Fäs zwischen dem 11. und 16. Mai
konnte ich bei heiterem Wetter jeden Morgen Taufall feststellen.
Am 14. Mai, auf dem Wege von Sidi Käsern über den Bab Tis'at
Djoruf, den Paß der neun Klippen, in das Hochland von El Gharb
durch das Rdemtal nach Meknäs regnete es bei leichten Ge-
wittern wiederholt, ja am Abend des 14. Mai ging in Meknäs
ein schwerer Gewitterregen nieder, dem kleinere Schauer in der
Nacht und am Morgen des 15. Mai folgten. Auf dem Marsche
von Fäs nach Tanger, vom 20. bis zum 26. Mai, fiel am 21.
und 22., auf dem Hochlande bzw. unmittelbar am Fuß desselben
reichlich Tau; am 23., wo ich an der Furt des Sebu Bab-el-
Ksiri gelagert hatte, herrschte, wie schon am Abend vorher, am
Morgen mittlere, am Morgen des 24. Mai auf der Wasserscheide
zum Wed Lukkos volle Bewölkung. Am 25. Mai 10 km nördlich
von El Ksar - el - Kebir und etwa ebensoweit vom Ozean ver-
zeichnete ich starken Taufall und ebenso am 26. Mai auf der
Hochfläche von Gharbia etwa 1 5 km vom Ozean. In der Literatur
ist leider von derartigen Beobachtungen nur wenig enthalten.
Taufälle und Luftfeuchtigkeit. -j^c
Nur bei H. de la Martiniere l), der Nord-Marokko von zahlreichen
und langen Reisen gut kennt, finde ich die Bemerkung, daß am
Morgen des 8. Mai 1884 etwa 7 km südlich von El Ksar so
starker Tau gefallen war, daß die Zelte ganz naß waren und
starke Taubildung infolge der großen Gegensätze der Nacht- und
der Tagestemperatur die Regel sei. Der bis gegen 1 1 Uhr klare
Himmel verliere allmählich an Klarheit, feuchte Kälte mache sich
in Verbindung mit einem immer dichter werdenden Nebel geltend,
der eine Schicht Wasser niederschlage. Gegen Morgen hebt sich
der Nebel und verschwindet bald ganz. Auch für den 8. Juni
1884 verzeichnet de la Martiniere2) weiter im Innern, in etwa
160 m Meereshöhe, am Wed Uergha südsüdöstlich von Uessan,
so starken Tau, daß die Zelte wie von Regen durchnäßt waren
und erst getrocknet werden mußten. Auch Lenz verzeichnet
unter dem 28. Januar 1880 nördlich von Rabat ungewöhnlichen
Taufall.
Was meine Psychrometerbeobachtungen anlangt, so ergeben
dieselben leider infolge des früher erwähnten Unfalls nur die
drei Profile Mogador — Marrakesch mit den gleichzeitigen Beob-
achtungen Herrn von Maurs in Mogador, Rabat — Fäs und Fäs —
Tanger. Das erste umfaßt die Strecke von Mogador bis 50 km
westlich von Marrakesch und die Tage vom 26. März bis zum
3. April, von denen leider aber nur am 29., 30., 31. März gleich-
zeitig in Mogador beobachtet wurde 3). Der Witterungscharakter
war der gleiche während dieser Tage. Da zeigte sich denn,
daß, solange ich mich im Küstengebiet aufhielt, die relative
Feuchtigkeit überhaupt eine sehr große und auch bei der 2 Uhr-
Beobachtung noch beträchtlich war, also mäßige Schwankung,
während mit der Entfernung von der Küste die relative Feuchtig-
keit im allgemeinen sank, während der nächtlichen Abkühlung
aber morgens und abends immerhin noch beträchtlich war,
während mittags fast wüstenhafte Trockenheit herrschte. Schon
am 31. März in 34 km Abstand vom Meere (Luftlinie) stellte
sich eine relative Feuchtigkeit von 2o°/0, am 3. April in 127 km
Abstand von 24 °/0 und zwar schon um 1 2 Uhr mittags ein. Da-
1) Revue de Geogr., Bd. XVII, S. 415.
2) Ebenda Bd. XVIII, S. 214.
3) Die Berechnung ist mit Hilfe der Wild-Jelinekschen Psychrometer-
tafeln vorgenommen.
-ia() V, 2. Das Klima von Marokko.
gegen waren in Mogador die Schwankungen sehr gering, immer-
hin aber sank am 31. März, wo ich am Morgen, allerdings un-
mittelbar am Ufer des Tensift, eine relative Feuchtigkeit von
92%, Herr von Maur in Mogador nur 78% festgestellt hatte,
bei der 2 Uhr-Beobachtung, die im Innern 2Ö°/0 ergab, dieselbe
auch in Mogador auf 61 °/0. Ich fasse die Ergebnisse in folgen-
der Tabelle zusammen:
Relative
Tag
Stunde
Ort
Meerferne
km
Feuchtigkeit
/o
26
März
2P
Kap Mulay Bu Serchtun
2
74
26
„
9P
Am el Hadjar 108 m
8
82
27
s>
7a
»
8
92
27
„
2p
>>
8
71
27
»5
9p
>>
8
83
28
>>
?a
>>
8
74
28
j)
9P
j>
8
89
29
)5
?a
>)
8
100
29
>>
2P
>)
8
64
29
,,
2P
Mogador
0
80
29
,,
9P
Ain el Hadjar
8
94
29
„
9P
Mogador
0
89
30
„
7a
Ain el Hadjar
8
96
30
„
?a
Mogador
0
81
3 c1
>>
2P
Ebene von Akermut 198 m
1 1
66
30
)>
9P
Sidi Aissa Bu Chabia 45 m
18
86
30
J)
9P
Mogador
0
89
31
)?
7a
Sidi A'issa Bu Chabia
18
92
31
)>
?a
Mogador
0
79
3]
)J
2P
Meschra-en-Nejum 113 m
34
26
31
„
2P
Mogador
0
61
31
,,
9P
Sidi el-Arosi 140 m
40
59
I
April
?a
„
40
70
I
3)
2P
Ain Derola 164 m
60
37
I
)»
9P
Mehdi 191 m
75
87
2
»>
?a
„
75
86
2
>>
9P
Dachr Kaid El Amri 246 m
112
52
3
»J
7a
»>
112
70
3
»
12% *
Wed Bulachres 275 m
127
24
Ergänzend füge ich hinzu, daß nach den Beobachtungen
im französischen Konsulat in Marrakesch im Winter 1886/87 die
relative Feuchtigkeit betrug: Dezember 41%, Januar 48 °/0,
Februar 45 °/0, März 39 °/0. Man kann aus diesen wie aus meinen
Beobachtungen schließen, daß im Innern des Atlasvorlandes die
Lufttrockenheit das ganze Jahr, aber namentlich im Sommer eine
sehr große ist, wohl kaum geringer als in wirklichen Wüsten-
Luftfeuchtigkeit.
347
gebieten. Das macht begreiflich, daß in Marrakesch trotz der
Meereshöhe von nahezu 500 m die Datteln noch reifen.
Während der Reise von Rabat nach Fäs und von dort nach
Tanger, vom 11. bis 26. Mai, stellte, wie oben erwähnt, Herr
Ingenieur Rottenburg korrespondierende Beobachtungen, allerdings
mit ungenügenden Instrumenten an. Es ergab sich als selbst-
verständlich, daß diese nahe dem Ozean angestellten Beobach-
tungen stets eine wesentlich höhere relative Feuchtigkeit nach-
wiesen, als gleichzeitig im Innern herrschte. Dieselbe war nicht
wesentlich geringer als in Mogador und schwankte zwischen 80
und 100 °/0- Nur einmal sank sie auf 6g°/0, während ich gleich-
zeitig zwischen den Dünen von Aamor, nur 6 km vom Ozean,
47 °/0 beobachtete.
Im allgemeinen nahm auch hier im Norden mit der Ent-
fernung vom Ozean die Luftfeuchtigkeit ab; nur wenn ich am
Ufer eines Flusses lagerte, steigerte sich die relative Feuchtig-
keit sofort bedeutend. In dem Sumpfgebiet der Beni Ahsen z. B.
stieg sie selbst in der Mittagsbeobachtung auf q6%> an der Furt
des Sebu betrug sie am Abend des 22. Mai 88°/0, am Morgen
80 °/0. Um so größere Trockenheit herrschte aber auf dem Hoch-
lande in der Umgebung des Djebel Zerhun, nachdem die zwei
Regentage bei Meknäs vorüber waren. Während ich an diesen
zwischen 80 und go°/0 feststellte, sank die relative Feuchtigkeit
in Fäs einmal mittags auf 2g°/0; es war das Mittel der drei
Tage, die ich mich dort aufhielt, obwohl ich in einem mit
Bäumen besetzten Garten mit einem Springbrunnen beobachtete
(12 Beobachtungen): 54%. An den ersten drei heißen Tagen
des Marsches von Fäs nach Tanger, am 20., 21. und 22. Mai,
war die Lufttrockenheit ungeheuer. Ich konnte das schon daran
feststellen, daß das von Wasser durchtränkte Tuch, welches ich
mir, um die Schleimhäute etwas anzufeuchten, vor den Mund
band, da ich nur filtriertes und abgekochtes Wasser, auf dem
Marsch überhaupt nichts trank, nach einer halben Stunde völlig
trocken war. An zwei Tagen sank bei der zweiten Beobachtung
die relative Feuchtigkeit auf 13 bzw. 14%, am dritten Tage
(dem Pfingstmontage) war ich, da ich mich von der Karawane
hatte trennen müssen, zehn Stunden im Sattel fast ohne zu essen
und zu trinken und konnte keine Mittagsbeobachtung anstellen.
Sicher ist an diesem Tage die relative Feuchtigkeit auf io°/0
•2/1.8 V> 2. Das Klima von Marokko.
gesunken. Selbst bei der 9 Uhr -Nachmittagsbeobachtung ergab
sich am 20. nur 39 °/0, bei der Morgenbeobachtung (diesmal
6 Uhr vormittags) nur 30%. Auch im Innern von Nord-Marokko
herrscht also im Sommer große Lufttrockenheit. Als ich nach
Überschreitung des Sebu mich in geringer Entfernung vom Ozean
nordwärts bewegte, stieg auch die relative Feuchtigkeit sofort auf
im Mittel etwa 85 °/0. Die Mittagsbeobachtung ergab allerdings
einmal, in El Ksar-el-Kebir, nur 42 °/0.
h) Das Innere. Niederschlagsverhältnisse.
Es ergibt sich aus diesen Betrachtungen, daß das Küsten-
gebiet nur eine Breite von 60 — 80 km hat. Dann ist bereits
die Luftfeuchtigkeit und die Menge der winterlichen Nieder-
schläge so weit gesunken, daß das ganze Atlasvorland bis an den
Fuß des Gebirges den Charakter der Steppe annimmt, die nur
im Winter und Frühling noch ergrünt, aber nur ausnahmsweise
örtlich und zeitlich etwas Anbau, jedoch auch nur von Gerste,
ohne künstliche Berieselung gestattet. Es ist somit in begreif-
licher Weise nur der zu 400 — 500 m Höhe in Stufen ansteigende
Rand des Tafellandes, an dem sich die Wasserdampfmengen
vom Ozean her verdichten und als Regen und Tau nieder-
schlagen. Was weiter landeinwärts liegt, ist um so niederschlags-
ärmer, als sich dort mehrfach flache Wannen finden oder Ge-
biete, die im Regenschatten der Aufragungen des Grundgebirges,
wie z. B. das Djebilet, liegen. Zur Meerferne kommt also die
Bodenplastik als ungünstiger Faktor hinzu. Wir werden daher
im Innern des Atlasvorlandes neben großer Lufttrockenheit und
geringen Niederschlägen auch einen bereits mehr kontinentalen
Wärmegang zu erwarten haben; dazu wirkt natürlich auch die
Höhe mit. Am meisten kontinentalen Anstrich wird das Klima
auf der subatlantischen Hochebene haben. Auch die jahreszeit-
liche Verteilung der Niederschläge dürfte eine andere sein. Das
Maximum derselben fällt wahrscheinlich nicht auf die Zeit des
niedrigsten Sonnenstandes, sondern auf die Äquinoktien, nament-
lich die des Frühlings. Dadurch scheint sich auch die Zeit, in
welcher Regen zu erwarten sind, gegenüber der Küste zu ver-
längern, da ausgiebige Regengüsse noch anfangs Juni und wieder
Kontinentalklima des Innern.
349
anfangs September bezeugt sind. Der August ist nach den neuen
Beobachtungen regenlos.
Thomson beobachtete in Marrakesch 1888 die ersten Regen,
welche die beginnende Regenzeit ankündigten, in den ersten Tagen
des September, wie ich andererseits den ersten Regen, seit ich
am 26. März die Küste verlassen hatte, am 3. April 30 km west-
lich von Marrakesch beobachtete. Derselbe hielt i3/4 Stunden
an, war sehr heftig und Begleiterscheinung eines Gewitters. Der
tonige Boden wurde in kürzester Zeit für die Lasttiere fast un-
gangbar. Schon am 2. April hatte ich gegen Abend Wetter-
leuchten im Osten beobachtet. Auch der 4. April brachte in
Marrakesch ein Gewitter, der 5. ein solches mit sintflutartigem
Regen, der eine Stunde anhielt und mindestens 20 mm, wie am
3. April *) gegeben hat: also vier Tage hintereinander stets gegen
Abend Gewitter, zwei mit starkem Regen. In der Nacht vom
16. zum 17. April fiel wieder Regen. Dann aber herrschte
völlige Regenlosigkeit bis zu dem bereits erwähnten feinen Nebel-
regen am 3. Mai schon nahe der Küste. O. Lenz2) fand am
10. Februar die Um-er-Rbia, wo er sie unterhalb der Einmündung
des Tasaut überschritt, infolge starken Regens geschwollen und
wurde gründlich durchnäßt. Am 26. Februar verzeichnete Lenz
ein Gewitter in Marrakesch gegen den Atlas hin, aber ohne daß
Regen in der sonnendurchglühten Ebene eintrat. Erst am
29. Februar regnete es in Marrakesch, nachdem es in der Um-
gebung schon an den Tagen vorher reichlich geregnet hatte.
Lenz verzeichnet dann noch Regen am Abend des 8. März süd-
lich von Marrakesch, ein starkes Gewitter am Abend des 9.
Von Fritsch 3) erwähnt noch einen kurzen Regenschauer und
Regenbogen am Nachmittag des 1. Juni und ebenso ein ge-
waltiges Gewitter und furchtbaren Regenguß am 2. Juni (1872).
Es ergibt sich aus diesen wenigen Beobachtungen die eine
wichtige Tatsache, daß im Innern, im Gegensatz zur Küste, Ge-
witter eine sehr häufige Erscheinung sind und daß die Regen
vorzugsweise bei Gewittern fallen. Die Nähe des Gebirges dürfte
wesentlich zur Gewitterbildung beitragen.
1) Ich glaube ziemlich gut schätzen zu können, da ich seit vielen
Jahren in Marburg Regenmessungen vornehme.
2) Timbuktu I, S. 225.
3) Mitt. d. Ver. f. Erdk. Halle 1878, S. 54.
•j-q V, 2. Das Klima von Marokko.
Regenmessungen aus dem Innern gibt es, abgesehen von
wenigen Monaten in Marrakesch, noch nicht. Ich glaube aber
Schlüsse ziehen zu können, indem ich den Landschaftscharakter
des inneren Atlasvorlandes, soweit er von der Pflanzenwelt be-
stimmt wird, mit dem mir ebenso aus eigener Anschauung be-
kannten von Süd-Tunesien in annähernd der gleichen Breite ver-
gleiche. Dort nämlich, wie in ganz Tunesien, haben die Franzosen,
die überhaupt in bezug auf wissenschaftliche Erforschung und
Aufschließung dieses Landes Mustergültiges geleistet haben, meteo-
rologische Stationen in geeigneter Zahl und an geeigneten Punkten
errichtet, so daß heute bereits das Klima als gut erforscht gelten
kann. Wo in Süd -Tunesien — und man pflegt dies auch für
Algerien anzunehmen — die Niederschlagsmenge unter 400 mm
sinkt, kann nach Augustin Bernard kein regelmäßiger Ackerbau
mehr getrieben werden, das Land trägt Steppencharakter. Wo
die Niederschlagsmenge 200 mm nicht mehr erreicht, beginnt die
Wüste.
Von Wüste, um dies vorweg zu nehmen, kann man, soweit
meine Kenntnis reicht, im Atlasvorland von Marokko nirgends
sprechen. Ich habe dort nirgends so wirklich wüstenhafte Land-
striche gesehen, wie etwa im südtunesischen Schottgebiet oder
selbst schon in der Umgebung von Biskra. Dabei hat Gabes
eine Regenhöhe von 215 mm, die in der Zeit von Ende Oktober
bis Anfang April fallen, Tozer 15g mm, die von November bis
April fallen. Ich möchte daher schließen, daß im Atlasvorland
von Marokko die Niederschlagsmenge im Mittel, von Dürrejahren
abgesehen, nirgends unter 200 mm sinkt, wenn sie auch in dem
eigentlichen Steppengürtel, weiter ab vom Meer als vom Ge-
birge, nicht viel darüber liegen mag. Die vorliegenden Regen-
messungen von Marrakesch *), so dankenswert sie sind, umfassen
leider nicht einmal eine ganze Regenperiode, nämlich nur die
Zeit von Januar bis März 1886 und von September 1886 bis
März 1887. Danach erscheint die Regenperiode 1885/86 als
sehr ergiebig, die von 1886/87 als regenarm. Es wurden folgende
Monatsmittel festgestellt:
1886: Jan. Febr. März Sept. Okt. Nov. Dez.
mm 54,2 42,9 48,0 .... 0,0 16,0 37,4 0,0
1887: 7,4 19,4 18,0
1) Meteorol. Zeitschrift 1895, s- in-
Niederschläge des inneren Atlasvorlandes. ?;j
An einer vollständigen Regenperiode fehlen noch die Monate
April, Mai und Juni, von denen, wie ich erproben konnte, der
April noch ausgiebig Regengüsse bringt, vermutlich auch der
Mai und vereinzelt selbst noch der Juni, andererseits der September.
Das Jahr 1886 hätte, wenn wir nach meinen Beobachtungen im
April 1899, wo zwei Güsse gegen 40 mm gaben, dem April,
Mai und Juni noch etwa 50 mm zuschreiben, rund 250 mm ge-
geben. Daraus, daß der Januar bis März 1887 noch nicht
Y3 der Regenmenge vom Januar bis März 1886 gegeben haben,
muß man aber schließen, daß jenes Jahr ein besonders günstiges
war. Überdies kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Marra-
kesch bei nur 40 km Entfernung vom Gebirge schon eine be-
deutende Steigerung der Regen hat. Und so erscheint auch die
Verlängerung der Regenzeit als eine weniger günstige Erschei-
nung, namentlich da die Regen in weit höherem Maß als an
der Küste in vereinzelten heftigen Güssen zu fallen scheinen.
Das muß man aus den oben angeführten Fällen, wie namentlich
daraus schließen, daß die obigen sieben Monate der Periode
1886/87 nebst Januar bis März 1886 nur 27,5 Regentage hatten.
Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß die Bildung traver un-
artiger Kalkplatten, die im Atlasvorland vielfach die Oberfläche
des Bodens bilden, aufs engste mit der klimatischen Eigenart
zusammenhängt.
Ich nehme daher für das innere Atlasvorland eine Nieder-
schlagshöhe von 200 — 400 mm an, wohl meist näher an 200
als an 400. Die Richtigkeit dieser Schätzung haben die von
Dr. Knoch berechneten Beobachtungen von 1886/87 und die
neuen an der von mir gegründeten Station von 1900 — 1905
ergeben. Das Jahresmittel von Marrakesch ist danach 237 mm,
wovon 87 auf den Winter =36,7%» 82 auf den Frühling
= 34,6°/0, 12 auf den Sommer = 5,1 °/0, 56 auf den Herbst
= 23>7% kommen. Sehr bezeichnend ist, daß die sommerliche
Niederschlagsarmut im Innern nicht so groß ist, wie an der Küste.
Es ist dasselbe aber durchaus als Steppe zu bezeichnen, bald
von größerem, bald von geringerem Wert als Weideland, im
Sommer sonnenverbrannt und wüstenhaft, so daß dann die Be-
wohner teilweise mit ihren Herden ins Gebirge ausweichen. Da
die großen Flüsse, welche dasselbe queren, wenn auch meist in
engen, tiefen, streckenweise unzugänglichen Tälern, und Brunnen,
ic2 V, 2. Das Klima von Marokko.
die in großer Zahl vorhanden sind, ja auch vereinzelt auf dem
undurchlässigen Grundgebirge zutage tretende Quellen hinreichend
Wasser bieten, so ist dies Steppenland überall dauernd bewohnbar
und reich an großen Herden von Rindern und Schafen, zum Teil
auch an Kamelen, Ziegen, Pferden. Selbst Ackerbau wird im
kleinen getrieben, wenn auch nur auf Gerste, die eine sehr kurze
Vegetationszeit hat, und unter häufigen Mißernten. Vereinzelte
kleine Gerstenfelder auf unbewässertem Boden sah ich mehrmals
in dem Steppengürtel. Freilich waren dieselben auch meist ver-
dorrt oder in Notreife. Weizen habe ich nirgends gesehen. Zum
Vergleich möge bemerkt werden, daß in Mittel-Tunesien bei
Kairuan, das im Durchschnitt in der Zeit von Ende September
bis Anfang Mai an 53 Regentagen eine Regenhöhe von 353 mm
erhält, man drei Jahre auf eine Weizenernte rechnet, bei Sfax,
wo an 45 Tagen von Ende September bis Anfang April 274 mm
fallen, alle fünf Jahre.
Anbau des Bodens ist daher im Innern des Atlasvorlandes
auf künstliche Berieselung angewiesen. Während diese im Küsten-
gebiet nur zu höchster Steigerung der Erträge beiträgt, wie in
Spanien, ermöglicht sie im Innern überhaupt erst Anbau. Man
kann also dort geradezu von Oasen sprechen. Da solche Oasen
in großer Zahl und großer Ausdehnung mit den Wassermengen
hervorgerufen sind, welche die zahlreich aus dem Gebirge her-
vorbrechenden Flüsse und das Grundwasser liefert, das im Unter-
grund des ungeheuren Schotterfeldes, welches dieselben vorwiegend
in der Diluvialzeit geschaffen haben, vorhanden ist, so bezeichne
ich die Hochebene am Fuß des Hohen Atlas als den Gürtel
der subatlantischen Berieselungsoasen. Das Grundwasser wird
in kunstvollen unterirdischen Leitungen, den sogenannten Chattaras,
dem zu bewässernden Land zugeführt, das, mit südlichen Frucht-
bäumen, Oliven, Granaten, Apfelsinen, Feigen, Datteln usw. be-
pflanzt, die reichsten Erträge liefert. Außerhalb der Oasen herrscht
aber völlige Steppe. Da ein mittlerer Landgürtel, den alle Ge-
wässer, die das Hochgebirge herabsendet, in den zwei großen,
tief eingesenkten Rinnen Tensift und Um-er-Rbia vereinigt, durch-
fließen, auch an Quellen arm, somit der künstlichen Berieselung
nur in geringer Ausdehnung zugänglich, zugleich sicher auch
niederschlagsärmer ist, als die Hochebene am Fuß des Gebirges,
so bezeichne ich ihn schlechthin als Steppengürtel. Es sind also
Klima des Gebirgslandes. 323
im Atlasvorland drei Landgürtel vorzugsweise klimatisch bedingt,
die ich kulturgeographisch kurz als Getreideland, Weideland und
Fruchtbaumland bezeichne.
i) Das Gebirgsland.
Daß mit der Annäherung an das Gebirge und im Gebirge
selbst die Niederschläge zunehmen, ist selbstverständlich. In der
Tat stellte ich fest, daß in einem schmalen Gürtel am Fuß des
Gebirges, aber erst etwa von der Höhenlinie von 700 m an,
südwestlich von Demnat, nicht nur Gerste, sondern streckenweise
selbst Weizen auf unberieseltem Boden gebaut wurde und auch
in diesem Jahr, wo ich kurz vorher im Steppengürtel die ver-
einzelten kleinen Gerstenfelder verdorrt gesehen hatte, ganz gut
geraten war. Hier trat auch die Zwergpalme, welche den Steppen-
gürtel meidet, wieder auf. Und ihr gesellen sich bald auch die
meisten Holzgewächse des Küstengebietes bei: Callitris, Juniperus
u. a. m. Hier müßte also die Niederschlagsmenge wieder auf
etwa 400 mm gestiegen sein. Höher hinauf und tiefer ins Ge-
birge nimmt dieselbe sicher noch mehr zu, aber doch innerhalb
enger Grenzen. Denn darin stimmen alle Beobachter, nament-
lich soweit sie botanisch geschult waren, überein, — ich selbst
bin nicht tiefer in das Gebirge eingedrungen — daß der Charakter
der Vegetation, das Fehlen einer eigentlichen alpinen Flora, die
Zusammensetzung und Dürftigkeit des Pflanzenkleides, die kahlen
Hänge, die Geröllhalden, die großartige Öde auch im Gebirge
von einer gewissen Trockenheit zeugen. Alpenweiden fehlen so
gut wie ganz, Senn Wirtschaft, wie in den Alpen, ist ausgeschlossen.
wenn auch die berberischen Stämme der Beni Mtir, der Zaian,
der Beni Mgild südlich und südöstlich von Fäs und Meknäs im
Sommer mit ihren Herden ins Gebirge und in die dort noch er-
haltenen Urwälder von Zedern, Callitris usw. wandern. Doch
handelt es sich da bereits um die niedersehlagsreicheren nörd-
lichen Gebirgslandschaften. Die Bewohnbarkeit des Hohen Atlas
ist jedenfalls gering. Und in den Gebirgstälern ist, da dort der
niederschlagsreiche Winter zu kalt ist, für den sommerlichen
Anbau von Mais (bis 1 700 m), Weizen, Gerste, Roggen, während
mehrmonatlicher Niederschlagslosigkeit künstliche Berieselung nötig.
Der größere Teil der Niederschläge fällt im Gebirge auch in
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 23
2e.A V, 2. Das Klima von Marokko.
fester Form; daher ist dasselbe regelmäßig jeden Winter und
einen großen Teil des Jahres von Schnee bedeckt, der schmelzend
im Frühling und Frühsommer die Flüsse schwellt und reichlich
Wasser zu Berieselungszwecken liefert, in der Zeit, wo der Be-
darf am größten ist. Nach de Foucauld begann im Hohen Atlas
die Regenzeit Mitte Oktober. Gegen Ende Oktober bis Anfang
November regnete es fast täglich bis Tazenacht (1500 m hoch
im Quellbecken des Draa, also jenseits der Hauptkette). Von
da an aber, während der Zeit, wo er also auf der saharischen
Seite des Gebirges reiste, selten. Ergänzt werden diese An-
gaben durch diejenigen des Marquis de Segonzac *) im Hohen
und Mittleren Atlas. Im Juni und Juli regnete es auf der ozea-
nischen Seite des Gebirges bei fast täglichen heftigen Nach-
mittagsgewittern sehr häufig und heftig. An 57 Tagen, vom
2. Juni bis 28. Juli 1901, wurden an 34 Tagen Gewitter beob-
achtet, an 18 Tagen mit Regen oder Hagel. Nach den An-
gaben der Eingeborenen scheint das die Regel in dieser Jahres-
zeit zu sein. Im Rifgebirge müssen nach den Beobachtungen
de Segonzacs, trotz der Nähe des freilich dort schmalen Mittel-
meeres, die Niederschläge gering sein, wohl unter 600 mm im
Jahresmittel, während er in Fez im Februar und März 1901 fast
täglich heftige Regen, oft sintflutartig, hatte, meist bei West-, ge-
legentlich auch Südwestwinden. Nach dem heutigen Stande
unserer Kenntnis und nach den Beobachtungen in Marrakesch
müssen wir anneinnen, daß im Innern und im Gebirge, wenn
auch das Maximum an der ozeanischen Seite noch auf den
Winter fällt, sich doch die Niederschläge über den Frühling und
bis in den Sommer hinein ausdehnen und an Gewitter geknüpft
in allen Monaten des Jahres vorkommen können. De Segonzac
hatte 1901 im Mittel- Atlas zwar im August nur selten Regen,
aber Ende August steigerten sich dieselben wieder bedeutend,
so daß vom 22. bis 31. August, abgesehen vom 27., es täglich
regnete.
Es ist anzunehmen, daß von etwa 1000 m Höhe an jeden
Winter von November bis April Schneefälle vorkommen, ja
Hooker2) hatte noch Mitte Mai 187 1 südöstlich von Marrakesch
in etwa 2500 m Höhe Schneefall, der das Gebirge bis etwa
1) Voyages en Maroc. Paris 1903, bes. S. 131.
2) Journal of a tour in Marokko, S. 222, 224.
Schneedecke des Hohen Atlas.
355
2100 m herab bedeckte. Es bildet der Atlas, wie bekannt, eine
scharf ausgeprägte Klimascheide, und es kann, wie schon Hooker
annahm, keinem Zweifel unterliegen, daß wie bei den großen
Gegensätzen des Luftdruckes über der Wüste und dem Ozean
vom Atlasvorland gegen die Azoren heftige Unwetter, die im
Hochgebirge von Schneefällen begleitet sind, besonders im Sommer
vorkommen. Je höher hinauf, um so länger hält die Schneedecke
aus. Ich konnte im April, wo ich das Gebirge täglich bald in
größerer, bald in geringerer Entfernung vom Vorland aus vor mir
sah, deutlich beobachten, wie die Schneegrenze ziemlich rasch
nach oben rückte und die Flüsse im Vorlande wasserreicher
wurden. Von Fritsch *) und Rein trafen im oberen Rherhayatal
am ii. Juni den ersten Schneefleck in 2400 m an. Thomson2)
fand Mitte Juli am Ogdimt noch Schneestreifen und Massen von
Schnee in einer Schlucht bis unter 2700 m herab und am
Likumpt noch Anfang September. Und de Foucauld sah den
Hauptkamm während seiner, von Juni 1883 bis Mai 1884 aus-
gedehnten Reise, wo er ihn zu Gesicht bekam, in großer Aus-
dehnung mit Schnee bedeckt 3). Er sowohl, wie Thomson, also
die beiden besten Kenner des Hohen Atlas, glauben das Vor-
kommen ewigen Schnees annehmen zu müssen. Auch G. Rohlfs
spricht von solchem. De Segonzac traf bei seiner Besteigung des
Ari Aiach am 7. Juli 1901, dessen Höhe er zu 4250 m be-
stimmte, bei 3000 m auf die ersten Schneeflecken, die sich an
schattigen und geschützten Stellen erhalten hatten. Der Schnee
hatte ein rötliches Aussehen, da er mit feinem Verwitterungsstaub
bedeckt war. Auch die übrigen Gipfel trugen Schneerlecken.
Nach den Eindrücken, welche ich empfangen habe, und nach
diesen Zeugnissen scheint es mir keinem Zweifel zu unterliegen,
daß im Süden und Südosten von Marrakesch größere Schnee-
anhäufungen an geschützten Stellen das ganze Jahr ausdauern.
Dieser höchste Teil des Gebirges ist auch der Wassersammler
und Wasserbehälter für eine weite Umgebung. Dort sammeln
die Quellflüsse des Tensift, der Um-er-Rbia, des Draa und des
Sus ihre Gewässer, mit denen sie auch im Hochsommer nicht
versiegend so zahlreichen Oasen Leben spenden.
1) Mitt. d. Ver. f. Erdk. Halle 1879. S. 27.
2) Travels in the Atlas and Southern Marokko. London 1889. S. 315.
3) Reconnaissance au .vlaroc. Paris 1888. S. 315.
23*
356 V, 2. Das Klima von Marokko.
k) Die thermischen Verhältnisse des Innern.
Über die Wärmeverhältnisse des innern Marokko können
wir uns auch nur Vorstellungen machen, die der Wahrheit mehr
oder weniger nahe kommen. Darüber kann kein Zweifel sein,
daß der Wärmegang ein durchaus kontinentaler, der Gegensatz
von Sommer und Winter, von Tag und Nacht ein sehr großer
ist. In bezug auf die thermischen Verhältnisse ist also das
Innere durchaus und in noch höherem Maß als bezüglich der
Niederschläge verschieden vom Küstenland. Die Beobachtungen
im französischen Konsulat in Marrakesch lassen dies deutlich
erkennen. Die Monatsmittel der Temperatur waren danach:
Sept. Okt. Nov. Dez. Jan. Febr. März
26,9° C 21,4° C 14,4° C 12,3° C 10,9° C 12,5° C 17,9° C
Abs. Max. 39,0 34,2 26,3 23,3 21,8 23,2 32,8
„ Min. 16,2 11,4 5,5 3,8 — 0,7 — 1,1 5,2
Wir sehen daraus, daß die Wärme mit der Entfernung vom Ozean
im Sommer sehr rasch steigt, im Winter sinkt, namentlich in der
Nacht; denn am Tage herrscht, trotz der Meereshöhe von etwas
unter 500 m, bei der Reinheit und Trockenheit der Luft ganz an-
genehme Wärme. Die Temperaturen unter Null, die im Januar und
Februar in Marrakesch wohl jeden Winter vorkommen können,
sind doch immer nur Augenblickstemperaturen, die dem vorzüg-
lichen Gedeihen der Apfelsinen, auch noch in größerer Meeres-
höhe als Marrakesch, in Tameslocht 600 m z. B. , und dem
Reifen der Datteln keinen Eintrag tun. Zum Vergleich mögen
auch die mittleren Maxima und Minima der Beobachtungsmonate
von Marrakesch und Mogador (sechsjährig) nebeneinandergestellt
werden :
Mittlere Max.
Mittlere Min.
Das absolute Maximum vom September 1896 ist mit 390 C natür-
lich bei weitem nicht die höchste hier vorkommende Schatten-
temperatur. Diese mag nahe an 500 C betragen. Ich selbst las
schon am 5. April 1899 in Marrakesch am Maximum -Thermo-
meter 350 C ab, am 21. Mai zwischen Volubilis und Sidi Käsern
Sept.
Okt.
Nov.
Dez.
Jan.
Febr.
März
Marrakesch :
34,2
26,6
18,8
18,1
16,0
17,6
23,3
Mogador :
25,0
23,5
22,0
20,0
18,0
20,5
20,5
Marrakesch :
21,6
16,2
10,1
6,6
5.8
7,4
11,8
Mogador :
17,5
15.5
13,0
10,0
9,5
11,0
10,5
Thermische Verhältnisse des inneren Atlas Vorlandes.
357
in 400 m Höhe 38,2° C und am Sonnenthermometer am 2$. April
an der Furt von Uled Adat am Tasaut Tahtia in 712m Meeres-
höhe 470 C, an der Furt von Ben Challu an der Um-er-Rbia in
349 m Meereshöhe am 27. April 59,3° C. Bei dieser Temperatur
war das eiserne Futteral des Instruments, das während der Beob-
achtung am Boden gelegen hatte, so heiß geworden, daß ich es
nur mit dem Taschentuch anfassen konnte. Den fast angenehm
kühl zu nennenden Sommern unmittelbar an der Küste stehen
also sehr heiße Sommer im Innern gegenüber.
In Ergänzung der Beobachtungen von Marrakesch möchte
ich anführen, daß meine eigenen, die Zeit vom 5. — 21. April
umfassenden Beobachtungen dort, weil mir kein anderer Ort als
die bedeckte Galerie meines Hauses mitten in der Stadt zur
Verfügung stand, namentlich bezüglich der täglichen Minima nur
beschränkten Wert haben. Die niedrigste Temperatur dieser
Periode war am 2 1 . April -f- 11,5° C, während sonst das Minimum-
Thermometer meist 13 — 150 C zeigte. Dagegen hatte ich draußen
in der freien Steppe auf dem Weg vom unteren Tensift gegen
Marrakesch am 31. März in Sidi A'issa Bu Chabia -j- 6° C, am
1. April in Sidi El Arosi -f- 6,5° C, am 2. in Mehdi 1 1° C, am
3. in Dachr Kaid El Amri 8,3° C abgelesen. Und ähnlich auf
dem Weg von Marrakesch nach Demnät in La Hamria 604 m
am 22. April wiederum nur 8,o° C, in El Fekarin 680 m am
2^. April 7,8° C, in Demnät selbst 951 m am 25. April ii,o°C.
Also durchaus niedrigere Werte als in Marrakesch. Auf dem
Weg von Demnät nach Casablanca vom 25. April bis 3. Mai
lagen die Minima entsprechend der vorgeschrittenen Jahreszeit
zwischen 10, 8° C in Uled Terraf 371 m nahe der Mündung des
Tasaut am 27. April und 19,5° C in Schescha 310 m am 1. Mai.
Solange ich mich dann im Küstengürtel aufhielt, lagen die
Minima wiederum um mehrere Grad tiefer; ja am 12. Mai im
Lager bei El Kantara am unteren Sebu in nur 39 m Meereshöhe
las ich nur 8° C ab. Während der Zeit, wo ich mich auf dem
Hochland in der Umgebung des Dj. Zerhun aufhielt, waren im
allgemeinen die Nächte nach heißen Tagen kühl, ja in Djedida
las ich am 16. Mai in 529 m Meereshöhe noch einmal 6° C ab.
Recht bezeichnend war aber die niedrigste Temperatur an dem
Regentage an der Westseite des Dj. Zerhun + 160 C. Das
Maximum-Thermometer abzulesen war nur ausnahmsweise Gelegen-
358 V, 2. Das Klima von Marokko.
heit, da ich zur Zeit der höchsten Tageswärme fast stets unter-
wegs war. Dagegen habe ich sehr regelmäßig um 2 Uhr das
Aspirations-Psychrometer abgelesen. Daraus ergab sich auf dem
Weg von der Küste nach Marrakesch alle 24 Stunden, also mit
im Mittel um 38 km gewachsener Entfernung vom Ozean, trotz
wachsender Meereshöhe bei gleichem Witterungscharakter ein sehr
regelmäßiges Steigen der Temperatur um 2° C. Die gleiche Er-
scheinung, nur gemäßigt, nämlich eine regelmäßige Zunahme von
i° C mit um 42 km im Durchschnitt wachsender Meeresferne,
ergab sich aus der 2 Uhr-Beobachtung auf dem Weg von Rabat
nach Meknäs, also in einem mehr als zwei Breitengrade weiter
nordwärts gelegenen Profile. Auch während des siebentägigen
Marsches von Fäs nach Tanger (20. — 26. Mai) war die 2 Uhr-
Beobachtung sehr lehrreich. An den ersten drei Tagen ergab
sich 34,5, 38,2, 34,4° C, an den letzten drei Tagen (den 7. war
ich um 2 Uhr schon in Tanger), wo ich mich in einer Meeres-
ferne, die sich von anfangs 30 km bis auf 10 km verminderte,
ziemlich genau von Süden nach Norden bewegte, 30,4, 24,6,
2i,8° C. Die tägliche Temperaturschwankung wuchs, sobald ich
auf dem Weg von Mogador nach Marrakesch das Küstengebiet
hinter mir hatte. Sie betrug mit der Entfernung von der Küste
wachsend, am 31. März 18,2° C, am 1. April 19,9° C, am 3. April
20,9° C. Wenn sie in Marrakesch im allgemeinen nur 15 bis
160 C betrug, so lag das an der schlechten Aufstellung der
Instrumente. Wir sehen somit, daß auch die tägliche Temperatur-
schwankung im Innern sehr groß ist.
Von Fritsch x) beobachtete in Marrakesch anfangs Juni gegen
Sonnenaufgang 17 — 190 C, schon um 9 Uhr 26 — 270 C, gegen
3 Uhr am 3. und 4. Juni 320 C, sonst gewöhnlich 30,5 — 31,5° C.
Es dürfte sich Mogador und Marrakesch, aber überhaupt
die Küste und das Innere ungefähr verhalten wie die schon
länger bekannten Stationen der französischen Senegal-Kolonie an
der Küste und im Innern, etwa St. Louis und Bakel. Während
der Januar an der Küste eine Temperatur von etwa 160 C, der
Juli oder August von etwa 2 2° C hat, mögen dieselben Monate
auf der subatlantischen Hochebene etwa ii° C und 340 C haben.
Die Bauart der Häuser, die überdachten Straßen zu Marrakesch
deuten schon auf große Sommerhitze hin.
I) Mitt. d. Ver. f. Erdk. Halle 1878, S. 62.
Staubstiirme im Innern.
1) Staubwinde.
359
Eine Folgeerscheinung der großen sommerlichen Erhitzung
des inneren Atlasvorlandes sind sich örtlich entwickelnde Staub-
tromben, eine Erscheinung, auf die ich ganz besonders die Auf-
merksamkeit künftiger Forscher lenken möchte. Ich selbst habe
solche Staubtromben schon im April in der Umgebung von Marra-
kesch über die Steppe dahin wirbeln sehen; im Mai beobachtete
ich eine solche noch im Norden auf der Hochebene nördlich
vom Djebel Zerhun. Sie sind im Land selbst so bekannt, daß
mein Dolmetscher mit Rücksicht darauf auf besonders sorgfältige
Herrichtung und Verankerung meiner Zelte drang. Ähnlich wie
ich, beobachtete der englische Reisende W. B. Harris1) Mitte
April 1888 nordwestlich von Marrakesch bei großer Hitze zahl-
reiche Staubtromben, die den Staub der Steppe säulenförmig
aufhoben und über die Ebene trugen. Eine derselben riß das
Zelt von den Pflöcken. Namentlich in Tedla, das ich das
marokkanische Ferghana nennen möchte, bilden sich im Sommer
sehr häufig nachmittags Wirbelwinde, welche Zelte aufheben und
ungeheure Staubmassen davonführen. Sie endigen oft mit Regen
und Hagel. Badia *) erwähnt Verdunklung der Luft durch Staub
in Marrakesch im Juli. Hooker3) sah im Mai mächtige Staub-
hosen, zuweilen drei zu gleicher Zeit, über die Hochebene von
Marrakesch dahineilen. Zuweilen dürfte es sich um Samumstürme
handeln. So schildert Badia einen solchen, den er in Marra-
kesch am 31. Juli 1804 beobachtete und der den ganzen Tag
andauerte. Bei heftigem Südostwind verdunkelte sich die Luft,
der Horizont war wie in Flammen, die Sonne schien matt und
glich einer Scheibe weißen Papiers, die Hitze war erstickend,
das Thermometer stieg auf 450 C. Den folgenden Tag minderten
sich diese Erscheinungen, zwei Tage später trat aber wieder ein
heftiger Sturm mit Gewitter und Regen auf, eine in dieser Jahres-
zeit sehr seltene Erscheinung. Man wird an Schilderungen des
Einsetzens der Regenzeit in den Tropen erinnert. Ähnlich er-
wähnt J. Thomson 4) , der kein sehr aufmerksamer Beobachter
S. 2i
1) The Land of an afrikan Sultan. London 1889, S. 182.
2) Ali Bey el Abbasi, Voyages en Afrique et en Asie. Paris 18 14, I,
8.
3) A. a. O., S. 122. 4) Travels, S. 315.
^60 V, 2. Das Klima von Marokko.
war, in Marrakesch am 28. Juli 1888 einen wie aus einem
glühenden Ofen wehenden Südwind, bei welchem feiner Staub
die Luft verdunkelte. Und nochmals am 5. und am 6. August,
wo ein heißer Südwest unter Donner und Blitz erstickende Staub-
wolken dahertrug. Am 5. August stieg das Thermometer auf
37,8° C, am 6., nachdem es morgens auf 29,4° C gefallen war,
sogar auf 44,4° C. Selbst in den sorgsam geschützten inneren
Räumen sank es nicht unter 35,6° C. Auch in den folgenden
Tagen machten heiße Südwestwinde es noch wiederholt auf
3 8° C und mehr steigen. Um einen echten Föhn, nicht um
einen Wüstenwind, wie Thomson meinte x), handelte es sich aber
in einem der Atlastäler bei Demnät in der Nacht vom 4. zum
5. Juni 1888. Ein heißer, trockener Wind stürzte sich mit un-
widerstehlicher Gewalt von den schneebedeckten Bergen herab.
Er hielt den ganzen Tag an und versetzte den Reisenden in
einen fieberhaften Zustand. Jackson 2), der lange Zeit in Marokko
lebte, bezeichnet namentlich den September als den Monat, in
welchem heiße Winde am häufigsten auftreten.
Diese Winde sind es, welche im inneren Atlasvorland überall
da, wo nicht Berieselung oder vorübergehend die Winterregen
sie festhalten, die feinen Verwitterungsstoffe davonführen und
bald steinige Hammaden, bald reingefegte Felsflächen schaffen.
Sie spielen so, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, im Steppen-
gürtel eine hervorragende Rolle als Bildner der Erdoberfläche.
Die dauernde Ablagerung dieser so davongeführten Massen findet
vorzugsweise im Küstengebiet statt, wo dieselben von dem durch
ergiebigere Winterregen und Tau durchfeuchteten und mit Vege-
tation bedeckten Boden festgehalten werden und namentlich zur
Bildung des Tirsbodens beitragen.
Heiße Winde kennzeichnen somit das innere Atlasvorland
ganz besonders.
m) Quellen- und Brunnentemperaturen.
Anhangsweise mögen hier auch die Ergebnisse meiner
Messungen der Temperatur von Quellen und Brunnen folgen.
Die Gelegenheit solche vorzunehmen bot sich selten, da eben
1) Ebenda, S. 191.
2) An account of the Empire of Marocco. London 1809, S. 17.
Malaria. Gesundheitszustand.
36l
Quellen nicht zahlreich sind und Brunnen zu messen bei der
beschränkten Zeit nur an den Rastorten möglich war. Ich füge
auch hier den Abstand vom Meer in Luftlinie bei.
Quellen -Temperaturen,
„^"rwt Meereshöhe Meeresferne M * Temperatur Bemerkungen
bzw. Ort
A'in el Hadjar
Hauptquelle
108 m
8 km 27. HL 99 21,7° C
Nebenquelle ca. 130 „
Tmasin
Ben
Schakschak
401 „
10 „
9
100
o,5
27. in. 99 20,7° „
29. rv. 99 2i,5° „
7. V. 99 20,0° „
Mitteltemperatur
des 25 km ent-
fernten Mogador
i9>3° c
Name
bzw. Ort
Schescha
in Uled Bu Ziri
Kasbat-es-
SkiuinSchauia
Brunnen-Temperaturen.
Ta£ der
Meereshöhe Tiefe Meeresferne ,, s
Messung
310 m
304 „
10,75 m
9
90 km
40 „
30. IV. 99
2. V. 99
Temperatur
21,2° C
18,0° „
n) Malaria.
Einen großen Vorzug besitzt Marokko neben Spanien allein
unter allen Mittelmeerländern, die fast völlige Freiheit von Malaria.
Während die übrigen Atlasländer furchtbar unter Malaria leiden
und die europäische Besiedelung von Algerien, wie bekannt, da-
durch außerordentlich erschwert worden ist, sind nur wenige
Punkte in Marokko, soweit unsere Kenntnis heute reicht, von
Malaria heimgesucht. Es sind das besonders El Ksar el Kebir
und Larasch, die unter der Versumpfung des unteren Lukkos-
tales leiden, und Rabat, welchem das breite, von versumpftem
Schwemmland gefüllte Tal des Bu Regreg gefährlich ist, das die
Flut nicht völlig überspült. Auch Saffi, dessen Luft der Passat
des Bergschutzes wegen nicht reinigen kann, gilt im Sommer als
ungesund. Ich habe weder in Marrakesch, noch in Fäs, obwohl
beide Städte von Berieselungswasser umgeben und unsäglich
schmutzig sind, über Malaria klagen hören.
Man wird das Klima von Marokko, da die häufigen Augen-
leiden der Eingeborenen doch wesentlich von diesen selbst ver-
schuldet sind, als ein gesundes, eine gesunde, kräftige Bevölke-
rung hervorzubringen geeignetes zu bezeichnen haben. In der
? 6 2 V, 2. Das Klima von Marokko.
Tat muß man auch die Bevölkerung von Marokko, vielleicht ab-
gesehen von einem Bruchteil der Bevölkerung der großen Städte,
als eine gesunde und kräftige Rasse ansehen. Zum Teil beruht
das allerdings auch mit darauf, daß nur kräftige Individuen auf-
kommen. Man wird kaum irgendwo, außer etwa unter den
Osmanli, beispielsweise ein besseres Soldatenmaterial finden als
hier. Nur im marokkanischen Heer darf man es nicht suchen.
Was meine Leute zu leisten vermochten, war erstaunlich. Wenn
sie bei glühendem Sonnenbrande mit kahl rasiertem Kopf und
ohne Kopfbedeckung 40 — 50 km marschiert waren, merkte man
ihnen keine Ermüdung an. Ich selbst kann nur eine außer-
ordentliche wohltätige Wirkung des Klimas von Marokko an mir
feststellen. Ich bin, allerdings bei großer Vorsicht, namentlich
beim Genuß des vielfach sehr schlechten Brunnen- und Fluß-
wassers, auch nicht eine Stunde krank gewesen und entwickelte
eine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, die mich selbst
in Staunen versetzt hat. Allerdings hatte ich 13 Jahre früher
dieselbe Beobachtung in dem ähnlichen Klima von Süd-Tunesien
machen können.
Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß Marokko nicht nur
im Küstengebiet als ganz hervorragend klimatisch begünstigt er-
scheint, sondern auch im Innern teils durch die Niederschläge,
teils durch die vom Schnee des Atlas gespeisten Flüsse hin-
reichende Wasservorräte besitzt, um großen Flächen bei der
herrschenden Wärme durch künstliche Berieselung eine Fülle der
mannigfaltigsten Erzeugnisse abzugewinnen. Und selbst die Steppe
vermag noch ungeheure Herden zu nähren. Ich muß mich da-
her dem Urteil, welches der englische Botaniker J. Hooker schon
1871 fällte, man könne sich über die Hilfsquellen von Marokko
kaum eine zu große Vorstellung machen, nur durchaus an-
schließen.
o) Tanger und Mogador als klimatische Kurorte.
Tanger und Mogador sind schon seit längerer Zeit vielfach,
auch von ärztlicher Seite, als klimatische Kurorte, namentlich für
Lungenleidende empfohlen worden und werden in der Tat auch
als solche schon benutzt. Da sich meine Beobachtungen auch
in dieser Richtung: erstreckt haben und ich nicht nur fast samt-
Tanger als klimatischer Kurort.
363
liehe klimatische Kurorte der Mittelmeerl ander mehr oder weniger
genau kenne, sondern auch selbst Erfahrungen in ihrer Benutzung
gesammelt habe, so möchte ich einige darauf bezügliche Be-
merkungen über beide Orte noch anführen.
Daß das Klima von Tanger ein sehr gesundes, abgesehen
etwa von rheumatischen Leiden, kräftiges und kräftigendes ist,
unterliegt keinem Zweifel. In der größeren Hälfte des Jahres,
im Sommer, muß es mit seiner beständig, wenn auch dann nicht
übermäßig stark bewegten staubarmen Luft, seinem mäßigen
Feuchtigkeitsgehalt unter Ausschluß von Regen und nur io°/0
trüber Tage, bei der angenehmen Temperatur von 230 C (Mittel-
temperatur des Sommers) und der Seltenheit großer Hitze —
absolutes Maximum am Kap Spartel im Laufe von sechs Jahren
39,1° C — sogar ein außerordentlich angenehmes sein. Ganz
besonders angenehm wird das empfinden, wer dann von dem
heißen Gibraltar oder Malaga herüberkommt. Dazu kommt der
schöne Badestrand an der Bucht östlich von der Stadt, die an-
ziehende Landschaft, die Welt des Islam und mit ihr der Orient
im fernen Westen, im Angesicht von Europa, die bedeutungsvolle
Lage an der größten Welthandelsstraße der Welt! Dies macht
begreiflich, daß schon jetzt der Zuzug im Sommer von Spanien
her, aber auch aus der englischen Welt über Gibraltar ein be-
deutender ist, zumal auch der Prozentsatz der dauernd in Tanger
niedergelassenen Spanier ein sehr hoher ist. Gehören diese auch
fast durchaus den niederen und niedrigsten Schichten an, so
bilden doch die hier wohnenden Gesandtschaften der meisten
Staaten Europas den Kern einer sonstigen recht ansehnlichen
europäischen Kolonie, und manche von ihnen, wie die englische,
französische, deutsche die Kristallisationspunkte für andere nationale
Elemente. So sind bereits außerhalb der Mauern der doch noch
immer, trotz mancher Durchbrechungen, wesentlich orientalisch-
mohammedanischen Charakter tragenden Stadt um die Hochfläche
des Marschan gegen Westen zahlreiche europäische Villen ent-
standen und noch weiter nach Westen entwickelt sich auf dem
Ostende des Djebel - — daher diese Villensiedelung gewöhnlich
Monte genannt wird — , der kleinen Bergscholle, auf deren West-
ende der Leuchtturm des Kap Spartel steht, eine ganze Ortschaft
von parkumgebenen Villen, die alle inmitten einer reichen Pflanzen-
welt unablässig vom kühlen Anhauch des Ozeans gefächelt werden
•3 6a V, 2- Das Klima von Marokko.
und über Ausblicke verfügen, die zu dem Schönsten gehören,
was die Welt in dieser Hinsicht zu bieten vermag.
Als Seebad und Sommerfrische besitzt Tanger somit hervor-
ragende Eigenschaften, und man darf ihm eine große Zukunft
voraussagen, abgesehen von seiner Eigenschaft als Haupttor von
Marokko und Emporium der Meerenge. Zu einem winterlichen
Kurorte für Lungenleidende, wenigstens für solche, deren Leiden
schon ernste Formen angenommen hat, eignet es sich aber durch-
aus nicht. Die gleichmäßige Wärme, 130 C Mitteltemperatur des
Winters, 8° C Mittel der Minima, der Mangel oder die Selten-
heit jäher Temperaturwechsel, die an Salzteilen reiche, ziemlich
feuchte Luft mögen ja günstige Faktoren sein. Aber dieselben
werden aufgehoben durch die im Winter, wie wir gesehen haben,
mit seltenen und immer nur kurzen Unterbrechungen oft sturm-
artig wehenden Winde, gegen die es keinen Schutz gibt und
welche den Regen — im März ist jeder zweite Tag ein Regen-
tag — ins Gesicht peitschen. Auch an lästigem Staub fehlt es
gelegentlich nicht, während man für gewöhnlich in stinkendem
Schmutz watet und die große Feuchtigkeit unangenehm empfindet.
Es gibt bis heute wenigstens keine Möglichkeit, sich in leicht
zugänglichen, windgeschützten Gärten den Tag über im Freien
aufzuhalten. Alle Spaziergänge sind durch Schmutz und Mangel
an Wegen erschwert, man muß fast immer reiten. Und selbst
das ist in dem tiefgründigen Boden der Umgebung vielfach nicht
möglich. Denn gebahnte Wege gibt es in ganz Marokko nicht,
nur Naturpfade. Selbst der einzige von dem internationalen Aus-
schuß zur Unterhaltung des Leuchtturms auf Kap Spartel dorthin
gebaute Reitweg ist in kläglicher Verfassung. Freilich ein Fort-
schritt ist 1899 gemacht: die Europäer haben vom Stadttor bis
zur Villenkolonie auf dem Marschan fast 1 km weit eine ge-
pflasterte Straße angelegt, die einzige und erste, die seit den
Römern in diesem Lande gebaut worden ist, auf der sogar eine
Droschke verkehrt!
Wesentlich anders liegen die Verhältnisse in Mogador. Bei
diesem kann es sich nur um eine Winterstation für Lungenkranke
handeln. Als solche besitzt es in der Tat große Vorzüge. Die
Milde und Gleichmäßigkeit der Temperatur ist außerordentlich
groß, so daß es in dieser Hinsicht kaum von einem Ort außer-
halb des Äquatorialklimas übertroffen werden kann. Die Luft
Mogador als Winterstation. 3Ö5
ist zwar ziemlich feucht, aber sehr salzreich und staubarm, im
Winter, wo windstille Tage gar nicht selten sind, nicht allzu
bewegt und sonnig. Regen sind nicht häufig und nicht von
langer Dauer. Es ist hier die Möglichkeit geboten, sich den
ganzen Tag im Freien aufzuhalten. Es wird behauptet, daß
Lungenleiden dort sehr selten seien. Die Eingeborenen schreiben
auch ihrerseits dem NO den guten Gesundheitszustand zu.
Namentlich französische Ärzte sind wiederholt für Mogador
als Gesundheitsstation eingetreten. Auch ich möchte nach den
empfangenen Eindrücken Mogador als Winterstation für Lungen-
kranke in klimatischer Hinsicht eine ganz hervorragende Stellung
einräumen. Es ist in dieser Hinsicht der günstigste Ort, den ich
überhaupt kennen gelernt habe.
Leider stehen dem große Schattenseiten gegenüber. Die
Stadt ist eine Anhäufung weiß getünchter Pisebauten, von hohen
Mauern umschlossen, mit Gassen, die man, marokkanischen Ver-
hältnissen Rechnung tragend, gerade und breit nennen kann, ja
mit Plätzen, die auch in Europa groß und luftig genannt würden.
Aber dieser weiße Stein- bzw. Lehmhaufen liegt auf einer flachen,
felsigen Insel zwischen dem blauen Meer auf der einen, einem
breiten Gürtel hoher, gelber Dünen auf der anderen Seite. Keine
Baumpflanzung, kein Grün irgendwelcher Art verschönt den Stein-
haufen, selbst eine vereinzelte Dattelpalme, die sonst überall über
die Mauern der marokkanischen Küstenstädte emporragt und
einen wohltuenden Anblick für das Auge bildet, sucht man hier
vergebens. Einige kleine, armselige Gemüsegärten, die man an
der Nordseite der Stadt angelegt hat, sieht man hinter den hohen
Umzäunungen nicht. Noch heute gibt es kein europäisches Gast-
haus *). Schatten bieten nur weiße Mauern. Auch die heftigen
Winde sind keineswegs angenehm. Man wird also Bedenken
tragen, heute einen Lungenkranken nach Mogador zu schicken.
Die Stadt selbst wird sich auch in absehbarer Zeit nicht soweit
verändern, um wirklich als Winterstation empfohlen zu werden.
Ein unternehmender Engländer, der ein kleines Landhaus etwa
10 km nach Südosten auf der Höhe landeinwärts besaß, hat das-
selbe zu einer Krankenstation, Palmenhaus genannt, eingerichtet,
die aber keinen rechten Aufschwung nehmen will. Dagegen liegt
i) Gilt nicht mehr für 1907.
2 66 V, 2. Das Klima von Marokko.
25 km nach Nordosten von Mogador, 8 km vom Meer, eine Ört-
lichkeit, die alle Bedingungen zu einer ausgezeichneten Winter-
station in sich vereinigt: A'in el Hadjar. In lieblicher, waldreicher
Umgebung, in einer an Palmen und Fruchthainen reichen Land-
schaft, welche zahlreiche kleine Berberndörfer beleben, entspringt
dort unter einer Felswand die danach ,, Steinquelle" genannte
starke Quelle. Ihr Wasser könnte das ganze Tal in ein Paradies
verwandeln und, da sie eine Temperatur von 21,7° C hat, ein
auch im Winter zu benutzendes Badebecken speisen. Eine male-
risch von hohen Dattelpalmen beschattete Kubba auf einem
Felsen am Talrande ist heute das einzige Bauwerk im Tal, aber
Trümmer und verkommene Gärten zeugen von vergangenen
besseren Tagen. Schlackenhalden weisen auf uralten Eisenberg-
bau hin, den hier wohl die Phönizier betrieben haben, ein eigen-
artiges schmales Gebirge, das im Nordwesten aufsteigt, heißt
geradezu das Eisengebirge, Djebel Hadid. Die Örtlichkeit ist
so neben den klimatischen Vorzügen, die etwas abgestumpft die
gleichen wie in Mogador sind, vielseitig anziehend. Ich habe
mich dort in der Gesellschaft unsers liebenswürdigen Konsuls
von Maur, der dort mit seiner Familie Frühlingsaufenthalt zu
nehmen pflegt, im Zeltlager selbstverständlich, vier Tage auf-
gehalten und hoffe in kurzem wieder dort zu weiteren Forschungen
mein Zelt aufzuschlagen. Möge es deutschem Unternehmungs-
geist beschieden sein, an dieser Stätte einer uralten Kultur eine
Heilstätte für die leidende Menschheit ins Leben zu rufen!
VI. Anthropogeographische Studien.
i. Marokko als Kriegsschauplatz.1)
Oskar Peschel hat einmal geäußert, daß es sein Wunsch sei,
durch seine Vorlesungen auch zum Verständnis der Zeitgeschichte
beizutragen, indem er betonte, daß eine gute geographische Vor-
bildung vor allem auch dem Staatsmann, dem Volksvertreter und
dem Journalisten vonnöten sei. Derartige Vorstellungen waren es
wohl, welche den Herausgeber der Geographischen Zeitschrift ver-
anlaßten, mich zu ersuchen, mich über obige Frage zu äußern.
Indem ich das tue, muß ich allerdings vorausschicken, daß nach
der augenblicklichen Lage (14. September 1907) es sehr unwahr-
scheinlich ist, daß die Franzosen den tatsächlichen Kriegszustand,
in welchem sie sich zu ganz Marokko befinden, sich in einen er-
klärten werden weiterentwickeln lassen. Sie werden, wenn es
irgend geht, ihre Truppen ganz aus Casablanca zurückziehen
oder wenigstens keinen Vorstoß ins Innere vornehmen. Freilich
ist dann nicht zu verstehen, warum man ohne Not die Einge-
borenen zu dem Aufstande in Casablanca herausgefordert, warum
man ohne Not zu der Besetzung und Sühneforderung, die ohne
Blutvergießen hätten erfolgen können, die Beschießung mit allen
sich daran anschließenden Greueln hinzugefügt hat.
Obwohl Marokko doch immer erst, trotz der bewunderns-
werten Forscherleistungen der Franzosen, in den großen Zügen
bekannt und namentlich die Aufnahmen französischer Offiziere,
allen voran des Kapitän Larras, und die Ergebnisse der Küsten-
aufnahme noch unzugänglich sind, so kann man doch sagen, daß
I) Erschienen in der Geograph. Zeitschrift, Oktober 1907. — Bis
25. Januar 1908 haben die Franzosen den tatsächlichen Kriegszustand nicht
in den erklärten übergehen lassen und keine nennenswerten Vorstöße ins
Innere vorgenommen.
^68 VI, i. Marokko als Kriegsschauplatz.
es für ein europäisches Heer einen der schwierigsten Kriegs-
schauplätze bildet, die man sich denken kann. Ich selbst habe
auf meinen Reisen dieser Frage stets besondere Aufmerksamkeit
geschenkt, da ich die Erforschung der Landesnatur auch von
diesem Gesichtspunkte aus als eine der wichtigsten Aufgaben des
wissenschaftlichen Geographen ansehe. Und von Marokko kann
man ja geradezu sagen, daß dies Land in erster Linie seine nie
verlorene Unabhängigkeit dem Umstände verdankt, daß es für
einen fremden Eroberer ein außerordentlich schwieriger Kriegs-
schauplatz ist. Seine ganze politische Geographie wird, wenn ich
mich so ausdrücken darf, von seiner physischen beherrscht. Es
soll sich hier natürlich nur um eine kurze, die wichtigsten Seiten
der Frage andeutende Skizze handeln.
Zunächst ist auf die Abgelegenheit des Landes hinzuweisen,
die ihm in der Welt des Islam den Namen des äußersten Westens
und auch in religiösen Dingen große Selbständigkeit verschafft
hat. Doch hat sich dieser Zug seiner Lage und Weltstellung in
der Neuzeit wesentlich anders gestaltet, ja er ist in das Gegen-
teil verwandelt, denn heute liegt Marokko an der wichtigsten
Straße des Welthandels, es nimmt an der Beherrschung derselben
teil, und seine Küstenplätze am Ozean können wichtige Stütz-
punkte für friedliche und kriegerische Unternehmungen an der
Westküste Afrikas wie nach Mittel- und Südamerika werden.
Das hat also die Bedeutung des Landes gegenüber dem Mittel-
alter und Altertum außerordentlich erhöht.
Voll aufrecht erhalten, ja noch vergrößert hat sich aber der
zweite Charakterzug, seine Abgeschlossenheit und Unzugänglichkeit.
Diese gilt vor allem von der Küste. Diese erscheint gegenüber
den Anforderungen der Schiffahrt der Neuzeit als wesentlich un-
günstiger als früher. So buchtenreich dieselbe am Mittelmeere
auch ist, ein so nahes Gegengestade sie hat, so nahe sie der Pforte
ins Mittelmeer liegt, so entbehrt sie doch der natürlichen Häfen
in dem Maße, daß dort weder im Altertume noch im Mittelalter,
auch nicht zur Blütezeit von Fes, das in Luftlinie doch keine
120 km von der Mittelmeerküste entfernt ist, sich dort ein See-
platz zu größerer Bedeutung zu entwickeln vermocht hat. Ceuta,
dessen Handel sich vor der Besetzung durch die Portugiesen
(141 5) namentlich durch die Italiener sehr gehoben hatte, und
auch Tanger waren immer mehr Meerengenstädte als Häfen von
Abgeschlossenheit und Unzugänglichkeit. xÖQ
Marokko. Noch größer ist die Unzugänglichkeit der Ozeanküste.
Diese ist als ungegliederte Schollenküste zu bezeichnen. Selbst
auf der kurzen Strecke, wo man sie doch wohl als Querbruchküste
wird auffassen müssen, im Sus, ist nirgends Schutz für Schiffe,
denn Agadir, das man bisher als den verhältnismäßig günstigsten
Küstenplatz am Ozean glaubte bezeichnen zu müssen, ist, seit
man es genauer kennen gelernt hat, dieses Vorzugs entkleidet
worden. Die Küste ist eine überwiegend steile. Meist steigt sie
ioo m zur untersten Stufe des Atlasvorlandes empor und erscheint
sie auf lange Strecken wie mit einer felsigen Abrasionsterrasse ge-
panzert. Kleinere Buchten und Inseln fehlen so gut wie ganz,
selbst der z. T. in eine Insel verwandelte Haken von Mogador
schafft keinen sicheren Hafen. Daß zu allen Zeiten an der Stelle
von Casablanca ein wohl schon von den Phönikern zu einer ge-
wissen Bedeutung gebrachter Küstenplatz (Anfa) gelegen hat, ist.
abgesehen von der besonderen Fruchtbarkeit des Schwarzerde-
gebiets der Schauia, darauf zurückzuführen, daß dort den eine
breite Abrasionsterrasse bildenden steil aufgerichteten Devon-
schichten des Grundgebirges des Atlasvorlandes zwischen dünnen
Lagen von festen Schiefern und mächtigen Bänken von Sandstein
ein Schichtenkomplex weichen tonigen Gesteins eingelagert ist,
welchen die Brandung bei fast ununterbrochener starker Dünung an
der ganzen Küste ausgewaschen und somit eine Bucht, einen Zugang
zum Lande durch die Abrasionsterrasse geschaffen hat, die auch
bei Ebbe von den Leichtern benutzt werden kann, die die weit
draußen auf offener Reede Hegenden Dampfer mit dem Lande
verbinden. Aber auch Casablanca ist im Winter zuweilen wochen-
lang unzugänglich, und auch im Sommer müssen alle Dampfer
beständig unter Dampf liegen, um jeden Augenblick bei los-
brechendem Sturme das hohe Meer gewinnen zu können. Daß
die französischen Kriegsschiffe, die seit den ersten Tagen des
August die Küste bewachen, so gutes Wetter gehabt haben, ist
ein besonderer Glücksumstand. Die französischen Landungstruppen
hätten von vornherein damit rechnen müssen, daß sie zeitweilig
oder längere Zeit ohne Unterstützung seitens der Schiffskanonen,
ohne Zufuhr von Lebensmitteln, Schießbedarf, Verstärkungen hätten
aushalten müssen. Es war daher sehr verständig, daß Frankreich
die Durchführung seiner Eroberungspläne mit der Aufnahme der
Küste und einem Hafenbau in Casablanca begann. Daß es dieses
Fischer, Mittelmeerbildcr Neue Folge. 24
■2-jQ VI, i. Marokko als Kriegsschauplatz.
nur unter bewaffnetem Schutze werde durchführen können, das
hätte man wohl wissen müssen und hat man wohl auch gewußt.
Diese Unzugänglichkeit gilt aber weiter erst recht vom Innern
des Landes. Das Innere von Marokko ist, abgesehen vom Atlas-
vorlande und einem Teile des Mulujagebiets, durchaus gebirgig,
ja hochgebirgig, wenig wegsam und reich an natürlich festen
Stellungen. Selbst im Atlasvorlande, das man als eine in zwei
Stufen aufsteigende Ebene, die untere zwischen ioo bis 250 m,
die andere zwischen 400 und etwa 700 m Höhe ansehen kann,
fehlen solche nicht ganz. Zunächst ist der Aufstieg von der
unteren zur oberen meist ein so steiler, daß von den Karawanen
nur einzelne Talrinnen dazu benutzt werden. So die Wege von
Mogador, von Saffi, von Mazagan und Casablanca nach Marra-
kesch1). Das gilt auch von den Wegen nach Fes, von der Sebu-
Ebene aus, wo die steilen Aufstiege von Bab Tsiuka und Bab
Tisra-Djorf über Sidi Kassem, das am Ausgange der ungangbaren
Schlucht liegt, durch welche der Wed Rdem von der oberen
Stufe herabsteigt, für eine europäische Truppe kaum zu umgehen
sein dürften. Das sind also leicht zu verteidigende Stellungen.
Ja, das wilddurchschluchtete Hochland, in welchem der bei
Rabat mündende Bu Regreg und der Sebu-Nebenfluß Wed Beht
ihre Gewässer sammeln, ist so schwer zugänglich, daß es von
jeher im Besitze unabhängiger Berbernstämme gewesen ist und
stets die Grenze zwischen Nord- und Süd-Marokko gebildet, den
kürzesten Verkehrsweg zwischen Marrakesch und Fes unterbunden
hat. Diese beiden natürlichen Hauptstädte müssen selbstverständlich
die nächsten Ziele eines fremden Eroberers sein, nicht nur in ihrer
Eigenschaft als Hauptstädte, sondern wegen der Fülle ihrer eigenen
Hilfsmittel und derjenigen ihrer Umgebung, vor allem aber, weil
sie natürliche Knotenpunkte von Verkehrswegen sind, namentlich
beide die Ein- und Übergänge des Atlas beherrschen. Marrakesch
kr.nn mit Mailand verglichen werden.
1) An diesem hier noch reichlich 150 m hohen Aufstieg, der aber auch
hier durch das Erosionstal eines von der oberen Stufe herabkommenden
Flüßchens, des Wed Mussa, erleichtert wird, fanden denn auch die verhältnis-
mäßig blutigen Kämpfe um Mitte Januar statt. Settat, der wichtigste Ort
der Schauiastämme , das die Franzosen nach Ei zwingung des Aufstiegs an-
griffen , aber nicht erobern konnten , liegt 9 km hinter dem Aufstieg in
einer kleinen Talweitung des Wed Mussa, zu beiden Seiten von Höhen be-
herrscht.
Wegsamkeit des Atlasvorlandes. -in \
Sonst bietet das Atlasvorland dem Verkehr meist so geringe
Schwierigkeiten, daß Reiterei und Geschütze und selbst Kraftwagen
ohne wesentliche Wegbahnung in vollstem Maße in Verwendung
kommen könnten. Aber um so größer ist ein anderes Hindernis:
der Mangel an Wasser und teilweise selbst an Vorräten. Diese
letzteren, auf der unteren Stufe infolge der Bedeckung mit frucht-
barster Schwarzerde in ungeheuren Mengen vorhanden, v/erden in
unterirdischen Behältern, Matamoren, aufbewahrt, wo sich das Ge-
treide jahrelang trocken erhält. Aber diese Matamoren sind meist
mit Rücksicht auf die ewigen Fehden der Stämme untereinander
und die Plünderungszüge der Sultane selbst so versteckt angelegt,
daß ein europäisches Heer, das über den reichsten Vorräten
lagert, verhungern kann. Aber weit schwieriger ist die Wasser-
frage, der ich daher neben Boden und Anbau auf meinen Reisen
stets sorgsamste Beachtung geschenkt habe. Wie schon der Auf-
stand von Casablanca in letzter Stelle durch Wassermangel hervor-
gerufen worden ist, so sind im ganzen Atlasvorlande wegen seines
geologischen Aufbaus und der Geringfügigkeit der Niederschläge,
deren Höhe zwischen 400 und 200 mm liegt, Quellen sehr selten,
Brunnen ebenso, Flüsse fast an den Fingern zu zählen. Dazu
liefern viele Quellen und Brunnen untrinkbares Wasser. Der
Wassermangel ist gerade in den fruchtbarsten Gebieten der un-
teren Stufe so groß, daß diese überhaupt erst dauernd bewohn-
bar geworden sind durch Brunnengrabungen, oft bis 60, ja 100 m
tief, und Schaffung künstlicher Wasserbecken, die aber im Spät-
sommer auch meist trocken liegen. Die Wasserarmut ist so groß,
daß ein europäisches Heer, außer vielleicht während zwei bis
drei Monaten mitten in einem regenreichen Winter, sich nur längs
der großen Flüsse vorwärts bewegen könnte, die ihre Gewässer
im Gebirge sammeln und das ganze Vorland queren: Sebu, Um-
er-Rbia, Tensift. Diese sind infolge der Schneeschmelze im Hoch-
gebirge auch bis weit in den Sommer hinein wasserreich. Freilich
sind sie mit ihren tief und steil eingeschnittenen Tälern schwer
zugänglich und außerordentliche Verkehrshindernisse. Am meisten
die Um-er-Rbia, z. T. aber auch der Tensift, der allein und auch
nur einmal, nahe bei Marrakesch, überbrückt ist. Bei dem den
Kulturzustand Marokkos kennzeichnenden Fehlen aller gebahnten
Straßen und fast aller Brücken bilden im Winter selbst kleine
Flüsse so schwere Verkehrshindernisse, daß gelegentlich ein
24*
•r i y VI, I . Marokko als Kriegsschauplatz.
Heeresteil zwischen zwei geschwollenen Flüssen tagelang gefangen
gehalten werden könnte.
Die Eingänge in das Gebirge, den hohen wie den mittleren
Atlas, sind meist von engen Schluchten gebildet, durch welche
reißende Gebirgsflüsse in das Vorland eintreten. Das mag mit
der herrschenden Trockenheit zusammenhängen, infolge deren die
Tiefenerosion, die noch besonders durch die Steilheit, mit welcher
das Gebirge über dem Vorlande aufsteigt, meist steiler als die
Alpen über der Po-Ebene, erhöht wird, weit größer ist als die
allgemeine Abtragung.
Diese Schwierigkeiten werden aber noch erhöht durch die
Eigenart der Berbern, wenn irgend das Gelände es gestattet, auf
steilen Höhen in kreisförmigen Siedelungen zu wohnen, die da-
durch zu wahren Festungen werden, daß die Rückmauern der
kleinen steinernen Häuser aneinander anschließend die Ringmauer
bilden und nur ein Eingang in diese Festung führt. Oder aber
die Siedelungen liegen um ein gemeinsames, festes Vorratshaus
herum, in Marokko Tirremt genannt, das eine oft nur auf Treppen
und Leitern erreichbare Höhe krönt. Diese Tirremt erinnern an
Burgruinen Deutschlands und säumen in Marokko vielfach den
Rand des Gebirges und sperren die Eingänge in die Täler.
Auf diesen Geländeschwierigkeiten beruht es, neben der Freiheits-
liebe, Tapferkeit, Todesverachtung und Kriegstüchtigkeit dieser
Gebirgsberbern, daß dieselben niemals einem fremden Eroberer
unterworfen gewesen sind, ihre ethnische Eigenart und Sprache
bewahrt haben. Sie bilden auch heute den Hauptbestandteil der
Bled-es-Ssiba, des unabhängigen Gebiets.
Bei einer Eroberung Marokkos durch die Franzosen, an die
allein zu denken ist, würden allerdings noch andere Angriffslinien
in Frage kommen. Zunächst die gegen das Stammland der
Dynastie der Filali, die Oasengruppe von Tafilelt, die aber
jenseits des Atlas gelegen, mit schwieriger Verbindung mit dem
Atlasvorlande, von untergeordneter Bedeutung ist. Ihr rücken
die Franzosen durch ihre Eisenbahnlinie ohnehin täglich näher,
so daß schon heute der Handel von Tafilelt von Oran be-
herrscht wird.
Weit wichtiger, ja geradezu für die Franzosen die wichtigste
Angriffslinie ist aber die geologisch als Grenzlinie zwischen dem
Atlas- und dem Rifgebirge gekennzeichnete Tiefenlinie, welcher
Die Angriffslinie Tlemcen- -Udschda — Taza — Fes. 273
von einer Talwasserscheide westwärts zum Sebu der Tnnauen,
ostwärts zur Muluja der Msun folgt, die Linie Tlemcen — Udsch-
da— Taza — Fes. Sie erscheint gewissermaßen für die künftige
Verlängerung der heute schon das ganze Atlasgebiet von Tunis
über Algier bis Tlemcen durchziehenden Längsbahn von Fes bis
zum Ozean bei Mehedyia an der Mündung des Sebu von der
Natur geschaffen zu sein. Geländeschwierigkeiten sind von der
Grenze Algeriens bis Fes kaum vorhanden. Die Wasserscheide
wird in wenig über 600 m Höhe kaum merkbar überschritten.
Die Länge der ganzen Strecke beträgt etwa 350 km. Höchstens
die Wasserversorgung kann auch hier streckenweise schwierig
sein. Beherrscht wird diese Linie, wie uns zuerst ein Offizier
völlig klargelegt hat, der Marquis de Segonzac, durch die natür-
liche Festung Taza, die daher auch in der Kriegsgeschichte eine
Rolle gespielt hat und von den Eingeborenen geradezu als Fum
el Gharb (Tor des Westens) bezeichnet wird. Taza liegt auf
einem steilen, nur von einer Seite zugänglichen Bergrücken, der
gegen diese Tiefenlinie weit vorspringt. Aber der Besitz von
Taza würde zur Beherrschung dieser Linie nicht genügen. Es
gehört dazu auch die Beherrschung der anliegenden Gebirgs-
landschaften des mittleren Atlas und des Rif. Und diese sind von
besonders unbändigen, freiheitsliebenden Berberstämmen, den
Riata und den Tsul bewohnt. Diese müßten also erst gründlich
unterworfen werden und noch einmal und noch öfter. Das mag
die Franzosen bestimmt haben, von dieser Operationslinie ganz
abzusehen, so viel eine Zeitlang von ihr die Rede war, und so
sehr auch der Aufstand des Bu Hamara, der sich wesentlich auf
derselben bewegte, die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt hat.
Diese mehr ethnographisch bedingten Schwierigkeiten haben
diese Tiefenlinie auch in römischer Zeit keine Rolle spielen lassen.
Das römische Mauritania Tingitana war von Andalusien aus er-
obert und römisch kolonisiert worden. Es stand mit Mauritania
Caesareensis nicht etwa durch eine an diese Tiefenlinie gebundene
Römerstraße in Verbindung, sondern durch eine Wasserstraße längs
der Rifküste. Das Vorhandensein dieser erst in arabischer Zeit
als Verkehrslinie wichtig gewordenen Tiefenlinie erklärt aber die
in arabischer Zeit engen auch die Staatenbildung beeinflussenden
Beziehungen zwischen dem Atlasvorlande und dem, was wir heute
Algerien nennen, erklärt die heutige Zugehörigkeit des Muluja-
■yjA VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
gebiets zum Staate des Atlasvorlands. Sie kann in Zukunft die
eiserne Klammer bilden, welche wenigstens das nördliche Atlas-
vorland, El Gharb, ähnlich mit Algerien verbindet wie die Arl-
berglinie das schwäbische Vorarlberg mit dem bayrischen Tirol.
Schließlich wäre noch eine dritte Operationslinie mit Fes
als Ziel denkbar, nämlich von der Rifküste aus, von deren näch-
stem Punkte Fes ja, wie schon erwähnt, nur etwa 120 km ent-
fernt ist, etwa die spanischen Presidios Penon de Velez oder
Alhucemas als Stützpunkte. Hier ist im Mittelalter ein für Fes
wichtiger Verkehrsweg nach dem Küstenorte Badis vorhanden ge-
wesen, dessen Verhältnisse wir aber bis heute, auch durch Marquis
de Segonzac, nur ungenügend kennen gelernt haben. Tanger
wie Ceuta können als Stütz- und Ausgangspunkte von Kriegs-
unternehmungen niemals größere Bedeutung erlangen, genau wie
für den Handel. Sie haben kein Hinterland und liegen abseits.
Sie sind im wesentlichen Meerengenstädte. Größere Bedeutung,
aber auch nur für das Mulujagebiet, könnte Melilla erlangen.
jedenfalls ergibt sich aus dieser Skizze, daß Marokko ein
recht schwieriger Kriegsschauplatz ist, der ein großes europäisches
Heer viele Jahre lang fesseln und mancherlei nicht vorherzusehende
Zwischenfälle bieten könnte.
2. Die Völker des Mittelmeergebiets und ihre
weltpolitische Bedeutung.1)
Das Mittelmeergebiet steht seit Jahren im Vordergrunde der
Weltpolitik. Marokko, das doch auch zu den Mittelmeerländern
gehört, lenkt die Blicke der ganzen Welt auf sich, im Augenblick
zwar am meisten durch die Vorgänge an der Ozeanküste, aber
diese haben bereits zur Besetzung der östlichen Grenzstadt Udschda
durch die Franzosen geführt, in deren Nähe auch noch Bu
Hamara sein Wesen treibt, und welchen Widerhall die Vorgänge
in und um Casablanca in ganz Marokko, in den übrigen Atlas-
ländern und in der ganzen Welt des Islam finden werden, ist
1) Erschienen in der Internationalen Wochenschrift, September 1907.
Erscheint jetzt auch auf Wunsch des Smithonian Institution im Report to
Congress for the year IQ07.
Weltpolitische Bedeutung der Mittelmeerländer. ?j s
abzuwarten. Jedenfalls erwachsen England in Ägypten täglich
neue Schwierigkeiten. Kreta und Mazedonien bezeichnen tiefe
Kummerfalten im Antlitze der europäischen Diplomatie. Italien
als Mittelmeermacht glaubt sich, obwohl Glied des Dreibundes,
gedrängt, möglichst gute Beziehungen zu den Mittelmeermächten
England und Frankreich zu unterhalten, obwohl es die Lehren
einer dreitausendjährigen Geschichte, nach welchen Tunesien im
Besitz einer starken Macht eine unerträgliche Bedrohung Siziliens
und Sardiniens ist, durch das Festhalten am Dreibunde zu be-
herzigen scheint. England, Frankreich, Spanien schließen ein
Übereinkommen zur Wahrung ihres Besitzstandes im Bereich des
westlichen Mittelmeerbeckens und des benachbarten Ozeangebiets.
Wer bedroht dieselben? Das Deutsche Reich ist keine Mittelmeer-
macht, hat bisher auch in keiner Weise angedeutet, daß es eine
solche zu werden beabsichtige; aber es scheint zu genügen, daß
seine wirtschaftliche Entwicklung , lediglich aus seiner Macht-
stellung und den Kräften des Volkes heraus, auch im Mittelmeer-
gebiet sich geltend macht. In der Tat sieht man in allen Mittel-
meerhäfen die deutsche Flagge immer häufiger und auf immer
stattlicheren Schiffen wehen, die, sei es lediglich dem Waren-
verkehr, sei es vorwiegend der Beförderung von Reisenden dienen.
Immer größer und einflußreicher werden in allen Mittelmeerhäfen
die deutschen Kolonien, wie ich durch meine 35jährige Be-
schäftigung mit und Reisen in diesem Gebiet feststellen kann.
Die reichsdeutschen, neben denen die deutsch-österreichischen
weit zurückstehen, obwohl die Deutschen in Österreich dem
Mittelmeergebiet ja räumlich viel näher stehen und fast allein
die Interessen der habsburgischen Monarchie dort vertreten.
Innere Schwierigkeiten hindern sie, den zukunftsreichen Ländern
am östlichen Mittelmeer die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.
Österreich - Ungarn erschöpft sich schon seit langem auf der
benachbarten südosteuropäischen Halbinsel. Das große russische
Reich, dessen Politik in den letzten zwei Jahrhunderten unent-
wegt auf die Gewinnung eines offenen Tores ans Mittelmeer
gerichtet war, scheidet vorläufig aus denselben Gründen aus.
Gegenüber dem lebhaften Interesse, welches anscheinend alle
Völker Europas dem Mittelmeergebiet entgegenbringen, scheinen
die Bewohner desselben, soweit es sich nicht um ganz örtliche
Fragen handelt, völlig in den Hintergrund zu treten. Daß mau
2^5 VI, 2. Die "Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
sie zu wenig kennt, daß man sie wenig beachten zu brauchen
glaubt, hat schon wiederholt der europäischen Diplomatie und
den Völkern Europas recht unangenehme Überraschungen bereitet.
Die folgenden Ausführungen bezwecken daher ein in den großen
Zügen umrissenes Bild des bunten Völkergemisches an den Ufern
und in den Gestadeländern des Mittelmeeres, ihrer Verteilung
und Zahl zu entwerfen. Die Zahlen, die zusammenzustellen nicht
umgangen werden kann, sind nur abgerundete, wie es für diesen
Zweck auch genügt. Oder könnten andere genau angeben, wie
viele Berbern und Albanesen, ja selbst Griechen und Türken
es gibt?
Das wichtigste Ergebnis dieser Untersuchung, um dies vor-
wegzunehmen, wird ein dreifaches sein, nämlich:
1. Die Mittelmeerländer weisen ein ungewöhnlich buntes
ethnographisches Bild, eine große ethnische Zersplitterung auf.
2. Die Mittelmeerländer sind im allgemeinen sehr dünn
bevölkert, und die Menschen drängen sich allenthalben an die
Küsten.
3. Ein Drittel aller Bewohner der Gestadeländer des Mittel-
meeres gehört einem einzigen Volke an, dem italienischen.
Die Eigenschaft des Mittelmeergebiets, ein großer Kultur-
herd zu sein, der die menschliche Kulturentwicklung bis auf die
Gegenwart so nachhaltig beeinflußt hat, ist mit dem Mittelalter
immer mehr in den Hintergrund getreten. Die Römer hatten das
ganze Mittelmeergebiet staatlich geeinigt und zu einer großen
Lebensgemeinschaft ausgestaltet. In römischer Zeit waren alle
ethnischen Unterschiede von einer mehr oder weniger oberfläch-
lichen römischen bzw. im Osten hellenistischen Tünche verhüllt.
Die sogenannte Völkerwanderung, die sich aber hier bis zum Ende
des Mittelalters mehrfach wiederholt hat, hat an Stelle dieser in
langen geschichtlichen Vorgängen gewordenen verhältnismäßigen Ein-
förmigkeit die bunte Mannigfaltigkeit der Völkerkarte von heute
gesetzt. Die Einbrüche der Germanen haben, wenn sie auch
von der höheren römischen Gesittung aufgesogen wurden, auf
die romanischen Völker an der Nordwestecke des Mittelmeer-
gebiets, Italiener, Franzosen, Spanier, Portugiesen, tiefgreifenden
Einfluß ausgeübt. Die ganze Völkerkarte der Mittelmeerländer
ist dadurch eine andere geworden, aber z. T. nur scheinbar,
denn vielfach ist die Urbevölkerung nur unter einer neuen Sprache
Die Albanesen.
377
und Religion, die sie angenommen hat, verborgen. Man wolle
sich beispielsweise erinnern , daß die ganze bunt zusammen-
gesetzte Bevölkerung Kleinasiens, die keltischen Galater ein-
geschlossen, allmählich griechische Sprache angenommen hatte,
während heute dieselben Menschen alle vorzugsweise türkisch
sprechen. Aus den Zeiten vor der Völkerwanderung haben sich
so beides, ihre nationale Sprache und Eigenart, nur vier Mittel-
meervölker zu bewahren vermocht, die also als die ältesten an-
zusehen sind, dank dem gebirgigen, schwer zugänglichen, aber
auch wenig anlockenden Charakter ihres Wohngebiets, zwei da-
von aber auf geringe Reste zusammengeschrumpft und zum Ver-
schwinden in nicht ferner Zukunft bestimmt: Basken und Alba-
nesen. Trotzdem haben beide noch in der neuesten Geschichte
eine große Rolle gespielt. Die Basken waren die Träger der
karlistischen Aufstände in Spanien, die Albanesen spielen in der
orientalischen Frage eine große Rolle. Jene sind die Nach-
kommen der alten Iberer, die sich in den Tälern der westlichen
Pyrenäen und dem nach ihnen benannten benachbarten baskischen
Gebirge teils auf französischem, teils auf spanischem Boden, etwa
zwischen Bilbao und Bayonne, erhalten haben und durch Aus-
wanderung, besonders im ig. Jahrhundert in die La Plata-Staaten,
und Aufsaugung auf etwa xj% Million Köpfe zusammengeschrumpft
sind. Die Albanesen sind die Nachkommen der alten Illyrier,
die sich auch nur in einem Teile ihres früheren Wohngebiets,
den unzugänglichsten mittleren Strichen des großen gefalteten
Erdgürtels, welcher die ganze Westseite der südosteuropäischen
Halbinsel kennzeichnet, zu erhalten vermocht haben. Die langen
Kämpfe erst mit der slawischen Überflutung, dann mit den Türken,
vor deren Bedrückungen sie in Menge im 15. Jahrhundert nach
Italien und Griechenland auswanderten, haben sie nicht zum Ver-
schwinden gebracht. In Süd -Italien bis nach Sizilien zählt man
ihrer noch etwa 80 000, doch sind sie schon als ganz vom
Italienertum aufgesogen anzusehen oder im Begriff, es zu werden.
Noch mehr Albanesen dürften im Griechentum aufgegangen sein.
In Griechenland haben sich die albanesischen Viehzüchter und
Ackerbauer rasch zu Seefahrern entwickelt, so daß die Seehelden
des griechischen Freiheitskampfes z. T. Albanesen waren. Auch
in Süd -Albanien und Epirus gehen sie, soweit sie dem griechi-
schen Christentume gewonnen sind, willig im Griechentume auf.
2j8 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
Verhängnisvoll ist nämlich für sie, noch mehr wie die inneren
Kulturzustände, ihre ethnische Eigenart und diejenige ihrem Wohn-
gebiet entsprechende Zersplitterung in viele kleine, untereinander
vielfach in der Volksvermehrung nachteiliger Blutrache liegender
Clane und die religiöse Dreigeteiltheit : von Süden her zog sie
die griechisch - orientalische Kirche an , von Italien her die
römische, und die Türken gewannen sie z. T. dem Islam. Da-
durch wurden viele von ihnen als Soldaten und Beamte, oft in
hohen Stellungen, über das weite türkische Reich zerstreut. Diese
Zersplitterung läßt ihre Zahl von etwa i1/^ Millionen, trotz aus-
gezeichneter kriegerischer Eigenschaften, die sie im türkischen
Heere und als Helfer bei den türkischen Eroberungen eine große
Rolle hat spielen lassen — Albanesen bilden noch heute die
Leibwache des Türkensultans — noch weniger ins Gewicht fallen.
Jedenfalls sind sie, obwohl wenig botmäßig, als eine Hauptstütze
der türkischen Herrschaft im Westen der Halbinsel anzusehen,
während Italien die katholischen Albanesen, deren Priester meist
in Rom ausgebildet werden, für sich zu gewinnen und damit
festen Fuß auf der Halbinsel zu fassen bemüht ist: einer der
Gegensätze gegen die Monarchie der Habsburger.
Ethnisch als Reste der vorrömischen Urbevölkerung sind
auch die über die südosteuropäische Halbinsel, namentlich als
Wanderhirten verstreuten und namentlich auch in etwas zu-
sammenhängenderem Wohngebiete im Pindus und in den Ge-
birgen nördlich davon erhaltenen noch Romanisch sprechen-
den Reste anzusehen, die Aromunen, Zinzaren oder Wlachen.
Im 12. Jahrhundert hatten sie noch einen großen Teil von
Thessalien inne, das damals die große Walachei genannt wurde.
Sie entbehren des romanisch nationalen Bewußtseins meist, sind
griechische Christen und neigen zum Griechentum. Viele sind
dreisprachig (neben Romanisch, Türkisch und Griechisch). Doch
treten auch sie, wenn sie auch kaum 200 000 Köpfe zählen dürften,
neuerdings politisch hervor, indem Sendboten aus Rumänien,
namentlich die mazedonischen Wlachen dem griechischen Einfluß
zu entziehen bemüht sind.
Auch in Klein -Asien gibt es noch bedeutende Reste der
Urbevölkerung , welche sich heute , weil sie ihr griechisches
Christentum bewahrt haben, für Griechen halten und selbst durch
Gründung griechischer Schulen und Berufung griechischer Lehrer
Die Berbern. Ihre kulturelle Glanzzeit.
379
hellenisieren. Ebenso sind viele, ja nach dem Urteil der besten
Kenner die Mehrzahl der sogenannten Türken Klein-Asiens oder
Angehörige mohammedanischer Sekten ethnisch als Reste der
Urbevölkerung anzusehen. Und die im 3. Jahrhundert v. Chr.
eingewanderten Kelten (Galater) in der Nordhälfte des inneren
Hochlands sind, wenn auch Mohammedaner und Türkisch sprechend,
in ihrem physischen Typus, an ihren lichtbraunen Haaren, blauen
oder grauen Augen noch deutlich erkennbar und leicht zu unter-
scheiden von den Kappadokiern, auch „Türken", mit tiefschwarzem
Haar, schmalem Gesicht und eigentümlicher Nase.
Ganz anders stehen diesen im Verschwinden begriffenen
Völkern zwei andere zur Urbevölkerung zu rechnende gegenüber:
Berbern und Griechen.
Die Berbern, welche zur hamitischen Völkergruppe gehören,
sind ein außerordentlich anziehendes, aber in seiner Sprache und
Eigenart noch zu wenig erforschtes Volk, weil sie selbst bis heute
mit rücksichtsloser Tatkraft alles Fremde von sich fern halten.
Ihr Hauptwohngebiet, die Atlasländer oder Klein - Afrika, nannte
man früher meist nach ihnen die Berberei, eine Bezeichnung,
die ganz unberechtigterweise in neuerer Zeit außer Gebrauch zu
kommen scheint. Meist braucht man an Stelle des Namens
Berbern die von den Franzosen in Algerien verbreitete Bezeich-
nung Kabylen. Dies Wort bedeutet eigentlich nichts weiter als
Stamm. Man bezeichnet in erster Linie als Kabylen die ziem-
lich rein erhaltenen Berbern der hohen Küstengebirge Algeriens
östlich von Algier und benennt danach das Gebirgsland des
Dj. Djurdjura große, das Gebirgsland östlich von Bougie kleine
Kabylei.
Die Berbern haben schon einmal, im arabischen Mittelalter,
eine große politische und kulturelle Rolle gespielt, sie werden
auch in Zukunft wieder eine solche spielen, wie in diesem Augen-
blick ja sich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt ihnen zu-
wendet.
Überwiegend aus Berbern zusammengesetzte Heere waren
es, welche Sizilien und Spanien eroberten. Berbern spielten
unter den „arabischen" Gelehrten, Künstlern usw. jener Zeit eine
große Rolle. Die Aghlabiten in dem von den Arabern unter
Sidi Okba 669 n. Chr. gegründeten Kaiman, unter denen im
9. Jahrhundert wissenschaftliches Leben anhebt, sind Berbern.
280 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
Auch von den Fatimiden, die seit Beginn des 10. Jahrhunderts
in Mahedia herrschten, gilt dies. Ebenso von den Ziriden,
welche an Stelle der Fatimiden Tunesien verwalteten , als diese
ihren Herrschersitz nach Ägypten verlegten.
Die Sekte der Almoraviden, zum Islam bekehrte Wüsten-
berbern, eroberte 1060 n. Chr. unter Abu Beker Marokko. Dessen
Nachfolger Yussuf Ben Taschfin gründete Marrakesch und bildete
aus dem heutigen Marokko mit dem westlichen Algerien ein
großes Reich, dem er auch Spanien angliederte. Noch weiter,
von Tanger bis Barka, reicht die Herrschaft der Almohaden (seit
1145), einer andern wesentlich berberischen Sekte und Dynastie.
Diese Glanzzeit der berberischen Dynastien dauert bis 1 26g.
Zum Teil in ihren Diensten breiten sich in dieser Zeit die ein-
gewanderten arabischen Stämme immer weiter aus und drängen
den Berbern als Träger des Islam ihre Sprache und zum Teil
ihre Sitten auf. Auch die Reiche und Dynastien der Meriniden
in Fez, der Zianiten in Tlemcen, des Hafsiden in Tunis (seit
1228) sind wesentlich berberisch. In den unaufhörlichen Kämpfen
derselben untereinander beginnt der Verfall, der im 15. Jahr-
hundert so rasch fortschreitet, daß bald allgemeine Anarchie
herrscht, die im 16. Jahrhundert den Türken die Unterwerfung
Algeriens und Tunesiens erleichtert, während Marokko sich seit-
dem immer mehr als selbständiger und unabhängiger Staat ab-
sondert. Die ewigen Fehden der Stämme untereinander, das
Halbnomadentum vieler haben noch vielfach in den letzten Jahr-
hunderten Verschiebungen der Stämme oft auf große Entfernungen
hin hervorgerufen.
Auch vergesse man die hohe Blüte des heutigen Tunesien
und eines großen Teils von Algerien in römischer Zeit nicht,
denn die Römer waren in verhältnismäßig geringer Zahl als
Soldaten und Beamte nur die Träger römischer Kultur. Massen-
ansiedelung fand nicht statt. Die Mehrzahl der Bevölkerung
trägt punische und berberische Namen, wenn auch etwas latini-
siert. Was an Kulturleistungen aus jener Zeit noch erkennbar
ist, ist den Berbern zuzuschreiben. Auch leisteten dieselben,
ganz abgesehen von den früheren Kämpfen, den Römern außer-
ordentlich zähen Widerstand. Den Aufstand des Tacfarinas z. B.,
der freilich in römischem Kriegsdienste geschult war, von
17 — 24 n. Chr. niederzuwerfen kostete den Römern große An-
Wohngebiet und Herkunft der Berbern. 7$ j
strengungen. Und ähnlich war es beim Einbruch der Araber,
die zuerst 647 in Tunesien erschienen, das sie bis 669 unter
dem Namen Ifrikia völlig unterwarfen und als Provinz organisierten.
Aber schon 685 wird Okba von dem Berbernfürsten Koce'ila ge-
schlagen und getötet — jeder Besucher von Biskra besucht auch
sein Grab in der kleinen Nachbaroase Sidi-Okba — die Araber
wieder völlig aus Ifrikia verdrängt, wo Koce'ila seinen Herrscher-
sitz in dem von Okba begründeten Kairuan aufschlägt und das
ganze östliche Atlasgebiet in einem Reiche einigt. Er erliegt
690 einem neuen Einfalle der Araber, aber die Fürstin Dina der
Zenata im östlichen Auresgebirge, gewöhnlich Kahena (Priesterin)
genannt — daß eine Frau eine solche Rolle spielen kann, ist
auch echt berberisch, auch andere Berbernstämme hatten Frauen
als Königinnen — organisierte den Widerstand, vertrieb die
Araber von neuem, erlag aber 703, von den immer wieder in
sich zerfallenden Berbern verlassen, einem neuen Anstürme der
Araber. Jetzt wurden 1 2 000 gewaltsam zum Islam bekehrte
Berbernkrieger dem arabischen Heere einverleibt. Die zu machende
Beute und die Klugheit, mit welcher die Araber die Interessen
der Berbern mit ihren eigenen zu verknüpfen verstanden, brachten
von nun an viele Berbern zu freiwilligem Anschlüsse. Auch Tarik,
der Sieger über die Westgoten, war ein Berber.
Die Berbern bewohnten bis weit in vorgeschichtliche Zeit
hinein ihr heutiges Wohngebiet, das mediterrane Nord -Afrika
vom Roten Meere bis an den Ozean und auf die Kanarischen
Inseln, wenn sie auch aus Teilen desselben verdrängt bzw. unter
dem Einfluß des Islam ihrer Sprache zugunsten des Arabischen
beraubt und auch sonst bald mehr, bald weniger arabisiert worden
sind. Am reinsten haben sie sich überhaupt in den Gebirgen,
ganz besonders aber denen des abgelegenen, abgeschlossenen
Marokko erhalten, dessen Bevölkerung nicht, wie man früher
wohl annahm und oberflächliche Beurteiler noch heute annehmen,
aus Arabern, sondern fast ausschließlich aus Berbern besteht.
Die Frage , ob die Berbern aus Vorder - Asien oder aus
Europa in ihr Wohngebiet in vorgeschichtlicher Zeit eingewandert
sind, ist viel erörtert worden, dürfte sich aber der Entscheidung
für letzteres nähern. Wenn sich neuerdings der französische
Arzt und Anthropologe Bertholon auf Grund der Erforschung
der vorgeschichtlichen Altertümer Nord -Afrikas der Ansicht zu-
,82 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
neigt, daß die Erbauer der rnegalithischen Denkmäler (Dolmen,
Menhir) Tunesiens und Ost-Algeriens derselben Rasse angehören,
welche in Europa ähnliche Denkmäler hinterlassen hat, so spräche
dies für eine Einwanderung aus Europa. Auch hat man jetzt
aus der auffälligen Übereinstimmung gewisser Geräte auf Ver-
wandtschaft der Berbern mit den Basken geschlossen und diese
Verwandtschaft auch aus sprachlichen Gründen gefolgert. Der
hervorragende französische Nord-Afrikaforscher Ch. Tissot spricht
sich namentlich für Einwanderung aus Europa aus, weil der
blonde Typus der Berbern südlich der Straße von Gibraltar am
häufigsten sei, von da nach Osten seltener werde. Die Zeit der
Einwanderung müsse man vor 1 500 v. Chr. setzen, da schon die
Denkmäler der 19. Dynastie in Ägypten die Libu als ein blondes
und blauäugiges Volk darstellen.
Die Berberstämme der Djuala und der Uled Hannech in
Algerien, die Krumir Nord -Tunesiens, die Schaamba der alge-
rischen Sahara errichten noch heute Grabstätten, welche den
megalithischen ähneln. Das von Algier aus so viel besuchte sog.
Grab der Christin, tatsächlich das Grab berberischer Fürsten,
und der sog. Medracen, ein etwas älteres Grab berberischer
Fürsten (Massinissa?) jetzt in völliger Einöde zwischen Constantine
und dem Auresgebirge, sind nichts als die vollendeten Formen
dieser megalithischen Grabstätten. Auch bedienen sich die Zelt-
bewohner Tunesiens noch heute derselben Typen von Ton-
gefäßen, wie sie in den megalithischen Grabkammern gefunden
werden. Auch sonst lassen sich noch vielfach uralte europäische
Einflüsse erkennen. Gewisse Unterschiede auch im physischen
Typus der Berbern lassen sich weit zurückverfolgen, nach welchen
man auch die Namen der Alten, die eigentlichen Berbern von den
Libyern, von den Afri, deren Name noch von Tunesien aus dem
Erdteile anhaftet, von den Maxyes, deren Name noch in der natio-
nalen Bezeichnung der Tuareg (Imoschagh) erhalten ist, und von
den Gätuleren des südwestlichen Atlasgebietes zu unterscheiden
habe. Diese Stammeszersplitterung hat sich bis in die Gegen-
wart erhalten und schon oft als verhängnisvoll erwiesen. Viele
schon von Ptolemaios im heutigen Marokko genannte Stämme
sind noch heute dort nachweisbar. In den Mazikes erkennen
wir die Masig (Sing. Amasig, Plur. Amasigen), den Volksnamen,
welchen sich die Berbern des Nordwestens von Marokko selbst
Das Wohngebiet der Berbern. 2 g 2
beilegen. Seine Autololes sind die Ait Hiläla, seine Macenites
die Miknärza, die Baenatae die Berguäta, und den Namen Mauren,
nach welchem im Altertum Marokko Mauritania hieß, leiten Tissot
und Quedenfeldt von dem semitischen Maurim her, was wörtlich
übersetzt der Bezeichnung entspricht, welche sich die Marokkaner
jetzt vielfach selbst beilegen: el-garbaua, die Leute des Westens.
Der Name Berber war schon vor Ankunft der Griechen und der
Römer in Nord-Afrika vorhanden und haftet heute noch speziell
als zusammenfassender Name Bräber oder Beräber an den
Stämmen im mittleren und hohen Atlas Mittel -Marokkos. Von
ihnen unterscheidet man die des Südwestens als Schlu oder
Schlöh, die des Nordens als Amasigen oder Amazirghen. Wie
im Altertum gibt es noch heute in Nubien Berabra. Das Somal-
land hieß Barbaria und ein anderes Berbernland lag in Tro-
glodytien zwischen dem Nil und dem Roten Meere südlich des
Hafens Berenike. Diese Namen deuten auf die ehemalige Ver-
breitung der Berbern hin. Auch Schädelmessungen der alten
Ägypter zeigen Übereinstimmung mit den Berbern. Daß die
Guanchen der Kanarischen Inseln Berbern waren , wird wohl
heute von niemand mehr bezweifelt. Berberische Inschriften sind
von Cyrenaika, das heute von Arabern bewohnt ist, bis zu den
Kanarischen Inseln und tief in die Sahara hinein gefunden worden.
Das heutige Wohngebiet der Berbern reicht von den Oasen
der Libyschen Wüste bis an den Ozean und umfaßt die ganze
westliche Sahara bis zur Gebirgsoase von Air und zum Nigerknie
bei Timbuktu und bis zum Senegal, der seinen Namen ja dem
noch heute eine berberische Mundart sprechenden Berberstamm
des Zenaga verdankt, die erst seit dem 16. Jahrhundert aus den
südlichen Atlastälern dorthin ausgewandert bzw. verdrängt worden
sind. Alle die sog. maurischen Stämme, mit welchen die Fran-
zosen in den letzten Jahren vom Senegal aus zusammengestoßen
sind, sind mehr oder weniger reine Berbern. Die Tuareg der
westlichen Sahara, die jetzt auch als den Franzosen unterworfen
gelten können, sind wohl erst im Mittelalter in die Wüste ge-
drängte Berbern, die zu den am wenigsten vermischten gerechnet
werden müssen. Unablässig in ihrem an Hilfsmitteln so armen
Wohnräume mit dem Hunger kämpfend, der sie zu Wüsten-
räubern gemacht hat, ist ihre Zahl auch erstaunlich gering. Nach
neuesten französischen Schätzungen sollen ihre beiden größten
384 ^Ij 2- ^e Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
Stämme, die Hogar nur 1200, die Asdscher nur 300 Krieger
stellen können. Ihre Sprache ist rein von arabischen Worten.
Sie besitzen auch eine eigene Schrift, die aber nur zu Inschriften
auf ihren Schilden, auf Felsen und zu Versen bei gelegentlichen
Festen dient. Auch die Schaamba in der algerischen Sahara,
die bisher kaum bessere Wüstenräuber waren, jetzt aber völlig
unterworfen sind, sind Berbern. Ebenso die Bewohner der vor
kurzem von den Franzosen unterworfenen Oasengruppen von
Tuat, Gurara und Tidikelt. Sie gehören dem alten Berbern-
stamme der Zenata an. Auch ihre Zahl ist, als ein Ausdruck
der Armut auch dieses Gebiets, nicht, wie man annahm, 400 000,
sondern nur 60 000. Auch die Bewohner der Oasen des Wed
Rir sind berberisch sprechende Berbern, ebenso die der tune-
sischen Sahara und des ganzen mit kleinen Oasen besetzten, im
Bogen von der Kleinen Syrte bei Gabes bis zum westlichen Ein-
gange in die Große Syrte bei Misrata verlaufenden gebirgsartig
gegliederten Steilabsturzes der großen Wüstentafeln sind reine
Berbern. Ebenso die halbnomadischen Stämme in dem den
Ozean begleitenden Hügellande südlich vom Atlas bis zum Kap
Juby, heute zu Marokko gerechnete Landschaften. Das wichtigste
Wohngebiet der Berbern sind aber die Atlasländer, obwohl man
bis vor kurzem nach dem Vorherrschen der arabischen Sprache,
und weil namentlich die Franzosen, die lange Zeit den ver-
hängnisvollen Irrtum begangen haben, Araber und Berbern nicht
unterscheiden zu können, allgemein nur von Arabern sprachen,
dort kaum etwas anderes sah, als Araber. Und doch sind beide
Völker im physischen Typus und geistiger Eigenart so grund-
verschieden !
Die Zahl der wirklichen Araber ist in ganz Nordwest-Afrika
eine sehr kleine. Schon die Eroberer und Einwanderer waren
sowohl an und für sich wie gegenüber der berberischen Bevölke-
rung, die sie vorfanden, gering an Zahl. Wo hätten auch große
Menschenmengen, wirklich wandernde Völker, aus dem menschen-
armen Arabien herkommen sollen? Jahrhundertelang handelte es
sich nur um Kriegsheere, die sowohl an und für sich wie nach
unsern heutigen Begriffen klein waren und ihre Erfolge lediglich
den Ideen, deren Träger sie waren, der fanatischen Begeiste-
rung, die sie durchdrang, aber auch der ohnmächtigen Zersplitte-
rung und Verkommenheit verdankten, die sie vorfanden. Erst
Die Berbern Tunesiens. ?8<%
um 1050 n. Chr. fand eine Einwanderung in großem Maßstabe
statt, die der mittelarabischen Wanderstämme der Uled Hilal und
Uled Sole'im, die aber allerhöchstens 250000 Köpfe betragen hat.
Mit diesen Wanderhirten beginnt erst die Verwüstung des Landes.
Sie verteilte sich z, T. auch über die Sahara. Die Araber be-
setzten als Herdenzüchter vorzugsweise die Ebenen und offenen
Landschaften und drängten die Berbern in die Gebirge. Sie
rückten allmählich bis in den äußersten Westen, in die Ebenen
des Atlasvorlandes von Marokko, vor, wo noch heute arabische
Stämme, wie die Amar etwas südlich von Tanger, die Khlot und
Tliq zwischen El Ksar und Larasch, die Howara im Sus, die
Uled Delim südlich vom Tensift, sich so weit rein erhalten haben,
daß man sie an ihrem physischen Typus erkennt, wenn sie auch
vieles Berberische aufgenommen haben. Sie sind auch bis heute
Nomaden geblieben oder haben sich höchstens unter dem Ein-
flüsse der günstigeren Landesnatur zu Halbnomaden aufge-
schwungen. Wie groß heute die Zahl der wirklichen Araber in
den Atlasländern ist, ist sehr schwer zu sagen. In Tunesien hat
sie neuerdings Hamy unter etwa i1/^ Millionen Einwohnern auf
60000 geschätzt. Die Stämme der Hamema in Süd-Tunesien,
in der Umgebung von Gafsa, die Riah zwischen Ed Djem und
Medjez el Bab sind Araber. Gerade in Tunesien, das vorwiegend
offenes, leicht zugängliches Land ist, konnte die Vermischung
beider Rassen und die Arabisierung der Berbern am raschesten
fortschreiten, wenn auch das berberische Element ethnisch heute
bei weitem überwiegt, obwohl tatsächlich, neben den Bewohnern
der Insel Djerba und der Berge des südtunesischen Arad, nur
noch einige Dörfer Nord-Tunesiens auf dem Gebiet des bei der
Besetzung durch die Franzosen so viel genannten Großgrund-
besitzes der Enfida nordwestlich von Susa an der Ostküste
(Tacrüna, Djerada, Zriba) die berberische Sprache bewahrt
haben. Ihre Mundart ist der der Schauia des Auresgebirges
ähnlich. Aber der physische Typus der Mehrzahl der Be-
wohner, die Sitten sind noch dieselben, wie sie uns Sallust
und Pomponius Mela beschreiben. Die Gurbi (Reisighütten) sind
Sallusts Mapalia. In Algerien, wo die Franzosen es unter-
lassen haben, das Zahlenverhältnis zwischen Arabern und Berbern
klarzustellen, auch nachdem sie beide zu unterscheiden gelernt
hatten, hat ein Kenner behauptet, daß ihre, der Araber, Zahl
Fischer, Mittelmecrbilder. Neue Folge. 25
386 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
so gering sei, daß sie in nicht ferner Zeit ganz verschwinden
würden. Ähnliches gilt von Marokko. Nur wird diese Tatsache
weniger hervortreten, weil viele Berberstämme so weit arabisiert
sind, daß sie nicht nur ihre Sprache aufgegeben und vielfach
arabische Sitten angenommen haben , sondern sich selbst für
Araber halten und ausgeben. Das beobachtete ich bei dem
mitteltunesischen halbnomadischen Stamme der Freschisch, der
Nachkommen der Frexes, die seit zweitausend Jahren die gleichen
Wohnsitze haben, und in deren Zeltlagern ich 1886 gastfreund-
liche Aufnahme fand. Auch ihre Nachbarn, die Madjer, die
Matmata und die Urghemma, eigentlich ein Bund von Stämmen,
weiter nach der Sahara hin sind Berbern. Sehr rein scheinen
sich die Bewohner der Kerkenah- Inseln und von Djerba er-
halten zu haben. Letztere sprechen unter sich nur Berberisch.
Auch die vielgenannten Krumir und die Mogod im Gebirge
am Nordrande Tunesiens sind Berbern. Jene zählen freilich
nur 6500, diese 5900 Köpfe. Selbst die wegen ihrer wilden
Freiheitsliebe bekannten Rhiata, die Wächter des wichtigen
Verkehrswegs , welcher auf der geologischen und orographi-
schen Grenze zwischen dem Rifgebirge und dem marokka-
nischen Atlas von Fez nach Osten das Stromgebiet der Muluja
mit dem Atlasvorlande von Marokko verbindet, sehen sich für
Araber an, obwohl sie reine, typische Berbern sind und z. T.
noch Tamazirt sprechen. Wie sich diese Arabisierung vollzieht,
kann man in der Umgebung von Tanger recht gut beobachten.
Die ganze Umgebung von Tanger, alle Dörfer im Angesicht der
Stadt, ist von der Regierung in den letzten 100 — 200 Jahren
mit Militärkolonien besiedelt worden, die aus dem Rifgebiet
stammen und fast alle noch ihre dortige Zugehörigkeit kennen.
Sie bilden jetzt einen neuen Stamm, die Fah^ya. Dadurch, daß
sie wirtschaftlich ganz von Tanger abhängig sind, zu dessen
Schutze sie angesiedelt sind, nehmen sie mehr und mehr arabische
Sprache an, nur die Dörfer am Südhange des kleinen Tafel-
rückengebirges westlich von Tanger, auf dessen Westende der
Leuchtturm des Kap Spartel steht, des Djebel el Kebir, in Tanger
meist spanisch Monte genannt, sprechen noch Berberisch, da sie
etwas abseits liegen. Aber die Bauart der Dörfer, die Sitten
und Einrichtungen, der physische Typus der Leute, unter welchen
sich viele mit braunen oder blonden Haaren und blauen Augen
Die Arabisierung der Berbern. ^87
finden, ist ganz berberisch. Die Marktleute, welche die Be-
sucher von Tanger sehen und für „Araber" halten, sind ganz
reine Berbern. Wenn man einen dieser Bauern wie einen deut-
schen Bauern kleidete, niemand würde zweifeln, einen solchen
vor sich zu haben. Naturgemäß sind so auch der Bevölkerung
von Tanger viele berberische Elemente beigemischt. Auch die
Stämme , welche das Hinterland der jetzt so viel genannten
Küstenstädte Marokkos am Ozean bewohnen, sind alle mehr oder
weniger reine Berbern und z. T. Halbnomaden. So die Schauia
um Casablanca, die Dukkala um Masagan, die Schedma um
Mogador, die Semmur und Zair um Rabat, die Beni Ahsen am
unteren Sebu; weiter ins Gebirge hinein die Zaian, Geruan, Beni
Mgild, Beni Mtir, Beni Uarain, welche de Segonzac die häß-
lichsten unter allen Berbern nennt, die Ait Yussi u. a. Einzelne
dieser Stämme steigen im Sommer mit ihren Herden höher und
tiefer ins Gebirge hinein, sind so sehr beweglich und schwer zu
fassen. Sie vermögen jedem überlegenen Feinde, wie die Sultans-
heere so oft erfahren haben, auszuweichen und ihm an geeigneten
Stellen ungeheure Verluste beizubringen. Ait (Söhne) ist die echt
berberische in Mittel- und Südwest - Marokko noch herrschende
Stammesbezeichnung, während im Norden das arabische Beni, im
Osten Uled vorherrscht.
In Algerien haben die Franzosen ganz außerordentlich zur
sprachlichen Arabisierung der Berbern beigetragen, indem sie alle
Eingeborenen jahrzehntelang für Araber hielten und ihnen durch
die Verwaltung, Gericht, Pflege des Islam usw. geradezu die
arabische Sprache aufdrängten. Noch 1859 schätzte der gründ-
liche Kenner der Berbern, Hanoteau, die Zahl der Berbern in
Algerien auf 850000, also die damalige Mehrzahl der eingeborenen
Bevölkerung, während er nur 1/6 den wirklichen Arabern zu-
rechnete. Dagegen ist heute die berberische Sprache fast auf
die Gebirge, den Dj. Djurdjura und den Dj. Aures beschränkt,
aber von einer Französisierung der Berbern noch keine Spur
vorhanden. Von Marokko sagt ein Kenner wie der Marquis de
Segonzac, daß es wirkliche Araber dort nicht mehr gebe. Man
darf aber nicht annehmen, daß sich die Anähnlichung beider
grundverschiedener Völker stets friedlich vollzogen habe. Im
Gegenteil, wir haben wohl die ewigen Fehden und Bürgerkriege
beispielsweise selbst unter den „Arabern" in Sizilien vielfach auf
25*
388 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
Rassenhaß zurückzuführen. Selbst in Marokko hat sich die
Herrschaft der heute dort herrschenden arabischen Schürfa von
Tafilalet stets nur auf die arabischen und arabisierten Stämme
erstreckt. Es wird behauptet, daß die Arabisierung bei den
sonst sittenstrengen Berbern auch stets einen Verfall der Sitten
hervorrufe. Namentlich wird die ganz auffällige Sittenlosigkeit
der Djebala, der Gebirgsstämme des westlichen Rifgebietes, also
südöstlich von Tanger, deren Wohngebiet heute allein in ganz
Marokko fast noch unerforscht ist, auf die Arabisierung zurück-
geführt.
Die Berbern sind eine körperlich außerordentlich kräftige
und leistungsfähige Rasse, schlank, von etwas über Mittelgröße,
muskulös, aber ohne Neigung zur Fettbildung, die nur bei den
jungen Mädchen einzelner Stämme künstlich gefördert wird. Im
Ertragen von körperlichen Anstrengungen und Entbehrungen, in
Witterungsunbilden in Hitze und Kälte leisten sie Erstaunliches,
ganz besonders sind sie hervorragende Fußgänger. Die berbe-
rischen Eilboten, welche die deutsche Post in Marokko befördern,
legen unglaubliche Strecken zurück, bis zu 120 km in 24 Stunden.
Wenn meine mich zu Fuß begleitenden Leute 40 — 45 km mar-
schiert waren, barhäuptig und mit glatt geschorenem Schädel bei
gelegentlich bis 7 2° C in der Sonne, zeigten sie keine Spur von
Ermüdung. In welchem Maße sie, im grellsten Gegensatz zu
dem trägen Araber, Körperübungen lieben, sieht man daraus, daß
Ballspiele bei ihnen sehr beliebt sind, ja allenthalben wie bei
uns Sportgesellschaften bestehen, für Schießen, Fechten u. dgl.
Der kriegerische Sinn der Berbern äußert sich auch in den
ewigen Räubereien und den Stammesfehden der Stämme unter-
einander. Diese Räubereien haben zuweilen einen ritterlichen
Anstrich. Der schon länger bestehende stetig wachsende Haß,
dessen sich die Franzosen erfreuen, bestimmte vor einigen Jahren
eine Gruppe von Angehörigen des Stammes der Za'ir, einem von
Casablanca nach Rabat reisenden Franzosen die Pferde zu stehlen.
Um dies zu können, mußten sie, da derselbe in einer von hohen
Mauern umschlossenen Kasba übernachtete, ein Loch in die
Mauer brechen, die Pferde fesseln und durch das Loch ziehen.
Als sie am andern Tage entdeckten, daß die Pferde einem
Deutschen gehörten, gaben sie sie zurück. Bei denselben Za'ir
gilt es als höchster Sport dem Sultan, wenn er in der Nähe
Physischer Typus der Berbern. 28g
ihres Gebietes inmitten seines Heeres lagert, Wertgegenstände
aus seinem Harem zu stehlen. Zu diesem Zweck gleiten sie wie
Schlangen völlig nackt unter den Zeltdecken durch.
Die ewigen Stammesfehden werden in Marokko geflissentlich
von der väterlichen Regierung unterhalten, um alle zu schwächen
und zu beherrschen. Man übergibt einen Stamm, dem man nicht
wohlwill, einem oder mehreren andern zum „Aufessen". Da
diese dies Geschäft so gründlich wie möglich unter Verübung
der größten Scheußlichkeiten ausführen, so ist auf lange Zeit für
unversöhnlichen Haß gesorgt. Der Gegensatz zwischen den durch-
aus landbewohnenden bäurischen, kriegerischen Berbern und den
verweichlichten maurischen Städtebewohnern ist zugleich ein
ethnischer und vielleicht noch größer als zwischen einem biederen
deutschen Bauern und einem sozialdemokratisch verseuchten
Großstadtarbeiter. Das erklärt, mit welchem Behagen bei sich
bietenden Gelegenheiten die Küstenstädte ausgeplündert werden.
Die Berbern besitzen alle körperlichen und Charaktereigen-
schaften, um ausgezeichnete Soldaten zu werden: hochgradige
persönliche Tapferkeit und Todesverachtung, Nüchternheit; und
die Franzosen würden sie schon lange im großen ins Heer ein-
gereiht haben, wenn sie nicht guten Grund zu der Annahme
hätten, daß sie sich damit nur ein feindliches Heer großzögen,
sie begnügen sich daher mit einigen tausend Mann. Namentlich
bilden Berbern den Grundstock der Tirailleur-Regimenter. Doch
ist zu beachten, daß diese körperlichen Eigenschaften, wie die
erstaunliche Langlebigkeit, die schon von den römisch-berberischen
Inschriften im östlichen Atlasgebiete bezeugt wird, gewiß z. T.
darauf zurückzuführen sind, daß nur ganz kräftige Individuen bei
der geringen Pflege der Kinder erhalten bleiben. Die rasche
Heilung von Wunden hängt auch damit, wie mit der genügsamen
Lebensweise zusammen. Die Hautfarbe der Berbern ist eine
leichte Bräunung, wie bei Südeuropäern, das Haar ist vorwiegend
braun, aber auch häufig blond und die Augen blau, das Gesicht
offen und frei, intelligent, das Auge lebhaft. Die Beni Mgild
des mittleren Atlas von Marokko bezeichnet de Segonzac als
rötlich blond, auch die benachbarten A'it Aiach, die noch Tama-
zirt sprechen, aber auch meist Arabisch verstehen, bezeichnet er
als vorwiegend blond und blauäugig, wie wir auch die Fahcya
um Tanger schon als meist braun oder blond mit blauen Augen
3QO VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
kennen lernten. Ch. Tissot stellt fest, daß das blonde Element
unter den Berbern des marokkanischen Atlas, wo diese sich
überhaupt am reinsten erhalten haben, am häufigsten sei. Min-
destens Y3 aller Individuen sei dort blond. So sei es auch bei
den Berbern des Djurdjura und des Auresgebirges in Algerien.
Von den Schauia, den Bewohnern dieses letzteren Gebirges sagt
Oberst Lartique, der gründliche Erforscher derselben, daß sie
weiß von Hautfarbe seien, weißer als die Araber, wenn auch
von der Sonne gebräunt und außerordentlich abgehärtet. Ihr
physischer Typus sei ganz der der Kabylen des Djurdjura, sie
seien ganz europäerähnlich, meist schwarzhaarig, aber auch
viele blond. Sie seien sehnig und mager, die mittlere Körper-
höhe beträgt 1,75 m. Auf der südtunesischen Insel Djerba
wurde diese zu nur 1,64 m festgestellt, bei den Krumir zu
1,67 m. Der deutsche Arzt und Naturforscher Kobelt stellte
fest, daß bei Miliana westlich von Algier die Hälfte der
Kinder blondes Haar und blaue Augen hatten und auch
unter den Erwachsenen auffallend viele Blonde oder ganz
Hellbraune waren. Auch die Berbern von Djerba sind blond
oder kastanienbraun. Das wird schon in der ältesten uns
erhaltenen Segelanweisung für das Mittelmeer, dem Stadias-
mos aus der zweiten Hälfte des dritten nachchristlichen Jahr-
hunderts, hervorgehoben, wo diese Berbern als blond und sehr
schön bezeichnet werden. Doch fand Dr. Collignon nur 15%
lichte Typen auf Djerba, bei den Krumir 19%- Ein Grieche
aus Kyrene, der berühmte Dichter Kallimachos im dritten vor-
christlichen Jahrhundert, hebt das auch von den Eingeborenen
von Kyrene hervor, wie auch auf den ägyptischen Denkmälern
die Libu und Tamahu mit europäischen Zügen und blondem
Haar dargestellt sind. Auf den Kanarischen Inseln fanden die
Spanier einen blonden und einen braunen Typus.
Rasche Fassungskraft, namentlich für praktische Dinge, und
große Arbeitsamkeit kennzeichnet, recht im Gegensatz zu den
Arabern, die Berbern. Berberische Taschenspieler, oft von un-
glaublicher Gewandtheit, durchziehen die Welt, und man kennt
sie auch in Deutschland, wo einzelne dieser intelligenten Leute
mit großem wissenschaftlichen Erfolge zum Studium ihrer Sprache,
besonders der Schilha- Mundart, der Sprache der im Südwesten
abgelegen wohnenden Schluh verwendet worden sind. Der Berber
Landwirtschaftliche Betriebsamkeit der Berbern.
391
ist leidenschaftlich und beweglich, dabei aber ernst, ja traurig.
Er besitzt, wie ich vielfach selbst habe feststellen können, per-
sönlichen Stolz und erträgt schlechte, verächtliche Behandlung
nicht, was viele Europäer nicht beachten. Der Berber hält sein
Wort! Hoch entwickelt ist der Erwerbsinn, und ebenso einfach
ist seine Nahrung und Hauswirtschaft bei großer Bedürfnislosig-
keit. Auch der Reiche trägt denselben schmutzigen und zer-
fetzten Burnus wie der Arme. Der Berber kennt und schätzt
persönliches Eigentum. Viele Berbern Süd -Tunesiens wandern
nach Tunis, viele Gebirgs- und Oasenbewohner Algeriens nach
Algier und in andere Küstenstädte, um eine kleine Summe zu
ersparen, mit welcher sie dann in die Heimat, an der sie un-
verbrüchlich hängen, ein Stück Land und ein Häuschen, die
Sehnsucht jedes Berbern, erwerben. Aus Marokko wandern oder
wanderten alljährlich Tausende von Berbern — ich bin selbst
gelegentlich längere Zeit im Innern des Atlasvorlandes von
Marokko mit solchen Gruppen gereist, um ihre Anschauungen
und Erfahrungen kennen zu lernen — nach Algerien, um als
Eisenbahnarbeiter, auch bei der Ernte, bei Hafenbauten, in Berg-
werken u. dgl. Geld zu verdienen. Ob das, was sie da sehen,
wirklich der Verbreitung der französischen Herrschaft günstig ist,
wie die Franzosen annehmen, ist mir sehr zweifelhaft. Die
Berbern sind eifrige Ackerbauer und Baumzüchter. In den Ge-
birgen haben sie überall, um dem kostbaren Boden bei relativer
örtlich vorkommender Übervölkerung — in Djurdjura wohnen
fast 100 Menschen auf 1 qkm — möglichst auszunutzen, die
Hänge terrassiert und künstlich bewässert und gedüngt. Jedes
Fleckchen Erde wird ausgenutzt. Sie haben so manche Gebirge
in wahre Gartenlandschaften verwandelt, wie die Hänge und
Täler des Serhun, des heiligen Gebirges bei Fez, die Hänge des
Atlas bei Dernnat und ähnlich im Djurdjura und Aures Algeriens.
In ersterem Gebirge spielt neben dem Ölbaum der Feigenbaum,
welche wesentlich zur Ernährung beitragen und durch Verkauf
der Erzeugnisse Bargeld liefern, in letzteren der Aprikosenbaum
die Hauptrolle. Wie kostbar dies den Felsen abgerungene be-
wässerte Gartenland in dem verhältnismäßig dicht bevölkerten
Gebirge werden kann , zeigt , daß man im Auresgebirge bis
16000 Franken für den Hektar zahlt. Die Insel Djerba ist ein
einziger großer Garten und Fruchthain.
392 ^*> 2' ^ie Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
Staunenswert ist auch, wie die Berbern die trocknen, felsigen,
aber natürliche Sicherheit bietenden Gebirge Süd -Tunesiens,
namentlich der Landschaft Arad südlich von Gabes, und in
Tripolitanien dem Anbau zu gewinnen verstanden haben. Die
Bienenzucht wird namentlich auch eifrig von ihnen betrieben und
Wachs gehört daher zu den Ausfuhrgegenständen Süd-Marokkos.
Neigung zur Seßhaftigkeit und Landbau scheint allen Berbern
derartig eigen zu sein, daß man annehmen möchte, daß die-
jenigen Stämme, welche Halbnomaden oder Nomaden sind, dies
erst aus Not geworden sind. Auch geschickte Handwerker sind
die Berbern, Maurer, Schreiner, Weber, Töpfer u. dgl. Noch
heute blüht Töpferei und Wollenweberei auf Djerba, und die
Leute von Djerba haben in Tunis fast allein den Handel mit
Wollstoffen in der Hand. Anderwärts wird Gerberei, Färberei,
Seifensiederei, Lederverarbeitung u. dgl. betrieben. Die Mozabiten
sind äußerst geschickte Kaufleute.
In sittlicher Hinsicht scheinen die Berbern große Gegen-
sätze aufzuweisen. Ein Kenner faßt sein Urteil scharf in dem
Satze zusammen: reine Berbern haben reine Sitten. Namentlich
wird den Gebirgsberbern des Rif und den Bräber, den unberührte-
sten unter allen, Sittenstrenge nachgerühmt. Leider werden uns
aber von vielen Stämmen lose Sitten bezeugt, und dies reicht,
wenigstens bei den Oasenbewohnern der großen Wüste, weit
zurück. Es mag die Sitte, die eigenen Frauen und Töchter den
Karawanen darzubieten, mit den furchtbaren Entbehrungen der
Wüstenreisen, ähnlich wie bei großen Seereisen und Seeleuten
zusammenhängen, wie ja vielfach, namentlich früher, die großen
Karawanen in den Oasen festlich empfangen wurden. Haben
die Berbern auch meist nur eine Frau, so wechseln sie dieselben,
bei der Leichtigkeit der Scheidung im Islam, häufig. Den Be-
suchern von Biskra sind die Töchter des benachbarten Berbern-
stammes der Uled Nayl bekannt, die sich dort als Tänzerinnen
und öffentliche Dirnen Geld erwerben und dann daheim um so
mehr zu Frauen begehrt werden. Auch von den Frauen der
Schauia im Auresgebirge sagt Oberst Lartique, daß es dort kaum
Frauen gibt, die sich nicht gegen Geld hingeben. Das Dorf
Menaä des Abdi-Tales, das reichste im ganzen Gebirge, ist durch
die allgemeine Prostitution seiner Frauen bekannt, die viele
Männer ringsum anzieht, obwohl diese Gebirgsberbern in dieser
Kalender der Berbern.
393
Hinsicht alle nicht streng sind. Noch weit übler scheint es mit
den arabisierten Djebala zu stehen, bei denen zwar Ehebrechern
die Augen mit glühenden Eisen ausgestochen, die Ehebreche-
rinnen mit Knütteln totgeschlagen werden, daneben aber öffent-
liche Dirnen in Menge vorkommen und auch das Laster der
Sodomie im Schwünge ist. Die Frauen werden gekauft. Doch
ist bei vielen Stämmen die Stellung derselben eine viel freiere
als bei den Arabern, was sich schon daraus ergibt, daß sie un-
verschleiert gehen.
Dem Islam sind die Berbern sämtlich gewonnen, doch ist
derselbe erst im 16. Jahrhundert allgemein durchgedrungen und
wird meist nur äußerlich befolgt. Selten tragen sie religiösen
Fanatismus zur Schau, am wenigsten die tunesischen; die oben-
genannten Djebala trinken Wein, den sie sowohl selbst keltern,
wie von Juden und Christen kaufen, so daß Trunkenheit bei
ihnen nicht selten ist. Auch rauchen sie unmäßig Kif und essen
Wildschwein. Heilige und ihre Grabstätten, bald kleine würfel-
förmige Kuppelbauten, Marabut oder Kubba genannt, bald auch
moscheeähnliche Bauwerke, stets sorgsam in weißem Kalkanstrich
gehalten und darum weithin sichtbar, genießen namentlich in
Marokko besondere Verehrung und sind außerordentlich häufig,
während Moscheen selten sind. Sherifen-Familien, die als Nach-
kommen des Propheten und als solche als heilig gelten und be-
sondere Vorrechte genießen, oft ganze Dörfer, sind häufig. Sie
mußten als solche natürlich Araber sein. Zuweilen gelingt es
besonders angesehenen Sherifen, unter den durch Blutrache, die
bei den Gebirgsberbern noch häufig vorkommt, verfeindeten
Stämmen Frieden zu stiften und als schützende Geleiter über-
haupt das Reisen in feindlichen Gebieten zu ermöglichen. Nur
von solchen Sherifendörfern habe ich Unfreundlichkeiten erfahren.
So schmutzig und verkommen diese Heiligen zu sein pflegen,
der Christ durfte nicht einmal in ihrer Nähe lagern, weil er sie
beschmutzte. Religiöse Orden und Sekten spielen auch politisch
eine große Rolle, wie in der Gegenwart die des Ma-el-Ainin in
Süd-Marokko. Vom Islam haben die Berbern die arabische
Jahreseinteilung angenommen, aber nur bei allen politischen,
bürgerlichen, religiösen Akten, während für die Abschnitte des
landwirtschaftlichen Jahres die römisch-christliche noch in Geltung
ist. So fällt, da der Unterschied jetzt auf 13 Tage angewachsen
3Q4 VI» 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
ist, das große landwirtschaftliche Fest Ansera um die Sommer-
sonnenwende 13 Tage nach Johanni. Der landwirtschaftliche
Kalender der marokkanischen Berbern und so selbst der Fah^ya
vor den Toren von Tanger, hat folgende Monate: Jenair, Febra'ir,
Mars, Ebril, Maio, Junio, Juliuz, Aghocht oder Ghocht, Chutembir,
Octuber, Nuambir, Dudjambir. Selbst die Tuareg der Wüste
haben diese Zeitrechnung noch. Die Schauia des Auresgebirges,
die noch manche altertümliche, ursprünglich christliche Sitten er-
halten haben, feiern noch das Weihnachtsfest unter dem Namen
Bu Ini. Der erste Tag des Jahres wird allgemein Junär (Januar)
genannt, alle Kleider werden gewaschen, alle im Gebrauch be-
findlichen Gegenstände geändert und die Neujahrsnacht durch
ein Mahl gefeiert, bei welchem Fleisch und Eier gegessen werden.
Sechs Wochen später, wo dort der Frühling beginnt, feiern die
Leute von Menaä ein ländliches Fest, wo man sich unter Flöten-
klang ins Gebirge begibt und mit grünen Zweigen und Kräutern
zurückkehrt. Unter den bei den Berbern verbreiteten mohammeda-
nischen Sekten verdient die der Uabhiten (nicht Wahabiten) Er-
wähnung, die Nachkommen der mittelalterlichen Karedjiten, welcher
die Mozabiten im südlichen Algerien, die erst im Mittelalter aus
der Gegend der Kleinen Syrte dorthin verdrängt wurden, und die
Bewohner von Djerba angehören, die sich ihre Sprache und
Eigenart wesentlich dadurch bewahrt haben, daß sie sich als Sekte
stets sorgsam gegen andere Mohammedaner abschlössen.
Die Berbern sind ein durch und durch demokratisches Volk,
namentlich die Gebirgsberbern, und auch dadurch von den Arabern
grundverschieden. Die Djemaä, die Gemeindeversammlung der
älteren angesehenen Männer des Dorfes oder des Stammes, der
Ausdruck ihrer altüberlieferten Selbstverwaltung, leitet die An-
gelegenheiten. Jedes Dorf hat ein Gemeindehaus, Be'it-es-Corfa,
das auch vielfach, wie bei den Djebala, zur Aufbewahrung der
Waffen und des Schießpulvers dient. Im Djurdjura ist das Ge-
meindehaus meist ein einfacher Steinbau mit Steinbänken im
Innern, am Eingange des Dorfes. Das Bewußtsein der Zusammen-
gehörigkeit geht selten über den Stamm hinaus. Doch gibt es
zahlreiche Konföderationen, die in etwas den ewigen Fehden
der Stämme untereinander steuerten. Soweit die französische
Herrschaft reicht, sind diese jetzt beseitigt. Das hat aber neben
dem erleichterten Verkehr und den weit verbreiteten religiösen
Die Siedelungen der Berbern. ige
Orden, die über weite Räume verstreuten Stämme miteinander
bekannt gemacht und mehr und mehr das Verständnis für
nationale Zusammengehörigkeit geweckt und vertieft. Das wird
bei künftigen Aufständen schwer ins Gewicht fallen.
Eigenartig, dem kriegerischen Charakter des Berbernvolkes,
der herrschenden Unsicherheit, aber auch den topographischen
Verhältnissen angepaßt sind die Siedelungen der Berbern. Sie
sind alle klein, Dorfsiedelungen Dchar, plur-Dchur, Ksar, plur-
Ksur, auch Dechera genannt, wie es einer im wesentlichen acker-
bauenden Bevölkerung entspricht. Nur in den Oasen und ein-
zelnen weiteren, wasserreichen Tälern findet man größere stadt-
ähnliche Siedelungen. Aber alle Siedelungen sind geschlossene,
fest ungs artig, an Hängen oder auf Höhen gelegen, beherrschend,
weithin sichtbar. Meist sind die kleinen, niederen Steinhäuser
derartig im Kreise gebaut, daß ihre aneinanderstoßenden Rück-
wände zugleich die Umfassungsmauer der kleinen Festung bilden,
in welche ein einziges Tor hineinführt. Selbst die verhältnis-
mäßig neuen Dörfer der Fahcya um Tanger weisen diese Lage
und Bauart auf. Sie bestehen aus lauter kleinen, hochgelegenen
Siedelungen, aus kleinen strohgedeckten Häusern oder Hütten
(Gurbi), deren meist drei einen umzäunten Hof bilden, das ganze
Dorf rund oder viereckig von den Rückseiten der Häuser oder
von dichten, undurchdringlichen Opuntienhecken umschlossen.
Ähnlich ist es bei den berberischen Bergnestern Mittel-Tunesiens,
von Bargu und Kessera. Auf dem Platze im Innern steht bei
dem Fahcya meist das einstöckige, weiß getünchte Haus des
Moqaddem, des Dorfschulzen, meist des wohlhabendsten Mannes.
Vor demselben, im Schatten eines Baumes, wird die Djemaä, die
Ratsversammlung, abgehalten. Auch die Moschee, meist nur
eine Hütte, in welcher Schule gehalten wird, liegt, wenn vor-
handen, hier. Sie dient nur als Nachtquartier für rechtgläubige
Gäste. Auch in Süd-Marokko fand ich in der Ebene die Berbern-
dörfer im Kreise gebaut und von einem undurchdringlichen Wall
von Dornen (Zizyphus Lotus L.) verschanzt, welcher nur einen,
des Nachts auch mit Dornen verschlossenen Eingang hat. Diese
Festungen zu erobern ist nicht leicht. Zuweilen gestattet das
Gelände nicht diese Bauart anzuwenden, dann steigen die kleinen
Häuser und Höfe amphitheatralisch die Hänge hinauf und krönen
möglichst steile Höhen. So ist es allenthalben in Marokko , im
3QÖ "VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
Djurdjura-, Aures- und andern Gebirgen Algeriens und Tunesiens.
Dies hat sie ganz besonders in die Lage versetzt, ihre Eigenart
und Sprache in diesen großen natürlichen, aus lauter kleinen
Häusern bestehenden Festungen zu erhalten. Den Djurdjura,
die große Kabylei, haben die Römer, darum von ihnen Mons
ferratus genannt, niemals, die Franzosen erst nach 27 jährigen
harten Kämpfen unterworfen. Er war noch 1871 der Hauptherd
des Aufstandes. Das marokkanische Atlas- und das Rifgebirge
bilden eine einzige derartige Festung. Dabei ist zu beachten,
daß diese Gebirgsberbern meist auf steilen Höhen über ihren
Dörfern feste Burgen aus Stein- oder Lehmmauern zu errichten
pflegen, in welchen sie alle ihre "Vorräte und Kostbarkeiten unter-
bringen, jede Familie in besonderen Räumen. Sie dienen auch
als Zufluchtsstätten im Kriege. So sind alle Höhen am Rande
des Hohen Atlas von Marokko südlich und östlich von Marra-
kesch, besonders bei Demnat und Entifa, mit solchen mittelalter-
lichen Burgruinen Deutschlands ähnelnden Vesten, hier Tirremt
genannt, gekrönt. Ähnlich im oberen Mulujagebiet. Sie er-
innerten mich sofort an die Kirchenburgen der Siebenbürger
Sachsen, die ähnlich und aus ähnlichen Gründen entstanden sind.
Im ganzen Wohngebiet der Berbern kehren solche Burgen wieder.
Im Auresgebirge bezeichnet man diese gemeinsamen festen Vor-
ratshäuser als Gelaä oder Thaqelet (Schloß). Meist liegt die
Dechera, das Dorf, das aus niederen würfelförmigen Häusern
aus Steinen oder Luftziegeln besteht, am Hange um die Gelaä.
Manche Gelaä ist nur mit Hilfe von Seilen zugänglich. Ähnlich
ist es im inneren Mittel-Tunesien, wo zahlreiche Tafelberge solche
natürliche Festungen bilden und zur Besiedelung einladen. Diese
haben dort denselben Namen Kelaä. Die bekannteste derselben
ist Kalaat-es-Senam, das schon in römischer Zeit besiedelt war
und in der neueren Geschichte Tunesiens als Herd des Wider-
standes gegen den Bey, jetzt als Mittelpunkt einer an Kalk-
phosphaten reichen Landschaft viel genannt worden ist. Es ist
nur durch eine in Felsen gehauene Treppe ersteigbar. In größtem
Maßstab kehren diese festen Vorratshäuser in der südtunesischen
Landschaft Arad, dem von der Kleinen Syrte meridional verlaufen-
den gebirgsartig gegliederten Steilrande der großen Wüstentafel
wieder. Sie sind dort förmliche feste Städte , wie El Mudenin
und Metamer, die Vorratshäuser ganzer Stämme, ja Konföderationen,
Siedehmgsweise und Sprache der Berbern. ?Q7
die im wesentlichen Nomaden sind. El Mudenin, die Vorrats-
kammer von 20 000 Nomaden rein berberischen Stammes der
Urghemma, ist im Winter, wo diese tiefer in die Wüste hinein
ihre Herden weiden, nur von den Wächtern, einigen Händlern
und Kaffeewirten bewohnt. Von innen gleichen die 6 — 7 Stock-
werke hohen Häuser geöffneten Bienenwaben. Es sind lauter
kleine gewölbte Räume, einer über dem andern, durch vor-
springende Steine zugänglich. Womöglich liegen diese großen
Vorratshäuser auch noch auf steilen Höhen und haben nur ein
Tor an der steilsten Stelle. In dieser Gegend bewohnen die
Berbern, namentlich des Stammes der Matmata, neben den cha-
rakteristischen Bergnestern auch Höhlenwohnungen , welche sie
künstlich an den Gehängen der Täler in lehmigen, hinreichend
festen Mergeln ausgearbeitet haben. Ganz ansehnliche Dörfer,
wie Hadege, bestehen so nur aus Höhlenwohnungen, so daß man
hier von einem Troglodytengebirge spricht. Auch im Aures-
gebirge kommen Höhlendörfer vor. Ein Tunnel führt in einen
großen, meist viereckigen Hof, der oben offen ist und auf welchen
Wohn-, Vorratsräume nebst Ställen ausmünden. Sie enthalten auch
Zisternen. Diese Gebiete waren daher so gut wie unabhängig
von Tunis und sind erst 1882 von den Franzosen unterworfen
worden. Das selbst mit Kanonen versehene tunesische Heer,
das dies 1876 versuchte, mußte vor einer dieser Bergfesten Ksar-
Beni-Knezer unverrichteter Sache abziehen. Auch die weiterhin
im tripolitanischen Teile dieses Steilabsturzes wohnenden Berbern
bereiten den Türken beständig Schwierigkeiten, da auch sie in natür-
liche Festungen bildenden Felsennestern oder in Höhlen wohnen.
Hochbedeutungsvoll ist aber die Feststellung, welche wir
den Franzosen verdanken, daß nämlich in Tunesien von 138000
Wohnungen, die man 1890 zählte, 57 000 Häuser und 81000
Zelte waren. Doch glaube ich nicht, daß in Algerien und noch
viel weniger in Marokko das Verhältnis der Zeltbewohner so
groß sein wird, wie in dem offenen überwiegend ebenen Tunesien.
Auch brauchen die Zeltbewohner durchaus nicht Nomaden zu
sein, sie können recht gut höchstens Halbnomaden sein. Be-
weglich, in der Lage, Angriffen auszuweichen, sind sie auf jeden
Fall. Auch die Zeltdörfer der halbnomadischen Berbern sind
ringförmig, daher Duar genannt, was eigentlich rund sein, die
Kreisform geben bedeutet. In den Kreisring wird dann allnächt-
3Q8 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
lieh das Vieh getrieben und bei den Beni Ahsen der Sebu-Ebene
Marokkos standen meine Zelte, die ich aus Furcht vor den
räuberischen Zemmur dringend im Zeltringe aufzuschlagen ge-
beten wurde, mitten unter den Rinderherden.
Was schließlich die Sprache der Berbern, das Tamazirt, auf
deren Erhaltung und Verbreitung wir schon eingingen, anlangt,
so ist dieselbe noch nicht genügend erforscht und zerfällt, wie
es bei der weiten Verbreitung dieses Volkes begreiflich ist, in
zahlreiche Mundarten. Sie macht den Sinn der wenigen Bruch-
stücke des alten Libyschen verständlich, die auf uns gekommen sind.
Auf libyschen Denkmälern der punischen Zeit finden sich
die Schriftcharaktere, welche noch heute angewendet werden,
namentlich im Alphabet der Tuareg Hogar. Erst seit man das
Targi - Alphabet (Tifinagh) kennt, konnte man ernstlich an das
Wiederherstellungswerk gehen, zu welchem die zweisprachige In-
schrift von Thugga in Tunesien den ersten Anhalt geboten hat.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die heutigen Berbern die
Sprache ihrer Vorfahren sprechen, wenn auch etwas verändert.
In römischer Zeit bediente man sich noch beständig des libyschen
Alphabets, erst durch den Islam kam es zugunsten des arabi-
schen außer Gebrauch. Doch soll es bei den Rifberbern alte
Korane in berberischen Schriftzügen geben.
Die Zahl aller Berbern kann nur ungefähr geschätzt werden.
Es mögen 12 — 13 Millionen sein.
Von den Berbern sind in den Atlasländern nicht nur die
Araber, sondern auch die sogenannten Mauren zu unterscheiden.
Mit diesem Namen faßt man jetzt gewöhnlich alle Arabisch
sprechenden Städtebewohner der Atlasländer zusammen. Diese
sind ein hochgradig gemischtes Volkselement. Der Grundstock
wird sicher berberisch sein, wie auch jetzt noch unablässig ber-
berisches Blut diesen Stadt- Arabern, wie man wohl auch sagt,
beigemischt wird. Dazu sind nun aber die mannigfaltigsten
sonstigen Bestandteile hinzugekommen: im Altertum schon Phö-
niker, dann römische Ansiedler, Araber und vor allem seit dem
15. Jahrhundert sogenannte Andalusier, mohammedanische Aus-
wanderer aus Spanien, die zum Teil noch lange Spanisch sprachen,
vorzugsweise die Träger des Piratenwesens waren. Und durch
dieses in großer Zahl Christen aus allen Mittelmeerländern, deren
viele als Renegaten in der mohammedanischen Bevölkerung auf-
Juden und Griechen. tqq
gingen, bzw. christliche Frauen und Mädchen den Harems ein-
verleibt wurden.
Wohl auch schon in römische Zeit reicht die Einwande-
rung von Juden in das Wohngebiet der Berbern zurück. In
Cyrenaika waren sie ja im Anfang des 2. Jahrh. n. Chr. nahe
daran, einen eigenen Staat zu bilden. Noch mehr dürften sie
sich im Gefolge der Araber und dann auch als Rückwanderer
aus Spanien über die Atlasländer verbreitet haben. Sie sind auch
hier vorzugsweise Städtebewohner und beschäftigen sich mit Handel
und Geldgeschäften, aber auch vielfach mit Handwerk. In Marokko
sind sie noch meist auf eigene Stadtteile (Mellah) bzw. einzelne Dörfer
beschränkt. Doch findet man einzelne jüdische Familien und
kleine Gruppen solcher überall in den Atlasländern bis in die
innersten Täler des marokkanischen Atlas. Die meisten marokka-
nischen Kaids halten sich für ihre Geldgeschäfte „Hofjuden".
Ja, Marquis de Segonzac fand im oberen Mulujagebiet ganze
befestigte Dörfer mit jüdischer Bevölkerung, die sich wie ihre
arabischen und berberischen Nachbarn mit den Waffen in der
Hand ihrer Haut wehrten. Ihre Zahl dürfte im ganzen Atlas-
gebiete aber 200000 Köpfe nicht überschreiten, obwohl sie im
Verkehr eine große Rolle spielen. Politisch treten sie jetzt be-
deutungsvoll hervor, indem sie nach ihrer Emanzipierung in
Algerien überall die Träger und Verbreiter französischen Ein-
flusses und französischer Sprache sind, was ihnen freilich den
doppelten Haß der Eingeborenen zugezogen hat. Jedenfalls
haben wir die Juden zu den ältesten Völkern des Mittelmeer-
gebietes zu rechnen, wenn auch ihre Zahl in demselben heute
nicht groß ist, da sie ja in früheren Zeiten aus Spanien, Italien
und Griechenland vertrieben worden sind und auch auf der Süd-
ost-europäischen Halbinsel nur in Saloniki und Konstantinopel
sich größere Kolonien dieser Spaniolen finden, in Kleinasien in
Smyrna. Die Zahl aller Juden im Mittelmeergebiet dürfte trotz
der bedeutenden Rückwanderung nach Palästina eine halbe
Million nicht erreichen.
Die Griechen, eines der vor allem auch politisch wichtigen
Völker des Mittelmeergebiets, gehören zu den ältesten Völkern
Europas, die mit bewundernswerter Zähigkeit sich in ihrem alten
Wohnräume und in den wichtigsten Zügen ihrer ethnischen Eigen-
art behauptet und alle fremden Eindringlinge aufgesogen haben.
400 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
Denn was immer man an den jetzigen Griechen an guten und
schlechten Eigenschaften beobachtet, das findet man schon bei
den alten Griechen, wenn man sich nur von der künstlich von
den Philologen uns angequälten Veridealisierung der alten Griechen
frei zu machen vermag. Namentlich muß man an den Neugriechen
ihre Vaterlandsliebe, ihren Nationalstolz, ihren Bildungstrieb, ihre
Opferfähigkeit für diese Ideale bewundern. Das ist Rüstzeug
und Waffen im Kampfe ums nationale Dasein, die man nicht
hoch genug schätzen, um die wir Deutschen, die wir uns sonst
wohl besserer Charaktereigenschaften rühmen können, sie beneiden
müssen. Diese Eigenschaften sind es, welche trotz der kläglichen
innerpolitischen Zustände des Königreichs, trotz ihrer Parteisucht,
Unzuverlässigkeit, Aberglauben usw. dasselbe doch unentwegt wirt-
schaftlich, dank ihrer Intelligenz, ihrer Tatkraft, ihrem Erwerbsinn
und ihrer Genügsamkeit aufblühen machen, welche Athen wieder
zur Hauptstadt des ganzen Griechentums, zum Brennpunkte des
wirtschaftlichen und geistigen Lebens, zum Ausgangspunkte euro-
päischer Gesittung in griechischem Gewände für den ganzen,
nicht nur den griechischen Orient gemacht haben, welche das
kleine Volk nicht allein keinen Verlust an Volksgenossen, wo
immer es sei, erleiden, sondern es unablässig Angehörige weniger
widerstandsfähiger Völker sich einverleiben lassen. Das Griechen-
tum ist überall im Fortschreiten begriffen, spielt schon heute und
wird in Zukunft eine noch größere Rolle bei den politischen
Wandlungen im Orient spielen. Wie wir die Griechen heute in
Griechenland die Albanesen aufsaugen sehen, die selbst Griechen
sein wollen, so haben sie im Mittelalter die slawische Flut, nach
welcher der Peloponnes lange Zeit Sclavinia genannt wurde, wieder
aufgesogen. Dazu sind italienische und andere fränkische Bei-
mischungen gekommen, so daß wir die Neugriechen als ein Misch-
volk bezeichnen müssen. Nur in einigen abgelegenen Gebirgs-
gegenden, wie in der Maina und Tsakonien des Peloponnes und
auf einigen Inseln dürften wir weniger gemischte Nachkommen
der alten Griechen zu suchen haben, wie sich das auch im phy-
sischen Typus, namentlich der Frauen, ausprägt. Es liegen in den
Griechen Kulturkräfte weit über ihre Zahl hinaus. Schulzwang ist
bei einem Volke unnötig, bei welchem unfieißige Kinder nach
15 maliger Schulversäumnis der Schande verfallen, vom Schul-
besuch ausgeschlossen zu werden.
Charakter und Bedeutung der Griechen. 40 1
Um zu würdigen, was die Griechen in dem letzten halben
oder dreiviertel Jahrhundert geleistet haben, muß man sich nur
gegenwärtig halten, wie lange das Volk unter türkischer Knecht-
schaft geseufzt hatte, und daß der Freiheitskampf das Land in
eine Wüste, die Bevölkerung in, man möchte fast sagen, eine Räuber-
bande verwandelt hatte. Selbst die Sprache hat man wieder ge-
reinigt. Daß die Griechen nie so tief in der Kultur herabgedrückt
worden sind wie z. B. die Bulgaren, erklärt sich allerdings aus der
Natur ihres Landes, das man am besten als maritimes Gebirgs-
land bezeichnet, und das daher die Türken niemals völlig und
auf die Dauer zu unterjochen vermochten. Die Griechen unter-
hielten zur See immer Beziehungen zum christlichen Abendlande
und seiner Bildung.
Das Meer prägt der griechischen Landschaft und dem grie-
chischen Volke seinen Charakter auf. Sein Wohnraum ist das
meerdurchsetzte Griechenland und die Gestade des griechischen
Inselmeeres, ein Teil der Erdoberfläche, fast so groß wie das
Deutsche Reich, freilich zu kaum ein Viertel Land! Überall
haften die Griechen an den Küsten, wie Kleinasiens, von Kilikien
und Cypern ringsum bis an die Ostgrenze Kleinasiens am Pontus,
so auch auf der südosteuropäischen Halbinsel in Thrakien, Make-
donien, Albanien. Griechen sind die Frachtfahrer des ganzen
östlichen Mittelmeergebietes von Odessa bis Alexandria, westwärts
bis Triest, Malta und Marseille. Bulgaren und Türken sind sie
so unentbehrlich. Griechen sind die Fischer des östlichen Mittel-
meeres von der syrischen bis zur tunesischen Küste. Aber freilich
der Sitz des Welthandels wie in der engeren Welt des Altertums
ist Griechenland nicht mehr und wird es nie wieder werden! Und
die griechische Kriegsflotte wird noch lange eine untergeordnete
Rolle spielen, so ausgezeichnete Seeleute die Griechen sind und
sich im Freiheitskriege, freilich nur gegen die völlig festländischen
Türken, bewährt haben.
Namentlich auf türkischem Gebiet im vorderen Kleinasien
sind die Griechen in unaufhaltsamem Fortschreiten begriffen.
Die Türken hatten ihnen allenthalben den fruchtbaren Boden
abgenommen und sie zu Zinsbauern türkischer Großgrundbesitzer
gemacht. Sie haben dafür den schlechten Boden und die Berge
in dicht besiedelte Gartenlandschaften verwandelt und schließlich
auch die Türken ausgekauft. Bei dem hochentwickelten Familien-
Fischer, Mittelmeerbilder. Neue Folge. 26
A02 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
sinn und dem fleckenlosen Familienleben ist die Kinderzahl über-
all eine ansehnliche, so daß auch darin ein Anstoß zum Erwerb
und zur Ausdehnung liegt. Namentlich von den Inseln, welche
die ungeheuren Menschenverluste im Freiheitskriege wieder aus-
geglichen haben und wieder dicht bevölkert, zum Teil übervölkert
sind, wie Samos, drängt der junge Nachwuchs aufs Festland und
in den fruchtbaren Tälern immer weiter ins Innere. Viele suchen
nach Erwerb in den großen Städten, wie Konstantinopel, Odessa,
Smyrna, Alexandria, und kehren, wohlhabend geworden, wieder
heim, um Grundbesitz zu erwerben.
Die Kopfzahl des griechischen Volks kann man auf 5 Millio-
nen schätzen, gewiß eine kleine Zahl, aber man muß sich gegen-
wärtig halten, daß im Königreich zu Ende des Freiheitskrieges
nur noch 600000 Menschen übrig waren, während es heute aller-
dings in etwas erweiterten Grenzen von 2% Millionen Menschen
bewohnt ist. Aber 5 Millionen durch nationale Gesinnung und
Vaterlandsliebe geeinigte Menschen bedeuten im menschenarmen
Orient mehr als in Westeuropa. Das griechische Volk ist ein
ernster Faktor, mit welchem die Politik rechnen muß, wie der
Anschluß von Thessalien und von Kreta, der nur noch der Form
nach zu vollziehen ist, zeigt.
Zu diesen uralten Bestandteilen der mediterranen Völker-
familie fügte nun die Völkerwanderung neue hinzu, indem teils
unter Aufsaugung der Einwanderer und Eroberer seitens der
schon ihrerseits vielseitig gemischten und romanisierten, dadurch
auf eine höhere Kulturstufe gestiegene Urbevölkereng neue Völker
sich bildeten, teils unter Vernichtung oder Aufsaugung der
vorgefundenen Bevölkerung die von außen hereingebrochenen
Völker weite Gebiete besetzten. So bildeten sich um das Nord-
westbecken die romanischen Völker alle mit bedeutendem ger-
manischen Einschlag: Italiener, Franzosen, Spanier, Portugiesen.
War der Einbruch der Germanen in das Mittelmeergebiet, der
ja vorübergehend auch die südosteuropäische Halbinsel und die
Atlasländer in Mitleidenschaft gezogen hatte, zunächst von Norden
her und vorzugsweise von Mittel -Europa aus erfolgt, so ging
doch der Anstoß zu diesem Völkersturme, der die alte medi-
terrane Kultur zunächst gewaltig schädigte, weiterhin sie aber
Völkerwanderungen. 40 ?
neue Blüten treiben ließ, auf Zentral - Asien zurück. Hinter den
Germanen rückten die Slawen und Bulgaren, hinter diesen die
Mongolen und Türken nach, auch sie aus Zentral -Asien, und
zuletzt sandten die Steppen Arabiens den arabischen Völkersturm
über ganz Vorder-Asien und über das südliche Mittelgebiet aus,
von wo er nach Europa übersetzend seinen Weg als ein wahrer
Wirbelsturm am Nordrande des Mittelmeeres wieder von Westen
nach Osten zurücknahm, bis ihm germanische, fränkische Volks-
kraft nahe der Westgrenze Mittel -Europas Halt gebot, wie ein
halbes Jahrtausend später dem Mongolensturme an der Ostgrenze
Mittel-Europas.
Die romanischen Völker sind, soweit sie zum Mittelmeer-
gebiet gehören, mit rund 34 Millionen Italiener, selbstverständlich
Korsen, Malteser, Nizzarden, Tessiner usw. eingerechnet, 2x/2 Millio-
nen Franzosen, hinter denen die übrigen Franzosen stehen,
und noch etwa 300000 in Algerien und Tunesien kommen,
18 Millionen Spanier und 4,7 Millionen Portugiesen. Zu er-
wähnen sind dann noch, abgesehen von den etwa 200000 Zin-
zaren, etwa 300000 Rumänen in Serbien, Bulgarien und der
Dobrudscha.
Von den Slawen kamen die Serben von Norden, die erst
auf der Halbinsel selbst slawisierten Bulgaren von Nordosten.
Nachdem beide kaum das türkische Joch abgeschüttelt haben, be-
kämpfen sie einander auf das heftigste. Der Zankapfel sind die
in ihrer ethnischen Stellung noch unklaren makedonischen Slawen.
Die Zahl aller Slawen der südosteuropäischen Halbinsel kann
man auf 10 Millionen angeben, je 5 Millionen Serben und
Bulgaren. Die Kroaten an der Nordwestgrenze können hier außer
Betracht bleiben, aber für die Serben ist fast ebenso verhängnis-
voll wie für die Albanesen, daß auch sie z. T. römische, z. T.
griechische Christen, z. T. Mohammedaner sind, daß sie politisch
zersplittert sind in zwei nationale Staaten , Montenegro und
Serbien , in Dalmatien , Bosnien und Herzegowina , während in
Alt -Serbien noch ein beträchtlicher Bruchteil unter türkischer
Herrschaft steht. Von den Bulgaren ist doch der bei weitem
größte Teil im nationalen Staate geeinigt und nur ein ver-
schwindender Bruchteil unter der Bezeichnung Pomaken zum
Islam übergetreten. Allerdings bildet im Orient die Religion
eine unübersteigbare Scheidewand.
26*
aqa VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
Der Zeit nach folgt auf die slawische die arabische Völker-
welle, welche das zum großen Teil hellenisierte Syrien, dessen
Bevölkerung aber noch überwiegend aus dem alten aramäischen
Grundstock besteht, arabisiert, ebenso Ägypten und das ganz
mediterrane Nord-Afrika. Der Islam richtet eine bis heute zwar
erniedrigte und vielfach durchbrochene, aber nicht beseitigte
Schranke quer durch das Mittelmeergebiet auf, das bis dahin
eine große Lebensgemeinschaft gebildet hatte und nun viele Jahr-
hunderte hindurch zur heißesten Reibungsfläche zwischen dem
abendländischen Christentum und der morgenländischen Welt des
Islams wurde. Und diese Reibungsfläche wurde noch vergrößert,
der Raum der christlichen Kulturwelt noch verkleinert dadurch,
daß die Steppen Asiens noch einmal eine unwiderstehliche Völker-
woge durch Vorder-Asien gegen das Mittelmeergebiet und Europa
aussandten, die Türken, denen rasch, aber ebenso rasch, wenig-
stens aus dem Mittelmeergebiet, zurückebbend die Mongolen
folgen. Die Türken dagegen setzen sich dauernd in Kleinasien
fest, machen dem letzten Rest des oströmischen Reiches ein Ende
und erobern fast die ganze südosteuropäische Halbinsel. Auch
ihnen gebietet erst deutsche Tatkraft Halt, während sie sich im
16. Jahrhundert noch zu Herren fast der ganzen bis dahin ara-
bischen Welt des Islam machen: Syrien, Ägypten und ganz Nord-
Afrika bis an die Grenzen von Marokko. Unter türkischer Herr-
schaft waren diese Teile des Mittelmeergebiets noch mehr gegen
christliche Einflüsse abgeschlossen, wie unter arabischer. Was
vom 16. bis ins ig. Jahrhundert die politische durch die Mittel-
meerländer gehende, die Völker trennende Grenze bedeutete,
davon kann sich selbst derjenige nur eine schwache Vorstellung
machen, der etwa aus dem Herzen Deutschlands kommend die
russische Grenze im polnischen Gebiet überschreitet. Diesseits
reichen deutsche Einflüsse, deutsche Kultur, deutsche Verwaltung
von Westen her bis an die Grenze, jenseits tritt ihnen so weit
aus Großrußland, aus Halbasien vorgeschoben russisches Wesen,
russische Verwaltung mit allen Erscheinungen ihrer Eigenart, echt
polnische Dörfer, polnische Art, das Land zu bestellen usw. ent-
gegen. Hinter den türkischen Grenzen verkommen Bulgaren und
Serben in Unkultur, bildet Albanien heute den unbekanntesten
Teil von Europa, bleiben Kleinasien, Syrien und ganz Nord-Afrika
völlig verschlossen und unbekannt. Tunesien ist erst seit 1881
Die türkische Überflutung. aqc
erforscht worden, Marokko erst seit 1900 und auch nur in den
großen Zügen, von Tripolitanien und Barka gilt dies in gleichem
Maße. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, ja schon seit dem
18. hat nun diese türkische Flut zurück zu ebben begonnen:
Griechenland, Serbien, Bulgarien, sind der christlichen Welt wieder
einverleibt, Algerien ist völlig, Tunesien beträchtlich französisch,
Ägypten englisch geworden, freilich ohne daß dadurch der Gegen-
satz zwischen Christentum und Islam geringer geworden wäre.
Im Gegenteil, es liegt wie elektrische Spannung über dem ganzen
Mittelmeergebiet und wird sich bei jeder kriegerischen Verwick-
lung im Bereich desselben, namentlich in den Atlasländern und
Ägypten, in einer Weise geltend machen, die den Unkundigen
überraschen wird.
Was die arabische und die türkische Überflutung von se-
mitischem und mongolenähnlichem Volkstum in das Mittelmeer-
gebiet geführt haben, war gering an Zahl, denn beide Völker
waren selbst nicht zahlreich. Aber sie haben, sei es durch ihre
Gewaltherrschaft, sei es durch die Macht des Islam, wie wir schon
bei den Berbern sahen, fremdes Volkstum in großem Maßstaue
sich einverleibt. Wir können daher nicht nur die Bewohner von
Barka und Marmarika, freilich nur etwa 300000 Köpfe, die
wirkliche Araber sind, sondern auch die Bewohner Unter- Ägyptens
und Syriens als „Araber" ansehen. Aber während die Veränderung
der politischen Karte im arabischen Bereich des Islam keine irgend-
wie ins Gewicht fallenden ethnischen Verschiebungen hervorgerufen
hat, ist dies im türkischen Bereich in hohem Grade der Fall ge-
wesen. Allerdings weil die Türken im größten Teile ihres
Reiches nur durch Beamte und Soldaten, höchstens durch Militär-
kolonien vertreten waren und diese mit der türkischen Herrschaft
auch wieder verschwunden sind. So gibt es in Algerien und
Tunesien, in Ägypten keine Türken mehr. In Algerien sind selbst
die Kuluglis, die Nachkommen türkischer Väter, verschwunden.
Die türkischen Militärkolonien in Griechenland, in Serbien und
Bulgarien, die dort namentlich alle wichtigen Punkte an den
großen Heerstraßen sicherten, die von Konstantinopel und Saloniki
quer durch die Halbinsel nach Belgrad führten, vor allem die
in Belgrad selbst, sind verschwunden. Nicht nur die Türken
selbst, sondern auch die Tataren und Tscherkessen, die sich
in ihrem Schutze in Bulgarien niedergelassen hatten , sind in
a 06 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
das noch türkische Gebiet, namentlich nach Kleinasien aus-
gewandert, wo sie als sogenannte Muhadschir die Reihen der
Türken wesentlich verstärken , namentlich wirtschaftlich , da sie
kulturell auf einer etwas höheren Stufe stehen. Durch solche
Rückwanderungen hat sich die Zahl der Türken im noch
türkischen Teile der südosteuropäischen Halbinsel , ganz be-
besonders in Konstantinopel wesentlich vermehrt. Freilich ist
festzuhalten, daß, wenn wir die Zahl der Bekenner des Islam
auf der südosteuropäischen Halbinsel zu etwa ^/2 Millionen an-
geben und diese sich meist selbst als Türken ansehen, davon
kaum iY2 Millionen Osmanli sind und auch diese, wie das ganze
türkische Volk, etwa von den später nachgerückten Turkmenen in
Kleinasien und an der Nordgrenze Syriens abgesehen, ethnisch
durch Aufnahme arischen Blutes, durch Einverleibung von Rene-
gaten — - man denke nur an die Janitscharen, die ja vorzugsweise
aus gefangenen kräftigen christlichen Knaben sich ergänzten —
durch persische, slawische, griechische, cirkassische Sklavinnen usw.
so gemischt sind, daß in ihrem physischen Typus meist jede
Mongolenähnlichkeit geschwunden ist, wenn sie in Sitten und
Sprache auch ihre Eigenart gewahrt haben. An Zahl vermindern
sich die Türken auch in ihrem Stammlande Kleinasien beständig,
da sie allein in den unaufhörlichen Kriegen die Blutsteuer tragen,
die junge Mannschaft viele Jahre hindurch der Heimat entzogen
ist — in einzelnen Vilajets übersteigt die Zahl der Frauen die
der Männer um 1 2 °/0 — viele gar nicht oder körperlich und
sittlich geschädigt zurückkehren, auch die herrschende Rasse
wirtschaftlich mehr unter der schlechten türkischen Verwaltung
leidet, als die schlauen Griechen, Armenier und andere. Wie
im vorderen Kleinasien das türkische Volkstum von dem grie-
chischen zurückgedrängt wird, ist mit Händen zu greifen und
ziffernmäßig zu belegen. Auch das wird in naher Zukunft po-
litisch bedeutungsvoll werden. Wie groß die Zahl der osmanischen
Türken und derer ist, die sich für solche halten, ist sehr schwer
anzugeben. Wenn wir sie zu 10 Millionen annehmen, so ist das
hoch gegriffen. Neben „Türken" und Griechen sind in Klein-
asien nur noch einige Hunderttausend Armenier zu erwähnen,
welche durch die Türken gewaltsam über die Halbinsel und
bis nach Konstantinopel verbreitet worden sind. Die Arabisch
sprechende Bevölkerung von Syrien, von der aber ein bedeutender
Völkerstatistik des Mittelmeergebiets. Überwiegen der Christen. iq7
Bruchteil Christen sind, können wir auf 2 Millionen, die von Unter-
Ägypten auf 5% Millionen einsehätzen.
Wir würden also unter Weglassung kleiner für unsere Gesichts-
punkte belangloser Bruchteile, wie z. B. einiger Tausend Deutsche
in Konstantinopel, Palästina, Italien usw., in runden Zahlen folgende
Tafel der Völker des Mittelmeergebiets aufstellen können.
1. Romanische, katholische Völker um das Nordwestbecken 60 Millionen
a) Italiener 34 Millionen
b) Spanier 18 „
c) Portugiesen 4,7 „
d) Franzosen 2,8 „
e) Dazu die Aromunen und Rumänen
(griech. Christen) 0,5 „
2. Slawen der südosteuropäischen Halbinsel (griech. Christen; 10 „
a) Serben 5 Millionen
b) Bulgaren 5 „
3. Albanesen (Mohammedaner, griech. u. katholische Christen) 1,5 ,,
4. Griechen 5 ,,
5. „Türken" 10 ,,
6. Berbern 13 „
7. „Araber" 8*/4 „
Gesamtsumme der Mohammedaner 31 Millionen
„ „ Christen 75 „
„ „ Bewohner der Mittelmeerländer 106 „
Es ergibt sich also daraus die außerordentliche Überlegen-
heit der christlichen Bewohner der Mittelmeerländer schon der
Zahl nach. Aber auch in der geistigen Kultur, im Wirtschafts-
leben usw. Es ergibt sich ferner, daß die von Mohammedanern
bewohnten Mittelmeerländer außerordentlich dünn bevölkert sind.
Darin prägt sich nicht so sehr ihre geographische Benachteiligung
aus, denn Syrien, Barka, Tripolitanien, Tunesien usw. waren in
römischer Zeit sehr dicht bevölkert, als die Wirkung der schiechten
Verwaltung, welche heute alle mohammedanischen Länder kenn-
zeichnet. Ägypten, Tunesien, Algerien zeigen, daß dieselben
Länder, unter europäisch - christliche Verwaltung gestellt, sich
wirtschaftlich rasch heben und ihre Bevölkerung vermehren. Diese
Gegensätze zwischen dem christlichen und dem mohammedanischen
Mittelmeergebiet waren nicht immer so, ja es gab eine Zeit, wo
das mohammedanische dem christlichen gleich stand, ja teilweise
überlegen war. Die heutigen Zustände finden politisch ihren
Ausdruck darin , daß das mohammedanische Mittelmeergebiet
408 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
völlig unter christlich-europäischem Einflüsse steht und der Rest
von Selbständigkeit, welchen sich Marokko und das türkische
Reich bewahrt haben, in raschem Schwinden begriffen ist.
Die Überlegenheit der christlichen Völker über die mo-
hammedanischen im Mittelmeergebiet wird aber noch erhöht
dadurch, daß die letzteren als ursprüngliche Steppen- und Hirten-
völker bis heute die trockensten Gegenden des Mittelmeergebietes
bewohnen, völlig festländisch und meerscheu sind, Türken wie
Araber. Griechen, Italiener und andere Christen besorgen für
sie den Seeverkehr. Die Türken haben vom Seewesen nie etwas
verstanden und verstehen heute nichts davon. In den Zeiten, wo
es eine mächtige türkische Flotte gab, war dieselbe von Rene-
gaten geführt und von Christen bemannt. Und die Piraten der
Berberei waren eben aus Spanien vertriebene „Andalusier" und
Berbern, im 16. Jahrhundert auch vorzugsweise Renegaten. Das
Meer spielt also im Leben und in der Kulturentwick-
lung der Bekenner des Islam im Mittelmeergebiet keine
Rolle!
Die letzte wichtigste Schlußfolgerung, welche sich aus diesem
Zahlenbilde ergibt, ist wohl die, daß von den 106 Millionen
Bewohnern der Mittelmeerländer 34 Millionen d. h. 32% Italiener
sind. Das ist eine politische, für die nächste Zukunft wohl zu
beachtende Tatsache, da sich die staatliche Einigung des ita-
lienischen Volkes, der jetzt bei sich anbahnender Überwindung
geschichtlich bedingter Kinderkrankheiten auch ein großer wirt-
schaftlicher Aufschwung folgt, auch durch sich mehrendes politisches
Schwergewicht geltend machen und die Gunst der zentralen Lage
und andere geographische Faktoren in Wirksamkeit setzen wird.
Dies um so mehr, als ein Zug, welcher das Mittelmeer und die
Volksverteilung im Mittelmeergebiet ganz besonders kennzeichnet,
in Italien am schärfsten hervortritt: Das Drängen der Menschen
an dieses Meer, die Verdichtung der Bevölkerung an seinen Ge-
staden.
Italien muß schon nach seiner langen, schlanken Erstreckung
und als eine Brücke, die quer über den mediterranen Einbruchs-
kessel vom Fuße der Alpen zum Atlas hinüber geschlagen ist, bei
seiner gewaltigen Küstenlänge und geringen Meerfernen ein durch-
aus maritimes Land sein. In der Tat sehen wir die Menschen
sich dort an den Küsten drängen, am auffälligsten in Ligurien,
Verdichtung der Bevölkerung am Meere. iOQ
Apulien, an der Nord- und Ostküste Siziliens, am Golf von Ne-
apel. Alle größeren Städte liegen am Meere, selbst die Meer-
ferne von Mailand beträgt nur 120 km, von Turin nur 105 km.
Für 8o°/0 des Flächeninhalts des Königreichs beträgt die Meer-
ferne nur 100 km', d. h. in 2 Stunden kann man an dasselbe
hinabsteigen, ja i6°/0 der Bevölkerung wohnt unmittelbar am
Meere. Das ist für die Sichgeltendmachung Italiens im Mittel-
meere von großer Bedeutung. Von jeher waren die Italiener
ausgezeichnete Seeleute und die Fischereien im Mittelmeere liegen
zum großen Teile in ihrer Hand. Aber ähnlich wohnen auch in
fast allen übrigen Mittelmeerländern die Menschen vorzugsweise
am Meere. In Spanien prägt sich der ja in der neuesten Zeit
besonders rasch wachsende Gegensatz zwischen den inneren und
den Randlandschaften auch besonders darin aus, daß in letzteren
die Bevölkerung sich unablässig mehrt, in ersteren zurückgeht.
Bei der erstaunlich geringeren mittleren Volksdichte Spaniens
von 35 Köpfen auf 1 qkm, sinkt dieselbe in den inneren Pro-
vinzen noch bis auf 14 und 15, während sie in den mediterranen
Randlandschaften in Valencia auf 68, Malaga 71, Alicante 76,
Barcelona 117 Köpfe, eben das Mittel des ganzen Deutschen
Reichs, steigt. In den Atlasländern tritt das Drängen der Men-
schen ans Meer noch auffälliger zutage, alle größeren Städte
liegen am Meere, selbst die Meerferne von Constantine und
Tlemcen in Algerien bleibt unter 100 km, nur bei Fez und
Marrakesch beträgt sie mehr. Man wird annehmen können,
daß etwa 2/3 aller Bewohner der Atlasländer innerhalb 100 km
Meerferne wohnen. Ganz ebenso ist es in Syrien, wo schon bei
weniger als 100 km Meerferne die Wüste beginnt, und in Klein-
asien, erst recht in Griechenland. Nur das festländische Trapez
der südosteuropäischen Halbinsel weicht teilweise ab, obwohl
selbst das verkarstete Dalmatien wesentlich dichter bevölkert ist
als Bosnien, und auch in Frankreich erhöht sich die Volksdichte
der Mittelmeerlandschaften wegen der Haffe und Fieber von
Languedoc nicht über das allgemeine Mittel (71).
Vergegenwärtigen wir uns aber zum Schluß, daß alle Mittel-
meerländer im Altertum dicht bevölkert gewesen sind und daß
sich die Landesnatur nicht so wesentlich geändert hat, daß sie
nicht auch heute eine weit dichtere Bevölkerung zu ernähren
vermöchten — Kleinasien allein, wo heute nur 18 Köpfe auf
4 1 0 VI, 2. Die Völker des Mittelmeergebiets u. ihre weltpolitische Bedeutung.
i qkm kommen, bietet noch Raum für 43 Millionen, der Land-
gürtel, der vor den Toren Wiens beginnt und an der Euphrat-
mündung endet, für 100 Millionen — und daß, wie Ägypten und
Algerien zeigen, schon heute dort unter europäischer Verwaltung
die Bevölkerung sich wieder zu mehren begonnen hat, so sehen
wir, daß das Mittelmeergebiet nicht nur eine große Vergangenheit,
sondern auch eine große Zukunft hat und daß somit die poli-
tische Wichtigkeit desselben unablässig und rasch steigen muß.
Namen- und Sachregister.
Abda 283
Abrantes 255
Abrasionsküste 64
Abul Hassan 9
Acium 137
Adan de Yarza 263, 266
Adria 177, 178, 187
Adriatisches Meer 28, 29, 177, 18 1,
188
Ägaeis 4, 29, 41, 196, 197
Ägatische Inseln 220
Agina 194, 206
Ägion 61, 199
Ägypten 6, 32, 284, 410
Ägypter 3
Ätolien 4
Afri 382
Afrika I, 9, 37
Afrikanisches Meer 226
Agadir 323, 368
Agaven 46
Agde 81, 82, 86, 87
Aghlabiten 379
Agri 223
Ahijön 249
Aidipsos 202
Aigues mortes 86
Ain-el-Hadjar 366
,, Umest 342
Air 383
Ai't Aiach 389
„ Yussi 387
Akaba 20
Akrokorinth 194, 203
Alagon 255
Albaner Gebirge 80
Albanesen 5, 40, 206, 377
Alboran-Becken 22
Alburno 228
Alcaraz 250, 258, 259
Alcudia 249
Alexander der Große 4, 6
Alexandria 4, 5, 17, 280
Algarve 258
Algerien 24, 66, 69, 90, 91, 159,
283, 292, 410
Algesiras 9
Algier 24, 63, 67, 71, 72, 75, 88,
92, 110, 113, 117, 130
Alicante 270, 272, 277
Alhucemas 373
Almazan 260
Almeria 113, 117, 130, 214, 218,273
Almohaden 380
Almoraviden 380
Alvise Cadamosto 10
Alpen 15, 16, 33
Altos de Barahona 255
„ ,, Cabrejas 256
Alt-Kastilien 21
Amar 385
Amasighen 383
Amerika 8
Ampurdan 268, 269
Anadob" 29
Andalusien 38
Andalusische Einbruchsbecken 22
Andalusisches Faltengebirge 23, 30,
270
Andalusisches Äquatorialsystem 276 fr.
Anden 1 6
Andevalo 250
Andrea Bianco 12
Andros 199, 203
Andujar 249
Anti- Libanon 20
„ Taurus 42
Antiochien 35
Antonio da Noli 10
Apenninen 17, 25, 30, 64, 197, 215,
289
Apuanische Alpen 24, 25, 214, 218
Apulien 227, 283
Apulische Scholle 215
Aquileja 177, 180, 188
Aquitanische Schwelle 34
Araber 14, 384, 385, 404, 408
Arabien 4, 14, 20
Arad 385, 392, 396
Aragonien 22
Arganbaum 340, 342
Argentaro 214
4I2
Namen- und Sachregister.
Argolischer Golf 208
Arkadien 4
Arles 87
Armenien 15, 32, 35
Armenier 406
Arnao 265
Arno 80
Aromunen 378
Arsila 333
Arta 201
Arzeu 67, 137
Aschak 137
Asien I, II, 16
Asowsches Meer 30, 34
Aspromonte 26, 223, 232, 239
Astruc 83
Asturien 252, 263
Athen 4, 7, 123, 194, 205, 206, 208,
209, 294
Atlas, marokkanischer 4, 16, 25
Atlantischer Ozean 12, 15, 16
Atlasländer 8, 32, 37, 62, 64, 156
Atlasvorland von Marokko 23, 283,
292, 296, 350, 369
Attika 205
Aubert 209
Aude 83, 85, 86
Auflandige Winde 120
Auftriebküste 320 fr.
Aulis 203
Aures 89
Aute 82
Autololes 382
Avienus 82
Avigliano 223
Azeffun 143
Azemur 340
Azpitia 266
Azteken 6
Babylonien 6
Badajoz 9
Badia 359
Badis 374
Baenatae 383
Bagnara 225
Bakel 358
Baldacci 224, 229
Balearen 271
Balkan 29, 30, 33
Barbagia 213
Bargu 395
Barka 19, 32, 37, 70, 405
Barrois, Charles 263, 265
Bartas 137
Basento 223
Basilicata 219, 2 20
Basken 376, 377
Baskische Provinzen 266
Batum 43
Baumgrenze 52
Baza 274
Beaumier 304, 324, 327, 337
Beaumont, Elie de 84
B£de 109
Beechey 70
Beled el Djerid 89
Ben Coucha 100
Beni Ahsen 347, 387, 398
Meskin 343
Mgild 387, 389
Mtir 387
Saf 66
Uarain 387
Belgrad 34, 40
Ben Schakschak 344
Berard 97, 98, 100, 128
Berbern 379 ff.
Berenike 36
Bergeat 212
Berieselung, künstliche 282
Bertholon 381
Beziers 86
Birmandreis 128
Biscaya, Golf von 22, 23
Biserta 24, 76, 108, 160, 174
Biskra 89, 3 50
Boeotien 205
Bona 67, 69, 73, 93, 145 ff.
Bonelli, Em. 322
Borius 322
Bosnien 409
Bosporus 29, 30, 35, 42
Bosporanisches Reich 35
Botte Donato 232
Botella y Hornos, Fed. 244, 250, 256,
269, 271, 275
Bouc 85
Boufarik 300
Bougie 67, 68, 71, III, 130, 138
Bourdon 109
Bräber 383, 392
Brandungsbuchten 61
Branco 217
Brenner 27, 190
Brenta 190, 191, 192
Brescou 82
Brindisi 39, 177
Namen- und Sachregister.
413
Bristol 10, II
Brocchi 25, 217
Brügge 11, 13
Bruchgürtel 16
Bucca 228
Buchanan 320
Bu Djema 150, 151
„ Hamara 373
„ Hamra-Massiv 149
„ Kamira-Sumpf 147
„ Schater 161, 165, 168
Bulgaren 403
Bulgarische Kreidetafel 29
Burano 184, 185
Bu Regreg 306, 370
Buzarea-Massiv 68, 94, 126
Byzanz 30, 34
Cabotto, Giov. 9, 10
„ Sebast. 9, 10, 11
Cabo da Roca 255
Cadiz 23, 277
Calais 1 3
Calderon y Arana 261, 270
Callitris quadrivalvis 3 40
Campagna Romana 285
Campidano 213
Campo de Beja 248
„ „ Calatrava 250
„ „ Montiel 271
„ „ Ourique 248
Canal Bianco 187
Canale dell' Arsa 180
„ di Lerne 180
„ „ Quieto 180
Canavari 228
Cannes 82
Cantillana 278
Caorle 184
Capellini 25, 217
Capestang 83
Capraja 214
Capri 27
Carbone 223
Carpenter, W. 320
Cartagena 277
Casablanca 304, 305, 310, 324, 337,
340, 342, 344» 367, 369
Casas de S. Pedro 249
Casetti 229
Casiano de Prado 264
Castel Rousillon 86
Castiglione 98, 100
Cat, Ed. 136, 137
Catanzaro 233
Cefalu 224
Cerro de S. Felipe 257
Cervia 183, 184
Cette 82, 84, 85, 87
Ceuta 9, 368, 374
Chabet el Akra 96
Chaldaea 6
Chalkis 202, 203
Chalkidike 203
Chattaras 284
Chekli 158
Chelif 70, 96, 286, 287
Chelifebene 67
Chenoua Plage 124
Cherchel 67, 70, 136
Chersonesos 34
Chianti 215
China 1 1
Chioggia 182, 184, 185
Chudeau 262
Cilento 228
Cipango I I
Collignon 390
Collioure 81
Colmata - System 183, 291
Colombi 137
Columbus 8, 10
Comacchio 182, 183, 184, 185
Cons 86
Cooke, J. H. 221
Cordilleren 16
Corsika s. Korsika
Cortazar 251
Cortese 222, 224, 225, 226, 228, 233,
237. 239, 240
Cortez 6
Coscile 235
Coursan 83
Covadonga 264
Cypern 2, 35
Cyrenaika 383, 390
Dakhelat el Mauin 156
Dalmatien 41, 180, 190, 228, 293, 409
Damaskus 35
Dar Ber Reschid 344
Dardanellen 30
Daux 162, 164
Davis 173, 174
De Giorgi 228, 230
Dellys 130, 138, 143, 145
Delos 7
Delphi 7
4H
Namen- und Sachregister.
De Lorenzo 216, 218, 223, 224, 226
Demnat 342
Dereims, A. 262
Desfontaines 150
Despefiaperros 258
Deutschland und die Mittelmeerländer
*4» 375
Dina (Kahena) 381
Dinarisches Gebirge 180
Diniz III 9
Djebala 388, 393, 394
Djebel Amar 158, 160, 163
Aures 387, 390, 391
Bu Kurnin 156, 157
Chanat 158
Edough 68, 149
Hadid 366
Kabeur el Djehela 163
el Kebir 386
Maiana 158
Menzel Rul 157
Nadur 168, 170, 172
Naheli 158, 160, 162
Ressas 156
Zerhun 347, 357, 359
Djebilet 348
Djedeida 1 59
Djerba 385, 386, 390, 391, 394
Djidjelli 68
Djurdjura 68, 387, 390, 391, 394, 396
Doelter, H. 27
Donau 41, 190
Dorokanal 199, 203
Doublet 250
Doumet-Adanson 109
Dreisam 230
Duero 252
Dufresnoy 84
Duino 1 84
Dukkala 283, 286
Dumbre-Ebene 295
Durance 85
Ebro 22, 268, 269
Ebrobecken 261, 263, 267, 270
Edrisi 116
Eduard DI. 10
Eduard TV. II
Elba 214
El Batan 159
El Bekri 110, 154
Elche 46
Eleusis 205
El Gharb 340, 341, 373
Elisabeth von England 10
El Klut 76
„ Ksar el Kebir 338, 340
„ Melah 76
„ Mudenin 396, 397
„ Sedjumi 76
„ Ubeira 76
Eine 86
Enfida 385
England 9, 10, II, 13
En Nukra 282
Epidauros 205
Eretria 203
Er Ruan 77, 163, 164, 166, 169
Esaro 235
Esera 268
Espichel 257
Espozendo 252
Etang de Bage 82
Etna 52, 220
Etsch 187
Euboea 199, 202, 203
Euphrat 2, 3, 33, 35
Europa 1, 12, 16, 38
Evripos 198, 202
Fahcya 369, 389, 394, 395
Faltenland, eurasiatisches 17
Farospitze 226
Fauna des Mittelmeeres 56
Feriana 89
Fernau 305, 328, 332, 335
Ferrara 184, 185
Ferdinandea 18
Ferrol 23
Fetzara-See 76
Fez 23, 370
Ficheur 67, 119
Ficke, K. 337
Filfila 69
Fiumara di Piazzi 238
„ „ Molaro 239
Fiumare Kalabriens 234 ff.
Fiume freddo 238
Fiumi Uniti 183
Flachküste, aufgeschlossene 63
Flandern 9
Flick 108, 109
FloreDz 215
Föhn im Atlas 360
Föhrdenküste 63
Fonduk 158, 160, 161
Fort de l'Eau II 8, 124
„ Genois 151
Namen- und Sachregister.
4*5
Fos 85
Foucauld, de 324, 354, 355
Fouque 270
Fra Mauro 10
Frankreich 22, 23, 28, 409
Frejus 82
Freschisch (Frexes) 386
Friaul 181, 182, 183
Fritsch, K. von 349, 355, 358
Frost, John 306, 329
Fruchthaine 53
Fuente de Pietra 273
Fussana 89
Gabes 36, 89, 90, 108, 350, 384
Gafsa 89, 90
Galaat 161, 163, 164, 168
Galater 378
Galicia 9, 250, 251, 252, 264
Gallien 8, 86
Gallura 213
Galtzadesgebirge 202
Ganges 2
Garaa bu Ammar 164
Garaet el Mebtuh 159
Garda-See 185
Gargano 215, 227 fr.
Garrigues 51
Gavault, P. 142, 144, 145
Genua 10, 13
Genuesen 8, 10
Geräa bu K'mira 78
Germain 85
Germanen 41, 402
Geruan 387
Gharbia 344
Ghor 20
Gibraltar 9, 22, 28, 35, 36, 43, 272,
280, 317
Gilbert 305, 324
Gioja 223, 225
„ del Colle 230
Gleiterscheinungen (Frane) 289
Golf von Biscaya 255
„ ,, Korinth 60
Gorgona 214
Grab der Christin 101, 131
Grado 80, 183, 184
Granada 9, 274
Grau de Grazel 85
Griechen 3, 4, 5, 7, 14, 125, 399 fr.
Griechenland 1, 4, 5, 7, 17, 30, 41,
60, 193 fr.
Griechisches Inselmeer 28
Groß-Novgorod 13
Grottes du Nador 127
Gruissan 82
Grund, A. 177, 181
Grüne Vorgebirge 10
Gsell, Stephan 132, 133
Guadalaviar 261
Guadalquivir 250, 258
Guadalquivirbruch 248, 250, 257
Guadalquivirbucht 22, 23, 248, 270,
277 fr.
Guadiana 249, 250, 256, 258
Guadix 274
Guanchen 382
Guarda Veneta 182
Guenn, V. 108, 173
Guipuzcoa 266
Guthe -Wagner 246
Guyotville 96, 123
Hadege 397
Haffküste, nordadriatische 176
Hafsiden 380
Haha 339
Halmyro 201
Hallulasumpf 130
Hamema 385
Hamilkar Barkas 160, 16 1
Hammam el Atrus 157
„ Korbeus 157
„ Lif 157, 168
Hamy 385
Hanoteau 387
Hansa 1 3
Hanseaten II, 13
Harris, W. B. 359
Haug, E. 221
Hauptscheidegebirge Iberiens 252 ff.
Heinrich VIII. von England II
Heinrich, Prinz von Portugal 10
Helike 61, 199
Hellenismus 7
Herault 85
Hercegovina 41
Hippo Regius 78, 147, 149, 151, 154
Höhenregionen 51 ff.
Holland 13
Holländer 1 1
Honein 67
Hooker, J. 109, 323, 324, 331, 342,
354, 359
Howard 384
Huelva 23, 250, 258
Hybläisches Bergland 287
416
Namen- und Sachregister.
Hydra 194, 206
Hyeres 82
Hypata 202
Ibafiez 245
Iberische Halbinsel 8, 38, 45, 46, 240 fr.
„ Scholle 22, 246 ff.
Tafelland 258 ff.
Ibn Haukai 154
Idice 183
Idubeda 261
Iglesiente 213
Illyrisch - griechisches Faltengebirge
29, 30, 33» 39. 195
Immergrüne Region 52
Indus 2
Indien 3, 4, 6, 10, 14
Innauen 373
Ionien 6
Ionisches Tiefbecken 16, 19, 20
Iran 15
Irland 66
Iskanderun 32
Isonzo 181, 182, 183
Istrien 177, 180
Italien 17, 25, 39, 47, 177
Italiener 8, 9, 10, II, 13, 123, 408
Jackson 328, 360
Jaffa 3
Jaxartes 2
Jean Bart 124
Jerusalem 282
Jilocatal 262
Jordan 19, 20
Juden 399
Kabylei 117, 128, 130, 137 ff., 379
Kaffa 35
Kairuan 352, 379, 381
Kaläat el Wed 77, 159
„ ,, Andless 160
Kalabrien 24, 25, 27, 216, 222 ff.,
225, 231 ff., 287 ff.
Kalender der Berbern 394
Kalkkruste der Mittelmeerländer 29 5 ff.
Kallimachos 390
Kamart 157, 162, 164, 169
Kanaltal 190
Kanarische Inseln 390
Kandiligebirge 202
Kantabrisch - pyrenäisches Faltenland
23, 263 fr.
Kap Bengut 139, 140
Kap Blanco 112
Bon 73, 75
Bougaroni 74
Busto 156, 251
Carbon 68
Cavallo 68
Caxine 94, 125
Chenoua 67, 93, 95, 98, HO,
123, 131, 136
Circeo 217, 226
Couronne 81, 85
Dellys 139, 140
delF Armi 239
Djinet 68
Fartass 157
Finisterre 264
de Garde 146, 147
Gata 277
Ghir 95
Juby 308, 314, 320, 322, 323,
326, 384
Malea 200
Matifu 100, 114, 137
Nao 75, 270, 272, 276
Palos 75, 275, 277
Rosa 69, 146, 147
San Antonio 271, 275
„ Vicente 250, 258, 259
Sidi Ferrouch 67, 68, 75, 94,
98, 123, 127
Spartel 22, 109, 307, 325, 329,
^ 332, 335. 337. 338
Spartivento 226
Suvero 238
Tedles 145
Trafalgar 22
Vaticano 225, 233
Kapland 62
Kappadokien 379
Karl V. 9, 73
Karmel 20
Karpathos 199
Karst 180
Karthago 7, 24, 77, 155 ff., 165, 175
Kaspisches Meer 20
Kastilien 9
Katalonisches Gebirge 268 ff.
Kaukasus 30, 33
Kelten 14
Kerkenah-Inseln 386
Kessera 395
Khalidj 78, 146, 147, 148
Khlot 385
Kiepert, H. 117, 153
Namen- und Sachregister.
417
Kleinasien 6, 17, 20, 30, 40, 41, 42,
409
Klima der Mittelmeerländer 279 ff.
,, des Gebirgslandes von Marokko
353 ff-
Knoch, K. 310, 326, 338, 351
Kobelt 390
Koceila 381
Konstantinopel 4, 34, 42, 209
Korfu 4, 199
Korinth 193, 194, 198, 199
Korsika 25, 75, 213
Krämer, Dr. 321
Kreta 4, 5, 30, 36, 42
Krim 33
Kristallinische Konglomerate der
Apenninen 217
Kroaten 403
Krumir 382, 386, 390
Krümmel, O. 321
Ksar Beni Knezer 397
Kühle Auftriebsküste von Marokko 3 1 9
Kulturkreis, mediterraner 1
„ ostasiatischer 1
Küste von Toskana 79
Küstenströmung von Algerien 74
„ „ Languedoc 84
Kykladen 197, 199
Labheira 76
La Calle 147, 151
La Cava 215
La Corufia 23
Lacus Rubresus 83
La Goletta 157, 166, 167, 168, 109,
174
Lagonegro 218, 223
Lajno 223
La Marsa 90
Lambert 108
Lamia 20 1, 202, 203
Lamone 183
Lamothe, de 126
Lampedusa 17, 18, 226
Languedoc 22, 79, 81, 82, 83, 86,
87, 409
La Nouvelle 85
Lao 236
La Perouse 124
Larasch 340
Larras, Kapitän 367
l.artigue 390, 392
Lasaulx, A. von 66
La Serena 250
Fiteber, Bdittelmeerbilder. Neue Folg«
Latium 25
La Trappe 127
Lauria 223
Lavigerie 149
Lenz, O. 109, 341, 345
Leo Africanus 70, 115, 154
Lepinische Berge 215, 217
Leucate 81, 82, 85
Leukos Limen 36
Libanon 2, 20
Libu 390
Libysche Wüste 383
Ligurien 27
Linares 306, 328
Linosa 18
Liparen 212, 224, 225
Lissabon 9, 14, 23, 32
Livenza 183
Livorno 80
Llobregat 268
Llusanes 268
Lokris 198
Lomas de Chiclana 278
„ Ubeda 278
Lombardei 285
London 10, II, 13
Longobardi 238
Los Pedroches 249, 250
Lozaya 259
Lucca 215
Ludwig der Heilige 10
Luftdruck und Luftströmungen in
Marokko 312
Luftfeuchtigkeit in Marokko 345 ff.
Lukanien 220
Lukkos-Tal 340
Lykien 2 1
Macchien der Mittelmeerländer 49
Maceniten 382
Mac Carthy, O. 92, 95
Macpherson, J. 245, 251, 255, 256,
264, 270, 275, 276
Macrochloa tenacissima 51
Madjcr 386
Madonie 45
Mafragh 146, 148
Magnan 263
Maison Carree 118
Majella 228
Makedonien 6, 18
Makri 134, 324
Malaga 274
Mali moeco 192
4i8
Namen- und Sachregister.
Malaria der Mittelmeerländer 298 ff.
„ von Italien 301
„ in Marokko 36 1
Malta 5, 17, 18, 220, 221, 280
Maltzan, H. von 8g, IOI, 165, 173
Mancba 271
Manen 167
Manfredonia 228
Marburg 337
Marco Polo 10, II
Marecchia 181, 183
Marengo 97, 103
Margerie, E. de 263, 266, 268
Maria, die Katholische 1 1
Marinelli 186
Marismas 278
Marmarameer 30, 74
Marmarika 5, 19, 405
Mar Menor 277
Marokko 24, 36, 303 ff., 311 ff., 367 ff.,
374
Marrakesch 46, 284, 307, 310, 342,
343» 344, 347- 349. 35'. 356, 358
Marseille 34
Martiniere, de la 325, 330, 331, m,
345
Martiro d'Anghiera, P. 9
Marx, H. 308
Massa Marittima 214
Massiker Gebirge 217
Matera 2 30
Matese 229
Matmata 397
Matten 51
Mattinata 228
Maur, H. von 305, 309, 346
Mauren 9, 383, 398
Mauritania Caesareensis 373
„ Tingi tana 373
Maw 109
Maxyes 382
Mazafran 97, 98, 99, 128, 129
Mazagan 310
Mazikes 382
Mebtuhbecken 160
Medjerda 24, 76, 77, 78, 90, 155,
156, 158, 160, 161, 162, 164, 166,
167, 168, 170, 173
Medjez el Bab 159
Meerengen, pliocäne, von Süd-Italien
215
Megara 205
Mehamla 89
Mehedyia 373
Mekran 62
Melilla 374
Menaä 392
Meneghini 25, 218
Mercier 151
Meriniden 380
Mers el Kebir 67, 137
Meseta, Iberische 21, 23
Mesima 233
Mesopotamien 3, 33, 35, 284
Messina 25, 27, 28, 197, 233
Metamer 396
Milazzo 224
Milet 6
Minorka 221
Misrana -Wald 142
Misrata 383
Mitidja 67, 68, 95, 97, 99, 117, 124,
129, 130
Mitidja- Atlas 130
Mittel-Europa 15, 40
„ Marokko 338
Mittelmeer 43, 60
Moderni, P. 228
Mogador 120, 315, 327, 332, 334 ff.,
337. 338, 356, 358, 362
Mogod 386
Molukken 9
Moncabrer 279
Moncayo 260, 262
Mondovi 147
Monemvasia 200
Mongolen 404
Monseny 269
Montagne de la Chape 82, 83
Montagnes des Maures 213
Monte Amiata 52
„ Cocuzzo 238
„ Polhno 232, 233
„ Sant' Angelo 228
Montenegro 293
Montes de Toledo 249, 256
Montoro 249
Montpellier 86
Montserrat 269
Mornag-Ebene 158
Mostaganem 67
Motril 274
Mouchez 73, 78, 167, 173, 174
Mozabiten 392, 394
Muela de .San Juan 260
Muhadschir 406
Mulahacen 23
Mulujagebiet 311, 370
Namen- und Sachregister.
419
Murcia 270, 271, 272, 277, 285
Murgie 228
Mustapha 117
Mtuga 331, 339
Nachtigal, G. 90
Nadelhölzer der Mittelmeerländer 48
Nähr Zerka 20
Narbonne 34, 83, 86
Nares 320
Nauplion 200, 206, 208
Neapel 27, 79, 215
Nebel an der Küste von Marokko 323
Neerströme an der Küste der Berbe-
rei 75
Nemours 121
Nera 286
Neu-Griechen 7
,, Kastilien 21
„ Korinth 194
Neumayr, M. 60, 229
Nicastro 238
Nickles 272
Niederdeutschland 1 1
Niederschlagsverhältnisse des Küsten-
landes von Marokko 330 ff.
Niel, O. 150
Nil 4, 17, 19, 20, 36, 158
Nizza 82
Nocera 215
„ Tirinese 222, 223
Nogueia 268
Nordenskjöld 1 1
Nord-Marokko 338, 339, 348
Nordsee 13
Nord-Syrien 32, ^^
Norwegen 4
Norweger 1 1
Numidischer Golf 68
Nurra 213
Odessa 5, 30, 34
Ölbaum 53
Olympia 7
Oman, Bucht von 177
Onibrone 80
Oporto 23, 252
Opuntien 46
Oran 67, 72, 73, 75
Orb 85
Orduna 266
Oreos-Kanal 201
Oreste 225
Orleansville 96
Ost-Afrika 4
Ostiglia 182
Ostsee 13, 14
Oubay 72
Oviedo 265
Oxos 2
Padua 185, 192
Padusa-Haff 1S2, 183
Palästina 1, 3, 7, 14, 31, 286
Paleocapa 192
Palermo 63, 280, 285, 294
Palmi 225
Palmyra 35
Pantelleria l8, 28, 220
Pantikapaeon 34
Papier, A. 148, 149, 151, 153, 154
Paramera de Molina 262
Partsch, J. 77, 108, 155, 156, 162,
163, 166, 174
Pasmathus 137
Patras 208
Pavoa de Varzim 252
Pedro, Prinz von Portugal 10
Peirac 82
Peloponnes 41, 194, 195
Peloritanisches Gebirge 24, 26
Penamacor 249
Penon de Velez de la Gomera 374
Perestrello 10
Perpignan 83
Perrier 78
Persischer Meerbusen 14, 15, 33,35,
177
Pervinquiere 108, 109
Peschel, O. 366
Pessagno, Emm. 9, 10
„ Carlo 9
„ Leonardo 10
Pctali 202, 204
Pflanzenwelt des Mittelmeergebiets 44
Phaleron 207
Phanagoria 34
Philipp der Schöne 10
Philippeville 72, 73, 92
Philippson, A. 195
Phöniker 2, 3, 4, 14
Phrygana 51
Phteri 200
Piave 183, 191
Picos de Europa 264
Pillau 76, 157, 172
Piräus 207, 208
Pisaner Berge 219
Planasse 82
420
Namen- und Sachregister.
Plane 76, 157
Po 182, 185 ff.
Po-Delta 182, 186
„ Ebene 178
Pointe Pescade 94, 95, 1 10, 125
Poiret 150
Pola 180
Policastro 224
Polybios 161
Pomel 108
Pomobecken 177
Ponsul 155
Pontinische Sümpfe 226
Poro-Massiv 215, 216, 222
Porös 194, 206
Portillo de Cigarra 249
Porto 252
Porto Bullones 9
,, Farina yj, 78, 162, 166, 169,
171, 173
„ anto 10
Port de Velate 263
Portugal 9, 10, 13, 38, 248. 250,
252, 256, 264
Portugiesen 9
Poseidonkultus 198
Pozzuoli 28
Prejano 262
Provence 81, 85
Ptolemaios 382
Puerto Pefia 249
Punta della Estaca de Vares 251
Puff, Dr. 320
Pyrenäen 22, 23, 266
Quaderno 183
Quarnerische Inseln 180
Quellentemperatur in Marokko 360
Quintanar de la Orden 259
Quiroga, Fr. 322
Rabat 306, 316, 340, 341, 344
Rachgun 66
Raganello 236
Ras Acrata 98, IOO
„ Addar 156
,, el Amuch 127
„ Engeiah 112
„ Sidi Ali el Mekki 156
Ravenna 177, 178, 182, 183, 185,
188
Reclus, E. 108, 155, 166, 244
Reggio 225, 229
Rein, J. J. 355
Reno 183
Rhia 385
Rhiata 7,72» 3^6
Rhodapegebirge 29
Rhodos 4
Rhonetal 28, 34, 79, 82, 85
Richelieu 87
Richthofen, F. v. 90, 91
Rif 22, 23, 73, 392
Rimini 181, 185
Ritter, K. 243, 260
Riviera 280
Rohlfs 71, 323, 355
Rom 7, 14, 215
Romagna 181
Romanische Völker 403
Römer 8
F. 258
Ronda 273
Roon, A. von 242, 258, 261, 269
Rotes Meer 4, 17, 20, 35, 36
Rotonda 223, 236
Rottenburg 309, 324, 329, 347
Roudaire 108
Rumänen 5, 23, 199
Rumelische Scholle 28, 39
Ruscino 83
Rusgunia 115, 116, 117, 130, 137,
139
Rusibricari Matidiae 137
Russische Tafel 16
Rußland 1 1
Rusubbicarri 116
Rusuccurru 117, 142, 143
Saatfelder 52
Sabatini, V. 2 1 7
Sabiner Gebirge 222
Sado 259
Saffi 310, 328
Sahara 96
Sahara-Atlas 24
Sahel von Algier 95
„ „ Tipaza 95, 97, 129
Saint Eugene 113, 122
„ Gilles 87
„ Louis du Senegal 358
„ Martin 82
Sainte Lucie 82
Salado, Rio 278
Salamanca 249, 253
Salamvria 200
Salerno 217
Salleles 83
Salmojraghi 224
Namen- und Sachregister.
42£
Saloniki 30, 34, 40, 19g
Sama de Langreo 265
Sambiase 239
San Fernando 337
„ Sebastian 264
St. Llorens 269
Santa Eufemia 223, 225
Santander 266
Santorin 5
Sarajevo 41
Sardinien 24, 25, 28, 75, 213, 214
Sarmatisches Meer 30
Saronischer Golf 194, 204, 205, 206,
208
Sarrabus 213
Säulenkap Attikas 205
Savio 183
Sayago 250, 252
Schaamba 384
Schauia 339, 340, 343. 344. 387. 390,
392
Schedma 339, 340, 342, 387
Schelif s. Chelif
Scherifen 393
Scheschauen 338
Schluh 390
Schmidt, J. 199
Schott 12 t
Schrader, Fr. 266
Schulz 251
Schwarzes Meer 6, 30, 74
Schwarzwald 230
Scilla 225
Sebala 16 1
Sebau 138, 143
Sebubucht 23, 339, 340, 342, 371
Segonzac, de 354, 373, 374, 387,
389, 399
Segovia 259
Segura 277
Semmur 387, 398
Serben 41, 403
Serbien 28
Serchio 79
Serino 219
Sena-Aspromonte-Massiv 233, 235
.. da Estrella 255
,, „ Cintra 255
„ Arrabida 255, 259
Serrama de Ronda 275, 277
Settat 370
Setubal 23, 255
Sevilla 23
Seybuse 78, 96, 146, 147, 150
Shaw 116, 158, 162, 163, 174
Sidi Aissa bu Chabia 343
„ Amor bu Ktiua 163
,, Bu Said 165
„ el Arosi 342, 343
„ Kassem 344, 370
Siedelungen der Berbern 395
Sierra Alta 262
de Alcaraz 271
Alhama 273
Almijara 273
Altamira 249
Aracena 250
Ayllon 255
Cadi 268
la Caldeira 2 50
Carche 27 I
Contraviesa 276
la Culebra 249, 253
„ Demanda 260, 262
las Estancias 274
Faladeiro 251
los Filabres 275
Francia 249, 253, 255
Gador 276
Gata 249, 253, 255
Gredas 253, 255
Guadalupe 249
Guadarama 253, 255, 259
Maria 274
Meira 251
Menera 262
Ministra 255
Morena 256, 257, 258, 262
Nevada 273, 275, 276
de Pela 249, 255
„ Pena Negra 249
„ Pila 271
Rofiadaira 251
Sagra 27 I
de San Mamede 249
„ „ Pedro 249
„ Vicor 262
„ la Virgen 262
„ las Yeguas 273
Sicilien 17, 18, 24, 90, 285
Sicilisch-afrikanisches Meer 1 7
Siena 214
Siga 137
Sila 25, 27, 216, 232, 233, 235, 238
Sile 191
Silgebiet 264
Sinkstoftuhrung der Flüsse 290
Skarpheia 61, 199
422
Namen- und Sachregister.
Skuphos 198
Skylax 137
Skyllaeon 205
Slawen 5, 403
Smyrna 5, 208
Sofia 29
Sorrent 28, 214, 217
Spanien 9, 50, 409
Spanier 6, 123, 124
Spercheios 202
Spetzae 194, 206
Spezia 25, 79, 218
Spina 177, 187
Sporaden 201, 203, 204
Srigina 71
Stäche 227
Stagnone-Insel 226
Staubwinde Inner-Marokkos 359
Stefano, G. de 229
Steilküste, aufgeschlossene 63
Stora 71
Strabon 86
Subatlantische Berieselungsoasen 352
Sudan 32
Sudak 35
Südosteuropäische Halbinsel 39
Südwestpeloponnesische Tiefe 16, 20
Suess, E. 60, 64, 75, 110, 178, 199,
221, 253, 276
Suez 35
Sybaris 235
Syrakus 6
Syrien 5, 6, 17, 20, 32, 41, 284, 409
Syrte, große 5, 22
„ kleine 18, 27, 32, 120
Syrtenmeer 19, 37
Tacfarinas 380
Tafilelt 372, 388
Tafna 137
Taganrog 43
Tagliamento 183
Tajo 249, 251, 256, 259
Taksebt 141, 145
Talantikanal 198
Tamahu 390
Tanger 306, 325, 337, 338, 340, 362fr.,
374
Tarent 6, 27, 39, 177, 220, 230, 233,
235
Tarik 381
Tarragona 269
Tarsia 236
Tasa 23, 373
Tasaut 349
Tataren 405
Taufälle in Marokko 322, 343 ff.
Taurus 42
Tchihatscheff 114
Tebessa 89
Teburba 77, 158, 159
Tech 85
Tedla 359
Teil- Atlas 23, 24
Tellini, A. 229
Tenes 67, 72, 73
Tensift 340, 341, 342, 343, 352, 371
Ter 268
Terracina 226
Terranova 236
Terrassen in Kalabrieu 222
Teruel 260, 285
Tet 85
Theben 3
Thermische Verhältnisse Inner - Ma-
rokkos 326, 356
Thermopylen 202, 203
Thessalien 199, 200
Thomson, J. 349, 355, 359, 360
Thrakien 28
Thugga 398
Tiber 288
Tiberias-See 19
Tiberius, Kaiser 27
Tierwelt 55
Tietar 249
Tigris 2, 33, 35
Tigzirt 117, 138, 139, 140, 141, 143
Timbuktu 36, 383
Tipaza 67, 88, 93, 101, 122, 123,
129 ff.
Tirremt 396
Tirsboden 339, 340, 343
Tissot, Ch. 77, 155, 156, 158, 162,
163, 166, 382, 390
Tizi Uzu 143
Tlemcen 373
Tliq 385
Tolosa 265
Tomillares 5 1
Torcello 178, 185
Tornquist 25, 213
Toscanelli 8
Toskana 289
Toskanisches Erzgebirge 24, 214
Toskanische Inseln 24, 80
Totes Meer 33
Tremeaux 103, 129
Namen- und Sachregister.
42,3
Tremitische Inseln 229
Treviso 185
Tricheri 200, 201
Triest 30
Tripolis 36, 70
Tripolitanien 32, 392
Troizen 205
Tropea 225
Tropez 82
Tschad-See 36
Tscherkessen 405
Tschifalo 124
Tsul 373
Tuareg 383, 398
Tunesien 17, 23, 24, 45
Tunis 72, 76, 77, 90, 156, 169, 174,
221, 283, 292, 350
Turkestan 6
Turrucum 262
Tuthmosis III. 3
Türken 5, 14, 378, 404, 408
Tyrrhenis 24, 25, 211fr"., 220
Tyrrhenisches Meer 64, 80, 177, 212
Uabhiten 394
Udschda 23
Uessan 330
Uled bu Sba 342, 343, 349
„ Delim 385
„ Hilal 385
„ Na'il 392
„ Solei'm 385
Ura-er-Rbia 342, 352, 371
Ungarn 40
Usodimare 10
Utik
iodimare 10
ika 24, 77, 157, i6r, 164, 165
Valencia 22, 261, 270, 285
Valle dei Sette Casoni 183
Vallo di Diano 223
Varano 228
Vasto 230
Vegetation der Wasserläufe 51
Venedig 10, 13, 36, 39, 176 fr.
Verazzano, Giov. 10
Verdunstung über dem Mittelmeere 74
Vergara 266
Verkarstung 292
Verneuil, de 260, 270, 272
Verödung der Mittelmeerländer 302
Vespucci, A. 9
Vesuv 215
VigO 23
Vinalapö 277
Viola, C. 216, 217, 229
Vizcaya 266
Völkerleben 57
Völkerstatistik 407
Volksdichte am Mittelmeere 408
Volo 201
Vorderasien 6
Vrana-See 181
Vultur 52, 219, 23U
Vulturnino 219
Wälder der Mittelmeerländer 48
Wasgenwald 231
Wasserstraßen der Po-Ebene 193
Weber 306, 325, 332
Wed bu Namussa 146
Beht 370
Churka 146
Hamiz 117, 118
Harrach 1 1 7
el Kebir 146
Miliana 156, 158
Msun 372
Nador 97, 99, 103, 129, 133
Rdem 370
Rir 384
Wegsamkeit des Atlasvorlandes von
Marokko 371
Weinbau in Algerien 129
White, H. 306
Wien, Senkungsfeld von 30
Willkomm, M. 243, 256, 258, 261,
269
Wind als geologischer Arbeiter 294
Wirbel von Faltengebirgen 221
Wlachen 41, 378
Wüstentafel 15, 17, 19, 32, 35
Xataves 9
Yssuf-el-Hadschadschi 9
Zaccagna 25, 218
Zaghuan 176
Zaian 387
Zair 388
Zannone 217
Zembra 76, 157
Zembretta 76, 157
Zenaga 383
Zenata 384
Zianidcn 380
Zinzaren 378
Druck von B. G. Teubner in Leipzig.
Tafel I.
<Me Dunenzüge ^^ln geschichtlicher Zeit
gebildetes Land
4. Die Rundbucht
von Algier
i : 350000
rafe! l.
20' ö. v. Gr.
i. Die tektonischen Grundzüge des Mittelmeergebiets
1 : 35000000
st% Junge Faltengebirge
«BS Alte Rumpfschollen (die lydische und die kykladische Masse nach Philippson)
I I I I Bereich des eurasiatischen Faltenlandes
/// Bereich der großen Wüstentaf.-l
Caöa de Creus
6. Die nordadriatische
Haffküste
1 : i 500000
2. Thalassogene
Schwemmlandküste
von Languedoc.
1 : r 500000
+ Verlandete Inseln
3. Brandungsbuchten bei Tipaza
1 : 50000
Pijchei Mittc-Ii
,. Die Rundbucht
von Algier
1 : 350000
Tafel II.
Mitte! iild,
Verlag- von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
Vom Verfasser erschien früher:
MITTELMEERBILDER.
GESAMMELTE ABHANDLUNGEN ZUR KUNDE
DER MITTELMEERLÄNDLR.
[VI u. 480 3.] gr. 8. 1906. geh. M 6. — , in Leinwand geb. M 7 . —
Inhalt: I.Aus dem Orient. Ein Ausflug von Konstantinopel zur Höhle von
Yarim-Burgas. Landschaftsbilder von der bithynischen Riviera. Die geographische
und ethnographische Unterlage der orientalischen Frage. Die Dattelpalme im
Kultur- und Geisteslebeu des Orients. II. Palästina. Eine länderkundliche
Studie. Allgemeine Charakteristik und Entwicklungsgeschichte. Die Küstenebene.
Westjordanland. Jerusalem. Das Ghor. Sodom und Gomorrha. Ostjordanland.
Das Klima. Pflanzenwelt. Bevölkerung. Wirtschaftliche Verhältnisse. Ver-
waltungseinteilung. Zukunft des Landes. III. Italien. Eine länderkundliche
Skizze. Entwicklungsgeschichte. Bodenplastik. Klima und Pflanzenwelt. Be-
völkerung. Wirtschaftliche Verhältnisse. Volksdichte und Siedelungskunde. Die
sizilische Frage. Ansiedelung und Anbau in Apulien. Land und Leute in Korsika.
IV. Die Iberische Halbinsel. Geographische Skizze der Iberischen Halbinsel.
Skizzen aus Südspanien. V. Die Atlasländer. Die Küstenländer Nordafrikas
in ihren Beziehungen und in ihrer Bedeutung für Europa. Zwischen Tebessa und
Gabes. Reiseskizzen aus Südtunesien. Reiseeindrücke aus Marokko im Jahre 1899.
Marokko. Eine länderkundliche Skizze. Französische Kolonialpolitik in Nord-
westafrika. Fünfzehn Jahre französischer Kolonialpolitik in Tunesien. Tunis,
Biserta und Tunesien im Jahre 1904. Palmenkultur und Brunnenbohrungen der
Franzosen in der Algerischen Sahara. Namen- und Sachregister.
Die vorliegende Sammlung von Abhandlungen zur Kunde der
Mittelmeerländer enthält Früchte dreiunddreißigjähriger Studien über
die Mittelmeerländer und von einigen zwanzig bald längeren, bald
kürzeren Reisen im Bereich derselben vom Bosporus bis Südwest-
marokko in den Jahren 1872 — 1902. Sie beruhen fast durchaus auf
Selbstsehen, ja einige sind geradezu Reiseschilderungen, andere da-
gegen enthalten in gedrängtester Kürze die Ergebnisse einer langjährigen
Denkarbeit, die sowohl auf vielseitige eigene Beobachtungen, wie auf
Verarbeitung einer Fülle wissenschaftlichen Quellenstoffes der ver-
schiedensten Art zurückzuführen ist.
„Alle Freunde des Mittelmeergebiets, der alten Heimstatt unserer wissen-
schaftlichen Bildung, des ewig jungen Zauberkreises erfrischender, neu anregender
Eindrücke in den Erholungspausen des Lebenstagewerks, werden es dem Verfasser
Dank wissen, daß er, nachdem er die gewichtigen Früchte seiner planvollen Forschungen
in bedeutenden Werken und gehaltvollen Einzelstudien niedergelegt, nun auch die
anmutigen Blüten, die er an seinen Wanderpfaden gepflückt, und die für die ganze
gebildete Welt bestimmten Zusammenfassungen seiner Eindrücke von Ländern seines
besonderen Arbeitsfeldes, Augenblicksbilder ihrer Zustände und vor- und rückwärts
gekehrte Übersichten ihrer Entwicklung und ihrer Bedeutung, in einem stattlichen
und doch noch handlichen Bande vereint hat. Er hat damit dem Leser mehr ge-
boten, als er selber plante, nicht nur die einheitliche Wirkung von Studien, die
über 33 Jahre sich verteilen, sondern auch den Eindruck seiner eigenen Entwicklung
als Forscher und Darsteller von den munteren, vom blanken Spiegel eines jungen
wissensdurstigen Sinnes in farbenfrischer Unbefangenheit zurückgestrahlten Wahr-
nehmungen der ersten Reisen bis zu den mit dem Bewußtsein methodischer Ver-
antwortüi hkeit. bedächtigeren Schrittes, mit sorgsam gedichtetem Gedankengefüge
und minder leirhtflü^i^em Satzbau auftretenden Essays des ausgereiften, in seiner
Eigenart abgeschlossenen geographischen Denkers."
'Dr. A Petermanns Geogr. Mitteilungen. 1907. Heft 1.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig- und Berlin.
DAS
MITTELMEERGEBIET.
SEINE GEOGRAPHISCHE UND KULTURELLE
EIGENART.
Von Dr. A. PHILIPPSON.
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT HALLE A./S.
2. verbesserte Auflage. Mit 9 Figuren im Text, 13 Ansichten und
10 Karten und 15 Tafeln. [XII u. 261 S.] gr. 8. 1907. In Leinwand
geb. Jl. 7. —
„Es ist in jeder Hinsicht eine des Meisters der Länderkunde, Ferd. v. Richt-
hofens, dem es gewidmet ist, würdige Gabe. Die Aufgabe, die sich der Verfasser
gesetzt hatte, das Mittelmeergebiet als ein nach seiner Entstehung und seinen
Charakterzügen einheitliches darzustellen, den ursächlichen Zusammenhang der
Erscheinungen, soweit sie geographisch bedingt sind, herauszuarbeiten und überall
auf dem festen Boden exakter Beobachtung, nicht der geistreichen Spekulatiou,
nachzuweisen, ist glänzend gelöst. Philippson enthüllt hier ganz neue Seiten seines
Wissens und Könnens und bietet auch dem Kulturhistoriker und dem Soziologen
sehr viel. Methodisch bedeutsam ist auch die überall scharf durchgeführte Scheidung
von Geologie und Geographie."
(Dr. A. Petermanns Geogr. Mitteilungen 1904, Heft VIL)
„Überall werden uns frische, in dem weiten Gottesgarten selbst gepflückte
Früchte geboten, nicht trockene, mühsam im Lehnstuhle angequälte Weisheit."
(Literarisches Zentralblatt. 1904. Nr. 27.)
„Ein Buch , das sich viele Freunde unter den Gebildeten erwerben und allen
denen, die den sonnigen Süden aufsuchen wollen oder von dort zurückgekehrt sind,
eine Quelle echten Genasses sein wird. Besonders aber bietet es dem Lehrer, der
sich im Unterricht mit irgend einem Gebiete der Mittelmeerländer zu beschäftigen
hat, sei er Philologe, Historiker oder Geograph, die reichste Anregung. Gerade
für die Bedürfnisse der höheren Schulen füllt das zusammenfassende Werk eine
bisher sehr empfundene Lücke aus."
(Zeitschr. f. d. Gymnasialw. LIX. Jahrg. Heft 2/3.)
„Mit großer Genugtuung darf man das vorliegende Buch Philippsons empfehlen,
es steht auf der vollen wissenschaftlichen Höhe." (Q\e Umschau 1004 Nr 50 )
„Eine ganz ausgezeichnete, nach Anlage, Durchführung und Beschränkung auf
das Wesentliche geradezu vorbildliche Übersicht über die dem Mittelmeergebiet
gemeinsamen geographischen und kulturellen Faktoren."
(Annalen d. Hydrographie u. Maritimen Meteorologie, 1904. Juli.)
„Für jeden, der die politische Entwicklung, die Tagesgeschichte verfolgt, für
jeden, der eine Verpflichtung fühlt, sich über die Grundlagen seiner persönlichen
Kultur klar zu werden, ja für jeden, der der Belehrung und des ästhetischen Genusses
wegen die südlichen Länder zu besuchen pflegt, ist ein Buch wie Philippsons
Mittelmeergebiet eine anregende, ja geradezu fesselnde Lektüre. Gedankenreich
ist das Buch, geschrieben von einem, der das Mittelmeergebiet genau kennt, dessen
Forschungsarbeit vorzüglich dem östlichen Mittelmeergebiet zugute gekommen ist."
(Frankfurter Zeitung. 1904. Nr. 302.)
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
VOM HEILIGEN BERGE
UND AUS MAKEDONIEN.
Von HEINRICH GELZER.
Reisebilder aus den Athosklöstern und dem Insurrektionsgebiet. Mit
43 Abbildungen im Text und einem Kärtchen. [XII u. 262 S.] gr. 8.
1904. geh. M. 6. — , geb. M. 7. —
Der erste Teil dieser Skizzen beschäftigt sich mit der Klosterrepublik des
Heiligen Berges, der einzigen Stätte, wo altchristliche Askese und byzantinisches
Mönchtum sich völlig bis in die Gegenwart erhalten haben. Ein allgemeiner Über-
blick skizziert kurz die Geschichte der Athosklöster, wendet sich dann zu deren
heutiger Verfassung und Organisation, sowie zu dem auch in dieser abgeschiedenen
Welt hervortretenden Zwist der hellenischen und der slawischen Nationalitäten.
Einläßlich schildert der Verfasser dann die von ihm besuchten Klöster, so die
griechischen: lwiron, Lawra, Watopedi, Esfigmenu, und die slawischen: Russiko,
Chilandari und Zografu.
Der zweite Teil, gibt die Eindrücke der Reise des Verfassers durch West-
makedonien wieder. Über Monastir, wo er die Gastfreundschaft und werktätige
Unterstützung des später so grausig dahingemordeten russischen Konsuls Rostkowsky
genoß, wandte er sich nach Ochrida. Nach einer Schilderung der heutigen Stadt
werden die makedonischen Zustände überhaupt und der dortige Nationalitätenkampf
besprochen. Wie Ochrida den Mittelpunkt des bulgarischen, so bildet Korytza den
des albanesischen Volkstums. Im Anschluß an die Reiseerlebnisse werden Geschichte
und Bräuche der Albanesen und die Stellung der orthodoxen Toska charakterisiert,
deren Kultur eine völlig griechische ist. Den Abschluß bildet der Besuch in Kastoria,
mit dessen Bischof der Verfasser in nähere Beziehungen trat. Zugleich war es ein
Zentrum der Südmakedonien besetzenden türkischen Armee. So kam es zu manchen
interessanten Berührungen mit den höheren daselbst stationierten oder durch-
reisenden türkischen Militärs.
Zahlreiche Abbildungen, die zum Teil auf für den Verfasser besonders gefertigten
Aufnahmen beruhen, sowie eine Karte derAthoshalbinsel sind dem Texte beigegeben.
VOM KAUKASUS
ZUM MITTELMEER.
EINE HOCHZEITS- UND STUDIENREISE DURCH
ARMENIEN.
Von Dr. PAUL ROHRBACH.
Mit 42 Abbildungen im Text. [IV u. 224 S.] gr. 8. 1903. geh. JC 5. — ,
gebunden JC 6. —
Das Buch schildert die Hochzeitsreise des Verfassers durch das russische und
türkische Armenien und die Gebirgslandschaften bis an die Südküste Kleinasiens.
Die großen Armeuiermassacres der Jahre 1895 — 1897 waren unmittelbar vorher-
gegangen; der ganze verwüstete Zustand des Landes, der Ruin und die Dezimierung
der Bevölkerung enthüllten sich in einem schrecklichen, wochenlangen Panorama
den Blicken der beiden Reisenden. Neben diesem unmittelbar aktuellen Thema
ergibt sich, aufgereiht an dem fortschreitenden Faden der Reise , eine mannigfaltige
Folge von persönlichen Erlebnissen, politischen, kulturgeschichtlichen und ethno-
graphischen Beobachtungen aus der bunten, wenig bekannten Völkerwclt jener
Gebiete. Die landschaftliche Schilderung und die Bezugnahme auf die historische
Vergangenheit bilden Hintergrund und Rahmen. Zur Veranschaulichung des Dar-
gestellten tragen die Bilder von Volkstypen und Landschaften wesentlich bei. Das
Buch ist der beste Wegweiser, um zu einer gerechten und verständigen Beurteilung
der armenischen Frage zu kommen. Auch der Kenner Xenophons wie der für deutsche
Wirtschaftspolitik im Orient Interessierte findet in dem Werke wertvolle Nachrichten.
VLBLAG VON B. G.TEUBNER IN LEIPZIG UND BERLIN
DIE HELLENISCHE KULTUR
DARGESTELLT VON
FRITZ BAUMGARTEN, FRANZ POLAND, RICHARD WAGNER
2. Auflage. Mit 7 farbigen Tafeln, 2 Karten
und gegen 400 Abbildungen im Text und auf 2 Doppeltafeln.
[XI u 530 S.] gr. 8. 1908. geh. M. 10.—, in Leinw. geb. Jt.11.—
Die glänzende Aufnahme, die das Buch sowohl bei der Kritik
als auch in weiten Leserkreisen gefunden hat, beweist, daß das
Bedürfnis nach einer zusammenfassenden Darstellung der helle-
nischen Kultur, die auf der Höhe der heutigen Forschung steht,
vorlag, und daß die Verfasser ihre Aufgabe vortrefflich gelöst
haben. In der zweiten Auflage wird den neuen Entdeckungen der
letzten beiden Jahre, sowie der außerordentlichen Bedeutung der
Vasenmalerei für die heutige Forschung Rechnung getragen. Der
schon außerordentlich reiche Bilderschmuck ist durch eine beträcht-
liche weitere Anzahl sorgsam ausgewählter neuer Abbildungen
vermehrt. So liegt denn ein Werk vor, das nach Form und Inhalt
Vollendetes leistet. Nicht nur Lehrer und Schüler der Oberklassen
höherer Lehranstalten, sondern ebenso Studierende und Künstler,
alle Freunde des klassischen Altertums, ja alle Gebildeten finden
in dieser Darstellung der hellenischen Kultur die mustergültige
Grundlage für ein geschichtliches Verständnis aller späteren kul-
turellen Entwicklung.
„Seine Verfasser woUten in erster Linie ein Buch für Schule und Haus
schaffen und nahen bei diesem Bestreben eine äußerst glückliche Hand bewiesen.
In schöner, ebenmäßiger Darstellung entrollt sich vor dem Blick des Lesers die
reiche hellenische Kulturwelt. Wir sehen Land und Leute im Lichte klarer und
scharfer Charakteristik und träumen uns mit Hilfe der beigegebenen herrlichen
Landschaftsbilder in die große Vergangenheit zurück. Das staatliche, gesellschaft-
liche und religiöse Leben, das Schöpferische in Kunst- und Schrifttum steigt in
leuchtenden Farben vor uns auf. Der feine kritische Sinn, der die Verfasser
niemals verläßt, erfüllt mit Zuversicht in ihre Urteile. Für einen Schüler der
höheren Gymnasialklassen z. B. läßt sich daher in der ganzen gleichgearteten
Literatur ein schöneres, anregenderes Buch kaum finden." (Hochland.)
„Eine wohlgelungene Leistung, die mit großer Gewissenhaftigkeit gemacht
und von reiner Begeisterung für die Sache getragen ist. Die Sorgfalt und die
Kenntnis der Verfasser verdienen aufrichtige Anerkennung: das Ergebnis ist ein
Buch, das ein glückliches Muster populärer Behandlung eines manchmal recht
spröden Stoffes darstellt. Man möchte ihm recht weite Verbreitung in den Kreisen
derjenigen wünschen, die sich nicht bloß mit dem konventioneUen „Namen des
Gebildeten" zufriedengeben, sondern in Wahrheit zu dem geschichtlichen Ver-
ständnis unserer heutigen geistigen und politischen Lage vorzudringen trachten;
und den Schülern der oberen Klassen unserer Gymnasien sowohl, als auch den
Studierenden unserer Hochschulen, besonders den Anfängern, wird das Werk
Ausgangspunkt und eine solide Grundlage für weitere, quellenmäßige Studien sein."
(Historische Vierteljahrsschrift.)
Verlag" von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
OSTASIENFAHRT.
ERLEBNISSE UND BEOBACHTUNGEN
EINES NATURFORSCHERS IN CHINA, JAPAN UND CEYLON.
Von Dr. FRANZ DOFLEIN,
PROFESSOR DER ZOOLOGIB AN DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN UND
II. CONSERVATOR DER K. BAYER. ZOOLOGISCHEN STAATSSAMMLUNG.
Mit zahlreichen Abbildungen im Text und auf 8 Tafeln, sowie mit 4 Karten.
[XIII u. 512 S.] gr. 8. 1906. In Leinwand geb. M 13. —
Dies Buch ist kein Reisewerk im gewöhnlichen Sinne. Es gibt
nicht in feuilletonistischer Weise flüchtige Eindrücke wieder, sondern
es ist das Ergebnis eingehender Forschung. Verfasser verbindet mit
dem scharf beobachtenden Blick des Naturforschers die allgemeinen
Interessen des Kulturhistorikers. In selten anschaulicher Sprache ent-
wirft er ein glänzendes Bild von dem farbenfrohen Leben des fernen
Ostens, dessen Menschen, Tiere und Pflanzen er in die verschiedenen
Äußerungen ihres Seins verfolgt.
„Dofleins Ostasienfahrt gehört zu den allerbesten Reiseschilderungen, die Ref.
überhaupt kennt, die er getrost neben die Darwins stellen möchte, nur daß an
Stelle der ernsten Bedächtigkeit und Zurückhaltung des Briten das lebhafte
Temperament des Süddeutschen tritt, dem das Herz immer auf der Zunge liegt,
und der deshalb auch vor einem kräftigen Wort nicht zurückscheut, wo es die
Verhältnisse aus ihm herausdrängen. Es liegt eine solche Fülle feinster Natur-
und Menschenbeobachtung in dem Werk , über das Ganze ist ein solcher Zauber
künstlerischer Auffassung gegossen, und allen Eindrücken ist in geradezu meister-
hafter Sprache Ausdruck verliehen, daß das Ganze wirkt nicht wie eine Reise-
Beschreibung, sondern wie ein Kunstwerk, dem der russisch-japanische Krieg, der
zur Zeit der Reise gerade wütete, einige dramatische Akzente verleiht. Auch die
Ausstattung des Werkes ist eine vorwiegend feinsinnig künstlerische."
[Die Umschau. 1907. Nr. 24.]
„Mit innigem Anteil wird der Leser durch des Verfassers offene Augen Natur
und Kunst und die Menschheit im fernen Osten sich ansehen, mit ihm sich er-
wärmen für das Schöne und Gute auch unter anders gefärbter Haut und mitfühlen
den im stillsten Winkel des Herzens verborgenen Weltschmerz des Naturforschers,
daß die Erde und ihre Bewohner so nivelliert werden."
[Dr. A. Petermanns Mitteilungen. 1907. Heft 3.]
„Nicht nur ein Forscher, sondern auch ein Mensch mit offenen Augen, der sich
redlich bemüht, die Dinge nicht durch die vorgefaßter Meinungen zu sehen, tritt
dem Leser entgegen. Fast möchte ich meinen, die Art, wie unser Autor das
Menschliche schildert, dem er begegnet, reicht zum mindesten an seine Be-
schreibungen der Fauna und Flora von Meer und Land heran. Hier ist nichts zu
spüren von der Überhebung des Westländers, die so vielfach falsche Urteile pro-
duziert, wenn es sich um asiatische Verhältnisse handelt. Unvoreingenommen, mit
dem Wunsche zu verstehen und gerecht zu sein, betrachtet Doflein diese Kultur
und ihre Träger. Liebevoll sucht er sich hineinzufühlen in die Seele des japanischen
Volkes, das uns Europäern so viele Rätsel aufgibt. Ich kann nicht schließen, ohne
meinen Dank gegen den Verfasser in den Wunsch gekleidet zu haben, recht viele
möchten die Gelegenheit benützen, sich durch die Lektüre dieses schönen und
reichen Buches einen reinen Genuß zu verschaffen."
[Frankfurter Zeitung. 1906. Nr. 3.]
„Es ist eine Freude mit Doflein zu reisen! wird jeder ausrufen, der mit ihm
die Abenteuer seiner Ostasienfahrt im Geiste miterlebt hat. Ich wünsche dem inner-
lich und äußerlich vornehmen Buche zahlreiche Leser, nicht allein um des Buches,
sondern mehr noch um ihrer selbst willen."
(Geographischer Anzeiger. 1907. Heft 5.)
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
WELTREISEBILDER.
Von JULIUS MEURER.
Mit 116 Abbildungen im Text und auf Tafeln, sowie einer Weltkarte.
[VHI u. 397 S.] gr. 8. 1906. In Leinwand geb. JC. 9. —
Der als Reiseschriftsteller bekannte Verfasser bringt seine Reiseerlebnisse und
-eindrücke in Form von abgeschlossenen Bildern, deren ein jedes einen Reiseabschnitt
behandelt. In diesen Abschnitten stellt der Autor möglichst anschaulich dar, was
dem Weltreisenden in den einzelnen Ländern, z. B. Indien, Java, China, Japan,
Nordamerika, auf einer längeren See- oder Landreise, oder in einer besonders her-
vorragenden Landschaftsszenerie — wie der Himalaia — entgegentritt. Sein be-
sonderes Augenmerk hat der Verfasser darauf gerichtet, Vergleiche zu ziehen mit
europäischen Verhältnissen , um dadurch ein leichteres, der Wahrheit oder Wirk-
lichkeit näher tretendes Verständnis des Lesers hervorzurufen, dem jene Länder
und Völker fremd sind. Besondere Sorgfalt widmet der Verfasser der Schilderung
der besonderen Eigenart der ostasiatischen Völker, und zwar der Inder und ihrer
Religionskulte, der Javaner und Malaien, der Chinesen und Japaner. — Auch die
unerreicht großartigen Kunstbauten, sowie die unvergleichlichen Kunsterzeugnisse
Indiens, Chinas und besonders Japans werden eingehender behandelt.
AUF JAVA UND SUMATRA.
STREIFZÜGE UND FORSCHUNGSREISEN IM
LANDE DER MALAIEN.
Von Dr. K. GIESEN HAGEN.
Mit 16 farbigen Vollbildern, zahlreichen Abbildungen und I Karte,
gr. 8. geh. JC 9. — , in Leinwand geb. JL 10. —
Diese Reisebeschreibung beruht auf den Aufzeichnungen, die der Verfasser
während seiner Forschungsreise unter dem unmittelbaren Eindrucke der Gegenwart
gemacht hat, und entwirft ein anschauliches Bild der indomalaiischen Tropen, ins-
besondere von Java und Sumatra. Geographie und Landesnatur, Vegetation und
Tierleben werden lebendig und eindrucksvoll geschildert, ebenso die sozialen Ver-
hältnisse der durchreisten Länder und das malaiische Volkstum in seinen ver-
schiedensten Lebensäußerungen. Besondere Beachtung findet auch die tropische
Agrikultur der Inseln und ihre hervorragende Bedeutung für Welthandel und
Weltverkehr. Bei dem ungemein großen Anteil, den deutsche Arbeit und deutsches
Kapital an der wirtschaftlichen Erschließung dieser für uns so wichtigen Länder
haben, wird das Buch vielen erwünschte Aufschlüsse über ihren Kulturzustand
geben können.
EINE AUSTRALIEN- UND
SÜDSEEFAHRT.
Von Dr. A. DAIBER.
Mit zahlreichen Abbildungen im Text und auf Tafeln, sowie einer
Kartenbeilage. [VIII u. 320 S.] gr. 8. 1902. In Leinwand geb. Jl. 7. —
Über die südliche Halbkugel beginnt Australien immer mehr als Königin zu
herrschen. Es ist staunenswert, in welch kurzer Zeit sich dieser ferne Kontinent
zu einem großen Mittelpunkt der Zivilisation emporgerungen hat. Merkwürdigerweise
ist dieser jüngste Weltteil in Europa, speziell auch in Deutschland, noch nicht so
gewürdigt, wie es ihm seiner heutigen Bedeutung nach zukommt. Australien dem
deutschen Publikum näher zu bringen, ist der Zweck des vorliegenden Werkes.
Auch die deutschen Kolonien der fernen, palmenreichen Südsee, wenn auch nur in
Skizzen, der Heimat vertrauter zu machen, hat der Verfasser versucht. Schlicht und
wahr, dabei aber lebendig und anschaulich weiß er Land und Leute zu schildern und
die geschichtliche Entwicklung verständlich zu machen ; besonderes Interesse widmet
er dem sozialen Leben und der wirtschaftlichen Bedeutung der durchreisten Länder.
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