THE J. PALT, GETTY AlUSEUAI LIBRARY
MITTHEILUNGEN
PER
K. K. CENTRAL-COMMISSION
ZUR
EEFOESCHUNG UND ERHALTUNG DER BAUDENKMALE.
HERAUSGEGEBEN UNTER DER LEITUNG
SEINER EXCELLENZ DES PRÄSIDENTEN DER K. K. CENTRAL-COMMISSION
Dl. JOSEPH ALEXANDER FREIHERRN VON HELFERT.
EEDACTEUR: Dr. KARL LIND.
XIV. JAHKGANG.
MIT 193 HOLZSCHNITTEN UND 33 TAFELN.
WIEN, 1869.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD'S SOHN.
UKUCK DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
THE J. PAUL GETTY CENTER
UBRAKY
INHALT
DES XIV. BANDES DER MITTHEILUNGEN.
Seite
Neuentdeckte Fresken aus dem Leben der heil. Apostel Cyrill und Met ho d in Bom. Von Dr. B. Dudlk,
0. S. B. (Mit 3 Holzschnitten und 1 Tafel.) 1
Der Schatz von St. Veit zu Prag I. Abtheilung. Von Canonicus Dr. Fr. Bock. (^Mit •22 Holzschnitten.) 9
Die Urform der römischen Basilica. Von Franz R eher. (Mit 3 Holzschnitten.) 35
Das Melkerkreuz. Von Dr. E. Fr. v. Sacken. (Mit 7 Holzschnitten.) 59
Die Wallfahrtskirche zu Maria-Zeil in Steiermark. Von Hans Petschnig. (Mit 28 Holzschnitten und
einer Tafel.) 67
Die romanischen Deckengemälde in der Stiftskirche zu Lambach. Von Dr. E. Freiherrn v. Sacken.
(Mit einer Tafel.) 92
Der Grabstein der Kaiserin Eleonore zu Wiener-Neustadt. Von Dr. Karl Lind. (Mit 1 Holzschnitt.) .... 101
Studien über Befestigungsbaute n des Mittelalters. (Fortsetzung Deutschland.) Von Schulcz Ferencz.
(Mit 35 Holzschnitten.) 105
Über ein bei Kustendje gefundenes römisches Militärdiplom. Von Dr. Fr. Kenner 125
Über Darstellungen der Passion Jesu Christi, insbesondere auf einem noch unbekannten Bilde
von Lucas Kranach. Von Dr. .Mes smer. (Mit 2 Holzschnitten. j 133
Genesis der Kathedrale von Fünfkirchen in Ungarn. Von Dr. E. Henszlmann. (Mit 6 Holzschnitten.) . . . 139
Ein Edict des Kaisers Claudius. Von Dr. Fr. Kenner. (Mit einer Tafel.) 153
Ein Antiphouarium im Stifte St. Peter zu Salzburg. Von Dr. Karl Lind. (Mit 1 Holzschnitt und 26 Tafeln) 167
Nachträgliches zum Militärdiplom vom Kustendje. Vom Dr. Fr. Kenner 190
Die Siegel der österreichischen Regenten. Von Karl v. Sava. V. Abtheilung. (Mit 6 Holzschnitten.) 193
Kleinere Beiträge.
Die Marienkirche in der Vill, nächst Neumark in Tyrol.
Von Karl Atz. (Mit 3 Holzschnitten.)
Über die -verscliiedenen Formen des Gebäckes in Wien.
Von A. R. T. P. (Mit 7 Holzschnitten.)
Die Statue des heil. Blasius in der dem gleichnamigen
Heiligen gewidmeten Kirche zu Ragusa. Von Wen-
delin Boeheim. (Mit 2 Holzschnitten.)
Neuester Fund keltischer Münzen in der Pfarre Trifail zu
Doherna-Retje. Von Richard Knabl. (Mit 1 Tafel.)
Johann Karl von Röselfeld, Maler aus Tyrol, f im Stifte
Garsten 1735. Von J. R. t. Bergmann. .
Denksäulen. Von Dr. Karl Lind. (Mit 4 Holzschnitten.)
Seite
I
III
VII
vn
XY
XVI
Spite
Das Grabmal der Kaiserin Anna im Dom zu Basel. Von
A. W j e 1 e m an s. (Mit 3 Holzschnitten.) XVII
Ein Todtentanzgemälde in Krakau. Von . . .m XVIII
Der Taufstein in der Stephanskirche zu Wien. Von
. . .m. . . (Mit 1 Holzschnitt.) XX
Dr. Zahn's Jahrbücher für Kunstwissenschaft.' Von. .m. . XXI
Zwei alte Wehrthürme zu Mals in Tirol. Von Ph. Neeb. XXIII
Der Purgstall von Mösendorf. Von Dr. Kenner (Mit 4
Holzschnitten.) . XXm
Beschreibung eines alten mit Miniaturen reich ausgestat-
teten Gebetbuches in der Gymnasial-Bibliothek zu
Botzen. Von Karl Atz . XXVH
A*
IV
Dm romanische Portal zu Hulein in Mähren. Von F. X.
Segenschmied. (Mit 1 Holzschnitt.) XX.\
Die gothische Kirche zu Katharein in Mähren. (Mit 5
Holzschnitten.) X.XXI
Lützow's Zeitschrift für bildende Kunst. Von Dr. Karl
Lind. .Mit 1 Holzschnitt.) XXXIII
Römische Inschriften aus Mitrovic. Von Dr. Kenner. . . XXXVII
Die Pfarrkirche zu Gröbming in Steiermark. Von . . .d. . .
(Mit 3 Holzschnitten.) . . XLIII
Inschriften aus Pola und Risano. Von Dr. Kenner .... XLVI
Über die Regeneration der Heraldik und den gegenwär-
tigen Standpunkt dieser Wissenschaft. Von Dr. Ernst
Edlen V. Franzenshuld XLVIII u. LXVII
Die Ausstellung der Wiener Pläne und Ansichten beim
Wiener Magistrate. Von . . .m
Aus Kärnten. Von J. C. Hof richter
Über die ursprüngliche Bestimmung des sogenannten
Schatzkammer-Muttergottes-Bildes zu Maria-Zeil. Von
. . m. . . (Mit 1 Holzschnitt.)
Die Waffensammlung des österreichischen Kaiserhauses
im k. k. Artillerie-Arsenal-Museum zu Wien. Von
. . .m . . (Mit einer Tafel.)
Die Restauration des F'rauenchors in der St. Stephans-
kirche zu Wien
Der Burgbrunnen zu Trausnitz. Von Schulcz Ferenz.
(Mit einen Holzschnitt.)
WunibaldZürcher aus Bludenz, Conventual in Weingarten,
letzter Abt zu Hirschau, und dessen Grabstein zu
Thüringen, nebst einer Notiz über die Wanderungen
der Original-Handschrift der Annales Hirsaugienses
vom weitberühmten Abte Johannes Trithemius. Von
Dr. Jos. V.Bergmann LiX
Die Grabdenkmäler von St. Peter und am Nonnberg zu
Salzburg. Von .. . ra . hXl
Die Sammlungen des germanischen Museums. Von . .m. . LXII
Zur Literatur der christlichen Archäologie. Von Dr.
Messmer LXIII
Die Reliquienschreine in der Neuklosterkirche zu Wiener-
Neustadt. Von . . .m. , . (Mit 1 Holzschnitt.) LXV
Das apostolische Kreuz im Graner Domschatze. Von
. . . B . . (Mit 1 Holzschnitt.) LXVI
Mittelalterlicher Brunnen zu St Wolfgang. Von . m .
iMit 3 Holzschnitten.) LXX
Aus dem k. bayrischen Nationalmuseum ein rornanisches
Rauchfass. Von Dr. Messmer. (Mit 1 Holzschnitt.) LXXI
Die St. Stephans-Capelle zu Börzsöny in Ungarn. Von
J. Lippe rt. (Mit 8 Holzschnitten.) LXXII
Über die zu Ellenbogen im Bregenzerwalde im Jahre
1816 geborne und zu Berlin 1848 verstorbene Bild-
hauerin Katharina Felder. Von Dr. Jos. v. Bergmann
LIII
LXV
LIV
LV
LVII
LVUI
Lxxrv
Seite
Inschriften auf den Wappenschildern der in den deutschen
Orden aufgenommenen Ritter, in der Ordenskirche
zu St. Kuiiigunde am Lech in Grätz. Von Dr.
Hönisch LXXV
Rheinlands Baudenkmale des Mittelalters. Von .m. . . LXXVI
Die Kirchen des Cistercienser-Ordens in Deutschland
während des Mittelalters. Von Dr. Karl Lind. (Mit
10 Holzschnitten.) LXXVII
Vom Alterthums-Vereine zu Wien. Von . . .m. . . LXXXV u. CIV
Die Doppeleapelle in den Ruinen der Kleinfeste zu
Stein in Krain. Von H. Hausner. (Mit 2 Holz-
schnitten) XCI
Aus dem Berichte des k. k. Conservators Mieczyslaw
Ritter von Potok-Potocki. Von Th. Bauer XCII
Aus Teschen. Von Dr. Gabriel. (Mit 4 Holzschnitten.) XCIII
Zur Kenutniss der Glockenräder. Von Dr. Messmer
(Mit 1 Holzschnitt.) XCH'
Die Kronschatzcapelle zu St. Veit. (Mit einer Tafel.) XCV
Ein mittelalterliches Ölgefäss im Stifte Neukloster. Von
B. Kluge. (Mit 1 Holzschnitt.) XC\T
Fundberichte aus Steiermark. Von Dr. Fr. Pichler. . . XCVII
Die Auffindung der Überreste des Königs Kasimir des
Grossen von Polen in der Domkirche von Krakau.
Von - . . m XCVII
Beiträge zur Kunde der St. Stephanskirche in Wien. Von
. . . m . . . (Mit 1 Holzschnitt) : Das Siegel der St. Mo-
randus-Capelle, Die Katharinen-Capelle, Grabmale
im rechten Seitenchore. (Mit 3 Holzschnitten), Vor-
laufs Gedenkstein XCVIII u. CXIV
Eine Betsäule bei Pressburg. Von . . .m. . . (Mit 1 Holz-
schnitt.) cm
Das Jahrbuch des Vereines für Landeskunde von Nieder-
Osterreich. Von Dr. K. Lind CV
Berichtigung zu den römischen Inschriften in Mitrovic
und Pola. Von Dr Fr. Kenner CVI
Über Kaiser Rudolph's von Schwaben Denkmal in Merse-
burg. Von Dr. M e s s m e r CVII
Neunkirohen inNieder-Osterreich.Von Hans Petschnig.
(Mit 10 Holzschnitten.) CVIII
Wocel's Pravek zeme Cesk^. Von C. F. J. Bsch CXIV
Das Siegel des St. Johannes -Spitals am Siechenais zu
Wien. . . .m. . . (Mit 1 Holzschnitt) CXVII
Die Krypta in Göss. Von Dr. Karl Lind CXVII
Hostienbüchse, Eigenthum der Decanatkirche zu Melnik.
Von . . .m. . . (Mit 1 Holzschnitt.) CXVIU
Beiträge zar Geschichte der Siebenhirter. Von Dr.
Ernst Edlen von Franzenshuld. (Mit 1 Holz-
schnitt.) CXVIII
General-Versammlung der historischen Vereine Deutsch-
lands in Regensburg. Von . . m CXX
Nekrologe: Karl Rössner und Ignaz Keiblinger
Notizen
Personalstand der k. k. CentraUCommission mit Ausschluss der Functionäre in Ungarn, Croatien, Slavonien und Dalma-
tien, die erst im nächstjährigen Bande aufgeführt werden.
CXX
XXII
REGISTER
der
in diesem Bande angeführten Personen, Orte und Sachen.
Aachen, der Münsterschatz, 24, 26, 60,
LV.
— befestigtes Thor. 115.
— die Burg zu, 109.
— Miniaturen zu. 171.
Ah raham 3- Opfer, Miniature im Botzner
Gebetbuche, XXVIII.
Af lenz, die älteste Capelle zu, 69.
Agraffe, als Reliquiar, Prager Schatz, 23.
Agrippina, römische Kaiserin, 156.
Alb recht IV., Herzog, CXIV.
Allerheiligen. Miniature in Salzburg 102.
Altarkreuz, ein, Keliquiar im Prager
Schatze, 27.
Altert hums- Verein in Wien, LXXXVI,
CIV.
Altmünster, Kirche zu, XV.
Amelunxborn, die Cistercienserkirche zu,
LXXXIV.
Anatomie, architektonische, vergleichende,
139, 152.
Anaumi, die, in Südtirol, 155, 162.
Andernach, die Stadtthürme, 120.
— befestigtes Thor, 115.
Andreas (s.)Tod, Miniature in Salzburg, 183 -
Anger er .\nselm, Abt von Garsten, XV.
Angerfelder Rudolph, CXV.
Anguisola's Plan von Wien, LIII.
Ansiedlungen der Heiden in Österreich,
LXXXVIII.
Antiphonarium in Salzburg, 173.
Anzfelden, die Kirche zu, XV.
Apollonia, d. h., Miniature im Botzner
Gebetbuche, XXX.
Ära zu Mitrovic, XLIU.
Aranyi's Beschreibung der Burg Vajda-
Hunyad, LXXXVI.
Artaria, A., dessen Gemälde-Sammlung,
XXXV.
Arneth Joseph, 126.
Arsenal zu Wien, LV.
As chach, die Kirche zu, XV.
Athanarich's Schatz, 60.
A t h 0 s , das Malerbueh t. Berge. XC.
A trän s , XL.
Atz Karl, III, XXX.
Augsburg, der Dom, XCIV.
Auxiliarier, römische, 129.
.A.uiiliar-Dipl om des Kaisers Xero, 190.
B.
Bacharach, die Stadtthürme zu. 121.
— befestigte Kirchthürme, 124.
Baj ae, Volksstamm in Südtirol, 157.
Bamberg, Miniaturen zu, 171.
Barbara, d. heil., Miniature im Botzner
Gebetbuche, XXX.
Barmherzigkeit, die, christlich darge-
stellt, 135.
Bartfeld, die Kirche zu, 136.
Basel, Grabmal der Kaiserin Anna, XVII.
Basilica, die Urform der röm. , 35, 39.
Bauhütte, die, zu Prag. 9.
Baumgartenberg, Cistercienserkirche zu,
LXXXVI.
Babenhausen, Cistercienserkirche zu,
LXXXI.
Becker H., 50, 52, 53.
Benedict (s.), Miniature in Salzburg. 184.
Befestigungsbauten im Mittelalter, 105.
Benesch C. F. J., CXIV.
Bergalei, die, in Südtirol, 154, 158.
Bergmann, Dr. Jos. v., XV, LXI, LXXV.
Berlin, Miniaturen zu, 172.
Berlocher, Dr., LXXIV.
Bethlehemitischer, Kindermord, Minia-
ture in Salzburg, 177.
Bernd, S. Th., LL
Birk, Dr. E., 101.
Bliisius-Statue in Ragusa, VII.
Blaser, Martin, LXXXV.
Bludenz, LIX.
Blumenau bei Pressburg, CHI.
B 1 u m e n e g g , Schloss und Kirche, LX,
LXI,
B ö h 1 i n g e r Hans , 135.
B 0 ck, Dr. Franz, 9, 60, LXXVL
Böhmen, die Erdwälle in, CXIV.
Bojen, die. in Böhmen CXIII.
Boltze. Dr., V.
Bopfingen, ein Sanctuar in der Kirche zu,
135.
Boppart, die Burg Schwalbach. 110.
Börzöny, die Stephans-Capelle, LXXII.
Bozen, ein miniirtes Gebetbuch zu, XXVII.
Brachiale (Reliquiar) in Prag 18, 19.
Bremen, das Rathhaus, 114.
B r 0 m b a c h, Cistercienserkirche zu,LXXXII.
Brunn. Cistercienserkirche zu, LXXXV.
Brunnen zu Trausnitz, LVIII.
— zu St. Wolfgang, LXX.
Bucelini, Gabr., LIX.
B ucz acz, das Rathhaus, XCIII.
B u nsen , 38.
Burgbauten, mittelalt., 107.
Burnacini, CVI.
Büsten (gekrönte) an der Gnadencapelle
zu Maria-Zeil, 78.
c.
Camerarius Quintus Sulp., Consul, 156,
Games ina, Alb. t., 192, LIII, LXXXVIII,
XCIX, CIV.
Camurius S tatut US, 155.
Capelle rom. zu Börzöny, LXXII, LXXm.
— mit dreifachen Raum übereinander, XCII.
Capreae. 158.
Capselförmiges Reliquiar im Prager
Schatz, 14, 15, 24.
Card inali, 125,
Casimir von Polen, dessen Grabmal, XCVn.
Yl
Cathedra s. Petri, LXIV.
Cechen in Böhmen, CXIV.
Christiania. die Museen zu, LXXXVIII.
Christi Geburt, Miniature itc Salzburger
Codex 176.
— Stammbaum, IS'i.
— Taufe, 1J8.
— Bescbneidunp, 184.
— .\ufopferung, 178.
— .Aufnahme der Jünger, 184.
— Einzug, 179.
Christus vor Annas, 185.
Christi Geisselung, 185.
— Kreuzigung, 179.
— Kreuzabnahme, 185.
— Grablegung, 185.
— in der Vorhölle, 179.
— als Gärtner, 186.
— in Emaus, 180.
— Himmelfahrt, 180, 186.
— als Richter, 186.
Ciborienförmige Reliquiare zu Prag,
17.
Cirill's Reliquien, Freske in St. demente
in Rom.
— Leichenzug, 5.
— knieet vor dem Kaiser Michael III., 4.
— Begräbnissplatz, 1, 2.
Ci stercienser-Ordenskirchen- Bau-
anlage, LXXVII.
Claudius, röm. Kaiser, 154.
Clemens und der blinde Sisinius, Freske, 6.
— und der Sohn der Witwe, Freske, 7.
C 0 b 1 e n z , das Rathhaus, 113.
Colloredo- Wallsee, Uieronimus, Erz-
bischof V. Salzburg, sein Grabmal in
Wien, CHI.
Co In, die mittelalterlichen Befestigungen,
112.
Commercium, 162.
Constantius 11., röm. Kaiser, XXXVII.
Conubium, 162.
Creneville, Franz Graf, XXII.
Crucifix, das, in der St. Stephanskirche
zu Wien, CI.
Cullen, Dr., Arzt in Kustendje 125, 190.
D.
Danzig, die Marienkirche zu, 112.
Barstellung der h. drei Könige, Freske
in Lambach, 93, 98.
— des Königs David, Miniature in Bozen,
XXVIII.
David's Salbung, Miniature in Salzburg,
187.
— als König, 187.
Delsenbach's Wiener .insichten, LIV.
Denksäulcn, mittelalterliche. XV, XVII,
xcii, cm.
Didron, XC.
Dietz, die Burg, 108.
Dioniss, der malende Mönch, XC.
Dijon, die St. Benignuskirche, 139, 144,
151.
Dobrilugk, LXXXIll.
Dohme, Dr., LXXVII.
Döllinger, Hyppolit und Kallistius,
LXIII.
Dolmen, LX.XXIX.
Donn er, Raphael, (JVI.
Doppelcapelle in Stein, XCI.
— in Rom, LXIII.
Doberna-Retye, Münzenfund.
Dreifaltigkeit, Miniature zu Botzen,
XXVIl.
Dudik, Dr. B., 1.
Dürer, Albrecht, 138, XXXV.
Düren bei .\achen, 113.
Dursch, G. M. IC".
E.
Ebendorf er Tiiomas, v. Haselbach, CXV.
Eberach, Cistercienserstift, LXXXII.
Edict des Kaisers Claudius, 154.
Eitelberger, R. v., VIII, IX.
Ellenrieder, Marie, LXXIV.
Email am apost. Kreuze zu Gran, LXVI.
E n g e I z e 1 1 , Cistercienserkloster, LXXX VI.
Erker, im Mittelalter als Befestigungsbau,
113.
Ernst, Herzog, CXV.
Essenheim, der Flügelaltar jetzt zu Kol-
mar, XXXIII.
Euganei, die, in Südtirol, 103.
Evangelisten, deren symbolische Dar-
stellung, 63.
Eyck, Hubert van, 134.
Fanum, die Basilica zu, 39.
Faustiniana, die Familie, 2.
Felder, Katharina, LXXIV.
Feil, Joseph, 101, LXXVI, XCIII, XCVHI,
CXV.
Ferox L. Ennius 132.
Fibulae, als Reliquiare in Prag, 24.
Fischer L., LIU.
Forum romanum, 46.
Feuersbrünste zu Maria-Zeil, 74, 76.
Flügelaltar zu Kolmar, XXXIII.
Flusshart Xicias, CXV.
Franzenshuld, Dr. Ernst Edler von, LIII,
XCIX, CVI.
Freisingen, Otto v., CVIII.
Funde von Münzen in Doberna-Retye XIII.
Fresken in St. demente in Rom, 3.
— in Lambach, 93.
— in Suczawitza, LC.
Friedric h IV., röm. deutscher Kaiser, 101,
LXVI, XCVI, CIX, CXIX.
Fröhlichsburg, XXIII.
Fulda, Glockenrad zu, XCV.
Funde in Steiermark, XCVII.
Funde zu Doberna-Retye. XIII.
Fünfkirchen, der Dom. 139, 144, 149.
Fuss Waschung, die, Miniature in Salz-
burg, 179.
G.
Gabriel, Dr., XCIV.
Gager's Münzenfund, III.
Galeo Tettienus Petronianus, Consul, 131.
Gallia transpadana, 163.
G a m i n g, Grabmal .\Ibrecht des Lahmen, 101.
Gamljtz, Funde zu, XCVII.
Garsten, die Kirche zu, XV.
Gärten, die, des Lucullus, 156.
Gatterer, J. Ch. L.
Gayman, Sigmund Freiherr von, LXXVL
Gebäcks formen in Wien, mittelalt., lU.
Geist, der heilige, Miniature in Salzburg,
180.
Gemmen auf einem Reliquiar in Prag, 28, 29.
Georg (s.), Miniature in Bozen, XXIX.
Gero na, Dom, Glockenrad, XCIV.
Gersthof, eine Denksäule zu, XVII.
Geschenke K. Ludwigs von Ungarn nach
Aachen, LV.
Geschworne bei den römischen Gerichten,
164.
Gillo M. Fulvius, Consul, 131.
Giovanelli, 102, 166.
Gladbach, Abtei, LXXVI.
Glax, Professor, LIII, LXXXVIIL
Glockenräder im Dome zu Fulda, Gerona,
Graz und in München, XCIV, XCV.
Grabhügel bei PrzmysI, XCII.
Grabplatten von Metall, CVIIL
Grabmale in Basel, XVII.
— Gaming, 101.
— Krakau, XCVII.
— in Merseburg des Kaisers Rudolph von
Schwaben, CVII.
— in Salzburg, LXI.
— in Wiener- Xeustadt der Kaiserin Eleo-
nore, 101.
— in Wien, St. Stephan, LVIII, CH, CHI.
Graz, Dom, LXXV.
— Lechkirche, XCIV.
— Funde, XCVII.
Gran, der Schatz, 24, LXVI, LXVII.
Grimsinger, Otto, 61.
Grien, Hans Baidung, XXX IV.
Gröbming, die Kirche zu, XLIII.
Grossraming, die Kirche zu, XV.
Gruic, Zach., XXXVII.
Grunewald, Max., XXXIV.
Goldcnkron, Kloster, LXXX VI.
Goldschmiedordnung v. Wien, 66.
Goltstein, Theob. Graf, LXXVL
Görllng, 167.
G 0 t h i s c h e Kirche zu Gröbming, XLIII.
— Kathrein, XXXI.
— Vill, I.
G 0 1 h i k in der Kleinkunst in Osterreich, 65.
VII
Gschwind von Pekstein, s. Grabmal bei
St. Stephan in Wien, CII.
Gundel, Stephan, LVIII.
Gurk, der Dom, 100, 139, IH, U3, 145,
149, LIV.
H.
Hagenau, Schloss, XCV.
Hagn, Theod., Abt zu Lanibaeh, 100.
H a i n b u r g, A usflug des Wiener Alterthums-
Vereines nach, CV.
Hand Werkszeichen im Mittelalter, XXV.
Häsnik, Jos., XIII.
Haupt. LXXXVIII, CIV.
Hausner, H., XCII.
Hefner, O. T., XLIX, LI.
He Her t, Jos. A. Fr., XXII, LXXXIX.
Helm im Schatz zu Prag, 32.
Heidelberg, Miniaturen zu, 172.
Heid en - Ansiedlungen in Osterreich,
LXXXV, LXXXVIII.
Heiligenkre uz, Kirche zu, LXXVII,
LXXXII.
Heiligenstrizzel, III, VII.
Heilsbronn, Cistercienserkirche zu,
LXXXI.
Heisterbach, Cistercienserkloster, LXXXI,
LXXXIII.
Henszlmann, Dr. E., 139.
Heraldik, die, XLVIII, XLIX.
Herberstein, Heinrich Graf, LXXV.
Herzog Rudolph der Vierte, LV, XCVIII.
Hiob, Miniature in Salzburg, 187.
Hirschau, Wunibald Abt zu, LIX.
— Trithemius, Abt zu, LX.
Hirschvogel's Plan v. Wien, LIII.
Hochzeit zu Cana, Miniature in Salzburg,
184.
Hofmann, Dr. Conrad, 136.
Hofrichter, J. C, LIV.
Hohenfurt, Cistercienser - Stift, LXXIX,
LXXXI, LXXXIV.
Ho henlo he - Waidenburg, Carl Fürst
von, LII.
Konisch, Dr. LXXVI.
Hostienbüchse zu Melnik, CXVIII.
Hoyos, Johann v., CIX.
— Ludwig, Freiherr v , CXI.
— Balthasar, Graf v., CIX.
Horodenka, Pfarrkirche, XCIII.
Hradist, Cistercienserkirche zu, LXXXIII.
Huefnagel's Wiener-Plan, LII.
Hulein, romanisches Portal an der Kirche,
XXX.
Hunesch, Christ. Freih. v.,
I. J.
Jacob's Traum, Miniature in Salzburg, 183.
Jahrendorf, Münzenfund zu, XIII.
Initialen im Salzburger Codex, 174, 176,
177, 178, 180, 183.
Inschrift, röm. zu Mitrovic, XLII.
Inschrift zu Pola, XLVI.
— Risano, XLVIII, CVI.
Irische Miniaturen, 169.
Johannes d. E.Tod, Miniature in Salz-
burg, 177.
— d. T. Geburt, 180, 186.
— Benennung, 181.
Joseph"s Traum, 183.
Isaias Weissagung, 184.
Judas' Verrath, 185.
Ju vav um, XXVI.
K.
Kahlenbergerdörfel, XVI.
Kalendarium im Salzburger Codex, 175.
Kaltenmarkte r's, Johann, Grabmal, CHI.
Kais e r SeptimiusSeverus,LXIV, LXXXIX.
Kaiser Karl der Vierte, 10, 31, XCV.
Kandier, XLVI.
Kanzel zu Vill, II.
Kappel, LXXXIII.
Karajan, Dr. Th. G. v., LXXXVIIL
Karl der Grosse, Kunstbewegung zu seiner
Zeit, 168.
Karl IV,, Kaiser, sein Wirken für die Kunst,
10.
Karlstein, das Schloss, 9.
Karner zu Metnitz, LIV,
Katharina, St., Miniature in Bozen, XXX
Katharein in Mähren, die Kirche, XXXI.
Keiblinger, Ignaz, 61, CXXII.
Kelch Friedrich's IV. in Wr. Neustadt XC VI.
Kenner, Dr., 125, 153, 190, XVIII, XXVII,
LXXXIX, CVI.
Kern, Michael, Grabmal, CHI.
Kettlach, Funde, LXXXVIIL
Kipfel, VL
Kirchthürme, befestigte zu Bacharach,
124.
Kleinfeste in Krain, XCI.
Kiesel, Cardinal, LVII.
Klosterneuburg, 66, 171.
Klosterschulen im Mittelalter, 130.
Kluge, Ben., XCVI.
KnabI, Dr. Richard, XIV.
Kolmar, Flügelaltar zu, XXXIII.
Kolonitsch, Sig. Erzb. v. Wien, LVIII.
Kopenhagen, das Museum zu, LXXXVIII.
König Mathias Corvinus, LXXXVII.
Kasimir von Polen, XCVII.
Könige, die heil, drei, Miniature in Salz-
burg, 177.
Königssaal, Cistercienserkloster, LXXIX.
Kraft, Anton, 135.
Krakau, Bernhardinerkloster, XVIII
— Todtentanzgemülde, XVIII.
— Grabmal des Königs Kasimir, XCVII.
Kranach, L., 133, 136.
Kremsmunster, Miniaturen zu, 168.
Kreuse r, 38.
Kreuz zu Melk, Reliquiar, 62.
Kreuz zu Gran, das apostolische, LXVI.
Kreuz gang zu Millstatt, LIV.
KreuzigungChristi, Zeit d, Erscheinens
dieser Darstellung, 133.
Kreuzerfindung, Miniature in Salzburg,
180.
Krone im Grabe Königs Kasimir. XCVIII.
Krone von Böhmen, XCVI.
Krosno, Minoritenkirche,
Krypta zu Göss, CXVII,
— zu Venedig, 139, löO,
Krystallgefäss als Reliquiar im Prager
Dom, 21.
Küchenrestf unde, vorhistor. in Däne-
mark, LXXXVIII.
Kugler, 38, 167.
Kustendje, Funde zu, 125, 190, XC.
L.
Laciac um, XXVI.
Ladislaus Posthumus, Herzog, seine Sie-
gel, 193.
Ladurner, Justin, III.
L a m b a c h, romanisches Deckengemälde
in der Kirche, 92, 188.
— Theod. Abt, 190.
Lambrecht, St., das Stift, 67, 68.
Lampe antike aus Bronze in Form einer
Basilica, LXIII.
Landeck, V, CV.
Landsberg, Herrard v., 171.
— die Pfarrkirche zu, XCV.
Laun von Krumau, Hans, CXV.
Lautensack's Ansicht von Wien, LIV.
Laymann Dom., Abt zu Weingarten, LX.
Leber, Otto v., LV.
Legio septima, XLVIII
Lehnin, LXXXIII.
Leitner, Quirin, LVI.
Leibwache römischer Kaiser, 164.
Lemberg, Dominikanerkirche, XCII.
— Domkirche, XCIII.
Leopold III. von Osterreich, Markgraf,
60.
— IV., von Österreich, Markgraf, CXV.
Lepkowsky, 136, XCVIL
Lerch, Niclas, 104.
Lilienfeld, Cistercienserkirche, LXXIX.
Lind, Dr. Karl, 101, 167, LXXXVI,
LXXXVIII, LXXXIX, CIV, CVL
Linz, Stadt [>farrkirche, XV.
— Carmeliterkirche, XV.
L ippert, LXXIV.
Lippmann, F., XXXV.
Lo rch, Denksäule zu, XVI.
London, mittelalt. Miniaturen zu, 168.
Lothringen, Prinz Karl von, LVII.
Lübeck, Holstenthor, 117.
Ludmilla, Büsten-Reliquiar der h,, in Prag,
12.
Ludwig der II. von Ungarn. LVI.
Lützow's Zeischrift für Kunst, LXXIII.
VIII
M.
Mähren, Markgraf Heinrich t., "I.
Mainz, das Holztbor, 113.
Malereien in Lambach, mittelalt.. 99.
Mals, zwei alte Wehrtbürme, XXIII.
Marburg, die, 108.
Maria-Ze II, 67.
— die zopfige .Vussenseite, 82.
— die Brautgewänder im Schatz, 88, 89.
— Büsten an der Gnadencapelle, 78
— Emailbild in der Schatzkammer, 87.
— Elfenbeinschnitzereien, 91.
— die Gnadencapelle, 77.
— Statue der Gnadenmutter, 79.
— Grundriss der Kirche, 77.
— der Karner, 87.
— die alte gothische Kirche, 80.
— MessgewUnder, 89, 90.
— das Portal, 83.
— Reliefs am Portale, 85, 86.
— der Sehatz, 76, 87, 91, LIV.
— der gothische Thurm, 83.
— Waffen u. Sporen i. d. Schatzkammer, 88.
Maria Verkündigung, Miniature in Salz-
burg, 178.
Marien's Tod, 181.
Maria in der Glorie 183.
Marienburg, 110, 112, 117.
MariensTod, Perlmutter-Relief in Prag, 23.
Marienst adt, LXXVIII.
Markomannen, die, in Böhmen. CXIII.
Martin (s.) Messe, 186.
— Tod, 182.
Massovien Alex. Bischof v., Car., LVIII.
Mateyko, Maler, XCVIII,
Matzen, in Tirol, XXIII.
Maulbronn, Cistercienserkirehe, LXXXI.
Mauerbach, Grabmal Friedrich des
Schönen, 101.
Max I., dessen Streitharnisch, LVI.
Mayer t. Mayerfels, Dr., LI.
Meiersdorf, Funde bei, LXXXIX.
Meilensteine, röm., in MitroTitz,XXXVII .
— in Mösendorf , XXIV.
Meiller Andreas v. , CV.
Meldemann's, Rundbild t. Wien, LIII.
Melk, das Stift, 60.
— das grosse Reliquienkreuz , 59 , 62.
Merseburg, der Dom , C VII.
Melnik, Hostiengefäss zu, CXVIII.
Messalina, 154, 156.
Messmer, 37, 41, 56, 133, LXV, LXXII,
XCV, LVIU.
Menestrier Claudius , 4.
Metnitz, der Karner, LIV.
Michael (s.) der Erzengel, 182.
Migazzi Antonie, Gräfin, ihr Grabmal, CIL
Militär-Diplom, röm. 125, 257.
Miniaturein einen Gebetbuche zu Botzen,
xxvn.
— im Salzburger Codex, 174.
— altchristlicher Zeit, 167.
Millstatt, der Kreuzgang, LIV, CXIX.
Mitro vic , röm. Inschrift zu, XLII, CVI.
— Meilenstein, XXXVII.
Mödling. Fresken im Karner, 100.
Moggio Jacob, 153.
Mommsen, 153, 159, 160, 165, CVI.
Monogramm des Lucas Kranach , 137.
Mont forte Hugo v., LIX.
Morandus, S. , XCVIII.
Moosfunde in Dänemark, LXXXVIII.
Mösendorf, röm. Meilenstein, XXIV,
— Purgstall, XXIII.
Mothes, 38.
München , Xat. Museum, 137,XCIV.
— Miniaturen in der Bibliothek, 148, 17 1,
172.
Münzenfund in Dolberna-Retje, XIII.
— in der Steiermark XII, XLVII.
— in Jahrendorf, XIII.
Mur sa, XL.
Mylatin, Kirche zu, XCIII.
N.
Nagel's Wiener Plan, LIII.
N ei dhart der Goldschmied, 196.
Nero , röm. Kaiser, 190, LXXXII.
Neuberg, Stift, 101, LXXXU.
Xeuhaus, Münzenfund, XIII.
Neunkirchenin Xieder-Osterreich, CVIII.
— dessen Kirche, CVIII.
— dessen Filialkirchen, CXI.
Nimbus, der, 187.
Nonsberg, 162.
Nordhausen, CIV.
Nothaft Leo, dessen Grabmal, LVIII.
Nürnberg, das germ. Museum, LXII.
— die heil. Geistcapelle, XCV.
— Sebalduskirche, 134, 135.
— Laurentiuskirche, 134, 135.
— Jacobskirche, 135.
0.
Oberbezau, LXXV.
Obertyn, XCII.
Oberwesel, 121, 124.
Ölgefäss zu Wr.-Neustadt, CXVI.
Okopy, Thore zu, XCIIL
Onyxschale, im Prager Schatze, 20.
Orte in S. Osterreich aus den IX. bis XI.
Jahrhundert, CV.
Orthographie des röm. Militär-Diploms,
191.
Osterfeste, die verschiedenen, IV.
Osterflecken, IV.
Otri CO li , die Basilica zu , 39.
O verbeck, 37.
Pacificale im Prager Domschatz, 25.
Pasc walk, die Thore zu, 119.
Passio Christi, deren Darstellungen, 133.
Passionsepiel bei St. Stephan, CIV.
Paris, Miniaturen in der dortigen Bibliothek,
168.
Pauli Bekehrung und Tod, 181, 184.
Perger, A. R. , XII, LXXXVII. LXXXIX,
CIV.
Pesina v. Czechorod, Domherr zu Prag, 10.
Peter Anton, Conservator, XXII.
Petershausner Chronik, CVII.
Petreosa, 60.
Petri (s.) Wunder und Tod, 181, 186.
Petronell , .\usflug des .iltherthums-Ver-
eines dahin, CV.
Petschnig Hanns, 67, CXlll.
Phalerae, XLVIL
Phili p p US, S. Miniature in Botzen, XXIX.
Pichler, Dr., LXVII, XCVII.
Piecz och wosty, Denksäule bei, XCII.
Pinarius, AppoUinaris , 154.
Pläne von Wien, deren -Ausstellung, LIII.
Po diji okl. Munzenfund, XIII.
Pola, röm. Inschrift zu, XLVI.
Po II Stephan, CXV.
P 0 m p ej i , die Basilica , 39.
— das Forum, 37.
Popiel Paul, XCVII.
Portal, goth. zu Gröbming, XLV.
Porträtsie gel, 193.
Potok-Potoki, Miecz., XCII,
P 0 1 6 c h a c h, Urnengrabfld. bei, LXXXVIII.
Prachatic, in Böhmen, LXXXIX.
Prag, der Dom, XCV.
— der Domschatz, 9.
— die Bauhütte, 9.
— Karlshof, 9.
Prätorianer, 129.
Przemysl, Grabhügel bei, XCII.
— die latein. Domkirche, XCIII.
Prenzlau, die Befestigung v. , 112.
— die Thürme, 112.
Pressburg, Betsäule, CHI.
Pro ces sionskreuz im Prager Dom , 26.
Procuratoren in Noricum , 161.
R.
Ragusa, der Rolandstein, X.
— die Domkirche, XI.
— Statue des heil. Blasius, VII.
— Abbildung der Stadt, IX.
— Blasiuskirche, XI.
Rain, das Stift, LXXXVI, XCVIL
— Grab des Herzog Ernst, 101.
Rampersdorfer Conrad , CXV.
R a n 6 o n e t K. , Freih. V. , LXXXVIII , CIV.
Rapiza, Benno de, 58.
Rasman Veit., Propst, LVIU.
Rauchfass, röm. in München, LXXI.
Rauseher Thom., Abt in Garsten, XV.
Ravenna, XXI.
Reh er, Dr., 35.
Regeneration der Heraldik, XLIX.
IX
Regensburg, CXX.
Keliquiarformen. 60.
Eeliquiar in Form von Monstranzen, 15,
16, 18 — 20.
— in Kapselform. 24.
— als ."i-graffe, 23, 25.
— in Form einer Hand, 19.
— in Form einer Ampulla , 31.
— in Form eines Kreuzes, 25, 59.
— in Form einer Tafel, LV.
— in Form von Brustbildern, 11, 12.
— in Form von Pyxen, 1-t, 15.
— in Form von Ciborien, 17.
— mit der Lanze des heil. Mauritius, 61.
Reliquienverebrung, 60.
Riddagshausen, LXXXIII.
Ringmauern, mittelalterl. , 111.
Risano, röm. Insebrift, XLVII, XLVIII,
CVI.
Rock Hans, CXV.
— sein Testament, CXVI.
Rolandstein zu Ragusa, X.
Rom, der AppoUotempel , 36.
— die Basiliea s. Clementis, 1, 2.
— „ , Porcia, 46.
— , „ Sempronia, 54.
— , , Julia, 31, 52, 57.
— , , Constantiniana, 58.
— „ , Opimia, 52.
— , „ Fulvia, 52.
— der ConcorJientempel.
— der Castortempel, 36.
— die curia Julia, 37.
— die curia hostilia, 37, 52.
— die curia Pompeji, 37.
— die Fresken zu St. demente, 3.
— das Forum, 36.
— Kirche der .Apostel Petrus u. Paul , LXV.
— der Quirinustempel , 36.
— Theater des Marcellus , 36.
Römerorte in Nieder-Österreich, CVI.
Römische Überreste in Mösendorf, XXIV.
Röselfeld Joh. Karl, XV.
Rosinus Job., LVIII.
R ö s n e r Karl , CXX.
R 0 s s i , Cavaliere de , 1 , LXIII.
Rötzel Martin, 134.
Rudolph IV., Herzog, 61, 65.
— von Schwaben, deutscher Kaiser, CVII.
Rup ert US S., 184.
s.
Sacken, 59, 92, LXVI, LXXXVIU , CV.
Sacramentsh äusch en in Bopfingen ,
135.
Salmannsvfeiler, LXXXIV,
Salomon als König, 187.
Salzburg, Grabmale um Nonnberg und bei
St. Peter, LXI.
— St. Peterskirche, XXII.
— das Antiphonar, 173.
Sanetuarium zu Vill , II.
XIV.
Sanetuarium zu St. Kathrein , XXXIII.
Saturndienst in den Alpen, 158.
Säur au Guido, Graf, LXXVI.
— Seifried, Graf, LXXV , LXXVI.
Sava, 193, LXVII.
Sebastian (s.) Miniaturen in Bozen, XXIX.
Sedletz, LXXXIV, LXXXV.
Sedlnitzky's gräfliche Wappen, LXIX.
Segenschmied, Architekt, XXXI.
Semmel, deren Form , VI.
S eptimius Se verus, röm. Kaiser, XXVI,
XXVII.
Schadnitzer Wolf, CXV.
S chale aus Onyx, 20.
Schallenberg Christoph, Graf, LXXV.
Scliatzverzeichniss, mittelalterl. Kir-
chen, 10.
Schatz des Athanarich, 60.
Schlierbach, Kloster, XV.
SchmiederPius, 92, 100.
Schmiedt Friedrich, LXXXVI.
Schnaase , 167.
Schulz Ferenz, 105, LIX,CIC.
Schütz, LIV.
Schwalbach, die Burg, 110.
Schwert des heil. Wenzel, 34.
Schwetkovitz Adam v., LVIII.
S i d 0 n i u s Michael , CVII.
Siebenhirter Johann, Hochmeister des
Georgs-Ordens, 34.
— die Familie , CXVIII.
Siebmacher, LI.
Siegel, des C. Vorlauf, CXVL
— Rampersdorfer, CXVI.
— Rock , CXVI.
— der Joh. Capelle am Siechenais, CXVII.
— der Morandus-Capelle, XCVIII.
— der Familie Tyrna, CI.
— des Johann Siebenhirter CXVIII.
— der Österreich. Regenten 193.
Silbernagel, Dr., LXI.
Sigmundscapelle bei Maria-Zeil, 74.
Silanus, M. J., 156.
Sinduner, die, 155, 162.
S i r m i u m , XL , XLIII.
Sisinius, der Blinde u. St. Clemens, eine
Freske zu Rom, 6.
S 1 a t k 0 n i a , Bischof Georg , L VIIL
Sorbait, Dr. Paul, CIL
Spaur Leo, Bischof, CXVI.
Speculatores der röm. Armee, 128.
S pener, Dr. Ph. J. , XLIX.
Stadl Gottfried, Freih. v., LXXV.
Städtebefestigungen, mittelalterliche,
109.
Stargard's Befestigung, 116, 122.
Stahremb erg Guido und Erasmus , Graf,
LXXVI.
Stehbilder in .Aachen, LIV, LV.
Steinhause r's Wiener-Plan, LIII.
Stendal's Befestigung, 118.
Stephan's S. Tod, Miniature in Salzburg,
177.
Stephan's S. Bestattung, 183.
Stockholm, die Museen , LXXX VIII.
Strassenbau, römischer, XLI.
Strauss Sam., CVIL
Strudel Carl v., LXXVL
Stubenberg Christ, v., LXXVI.
Stuhl weissenburg, die Schlacht bei, 75.
Stuttgard, mittelalt. Miniaturen zu, 172.
Sulzer J. G., Prof., 153.
Suttinger's Wiener-Plan, LIII.
T.
Tannhauser, Ritter, LXXXVIU.
Tannhäuser, d. Minnensänger, LXXXVIU.
Tarnopol, die Pfarkircbe, XCIU.
Ternberg, die Kirche zu, XV.
Teschen, der alte Burgthurm, XCIII.
— die Schlosscapelle, XCIII.
Thangermünde, befestigtes Thor, 116.
Theunerbach, LXXXII.
Thore, befestigte, im Mittelalter, 115.
Th ii rm e, befestigte, zu Bacharach und Ober-
Wesel, 121
Tisnovic, LXXX, LXXXIV.
Trausnitz, die Burg, 109, 111, 122.
— der Brunnen , LVIII.
Trautson Johann, Erzbischof, LVIII.
Trembowla, Basilianerkloster , XCIU.
Trennungspunkte auf römischen Inschrif-
ten , 166.
Trient, Edict des K. Claudius für, 153.
— die Stadt, 162.
Trier, Miniaturen zu, 168, 171.
Trifail, Münzenfunde zu, XII.
Trifels, XCV.
Trithemius Job., Abt zu Hirschau, LX.
Triumphaltitel der röm. Kaiser, 157.
Trossburg, in Tirol, XXIIL
Truchsess, Bernhard der, CXV.
Tschernembl Friedrich v. , LXXV.
Tschengels, Burg, XXIII.
Tuch lein, bemalte v. A. Dürer, XXXV.
Tuliasses, 155, 162.
Tyrna Achaz v., XCIX.
— Georg V., XCVIII.
— Hans Ritter v., XCIX.
— Ludwig, XCIX.
— Paul V., XCIX.
— Rudolph V., XCIX.
— Ulrich , XCVIII.
— die Familie, CVI.
— die Capelle, XCVIIL
u.
Ungarn, Ludwig der Grosse v., 71.
Ungerschütz, Berth. Freih. v., CHI.
Unschuldigen, das Fest der, 184.
Vaida-Hunyad. LXXXVI.
Valdinon, 162.
B
X
Vald esius Alphons, CHI.
Valentin is.). Miniature in Botzen. XXIX.
Veitsreliquiar in Prag, 11.
Veit; St., in Kärnthen, LIV.
Venedig, die Kry|ite von St. Marco. 139,
143, 150.
Venus. Frau, LXXXVIII, CIV.
Vesjiasian, röni. Kaiser, 1'27.
Vill in Tirol, die Kirche, I.
Viektring, LXXVIII.
VitruTiUB, 40, 43.
Vohburg. Münzenfund. XIII.
Völkermarkt , Miinzenfund , XIII.
Vorlaufs Conrad,Gedenkstein u. Testament
CXIV, CXVI.
— Dorothea , CXVII.
w.
Waagen , 19".
Wagnitz in Steiermark, XCVII.
Waffensammlung im k. k. .\rsenal, LV.
Walkenried, LXXXIII.
W"alpurga s., Miniature zu Botzen, XXIX.
Walter, 154.
Walz, Dr., LXI.
Wappen des Bisthums Wien, CXVI, CXIV.
— des Georgs-Kitter-Ordens.
— der Familie Goess, LXVIII.
— TOn Mondsee, LXX.
— von Xeunkirehen, CVIII.
— des polnischen Adels, LXIX.
— des russischen Adels. LXX.
W'appen von Schlesien. XXIV.
— der Siebenhirter, CXVIIl.
— der Ungarn, LXX.
— der Tyrna, XCIX.
appensagen, LXVIII.
eingarten, Dominik, Abt zu, LX,
eingartner, 42.
eininger Hans, LXVIII.
ei SS Karl, LIII, CVI.
enzel. König von Böhmen, dessen Helm,
32.
ettingen, LXXXI,
essobrunner, Handschrift die, 170.
ickenburg Const. M., Graf. XXII.
ilandsäulen üSchmiedesäulen) ,
LXXXVII.
ien, Arsenal , LV.
— Antikencabinet, 190, XC.
— Goldschmiedordnung, 66.
— Hofbibliothek, 168.
— Johannes-Capelle, CXVI.
— Lobkowitzplatz, CXV.
— NicolausCapelle, CXIX.
— Pläne, LIII, LXXXVIII. CIV.
— Palmesel. CIV.
— Schatzkammer der Hofcapelle , LIV.
— Schottenkloster, 60.
— Säule am Graben, CVI.
— St. Stephanskirche, CXIV, XCVIII.
— — Vorlaufsfigur, CXVI.
— — Marcusaltar, CIV.
— — Passionschor, CII, LXX, LIX.
— — Christi Himmelfahrt, CIV.
Wien, St. Stephanskirche, Hungertuch,
CIV.
— — grosse Glocke, XXII.
— — Taufstein, XX.
— — Frauenchor , LVII.
— — Morandus-Capelle. .XCVIII.
— — Katharinen-Capelle. Cl
Wiener- Neustadt, Kelch v. K. Fried-
rich IV., XCVI.
— Xeukloster, .XCVI, LXXIX.
— Reliquienschrein . XLN'.
— Grabmal der Eleonore, 101.
Wilder's Wiener .Ansichten, LIV.
WiIhering,.LXXXVL
Willibald (s. i , Miniature zu Botzen, XXIX.
Wocels Pravek zeme Ceske, Urgeschichte
Böhmens , C.XIII.
Wolmueth's, Wiener Plan, LIII.
Wolfgang (St.), Brunnen zu, LXX.
Z ah n's Jahrbücher, XXI.
Zappert's Wiener-Plan, LIII.
Zestermann, 41, 48, 52.
Zinna, Cistercienserkloster, LXXXIII.
Zinnen, 112.
Zolkiew, lat. Kirche, XCIII.
— die Grabdenkmale in der Kirche, XXU.
Zürche r's AVappen, LX.
— Wunibald, Abt zu Hirsohau , LIX.
Zvfettl, LXXXm. LXXXVI.
Zwerger .\ugust, dessen Grabmal. CHI.
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CD
Neuentdeckte Fresken aus dem Leben der heil. Apostel
C5 rill und Method in Rom.
Von Dr. B. DroiK, 0. S. B.
(Mit 3 Holzschnitten und einer Tafel.)
In dem vom Museum zu Moskau auf das Jahr 1866 herausgegebenen Sammelwerke altrussischer
Kunst (sbornik na rok 1866 vydany spoleönosti staro-ruskeho um6ni pfi vefejnem museum Mos-
kovskem) und im VIII. Bande dieser Mittheilungen finden sich von Vinohradski und von Pro-
fessor R. V. Eitelb erger Aufsätze über die Fresken der unterirdischen Basilica des heil.
Clemens in Rom.
Da diese Fresken Mähren in doppelter Beziehung im hohen Grade interessiren müssen,
einmal, weil sie grossentheils dui-ch mährische Hochherzigkeit zu Tage kamen, und dann, weil
sie mit der mährischen Geschichte im innigsten Zusammenhange stehen; so beschloss ich, sie im
Sommer des Jahres 1867 an Ort und Stelle einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, deren
Resultate ich hier in Umrissen vorlege.
Schon im Jahre 1852, als ich zum ersten Male Rom besuchte, richtete ich mein Augenmerk
auf die uralte Clemenskirche, diesen historisch festgesetzten Begräbnissort des grössten mähri-
schen Wohlthäters, des heil. Bischofs Cyrill. Ich vermuthete, im Archive oder in der Bibliothek des
mit der Kirche verbundenen Klosters vielleicht Documente zu finden, welche mit der Geschichte
der slavischen Apostel in Verbindung stehen. Doch, ich irrte mich. Der seit Urban VIII. (1623
— 16-4-1) hier eingeführte Dominicaner-Orden irischer Nation, besitzt weder ein nennenswerthes
Archiv noch eine Bibliothek; in dieser Hinsicht war also nichts zu gewinnen, wohl aber in
archäoloo-ischer. Von dem freundlichen P. Prior in die Kellerräume des Klosters geführt, nahm
ich alsogleich wahr, dass die jetzige Kirche, die mit Beibehaltung der alten Form häufig Aus-
besseruno-en erlitt, auf den Resten einer viel älteren stehe, von welcher bei einem oberflächigeu
Nachgraben alsobald eine prachtvolle Marmorsäule zum Vorschein kam. Ich meldete diesen
Fund dem ersten Conservator der römischen Denkmale, Cavaliere de Rossi, habe auch in
meinem Iter Romanum, welches ich 1855 in Wien publicirte, auf diesen Umstand aufmerksam
gemacht, dachte aber bis zum Jahre 1859 nicht weiter an St. Clemens und an seine unter-
irdische Kirche.
Im genannten Jahre musste an der Kirche eine Reparatur vorgenommen werden, man stiess
in dem ehemaligen Vorhofe auf Rudera uralter Mauerwerke, dies erinnerte Cavahere di Rossi an
die aUe Clemenskirche und den in Rom gerade damals anwesenden Erzbischof von Olmütz an
XIV. 1
2 Dr. B. Dudik.
das vermisste Grab seines grossen heiligen Vorgängers auf dem mäln-iselien Bi^chofsstuhle. Eine
bedeutende Geldsumme, die noch später einige Male wiederholt wurde, ward dem römischen
Conservator zur Verftigung gestellt, und so das Aufgraben der alten Clemens-Basilika, auf dessen
Trümmern die heutige steht, ermöglicht. Vom Jahre 1859 bis 1865 dauerten die Arbeiten und
lieferten die herrlichsten Resultate.
Um die Bedeutung dieser Resultate gehörig würdigen zu können, müssen wir uns, wenig-
stens in allgemeinen Umrissen, die Geschichte der St. Clemens-Kirclie vergegenwärtigen.
An der Stelle der jetzigen Kirche stand um Christi Geburt das Haus einer römischen
Familie, der Faustinianer. Sie muss zu den Vornehmeren gezählt haben, weil am Fusse des
Berges Coelius, wo das Haus stand, nur reiche Bürger sich ankaufen konnten. Es war da der
angesehenste Stadltheil. Wenige Jahre nach Christi Tod besass dieses Haus Faustinianus, der
Vater des heil. Clemens. Widrige Umstände trennten den Knaben von den Eltern, bis derselbe,
hei'angewachsen, Schüler des heil. Petrus und im Jalu-e 91 sogar sein Nachfolger im Apostolate
wurde. Als solcher überstand er glücklich die unter Domitian im Jakre 93 n. Chr. G. ausgebro-
chene Christen verfo Igung , bekehrte selbst nahe Verwandte des Kaisers Domitian zum wahren
Glauben und liess, der erste christliche Geschichtsforscher, das Leben der damaligen Märtyrer
dm-ch eigene hiezu angestellte Notare niederschreiben. Diese Martyrologien oder Märtyreracten
besitzen wir zum Theile noch. Aber unter Kaiser Trajan wurde er nach dem Chersonesus, in die
heutisre Ki'im. verbannt, wo er im Jahre 100 im schwarzen Meer den Märt\-rertod fand.
Kaum war der Ruf seiner Heilig-keit nach Rom gedrungen, als man alsogleich sein väter-
tiches Haus in eine Kiixhe, ihm zur Ehre, umwandelte. Welches Ansehen dieselbe gewann, beweist
der Umstand, dass schon Gregor der Grosse, Papst zwischen den Jahren 590 und 604, daselbst
seine altberühmten Homilien hielt. Dieser Papst stiftete bei der Kirche ein Benedictiner-Kloster,
welches bis 1-431 bestand, und hauptsächlich Ursache ist, dass sich dieses uralte christliche
Denkmal, in welches im Jahi'e 8G7 die Reliquien des heil. Papstes Clemens durch die Brüder
Cyrill und Method übertragen imd 869 der heil. Cvrill daselbst begraben wurde, überhaupt erhal-
ten hatte. Als nämlich in den Kämpfen zwischen Gregor VII. und Heinrich TV. der normannische
Fürst Robert Wizkard Rom für Gregor VH. erobert hatte , ward gerade der Stadttheil zwischen
dem Lateran und der Engelsburg durch Feuer und Schwert gänzlich verwüstet, und bei dieser
Gelegenheit die Kirche des heil. Clemens am 29. Mai 1084 dem Erdboden gleich gemacht. Aul
den Trümmern der alten Basilika oder besser gesagt, auf ihren Hauptmauern, bauten nach
einigen Jahrzehenten die Benedictiner die jetzige Kirche auf.
Wir haben es hier mit der bis zum Jahre 1859 verschüttet gewesenen Basilica zu thun.
In ihrer Pracht bildete die alte Kirche eine fünfscliiffige Basilica mit einem durch Säulen
verzierten Atrium und dem solchen Bauten üblichen Porticus. Von Säulen, welche die Holzdecke
trugen, sind nur Bruchstücke übrig geblieben. Eben solche Bruchstücke sind von der südlichen
Lang wand sichtbar, dagegen haben sich die Apside, die nördliche Langwand und die Front-
mauer, an welcher der Porticus sich anlehnte, vollkommen erhalten, und diese sind es, welche
die merkwürdigen Frescobilder tragen, von denen Avir eben reden wollen. Um sie jedoch besser
zu verstehen, müssen wir zuvor noch bemerken, dass selbst diese Baureste nicht aus einer und
derselben, sondern aus verschiedenen Zeiten stammen. Der Construction nach zu urtheilen bildet
die Apside den ältesten Theil ; Quadern aus Travertin und die unverkennbar noch der Consular-
zeit angehörigen kleinen, an die Kante gesetzten leichten und doch gut gebrannten Ziegeln
cliarakterisiren zu sehr diese Periode, um nicht alsogleich auf den Gedanken zu kommen, dass
Mir hier Reste der Wohnung des heil. Clemens vor uns haben. Es war auch, wie dies mit solchen
heiligen Orten bis zur Gegenwart geschieht, ganz natürlich, dass man aus der Geburts- und
Neuentdeckte Feesken etc.
Wohnstätte des verehrten Märtyrers das Oratorium bildete, und dann erst den übrigen Raum des
Hauses in die neue Kirche einbezog. Die Anbauten sind besonders an der Frontmauer zum Por-
ticus deiitlich wahrnehmbar.
Die Bilder, welche al fresco die Mauerreste zieren, sind aus dem Leben der heil. Katharina
von Alexandria, des heil. Alexius, des heil. Papstes Clemens und der slavischen Apostel Cyrill und
Method genommen, durchgängig Themata aus den ersten Jahi'hunderten der christlichen Kirche.
Wir wollen uns hier blos mit den heil. Cyrill und Method und mit dem heil. Clemens, im Ganzen
mit sechs Bildern, beschäftigen.
I. Bild. An der Apside, also auf dem ältesten Theile des Mauerwerkes, wurde 1864 ein
Bild entdeckt, welches sowohl des Gegenstandes, als auch der Kunst wegen zu den Merkwürdig-
sten gehört. Hätte sich die fünfzeilige lateinische Untersclmft bei demselben erhalten, dann wären
wii* allerdings vollkommen klar über dasselbe, so aber sind nur wenige Buchstaben lesbar, aus
welchen sich nur so viel eruiren lässt, dass das Bild „ziun Andenken Lebender" ansrefertio-t
wurde. Es stellt ein sogenanntes Votivbild dar, zwei der Tonsur nach dem Regularstande
angehörige Männer werden kniend durch die Erzengel, Gabriel und Michael, unter Fürbitte der
Heiligen Clemens und Andreas dem nach griechischer Ai-t segnenden Heilande anempfohlen. Die
Namen der Erzengel und der beiden Heiligen sind durch angesetzte Buchstaben deutlich markirt,
der Heiland an dem griechisch gehaltenen Heiligenscheine unverkennbar. Es bleiben uns daher
nur die zwei knienden Männer zu erklären übrig. Wie gesagt, die Untersckrift hätte vielleicht
über sie Auskunft gegeben, sie ist aber für ewige Zeiten verloren. Dem Charakter nach gehört
dieses ganz gut erhaltene Gemälde ohne Widerrede dem IX. Jahrhunderte an und verräth einen
sekr geübten, ausgezeichneten Maler. Hätte uns die Vorsehung nicht den weiteren Bilder-Cjclus
aufbewahrt, dann wäre es wohl schwer, dieses Gemälde, falls es vereinzelt da stände, zu deuten;
so aber schliessen sich an dasselbe, fi-eilich aus einer späteren Periode, andere an, von denen das
Eine durch die wohl erhaltene Aufschrift auf den heil. Cyrill hinweist, ein zweites eine Taufliand-
lung und ein drittes den Leichenzug des heil. Cyrill darstellt, wähi-end der weitere Bilder-Cyclus
Züge aus dem Leben der mit unseren heil. Aposteln so innig verwachsenen Thätigkeit des heil.
Clemens enthält. (Fig. L)
Fig 1.
4 Dr. B. Dl-dik.
Wenn nun die ganze Reihenfolge der Gemälde zur Verhenlicliung der Slavenapostcl und
des von ihnen nach Rom gebrachten Leibes des heil. Clemens dient, so wii-d wolil auch das
aufsclu-iftslose Bild im Zusammenhange zu denselben stehen, besonders als die beiden Schutz-
patrone Clemens und Andreas, und die Erzengel Michael und Gabriel auf Männer und Länder
hinweisen, von denen und in denen sie ganz besonders verehrt wurden. Bis zur Gegenwart ist
aber neben Nicolaus der heil. Andreas der Patron des gesammten russischen Reiches, Michael
und Gabriel sind noch immer die gefeierten Namen der orientalisclien Kirche, und wem konnte
der heil. Papst Clemens näher stehen, als unseren Aposteln Cvrill und !Method? Wir sind daher
der Ansicht, dass uns hier ein Votivbild, welches Constantin und seinen Bruder Method darstellt,
vorliegt, ein Votivbild, das sie aus Dankbarkeit und Verehrung bei ihren Lebzeiten anfertigen
Hessen. Method als der Altere trägt ein Buch in der Hand, Constantin der Philosoph ein Gefäss,
das sich nach dem Vergleiche mit alten Miniaturen als Tintenfass herausstellt. Ihm, dem Philo-
sophen, gebührt vor allem dieses Kennzeichen seines Berufes.
Die Zeit, wann das Bild angefertigt wm-de, ist nicht schwer herauszufinden, wenn mau
bedenkt, dass es im Alterthume Sitte war, vor dem Antritte eines wichtigen Amtes oder einer
grossen Unternehmung sich Gott zu verloben, was bei Vermöglicheren in der Regel durch ein
Votivbild auch nach aussen kundgegeben wurde \ Unsere beiden Apostel kamen, wie bekannt, im
J. 867 zum ersten Male nach Rom, zu Bischöfen vrurden sie daselbst am 6. Januar 869 geweiht,
wobei sie die Mission für Mähren erhielten. Da war wohl der Augenblick gekommen, sich Gott
ganz und gar durch die Fürbitte des heil. Clemens und der Landespatrone aufzuopfern, und wir
wagen es auf diese Wahrnehmung gestützt, auszusprechen, dass dies Votivbild um das Jahr 869
angefertigt wurde. Der Styl, das Costume und die Manier der Malerei, sowie der Ort, wo die von
den beiden Glaubensboten aus dem Chersones gebrachten Reliquien niedergelegt wurden,
sprechen dafür.
Sind meine Conjecturen richtig, dann haben wir in diesem Gemälde die Porträte unserer
grössten Wohlthätcr — wir haben ein Bilil, das sie sich selbst setzten — eine Thatsache, die
einzig dasteht.
n. Bild. Constantin erhält vom Kaiser Michael III. auf Ansuchen des mährischen Füi'Sten
Rastic den Auftrag-, in Mähren das Evangelium zu predigen.
Man sieht auf diesem Bilde den Kaiser auf dem Throne im grossen Ornate mit der Krone
auf dem Haupte und vor ihm kniend den festlich gekleideten Philosophen. Dass es unser Con-
stantin ist, zeigt der bei ihm angebrachte deutliche Namen „Cyrill"'. Zwei wie im Gehen begrif-
fene Personen, denen der Kaiser mit aufgehobener linken Hand gleiclisam den Weg wei.st, sind
hinter dem heil. Cyrill sichtbar. Schade, dass dieses Gemälde sehr viel gelitten hatte. Von der
ehemaligen Unterschrift desselben haben sich nur drei Buchstaben ALM erhalten. Aufgedeckt
wurde es im Jahre 1859. (Fig. 2.) Die Geschichte erzählt, dass Rastic's Gesandtschaft nach
Byzanz im Jahre 863 ankam, und dass die heiligen Brüder den mährisch en Boden in der ersten
Hälfte des genannten Jahres betraten. Die dargestellte Scene fällt demnach in das Jahr 863; das
Gemälde selbst jedoch scheint dem X. Jahrhunderte und dies von einem Maler abzustammen,
welcher bei weitem nicht mehr jene Befähigung hatte, der wir am ersten Bild begegnen. Cvrill
erscheint hier mit dem Heiligenscheine, der natürlich auf dem ersten Bilde den beiden Brüdern
felilt. Damals waren sie dem Maler nocli am Leben, jetzt sind sie ihm schon lange todt. Von dem-
selben Künstler und aus gleicher Zeit ist das unmittelbar an dieses sich anschliessende dritte Bild.
' Als Bischof Heinrich IL von Ohnütz im Anfange des XIV. Jahrbundertes in der alten Peterskirche zu Rom einen Altar
zur Ehre des heil. Wenzel gestiftet hatte, liesb er »ich auch auf ein Votivbild malen, wie er von den heil. Adalbert und Prokop
der Madonna vorgestellt wird.
Neuentdeckte Fresken etc.
5
Fig. 2.
Fig. 3.
III B i 1 d. Der heil. Method, angetlian mit dem erzbischöfliclien Pallium, tauft als Metro-
polit durch Untertauchung einen noch ziemlich jugendlichen Slaven. (Fig. 3.)
Dass wir es hier mit einem gut erhaltenen Gemälde des X. Jahrhunderts zu thun haben,
dafür ist uns die Form und die Verzierung des Palliums, welches der Erzbischof auf der Casula
und um die rechte Hand umgeschlagen trägt, Bürge. Der Erzbischof hat die Mönchstonsur und
trägt einen kurzgeschorenen Vollbart. Der blos mit einem Lendentuche versehene Täufling steht
bis zu den Hüften im Wasser.
Die folgenden drei grösseren Gemälde, auf der Wand des Porticus angebracht, sind von
einem und demselben Meister gut ausgeführt und kaum jünger als das XI. Jahrhundert. Sie
scheinen unmittelbar vor der Zerstörung der Kirche durch die Normannen angefertigt worden
zu sein und stellen gleichfalls Votivbilder dar. Die angebrachten Inschriften machen uns mit
dem Urheber derselben bekannt. Er nennt sich Benno von Rapiza, welcher mit seiner Gemalin
Maria macellaria und seinen beiden Kindern Clemens und Altilia zur Ehre des heil. Clemens
und zu seinem vmd der Seinigen Seelenheile diese Bilder malen liess.
IV. Bild. Sanct Cyrill wird vom Vatican in die St. Clemenskirche übertragen * mit der
Unterschrift: „Huc a Vaticano fertur PP. Nicoiao imnis divinis quod aromatibus sepelivit" (sci-
licet Corpus sti Cyrilli). Auf der Todtenbahre, dem feretrum honoratum, wird unter einer pracht-
vollen Decke der Leichnam des heil. Cyril unter dem Incensum zweier Diakonen und bei Vor-
trasruner des Evangrelienbuches von vier iunsren Männern aus dem Vatican in die Clemenskirche
übertragen. Dass hier die Clemenskirche verstanden werden soll, deutet der Maler durch den
heil. Clemens selbst an, den er beim Altare, mit dem Gesichte gegen das Volk, wie dies in den
Basiliken Roms bis zur Gegenwart Sitte ist, aus einem vor ihm aufgeschlagenen Buche das
„Pax Domini sit semper vobiscum" sagen lässt, und den Vatikan drückt er durch den, den Lei-
chenzug begleitenden Papst aus, dessen Haupt der Auszeichnung wegen mit dem Nimbus um-
geben ist, den rechts der heil. Method, durch den Heiligenschein, durch die Mönchstonsur und
den Bart kenntlich, und links ein anderer Bischof begleiten. Da der Papst das über die Knie
herunterreichende Palliiim , welches übrigens auch noch im XII. Jahrhunderte üblich war,
2 Entlehnt hat die katholische Kirche die hier bildlich dargestellte Tradition aus der vom Bischöfe zu Veletri, Gaude-
,.ieus, abgefassten Translatio sti. C'lementis, der ein Zeitgenosse der heil. Apostelbruder war, und daher wissen konnte, was
mit der Leiche des heil. Cyrill geschah.
6 Dr. B. DtDi'K.
und statt des Regmim oder der Tiai-a die uralte conische Mütze, den Pileus träjrt, und die
Bischöfe die lange schmale Stola haben, so ist uns dies der schlagendste Beweis, dass dieses
Gemälde vor dem Jahre 1054 angefertigt werden musste, weil im genannten Jahre bei der
Krönung des Papstes Hadrian IV. schon die „mitra turbinata cum Corona- benützt wurde. Auf
unserem Bilde ist die -mitra turbinata- noch ohne Krone \ Das Vortragekreuz, die zwei Bischof-
stäbe und drei Labara stimmen in ihren Formen vollkommen mit der Zeit, in welche wir dies
Gemälde versetzen, überein (s. die beigegebene Tafel). Das Thema zu demselben wurde aus der
bis zur Gegenwart in den römischen Brevieren enthaltenen Kirchenlegende zum Feste der Slaven-
apostel Cyrill * und Metliod genommen. Dort heisst es: „C}Tillus cum Romae obiisset, primum eins
corpus in basilica vaticana conditur, postea magno cleri populique concursu ad basilicam saneti
Clementis translatum est". Zum Zeichen, dass auch dieses Gemälde, welches 1863 zum Vorschein
kam, ein Votivbild sei, lesen wir unter einer gut stylisirten Blumenverzierung die Worte: „Ego
Maria Macellaria pro timore Dei et remedio anime mee hec pingere feci-.
V. B i 1 d. Der heil. Clemens und der blindgewordene Sisinius.
Zum Versränduiss dieses aus drei über einander liegenden Abtheilungen bestehenden
Bildes, welches sich auf der Taf. XI der Mittheilungen der k. k. Centi-al-Commission, Bd. VIII,
Jahr 1863 vorfindet, muss man seine Zuflucht zu der Legende des heil. Clemens nehmen, wie
selbe die sogenannte Legenda aurea des lacobus a Voragine erzählt. Dort liest man zur Deutung
des mittleren Hauptbildes: „Cum (s. Clemens) Domicillam virginem, neptem Domitiani imperatoris,
sacro velamine consecrasset, et Theodoram, uxorem Sisinii, amici imperatoris, ad fidem conver-
tisset, et in castitatis proposito manere promitteret, Sisinius, zelo ductus, ecclesiam post uxorem
suam occulte intravit, scire volens, propter quod illa sie ecclesiam frequentaret. At vero a sancto
demente oratio fusa est, et a populo responsum est. Tum Sisinius coecus et surdus penitus
effectus est, qui statim pueris suis dixit: „cito me tollite et foras educite". Pueri autem per totam
ecclesiam eum girabant, sed et ad ianuas pervenii-e non poterant. Quos cum %ndisset Theodora
sie errantes, primo quidem ab iis declinavit, putans, quod vir suus eam cognoscere posset; post-
modum autem, quidnam hoc esset, eos interrogavit, qui dixerunt: ,. dominus noster, dum vult
videre et audire, quae non licet, coecus et surdus factus est". Tunc illa in oratiouem se dedit,
deprecans, ut vir suus inde exire posset, et post orationem dixit pueris: „ite modo et perducite
dominum vestrum ad domum''.
Das Gemälde stellt nun nach dieser Legenden-Stelle die Kirche dar, in welcher der heil.
Pabst Clemens celebrirt. Auf dem Altare liegt das offene Buch, die Paten und der mit Henkeln
versehene Kelch, ein Beweis, dass aus demselben der consecrirte Wein den Anwesenden gereicht
wurde. Den Manipel hält der Papst nicht an, sondern in der Hand, indem derselbe nichts anderes
als blos ein Theil der ehedem um die linke Hand gewundenen Stola ist. Die siebenarmige Lampe,
die Corona lampadum, wie man sie in den Katakomben öfter abgebildet findet, schwebt ober dem
Altare. Dem Pontificanten ist deutlich der Name Sanctus Clemens papa beigesetzt. Rechts von
ihm steht seine Assistenz aus vier Priestern bestehend, von denen zwei je ein Pedum und einer
das Rauchfass und ein Gefäss mit Weihrauch tragen. Dieses Weihrauchgefäss aus einer runden,
verzierten Büchse bestehend, ist zu charakteristisch, um aus seiner Form nicht alsogleich auf das
XI. Jahrhundert schliessen zu können. Aus den Zeiten des Königs Roger von Sicilien hat sich
im Sacristei-Schatze zu Monte Casino ein ähnliches Gefäss aus Elfenbein erhalten. Im XII. Jahrh.
kamen erst unsere Weihrauchschiffeln auf. Links von dem Celebranti-n ist die Scene dargestellt,
2 Heut zu Tage sitzen, wie bekunnt, drei Kronen auf dieser päpstlichen Kegelmütze.
* Bekanntlich starb der heil. Cyrill zu Rom am 14. Februar 869 in seinem 42. Lebensjahre. Damals war jedoch nicht
mehr Nicolaus, welcher bereits am 13. November 867 starb, sondern Hadrian II., welcher bis 87-2 regierte, am päpstlichen
Throne. Doch solche Anachronismen sind in den Legenden nichts Seltenes,
Netjentdeckte Fresken etc. 7
wie Tbeodora den Dienern des blind nnd taub gewordenen Sisinius die Worte zuruft: „gehet und
füliret eueren Herrn nach Hause". Die Namen: Theodora und Sisinius sind deutHch zu lesen.
Gewissermassen als Fortsetzung der Legende erscheint die untere Abtheilung des Gemäl-
des, eine ofiene Halle darstellend, in welcher auf Befehl des Sisinius drei mit Namen angeführte
Diener: Carvoncel, Albertel und Cosmaris eine Steinsäule mittelst Stricken schleppen. Warum sie
dies thun müssen, darüber belehrt uns die angebrachte Inschrift: „Ob duritiam cordis vestri,
saxa trahere meruistis". Zur Erklärung dieses Bildes erzählt die obangeführte Legende weiter:
„Cumque abiissent, sancto Clementi Theodora, quid acciderit, indicavit. Tunc Sanctus, rogatu
Theodorae ad Sisinium venit, et ipsum invenit apertis oculis nil videntem et nihil penitus audien-
tem. Cumque Clemens pro eo orasset, et ille auditum et lumen recepisset, videns dementem iuxta
uxorem suam stantem, amens efticitur, ut se illusum magicis artibus suspicatur, praecepitque servis
suis, ut tenerent dementem, dicens: „ut ingrederetur ad uxorem meam, magicis artibus me excae-
cavit", praecepitque ministris, ut dementem ligarent et ligatum traherent. At illi ligantcs colum-
nas iacentes et saxa putabant, sicut etiam Sisinio videbatur, quod sanctum dementem cum suis
clericis traherent et ligarent. Tunc Clemens Sisinio ait: „quia saxa Deos dicis, saxa trahere merui-
sti". Ille autem vere eum ligatum existimans ait: „ego te interfici faciam". Clemens autem inde
abscedens, Theodoram rogavit, ne ab oratione cessaret, donec virum suum Dominus visitaret-'.
Als Erfolg des Gebetes erscheint der Theodora der heil. Petrus mit den Worten: „per te vir tuiis
salvabitur, ut impleatur, quod dixit frater mens Paulus: salvabitur vir infidelis per mulicrem
fidelem". Die P'olge dieser Erscheinung und der darauf folgenden Heilung war, dass Sisinius
und mit ihm 313 zum Hause Gehörige sich vom heil. Clemens taufen Hessen. Sisinius ist Con-
patron der bischöflichen Kirche in Trient. Als Anspielung auf die Erscheinung des h. Petrus sieht
man ober dem Hauptbilde die unteren Theile von sieben Figuren, aus denen den angebrachten
Inschriften nach die vier ersten Päpste: Petrus, Linus, Cletus und Clemens erkennbar sind. Aus
diesen Bezeichnungen nehmen wir zugleich wahr, dass bereits im XI. Jahrhunderte die später
angezweifelte Reihenfolge der ersten vier Päpste feststand. Dass wir es hier ebenfalls mit einem
Votivgemälde zu thun haben, zeigt die Aufschrift unter dem Hauptbilde: „Ego Beno de Rapiza
cum Maria uxore mea pro amore Dei et beati Clementis pingere feci". Beno und Maria mit
Wachsstöcken, und nicht mit Kerzen, in der Hand, aus Demuth in kleiner Gestalt abgebildet,
stehen im Vordergrunde zur rechten Seite des celebrirenden St. Clemens. Zum Überflüsse steht
bei der männlichen Figur noch der Name Beno.
VI. Bild. Das Wunder des heil. Clemens mit dem Sohne der Witwe (s. die beigegebene
Tafel). Nachdem unter Kaiser Trajan der h. Clemens „ligata ad collvim eins ancora" im schwarzen
Meere den Märtyrertod fand, kamen seine Schüler zum Ufer, um den Leichnam des Heiligen zu
finden. „Statim", so erzählt die obangeführte Legende weiter: „statim mari per tria milHaria rece-
dente omnes per siccum ingressi, invenerunt in moduui templi marmorei habitaculum a Deo
paratum, et ibi in archa corpus sancti Clementis et ancoram iuxta eum. Revelatum est autem
discipulis eins, ne inde tollerent corpus eins. Omni autem anno tempore passionis eins per septem
dies ad tria milliaria mare recedit, et siccum iter advejiientibus praebuit". Da geschah es, dass
bei einer solchen Festlichkeit eine Witwe mit ihrem Sohne ankam, aber, als das Meer wieder
zu steigen anfing, auf den Sohn vergass. Nach einem Jahre fand sie ihn jedoch gesund wieder
auf derselben Stelle.
Auf unserem Gemälde sieht man diese Scene. Auf der Stufe eines in einer Nische ange-
bracliten Altars mit zwei romanischen Leuchtern, aber ohne Crucifix — vor dem XII. Jahr-
hunderte am Altare nicht gebräuchlich — und mit Vorhängen, die sich bis tief Ins Mittelalter,
^ Aufgefunden war dieses grossartige Gemälde im Jahre 1861.
8 Dr. B. Dudik.
namentlich im südlichen Frankreich, erhielten, liegt in der Nähe des charakteristischen Ankers
der Knabe, den aufzuheben eben die Witwe im Begriffe steht. Um anzuzeigen, dass die Nische
im Meere sich befindet, sind rund herum Fische angebracht. Eine Procession mit dem Bischöfe
an der Spitze tritt eben aus einem Stadtthore mit der Aufschrift: „Cersona" hervor. Bei dem
Knaben liest man die Worte: „puer", und bei der Frau: , mulier A-idua-'. Ober dem Gemälde war
eine längere Inschrift angebracht, von welcher noch die Worte . . . „tumulum ptirat angelis istum"
lesbar sind. Die Schrift unter dem Bilde lautet: „Puer, ecce iacet, repetit quem previa mater-.
Auch dieses Bild legitimirt sich durch die gut erhaltene Inschrift als Votivtafel. Man liest: ,,In
nomine Domini. Ego Benno de Rapiza* pro amore beati Clementis et redemtione anime mee
pingere feci". Zu gleicher Zeit Hess Benno auf diesem Bilde seine ganze Familie anbringen. In der
Mitte erscheint in einem Medaillon das Brustbild des heil. Clemens mit dem Motto: Me prece
Csic) querentes, estote nociva caventes. Dem Medaillon zur rechten Seite steht Beno mit einer
Wachskerze, die gerade die Fomi hat, wie ich selbe im Oriente bei den Griechen und Armeniern
sah, nach unten dick, und auffallend dünn nach oben und bemalt. Bei ihm steht von einer Frau
oreleitet seine kleine Tochter Altilia. Zur linken Seite des Medaillons erblickt man die Domina
Maria, Gemalin Beno's, mit einem Wachsstock in der Hand, und vor ihr ihren Sohn, den puerulus
Clemens, mit einer brennenden Kerze. Deutlich angebrachte Namen lassen über die Personen
keinen Zweifel zu. Als Ornamente sind hier sehr hübsch stslisirte Blätter, mit Vögeln dazwischen
angebracht. Zum Vorschein kam dieses im Ganzen ziemlich gut erhaltene Gemälde im J. 1863.
Die Buchstaben aller Namen stehen nicht neben einander, sondern unter einander.
Man könnte uns einwenden: Da diese auf das Leben des heil. Clemens sich beziehenden
Votivbilder fast wörtlich der Legende, wie selbe lacobus a Voragine angibt, entlehnt sind, dieser
aber erst am Schlüsse des XIII. Jahrhunderts schrieb, so werden wohl auch die Gemälde erst
diesem Zeitalter entstammen. Daraufhaben wir die kurze Antwort: dass lacobus selbst sich in
der Legende des heil. Clemens schon auf ältere Quellen, die er benützte, bei-uft. Und dass der
Künstler unserer Votivtafeln nicht den lacobus, sondern eine andere Quelle vor sich hatte, dafür
sprechen deutlich die Aufschriften auf dem fünften und sechsten Bilde. Jacobus spricht nur von
einer „mulier cum filio suo parvulo", auf dem Bilde liest man aber: mulier vidua et puer, und
dass auf dem fünften Bilde die Note: Ob duritiam etc. mit der Legende nicht übereinstimmt,
liegt am Tage.
So viel über die neuentdeckten Fresken. Wie verhält es sich aber mit den Reliquien des
heil. Cyrill? Diese wurden nicht aufgefunden. Es liegt die Vermuthung nahe, dass sie entweder
vor der Zerstörung der Kirche, oder unmittelbar nach derselben sammt den Reliquien des heil.
Clemens auf einen sicheren Ort übertragen wurden. Eine Inschrift in der heutigen Kirche sagt
zwar, dass Reliquien des heil. Clemens im Hochaltare eingeschlossen seien; von Reliquien des
heil. Cyrill besitzt jedoch Rom in seinem Reliquienschatze heut zu Tage gar nichts '.
^ Wer aber Beno de Rapiza war, wird wohl noch lange unbeantwortet bleiben. Wenngleich der Name ßapiza einen so
slavischen Klang hat, dass man dabei unwillkürlich an Rapza, Rabaniza, einen Nebenfluss der Raab, Hrapa erinnert wird, su
möchten wir doch lieber die Forscher auf die C'omites Tudertini im Kirchenstaate hinlenken, von denen ein Rapizo, Coraes
Tudertinus, gerade in der Zeit, als Gregor VII. mit Kaiser Heinrich im Kampfe lag, eine wichtige Rolle spielte. Die Kleider-
tracht der Personen ist durchgängig die römische.
' Dass aber Reliquien dieses Heiligen in Rom und anderswo vorhanden waren, dafiir spricht die Kirche des heil. Hie-
ronymus in Rom, wo am Feste der Slavenapostel eine grosse Reliquie des heil. Cyrill, die zn verehren ich selbst das Gliick
hatte, ausgestellt wird , und dass die Domkirche zu Brunn in einem sehr alten silbernen Kästchen ein Armbein des heil,
f'yrill besessen hatte, bezeugt P. Theodor Moretiis in einem Schreiben an die Bollandi.-*ten, welche zum 9. März das Leben
der .Slavenapostel veröffentlicht haben. Wahrscheinlich von dieser Briinner Reliquie stammt jene ab, welche in der Capelle der
Prälatur zu Beigem Prälat Othmar im Jahre 1765 aufgestellt hatte. Es wäre interessant zu erfahren, wo noch in Mährens
Kirchen Reliquien der slavischen Glaubensboten aufbewahrt werden.
9
Der Schatz von St. Veit zu Praff.
Von Canonicus Dr. Fr. Bock.
£ i D 1 e i t u D 2;.
^ achdem in den letzten Decennien in Belgien, Frankreicli, England und Deutschland die her-
vorragendsten kirchlichen und profanen Baudenkmale des Mittelalters mit Aufwand bedeutender
Kosten mehr oder weniger im Geiste ihrer ersten Erbauer wiederhergestellt worden sind;
nachdem ferner auch in dem österreichischen Kaiserstaate, Dank der Vorliebe des Allerhöchsten
Kaiserhauses für Kunst und nationale Alterthümer, unter der thatkrcäftigen Mitwirkung der k. k.
Central-Commission, eine grosse Zahl von Monumenten eine gründliche Restauration erfahren
haben, ist in jüngster Zeit auch das so ausdauernd angestrebte Ziel des vor wenigen Jahren ver-
storbenen Prager Canonicus Pesina verwirklicht worden , dass nämlich der Dom von St. Veit
zu Prag, die grossartigste Schöpfung Karl's IV., nach so vielen Unbilden durch eine wissen-
schaftlich - gründliche Restauration eine endliche Verjüngung und Wiedererneuerung erfahren
möge. Wenn nun die Bauhütte von St. Veit unter der jetzigen erfahrenen Leitung hoffentlich in
wenigen Jahren das Äussere des altehrwürdigen Monumentes auf dem Hradschin mit ängstlicher
Beachtung aller vorfindlichen Überreste wiederhergestellt haben wird, dann dürfte vielleicht,
nach dem Vorgange Kölns, auch für Prag die Zeit gekommen sein, dass man sich mit einer
blossen Wiederherstellung des Vorhandenen nicht begnügt, sondern durch einmüthiges Zusam-
menwirken aller Kräfte kühn das grosse Ziel zu verwirklichen suchen wird, die noch unvollen-
dete Schöpfung Karl's IV. in jenem Geiste und jenen Formen consequent durchzuführen und
auszustatten, wie dieselbe nach einem einheitlichen Plane dem königlichen Bauherrn und seinem
genialen Baumeister Arier von Gmünd vorgeschwebt haben mag. Zur selben Zeit, wo man es
unternommen hat die Metropole auf dem Hradschin wieder herzustellen und auszubauen, haben
die Stände Böhmens den lobenswerthen Entschluss gefasst, noch eine andere Schöpfung des
kunstsinnigen Karl IV., das Schloss Karlsstein, von jenem Meister wieder herstellen zu lassen,
dessen erfahrenen Händen auch die Restauration des St. Stephansdomes zu Wien anvertraut ist.
Gegründete Hoffnung soll in jüngster Zeit vorhanden sein, dass auch für ein drittes Monument die
Zeit einer gründlichen Wiederherstellung nicht mehr fern ist, welches, an der Kleinseite von
Prag auf dem Karlshof gelegen, unter den wenigen gothischen Kuppelbauten aus den Tagen
Karl's IV. unstreitig den ersten Rang einnimmt.
10 Dr. Fr. Bock.
Seit Jahren vorzüglich mit dem Studium der kh-chhch-m«tallischeu Künste des Mittehxlters
beschäftigt, haben wir zu verschiedenen Malen Veranlassung genommen, auf den belebenden
PZintluss aufmerksam zu machen, den Karl IV. nicht nur in der Metropole an der Moldau, sondern
auch in vielen andern Städten Böhmens und Deutschlands auf die Pflege und Hebung der kinh-
lichen Goldschmiedekunst ausübte. Die bei weitem grossartigsten Denkmäler des Fromm- und
Kunstsinnes Karl's IV. besitzt indessen heute noch der Schatz seiner Lieblingsstiftung von
St. Veit zu Prag in jenem umfangreichen Kunst- und Reliquienschatz, der trotz der vielen Plün-
derung und Entstellungen in den di-ei letzten Jahrhunderten heute noch im österreichischen
Kaiserstaate als ein ünicum dasteht und als der reichhaltigste zu betrachten ist '. Wie kostbar
und umfangreich derselbe zur- Zeit seines kaiserlichen Gründers in der letzten Hälfte des XH'.
Jahrhunderts gewesen sein muss, das beweisen die noch erhaltenen Schatzverzeichnisse jener
Zeit, welche eine wahi-haft unglaubliche Menge der verschiedensten Reliquiarien in allen Formen,
ferner von Cultgeräthen und Prachtgewändern jeder Ai-t in langer Reihe enthalten. Kaiser und
Könige, Fürsten und Erzbischöfe beeiferten sich auch in den beiden folgenden Jahrhunderten,
den von Karl IV. gegiäindeten Schatz von Reliquien- und metallischen Kunstwerken zu erhalten
und zu mehren. Tram-ige Zeiten jedoch brachen im XV. und XVI. Jahrhundert in Folge der
politischen und religiösen Wirren über die böhmische Metropole und den reichen Schatz ihrer
Kathedrale herein. Seit den Tagen, wo der Prager Domherr Pesina de Cechorod in seinem
-Phosphorus septicornis" die Herrlichkeiten seiner erzblschöflicheu Kathedrale beschrieb, ist
durch die UnsTunst der Zeiten, durch Ung-eschmack und Unkenutniss vieler Generationen o-;ir
manches verloren gegangen. Vieles jedoch hat sich trotz der Stürme und Drangsale bis heute
noch erhalten, was mit Hinzunahme der alten Schatzverzeichnisse einen sprechenden Beweis
dafür- gibt, welch grossartige Meisterwerke der religiösen Goldschmiedekunst sicli im XIV., XV.
und XVI. Jahrhundert in dem Thesam-us Ecclesiae Metropolitanae Pragensis befanden, nachdem
Karl IV., römischer Kaiser und bölunischer König, es nicht unter seiner Würde gehalten hatte,
auf seinen vielen Züg-en und Reisen allenthalben seltene Reliquien für seine Lieblingsstiftung
zu Prao- anzusammeln und dieselben mit kunst- und werthvoUen Fassung-en zu schmücken.
Da man nun, wie Eingangs bemerkt, mit löblichstem Eifer allseitig bestrebt ist, die in
den letzten Jahi-hunderten kaum beachteten Monumente Karl's IV. mit Vorliebe und Sachkenntniss
wiederherzustellen, so haben wir nicht länger säumen wollen, auch unserer Seits , wenngleich
aus weiter Feme, ein Scherflein ziu- Wiederherstellung des Ansehens, der Würde und kunst-
geschichtlichen Bedeutung der altberühmten Prager Metropole beizutragen, indem wir es ver-
suchen werden, die meist ungekaunten Kunst- und Reliquienschätze von St. Veit in Wort und
Bild zu veröfi'entlichen und allen Verehrern Karl's IV. zugänglich zu machen. Wenn es uns nim
in dieser monographischen Besckreibung des Prager Domschatzes gelingen sollte, zu den alten
Ehren der böhmischen Mutterkirche eine neue hinzuzufügen, so verdanken wir dieses hauptsäch-
lich dem hochwürdigsten Cardinal und Füi-st-Erzbischof von Schwarzenberg , Hochweicher uns
vor wenigen Jahren in entgegenkommender Herablassung Gastfreundschaft auf längere Zeit
gewährte, damit in der erzbischöflichen Curie von sämmtlicheu Reliquiarien des St. Veits-Domes
eine crenaue Abbildung: und eincjehende Beschreibung vorgenommen werden konnte.
1 Um nicht Gesagtes zu wiederholen, verweisen wir hier auf unsere Abhandlung- „Das Schatzverzeichniss des Domes
von St. Veit in Prag aus dem Jahre 1387". (.Mittheilungen etc. IV. Jahrgang, 1SÖ9, Heft 9, 10, 11, 12.)
Deu Schatz von St. Veit zu Prag.
II
I. ABTHEILl NG.
(Mit 22 HoLzschnltten.)
Brustbild des heil. Veit. (Fig-. l.)
In dem um das Jahr 1387 unter dem Decan Bohuslaus angefertigten Inventar über den
Praeter Domschatz befindet sich unter der Überschrift Summa capitum neben 26 anderen Brust-
bildern obenan caput sancti Viti sine gemmis verzeichnet. Schon aus der Bezeichnung ,,sine
gemmis" scheint hervorzugehen, dass das zu beschreibende Reliquiar damals noch niclit exi-
stirte, da dasselbe mit mehreren Edel-
steinen geschmückt ist. Damit stimmen
dann auch alle Merkmale, welche das Bild
an sich trägt, überein. Die Stylisirung des
Haares in reichen Locken, die Behandlung
des Gesichts, sowie die knieenden Engel,
welche die Büste tragen, mit Gewändern
im reichsten Faltenwurf, dieses alles spricht
dafür, dass unsere Herma erst in der letzten
Hälfte des XV. Jahrh. angefertigt worden
sei , wahrscheinlich zur Zeit des Königs
Wladislaus, der, ein zweiter Karl IV., mit
grosser Freigebigkeit der Prager Domku-che
das zu ersetzen suchte, was unter seinen
Vorgängern durch die Ungunst der Verliält-
nisse verloren gegangen war.
Das in Silber getriebene Haupt des
heil. Vitus ist 50'/, Ctm. hoch, der untere
Rand iS'/a Ctm. lang und 23 Ctm. breit.
Der Brusttheil ist glatt ohne Ornament ge-
halten, ein enganliegendes Gewand darstel-
lend, an dem bloss der Kragen durch eine
einfache Fassung sich augenfällig macht.
Mitten auf der Brust erblickt man liinter einem grossen Bergkrystall Gebeine des h. Vitus mit einer
modernen lateinischen Aufschrift. In der kleinen Hohlkehle am untern Rand befinden sich einige
facettirte Steine mit kunstloser Fassung. Das Bild ruht auf drei knieenden gegossenen Engeln.
Dieselben sind lOy. Ctm. hoch und sehr wenig ciselirt. Mit Humerale, Albe und Cingulum beklei-
det, scheint die Haltung der Hände anzudeuten, dass sie ursprünglich Instrumente hielten. Die
beiden vorderen sind nach einem und demselben! Modell gegossen.
Der unstreitig kunstreichste Theil der Büste ist der Kopf. Das Gesicht ist bartlos, von
jugendlichen, sehr scharfen Zügen, und gibt Zeugniss von der grossen Meisterschaft des Künst-
lers in der Hammerarbeit , dem opus propulsatum oder malleatum. Von grosser Schönheit ist auch
die Behandlung des Haares, welches in zahlreichen Locken mit feiner Stylisirung das Haupt
umwallt. Wie bei den meisten Brustbildern des XV. Jahrhunderts sind die Incarnationstheile in
Silber gehalten, und nur die Gewandtheile und das Haar vergoldet.
2*
Fiir. 1.
12
Dr. Fr. Bock.
Unter den 27 Häuptern, wovon das erwähnte Verzeichniss spricht, fonden sich gewiss
mehrere von grossem Kunstwerth und kostbarem Metall. Die mei.sten sind wahrscheinlich in den
Stürmen der Hussitenkriege, welche das unter Karl IV. blühende Böhmen im XV. Jahrhunderte
verwüsteten, verloren gegangen.
Brustbild der heil. Ludmilla, in Silber vergoldet. (Fig. 2.)
Unter den vielen Brustbildern des Domschatzes, welche als Reliquiarien dienten , ist jenes
der heil. Ludmilla das älteste , und zugleich in ästhetischer und technischer Hinsicht das schönste.
Ganz ohne Zweifel zeigt Form und Stylisirung an, dass wir hier ein Bravourstück jeuer Gold-
schmiede vor uns haben, welche Karl IV. in grosser
Anzahl von Augsburg und Nürnberg an seinen Hof beru-
fen hatte. Die Büste der heil. Ludmilla, der ersten christ-
lichen Herzogin Böhmens und Grossmutter des heiliofen
Wenzels, misst in der Höhe 0-34 Ctm. , während der
ovale Fuss eine grösste Länge von 0*295 Ctm. hat. Der
untere schmale Rand zeigt in gravirter Ai'beit kleine , sich
nahe aneinander schliessende Blättchen in Zickzacklinien,
wie dieses Ornament sich auch in der Weberei und
Stickerei des XIV. Jahrhunderts in den Säumen der Ge-
wänder häufiger vorfindet.
Die eisrentlicben Ständer, die nach Analogie der
meisten metallenen Büsten aus jener Zeit nirgends fehlten
und die in der Regel in geflügelten Engeln, stehenden
oder liegenden Löwen u. s. w. bestanden, mangeln hier
o-änzlicli, und sind wahrscheinlich entfernt worden, als sie
einmal lose zu werden begannen.
Die Büste selbst, eine mit grosser Meisterschaft getriebene Ai-beit eines hervorragenden
Meisters des Goldschmiedegewerkes, zeigt in der Behandlung des StoflPlichen einen sehr edeln
Styl. Die heil. Ludmilla ist dargestellt mit dem im XIV. Jahrhundert an manchen ähnlichen
Standbildern von heiligen Frauen vorkommenden Kinntuche, wodurch, wie es scheinen will, der
Witwenstand ano-ezeioft war. Ein solches Tuch findet sich z. B. bei den Darstellungen der heil.
Elisabeth, der Landgräfin von Hessen und Thüringen, nachdem sie als Witwe in den Orden der
Tei-tiarier eingetreten war. Entsprechend mit diesem verhüllenden Kinntuclie ist das Haar
und Haupt ebenfalls mit dem Schleier des Witwenthums verdeckt. An diesem Schleier, der das
ganze Hinterhaupt in zierlichem Gefälte umfliesst, befindet sich als einziges Ornament ein
ausgerandeter eingeschnittener Saum , der leicht sich über die Stirn fortsetzt und an beiden
Seiten des Hauptes in gehäuftem Faltenbruch reich herunterfällt. Die Formen des Gesichtes
sind sehr edel gehalten und lassen fast errathen, dass bei der Composition der Büste dem
Goldschmiede ein Meister der Malerzunft zur Seite stand.
Leider ist das Brustbild heute an den Incarnationstheilen des Gesichtes, die ehemals ver-
goldet waren, auf unschöne Weise mit glänzend fetter Oelfarbe übermalt, was dem Standbilde
den Anschein gibt, als ob dasselbe in Holz geschnitzt und nacliträglich vergoldet und polychro-
mirt worden wäre; hoffentlich wird dieser unscliüne entstellende Anstricli, wodnrcli das edle
Metall verdeckt wird, bald entfernt werden.
Ursprünglich als Reliquienbehälter bestinmit, befand sich ehedem auf dem Haupte unseres
Caput pectorale unter Krystallverschluss , eine ziemlich grosse Partikel vom Hirnschädel der
Fig. 2.
Der Schatz von St. Veit zu Prag. 13
böhmischen Landespatronin, der lieil. Ludmilla; heute ist nur noch die leere Öffnung geblieben.
Eine Vorrichtung auf dem Haupte, bestehend in zwei aufgenieteten Silberhäkchen, zeigt deutlich,
dass hier ehemals eine kostbare Fürstenkrone angebracht war. Und in der That befindet sich heute
noch ein merkwürdiger herzoglicher Hut in einem Verschluss des Altares der heil. Ludmilla,
der ehemals vielleicht die Büste geziert haben mag. Derselbe ist stofflicher Natur und zeigt
eine reiche Gold- und Perlenstickerei , deren Anfertigung jedoch höchstens in den Schluss des
XVL Jahrhunderts zu verlegen ist; es müsste diese Kopfbedeckung also erst später hinzugefügt
worden sein.
Die alten Schatzverzeichnisse des Prager Domes aus dem XIV. Jahrhundert erwähnen
ausser dem Brustbilde der heil. Ludmilla, eine grosse Menge anderer Capita; ja zur Zeit
Karls IV. zählte der Domschatz Brustbilder in vergoldetem Silber, die jedes einzeln ein Kunst-
werk waren. Heute befinden sich ausser den beiden beschriebenen Büsten des heil. Veit und der
heil. Ludmilla noch drei andere solcher getriebenen Halbfisruren in Silber mit verg'oldeten Orna-
menten vor, die jedoch anscheinend erst im Laufe des XV. Jahrhunderts angefertigt worden
sind. Das eine dieser Bilder stellt dar den heil. Wenzeslaus, das andere den heil. Adalbert. Diese
Büsten sind fast inLebensgrösse ausgeführt und mit grosser manueller Fertigkeit in äusserst schöner
Tind solider Technik in Silber getrieben. Die ornamentalen Theile derselben sowie alle Ränder
an den Gewändern sind silbervergoldet. Aus dieser Anwendung zweier Farbentüne, hauptsäcli-
lich aus der Fassung der Steine sowie aus der Stylisirung der faltenreichen Alben, womit die
kleinen Engelsgestalten bekleidet sind, die als Fussgestell und Träger dienen, lässt sich deutlich
erkennen, dass diese Brustbilder gegen Ausgang des Mittelalters angefertigt worden sind, nachdem
die älteren, von denen noch die Schatzverzeichnisse des XIV. Jahrhunderts sprechen, im Drange
kriegerischer Ereisrnisse abhanden g'ekommen sein mochten.
Das Brustbild des heil. Wenzeslaus ist mit dem herzoglichen Pileus bekleidet ; den oberen
Tlieil der Brust bedeckt ein reichverzierter Panzer und Herzogsmantel; die auf demselben befind-
lichen Steine scheinen nicht mehr die alten und primitiven zu sein.
Die Büste des heil. Adalbert, welche in derselben Technik angefertigt ist, ist mit der
bischöflichen Mitra bekleidet; um den Hals liegt in reichem Faltenbruch das Humerale, das
in mittelalterlicher Weise mit der nach hinten befestigten und aufgenähten Plaga (Parura)
verziert ist.
Die Büste der heil. Anna stammt mit denen des heil. Vitus, Adalbert und Wenzel nicht
nur aus einer und derselben Zeit, dem Sclilusse des XV. Jahrhunderts, sondern hat auch offen-
bar einer und derselben Künstlerhand ihre Entstehung zu danken. Die heil. Anna ist nach mit-
telalterlicher Weise als Ahnfrau der heil. Familie aufgefasst, indem sie auf dem linken Arme in
kindlich naiver Darstellung die Mutter Gottes als zartes Kind hält und auf der rechten Hand den
Jesuskuaben selbst. Auch dieses Bildwerk ist in Bezug- auf Faltenbruch und Behandluno- der
anatomischen Form mit grosser technischer Bravour ausgeführt.
Ein kleiner Beliälter zur Aufbewahrung der li. Eucliaristie. — XV. Jalirliiindert. (Fig. 3.)
Dieses interessante Gefäss besteht aus einem Krystall-Cylinder von oV^ Ctm. Höhe bei
einem grössten Durchmesser von 6 Ctm. mit silbervergoldeter Einfassung auf beiden Seiten, welche
von fortlaufenden Vierpässen durchbrochen wird. Beide Ränder sind durch drei verticale und
wenig profilirte Metallstreifchen verbunden. Die untere Einfassung ruht auf drei ciselirten Löwchen,
die den gedachten Metallstreifen entsprechend angebracht sind. Den Verschluss bildet ein silber-
ner Deckel, dessen äusserer Rand von einer zierlichen Zinnenbeki-önung überragt wird. Der
etwas abgerundete Deckel hat nach oben eine halsförmige Spitze, welche in eine gedoppelte
14
Di:. Fk. Bock.
Fig. 3.
Kreuzblume verläuft. — Gegenwärtig wird
diese merkwürdige Pyxis als Reliquiar benutzt
und enthält einer im Innern befindlichen Per-
gament-Inschrift zufolge, die wohl kaum ein
höheres Alter als das XVII. Jahrliundert bean-
spruchen kann, Reliquien der hh. Johannes
Baptist, Petrus und Thomas. Dass dieselbe
jedoch ursprünglich zur Aufbewahrung der
hh. Eucharistie bestimmt war, bezeugt die Dar-
stellung des Symbols des lieil. Sacramentes,
das Agnus Dei, welches sich in einem Vierpass
auf l)lau gesclimelztem Grund im Innern vor-
findet. Dieses Svmbol ist, von einem Kreise
umschlossen , aufgelöthet. Dem entsprechend
erblickt man gegenüber auf der innern Fläche
des Deckels das Bild des Heilands ebenfalls
auf blau emaillirtem Grund mit dem gekreuz-
ten Kimbus in rothem Schmelz. Offenbar diente
diese Pvxis zur- xVufbewahrung der heil. Hostie im Tabernakel, wenn, wie es noch heute in vielen
Kirchen geschieht, nach Beendigung des feierlichen Gottesdienstes die meist kostbare Monstranz
hinter festen Verschluss gebracht wurde. Ein ähnliches Gefäss , mit der gleichen Bestimmung,
findet sich unseres Wissens nur noch in Kempen am Niederrhein; ähnliche Pj-xides in Zinn
sind heute noch in belgischen Kirchen häufiger anzutreffen.
Wir nehmen keinen Anstand, bei Anschaffung ähnlicher Behälter das besprochene schöne
Gefäss zur Nachahmung zu empfehlen. Was die Zeit der Anfertigung anlangt, scheint es uns
dem Schlüsse des XIV. Jahrhunderts anzugehören.
Relifjiiiar in Gestalt einer kleinen Pyxis. — XV. Jahrliundert. (Fig. 4.)
(Höbe 14 Ctm., Durchmesser des Fusses 5 C'riu. 7 Mm.)
Die Form dieses Gefässes ist sehr einfach und bedingt durch den
inneren Crystall-Cylinder von kaum 3'/., Ctm. Höhe. Dieser Cylinder
ruht auf einem kleinen Fussgestell, das mit einer Kammverzierung von
gothischem Laubwerk geschmückt ist. Zu beiden Seiten wird der Cylin-
der eingefasst von zwei silbervergoldeten profilirten Metallstreifen, welche
in verticaler Richtung Fuss und Aufsatz mit einander verbinden. Der
untere Rand des Aufsatzes, zugleich obere Einfassung des Cylinders,
zeigt ein einfaches Profil, und ist nach oben und unten mit einer zinnen-
förmitiren Laubl)ekrönun2: zierlich auso-estattet. — Den Aufsatz bildet ein
kleiner Dachhelm, der auf der Spitze einen quadratischen Knauf trägt;
der zugfehörige Abschluss des Ganzen, eine Kreuzblume oder ein kleines
Kreuz, ist abliaiuien gekommen. Die Flächen des Helmes sind mit
rhomboidenförniigen Gravirungen durchzogen, welche Dachziegel an-
deuten; die vier Kanten sind mit Gräten bedeckt, ans denen zierlich
ciselirte Krabben hervor.spriesson. — Die Reliquien befinden sich in
einem grünseidenen Involucrum von glattem Tatfct ohne Dessins. Die
äusseren Detailformen , wie der Charakter der Pergament-Inschrift in
Der Schatz von St. Veit zu Prag.
IS
dem Cylinder weisen dieses interessante Gefäss dem Sclilusse des
XV. Jahrhunderts zu. Dasselbe kann besonders für ein Bohältniss
zur Aufbewahrung der heiligen Ole als sehr erapfehlenswertlies
Vorbild dienen.
Reliquiar in Gestalt einer kleinen Pyxis. — XIV. Jahrhundert. (Fig. 5.)
(Höbe 0 Ctm., Durchmesser mehr als 4 C'tm.)
Der Krystall-Cylinder, welcher eine Reliquie des h. Bischofs
und Märtyrers Blasius birgt, ruht auf einem silbervergoldeten
kreisförmigen Fuss, der auf dem untern Rand eine eingeprägte
Rosenverzierung zeigt. Der polygone Rand dieses Sockels hat ein
kleines kammartiges Ornament, das an der obern Ötfuung des
Cylinders wiederkehrt und auf dem Deckel-Polygon gleichmässig
sich fortsetzt. Der kleine Krystall-Deckel hat zum Abschluss einen
vielseitigen Krvstall-Knauf, aus welchem ein silberverg-oldetes
Knöpfchen in Gestalt einer Erdbeere mit i;mgesclilagenen Blätt-
chen hervorragt.
Dieses Gefäss, welches als Modell zu einem Olgefäss zu
empfehlen ist, dürfte dem Beginne des XIV. Jahrhunderts ange-
hören.
Fig. 5.
Kellquiengefäss in Silber vergoldet. — XIV. Jahrhundert. (Fig. 6.)
(Höhe 18 Ctm.)
Dasselbe besteht aus einer von einem Ständer getragenen Kapsel von 6 Ctm. 2 Mm.
Durchmesser. Der Fuss, im Durchmesser von 9 Ctm., ist im Sechseck angelegt. Über dem-
selben erhebt sich eine sechsblätterige Rose, deren
zu einem Halse ansteigende Flächen mit kleinen
Medaillons in Dreipassform verziert sind. Dieselben
zeio-en in farbio-em durchsichtigem Schmelz Halb-
fiocuren anbetender Engel mit Rauchfässern oder
Lichtern. Auf dem ansteigenden Hals der Rosenblatt-
Bildung- erhebt sich ein sechseckiger, 2 Ctm. 3 Mm.
hoher Aufsatz. Dieser ist architektonisch gehalten, mit
Widerlagpfeilern versehen und von sechs Spitzbogen-
feldern durchbrochen, auf deren Tiefgrund man in far-
bigrem durchsichtigem Schmelz die Brustbilder von
Heiligen erblickt, deren Reliquien in der Kapsel ver-
schlossen sein mögen. Auf diesem zierlichen Piedestal
erhebt sich eine sechseckige glatte Röhre (Fistula) in
der Höhe von 2V'. Ctm. und im D^rössten Durchmesser
von V/2 Ctm., die in einen kleinen Knauf ausläuft.
Letzterer ist aus einer im gleichseitigen Sechseck
construirten hohlen Kapsel äusserst zierlich zusammen-
gesetzt, deren Ecken nach beiden Seiten von je zwei
aufgelötheten frei stehenden Blättchen verziert werden.
Auf jeder der drei Seiten dieser Kapsel springen Pi,, g
in
De. Fr. Bock.
drei Ruhrchen als Pasten in Vierpassform ziemlich stai-k hervor, deren Flächen in durchsichtigem
Schmelz kleine symbolische Thiere dai-stellen. — Über den Knauf liinaus setzt sich dann die
Röhre bis zu 2 Ctm. wieder fort, und erweitei't sich zu einem kleinen Hals als Sockel für das
eigentliche Reliquiar, das in einer Kjystall-Kapsel besteht. Auch dieses Zwischenglied zwisclien
letztci-er und dem Ständer ist mit schön stvlisirten aufo^tlötheteu Blättchen verziert. Die Schedula
aus Pergament, welche wahrscheinlich erst im vorigen Jahrhundert neu gescluüebeu wurden ist,
enthält folgende Inschriften : Reliquiae St. Mariae Virg. , de catena St. Petri, St. Magdalenae etc.
An der vordereu Rundfläche der Kapsel erblickt man, von allerhand spielenden Zierathen des
XVII. Jaluhunderts umgeben, eine Inschrift iüug-eren Datums, deren Lesung durch die beio-efüo--
ten Ornamente unmöglich gemacht mrd. Das unpassende Kj-euzchen auf der Krvstall-Kapsel
scheint gt-gen Ende des XVI. Jahrhunderts hinzugefügt worden zu sein. Die Reliquien -Kapsel
selbst wird von einem breiten silberneu Rand eingefasst, auf welchem sich ungeschliffene Edel-
steine (Tüi-kise. Saphii-e u. s. w.) berinden.
Was die Entstehungszeit beti-ilft, so sprechen die sein* markirten Details für die zweite
Hälfte des XIV. Jahrhunderts, als Karl IV. die Goldschmiedezunft aus dem südlichen Deutscliland
nach Prag o-ezogren hatte. — Auf dem Fiiss befindet sich noch
ein gi-össeres Medaillon, welches in durchsichtigem Schmelz einen
sreflüo-elten Drachen darstellt. Vielleicht steht dies in Beziehung'
zu dem Drachenorden, der bekanntlich von Kaiser Siirmund g-e-
stiftet wurde, und überall in seinen Insignien das Bild des Drachen
führt. (Vgl: Der Domschatz zu Gran und die di-ei daselbst befind-
lichen Hörner „Greifenklauen."}
Rpliquiar aus vergoldetem Silber in Form einer kleinen Monstranz mit
hozriontal liegendem Krj stall -Cylinder. (Fig. Tj.
Diese mustergültige Monstranz hat eine Höhe von ISV^ Ctm.
bei einer Breite von 14 Ctm. Aus dem sechsblätterigen Fuss von
I2V2 Ctm. im Diu-chmesser. dessen hochstehender Rand von einer
im Viei-pass gehaltenen Gallerie dm'chbrochen wird, erhebt sich
ein schlank ansteigender Hals, welcher einen reich mit Strebe-
pfeilern, Fialen und Giebelfeldern geschmückten sechseckigen
Aufbau trägt. Nach den sechs Seiten hin wird derselbe durch
Fenster mit rother hinterlegter Folie dm-chbrochen. Über diesem
thurmartigen Aufsatz befindet sich der Träger des S'/j Ctm.
langen Reliquien -Behälters, der als Krystall - Cylinder gestaltet
ist. Letzterer Avird auf beiden Seiten von blätterartig verzahnten
Ringen eingefasst und von Widerlagjjfeilern und Strebebogen
flankii't, die mit einem zweiten helmai'tigen Aufbau in Verbin-
dung stehen, der sich in einer Höhe von 217« Ctm. über dem
Krystall -Cylinder aufsetzt. Von dieser zierlichen xVrchitectur
überragt erblickt man auf einem kleinen quadratischen Sockel
ein ausdnicksvoU ciselirtes Bild der heil. Katharina, der Patro-
nin der Prager Hochschule. Über dieser Statuette wölbt sich
ein schlanker Baldachin im überhöhten Spitzbogen, der wie-
derum einem sechseckigen Aufbau zur Grundlage dient, welcher
Der Schatz von St. Veit in Pkag.
17
nach allen Seiten hin durch Fensterstellungen mit reichem Mass- und Sprossenwerk belebt
wird. Das Ganze wird endlich abgeschlossen durch einen sechsseitigen Dachhelm, der oben
mit Knopf und Kreuzblume bekrönt ist.
Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass von sämmtlichen
Reliquiarien, die sich aus den Sturm- und Drangzeiten der letzten
Jahrhunderte im Prager Domschatz als Zeugen entschwundener
Herrlichkeit erhalten haben, unsere Monstranz sowohl durch die
originelle Composition, als auch durch ihre schönen Verhältnisse
eine hervorrajrende Stelle einnimmt '". Wir glauben nicht zu irren,
wenn wir die Behauptung aufstellen, dass dieses Ostensorium,
welches in seinen entwickelten Formen sich als ein Werk aus
der schwäbischen Schule zu erkennen gibt, von jenen Zunft-
meistern verfertigt worden sei, die Karl IV. bekanntlich aus
Süddeutschland in die Moldaustadt heranzog ^. Vielleicht war
sogar der Einfluss des Altmeisters Aider von Gmünd, der nach
dem Tode des Meisters Mathias von Avignon den Weiterbau des
St. Veitsmünsters leitete, bei Composition dieses und eines später
folgenden Gefässes thätig.
Reliquiar in Gestalt eines Ciboriiim. — Sclilass des XV. Jahiiiunderts.
(Fig. S.)
(Höhe 31 C'tra., Durclimesser des Fusses 14 Ctm.)
Der Fuss dieses Gefässes ist, wie bei den meisten Reli-
quiaren und Kelchen des XV. Jahrhunderts, als sechsblätterige
Rose gehalten. Auf dem schlank ansteigenden Hals desselben
erhebt sich eine runde Rühre von Sy^ Ctm. Höhe mit einem
architektonisch geformten Knauf und doppelten Widerlagpfeilern
und Zinnenbekrönung; dieser Nodus hat in seiner grössten
Ausdehnung 4 Ctm. 3 Mm. und ist jede 2 Ctm. breite Fläche
durch gedoppelte Rundbogenfenster frei durchbrochen, so dass
die im Innern durchgehende Röhre sichtbar ist. Diese Röhre
erweitert sich dann zur Aufnahme einer cylinderförmigen aus
Bei-gkrystall geschliffenen Kapsel von -i'/^ Ctm. Höhe, welche
nach den eingefügten Pergament -Spruchstreifen „R. S. Lazari
frat. S. Mariae Magdalenae et S. Marthae" enthält. Diese Kapsel wird durch einen halbrunden
Krystalldeckel verschlossen und ist nach beiden Seiten mit einem silbervergoldeten Ring ohne
Fig. 8.
- Vergl. Phosphorus septicornis, h. e. Simctae Eeclesiae Pragensis majestas & gloria, ab Joanne Pessina de Czechorod,
Pragae 167.S.
3 Bis vor wenigen Jahren befand sich noch in der wohlverschlossenen Truhe der alten Prager Goldschmiede-Innung ein
höchst merkwürdiges Documeut in Minuskelschrift mit Initialen, welches die Zunftregeln und Vereinbarungen der Goldschmiede
unter Karl IV. enthielt. Dasselbe kann als die älteste Zunftrcgel der Goldschmiede-Innung betrachtet werden, von der uns
heute noch Kunde geblieben ist. Wir haben spiiter zu wiederholtenmaleu in Prag nach diesem äusserst werthvullen und
für die geshichtliche Entwicklung der Goldsclimiedekunst in Böhmen höchst interessanten Originaldocumente Nachforschungen
angestellt, um davon Abschrift nehmen zu können. Wie uns mitgetheilt wurde, soll dieser seltene Codex durch Kauf in
den Besitz einer grossen fürstlichen Bibliothek in Prag übergegangen sein. Für die Archäologen Prags wäre es eine lohnende
Aufgabe, dieses Manuscript wieder ausfindig und duroli seine Veröffentlichung der Alterthumswisseuschaft wieder zugänglich
zu machen.
XIV. 3
18
Dr. Fb. Bock.
\'iele Profilirung eingefasst. Die Kapsel wie den Deckel entlang laufen drei schmale Metall-
streifen, welche in die Deckelbekrönung einmünden. Die Spitze bildet ein kleines Kreuz mit
den bekannten Dreiblattausläufen (Trefle).
Das besprochene Geföss, welches durch seine Proportionen bei sehr einfacher Anlage zur
Nachahmung zu empfehlen ist, scheint dem Schluss des XV. Jahrhunderts seine Entstehun«- zu
verdanken. Die Reliquieufassung wie die Inschiift gehören offenbar neuerer Zeit an.
Reliquiar iu (jestalt einer kleiueii Moiistranze. — \V. Jalirliuuilert.
Höhe über 19 Ctm., Durchmesser des Fnsses 7 Ctm.
Dieses zierliche Ostensorium erhebt sich über einem schlank ansteigenden Ständex-, dessen
Fuss zu einer mit einer Gallerie verzierten Rose sich gestaltet. Dieser Ständer bildet eine thurm-
artige Anlage mit Widerlagspfeilern und offenen Fensterstellungen, welche kleine Ziergiebel
schmücken. Ein schräg ansteigender Helm schliesst das im Sechseck angelegte Gefäss ab, der
jedoch nicht in eine Spitze ausläuft, sondern stumpf abgeschnitten ist und von einem sechs-
eckigen Knauf überragt wii-d. Dieser Knauf trägt dann den
eigentlichen Reliquienbehälter, eine seehsblättrige Rose von S'/o
Ctm. Dm'chmesser. Die Reliquie gehört den heil. Aposteln Matthäus
und Mathias an. Die Rundung der Kapsel wird dm-ch sechs
gefasste Steine (facettii-te Rubine) in Gestalt von kleinen Blumen
verziert. In den sechs Rosenblättern erblickt man auf glattem
Silbergi-und ciselirte und vergoldete Eugelsgestalten in Halbfigur,
welche die genannten Bliunen zu tragen scheinen. Durchbrochen
srearbeitete Blattverzierung-en füllen die Zwickel der Rosenblätter
aus. Der 1 Ctm. breite Rand der Kapsel ist mit einem gleiclifalls
diu-chbrochenen Laubvverk ornamentirt. Auf der flachen Rückseite
ist die Krönunsr der allerseUo^sten Jungfrau einsravirt. Alles spi-icht
dafür, dass das besprochene Gefäss dem Schlüsse des XV. oder
soo-ar demBeg-inne des XVI. Jahrhunderts angfehört. Es kann dieses
Reliquiar sehr passend als Modell zu einer Monsti-anze dienen, die,
weniger architektonisch gehalten , in der sechsblätterigen Rose
eine Art Sonne als Receptaculum der heil. Eucharistie böte.
Reliiiiiiar in Form einer Hand, silbervergoldet. (Fig. 10.)
Das Mittelalter liebte es, schon durch die Gestalt des
Gefässes anzudeuten, welchem Körpertheile die darin enthaltene
Reliquie angehöre. Daher trifft man Reliquiare iu Kopfform, in
Gestalt von Brustbildern, in Form von Fusstheilen und Arm-
schenkeln häufiger an. Auch der Domschatz von St. Veit besitzt
der letzteren eine ziemliche Anzahl. Jedoch wollen wir hier nur
das interessanteste und reichste Brachiale in Abbildung beifligen,
da die übrifen mit diesem so ziemlich hinsichtlich ihrer f^orm
übereinstinmien. Dieses Reliquiar enthält einen gTösseren Theil
vom Armschenkel des heil. Georg; dasselbe ist 56 Ctm. hoch
und besteht aus einem architektonisch construirten Sockel, über
dem sich ein silbervergoldeter Arm nebst Hand erhebt. Durch
¥-^
{S7hiSü?s^Sisss>mmsz >>^-
Fig. 9.
Der Schatz von St. Vkit in Prag.
19
eine Üffiiimg in der Haud ist die Reliquie ersiclitlicb. Der Sockel
misst 17 Ctm. an Breite und wird auf den vier Ecken von kleinen vier-
eckigen über Eck gestellten Thürmchen umgeben. Die vier Seiten sind
von Spitzbogen dinxhbrochen, welche durch getriebene Heiligenbild-
chen ausgefüllt werden. Auf einer Seite erblickt man die Himmelsköni-
gin in sitzender Stellung mit dem Kinde dargestellt, auf der folgenden
den Heiland mit segnender Rechten, in der Linken das verschlossene liber
vitae haltend. Dann folgt das Staudbild des heil. Ritters Greorgund endlich
das der heil. Ludmilla. Sämmtliche Figuren sind sehr fein in »Silber ge-
trieben iniil die Namen der Heiligen in Majuskeln auf den Widerlags-
pfeilern eingravirt. Die Spitzbog-ennischen , welche diese Bildchen um-
geben, sind ring'sum mit verschiedenen Edelsteinen, Smaragden, Rubi-
nen, Saphiren, in ziemlich roher Fassung besetzt. Zwischen den Steinen
befinden sich statt der Perlen silberne Knöpfchen. Über jeder Nische
ist ein geradliniges Giebelfeld angebracht, welches von zwei vier-
eckigen Fialen ohne Verjüngung flankirt wird, die nach den vier
Seiten im Spitzbogen durchbrochen sind. In den Dachhelm des
architektonischen Unterbaues greift dann der silbervergoldete Ann ein,
der, nach hinten glatt, vorn eine Öffnung zur Besichtigung der Reli-
quien bietet. Zu beiden Seiten wird diese Öffnung durch zwei Reihen
viereckig gefasster Edelsteine mit imd ohne Facettirung verziert. Die
Hand, welche sich als die rechte darstellt, ist von natürlicher Grösse
und in Schrauben beweglich. Die Finger sind ausgestreckt, iind im Innern
der Hand befindet sich ein in Masswerk durchsichtig gearbeitetes Thür-
chen, vermittelst dessen man die Reliquie sehen kann. Sämmtliche
Finger sind mit Ringen versehen; jedoch behaupten wir nicht, dass
die unschön angebrachten geschliffenen Edelsteine in derber Fassuno-
sich ursprünglich dort befunden haben. Auch das Kreuz mit vier Bero--
krystallen, welches in der innern Handfläche sich befindet, so wie die
vier Steine, die sich unterhalb der oben beschriebenen Figuren befinden
scheinen aus späterer Zeit herzurühren. Dem Anscheine nach fehlt
diesem Reliquiar das Fussgestell. Hinsichtlich des Alters und Herkommens dürfte kaum
Zweifel obwalten, da die schön getriebenen Heiligenbilder vollständig den Typus der Malerschul
Karl's IV. an sich tragen, xibgesehen von diesen trefi'lichen Figuren verräth die o-anze Arbeit,
deren Entstehung wir in die Mitte des XIV. Jahrhunderts setzen, etwas rohes und unbeholfenes,
Auch ist, namentlich in der Architektur, der Einfluss des romanischen Styls nicht zu verkennen.
Kleine Rellqiilenmonstranz aus ver^oldetein Silber mit einem Krystallcylnider. — XIV. Jahiliiindert.
(Fig. 11.)
Die Höhe dieses schönen Gefässes beträgt 44 Ctm. Der Fuss im Durchmesser von
ISVa C'tm. bildet eine sechsblättrige Rose mit einem in fortlaufenden Vierpässen durchbrochenen
Rand. In den Einschnitten des Fusses sind schön stylisirte Thierfratzen in Gestalt von
Eidechsen angebracht, deren Schweife als Ornamente an den Hals des Gefässes sich anlegen.
Aus dem stumpfen Halse des Fusses erhebt sich ein architektonisch nach sechs Seiten o-eo-lie-
derter Sockel bis zur Höhe von 4 Ctm., der einen sechseckigen Stiel trägt, welcher durch einen
10.
em
e
20
Dr. Fe. Bock.
stai-k ausladenden Knauf unterbrochen wird. Auf diesem Sockel erblickt
man hinter irothischem Masswerk blaue und <::rüne Flächen in durchsich-
tio-em Schmelz, der in blauer Farbe gleichfalls auf den sechs vorspringen-
den Yierpässen des Knaufs sich voi-findet. Die vorspringenden Flächen des
Knaufs tragen die Inschi-ift in gothischen Majuskeln : AVE MAR. Zur beson-
deni Zierde dienen dem Knauf die sechs erhaben vorstehenden Durchbrechun-
oen in Form von Fischblasen, welche zwischen den vorspringenden Pässen
sich schlansfcnartig durchziehen. Aus dem obern Theil der über diesem
Knauf sich fortsetzenden Fistula erhebt sich dann ein sockelartiger Hals,
welcher auf einer sechseckigen Abschrägung ansteigt und in seiner obern
kreisformio-en Platte, von einer durchbrochenen Gallerie innzogen, den
nach unten zugespitzten Krystallcy linder aufnimmt, welcher den neueren
Inschriften auf Pergament zufolge Reliquien S. Galli abbatis, S. Ludmillse,
S. Georgii m., S. Alexii conf., S. Laurentii Icv. m. , S. Andrere apost.,
S. Petri m., S. Remigii episc, S. Philippi apost., S. Sigismundi, S. Marc,
evano-., S. Pancratii m. enthält. Über dem 9 Ctm. hohen Cylinder erblickt
man eine kleine Zinnenbekrönung als Einfassung eines ebenfalls 9 Ctm.
hoch ansteigenden Dachhelmes, der auf vier Seiten mit den gewöhnlichen
Ki'abbenblättern verziert und durch schmale inCharnieren bewegliche Band-
streifen mit dem untern Theil des Gefässes verbunden ist. Auf den
schuppenartig gravirten vier Feldern des Helmes sind vier Spruch-
bänder mit folgenden Inschriften in blauem Schmelz aufgelöthet:
: OS de tibia beati Macarii | de sudario beati Remigii | de camisia
beati Remiffü | de feretro . . . (der abgekürzte Name ist schwer zu lesen).
Ein Vero-leich dieser Inschriften mit der ol)en niitgetheilten ergibt, dass
die ursprünglichen Reliquien durch die jetzt noch vortindlichen sind ersetzt
worden.
Auch dieses schlanke Gefäss gehört offenbar der letzten Hälfte des XIV. Jahrhunderts an.
Da dasselbe in seinen Formen eine überraschende Ähnlichkeit bietet mit ähnlichen Werken der rheini-
schen Goldschmiedekunst, so könnte man sich
zu der Annahme ffeneifft fühlen, dass Karll\ .
unter den andern vielen Schätzen, womit er
sein oeliebtes Prao- von aussen her berei-
cherte , auch dieses schöne Reliquiar vom
Rheine dorthin gebracht habe.
Eine Schale aus einem aiissieliölilten Onyx mit sil-
berveriioldetem Fuss und Hand. (Fig. Vi.)
Länge IG Ctm., Breite 12 (tm.
Unter den vielen Schätzen und Merk-
würdigkeiten des Prager Doms bietet vorzüglich
eine grosse Onyxschale ein doppeltes Interesse.
Einmal ist der ausgehölte Onyx an und für
sich eine wcrthvolle Seltenheit, dann aber ist
die in Rede stehende Schale darum merk-
Fiar. 11.
Fi-. 12.
Der Schatz von St. Veit in- Prag. *l
würdi.g-, weil man aus der Inschrift auf dem Fusse mit Leiclitifi-keit auf die Anfertigungszeit und
den vSclienkgeber auch vieler übrigen Geräthe im Prager Schatz einen ziemlich sichern Schluss
ziehen kann.
Der länglich riiude Fusstheil liat eine Länge von 14 bei einer Breite von 1 2% Ctm. Über dem
untern, nur weniff ausladenden Rand desselben erhebt sich eine 1 Ctm. hohe Gallerie mit erliaben
vorstehenden Vierpässen ohne Durchbrechung. Die obere Fläche steigt glatt zu einem Halse an
und ist am Rande in gothischen Maiuskeln von folgender Inschrift umgeben:
+ A. D. MCCCL. JUBILEO" CAROLUS ROMANORUM SEP. AÜGUSTUS ET BOEMIE
REX PRÄGEN. ECCLE. AD USUM INFIRMORUM HUNC CIPHUM ONICHINI LAPIDIS
DONAUIT. Diese Inschrift ist sehr energisch auf mattem Grund glänzend und fast heraustretend
gearbeitet imd bildet zugleich ein zierliches Ornament. Sodann befinden sich auf demselben Fuss vier
kleine Wappenschilder mit Nägeln ziemlich roh aufgenietet, die auf den verschiedenen Geschenken
Karl's IV. dm-chgehends anzutreffen sind, imd zwar in dem grösseren Durchmesser des Fusses
einander gegenüber zwei, die auf goldenem Feld den schwarz emaillirten einköpfigen Reichsadler
zeig-en. Auf den beiden andern erblickt man in rothem Feld den böhmischen Löwen mit silberner
Krone. Auf diesem 5 Ctm. hohen Fussgestell ruht die kostbare 7 Ctm. tiefe Onyxschale. Diese
Schale, welche gegen das Licht gehalten, eine schöne gelblichbräunliche Farbe zeigt, erinnert an
classische Vorbilder, welche unter den Cäsaren in hohem Werth standen. Vielleicht gehört auch der
in Rede stehende Onyx dem Alterthum an; wenigstens entsinnen wir uns, in Rom und Neapel
ähnliche Onyxe gesehen zu haben mit denselben tief eingegrabenen Rundbogenstellungen, die
nach unten zusammenlaufen und im Innern als Rippen vorstellen. Vier Goldreifen verbinden
diese prachtvolle Schale, welche trotz des häufigen Gebrauchs keine erhebliche Verletzung
erlitten hat,mitdem vorlier beschriebenen Fussgestell, während sie eben durch Charnieren in den sil-
bervergoldeten Ring eingreifen, der den Rand der Schale einfasst. Eine kleine Hohlkehle und
Verzahnung bilden den einzigen Zierrath dieses 2 Ctm. 2 Millim. breiten Ringes.
Was den Gebrauch dieses Gefässes betrifft , so sagt darüber das auf Geheiss des Bischofs
Arnestus 1354 angefertigte sehr ausführliche Inventar des Prager Doms: Item Cyphus onichinus
cum pede argeuteo deaiu-ato* pro infinnis et pro communicantibus in parasceven deputatus,
quem idem Rex donavit. Dies stimmt sowohl zu der oben angeführten Inschrift des Gefässes
als auch zu den xlngaben der späteren Inventarien aus den Jahren 136S und 1387.
«
Ein Bellälter aus Krystall mit silbervergoldeten Einfassungen. (Fig. 13.)
Liiiige H^:, Ctm., Breite ll^o Ctm.
Dieses interessante und seltene Gefäss dient zum Beleg, wie die Goldschmiedekunst zur Zeit
Karl's IV. auch in ihren Formen für profane Zwecke am Hofe in Verbindung mit Sculpturen in
Krystall auftrat. Dasselbe hat die Gestalt einer länglich runden Dose, wie solche im Mittelalter
im Hausgebrauch der Fürsten und Grossen häufig vorkamen. Vielleicht hat es am Hofe Karl's IV.
als Schmuckkästchen einer seiner drei Gemahlinnen gedient, welche dem Kaiser in rascher
Folge durch den Tod entrissen wurden, bevor es in kirchlichen Gebrauch überging. Die beiden
Henkel legen eine derartio-e Vermuthung nahe. Das Gefäss besteht aus zwei schalenförmig aus-
gehöhlten Bergkrystallen mit einer wellenförmig gedrehten eigenthümlichen Schleifung, wie man
sie auch an den Gefässen der heil, drei Könige auf Tempera-Gemälden der flandrischen und
* Da schon seit langer Zeit die Communio siib utraque speeie von Seiten der Laien kirchlich nicht mehr in Gebrauch
war, so liegt es nahe anzunehmen, dass dieser lapis oniehini als Abspiilungssetass benützt wurde, um nach der heil. Communion
daraus die früher übliche ablutio von Seiten der Laien zu nehmen; solche Gefösse führten auch häufig den Namen „Spülkelch-.
09
Du. Fu. Bock.
Tis. 13.
rliciiiisclien Scliukn wnlir-
iiinmit. Der Deckel ist an Tin-
faiitp etwas kleiner als der untere
Tlieil und mit einer silber-
X^ vergoldeten Verzahnung ein-
gefasst, hinter welcher sieli
eine platte Fläche mit Laub-
gravirungen befindet. Darüber
läuft ein kleiner Rand mit
kaum sichtbarer Holdkehle und
kleinen Rosen - Ornamenten.
Über diesem Rand erhebt sich
ein Spitzbogenfries mit gothi-
schem Nasenwerk. Diese Verzahnung bezweckt zugleich die Befestigung der Kry.<tallkapsel in
dem Deckel. Der untere Theil des Grefässes hat einen g-latten unverziertcn Fuss mit älmlicher
Vei-zahnung, von welcher kleine Metallstreifen zur Verbindung: der obern Einfassung- mit der
untern auslaufen. Einzelne abgebrochene Spitzen scheinen anzudeuten, dass auch der obere
Theil von Metallstreifchen ehemals eingefasst worden sei.
Der Tradition nach umschliesst dieses Gefäss, das wohl kühn heute seines Gleichen
suchen darf, einen Theil des Schleiers der allerseligsten Jungfrau. Eine Inschrift ist indess
nicht vorfindlich. Was jene Reliquien betriflft, welche in den Inschriften de peplo bcatre M. V.
heissen, so darf man sich darüber, dass sie so häufig vorkommen, gar nicht wundern, da
bekanntlich die orientalischen Schleier einen bedeutenden umfang haben und auch wolil anzu-
nehmen ist, dass die allerseligste Jungfrau mehr als einen Schleier besessen habe. Im übrigen
bemerken wir über diese Gewebe als Ergebniss genauer Untersuchungen folgendes. Die meisten
dieser Überreste stimmen hinsichtlich ilires Gewebes merkwürdigerweise ziemlicli vollständig
überein. Es ist dies nämlich ein äusserst zarter durchsichtiger Stoff von weissgelblicher P'arbe,
älnilich unserm heutigen Crepe de Chine. Meistens besteht es aus feinem gazeartigem Leinen; sel-
tener ist es ein Seidengewebe , das an Zartheit dem Netz der Spinne sehr nahe kommt. Auch die
in Rede stehende Reliquie ist ein solches äusserst feines Gewebe und zwar aus zartestem Leimn
so fein und durchsichtig, dass die heutige Weberei wohl kaum ein subtileres Gewebe herzustellen
im Stande wäre. Ahnliche StoflFe findet man auch häufigr in reicheren alten Evansreliaricn und
Plenarien zwischen den Miniaturmalereien um Abreibung der Farben zu verhüten. Im Alterthum
bezeichnete man dieses äusser.st delicate Leinengewebe als linea nebula, »Nebelleinen" ; auch sagte
man, dass wer damit bekleidet gewesen, habe ausgesehen wie vinum in vitro. Sowohl in der lieil.
Schrift als auch bei den Schriftstellern des Mittelalters heisst dieses gazeartige meistens alexan-
drinische oder antiochenische Gewebe Byssus. Seine Seltenheit und sein hoher Werth geht schon
daraus hervor, dass er in den Inventarien immer mit dem Purpur zusammengestellt wird.
Eine silberverffoldpte \m\k mit EiiiaiIIiriiii2:en als Kcliqiiienkapsel. (Fig. 14.)
Dieses Monile in Gestalt einer siebenblätterigen Rose misst in seiner grössten Ausdeh-
nung 11 y, Ctm. ; der Rand hat eine Breite von IV,, Ctm. Die obere Hälfte ist mit reiciiem
Laubornament, edlen Steinen und einem Medaillon von Perlmutter als Basrelief verziert,
welches in edler Composition und kunstvoller Ausführung das im ganzen Mittelalter in allen
Zweigen der bildenden Kunst beliebte Bild des transitus beatae Mariae V. darstellt. Nacli
Deu Scuatz VON" St. Veit in I'kai^.
23
der Legende ist hier die Mutter des
Herrn auf dem Sterbebett, von den zwölf
Aposteln umgeben dargestellt, die in tiefer
Betrübniss dem lieil. Petrus bei den
kireldiclien Gebeten und Segnungen
assistiren. Auch diis o-eriuu'ste ist bei
der betreffenden lituro-ischen Function
nicht vergessen. Ein Apostel trägt das
Kreuz, ein anderer das Rauchfass, ein
dritter das Weihwasserbecken. Den Un-
glauben des heil. Thomas bei der Aufer-
stehuntj des Herrn hat die mittelalterliche
Kunst nie unterlassen. Dieser Apostel
sitzt nämlich zuletzt mit abgewandtem
Gesicht und hat, offenbar nicht ohne Ne-
benbeziehung, die psalmi poenitentiales
vor sich. Über dem Haupte des heil.
Petrus, der das aspersorium erhoben hat,
ersclieint der Heiland in stylisirten Wol-
ken von Engeln umgeben , wie er die
Seele seiner jungfräulichen Mutter in Ge-
stalt eines kleinen Kindes in den Himmel
aufnimmt. Im Hintergrunde erblickt man
das Grabmal, über welchem sich ein Kreuz erhebt. Bei den grossen Schwierigkeiten, die das Perl-
mutter, welches sich bekanntlich leicht blättert, auch dem geübtesten Künstler darbietet, muss man
sich wundern, wie trefflich es dem Bildschnitzer gelungen ist, der ungefügigen Materie so bewegliche
Formen abzugewinnen, und insbesondere den Gesichtern einen so zarten Ausdruck zu verleihen. Um
dieses stark vortretende Medaillon zieht sich ein Stahlgeflecht, welches einer Dornenkrone nicht
unähnlich sieht; vielleicht sollen dadurch die Schmerzen Maria angedeutet werden. Die darunter
liegende tiefe Hohlkelde ist mit einem Kranz von Blüthen und Blättern ausgefüllt und hin und
wieder mit vielfarbigen Steinen verziert, wodurch nicht undeutlicli die sieben Freuden Maria
symbolisirt zu werden scheinen. Darauf beziehen sich jedenfalls die siebenblätterigen Rosen, die
als Unterlaofen zum Vorschein treten und sonst o:ewöhnlich sechsblättriü- sind. Der breite Rand ist
in Laubwerk durchbrochen, welches das Gepräge der Spätgothik trägt. Die Rückseite enthält
hinter Krystallverschluss eine Reliquie vom heil. Bartholomäus. Die Schrift, welche Jüngern
Datums ist, lässt vernmthen, dass früher andere Reliquien sich hier befunden haben,
die zu der beschriebenen Darstellung in näherer Beziehung stand. Um diesen Krystall-
verschluss hat der Künstler sieben radförmige Medaillons auf blau emaillirter Fläche
mit einem Anhauch von Goldschmelz augebracht. Den Mittelpunct bildet der Heiland mit
der Weltkugel, umgeben von vier andern Medaillons mit den Symbolen der Evangelisten.
Die l)eiden übrigen siml mit einem Drachen und einem Strauss ausgefüllt, deren symbolische
Deutung wir auf sich beruhen lassen. Composition und Ausführung des Basrelief sowohl wie
der Ornamente und Schnielzarbeiten weisen dieses Reliquiar der zweiten Hälfte des XV. Jahr-
luniderts zu.
IS- iJ-
24
Dr. Fr. Bock.
Reliquiariuui sill)pr\ergül(let in Form einer runden Kapsel. — \V. Jahrhundert. (Fig. 15.)
In den Schätzen alterer Kuthedi-alen fanden sich mehrfach ähnliche Reliquienbehälter vor
in Form von Agraffen. Diese Reliquienbehälter, von älteren Schriftstellern auch monilia, phylak-
teria genannt, sind meistens von einem Ringe überragt, wodurch eine Kette gezogen werden
konnte, so zwar, dass sie als Brustverzierunsr
bei grossen Festen zur Verdeckung jener Ver-
bindungsstücke von Stoff getragen wurden,
wodurch die Chorkappe auf der Brust zusammen-
gehalten wurde. Sie führen daher auch hin und
wieder den Xamen fibula. monile, morsus, lio-a-
tura '. Die vielen Namen, die für dieses kirch-
liche Utensil bei älteren Schriftstellern vorkom-
men, sind Beweis dafür, dass die Formen des-
selben im Laufe der verschiedenen Jahrhun-
derte auch sehr vielgestaltig waren. Auch der
Domschatz zu St. Veit in Prag besitzt mehrere
dieser Monilien, die noch heute als Keliquien-
behälter dienen und deren Ring-e am Obertlieil
es deutlich besagen, dass sie im Mittelalter
bei feierlichen Veranlassungen als pectoralia
getragen wurden (s. Fig. 14.) "Wir lassen hier
eine Beschreibung eines der interessanteren
folgen.
Das grössere derselben misst im Durchmesser fast 11' .> Centim. ; seine Breite beträgt
2 Centim. Auf beiden Seiten ist dieses durch verschiedenartige Technik ox'namental so ein-
gerichtet, dass es zugleich als ostensorium auf der Hauptseite eine Sicht der darin enthaltenen
Reliquien zulässt, und auf der Rückseite durch seine Decoration beim Tragen nicht hinderlich
ist. Die vordere Seite wird durch eine starke gedrehte Cordonirung abgeschlossen, die erhaben
auflieo^t. Innerhallj dieses Medaillons erhebt sich von derselben Cordonirung umzogen ein
zweites Medaillon, das 3 Centim. hoch hervorsteht. In der tiefen Hohlkehle, die zwischen diesen
beiden Ringen entsteht, hat der Goldschmied, der in der Kunst des Giessens und Ciselirens zu
einer nicht unbedeutenden manuellen Fertigkeit es gebracht hatte , einen fi-ei geai-beiteten
Laubkranz in einer Weise angebracht, dass er mitten in der Hohlkehle rundum einen Rundstab
anlegte, auf welchen nach beiden Selten hin an kleinen Stielchen sich kleine Eichenzweige ver-
ästeln mit zart stylisirten Blättchen und Fruchtbildungen. Zwischen diesen ciselirten frei auf-
gelötheten Laubornamenten entwickelt sich die Scene einer Jagd. In kleinen Darstellungen mit
grosser Präcision ausgeführt erblickt man nämlich einen Jäger, wie er das Jagdhorn ansetzt und
mit seinem Hunde das dabei befindliche Wild verfolgt. Ausserdem befinden sich noch von diesen
1 Ahnliche Fibulae finden sich im Domschatze zu Gran ebenfalls als Reliquiarien mehrere vor: vgl. unsere Beschrei-
bung des Domschatzes zu Gran in dem HI. Band des Jahrbuches der k. k. Central-C'omuiission zur Erlorschunjf der Bau-
denkmale 1859. Auch im reichhaltigen Schatze zu Aachen finden sich ähnliche munilia vor als Briistverzieriing auf dem pluviale
bei feierlichen Processionen; vgl. unsere Pfalzcapelle Karls d. Gr. und ihre Kunstschiitze. Kunstgeschichtliche Beschreibung des
Karolingischen Octogon zu Aachen, der späteren gothischen Umbauten und sämmtlicher im Schatze daselbst befindlicheu
Kunstwerke des Mittelalters, II. Thcil, S. 66, Fig. XXVIII und S. 74 und 75, Fig. XXXIV und XXXV. Wohl das reichste
Exemplar in Foim einer grossen Kose findet sich in der Sammlung des Herrn Kaufmann Kühl zu Cöln. Auch die reiche
ehemalige Sammlung des Fürsten P. Soltykoff zu Paris bewahrte einige Prachtexemplare solcher monilia.
Fis
15.
Der Schatz von St. Veit in Prag. 2
ZU
ciselirten Ornamenten umgeben nach gleichen Zwischenräumen 7 kleinere Rosen, die in hoch auf-
stehender Fassung im Innern 5 kleinere Granaten, vielleicht aber auch kleinere Krystalle von
einer dunkelrothen Folie unterlegt zum Vorschein treten lassen. In der obern hochstehenden
Umkreisung, dem innern Medaillon, erblickt man die frei ciselirte Darstellung der Kreuzigung
des Heilandes mit den beiden Schachern und der Passionsgruppe mit Johannes und Maria. Es
scheint jedoch, dass der Goldschmied sich besser auf Ausarbeitung und Stylisirung von freien
Ornamenten als figuralen Darstellungen verstand. Die Ciselirung dieser Figuren lässt viel zu
wünschen übrig, und sind dieselben, was wahrscheinlich von ihrer Kleinheit herrührt, ziemlich
roh gehalten. Hinter dieser Kreuzigung befindet sich ein Glasverschluss, wodurch ein Theil der
Reliquien ersichtlich ist. Den Inschriften zu Folge, die wie bei den meisten Reliquien des Prager
Domschatzes nach einer vorgenommenen neuen Fassung im XVHI. Jahrhundert hinzugefügt
worden sein mögen, werden in dieser Kapsel folgende Überbleibsel der Heiligen aufbewahrt:
reliquiae: S. Justinae V. M., S. Caeciliae V. M., S. Adalberti, S. quinque fratrum, S. Brigittae,
S. Richardi R. Aug., S. Christophori, S. Philippi Apostoli, S. Egobani M., S. Afrae, S. Joannis M.
Auf dem breiten k jour gearbeiteten Rande schlängelt sich ein Laubornament von guter Compo-
sition; aus den Blüthenkelchen der Blume heben sieh empor die Halbfiguren von musicirenden
kleinen Engeln, deren Flügel sich ebenfalls zu Blätterornamenten gestalten. Auf der glatten
Grundfläche der Rückseite dieses Monile erblickt man in ziemlich derber Graviruno- die annun-
tiatio; der verkündende Engel mit einer Alba angethan hält ein Spruchband; die allerselig'ste
Jungfrau kniet, von einem weiten faltenreichen Mantel umgeben, nieder vor einem Schemel, auf
welchem das psalterium ausgebreitet liegt. In der einen Ecke zeigt sich das Bild eines Francis-
canermönches, der mit der linken Hand sein cingulum gefasst hält; in der rechten hält er ein
Spruchband, aus dessen Inschrift sich ergibt, dass dieses das Bild jenes Laienbruders ist, der
als aurifaber vorstehendes Monile angefertigt hat. Der Spruch lautet nämlich in gothischen
Miniiskelschriften : frater Albericus me fecit. Eigenthümlich ist es, dass die Incarnationstheile an
sämmtlichen eingravirten figürlichen Darstellungen in Silber weiss gehalten sind , was sonst
seltener vorkömmt. Vorstehendes Monile, das, wie die Ciselirungen und namentlich der schon
ausgeartete und manirirte Faltenwurf erkennen lässt, in der letzten Hälfte des XV. Jahrhunderts
entstanden ist, legt Beweis dafür ab, dass auch noch zu Schluss des Mittelalters die Gold-
schmiedekunst in den vier Mauern des Klosters häufig von Laienbrüdern geübt wurde, wie dies
vom XL bis zur Mitte des XIII. Jahrhunderts in den meisten reicheren Abteien der I'all war.
Goldenes Reliquieiikreiiz. (Fig. 16.)
Hö,he 31 Ctm., Länge des Querbalkens 23 Ctm., Breite fast 9 C'tm., Tiefe l'/., Ctm.
Dieses prachtvolle Pacificale, welches in der Kreuzung unter Krystallverschluss einen Theil
vom Lendentuch des Herrn umschliesst, nimmt sowohl wegen seines materiellen Werthes, als
seiner kunstreichen Darstellungen unter den Gefässen des Prager Schatzes eine der hervor-
ragendsten Stellen ein. Die hintere Seite ist glatt ohne Ornament gehalten; auf der vordem Seite
hingegen erblickt man vier verschiedene Darstellungen. Der Kopftheil des Kreuzes zeigt den
Heiland am Kreuze, stehend auf dem suppedaneum, mit langem Schürztuch umgürtet, in welches
das heil. Blut strömt; zu den Seiten die Passionsgruppe Maria und Johannes. Die sehr lebendige
Darstellung, welche den Typus der florentinischen Schule ziemlich deutlich zu erkennen gibt,
scheint den Augenblick vergegenwärtigen zu wollen, da der Heiland seiner Mutter den h. Johan-
nes statt seiner als Sohn überwies. Im rechten Querbalken zeigt sich quadratisch von bi-eiten
schwarzen Emailstreifen umgeben das Bild eines Papstes in knieender Stellung mit Pluviale und
XIV. 4
','l>
Dn. Fk. Bock.
öciälinö-tnifutnto- quo
xpi-iinnrnp-fuit-tn-cruff-
oio-un-raujfaton-roinanDü
Tiara; hinter demselben kniet ein Car-
dinal-Diakon in Mitra mid Dalmatik.
Über dieser knieenden Gruppe liest man
in Abkürzun«itii : l'rbanus papa quintus,
Petrus de BL-Uit'ortis, diaconus cardina-
lis. Im linken Querbalken kniet Karl IV.
in kaiserlichem Ornat, und hinter ihm
sein Sohn Wenzel. Über dem Haupt
des Kaisers liest man die g-eschmelzte
Inschrift: Carolus quartus Eomanonini
imperator, Wenceslaus quartu.s, Bohe-
miae rex, Caroli filius. Auf dem untern
L'inii'ern Kreuzbalken ist die Uberg-abe
der Reliquie durch den Papst Urban an
Karl IV. dargestellt. Der Papst im Plu-
viale und Tiara überreicht dem Kaiser
stehend das Kreuz mit der Reliquie;
Karl in dem paludamentum imperiale
und der Kaiserkrone empfängt dasselbe
aus Ehrfurcht mit verdeckten Händen.
Über dieser Darstellung steht folgendes
legendarium: De panno cruentato ^, quo
Christus praecinctus fuit in cruce datum
per Urbanum papam V. Carolo IV.
imperatori Romanorum. Die Ecken der
Balken sowie die vier Kreuzungspunkte
sind mit grossen ungeschliffenen Saphi-
ren und Rubinen geschmückt, die in
kräftigen Einfassungen knopfförmig be-
festigt sind. Die Composition der oben
beschriebenen Gravirungen, welche mit
schwarzem Email ausgegossen sind, lässt
fast mit Sicherheit auf einen italieni-
schen Meister schliessen. Sowohl die
Technik des Schmelzes als noch mehr
der Schnitt und die decorative Ausstattung der Gewänder berechtigen zu dem Schluss, dass
Karl diese Reliquie zugleich mit der Fassung über die Berge gebracht habe. Doch scheinen uns
die Edelsteine erst später hinzugefügt worden zu sein.
Traiikreaz oder Procession^kreuz. — XIV. .lahrliiiiidert. (Fig. IT.)
Höhe 80 f'tm., Länge des Querbalkens 51 Ctm.
Dieses Kreuz ist, wie noch viele andere in den kirchlichen Schatzkanuncrn des westlichen
Europa, aus mehreren Stücken von polygon geschliffenem Bergkry.stall zusammengesetzt, welche
durch silbervergoldete Bänder verbunden werden. Jeder Arm besteht aus zwei solcher Stücke,
- Da.s Lendentuch des Herrn befindet sich unter den vier grossen karolingischen Reliquien, welche .lUe sieben .I;i1iip
in A.-ichcn öffentlich gezeigt werden. Dieses perizonium Domini, seit der Zeit der Karolinger aufbewahrt zu Aachen, ist in
Der Schatz von St. Veit in Prag.
27
welche ein mittleres Vierungsstück einscliliessen. Die Kreuz-
arme laufen in stumpfe Lilien aus, die jedoch nur in den
äusseren Umrissen ang-edeutet sind. Auf den äussersten
Punkten dieser Ausmündungen befinden sich runde silber-
vergoldete Knöpfe. Sämmtliche Krystallstücke sind in der
Mitte angfebohrt und von einem starken Eisendraht mit
Goldblechen durchzogen. Eine zweite Verbindung erhalten
die Krvstallstücke durch silbervergoldete Biinder, welche
neunmal zwischen den verschiedenen Theilen vorkommen.
Die vier mittleren Bänder haben nach oben einen vergolde-
ten Kamm, die vier äusseren sind in der Mitte nur mit
einem profilirten Ringe umgeben und nach den Seiten orna-
mental eingeschnitten. Auf der Vorderseite dieses Kreuzes
befindet sich eine Reliquien-Kapsel, welche sich in durch-
brochenen , mit Glas hinterlegten Vierpässen öifuet und
eine kleine Partikel vom heil. Kreuz einschliesst. Auch der
untere Knauf, welcher einen Durchmesser von 8 Ctm. hat
und eine Fruchtkapsel darstellt, scheint ursprünglich zu
sein, dagegen gehört die Verbindung dieses Knaufes mit
dem untern Langbalken offenbar der Spät-Renaissance an.
Offenbar stammt auch diese crux cristallina, welche heute
als Vortragkreuz des Prager Domcapitels gebraucht wird aus der Zeit Karl's IV. Wir glauben
dieselbe unter den drei Kreuzen wiederzufinden, von denen es in dem oft erwähnten Schatz-
verzeichniss vom Jahr 1354 heisst: Item tres cruces cristallinae, duae sollempnes et tertia
Simplex valde est fracta. Da unser Kreuz weder gebrochen noch auch einfach ist, so gehört es
offenbar zu beiden ersteren, die das sehr ausführliche Verzeichniss vom Jalire 1387 anführt
mit den Worten: Item duae cruces cristallinae sine defectibus. Ein ganz ähnliches Krystallkreuz
befindet sich im Domschatz zu Gran.
Fi^. 17.
Ein kostbares AUarkreuz ans feinstem Gold, mit vielen ecliten Perlen und Edelsteinen geschmückt.
Abgesehen von dem unschätzbaren Inhalt, den dieses Prachtstück in den grossen Par-
tikeln des Kreuzes Christi umschliesst, ist dasselbe auch in materieller Beziehung eines der
kostbarsten Übjecte des Prager Domschatzes, und das allerdings mehr mit Rücksicht auf sein
Gewicht und den Reichthum der grossen Saphire und Perlen, als wegen delicater technischer
Ausführung. Es misst in seiner Länge 0.G3 M. und in der Breite 0.4 M. Dieses Kreuz besteht
eigentlich aus zwei verbundenen Reliquiarien, indem die fast 0.05 M. dicken Querbalken im
Innern eine Zwischenlage von Goldblech haben, auf welcher nach beiden Seiten hin die Reli-
quien angebracht sind. An den vier Ecken mündet das Kreuz in eine Verzierung aus, ähnlich
einer fleur de lis, welche nach oben noch mit einem kleeblattförmigen Aufsatz verziert ist;
dadurch erhalten die Ausmündungen der Balken eine reichere Gestaltung. Die Hauptseite zeigt
an diesen Aufsätzen ausserdem noch je fünf Saphire von ziemhcher Grösse, die in Metall gefasst
sind und frei das Kreuz flankiren. Die meisten derselben sind von prächtigem Wasser, doch
einem grosseu Theile vom heil. Blut durchflössen und zeigt an einer Stelle deutlich die Abtrennung eines pars notabilis; dieses
Fehlen einer Ecke dieser kostbaren Aachener Reliquie dürfte als Beleg dienen , dass von derselben mehrere Partikel abgetrennt
und an hervorragende Kirchen des christlichen Abendlandes verschenkt worden sind. Vgl. unsere Abbildung und Beschreibun»- des
perizonium Domini in unserer Schrift: Das Heiligthum zu Aachen, Verlag von Schwan in Neuss S. mit jC Holzsciinitten, 1S67.
4*
28
Du. Fu. Bock.
befinden sich auch einio-e Lux-
sajihire von geringerem Werthe
darunter. Zwischen diesen Edel-
steinen erklickt man je Wer Perlen
von aufiallender Grösse, die ähnlich
wie an der böhmischen Köniffs-
ki-one auf Knäufchen aufgesetzt
sind und frei hervorstehen. In der
Vierung des Kreuzes bildet sich
durch die abschliessenden Gold-
streifen wieder ein kleineres Kreuz,
welches seinerseits wiederum von
zwei ähnlichen über Eck ^eleg-ten
Streifen durchzogen ist. Unter
diesem letzteren sieht man im
innern Verschluss durch die Kry-
stallwände eine grössere Partikel
des heil. Kreuzes, die in einer gol-
denen Lade einjreschlossen und
mit prachtvollen Saphiren und Ru-
binen und grossen Perlen nach
allen Seiten verziert ist.
Die vier Balken des erwähn-
ten kleinen Kreuzes enthalten in
besonderen Verschlüssen ebenfalls
werthvolle Reliquien unter Krystall-
verschluss; in dem oberen Theile
erblickt man nämlich ein Stück von
dem Schwämme, womit der Heiland
am Kreuze getränkt wurde ; im
untern mehrere gi-osse Dornen von der Kj-one des Erlösers; im linken Querbalken einen Theil
eines Ki-euznagels : im rechten endlich eine vierte Reliquie stofflicher Katm-, die nicht näher
bezeichnet ist.
Die erwähnte Partikel des heil. Ki-euzes erhielt Karl IL in dem Cistercienserkloster Parys
in der Diöcese Basel, ^-ie er dies in der betreffenden Schenkungsurkunde an den Prager Erz-
bischof und sein Capitel selbst erzählt: Hinc (nämlich aus Verehrung und Anhänglichkeit tür
die Prager Domkirche) est, quod lignum vivificae Crucis preciosum, partem illam videlicet,
quam inclita Imperatrix illa B. Helena, quae superno muuere almae Crucis, quae mundi tulit
precium, inventrix esse promeruit, thecis sivi laminis avu-eis, miro quodam opere expolitis, recon-
ditam, Constantinopolim quondam legitur attulisse, quamque processu temporis Religiosus quidam
Martinus Abbas de Parys ordinis Cisterciensis in Alsatia, tunc Apostolicae Sedis Legatus, ad
idem monasterium apportavit, in ipso monasterio nobis donatam, una cum praedictis thecis
sive laminis am-eis, vestrae devotioni pro perpetuo decore et honore dictue Pragensis Ecclesiae
destinamns *.
Fig. 18.
* PliO!»pborus septicurnis etc., pag. 448.
Der Schatz von St. Veit in Puag. 29
Die hintere Seite unseres Kreuzes zeigt einen kostbaren Schmuck von verschiedenen
Camcen von grossem Umfange. In der Vierung dieser Rückseite zeigt sich unter Krvstall-
verschluss eine ungewöhnlicli grosse Partikel vom heiL Kreuz, deren Dimensionen alle ähnlichen
Reliquien übertreffen, die wir gesehen haben. Der Langbalken dieser Partikel misst 0.154 M.,
der Querbnlken O.I-i M., die Breite beträgt 0.032 M. die Dicke jedoch scheint nicht sehr beträcht-
lich zu sein. Karl IV. erhielt diese seltene Reliquie von dem Domcapitel zu Trier, als auf dem
bischöflichen Stuhle daselbst eine Sedisvacanz eingetreten war. In einem Schreiben an das
Prager Capitel vom Jahre 1354 berichtet er hierüber: Damus et donamus eidem Pragensi Eccle-
siae inprimis partem tertiam de ligno Dominicae Ci'ucis, quod manu propria praecidimus, quodquc
Vivificae et sanctae Crucis lignum Beatissima Helena Mater Imperatoris Constantini, de Hieruza-
lem ad Trevirensem rediens civitatem secum attulit, ubi illa pro tunc habitationem et domicilium
habuit et ubi Katalis sui originem duxerat, ab Boemundo Electo et paucis de Capitulo dictae
Trevirensis Ecclesiae clandestine et secrete habitam et obtentam *.
In dieser merkwürdigen Pai'tikel erblickt man an dem obern Theile eine grosse unregel-
mässige Ofiiiuug, die nach der Tradition von einem der Kreuzesnägel stammen soll. Der kaiser-
liche Geschenkgeber hat es nicht unterlassen, diese kostbare Partikel in dem schöjien goldenen
Kreuz mit den reichsten geschnittenen Steinen umgeben zu lassen. Karl IV. scheint überhaupt
bei seiner Vorliebe für Sammlungen von Reliquien, die ihm bis zum Tode eigen war, aucli noch
ausserdem kostbare Steine und andere Pretiosen gesammelt zu hal)en; man liest nämlich in den
Kircheninventaren bei Angabe von grossen und besonders werthvollen Steinen oft die Bemer-
kung, dass sie aus dem Schatze des Königs herrühren. Der Ausstattung der hinteren Seite nach
zu uitheilen dürfte dieser Privatschatz von kostbaren Gemmen, die Karl in Italien zu sammeln
Gelegenheit hatte, ein sehr bedeutender gewesen sein, und scheint es, dass er denselben beson-
ders verwendete, um äusserst prachtvolle Reliquiengefässe damit zii ornamentiren. So erblicken
wir in goldenen Einfassungen auf der hintern Seite des Ki-euzes drei grössere Cameen, anschei-
nend aus Onyx geschnitten, und sechs kleinere Gemmen, von denen die meisten offenbar ein
byzantinisches Gepräge trag-en und ein höheres Alter in Anspruch nehmen. An dem obern
Kopftheile des Kreuzes zeigt sich eine besondere merkwürdige ovale Camee in einem Durch-
messer von 0.05 M., die zugleich auch als Verschluss eines kleinen Reliquicnfächelchen dient.
In einem sehr edlen und zarten Styl, der offenliar die manuelle Fertigkeit eines byzantinischen
Steinschneiders erkennen lässt, ist Christus am Kreuze dargestellt, neben ihm Johannes und
Maria. Sowohl das Suppedaneum, auf welchem der Heiland in griechischer Weise mehr segnend
Lind regierend am Kreuze steht, als auch die Drapirung- der Figuren, desgleichen die beiden
trauernden Halbfiguren zu Häupten des Heilandes, Sonne und Mond repräsentirend, wie sie
ihren Schein verlieren, ebenso der Berg Golgatha, auf dem das Kreuz errichtet ist und an
dessen Fuss man auf allen älteren Darstellungen den Schädel des ersten Adam erblickt; alle
diese Einzelheiten bezeugen, dass dieses Kunstwerk griechischem Kunstfleisse zuzumessen sei.
Bei näherer Besichtigung mit der Loupe erkennt man auch, wie das auf allen grieschischen
Darstellungen vorkömmt, griechische Inschriften zu beiden Seiten des Gekreuzigten, wodurch
also das Herkommen der Camee ausser allem Zweifel gesetzt wird. Die Lesuncr dieser Inschrif-
ten ist, da die Buchstaben nur leise eingeritzt sind, sehr schwierig; wir glauben jedoch darin
folgendes gelesen zu haben: im Titel des Kreuzes IS X-; über dem Querbalken ■/; KAYPQSIS;
über dem Haupt Marias MHP 6EüY; zur Seite des andern Bildes lüANNES; unten am Fuss des
Kj'euzes auf der einen Seite T, auf der andern K. Auf dem linken Querbalken des Kreuzes im
* Phosphorus septicornis etc., p. 443.
30 Di:. Fr. Rock.
Lilienaufsatz zeigt sich wieder im Onyx eine andere srrössere Camee in ovaler Form mit einem
Durchmesser von 0.065 M., darstellend das Standbild des Heilandes und Welterlösers, wieder-
kelirend iu seiner Herrlichkeit mit segnender Rechte; die linke hält das geschriebene Buch: zu
beiden Seiten des geki-euzten Nimbus liest man das bekannte Hierogramm 111! \^. Nicht nur
allein diese Inschrift, sondern auch die Haltung und segnende Rechte des Heilandes iu griechi-
scher Weise lässt deutlich den byzantinischen Ursprung dieser Camee erkennen.
Diesem Steine gegenüber befindet sich im Lilienornament des rechten Kj-euzl)alkens eine
gleich prachtvolle Camee im Durchmesser von 0.05S M., die, wie es scheinen will, das Brustbild
eines römischen Kaisers im griechischen Typus erkennen lässt, und die vielleicht als Büste des
grossen Constantin aufzufassen ist. Die letztere Ansicht begründen wir auf den Umstand, dass auf
dem untern Fusstheil sich eine andere Camee befindet von kleinerem Durchmesser und mit einer
sehr edel gehaltenen Darstellung, die zu beiden Seiten des Nimbus in gothischen Majuskeln aus
der Zeit Karls IV. die abgekürzte Lischiüft zeigt: Sancta Helena. Man könnte ungewiss sein, ob
diese beiden sehr edel geschnittenen Cameen entweder aus der classischen Zeit herrühren, oder
ob es Naciibildungen von italienischen Küustleru, Zeitgenossen KaiTs IV., seien.
Auf dem unteren Langbalken prangt auch eine schöne Camee, vorstellend einen römisch-
deutschen Kaiser in vollem Reichsornate, sitzend auf einem reichverzierten Throne, in der rechten
Hand tragend das Scepter und in der linken die Weltkugel mit dem Ki"euz. Aus den sehr edel
gehaltenen körperlichen Formen und den schönen Drapii'ungen des Gewandes glauben wir
urtheilen zu sollen, dass diese Camee in Italien zur Zeit der Hohenstaufen gegen Schluss des
XII. Jahrhunderts gearbeitet wurde. Über dieser Camee befindet sich eine andere von sehr
schöner Technik und mit zwei ausdrucksvollen, fast haut-relief geschnittenen Figuren, die eben-
falls den Kaiser Constantin und seine Mutter Helena veranschaulichen, wie sie gemeinschaftlich
das Zeichen der Erlösung tragen. Diese Camee halten wir ftir ein lateinisches Kunstwerk, eben-
falls aus der Zeit der Hohenstaufen.
Ausser diesen genannten Cameen zeigt uns das Kreuz noch drei andere, die oftenbar
wieder der Geschicklichkeit von griechischen Künstlern ihren Ursprung zu verdanken haben.
Auf dem linken Kreuzbalken nämlich befindet sich eine ziemlich grosse Gemme aus einem Sapliir,
vorstellend den heil. Michael als Standfigur, mit kriecherischem Costüm und gezogenem Schwerte.
Zu beiden Seiten des Nimbus liest man die Worte Ao/aYYi/.o; M'./a7;Ä in Abkürzungen. Gegen-
über zeigt sich eine zweite Gemme, ebenfalls ein Saphir, der in Reliefdarstellung heute kaum
mehr zur Hälfte ersichtlich ist. Sie ist nämlich durch den Gebrauch bedeutend abgegrifi"en und
lässt nicht erkennen, ob sie eine religiöse oder profane Figur vorstellt.
Auf dem Kopn:>alken befin det sich unter der ei-wähnten Camee mit der Kreuzigung noch
eine kleinere im Sechseck, die in ziemlich starkem Relief, aus einem Amethyst geschnitten,
darstellt das Brustbild des Heilandes, abermals mit segnender Rechte (doch in lateinischer
Weise) und dem verschlossenen Buch in der Linken.
Wie diese Cameen zur Genüge beweisen, und wie das aus einer Menge prachtvoller Cameen
hervorgeht, die sich auf grösseren Reliquiarien im Domschatze zu Köln und Aachen voi-finden,
war im Mittelalter die von den Griechen und Römern sehr sreübte Kunst des Steinschleifens keine
verlorene, sondern sie wurde sogar mit besonderer Vorliebe an dem prunkvollen Hofe von Bvzanz
von Künstlern geübt, und es gewinnt den Anschein, dass viele solcher Edelsteine, religiöse
Personen oder Scenen darstellend, schon vor dem X. Jahrhundert zur Ausstattung von Reliquien-
gefässen etc. in Anwendung gekommen sind. Es scheint so ziemlich festzustehen, dass sämmt-
liche Cameen, die zur Ausschmückung des vorliegenden Kreuzes verwendet wurden, aus dem
Schatze KaiTs IV. herrühren und dass er namentlich die Brustbilder von Constantin und Helena,
Der Schatz von St. Veit in Pkag. 31
im Falle sie ans dem höchsten Alterthum herrühren, was wohl nicht zu bezweifeln steht, nicht
ohne Absicht an dem vorlien-enden Kreuz hat anbringen lassen.
Es initerlieo't keinem Zweifel , dass Karl diese reiche Goldfassuno' als hervorrao-endes
Werthstück zur Ausstattung der von ihm erbauten Kreuz- oder Allerheiligen-Capelle hat anferti-
gen lassen, die in dem kolossalen Hauptthurme von Karlstein errichtet worden war. Und in der
That ersieht man in der Stifts- oder Maria- Himmelfahrtskirche auf demselben Schlosse Karl
den IV. auf einem grossen Wandgemälde dargestellt, wie er beschäftigt ist die erhaltene Kreuz-
partikel in ein vor ihm auf dem Altar stehendes goldenes Reliquienkreuz einzuschliessen, das
der Form nach so ziemlich dem vorliegenden gleich ist. An diesem Ki-euze prangt auch ein im
Dreieck angelegter Fuss mit drei flankirenden Fialen, der jedoch in den Kriegsunruhen der
folgenden Jahrhunderte abhanden gekommen ist. Der jetzige bewegliche Fuss hat keinen for-
malen Werth, wesshalb wir ihn nicht in die Zeichnung aufgenommen haben; fast unschön im
beginnenden Renaissancestyl soll er den altern Fuss ersetzen und ist wahrscheinlich 1.522
auf Befehl Ludwig-s any-efertigt worden. Bis zum Jahre 1645 befand sich dieses Kreuz mit
noch einem kleineren, das Karl IV, von Urban V. zum Geschenk erhielt, in der heil. Kreuz-
Capelle zu Karlstein unter den vielen Reliquien, die er allenthalben gesammelt hatte. In jenem
Jahi'e nämlich wurden sämmtliche Reliquien in die Wenzels-Capelle nach Prag gebracht, wodurch
auch unser Kreuz in den Schatz von St. Veit überging.
Das eben beschriebene Reliquienkreuz gehörte sammt jenem kleineren (Fig. 17) auch zu
dem engeren Kronschatz von Böhmen '"; die Anwesenheit desselben bei der jedesmaligen Krönung
der böhmischen Könige war essentialiter nothwendig, und zwar wurde es bei dieser feierlichen
Handlung auf einem besondern Altar exponirt.
Grosseres Reliquiar io Form eioer Giess- oder Triiikkaniie (ainpulla, tiaiiiula). (Fig. 19.)
Dieses Gefäss besteht aus drei Theilen, einem reich verzierten Fussstück, einem kannen-
förmigen Krvstall nebst Handhabe von demselben Material und endlich einem reich grearbeiteten
Deckel. Der Fuss ist im Sechseck angelegt und misst in seinem grössten Durchmesser 17 Ctm.
Dieser untere Sockel hat in der Höhe von l'/, Ctm. eine zierliche Dui'chbrechung in Vierpass-
form und trägt sodann einen zweiten Sockel von 13 Ctm. Durchmesser. Dieser mit derselben
galerieförmigen Durchbrechung geziert, dient einem dritten und letzten Sockel zur Grundlage,
der ein Zwölfeck bildet. Auf der Plattfläche des untei-n vorstehenden Sockels erblickt man zu jeder
der sechs Seiten je fünf in grössere Lectula gefasste ungeschliffene Edelsteine, unter welchen Sma-
ragde, Saphire und Riibinen und andere Halbedelsteine abwechseln. In gleicher Weise schmücken
den zweiten Sockel auf jeder Seite solche Edelsteine in kräftiger Fassung. Die durchbrochene
Seite mit kleiner Cameeverzierung dient als Einfassung für den Untertheil des Krystallcy linders,
in welchem die Reliquie aufbewahrt wird. Dieses Vas crystallinum ist aus einem einzigen Berg-
krystall gebildet und an und für sich ein merkwürdiges Stück, wenn man bedenkt, dass die Bau-
chung des Gefässes in ihrem grössten Durchmesser 16 Ctm. beträgt, die Höhe ist 29 Ctm. Die
Handhabe bildete ursprünglich mit dem Gefäss ein Ganzes; später durch Fallen wie es scheint
abgebrochen, hat man die jetzige unschöne Verbindung durch Metallstreifen hergestellt. Der in
einem Charnier bewegliche Deckel hat eine kräftig profilirte Leistenwehr mit kleiner Zinnen-Ver-
zierung, hinter der man einen andern im Zwölfeck gebildeten Aufsatz gewahrt, den ebenfalls eine
durchbrochene Galerie in Vierpassform schmückt. Den Abschluss bildet ein ausgerundeter flacher
5 Wh entuelimen dies auch aus einer Urkunde vom Jabre 1575, die sich im Phosphorus septicornis etc. pag. 420
befindet.
.32
Dr. Fit. Bock.
FiiC. 19.
Deckel, der als Spitze eine birnartige von einem Blättorkekh umschlos-
sene faucht trägt. Das seltene gesclilitlene Krystallgetass eiitbält
nach Angabe der am äusser.'^trn Saum bctindlichon Inschrift in Minus-
keln aus der Mitte des XI\'. Jahrliund. eine Reliquie ..de mensale
ihs ehr." Nach der ganzen Anlage, wie den Detailtbrmon des Ge-
fässes zu nrtheilen, stammt dasselbe aus der letzten Hälfte des
XI\'. Jahrhunderts und rührt vielleicht aus dem Nachlass Karl's IV.
her, der bekanntlich ein grosser Verehrer und Sammler seltener
Werthstücke war. Die Reliquie selbst, der frommen Tradition gemäss
ein Theil des Tischtuches vom letzten Abendmal, dessen Ächthcit
durch schriftliche Documente gewährleistet sein soll, zeigt Spuren
des höchsten Alterthums. Es ist, der Kette nach zu urtheilen, ein
mittelfeiner Byssus von weisslichem Ton , der streifenförmig
mit mehreren Farben durchwebt ist. Nach Zwischenräumen von
5V2 Ctm. folgen breite Streifen von ungefähr 6 Ctm. , die in der
Glitte von einem weissen Bvssusstreifen durchzogen sind. Zu beiden
Seiten dieses letztern setzen sich V/., Ctm. breite violett-purpur-
farbige Streifen an, die nach dem äussern Rand von schmalen
gelben Streifen abgegrenzt werden. Die gedachten Streifen sind
durch Einschlag in Seide erzielt worden.
Das Reliquinr als Schaugefäss eingerichtet, hat die Gestalt der Messkännchen, wie solche
in der spät romanischen und früh gothischen Epoche gehalten zu werden pflegten. Nach Form
und Material bildet dasselbe ein Seitenstück zu zwei interessanten Messkännchen, welche sich
im Schatze der St. Lambertskirche zu Düsseldorf erhalten haben.
Ein pisener Helm mit aiifgesdiweisstpii Silber-Ornamenten. (Fig. 20.)
Höhe etwas über 17 Ctm., Breite -li Ctm.
Dieser Helm rührt einer g-laubwürdioen Tradition zufolire, von dem heil. Herzog;' Wen-
zeslaus her, der im Jahre 938 durch seinen heidnischen Bruder Boleslaus und auf Anstiften
seiner eisreneu Mutter Drao-omira des Glaubens willen ermordet wurde und welcher zu den Lan-
despatronen Böhmens gezählt wird. In demselben Behälter der Capelle, welche von Karl I\'.
dem Andenken dieses Heiligen geweiht wurde, befindet sich auch ein grösserer Theil jenes eiser-
nen Panzerhemdes, das der Überlieferung gemäss der heih Wenzel trug, als er, im Gebet begrif-
fen, den tödtlichen Streich empfing. Mit diesem einfachen Panzerhemd war elieinals ein Panzer-
kragen verbunden zum Schutz des Halses, welcher bloss am äussern Rand mit einem l)reiten
Streifen von Golddräthen panzerartig geringelt ist. Derselbe befindet sich heute im eigentlichen
Domschatz. — Der Helm nun ist verfertigt aus gehämmertem Eisen, steigt in der Haube in
ßogenform an, und zeigt an dieser Stelle eine markirte geradlinige Austiefung, wodurch er in
zwei Theile zerlegt wird. Diese höchst einfaclie Kopfbedeckung, welche eben (buch ilire Ein-
fachheit und charakteristische Form für das Jahrhundert des heil. Wenzel massgebend ist, wird
bloss unten am Rand durch ein ebenso einfaches aufgenietetes Ornament in Form eines Ringes
verziert, welches vorn gänzlich fehlt. Es will uns scheinen, dass im Lauf der Jahrhunderte am
vordem Theile eine pia fraus von Seiten der Verehrer des heil. Wenzel ist begangen worden.
Auf der Rückseite hingegen findet sich ausserdem, wie die Zeichnunof veranschaulicht, ein zweites
in starken Nägeln mit runden Köpfen aufgenietetes Ornament, das ofi'enbar den Zweck hat,
Rücken und Hals vor Hieben zu schützen. Dieses Ornament ist sehr charakteristisch und sclieiut
Di;i: Schatz von St. Veit in Prag.
33
vom heil. Wenzel nicht ohne Absicht
angebracht worden zu sein. Es zeigt
nämlich in dunkler Färbung ein Kreuz
mit fast gleich langen Balken. Der obere
Balken wächst spitz zu und ist hier mit
einem Nietnagel mit rundem Kopf ver-
sehen. Die Querarme sind nach oben im
Zickzack ausg-esäg-t und an den Enden
mit srleichartiffen Nägeln aufgenietet.
Der untere Balken ist ziemlich breit
gehalten und misst an der breitesten
Stelle 3 Ctm. 2 Mm. Dieser Balken hat
unten noch einen hervorragenden Stift,
der auf eine Verbindung des Helmes mit
dem Panzer an dieser Stelle zu deuten
scheint. Zu der Annahme, dass in diesem
freilich schwerfälligen Ornament ein
Kreuz beabsichtigt sei, veranlasst uns
noch der Umstand, dass sich in etwas
roher und unbeholfener Weise angedeu-
tet, wie es scheint, die Darstellung des
Gekreuzigten in aufgeschweissten Sil-
berblechen gravirt erkennen litsst. Fast
sollte man glauben, dass die Figur des
Heilands absichtlich in ornamentaler
Weise und mehr symbolisch angedeutet vom Verfertiger wiedergegeben worden sei, um die
Abneigung der noch heidnischen Umgebung des Herzogs nicht zu reizen. Indem wir diese Dar-
stellung in getreuer Zeichnung- wiedergeben , begnügen wir uns , gedachte Ansicht blos als
Hypothese hinzustellen, zu deren Begründung noch dienen mag, dass auch unter den nordischen
Alterthümern, wie sie sich in Norwegen, Schweden und Dänemark finden, ähnliche mehr orna-
mentale und versteckte Darstellungen des Gekreuzigten noch häufig vorkommen. Charakteristisch
ist für das X. Jahrhundert, dem wir mit Überzeugung dieses Werk zusprechen, die Aufschweis-
sung des Silbers auf Eisen, wie wir das in Italien an Kirchthüren in Erzguss von byzantini-
schen Künstlern herrührend, namentlich aber an den alten Thüren zu Monte Cassino gefunden
haben. Auch erinnert diese Technik an die auf ähnliche Weise in vergoldetem Kupfer gearbeite-
ten und durch Feuer aufgeschweissten Ornamente der Damascenerklingen , wie sie z. B. an dem
Schwerte Karl's des Grossen sich finden, welches der Tradition nach von Harun al Raschid
herrührt und heute im Kaiserschatz zu Wien aufbewahrt wird. Auch die Bandverschlingnngen
am untern Rand des Helms verrathen grosse Verwandtschaft mit ähnlichen im X. Jahrhundert
gebräuchlichen Verzierungen, welche schon frühzeitig, namentlich in normannischen und angel-
sächsischen Miniaturen , in vollständiger Lostrennung von der Antike auftreten. — Dass dieser
Helm mit dem Panzer schon in alter Zeit als vom heil. Wenzel herstammend in hohen Ehren
gehalten wurde, bezeugen die Schatzverzeichnisse aus der Zeit Karl's IV., welche heute noch
in dem Archiv von St. Veit aufbewahrt werden. In dem altern von 1354 heisst es unter der
rubrica armorum: „Item cas«\ö ferrea sancti Wenceslai" und „item lorica s. Wenceslai".
Fig. 20.
XIV.
34
Dk. Fk. Bock.
m
V:^
m
^"^
mi
*Si>S
Schwert des heil. Wenzel. (Fig. 21 und -22.)
In derselben anspruchslosen
Einfachheit hat das eiserne Zeit-
alter des heil. Wenzel , wo beim
(.r.sten Aiit'keimen des Christen-
thunis in Bülimen an eine selb-
ständig entwickelte Kunst nicht
zu denken war, aucli das Schwert
cles grossen böhmischen Landes-
j)atrons gestaltet. Griff und Klinge
(Fig. 21) sind unzweifelhaft echt.
Der Griff ist von Eisen, hat die
Krenzfumi und ist mit einem Kry-
stallknupf von polygoner Schlei-
fung versehen, den wahrscheinlich
Karl IV. hinzufügen Hess; die stoff-
liche Uberkleidung- des eigrent-
liehen Griffes ist aus neuerer Zeit;
die Klinge ist ziemlich breit und
mit einer stai-ken Blutriuue verse-
hen.
Nicht vom gleichen Alter ist
die Scheide. In den Prager Schatz-
verzeichnissen der Jahre 1354 und
1387 wii-d nocli der ur.sprüuglichen mit Perlen und edlem Gestein verzier-
ten Vagina Erwähnung gethan. Es heisst in dem älteren Verzeichnisse: Item
gladius cum solemni vagina de auro, gemmis et perlis facta S. Wenceslai,
in dem kaum zwanzig Jahre jüngeren: Item gladius ipsius Wenceslai cum
vagina, quae in parte inferiori est fracta, gemmis et perlis ornata. Es scheint
somit, dass bald dai'auf, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des XV. Jahr-
hunderts die ritterliche Reliquie des böhmischen Landespatrons, statt der beschä-
digten eine neue Bekleidung erhielt, die, wenn auch zierlich in rothem Sammt
und vergoldeter Silbeifassung (Fig. 22) ausgefühi-t, an Pracht der fi-üheren
sicherlich zurücksteht ^. Dieses Schwert bildete bis zm* Zeit, als die böhmischen
Köni<je noch zu Prag gekrönt wurden, einen intesrrirenden Theil der Krönungfs-
insignien.
6 Die Scheide erinnert sehr an jenes I'rachtschwert aus dem Jalire 1499 des ersten Hochmeisters
des St. Georgs-Ritterordens Johann Sicbenhirter f löOS, das sich gegenwärtig im kärntnischen Lan-
desmuseum zu Klagenfnrt befindet.
(Fortsetzung folgt.)
Fig. 22.
3d
Die Urform der römisehen Basiliea.
Vom Fkanz Kebee.
(Mit 3 Holzschnitten.)
J_Jie römische Architektur ist eine Architektur des Innern. Ihre Innenentwicklung ist der Römer
eigenes Product, das Äussere ist erborgte Decoratiou, hauptsächlich den Griechen entlehnt,
deren Architektin* sich mehr nach aussen entfaltet. In dieser verschiedenen Richtung- lieert das für
beide Seiten charakteristische: weil es dem Hellenen in erster Linie um die vollendete äussere
Erscheinung zu thun war, so ist seine Architektur, den beiden Schwesterkünsten würdig zur Seite
stehend, mehr Kunst, während die römische, weil der Römer als hauptsächliches Ziel den Zweck
und nur secundär die Schönheit im Auge hatte, mehr Technik ist; der hellenische Architekt
wollte Monumente schaffen, der römische Räume.
Es wäre ganz unrichtig, diese Tendenz den Römern erst fttr j e n e Zeit zuzuschreiben, in
welcher sie, zur Weltherrschaft gelangt, die Fesseln der beschränkten hellenischen Dimensionen
durchbrechen mussten, denn die raumgestaltende Richtung der italischen Architektur im Gegen-
satze zur hellenischen lässt sich bis in die fi'ühesten Zeiten hinauf verfolgen. Schon von vorn-
herein zeigt der italische Tempel dieses der griechischen Cultarchitektur fremde Streben nach
Innenentwicklung und Raumentfaltung. Das wesentliche des etrurischen Tempels in Bezug auf
den Plan war die Zweitheilung eines fast quadratischen Oblongums in eine vordere und hintere
Hälfte, so dass die rückseitige Abtheilung desselben der Cella oder den Gellen, die vorderseitige
der Säulenvorhalle eingeräumt wurde. Derart waren auch alle älteren Heiligthümer Roms bis
zum siebzehnten Jahre nach der Vertreibving der Könige, in welchem zum erstenmal griechische
Kunstleistungen neben den etrurischen daselbst auftraten (Plin. XXXV. 12. 15-1 nach Varro),
und wohl noch viele Tempel weiterhin, wofür der fast quadratische, genau in zwei Hälften, die
Vorhalle mit Treppe und die Cella, getheilte Concordientempel am Clivus Capitoliuus, 387 d. St.,
von Camillus gelobt, ein Beispiel darbietet.
Der wachsende griechische Einfluss liess jedoch die Römer nicht bei den geringen Modi-
ficationen der etrurischen Anlage stehen bleiben, welche man an dem Concordientempel versucht
sieht. Der nahezu quadratische Plan musste dem entschiedenen Oblongum, wie es der griechische
Tempel darbot, Platz machen. Doch konnte man sich in dem lebhaften Räumlichkeitsgefühl, wie
es den Römern eigen war, nimmermehr zu dem unverhältnissmässig kleinen Innenraum der
coi-ridorartigen griechischen Cella, die sich zum ganzen Tempel durchschnittlich verhielt wie 1 : 4,
XIV. 6
36 FuANZ Keber.
entschliesseii ; mau verschniälite die hellenische Abtheihmof in ein äusseres Säulenhaus und in
die innere Cella, und verblieb bei der altitalischen Disposition, welche die vordere Hälfte dem
Säulenhause, die hintere der Cella zutheilte. Was man noch zup-estehen konnte, war, dass man
die Verhältnisse etwas verrückte, d. h. zum Vortheil des Tempel-Innern nicht genau in Hälften
abtheilte, ferner dass man die Anten des Naos etwas weiter vortreten Hess, und endlicli, dass man
den Peripteros dem Scheine nach iniitirte, indem man die Cella mit Halbsäulen umg-ab, welche
dem Naos einige Harmonie mit der Säulenvorhalle, und seinen kahlen Wänden mehr architek-
tonisches Leben verliehen. Mit diesen Zugeständnissen aber war als Prostylos pseudoperipteros
der eigentlich römische Tempel abgeschlossen, der durch die beregten Eigenthümlichkeiten der
Disposition charakteristisch genug sich darstellt und als ein Medium zwischen dem etrurischen
und dem griechischen Tempelplan erscheint.
Das Forum Romanum allein zeigt unter den mehr oder weniger erhaltenen Ruinen drei
Tempel der Art, den Saturn-, den Vespasian- und den Faustinentempel ; auch sonst gehört die
Mehrzahl der erhaltensten römischen Tempel dieser Art an, wie der jetzt als Kirche S. Maria
Egiziaca dienende Pseudoperipteros am Velabrum, der jetzt in die Kirche S. Giorgio verwandelte
Tempel neben der Rotunde in Tivoli, der merkwürdige Tempel von Cori mit seinen etrurisch-
dorischen Säulen, der köstliche Pseudoperipteros von Nimes, der Tempel von Pola u. s. w.
Auch an den Tempeln, bei welchen man in späteren Umbauten oder bei besonders
sumptuoser Neuanlage den griechischen Peripteros in volle Anwendung brachte, so dass der
Tempel äusserlich ungefähr die Gestalt des hellenischen erlangte, behielt man die etwas breitere
geräumigere Cella bei, wodurch auch hier ein saalartiger Inneuraum sich in Gegensatz gegen
den corridorartigen griechischen stellte. Dadurch musste immer der Säulenumgang verliältniss-
mässig schmäler als in einer hellenischen Anlage werden, die Tempellänge aber gegen die Breite
weniger bedeixtend, wenngleich man in nationaler Weise auch am Peripteros den tieferen Pronaos
beibehielt, der nicht minder wie die kürzere und breitere Cella an die altitalische Übung
erinnerte.
Sehr geräumige saalartige Gellen müssen wir namentlich an allen den Tempeln voraus-
setzen, in denen Senatssitzungen gehalten wurden, wie, um nur Erwähnungen aus der republi-
kanischen Zeit zu verzeichnen, im Apollotempel vor der Porta Carmentalis (Liv. XXXIV. 43 imd
a. a. O.), im Tempel der Bellona ebendaselbst (Liv. XXVL 21 u. a.), im Castortempel am Forum
Romanum (Cic. Verr. L 49), im obengenannten Concordientempel (Cic. Catil. HL 9. und ander-
wäi-ts), im Quirinustempel (Liv. IV. 21) u. s. w.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass ebenso die Curien, die als Tempel im sacralen Sinne gel-
tenden gewöhnlichen Sitzungssäle für den Senat und für religiöse Versammlungen, in der Regel
auch architektonisch tempelartig und nichts anderes als eine geräumige Cella waren. Die wenigen
Notizen, die wir über das Äussere der Curia Hostilia besitzen, weisen mit Bestimmtheit darauf
hin. Das Ge1)äude hatte an der Fronte eine grössere Freitreppe, über welche Tarquinius Super-
bus den Servius TuUius herabstiü'zt (Liv. I. 48, Dionys. IV. 38) und ein Vestibulum (Liv. II. 48)
d. h. einen Pronaos, der hier um des Zweckes des Gebäudes willen unter jenem Namen erscheint.
Dem entsprechend schildert auch Vitruv V. 2 (3) die Curia, und wir dürfen wohl annehmen, dass
seiner Schildenmg die nach der Vertilgung der Ciu-ia Hostilia von Cäsar und Augustus neuge-
baute Curia Julia am Forum Romanum zu Grunde liege, da er ja ausdrücklicli sagt, dass die
Curia am Forum gebaut werden solle, wonach ihm die Curia des Ponipeius wie die der Porticus
Octa^'iäe wenigstens der Localität nach abnorm erscheinen musste. Dass er nur und wie er vom
Innern spricht, lässt wohl voraussetzen, er habe die äussere Tempelform als selbstverständlich
betrachtet. Das Innere aber kann nach ihm entweder quadratisch oder oblong sein, wie ja an den
Die Urform dee römischen Basilica. 37
Gellen überhaupt, und so hat er nichts weiter zu bemerken, als dass die Höhe namhafter als die
Breite sein, dass aber in halber Wandhöhe ein stai'kes Gesims herumlaufen soll, welches das Ver-
schlagen der Stimme in die Höhe verhindern sollte. Wir dürfen indess voraussetzen, dass die
AkxTStik nicht der einzige Grund für eine solche architektonische Auszierung gewesen sei, denn
die hohen kahlen Wände konnten eine derartige Zweitheilung durch ein Gesims, das dann wieder
Pilaster- und Lisenenbildung im nächsten Gefolge haben musste, nur höchst wünschenswerth
machen, wenn nicht grosse historische Gemälde die Längswände schmückten, wie dies in der
Curia Hostilia wenigstens an einer Seite der Fall war. (Plin. H. N. XXXV. 4, 22.)
Ferner ist zweifellos, dass wenigstens in vielen Fällen die Sitzungssäle des Senats oder
anderer Corporationen an einem Ende eine besondere bauliche Vorrichtung besassen, um sowohl
für die Aufstellung eines Weihebildes als für das Präsidiiim und dessen Umgebung einen passen-
den Raum zu gewähren. Von der Curia Hostilia und Julia am Forum Romanum wissen wir in
dieser Beziehung allerdings nichts ; aber vier curienartige Säle am Foi-um zu Pompeji (drei neben-
einander die westliche Schmalseite bildend, während sich die vierte grössere an der südlichen
Langseite des Forums belindet) zeigen halbkreisförmige Ausbaue und dürften diese, wenn auch
nicht geradezu für Curien, da sich diese Bezeichnung nicht für die vier Säle sichern lässt, so
doch für öUentliche Saalbauten am Forum verbüi-gen (vgl. Ov erb eck, Pompeii 2. Ausg., Bd. I,
S. 120 und 126). Ja noch mehr, ein halbkreisförmiger Saal allein (Exedra) erscheint unter dem
Namen Curia. Dies ist bestimmt der Fall mit der als Schauplatz der Ermordung Cäsars berühmt
gewordenen Curia des Pompeius, welche von Plutarch (Brut. 14, 17) als eine mit einem der Säulen-
gänge hinter dem Theater des Pompeius in Verbindung stehende Exedra, von Sueton dagegen
ausdrücklich als Curia bezeichnet wird (Caes. 80, SS). Die Säulengänge hinter dem Pompeius-
theater waren nämlich von der Gattung der Porticus absidatae, wie sie das Regionenverzeichniss
(Curiosum Urbis Romae) in der vierten Region nennt, wie sie die auf das Pompeiustheater und
auf die Porticus Liviae bezüglichen capitolinischen Planfragmente deutlich zeigen und wie sie
aus der Beschreibung der porticus regiae von Constantinopel (Urlichs, die Apsis der alten Basi-
liken. Greifswald 1847, S. 10) zu entnehmen sind, d. h. Säuleugänge mit einseitiger Säulenreihe
deren anderseitige Parallelwand von verschiedenförmigen, mehr oder weniger geschlossenen Aus-
weitungen , corridorartigen , saalartig oblongen und hemicyklischeu Räumen für verschiedene
öftentliche Zwecke ixnterbrochen wird. Möglicherweise war auch die Curia in der Portieus der
Octavia (Plin. XXXVL 5. 28) ebenso wie die pompeische eine Exedra, wenigstens zeigt das
capitolinische Planfragment, weichet; diese Porticus fast vollständig wiedergibt, einen hemi-
cyklischeu mit dem Scheitel an die Rückwand der beiden Tempel gelehnten Saal (vgl. meine
Ruinen Roms S. 213 Abb. 20). Doch möchte ich mich hierüber bei der Unklarheit der Notizen
des Plinius über den Complex der Porticus Octaviäe nicht bestimmt entscheiden. Aus dem Um-
stände aber, dass einige Curien — oder wenn wir ganz sicher gehen wollen, bestimmt eine — die
Gestalt einer Exedra hatten, erklärt sich wie die hemicyklische Apsidenausweitung einer Basilica
im übertragenen Sinne unter dem Namen „Curia" erscheinen kann, wenn anders wirklich, wie
Messmer (Über den Ursprung, die Entwickeluug und Bedeutung der Basilica in der christlichen
Baukunst, Lpz. 1854, S. 27) durch andere Gründe wahrscheinlich gemacht hat, die curia basilicae
laiTt einer lusclmft bei Gruter (L p. 444. 2) mit apsis basilicae zu identiticiren ist.
Mit solchen Versammlungssälen war aber nur für einen kleinen Bruchtheil des römischen
Volkes gesorgt. Zunächst konnte bei der ganz unbeschränkten Öffentlichkeit der Volksversamm-
lungen nicht daran gedacht werden, diese unter Dach und Fach vorzunehmen, und so kam es auch
in der That während der Republik nicht zur Herstellung eines Gebäudes für solche politische
Zwecke; und wenn auch im Anfang der Kaiserzeit eine bedeutende Bauanlage (die Septa Julia)
6*
38 Feanz Eeber.
hiefür entstand, so ist doch sehr fi-aglich. ob der Hoiiptraum derselben bedeckt war. «-ährend es
ffemss ist, dass ienes Gebäude bald nach seiner Vollendung seinen ursprünglichen Zweck verlor
und seiner neuen Bestimmung als Bazar nur in sehr namhafter Reduction des ehemaligen Unitangs
entsprach. "Weit dringlicher und leichter ausführbar musste eine bauliche Vorsorge für die Gerichts-
verhandlungen und für den geschäftlichen Verkehr erscheinen, wofür lauge Zeit das Forum der
Raum war. Zwei Umstände nämlich machten diesen letzteren mehr und mehr unzulänglich : einer-
seits die sich steigernde Neigung der Römer flu- imposante gemeinnützige Anlagen und öffent-
lichen Comfort verbunden mit der unaufhaltsam erwachenden Verweichlichung, welche das
Geschäftsleben im Freien immer unerträglicher erscheinen Hess, anderseits das mit der zuneh-
menden Bevölkerung wachsende Gedränge. Diesen beiden Umständen konnte durch eine geschützte
und o-edeckte Erweiterung des Forums Rechnung getragen werden, und eine solche ist
daher auch als die Grundidee und als das Wesen der römischen Basilica zu betrach-
ten. Ob und in wie fern schon die König-shalle von Athen oder andere hellenische Gebäude
der Art, von welchen doch zweifellos Anregung und Namen für die römischen Basiliken ausging,
auf einer ähnlichen Idee beruhten, können wir bei den dürftigen Notizen darü1)er nicht beiu-theilen :
doch sind alle Mittel vorhanden, uns erkennen zu lassen, dass die römische Basilica von dem
Forum, das nach Vitruv's Schilderung (V. 1) im allgemeinen aus einem von zweistöckigen Por-
ticus umgebenen oblongen Mitteh'aiun bestand, hauptsächlich nur dadiu'ch sich unterscheidet,
dass dieser Mittelraum bedeckt war. wonach die Basilica selbst als nichts anderes denn als ein
kleines gedecktes Nebenfortim zu betrachten ist. Als eine solche Erweiterung des Forums
bezeichnet sie auch schon das Alterthum, wie Cicero (ad Att. IV. 16) das Motiv der Erbauung der
Basiliken mit den klaren Worten gibt: _itt ampliaretur forum".
Dieser merkwürdige 8aalbau. die Basilica, hat dm-ch seine hohe Wichtigkeit und unendliche
Folge schon eine sein- ansehnliche Literatm- hervorgerufen und, von älteren Studien wie zer-
streuten kiu-zen Notizen und Besprechungen abgesehen, liegen eingehendere Abhandlungen von
Kugler (1842), Bunsen (1842), Zestermann (1847). Ulrichs (1847), Kreuser (1851),
v. Quast (1853), Messmer (1854 und 1859), Weingärtner (1858) und 0. Mothes (1865)
darüber vor. Die Mehrzahl dieser Arbeiten ist jedoch der christlichen Basilica zugewandt, die
vorchi-istliche findet niu- bei Zestermann (Die antiken und christlichen Basiliken, Lpz. 1847) eine
zwar o-ründliche, reichhaltige und höchst verdienstvolle, aber nicht auch die neuen Resultate der
Ausgrabungen und der Topographie Roms vollkommen würdigende Behandlung. Wenn daher
Mothes (die Basilikenfoinn bei den Clu-isten der ersten Jahrhunderte, ihi-e Vorbilder und ihre Ent-
wicklung, Lpz. 1865, S. 83) glaubt „über Form imd Ursprung der heidnisch-römischen Basiliken
sei schon genug geschrieben worden", so scheint er zu übersehen, dass zwar die vitrmaschen und
einige Basiliken der Kaiserzeit ausreichend befriedigend behandelt worden sind, dass aber nicht
ein gleiches von den Basiliken der Republik gesagt werden kann. Ja die Hauptfrage ist noch
ganz unberülu't: wie haben wir uns die ersten römischen Basiliken und besonders die Mutter aller
anderen, die Porcia. zu denken? wie war die basilicale Urform?
Als man begann, der Basilica ^vissenscllaftliche Aufmerksamkeit zuzuwenden, bildete man
sich aus der Gestalt der christlichen Basilica auch den Begriff der vorchristlichen und dachte sich die-
selbe: 1. als einen oblongen Saal, 2. nach aussen durch Wände abgeschlossen und 3. innen durch
Säuleureihen der Länge nach in drei oder ftinf parallele Schiffe getheilt. von welchen das mittlere
von grösserer Breite und in ganzer Höhe ununterbrochen, die Seitenschiffe aber manchmal in zwei
Stockwerke gegliedert waren; man dachte sich ferner 4. die eine Schmalseite die Fronte bildend,
5. die andere dagegen in eine halbktxp])elförmig übei-wölbte Apsis ausgebaucht, 6. alles übrige durch
Balkenlage horizontal gedeckt, und das Mittelschiff in Giebelform, die Seitenschiffe pultartig
Die UnFORM der römischen Basilica. ö9
bedacht, eudlich 7. das Mittelschiff durch namhafte auf die Säulen gestellte und von Fenstern
durchbrochene Oberwände über die Seitenschiffe emporragend.
Man applicirte nun diese von den christlichen Basiliken geschöpfte Vorstellung auf die
allmählig gründlicher zur Kenntniss kommenden Riiinen und die mit mehr kritischer Strenge
behandelten Beschreibungen von heidnisch-römischen Basiliken und ward durch das Vergleichs-
ergebniss nicht wenig betroffen. Dennder Vergleich zeigt sofort, dass — einen grösseren gedeckten
Mittelraum ausgenommen — keines von den angeführten Merkmalen, w^ie sie vereint fast
alle christlichen Basiliken charakterisiren, sich an allen bisher bekannten heidnisch-römischen
findet. Man ziehe nur, um sich davon zu überzeugen, jene sieben vorchristlichen Basiliken, welche
die gesichertsten und in ihrem Plane genauer bekannt sind, nämlich die Julia, die Normalbasilica
des Vitruv, dessen Basilica zu Fanum, die Basiliken von Otricoli und Pompeji, die Ulpia und die
Constantiniana in Betracht und der Zusammenhang ihrer Gestalt mit dem Typus der christ-
lichen wird auf ein Minimum zusammenschwinden.
Denn selbst das Oblongum, so wenig bezeichnend auch dieses in obiger Aufzählung an
erster Stelle erwähnte Merkmal , das ja die meisten Saalbauten aller Welt bis auf unsere Zeit
haben, an sich ist, erscheint an der Basilica von Otricoli nicht angewandt. Es ist zwar die Identi-
fizirung der Saalruine von Otricoli mit einer Basilica bestritten worden (Zestermann a. a. 0.
S. 114), doch dürfte Zestermann dadurch, dass er aus einem Raum von etwa 10 Meter Länge und
Breite eine unbedeckte Spazierporticus machte, der Wahrheit nicht näher gerückt sein, wie dies
schon Mothes (a, a. 0. S. 82) bemerkte. Demjenigen, w^elcher sich aus den zweifellosen Denk-
mälern überzeugt hat, dass in der Fortentwicklung der heidnisch-römischen Basilica die grösste Frei-
heit herrschte, bleibt das Gebäude von Otricoli noch immer am wahrscheinlichsten eine Basilica.
Dem zweitangegebenen Merkmale des Wandabschlusses ringsum widerspricht die grössten-
theils aufgedeckte Basilica Julia , deren äussere Umfassung ringsum durch Pfeilerarcaden
geöffiiet war.
Die Gliederung des Innern durch Säulenreihen, das drittgenanute Charakteristicum, fehlt an
der Basilica Julia und an der Constantiniana, indem bei der ersten Pfeilerarcaden den Mittelraum
wie das Ganze umschlossen, während bei der letzten gewaltige Pfeilerwände, an welche sich vier
Säulen mehr decorativ anlehnten, die Tonnengewölbe der Seitenschiffe und die Kreuzgewölbe des
Mittelschiffes stützten. Wenn Mothes (a. a. 0. S. 82) an der Julia innen Säulenreihen angibt, so
ist das ganz gegen den Befund der Ausgrabungen, welcher mit einem bis auf das erhaltene
Paviment genauen Plane bei C. Ravioli, Ragionamento del foro Romano, G. Montiroli, Osser-
vazioni sulla parte meridionale del foro Romano, Roma 1857, sich dargelegt findet. Ferner zeigt
sich auch an keiner römischen Säulenbasilica unter den genannten eine eigentliche Abtheilung in
Schifl'e, wie an der christlichen, indem der Mittelraum nicht blos in der Längsrichtung Seiten-
schiffe neben sich hat, sondern stets von Nebenräumeu auf allen vier Seiten umzogen ist.
Was dann das vierte Merkmal der christlichen Basilica, die Fronte an einer Schmalseite
betrifft, so findet sich dies nur an einer der sieben genannten antiken, nämlich an der von Pom-
peji. Das quadratische Gebäude von Otricoli kann hier nicht in Betracht kommen, da bei diesem
weder von Lang- noch von Schmalseite die Rede sein kann: die fünf anderen aber haben ihre
Fronte und ihren Haupteingang an einer Langseite, nur die Constantiniana, welche überhaupt
baulich beide Richtungen nach der Länge und nach der Breite verquickt, zeigt sie ebenso an
einer Langseite wie an einer Breitseite.
Das fünfte Merkmal, eine halbkreisförmige vermittelst eines Halbkuppelgewölbes sich an den
Hauptraum anschliessende Ausbeugung (die Apsis) an der der Eingangseite gegenüberliegenden
Schmalseite, findet sich an keinem der sieben genannten Denkmäler in der Weise der christlichen
40 Franz Rebeb.
Basilikeu. Gai- keinen apsidenartig gesonderten Raum hatten die Basilica Julia und die von Vitruv
o-esclüldeite Kormalbasilica (wenigstens erwähnt sie Vitruv trotz ihrer Wichtigkeit fiii- den Plan
in der Planbeschreibung nicht, was er doch als angeblich selbstverständlich um so weniger unter-
lassen konnte, als er ja aus seiner Zeit ein Gebäude der Alt ohne Apsis in der Basilica Julia
kennen musste). Einen eingebauten rechteckigen Tribunalraum (somit auch noch keine Apsis im
eio-entlichen Sinne) an der dem Eingang gegenüberliegenden Schmalseite zeigt die Basilica von
Pompeji. Eine Apsis findet sich am Gebäude zu Oti-icoH, jedoch da dieses quadi-atisch, so fällt
die Unterscheidimg von Laug- und Schmalseite weg wie bei der Frage nach der Fronte. Eine apsi-
denaiti^e Ausbeugung an einer Langseite hatte die von Vitruv gebaute und besclu-iebene Basilica
von Fanum. doch war hier die Apsis nicht als Halbkuppelbau wirklich ausgeftihit, sondern da
das Tribunal mit dem angebauten Aiigustu Stempel in offener Verbindung stand, nm- in dem
Tribimalausschuitt angedeutet. Die Basilica Ulpia ferner hatte wahi-scheinlich zwei Exedi-en imd
zwar an jeder Schmalseite eine, ich nenne sie nicht Apsiden, denn sie gehen, wie dies schon
Zestermann bemerkt, über den Begriff derselben hinaus und werden zu besonderen hemicykli-
schen Sälen, welche einerseits von dem übrigen Raum der Basilica durch die doppelte Säulen-
reihe so ziemlich abgeschlossen werden, anderseits aber so gross sind, dass sie nicht blos für das
Tribunal dienen konnten, sondern den ganzen Gerichtshof mit allen Betheiligten umfassten. Zwei
wirkliche Apsiden aber zeigt die Basilica des Constautin und zwar die eine an einer Langseite,
die andere an einer Schmalseite. Es kömmt sonach an den sieben antiken Basiliken, die uns
wissenschaftlich sicher zu Gebote stehen, in Bezug auf die Apsiden mit Ausschluss der Ai-t und
Weise, wie sie die christliche charakterisirt, fast alles mögliche vor. nämlich keine Apsis (Julia,
!Nonnalbasilica des Viti-nv). eine, einmal an der Schmalseite (Pompeji), ein zweifesmal an der
Laugseite (Fanum) — in keinem Falle aber als Apsiden im eigentlichen Sinne durchgebildet — . ein
di-ittesmal an einer indifferenten Seite (Otricoli) , tmd endlich zwei Apsiden, einmal au beiden
Schmalseiten und da als besondere hemicyklische Säle auftretend (Ulpia), das anderemal an
einer Schmalseite und an einer Langseite (Constantiniana).
Das sechste Merkmal der clu-istlichen Basilica, die horizontale Holzbedeckung ist wahr-
scheinlich wenigstens an den Seitenschiffen der Basilica Julia nicht anzunehmen, wo die Pfeiler-
arcaden des Erdgeschosses in der Art der Theater inid Amphitheater oder in nächster Analogie
nach der Ai't des geradlinigen Ai'cadeucorridors des Tabularium am Capitolinxis Gewölbe getragen
haben werden. Die Basilica des Constautin aber war durchaus überwölbt und zwai- dm-ch sechs
Tonneno-ewölbe in den Seitenschiffen, von welchen di-ei noch fast vollkommen erhalten sind, und
in riesigen di-ei Kreuzgewölben im Mittelschiff, deren Ansätze noch deutlich sichtbar sind.
Was endlich das siebente Merkmal der christlichen Basilica, die Überhöhung des Mittel-
schiffes betrifft, so finde ich dies nm* an zwei von den sieben genannten Protanbasiliken, nämlich
an der Basilica von Fanum und an der des Constautin gesichert. Von drei andei-en (Julia. Ulpia,
Otricolensis) erlaubt der Befund der Ruinen schlechterdings nichts anderes als Verniuthungen,
ebenso von der Basilica von Pompeji, von welcher wir nicht so leicht wie Mothes (a. a. 0. S. 80)
aus dem Umstände, dass man Stirnziegel im Lmeni fand, die Überzeugung schöpfen können,
_dass der Mittelraum jedenfalls höher hinaufgeführt war und über den flachen Dächern der Seiten-
schiffe Seitenfenster hatte". Von der Normalbasilica des Vitruv aber macht es das gänzliche
Schweigen des Autors bezüglich der Überhöhung . obwohl imd weil sonst die Lmenanlage
ziemlich vollständig beschrieben ist, mehr als wahrscheinlich, dass wir keine solche annehmen
dm-fen, wenn wir nicht rein willkürliches in den Text hineintragen wollen. Ich werde übrigens
zeigen können, dass auch die zwei ältesten Basiliken, die Porcia und die Aniilia. keine Überhöhung
des Mittelschiffes gehabt haben.
Die Urform der römischen Basilica. 41
Sind auch diese Vergleiche bisher noch nicht so weit durchgeführt worden, indem man der
Eigenthümlichkeiten der antiken Basiliken vor einigen entscheidenden Entdeckungen durch Aus-
grabungen, vor näherer Bestimmung und endlich aus ungenügender Würdigung der Sprache der
Ruinen noch nicht ausreichend mächtig war, so konnte es doch nicht fehlen, dass durch die grosse
Dissonanz der Gedanke erweckt wurde, die christliche und antike Basilica ständen in gar keinem
Zusammenhange, welchen auch Zestermann ausführlich zu begründen unternahm. Dagegen suchte
Messmer (Über den Ursprung, die Entwickelung und Bedeutung der Basilica in der christlichen
Baukunst, Lpz. 1854) die Anknüpfungspunkte zwischen den beiden Gebäudearten wieder hervor,
indem er mit Recht daran fest hielt, dass die gleichen Namen auf einen inneren Zusammenhang
zwischen den Gebäuden hindeuteten. Es gelang ihm auch, einzelne Ansichten Zestermann's zu
berichtigen, nocli nicht aber in dieser ersten Abhandlung jenen völligen Mangel an Congruenz
zwischen der christlichen und Profanbasilica zu erklären, wozu erst seine spätere glückliche Ent-
deckung den Schlüssel liefern sollte.
Es war nämlich weder mit dem Verwerfen alles Zusammenhangs, noch mit dem versuchten
Nachweis eines directen zwischen den bekannten antiken und den christlichen Basiliken das Rich-
tige getroffen. Die antike Basilica war bis dahin einseitig behandelt worden, indem man nur die
forensische in Frage zog. Zestermann hatte zwar schon verschiedene Arten unterschieden, die
forensische, die Spazierbasilica, die Privat- oder Palastbasilica und die Weinbasilica ; auch Pelz-
händler- und Wechslerbasiliken (Youvdcptrji in Constantinopel und argentaria in Rom) wurden
beigebracht, allein von einer näheren Charakterisirung derselben glaubte man absehen zu dürfen.
Als wirkliche Gattungen scheinen auch von allen diesen nur zwei bestehen zu können, die öffent-
lichen und die privaten Basiliken. Dass die Weinbasilica auf einem Missverständniss der von
Zestermann dafür beigebrachten Stelle des Palladius Rutilius I. 18 beruhe, hat schon Brunn in
einer Besprechung des Zestermann'schen Werkes (Kunstblatt 1848 Nr. 19, April) bemerkt. Auch
die sogenannten Spazierbasiliken sind nichts anderes als dieselben Verkehi'ssäle, als welche wir
uns alle öffentlichen Basiliken zu denken haben , und deren man an verschiedenen Plätzen,
namentlich in der Nachbarschaft starkbesuchter Örtlichkeiten ebenso sehr bedurfte, wie noch
heutzutage in grossen Städten der Verkehr sich nicht auf einen Platz oder einen Bazar zu
beschränken pflegt. Sie enthielten ohne Zweifel Buden und empfingen die Käufer und
Verkäufer, dienten als Bestellplätze für Unterredungen jeder Art, wie einst die ihnen so ver-
wandten Fora, und dass in diesen vermeintlichen Luxusbasiliken auch öffentliche Verhandlungen
gepflogen werden konnten, dürfte so lange nicht in Abrede zu stellen sein, als sich nicht erweisen
lässt, dass alle Gerichte an bestimmte Basiliken gebunden waren. Denn wollte man behaupten,
dass diese in Rom auf die Basiliken des Forum Romauum beschränkt waren , so müsste man
selbst die herrliche Ulpia zu einer Spazierbasilica degradireia. Zestermann selbst aber erklärt den
Verkehr als den hauptsächlichsten Zweck der Basiliken, wozu die Gerichtsverhandlungen als eine
gelegentliche Nebensache kämen, was auch wenigstens in der Kaiserzeit seine volle Richtigkeit
zu haben scheint, indem bei den sich mehrenden Gebäuden der Art allmählig das Übergewicht
von den Gerichtszwecken auf die des Verkehrs überging. Abgesehen von alle dem ist mir die
Vorstellung von Spaziersälen überhaupt unzugänglich: diesem Zwecke dienten die Portiken, deren
es in Rom genug gab, und wenn auch Spaziergänger die Basiliken wie die Foren besuchten, so
wird man so wenig für sie allein Basiliken gebaut haben, wie man Fora für Müssiggänger anlegte.
Auch die Pelzhändler- und die Wechslerbasiliken sind nicht als besondere Arten zu betrachten,
sondern wie sich noch jetzt in grossen Städten gewisse Handelsartikel an einzelnen Plätzen und
in einigen Bazai-s concentriren, z. B. Seide oder Spezereien in den Hauptstädten des Orients,
oder Bijouterie im Bazar des Palais Royal in Paris, so werden auch in diesen Basiliken vor-
42 Fkasz Reber.
wieo-end die Haiulelsgescliätte in jenen Artikeln vertreten gewesen sein und den Räumen nacb-
ti-äo-licli die entsprechenden Kamen gegeben baben.
Dagegen wurde nun mit Recht die Bedeutung der Privatbasiliken hervorgehoben und
dadurch der ganzen Frage eine andere Wendung gegeben. Weingärtner und Messmer kamen
irleichzeitio- auf den Gedanken, die Entwicklung der christlichen Gemeinde von den frühesten
Zeiten an mit Rücksicht auf die in der Geschichte derselben angeführten Räume zu verfolgen,
und beide kamen unabhängig von einander zu dem Schlüsse, dass das Innere des Hauses der
Schoss der christlichen Gemeindeentwicklung, der vorzugsweise Raum der Versannulungen, Feste
und des Gottesdienstes gewesen sei. Sonderbarer Weise blieb Weingärtner (Ursprung und Ent-
wicklung des christlichen Kirchengebäudes, Lpz. 1858) dabei stehen, die Säle römischer Paläste
im allgemeinen, besonders aber den sogenannten ägyiDtischen Saal, welcher von Vitruvius
(VI. 3, 9) -den Basiliken ähnlich- genannt wird, als das Local der Ecclesia zu erklären, während
doch der Name Basilica darauf hinwies, die Privatbasilica, d. h. den Hauptsaal einer römischen
,.domus" im grössten Styl, von welchem ebenfalls Viti-uv (VI. 5. 2) spricht, ins Auge zu fassen.
Diesen Gedanken ergriff Messmer und es gelang ihm damit in der Abhandlung „Über den
Ursprung der christlichen Basilica™ : Zeitschi-ift f. christl. Archäologie und Kunst, herausgegeben
V. F. V. Quast und H. Otte. Lpz. 1859, H. 5. S. 212 ff. die entscheidendste Behauptung, welche
in der Fragre über das Verhältniss der antiken ziu* christlichen Basilica und über die Entstehunors-
»■eschichte der letzteren eremacht worden ist.
Seine Untersuchung war aber eine rein archäologische. Er blieb dabei stehen aus dem
literarischen Apj^arat und aus der Geschichte der Christusgemeinde uniuoistösslich nachzuweisen,
dass die Versammlungen der heranwachsenden Kirche in den Hauptsälen der Häuser und dann
in den Basiliken der Paläste römischer Grossen abgehalten wurden; die kunstgeschichtlichen
Consequenzen jedoch zog er nicht. In der That mochte auch das Material unzureichend erscheinen,
es schien sich lediglich voraussetzen zu lassen, dass die Privatbasiliken den christlichen älmlicher
gewesen sein mussten als die öffentlichen, mit welcher Vorausetzung sich die Sprödigkeit, in der
die genannten öffentlichen Basiliken der heidnisch-römischen Periode den christlichen gegenüber
im Vergleiche mit diesen sich verhielten, erklärte. Es ist jedoch meine Überzeugung, dass man
über diese alloremeine Voraussetzuof hinausgehen und der Gestalt der Privatbasilica näher rücken
kann, wenn man festhält, dass sie auf ältere Vorbilder als die genannten forensischen Basi-
liken zurückgehen, dabei aber jene Modificationen erfahren haben müssen, welche die Eins chli es-
sung eines freistehenden Saalbaues in einen Gebäudecompiex nothwendig bedingt.
Die nähere Untersuchung dieser Sätze wird erstlich bezüglich des Verhältnisses der antiken
zur chi'istlichen Basilica zu einem neuen Resultate führen. Hat nämlich Messmer gegen Zester-
mann zuerst aufrecht zu halten gesucht, dass die christliche Basilica von der antiken Gerichts-
basilica abzuleiten sei, und in seiner zweiten Abhandlung diese Behauptung auf den Zusammen-
hang zwischen der christlichen und Privatbasilica beschränkt, so Avird durch die Zurückführung
der letzteren auf ihre forensen Originale das gemeinsame Band wieder herzustellen sein und erst
die volle Walu-heit in dem Schlüsse sich ergeben, dass die christliche, zwar unmittelbar der Privat-
basilica entsprossen, mittelbar auch in ihrer Gestalt auf die ältesten forensischen
Basiliken zurückzuleiten sei. Ferner Averden sich an der christlichen Basilica gewisse
Eicrenthümlichkeiten der Schiffgliederuno- und Beleuchtung- und deren ständig-e Beibehaltung^ der
wandelbaren forensischen gegenüber erklären.
Für die Gestalt der Privatbasiliken steht uns zunächst die Beschreibung der Säle im
Hause eines römischen Grossen bei Vitruvius VI. 3, S sp. zur Verfügung, welche, da sich nur eines
aus dem andern erklären lässt, im Zusammenhange zu erörtern ist, um das dadurch für die
Die Urform der römischen Basilica. 43
Basilica gebotene Material verwerthen zu können. Der Autor spricht anfangs von den Dimensions-
verhältnissen im allgemeinen, empfiehlt bei allen Speise- und Conversationssälen die halbe Summe
von Länge und Breite als Hühenmass und fährt dann fort: „Die korinthischen Säle und die vier-
säuligen und die sogenannten ägyptischen sollen Längen- und Breiten-Verhältnisse haben, wie
sie den Speisesälen im allgemeinen zugetheilt worden sind, aber wegen der Zwischenstellung von
Säulen müssen sie geräumiger angelegt werden. Zwischen den korinthischen inid ägyptischen
Sälen aber ist der Unterschied dieser: die korinthisclu^n haben einfache Säulen (d. h. nicht je
zwei übereinander) entweder auf einen Sockel oder auf den Boden gestellt, und darüber Architrav
und Gesimse entweder von Holz oder Stuck; ausserdem eine nach der Zirkellinie gewölbte Decke.
Bei den ägyptischen Sälen aber sind über die Säulen Architrave und von den Architraven zu den
Wänden horizontale Deckbalken zu legen und über das Deckengetäfel ein Paviment, damit oben
unter freiem Himmel ein Umg-ano' sei. Dann sind auf den Architrav in senkrechter Linie mit den
unteren Säulen, andere zu stellen, die um ein Viertheil kleiner sind, und über den Architraven
und Gebälkzierden der letzteren soll eine mit Lacunarien verzierte Decke und zwischen den oberen
Säulen sollen Fenster angebracht werden, so scheinen sie mit den Basiliken und nicht mit
den Speisesälen Ähnlichkeit zu haben".
Vitruv beschreibt also hier zwei Arten von grösseren Sälen, die sich durch Säulenstellung
im Innern auszeichnen, von einer dritten Art (denviersäuligen Sälen) scheint ihm die blosse Nennung
zu genügen. In der That wird man sich wohl die den viersäuligen Höfen ganz analoge letztere
Art auch ohne eingehende Erklärung leicht vergegenwärtigen können : die vier Hauptdecken-
balken, je zwei nach jeder der beiden Richtungen werden nämlich an den vier Kreuzungspunkten
durch ebenso viele Säulen gestützt. Die korinthischen Säle dagegen werden wir uns, da der Saal
ausdrücklich gewölbt genannt wird, so vorzustellen haben, dass die Säulen mehr decorativ an die
Wand gestellt sind, wie dies an den meisten Triumphbogen, den sogenannten Colonnacce in Rom,
der Hauptnische im Pantheon, der Pseudoporticus an der Agora von Athen u. s. w. noch zu sehen
ist, eine ^Säulenstellung, die später auch structiv verwerthet wurde, indem man die Gurten der
Kreuzgewölbe auf die Säulen stützte, wie es in den grossen Sälen der Thermen des Caracalla
und des Diocletian oder im Mittelschiff der Basilica des Constantin angeordnet war. Über das
Säulengebälk der korinthischen Säle konnte man verschiedener Ansicht sein, nämlich ob hier
fortlaufendes, von einer Säule zur anderen spannendes, oder nur das sogenannte verkröpfte, d. h.
über jede Säule vorspringende Gebälk anzunehmen sei, wenn nicht die zahlreichen Belege der
letzteren Art aus den römischen Überresten, während mir für die erstere kein Beispiel aus dem
Alterthum bekannt ist, und namentlich auch structive Gründe überwiegend für das verkröpfte
Gebälk sprechen. Denn die Schwierigkeit, das aus Holz oder anderem Material hergestellte Gebälk,
wenn es von einer Säule zur anderen gespannt war, in die Wand einzubinden war so gross, dass
sie sogar der Entstehungsgrund für das verkröpfte Gebälk an den blos decorativ an die Wand
gestellten Säulen wurde, was ich demnach keineswegs für eine geschmacklose Laune der Römer,
sondern für structive Nothwendigkeit und unabweisliche Consequenz des Übergangs von Halb-
säulen- und Pilastersystem zu der wirksameren Decoration der an die Wand gerückten vollen
Säulen halte. Diese Anordnung ist auch aus Vitruv's Anweisung zu entnehmen, wonach das Gebälk
„entweder in Holzschnitzwerk odei- in Stuck" herzustellen sei, was man nur dann verstehen kann,
wenn man den Gedanken an ein geradlinig fortlaufendes von einer Säule zur andern spannendes
Gebälk fallen lässt. Denn es hätte keinen Sinn, wenn der Architekt die Wahl zwischen Holz-
schnitzwerk und Stuck freiofibt, da sich doch «gewiss kein freischwebendes Gebälk in Stuck her-
gestellt denken lässt, während es ganz entsprechend scheint, das an den Wänden hin nur decorativ
angedeutete und lediglich über den Säulen vorspringende Gebälk durch Ilolzvertäfelung oder
XIV. 7
44 FuANz Keueu.
Stuck auszuführen. Damit stimmen auch die constructiveii Bedingungen der Gewülbdecke überein ;
denn wie der Umstand, dass Vitruv von einer Gewülbdeckung spricht, nicht an selbständige, den
Saal in Schiffe gliedernde Säulenstellung denken lässt, sondern es nur möglich macht, hier an die
Wand «'•erückte, rein ornamentale Säulen anzunehmen, so ist natürlich ebenso wenig anzunehmen,
dass das Gewölbe auf ein von einer Säule zur anderen spannendes Gebälk, das nicht einmal aus
solidem Material hergestellt war, gegi-ündet wm-de: das Tonnengewölbe musste von der Wand auf-
steigen. Dies ero-ibt sich von selbst, wenn wir uns das Gebälk zwischen den Säulen an die Wand
zurücktretend an derselben nur ornamental in Stuck oder Schnitzwerk angedeutet denken. Stellen
wir uns dann das Tonnengewölbe, wie an den Triumphbogen, dem Venus- und Romatempel, der
Constantinsbasilica u. s. w., cassetth-t vor, so haben wir in dem sogenannten korinthischen den
eigentlich römischen Saal: diese decorative Verbindung griechischer Säulenordnung mit dem
römischen Gewölbebau sammt der nicht minder decorativen Verkleidung des Gewölbes mit dem
hellenischen seiner ganzen Natur nach horizontalen Lacunarlengetäfel in den sogenannten Cas-
setten. Seltsam erscheint es freilich, wenn gerade die eigentlich römische Saalcomposition unter
dem Namen der korinthischen auftritt, und ich muss gestehen, diese Bezeiclnmng nicht genügend
erklären zu können. Denn wenn jemand glauben sollte, dass damit im allgemeinen die hellenische
Abkunft dieser Saalform gemeint sei, da ja die Römer seit Mummlus das Hellenische hauptsächlich
durch Korinth kennen gelernt, so kann ich darauf nur erwiedern, dass eine solche Ansicht auf voll
ständigem Unverständniss des Wesens der hellenischen und der römischen Architektur beruht.
Möo-llch wäi-e , dass ledi"-lich von der für solche Prachtsäle angewandten korinthischen Oi-dnung
der Name entstanden ist, wobei Ich, um das Spielen mit solchen Namen zu belegen, daran erinnern
darf, dass man im eigentlichen Sinne höclistens von einem korinthischen Capitäle sprechen kann.
Indem das aus den römischen Resten landläufig gewordene korinthische Gebälk mit Kragsteinen
u. 6. w. rein römisches aus dem ionischen Gebälk entwickeltes Product ist.
Der drittgenannte Säulensaal bei Vitruv, der sogenannte ägyptisch e, zeigt keine Wölbung
dafür Gliederung durch Säulenreihen In einen mittleren Hauptraum und in (ringsumlaufende?)
Nebenräume. Die letzteren sind einstöckig in Bezug auf die Bedeckung , erinnern aber durch
den freien Umgang auf Ihrer Decke an das Obergeschoss der Nebenschiffe der Basiliken. Der
Mittelraimi erhebt sich über die Nebenräume, indem eine zweite obere Säuleustellung seine
horizontale lacunarlenartig vertäfelte Decke und sein Dach trägt. Die Intercolumnien der oberen-
Säulenreihen bildeten die Lichtöffnungen, so glaube ich wenigstens die Worte: „Inter columnas
superlores fenestrae collocantur" deuten zu müssen, denn sobald man sich in die Intercolumnien
Wandausfüllungen, in welche erst die Fenster eingeschnitten wären, denkt, verliert die Anord-
nung einer oberen Säulenreihe allen structiven Verstand, denn man stellt Halbsäulen oder Pila-
ster nicht dadurch her, dass man erst Säulen auffuhrt und dann die Intercolumnien veiTDauert.
Man besorge nur nicht die Ungeschütztheit und traue dem Klima, allenfallsigem Schutze durch
Gitter, Vela oder Teppiche, wie dem Beispiele der BasUIca von Fanum die Möglichkeit einer
solchen Anlage zu. Über die Herkunft des Namens „ägyptischer Saal" sind ebenfalls nur
Vermuthungen möglich. Man findet zwar In Ägypten und nur da einen Säulensaal mit erhöhtem
Mittelschiffe, wie in dem gewaltigen Hypostyl des grossen Tempels von Karnak. Die höheren
Säulen der Doppelreihe zu beiden Seiten der Tempelaxe stützen nämlich die liorizontalbedeckung
eines die Decke des Übrigen überragenden Aufbaues, der beiderseits zwischen kurzen Pfeilern
gitterartig gebildete Öffnungen enthält, durch welche der ganze Saal Licht und Luft bezieht. So
naheliegend es scheint, in diesem Vorbilde den Ursprung des Namens der in Rede stehenden
Saalform zu suchen, so möchte ich doch den ägyptischen Saal nicht unmittelbar auf eine solche
altägyptische Anlage zurückführen, sondern vermuthe vielmehr, dass die letztere ein Medium
Die Urform der römtsciiek Basilica. 45
durch die Ptolemäer gefunden habe, welche, die Vortheile einer solchen Säulensaalanlage erken-
nend, dieselbe in ihren halbhellenischen Styl übertragen und dadurch dieser Saalart den Weg
nach Italien gebahnt haben.
Wie man überhaupt von jeher die Darstellung des Vitruv da als einfältig zu erklären
gewohnt war , wo dem oberflächlichen Studium das Verstilndniss ausging, so hat man auch bei
dieser Stelle sich gewimdert, wie der Autor nur solche „Specialitäten" den viersäuligen, den
korinthischen und den ägyptischen Saal in Betrachtung ziehen konnte. Die obige Darlegung
wird jedoch überzeugt haben, dass es sich bei diesen „Specialitäten" nicht blos um drei grund-
verschiedene Arten , sondern um die drei Hauptgattungen von rechtwinkligen Säulen sälcn,
welche man sich unter den damaligen Bedingungen der Construction und des Styls übcrhaiipt
denken kann , handelt. Denn mit dem viersäuligen Saale ist ein Beispiel von einheitlicher über
das Ganze sich hinziehender Horizontaldecke, mit dem korinthischen ein Beispiel von Gewölbesaal,
mit dem ägyptischen einBeispiel von Gliederung in mehrere ungleich hohe Schiffe oder Räume mit
horizontaler Bedeckung 2'eg'eben. Das sind die drei Grundlao-en , auf welche sich alle damals
möglichen architektonischen Combinationen rechtwinkliger Säulensäle zurückführen lassen. Ja
selbst die Kreuzgewölbsüle der Thermen, die jedoch in augusteischer Zeit noch nicht nachweisbar
sind, aber zu den kostbarsten Errungenschaften der römischen Architektur gehören, entwickelten
sich unschwer aus dem Plane des sogenannten korinthischen Saales.
Der Autor bemerkt selbst am Schlüsse, dass der ägyptische Saal fast über die Gestalt von
Speisesälen hinausgehe und mehr den Basiliken ähnlich sei. Er spricht vom Hause des mittleren
doch reichen Römers, der ausser den Wohngemächern ein Tablinum, Speisesäle, Exedren und
höchstens einen Gemäldesaal brauche. In einem der folgenden Capitel führt er aber an, dass der
Mann von Stand und Würden für seinen Palast mehr thun müsse, „da seien hohe Atrien und
geräumige Säulenhöfe, Gartenanlagen mit ausgedehnten Promenaden, Bibliotheken und Gemälde-
säle und Basiliken nöthig, weil in ihren Häusern öfters sowohl Staats- als Privatberathungen
abgehalten und schiedsrichterliche Erkenntnisse gefällt würden. Der ägyptische Saal grenzt also,
und das liegt in jener Schlussvergleichung der oben angeführten Stelle (VI. 3, 8), über die Bedin-
gungen der Triclinien eines lediglich vermöglichen Bürgers bereits hinausgehend, schon nahezu
an die Privat-Basilica des römischen Würdenträgers. In der That ist, wie wir etwas vorgreifend
behaupten dürfen, der Unterschied nur der, dass im ägyptischen Saale der obere Gang der
Nebenräume unbedeckt, in der Basilica dagegen bedeckt ist, so dass es ganz unrichtig ist, in
Bezug auf die Ähnlichkeit den Umstand hervorzuheben, dass hier wie dort das Mittelschiff die
Nebenräume überragt; indem dies, wie noch gezeigt werden soll, kein ursprüngliches Charakte-
risticum der Basilica ist, und gerade umgekehrt der ägyptische Saal dadurch zur Basilica würde,
dass man die Seitenräume durch Bedeckuno: des oberen Umj^'anQ'es zur Höhe des Mittelraumes
brächte.
Auf die Beschreibung der Privatbasilica aber glaubt unser Autor nicht mehr eingehen zu
dürfen, da er bereits von der öffentlichen ausführlich gesprochen, obwohl er sehen musste, dass
die erstere theils durch natürliches Zurückbleiben, theils durch Vereinfachung oder durch die
von dem Coniplcx eines Hauses veranlassten Modificationen in eine andere Entwicklungsbahn
gerathen war, als er sie in der für die augusteische Zeit geltenden forensischen Normalbasilica
andeutet , um jedoch selbst von der Freiheit bei solchen Anlagen in seinem eigenen Gebäude zu
Fanum Gebraucli zu machen. Wenn wir also hierin gleichwohl von unserem Gewährsmann im
Stich gelassen werden, so dürfte doch die Behauptung keinen Einspruch zu erleiden haben, dass
die drei öffentlichen Basiliken, die wir aus augusteischer Zeit kennen, die Julia, die normale uml
die zu Fanum des Vitruv, auf die Gestaltung jener Privatbasiliken, die der in cäsarischer und
7*
46 Fbanz Eeber.
augusteischer Zeit lebende Autor als ans der letzten rcpublicanisclien Zeit stammend in Rom
kannte, keinen Eiufluss haben konnten. Da aber ebenso wenig bezweifelt werden kann, dass die
Privatbasilica als eine Übertragung- der forensen auf Privatverhältnisse zu betrachten sei , so
werden wir die forensen Vorbilder der zu ^'itruv's Zeit keineswegs neu eingeführten Privat-
basiliken in voreiisarischer Zeit zu suchen haben. Wenn es uns daher gelingt, die Gestalt einiger
Basiliken der Republik in ihren Hauptzügen festzustellen, so werden wir auch den Tvpus der
Privatbasiliken und den Urtypus der christlichen gewinnen. Damit sind wir an dem wichtigsten
Punkte unserer Untersuchung angelangt.
Erweislicli voraugusteisch sind nur vier römische Basiliken: die Porcia 5G9 d. St. (185
V. Chr.), die Fulvia (Amilia) 575 d. St., die Sempronia 585 d. St. und die Opimia wohl um 600
erbaut. Die Nachrichten über sie sind sehr spärlich und bis jetzt in Bezug auf die Gestalt dieser
Bauwerke so viel wie unbenutzt. Wird es mög-lich, aus ihnen wesentliche Ergfebnisse zu jjewin-
nen, so werden diese um so grösseren Werth haben, als wir es hier mit den ältesten Typen der
römischen Basiliken zu thun haben.
Die vier Basiliken lagen am Forum Romanum. Iln-e genaue Lage könnte uns hier, da wir
blos die Gestalt dieser Gebäude zu ermitteln streben, o-leicho'ültig' sein, wenn nicht ihre Grenzen.
- O Co
der beschränkte oder weitere Raum auch für ihre Gestalt von grosser Bedeutuncr wären. Die
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Erledigung der topographischen Frage würde aber grossen Raum ei-fordern, wenn ich mich nicht
hiebei zum Theil auf meine Abhandlung ^Die Lage der Curia Hostilia und der Curia Julia-.
M. 1S5S, undauf meine ^Ruinen Roms-, Leipz. 1863, beziehen könnte. Drei von den genannten
vier Basiliken lagen an der nordöstlichen Langseite des Forum, nemlich die Porcia, die Opimia
und die Fulvia, wie durch die wenigen zu Gebote stehenden und noch im Einzelnen zu erörtern-
den Nachrichten darüber gesichert erscheint. Ich habe nun in der obengenannten Abhandlung
erwiesen, dass die Curia Hostilia wie deren Neubau durch Sulla an derselben Langseite und
zwar ungefähr in der Mitte, doch etwas näher am Carcer als am Faustinentempel sich befunden
haben müsse, und dass diese Curie südöstlich eine Substruction neben sich hatte, welche Vul-
canal hiess, am vorderen Rande zur Gräcostasis, rückwärts aber zum sogenannten Senaculum
eingerichtet war und in der Mitte die Aedicula der Concordia des C. Flavius trug. Ich brauche
hier nicht abermals auf die Beweisführung einzugehen, einerseits haben jene Behauptungen
keinen Widerspruch erfahren, anderseits hätte ein solcher auch factisch keinen Boden, da die
beiden anderen allenfalls in Frage kommenden Seiten des Forums (die vierte, nämlich die süd-
östliche Schmalseite kann bei einer Breite von wenicr mehr als 20 Meter hier niclit in Betracht
gezogen werden) vollkommen aufgedeckt sind und durch ihre erhaltenen Reste den Curiacomplex
daselbst unmöglich machen.
Die Basilica Porcia wird „mit der Curia verbunden''(Asconiusin Cic. Mil. Arg. §. S;und
an der Stelle der ^Häuser des Mänius und Titius in den Lautumien" (Liv. XXXIX. 44) genannt.
Dass im Bereiche der Lautumien das Tullianum lag, welches unter dem Namen Carcer Mamer-
tinus am Fusse des Hügels von Araceli noch erhalten und als solches völlig gesichert ist, lässt sich
bei Varro L. L. ^ . 23. \). 150 sp. Sp. zwischen den Zeilen lesen: da man aber darüber streiten kann
(vgl. Becker H. d. röm. Alterth. I, S. 262 fg.), so genügt es für unsern Zweck, jene Notiz des
Asconius „et basilica Porcia, quae erat ei (curiac) juncta- festzuhalten. Diese will offenbar sagen,
dass die Porcia an die Substruction der Curia „angebaut" war; da aber dies nicht auf der süd-
östlichen Seite der Curia sein konnte, weil hier die Substruction des Vulcanal mit Gräcostasis
und Senaculum unmittelbar an die Curia stiess, so musste es an der nordwestlichen Seite sein,
und sonach lag die Basilica Porcia zwischen der Curia und dem Carcer. Z estermann glaubte
einen weiteren Ausweg mit der Behauptung zu finden, dass die Basilica Porcia nicht am Forum
nE
UnFOßM DEK RÖMISCUEN BaSILICA. •* •
selbst lag:, sondern etwa riickAvärts an die Curia angebaut gewesen sei. Es würde vielleicht aus-
reichen, dagegen den'classisch verbürgten Begriff der Basilica „als einer gedeckten Erweiterung
eines Forums'' (vgl. Cic. ad Att. IV. 16 s. oben) anzuführen, welcher nicht erlaubt, daraus ein
Hintergebäude mit irgend welchem obscuren Zugang zu machen. Es steht Zestermann aber auch
eine direete classische Notiz entgegen: Plutarch (Cato maj. 19) sagt ausdrücklich, dass Cato die
Porcia am Forum erbaute „t^ ayopa 7:ap£|3aXs", und wenn er hinzufügt, unter der Curia „ütcö to
|3ouk'jT7;piov'' so erklcärt sich dies am befriedigendsten mit der philologisch kaum zu missbilligen-
den Übertragung „zu Füssen der Curia", indem ja die letztere, wie oben belegt worden ist, einen
erhöhten Unterbau mit namhafter Freitreppe hatte, während das Paviment der Basiliken über das
der Fora sich nur wenig zu erheben pflegte.
Wenn sonach niclit zu bezweifeln ist, dass die Basilica Porcia als am Forum liegend einer-
seits nicht weit vom Carcer entfernt sein konnte und anderseits an die Substruction der Curia
sich anlehnte, so stehen wir der Beantwortung der Frage schon zienüich nahe, welche Gestalt
ganz im allgemeinen diese Basilica gehabt haben müsse. Wir dürfen dazu nur in der Lage sein,
die beiderseitigen Grenzen der Gruppe jener drei aneinanderstossenden Anlagen, der Porcia, der
Curia und des Vnlcanals annähernd bestimmen zu können. Hiefür ergibt sich von selbst an dem
einen Ende (nordwestlich gegen das Capitol hin) der Carcer oder vielmehr die vor demselben
vom Forum weg in der Richtung gegen den Quirinal führende Strasse (jetzt Via di Marforio), von
deren Existenz wie Richtung abgesehen vom Bedürfnisse die östliche Eingangsseite des Carcer
bestimmtes Zeugniss gibt. Auch die andere südöstliche Seite der Gruppe musste eine nicht minder
gesicherte Strasse begränzt haben, welche vom Forum in nordöstlicher Richtung gegen die
Subura hinführte. Der Ausgangspunkt der letzteren ungefähr in der Mitte der durch Carcer und
Faustinentempel begränzten nordöstlichen Forumlangseite abzweigenden Strasse ist durch die
Laffe und Richtung- der schönen, unter dem Namen Colonnacce bekannten Ruine zuverlässig
angedeutet. Denn jene von der südöstlichen Umfriedung des Nerva-Forum herrührende Ruine
gibt die Richtung dieser sclimalen Anlage, welche, zwischen dem Augustus- und Pax- (Vespasian-)
Forum eingekeilt, nur durch die sie der Länge nach durchschneidende Hauptstrasse vom Forum
nach der Subura Bedeutung und die Namen Forum Transitorium (Lampridius Alex. Sev. 28)
und Pervium (Aurel. Vict. Caess. 12) erhielt. Die Lage der drei genannten Kaiserfora und
besonders des mittleren Nervaforum aber macht es unzweifelhaft, dass jene Hauptstrasse nicht
mehr als 20 Meter südöstlich von der jetzigen Kirche S. Adriano vom Forum abzweigte, und
so ero^ibt sich für die drei orenannten aneinanderstossenden Räumlichkeiten des Forum, B. Porcia,
Curia und Vulcanal nur ein Raum von ziemlich genau 80 Meter.
Was davon die Curia Hostilia in Anspruch nehmen musste, können wir annäherungsweise
aus ihrer Bestimmung entnehmen. Sie war als ein Versammlungssaal für wenigstens 300 Raths-
mitglieder eingerichtet, wir dürfen sie also nicht'zu klein uns vorstellen. Der Tempel der Dio-
scuren wie der Tempel der Concordia, beide gelegentlich zu Senatssitzungen benutzt, messen,
wie die Ruinen zeigen, der eine 33, der andere 45 Meter in der Fronte. Ziehen wir aber auch m
Betracht, dass der erstere ein Peripteros und demnach die Cella verhältnissmässig kleiner war
als die Fronte und dass der letztere aus den oben angeführten Gründen nur eine geringe Tiefe
hatte, so werden wir doch bei der Curia im Frontemass nicht zu weit zurückgehen dürfen. Denn
würde man den iedem Senator zucrewiesenen Raum mit Einrechnung der freien Durchgange
u. s. w. durchschnittlicli auf V/., Meter im Gevierte annehmen, so ergäbe sich, wenn wir uns der
Cellaform entsprechend je 20 Stühle in der Länge und je 15 der Breite nach aufgestellt denken,
eine innere Cellenbreite von 22% Meter, welcher gering angeschlagen eine äussere Breite von
26 Meter entsprechen dürfte. Eine ungefähr ebenso grosse Breite müssen wir der Substruction
48 FuASZ Reber.
des Vulcanal, welche die Grilcostasis, die Aedicula der Concordia und das Senaculum enthielt,
zuschreiben, nnd so bleibt für die Basilica Porcia nicht viel mehr übrig, nemlich ungefähr
28 Meter. Dass aber dies oder selbst auch darüber , nicht für die Langseite einer Basilica
o-enügte. welche z. B. an der Basilica Julia 101 Meter, an den beiden anderen uns in Ruinen
erhaltenen heidnischen Basiliken Roms, der Ulpia und der Constantiniana, sogar noch etwas mehr
betrug, liegt auf der Hand: es kann sonach die Basilica Porcia nur mit der Schmal-
seite ans Forum gegrunzt haben.
Wir besrnüfren uns iedoch mit diesem in Bezusr auf die christliche Basilica wichtifren Er-
fi^ebniss nocii keinesweors, sondern hoffen den vorhandenen dürftigen Notizen über die Porcia
auch noch einiges weitere hinsichtlich ihres Planes abzugewinnen. Plutarch berichtet nämlich
(Cato min. 5), dass die Volksti'ibunen , welche die Basilica Porcia als Amtslocal zu benutzen
pflegten, eine Säule ihren Stühlen hinderlich fanden, und daher beschlossen, diese Säule ganz
weg:zunehmen oder zu versetzen, welche Absicht den iünoreren Cato zum ersten öffentlichen
Auftreten und zur Opposition gegen eine solche Verstümmlung des ehrwürdigen Gebäudes zwang.
Da es sich hier ohne Zweifel um das Innere handelt, so erfahren wir zunächst aus dieser Stelle,
dass die Basilica, wie das auch ihrem Wesen als Stoa zukam, innen durch Säulen gegliedert war.
Der Umstand ferner, dass eine Säule den Stühlen der Volkstribunen hinderlich gewesen sei,
setzt jedenfalls voraus , dass diese Stühle nicht innerhalb des Mittelraums aufgestellt waren und
dort die Verhandlungen gepflogen wurden, weil in diesem Falle von keinem Hindemiss durch
eine Säule die Rede sein konnte, sondern ausserhalb in den Seitengängen, welche in den bekann-
ten profanen Basiliken den Mittelraum stets (mit alleinigem Ausschluss der Constantiniana) an
den vier Seiten umo-aben. Es ist auch vollkommen erklärlich, dass den an iro^end einer Stelle der
Nebenschiffe sitzenden Volkstribunen der Amtsverkehr mit den zu Zeiten wohl noch in den
Mittelraum hinein sich ausbreitenden Betheiligten durch ein Intercolumnium hindurch etwas
beengt war und desshalb eine Abhülfe durch Beseitigung einer Säule sehr wünschenswerth
erschien. Doch auch ein Laie in der Architektur wird sofort gewahren, dass man eine Säule nicht
beseitigen konnte, ohne auch wegzunehmen, was sie vorher trug, nemlich das von den beider-
seiticj benachbarten Säulen her auf sie o-eletrte Gebälk, die von diesem g-etra^-enen Deckbalken
des Erdgeschosses der Umgänge und die der unteren entsprechende Säule des Obergeschosses
sammt ihrem Gebälktheile : der obere Umgang musste demnach da, wo die Säule weggenommen
werden sollte, eine Unterbrechuno- erfahren.
Eine solche ständige und wesentliche Umtrestaltunor aber konnte nur an der Stelle verlanjft
werden, wo die Obrigkeit ständig ihren Platz hatte, und diese hervorragende Localität kann
selbstverständlich nur dem Eing-anof o^ecpenüber, d. h. an der, der Einsranorsseite g-eprenübcrlieg-en-
den Seite angenommen werden. Ich sage selbstverständlich, denn von demjenigen, welcher hiefür
nach einer anderen Stelle etwa an den beiden Langseiten rechts oder links oder gar an der Ein-
gangsseite selbst tasten wollte, würde ich verlangen, den Hauptaltar einer Kirche, den Thron
eines Thronsaales, die Richterbühne eines Gerichtssaales oder die Präsidialtribüne eines Par-
lamentsaales in einem Winkel oder wenigstens seitwärts zu suchen. Wenn aber der Raum für die
öffentlichen Verhandlungen der Volkstribunen und wohl auch anderer Magistrate ständig in dem
Nebenschiffe an der dem Eingange gegenüberliegenden Schmalseite war, so dürfen wir auch
annehmen, dass derselbe hiefür besonders gestaltet und ausgezeichnet war, und dass man ihn
als den Sitzungsraum (die cui-ia basilicae vgl. Gruter I. p. 444, 2) geräumiger herstellte, als die
Nebenschiffe im übrigen gewesen sein konnten. Ich trage keinen Augenblick Bedenken zu glauben,
dass schon hier die den meisten heidnischen und fast ausnahmslos allen christlichen Basiliken
elgenthümliche Exedren- oder Apsidenbildung vorhanden war, welclie ich immer da annehmen
Die Uefoum deu komischen Basilica. ■*«'
zu müssen glaube, wo das Tribunal nicht im Mittelraume aufgeschlagen war, was gerade von
dieser Basilica durch Plutarch's Notiz von der Süulenw^egnahme speciell in Abrede gestellt wird.
Denn ohne Exedra oder Apsis lässt sich in einem besonders bei verhältnissmässig kleinen Dimen-
sionen des Ganzen schmalen Nebenraume kaum ein passender Platz für öffentliche Gerichts-
oder andere Amtsverhandlungen denken, und anderseits wird es jeden Architekten in Verlegen-
heit setzen, die Unterbrechung des zweistöckigen Corridors zu construiren, wenn nicht die Ein-
fiio-ung einer horizontal oder zeltartig überdeckten Exedra oder einer halbkuppelförmig ül)crwölb-
ten Apsis unterstützend und ansprechend zu Hilfe kömmt. Exedren aber, die von gleicher Höhe
wie die Säulenumgänge zu decken sind, halte ich für näher liegend, so lange die Säulengänge
um alle vier Seiten herumgeführt sind, während höhere, halbkuppelförmige Apsiden (in der Art
wie sie am Venus- und Romatempcl wie an der Constantiusbasilica noch zu sehen) wahrschein-
licher sind bei solchen Anlagen, in denen die Säulengänge wenigstens an der Seite der Aus-
beus^uno: unterbrochen sind.
Jedem aber, welcher sich die Ergebnisse der Forschung durch Risse zu vergegenwärtigen
sucht, wird dadurch völlig klar werden, dass die Notiz von der beabsichtigten "Wegnahme einer
Säule die Unmöglichkeit einer auf die doppelte Säulem-eihe gelegten, die Seitenschiife überra-
genden Fenstenvand voraussetzt. Denn mit der Wegnahme der einen Säule wäre nicht blos die
entsprechende Säule des Obergeschosses, sondern nothwendig auch das daraufruhende Stück der
Fensterwand in Wegfall gekommen, wenn eine solche die Seitenschiffe überragte, und es wäre
dann nothwendig eine Lücke entstanden, welche auszufüllen nur dann gelingen konnte, wenn
man zur Veränderung der Stützen griff, um mit einer Art Triumphbogen nach Analogie der christ-
lichen Basiliken oder mit einem Ausbau des Mittelschiffes bis an die Apsis nachzuhelfen. Gerade
die constructiven Schwierigkeiten bestimmen mich, die Oberwand des Mittelraumes um so mehr
zu negiren, als sie in unserem Falle überhaupt nur dann entschuldbar wäre, wenn es an sonstiger
Lichtzufuhr gebräche. Denn eine Wand auf ein Oblongum von doppelt übereinander gesetzten
Säulen zu stellen, würde ausserordentlich s'ewao^t sein und könnte nur im äussersten Nothfalle
erwartet werden. Unter den gesicherten forensen Basiliken ist auch, wie schon oben erwiihnt
wurde, die Überhöhung des Mittelraumes nur an zweien zweifellos, nämlich an der von Vitruv
geschilderten zu Fan um und an der letzten der bekannten, der Constantiniana, und in diesen
beiden Fällen liegen keine doppelgoschossigen Säulenstellungen vor. Von anderen ist sie ganz
ungewiss, indem das Erhaltene nicht ausreicht, ein vollgültiges Urtheil zu ermöglichen. Von drei
forensen Basiliken aber lässt sich das Gegentheil als sicher annehmen, nämlich von der Vitruv'-
schen NoiTualbasilica, deren sonst ausreichende Beschreibung von der Überhöhung keine Andeu-
tung gibt, von der Porcia aus den angeführten structiven Gründen, und von der Aemilia, nach
einer Münze des Lepidus, wovon unten. Ich bestreite sonach, dass die Überhöhung des
Mittelschiffes zu dem Charakteristischen der Basilica gehörte, und glaube, dass diese
noch jedes structiven Grundes entbehrte, so lange die forensen Basiliken wenigstens auf drei
Seiten, wenn nicht auf allen durch die Aussenwand des Säulenumgangs völlig freien Lichtzugang
hatten, und dass sie so^ar ein sfewaoftes, besonders den Ecksäulen kaum zuzumutliendes Experi-
ment wäre, so lange sie ohne Wandabschluss und Widerlager lediglich auf einem Säulenoblon-
gum ruhen müsste.
Wir können in der Entwicklung der Gestalt der Porcia noch w^eiter gehen. Die obige Notiz
des Plutarch beweist nämlich, dass die Säulenzahl an der Seite des Inneren, wo eine Säule zum
Zweck der Verbindung des Hauptschiffes mit dem Sitzungsraume fallen sollte, eine ungleiche
war, denn sonst könnte nicht von der Beseitigung einer (Mittel-) Säule gesprochen werden. Wir
dürfen nun nach unserer Darlemmgr der räumlichen Verhältnisse an diesem Theile der nord-
so
Fbanz KtBEn.
Fiff. 1.
Östlichen Lan;:;'-
seite des Fo
rnms der Basi-
Hca im ln'kli-
sten Pralle eine
Fronte von der
Proite des okta-
stylen Castor-
tenipels anwei-
sen, und einer
solchen würden
im Innern fünf
Säulen an jeder
Sclmialseite wohl cntspreclien. Man denke sich die mittelste davon weg-, und wird die Absiebt
der Volkstribunen, welche allerding-s der catonisehe Conservatismus — wie es scheint, mit Erfoljr
bekämpfte, verkörpert finden. Merkwürdig-, dass in diesem Plane der Volksti-ibnnen schon jener
Fortschritt ausgesprochen lag, den wir in der christlichen Basiliea finden, die Unterbrechun g
der ringsumgeführten Nebenräume zu Gunsten derApsis, die Umbildung in die
eigentliche Mehrschiffigkeit des Ganzen durch eine lediglich nach einer Rich-
tung ausgeführte Parallel-Gliederung.
Auch bezüglich des Ausseren der Fronte sind wir nicht g-anz ohne Andeutmi"^. Vor allem
ist festzustellen, dass von den fi-ühesten Zeiten her das Forum mit Portiken um"-eben war, welche
sich vor die Privathäuser und Tabernen legten und in ihrem flachen Dache passende Schaubüh-
nen für die bis zu Ende der Republik auf dem Forum abgehaltenen Gladiatorenspiele darboten.
Derjenige nun, welcher Privatgebäude und Tabernen mit den dazu gehörigen Portiken erwarb,
um an ihrer Stelle Basiliken anzulegen, würde keineswegs alle befriedig-t haben, wenn er nicht
die Säulenhalle mit ihren schattigen Gängen unten und Schauterrassen oben belassen oder sie in
Verbindung mit der neuen Anlage neu hergestellt hätte. Dies vorausgesetzt wird man die Notiz
eines Scholiasten (Pseud. Ascon. ad Cic. Div. in Caec. 16 cf. Isidor. Orig. XV. 3, 11) verstehen,
welche besagt, dass Mänius, als er sein Haus an die Censoren Cato und Flaccus zum Zweck der
Anlage einer Basiliea verkaufte, sich das Recht auf eine Säule vorbehielt, über welche er an der
entsprechenden Stelle des Daches ein balkonartig vorspringendes Gerüst zimmern liess, von wo
aus er wie seine Nachkommen bei den Gladiatorenspielen zusehen konnten. Unser Gewährsmann
bringt dies freilich mis.sverständlich (wie schon Becker H. d. r. A. S. 300 Anmerkung 519
bemerkt) mit der Ehrensäule des Mänius, 338 v. Chr. für einen Sieg über
die Latiner errichtet, in Verbindung, an welcher sich allerdings kein bal-
konartiges Schaugerüst annehmen lässt; über einer Säule der zu Mänius'
Besitzungen gehörigen Porticns aber ist ein solcher Familienbalkon ebenso
denkbar, wie der Vorbehalt durchaus verständlich ist, dass der vormalige
Besitzer des Grundstückes auch nach der Anla"-e der Basiliea noch das
gleiche Recht auf eine Säule oder vielmehr das derselben entsprechende
Dachstück haben sollte. Dass natürlich hier nur von den Säulen der Vor-
halle die Rede sein kann, braucht kaum bemerkt zu werden, und so kann
es keinem Zweifel unterliegen, dass der Porcia eine an die Stelle der vor-
maligen Tabernenporticus gesetzte, vielleicht sogar theilweise belassene,
Fig. 2. wahrscheinlich octastyle Säulenvorhalle vorgelegt war. Diese aber, nicht
Die Urform der römischen Basilica.
Sl
zu venvecliseln mit dem auch an der Fronte herumgeführten muthmasslich zweistöckigen Neben-
schiffe, war in sehr schwacher Neigung puhartig und weit vorspringend bedacht und die Dachung
am Rande mit Geländern versehen, welche Einrichtung sich als so zweckdienlich erwies, dass
unter des Mänius Namen (Maeniana) solche balconartige Dächer der Forenportiken für diesen
Zweck ganz allgemein wurden (Vitruv. V. 1. Cic. Acad. IV. 22. Min. XXXV. 10. n. 113. Paul.
Diac. p. 135).
Nach dieser Darlegung- wird niemand die Möglichkeit bestreiten können, die älteste römi-
sche Basilica zu reconstruiren, was ich hiermit zum erstenmale versuche.
Die beigefügten Risse geben den Plan der Porcia mit zwei Längendurchschnitten, von
welchen der erstere die Gestalt der Basilica in der ursprünglichen Anlage, der zweite die nach
Plutarch von den Volkstribunen beabsichtigte Umänderung zeigt. Selbstverständlich ist daran
Fig. 3.
manches conjectural, da ja hinsichtlich der Details nur Vermuthungen möglich sind : wie die Lage
der Treppen zum Obergeschosse, die Formen von Thüren und Fenstern, die Gestalt und Bedec-
kung der Apsis, die Säulenformen u. dgl. Doch war ich in allen diesen Dingen bestrebt, der
"Willkür keinen Raum zu gewähren. Ich habe die Treppen, da es durchaus nicht statthaft schien,
an einem Gebäude des Forums die Vorhalle damit zu beeinträchtigen, an der zweifellos passend-
sten Stelle angeordnet. Die Formen von Thüren und Fenstern sind den römischen Theatern und
Amphitheatern wie der Basilica Julia entlehnt und demjenigen gewiss nicht widerstrebend, welcher
derartige römische Monumentalbauten kennt. Für die Apsis wählte ich die Planform, wie sie die
Porticus apsidatae zeigen und hielt mich in Bezug auf die Grösse sowohl an jene Vorbilder wie
an die zwei Intercohimien zu beiden Seiten der beanstandeten Säule, in Bezug auf Höhe und
Bedeckung aber an den oben S. 49 ausgesprochenen constructiven Grundsatz, wonach bei der
lU'sprünglichen Anlage mit ringsum geführtem Säulenumgang eine niedrige horizontal gedeckte
Ausbeiigung (Fig. 1), nach der beabsichtigten Unterbrechimg dieses Säulenumgangs aber eine
höhere halbkuppelförmig gewölbte Apsis (Fig. 2 und 3) wahrscheinlicher ist. Die Säulen- und
Gebälkformen vergegenwärtigen jene Mischung von dorischem und etrurischem Styl, wie sie das
Theater des Marcellus , der Tempel von Cori u. s. w. zeigen und wie sie Vitruv als dorische
Ordnung beschreibt, die aber vielmehr als die eigentlich römische denn als die toscanische zu
betrachten ist. Da auch hiefür die römischen Theater und Amphitheater als Vorbilder vor-
schweben mussten, so mag man vielleicht beanstanden, dass das Obergeschoss nicht in ionischer
XIV. 8
Oi
2 Frasz Reber.
Ordnuii? auso-eführt sei. wie nm Marcellustheater: wog-egen ich nur. ohne aber dies für unmöglich
zuhalten, daran erinnern will, dass die Basilica des schlichten Cato fast iöO Jahre vor dem Mar-
cellustheater entstand. Was aber die Bedeckung beti-iftt. so wäre jede Reconstruction der Balken-
lage willkührlich, ich begnügte mich daher damit, lediglich die lacunarienartig vertäfelte Holz-
decke anzudeuten, das übrige der Muthmassung überlassend, namentlich auch die Entscheidung
der Fräse, ob ein nach den vier Seiten abfallendes Dach, wie ich es gezeichnet habe, oder ein
Giebeldach wahrscheinlicher sei '.
Man wird daraus ersehen, dass die christliche BasiHca in ihrer t\-pischen Gestalt dieser ältesten
römischen Basilica viel näher stand als den forensen Basiliken der Kaiserzeit, der Julia, den beiden
Vitruv'schen, der Ulpia, der Constantiniana. und dass vielmehr die letzteren den ursprünglichen
Tvpus höchst mannigfach alterirten. wälu-end er in der Privatbasilica. von welcher aus die christ-
liche ihren unmittelbaren Ausgangspunkt nahm, sich nur in einigen noch zu erörternden Verein-
fachungen modificirte.
Es wäre nun freilich sehr erwünscht, dieselbe Gestaltung, T\'ie wir sie au der Porcia ent-
wickelt haben, auch an den folgeuden Basiliken des römischen Forums aus der republikanischen
Zeit erweisen zu können. Allein die Nachrichten über diese sind so spärlich und unbefriedigend,
dass wenig mehr als die Frage entschieden werden kann, ob sie die Laug- oder die Schmalseite
als Fronte gegen das Forum richteten.
An derselben Seite des Forums wie die Porcia lagen noch die Basilica Fulvia und die
Opimia. erstere fünf Jahre nach der Porcia (575 d. St.), letztere wohl vor 600 d. St. angelegt.
Die Nachrichten über die letztere beschränken sich ausser einer unsicheren Hinweisung (Cic. p.
Sext. 67) und einigen inschriftlicheu Erwähnungen ohne weitere Bedeutung (^larini. Atti de" fra-
telli Ai-vali tom. I. p. •212) auf eine Notiz bei Van-o 1. 1. V. 32 p. 156): ^Senaculum supra Graeco-
stasin, ubi aedes Concordiae et Basilica Opimia-. aus welcher nichts anderes her\'orgeht, als
dass diese Basilica bei Senaculum, Graecostasis und aedes Concordia des Fla%-ius lag. den drei
Bestandtheilen des Vulcanal, wie in meiner obengenannten Abhandlung (c. 8) ausgeführt worden
ist. Doch habe ich damals mich noch nicht losg-erissen von der o-ewöhnlichen ai'anz falschen An-
nähme, welche bei topogi'apliischen Schwierigkeiten forense Basiliken ohne weiteres hinter andere
Gebäude verweist, während sie doch sowohl der Natur der Sache nach als „ Erweit erimgen des
Forums'^ (vgl. S. 38.) nothwendig mit dem Forum in unmittelbarer Verbindung stehen mussten,
d. h. höchstens Tabernen an der Fronte ertrugen, wie das einst und jetzt an %nelen öffentlichen
Gebäuden üblich wai- und ist. Die Basilica Opimia musste demnach, wenn sie neben dem Vul-
canal lag und ans Forum grenzte, an der Südostseite des ersteren lieffen. da die Südwestseite
des Vulcanals unmittelbar an die Curia Hostilia stiess, wurde jedoch nothwendig von dem Vul-
canal getrennt durch die besprochene vom Forum nach der Subura führende Strasse.
An die Basilica Ojiimia musste dann die Basilica Fulvia angrenzen und den Rest der nord-
östlichen Langseite des Forums einnehmen, wie aus dem Bericht des Livius (XL. 51): _M. Fulvius
erbaute die Basilica hinter den neuen Wechslerbuden (post ai-gentarias novas)'- hervorgeht. Die
Tabernen. ursprünglich das ganze Forum umgebend oder wenigstens an den beiden Langseiten
sich hinziehend, und von verschiedener Art, nemlich Fleischerbuden (Liv. HL 48, Dionys.
XL .37), Schulstuben (Liv. HL 44, Dionys. EX. 28). Wechselbuden u. s. w., hatten sich, von den
öffentlichen Gebäuden "mehr und mehr verdrängt . allmählig sowohl in Bezug auf den Raum als
auch in Bezug auf ihre Bestimmung zusammengezogen. In Cicero's Zeit scheinen sie schon vom
Comitium ganz verschwunden und auf das Forum im engeren Sinne (Südwesthälfte des Forums
im weiteren Sinne) beschränkt gewesen zu sein, wie wirsie auch geradezu als argentariae d. h. als
' Die Zeichnungen besorgte H. Riewel, den Schnitt F. .Schmidl.
Die Urfohm der römischen Basilica. S3
Banqiiier- oder Wechsleriocale begegnen. Cicero nun nennt (Acad. IL 22) die argentariae veteres
schattig, die novae dagegen der Sonne ausgesetzt, woraus mit Recht geschlossen wurde, dass die
letzteren an der Nordostseite des Forums lagen und somit gegen Südwest sahen. Daraus
folgt dann weiterhin von selbst, abgesehen von anderen Argumenten, dass die Basilica
Fulvia als „hinter den argentariae novae" liegend, an der nordöstlichen Langseite des Forums
sich befand.
Es ist aber nach dem Obigen für die Fulvia an keine andere Stelle dieser Forumseite mehr
zu denken, als an den Raum neben dem noch erhaltenen Tempel des Antoninus und der Faustina,
welcher selbst auch nicht an die Stelle der Basilica getreten sein kann, da letztere noch nach der
Verlegung des Herrschersitzes von Rom nach Byzanz erwähnt wird (Curios. Urb. Rom. Reg. IV.)
Es bleibt demnach auch hier nur ein bestimmt limitirter Raum von nicht einmal 70 Met. Fronte-
länge zwischen der obenerwähnten vom Forum Romanum über das Forum Transitorum nach der
Subura führenden Strasse bis zu der Strasse auf der linken (nordwestlichen) Seite des Faustinen-
tempels, welcher jedenfalls ganz frei stand, für die Opimia und Fulvia übrig, worin ein werth-
volles Resultat für die Gestalt der beiden Basiliken liegt. Die Fronte des gegenüberliegenden
Castortempels mass 35 Met., und es wird niemandem beifallen, ein gleiches Mass, wie es sich
durchschnittlich für eine der in Rede stehenden Basilikenfronten ergibt, für deren Langseiten in
Anspruch nehmen zu wollen. Es folgt also, dass auch diese beiden Basiliken ihre Schmalseiten
als Fronten gegen das Forum gekehrt haben mussten.
Wenige Gebäude jedoch haben durch Verschönerungen, Restaurationen und Neubauten
wie durch die widersprechendsten Erklärungen der darüber vorliegenden classischen Stellen
von Seite der Archäologen und Topographen so mannigfache Schicksale gehabt, wie die Basi-
lica Fulvia oder richtiger Inüvia et Aerailia wie sie von den beiden sie gründenden Censoren
M. Fulvius Nobilior und M. Aemilius Lepidus (später als die Aemilier sich besonders um das Ge-
bäude annahmen, sogar überwiegend mit dem letzteren Namen) genannt wurde. Plinius zunächst
berichtet (XXXV. 3, 4), dass M. Aemilius Lepidus seine Ahnenbilder (die unter dem Namen
clipei bekannten Porträtmedaillons) in der Basilica Aemilia aufliing. Wir würden die Stelle der-
selben auch ohne weitere Kunde an dem Gebälk oder Brüstungsgürtel zwischen der unteren und
oberen Säulenreihe sxichen, zumal auch die Papstmedaillons in cliristlichen Basiliken auf diese
Stelle hinweisen, haben aber zu dieser Annahme eine unabweisbare Veranlassung durch eine Münze,
welche mit Bezug auf diese Ausschmückung das Innere der Basilica darstellt und die clipei
deutlich an jener Stelle zeigt. In Rücksicht auf die obige Notiz des Plinius hätte Zestermann
nicht daran denken sollen, die bei ihm (Tab. II, Fig. 8) abgebildete Münzdarstellung für die
Vorhalle der Basilica zu nehmen, und noch weniger Becker (H. d. r. A. S. 307. Anmerk. o9)
die Aussenseite einer Langseite an derselben zu suchen. So wenig Bedeutung indess an sich die
Geschichte von den clipei vom architektonischen Standpunkt aus hat, so gibt uns doch gerade
diese Münze einen andern höchst bedeutenden Avifschluss. Sie zeigt nämlich die zwei Säulen-
geschosse mit zwischenliegenden schildgeschmücktem Gebälk, jedoch keine Wandüberhühung
mit Fensterbildung, sondern unmittelbar über der oberen Säulenreihe die Decke. Es lässt sich
vom Ungeschick sprechen, mit welchem diese halb perspectivisch hergestellt ist, allein es lässt
sich nicht leugnen, dass hier Decke und Dach, auf keinen Fall aber eine überhöhte Fensterwand
gemeint ist, und somit haben wir in dieser Münze ein weiteres Document für die Behauptung, dass
jene Überhöhung des Mittelschiffes nicht als ein ursprüngliches Charakteristicum der Basilica
zu betrachten sei.
Von nicht minder grosser Wichtigkeit ist die bisher nicht gelungene Erklärung einer Stelle
bei Cicero ad Att. IV. 16: „Paullus iu medio foro basilicam iam paene texuit iisdem antiquis
d4 Franz Reber.
columnis: illam auteru, quam locavit. facit maornificentissimam. Quid quaeiis? Nihil gratius illo
monumeuto. nihil gloriosius. Itaquc Caesaris amici. — nie dico et Oppium, dirumparis licet —
in moiiumentuni illud, quod tu tollere laudibus solebas, ut forum laxaremiis et usque ad atrimu
Libertatis explicaremus, contempsimus sexcenties HS. Cum privatis non poterat transigi minore
pecunia". Indem man dies stets so interpretirte: „Paullus hat an der Mitte des Forum die Basi-
lica nun beinahe mit denselben alten Säulen hergestellt, jene aber, welche er in Accord gegeben
hat, baut er höchst prachtvoll" glaubte man zwei Basiliken annehmen zu müssen, eine von Aemilius
Paullus restaurirte und eine von demselben neu gebaute. Weil aber weiterhin und in allen Erwäh-
nungen nur von einer Basilica Aemilia gesprochen wird, kam B unseu auf den Gedanken, daraus
eine Doppelbasilica zu bilden, wozu er die bekannten capitolinischen Planfragmente, welche
jedoch zum grösseren Theile für die Ulpia gehören, in Anspruch nahm. Die Uuthunlichkeit dieses
Verfahrens hat Becker gezeigt (T. 302 flg.), so dass es überflüssig ist noch darauf aufmerksam
zu machen, dass für einen so langgedehnten Bau au der nordöstlichen Langseite des Forum kein
Raum zu finden wäre. Doch hat Becker keine begründetere Behauptung an die Stelle der Bun-
sen'schen zu setzen gewusst, indem er die Yermuthung aufstellte, da^■s mit dem Neubau des
Paullus die Basilica Julia gemeint sei. Die dafür beigebrachten Gründe sind so schwach, dass
man schwer begreift, wie Becker überhaupt mit solchen operiren wollte, und auch was Zester-
mann (S. 63. Anm. ISO) dafür ins Feld schickte, befriedigt ihn selbst so wenig, dass es trotz der
Geneifftheit für die Becker'sche Vermuthung auch ihm scheint ..als ob Cicero hier nur von einem
Baue spräche".
Dies ist auch entschieden der Fall und bei genauerer Betrachtung der Stelle muss der
Gedanke an zwei Basiliken vollkommen schwinden. Was sollen wir uns denn unter dem ..iam paene"
denken, wenn wir der obenangefühi-ten Interpretation folgen wollen? Hierin liegt doch gewiss die
Nutzlosigkeit des bereits fast vollendeten Baues ausgesprochen. Ich muss mir daher erlauben,
eine andere Interpretation vorzuschlagen: ..Paullus hatte die Basilica in der Mitte des Forum unter
Belassung der alten Säuleu bereits fast wieder unter Dach gebracht, da begann er sie von Grund
auf neu bauen zu lassen und stellt sie, nun auf das prachtvollste her". Dann fähi-t Cicero fort:
,. Welcher Einfall! wirst du sagen. — Als ob es etwas beliebteres uud etwas ruhmvolleres gäbe als
jene öffentliche Anlage ! Desswegen haben auch wir Freunde Cäsars (ich nenne nämlich — auch
wenn du dies übel aufnimmst — mich und den Oppius so) für dies Gebäude, das du so sehr
zu rühmen pflegtest, sechzig Millionen Sesterzen nicht augesehen, um dadurch das Forum noch
mein- zu erweitem und es bis an das Atrium Libeitatis auszudehnen ; für einen geringeren Preis
konnte man nämlich mit den Privatbesitzern nicht zurecht konuuen".
In dieser Stelle ist jedenfalls auch auf eine Vergrösserung des ursprünglichen Planes hin-
gedeutet, sowohl durch die Erwähnung des hohen für abgelöste Privatgrundstücke bezahlten
Preises, wie auch durch den Umstand, dass nun die Anlage bis zum Atrium Libertatis sich
ersti'eckte. Von der Lage dieses zwar mehrfach erwähiiten Atrium wissen wir allerdings sonst
nichts, doch kann es niu- da gesucht werden, wo nachmals Forum und Templum Pacis angelegt
wurde, nämlich nordöstlich vom Forum weg gegen die Carinen hin : denn an der Stelle des nach-
maligen Faustinatempels kann es nicht angenommen werden, weil sich bis zu dieser die Basilica
Fulvia schon in ihrer ersten Anlage erstreckt haben musste, wie oben gezeigt worden ist; auch au
der gegenüberliegenden Nordwestseite konnte es nicht liegen, weil hier die Opimia augränzte. und
sonach nichts mehr von Privaten zu kaufen war, gegen das Forum heraus aber waren nur
Tabenien, die argentainae novae, ..hinter welchen" die Fulvia angelegt wurde. Gleichwohl ver-
muthe ich eine Vergrösserung nicht blos nach rückwärts, sondern auch nach der Fronte zu, da
die neue -Basilica magnificentissima*' jedenfalls einer entsprechenden Fa^ade bedingten, welcher
Die Urform der römischen Basilica. OÖ
die Tabernen weichen mussten, wie bald darauf auch die Tabernae veteres vor der Julia, und da
man nur von den Besitzern der Tabernae tbrenses einen so hohen Kaufpreis annehmen kann, den
die „subbasilicani" (Hinterbasilicaner) für ein verhältnissmässig kleines Areal kaum fordern
durften. Ob die weiterhin nicht mehr erwähnte Bas. Opimia durch einen Neubau der Aemilia —
sei es nun durch diesen des Aem. PauUus oder durch einen späteren, da der Prachtbau zwanzig
Jahre nach der Vollendung wieder abgebrannt war 740 d. St. — in der vergrösserten Aemilia auf-
gieng, wie die Sempronia in der Julia aufgegangen sein muss, wird niemand entscheiden können.
Wenn es aber auch geschah, so musste darum die Aemilia noch nicht ihre Langseite dem Forum
zuwenden, da ja auch die B. Julia GO Met. in der Breite mass und Cicero's Notiz von der Aus-
delmuns: der Aemilia bis zum Atrium Libertatis aiif eine namhafte Tiefe schliessen lässt. Doch
berührt das unsere Untersuchung, welche zunächst nur auf die ursprüngliche Form der älteren
Basiliken gerichtet ist , weniger. Von dem Innern wissen wir, dass die ursprüngliche Säulen-
gliederung (Cic. a. a. 0.) blieb, denn Plinius XXXVI. 15, 102 rühmt die wunderbare Säulenpracht
aus phrygischem Marmor, und dürfen wohl auch annehmen, dass die Doppelstellung der Säulen-
reihen übereinander, wie sie die mehrerwähnte Münze der Fam. Aemilia zeigt, nicht geän-
dert ward.
In derselben Weise wie die drei genannten scheint auch die vierte Basilica des Forum
Romanum, die Sempronia, die Schmalseite als Fronte nach dem Forum gewendet zuhaben. Diese
Basilica, 585 d. St. von Tiberius Sempronius Gracchus „pone veteres" erbaut (Liv. XLIV. 16),
lag sonach jedenfalls an der Südwestseite des Forums und zwar gegen dieses selbst gewandt,
obwohl, wie damals auch noch die Fulvia, die Tabernen vor sich lassend, wie das Ze st ermann
gegen Becker geltend gemacht hat (S. 63 Anm. 181). Sempronius kaufte hiezu als Bauplatz das
Haus des P. Corn. Scipio Africanus nebst den damit verbundenen Fleischbänken und anderen
Buden. Der so geschilderte Bauplatz erklärt sich vollkommen durch die wohlbekannte Gestalt
des Hauses eines Römers, wie sie nicht blos Vitruv schildert, sondern wie wir sie auch in zahl-
reichen Beispielen aus Pompeji vor uns haben. Dieses bildet zumeist ein Oblongum, dessen eine
Schmalseite als Eingangsseite, somit als Fronte erscheint; die an Strassen gränzenden Seiten sind
von Tabernen umzogen. Übertragen wir diese Form, wie beispielsweise vom Hause des Pansa in
Pompeji , an das Forum Romanum , und zwar an die Ecke wo der Vicus Tuscus einmündete
(Becker S. 341. 489), der nachweislichen Stelle des scipionischen Hauses, und betrachten diese
Form als Bauplatz für die neue Basilica Sempronia, so werden wir auch für diese eine ähnliche
Richtung, wie wir sie an der Porcia, Opimia und Fulvia gefunden, nämlich die Schmalseite als
Fronte am Forum, vermuthen dürfen.
Zwischen diesen und den bekannten nächstangelegten Forumbasiliken, der Julia und den
vitruvischen, liegt mehr als ein Jahrhundert, jene Periode der Bürgerkriege, welche weniger an
Werke des Friedens und des Verkehrs denken Hess. Wie es stets in Zeiten politischer Auflösung
zu geschehen pflegt, das Interesse für das allgemeine Wohl trat zurück hinter Privatinteressen,
und je weniger für öff'entliche Bauten geschah, desto anspruchsvoller entstanden die Privatgebäude.
Die Säulensäle am Forum boten die Vorbilder dar für grössere Säulensäle in Privathäusern, und
schon in augusteischer Zeit, wie wir aus Vitruv sehen, waren Basiliken in Privathäusern gar
nichts ungewöhnliches mehr. Die Parteihäupter des damaligen Rom brauchten grosse Versamm-
lungssäle, um ihre Angelegenheiten schon geordnet zu haben, ehe sie dieselben vor das gesammte
Volk brachten. Hervorragende Männer mit ausgedehnter Clientel bedurften grosser Audienzsäle,
in welchen sie die Schaaren von unfreiwilligen und freiwilligen Hörigen empfiengen, theils um
lediglich ihre Aufwartung entgegenzunehmen, theils um das ihnen zustehende Richter- oder wenig-
stens Schiedsrichteramt zu pflegen. Wir müssten uns, auch wenn wir über die Gestalt dieser
56 Franz Rebeb.
Räume nichts weiter \\-iis?ten. solche grosse Säle in einer Zeit, in der das Wölben noch nicht in
so o-rossen Dimensionen — nnd am wenigsten im Privatban — in Anwendung gekommen war.
uno-efähr in der Alt der Basilica Porcia und überhaupt der älteren Forumbasiliken denken, nun aber,
da diese Säle ausdi-ücklich Basiliken genannt werden, kann gar kein Zweifel mehr obwalten.
dass diese Palastsäle ursprünglich jenen älteren forensischen ganz ähnlich waren. Denn ein
ähnlicher Zweck konnte hier niir das geringste Motiv für den Namen sein, das nächstliegende war
die ähnliche Form.
Da wir aber einerseits Messmer den gesicherten Nachweis verdanken, dass die christliche
Basilica von der Privatbasilica ihren Ausgang genommen und da anderseits hier der Nachweis
o-eliefert sein dürfte, dass die älteren forensen Basiliken den christlichen ihrer Erscheinung nach
weit näher stehen als die forensen der Kaiserzeit, so kann dem Schlüsse nichts im Wege stehen,
dass die Privatbasiliken, welche nach Vitruv in augusteischer Zeit schon ganz gebräuchlich
scheinen, sich an den ihnen vorliegenden voraugusteischen Urtypus. wie er sich am Forum
Romanum in republikanischer Zeit ausgeprägt hatte, anlehnten, und diesen, ohne auf die Fort-
entwickluns: der forensen Gebäude der Art weitere Rücksicht zu nehmen, nur nach den Bedin-
gungen des geschlossenen Hauses ein für allemal vereinfachten und modificirten, wäln*end die
forensen Basiliken den gesteigerten Anforderungen an Fa^adenbildung und an grössere Solidität
diu-ch Pfeiler und Gewölbe wie auch dem Ruhm von Bauunternehmern und Architekten den
ursprünglichen T^-pus fast ganz zum Opfer brachten.
In zwei nicht unwesentlichen Beziehiingen aber scheint die Privatbasilica den basilicalen
ürtvpus alterirt zu haben. Zunächst in Rücksicht auf die Lichtzufuhr. Die forense Basilica stand
an mehreren Seiten frei und erfreute sich daher einer ausgiebigen Aussen- und Fensterentwicklung;
die Privatbasilica dagegen war in den Palastcomplex eingebaut und hatte soviel wie keine Aussen.-
entwicklunor. Stiessen allenthalben andere Säle. Corridore u. s. w. an, so hatte man zum Zweck
hinreichender Beleuchtung der Basilica nur die Wahl zwischen hypathraler Anlage (die übrigens
der praktische Römer verschmähte. Vitruv III. 2, 8) und der Überhöhung des Mittelraumes, um
die Fenster über den Seitenräumen anzubringen, wo kein Anbau mehr hindern konnte. Diese
letztere Einrichtung, bisher als einer der Grundzüge des basilicalen Typus festgehalten, wiu-de
oben für die zwei ältesten öffentlichen Basiliken, wie frir die Normalbasilica des Vifruv in Abrede
gestellt und wird wakrscheinlich aucli au den übrigen mit Ausschluss der anomalen Fanum- und
Constantinsbasilica gefehlt haben. Erst in der Privatbasilica tritt diese Oberwand des Mittelraums
als structiv nothwendig auf, und ich trage kein Bedenken, die Einführung dieser Eigenthümlich-
keit der Privatbasilica zuzuschreiben. Dieser Neuerung musste jedoch eine zweite nothwendig
auf dem Fusse folsren. Dem Techniker ist es nämlich völlig klar, dass der Architekt sich auf der
äussersten Grenze der Solidität bewegte, wenn er auf ein grosses, lediglich aus doppelt über-
einandergestellten Säulenreihen gebildetes Rechteck Decke und Dach legte, indem wenigstens die
Ecken eine kräftigere Stütze als zwei übereinandergesetzte Säulen zu erfordern scheinen. Auf ein
solches zweio^eschossig-es Säulenrechteck aber ausser Decke \ind Dach noch eine wenn auch durch
Fenster unterbrochene Wand zu stellen, erscheint als ein so gewagtes architektonisches Experiment,
dass wir es einem Römer nicht zutrauen dürfen. Die Oberwand erheischte dringend einen kräfti-
geren Abschluss an den Ecken und dieser konnte durch eine naheliegende Vereinfachung des
basilicalen Planes leicht erreicht werden. Man brauchte nur die Allseitigkeit der Nebenräume
aufzugeben und diese nur zweiseitig als zwei Nebeuschiffe herzustellen, so fanden die Säulenreihen
mit ihrer Last an den beiden Wänden der Schmalseiten einen genügend kräftigen Abschluss und
die Anlage wurde structiv weit weniger bedenklich. Dadurch wurde zwar die Continuität des
oberen Umganges aufgelöst, allein man konnte sich dazu um so leichter entschliessen, als die Ver-
Die l RFORM DER RÖMISCHEN BaSILICA. S7
kehrs- und Spazierritume des Obei-geschosses in der Privatbasilica als ganz überflüssia- erscheinen
mussten. Ja das Obersreschoss der Nebenscliiffe überhaupt musste ansresichts der Zwecklosip-keit
desselben in den Privatbasiliken im Laufe der Zeit verschwinden, während die Verdoppelung der
Seitenschiffe durch eine weitere Säulenreihe beiderseits im Erdgeschosse, wie sie auch die forense
Basilica Ulpia zeigt, in grösseren derartigen Sälen beliebt blieb, und so in die christliche Basilica
hinübergeführt worden zu sein scheint.
Ich glaube somit mein Ziel erreicht und nach Herstellung des basilicalen Urtypus in der
Porcia nnd in den nächstfolgenden Basiliken das Problem gelöst zu haben, wie sich die Privat-
basilica den forensen Vorbildern der voraugusteischen Zeit gegenüber verhielt. Die Bahnen der
Entwicklung der forensen Basiliken der Kaiserzeit einerseits und der auf den Forumbasiliken
der Republik fussenden Privatbasilica anderseits gingen weit auseinander, wie es sowohl der ver-
schiedene Zweck als die structiven Bedingungen erheischten. In der Privatbasilica und somit
in deren Tochter, der christlichen, verblieb von dem in Bezug auf die letztere, so zu sagen gross-
mütterlichen Urtypus die Anordnung der Fronte an der einen und des Tribunals an der anderen
Schmalseite, wie auch die Gliederung des Innern durch Säulen, ersteres, weil für die Privatbasi-
lica das Äussere gar nicht in Betracht kam und eine imposaiite längere Facjade ganz bedeu-
tungslos, ja unmöglich gewesen wäre, indem der Basilikensaal in den übrigen Palast eingebaut
Mar und ein mit der Langseite nach vorn, ohne Zweifel nach dem Epistyl, gewendeter grösserer
Saal den ganzen Complex abgesperrt und unzweckmässig getheilt hätte; das zweite, weil zu einer
Vermehrung der Tribunale kein Grund sein konnte, im übrigen abhängend vom ersten; das
dritte, weil die Verhältnisse eines Hauses bei geringerem monumentalen Charakter riesigen
Gewölbebau weder zu fordern schienen, noch die dadurch nöthig werdenden verstärkten Wider-
lager und Wände angemessen erscheinen lassen konnten. Im Gegensatz damit wiu-de bei den
öffentlichen Gebäuden der Kaiserzeit die äussere Erscheinung von gesteigerter Bedeutung und
von Augustus Zeit an wendeten die meisten forensischen Basiliken ihre Langseite als imposante
Facjade den Foren zu. Dadurch musste sich auch die Lage der Apsis ändern, welche jetzt natur-
gemäss an der der Fronte gegenüberliegenden Laugseite zu suchen ist (Bas. v. Fanum). Die
Apsidenverhältnisse wurden aber nicht minder durch den Umstand alterirt, dass man zwei, ja
sogar vier Tribunale in einer Basilica anordnete, und im ersteren Falle an jeder der beiden
Schmalseiten (B. Ulpia) oder an einer Schmalseite und an einer Langseite (Constantiniana) die
Apsiden anlegte, im letzteren Falle aber, bei vier Tribunalen, ganz auf die Apsidenbildung ver-
zichtete (Bas. Julia). Solche radicale Modificationen des Planes im allgemeinen und füi" jeden
einzelnen Fall verliehen auch die Befugniss zu den weitgehendsten Änderungen von Stützen und
Decke. Während man in den Privatbasiliken mit den Dimensionen doch nicht über ein gewisses
beschränktes Maass hinausgehen konnte, so dass die horizontale Holzüberdeckung immer leicht
thunlich blieb, wurde bei Dimensionen wie an der Constantiniana diese zur Unmöglichkeit. Der
Private zog auch die Unverwüstlichkeit seiner Anlagen nicht in dem Grade in Rechnung, wie der-
jenige, welcher in einem öffentlichen Bauwerke sich selbst ein unverwüstliches Denkmal errichten
wollte. Aus diesen Gründen lag es für die forensen Basiliken nahe, unter theilweiser (B. Julia)
oder gänzlicher (B. Constantiniana) Aufgebung der Holzdecke Gewölbe in Anwendung- zu
bringen, wodurch die Basilica sich gänzlich umgestalten musste, indem weder Säulen noch ein-
fache Wände hiefür mehr grenüp'ten.
Die römische Ai-chitektur der Kaiserzeit konnte daher ihre Aufgabe bei Herstellung einer
forensen Basilica nicht so fassen, als sollte sie eine traditionelle Form reproduciren , sondern als
hätte sie einen öffentlichen Saalbau herzustellen, füi' welchen zunächst örtliche Bedingungen,
relative Zweckmässigkeit, Solidität und Pracht, der basilicale Urtypus aber nur insofern mass-
o8 Franz Rebeb. Die Urform der römisches Basilica.
«•ebend war. als er mit der Bestimmung- des Gebäudes uiizertreunlicli erschien. Im Ubricren strebte
sie dai-nach. neue Formen und Arten zu finden und immer wieder Neues zu schaffen, was um so
wenio-er zu tadeln ist. als ja dies sogar zu den Aufgaben der Kunst gehört. Solche technische
Ansti-enooing'en und unablässige Neuerungen, wie an monumentalen Werken hielt jedoch die
Architektur im Privatbau nicht füi* nöthig und so konnte die Privatbasilica wirklich einigem
Schablonismus verfallen, der dann auch in der christlichen Basilica traditionell verblieb. Hätte
die chi-istliche Ai'chitektur an der forensen Basilica der cunstantinischen Zeit angeknüpft, so wäre
dies bei o-anz anderem Ausgangspunkt für die Entwicklung der christlichen Architektur von
unberechenbar grossen Folgen gewesen, doch wie ich zuversichtlich glaube . nicht von Vortheil :
denn der Weiterbildung der gewaltigen Gewölbeai-chitektur, wie sie in der Basilica Constantiniana
und in den Diocletianthennen nicht ohne Spm-en einer letzten übermässigen Anstrengung vorliegt.
war das erschöpfte Westreich nicht mehi* gewachsen : dieses bedurfte wie ein ausgesogener Acker-
grund längerer Brache, und für eine solche wai* der einfachste Typus zu allen Werken der ange-
messenste und vielleicht allein mögliche.
so
Das Melkerkreuz.
Von Dr. E. Fk. v. Sacken.
(Mit 7 Holzschnitten.)
iJie Kleinkünste oder sogenannten Kunstgewerbe zeigen in der Geschichte der Kunst zu keiner
Zeit eine selbständige Entwicklung, sondern sie werden stets von der grossen Kunst getragen
und sind nur die Sprossen derselben. Wo dies nicht der Fall ist, bei den wilden und barbari-
schen Völkern, bringen sie es nicht über die primitive Stufe manueller Fertigkeit und regelloser,
verwildeter Ornamentik hinaus; bei allen Kunstvülkern aber folgen sie als Dependenzen der
Grosskunst dem Style derselben, insbesondere der Architektur.
Von jeher hat die Goldschmiedekunst unter ihnen die hervorragendste Stelle eingenommen.
Es liegt dies zum Theile schon im edlen Materiale, das man keiner ungeübten Hand anvertrauen
mochte, besonders aber darin, dass sie zu den höchsten Zwecken verwendet wurde, als edelster
Schmuck der Cultusgeräthe und zur prächtigen Leibeszier derjenigen Classe, welche die meiste
Bildung, den raffinirtesten Geschmack besass. Schon in den ältesten Zeiten, bei Ägyptern ' und
Griechen finden wir daher Goldschmiedearbeiten von bewundernswürdiger Vollendung, die mit
Recht von den Zeitgenossen gepriesen wurden, und aus griechischen und etruskischen Gräbern
kamen Erzeugnisse zu Tage, welche die ausserordentliche Blüte dieses Kunstzweiges und die
höchste Stufe der Technik bekunden ".
Auch der Norden blieb nicht zurück; wir treffen hier eine hohe, sehr weit hinatifreichende
Ausbildimg der Kunst die Edelmetalle zu bearbeiten , insbesondei-e bei den germanischen
Stämmen, bei denen sie mit einer sehr vorgeschrittenen Eisentechnik in Verbindung stand. In
Formgebung und Ornamentik beruht sie ganz auf eigenthümlichen Elementen und wich selbst
nicht dem überwältigenden Einflüsse römischer Cultur, der bisweilen Zwitter- oder Mischformen
herbeiführte, in denen die beiden zusammentreffenden Elemente mehr oder minder unvermittelt
neben einander herlaufen. Wir besitzen eine Reihe solcher Arbeiten von österreichischen und
ungarischen Fundorten ^ Ein sehr wichtiger Zweig der ornamentalen Metalltechnik, die Kunst
> Z. B. der prachtvolle emaillirte Goldschmuck einer äthiopischen Königin , zu Meroe gefunden , jetzt im Museum zu
Berlin. Lepsius, Denkmäler von Ägypten und Äthiopien X, Tat'. 42.
2 So besonders die herrlichen Goldschmucksachen aus den Gräbern von Kertsch (dem alten Panticapaeum) in der Krim
(Antiquites du Bospore Cimmerien, T. III); Stackeiberg, die Gräber der Griechen, Tat". LXXII, Museum Gregorianum I
Tab. 76, 82—91.
3 Namentlich von Wulzeshofen in Nied. Österreich, von der Puszta Bakod bei Kalocsa (Mittheil. V, 102) und aus dem
Saroser C'omitat. Von Funden im Norden sind die von Süder Brarup in Schleswig die bedeutendsten dieser Kategorie
(Engelhardt, Thorsberg Mosefuud).
XIV. 9
f)0 Di:. H. Fk. V. Salkex.
des Emaillirens, scheint bei den nordisclien Völkern schon im III. Jiüirhundert vor Christus in
Übuno: gewesen zu sein, während er den Griechen noch unbekannt war'. Ebenso ist der Besatz
mit dünnen Plättchen von Granat, farbigem Glase oder weissem mit unterlegter Folie oder Pur-
purseidenstoff, in Kapseln gefasst oder in ein aus aufrechten Wändchen gebildetes Rahmenwerk
eingelegt, eine charakteristische Eigenthünilichkeit der nordischen Goldschmiedearbeiten. Von
der Ausbildung dieser Technik und der vieltachen Übung der Goldschmiedekunst bei den ger-
manischen Völkern im V., VI. und VII. .Jahrhundert geben uns die kostbaren Überbleibsel der
Schätze gothischer, fränkisclier und longobardischer Fürsten einen Begriff, so der wahrscheinlich
dem Westo^otlienkönige Athanarioh geliürige, zu Petreosa in der Walachei im Jahre 1837 auf-
gefundene Schatz *, das an Goldschmuck sehr reiche Grab des Frankenkönigs Childerich (bei
Tournav entdeckt 1653) *, die Weihgeschenke und Reliquiarien, welche Theodolinde, Königin
der Longobarden nach Monza schenkte, die prachtvollen Kronen der Westgothen Recesvinth und
Svinthila, die bei Toledo gefunden wurden und sich gegenwärtig nebst vier Votivkronen derselben
Zeit im Hotel Cluny befinden ', nebst zahlreichen Fundstücken aus Ungarn und Siebenbürgen '.
So sehen wir also , dass die Bearbeitung der Eldelmetalle eine sehr alte nationale Kirnst ist und
es wird iins nicht wundern, dass sie schon im frühen Mittelalter auch diesseits der Alpen eint-
verhältnissmässig hohe Stufe der Ausbildung eiTcichte. Auf die Ornamentik waren die heimischen
Traditionen vom entschiedensten Einflüsse, besonders sind die beliebten Bandverschlingungen
und phantastischen Thierbildungen des romanischen Styles hierauf zurückzuführen, ein Umstand,
der noch bei weitem nicht genug gewürdigt und untersucht ist. denn thatsächlich finden sich die
Prototvpe der romanischen Verzierungsweise in den altgermanisclien Metallarbeiten.
Der o-rosse Bedarf an kirchlichen Geräthen, insbesondere der ausgebreitete Reliquiencultus
trut^en wesentlich zur Förderung der Goldschmiedekunst bei. Seit Karl dem Grossen und den
Verbindungen mit Italien machte sich ein wahrer Heisshunger nach Reliquien geltend, die man
als die theuren verehrungswürdigen Überreste der auserwählten Vorkämpfer für das Christen-
thum mit kostbaren Fassungen versah , um sie in wüi-diger Weise zur allgemeinen Verehrung
auszusetzen'. Man wählte gern eine der Reliquie conforme Fassung, so für das Cranium den
Kopf oder die Büste, für einen Armknochen die Form eines emporstehenden Ai'mes mit der
Hand u. s. w., und so wurden aucli für die Partikeln des Kreuzes Christi, die vornehme Ki'euz-
fahrer als das theuerste Angedenken mitbrachten, gew-öhnlich ki'euzförmige Reliquiarien ange-
fertio"t, die weo-en des unschätzbaren Werthes der Reliquie auf das kostbarste ausgestattet
wurden '".
Auch die Lieblingsstiftung der Babenberger, das als Collegiatstift von Leopold I. 985, als
Benedictinerabtei vom Markgrafen Leopold III. 1089 gegründete Kloster Melk wurde um 1040
von dem siegreichen Markgrafen Adalbert mit einer Ki-euzpaitikel beschenkt. Die Form der
Fassung dieser kostbaren Reliquie war die eines Kreuzes; dass sie von Gold, sehr prächtig und
werthvoU war, geht aus dem Umstände hervor, dass im Jahre 1170 sich ein Cleriker, Namens
Rupert durch die Begierde nach dem Golde verleiten liess, die Kreuzpartikel zu entwenden, die
durch mehrere Hände zuletzt in das Schottenkloster zu Wien kam. An den Streit um den Besitz
* Philostratus, Iiuag. I, 28.: „Es wird berichtet, dass die dem Ocean ben.ichbarten Barbaren die Farben dem.glülieiideii
Metalle auflegen, dass diese fest bleiben und wie .Stein erhärten, und dass ein solches Gemälde ewige Dauer hat".
' Mittheil. d. k. k Cent. (onim. XIII, lOö.
« Chifletius, Anastasis Childerici regis. — Cocbet. Le tombeau de Childerie I.
' Bock, die Kleinodien des h. röm. Reiches. Taf. 36, 37, S. 171.
" Arneth, die antiken Gold- und Silbermonumente des k. k. .Münz- und Antikencabinetes. Taf. XI Xll.
' Vgl. Bock, der Keliquienschatz des Liebfrauenmünsters zu Aachen. Kiul.
'0 Ebenda, S. :*6 ff.
Das Mklkerkueuz. 61
des Heilig-thumes, der nun zwischen den beiden Äbten Finanu.s von den Schotten und Sighard
von Melk entstand und zu Gunsten des letzteren endete, hat sich eine ganz dem Geiste des
Mittelalters entsprechende Sage geknüptib. Man schritt nämlich, da jeder der beiden Äbte sein
Recht geltend machte, zur Entscheidung durch das Gottesurtheil und es sollte das zwischen beide
gestellte Kreuz dem zugehören, auf dessen Seite es sich hinneigen würde. Es näherte sich aber,
von wunderbarer Kraft bewegt, dem Abte von Melk. Hiermit noch nicht zufrieden, ordnete man
ein zweites Gottesgericht an, dem zufolge die Entscheidung davon abhängen sollte, wohin das
in einem leeren Kahne auf der Donau ausgesetzte Kreuz schwimmen würde. Nachdem nun der
Nachen ohne Beihülfe stromaufwärts bis Nussdorf schwamm, wurde die Reliquie dem Stifte Melk
zugesprochen und für den Tag der Auffindung (13. Februar 1170) eine besondere, bis auf den
heutigen Tag zum Theil bestehende, kirchliche Feier angeordnet ".
Ein besonderer Gönner des Stiftes Melk war Herzog Rudolph IV., der bei seinen wieder-
holten Besuchen (am 22. Jänner und 31. August 1362) nicht nur demselben wichtige Vorrechte
gewährte, sondern auch für die kunstvollere Ausschmückung seiner Reliquien Sorge trug. So Hess
er in der Stiftskirche an die Stelle des schadhaften unansehnlichen Grabmales des heil. Coloman
ein prächtiges Monument setzen. Es war eine Tumba mit vier offenen Bögen auf jeder Lano-seite
die oben mit Masswerk ausgefüllt waren und durch die man die liegende Figur des Heiligen sah.
Der Aufsatz darüber war mit Fialen, an denen kleine Heiligenfiguren standen, dazwischen mit
Stabwerk und Giebeln reich geschmückt , oben eine Art Spitzenbekrönung, auf der Predella ver-
schiedene betende Figuren. Zufolge der Inschrift: Rudolphus IV. etC. (Titel) nie fecit in honorem
S. Colomanni Anno Domini MCCCLXV wurde das Monument erst drei Jahre nach Rudolph's
Besiich fertig '^ Ferner Hess Rudolph die Lanze des heil. Mauritius, ein Geschenk des Markgrafen
Ernst um 1065 mit einer neuen, überaus geschmackvollen Fassung im gothischen Style versehen.
Es war ein Spitzbogen, beiderseits Fialen, unten Herzog Rudolph knieend, ein eingravirtes Fio-ür-
chen im Panzer mit dem kurzen Lendner, an den Schultern, Ellbogen und Knieen Buckeln, am
Gürtel Schwert uud Dolch, auf dem Haupte das Bassinet, neben ihm der österreichische Binden-
schild; auf der Rückseite seine Gemahlin Katharina von Böhmen, ebenfalls betend, dabei der
Wappenschild mit dem böhmischen Löwen. Der Fuss des Ganzen bildete eine achtblättrige Rose,
darauf die Symbole der vier Evangelisten mit Spruchbändern eingravirt. Diese ebenso schöne als
kunstgeschichtlich interessante Fassung wurde bei der Silbereinlieferung als Kriegssteuer im Jahre
1810 eingeschmolzen ^^
Auch der Kreuzpartikel, welche der Stolz des Stiftes war, wollte der Herzog eine neue
Fassung geben. Die Reliquie wurde aus ihrem alten Gehäuse herausgenommen und blieb einige
Zeit ohne Fassung aufbewahrt, was die Veranlassung zu deren zweiten Entwendung wurde. Otto
Grimsinger, ein reicher Bürger aus der dem Stifte gegenüber am linken Donauufer liegenden
Ortschaft Emersdorf wusste sich das Vertrauen der Geistlichen zu erwerben und missbrauchte
dieses, um am Abend des 10. November 1362 die Sacristei mittelst Nachschlüssels zu öffnen und
die kostbare Reliquie, die auf einem Papiere lag, nebst einigen Kirchengeräthen zu stehlen. Ein
von ihm geschriebener Brief, der dem Prior die Schuld aufbürden sollte, ward durch die
Schriftzüge zum Verräther und der Frevler , der die Partikel zu Kaiser Karl IV. nach Prag
bringen wollte, aber niu- bis in das drei Stunden entfernte Laach am Jauerling kam, wo er sie
" Keiblinger, Geschichte des Benedictinerstiftes Melk. -2. Aufl. I, S. SS'i ff.
12 Abg. bei Gottfr. Deppisch, Gesch. und Wunderwerke des h. Coloman, S. 179 und bei Hueber, Austria ex archiv.
Mellicens. illustr. Num. V. Es wurde beim Baue der neuen Stiftskirche im vorig-en Jahrhundert ^ibyetragen.
'3 Unter den eingelieferten Gegenstanden befanden sich 22 Kelche, ein Ostensorium, ein Ciborium, ein (,'apitelkreuz und
anderes. Die Lanze mit der beschriebenen Fassung bei Hueber a. a. U. p. 297, Num. II, III.
»*
♦J2
Dk. K. Fk. V. Sackes.
Fijr. 1.
in der Kirelie versteckte, büsste
seine Tliat mit dem Feuertode".
Bald darauf wurde das Kreuzes-
liolz in seine neue Fassung»- ein-
getiioft (1363). Diese ist noch
erhalten und in Fi»r. 1 in o-e-
ti-euer Abbildung dargestellt.
tSie bildet ein 13 Zoll hohes,
10 Zoll breites Kreuz aus Plat-
ten von Goldblech mit Klee-
blatt-Enden, eine im ganzen
Mittelalter sehr beliebte Form
des Kreuzes, die, vielleicht in
der Grundidee auf die Trinität
bezüglich , an den zahlreichen
Vortrage- und Altarkreuzen
häufig vorkommt '"■. Die Vorder-
seite zeigt den gekreuzigten
Heiland , 3^^ Zoll hoch in ge-
triebener Arbeit. Es ist eine
absichtlich mager und düi-ttig
gebildete Gestalt, um die Wir-
kung der Leiden und Schmerzen
recht anschaulich und das Mit-
leid des Beschauers rege zu
machen. Der Kopf zeiirt ein
tiefes Streben nach Ausdruck,
der diuxh Energie der Empfin-
dung bei aller Mangelhaftigkeit
der Form glücklich erreicht ist.
Die zusammengezogeneuBrauen
und die schmerzvoll gefaltete
Stinie. die eingefallenen "\Van-
oen charakterisiren lebendig
die Qualen des Leibes und der
Seele, die geschlossenen Augen,
der offene Mund zeigen den über-
wundenen Todeskampf an. Das
Haupt mit lang herabwallenden
Haaren ist auf die eingesun-
kene Brust, nach rechts geneigt,
gesenkt, der Leib mager mit
1^ Kcibling-er a. a- 0. !>. 44U. -
Heil, das l)iinanliintlchi>n S. 436.
'■' Bock, (las h. f'öln Taf. XXXIX,
UO, 111. gibt zwei solche dem uiiMigen
Shnlielie Kreuze-
Das Melkerkkeuz.
63,
Andeutung- der Rippen, um die Mitte sehr schmal. Die Arme sind g-estreckt, und um das Hängen,
das Ziehen durch das Gewicht des Körpers zu charakterisiren, treten die Sehnen scharf und
kantig- vor. Hände und Füsse, welche bei der Schwierigkeit der Detailbildung in dieser Zeit
noch fast durchgehends auffallend unbeholfen und unschön erscheinen, sind auch hier zu gross
und plump. Trotz dieser in dem Entwicklungsgange der Kunst liegenden Unvollkommenheiten
bekundet die Figur doch eine selbständigere Beobachtung des Lebens und eine tiefere Charak-
teristik, als sie in dieser Zeit, welche noch vielfach in Conventionellen, fast tvpischen Formen
befangen war, vorzukonnnen pflegen, sie muss sonach als ein Werk eines bedeutenderen Künst-
lers bezeichnet werden. Das fast bis an die Kniee reichende, aber nicht mehr, wie bei älteren
Werken , schürzenartige , sondern umgebundene Lendentuch erscheint in dem einfachen , aber
naturgemässen Motive mit reichen gezogenen Falten , wie sie für das XIV. Jahrhundert charak-
teristisch sind, durchaus fein pvinzirt.
Das Kj-euz, an dem Christus hängt, ist ein schmaler, di-eikantiger Goldstab, beiderseits,
so wie an der vorderen Kante cordonnirt; die schmalen Seitenflächen sind gravirt. In den Klee-
blattenden sieht man in erhobener, getriebener Arbeit die vier Evangelisten, wegen des gegebe-
nen Raumes in hockender oder kuieender Stelluno-
in der seltsamen unschönen Darstellungsweise, dass
sie statt menschlicher Köjjfe (mit Ausnahme des Mat-
thäus) die ihrer symbolischen Thiere haben (Fig. 2) '*.
Die Figuren erscheinen kurz und gedrungen, die
Extremitäten derb und unvollkommen gezeichnet, die
Gewänder — jeder ist mit einer langen faltenreichen
Tunica bekleidet, darüber ein vorne mit kreuzförmi-
ger Agraffe befestigter Mantel — in breiten gezoge-
nen Falten ohne scharfen Bruch, durchaus punzirt-
Mntthäus und Johannes, letzterer wie ein Orientale
sitzend, haben die Hand aufs Knie gelegt. Die grossen Thierköpfe sind mit einem gewissen
Natm-alismus behandelt, besonders der Adlerkopf des Johannes mit seinem dicken Schnabel,
was den Fiouren fast etwas komisches verleiht. Auf den an den Enden aufgerollten Schedu-
len, die jede in der Rechten hält, steht der Name in schlechter Minuskelschrift. Die Inschrift
ist in Niellotechnik ausgeführt. Der Hintergrund ist blank, mit keck und flüchtig eingravirten
Blattranken.
Der ornamentale Theil des Kreuzes ist von ausgezeichneter Schönheit und zeigt den edlen
durchgebildeten Geschmack, die feine Stylisirung und die consequente bis in das kleinste, kaum
mehr wahrnehmbare Detail durchgeführte lebendige Gliederung der blühenden Gothik. Der Grund
der Vorderseite, um den Gekreuzigten, ist mit ganz frei gearbeiteten, aufgelegten herrlichen Wein-
ranken, offenbar in symbolischer Weise mit Bezug auf das Blut Christi, bedeckt ; es sind höchst
geschmackvolle Züg-e mit naturgetreuen und doch fein stilisirten , dabei aber charakteristischen
Blättern und kleinen, mehr nur angedeuteten Trauben. Die Umrahmung bilden fortlaufende kleine
erhobene Kreuzchen.
Die Enden der Kreuzesarme bilden Kleeblätter in Durchschneidung mit gleichseitigen Drei-
ecken, deren Spitzen in den Winkeln des Dreipasses vortreten. Im Innern setzt sich die Dreithei-
lung fort, indem jede Ausrundung wieder einen di-eitheiligen Bogen enthält mit je drei Kügel-
chen an den Enden der Bog-enschenkel. Von diesen Dreiblättern umfasst das mittlere innere
abermals einen Kleeblattbogen mit Zackenfüllung, jedes der Seiten einen Doppelbogen, die
18 Diese Darstelluuar findet sieh auch in einem Fenster des XV. Jahrhunderts in der Lorenzkirche zu Nürnberg.
Fig
64
Dk. E. Fu. V. Saikkn.
Schenkel in Blätter ausgehend.
Allenthalben zeigt sich so die
reiche, auf Grundlatre der Drei-
theilung durchgefülu-te , rein
o-othische Gliederung , denn
alle die kleinen Bogenfelder
und Z^nckeln sind wieder mit
derartigen Figuren, meist von
zugespitzter Form ausgefüllt.
Als äusserer Besatz erscheinen
auf den Spitzen und Bögen
dreit heilige, gravirte Cylinder,
> vorne und rückwärts mit einer
Perle besetzt.
In anderer Weise aber
nicht minder reich und ge-
schmackvoll ist die Rückseite
(Fig. 3) verziert; der Besatz mit
Perlen und unfacettirten, bloss
gemugelten Edelsteinen , Sa-
phiren, Granaten. Smaragden,
bringt durch seine funkelnde
Farbenpracht eine schöne Wir-
kung hervor. Der grosse Sa-
phir in der Mitte und die übri-
gen grösseren Steine , von
denen einer ein unzweifelhaft
antiker Camee mit einem sehr
gut geschnittenen Amorkopf
ist, bilden mit ihren Fassun-
gen die Schrauben zum Üfiben
des Kreuzes ; wenn nämlich
die Platte, welche die Rückseite bildet, abgehoben wird, erscheint im Innern in der Mitte
eine kleine, mit einem Schieber verschlossene Vertiefung, welche die Partikel des Holzes vom
Kreuze des Erlösers enthält. Der Grund der Rückseite ist wieder mit ft-ei geabeiteten Laub-
zügen und vielen zum Theil spiralförmigen Ranken aus Golddiaht belegt. Gleichsam als Früchte
sind Trauben von je drei Perlen auf einem Stiele, zwischen jeder der letzteren ein mit dunkel-
blauer Email überzogenes Kügelchen, angebracht. Besondere Beachtung verdienen die eigen-
thümlichen, in der Mitte und in den Kleeblattenden befindlichen emaillirten Figuren, nämlich
Halbmonde mit verschiedenen Mustern in Email champlev^, in jedem derselben eine frei aus
Gold gearbeitete, gegen den gemeinschaftlichen Mittelpunkt gestellte Ki'one mit Lilienzinken,
von einer Form, wie sie auf gleichzeitigen, namentlich ungarischen Münzen vorkommt. In der
Mitte befindet sich ein aus zugespitzten , einwärts gebogenen StäbcKen gebildetes Viereck mit
undeutlichen schlechten Minuskeln in blauer Emailarbeit, die schwer in Zusammenhang zu
bringen sind; ich glaube lesen zu können: iesus christus o hilf vns ae * (Amen). Die Aufschriften
der vier Halbmonde, welche goldene Krönchen umschliessen, sind noch schwieriger zu entziffern.
Fi- 3.
Dab Mei.kekkueuz. 6S
da die Buchstaben ziemlich formlos und uncharakteristisch sind, von der Hand eines mit der
Schrift offenbar weniger als mit dem Goldschmiedehammer vertrauten Künstlers. Sie dürften
folgendermassen zu deuten sein : o erpa-rm dic-h vber-not uns (O erbarme dich über unsere
Noth). Die Schrift erscheint übrigens an dieser untergeordneten Stelle mehr als Ornament, als
wegen ihrer Bedeutung angebracht. In dem oberen und unteren Kleeblattende bilden diese Halb-
mondfiguren Dreipässe, die gegen die äussere Form des Kreuzesendes verkehrt gestellt sind; in
ersterem sind sie mit Masswerkfiguren, Dreiblättern in Kreisen in rother, weisser, schwarzer und
blauer Email sehr zart und fein verziert, in letzterem ebenso mit Vierblättern. In den Kreuzesarmen
erscheinen sie an die Seiten von schwarz, roth und golden quer oder schief gestreiften Dreiecken
angelegt, mit Spitzen von schwarzer Email geschmückt, oder in Schwarz, Weiss, Roth und Gold
geschacht. An jeder Dreiecksspitze befindet sich wieder eine Traiibe von je drei Perlen, zwischen
diesen blau emaillirte Beeren. Die Schmalseiten des Kreuzes sind mit erhobenen vierblättrigen
Blumen auf gravirtem Grunde geziert, von gewundenen Stäbchen beseitet. (Fig. 4.) Es ist kein
»«»»»«»«£«««v:»Q>y^7>^,^;^^^^ Plätzchen ohne Ornament gelassen, überall erblüht eine Fülle mau-
M^^^^^^^I^^^M^M nig'foltiger geschmackvoller Verzierungen, nicht ohne symbolische
^^a^^^^^h^^^l^t^^^ Grundidee, nämlich die heil. Dreizahl, die bis ins kleinste Detail
-^Bty«.Qo«.i»!..^j*-„„.,j.yyfflw^ durchgeführt ersclieint; auch die aufgelegten Blätter sind alle drei-
*''• *■ theilig, die Trauben u. s. w.
Der zu diesem schönen Keliquienkreuze gehörige, ursprüngliche Fuss ist nicht mehr vor-
handen; derselbe hatte nach Hueber (Austria ex archiv. Mellic. p. 296) folgende Inschrift:
„Nos Rudolphus IV. Dei gratia Archidux Austrie Stirie et Carinthie Dominus Carniole
Marchio ac Portus Naonis Comes in Habspurck Tirolis Ferretis et in Kiburgk Mai-chio Purgavie
nee non Lantgravius Alsacie profitemur quod hanc crucem ob Dei reverentiam et ob specialem
amorem sanctissimi martyris Colomanni comparavimus et multorum reliquiis Sanctorum ab intra
decoravimus sub anno nativitatis nostre vicesimo quinto, dominationis nostre anno sexto reonante
imperatore Karolo IV'° et Urbano Papa quinto scilicet anno Domini millesimo tricentesimo sex-
agesimo tertio" ".
Der gegenwärtige Fuss aus vergoldetem Silber ist eine etwas jüngere Zugabe, der Form
und dem Charakter seiner Ornamente nach aus dem Ende des XV. Jahrhunderts. Er bildet im
Grundrisse die Form einer Rose mit vier gespitzten Blättern , dazwischen Spitzen. Die Felder
sind mit eingravierten geschmackvollen und schwungreichen Blattornamenten in drei verschie-
denen Motiven (Fig. 5, 6, 7, das erste zwei Male) verziert. Der vierkantige Stiel mit stark vor-
springenden Gesimsen in Wasserschlagsform ist im Verhältnisse zum Kreuze etwas mager; der
gedrückte, von Fischblasenmustern durchbrochene Knauf zeigt in den vier kapselartig vorragen-
den Feldern die Buchstaben i | n | r ] i. Der hohe Rand der Rose ist von aneinander gereihten
spitzen Kleeblattbogen durchbrochen.
Das Kreuz selbst, das in seinem Kunstcharakter vollständig mit der Überlieferung über-
einstimmt und ohne Zweifel das von Herzog Rudolph IV. im Jahre 1363 angeschafi'te Reliqviien-
kreuz ist, dem die Kreuzpartikel eingefügt wurde, muss als eine hervorragende Goldschmiede-
arbeit bezeichnet werden und bekundet eine bedeutende technische Ausbildung des Künstlers.
Es ist zwar nicht zu beweisen, hat aber viele Wahrscheinlichkeit für sich, dass es eine Wiener
Arbeit sei. In der Zeit, in welcher der gothische Stil in Österreich eine solche Vollendung
erreichte, dass er so herrliche Werke ins Leben rief wie den Dom von St. Stephan, die Kirchen
von Zwetl, Imbach, Maria am Gestade in Wien u. s. w., stand ohne Zweifel auch die Kleinkunst,
1' Nach dieser auffallend langen Inschrift, die der Kreuzpartikel nicht erwähnt, scheint es, dass ursprünglich das Reliquieu-
kreuz nicht als Fassung t'iir dieselbe bestimmt war. Gegenwärtig befindet sich ausser dem Kreuzesholze keine Reliquie darin.
(-.(>
Dl;. K. Fi;, v. Sacken. 1)a.s ^Ihlkkukckiz.
Fiir. ö. FIl'. r,. Fig. 7.
namentlich die GolcLsehraiedekunst zu Wien in hohei' Blüte. In der Tliat wird in dieser Zeit
dieser Kunstzweig öfter erwähnt und es sind uns noch einige vorzügliche Werke erhalten. Nach
dem grossen Brande des Stiftes Klosterneuburg im Jahre 1322 Hess Propst Stephan von Sierndorf
das berühmte Email-Tafel w-erk vom Jahi-e 1181 nach Wien bringen, um es, da es durch das
Feuer Schaden gelitten hatte, von den Goldschmieden herstellen zu lassen, die auch einige Tafeln
neu dazu fertigen mussten, da es jetzt, nachdem es früher die Verkleidung einer Ambone gebildet
hatte , zu einem FlUgelaltare umgestaltet werden sollte '''. Diese Platten , wenn auch nicht an
Geist und Grossaiiigkeit den alten des Nicolaus von Verdun gleichkommend, bekunden doch eine
sehr beachtenswerthe Technik von Kün.stlern, die liier mit feinem Gefühle sich der romanischen
Kunstweise anzuschmiegen bestrebt, dadurcli aber in ihrem freien Schaffen beschränkt waren.
Derselbe Propst Stepham liess auch lun 1325 einen Kelch sammt Patene anfertigen; letztere,
niellhl, aussen getrieben und ciselirt, mit dem Bildnis.se des Donators, ist noch erhalten'". In
diese Zeit fällt auch das herrliche, überaus reich und zart emaillirte Ciborium, welches die
Zierde der Schatzkammer zu Klosterneuburg bildet". Im Jahre 1366 gaben die Herzoge Albert
und Leopold den Goldschmieden von Wien eine Ordnung, bei welclier Gelegenheit auch das
Siegel dieser Zunft (mit der Umschi-ift: S(igillum) aurifabroriun de Wienna um den heil. Eligius,
der einen Kelch schmiedet) angefertigt worden sein düi-fte "-, "*.
19 Berichte des Altertliums - Vereines zu Wien IV, 4. Fischer, Schicksale des .Stiftes Klosterneuburg I, 158. —
Archiv für Kunde österr. Geschicht.'^quelleu VII. 231. — 20 Mittheil. d. k. k. Cent. Comni. VI, 271. — -' Ebenda IX, 41, Taf. I, II.
— 2i Ebenda VIII, 49.
-3 Die Zeichnungen zu den vctrstehenden Abbildungen lieferte J. Jost, die Holzschnitte wurden in Waldheim's xylogra-
phischer Anstalt ausgeführt.
67
Die Wallfahrtskirche zu Maria-Zeil in Steiermark.
Vo.\ Hans Petschxig.
Historische Einleitung.
i'Aaria-Zell ist unzweifelhaft einer der berühmtesten Wallfahrtsorte der katholischen Welt. Weit
hinaus über die Marken des grossen Kaiserstaates ist sein Ruf gedi'ungen und zahlreiche Wallfahr-
ten zeichnen diesen Gnadenort seit Jahrhunderten aus.
Über Maria-Zeil sind mehrere grössere und kleinere Werke erschienen, allein vom archäo-
logischen Standpunkte ist die Kirche bisher noch nicht beleuchtet worden, und doch bietet eine
solche Aufgabe ein grosses Interesse, weil man an der Hand dieser Wissenschaft manchen tradi-
tionellen Irrthum, der immer wieder nacherzählt wird, aufklären und richtig stellen kann, denn
dort, wo die schriftlichen Nachweise fehlen, sprechen die Steine; ebenso steht es mit der Werth-
schätzung des noch vorhandenen Kirchenschatzes vom künstlerischen Standpunkte.
Die Entstehungsgeschichte von Maria-Zeil hängt innig mit jener des Benedictinerstiftes
zu St. Lambrecht zusammen, daher hier einiges über das genannte Stift vorausgeschickt werden
muss, imi dann auf die weitere Geschichte von Maria-Zeil übergehen zu können.
Da in früherer Zeit schriftliche Aufzeichnungen selten geführt worden sind, und die wenigen
Urkunden, welche vielleiclit eine Aufklärung über die Entstehung solcher Orte hätten geben
können, meist bei Bränden, in Kriegszeiteu etc. zu Grunde gegangen sind, so hüllt sich die
Erzählung des Ursprunges in mystisches Dunkel, das dämmernde Irrlicht der Sage gibt keinen
klaren Anlialtspunkt für genaiie Zeitbestimmimgen, im Gegentheil dieselben werden dadurch oft
noch imsicherer. So geschieht es, dass die meisten Angaben in eine nebelhafte Vergangenheit
zurückgeführt wurden, meist weiter in die graue Vorzeit, als es wirklich der Fall ist.
Indess haben auch diese sagenhaften Überlieferungen ihr Interesse, finden ihren Platz
neben der historischen Erzählung; denn sie geben derselben einen poetischen Reiz, und das Wun-
derbare, Unaufgeklärte beschäftigt die Phantasie in anregender Weise.
So führt Ulricus Chemnicensis im proem. Themel. pag. I an, dass bereits in ältester Zeit
in der Gegend von St. Lambrecht Mönche ein Kloster nebst Kirche unter dem Namen des heil.
Märtyrers Blasius bei dem kleinen Fluss Thesseu inne gehabt hätten, und selbes noch bis Mitte
des V. Jahrhunderts bestanden habe; dm-ch die Horden, welche Attila nach Welschland führte,
sei es aber nebst vielen anderen Orten verheert worden, die geistlichen Inwohner seien gewalt-
sam herausgezogen und mit ihrem damaligen Vorsteher Sylvino auf unmenschliche Art ums Leben
gebracht worden. Weiter wird erziUdt, dass das Kloster von den Heiden grösstentheils einge-
XIV. 10
68 Hans Petschxig.
äscliert worden sei, und dass die noch übrig gebliebenen geistlichen Inwohner den Ort verlassen,
den Leib des heil. Candidus und das Haupt des heil. Blasius mit sich genommen, die andern Reli-
quien aber theils in die Mauern des Gotteshauses unter den Altar verborgen hätten, allwo man selbe
nach Verlauf einer geraumen Zeit, die jedoch nirgend augeführt wird, wieder aufgefunden hätte.
Udalricus, der vierte unter den Vorstehern des Stiftes St. Lambrecht, soll die alte in Trüm-
mern liegende Kirche des beil. Blasius wieder erneuert haben, so dass selbe im Jalu-e 1126 von
Rombeiti, Bischof zu Brixen, mit Genehmhaltung Conrads von Abensperg, salzbm-gischen Erz-
bischofs, feierlich eingeweiht wurde. Zahlreiche Wallfahrten hätten dieses Gotteshaus ausgezeich-
net, so dass nicht selten 6U Fahnen mit einer unglaublichen Menge Volkes sich fürnendich
um das Fest der Himmelfahi-t Chi-isti allda versammelten. Heutigen Taoes steht noch diese
Kirche, wenn auch meln-mals erneuert, eine halbe Stunde vom Stifte und heisst noch immer die
Blasiikii-che.
\ om alten Kloster ist kein Merkmal übrig geblieben, nur schreibt der Benedictiner Gabriel
Bucelicus, es wäre die Umgebung auch von den Geistlichen nicht sofort verlassen, sondern noch
emige Zeit bewohnt worden, bis im Jahre 989 „Otto III. römischer Kaiser, von der Heilis:-
keit des Orts, so nämlich mit dem Märt\Terblut befeuchtet war", eingenommen, nicht weit davon
ein neues Stift zubauen angefangen, welches nach ungefähr 100 Jahren „von denen zwei Durch-
lauchtigsten Herzogen in Kärnthen, Marquardo fortgesetzt und von Hem-ico seinem Sohn zur
vollkommenen Endschaft gebracht" worden sä.
Es musste aber eine Zeit von einigen Jalu-huuderten vorübergehen, ehe dieser Aufenthalt zu
dem Ansehen einer Abtei gekommen ist, denn erst das Jakr 1073 wird als dasjenige angegeben,
wo Lambrecht als förmliches Stift und als Abtei angesehen werden kann. Als eigentlicher Grün-
der wird Marquard, der Sohn des Adalberus oder Adalbert, Grafen in Mierzthal und Afflenz, und
Beatrix, Conrad's IL römischen Kaisers Mutterschwester zu betrachten sein. Nach dem zeitlichen
Hintritt seiner Eltern, war er im Jünglingsalter Erbe zweier Grafschaften, und erhielt unter dem
höchsten Schutz des Kaisers Heinrich des HL, nach Einio^en des IV., das Herzog-tluim Kärnten
erblich; indess erlosch sein Geschlecht schon 1127.
Marquard wollte auch zu St. Lambrecht im Walde, wie es damals geheissen haben soll,
ein Kloster für Mönche errichten, und sandte zu diesem Zwecke Commissäre an Gebhard, Erz-
bischof von Salzburg, den Gründer des Stiftes Admont. Der feierliche Vertrag, kraft dessen die
neue Stiftung bedeutende, sowohl geistliche als zeitliche Vortheile erhalten sollte, war schon
unterzeichnet, das angefangene Gebäude für das Stift konnte jedoch nicht fortgefülut werden,
weil sich Marquard mit der Ausrüstung von Hilfsvölkern zum Dienst seines Schwagers Salamouis,
Königs von Ungarn, beschäftigen musste, welche Ki'iegsschaar er persönlich nach Ungarn beglei-
tete. Der Feldzug nahm einen unglücklichen Ausgang und Marquard wm-de selbst gefährlich
verwundet und gefangen; er starb in Folge seiner Wunden, nachdem er in sein Herzogthmu
wieder zurückgekehrt war, 1077 am Itj. Juni und hinterliess ausser seiner Gemahlin Luitpurga,
Tochter Kaiser Heim-ich's HI., fünf Söhne und drei Töchter.
In seinem letzten Willen war zwar der ausdrückliche Befehl gegeben, das unvollendete
Kloster St. Lambrecht fortzusetzen, allein unter den Erben entstanden Misshelligkeiten, und so
ward der Bau nicht nur nicht fortgesetzt, sondern selbst das Vorhandene gegen alle väterliche
Anordnung auch noch niedergerissen.
Die Herzogin-Witwe Luitburga vermochte endlich ihren diüttgebornen Sohn Heinrich zu
veranlassen, den letzten Willen seines Vaters zu erfüllen.
Nachdem er seinem im Jahre 1090 ohne Erben verstorbenen Bruder als Herzog von
Kärnten nachfolgte, beschleunigte er den Bau der Abtei dergestalt, dass die ganze Abtei noch
Die Wallfahrtskirche zu Maria- Zell in Steiermark. 69
vor Ablauf des Jahres 1096 vollendet wiirde. Er unterschrieb in diesem Jahre den ersten Stifts-
brief und behielt sich und seinen Kindern das Vogteirecht fju? advocatiae) voi% welche Urkunde
von Kaiser Heinrich im selben Jahre zu Verona bestätigt wurde.
Ein zweiter Stiftsbrief datirt vom Jahre 1104 und wurde von ihm in Mainz austrefertio-t; in
diesem wird erklärt: dass sein Vater Marquardus die Abtei zu St. Lambrecht, o-degen in dem
Bisthume Salzburg, in der Grafschaft Friesach in dem Walde jenseits des Tenenbaches, habe stiften
wollen zum Nutzen seiner Seele und seiner geliebten Gattin Luitpurga, wie auch seiner schon ver-
storbeneu und künftigen Verwandten ; da aber der Tod seinen Vater vor Vollendung des Baues ereilt,
habe er Heim-ich, Herzog von Kärnten, das fromm angefangene Werk vollendet, und verleihe
aus seiner väterlichen Erbschaft den zu Lambrecht Gott dienenden Brüdern viele Orter, unter
welchen im Thale Avelenze centum regales mansus a terminis Weissenbache. et feuchte cum cela
ibidem constructa et ministerialibus ac habitantibus etc. etc.
In dem Jahre 111-4 (16. Kai. Februaris) bestätigte der Kaiser diesen Stiftsbrief seines
Neffen, sowie auch den früheren in Betreff des Vogteirechtes und den vom Papste Paschal II. dem
damals schon zweiten Abte Jacob 1109 ertheilten Exemtions- oder Freiheitsbrief und erklärte
das Stift St. Lambrecht nur dem Kaiser unterworfen. Durch diese vorsorgliche Anordnung war
das Stift sowohl des päpstlichen als des kaiserlichen Schutzes sicher und konnte sich ungestört
fortentwickeln. Otto, der siebente Abt, dehnte den Wirkinigskreis seines geistlichen Berufes immer
weiter aus und sandte in das sogenannte Ailenz-Thal, etwa 20 Meilen vom Stifte entfernt, fünf
seiner Geistlichen, um für das Seelenheil der Bewohner zu sorgen. Dieselben mussten sich in
dem ausgedehnten Gebiet zerstreuen, und einer davon war berufen am diesseitigen Theil des
grossen Afflenz-Thales gegen die österreichische Grenze vorzudringen, wo das Gebiet des heu-
tigen Maria-Zeil liegt. Der fromme Priester, dessen Name unbekannt geblieben ist, soll, wie es die
mündliche Überlieferung erzählt, am Thomastage an den Ort seiner Bestimmung angekommen
sein, das Jahr jedoch wird verschieden angegeben. Man kann aber mit ziemlicher Sicherheit
annehmen, dass es in der zweiten Hälfte des XH. Jahrhunderts gewesen ist, denn von Hadrian
dem IV., der 1154 den päpstlichen Stuhl bestieg, begehrte Otto die Einwilligung zur Anstellung-
einiger Geistlichen als Seelsorger. Die Ursache dieses Ansuchens muss in der damaligen Exemtion
des Stiftes und in dem noch nicht eingefiihrten Gebrauche, Stiftspriester als Pfarrer anzustellen,
gesucht werden.
Die Antwort des heil. Vaters lautet in deutscher Übersetzung:
„Der heil. Vater gestattet nicht nur die gerechten Wünsche der Bittenden, sondern nimmt
auch die Zelle des heil. Michael zu Gross Cuppa, zu welcher zwölf, die Zelle des h. Martin, zu
welcher sieben, und die Zelle des h. Peter zu Ovelenz, zu welcher fünf Geistliche bestimmt sind,
in seinen besonderen Schutz, unel will zußleich, dass dort die klösterliche Ordnung- nach den
Regeln des heil. Benedict beobachtet, iind die bestimmte Zahl der Geistlichen ohne Veränderiing-
beibehalten werde.
Das Jahr 1157 wird als das Gründungsjahr des Wallfahrtsortes Maria-Zeil angenommen.
Der Priester, welcher sich in dem heutigen Zell unter den Hirten ansiedelte, dürfte sich eine Hütte
aus Brettern aufgeschlagen haben, welche nach Art der Eremiten sowohl als Wohnung, wie auch
als Capelle gedient haben mag. In dieser Zelle stellte der fi-omme 3Iann eine aus Lindenholz
geschnitzte Statue der heil. Maria, welche er mit sich führte, auf einen abgehauenen Baumstamm
auf, verrichtete vor diesem Bilde seine Gebete, verkündigte den Hirten das Wort Gottes und
stand ihnen in geistigen Nöthen bei". Der Name Maria-Zeil ist daher leicht erklärlich, da man
2 Altere Schnftsteller führen an, dass die Statue noch von dem alten zerstörten Kloster des heil. Blasius herstamme;
dass selbe einer jener Männer, die vom heil. Virgilius dahin gesandt worden seien, mitgenommen, gleichwie der heil. Mode-
10*
70 Hans Petschxig.
die kleinen Behausungen der ausgesandten Priester Zelle genannt hat, wie es aus den vorange-
fnlirtcn päpstlichen Schreiben hervorgeht. Wenn die andern Orte den Namen Zell nicht behielten,
so diü-fte dies daher kommen, weil die Marion-Statue als wunderthätig berühmt wurde und der
Name „Maria in der Zelle'- sich volksthüinlich für alle Zeiten erhielt.
Als erste Begebenheit, welche diesen Ort auch in die Ferne hin berühmt maclite, wird jener
wunderthätige Vorfall angeführt, welcher sicli auf den Markgrafen Heinrich von Mähren und seine
Gemahlin bezieht.
Heinrich einigte sich mit seinem Bruder König Przemysl oder Ottokar I., welcher zwar von
Heinrich IV. abgesetzt, aber nach dessen Tode 1179 wieder ziu- Regienmg berufen, von Kaiser
Philipp IISS und von Otto IV. 1203 und Friedrich II. 1212 bestätigt wurde, dahin, dass Otto-
kar (Przemysl) König von Böhmen verblieb, während Heinrich (Wratislav) das Jlarkgrafthum
Mälu-en als Lehen von Böhmen mit dem Titel „Markgraf'' erhielt.
Im Jahre 1286, erzählt die Chronik, ,. unter dem grossmächtigsten Kaiser Rudolfo I. imd
Alberto sein Sohn Fürst in Österreicli und Steiermark, habe sich Heinrich in Mayren. und sein
Hausfrau so viel Jahr in Siech Betten gelegen, aus Eingebung und Rath des heil. Wenceslai,
Fürsten in Beham, welcher ihnen in Schlaf erschienen, hieher verfüget, und haben beide den
Gesund erlanget. Als sie nun das Gebet zu den allerhöchsten und gütigsten Gott und zu seiner
würdigsten Mutter auch zu den h. Wenceslaum sammt der Danksagung vollbracht hätten, haben
sie nahe zu Auferbauung und Merung unser Lieben Frauen in Cell der seligsten Mutter Gottes zu
Ehren, Bau- und Zimmerleuth auch Tagwerker lassen berufen, Geld und Unkosten dargewendet.
Demnach haben imsere Lieben Frauen Zell aus dem Königreiche Beham und Ungarn, aus Oster-
reich, Steiermark, Mayern und viel andern Ländern Älanns- und Weibsbild, Jungs und Alts,
ansrehabt zu besuchen".
Die Sas'C erzählt noch weiter, es hätten die marko-räflichen Pilffcr Heinricli und Agnes,
ilu-e Bittreise nach Zell mit starkem Gefolge ihrer Landesinsassen vorgenommen, und da selbe das
Hochgebirg betreten, wäre der heil. Wenceslaus oder ein Engel in Gestalt eines Pilgers ihr Weg-
weiser gewesen. Dieser hätte ihnen nach den vielfältigen Irrwegen den rechten Weg gewiesen
und das Geleit zur Gnadenzelle gegeben. Das Erscheinen des markgräflichen Paares aus Mähren
beweiset jedoch, dass bereits im XIII. Jahrhundert dieser Gnadenort schon eine bedeutende Be-
rühmtheit gehabt haben mag, obwohl kein besonderer Vorfall aus früherer Zeit erzählt wird.
Jedoch ist man mit der Jalu'eszahl 1286 nicht ganz einig, da der letzte Markgraf Heinrich
von Mähren bereits 1245^ verstorben sei, und so wird auf eine in Stein gehauene Inschrift im
Portale hingewiesen, wo das Jahr 12u0 angegeben wird, in welchem man eine Kirche zu erbauen
angefangen habe (Ano Domini MCC in choata est haec Ecclesia gloriosae Mariae), welche In-
schrift indess erst Ende des XIV. oder sogar Anfang des XV. Jahrhunderts nach dem grossen
Bau dahin gesetzt worden ist, also sich auch auf traditionelle Zeitrechnung basirt.
Es wird nämlich erzählt, dass Herzog Heinrich ' und seine Gemahlin, die steinerne Capelle,
welche jetzt noch, in der Mitte der Kirche steht, aus Dankbarkeit erbauen Hessen. Diese Angabe
8tU8 der Sage nach ein geschnitztes Christusbild nach Maria Saal in Kärnten mitgebracht habe. Eine andere Auslegung
geschieht dahin, dass der erste Priester diess Hildniss selbst geschnitzt, wie es zu damaliger Zeit häufig vorzukommen pflegte,
da die Klosterbrüder sich mit der Ausübung der kirchlichen Kunst beschäftigten.
3 Papst, Geschichte von Böhmen, III. Bd. Seite -15, ist das Todesjahr 122-2 angegeben.
' Wie unsicher die Daten über Markgraf Heinrich sind , zeigt der Einblick in die einschlagenden Geschichtswerke. —
Nach Hubner's genealogischer Tabelle Nr. IOC, waren es des Herzogs W'ladislaw von Böhmen ff 1150) Sohn, Heinrich zu Znaim
und dessen Gemahlin Agnes, Tochter Marqu.ard's. Herzog von Kärnten. Nach Palack5''s Stammtafel I zu dessen Geschichte
von Böhmen Bd. 1, war es des Ladislaus I., jüngsten Sohnes Ilcinrich's von 1112 bis IICO. Gemalilin Margarctha — ohne nähere
(Bezeichnung; Bestimmung. Diese letzteren Angaben stimmen mit der Jahreszahl am Portal 1200 ebenso wenig übcreiu, ale
die früher angeführten, die Jabrcsbestimmung ist daher ganz unsicher, und beruht nur auf Traditionen.
Die Wallfahrtskirche zu Maria-Zell in Steiermark. 7i
ist iiidess vollkommen unrichtig-, da diese sogenannte Gnadencapelle m-sprünglich ein Ciborium-
altar war, welcher mit dem Bau der grossen Kirche in eine Zeit füllt. Es ist daher wahrschein-
lich, dass Heinricli eine Kirche zu bauen anfing, denn von Johanes Mannersdorfer, einem Wiener
Kechtsgelehrten, welcher zur Handhabung- der Rechte des Stifl:es berufen wurde, existiren einige
Pergamentblätter in lateinischer Ursprache mit dem Namen des Verfassers und der Jahreszahl
1487, diirin heisst es:
,.Im Jahr nach Gelmrt des Herrn, als mann zellt hat 1284, unter den Abbt St Lambrecht,
Bucliardo Benedictiner Ordens, Salzburgischer Diöcese und den apostolischen Stuhl ohne Mittl
unterworfen.
Das kleine Ort, alda der Altar, ist der allerscligsten Jungfrau Maria, nahet mitten in gedach-
ter Kirchen, Avar ein Zell eines gar andächtigen Bruders und Conventuelen vorgeiueltes Klosters
St. Lambrecht, welchem die Seelsorg daselbst vorgemelter Abbt eingeantwortet. In dieser Zell
liat gedachter Bruder Tag und Nacht vor dem Bild der seeligsten Jungfrau Maria, welches
auf den heutigen Tag noch vorhanden, zu den unsterblichen Gott, und seiner Mutter der heil.
Jungfrau Maria andächtig gebettet; bisweilen hat auch Abbt Buchardus, wenn er hieher ankom-
men, auf einen geweihten Stein, den man hin und wieder kann tragen, aus Zulassung Ihr Päbst-
lichon Heiligkeit entweder selbst Mess gehalten oder durch andere halten lassen etc. etc."
Es wird also von einer Kirche gesprochen, in welcher sich die gedachte heilige Zelle befun-
den habe, sowie sich eben heut zu Tage noch die Gnadencapelle mitten in der Kirche befindet,
nur mit dem Unterschied, dass damals gar kein Altar in der Zelle stand, sondern es erst in Folge
Aufstellung eines Reisealtars möglich wurde dort eine Messe zu lesen.
Nach all dem ist daher anzunehmen, dass nicht gegen das Ende, sondern im Anfange des
XIII. Jahrhunderts eine Kirche über der heil. Zelle gestanden hat. Leider sind keinerlei Banüber-
reste da, welche auf einen Bau aus der romanischen Periode schliessen lassen.
Der wichtigste Moment in der Baugeschichte der Wallfahrtskirche ist jedoch jener, als
Ludwig der Grosse König von Ungarn, Sohn Karl Robert's von Anjou, eine ganz neue Kirche
erl)auen liess. In den Geschichtsbüchern finden sich mehrere Versionen darüber ^
* So sdueibt der alte Chronist Joannes Mannersdorfer:
„Verners unter des vlelgemellten Klosters St. Lambrechts Abbten David nnd den nnuiberwindlicheu Khaiser Carl den IV.
Item von dem streitbahren Fürsten zu Steiermarkh Leopoldo so ein Enkl des Kaisers Friedrich des III. Item von Alberto
den IV. Herzogen ans Osterreich so ein Enkl des Ladislai König in Ungarn & Behiim auch Herzog in Osterreich etc. etc.
Als der Witrich Tiran der Tirkh aus Asien und Tratien durch die Enge des Mers durchschifftet, Banonien und die
ganze Walachei zu uiberziehen, zu bestreiten, zu verheeren und zu verderben, auch in ihren Gewalt und machometisehen
Glauben zu bringen vermeinte, hat sich allda sehen lassen der alte unuiberwindlichste & christliche König Ludwig in Ungarn
ist dem türkischen Hör mit 20.000 Eeit und Fuss Knecht begegnet; da aber König Ludwig das grosso Hör der Feind warname
(dan ilir mehr als an die achtzig tausend waren) hat er sich entsetzet, sein und der seinigen Leben mit der Flucht zu erhalten
vermeint: Unter dem, als er in grosser Traurigkeit war, uiberfiel ihm ein Schlaf, und kam ihm für dasjenig so er von vielen
zuvor gehört, wie die seelige Jungfrau Maria zu Cell mit gar grossen Mirakeln und Wunderwerken geziert seie. Als er nun
in solichen Gedanken war, ist ihm die allerwürdigste Jungfrau Maria erschienen und hat ihr Bildniss auf sein Brust gelegt,
gestärkt & befohlen, er soll beherzt den Feind angeen und mit ihm ein Schlacht thun. Als nun König Ludwig ermuntert und die
Bildniss unserer lieben Frauen auf seiner Brust gefunden; hat er die Sach alsbald seinen Mitgefährten erklärt, welche sich erfreid
& gestärkt mit dem König Ludwig an den Feind haben einen Angriff gethan und gar glückselig Sig und Vietori erlangt.
Den bald hat sich König Ludwig mit seinen ganzen Kriegshör aufgemacht nnd wie er verlobt gegen Cell zu Unser
Frauen verfieget.
Da aber die Cell, welche von obgemelden Marggrafen aufgerichtet, gar zu eng und nicht zum besten fieglich gebaut,
hat er stracks dieselbe Cell lassen abbrechen, und diesen herrlichen Tempi, welchen wir jetzt vor Augen haben, mit aigen
Unkosten auflsauen lassen, hat auch damals dis obbemeldete Bild unserer Frauen so auf seiner Brust gelegen, mit Gold und
Edelgcsteinen aufs zierlichst gezieret, geschmückt diser Kirchen aufgeopfert. Weiter das Täfiein, so mit Heiligthumen der
Heiligen erfüllet, welches er selbst an Halss zu tragen gepflegt, Item deu Khelich mit der Paten, so aus lauter guten Gold,
auch ganz güldene Messgewänder mit güldenen Lilien und vil mer andere Glänäter, in welche alle sein Wappen eingedruckt,
in der Sacristei allhier gefunden und gezeigt werden, hat obgedachter König Ludwig dieser Khirche übergeben und aufgeopfert.
Die Wunderwerk aber, welche der Allerhöchste Gott durch Fürbitt der allerscligsten Jungfrau seiner würdigsten Jluttcr von
< -i IIaXS PETSCnNIG.
Es ist nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes zu untersuchen, welche Geschichtsaneabc in
Bezug auf den Erfolg der erzählten Schlacht die richtige ist, auch die Berichtigung ob dieselbe
obbemeldeter Zeit an, allda gewirkt hatt, und noch täglich wirkhet, wiewohl sie nicht alle beschrieben oder in Druck verfertigt
worden, dennoch kinnen sie wahrgenommen werden, ans den M.ililwerkhen & IJihlnissen, aus allerlei Zaichen und Instrumen-
ten, als Bögen, Messer, Waflfen und dergleichen mercr, welclie zum Theil in der Sacristei zum Theil von jedermann kinnen
gesehen werden''.
Als Jahreszahl dieser Schlacht wird nach Petrus Lambicius im Diario St. Itineris Celensis pag. 5.S das Jahr 1363 angege-
ben; — und zwar wäre das türkische Heer von Amuratii I. selbst angeführt worden, was jedoch nicht richtig ist, da Murad I.
schon 1359 die Regierung nach dem Tode seines Vaters Urchan angetreten iiatte. In der Geschichte der Ungarn von Michael
Horvath 1. Bd. .S. 211 heisst es:
„Die Ursache, warum der Papst die Herstellung des Friedens zwischen Ludwig und Kaiser Karl so eifrig betriel) und
warum aucb Ludwig selbst den Frieden wünschte, war die Ausbreitung der türkischen Macht in Europa. — Als diesem Volk
von Eroberern schon Adrianopel sich unterworfen hatte, bath der Papst den König Ludwig mehrmals, er möge die Bewegungen
dieses wilden immer weiter vordringenden Volkes im Auge behalten. Sisman Fürst von Bulgarien, von den Türken geschlagen,
schloss sich als Bundesgenosse an sie an, und begann mit ihrer Hilfe die Walachei und Serbien zu beunruhigen. Als daher
Ludwig die Angelegenheit im Westen geordnet hatte, führte er sein Heer im Jahre 1365 nach Bulgarien, vereinigte sich dort
mit seinem Lehenstriiger dem wallachischen Fürsten Ladislaus (Xajkoj, eroberte Widdin, obgleich es von Strasscimir dem Ober-
feldherrn Sismans. tapfer vertheidigt worden war, nahm Strasscimir selbst gefangen, und nachdem er das fast SO.OOO Mann
starke bulgarisch-türkische Heer vollständig geschlagen hatte, Hess Ludwig, um Gott seinen Dank zu bezeigen, eine Kirche
in Maria Zell bauen fKatona 10, 394), und eroberte das ganze auf dem linken Donauufer liegende Land, weil er selbst aber
durch die in Oesterreich ausgebrochenen Unruhen nach Hause gerufen wurde, Übertrag er die Errichtung und Regierung der
Provinz dem Woiwoden Dionisius Apor"^.
In der Geschichte des osmanischen Reiches von Joseph v. Hammer wird diese Episode folgendennassen beschrieben,
1. Band, S. 169, 170, 171: Murad I. hatte nach der Eroberung von Philippopolis Frieden mit dem griechischen Kaiser geschlos-
sen, aber er hatte desselben zu Brusa kaum zu geniessen angefangen, als in Europa ein neues Ungewitter losbrach. Der
griechische Befehlshaber von Philippopolis hatte sich zum Könige von Servien geflüchtet, und nachdem Papst Urban V. den
zweiten Kreuzzug wider die Türken ausgeschrieben, wie Clemens V. den ersten, verbündeten sich der König von Ungarn,
Serbien, Bosnien und der Fürst der Walachei zu einem gemeinschaftlichen Feldzuge wider die schon ihre Grenzen bedrohenden
Türken. Lalaschahin der Beglerbeg sandte hievon Kunde und bath um Hilfe, weil er allein der Übermacht der Verbündeten zu
widerstehen unlahig war. Murad schickte sich an mit Schiffen und Truppen den Hellespont zu übersetzen, als er aber bei
Bighar (dem alten Pigai vorbeikam, welches schon früher von Urchan erobert, eine Zeit lang der Aufenthalt seines Bruders
des Grosveziers Alaeddin gewesen, dann aber wieder in die Hände der Feinde gerathen war, beschloss er, durch die Erobe-
rung desselben den Rücken zu sichern, ehe er dem Feinde in Europa die Stirn böte. Er sammelte daher die zu Aidindschik
(Cycikus) und Kallipolis befindlichen Schiffe, trug ihnen die Hut des Meeres auf, und legte sich belagernd vor Bighar. Indessen
war in Europa das Heer der Verbündeten mit Eilmärschen, bis an die Mirazza, zwei Tagreisen ober Adrianopel, herbeigerückt.
Lalaschahin, an dem Siege ob der Übermacht des Feindes verzweifelnd, sandte den Hadsehi Ilbeki „diesen ersten
Renner der Rennbahn der Tapferkeit, diesen Löwen der Schlacht und Kämpfer der Glaubensmacht", wie ihn der Geschichts-
schreiber Seaddeddin nennt, auf Kundschaft und Fehde aus. Hadsehi Ilbeki, der das nur aus zehntausend Mann bestehende
romanische Heer nicht wider die doppelt grössere Zahl der Feinde in offener Schlacht bei Tag auf das Spiel des KriegsglUckes
zu setzen sich getraute, wagte es auf einen nächtlichen Überfall des in Sorglosigkeit und Trunkenheit versunkenen feindlichen
Lagers. Das Getöse der türkischen Trommeln und Pfeifen , das Schlachtgeschrei „Allah, Allah", tüUte die Luft und die Herzen
der Christen mit Schrecken, denselben vermehrte die Finsterniss der Nacht; „die Feinde ergriffen" sind Seadeddins Worte,
„■nie wilde Thiere aus ihrem Nachtlager aufgeschreckt eiligst die Flucht, strömten gegen die Marizza hin, schnell wie der
Wind hergeht vor der Gluth und sanken unter in die Fluth (766) 1363." sDa das Jahr 766 erst im September 136+ beginnt, so
fällt die im Sommer vorgefallene Schlacht ins Jahr 1363.)
Diese Schlacht ist die erste, in welcher die Ungarn gegen die Osmanen fochten; die Rettung des Lebens aus derselben
als Sieg betrachtend, hatte König Ludwig dem Maricnbilde, das er mit sieh fiilirte und dem er diese wunderthätige Rettung
zuschrieb, eine Kirche gelobt. Er löste sein Wort durch die Erbauung Maria Zolls, des österreichischen Loietto, von dessen
grossen Wundersagen die erste, welche diese Niederlage der verbündeten christlichen Heere in einen vollständigen Sieg über
die türkischen verwandelt, zugleich die historisch merkwürdigste ist.
Merkwürdig ist auch die genaue Übereinstimmung der türkischen Geschichte und der steiermärkischen Legende, in der
Zahl von Ludwigs Heer, welches die eine und die andere auf 20.000 Mann angibt, nur mit dem Unterschiede, dass diese Zahl
in der Sage als die doppelt grössere der türkischen Heeresmacht e'"scheint; merkwürdig endlich ist diese Schlacht durch das
tragische Loos des Feldherm, der sie gewann, des eben so tapfern als staatsklugen Hadsehi Ilbeki, welchen Lalaschahin der
Beglerbeg ans Eifersucht über die ihm geraubte Ehre des Sieges vergiftete. So verewigte diese bisher von den Legendeii-
schreibem als der grösste Sieg gepriesene, von steiermärkischen und ungarischen Geschichtsforschern aber als wirkliche Bege-
benheit bezweifelte Niederlage der Serbier ihr Andenken durch die bleibende Benennung des Schlachtfeldes an der Marizza,
und im steiermärkischen Hochgebirge durch die .Stiftung Maria Zell's.
Während König Ludwig als Dank für die Rettung aus der Niederlage die Kirche zu Maria Zell gebaut, baute Murad,
wiewohl aus einem andern Grunde als dem des Dankes, für den an der Marizza erfochtenen Sieg und die in Asien fast
gleichzeitig erfolgte Eroberung Bighas, Moscheen, Klöster, Schulen und Bäder; zu Biledschik eine Moschee, zu Jenitcher ein
Kloster für den frommen Derwisch Postinpuich.
Die Wallfahrtskirche zu Maria-Zell in Steiermark. io
1363 oder 1365 stattgefunden hat, ist hier nicht wesentlich, sondern nur das Factum hat Be-
deutung, dass König' Ludwig eine Kirche in Maria -Zell nach der erwähnten Schlacht erbauen
Hess, imd zum Andenken sowohl das Gnadenbild als auch Schwert und Pferde, Ausrüstung und
die Prunkkleider, nebst Hemden, welche er und seine Gemahlin getragen haben, und die unter
dem Namen Brautkleider noch heute in der Schatzkammer aufbewahrt werden, dahin zum Ge-
schenke gemacht habe. Noch wird erwähnt, dass Ludwig auch kostbare Kirchengeräthe gespen-
det hätte; leider sind dieselben nicht mehr vorhanden.
Im Tympanon des gothischen Hauptpoi-tals besagt eine Insclu-ift: .,Ludwig, der König- der
Ungarn, hat durch die Mutter der Barmherzigkeit einen herrlichen Sieg über die Türken erfochten".
Nähere Daten über den Beginn und den Ausbau der Kirche sind leider nicht zu finden,
allein die Stylistik des Baues gehört in das Ende des XIV. Jahrhunderts und lässt die Vermu-
thung zu, dass dieser Bau im Anfang des XV. Jalii'hunderts beendet worden sei.
Von den Fürsten des habsburgischen Regentenstammes war es schon Rudolph L, welcher
1275 von Wien einen Verbotsbrief gegen die Einmischung des Burggrafen von Graslupa in die
Angeleg-enheiteu des Stiftes erlassen.
Albrecht IL zeigte sich sehr wohlwollend, bestätigte mehrere für Zell günstige Verträge
und stiftete einen Altar in der Kirche ''.
Rudolph sein Sohn stiftete für sich und seine nächsten Nachkommen ein heil. Mess-
opfer (1364).
Albrecht III. bestätigte selbe 1371.
Wilhelm L, Sohn Leopold des III. befreite 1401 die dem Stifte St. Lambrecht zu Lutten-
berg in Untersteier gehörigen Weingärten vom Zehent und verordnete, dass der desshalb ausfal-
lende Gewinn auf Opfer in der Kirche zu Zell verwendet werde.
Albrecht IV. erlaubte 1402 den Bürgern zu Zell und Hotznberg einen Fahrweg über den
sogenannten Töttenhengst zu ihrem gemeinschaftlichen Nutzen zu errichten.
Ernst der Eiserne schmückte das Schatzkammerbild und gab 1414 den Befehl, dass
seiner und seines Bruders wie dessen Gemahlin öffentlich gedacht werde.
Abt Heinrich H., genannt der Mährer, erbat sich von Kaiser Sigismund einen freien Ge-
leitsbrief, da die nach Zell wallenden Pilger in dieser Zeit mancher Unbill und sogar Überfällen
ausgesetzt wai-eu '. Diese Urkunde wurde dann durch eine zweite dtto. Insbruck 1434, bestätigt.
" „Wür Albrecht von Gottes Gnaden, Herzog zu Österreich, zu Steuer, zu Kärnthen, Herr zu Wien, auf der Markh und
zu Portenon thun kund, dass Wür gegeben hatten zu einer Ergözung, und Gott und unser Frau und Sand Lambrecht zu
Lob und zu Ehren, Unseres Seel, und aller Ünsern vordem Seel und Unsern Nachkommen Seel zu Hülf und zu Trost. Des
ersten dass aigen heisset Lünsehitz, gelegen in dem Afiflenz Thall das Unser Lehen gewesen ist von dem Gotteshaus zu
Sand Lambrecht, dass wür Uns derselben Lehenschaft daran gänzlich verziehen, und geben es auch mit allem dem Nutzen und
Rechten, alss Wür es ihn gehabt haben, auf unser Altar da zu Cell der geweiht soll werden in dem Ehren unser Frau und
Sand Johannes Evangelisten und Sand Johannes Baptisten, und soU auch das Vogtrecht von Celle, von Veitsch von Afflenz
Thall fürbass ewiglich dienen und warten dem Gottes Haus Unser Frauen zu Cell, als welchen wür im zu Vogt dahin geben,
nach ihrer Vordenmg, dass der keine Vogtrecht darvor nemben, noch fordern soll, den was sie ihm williglich gern geben,
auch bestätigen wür Ihn Ihre Recht an ihren Gerichten, die sie haben zu Cell, zu Veitsch, zu Afflenz Thall, dass sie die
habent suUen, als sie ihn vor Alter herbracht halient, und als sie sen heunt zu Tage ein Nutz und Gewerb habent. Auch thuen
wür die Gnadt mehi-, dass Wür Ihn geben und erlauben auf ihren Urb.är im Markh zu stüfften dazu Zelle, oder auf dem Terze,
und geben Ihm dahin alle Jlarkh Recht voUiglichen dazu, so nehmen Wir auch das Gotts haus Sand Lambrecht und alles dass
dass darzu gehöret Leut und Guath in unsern besondern Gnadt und Schirm, und bestättigen auch Ihn, auch alle die Recht,
und alle ihre Gewerk, die sie an ihrem Stifter und an unsern Vater habent, und alss sie das hergebracht in Nutzen und in
Gewehr und dass sie ihn, und denselben ihren Gotts haus Sand Lambrecht, diese Gnad und Sache als vorgeschrieben ist,
von Uns und von Unseren Nachkommen fürbass ewiglichen also statt, und uuzerbrochen bleibt, darüber so geben wir Ihn diesen
Brieff zu einer wahren sichtigen Urkund dieser Sachen besiegleten Unsern anhängten Insigl. Der geben ist zu Wien, am Sand
Mateustag des Evangelisten nach Christi Geburt dreizehnhundert Jahr, darnach in den zwei und vierzigsten Jahr".
' „Wür Sigismund von Gots Gnaden Römischer Kunig zu allen Zeiten Merer des Reichs und ze Hungarn und ze Beham,
Dalmatien, Croatien etc. etc. Kunig bekhenuen und thun chund öffentlichen mit dem Brief allen, dass Uns mer willig, tleissig und
74 Hans 1'etscunig.
Auch erg-ing das Verbot unter Aiulrolunig dos Kirflieubaimes an alle Chrisrgläiiliigen. den
nach Zell Wallfahrtenden ein llinderniss in den Weg zu legen (1 iii).
Ferner wurde dem Abte Heinrich gestattet (\Yien, ii. Juli 1443) auf dem Kreuzberge in
der Pfarre Zell, zu Ehren der heil, ilaria und des heil. Sigismund eine Capelle zu bauen.
Kaiser Friedrich III. bestätigte 1454 den früher erwähnten Geleitsbrief und erklärte
14.j5 das Gebiet von Zell frei von allen Anlagen.
Ein Brief von ihm empfiehlt dem damaligen Prälaten Johann Schachner, den küniglichen
Pilger Ladislaus König von Ungarn mit ausgezeichneter Ehrenbezeigung zu empfangen'. Ferner
bewilligte Friedrich dtto. Neustadt am Dienstag nach dem Sonntage Misericordiae 1454 ein Schloss
auf dem Kreuzberge, welchem man von der dort gelegenen Sigmundscapelle den Namen gab. zu
erbauen, und beiläufig sieben Meilen von Maria- Zell beim Eingange des sogenannten Thöil-
Grabens zu Schachenstein ebenfalls ein befestigtes Schloss zur Sicherheit der Kiiclie und des
reichen Kirchenschatzes anzulegen. Ersteres blieb nur eine mit Mauer umgebene Capelle, welche
von den Soldaten Mathias' Corvinus zerstört wurde; aber Anfang des XVI. Jahrhunderts baute
Abt Johann Sachs dieselbe wieder auf, so wie das Kirchlein heute noch steht. Von letzterem sind
nur noch Ruinen vorhanden, welche sich mit ihren Erkern und Pechnasen höchst mahleriscli und
romantisch ausnehmen.
Von Unglücksfällen Avar Maria-Zeil öfter heimgesucht. Am 25. Mai 1474 brach eine «-rosse
t' C: O
Feuersbrunst aus, die den ganzen Markt, die Kirche und den Kirchenschatz zerstörte, inn* drei
Häuser blieben verschont; auch drangen türkische Horden um den Jahreswechsel von 152!l und
15oU in diesen Ort. Sechsunddreissig Jahre später, als Elrzherzog Mathias (später Kaiser) mit der
Erzherzogin Elisabeth sich in Zell befand, entstand am Bartholomäustage 15G6 plötzlich Feuer
lind wüthete derart, dass 37 Häuser in Asche gelegt wurden, selbst die Kirche war in äusserste
sorgsam gebiiret, aller Cluster und geistlichen Personen, die nu der Welt Uppichait zeruck geworfen hant, und (hm alhiii-ibtigi-n
Got in einen geistliehen Leben dienen, und in solchen Leben mit Unsern sunderlichen Gnaden ze bedenkhen, gnediglich ze handt-
haben, ze bewahren und ze beschirmen und .luch in Friede und Gemache ze schaffen, dass sy Christum Unsern Herrn des
Frides Liebhaber in fridlichen und bedribten Wesen dester bas gedienen, sicklicher ehren und anbeten mögen. Wann nu die
Ersammen Geistliche Heinrich Abbt und sein Convent des Klosters und Gotshaus zu Sand Lambrecht in Kernten .Sand Bene-
dicteu Ordnen, Salzburger Pistum gelegen, Unsern Lieben, Andächtigen eins ordentlichen Lebens sind, und ir Zeite in Gotes
dienste mit Singen und Lesen redlich, und ersamlich verzehren, und die Kirche unser lieben Frauen zu Zell in demselben
Pistumb zu Salzburg gelegen demselben Closter zugehört, dahin gross nienig Christen Volks in Pilgrems Weiss uudi (Jnad
zu erwerben, und Selichait, ir Seel täglich zeucht, und die Gott, und seiner .Mutter Jlaria zu Ehren besuchent, und wan Uns
nu fürbracht ist, dass die Leute und Pilgrem, die als durch Gnaden Willen gen Zell ziehen oft und vil uff dem Wege, uff
den Strassen, und auch in den Herbergen hin und wieder betrüebet, gehindert, und beraubet, gefangen und gesehlagen werden,
von untugendlichen Leuten, die Gotsfurcht zu ruck schlagen, und ir selbs Er, uud Selichaid muetwilliglieh hingebeu und ver-
gessen haben. Und davon habent Uns die vorgenannten Abbt uud Convent dimitiglich gebetten, und angerut'eu als einen
römischen Kaiser und Kunig, uud Übristen Vogt, und Beschirmer der Kirchen, sy gnediglich darinnen ze bedenkhen, zu
beschirmen, und vierzesehen, und sy in Unser, und des Kelches sondern Schutz und Schirme zu nemmen, dass die Pilgrem
die Gott und unser lieben Frauen ze Ehren gen Zell und wieder von danen anheym ungehindert sicher Leibs und Guts
ziehen mögen.
Darumb mit wohlbedachten .Mueth, giithen Käthe haben Wür die vorgenannten Abbt, Convent und Kloster ze Sand Lam-
brecht, und die Kirchen mit sambt dem Markth ze Zell in Unser und des heil. Kelchs sunderlichen Schutz, Huet und Schirme
gnediglich genommen und wellen, dass sy soliches Gelaits, Schirms und Freiheit uf den Wegen, Strassen, Herbergen und
überall gebruchen, und geniessen sollen und mügen, und dass die Strassen daselbst hin und wieder sicher und frei seyn sullen
von allenneniglich ungehindert. Geben zu Pressburg an Montag vor Sand Laurenzen Tag, nach Christi Geburt vierzeheiihun-
dert, und daraach in den neun und zwanzigsten Jahr. Unsers Keichs des hungerischen in dem drei und vierzigsten, des Köuil-
schen in dem neunzehnten, und des böhmischen in den zehenten Jahren."^
* „Ehrsamer, geistlicher. Lieber, Andächtiger. Uns ist angelangt, wie Unser Vetter König Lasla sich seines Gewerths jetzt
von Baden hinein gegen Zell zu fügen maine. Begehren wir an dich mit ganzen Fleiss, dass du darob seyst, und bestellest,
damit er mit dem heiligthume empfangen, und gen ihm mit der Procession entgegen gangen, auch als langer daselbst zu Zell
sei, ihm wohl erbotten, und von Zehrung wegen von ihm und sein Hof Gesind nichts genommen, noch gegeben werde, durch
Unsern Willen und Uns zu Ehren. Daran tliust du Uns sunder Dank nenunen gut gefallen, dass Wir gegen Dir und deinen
Gotshaus gneiliglich wollen erkennen. Geben zu der Neustadt am S. Aegidien Tag etc. etc. etc.
» Eine ausführliche Beschreibung dieser Capelle findet sich in den .Mitth. IV. Band, p. 282.
Die Wallfahrtskikchk zu Makia-Zell in Steiermark. <5
Gefahr gekommen, aber auf Befehl der kais. Hoheiten legte die zahlreiche Dienerschaft Hand an
zur Rettung der Kirche, und unter der umsichtigen und energischen Leitung des Oberstallmeisters
( )ctavius Laureanus wurde dieses Unglück auch rechtzeitig abgewendet.
1601 liatte Erzherzog Mathias bei Stuhlweissenburg die Schlacht gegen die Türken behaup-
tet, zur Erinnerung daran brachte er 1602 eine aus Gold verfertigte Krone für die Statue der heil.
Maria, in deren innerm Rande folgende Inschrift in lateinischer Sprache eingravirt wurde:
^Mathias, Erzherzog von Osten-eich, Herzog von Burgund, Steier, Kärnten etc. etc. Graf zu
Halbsbiu-g und Tirol etc. etc., Vice-König (Pro rex) von Hungarn und Osterreich etc. etc.,
Oberster Anführer der Truppen fsupremus et generalis exercitus dux), Sieger in der heftigen
Schlacht gegen die Türken bei Stuhlweissenbiirg am 13. und 15. October, stattet hiermit sein
Gelübde ab, nachdem Gott durch die Fürbitte Mariens seine Bitte erhört hat, und bringt dankbar
diese Krone und ein heil. Messgewand, als Zeichen des gemachten Gelübdes dar. Im Jahre des
menschlichen Heils 1602, den 8. September''.
So wurde der Gnadenort Maria-Zeil mit besonderer Vorliebe von dem allerhöchsten Regen-
tenhaus besucht und von selben viele Stiftungen an die Kirche und Kirchenschatz gemacht, bis
in die allerneueste Zeit.
Wichtig für die spätere Bauperiode ist Ferdinand III. römischer König, welcher den damaligen
Abt Benedict ermunterte, die Kirche vergrössern zu lassen und Beiträge hiezu zu liefern versprach.
Der erwähnte Prälat wurde sresren die herkömmliche Gewohnheit nicht im Stifte Lambrecht,
sondern in Zell selbst, wo er Prior war, zum Prälaten erwählt, und vom Kaiser bestätigt.
Pabst Urban VIII. erkannte ihn als rechtmässig-en Nachfolger seines verstorbenen Vorfahrers
Johann Heinrich Stattfeld in der Urkunde 17. Kai. Augusti 16-40.
Am 6. Mai 161:4 wurde unter Abt Benedict der Grundstein zur heutigen Kirche respective
Vei-grösserung und Umbau gelegt. Der Kaiser besuchte den Neubau 1615, 1652, 1655, ein
Beweis des regen Interesses für das begonnene Werk. Der unter Abt Benedict begonnene Bau
wurde von seinem ebenfalls in Zell 17. September 1700 gewählten Nachfolger Abt Franz Kalten-
hauser beendet und 31. August 1704 feierlichst eingeweiht.
Anno 1683 als die türkische Armee vor Wien stand, wurde die Statue der heil. Maria von
Zell weg nach dem Stifte St. Lambrecht in Sicherheit gebracht, jedoch nach dem Abzüge der
Türken vor Wien wieder in feierlicher Procession nach Zell zurückgeführt.
1757 wurde das so bedeutende Jubeljahr zur Feier des sechshundertjährigen Bestandes der
Kirche in grossartiger Weise begangen.
In Folge dieses Jubeljahres liess die Kaiserin Maria Theresia ein schweres silbernes Gitter
in damaligem Rococcostyl anfertigen, jedoch erst im nächsten Jahre aufstellen, aus Vorsicht, damit
bei dem grossen Andränge der Wallfahrer diesem werthvollen Geschenke keine Beschädigung
zugefügt werden könne.
Im Jahre 1769 stiftete die fromme Kaiserin Maria Theresia ein kostbares Antipendium zum
Gnadenaltar. Es war aus massiven Silber, durch Balthasar Ferdinand Moll, einem Schüler Raph.
Donner's angefertigt, wurde jedoch in den napoleon'schen Kriegen eingeschmolzen und durch eine
minder werthvolle Copie ersetzt'".
Im Jahre 1805 brachen die Franzosen im Aftlenzthale ein, und kamen bis Maria-Zell, je-
doch wurde der Kirchenschatz, so wie die Gnadenstatue schon früher verborgen. In der Kirclie
wurden die Gefangenen untergebracht und Wachtfeuer angezündet. Sie machten sich schon daran,
die Kirchenbänke und Beichtstühle zu zertrümmen um Brennholz zu erhalten, und hielten erst
inne, als man ihnen hinlänglich viel Holz brachte.
10 S. Berg-uiann's Nachrichten über die Bililhauertainilie Moll. Mitth. XIII, p. CVII.
XVI. 11
76 Mass PKTsf iiNif,. Du: Wallfaiirtskiuchf. 7X Makia-Zei.l in Stkikkm \i;k.
Der Kirchenscliatz hatte bei dieser Gelegenheit eine merkwünlijre Reise gemaclit. Da
man die Annäherung der Feinde bis Maria -Zell wohl für möglich aber niclit für wahrscheinlich
hielt, so wurde der Kirchenschatz eingepackt, aber erst 2 — 3 Stunden vor Ankunft der Feinde
nach Grätz gesandt, von da kam er ohne Aufenthalt nach St. Gotthardt in Ungarn, von da weiter
nach Türgge und endlich bis zum Plattensee nach Tihany, von wo er erst nach vier Monaten
wieder nach Zell zurückgebracht wurde. Im Jahre 1809 als die Franzosen das zweite Mal in Zell
eindi-angen, wurde der Kirchenschatz nach Temesvär abgeführt, wo er über zehn Monate verblieb.
Der letzte füi-chterliche Zerstörnngsact trat im Jahre 1827 ein, es war dies der sechste
Brand, alier keiner trat für Kirche und Ort mit einer Verheerung auf, als dieser. Es war in der
Allerheiligen-Nacht des genannten Jalires, als das Heulen des Sturmes von einem Prasseln und
Brausen übertönt wurde, welches die im Schlafe befangenen Bewohner erweckte und sie mit
Entsetzen erfüllte. Es schien als habe ein Flammenmeer sich über den unglücklichen Ort ergos-
sen. Entsetzt und rathlos starrten die Bewohner wie gelähmt in das entfesselte Element. An
Rettimg war nicht zu denken; von 111 Häusern blieben nur 20 übrig. Die Dächer der Thürme
und Kirche waren verkohlt, und geschmolzen lagen die Glocken auf den Gewölben. Die Wieder-
herstellung der Kirche begann 1828 unter der Leitung der Grätzer Baudirection und wurde 1830
vollendet. Das vergoldete Kreuz setzte man am 21. Mai desselben Jahres unter grosser Feier-
lichkeit auf dem Mittelthurm auf.
Die letzte Restauration fand im Jahre 1862 bis 1865 statt und zwar unter der Leitung des
Baimieisters Cletus Zearo von Judenburg; bei dieser wurde hauptsächlich der gothische Thurm
restaurirt und das mittlere Fenster dm-ch ein gothisches ersetzt, auch wurde die ganze Aussen-
seite ausgebessert und erhielt einen frischen gleichmässigen Anstrich.
Nachdem der historische Theil über die Entstehung der Kirche und deren Baugeschichte
bis in die neueste Zeit vorausgeschickt worden ist, wollen wir nunmehr zur Beschreibung des
Gebäudes selbst schreiten. Zugleich wollen wir unsern archäologischen Standpunkt erörtern und
mit Hilfe der vorhandenen Bauformen dürfte es möglich sein, manche Annahmen, welche in den
Schriften und Büchern über Maria-Zeil als fest angenommen und S2;)äter immer wiederholt worden
sind, zu berichtigen. Nicht minder wollen wir auch dem im engsten Sinne des Wortes reichen
Votivschatze einige Aufmerksamkeit widmen tmd das wenige von archäologisclier Bedeutung Vor-
handene näher betrachten.
Die Wallfahrtskirche zu Maria-Zell ix Steiermark.
77
n
..-
r
l ^' '
Archäologischer Theil.
(Mit 28 HolEschniUen und einer Tafel.)
(Fortsetzung.)
Wie ein Blick auf den in Fig. 1 beigege-
benen Grundriss der Kirche, der jedoch nicht
das ganze Kirchengebäude, sondern nur das
Laughaus darstellet, uns belehrt, besteht dasselbe
aus drei Schiffen, deren jedes in fünf Gewölbe-
joche zerfällt; ausserdem sehen wir den mäch-
tigen Vorbau, über dem die drei Thürnie sich er-
heben. In Mitte des fünften Travees des Mittel-
schiffes steht die sogenannte GnadencapeUe.
Man bezeichnet die GnadencapeUe gern als einen
Bau aus sehr früher christlicher Zeit, allein wie
schon vorher ei-wähnt, ist aus der Zeit Heinrich's
des Markgrafen von Mähren , welche in das
XIII. , nach mehrseitiger Annahme sogar in das
XII. Jahrhundert fallen soll, nichts mehr vorhan-
den. Wir müssen eine derlei Angabe als vollständig
unrichtig zurückweisen. Hiezu geben uns sowohl
die Anlage als auch die Detailbildung vollkom-
men Gewissheit. Betrachten wir dieses in späte-
rer Zeit durch Verstümmlung und mancherlei
Zuthaten beinahe unkenntlich gewordene Werk
genauer, so erhalten wir die Überzeugung, dass
es ein gothischer Ciborien- Altar ^ ist, in welchem
man die Gnadenstatue aufgestellt hatte, und den
man später mit Gussmauerwerk nach drei Seiten
hin ausgefüllt hat.
Es ist nicht nur möglich, sondern sogar
wahrscheinlich , dass Markgraf Heinrich nach
seiner Genesung über die geheiligte Celle eine
Kirche bauen Hess, da es heisst, er habe Bauleute nach Zell entsendet, und dass deren Anfang
vielleicht schon 1200, wie die Inschrift am Hauptportale zeigt, begonnen worden ist. Indess
Bauformen romanischer Art, wie selbe in dieser Zeit in der Architektur geherrscht haben, existiren
daran leider nirgends, nicht einmal in Bruchstücken, wie solche häufig an solchen Stätten einzeln
vorkommen, wenigstens ist in dieser Richtung bis jetzt nichts vorzufinden gewesen. Gewiss ist es
aber, dass die jetzige GnadencapeUe hinsichtlich des Baustyles mit dem Bau der Kirche, welchen
Ludwig König von LTngarn ausführen Hess, zusammenfällt, und dass derselbe Steinmetz, der das
Hauptportal gemeisselt, auch an dem Ciborien- Altar gearbeitet hat.
Diese GnadencapeUe, wie wir selbe der allgemeinen Übung gemäss nennen müssen, hat
ein Trapez zum Grundriss, was vielleicht seinen Grund darin hat, dass die Kirche Ludwig's hier
• Die Ciborien- Altiire haben sich von der altchristlichen Zeit bis in das späteste Mittelalter erhalten ; so stehen im Dome
zu St. Stephan drei Ciborien-Altäre apiitgothischer Architektur.
XIV. 12
Fig 1.
78
Hans Petschsig.
Fis
Fiff. i.
ins Achteck übergesranoren ist,
uud die beiden Seitenschiffe
vuu das Mittelschiff getiihrt
worden sind, eine Anordnung,
die sich häufig in dieser Zeit-
periode findet.
Vorn ist die Capelle mit
einem Kundbogen geschlos-
sen, welcher ein birnfürmiges
Profil hat und auf polygonon
Diensten mit profilirten Capi-
tälen aufsitzt. Zwei Capitäle
(Fig. 2 und 3) mit stvlisirtem
Blattwerk wai-en zur Aufnahme von Statuen bestimmt, ober denselben Baldachine mit Giebeln
und Fialen. Von den Baldachinen schwingt sich ein geschweift - spitzbogiger Wimberg auf. In
der stark vertieften Hohlkehle (Fig. 4) ist ein schön stylisirtes Ornament angebracht, mehrblättrige
Blüthen uud langgezogenes Blattwerk mit Beeren auf
einem Stängel, der sich wellenförmig in die Hohlkehle
hineinlegt. Der geschweifte Wimberg, welcher fiülier
sicher oben mit einer Kreuzblume geschlossen war, wurde
in der Höhe abgebrochen , um einem plumpen stark
ausladenden Renaissancegesimse Platz zu machen ; auf
schweren Postamenten stehen daselbst die Glorie des heil. Joseph und Engelsgestalten.
Zwischen den Baldachinen und dem Wimberge sind noch zwei Köpfe angebracht, welche
ihrer Behandlung nach derselben Zeit angehören. Es ist zu vermuthen, dass dieser Bau oben mit
einer dm-chbrochenen Balustrade geschlossen war und der Wimberg mit seinen Kreuzblumen über
selben hinausgeragt hat. Zwischen Rundbogen und Wimberg sieht man zwei Brustbilder (Fig. 5)
mit ornamentirten Kronen, welche mit
Blattornamenten in gleicher Weise wie
die Hohlkehle umrankt werden. Diese
Brustbilder bezeichnen die Chronisten
als den Markgraf Heinrich und seine
Gemahlin Agnes, eine Annahme, der
man natürlich nicht beipflichten kann,
wenn man das Ende des XIV. und An-
fang des XV. Jahrhunderts präcis auf-
gestellten KronenfoiTnen entgegen hält.
Kach diesen haben nur Könige und Königinnen Kronen, wälu-end den Markgrafen niemals dieses
heraldische Svmbol \-indicirt wurde. Es ist demnach viel wahrscheinlicher, dass diese beiden
Brustbilder den Könis: Ludwig- und seine Gemahlin vorstellen.
Im Innern ist diese Capelle mit einem Kreuzgewölbe geschlossen, welches Rippen mit
Bimprofil hat, jedoch ohne Schlussstein. An der Rückseite der Capelle ist eine Mensa von b Fuss
10 Zoll Länge erhalten, deren Fläche einfach mit Relief-Masswerk in Form einer Balustrade
belebt ist. Ober selbem sieht man Nase und M«und eines eingemauerten Kopfes hervorragen,
möglich von einer Figur, welche aus derselben Bauzeit stammt. Es ist .sicher anzunehmen, dass
* Diese Form kummc schon gegen Ende des XIV. JabrLunderts vor. uuil wird namontlicb bei kleinen Objecten beliebt.
Fis
Die Wallfahrtskirche zv Maria-Zell in Steiermark.
79
Fiff. 6.
diese Capelle auf vier Pfeilern gestanden hat, und nach allen Seiten nach Art der Ciborien-
Altäre offen, ehemals blos mit Vorhängen abgeschlossen wurde.
Ob nun diese Mensa einmal vorn gestanden hat oder ob hier ein Doppelaltar angebracht
■nar, der auch nach der Rückseite einen Altartisch hatte, ist durch den blossen Anblick des heu-
tigen Zustandes nicht zu bestimmen ^
Grosses Interesse knüpft sich natürlich an die Statue der Gnaden-Mut-
tergottes (Fig. 6). Sie ist gewöhnlich mit den gespendeten Kirchengewän-
dern bekleidet, grosse Kronen sitzen auf den Häuptern der heil. Jungfrau
und des Kindes und lassen so für gewöhnlich die eigentlichen Formen nicht
sehen. Nur der besonderen Güte der dortigen ehrwürdigen Geistlichkeit
habe ich es zu verdanken, dass ich dieselbe näher besichtigen konnte. Die
Gnaden-Statue ist aus einem Stück Lindenholz geschnitzt, 18 Zoll hoch.
Sie zeigt die Mutter Gottes auf einem Stuhl sitzend; doch scheinen die
Hände später nachgemacht zu sein , denn auf dem rechten Arme des Chri-
stuskindes ist das Einsetzen deutlich und sogar der Holznagel zur Befesti-
gung zu sehen.
Obwohl die Arbeit in der Behandlung einen primitiven Charakter
an sich trägt, so ist namentlich die Draperie des Kleides stylistisch und
mit Verständniss behandelt. Der Kopf, Oberleib und die Hände der heil.
Maria sind etwas ausser Verhältniss, wie es die Sculpturen der romanischen
Zeit häufig aufweisen. Diese Statue ist auf Goldgrund polychromirt. Das
Christkind hat goldenes Haar, und ein weisses Hemd mit goldener Einsäu-
mung, das Kleid Mariens ist blau, roth gefüttert mit goldenem Saume, das Kopftuch weiss. Die
Mutter reicht dem Kinde , das sie auf dem rechten Arme trägt, einen Apfel, nach welchem der
Knabe greift, obschon er einen solchen in den Händen hat. Es ist kein Zweifel, dass wir hier
ein polychromirtes Original aus der romanischen Periode vor uns haben, in archäologischer
Beziehung von hoher Bedeutung. Die Vernuitlmng liegt nahe, dass es das Werk eines fi-ommen
Priesters ist, der, wie es in der altchristlichen und romanischen Periode so häufig der Fall war,
sich mit der kirchlichen Kunst beschäftigt hat; ob es indess jener Priester war, der zuerst
nach Zell entsendet worden, oder ob er das Bild im Kloster vorgefunden hat, ja in wie weit
der fi-ommen Sage Wahrheit zu Grunde liegt, entzieht sich begreiflicher Weise jeder Unter-
suchung.
Indem wir unsere Betrachtung über die Gnaden-Capelle hiermit beschliessen, wenden wir
nun unsere archäologische Forschung dem von Ludwig dem Grossen ausgeführten gothischen
Bau zu. In dieser Beziehung sind die älteren Angaben in der Regel alle mehr oder weniger unrich-
tig, und es kommen die sonderbarsten Behauptungen vor. Freilich wohl gehört das Studium der
mittelalterlichen Kunstformen der neuen Zeit an, und nur durch die Beobachtung und Verglei-
chung derselben ist man im Stande, auch dort die Zeit annähernd zu bestimmen, wo Urkunden
und Jahreszahlen fehlen oder trügen, oder wo Traditionen älteren Datums auf spätere Werke über-
tragen werden, wie es der Fall bei der Gnadencapelle war und auch bei dem Kirchengebäude ist.
Nach allen Nachrichten und Beschreibungen wurde immer die Behauptung aufgestellt und
festgehalten, dass nur der Thm-m von der alten gothischen Kirche übrig geblieben ist und dass
dieselbe einschiffig und zwar von der Ausdehnung des jetzigen Mittelschiffes gewesen wäre*.
3 Wie ^vidersinnig man mit den alten gothischen Bauformen in der Eenaissancezeit, als man den Bau vergrösserte, umge-
gangen ist, beweiset der Umstand, dass die gothischen Baldachine jetzt als Postamente für die Engelsfigurcn dienen.
1 So schreibt Marian Sterz in seinem Grundriss einer Geschichte von Maria-Zell 1819 „der Grundstein zur jetzigen
Kirche (nämlich dem neuen Baui wurde 1644 den ti. Mai gelegt, sie selbst ist im gothischen Style erbaut. Ihr Gewölbe, das
12*
80 Hans Petschsig.
Dem gegenüber mu?s ich gestützt auf meine archäologischen Studien eine ganz andere
Behauptung aufstellen und habe dieselbe dadurch deutlich zu machen gesucht, dass im Grundriss
Fig. 1 die alte gothische Kirche des Königs Ludwig schwarz eingezeichnet worden ist.
Es ist dies nicht der einzige Fall, dass schlanke gothische Pfeiler in spätem Jahrhunderten,
wo die Renaissance die mittelalterliche Architektur verdrängt hat, mit Mauerwerk umkleidet
worden sind, um in Übereinstimmung mit der damaligen Kunstrichtung Pilaster zu bekonmien,
welche den, namentlich von italienischen xVrcliitekten aufgestellten Verliältnissen entsprachen;
denn die gothischen fein gegliederten Pfeiler waren zu schlank, zu kühn war ihre Construc-
tionsfurm *.
Dieser Fall liegt hier klar vor den Augen jedes mit der Bauform des Mittelalters vertrauten
Fachmannes. Beim Anblick der Aussenseite dringt sich dem Beschauer allerdings die Meinung
auf, hier einen modernen Bau vor sich zu haben, der vom Grund aus in der Renaissance-Zeit
aufo-eführt worden ist, und die Ansicht, als sei nur der mächtige alte gothische Thurm in der
Mitte vom fi-üheren Bau übrig, scheint begründet. Noch mehr macht sich im ersten Moment diese
Überzeugung geltend, wenn man durch das tief gothische reichproiilirte Portal in das Innere der
Kirche schreitet. Die stai-ken Pfeiler mit den weit ausladenden korinthischen Capitälen, der durch-
o-eführte Rmidbogen, die wuchtigen Stuckornamente, mit welchen die Decke überladen ist, der
Capellenanbau mit den darüber geführten Emporen, alles macht sich derartig geltend, dass man
jedes weitere Eingehen in das Studium des Baues für überflüssig hält.
Nm- das ausgesprochene Kreuzgewölbe, welches nicht zu beseitigen war, führt den Fach-
mann dahin, sich näher mit der Construction dieser Decke zu beschäftigen. Bald sieht das geübte
Aufe die alte Kirche trotz der starken Renaissance- Verkleidung, denn ganz todt hat man den
o-üthischen Bau nicht machen können, obgleich man es gewollt, und mit den stärksten Mitteln
versucht hat.
Von den Emporen aus, wo man der Decke näher steht, sind die feinen Linien der birn-
förmig profilirten Rippen leicht zu erkennen, und zwischen den sie umwuchernden Ornamenten
kann mau dieselben bis zu ihrem Beginn verfolgen. Ober den breiten Capitälen laufen die Dia-
o-oualrippen mit den Gurtrippen nahe zusammen, imd es sieht höchst sonderbar aus, wie sich hier
die Capitäle ausladen, während die Rippen darüber schmal zusammenlaufen. Diese profilirten
Rippen wölben sich nicht nur im Mittelschiffe, sondern auch in den Seitenschiffen bis an den
Capellenanbau.
Noch deutlicher zeigt sich dies in der Empore, die durch den Thurm führt; hier hat man
es unterlassen das Kreuzgewölbe, gleichwie in der Kirehenhalle mit Ornamenten zu überkleistern,
nicht nur die Rippen treten klar hervor, sondern die alten Schlussteine sind auch noch uube-
rührt, während im Kirchenschiff um dieselbe so massenhafter Stucco angebracht ist, dass die-
ganz Stiikatiirarbeit ist, ruht bis zur Gnadencapelle auf aclit Säulen, die Mher bei der von König Ludwig erbauten Kirche
die Gräiizf der Seitenwände ausmaeliten''.
In Dr. Muchar's historisch-topographischer Darstellung von Maria-Zeil heisst es:
„Die Kirche ist Ins auf den gothischen Mittelthiinn . welcher noch von der alten, durch König Ludwig erbauten Kirche
stehen blieb und blos durch ein niociernes Mittclfenster über dem Haupteingange entstellt wurde, ganz in getalligein moderneni
Style aufgeführt". In der Anmerkung wird bemerkt; „nicht im gothischen Style, wie es fa^t in allen Beschreibungen der
Kirche von Maria-Zeil zn lesen ist".
» Die Ken.'iissance, welche die römische Kunstform wieder in Aufnahme brachte, hielt die stärkeren Verhältnisse der
Arcliitrav-Architektur fest, da eigentlich die griechische Architektur die Grundlage der römischen ist, und die horizontale
Architrav- Architektur trotz des übemll angewendeten Bogen» doch den Kern der Dceoration bildet. Diese Architrav-
Anliitektur verlangt aber stärkere Stützen; währeml die Gothik als eminent constnictiv selbständig in kühner Weise nur ein-
zelne Punkte durch Strebepfeiler verstärkte, und dadurch im Stande war, die stützenden Pfeiler mit Hücksicht auf die Güte
des zu Gebote stehenden Materials so schlank als möglich zu machen, um das Aufstreben, welches den Gegensatz zur
llorizoutallinie der Antike bildet, völlig zum Ausdrucke zu bringen.
Die Wallfahrtskirche zu Maria-Zell in Steiermark.
81
selben in den sie umgebenden Renaisanee-Rosetten ganz verschwinden. Um jedoch den Gegensatz
der alten echten Construction und der darüber angebrachten Decorations-Architektur zu betonen,
muss ich noch anführen, dass die Capitäle aus Holz gemacht und mit Stucco überkleidet sind;
diese meine Vermuthung wurde mir auch von einem Gewerbsmann bestätigt, der behufs einer
einmal beabsichtigten Vergoldung der Capitäle Gelegenheit gehabt hatte, dieselben in der unmit-
telbaren Nähe zu untersuchen.
Diese archäologische Forschung stellt nun unzweifelhaft fest , dass nicht nur der alte
gothische Thurm, sondern die ganze von König Ludwig erbaute gothische Kirche, in den
Renaissancebau eingeschachtelt ist.
Die alte noch vorhandene gothische Kirche hört bei der Gnadencapelle auf, und wahr-
scheinlich hat bei derselben der achteckige Abschluss begonnen, möglich auch, dass die Chor-
partie in anderer Weise geendet hat, aber bis zu der Gnadencapelle reicht noch heutzutage der
alte Bau, der übrigens gar keinen Anhaltspunkt für Beantwortung der Frage über die Gestaltung
des Chorschlusses gibt. Ob nun die Profilirung des Innenpfeilers genau so ist, wie selbe in
Fig. 1 gezeichnet ist, kann natürlich nicht behauptet werden, da die spätere Umhüllung ganz nach
selbstständigem dem Architekten passenden Querschnitt gemacht worden ist; es sollte nur der
Beweis geliefert werden, dass in dem Querschnitt der jetzigen Pfeiler die gegliederten Joche des
alten Baues sattsam Platz gefunden haben.
Die Kirche des ungarischen Königs Ludwig war somit ein dreischiffiger Bau mit einem
Mittelthurm, welcher sich in die Westfronte eingebaut hat, und eine Vorhalle bildete. Zu dieser
letzten Annahme berechtigen die ober dem Orgelchor befindlichen Kreuzgewölbe mit den profi-
lirten Rippen und den alten Schlusssteinen, unten aber das noch fortlaufende abgefaßte gothische
Sockelprotil. Die Aussenwände der beiden Nebenschifie wm-den bei der Erweiterung ausgebro-
chen, an die Strebepfeiler die Capellen und darüber die Empore angebaut, und dann der Bau
jenseits der Gnadencapelle ostwärts ganz neu ausgeführt.
Bei diesen grossen Bauveränderungen hatte man die gothischen Joche mit Gussmauerwerk
umkleidet, um selben das Ansehen von Renaissance-Pfeilern zu geben. Ein italienischer Architekt
Domenico Sciaffia hatte diese ver-
schönende Umstaltung und Ver- ^ -gj^'^"^ ^^W
grösserung geschaflfen und im Jahre
1646 beendet. Da dieser nichts
weniger als zierliche Neubau nicht
mehi- in das Bereich der archäolo-
gischen Besprechung einbezogen
werden kann , so kehren wir zu
dem für uns interessanten Bautheile,
namentlich zur Vorderfronte' der
Kirche zurück. (Fig. 1.)
Es dürfte nicht leicht irgend-
wo eine Kirche geben, deren West-
fronte einen so merkwürdigen Con-
trast der Bauformen bilden würde,
wie Maria- Zell. Li der Mitte den
mächtig aufstrebenden Tln;rm von
gothischer Form mit seinen Strebe-
pfeilern, Strebebögen, Baldachinen
Fig.
82 IIass Petschnig.
uud Wimbcro-en. mit Fialen und Krabben, darunter das mäclitio-e Purtal. und die zwei, in nücb-
ternster Architektur aus^etuhrteu Tliürnie mit hässlielien Zwiebeldäcliern an diesen Mittelbau bei-
derseitig- angebaut.
Diese nüchterne blos durch Lisenen belebte Architektur gibt namentlich in der Seitenfronte
dem Gebäude eher den Charakter einer zweistückigen Kaserne als den einer Kirche. Der Architekt
scheint die Absiciit gehabt zu haben durch Contraste zu wirken ; so nüchtern er aussen vorge-
o-ano-en ist. so überladen und schwulstisr ist er dann im Innern geworden. Nichts desto weniger
kann man dem vom Fundament neu aufgeführten Theil, zumal dem Kuppelbau seine xVnerkeniiung
nicht versagen, denn er ist mit grossem Verständniss durchgeführt und hat sehr glückliche Ver-
hältnisse, ist auch in decorativer Beziehung viel massvoller, als der vordere Theil, wo es die
Aufo'abe war, den alten gothischen Tlieil ganz zu verbergen und unsichtbar zu machen. Dieser
italienische Architekt hat indess durch die Verwendung rothen Marmors für die Sockel, Simse,
Lisenen, Fenster imd Thürstöcke einige Abwechslung in den Aussenbau zu bringen gesucht und
mit oder ohne Bewusstsein, Materialfarben mit Verständniss benützt. Bei der letzten Restauration
scheint man aber von einem solchen demokratischen Gleichheitsgefühl überfallen worden zu sein,
dass selbst diese Abwechslung, die die Markirung der belebenden Theile in rothem Marmor
hervorgebracht hat, als viel zu auffallend und beunruhigend erkannt wurde. Die Tünchquaste
wurde hastig in Tirolergrün getaucht und damit alles vom Sockel aufwärts angestrichen , all der
Marmor verschwand unter dem egalen Blassgrün und nur -ein Paar Seitenportale blieben unbe-
rührt stehen und zeigen, dass der Italiener ein sehr schönes Material, das mit vorzüglichem Fleisse
gemeisselt war, fiü- seinen Bau zu verwenden gewusst hat.
Was den gothischen Thurm anbetrifft, so ist derselbe quadratisch angelegt, und geht ober
der zweiten Hälfte ins Achteck über. Aus den Eckpfeilern entwickelt sich eine oben mit Zinnen
S'eschlossene Fiale, sie steigt bis zum Achteck hinan und wird hier durch zwei geschwungene
Strebebögen mit ie zwei Seiten des Achtecks verbunden. Giebel ki-önen das Achteck, auf welches
sich fi-üher ein Helm aus Stein mit Kantenblumen geziert aufgesetzt hat; gegenwärtig ist der
knorrige Helm mit Metallblech bekleidet.
Der Wasserschlag, welcher beim Schluss des Vierecks sich in das Achteck hinaufzieht,
ist steil und tief, die profilirten Achtecksseiten markiren auf dieser schiefen Fläche scharf ihi-e
Gliederungen. Sehr zierlich ist die Verbindung der ersten Fensterpartie im Achteck unterein-
ander* es setzen sich nämlich zwischen den mit geschweiften Wimbergen geschmückten Spitz-
bogenfenstern kleine Baldachine ein, und kleine Säulchen mit starkvorspringenden blattumkränzten
Capitälen unter den Baldachinen sind zur Aufnahme von Statuen bestimmt. Das obere Fenster
im Viereck hat zierliche Masswerkblenden®, welche den Raum zwischen Fenster und Strebe-
pfeiler beleben. Die Strebepfeiler selbst schliessen beim Abschlussgesimse des Thurmvierecks mit
starken Fialen, deren Helm und Giebel mit Kantenblumen besetzt sind.
Die zu beiden Seiten des Portals emporstrebenden Pfeiler sind mehrmals abgestuft, und
durch Giebel unterbrochen, über welche der Pfeiler, jedoch über Eck gestellt, sich bis zu den
früher erwähnten Fialen fortsetzt, wo dann dieser dreieckige Vorsprung ebenfalls mit Giebeln
abschliesst. Über dem Hauptgesimse der an den Thurm stossenden Abschlussmauer der Seiten-
schiffe erheben sich ebenfalls Strebepfeiler. Die schiefe Linie des Abschlussgesimses am Thurm-
viereck zur Seite des Kirchendaches scheint darauf hinzudeuten, dass das Dach der Seiten der
Seitenschiffe weit hinauf geragt haben mag.
Im Ganzen ist der Thurm, namentlich im Achteck etwas zu kurz gehalten, dafür hat das
Portal (Fig. 8) eine energisch aufstrebende Gestaltung. Vor der letzten Restauration waren die
6 Diese Decoration scheint ursprünp;lich anders gewesen zu sein.
Die Wallfahrtskikchk zu Maria-Zell in Steikumai{k.
83
Fig. 8.
Steilen Giebelschenkel noch vorhanden , welche im Zusammenhalt mit den hoch aufstrebenden
Fialen, gewissermassen die Bedeutung des Portals betonen sollten. Mit Rücksicht auf die
krönende Giebelblume mit dem Knauf kommt man zur Vermuthung, dass ober dem Portale der
Giebel fi-ei in das darüber befindliche Fenster geragt habe, möglich auch, dass dort ein Rad-
fenster angebracht war.
Das P'eld zwischen den Giebelschenkeln war vor der letzten Restauration mit einem
Gemälde aus später Zeit, welches die heil. Maria in der Zelle darstellte, zu welcher die Hirten in
ti-ommer Begeisterung eilen, ausgefüllt, ein Werk italienischer Hand, wie es namentlich aus der
Behandlung der idealen Landschaft ersichtlich ist.
Das Portal an sich verdient eine eingehende Betrachtung. Die Profilirung ist reich und tief
(Fig. 9 u. 10). Die flankirenden Fialen haben bei Beginn des Giebels ein horizontales Gesims, unter
welcher sich die Laibung mit Masswerksblumen fortsetzt, und so bilden sie unten selb.ständige
vorspringende Pfeiler, welche dm'ch Masswerksblenden mit den Strebepfeilern des Thurmes ver-
bunden sind. Eine reiche Gliederung von Rundstäben und Hohlkehlen zieht sich längs der Schräge
des Portals hin; und zierlich gearbeitete Blattcapitäle bilden den Ansatz für die Gewölbeglieder.
Oben setzen sich die grossen Rundstäbe im Birnprofil fort, und bilden zwei Hohlkehlen zur Auf-
nahme von Baldachinen, welche zugleich die Postamentform haben. 14 Statuen waren ursprüng-
lich bestimmt, das reich angelegte Portal zu schmücken, jedoch theilt auch dieses Werk das
84
Has» Petschsig.
Schicksal so \neler anderer, dass der Schmuck der Statuen einer
bessern Zeit vorbehalten wurde, die bis jetzt für diesen Bau noch
nicht eingetreten zu sein scheint. Datür hat man aber ein einJache-
res und billigeres Mittel gefunden die Statuen zu ersetzen, es siud
nämlich an die Stelle derselben Inschriften gesetzt worden, die auf
die Fürbitte Mariens, auf' die Gründung der Gnaden-CapeUe und der
ersten Kirche Bezug haben. Die Baldachine sind ebenso schön als
zierlich gehalten, und zeigen so wie die Capitäle eine sichere Hand.
Nicht zu übersehen sind die Consolen Fig. 9, 10. 11. 12. 13. 14.
welche innerhalb der Mas>werksblenden
zwischen Pfeilern und Fialen angebracht
sind, und ebenfalls zurAuftiahme von Sta-
tuen bestimmt waren. Diese mit s\Tnboli-
sehen Thiertiguren und omamentalen Ki>-
pfen geschmückten Consolen sind vornehm-
lich auch deshalb beachtungswerth, weil der
gleiche Charakter in Bezug auf das Blatt-
werk mit den Capitälen an der Gnadencapelle sich schlagend herausstellt, und man ganz gut die
Behauptung aufteilen kann, dass ein und dieselbe Hand an diesen wie an jenen gearbeitet hat.
Höchst interessant ist aber vor allem das Tvmpa-
— non. In ganz abweichender Weise ist das Tvmpanon in
der ^Mitte durch einen horizontalen Balken getheilt ; der
obere Theil zeigt Christus am Kreuze mit den beiden
Schachern. Es ist der letzte Lebens -Moment des Sohnes
Gottes, der Kriegsmann reicht dem Erlöser den Schwamm
mit Essijr. Während die Figur des rechten Schachers
ruhig am Kreuze hängt, die Arme über den Querbalken
gebunden, windet sich der Körper des linken Schachers
und sein Gesicht ist verzerrt. Eine reiche Figurengruppe.
29 an der Zahl, umgibt die drei Kreuze; Fähnleins, Lanzen, Hellebarden, Streitäxte ragen zahlreich
aus der Gruppe heraus. Links eine Gruppe Juden mit der im Mittelalter für selbe als charakteri-
stisch angewendeten spitzen Kopt'bedeckung, hinter selben Krieger mit ausdrucksvollen Gesichtern
tmd Bewegungen, rechts Johannes und Maria mit den Frauen, wovon eine ein Kind am Arme trägt.
Magdalena kniend neben Johannes, dann die Pharisäer gleichsam als Illustration des biblischen
Textes: _Wenn du Gottes Sohn bist, so hilf"
dir selbst". Diese Sculptur wird unten durch
einfaches Gesims begränzt , welches auf
einem starken Steinbalken aufsitzt.
Unter diesem Steinbalken ist ein
zweites weit grösseres Relief angebracht,
welches auf zwei senkrecht aneinander
gefügte Steinplatten gemeisselt ist: diese
beiden Steinplatten ragen bis unter das
Abtheilunorsgresims in der Weise, dass diese
selbst noch einen Theil des Abtheilungs-
balkens bilden.
>>
Fi?. 10.
Fig. u.
Tis. 12.
Dit Wallfaih; isKiiiriiE zc Üauia-Zell in Steieumark.
85
liiT. 13.
14.
¥\S. Ir.
Etwas nach rechts aus dem Mittel gerückt erblickt
man die Himmel.skünig-in mit einer ornamentirten Biigol-
krone, im rechten Arme das segnende Christuskind. Ein
faltenreiches Gewand mit streng stylistischer Anordnung
umgibt die majestätische Gestalt. Zu beiden Seiten Che-
rubine mit hochgeschwungenen flatternden Spruchbän-
dern. An die Himmelskönigin drängen sich kniend die
Pilgrime, charakterisirt durch Stab und Pilgerhut, darun-
ter auch ein gekröntes Haupt. Weiter nach rechts kniet
das Genesung suchende markgräfliche Paar Heinricli und
Agnes, hinter welchen der heil. Wenceslaus führend und
schützend steht , in der Rechten ein Fähnlein mit dem
böhmischen Löwen haltend; ober demselben ein hori-
zontal schwebender Engel, der mit der Linken nach der
Hinmielskönigin deutet, und mit der Rechten das Fähn-
lein des heil. Wenzeslaus leitet, gleichsam als himmli-
scher Wegweiser für die Gruppe. Hinter diesen kniet
betend der infulirte Abt', unter welchem dieser Bau ein-
geweiht wurde; leider ist kein Wappenschild oder Mono-
gramm aufzufinden, wodurch man erfahren könnte, unter Avelchem Abte das Relief aufgestellt
wurde. Links bringt König Ludwig das Schatzkammerbild, welches jedoch sehr frei aufgefasst ist,
zum Opfer. Hier scheidet die Fuge die beiden Steine. Die Figuren sind nun durchweg kleiner
und gedrängter. Es ist eine Schlacht dargestellt. Über das Getümmel der Kämpfenden ragt das
Banner mit dem ungarischen Doppelkreuz und Wappenschild, auch ein kleines Banner mit dem
einfachen Kreuze zeigt sich im Hintergrunde neben Lanzen und Hellebarden. Ein Ritter mit
geschwxingenem Schwerte, mit einer Zinnenkrone am Helme, den reichen Gürtel um die Hüften,
scheint den König darzustellen; sein Pferd tritt auf einen gefallenen Feind, der sammt dem Pferde
am Boden liegt, neben ihm fallt ein Kriegsmann mit gewaltiger Lanze aus und durchbohrt den
Feind in sehr anschaulicher Weise, da selbem der Lanzenspitz schon rückwärts aus dem Leibe
herausragt; diesei-, ebenfalls mit einer zackigen Krone auf der spitzen Koptbedeckung-, hat ein
kurzes am Ende breiteres und schief abgehacktes Schwert, am Boden liegen Pferde und getödtete
Krieger '. In naivster Weise schliesst sich an dieses kämpfende Kriegsgetümmel ein Ordens-
priester im langen faltigen Gewand, das der Styhsirung des ganzen Sculpturwerkes entsprechend
weit über die Füsse reicht, an; er sitzt auf einem Stuhl, dessen Lehne seitwärts sichtbar wird, hält
in der Linken die Bibel und erhebt die Rechte. Vor ihm windet sich ein Weib mit nach oben
gekehrtem Kopfe, aus dessen Mund ein höchst pittoresker Teufel mit radartig aufgespannte)!
Fledermausflügeln entweicht. Zu den Füssen des Weibes liegt der nackte Rumpf eines Kindes,
der abgeschnittene Kopf nebst einem Messer in nächster Nähe. Es ist off"enb:ir die Darstellung
einer Teufelaustreibung. Ober dieser Gruppe sieht man noch eine Schaar Teufel, welche jedocli
von einem schwebenden Engel mit dem Schwerte zurückgetrieben werden. Diese Reliefdarstei-
lungen stehen auf einem horizontalen Querbalken ähnlieh dem obern. Der Querbalken trägt latei-
nische Inschriften und in der Mitte ober dem Gesimse drei Schilder, unten halbrund gesclilossen.
' Schon um das Jahr 1245 wurde dem Abte die Erlaubniss ertheilt. die Inful zu tnigen.
' Nach allem soll diese Darstellung die Schlacht Ludwig'« gegen die Türken darstellen; im Costiime erscheinen hier die
Ungarn mit dem deutsciien Waffenrock, wahrend die Türken das Co^tüm der L'ng:irn tragen; derlei Costüms-L'nricjli.tigkeiten.
kernen jedoch im Mittelalter hautig vor.
xiu. la
^v(> Hans Petschsig.
In der Mitte die Flüsse Unfranis und die Lilien der Anjou. rechts der österreichische Binden-
schild, links das uncrarisclie I>.>ppelkrenz |s. beiirefrel)ene TatV-1 Fv^. a).
Sowohl auf dem beide Reliefs theilenden Steinbalken, wie am Rande des unteren Reliefs be-
finden sieh Inschriften. Die obere lautet: ^Sanctus Wenceslaus Marchionem Moraviae ejusque uxo-
rem ;i paralvsi aegritudine diu fatigatos indicat liberandos .... (ein zartes Ornament) „Ludovicus
Rex Hungariae per Matrem misericordiae victoriam Turcorum gloriose obtinuit — (Abtiieilungs-
ornanient und etliche unlesbare Worte) .... ac obsessa pie hie liberatur-^. Die untere Inschrift
lautet: ^Regina coeli- etc. sodann die zur üsterlichen Zeit gewöhnliche Antiphoua, darauf: „Sancta
M:»ria succurre nriseris, juva pusillanimes , refove flebiles, ora pro populo, interveni pro clero,
iutercede pro devoto foeminio sexu, audi nos, nam te lilius nihil negans, honorat. Salva nos Jesu,
pro quibus Virgo Mater te orat. Anno Domini 1200 inchoata est haec ecclesia gloriosae Mariae. "
Auf den Spruchbändern, welche die Engel zu beiden Seiten der Mutter Gottes halten,
lauten die Inschriften rechts: „In te coeli mundique fabrica gloriatur, links: Chori gaudent angelo-
rum. chori gloriosae Virginis".
Diese beiden höchst interessanten Reliefs scheinen nicht gleichzeitig angefertigt zu sein.
Es ist sogar möglich, dass das obere Relief ursprünglich für ein kleineres Tympanon bestimmt
war und dann hier seine Verwendung gefunden hat. Es erinnert in der Behandlung der Figuren
und der Falten an das Relief der Wiener Minoritenkirche und dürfte denvEnde des XIV. Jahrhun-
derts angehören. Das untere Relief mag indess etwas später angefertigt worden sein. Die Krone
mit den hohen Bügeln auf dem Haupte der Maria, die halbrunden Schilde, sowie die starkgerollten
Spruchbänder, ferner die Behandlung der Flügel und Draperie im untern Relief deuten auf den
Beginn des XV. Jahrhunderts. Es dürfte daher später und zwar unter einem österreichischen
Fürsten gestiftet worden sein, denn nur dann ist die Anbringung des österreichischen Binden-
schildes erklärlich.
Bei dem Umstände, dass im Mittelalter der Bau von grösseren Kirchen nicht so rasch von
Statten gegangen ist, als heut zu Tage, dass ferner die fortwährenden Kämpfe Ursache von oft
Jahre langen Unterbrechungen waren, ist es anzunehmen, dass, wenn auch der Bau dieser Kirche
\'6Gi oder 13ü5 begonnen worden ist, derselbe doch längere Zeit gebraucht hat, um vollendet
zu werden, namentlich sieht man an dem Ausbau des Thm-mes, dass dieser Theil gewiss erst im
XV. Jahrhundert vollendet worden ist, in welcher Periode das Tympanon eingesetzt worden sein
dürfte. Klar über die Bauzeit würde man erst sehen, wenn man die Untersuchung der Kirche
rationell unternehmen und wenigstens einen Pfeiler von der Renaissance- L'mkleidung bioslegen
könnte. Capital und Sockel sowie die Gliederung der Profile an den Scheidebögen möchten wohl
alles deutlich zeigen, ebenso könnte eine nähere Untersuchung der GnadenCapelle auch zu posi-
tiven Resultaten führen*.
3 Es wäre eine schöne Aufpibe und unserer Zeit ganz würdifr. die alte, nicht nur ehrwürdige, sondern auch künstlerisch
schöne gothische Kirche von dem Vandalismus einer spätem Bauzeit zu befreien, und so den alten Bau. wenigstens so weit er
noch existirt, in seiner Reinheit wieder zu Ehren zu bringen; eine Aufgabe, die nicht einmal besonderen technischen Schwierig-
keiten unterworfen wäre; gewiss würde der schlanke gothische Bau auf die Gläubigen einen grösseren Eindruck in seiner Einfach-
heit machen, als der gegenwärtige plumpe und überladene Theaterpomp. Der Übergang des gothischen Baues in den Neubau
würde zwar vom äbthetischeu .Standpunkt nicht gar so leicht zu vermitteln sein ; allein er wäre möglich, und der Factor, der hier
die Vermittlung bewirken könnte, wäre die Malerei. Wie ganz anders sehen die zwei Capellen aus, deren eine der Primas von
Ungarn C'ardinal Szitofski. die andere aber die Kirchen- Vorstehung in .Alaria-Zell iSöG wieder ausmalen Hess, als die übrigen
lilos mit Kalk getünchten Capellen und Emporen. Auf die farbige Ausstattung war es offenbar abgesehen, dies zeigt schon
die Ornamentik, welche ohne besondere Detaildurchführung mehr in der Masse angelegt ist, da durch die Farbe und Gold die
Details ohnedem betont worden wären. Auch die ursprüngliche Herstellung der Gnadencapelle würde der Würde dieses Bau-
thcils mehr entsprechen, als der jetzige Zustand, wo die feinere gothische Anlage durch die schweren Renaissauceformen
gelitten hat und sie kein einheitliches Gepräge mehr aufweiset.
Die Wali.faiirtskikche zu Maria-Zelt, in Steieumauk.
87
Kirchenschatz.
Der interessanteste Geg'en-
stand der Scluitzkanuiier ist das
Gnadenbild (Fig. 17) König
Lndwig's. Dieses Bild, 49 Ctm.
hoch und 41 Ctm. breit, dürfte
das Mittelstück eines Hausaltars
gewesen sein , welchen König
Ludwig auch in den Krieg mit
sich führte, und soll sich, wie
die Sage erzählt, in der Nacht
vor der Schlacht mit den Tür-
ken 1363 auf seiner Brust be-
funden und dem Könige frischen
Muth gegeben haben. Das Bild
ist in Tempera auf Vergolder-
grund gemalt und erinnert in der
Behandlung an die altitalieni-
sche Schule des Giotto. Der
Kopf der Maria sowie der des
Christuskindes sind mit grosser
Empfindung in einfacher Weise
mehr flach behandelt und die
Hände haben jene langen, vorn
zugespitzten Finder, wie es die
altitalienischen Maler in Ge-
brauch hatten ; auch das Zusam-
menlaufen der Augen im Winkel,
und das Markiren der Augen-
brauen in feinen Contnren sind v
gemustert, und zwar der ]\[antt 1
Fi- 17.
in charakteristisches Zeichen jener Zeit. Die Gewandstücke sind
der Maria mit feinen Goldornamenten auf blauem Grunde, das
Gegen ilie letzte liest luiMtion, welche im J:ihi-c 13G2 begonnen, nnd vom Baumeister Claudius Ze.iro .■ms Judenburg 1S65
vollendet wurde, liisst sieh auch vieles einwenden. So wurden die Giebelschenkol des alten Baues ober dem Portale frischweg
aligeuieisselt, und eine an den .Spitzbogen hinaufl.ait'ende geschweifte 'Wimberge an die Stelle gesetzt, das ■rcithische Fenster
in einer Weise ausgeführt, welches von jedem AB( '-.Schüler der Gothik beanständet werden
muss. Auch die di'corativen Wasserspeier von ('erneut am Thurm nach aufwärts gebogen,
zeigen, dass der Bildhauer für diese Form kein Verständniss hatte, und noch anderes
mehr. Die Kestauratiou eines mittelalterlichen Baues verlangt eingehende Studien der
Archäologie, und diese kann man von einem Baumeister nicht fordern: nur ein Archi
tekt, der mit den Stylformen vollkommen vertraut ist, kann eine solche Aufgabe richtig,
und der Würde des Bauwerkes angemessen losen.
An der Südostseite der Kirche zieht der Karner (Fig. ISi die Aufmeiksamkeit
auf sich, er ist ein kleiner gothischer Bau, wie es schon aus der achteckigen Anlage,
nochinehr aber den KippenproHlen hervorgeht. Der Unterbau ist ebenfalls achteckig
mit einem achteckigen l'teiler in der Mitte, hat Gewölbe ohne Bippen und dient als
Beinhaus. Keine Form deutet auf eine romanische Bauperiode, im Gegentheil das Stern-
gewölbe, sowie die Dienste ohne Capitäle sind aus sehr später Zeit; möglieh, dass
die Grundmauern der romanischen Periode angehören, und d;is erste Bauwerk an dieser
Stelle waren.
88
Hans Petschnig.
"•elbe Unterkleid liat ein zartes Webdessein, Das Unterkleid des Christuskindes schmückt ein
o-anz eisrenthümliches Muster, welches an die Panzerhemden erinnert. Dieses Bild wurde, wie es
scheint, später mit Metall und Email bekleidet; so wie es die Chronisten erzählen, soll Maximilian
Ernest Erzherzog von Österreich das Bildniss auszuschmücken angefang-en haben.
Der Heilisenschein der heil. Maria träfet hoch eing^efasste Edelsteine und Perlen, während
am Schein des Christuskindes in höchst eigenthümlicher Weise Wappenschilder angebracht sind,
leider theilweise schon abgebrochen.
Den Grund des Gemäldes bildet eine l>lane Emailplatte mit güldenen Lilien und zwar ist
die Platte aus vier Stücken zusammengesetzt, welche in wenig sorgsamer Weise aneinander gefügt
und mit kleinen Stiften befestigt sind, sogar das Liliennuister trägt nicht die gleiche Grösse. Es ist
kaum anzunehmen, dass diese Emailplatten eigens für dieses Bild angefertigt worden sind, sondern
dass sie früher irgend eine andere Bestimmung gehabt haben uiui für dies Bild, so gut als es eben
eehen wollte , verwendet wiu'den. Ein sehr schönes Stück Edelmetall-Arbeit ist der Rahmen aus
Silber mit Email. Ein Perlenstab begränzt innen die flache Hohlkehle, an diese schliesst sich eine
flache Umrahmung an. Zur Ausschmückung dienen emaillirte Wappen, welche mit zierlich gear-
beiteten plastischen Ornamenten abwechseln; die einzelnen Theile sind einfach angestiftelt und
mit dem Perlenstab eingefasst. Die Wappen, ein für die zweite Hälfte des XIV. Jahrhunderts sehr
charakterisirendes Ornament, enthalten das ungarische Doppelkreuz, die vier Flüsse mit den
Anjou'schen Lilien, den Strauss, im Schnabel ein Hufeisen tragend, auf grünem Feld; es ist dies
die Helmzier des Wappens der Anjou: den Adler im rothen Feld, das Wappen von Polen, da
Ludwig auch König von Polen war. Diese Wappenschilder wechseln untereinander ab, und
zwischen je zwei Wappenfeldern ist ein gleichartiges Ornament eingefügt, w'elches seiner Gleicli-
mässiffkeit wesfen aus einer Stanze hervorg-eo-anffen sein muss, an und für sich aber sehr hübsch
stvlisirt ist. Rahmen wie Emailplatten dürften der Zeit Ludwigs angehören.
Ausser diesem Bildniss sollen auch Reitzeug und Waffen sowie Gewänder von König Lud-
witr herrühren, wie es in den Büchern über Maria-Zeil und im Kataloge steht. Die Waffenkunde
widerspricht leider diesen Angaben. So zeigt das Schwert (Fig. 1 9) die Form eines Lanzknecht-
Schwertes aus dem XVL Jahrhundert, wie dieselben es vorn hängen hatten; diese Form kommt
früher nie vor, erst im XVL Jahrhundert und zwar beim Fussvolk. Die Sporen (Fig. 20) gehen in
dieser Form nur bis in das zweite Viertel des XV. Jahrhunderts, wo die Ritter di;rch die volle
Bewappnung und die Armirung der Pferde genöthigt waren, die Sporenhälse so stark zu verlän-
gern, zugleich bilden sie die Deckung der Fersen, welche keine Ab-
sätze hatten; sie verschwinden ganz in der Mitte des X\l. Jahrhun-
derts. Ähnlich den Sporen und mit ihnen gleiclizeitig sind die Steig-
bügel (Fig. 21 u. 22).
Sehr interessant sind hingegen die Gewänder. Unter dem Namen
Brauthemd des Königs Ludwig wird ein leinenes Gewandstück aufbe-
wahrt, der Besatz am Hals (Fig. 23), an den Achseln (Fig. 24), und an
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89
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den Ärmeln (Fig. 25), ist mit geometrischen Mustern geschmückt, welche auf der
soro-fältig und kunstvoll gefalteten Leinwand gestickt sind. Die Muster tragen
den Charakter einer byzantinischen Kunstweise, wie sie noch heut zu Tage in
Serbien und von den Walachen in Ungai-n traditionell gepflegt wird. Das Braut-
hemd der Königin Elisabeth, ebenfalls aus Leinwand, ist jedoch mit reicher
ornamentaler Stickerei (Fig. 2(J) ausgestattet, welche den Charakter der deut-
schen Kunstarbeiten des XIV. Jahrhunderts aufweiset. Es ist stylisirtes Blattwerk
mit Knospen und gebundenen Stengeln. Die Conturen sind mit Goldschnüren
markirt und im Blattstich mit Goldfäden ausgefüllt, theilweise auch mit färbiger
Seide und Goldfiinserln. Höchst interessant und ganz eigenthümlich in der
Technik ist das Gewand {Vig. 27) des Königs Ludwig. Es ist ein schwerer
o-elber Seidenstoff, aufweichen die Ornamente violett eingewebt wurden; theil-
weise sind diese mit fein gewundenem Gölddraht übernäht. Das Ornament selbst
ist der Mohnpflanze entnommen und hat fünfblättrige rosenartige Blüthen. Dieses
könio-liche Gewand ist, was die Behandlung betrifft, ein höchst seltenes Miister,
mit einer ganz eigenthümlichen Technik ausgeführt. Das goldbrokatne Kleid der
Königin, grün mit Blattwerkmuster und kronenähnlichen Bildungen; der Stoff
träert die Stvlistik des XIV. Jahrhunderts.
An diese Gewänder anschliessend , wären noch einige höchst beachtungs-
werthe alte Messgewänder anzuführen, ^'or allen eine prachtvolle Casel von aus-
gezeichnetem Stoff und höchst werthvoUen Stickereien. Der Stoff hat das sehr
delicat und zierlich stvlisirte Muster mit dem damals beliebten Granatäpfel-
Ornament in Gold auf rothein Grund, darauf ist in Form eines Kreuzes eine
seltene und schöne Stickerei angewendet. In der Mitte oben die heil. Maria mit
dem Kinde: das Oberkleid Goldstoft' mit Perlen in reiclister Weise, der Hinter-
grund gemusterter Goldbrokat, Sockel und Ralimen grün mit Goldornanienten
aus Flinserln. Gesicht und Hände im Plattstich aus Seide, die Ivi'one aus Perlen, sowie der Schein
des Jesuskindes. Die Conturen sowie das Masswerk mit Perlen besetzt. Mit grosser Correcthcit
sind die Krabben und Kreuzblumen aus Perlen angefertigt. Rechts das Brustbild der heil. Katha-
rina, das Schwert in Goldblech ausgeführt. Links die heil. Ursula mit dem goldenen Pfeil. Unter
der heil. Maria die h. Barbara in g-auzer Fiarur mit dem Thurme
aus Goldblech. Als letzte Figur ganz unten die heil. Dorothea
mit dem Kinde. Bei letzterer Figur ist besonders das Gewand
höchst interessant, da das Muster des Desseins aus grösseren
und kleineren Perlen mit einer wirklich bewiinderungswerthen
Geschicklichkeit ausgeführt ist. Ober ieder dieser Fio-uren ist
ein reicher vorspringender Baldachin aus Goldfäden der Art
aufgebaut, dass von der Innern Seite die Kreuzgewölbe mit den
Rippen plastisch zur Geltung kommen. Das ganze Kreuzfeld ist
mit grün- und goldgestickten Stäben eingefasst, um welche sich
Ornamente aus kleinen echten Perlen winden. Es ist dies ein
seltenes Meisterwerk der Stickerei und eine g-^nz vorzüo-liche
Anwendung der Perlen. Wenn man auch principiell die Relief-
Stickerei als eine Ausschreitung dieser Kunst betrachten muss,
so ist hier die eminente Technik ebenso zu bewundt'rn, als die
Zeichnung der Figuren eine gelungene g-enannt werden kaini.
Q^
Fi"
^^n^m^?^s^^w
FiK. 23.
90 Hans Petschnio.
~ Der Stylistik imd Behandliinfr nach Ist man versucht,
\ /'S'Y'^, ^ diese Arbeit als ein Werk aus der Mitte des XV. Jahr-
hunderts zu betrachten, (s. Fig. b der beig-eg. Tafel.)
_X Eine schöne Stickerei zeigt das Messgewand,
I "' • welches ebenfalls als ein Geschenk Ludwig's angeführt
•^''''^*^^^ wird, indess gehört es entschieden einer späteren Zeit
f^ f ,'r^''y^/^^\2r^^'''ß^ ^"- Schon die Darstellung der naturalistischen Wolken
zeigt die Auti'assung der Renaissance, wenn auch noch
°" '"''■ in den Figuren ein Zug der fi-ühern Manier durch-
leuchtet. Das Werk gehört sicher in das XVI. Jalir-
hundert, kann also unmöglich dem Köniof Ludwijj
zugeschrieben werden. Die Stickerei der Rückseite
zeigt uns Maria imraaculata von vier schwebenden
Cherubims umgeben , die zwei obersten lialten die
Krone mit Edelsteinen geziert ober dem Haupte der
heil. Maria. Ein Strahleukianz in gerader und tiammen-
artiger Form umgibt die Figur und aus den Wolken
blicken noch Engelsköpfe mir kleinen Flügehi ; die
Arbeit ist sehr hautrelief und steht künstlerisch bei
weitem nicht so hoch als die vorbeschriebene Stickerei.
Ebenso zeigt der Stoif ein späteres Muster, (s. Fig. c.)
Ferner ist ein Casel , von Mathias Corvinus
gestiftet, sehr beachtungswerth und in einer höchst
seltenen Technik durchgeführt. Es ist ein Goldstoff, aufweichen eigenthümliche, in geschwun-
genen Linien ausgeschnittene Ornamente aus grau violettem Leder mit Silberschnüren aufgenäht
sind. Besonders ist der Besatz eine zIerHche, aber höchst mühsame Arbeit, und gewiss dadurch
merkwürdig, dass Leder die Vei-zlerung des Goldstoffes bildet.
Noch ein Messgewand von rothem Atlas mit vorzüglicher Goldstickerei sowohl in dem Besatz
als auch im Fond ist zu bemerken, und dürfte auch In die Zeit des Mathias Corvinus fallen.
Die neuen Gewändei", so reich und prunkhaft dieselben aussehen mögen, erreichen docli In
keiner Weise den Werth dieser alten Arbeiten, trotzdem selbe schon durch die Jahrhunderte au
Frische verloren haben und abgebleicht sind; allein sowohl die Technik als auch die ganze Con-
ceptlon gibt ihnen einen bedeutenden \'orrang vor den Arbeiten der jüngeren Zeit, unsere mit-
gerechnet '".
Der übrige Kirchenschatz besteht aus einem Pele-mele der heterogensten Sachen, da shul
Kirchengefässe , Bracelets, werthvoUe Rosenkränze, Perlen, Schnüre, kleine Altäre ans Metall,
Elfenbein und Marmor, daneben Colliers, Becher, kurz eine Masse von Gegenständen, und wie der
Katalog nachweiset, finden sich als Stifter die erlauchtesten Namen des Kaiserhauses und die
ältesten Geschlechter des Adels, neben diesen auch manche bürgerliche, sogar bäuerliche Spender.
Trotz dieser vielen Gegenstände hält die Archäolog-ie o^erinofe Ausbeute.
"> Ich kann nicht schliessen, ohne den Wunsch auszusprechen, es niö^en die alten Gewander besser aiifl)e\vahrt werden,
denn solche Kunstwerke sind sehr selten und kostbar, daher .Sorjjialt und Schonung gewiss am Platze wäre. Konnte man diese
fJewänder nicht ausgebreitet in einem eigenen Glaskasten, wie es mit den burgnndischen Gewamlerii In clor k. k. .Scli.it/,k;iiiiiner
der Fall ist, aufliewahrenV Es wäre dies das geeignetste Mittel zur Conservirung und gäbe zuglelcli (Jelegcnlicit, die kwnstvolle
Arbeit mit Müsse betrachten zu können. Auch in Bezug auf den übrigen Schatz wäre eine Sichtung angezeigt. So könnton
die kirchlichen Gegenstände chronologisch geordnet werden, während die übrigen Schmucksachen in analoger Nebeneinaniler-
stellung viel übersichtlicher für den Beschauer wären, als in der jetzigen Aufstellung: als Schatzmeister freilich niüsste ein
C'leriker bestellt werden, der Verständuiss und Liebe für die Sache hätte und entgegenkommend gegen ?'achniänncr wate.
Die Wallfahrtskircue zu Maria- Zell in Steiermakk.
91
Zu erwähnen ist nur ein Diptychon 4 Zoll breit 67., Zoll hoch aus Elfenbein, Maria mit
dem Kinde in der Linken, in der Rechten den Scepter, auf dem Haupte eine ornamentirte Krone,
zu beiden Seiten Eno^el mit Leuchtern, darüber wölbt sich ein stumpfer Spitzbogen auf Consolen
mit einem flachen Giebel. In den oberen Zwickeln zwei knieende Engel mit Rauchgefässen. Die
Draperieen sind einfach in langen Linien abfallend, das Blattwerk der Kantenblumen sehr correct,
das Werk stammt aus der guten Zeit des XIV. Jahrhunderts (Fig. 28).
Ein reizend g'earbeitetes Emailgehäng'e, italie-
nische Arbeit, wird dem Mathias Corvinus zugeschrie-
ben. Es ist eine Wasserjungfer aus Gold; Gesicht und
Hände, kurz das Fleisch ist von vorzüglichem Email
in sehr reicher Form ausgeführt, der geschuppte Fisch-
schweif grün. In der Rechten hält sie einen Spiegel,
der aus einem Edelstein gebildet ist, die Linke umfasst
das Ende des Fischschweifes. Zwischen dem Fiscli-
schweif und Oberkörper ist eine grosse seltene Perle
eingefügt, Rubinen und Diamanten sowie an Kettchen
hängende Perlen erhöhen den Reiz dieses kleinen
Schmuckstückes.
Die übrigen Gegenstände gehen nicht über die
Hälfte des XVII. Jahrhunderts, gehören daher einer
Periode an, wo man die zierlich schöne Form ver
lassen hat; übersäet mit Edelsteinen und überwuchert
von Ornamenten haben dieselben wenig künstleri-
schen Werth.
Zum Schlüsse muss ich noch zweier Statuen
erwähnen, welche sich durch correcte Stylistik aus-
zeichnen. Es ist dies die Marien-Statue in der Vierung
hinter der Gnadencapelle , und jene bei der Brun-
nencapelle. Beide sind schöne Werke mittelalterlicher Plastik, es ist nur zu bedauern, dass jene
am Brunnen durch den Einfluss der Feuchtigkeit an dem untern Theil bedeutend angemodert und
so dem Verderben preisgegeben ist.
NB. Die Zeichnungen zu diesem Aufsätze wurden theils nach den Original-Aufnahmen Petschnig's, theils nach Piioto-
graphien durch H. Kiewel angefertigt, die Schnitte theils in Waldheim's xylographischem Institut theils durch Herrn Schmidl
besorgt.
3R
92
Die romaiilsehen Üeekeiigeinälde in der Stiftskirehe zu
Lainbaeh.
\'0N Di:. K. FRKIHEItUN V. SaCKKN.
(Mit einer Tafel.;
X/er romanische Baustyl bot mit seinen grossen Wandflächen, namentlich im Mittelschiffe der
Kirchen über den Arcadenbögen , reiche Gelegenheit zu malerischer Ausschmückung. Scheu
während des IX. und X. Jahrhunderts wurde die Kunst der Wandmalerei durch die Thätigkeit
der Mönche in ganz Deutschland in grossartigem Massstabe geübt und grosse Kirchen, wie im
Kloster St. Gallen, zu Petershausen bei Constanz, Fulda, Hildesheim, wurden in allen oder docli
den Haupträumen mit reichem Bilderschmuck versehen '. In den folgenden Jahrhunderten gewann
diese Sitte so an Ausbreitung, dass kaum eine grössere Kirche dieses für das Gemüth und die Be-
lehrimg der Andächtigen so wichtigen Schmuckes entbehrte. Aus der romanischen Periode ist al)er
in allen deutschen Ländern nur mehr sehr wenig erhalten, besonders ist Osterreich an romanischen
Wandmalereien sehr arm, daher jeder neue Fund dieser Art mit grosser Freude begrüsst werden
muss, als ein Beitrag zu unserer sehr mangelhaften Kenntniss der Malerei jener Zeit, der zeigen
kann, in welchem Verhältnisse sie bei uns zu der anderer Länder stand, welcher Kichtung sie
sich anschloss, zu welcher Stufe der Ausbildung sie gelangte.
Eine Avahre Sensation verursachte daher unter den Alterthumsfreunden die Nachricht von
neuerlich aufgefundenen Fresken in der Stiftskirche zu Lambach, von denen der gelehrte Stifts-
Archivar P. Pius Schmieder in diesen Blättern eine Beschreibung lieferte^. Wir geben nun
auf der beiliegenden Tafel eine Abbildung der Hauptgruppe und einer anderen interessanten
Diirstellung, welche die am besten erhaltenen Theile der Deckengemälde bilden und wollen
einige Bemerkungen beifügen, um die Bilder nach ihrer kunstgeschichtlichen Stellung und Bedeu-
tung charakterisiren und hieraus einen Schluss auf das Alter derselben ziehen zu können.
Das Läuthaus , in dem sie sich befinden , bildet die Gewölbe der Thürme und die sie
verbindende Zwischenhalle; hier sind sie auf den flachen Kuppelgewölben angebracht, die zwischen
die starken Gurten, welche die Mittelhalle von den Thurmgewölben trennen, und in letzteren
selbst eingespannt sind. Dieser Raum war ursprünglich in die Kirche mit einbezogen als Anfang
des Langhauses der einschiffigen Stiftskirche in ähnlicher Anlage, wie sie noch jetzt die Lieb-
■ Fiorillo, Gesch. d. zeichn. Küuste in Deutschlauil I, 47 u. ff. Kugler, (JeHcli. il. Maltn.'i, 2. Aufl. I, 126 ff.
2 Bd. XIII (1868J, S. LX.XXVI.
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uKLo a k k.Hüi-u Staa:LS"'iVu(^ke-rei
Die ko.maxischcx Üi;ckenui;.mäli>e i.\ der Stiftskirche zu La,mj;auii. Jo
fraiienkirche zu Wiener-Neustadt zeigt, wo auch die Tliürme an der Westseite in die Kirche ein-
bezogen sind und eine Art Bühne oder Orgelchor eingebai;t ist, über welchem sich die Thurni-
srewölbe in Bögen gegen das Schifi" öffnen ^.
Die alte, i. J. 1089 von Bischof Altniann von Passau und dem seligen Adalbero eingeweihte
Stiftskirche ^ besass bis in die Mitte des XV. Jahrhunderts zwei Chöre nämlich an der Ost- und an
der Westseite. Wahrscheinlich schloss sich an den erwähnten Theil mit den Thürmen der Westchor
an, den also diese flankirten. Die Darstelkingen der Bilder lassen vennuthen, dass sie zu einem grös-
seren Cvclus gehörten, wie man sie der allgemeinen Belehrung wegen als eine heilige Schrift in
Bildern an den Decken mid Wänden der Kirche anzubringen liebte; denn es ist hier eine einzelne
Begebenlieit, die Anbetung der Weisen mit Aiisführliclikeit und in den verschiedenen Momenten
des Ereignisses dargestellt, was wohl nicht der Fall wäre, wenn die Gemälde ohne Zusammenhang
mit anderen vereinzelt dagestanden hätten. In diesem Falle wären olme Zweifel mehrere der
Hauptmomente aus dem Leben des Heilands zusammeixgefasst und zur Darstellung gebracht
worden , wie dies gewöhnlich geschah, nicht ein einzelner in allen seinen Theilen, wie es hier
der Fall ist; letzteres findet nur bei grösseren Cyclen statt. Es ist daher Grund anzunehmen, dass
der Westchor den Anfang der Heilsdarstellungen, die Verkündigung und Geburt Christi enthielt,
das erste Travee oder Feld der Kirchendecke, Avelches wir noch erhalten sehen, gibt die Anbetung
der Weisen in allen verschiedenen Momenten der Begebenheit, hierauf setzten sich die Scenen
aus dem Leben Jesu fort bis sie im Ostchor mit der Kreuzigung und Auferstehung endigten. Ob
die ganze Kirche gewölbt war, oder blos der Theil in und zwischen den Thürmen, ist zweifel-
haft; ja es drängt sich die Vermutluing auf, dass ersteres nicht der Fall war, wenn man die
Beschreibung des furchtbaren Brandes liest, der beim Einfall des Herzogs Otto von Bayern im Jahre
12 33 Kirche und Kloster zur Ruine machte, der Art, dass, wie es im Ablassbriefe desBischofes Rüdi-
ger von Passau heis st, die Brüder „nonhabeantlocumorandinecdomumpariter commorandi". Von
dem Altare des heil. Stephan in der Gruft wird erzählt, dass er verschont blieb, weil diese gewölbt
(testudine tuta) war; es scheint sonach, dass die Kirche keine solchen, dem Feuer widerstehenden
Gewölbe besass *.
Das Gewölbe zwischen den Thiü-men, also der mittlere Theil des Schiffes bildet eine flache
Kuppel, in welcher, von der Mitte der gegen die Kirche gewendeten Seite beginnend, so dass der
unten stehende Beschauer bei der Betrachtung sich nach rechts drehen muss, di-ei Scenen aus
der Dreikönigsbegebenheit dargestellt sind, nämlich 1. wie sie den Stern erblicken und sich dar-
über berathen, 2. die Darbringung- ihrer Gaben (s. die Tafel), 3. wie sie von einem Engel im
Schlafe gewarnt werden zu Herodes zurückzukehren (Matth. 2, 12). Die Thurmgewölbe, die zum
Theil durch eingezogene Verstärkungsbögen verbaut sind, gehören demselben Cyclus an, in dem
nördlichen sind die Weisen bei Herodes dargestellt, in dem südlichen dieselben in Jerusalem
einreitend. Die Bilder haben stark gelitten, manche Theile waren schon in alter Zeit schadhaft
und vielleicht desshalb wurden sie übertüncht, was sie aber vor dem Schicksale so vieler anderer,
nämlich in späterer Zeit gänzlich abgeschlagen zu werden, bew'ahrte. Der Jahrhunderte lang
darüber liegende Kalk veränderte viele Farben, besonders die der Gesichter, und so sind jetzt
manche Figm'en bis zur Unkenntlichkeit verwischt, andere nur mühsam und nach längerer Beti-ach-
tuns" zvi erkennen. So sieht man an der Ostseite des nördlichen Thurma'ewölbes einzelne Theile
von Fiffuren, in welchen Schmieder eine Darstelluno- der Verkündio-uno' zu erkennen fflaubt, es
3 Kimstdenkmale des Miftelalteis im österr. Kaiserstaate 11.
■1 Mittheil, der k. k. Central-Comm. XI, 17.
* Dass niclit ein totaler Neubau stattfand, sondern nur eine Instandsetznn;,' der alten Kirelie, gellt auch aus dem Umstände
hervor, dass einer neuen Einweihung in der Schrittchronik keine Erwähnung geschieht iSc, li miede r, a. a. 0./.
XIV U
94 I^i" E- Fkeihekr V. Sacken.
sind aber Spuren von drei Figruren vorhanden, daher auch dieses Gemälde wahrscheinlich dem
Cvclus der übrio'en anirehürte. denn schon seiner Stellung- nach ist kaum anzunehmen, dass hier
die Verkündiouno- daro-tstellt war, weil zwischen dieser und der so ausführlich behandelten Bege-
benheit der Weisen gewiss die Geburt mit der Anbetung der Hirten zur Darstellung gekom-
men wäre.
Fassen wir nun die Bilder näher ins Auge, so fällt zunächst auf, dass die drei zur Anbe-
tuno- des o-öttlichcn Kindes herbeigfekommenen Männer nicht das gewöhnliche Abzeichen der
künifflichen Würde, die Krone haben, denn sie tragen hohe Mützen von verschiedener Farbe,
deren Spitzen etwas nach vorn gebogen sind'"; sie erscheinen sonach dem Wortlaute des Evan-
o-eliums (Matth. 2, 1) gemäss als Weise oder Magier, nicht als Könige, eine Vorstellung, die sich
wohl in altchristlichen Bildwerken, den Malereien der römischen Katakomben und Reliefs der
Sarkophage, später aber nur sehr selten (wie z. B. auf den Wandgemälden zu S. Urbano aus dem
XI. Jaln-hundert ') findet. Die Idee, dass die von Gott auserwählten Repräsentanten der fern-
sten Völker der Welt Könige waren, die kamen, um dem König aller Könige zu huldigen mid
die Schätze der Erde zu Füssen zu legen, bildete sich schon früh aus'*; so sehen wir sie schon
auf den zwischen 536 und 569 ausgeführten herrlichen Mosaiken in S. ApoUinare zu Ravenna
mit Kronen auf dem Haupte, und sehr alte byzantinische Bildwerke zeigen sie ebenfalls mit hohen
Kronen. Vom X. Jahrhundert an blieb diese Darstelluugsweise mit wenigen Ausnahmen constant''.
Gewöhnlich hat bei der Anbetung der erste, bisweilen auch der zweite die Krone abgelegt zum
Zeichen der Unterordnung unter den grösseren Herrscher und mächtigeren Fürsten. Durch die
phrvgische Mütze wurde in der römisch-altchristlichen Ki;nst die orientalische Herkunft bezeichnet:
die Tiara war bei den Orientalen das Zeichen hoher Würde.
Ebenso taucht die Vorstellung, dass die Weisen aus dem Morgenlande die drei Altersstufen:
Jüngling, Mann und Greis repräsentiren, schon in früher Zeit auf und wir treffen sie schon in
dieser Weise im Mosaik zu 8. ApoUinare und auf altchristlichen Sarkophagen, obwohl sie hier
gewöhnlich nach römischer Sitte rasirt sind, daher das Criterium für die Altersbestimnumg fehlt '".
Seit dem XL Jahrhundert zeigen weitaus die meisten Bildwerke die drei Lebensalter; in der
späteren Zeit, als die realistischere Auffassungsweise Portraits zu Grunde legte, finden sich öfter
Ausnahmen, wie in dem Gemälde des Taddeo Gaddi zu St. Croce in Florenz, oder dem Bilde des
Rog-ier van der Wevden in der Pinakothek zu München.
Die gewöhnliche Reihenfolge ist die, dass der Greis, dem schon wegen des Alters der
Vortritt gebührt, vorangeht, ihm folgt der 3Iann. der Jüngling konnnt zuletzt, nur ausnahmsweise
ist diese Anordnung verändert; so auch in den Lambacher Fresken, wo immer der Alte mit
weissem Barte in der Mitte steht, der jüngere mit dunklem Bart vorangeht, der jüngste folgt. In
Zusammenhang mit der Altersverschiedenheit steht die ungleiche Leibesgrösse ; wäln-end auf alt-
christlichen Sarkophagen alle drei gleich gross sind, ist in den mittelalterlichen Darstellungen, wie
auch in unseren Bildern der Greis der kleinste, der Jüngling der grösste und von schlankem Wüchse.
« Die Ottoueii .trugen eine oben spitze, vorgebogene Mütze, rückwärts den Nacken bedeckend, mit einem goldenen
Reif umgeben.
^ Agincourt V, 95.
8 Zufolge Isaias C. 60: -im Glänze deiner Geburt werden Könige einhergelu-n'- und Psalm 71: „die Könige von Tharses
und die Inseln werden Geschenke bringen, die Könige der Araber und von .Saba werden Geschenke lu-rbeifüluen." Audi
Claudianus und andere Väter bezeichnen sie als Könige, obwohl diese Vorstellung in .Schriften erst im XIII. Jahrluuulert
allgemein wird fZappert, Epiphania, in den Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. XXI, 320j.
9 So auch die Bronzethüren von Ilildesheim von 1015 und andere IJildwerke des XI. Jahrhunderts. In einer Münchener
Handschrift des IX. .Jahrhunderts tragen die drei Magier [jhrygische Jlützen < Hefner, Trachten I, 96i. Später kommen solche
selten vor, wie in einem Codex des XI. .Jahrhunderts 'c1)enda :>' und in einer Handschrift des Gedichtes vom Pfaft'en Conrad lebd. l.'ij.
1« Das Malerbuch vom Berge Atlios schri'ibt auch die drei Altersstuten vor (Didron, Manuel d'ieonogr. p. l.J9j.
Die homaxischex Deckengemälde in der Stiftskircue zu Lambach. Oo
Die weitere Eiitwickkiug der Idee, dass die Weisen als Repräsentanten der gesammten zum
Christenthum berufenen jMenschheit aufzufassen seien , fand ihren künstlerischen Ausdruck in
der Kleidung, durch welche man sie als Angehörige der drei Welttheile oder der verschiedenen
Zonen des Erdkreises bezeichnete, indem man dem Greise ein Pelzkleid, dem Manne ein dem
mittleren Clima entsprechendes Gewand, dem Jüngling, der seit dem XV. Jahrhundert gewöhnlich
als Neger dargestellt wurde, ein leichtes Kleid aus dünnem Stoffe gab. Hiervon findet sich auf
den Lambacher Gemälden keine Spur; alle drei erscheinen in einer dem Schnitte nach gleichen
Kleidung, nämlich in kurzer, nicht bis an die Knie reichender Tunica, die beim ersten gelb ist
mit grüner Verbrämung an Ober- und Unterarmen, beim zweiten violett mit weissem Mittelstreifen
der Länge nach und gelber Verbrämung, beim cb'itten weiss mit gelber geknüpfter Binde und
rotliL'U Säumen. Über diesem eno-en kurzen Unterkleide trao-en sie kleine, auf der rechten
Schulter mit einer Ag-rafie befestigte Mäntel; der des ersten ist purpurn, der des zweiten gelblich
weiss, der des dritten violett. Nur die Tunica und der Mantel des ersten (nicht des Greises) sind
etwas länger als die der beiden anderen. Die Beine beim ersten und zweiten sind nackt mit stark
angedeuteter Musculatur, der dritte trägt ganz enge rothe Beinkleider; der erste violette Strümpfe,
die beiden anderen haben über weissen Strümpfen die Unterschenkel bis zur Hälfte mit kreuz-
weise gebundenen Bändern umwickelt. Die spitzen Scliuhe ohne eigentliche Schnäbel sind bei
allen di-eien roth. Die Farben der Gewänder sind nicht bedeutungslos, sondern drücken besondere
Beziehungen symbolisch aus. So bedeutet das gelbe Kleid mit roth Licht und Freude, oder, nach
der Deutung von Agnelli (c. 842), der ein Mosaik mit der Anbetung der Magier bei St. Martin in
Ravenna beschreibt: -Balthasar, qui tus obtulit, in vestimento flavo et in ipso vestimento virgini-
tatem signiticat — — purpurato sago indutus et per eundem significat ipsum regem natum et
passum". Die violette Tunica bezieht sich auf die geistliche Würde und bezeichnet Demuth und
Busse, nach Agnelli: „Gaspar, qui aurum obtulit, in vestimento hyacinthino, et in ipso vestimento
conjugium significatur''. Das weisse Gewand ist das Bild der Reinheit und Barmherzigkeit: .,Qui
vero in candido munus obtulit, significat Christum post resurrectionem in claritate esse divina- ".
Das antikisirende Costüme der Magier entspricht der vor dem XII. Jahrhundert üblichen Tracht.
Die so kurze Tunica finden wir besonders bei den Longobarden ^- und noch in der karolingischen
Zeit. Ebenso ist der kurze, auf der rechten Schulter befestigte Reisemantel, die Chlamys oder
das Sagum der Römer, altfi-änkisch. Vom XII. Jahrhundert an wii'd die Tunica länger, der auf
der Brust zusammengehaltene Mantel grösser'^. Besonders aufiallend sind die Ki'euzbinden an
den Unterschenkeln, die bei den Longobarden charakteristisch sind" und sich kaiun über das
XL Jahrhundert hinaus erhielten.
Die Scenen beginnen zur Rechten des von der Westseite kommenden Beschauers und zwar
mit der Gruppe der di'ei Weisen, welche den Stern, der, wie noch die Spuren einiger Strahlen
bezeugen, in der Mitte des Gewölbes gemalt war, beti'achten. Die beiden älteren, bärtigen wenden
ihm das Angesicht zu, alle di-ei deuten nach oben. Hieran schliesst sich- sogleich die Hauptdar-
stellung-, nämlich die Anbetung des Kindes, während die der Chronologie nach folgende, nämlich
die Weisen bei Herodes, dem Gewölbe des südlichen Thurmes zugewiesen wurde. In diesem gross-
artigen bedeutungsvollen Bilde sehen wir Maria mit dem Kinde thronend, entsprechend dem
strengeren kii-chlichen Style, der die heil. Jungfrau bei dieser Scene nicht wie die spätere realisti-
" Vit.i punt. apuil Miinitori S. E. Ital. 2, 114 b. Zappert, a. a. 0. S. 338.
1- Weiss, Costümekunde III, 496.
13 Vgl. die Könige im Hortus delieiaruiii der Äbtissin Ilerrad von Landsperg'. Engelhard t. Tat'. III.
i-i Solche Schuhe nach Art der römischen Halbstiefel in den Leges Longobard. im Kloster S. Triuita della Cava zu
Salerno (Hefner, Trachten des Mittelalters I, Taf. 19), aus dem Anfang des XI. Jahrhunderts in einem Bamberger Codex
vHefner, Taf. 43, Weiss a. a. 0., S. 534).
14*
9b Dr. E. Freiherr y. Sackes.
schere Kunst in einem Stalle oder einer Ruine sitzend darstellte, sondern in feierlicher Würde
auf einem Throne, der gewöhnlich, wie auch hier als eine Art Gerüste, auf dessen Sitz ein Kissen
gelegt ist, gebildet wurde. Die tiefere Auffassungsweise, welcher es nicht um die Schilderung der
Einzelbegebenheit in genremässiger Treue zu thun wai-, sondern die den Kern derselben, die Hul-
digung, welche das gesammte Heidenthum dem Könige des Himmels und der Erde darbrin"-t. zur
Anschauung bringen wollte, behielt immer diese allgemeinere ideale Fassung bei*\
Die Madonna ist eine in ihrer Symmetrie man könnte sagen architektonisch aufgebaute
Gestalt, in Haltung und Angesicht von byzantinischem Charakter. Bei den Mai-iengestalten.
namentlich den feierlich thi-onenden, ist dieser besonders bemerkbar und behauptete sich lange.
weil sie durch die Mosaiken ilu-e typische Ausbildung erhielten. Als Kleidung erscheint ein
weiter rother Mantel . der auch über den Kopf gezogen ist und denselben gleichmässig einhidlt.
über einem weissen Unterkleide (yon einem ehemaligen Blau ist keine Spur zu erkennen), yon
dem nur die engen Ärmel und der den rechten Fuss bedeckende Theil sichtbar sind.
Es entspricht dem Ernste und der Feierlichkeit der i'omanischen Kinist. das Kind nicht als
Säugling darzustellen, sondern als den Welterlöser in seiner Macht und Herrlichkeit, nur als Knaben,
gleichsam in kleinerem Massstabe, daher es auch hier, wie gewöhnlich, bekleidet auf dem Schooss
der Mutter sitzt, die Rechte segnend erhoben und dadm-ch seine Gewalt und Übei'legenheit über
die anbetenden irdischen Herrscher bekimdend. in der Linken andeutungsweise die Schriftrolle.
Diese ebenfalls im Byzantinischen fussende Auffassung-sweise, welche schon dem dreizehntäorio-en
Kinde die göttliche Majestät beilegt, die es kraft seiner Machtvollkommenheit angenommen, erhöht
den Eindruck imponirender Erhabenheit, den die romanische Kunst stets ansti-ebt. Später, vom
XIII. Jahrhunderte an, besonders als mehr genremässige Elemente in die Kunst eindrangen, im
X\ . Jahrhundert wurde der jugendliche Welterlöser in naiv-realistischer Weise als kleines nacktes
Knäblein von kindlichem Charakter dargestellt. Hier ist es mit einer weissen Tunica mit langen
Armein bekleidet und einem gelben, über die linke Schulter gezogenen, die rechte ft-eilassenden
Mantel. Der nimbirte Kopf ist haarlos.
Hinter dem Throne erscheinen zur Erhöhung der Feierlichkeit der Scene zwei ebenfalls
nimbirte Engel, svmmeti-isch zu beiden Seiten der Gottesmutter angeordnet, von denen blos die
Büsten über die Tlu-oulehne hei*voiTagen ; Flügel sind an ihnen nicht sichtbar. Maria ist, an dem
Ereignisse, welches nur das göttliche Kind beti-ifi^. keinen Antheil habend, nach vorwärts, gegen
den Beschauer gewendet, denselben gleichsam ebenfalls zur Anbetung auffordernd, das Haupt
nicht, wie in späteren Darstellungen, jungfräulich demuthsvoU geneigt. Dies vermehrt noch den
abgeschlossenen Charakter dieser Gestalt.
Die drei AVeisen in ihrer antikisii-enden Tracht kommen nun zur Anbetung herbei, und zwar
der erste eilends, mit gebogenen Knieen (wie die Hirten nach Matth. 2, lU und Lucas 16), der
zweite gehend in vom Alter gebückter Haltung (bei diesem sind stets in seltsamer Weise die Beine
gekreuzt), der dritte steht noch ruhig; sie blicken alle auf das Kind und tragen in den vorge-
streckten Händen, deren Linke bei allen den leichten Mantel mitzieht, ihre Gaben, mit einer
gewissen Hast. Welche die Gefühlsinnigkeit ausdrücken soll, dieselben darbringend. Sie stehen,
wie gewöhnlich im hüheren Mittelalter, zur Rechten der tlu-onenden ]\Iaria. Die Hintereinander-
stellung erinnert an die Reliefbilder mit den Opterzügen der Alten. In den älteren Dai-stelluugen
bis zum XI. Jahrhundert erscheinen sie fast immer im Momente des Herbeikommens, erst von da
ab wird es allgemeiner, dass einer derselben bereits kniet: au( li im XI. und XII. Jahrhundert
wurde die aufrechte Stellung der auf gleicher Fusslinie stehenden Opferbringer beibehalten. Die
'^ So .tuch .-iuf den Bronzethüron zii Hildesheim und in dem Frescobilde der Rundcapeile zu Müdliug (Mittli. III iSön .
Taf. Xr.
Die romanischen- Deckengemälde in der Stiftskiuche zu La.mbach. 97
beiden Vorderen bringen ihre Gaben (Gold nnd Weihraucli) in einfachen viereckigen Büchsen, in
der des ersten sieht man aufgehänft gelbe Scheibchen, die wolil Gohbnünzen darstellen sollen;
der dritte hält eine rnnde Schale. Die an die antiken acerrae erinnernden Weihrauchkästchen nnd
die Schüssel kommen in älteren Darstellungen gewöhnlich vor, während spätere die Nachahmung
der kunstvollen Kirchengeräthe aus der Zeit des Künstlers liebten.
Bemerkenswerth ist, dass den Weisen ein Engel voranschreitet, der, sich umsehend, sie
auffordernd anblickt, während er mit der rechten Hand auf das anzubetende Kind deiitet. Er trägt
ein weisses Kleid mit eng-en Ärmeln und über die Hüften einen o-rünen Überwurf Er ist unge-
flügelt und bloss durch den Nimbus und die jugendliche Gestalt als Engel gekennzeichnet und
erscheint hier offenbar als Wegweiser der Magier, denen er nun den lang gesuchten und ersehnten
Heiland weist. Nach verschiedenen mystischen Schriftstellern sollte der Stern ein Engel gewesen
sein, der den Weg- zeigte ""'. Diese Auffassung' findet sich in Bildwerken selten. Der voranschrei-
tende Engel kommt im Menolog-ium des K. Basilius aus dem X. Jahrhundert und an der Kanzel
von S. Giovanni Evangelista zu Pistoja (aus dem XHI. Jahrhundert) vor''; in dem grossartigen,
wohl auf byzantinischer Grundlage beruhenden, aber von frischem selbständigen Geist durch-
wehten Mosaik in S. Maria maggiore zu Rom schwebt der Engel über den Magiern '^ im Relief der
goldenen Pforte zu Freiberg steht er hinter Maria.
Auf der anderen Seite des Thrones, symmetrisch mit dem Engel, steht eine Frau, keine
Heilige, wie der Mangel des Nimbus anzeigt. Sie blickt gegen das Kind, das Haupt demuths-
voll g-eneigt, die rechte Hand vor der Brust aufg-ehoben , die Handtläche nach aussen gekehrt,
wie es die alte Sitte beim Gebete war, die Linke hält einen nicht mehr erkennbaren Gegenstand.
Sie ist wie gegen den Thron hinschreitend dargestellt, mit einem langen weissen Unter- und
einem violetten Oberkleid mit weiten Ärmeln angethan. Letzteres, rechts offen, zieht sich durch
die Bewegung' über den linken Fuss und lässt auf der rechten Seite das Ende einer breiten
grünen Binde sehen, mit der wahrscheinlich die Tunica gegürtet ist; ein weisses Kopftuch hüllt
Haupt und Schultern ein, an den Füssen trägt sie rothe Schuhe. Diese Frau kann keine bib-
lische Figur sein, sie gehört nicht zur Begebenheit, wir werden sie daher wohl als die fromme
Stifterin des Gemäldes zu betrachten haben, welcher der Künstler diesen Platz gleichsam als
Zuseherin anwies". Zu einer Deutung als allegorische Figur, etwa die anbetende und theilneh-
mende Seele, fehlen bestimmte Anhaltspunkte und ist die Gestalt zu individuell in Geberde und
Kleidung gehalten.
Besonders gut und charakteristisch, aber leider von geringer Erhaltung ist die dritte Gruppe
des Mittelgewölbes, die schlafenden Weisen vom Engel gewarnt. Sie liegen im Bette, der Jüngste
in anmnthig natürlicher Stellung, den Kopf auf die rechte Hand gestützt, den violetten Mantel
um Brust und Hüften geschlagen, etwas höher oben der Greis, in der Mitte zwischen ihren Füssen
der dritte rechts gewendet. Über dem letzteren schwebt der Engel mit ausgebreiteten Flügeln in
weisser Tunica und grünem Mantel (wie der Avegweisende Engel). Um auszudrücken, wie durch
das Schweben der Luftzug die Kleider an den Leib anlegt, sind die Falten parallel gezogen,
während die Körperformen stark durchscheinen. Er hält die rechte Hand zur Begleitung der Rede
erhoben, mit der linken berührt er den unten liegenden Schläfer. Diese nur bei ausftihrlichen
i<^ Zappert, a. a. 0. .S. 316. Durand, Rat. off. VI, 16 führt es als Meinung Einiger an, der Stern wäre der heil.
Geist, als die Anderer, es wäre der Engel derselbe gewesen, der den Hirten erschienen v'ar.
I' Cicoguora, Stör, della scult. I, Tav. 39.
'S Guten söhn und Knapp, Basiliken des christl. Roms T. 47.
13 Auf dem Gemälde in der Apsis des Karners zu Mödling stehen ebenfalls zur Seite des Thrones zwei Profanfiguren,
ohne Zweifel die Stifter, vermuthlich Herzog Heinrich III. von Mödling und seine Gemahlin Richsa von Böhmen. [Mitthl.
in, S. -267).
98 Dk. E. Freihebe v. Sackex.
Cvclen vorkommende Darstellung findet sich auch in einer Evangelienhandsclmtt von c. l<>Oi» zu
Gotha und in dem Evangeliarium von Aschafienburg (e. 1190j ^.
Der Hintergrund ist in der Mittelknppel bis zur Kopfhühe blaugrün, den Fussboden bildet
ein herumlaufender dreitlirbiger Streiten, roth. braun und gelb. Wir wenden uns nun zu der Dai*-
stellung im Gewölbe des südlichen Thunues, welches von dem mittleren durch einen ornamen-
tirten Boeen sreschieden ist. i S. die Tatel. i
Hier sehen wir Herodes auf einem, mit einem Kissen bedeckten Thronstuhle ohne Lehne
sitzend, die niedrige, beiderseits mit Knüpfen verzierte Krone auf dem Kopfe; er trägt eine lange
grüne Tunica mit engen, an den Oberarmen und Handgelenken rothverbrämten Anneln, darüber
einen weiten, auf der rechten Schlüter befestigten rothen Mantel. Der linke Arm ist gebogen und
erhoben, es scheint, dass er ein Scepter mit der Hand hält, deren Zeigefinger eniporgesti'eckt ist;
mit der rechten Hand deutet er auf die vor ihm stehenden Könige. Er wendet den Kopf zui-ück
nach dem hinter ihm aufgeschlagenen Buche und nach den Schrift^gelehrteu, die aus einem Thure
heraustreten; es sind deren sieben, von denen die drei vordersten Bücher tragen, einer wendet
sich gegen die Nachfolgenden um. die Linke wie belehrend erhoben, von einem vierten ist bloss
das Gesicht, von den di-ei übrigen nur der Obeitheil der Köpfe zu sehen. Diese Figm-eu tragen
MänteL wie es scheint, mit Kapuzen. Eigenthümlich ist die Stellung der Magier. Vor Herodes,
aber etwas tiefer, so dass dieser auf einem erhobenen Throne erscheint, steht der erste (im Mannes-
alter), oder vielmehi- er schreitet weg und wendet sich nach ihm um. die Linke wie in afi'ect-
voller Rede hoch erhoben: er ist niu" bis etwas unter die Knie sichtbai*. eine gerade Figm* von
energischer Haltung. Die sehr knrze Tunica, eigenthümlich um die Lenden geschlungen, ist mit
dem weissen, geknüpften Tuche hoch gegüitet. die rothe Chlamys lallt nach antiker Weise über
den Rücken herab, Brust und Arme fi-ei lassend. Dicht hinter ihm steht der Greis, den Kopf parallel
mit dem ersten gegen Herodes erhoben, wähi-end der Jüngling im weissen Kleide und rothen
Tricots, die Unterschenkel wieder ki-euzweise umwickelt, theilnahmslos fortzugehen im Begrifi'e
ist. den Blick zu Boden gerichtet, den Kopf wie um zuzuhören zurückgewendet.
Die Scene geht in der Stadt Jerusalem vor; diese ist durch eine crenneline Mauer und zahl-
reiche, wohl den Palast des Königs bezeichnende Gebäudetheile vor Herodes. hinter den Magiern
ano-edeutet. Auf hohen Mauern mit rundbog-itren Fenstern stehen niediige Thiü-me mit halbkreis-
förmig bedeckten Thoren. dreieckig bedacht. Ein ganzes System von übereinander gebauten
Mauern und Thüi-men mit niediigen Pyramiden-Dächern, auf deren Spitzen runde Knäufe ange-
bracht sind, flach und mit Kuppeln bedeckte Gebäude, aber dm-chaus im rein romanischen Style
mit Rundbogenfeustern nehmen eine Hälfte des Gewölbes ein. Auf der Mauer des Palastes
unmittelbar vor Herodes ist auf dem ausladenden Kranzgesimse ein kleines, nacktes, geflügeltes,
dunkel gemaltes Figüixhen sichtbar, welches sich gegen den König hinabzustürzen oder ihm
zuzufliegen scheint. Von dieser Gestalt, die nm- eine symbolische Bedeutung haben kann, ist es
schwer eine sichere Erklärmig zu geben; es mag wohl der böse Dämon der Lüge und Falschheit
sein, der in Herodes fähit. ihm die bekannten bösen Rathschläge eingiebt und ihn zu grausamer
That vei-fühit. Die Kleidung des Königs ist die gewöhnliche königliche Tracht des XL und
XH. Jahrhunderts, die wir auf den Kaisersiegeln, bist« .risclK-n und idealen Bildern von Herrscliern
dieser Zeit sehen -\
Die Gemälde im Gewölbe des nördlichen Thurmes sind so beschädigt, dass nur mehr
wenig von ihnen zu erkenüen ist. Im westlichen Theile sind die Magier zu Pferde dai-gestellt (es
sind nur zwei Pferde und die Füsse der Reiter sichtbai-) dabei die Stadt; im östlichen Theile sieht
-« Waagen, Künstler und Kunstwerke in Deutschland I. 376.
-' Weiss. III. 532. 533. — En?elhardt a. a. 0. Tat". I. IV, XI. — Hetner I, 45.
Die romanischen Deckence.aiälije in der Stiftskirche zu Lambach. 99
man den Leib einer Figur mit rechter Hand und die rechte Hälfte des nimbirten Kopfes, ferner
den Leib einer kleineren Figur mit ausgestreckter Hand und einem Fusse in gehobener Stellung,
endlich den Obertheil einer dritten Figur in gebückter Haltung, im Hintergrunde ein mit Bögen
durchbrochenes Gebäude. Nach diesen wenig-en Überresten lässt sich kaimi eine Deutuno- dieses
Bildes geben.
Sculptur und Malerei des romanischen Styles standen bekanntlich im innigsten Zusammen-
hange mit der Architektur, waren ihr so zu sagen dienstbar, indem sie noch nicht den Höhepunkt
erreicht hatten, auf dem Wege des Studiums des Lebens in individueller Freiheit einen selbstän-
digen Entwicklungsgang zu nehmen, und bewegten sich daher in gebundener, streng stylistischer
Form, in traditionellen Typen befangen, die vollständig abzustreifen erst dem grossen Aufschwung
des XV. Jahrhunderts, bei dem das malerische Princip zum Durchbruch kam, gelang. In dieser
stylistischen Abhängigkeit erscheinen auch unsere Wandgemälde. In der Auffassung und Anord-
nung ist manches, was an die ältesten christlichen Gemälde in den Katakomben Roms und
an die altchristlichen Sarkophage erinnert. Die Zeichnung ist weniger incorrect als conventioneil;
den Gestalten fehlt die lebendige naturgemässe Einheit, namentlich stehen die Köpfe oft ausser
Zusammenhang mit den Körperbewegungen und sitzen daher etwas verdreht auf denselben. Den-
noch bekundet sich, obwohl in schematischer Umhüllung, eine grossartige Energie der Empfindung,
die in den heftigen und ausdrucksvollen Bewegungen der Figuren bedeutsam hervortritt und mitunter
an das Werk erinnert, in dem diese geistige Thätigkeit, dieses grosse Streben sich entschiedener
als vielleicht in irgend einem andern dieser Periode geltend macht, nämlich den herrlichen Email-
altar zu Klosterneuburg von 1181. Während die Charakteristik der Bewegungen in den Beinen
oft eckig und gezwungen erscheint, ist sie in den Armen gemildert und weich, ebenso in den wie
knochenlosen Händen mit sehr gestreckten Fingern. Die Gestalten haben überhaupt etwas zartes,
weiches, fast ätherisches. Am abgeschlossensten zeigt sich der herkömmlich festgestellte kirch-
liche Styl in der, wie erwähnt, dem byzantinischen Mosaikentypus folgenden Gestalt der Mutter
Gottes mit dem Kinde, freier konnte sich der Künstler in den übrigen Figuren bewegen und
diese müssen daher für seine Bedeutung als massgebend angesehen werden. Die Handlung uiid
künstlerische Intention zu deren Darstellung sind mit grosser Klarheit zum Ausdruck gebracht,
die Motive durchgehends verständlich und der Situation angemessen. Von unbeholfener Rohheit
ist nirgends eine Spur, im Gegentheile macht sich eine gewisse Feinheit, die zum Theil sogar in
gesuchte Zierlichkeit übergeht, geltend; für manches genügt die blosse Andeutung, so in den
höchst einfachen Gewandmotiven. Malerische Behandlung ist in dieser Zeit nicht zu erwarten: die
roth contourirte Zeichnung ist mit einfachen Farben ausgefüllt, schwarz kommt gar nicht vor, von
eigentlicher Schattirung finden sich nur Versuche. Die Farben sind eintönig, aber nicht ohne
Gefühl für Harmonie im gegenseitigen Zusamruenwirken. Die Technik ist die gewöhnliche
dieser Periode, nämlich mit Wasserfarben auf trockenem Grunde, da die Malerei al fresco noch
unbekannt war.
Die Köpfe erheben sich noch nicht zum seelischen Ausdrucke, sie sind durchaus conventio-
neil, mit mandelförmigen blicklosen Augen, gleichförmigen länglichen Nasen, sehr kleinem Munde.
Die bedeutende Beschädigung der meisten und die Veränderung' der Farbe, die jetzt grünlich
erscheint, verhindern übrigens ein näheres Urtheil.
Der Styl der Zeichnung und die Technik entsprechen vollständig den Miniaturen des XII.
Jahrhunderts, deren wdr so viele kennen. Wie oben gezeigt wurde, weisen Auffassung, Anordnung
und Tracht anf eine noch fi-ühere Zeit, wenigstens das XL Jahrhimdert hin. Sonach wird sich
das Urtheil dahin zusammen fassen lassen, dass diese in ihrer Art bedeutenden Wandmalereien
dem XII. Jahrhunderte angehören, jedoch auf älteren Traditionen beruhen. Es muss in Anschlag
lUU Dk. E. Fk. V. Sacken. Die komamsches Deckesgemälde ix der Stutskiuche zi Lambach.
gebracht werden, dass sich abseits einer grösseren Kunstübung die alten Typen lange erhielten,
daher sich in schulmässigen Arbeiten noch oft archaistische Reminiscenzen vorfinden. Die Lam-
bacher Bilder haben jedenfalls ein höheres Alter als die des Nonnenchores im Dome von Gurk in
Kärnten, die erst im XIII. Jahrhundert entstanden und schon vielfach !.a>thische Motive zeigen '"'
und das ebentalls dem Anlange dieses Jahrhunderts angehörige Bild in der Apsis der Rotunde von
]ilödliug; sie dürften sonach nebst den Malereien in der Vorhalle der Kirche am Nonnberge zu
Salzburg " die ältesten in den cisleithanischen Ländern des Kaiserstaates sein. Sie können eine um
so grössere Aufmerksamkeit beanspruchen, als von Wandgemälden dieser frühen Epoche wenig mehr
existirt ■* und auch in Deutschland solche selten sind. Bedeutendere finden sich nur in der Kirche
zu iSchwarz-Rheindorf (um 115.:>)-^. im Capitelsaale der Abtei Brau weiler ""^ und zu Soe s t
in Westphalen -'. Schon etwas jünger sind: die Decke der St. Michaelskirche zu Hildes he im
(erste Hälfte des XIII. Jahrhunderts), die Gemälde in der Taufcapelle von St. Gereon in Köln
(um 1230)"*, in der Liebfi-auenkirche zu Halberstadt ■", die sehr umfangreichen im Dome von
Braunschweig (1220 — 1270)^^ in der Schlosscapellc zu Forchheim (c. 1250) u. A. Ob der
Künstler, was wahrscheinlich ist. aus Bayern, wo im ganzen Mittelalter eine rege Kunsthätigkeit
herrschte, herüber gekommen Avar. lässt sich nicht erweisen. Für die Erhaltung dieser kunst-
geschichtlich so merkwürdigen Bilder bürgt das feine Verständniss und der Kunstsinn des hochw.
Herrn Prälaten des Stiftes Lambach Theodorich Hagn und der pietätvolle, warme Eifer des
gelehrten Stiftsai'chivars F. Pius Schmieder, der sich um die Aufdeckung derselben ein so
grosses Verdienst erwarb und ilu-e Bedeutung vollkommen zu würdigen weiss, wie aus seiner
Anzeige in diesen Blättern erhellt. Nach Beseitigung des gewaltigen Orgelgebläses, welches fast
den o-anzen Raum des Läuthauses gerade unter dem Mittelgewülbe einnimmt, durch Ersatz mit
einem neuartig construirten. weit compendiöseren, werden die Deckengemälde auch der Betrach-
tung zuoränglicher sein.
" Mittheil. iSö", S. 294. — Ha.is in den Kunstdenkmalen des üsterr. Kiiiscrstaates II, lfi6.
23 Heider im Jahrbuch der k. k. Central-Corom. IL S. IS, Taf. I, II.
-* So sind die Gemälde des Mittelschiffes der Kirche zu .St. Paul in K:irnthen und im Lang^hause des Gurker Domes
bis auf Spuren verschwunden.
2ä Simons, Doppelcapelle zu Schw.-Rheind. Taf. -2, 10 f.
26 Keichensperger, Verm. Seh. .S. 7-2, Taf. I, II.
2' Lnbke, Mittelalterl. Kunst in Westphalen, S. 3-22.
28 Schnaase. Gesch. d. bild. Künste, V. 660.
29 Quast im Tübinger Kunstblatt 1845, m.
30 Schiller, Mittelalterl. Archit. Braunscbweigs, S. 26 ff.
101
Der Grabstein der Kaiserin Eleonore.
VoK De. Kaul Lind.
(Mit 1 Holzsclmitt.)
X!iS ist eigenthümlich, dass in den älteren Zeiten so wenig Mitglieder des Hauses Habsburg in den
österreichischen Erblanden ihre Ruhestätte landen. Freilich wohl liegt die Ursache vornehmlicli
darin, dass ein grosser Theil derselben als seine Beerdigungsstätte die eine oder die andere jener
frommen Stiftungen bezeichnete, die von ihnen selbst oder ihren Vorfahren in den alten Stamm-
landen gemacht wui-den. Aber selbst an diesen wenigen im Inlande befindlichen fürstlichen Ruhe-
stätten ging im Laufe der Zeiten das dazu gehörige Denkmal verloren, was wohl darin seinen Grund
finden mag, dass diese fürstlichen Personen auch hier für ihre Ruhestätten Kirchen, meistens
Klosterkirchen wählten, von denen viele theils bereits ihrer Bestimmung ganz entzogen wurden,
theils wenigstens, durch Entfernung der zu diesen Kirchen berufenen geistlichen Orden , die
diese Denkmale schützende Hand und Obsorge verloren haben. Gai- manches hat das letzte
Jahrhundert an derlei Denkmalen verschuldet, vieles wurde zerstört und entfernt, vieles wurde
verunglimpft und verunstaltet. Ich erinnere nur an die Grabstätten des schönen Friedriclis
(t 1330) in Mauerbach; Albert des Lahmen (f 1358) und seiner Gattin Johanna von Pfyrt in
(t 1351) Gaming; Otto des Fröhlichen (f 1339) in Neuberg; Blanca's von Franki-eich (f 1305J
und Isabella's von Arragonien (f 1330) in der Wiener Minoritenkirche , etc.
Zu den wenigen erhaltenen gehört vornehmlich jenes im Frauenchor der St. Stephans-
kirche zu Wien, welches bisher fast allgemein dem Herzoge Rudolph IV. (f 1365) und seiner
Gemahlin Katharina von Böhmen (f 1395) ' zugeschrieben wird, ferner jenes des Herzogs Ernst
des Eisernen zu Rein in Steiermark (f 1424), des Kaisers Friedrich IV. im Wiener Dome (f 1493)
und endlich das herrliche Denkmal, das sich links zunächst des schönen Flügelaltars im Chor
der von diesem Kaiser gestifteten Cistercienser-Abtei Neukloster in Wiener Neustadt befindet.
Es ruhen dort Donna Leonor's von Portugal, der Gemahlin Kaiser Friedrich's IV. sterbliche
Überreste. Donna Leonor ^ geboren am 18. September 1434 zu Torres vedras, Tochter des
Königs Duarte und seiner Gemahlin Donna Leonor, Tochter des Königs Ferdinand I. von
1 Feil hatte in seinen kritischen Beiträgen zur Geschichte und Beschreibung: der St. Stephanskirche in Wien den
Nachweis versucht, dass dieses Grabmal dem Herzog Albrecht III. f 1395 und seiner Gattin angehöre.
2 Der nachfolgende kurze Lebensabriss dieser hohen Frau ist entnommen dem Vortrage des k. k. Regierungsrathes
und Custos iu der Hofbibliothek, Mitgliedes der k. Akademie der Wissenschaften, Dr. Ernst Birk, welchen derselbe in iter
feierlichen Sitzung dieser k. Akademie am 31. Mai 1858 gehalten hat. (,S. feierliche Sitzung v. J. 1858: D. Leonor von Portugal,
Gemahlin Kaiser Friedrich's IU. 1434—1467, pag. 167 — I92j.
XIV. 15
102 I'er Gi:abstein deü Kaiserin Eleonore.
Arraffonien, wurde am 1. Aug-ust 1451 zu Lissabon mit Jacob Moiz . des römischen Künio'S
Hofcaplan und Beichtvater, der die Stelle seines Herrn, des königlichen Bräutig-ams veitrat,
o-etraut. Am 1"2. November desselben Jalu-es trat die könieliche Frau von Lissabon aus die
Seereise an. um in Italien mit ihrem Gemahl zusammen zu treffen; am 2. Februar 14.j2 erreichte
das Geschwader den Hafen von Livorno und am 25. Februar hatten sich beide Gatten zu Siena
zum erstenmal gesehen. Von dort zog das königliche Paar nach Rom. woselbst am 16. Miüz
eine nochmalige feierliche Trauung im Dome zu St. Peter stattfand und drei Tage später König
Friedrich und seine Gattin die deutsche Kaiserkrone empfingen. Wenige Tage darauf fand sich
der heilige Vater wohl aut Friedrichs Ansuchen bewogen, den Taufnamen seiner Gattin, als
damals in den deutsclien Ländern ungebräuchlich in jenei:i Helenen's umzuwandeln. Es ist
iedoch keine Spiu- vorhanden, dass die Kaiserin von dieser Begün.^tigung jemals Gebrauch
gemacht hätte. Bald nach der Krönung verliess der Kaiser sammt seiner Gattin die ewige
Stadt und zog zu König Alphons nach Neapel, von wo dann das kaiserliche Paar über Venedig
nach der für die Kaiserin neuen Heimath reiste. Erst im Juni 14.')2 betrat der kaiserliche Zuff
Kärntens Grenze, und langte in Folge der durch Unruhen in Österreich nothwendig gewordenen
Reisebeschleuniguug am 19. Juni schon in Wiener-Neustadt unter dem Jubel der Bevölkerung
an. Kaiserin Leonor nahm in der dortigen Bm'g ihren Wohnsitz, woselbst fast ununterbrochen
ihr weiterer Aufenthaltsort blieb, obwohl die Zeiten der Bedrängniss ihres Gatten sie zu wieder-
liolten Malen nöthisrten, zeitweise in der benachbarten Steienuark oder in der Burg- zu Wien
(1461) Schutz zu suchen, welche Stadt sie durch ihre muthvoUe Hingebung, ur Mch selbst an
der Leitung der Vertheidigung betheiligend, dem Kaiser erhielt.
Am 16. Nov. 1455 wui-de die Kaiserin zum erstenmal Mutter, ^uch schon im nächsten
Jahre starb die Hoffnung und Freude der Ehern. Erst mehrere Jahre später (1459 1 gebar sie
ihr zweites Kind, das in der Taufe den Namen Maximilian erhielt. 1460 beschenkte die Kaiserin
ihren Gemahl mit einer Tochter, Helene genannt (f 146 Ij. Hai-te Tage voll Gefahren und Ent-
behrungen verlebte die Kaiseiin. als sie im Jahre 1462 wieder die Wiener Burg bewohnte und
vom 5. October durch zwei Monate eine harte Belagerung freiwillisf mitmachte, nachdem sie
männlichen Muthes den Antrag der Rebellen, ihr und ihrem Sohne freien Abzug zu gewähren,
verworfen hatte. Erst als der Frieden gesichert war. verliess sie mit ihrem Sohne, verhöhnt von
der Hefe des Volkes. Wien, um es nie mehr zu betreten.
Am 16. März 1465 gebar die Kaiserin noch eine Tochter Kunigunde und 1466 einen Sohn
Johannes, doch sollte es der hohen P'rau nicht gegönnt sein, das Erblühen ihrer Kinder zu sehen.
Freilich wohl fand ihre Gesundheit in Badens Heilquellen einige Stärkung, allein die Schmach,
auf ihrem Rückwege von Heiligenkeuz von Weg-gelasrerem aus der Burg Rauhenstein überfallen
zu werden, das schwindende Ansehen ihres Gatten, die unglückhche Lage des Landes, der Tod
ihres Sohnes Johannes (j 1467). dies waren Wunden, die Leonor s Ki-äfte aufzehrten. Leonors
Lebenstage waren gezählt, und wie sie gelebt, eben so fromm starb sie nach kurzem Todes-
kampfe am 3. September 1467 im 32. Lebensjahre. Sie war ein Vorbild weiblicher Schönheit
und Annmth, geziert mit den seltensten Gaben des Geistes und Herzens. Dort, wo ihre drei im
Tode vorausgegangenen Kinder ruhten, und wo auch ihr kaiserlicher Gemahl seine Ruhestätte
wählen wollte, fand' ihre entseelte Hülle ihre letzte Aufnahme. Die Kaiserin hatte selbst im
Jahre 1465 diesen Platz ausgewählt.
Ein prachtvolles Marmordenkmal erhält das Andenken an diese Grabesstelle. Es ist eine
rothmarmorne starkgeaderte Platte, die nun in der Wand aufrechtstehend befestigt ist.
Die vertiefte Mitte des durch kunstreiche Reliefarbeit ausgezeichneten Denkmals nimmt die
lebensgrosse Jigur der Kaiserin ein. Ilire Stellung ist nicht klar, denn einerseits lässt der ihrem
Du. Karl Lind.
103
Haupte unterlegte Polster vermu-
then, dass der Künstler sie liegend
darstellen wollte, anderseits deutet
alles Ubrig-e darauf, dass die Figur
aufrecht stehe. Es ist dies jene
unklare Darstellungsweise , die
man bei sehr vielen derartigen
Grabmalen des Mittelalters findet.
Das Antlitz ist schön, voll edlem
Ausdruck und von gewinnender
Anmuth, die aufgelösten Haare
wallen zu beiden Seiten in reicht!"
Fülle über die Schultern herab bis
an die Füsse, das Haupt ist mit
einer hohen Krone von der Form,
wie sie eben zu Friedrich's Zeit
üblich war, bedeckt. Sie ist in ein
Prachtgewand gehüllt, ein falten-
reiches Kleid ohne Gürtel, dar-
über ein reichbebrämter Mantel,
der auf der Brust durch eine kost-
bare Spange zusammengehalten
wird; in der rechten hält sie den
Reichsapfel, in der linken das
Scepter (beide Insignien sind schon
etwas beschädigt). Ein einfacher
fast nach orientalischer Art gebil-
deter Baldachin mit reichem Fran-
senbesatz überdeckt die Figur, die
beiden Vorhänge sind anseinan-
dergeschlagen und füllen in reicher
Drapirung die Seiten des Mit-
telbildes. Als Abgränzung des-
selben erscheint ein einfacher
Rundstabrahmen, der zu Füssen
der Figur auf kleinen Sockelchen
aufliegt; Den breiten Aussenrand
der Platte bedeckt die nach innen
gerichtete Inschrift. Sie lautet:
Divi ■ Friderici • Caesaris • Au |
gusti • Conthoralis • Leonora • Augusta ■ Rege • Portugaliae • Ge | nita • Augustalem • Regia
Hac • Urna • Commutavit HI. Non. Septembr 1467. Die Ecken an der Kopfseite sind mit
Wappen des deutschen Reichs und von Portugal, die zu Füssen mit Österreichs Binden-
Steiermarks Pantherschild geschmückt \
m •
den
und
' Im Jahre 1668 wurde das Grab auf Befehl Kaiser Leopold I. geöffnet, man fand daselbst noch einige Gebeine, dann
Überreste von dem rothseidenen Kleide, in welches der Leichnam gehüllt war. S. Herrgott: Monum. aug. dorn, austr. T. W. L
15*
104 Dß- Karl Lind. Der Grabstein der Kaiserin Eleonore.
Glücklicherweise kennen wir den Namen jenes Künstlers, der mit der Ausführung dieses
Denkmals betraut wurde. Es war Nicolaus Lerch aus Leyden, welchen der Kaiser kurz vor
dem Tode seiner Gemahlin von der Bauhütte zu Strassburg^, wo er eingebürgert war, hieher
berief, mu einen Grabstein anzufertigen. Ob es schon damals des Kaisers Absicht war, für sich
den Grabstein anfertigen zu lassen, oder ob Lerch nach Neustadt berufen wurde, um jenen der
Kaiserin in Angriff zu nehmen, ist nicht sicher. Lerch, dessen künstlerisches Wirken in Oster-
reich noch gar nicht gewürdigt wurde, stai-b zu Neustadt 1493, doch ist sein am Friedhofe
nächst der Frauenkirche befindlich gewesenes Grab und der Grabstein verschwunden und nur
die Inschrift bekannt geblieben; sie lautete: „Anno Dom. MCCCCLXXXXIII am tag for St. Jaiiat.
hinr. starb der kunstreich Meister Niclas Lerch, der Chayser Friedrich Grabstein gehauen hat
vnd erhelt. Werichraaister detz grossen baus zu Straspurg und daselbs Purger-'. Der Grabstein soll
erst in den ersten Decennien dieses Jahrhunderts verschwunden und zuletzt als Ofenpostament in
der Sacristei der Frauenkirche verwendet gewesen sein *.
pag. 261 und iu Qormayr's Denkwürdigkeiten Wiens I. 1, 83. Kirchliche Topographie XIII. 144. S. Brunner's Wiener-
Neustadt p. 71 etc.
* Feil in .Schmidl's „Kunst und Alterthum in Österreich." Wien. 1S46 1. 1. 2. 6. D uellius: Dissertatio de fundationc
templi Cathedralis Aust. Neapol., Nürnberg. 1833. p. 32. Wenker's Apparatus et instructus Archivorum ex usu nostri tem-
poris. 4. Strassb.. 1713. pag. iS. Anm., woselbst ein boshafter Streich besprochen wird, den Lerch zu Strassburg dem Grafen
Jacob von Liechtenberg spielte.
NB. Die Zeichnung des Grabsteines von Jobst. nach Aufnahme von W. Boeheim. der Schnitt aus Waldheim's Atelier.
lOS
Studien über Befestig-ung-sbaiiten des Mittelalters.
Von Schulc'z Ferencz, Akchitkkt.
(Mit 35 Holzschnitten.)
(Fortsetzung.)
IL In Deutschland.
V\ ir haben im XIII. Bande der Mittlieiluno-en der Central-Conimission unsere Studien über die
architektonische oder besser jj'esagt ästhetische Seite mittelalterlicher Befestijj'inifJS-sliauteTi damit
beg-onnen, dass wir zu diesem Eehufe in der Schweiz und zwar vorneinlich in dortig-en Städten
Umschau hielten. Wir wollen nun zum Zwecke desselben Thema's eine Anzahl deutscher Städte
mid Burgen in gleiche Betrachtuiiü- ziehen.
Auf Deutschlands Boden schuf <lie Befestigungsbaukunst des Mittelalters gar herrliche
Kunstwerke, welche gleich den Bauten kirchlicher und profaner Bestimmung dieses Landes in
ihren Formen den Stempel deutsclien Geistes unverkennbar an sich tragen, und diesen weit über
des lieiligen römischen Reiches Grenzen hinaus verbreiteten, wie nach Polen, Ungarn. Ja selbst in
Itahen linden wir fortiticatorische Bauten, die unzweifelhaft von deutschen Meistern herrühren.
Das bewegte Leben im deutschen Reiche während des ganzen Mittelalters war aber auch
ganz dazu angethan , diesem Zweig der Architektur fortwälnende Anwendung und Vervollkomm-
nung zu verschaffen. Das alhnälige Erblühen deutscher Städte mit ihren reichen, angesehenen
Bürgern und Kaufherren und den oft nur zu hoffärtigen Bürgergeschlechtern , der fortdauernde
und durch die widerwärtigen Zeitläufte stärker angefachte Trotz des in seinen Vorrechten bedroh-
ten Adels, der fortwährende Kampf der Städte mit Fürst und Ritter, die Fehden dieser unter ein-
ander und als Leheiiträger mit ihren geistlichen und weltlichen Lehensherren und mit dem Reiclis-
haupte, die häutigen Bedrängnisse der Reichsgrenzen vom äusseren Feinde, und die Bedrolunig
der wohlhabenden Orte durch Schnaphähne und Ritter vom Stegreif, die Religionskämpfe und
Bürgerkriege; dies alles nöthigte hinreichend jedermann, Ritter und Bürger, sein Besitzthnm in
wehrbaren Stand zu setzen. So wie die jungen Bürgerstädte an Schutz für Haus und Hof denken
mussten und keine Gelegenheit vorübergehen lassen durften, die Bollwerke ihrer Stadt zu ver-
bessern und zu vermehren, ebenso mussten die Ritter die Wehrkraft ihrer vom Bürger und Bauer
oft arg bedrängten Burg, des einzigen Schutzes für ihr Hab und Gut und des Hortes des Adels-
stammes, ängstlich bewahren und erhöiien.
XIV 16
I'M) 5^<H[•I(■/ FkIIINI'/.
Wie schon erwälint. wnllen wir nur auf das honufUi . auf <lic küiisflcrisclie Seite dieser
Haudeiikmale Rücksicht iiehnien. luul das. was den Kniirszwctk Itetritl^t. niö<jlichst überj^flien.
Audi liejrt es weder in unserer ÄFöijliclikeit, nocli jiestattet es der Raum, all das Schöne und
Wichtio-e, was Deiitsfjüand an sedchen Werken in so reichem blasse besitzt, zu bieten und zu
besprechen, da wir vornehmUch nur Selbsttresehenes und Sellistu-ezeichnetes zu brinjien die
Absicht liaben. Wir w<dlen mit diesem Beiti'atr zur Festunofsbaukunst inn- bisherifi- Manjjelhaftes
erifänzen und auf die so hmjje unberücksichtijrteii l-Jauwerke dieser Art aut'merksani uiailuii.
Denn, ubfrleich dieser Zweig der Architektur bis in unsere Tage als t in unentbehrliches Binde-
glied der allgemeinen Baukunst din-ch alle Stvlarten hindurch anerkannt ist, und aucli in der
neueren Kunstgeschichte nicht unberücksichtigt blieb, denn sonst würde eine bedauerliche Lücke
darin entstanden sein, welche gar manche räthselharte Erscheimnig in der Arcliitektur unerklärlich
und unlösbar gemacht hätte, so hat man doch bisher mit ganz wenigen Ausnahmen unterlassen,
in eine nähere Würdigung derai-tiger Bauten einzugehen.
Noch ein weiterer Umstand verdient volle Beachtung. Die Festungsbaukunst beschränkte
sich nicht auf sich allein, sie griff mit ihrin Formen während der meisten Kunstepochen auch
auf das Gebiet der kirchlichen und profanen Architektur hinüber, so wie sie häufig und gern
aus diesen beiden schöpfte. Es geschah dies aus zwei Gründen : der erste war, weil häufig kirch-
liche und profane Gebäude mit fortificatorischen in Verbindung gebraclit werden mussten, wie bei
deji eigentlichen Burgen mit ihren Capelleu, bei befestigten Schlössern in ilen Städten, wo dann
iliese in den Kreis der Vertheidigungswerke einbezogen und demgemäss eingerichtet wurden,
und l)ei den eiyentlichen Vertheidig'unffskirchen. Au.f diese Weise schlichen sich Zinnen. Lujj-
Krker. Pechnasen in die Profan- und kirchliche Ai-chitektur ein. Der zweite Grund war die Sucht,
den Gebäuden von anderer Bestimmung das trotzige und Ehrfurcht gebietende Äussere mäch-
tiger Vertheidigungswerke zu geben, ohne dass man an eine Vertheidigung von derlei Gebäuden
gedacht hätte.
Der künstlerische Werth an foi-tificatorischen Bauten ist in vielen Phallen ein grosser. Es
gibt Befestigungs-Objecte. welche in ihrer Art künstlerisch ebenso wertliv(dl und durchgebildet
sind, als wie mancher ehrwürdige und lieachtenswerthe Münster. Die Franzosen haben den hohen
kunsthistorischen und künstlerischen Werth dieser Bauten längst begriffen und die Reste, welclie
ihr Land von solchen ^lonumenten noch bewahrt, mit rührender Sorgfalt gesammelt. Deutschland
Ijesitzt dieser Bauten eine so grosse Anzahl und noch in so wohl erhaltenen Exemplaren, dass,
wenn dieselben erst übersichtlich zusammengestellt und das noch beinahe gänzlich Unbekannte
ans Licht gefördert sein wird , Frankreich weitaus überboten werden dürfte.
So wie seit der Ei-findung des Schiesspulvers und der in deren Folge nothwendigen princi-
piellen Umänderung der Fortification vorzüglich P'ranzosen und Italiener die Meister der Befesti-
guno-skunst wurden und in ihrem Fache die Welt durchreisten, eben so lieferte während der
früheren Zeit Deutscliland und vornemlich Friesland für viele Länder Festungsbaumeister in
grosser Zahl. Derlei Baimieister zogen herum, traten in den Sold von Fürsten und Städten, die
sodann fast ausschliesslich deren Talent ausnützten; höchstens wurden sie befi-eundeten Städten
oder Fürsten ausgeliehen. Es wäre aber sehr gewagt , von diesen wandernden Meistern darauf
zu schliessen, dass die Festungsbaukunst sich niclit in nationaler Weise ausgebildet hätte, denn
gerade diese eingewanderten Meister, wenn sie auch manches Eigenthümliche und Hergebrachte
beibehielten, eio-neten sich in Folge des längeren Aufenthalts an den einzelnen Orten Vieles der
im Lande herrschenden Form an. Übrigens waren diese Männer eigentlich lücht Baumeister,
srmdern Ingenieurs, welche blos die Anlage, den fortificatorischen Plan besorgten, die weitere
Ausführung der Baulichkeiten und die Ausschmückung den eiiduiiuischen Meistern überlassend.
StITHEN l'iuKK BßFRSTIfiUNfiSBAlITKN DKS MiTTKL ALTERS. 1(17
Zum Beweis aber, dass nicht immer eigentliche Festungsbaumeister derlei Trutzbauten
schufen, sei Albrecht Dürer genannt, welcher es nicht verschmähte, sein hohes Talent aucli
diesem Fache zuzuwenden und die schönen Thürme Nürnberg's baute.
Einen wesentlichen Unterschied im Charakter der Befestigungsbauten bewirkt das dazu
verwendete Material, nämlich Stein oder Backstein. Wir wollen auch mit Rücksicht auf
diesen Umstand nachfolgende Betrachtung gruppiren. Der Steinbau gehört dem westlichen und
südlichen, der Backsteinbau dem östlichen und nördlichen Deutschland grösstentheils, jedocli
nicht ausnahmslos an. In jenen Gegenden, wo Stein nur spärlich zu finden war, baute man
die Befestigungswerke aus Backstein und es übte dies Material einen sehr grossen Einfluss auf
die Formenentwicklung dieser Bauten aus. Die Erfordernisse des Festungsbaues, wie Zinnen, Mord-
gänge etc. blieben zwar auch hier dieselben, doch die äussere Erscheinung wird durch den
Backstein, man könnte sagen, gemassregelt; denn man machte eben nur Formen, welche sich im
Thorniaterial leicht darstellen Hessen. Da sich aber Friese und ähnlicher architektonischer
Schmuck in Thon mit viel weniger Mühe herstellen lässt, so sind diese Bauten in den meisten
Fällen reicher verziert, als die Befestigungsbauten aus Stein.
Die Befestigungsbauten aus Backstein kann man in zwei Partien unterscheiden, nämlich
in solche, wo die Backstein-Technik noch roh und unausgebildet war, daher diese Bauten blos durch
geschickte Combination der gewöhnlichen Mauerziegel einigen Scinnuck erhielten, und in solche,
wo die Backstein-Technik vollendet, Gesimse, Friese, Masswerke, Krabben und Kreuzblumen aus
Thon gefertigt wurden. In die erste Abtheilung gehören die meisten Backstein-Festungswerke
Bayerns, in die zweite aber die norddeutschen Befestigungsbauten, in Brandenburg, Lübeck,
Danzig etc. Gleichwie sich die kirchliche Baukunst am herrlichsten an den Ufern des ehrwürdi-
gen Rheinstromes entfaltete, dessgleichen dürften die bedeutendsten Steinbauten des die Auf-
gabe unserer Betrachtung bildenden Arcliitekturzweiges dort zu suchen sein , woselbst der
Einfluss der rheinischen Bauhütten sich im Gesammtgebiete der Baukunst geltend machte.
Dies vorausgesendet, wollen wir nun unsere Aufmerksamkeit einigen deutschen Burgen und
Städten widmen. Noch ist zu bemerken, dass die fortiticatorischen Bauten sich abtheilen in
eigentliche Gebäude zu diesem Zwecke, wie Burgen für sich allein oder in Städten, Thürme,
Tliorbauten, Mauern, und in fortificatorische Zuthaten zu Gebäuden, wie Erker, Pechnasen.
Zinnen etc., darauf wir unser Augenmerk nunmehr richten und diese einzelnen Abtheilungen
nacheinander unter Hinweisung auf bedeutendere derartige Beispiele in Betrachtung zielien
wollen.
Die wichtigsten Profanbauten des Mittelalters, die fortificatorisch ausgestattet waren, waren
die Burgen, meist einzeln stehende Wohnsitze einzelner Adelsfamilien. Bei diesen Bauten
finden wir blos den Zweck der Bewohnbarkeit des Baues und jenen, diese Wohnung gegen
jeglichen Eindringling zu schützen, im Auge behalten; das ästhetische Element wurde wenijj
beachtet. Vor allem musste freilich die Natur dem Gebäude Schutz gewähren, daher man gewöhn-
lich für solche Gebäude einen möglichst schwierig zugänglichen Punkt wälilte, insbesonders
wenn diese Gebäude noch eine zweite Bestimmung hatten, wie als Thal- oder Flusssperre etc.
Allein manches musste noch die Kunst hinzufügen und wir finden daher diese Gebäude mit ludien
Mauern des Wohnhauses, wenig Aussenfenstern, mit mächtigen Ringmauern sammt Zinnen und
Erkern darauf und Gräben davor, mit wenigen und wohl vertheidigbaren Thoren, mit einem
oder mehreren mächtigen Thürmen u. s. f. ausgestattet. Freilich wohl boten diese Bauten im
grossen Ganzen wenig Gelegenheit, Symmetrie, Schmuck und zierliche Formen anzubringen und
dennoch hat der menschliche Kunstsinn keine Gelegenheit vorübergehen lassen, aucli dort seine
Wirksamkeit zur Geltung zu bringen. Dies war hauptsächlich bei jenen Burgen der Fall, die auf
16*
\{)S
ScHii.rz FkueNcz.
* fiiuni Terrain anoelewt wiir'ltii. ilas (iurcli seine
(iruniltorni und seine Hölien-IHrt'erenzen ilit- sdiöne
:± ulfifhniässig^e Aiisfiilirunor des Baues wesentlich be-
v: einrriiclitijrte. wie z. B. bei auf Felsenkiijjjien und
; Bergliölien erbauten Bui-iren. In derlei Källen hörte
Jj jede Symmetrie auf und man ersetzte bisweilen ijern
^ diesen Mang-el dadurch, dass man der Kunst behufs
J der Verschönerunjjf des Baues unbeschadet des Haiiitt-
z| Zweckes hie und da freii- Hand Hess. Wie nun trotz
5 des unijünstitren Terrains dennoch eine iriosse und
3 niäclitiir erirreifende Wirkuno- für das Au^e bei derlei
5 Bauten erreicht werden konnte , mögen die beijre-
-= ^ebenen Ansichten der Burg Dietz im Lahnthale
^^ (Fig. 1) und eines Theiles der Marlnni;- Fig. i) '
veranschaulichen.
Beide Bauten wurden nach strategischen Ge-
^ setzen zurecht üeleyt luid man beirnüiite sich die
nöthigen Zinnen. Erker, Fenster und besonders das
Dachwerk zu schmücken. Es tragen die zahlreichen
vielförmigen Thurmdächer und Spitzthürmchen nicht
wenig zu dem malerischen Ansehen der beiden
Burgen bei. Sie beleben die Silhouette und geben
areziert mit Wim])el und Wetterfahnen dem Ganzen einen kecken, kühnen Charakter.
Erwähnung verdient auch die Burg Trausnitz in Bayern. An den vielen liöchst abenteuer-
lichen Zinnenformen und derartigen Aufl>nuten an den Giebeln dieser Burg konmit das Spieleu
mit dem gewöhnlichen Backstein zum klaren Aus-
druck und sind diese Gebilde nicht ohne architek
/f\;5«K?* ; tonischen Werth , wenn auch hart und roh ; wir
werden im Verlaufe dieser Abhandlung noch Gele-
genheit finden. Einzelnes dieser Burir zu V)es])rechen.
Fi^'. I l)ii-tz
/.
t/y .O c/t-'4.C* if^
Fi",'. 2 .Miirtiurg .
tifc. o c Andfrnacli
1 Wir }?eben nur den wcni^fr bekannten Theil der .-icliüiicii Marliurg. Diese Barjj|)arde li:in;fi mit dem H;mi(tjr''liaudti
durch einen Schwibbogen zusammen. Besonders zierlieh ist das Dachwerk an diesem Gebäudeflügel.
SirUlEN i'KKU BEFBSTIGrNGSBAÜTEN DES M ITTKL ALTKKS.
im>
w ^_^-fi; iiTH Ihm
In den deutschen Stiidten konnnt es nicht selten vor, dass
einzehie Adelsfamilien daselbst l)efestio-te Gebäude besassen;
dieselben waren meistens etwas abseits gelegen, häufig aber
innerhalb der Stadtrin^mauer und bildeten zur Zeit der Be-
drängniss das Castell der Stadt, obgleich es auch vorkommt,
dass die Bewohner der Stadt mit dem Schlossherrn in Kampf
und Fehde lebten.
Eine solche ganz interessante Burg befindet sich zu An-
dernach, einer am linken Rheinufer gelegenen Stadt, die noeli
jetzt einige mittelalterliche Befestigungsbauten besitzt, \velclie
wegen ihrer hohen künstlerisclien Vollendung aufim rksanif
Beachtung verdienen.
Die am C'oblenzer Tlior gelegene Burg ist freilich bis auf
den grossen Viereckthuriii eine völlige Ruine, doch erkennt man
iu)ch aus den Mauerresten die Mächtigkeit des früheren Gebäu-
des. Den Grundriss dieser Burg gibt uns Fig. 3. Ein breiter
Graben zieht sich um die Aussenmauer der Burg und eine
zweite, die ganze Stadt sammt Burs: umsäumende Mauer bildet
die äusserste Vertheidigungslinie. Ein dieser Mauer angehöriger
Thorthurm liegt der Burg und zwar dem mächtigen noch beste-
henden Hauptthurme gegenüber und wird nur durch den Burg-
graben davon geschieden. Dieser Thorbau ist ein niederer
Bau, welcher mit Zinnen schliesst. In den kleinen Thorhof, den
die vier Wände des Thorbaues umschliessen, laufen den Zinnen
entlang Mordgänge. Der Eingang ist dreimal zu verschliessen,
und zwar durch ein Fallg-itter, und ein Thor an der äusseren, und danii noch durch ein zweites Thor
an der Stadtseite. Die Thorbogen haben 2 Klafter Spannweite und sind sehr schön und kräftig
protilirt, die Laibung des Profils beträgt eine Klafter. Knapp am erwähnten Burgthurm wird der
Graben mit einer massiven schönen steinernen Brücke überspannt, daran der letzte Bogen fehlt.
der durch eine Zugbrücke ersetzt wird. Von dieser Brücke gelangt man durch ein Thor (Fig. i)
in einen Gang, welcher unter dem im ersten Stockwerke befindlich gewesenen Saalbau hinweg
zu dem inneren Burghof fülu-t. Der Saalbau nahm die ganze Länge der Vorderfront zwischen
dem quadratischen und dem grossen runden Thurm ein. Die FaQade des Saalbaues würde, wenn
dieselbe nicht mit dem weit ausa'ekrag-ten Bogenfi'ies versehen wäre, welcher mit Wm'tlöchern
versehen ist, ganz den Eindruck einer Palast-Fa^ade des Mittelalters machen, denn die grossen
mit Steinkreuzen solid construirten Fenster sind ganz so, wie sie am Rhein an vielen Bauten
profanen Zweckes vorkommen: nur werden sie von oben eben durch die Wurflöcher des Bogen-
fi'ieses geschützt.
Über die Brücke schreitend gelangt man ungefähr in der halben Länge derselben zu einer
kanzeiförmigen grossen Auskragung, welche dadurch ermöglicht wird, dass sich an den einen
Brückenpfeiler ein gewaltiges Stein-Profil ansetzt; von diesem erkerartigen Vorsprung kann man
die ganze Brücke nach unten übersehen und bestreichen.
Die Pforte, welche an der Brücke in den Saalljau führt, ist als Muster einer Zugbrücken-
pforte zu betrachten. Die 7' breite spitzbogige Thür ist in einen viereckigen Rahmen gefasst, in
welchen die Brücke einschlägt. Oben rechts und links vom Spitzbogen sind Scharten, hinter
welchen sicli die Zugräder betindeii und durch welche die Zugketten uehen; unten aber sind die
IIU
Schi
' EUEN(.Z.
Fig. 5 (Andernach;.
Allgelsteine der Zujr'ji"ücke. Über dem Thor ist eine
mit Seg-ment-Boo^eii i^f .-jchlossene Nische , in welclier
wahrscheinlich ein Heiliireiibild angfebracht war. Die
Zu<rbriicke oder respective der Eingang durch diese
Pforte wird ausgiebig durch einen grossen WurtVrker
geschützt, welcher darüber, hoch oben auf dem Haupt-
gesimse angebracht war und wovon noch die Krag-
steine vorhanden sind.
L)er dsuan st«jssende viereckige Thurm von
f> Klatter Durchmesser ist die Hauptzierde der An-
lage; derselbe erhebt sich auf hohem Sockel aus dem
Graben, geht ungegliedert in wuchtiger quadratischer
Masse bis hoch übers Hauptgesims des Saalbaues,
und schliesst oben mit reizenden Seitenerkern und
Dachwerk; die senkrecht über einander angelegten
Fenster sind durch einen darüber angebrachten Wurf-
erker zu bestreichen und zu schützen.
Die zwei Eckerker haben reizendes Detail und sind in höchst sonderbarer picanter. nur
am Rhein vorkommender Weise ausgekragt (Fig. 5). Rechts und links von dem Wui-ferker sind
je zwei gi'osse und zwei kleine Fenster angebracht, und wir glauben, dass bei Angriffen die grossen
Fenster ven-ammelt wurden, hingegen die kleinen als Scliiessscharten dienten. Auf der Rückseite
liat der Tluirm keinen Erker, dort ist nur die Thurmtreppe angebracht'.
, Ein Befestigungsbau par excellence und von ganz
besonderer architektonischer Wirkung ist die ilarien-
burg bei Danzig. Leider hat diese schöne Burg
durch unverständige Restauration stark gelitten ^
Ein schönes Beispiel einer kleinen Ritterburg
in einer Stadt bietet Boppart in dem Hause Schwal-
bach (Fig. 6). Es ist dies ein viereckiges Gebäude
von massigen Dimensionen. Nach einer Seite schliesst
sich an diesen Baukörper die Burg-Capelle, nach der
anderen Seite aber ein Treppenthurm an. Das Gebäude
ist zwei Stock hoch, hat gute mit Steinrahmen und
Steinkreuzen versehene Fenster und Bogenfries am
Gesimse des Hauptbaues und der Capelle. Der Hof-
raum ist mit Zinnenmauena umschlossen und der Bau
gegen den Rhein mit einem Wurferker und zwei Eck-
erkern versehen *.
Übersehend zu den einzelnen Arten der selb-
ständigen und vom Wohngebäude getrennten \ er-
theidigungsbauten der Burgen und befestigten Städte.
<.-i^
Fijf. 6 (Boppart, Schwalbach i
- Bei dieser Gelegenheit wollen wir noch des durtigen und in Fig. 3 sichtbaren colossalen runden Thurmes erwähni-n.
wi.-lcher einst gewiss mit schönem Dachwerk versehen, viel zur Schönheit der Burg beigetragen haben mag; jetzt ist dersellte
Knine und nur noch bis etwas über das Hauptgesims des Saalbaues erhalten.
3 Das Werk von Fritsch, welches noch vor der Restauration erschien, gibt zw.ir nicht genügende, aber doch an
nähernde Auskunft über diesen Musterbau.
* Diese kleine Burg, deren Dachwerk abgebrannt war, wurde jüngst so gelungen restaurirt, ilass man mit vieler tirwis-s-
heit annehmen kann, der Bau habe früher ähnlich ausgesehen.
Stiiiien i'hku Bekestigungsbaiten HKS Mittelalters.
11
iPflllfTn^lf
FiK-
■ iTnuisuitz .
g-lauben wir zuerst die Ring- mauern erwähnen zu
•sollen. Die Ringmauern waren meistens einfache Mauern.
oben theils horizontal abgeschlossen ; tlieils und zwar
öfters war ihr oberer Abschluss zu einer nachdrück-
licheren Vertheidigung eingerichtet und desshalb mit
Zinnenreihen versehen, die häufig auf Mauerauskra-
gungen ruhten. Diese ausladenden Werke haben einer-
seits den Zweck, die Kronenbreite der Mauern zu ver-
breitern . um mehr Raum zu gewinnen , anderseits sind
zwischen den die Auskragung- vermittelnden Consolen
Öffnungen angebracht, um daraus senkrecht auf die
uinnittelbar an die Mauer gelangenden Belagerer Steine
zu werfen oder siedendes Wasser , brennendes Pech
herab zu giessen.
Die Zinnen hatten die Bestinnnung, den dahinter stehenden Mann zu decken und ihm
in ihrem Zwischenräume Gelegenheit zu geben , nicht nur die vom Feinde am Fusse der Mauer
gegen selbe unternommenen Arbeiten von oben herab beobachten , sondern auch dagegen wirken
zu können, indem er gedeckt sein Geschoss gegen den Feind schleudert. Es bestanden daher
hinter den Zinnen gewissermassen Gänge, die entweder durch die Mauerbreite selbst gegelien
waren, oder wenn die Mauer nicht ausgekragt war, durch eine innen an die Mauer anschlies-
sende hölzerne Galerie ersetzt wurden. Solche hölzerne Mordgänge finden wir noch an vielen
Stellen in der Burg Trausnitz erhalten, wovon wir in Fig. 7 eine Abbildung geben. Diese
Galerie führt längs der Innenseite der äussersten niedrigen Burgmauer herum. Sowohl die
Zinnen wie auch der Mauerkörper sind mit Schussscharten durchbrochen, und ist der hölzerne
Laufgang in der Art construirt, dass er theils auf senkrecht auf der Mauer gestützten, theils
auch auf schiefgestellten Tragbalken ruhet. Der Laufgang ist, wie dies in vielen Fällen geschah,
durch Dachwerk geschützt. Den ersten Anlass zur Entstehung der vorgekragten Galerien dürften
jene hölzernen Werke gegeben haben, die man schon im XII. Jahrhundert am Rande der Ver-
theidigungsmauern errichtete. Allein die Feuergefährlichkeit dieser hölzernen Werke , die der
Belagerer anzuzünden strelite, so wie die Möglichkeit, sie durch herangeschobene Thürme leicht
vernichten zu können, machte die Herstellung von Steinbauten wünschenswert!! und so sehen
wir im XH'. und XV. Jahrhundeit selir liäufig die Mauern mit eben den ausladenden Zinnen-
kränzen umgeben.
Bei Steinbauten gaben die Zinnen wenig Gelegenheit, an denselben architektonischen
Schnuick anzubringen. Anders ist es bei Backsteinbauten, hier haben die Zinnen sogar eine
etwas geänderte Form. Das was man bei Steinbauten des Bedürfiiisses wegen schaffte, das stei-
gerte sich in manchen Fällen an den Backsteinbauten durch Gestaltung der Details und dui-cli
reiche Gliederung zu reichem Selnnucke.
Nicht allein an ilen Ringmauern finden wir
Zinnenanlagen , auch an Thürmen , über
Thoren und an den Wohngebäuden selbst;
sie dienten da entweder, um die Wider-
standsfähigkeit der ersteren noch zu erhö-
hen, oder bei den letzteren, um, wenn der
Feind schon die Ringmauern überwältigt
hatte , einen weiteren Widerstand und Fig. a iM^irieubiii-;.
2^3
Fix-. •-* Pr>.'u zlaii).
Ii:
ScHii.cz Fekencz.
Fijf. 11' ^Mariciiliurfr/.
iiaiiu'iitlich eine Vertlieidig'un^ des Buro-g-ebäudes
noch niöfrlich zu niaclun. Bei ThUrnien linden sicli
niclit blüs am oberen Rande solche Zinnen<>alerien,
manche haben sie auch in halber Höhe, wenn sich
der Thurmkörper abstuft. Diese vorgekrag;ten Gale-
rien brachte mau auch dann gerne an, wenn es sich
um eine Verbindung der an den Thurm anstossenden
zwei Mauern handelte und diese Verbindunj^ nicht
durch den Thurm selbst gehen sollte.
Wir erwähnen beispielsweise der Zinnen am
Stadtthore zu Prenzlau. Dieselben haben oben ein
Backstein-Protil und sind darüber nach innen geneigt
mit Holzziegeln abgedeckt. Jede dieser Zinnen ist
nach aussen mit einem Wappenschild versehen,
dessen vertiefter Grund heraldisch bemalen ist
(Fig. 8). An den Zinnen der Marienburg ist Back-
stein und Stein combinirt und zwar ist der Körper der
Zinnen aus Ziegeln, während das eingesetzte Masswerk
aus Stein ausgeführt ist (Fig. 9). Ganz zierlich ist der
stark ausgekragte Zinnenkranz an den Eckpfeilern jenes
dem XIV. Jahrhundert angehörigeu Theiles , der den
Remter enthält (Fig. 10). Die mächtige Wirkung ent-
springt daraus, dass durch verschiedene hohe und weit
ausgekragte Consolen ein Achteck über dem viereckigen
Pfeiler gebildet wird. Der Verscliiedenheit der Consolen
entsprechend, sind sie in mehrere Absätze getheilt, keh-
lenförmig gegliedert, auf Bogen mit einander verbunden,
mit decorativen Friesen und Masswerk geschmückt und
trageji ähnlich geschmückte Zinnen. Bemerkenswcrth
sind die Zinnenkränze an den
Thüi-men der Rheinseite der
Stadt Cöln; sie sind zit)lich
gegliedert und wenig auslatlend; :mf der Ausladung' rnlut l)lns dii-
Schutzwehrc, die nncli nuten kli'iiie Guss-
h'iclier hat (Fig. 1 1 ).
Gar liäufig sank die Bestimnning «Kr
Zinnen ziu' einfachen Zier herab (Zierzin-
ncnj. Solche tin/len wir an vielen Rathhäu-
sein und Kii'cli(n. wie z. B. an der Marien-
kirche zu Danzig (Fig. 12). Sie sind meist
von i-iesigen Dimensionen, fast giebelfianiig,
oder ganz klein und krönen das llaupt-
gesimse des ganzen Gebäudes oder doch der
Fig. 11 (C'iiln).
I
3»«B*>>>»«waSe?S«K^
Fig. 12 (Danzig).
Fa<;aile, oft nui die Portal-x\iisl);niteii
* Wir geben hier aucii lieiapielswei^e imcliträtflicli
zieren (Fig. 13^
Fig. 13 I Basel).
MiliildiMcL' ilir klciiifii Striii/.liiiicii , die (lau Katiiliaus zu Hasel
PtI'DIKN VHKI: BEFESTIGUNGSBArTEX DKS MiTTKI.Ar.Tr.RS.
113
Fisr. 1.') ffoblenz)
WUff
Flg. Ib (Aachen).
Einen wesentlichen Verstärkungsbau nicht nur der Zinnenmauern, sondern auch der Büro-
gebäude selbst bilden die Erker, d. i. auf consolartige Unterlagen gestützte, aus dem Mauer-
körper frei hervortretende Ausbauten. Man brachte sie gerne dort an, wo es nothwendig schien,
langgedehnte Mauerstrecken zu bestreichen, dessgleichen an Mauerecken u. s. w. Da sie einen
vorzüglichen Standpunkt für die Vertheidigung boten, so wendete man sie auch über den Thoren,
an Thürmen etc. an. Sie waren tlieils mit Fensteröffnungen theils mir Falllöchern theils mit
beiden versehen, je nachdem nämlich ihre Bestimmung es forderte. Wir werden in dem Verlaufe
unserer Betrachtungen wiederholt Gelegenheit haben, auf solche Erker und zwar von verschie-
denen Grössen aufmerksam zu machen, und wollen uns hier mit der Abbildung eines solclien
thurmartigen Erkers, der sich beim Holzthore in Mainz betindet, begnügen (Fip-. 14).
Wir haben schon früher erwähnt, wie gern die Profan baukunst gewisse Formen und ganze
constructive Pax'tien aus der Befestigungsbaukunst übernahm. Sehr beliebt waren in dieser Be-
ziehung die Erker. So sehen wir am Rathhause zu C ob lenz hoch üben am Hauptgesimse der
Ostfronte Lug-Erker von zierlicher Gestalt angebracht. Es sind achteckige Ausbauten von lU
Durchmesser, die mit dem Dachwerke in Verbindung stehen (Fig. 15).
Nicht minder zierlich ist der zur Vertheidigung mit Schusswaffen eingerichtete Erker an
einem Hause zu Düren bei Aachen (Fig. 16) und ist bei demselben der Zweck durch die hohe
Brüstung und die kleinen Fenster noch mehr charakterisirt. Dieser 5' breite sechseckige Erker
sitzt an der Ecke des Gebäudes und currespondirt mit dessen erstem Stockwerke.
XIV.
17
114
SOHTLCZ FeREKZ.
Alle diese Erker, die erst beim Gesimse der Ge-
bäude anfangen und ein oder zwei Stockwirke hoch sind,
haben einen defensiven Zweck ; sie sind Elemente der
Kriegsljaukunst, die in die bürgerliche Ai'cliitektur ül)er-
tragen wurden, gleich den Zinnen, welche die Gebäude
krönen. Veitheidigung der Gebäude war bei ilinr ursprüng-
lichen Anlage der Grundgedanke, aber die Anlage dersel-
ben hatte sich so in die Augen der Mensclien eingelebt,
dass man sie auch da aidegte, wo es sicli nicht um eim-
Veitheidigung handelt, sondern wo blos ästhetische Gründe
massgebend waren, da man in ihnen das geeignetste Mittel
fand, den bürgerlichen Trutz im Gt-l)iiude zu charakteri-
.siren. Hübsche Erkerbauten sehen wir auch am Rathhaus
zu Bremen (Fig. 17).
!■ ig. 1 7 lirciiK-n .
Fig. 18 ( Aachen,.
P]ine der wichtigsten Bauten bei
Burgen und befestigten Orten waren
die Thure. Sie waren eben die Ver-
mittler des Verkelirs , mussten daher
aucli bei lierannahcnder Gefahr mög-
lichst lang offen gehalten, aber audi,
falls sie verschlossen wunUn . hinrei-
chend verrammelbar und ausgiebig
vertheidigbar , so wie nach Bedarf
schnellstens wieder eröffenbar sein.
Wir kennen iii;iiinigfaltige Formen
der Thore; entweder waren sie ein-
fache Bdgeiiöffiumgen in den Mauern,
in welchem Falle sie durch Erkerbau-
tiu meistens durch einen, oder was
seltener vorkommt . durch mehrere
Thürme an (hii Seiten <rescliützt
wurden, oder es rulite auf dem Bogen
Studien über Befestigi-ngsbauten des Mittelalters.
ii;>
der Vertheidigungsthurm selbst , die gewöhnlichste Form. Eine besonders seltene Art der Thore
bildet sich , wenn die beiden Thorthürme durch einen Bosren oben zu einem Ganzen vereint und
dann mit einem gemeinschaftlichen Dache überdeckt wurden. Da der Graben eine mit dem Thore
in inniger Verbindung stehende Vertheidigungseinrichtung bildete, so führte über denselben
dann eine Brücke, die in ihrer letzten Abtheilung als Zugbrücke eingerichtet war. Häufig kommt
es auch vor, dass das Thor mit einem kleinen Hofe (einer Ai-t Vorhof) versehen war, aus welchem
erst durch ein weiteres Thor der Eintritt in den befestigten Platz raöo-lich wurde.
Das befestigte Thor zu Aachen (Fig. 18), das mit dem Wienerthor zu Hainburg eine sehr
auffallende Ähnlichkeit hat, besitzt einen solchen Vorhof gegen die Stadtseite. Auf der Aussenseite
präsentiren sich zwei runde Tliürme, welche ganz oben dm-ch einen halbkreisförmigen Quader-
bogen verbunden sind. In die hiedurch gebildete Halle eintretend, sehen wir rechts und links
grosse Nischen, vor uns aber den rundbogigen Thorbogen mit seinem Mordgang und der
Zinnenbrüstung, hinter welchem sich ein weiterer niederer Bogen befindet, an dem der Fall-
rechen angebracht ist, der zwischen dem Mauerwerk herabfiel. Der erwähnte Mordgang ist von
beiden Seiten des Thorbaues zugänglich. Über dem niedrigen innersten Thorbogen steht in einer
Nische auf einer Console die Figur des Schutzpatrons und zu beiden Seiten sehen wir durch
die Mauer laufende Schlitzen, welche wir als füi- die Zugketteu bestimmt annehmen wollen, indem
wahrscheinlich bis zu dieser inneren Pforte der Graben sich ausbreitete und erst dort die Zuj;-
brücke herabklappte.
Ein ganz interessanter Bau ist das Rheinthor zu Andernach, das sich im Norden der
Stadt befindet und unmittelbar an den Rhein führt. Wie der Grundriss (Fig. 19) zeigt, hat es eine
doppelte Hofanlage und wird der Eingang durch den sich über ihm erhebenden Bau geschützt.
Leider hat das ganze Gebäude dadurch wesentlich an Charakter verloren, dass in der Renaissance-
zeit das Dach umgestaltet wurde. Die Rheinseite (Fig. 20) des Baues ist die weitaus reichere.
Auf einem mit Bossenquadern aufgerichteten Unterbau, in dessen Mitte zurücktretend sich der
hnll)ki-eisförmige Thorbogen öffnet, sitzen an den zwei Ecken in geistreicher Weise ausladende,
aus dem Achteck construirte Erker. Die Consolen werden durch einen über die Mitte laufenden
rundbogigen Consolenfries verbunden. Die Stadtseite des Baues (Fig. 21), welche in ihren ein-
faclien regelmässigen Formen, trotz des verwahrlosten Zustandes, ein höchst malerisches Bild
gibt, lässt beinahe einen älteren Ursprung vermuthen. Es ist möglich, dass dieses Thor in roma-
nischer Zeit erbaut, in gothischer Periode blos theilweise umgestaltet wurde. Zunächst der
Fig. SQ (Andernach).
Y'vi,. 19 (Aiideniiicli).
Fig. -Jl (Andernach).
17*
ScHlLCZ Fr.KESCZ.
|||-.;
1
iiiufien 6tite des Thores sehen wir einen achteckifien Tliurm
;uifrebaut. in dessen Innerem die Stie<re in die oberen Räume
lies Tliores und auf die Mauer tiihrt. Ganz in der Xälie dieses
Tljores befindet sich ein DopjieUhor (Fig. 22; mit ausge-
sprochenem Befestigungscliarakter.
Von den aus Backstein aufgeführten Thoren zu Tan-
srermündc* bringen wir in Fig. 23 eines der interessan-
testen. Leider steht nur mehr der äussere Tliorbogen und
der Thurm. der das Thor schützte, der Thorhof ist ab^'e-
brochen. Noch erkennt man an der einen Seite des Thurmes
den Anlauf des zweiten Tliorbogens. so dass der Thurm die
Aufgabe hatte, die beiderseitigen Thore zu schützen. Der
Thunn selbst, im unteren Grundriss quadratisch, geht in
der Höhe der Stadtmauer ins Achteck über, und sind diese
Felder mit blinden Masswerkfenstern versehen. Üben schliesst
der Bau mit einer horizontalen Zinnenterrasse. Als beson-
deres Vertheidigungswerk besitzt dieser Bau unterm obersten
Gesimse vier reizende Erker, jeder mit zwei Schiessscharten versehen. Das Detail der Erker, Giebel
und Krabben, so wie das Masswerk der Fensternischen ist in gebranntem Thon ausgeführt.
Das Piritzerthor zu Stargard (Fig. 24} kann man hinsichtlich seiner architektonischen
Gestaltung als eine Ausnahme von der gewöhnlich üblichen Thoiformation nennen. Es ist wie
ein Haus ausgeführt und enthält in sich den gedeckten Hof als grosse Thurhalle. Der Bau ist
viereckig, misst 6 Klafter pr. Seite, und ist mit einem hohen Satteldach überdeckt, welches gegen
die Feindes- und Stadtseite mit einem hohen abgetreppten Giebel versehen ist. Zu oherst des
Daches erhebt sich ein der neueren Zeit angehöriges Thürm- ^
chen mit der Sturmglocke darinnen. Betrachtet man den Bau ^
von der Feindesseite, so findet man, dass er sich als vier-
eckiger ungegliederter hoch aufsteigender Körper bis zu
seinem Hauptgesimse erhebt. Man könnte sagen, das Gebäude
habe nach dieser Richtung
zwei Wände knapp hinterein-
ander. Die erste derselben ist
durch einen sehr hoch oben
angebrachten Spitzbogen ge-
öftiiet, und erst die zweite
Wand enthält den eigentlichen
Thorbogen, welcher kaum die
hallte Höhe des ersten Bo-
gens erreicht. Die senkrechten
Schenkel des ersten Bogens
haben an ihren Ecken tiefe
Einschnitte, in welche sich die
aufgeklappte Zugbrücke legte.
Fig. 23 i/l'augeiuiunde^.
:>4 (Starganl .
« Wir können dieses Thor, so wie die Thürme and Thore zn Stendnl zn dem Edelsten rechnen, das die Befestigiings-
liaukonst in Backstein geschaffen hat. S. Adler's Backsteinbauten der Mark Brandenburg.
Studien über REFESTiGUNGSUArTKN des Mittelalters.
1i
Fifi
(Mariciil)urg').
für die Ketten sind Scdditzen in der zweiten Wand rechts und links
über den Thorbooen, für die Räder Nischen daselbst angebracht.
Zwischen den zwei Spitzbogen befinden sich über dem Thor bogen
zwei sehr gestreckte Blindfenster, in welchen vier Scliiessscharten
zum directen Schutz der Brücke angebracht sind; die eigentliclie
Fa9adenwand ist unterm Hauptgesimse mit sechs Schiessscharten
oder besser gesagt mir Schussfenstern versehen; über dem Haupt-
gesimse erhebt sicli ein reicher Giebel mit sogenanntem Katzen-
steig geziert. Es ist dieser Giebel in 11 Zinnen ausgezackt, unter je
einer Zinne befindet sich ein in den Mauergrund vertiefter Schild.
Die Fläclie des GieV)els ist in eine Anzahl spitzbogig geschlossener
langgestreckter BlcTidnischen getheilt; sowohl die Schilder als
auch die geputzten Hintergründe dieser Nischen waren früher bemalt. Durch den Thorbogen
eintretend gelangt man in die geräumige Thorhalle, und von da durch einen weiten Thorbogen
in die Stadt. Der ganze Bau ist jetzt leider verputzt und getüncht, wodurch er unendlicli an
seinem Ansehen verloren hat.
Als eines schönen Thorbaues wollen wir der Marienburg wieder erwähnen. Es ist dies
jenes malerische Thor (Fig. 25), welches aus einem Burghof in den andern führt. Der unterbau
und der Constructionsbogen dieses Thores sind aus Granitquadern, der Fries um den Spitzbogen
aber aus Backstein , das Masswerk ist glasirt.
Wenn wir uns bei Besprechung der Befestigungsbauten der Schweiz mit Bedauern äus-
serten, in welch barbarischer Weise dort viele Kunstwerke dieser Art zerstört wurden, so können
wir dagegen in Deutschland mehrere Fälle anführen, wo solche Baudenkmale geschont, ja mit
grossem Kostenaufwand restaurirt worden sind. Dieses glückliche Schicksal hatte auch das
Holstenthor in Lübeck. Es herrsclit in der Architektur dieses mächtigen Baudenkmales eine
erhabene Ruhe, ein Vorherrschen der horizontalen Linie, wie es sonst in Deutschland selten
vorkömmt. Dabei ist dies Thor von ganz riesigen Dimensionen. Der Thorbau war früher mit
einem Vorhof versehen, doch wurde derselbe bei der Anlage des Bahnhofes zerstört. Diese Zer-
störung hat insofern geringere Bedeutung, da der Vorhof in späterer Zeit angebaut war. Das
jetzt noch bestehende eigentliche Thorgebäude wurde 1477 erbaut. Das Thor besteht aus zwei
runden mächtigen Thürmen , welche um die Weite der Thorhalle von einander entfernt stehen.
Die zwei Kreise, welche diese runden Thüi'me im Grundriss bilden, sind durch zwei tangirende
W^ände zu einem Ganzen vereinigt. Der Bau hat drei Etagen, welche sich, da dieselben nieder
und der Bau von grosser Länge ist. als ebenso viele Fiüese oder Bänder um den colossalen Bau-
körper schlingen.
Der Ebenerd ist schmucklos und als Sockel behandelt. Es öffnet sich hier in der Mitte des
Baues mit einem Rundbogen die Thorhalle. Zwischen dem Erdgeschoss und dem ersten Stockwerke
ist ein zierlicher Fries angebracht, der die ganze Parapet-Höhe einnimt. Das erste Stockwerk ist unter
den drei Stockwerken das höchste, mit Spitzbogennischen geschmückt, welche abwechselnd Blenden
und Fenster sind. Darüber kömmt abermals ein Fries. Das zweite Stockwerk, welches von dem
dritten nur durch ein einfaches Ziegelgesimse geschieden wird, bietet eine ähnliche Nischen- Archi-
tektur wie das erste Stockwerk; nur nimmt die Höhe der Stockwerke nach oben bedeutend ab. Über
dem dritten Stockwerk legt sich das einfach horizontale Hauptgesimse um den Bau. Erst überm
Hauptoesimse theilt sich der ruhige Horizontalbau in drei Partien, und ist derselbe über der Por-
taihalle mit schönem Giebel gekrönt, die ThUrme aber sind mit spitzigen Dachhelmen aus Holz
geschlossen. Der ganze Bau hat arge Setzungen erlitten, auch ist der Giebel stark beschädigt.
118
ScHiLiz Fekencz.
"^~n
l'
_L
26 I Lübeck).
Wie schon envälint. fanden die Backsteinbauten jener Länder-
sti-idie, wo auso-tbildete Backstein-Technik war, reicldichen architek-
tonischen Schmuck in den Friesen, Gesimsen, Medaillons, Masswerk
und Glasuren, mit denen sie freifrebig: ausg-estattet wurden. Gerade
ifK^y.^^ 1 ^^\y das Holstenthor ist ein solches, an dem solcher Schmuck sich reich-
er i>ü^^_-4^,=:_^^ lieh vorhndet. Figur 26 zeigt den schönsten und grössten Back-
steintries, so an deutschem Backsteinbau überhaupt vorkommen mag.
Derselbe befindet sich als ein breites Band zwischen Ebenerd und
erster, dann zwischen erster und zweiter Etage dieses Thores. Dieser
1 — 6' hohe Fries ist zwischen zwei Ziegelgesimsen eingeschlossen
und besteht jede quadratische Figur aus vier kleineren quadratischen
Lilien, in deren Centrum ein stark hautrelief behandelter Früchten-
kopf sich erhebt.
Friese in solcher basrelief-artiger Bildung kommen in Deutsch-
land selten vor, und sind uns solche nur noch an den Thoren von
Stendal und Tangermünde und in Lüneburg bekannt. Häufig sind
Friese in der Ai't von Figur 27, blos aus aufgelegten, meistens gla-
sirten Ziegeln bestehend; nur sind diese Friese auch meistens zwi-
schen zwei Gesimse gelegt und ist an Bauwerk für den Fries eine
dreizöllige Vertiefung" in der Mauer ausgespart. Häufig kam es bei
armen Bauten vor, dass man die wirklichen Backsteinfi-iese durch
Malerei ersetzte, und man malte dann in den meisten Fällen, statt
zwischen die zwei Gesimse den plastischen Fries einzuschieben, aus
Sparsamkeit auf den geputzten Hintergi'und ein braunes Masswerk-
ornament in dicken Linien und erzielte damit beiläufig dieselbe Wir-
kung. Leider sind die Farben schnell vei-blichen . und man begnügte
sich später, diese Friese schön anzuweissen, es wurden dadurch selbst viele Fachmänner zu dem
Glauben veranlasst, dass diese Friese immer so gewesen seien. Auch begegnet man in seltenen
Fällen einer Art Sgratitto. Es wurde nämlich die verputzte Friesfläche grünblau bemalt und dann
die Zeichnung herausgekratzt, so dass die Zeichnung mit der Farbe des Mörtels auf blauem
Hintergrund erscheint. Genaue Forschungen an den Backsteinbauten von Danzig, Lüneburg,
Lübeck und Stendal haben mich zu dem sicheren Schhtss gebracht, dass alle horizontalen und
verticalen fi-iesartigen Sti'eifen oder Bänder, so an Backsteinbauten angebraclit und niclit mit
plastischem Zierwerk versehen sind, in allen Fällen bemalt waren; besonders lehrreich ist in
dieser Beziehung die Katliarinenkirche in Danzig und ein Profangebäude nächst der Marienkirche
derselben Stadt.
Unsere Abschweifung schliessend, wollen wir wieder zu den befestigten Thoren zm-ück-
kehren. AVahrscheinlich das schönste Werk mittelalterlicher Befestig-ung-skunst in Backstein sind
die Ihore von Stendal. Daselbst gibt es deren zwei von ganz besonderem Werth, das eine noch
ganz erhalten, das andere etwas verfallen. Diese Tiiore sind sowohl in ihrer künstlerischen Aufi'as-
sung piäclitig als auch in ihrer technischen Ausfülirung das vollendetste und raffinirteste was
dieser Kuii.->tzweig hervorgebracht hat*^'. Noch sei erwähnt, dass auch an dem Nenglingertlior in
Stendal, und zwar unter dem Basrelief Back.steinfi-ies sich ein schmaler geputzter Fries hinzieht,
an welchem noch deutlich die Bemalunsr erkennbar ist.
hijr. 27 i Stendal I.
« ' Diese Thore sowohl , als jene Tangennünde's sind in dem Werke des Professors Adler i Backsteinbauten der Mark
Brandenburg; veröffentlicht.
RtTDIEN ÜUEl; BeFKSTIGUNGSHAUTEN des MiTTEI.ALTEliS.
fID
Pasewrtlk. eine kleine Stadt in
der Ukermark mit noch vielen Thoren fr
und Tliürmen, besitzt als einen ganz be- -=^^
sonderen Ban ein Stadtthor, freilich schon W^^=t=fl^^
oTösstentheils Ruine. Der Thorban bestellt
aus einem Thurm von quadratischer
Grundform. Die Thorhalle ist mittelst
zweier aus Quadern construirter spitz-
boo'is'er Thorbo^en yeöffnet, über der
Thorhalle scheidet ein breiter Fries das
erste Stockwerk vom unteren Bau. Diesen
Fries bilden über Eck gestellte Back-
steine , die Fa9ade des hohen ersten
Stockes ist in viele schmale Wandnischen
aufgelöst , welche mit Spitzbogen ge-
schlossen sind. Darüber ist die mit Zinnen
gekrönte Galerie und ein achteckiger
prismatischer Thurm von massiger Höhe,
der abermals mit einer Zinnengalerie ge-
schlossen war. Der ganze Bau schliesst
mit einem gemauerten Helm, aus welchem
ein Austrittserker auf die letzte Galei-ie
führt. Sowohl in die erste Etage des
Thurmes, wie auch auf den Mordgang
gelangt man über eine Treppe , welche
auf einem Viertelkreisbogen ruht und auf
einen geschützten Ruheplatz mündet, der
gleichsam die \^orhalle des ersten Thurm-
o-eschosses bildet und in seiner Architek-
Fig 28 (Pasewilk)
tur dem ganzen Bau ähnlich behandelt ist (Fig. 28).
Interessant ist ein Thurm der Stadtmauer zu Pasewalk. Derselbe ist als Cylinder bis an die
hochliegende einzige Ziunengalerie emporgeführt, unter der Galerie ist ein breiter Friesstreifen,
welcher, früher entweder bemalt oder mit einem Backsteinmuster plastisch geziert war; über die
massig ausladende Galerie erhebt sich eine achteckige Pyramide, auf deren Schluss heute ein
Storchennest thront.
Nach den Thoren sind die wichtigsten Vertheidigungsbauten die Thürme. Ihre Aufgabe ist
die Widerstandsfähigkeit der Ring- oder Burgmauern an einzelnen, leichter zugänglichen Stellen
zu erhöhen und überhaupt an gewissen einzelnen Punkten eine ausgiebigere Vertheidigung
möglich zu machen.
Die Thürme haben mannigfaltige Gestalten, manche sind viereckig, selten dreieckig, auch
rund, oft sehr hoch, bisweilen von besonders grossem Durchmesser, manche verjüngen sich nach
oljen, manclie schliessen oben mit einer Zinnenbekrönung ab u. s. f., aber fast an der Mehr-
zalil derselben hat die Kunst Gelegenheit gefunden, in ein oder der anderen Weise zur Aus-
schmückung beizutragen.
In den Festungswerken der Stadt Quedlinburg haben sich viele Thürme erhalten. Sie
sind noch so vollkommen mit allem Dachwerk , Ivnäufen und Wimpeln, dass man sich Ijeim
i20
SciULCZ FeRENCZ.
Quedlinburg .
Anblick mancher Tlicile Quedlin-
burjrs o-anz ins Mittelalter znrück-
versetzt wähnt. Der Thurni Fig. 29
hat quadratischen Grundriss, ist
ebenerdig und im ersten Stocke mit
einem Spitzbogen gegen die Stadt-
seite geötiuet. Beiderseits schliesst
sich die Stadtmauer mit ihrem Mord-
gang an denselben an. Der Jlord-
gang ist zum Theil auf einem ein-
fachen Prolil der Mauer aiissrekraot,
zum andern Theil ruht derselbe
aut ^\ jindbogen an der Innenseite
der Mauer . und führen in das
erste Stockwerk vom Mordgang
aus Tliürt n. Das zweite Stockwerk
empfängt Licht durch die doppelten
Schlitzenfenster . welche oben einfaches Masswerk
haben; auch sind an diesem Stockwerk Wurferker
angebracht, um die Einsänge in den Thurm zu
decken. Diese Etage schliesst mit horizontalem Ge-
simse, darüber erhebt sich der aus einem Quadrat
ins Achteck übergehende spitzige Helm, welcher mit
schönem Knopf und Wimpel endigt; mit dexa vier
Seiten des quadratischen Grundrisses parallel sind
auf dem Helm gleich überm Hauptgesimse grosse
Dacherker angebracht, welche Avie auch der ganze
Helm mit Schiefer gedeckt sind. Von dieser Thurni-
form blos in der Dachbildung abweichend ist Fig. oU
und besteht der Unterschied darin , dass bei diesem
Ihurm der Helm gleich übenn Gesimse achteckig
wird und auf ilen frei bleibenden vier Ecken fialenartige Aufbauten angebracht sind. Diese zwei
Thurmarten wechseln der ffanzen Stadtmauer entlangr miti inander und oeben der Stadt eine
höchst bewegte schöne Contur '.
Ein sehr bedeutender Befestigimgsbau ist der rutide Tluu-m zu Andern ach. Colossal in
seinen Dimensionen ist derselbe künstlerisch vollkommen gelöst und sucht seines Gleichen. Der
Thurm machte ein für sich fortificatorisch abgeschlossenes Werk, er konnte sich noch lange nach
der Einnahme der Stadt mit Erfolg- vertheidisen. Ein Eckstück der Mauer bildend, erhebt er sich
Fi;^. 2'J Quedlinburg
' Über die Mittel, aus denen diese ausgiebige Stadtbefestigung bestritten wurde, hat sich eine ganz nette Tradition
erbalten. In der Vorhalle des Rathhauses von Quedlinburg steht ein iius starken Bohlen ^-eziramerter Kasten, welcher mit einem
kleinen vergitterten Fenster und einer niederen Schluiittliiir versehen halb einer Hühnersteige halb einir grossen Hundshiitte
gleicht. In diesem Behälter sass ums Jahr 1336 der Graf Albert von Weinstein zum ISpott der täglich vorübergehenden Kaths-
herm gefangen. Im Museum des Rathh..uses sind noch die Effecten des Grafen, welche ihm bei seiner Gefangeunahrae abge-
nommen wurden, aufbewahrt; dieselben bestehen aus zwei eisernen Ringin. an welche Schnappsäcke angenäht sind; diese
Säcke waren zur Aufbewahrung der geraubten Gegenstände rechts un<l links am Sattel angebracht; weil nun der Graf oft
die Bürger Quedlinburgs beraubte und befehdete, so legte man ihm einen Hinterhalt; endlich gefangen sass er zum Kinderspott
20 Monate in oben erwähnter Hundshütte, und wurde erst nach Zahlung eines iiohen Lösegeldes freigelassen, wovon dii;
Stadtmauer mit Thürmen und Thoren erbaut worden sein soll.
St( DIEN ÜUEU BEFESTKilNOSBAUTEN DES M ITTEl.A T.TIC
121
Fig. 31 (Bacharach)
ungegliedert als ruii
der Bau mit 4 6 Vi ^^
Fuss im Durchmes- g
ser bis weit über die g"^^^^^'^^^
Stadtmauer, die sich ^p-=%"^"'^'
mit ihren Zinnen an F
denselben unuiittel
bar anschliesst. In ei
einer Höhe von circa 1
16 Klaftern kragt ^^^zi
die Vertheidigungs-
Galerie auf schönen ^
von Masswerk -Con- ^S
solen getragenen
Bogenfries aus, zwi- ^^^~.
-^chen welchem Wurf- ^
locher angebracht fc,
sind. Darüber er- ^a
heben sich als Ab
schluss des Gebäu
des hohe einmal ISi-i'^''^
durchlöcherte Zin-
nen (Fig. 30). Aus der Mitte dieses Rund-
])aues, steigt nun bedeutend verjüngt in
zwei Stockwerken ein achteckiger Thurm
empor, der mit einem ähnlichen Bogenfries
abschliesst, worauf der steinerne, mit nach
den acht Seiten gerichteten Spitzgiebeln ge- 1^%
zierte Helm ruht. Sowohl die Helmspitze, so
wie die Giebel sind mit doppelten Kreuz-
blumen o-eziert. Sehr interessant war auch
die noch vor kurzem bestandene eiserne Ver-
ankerung der Thurmspitze, die nun mit derselben entfernt ist. Sie reichte von oben weit herab
in die Helmflächen , theilte sich unten in zwei Pratzen und war äusserlich sichtbar ano-ebracht.
Ganz interessant ist die besondere Schutzbaute, die der Treppe gewidmet wurde; es ist ein
kleines erkerartiges Häuschen in der Galeriehöhe des Rundbaues gegen die Stadt. An diesem ist
sowohl ein Wurferker zum Scluitze des Thurmeinganges, als auch ein ausladender Balken mit
Klobenrad zum Aufziehen von Kriegsbedarf angebracht. In der Höhe der zweiten Etasfe des
Polygontlmrmes ist wieder ein Wurferker angebracht zum Schutze der darunter befindlichen
Eingangspforte in diesen Thurm.
Erwähnenswerth sind auch die Thürme der Stadtmauer zu Bacharach, in Sonderheit davon
jener eine, welcher gegen die Stadt zu offen ist, also statt vier nur drei Mauern hat. Es ist ein mas-
siver Steinbau mit Holzetagen untertheilt und mit einer sechsseitigen schieferbedeckten Holzspitze
überdacht. Auf der Seite gegen die Stadt, so wie auch auf der Feindesseite sind grosse, weit aus-
ladende Wurferker im Dachwerk angebracht, welche ebenfalls mit spitzigen pyramidalen Dächern
abschliessen. (Fig. Sl.)
XIV. 18
Fiii
30 (Andernach).
\T>
iScHii.c/. Fkulscz.
Je ig. ö2 ^Irausnitz).
tig. .J.J (Stargard .
< HiLiwesel besitzt nebst dem herrlichen Ochsenthiirm einen
Kundbau ähnlich dem runden Thurm in Andernach, nur mit dem
Unterschied, dass hier auch der achteckige Körper mit Zinnen
schliesst, und das Dachwerk abgebrannt ist. Ausserdem sind :ni
der sich an der lierglehne liinziehenden Stadtmauer noch mehrere
Tliünue erhalten, welche denen in Bacharach ähidich sind.
Die Burg Trausnitz in Bavern, fast ganz Backsteinbau.
hat noch gegenwärtig mehrere Thüi-me . die der fortificatorischen
Anlage der Burg ein ganz stattliches Aussehen geben. Wir W(dleii
nur einen davon näher beti-achten. Er ist von quadratischer Grund-
torm, erhebt sich bis ans Hanptgesimse über das zweite Stockwerk
ids viereckige Masse, ist darüber mit vier Giebeln und einer nicht
allzuleichten über Eck gesetzten viereckigen, mit Hohlziegel fie-
deckten, Pyramide beki-önt. (Fig. 32.)
Der Johanni-ThuiTU (Fig. 33) in Stargard" ist ein Back-
steinthurm der zierlichsten Art; mit den ganz einfachen Ziegel-
farben ist an diesem Bau ein herrlicher Effect erreicht. Der Thurm
erhebt sich aid" beinahe kubischem, 28' zur Seite messendem Unter-
bau, der Zinnenkranz dieses Unterbaues correspondirt mit
Zinnen der Stadtmauer, von deren Mordgang man auf
die beiden Seiten der Galerie gelangt. Auf diesem Unterbau
^^ erhebt sich ein cylindrischer Baukörper, welcher mit aus-
ladender Zinnengalerie geschlossen einen weiteren Baukör-
per von achteckigem Querschnitt trägt. Diese zweite Ver-
^B jüngung-. ebenfalls mit einer Zinnengalerie gekrönt, schliesst
ssQ^ als achteckige Pvramide. Der Helm ist mit eiuem, mit Gie-
bei geschlossenen Austi-ittsei-ker versehen, durch welchen
M man auf die oberste Galerie gelangt, auch zieren diesen
gemauerten Helm vier Dachex'ker. welche ebenfalls aus
g-ewöhnlichen Zieg-eln in zierlicher Form gebildet sind;
unter der letzten Gallerie sind in viereckigen Kahmen acht
runde Schusslöcher angebracht. Sowohl der cylindrische
als auch der achteckige prismatische Baukörjier sind durch
mannigfaltige Zeichnungen aus glasirten Ziegeln verziert.
Der sranze Bau selbst ist aus rothem Backstein von der
gewöhnlichen Form aufgefülut.
Von g-anz eigenthuinlicher Auffassung- sind die \ er-
theidigung-sthürme in der Stadtmauer zu Prenzlau. Diese
Thürme von rechteckiger Grundforui sind durch einen
hoch oben angebrachten S]utzbogen, welcher die ganze
innere Lichte des Thurmes zur Weite hat, gegen die Stadt
" .Starjfiird, die Hauptstadt Uinterpommem's, hat seine .Stadtmauer beinahe vollkoiunieii bewahrt und bieten die Thürme
und Thore viel des Interessanten. Wohl das bedeutendste Objeet der Befestigungsbauten dieser .Stadt ist die Fiusssperre
Sie ist von jener zu Basi-l < Mittheil. XIII. pag. i2Si bedeutend abweichend und wird durch je einen achteckigen, mit Zinnen
•md Helm gekrönten Thurm auf jeder Flussseite gebildet, dazwischen wölbt sich tief unten der Bogen über das Flussbett,
darauf Arcadenwand steht. Leider ist dieser sehr interessante Bau in neuerer Zeit stark restaurirt worden und es ist schwer,
sich denselben in seiner früheren Gestalt klar vorzustellen.
StTDIEN ÜBKR IjEFIOSTIGirNGSnAUTEX DES MlTTELALTEKS.
123
Fig. 3+ (Prenzku).
ZU geöffnet, so dass der Grundriss dieser Tliürmc statt vier nur drei
Mauern aufweist; in der Höhe des Mordganges der Stadtmauer ist ein
Stockwerk und darüber noch ein zweites eingeschaltet; sowohl das
erste als auch das zweite Stockwerk haben gegen die Feindseite je
drei tiefe Nischen mit Schiessscharten. In der Seitenansicht sind diese
Tiiürme mit vier Zinnen versehen, welche gegen die Stadtseite katzen-
steigartig abfallen. Die Abtheilungsböden sämmtlicher Etagen sowohl,
als auch die ebenfalls aus Holz gezimmerten Treppen fehlen. Diese
Thürme verleihen der Stadtmauer durch ihre harte ausgezackte Form
schroff'es trotziges Aussehen.
Der Pulverthurm oder Mittelthurm ist ein Befestigungsbau von
ganz besonders graziöser Form. Dieser Thurm war ursprünglich ein
Tliorthurm, und es war das Thor rechts an den Thurm angebaut. Dies
Gebäude ist ausser seiner schönen Hauptform auch wegen der ver-
schiedenartigen Anwendung glasirter Backsteine an demselben liuchst
merkwürdig. Der Sockel des Thurmes ist sowohl hier als bei den
meisten Bauten dieser Gegend aus grossen Granitquadern gebaut,
welche Granitmassen als Findling-e in der Mark Brandenburg, der
rkermark und in Pommern aufgelesen werden.
Der Grundriss des Ebenevdgeschosses ist quadi-atiscli und misst
'lo' 6" ziir Seite, in der ersten Etage bildet sich durch Abfa9ung der
Ecken ein unregelmässiges Acliteck von je vier gleichen Seiten, der
Übergang des Viereckprisma in den Achteckkörper ist durch Abbö-
schung des Vierecks erzielt. Um den achteckigen prismatischen Körper der ersten Etao-e leo-t sich
nun ein auf riesigen Stein-Consolen weit ausladender Mordgang von sehr mässisjer Höhe. Die durch
Segmentbogen geschlossenen Consolen tragen eine Mauer, welche, mit dem cylindrischen Körpei-
des zweiten Stockwerkes durch ein Dach verbunden, einen geschlossenen o-edeckten aber etwas n'w-
drigen Mordgang vorstellt. Derselbe hat zwischen den Consolen Wurflöcher und in den Wänden
über jedem Segmentbogen je ein rundes Schussloch. Über dem Dacli dieses unreo-elmässio- acht-
eckigen Mordganges schiesst der cylindrische Körper der zweiten Thurmetage heraus, ist mit einer
Zinnengalerie gekrönt und endet mit zierlichem runden gemauerten Backsteinhelm. Der g-anze Bau
ist aus rothem Backstein, doch ist an demselben durch Glasuren eine seltene Farbenpracht zur
Schau gelegt; so sind die Böschungsflächen der vier Ecken schwarz glasirt. Der Fries sowohl am
Übergang vom Viereck ins Achteck als auch darunter war entweder mit plastischen oder genial-
ten Verzierungen versehen. Sämmtliche Gesimse des Baues sind aus abwechselnd rothen um!
scliwarz glasirten Backsteinen gebildet, die Abböschungen der Zinnen sowohl als deren Scharten
ebenfalls glasirt. Besonders reich aber ist der konisch gebildete Helm bedacht, welcher aus braun
und schwarz wechselnden Schaaren glasierter Ziegel besteht. Die Spitze des Helmes ist mit einem
aus Kupfer getriebenen Vogel geschmückt, indem aus der Blechkapsel, welche den Helm schliesst.
eine Helmstange hervorragt, welche einen aus zwei kupfernen Schalen bestehenden Knopf, und
hoch oben in einer Gabel den kupfernen Raben trägt. Der Rabe ist fliegend mit einem Ring im
Sclmnbel dargestellt, ist für die grosse Höhe berechnet und mit vielem Verständniss getrieben.
An den Wimpeln und Wetterfahnen und ähnliclien Gebilden wie dieser Rabe, war dei-
Fliantasie dvv Sehmiede des Mittelalters grosser Spielraum gewährt, und man flndet hundert ver-
schiedene Formen dieser Art; viel au ähnlichen Arbeiten gibt es in Lübeck. Lüneburg, Danzig
und in Krakau. Leider waren diese Wimpel und Wetterfahnen von jeher die Zielscheiben der
IH'
i24
ScHCLCZ Fkre.scz. Stidies Cbek Befestigcsgsbauten des Mittelalters.
/:
Sonntag-sschützen, und so sind denn auch mehrere ähnliche Kabeu.
welche an andern Thürmen Prenzlau's angebracht sind, durch
Schüsse bedauerlicher Weise bis zur Unkenntlichkeit verstümnieh.
Zum Schlüsse sei noch die Bf merkung gestattet, dass
man gerne den Kirchthürmen den Charakter fortiticatorischer
Thurnihauten gab. Beispiele mögen die befestigten Tiiürme <ier
Plarrkirclie zu Bacharach, Oberwesel und jener Kirchthurni
geben, welcher unter der Marburg am Fusse des Berges steht
und dessen Fialen selbst mit Zinnen gekrönt sind.
Der Thurm zu Oberwesel ist ein mächtio^es Bauwerk, liat
einen quaih-atischen Grundriss und baut sich in dieser Grundform,
an den Ecken mit rechteckigen Strebepfeilern versehen, bis zur
Firsthuhe der Kirche hinauf, scldiesst daselbst mit einer auf einem
Spitzbogenfries ausladenden Zinnengalerie und ist an den Ecken
von Achteck-Thürmchen flankiit, welche auf den Eck-Strebepfei-
— ^~- ^^----^^■— .^ ^y lern sitzen und ebenfalls mit Zinnen (Zierzinnen, d. i. nicht zur
"■ . W^''^ ^c^tr^.m^:, Veitheidigmig dienlichen) gekrönt sind. Daiüber ragt noch ein
Flg. d.. lOberweseli. achteckiger Thumikörper in zwei Etagen empor und bildet das
mit spitzbogigen Ötfnuugen versehene Glockenhaus, das mit modernem Dachwerk gekrönt i.st.
Ähnlich wie der befestigte Kirchthui-m in Oljerwesel ist auch der Thurm der Pfarrkirche in
Bacharach; auch dieser ist quadi-atisch emporgeführt, jedoch um eine Etage höher, und ist über
der mit achteckigen Erkern flankiiten Zinnengalerie immittelbar der eine Spitze bildende acht-
eckige Helm aufgesetzt.
Wir könnten noch eine Reihe von solchen Beispielen anfülu-eu und jeder unserer Leser,
der nur einige Gegenden Deutschlands bereist hat, wird Gelegenlieit gehabt haben, derartige
Bauten in zahlreicher Menge zu bemerken.
Mögen diese Bauten noch viele zum Studium der Kunstformen auöordern, denn sie sind
offene Bücher, in denen der des Lesens Kundige nur zu lesen braucht, Bücher, die leider nur
mehr kurze Zeit den Lesern offen bleiben werden, da unser nüchternes Zeitalter im vollen Miss-
verstehen das Alterthümliche überall umgestaltet, abträgt und entfernt, und dabei nur zu häutig
auch dort nicht schont, wo Schonung möglich, ja geboten ist.
über ein l)ei Kiisleiidje gefundenes röniisehes Militärdiploin.
Von Dr. Fr. Kenner.
-tlerr Dr. Cullen, Arzt in Küsten dje, hatte die Güte, mir von der Auffindung der vorderen
Tafel eines römischen Militärdiploms Mittheilung zu machen, welche im December 1867 südöst-
lich von Kusteudje am Fusse des Hügels auf welchem die Stadt liegt, aus dem Sand der Meeres-
küste ausgegraben imd späterhin von ihm erworben worden ist. Auf mein Ansuchen gestattete
mir HeiT Dr. Cullen den Text der Tafel zu veröffentlichen und überschickte zu diesem Zwecke
einen Papierabdi-uck der Inschrift. Bevor ich daran gehe dieselbe mitzutheilen , erlaube ich mir,
dem genannten Herrn für seine grosse Gefälligkeit meinen verbindlichsten Dank zu sagen.
Die in Rede stehende Bronzetafel ist 16-5 Cent, hoch, 13-5 Cent, breit und zeigt innerhalb
eines seichtgekehlten Rahmens eine Inschrift von 21 Zeilen in eng gedrängten aber gut leserli-
chen Charakteren. Sie enthält auf der vorderen Seite, wie dies gewöhnlich ist, den ganzen
Inhalt des Diplomes in sorgfältiger Abschrift, während über die Rückseite der ersten und die
Vorderseite der zweiten (noch nicht gefundenen) Tafel, welche zusammen die beiden Innenseiten
des ganzen Diplomes bilden , derselbe Text in grösseren und flüchtigeren Charakteren quer hin-
geschrieben war. Die Rückseite der zweiten Tafel, welche zugleich die rückwärtige Aussenseite
des ganzen Diplomes bildete, enthielt die Namen der Zeugen.
Wenn also auch die zweite Tafel bis jetzt noch nicht gefunden wurde, so ist dies für die
wissenschaftliche Bedeutung des Denkmals insofern von keinem erheblichen Nachtheil, als durch
den aufgefundenen Theil der gesammte Inhalt mit Ausschluss der Zeugennamen gerettet ist.
Unser Diplom gilt nicht einem Legionär ' oder einem Soldaten der Bundestruppen, sondern
einem Soldaten der sechsten praetorischen Cohorte, ist also ein Praetorianer-Diplom und
gehört mithin zu jenen Urkunden, welche unter den inschriftlichen Denkmälern noch immer
sehr spärlich vertreten und daher als grosse Seltenheiten zu betrachten sind. Cardinali'" hat
1 Von der Begel, dass Militiirdiplome nur an Soldaten der Bnndesvölker, nicht an Legionäre ertheilt wurden, weil letztere
aus römischen Bürgern bestanden, also das Bürgerrecht und das jus conubii schon als solche besassen, machen die Soldaten,
welche in der legio I. und II. adjutrix zur Zeit ihrer Errichtung dienten, eine Ausnahme; denn diese wurden aus Flotten-
soldaten zusammengestellt, welche aus den Provinzen stammten und mithin das Bürgerrecht noch nicht besassen. Cardin ali
Diplomi, Vorrede p. II. — Henzen in den Annali dell' Istituto di corr. archeol. 1857, p. 8, Note 1. — 2 Diplomi imperiali di
privilegj aecordati ai militari. Velletri 1835.
Aus d. Mitth. d. k. k. Ceat. Comm. f. Erh. d. Baudenkmale, Bd. XIV. ig
1 26 Dr. Fr. Kenner.
in seinem Werke über die Militärdiplome niir \ner solche aufgeführt' und wir wüssten einen
weiteren Zuwachs nicht namhaft zu machen. Dagegen sind von jenen Diplomen, welche Legionäre
und zumeist Auxiliarier betreflen, nicht blos schon in älterer Zeit mehrere bekannt geworden,
sondern es mehrte sich seit der Publication von J. Arneth's wichtigem Werke* ihre Zahl in
ansehnlicher Weise*. Auch stammen die bekannten Praetorianer-Diplome aus der zweiten Hälfte
des II. und der ersten des III. Jahrhunderts, während unseres dem Jahre 76 angehört, und eben
wegen des grossen Zeitabstandes neue Vergleichungspunkte bietet, aus denen die Organisirung
der praetorischen und städtischen Cohorten in einigen Details bestimmter erkannt werden kann.
Diese Umstände zeichnen hinlänglich die grosse Wichtigkeit des Diploms von Kustendje
und es dürfte darnach gerechtfertisrt erscheinen, dass wir die Mittheilun»- desselben an das arelelirte
Publicum zu beschleunigen suchten, ohne die mögliche Auffindung des noch fehlenden Theiles
abzuwarten, von welchem HeiT CuUen eventuell gleichfalls Abdrücke zu versprechen die Güte
hatte. Der Text der Tafel lautet:
DIP CAESAR VESPASIANVS AVGV8TVS (Xoch)
POXTIFEX MAXDIVS TRIBVNIC POTESTAT
vm DIP xvm PP CENSOR COS vTi DESIGN vffi
NOMINA SPEC^XATORVM QVI IN PRAETORIO
5 MEO MILITAVERVNT ITEM MIL1T\:M QVI
IN COH( »RTIBVS NOVEM PRAETORIIS ET QVA
TVOR VRBANIS SVBIECI QVIBVS FORTITER
ET PIE MILITIA FVNCTIS H'S TRIBVO C0N'\'
BI • DVMTAXAT CVM SINGVLIS ET PRIMIS
10 VXORIBVS VT ETIAMSI PEREGRINI IV
RLS FEMINAS MATRDIONIO SVO R'NXE
(Loch) (Loch)
RINT PROINDE LIBEROS TOLLANT ACSI EX
DVOBVS CIVIBVS ROMANIS NATOS
A D im NON DECEMBR
15 G ALEONE TETTLENO PETRONL\NO
M FVLVIO GILLONE ^'^^
COH • n PR
L EXXIO L F TRO FEROCI AQVIS STATELLIS
DESCRIPTVM ET RECOGNTT^'iI EX TABVLA
-20 AENEA QVAE FIXA EST ROMAE IN CAPITOLIO
IN BASI lOVIS AFRICI (Lochj
» Sie stammen: aj von K. M. Aurel. J. 161, p. XXXXI, tav. XXI. Fundort unbekannt; — hj von K Septimius Severns,
J. 208. gefunden im Mantuanischen, p. XXXXIV. tav. XXIV; — cj von K. Gordianus, J. 243. gefunden zu Lyon. p. XXXXV.
tav. XXV: - dj von K. Philippns J. 248, gefunden zu Manttia, p. XXXXVII. tav. XXVII. Von einem fünften zu Papen-
heim gefundenen, welches nur in einem kleinen den Schlnss enthaltenden Fragmente besteht, vermuthet J. v. Heffner
Komisches Bayern .S. U2., dass es einer praetorischen Cohorte gegolten habe, und schliesst dies aus dem Reste eines auf
RIAN endenden Wortes, das er mit cohors praetoKlAXa ergänzt. Allein in allen Praetorianer-Iiiplomcn ;"ilterer und jüngerer
Zeit lautet das Beiwort nicht „praetoriana" sondern .praetoria" cohors, wesshalb das Diplom wohl auf einen Auxiliarier wird
bezogen werden müssen. — * XII Rom. Militärdiplome, beschrieben von J. Arneth, auf Stein gezeichnet von Albert Came-
sina. Wien 1843. — * Wir nennen darunter jenes von Geiselbrechting. von K. Nero. J. 6t. Literatur bei Heffner Köm.
B.iyem S. 140. — Enyed in Siebenb. von K. Domitian, J. 86, Henzen im Jahrb. des Vi-reins von Altenhuuisä-eunden in den
P.heinlanden. 1848, S. 26, 104 — Weissenburg v. K. Trajan. J. 104. W. Christ Bericht d. k. bayr. Akad. lS6S. — Wiesbaden
von K. Trajan, J. 116. Dr. Rössel Rom Wiesbaden 1858. — Petronell von K. Trajan. J. 114, Frh. v. Sacken Stzgsbr. XI. 343.
— Zsuppa bei Karansebes. K. Ant. Pins, J. 157, Ackner-Müller. Rom. Inschrift in Dacien Nr 50; — Papenheim Fragment,
Heffner Köm. Bayern S. 142. — Bukarest von K. Hadrian, J. 134. Henzen in den Annali dell' Ist. d. corr. arch. l»57. j f.
Über ein bei Kustenuje gefundenes römisches Militärdiplom. 127 •
Imp(erator) Caesar Vespasiaiins Aug'ustus, ^pontifex maximus, tribunic(iae) potestat(is)
'ootavuni, imp(erator) duodevicesimum, p(ater) p(atriae), censor co(]i)s(nl) septimum desi^-
n(atiis) octavum. ^Nomina speculatoruni, qui in praetorio ^meo militaverunt, item militura, qui ^'m
cohortibus novem praetoriis et qua'tuor urbanis (seil, militaverunt), subjeci, quibus fortiter *et
pie militia functis, jus tribuo conii'bi(i) dumtaxat cum singulis et primis ^"uxoribus, ut, etiams'i
pereg-rini ju"ris feminas matrimonio suo jxmxe'^rint, proinde liberos tollant, acsi ex 'Muobus civi-
bus Romanis natos. '*Ante d(iem) quartum Non(as) Decembr(es) , '^Galeone Tcttieno Petroniano,
""'M. Fulvio Gillone co(n)s(ulibus}. ''Coli(ortis) sextae pr(aetoriae) (scilicet militi) '*L. Ennio
L. f(ilio}, Tro(mentina tribu) Feroci Aquis Statellis. ''Descriptum et recognitum ex tabula -"aenea,
quae fixa est Romae in Capitolio "'in basi Jovis Africi.
Die Rückseite zeigt denselben Text in 12 Zeilen mit den gleichen Abkürzungen bis ein-
schliesslich zu dem Worte FEMINAS in der 11. Zeile der Vorderseite. Die Querstriche in den
Buchstaben I E F L T sind durchweg sehr kurz, dick und am Ende etwas aufuäits geschwungen^
letzteres zumal im T. Wo die Buchstaben gedrängter stehen wie am Ende der längeren Zeilen, da
sind die Querstriche so klein , dass nur mit Mühe die E F L T von einander und von I unter-
schieden werden können. Übrigens sind die Buchstaben von gleicher Höhe, nur jene der 17. und
18. Zeile sind etwas grösser, als die der übrigen; dagegen ist das Wort STATELLIS am Ende
der 18. Zeile etwas kleiner als AQVIS geschrieben, wahrscheinlich um den Namen noch auf die-
selbe Zeile zu bringen. Punkte als Zeichen der Abkürzung oder Trennung sind nur zwei in der
9. und 17. Zeile angegeben.
Wir führen nun nach der Folge der einzelnen Zeilen jene Stellen des Textes an, welche
uns die wichtigeren scheinen.
Zeile 1 — 3. Unter den Titeln des Kaisers werden zuerst die tribunicische Gewalt, dann das
Imperium, der Beiname Vater des Vaterlandes, hierauf die Censur, endlich der Consulat genannt,
welch' letztere Würde für die Bestimmung des Jahres entscheidend ist, da der Kaiser die Consuls-
würde neunmal annahmt Der siebente Consulat fällt in das Jahr 76; näher bezeichnet ist das
Datum in Zeile 14, wonach die Urkunde quarto nonas Decembres, d. h. am 2. December ausge-
stellt worden ist. Damit stimmt überein, dass dem „COS • VII" das „DESIGN • VIII" beigefügt
wurde, indem die im Herbst 76 geschehene Entschliessung des Kaisers den Consulat auch für
das folgende Jahr (77) anzunehmen in dessen Titeln sofort durch die Bezeichnung DESIGN •
Vin dargestellt wurde. In das gleiche Jahr 76 fällt die siebente tribunicia potestas, wie dies die
officielle Inschrift in Herculaneum bestätigt, welche die Restauration des dortigen durch ein Erd-
beben zerstörten Tempels der grossen Mutter durch den Kaiser betrifft'. Auch eine neapolitani-
sche Inschrift verbindet den siebenten Tribuniciat mit der Bezeichnung COS • VII • DES • VHP.
Beide Inschriften müssen um weniges älter sein als unser Diplom, nämlich aus der Zeit datiren,
in welcher zwar die Designation zum achten Consulat schon erfolgt, aber der siebente Tribuniciat
noch nicht zu Ende war. Dagegen zur Zeit, in welcher unser Diplom abgefasst wurde, war letzte-
res schon geschehen und die tribunicische Gewalt schon zum achten Male vom Kaiser übernom-
men worden. Dieser Umstand gibt einen neuen Anhaltspunkt für die Bestimmung des Zeitpunk-
tes, von welchem an die Regierung des Kaisers Vespasian gerechnet wurde. Es bestehen darüber
bekanntlich zwei Ansichten. Nach Tacitus und Suetonius feierte man den 1. Juli als Tag des
Regierungsantrittes des Kaisers, weil an diesem die in Alexandrien befindlichen Legionen auf
seine Seite übergetreten sind und dadurch sein Übergewicht gegen seine Nebenbuhler entschieden
haben*. Andere dagegen behaupten, dass dies nicht der officiell geltende Tag gewesen sei,
5 Zum ersten Male, bevor er Kaiser wurde im J. 51, die folgenden acht Male als Kaiser. Vgl. Eckhel D. N. V. VI, p. 342.
' Orelli-Henzen 744, 6122. — s Momm.sen J.R. N. 2G08. — 9 Tac. Hiät. II, 79. — Suet. Vesp. c. 6. Hist. IV, 3. Dio Cass. 66, 18.
19*
12b Dr. Fr. Exnner.
indem nach Tacitus'^ der römische Senat dem Vespasian erst nach dem 20. December, an wclclitm
Tage Vitellius starb, die gewöhnlich den Kaisem zuerkannten Würden (cuncta principibus solita)
ertheilt habe.
Nach den Einen hätte also der erste Tribuniciat mit dem 1. Juli, nach den Andern mit dem
21. December 69 oder, was fast dasselbe ist, mit 1. Jänner 70 begonnen. Eckhel " findet die
letztere Vermuthuug selir wahrscheinlich, indem er voraussetzt, dass Vespasianus sich anfänglich
mit den Titeln Imperator, Caesar, Augustus begnügt habe, welche ihm das Heer verlieh, ohne nach
der tribunicia potestas zu streben, weil der Senat, der sie zu verleihen gehabt hätte, dies nicht
\"or dem Tode des Vitellius habe thun können. Übidgens entscheidet sich Eckhel nicht mit völli-
ger Bestimmtheit, sondern verweist dabei auf die möglicher Weise in der Zukunft auftauchenden
Monumente, die darüber Licht geben würden (sed haec tranquille permittamus tempori).
Ein solches Monmnent ist nun unser Diplom. Am 2. December 76 hatte, wie wir aus ihm
ersehen, der achte Tribuniciat schon begonnen, er konnte also nicht von Jänner zu Jänner
gelaufen sein, sondern von Juli zu Juli; sofort zurückgerechnet, mnss der erste Tribuniciat that-
sächlich am 1. Juli 69 begonnen haben. Da unser Diplom ein ofticielles Document ist, so fällt
für die obige Streitfi-age jeder Zweifel hinweg; der 1. Juli muss als der Tag des Regierungs-
antrittes auch officiell angenommen gewesen sein. Wahrscheinlich hat der römische Senat dem
Kaiser den Tribuniciat erst am 20. December 69 ertheilt, dieser aber die Ertheilung als eine rück-
wirkende Bestätigung der schon fi-üher in Anspruch genommenen Gewalt betrachtet '-.
Aus diesem Umstände folgt weiter, dass alle jene Inschriften, welche mit der Bezeichnung
COS • Vn • DES • VIII noch die siebente potestas tribunicia verbinden , in das erste Semester
des Jahres 76 gehören, wie die beiden oben angefühx-ten neapolitanischen Steine.
Das achtzehnte Imperium muss ziemlich um dieselbe Zeit wie der siebente Tribuniciat sein
Ende erreicht haben, indem mit letzterem das 17. Imperium'^, dagegen mit dem achten Tribuniciat
in der Regel das 18. Imperium verbunden wird '\
Zeile 4 — 7. Die Speculatores werden getrennt und vor den praetorischen Cohorten auf-
gefühit: sie bildeten sehr wahrscheinlich nicht für sich eine eigene Schaai-. sondern waren den
praetorischen Cohorten je in bestimmter Anzahl beigegeben. Dies erhellt auch aus den Stellen bei
Tacitus, der die speculatores einerseits zu den praetorischen Cohorten rechnet, welche die Wache
im kaiserlichen Palast hatten, sie andererseits aber von den Praetorianern unterscheidet z. B. in
Hist. I 31: dilapsis speculatoribus cetera cohors non aspernata u. s. w. und in HisL I 24 macht
er den speculator Coccejus Proculus als einen Soldaten der im k. Palaste wachehaltenden Co-
horte namhaft, wobei es des Zusatzes speculator nicht bedurft härte, wenn seine Stellung dieselbe
wie die der andern Praetoriauer gewesen wäre, die einfach milites hiessen. Nach der Beschaftenheit
ihrer Obliegenheiten sind sie als Ordonnanzsoldaten zu betrachten, die aus den übrigen Praetoria-
nern ausgewählt wurden, also durch ihre Fähigkeiten, sowie durch ihre Verlässlichkeit ausge-
zeichnet und zu den verschiedensten Dienstleistungen tauglich waren. Sie gehörten zur nächsten
Umgebung des Kaisers namentlich, wenn er ins Feld zog. In diesem Falle mögen sie auch zusam-
men eine für sich bestehende Abtheilung und den nächsten Schutz des Kaisers gebildet haben,
wesshalb Tacitus (Hist. 11 llj von der Begleitung des K. Otlio sagt: ,,ipsum Othouem comita-
bantur speculatorum lecta Corpora cum ceteris praetoriis cohortibus u. s. w. '•.
'• Hist. Xr. 3. — " D. N. V. Vin, 409. Vgl. darüber auch Cardinali diplomi mil. p. 70. - Borghesi Annal. dell' Istit.
d. corr. .A.rch. X\111 (1846^ p. 330. — Aschbach über die in dem Vespasian. 31ilitärdiplom 'J. 74) vorkommenden Alen u. 8. w.
.S. 39 f. — 12 Aschbach a. a. 0. pag. 39. — '^ Vgl. die Inschriften bei Orelli 744 und Mommsen J. R. N. 2608. —
'* Orelli nr. 745. Mommsen 6247. Die Inschriften Orelli 746, welche mit der TR • P • Villi das IMP • XVII und COS •
VII • DE.S VUI verbindet, sovrie Orelli 2364. welche TR • P • VTU mit IUP ■ XXVll und COS VUI DES • VIIU zusam-
menstellt, scheinen fehlerhaft abgeschrieben zn sein.
Über ein bei Kustendje gefundenes römisches Militärdiplom. l-cy
Was die letzteren betrifft, so \v;ii' ilire Anzahl ursprünglich ncun'^; Vitollius errichtete sieben
andere, so dass unter ihm die Zahl auf sechzehn stieg'"; dies geschah aber nur vorübergehend,
indem, wie unser Diplom lehrt, zu Vespasian's Zeit die alte Anzahl wieder hergestellt wurde.
Erst in späterer Zeit bestanden zelm praetorische Cohorten , worauf des Dio Cassius '' Angabe
zu beziehen ist. Wer die zehnte errichtet hat, ist ungewiss. Von den Militärdiplomen, welche die
Zehnzahl bestätigen, datirt das älteste aus dem J. 161, aus dem Beginne der Regierung des K.
Marc Aurel'*: dagegen nach einem Inschriftsteine bei Orelli-Henzen (0862), welcher die zehnte
Cohorte nennt, bestand diese schon im Jahre 112, also in Trajans Zeit. Der Cohortes urbanae
bestanden ursprünglich drei ", dazu fügte Vitellius eine vierte '"°, welche unserem Diplome zu
Folge auch K. Vespasian beibehielt. Unter Marc Aurel erscheinen ihrer fünf *\
Die Numern der einzelnen Cohorten werden in unserer Urkunde nicht aufgeführt, wohl
aber geschieht dies in den jüngeren Pi'aetorianer-Diplomen , wo nach den Bezeichnungen der
Cohorten deren Numern folgen von I bis X bei den praetorischen und von X bis XIIII bei
den städtischen'-', eine Neuerung, deren Zweckmässigkeit sich nicht einsehen lässt, und gegen
welche die Einfachheit im Texte unseres Diploms vortheilhaft absticht.
Zeile 7. Der Ausdruck nomina militum subjeci, quibus • — tribuo, der auch im Praetorianer-
diplom vom J. 161 ähnlich wiederkehrt (nomina subjecimus), ist eine nur solchen Diplomen eigen-
thümliche Wendung, an welcher hervorgehoben zu werden verdient, dass „nomina subjeci" der
einzige Hauptsatz des Textes ist, an welchen sich der übrige Inhalt in Form eines Relativsatzes
anschliesst. Gerade umgekehrt werden die Diplome für Auxiliarier stylisirt, wo der auf die Namen
bezügliche Passvis als Relativsatz eingeschaltet wird, wie: Imperator NN peditibus et equitibus
oder militibus, — quorum nomina subscripta sunt, civitatem dedit et conubium. Offenbar ist
dieser Unterschied in der Textirung ein absichtlicher, um die Sonderstellung der Praetorianer
gegen die Auxiliarier auch der Form nach kenntlich zu machen. In den jüngeren Diplomen
ändert sich auch darin einiges "^.
Bedeutungsvoller ist ein anderes Unterscheidungsmerkmal. In den Diplomen für Auxiliarier
wird von dem Kaiser in der dritten Person der Einzahl gesprochen, dagegen in jenen für Prae-
torianer wird die erste Person gebraucht. Der Kaiser selbst wird redend eingeführt, gewisser-
massen als verkündigre er in eigener Person den Inhalt der Urkunde. Man wird dies nicht daraus
ei-klären können, dass die Praetorianer in Rom anwesend, die Auxiliarier aber, weil in die Pro-
vinzen vertheilt, abwesend gewesen wären; denn in diesem Falle müsste doch in den legalisirten
Abschriften der Diplome für letztere der Kaiser redend eingeführt worden sein, was bekanntlich
niclit der Fall ist. Es muss also auch dieser Unterschied mit der verschiedenen Stellung der
Garden und der übrigen Soldaten zum Kaiser verbunden und der Gebrauch der ersten Person als
eine Auszeichnung für die ersteren anoresehen werden. Der Unterschied ist der Tendenz nach der-
selbe , welcher heutzutage in der Veröffentlichung der Ernennungen eines Souverains gemacht
wird, indem derselbe, freilich nur an höchstgestellte Persönlichkeiten, Handschreiben erlässt, in
denen er also in der ersten Person spricht, während die Ex'nennung geringer Gestellter
15 Tacitus ann. IV. 5. zum J. 23. — '« Tacitus Bist. 11, 93. — i' LV, 24. — is Cardinali p. XXXXI, tav. XXI. vgl. Kel-
lerraann vig. 123. — i» Tac. Annal. IV 5. — ^ Tao. Eist. II 93.— 21 C'aidinali Diplomi p. XXXXI, tav. XXI. — 2^ Bei dieser
Numerirung der städtischen Cohorten sind letztere gewissermassen als eine Fortsetzung der praetorischen gedacht, deren Zahl
ursprünglich neun war, daher ihre Numern von I — IX liefen und die städtischen Cohorten in die Ziifernfolge eintraten X— XII,
so lange deren drei, X— XIII, solange ihrer vier, und X — XIIII seit ihrer fünf waren. Nach Errichtung der X. praetorischen
Cohorte erhielt diese zwar die Numer X, demungeachtet bUeb der ersten städtischen Cohorte auch die Numer X. Doch scheint
diese Nuinerirung nur in den Diplomen geübt worden zu sein, während auf Inschriftsteinen die Ziffern I — V vorkommen. —
23 Die Coustruction „quibus fortiter et pie militia functis jus tribuimus conubii" erscheint späterhin aufgelöst: qui-functi sunt,
fiis) tribuimus; da zugleich das Zeitwort subjecimus späterhin wegfällt und der alte mit nomina beginnende Satz dadurch ver-
stümmelt wird, gewinnt jener Passus, der die Hauptsache enthält, auch die Geltung des Hauptsatzes im Texte der Urkunde.
130 Dr. Fr. Kenner.
in der Form einer amtlichen Mitrheilunü'. welche vom Souverain in der dritten Person spricht,
angezeig-t wird.
Der Singular „subjeci'* in Zeile 7 und „tribuo" in Zeile 9 kommt nur in unserem Diplom vor:
die jüngeren von Cardinali a. a. O. mitgetheilten haben dafür durchaus den Plural: subjeciiniLs.
tribuimus; sie stammen aus der Zeit der K. Marc Aurel, Septimius Severus, Gordianus und Phili])-
pus. Insofern ist unser Diplom ein Reweis dalür. dass zur Zt it des K. Vespasian der pluralis
majestatis noch nicht angewendet wurde.
Zeile 8 — 13. Die folgenden Bestimmungen der Urkunde berühren nicht die Form, wie die
bisher angeführten, sondern das Wesen der verschiedenen Stellung der Praetorianer und Auxi-
liarier. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden , dass die Diplome für gewöhnliche Solda-
ten zwei Bewilligungen enthalten, die Ertheilung der civitas, des Bürgerrechtes für diejenigen,
welche solches noch nicht besitzen, und des jus conubii, d. i. die gesetzliche Anerkennung
der schon geschlossenen oder noch zu schliesseuden Ehen, jedoch nur mit je einer Frau. Die
Bedingungen, welche bei diesen Bewilligungen als schon erfüllt vorausgesetzt werden, sind die
Vollendung von mindestens zwanzig Dienstjahren und die eln-envolle Entlassung aus dem Sol-
datenstande.
Die Praetorianer waren dagegen schon als solche römische Bürger; anfänglich nur ans
Italien aussrehoben war der Besitz des Btirg-errechtes bei ihnen selbstverständlich. Damit entfallt
der erste der Puncte, die eben angeführt wui'den, in den für sie ausgestellten Diplomen von selbst.
Auch die Bedingung der Ertheilung des jus conubii ist für sie eine andere; sie lautet allgemein
.militia fortiter et pie functis" und setzt also nicht die VoUendungder Dienstjahre, sondern den im
Dienste bezeigten Muth und Eifer voraus. Daher bemerkte Cardin ali'* ganz richtig, dass die
Bezeichnung tabula honestae missionis, die man gewöhnlich für Militärdiplome anwendet, nur für
jene gelten könne, welche gewöhnliche Soldaten betreffen, nicht aber für jene der Praetorianer,
die das jus conubii nicht erst beim Austritt aus dem Dienste, sondern schon früher erlangen
konnten. Thatsäehlich ist in keinem der sie betreffenden Diplome von dem elu-envollen Abschiede
(honesta missio) die Rede: sie blieben auch nach Empfang des jus conubii im Dienste.
Gleich ist in beiderlei Diplomen nur die Ertheilung des jus conubii selbst. Allein auch diese
geschieht bei den Praetorianern mit Ausdrücken, welche in das Detail der Sache näher eingehen.
Es scheint nämlich der Fall gewesen zu sein, nicht blos dass Praetorianer mit einer JVau
in Ehe lebten, sondern auch hintereinander mit verschiedenen Frauen. Für solche Fälle nun wird
die gesetzliche Anerkennung der Ehe auf die erste Frau beschränkt, so dass nur die von dieser
geborenen Kinder das Bürgerrecht erhielten ; waren ausser solchen noch von einer zweiten und
dritten Frau Kinder vorhanden, so erhielten diese das Bürgerrecht nicht, ebenso wenig als das
Verhältniss ihres Vaters zu ihrer Mutter gesetzlich als Ehe anerkannt wurde.
Wichtig ist ferner die ausdrückliche Hervorhebung der Bestimmung, dass in dem Falle, als
die erste Frau nicht das römische Bürgerrecht besass, sondern femina juris peregi-ini war, durch
das jus conubii zwar nicht sie selbst die Civität erhielt, wohl aber ihi-e Kinder so angesehen
werden sollten, als ob beide Eltern römische Vollbürg-er wären. Es la«- eben im Wesen des
„matrimonium", dass die aus solchem hervorgehenden Kinder nicht in der Gewalt des Vaters
standen, sondern dem Stande der Mutter folgten, wogegen das „conubium" dem Vater die volle
Gewalt über die Kinder gewährte; daher der Ausdruck „ut — proinde liberos tollant" etc.
Vergleichen wir mit der betreffenden Formel jene der I)iplome für gewöhnliche Soldaten.
Diese lautet: „ipsis liberis posterisque eorum civitatem dedit et conubium cum tixoribus quas tiinc
habuissent, cum est civitas iis data, aut si qui caelibes essent, cum iis, (pias postea duxissent,
'^* A. a. 0. prefazione p. III und im Text p. 234, III.
Über EIN BEI Kustendje gefundenes römisches Militäruiplom. 131
duQitaxat singulis singulas". Im Wesen sind die Bestimmungen auch hier ähnlich jenen, die für
die Praetorianer getroffen wurden. Allein einerseits wird der Fall, dass die Frau peregrini juris
sei, nicht speciell erwähnt, andererseits gilt die Bewilligung auch für die in Zukunft zu schlies-
senden Ehen lediger Soldaten, was in den Praetorianer-Diplomen fehlt, indem hier nur von schon
geschlossenen Ehen die Rede ist.
Auch ist bezeichnend, dass das Zusammenleben der Soldaten mit einer Frau vor Erlansrune
des jus conubii „matrimonium" genannt wird, den Soldaten also die Schliessung einer förmlichen
Ehe nicht geradezu i;ntersagt war, wohl aber ohne die civilrechtlichen Folgen für die Kinder
blieb, die an das jus conubii geknüpft sind, so dass die Kinder erst nach Ertheilung des letzteren
„justi liberi et heredes" wurden. In späterer Zeit taucht für matrimonium ein das Verhältniss
anders bezeichnender Ausdruck ,.consuetudo concessa" "^ auf, dm-ch welchen das Zusammen-
leben von Mann und Frau klar als ein blos geduldetes und als ein solches bezeichnet wurde,
das erst durch Ertheilung des jus conubii in eine vollgiltige gesetzlich anerkannte Ehe überging.
Endlich liefern uns die Militärdiplome beider Arten den Beweis dafür, dass das Bürger-
recht der Soldaten ein beschränktes war, welches das jus conubii nicht in sich fasste. Wäre
dies nicht der Fall gewesen, so würde die Textirung der Prätorianer-Diplome keinen Sinn haben.
da sie eben die Ertheilung des conubium zum Inhalte hat und da die Praetorianer, die als solche
das Bürgerrecht besassen, schon vermöge des letzteren eine gesetzlich vollgiltige Ehe hätten
schliessen können. Auch in den Diplomen für Auxiliarier wird das jus conubii ausdrücklich von
der civitas getrennt und gesondert ertheilt, was wieder nur denkbar ist unter der Voraussetzung,
dass jene Beschränkung der Civität für Soldaten systemmässig war.
Wie die späteren Militärdiplome der K. Gordianus und Philippus lehren, hat sich darin
auch in der Folge nichts geändert. Es kann also das von Septimius Severus den Soldaten ge-
machte Zugeständnisse", heirathen zn dürfen, nur als eine vorübergehende Massregel aufgefasst
werden, die späterhin wieder aufgehoben wurde. Auch die von K. Caracalla verfügte Ausdeh-
nung des Bürgerrechtes auf alle Provincialen ^' muss später hin auf die nicht im Militärverbande
stehenden Unterthanen des Reiches beschränkt worden sein, da sonst mit den nach jener Zeit
ausgestellten Militärdiplomen nur das jus conubii, nicht aber daneben auch die civitas ertheilt
worden wäre, was bekanntlich nicht der Fall ist.
Zeile 14 — 17. Die folgenden Zeilen enthalten in der bei allen Diplomen üblichen Zusam-
menstellung und Fassung: das Datum und die Adresse der Urkunde, sowie die Beglaubigung der
Abschrift derselben.
Die Consulen Galeo Tettienus Petronianus und M. Fulvius Gillo erscheinen auf vniserem
Diplom zum ersten Male genannt; sie waren im December des Jahres 76 thätig, also nur Con-
sules sufi'ecti, welche im zweiten Semester des Jahres fungirten, während in den ersten sechs
Monaten die consules ordinarii amtirten -*. Als solche werden für das Jahr 7ü in den fasti Con-
sulares der Kaiser selbst und sein Sohn Titus genannt; dagegen vom ersten Juli ab nennen sie
als Consulen den zweiten Sohn des Kaisers Domitian, der damals zum fünften, und den T. Plau-
tius Silvanus Aelianus, der zum zweiten Male Consnl wurde '^ Wahrscheinlich haben diese beiden
in dem Trimester Juli, August und September fungirt, worauf die in unserem Diplome genann-
ten Galeo Tettienus Petronianus und M. Fulvius Gillo für das nächste Vierteljahr (October,
^^ — — ipsis üliisque eorum, quos susceperint ex mulieribus qiias secum ex concessa consuetudine vixisse pio-
bat(a)e sint, civitatem Romanam dederunt. Cardinali dipl. p. XXXXVI, tav. XXVI. Militärdiplom des K. Philippus und seiiic-s
Sohnes für Seesoldaten bei der Flotte zu Misenum, jetzt in Neapel. Dieselbe Formel begegnet auf dem Diplom für Soldaten
der Eavennatischen Flotte (vom K. Decius Trajanus J. 219) Borghesi oeuvres completes Paris 1865 T. II 'Epigraphiques)
p. 277 f. — -^ Herodiau III, 8. — -' Dio C'assiiis 77, 9, 10, 17. — =8 Annali dell' Ist. d. eorr. Arcb. 1859, pag. 8, note. —
-9 Ausgabe von Cicero's Werken von Orelli. Bd. Vlll (Onomasticon TuUianum pars III, Anhang v. Georg Baiter p. LXXIV).
132 Dk. Fr. Kes-vek.
November. Decemberj eingetreten sein dürften; wenigstens galt unter Vespasian noch die drei-
monatliche Frist für die Consulate und erst unter Titus und Domitian kam die Sitte auf, dass ein
Consul nur zwei Monate thätig war.
An der Schreibung der Namen der Consulen kann nicht wohl gezweifelt werden. Allerding«
ist der Name GALEONE des erstgenannten Consuls weniger gut erhalten, als die andern Namen,
aber er ist doch gut zu lesen. Im Beinamen des zweiten Consuls ist das G sehr deutlich ausgedrückt.
Zellf 18. Der Adressat, für welchen unser Diplom nach der Original-Urkunde copirt
wurde, war ein Soldat der cohors sexta praetoria mit Namen L. Ennius Ferox, dessen Vater
gleichfalls Lucius mit Vornamen geheissen hatte. Er stammte aus Aquae Statiellae, oder wie es
im Diplom geschrieben wird, Statellae ^ einem renommirten Badeorte in Ligurien in der Richtung
der Linie, die man sich zwischen Genua und Turin gezogen denken mag, und beiläufig in der
halben Entfernung zwischen beiden Städten; es ist das heutige Acqui in Piemont". Der Ort
gehörte zur Tribus Tromentina, die in unserem Diplom, sowie in einer Inschrift bei Orelli
(4927), in letzterer mit dem gleichen Ortsnamen genannt wird, so dass über die Lesung der
18. Zeile kein Zweifel sein kann.
Zeile 19 — 21. Die Beglaubigungsfoi-mel endlich ist die bei allen Militärdiplomen gebräuch-
liche; sie bezeichnet als Ort, wo die Original-Urkunde öffentlich angeschlagen war, die _Ba,sis
des Jupiter Africus auf dem Capitol-. In der nächsten Umgebung des Tempels des Jupiter Capi-
tülinus standen mehi-ere kleinere Heiligthümer, wie der Tempel der Fides Populi Romani, femer
die ara gentis Juliae, wo, als auf dem belebtesten Platze des alten Rom. die internationalen Acten-
stücke und Gesetze, zu denen eben auch die Militärdiplome gehören, affichirt waren ^-. Auch mehrere
Jupiterstatuen waren dort, darunter jene des Jupiter Africus ". Letztere wird auch in dem Pester
Militärdiplom von K. Domitian erwähnt mit den Worten: _in capitolio in basi columnae parte
posteriore quae est secundum Jovem Africum^^. In der zweiten Hälfte der Regiening Domitian's
(n. 86), wahrscheinlich in Folge des Brandes auf dem Capitol** «Tirden derlei Bronzetafeln am
Tempel des Divus Augustus ad Minervam auf dem Palatin angeschlagen. Unser Diplom gibt
den alten Aftichirungsplatz an, weil es vor Domitian erlassen ward, dagegen von den durch
Cardinali mitgetheilten Praetorianer-Diplomen nennen die drei aus den Jahren 161, 243 und
248 stammenden schon den Tempel des vergötterten Augustus als Ort des Anschlages; in dem
vierten ist der beti-effende Passus nicht mehr erbalten. —
30 Die Lesung des Namens unterliegt keinem Zweifel ; obwohl die Buchstaben am Ende der ziemlich langen Zeile etwas
zusammengedrängt erscheinen, nimmt man doch bei dem zweiten Zeichen der zweiten Silbe TEL die Querstriche gut aus.
Anianglich war ich versucht zu lesen STATIELIS, allein bei genauer Vergleichung unter sehr hellem .Sonnenhchte zeigte sich die
zweite .Silbe als TEL. womit der Name der Tab. Peut. sTATELLAE übereinstimmt. Plinius aus der Zeit Vespasians) schreibt
Aquae Staticilorum m, 5," 7) und Aquae Statiellae 31. -2. 2 , eine Inschrift bei Orelli 49-27 AQMS STATIELLIS: es scheint
daher, dass nebeneinander beide Schreibungen STATELLIS und STATIELLIS gebräuchlich waren, jenachdem man das e
der zweiten Silbe in der Aussprache schleifte oder nicht. — 3i piinius 31, 2, 2. — Cicero ad Div. XI, 11. — Strabo V, p. 217
'Ax-j-jju ÜTaTiä) "/ at . — Irin. Ant. — 3- Mommsen Stadtrechte von Salpensa und Malaca. Abhdlg. d. S. Ges. d. W. S. 392 und in
den Annali dell' Istituto di corr. arch. 1855, p. 29. 1858, 202 f. Vgl. Sueton Vcsp. c. 8. „'Capitoliumj quo continebantur privi-
legia cuicumqne concessa" — ^ Preller Römische Mythologie S. 209. — ^ Arneth, XII römische MiliiärUiplome p. 21. —
^•' Heuzen Aniuili isö7. p. 11.
133
Über Darstellungen der Passion Jesu Christi, insbesondere
auf einem noeh unbekannten Bilde von Lucas Kranaeh.
Von Dk. Messmer.
(Mit 2 Holzschnitten.)
Die Passion des Heilandes gehört nicht zu den in der frühchristlichen Kunst gewöhnlichen
Darstellungen, wenn man von den symbolischen und typischen absieht, die freilich schon im
III. Jahrhundert die Erlösung durch Christi Opfertod zum Gegenstande haben und in der patri-
stichen Literatur noch weiter zurückgehen, wie von Hefele S. 1(35 in der Tübinger Theologi-
schen Quartalschrift 1868 1, nachgewiesen wird. Von den wirklichen Darstellungen kommen der
Einzug des Herrn, die Fusswaschung, das Ab-endmahl, Pilatus' Urtheilsspruch, Petrus verleugnet
den Herrn, Christus von Soldaten geführt , mit der Krone (Rosen und Blätter) gekrönt und mit
dem Kreuz belastet, seit dem IV. Jahrhundert (die einen vielleicht schon Anfangs, die andern
erst am Schlüsse dieses Jahi-hunderts) auf christlichen Denkmälern vor. Für die Darstellung des
gekreuzigten Heilands kennt man noch kein früheres Datum, als das Ende des VI. Jahrhunderts,
welches Hefele' mit gutem Rechte auch dem in den Kaiserpalästen zu Rom entdeckten soge-
nannten Spottcrucifix gegenüber aufrecht hält und neuere Schriftsteller '^ über das Kreuz
vollkommen acceptiren. Die ausgezeichnete Abhandlung A. Zestermann's über die Kreuzigung
hat leider die Erörterung dieses Punktes als von dem nächsten Thema zu weit abliegend, auf
ein künftiges Programm verschieben müssen. Gewiss wird dieser Forscher oder einer der citirteii
Gelehrten von den Stellen Notiz nehmen, welche P. Garrucci in seiner (Makarius' resp. d'Heii-
reux) Hagioglypta p. o-i für ein früheres Datum, nämlich das III. Jahrhundert, beibringt, hiebei
auf Pitra gestützt, der in seinem Spicilegium Solesm. I. 400 u. 500 ff. dieses Punktes gedenkt.
Diese Stellen beweisen nach genauem Vergleiche der Urtexte keineswegs dies frühe Datum der
Darstellung des geki-euzigten Christus. Die schöne , in des Nicephorus Antirrhetica aus dem
VIH. Jahrhundert enthaltene Ausführung des dem III. Jahrhundert angehörenden S. Gregor
Illuminator wird, so verstanden, bis zur unbedeutenden Rede abgeschwäclit. Indem er den Heiden
vorstellt, „wie sie bisher das Menschenbild durch der Arbeiter Hände in Holz hergestellt verehrt
hätten, jetzt aber durch die Annahme der wirklichen Menschengestalt durch Christus und die
> Beiträge zur Kirchengeschichte, Archäologie und Liturgik II, 269. — ^ p. T. Münz. Archäol. Bemerkungen über da.s
Kreuz etc. 1866. Seitdem hat F. Kraus I. B. Beiträge zur Trier'schen Archäologie 1868 den nämlichen Gegenstand kritisch
behandelt und dabei besonders die älteren Bearbeitungen sorgfältig berücksichtigt. In den Jahrbüchern des Vereins von Alter-
thumsfrcunden im Rheinlande 186S haben H. Otte und E. G. Weerth p. 19.5 ff. eingehende Studien dieses Themas publicirt.
Über das s. g. .'^pottcrucifix s. Mitth. d. f'ent. C'onim. Bd. XIII.
XIV. 20
Io4 Dk- Messmer.
Auflichtung iles Kreuzliolzos in Mitten des Erdkreises mit dem wirklichen MenschenbiUle des
Erlösers zin- berechtioten Anl)etung des (Ki-euz-) Holzes und des daran befindlichen Menschen-
bildts o-erufeu seien-, kann er nur die geistige Autiassung seiner Rede, den dogmatischen Zusam-
nunhano- vor Augen orehabt haben, ähnlich dem heil. Paulus (Galat. 3, 1 und Hebr. 0, 11 und
](i. IH). In anderem Verstände enthält diese Ausführung statt ihrer Grossartigkeit und Univer-
salität eine unerträgliche Plattheit. Das von Pitra urgirte sixiüv des Schlusses der Rede wii-d hier
in keinem anderen Sinne genommen, als die Gegenüberstellung erfordert: Anbetung des fingirten
Menschenbildes := Götzendienst oder Heidenrhnm; — Anbetung des am Kreuzholze aufgerichte-
ten die menschliche EbL-nbildlichkeit in Wahrheit an sich tragenden Christus = Gottesdienst,
Cliristenthmn.
Bei dem Bilderstreite bildete ja diese dogmatische Frage nach der wirklichen ^lenschen-
natur den Hintergrund und Nicephorns fügt desshalb diese Stelle von Gregor ein. Dies sixiö-;
des Schlusses der Rede wird am Anfange derselben als Menschennatiur oder wirklicher Jlensch
von Christus gebraucht. _Er wurde selbst wahrhaftes Bild des Menschen, nm die Bildanbeter . . .
dem eioentlichen Bilde der Gottheit zu unterwerfen-. Wer kann hier eine Beziehung auf die
Abbildung C'hristi finden? Der heil. Ambrosius sagt Adam und Christus vergleichend: Ille ad
iniao-inem Dei, hie imago Dei — wo unter imago Dei, wie bei T. Hilarius als j,facies Dei" mehr als
das Bild, nämlich als der Abglanz des Vaters verstanden ist. Ebenso hier siziuv. nur mit Betonung
der Menschheit Christi, dort der Gottheit. Die andere dafür, selbst von Pitra angerufene Stelle
lässt ihr Alter und ihre unerwiesene Authenticität vorausgesetzt, bei günstigster Auslegung ein
Bild Christi und der Apostel, nicht aber des Gekreuzigten zu, wie wir jenes auf fi-ühchristlichen
Denkmälern treÖ'en, ohne dass die blos symbolische Darstellung durch diese Stelle ausgeschlos-
sen wäre. Diese Stelle enthält der angeblich apostolische Canon des Märtvrers Paniphilus in des
Orifrenes Bibliothek aufbewahrt. Die Wichtigkeit der genannten Beweisstellen wird meine Aus-
führlichkeit entschuldigen und die genannten Forscher vielleicht zu einer gelegentlichen Äusse-
runs: hierüber vermögen.
Die Passion nun wieder aufgreifend, finde ich, dass im XI. Jahrhundert, nm das Jahr lOOO
in runder Zahl, folgende Leidensscenen zu den erwähnten in Kunstdarstellungen hinzutreten:
die Geisslunsr, des Judas Verrath und Christi Gefangennehmung, Christus vor dem Hohenprie-
ster. Ecce homo, die Kreuztragung und die Abnahme vom Ka-euze mit dem Begräbnisse des
Heri'en. All' diese Scenen beruhen auf der heil. Schrift selbst, welche man hierin nicht verliess.
Im XII. Jahrhundert reiht sich das Gebet Clu-isti am Ölberg an die genannten Darstellungen
und die Andeutung der Passion durch die im Hintergrunde des verherrlichten Erlösers (Maje-
stas DominH wahrnehmbaren Leidenswerkzeuge, die noch bei Hubert van Eyck auf dessen
berühmtem Genter Altarbild von Engeln geführt das Lamm Gottes umgeben. Die sieben Sta-
tionen des eio-entlichen Kreiizweges, dessen Ursprung^ und Vorgänger der von Gethsemani
nach Zion und Calvaria führende Weg ,,GalIläa- in Jerusalem im XII. und XIII. Jahrhundert
"•ewesen, finde ich zuerst* bei dem von Martin Kötzel angelegten und in den neunziger
3 Mittheil. d. k. k. Cent. Comm. ISCI. 6. 104. Das Abbild dieses „Galiläa'^ hiess im Abendlande ebenso. Ich habe seither
noch viele Stellen dafür gefunden. Merkwürdig ist auch liiefür bei C. Ludwig Sacrac antiquit. Monumnta 17-2:> fol. 173 und
1«2 mit der scharfsinnigen Anmerkung. — * Einzelne bcenen, aber nicht in der gleichbleibenden Folge sieht man in den kleinen
Keliefs der S. Laurentius-, und noch conseqnenter der St. Sebalduskirche zu Nürnberg an den Strebepfeilern eingefügt. Diese
datir.n noch aus dem XIV. Jahrliundert und besinnen mit dem Einzug Christi. An der Kirche zn Biburg in Bayern befanden
sich ähnliche, die noch älteren Charakters schienen. Der jetzige, aus 14 .Stationen, beginneaid mii Christi Verurtlioilung, beste-
hende eigentliche Gang Christi mit dem Kreuze wurde wahr.-icheinlich durch die Franciscaner nach l.j61 angeordnet, war
aber im Abendl.inde 1699 noch nicht sehr eingeführt. Ich habe eiu unbekanntes Büchelchen vor mir aus diesem Jahre, das der
Jesuit Adrien Par\illiers 1654 als apostolischer Missionär des heil. Landes verfertigt und mit oberhirtlicher Approbation zu
Kouen in Kleinottav ,La devotion des Predestinez ou les Station* de la Passion etc.'' herausgegeben hat. wo das Abendmahl
Über Daustellungen der Passion Jesu Christi etc. loo
Jahren des XV. Jalirliundcrts von Adum Kraft zn Nürnberg- so meisterhuft ansoeführten Wege
nach dem Johannisku-chhofe, wobei der Fall Christi unter dem schweren Kreuze zum ersten-
male bildnerisch dargestellt ist. Diese ergreifende Vorstellung ist nicht biblisch, und ihr kaiui
man die Scenen der Passion anreihen, welche aus der Betrachtung des Leidens Christi mit mehr
oder minder traditioneller Unterlage in den Apokryphen und alten Legenden hervorgegangen
und füglich „Betrachtungsbilder der Passion" genannt werden können. Dahin zähle ich die Vor-
stellung, dass Christus vor seinem Leidensg-ange gerastet habe, wovon ich in dieser Zeitschrift
1861, p. 217, eing-ehend gehandelt habe.
Was ist's ferner mit der s. g. „Misericordia oder Barmherzigkeit". Diese Bezeichnung enthiUt
der Bestandbrief ^ über das Sacramentshaus zu Bopfingen vom Jahre 1408, worin der Meister
Hans Böblinger sich verpflichtet, ausser dem Sacramentshaus noch zu fertigen: „Ein Barm-
herzigkeit mit zweien Engeln". Damit wird die in zwei Esslinger Urkunden '' von 1104 und
1463 erwähnte „Erbärmde Unseres Herren" synonym sein. Unter den im Jahre 1484 an der
Nürnberger Sebalduskirche ' restaurirten Steinbildern wird auch „an dem Pfeiler neben der
Taufthüre" ausser St. Christoph und Maria die „Barmherzigkeit" genannt. Nun fand ich bei
sorgfaltiger Besichtigung der Sculpturen von St. Sebald neben der westlichen ThUre der Nord-
seite eine Christus-Statue mit einem Mantel über dem nackten Körper auf seine Seitenwunde
zeigend, welche Figur im Inneren dieser Kirche, dann am Ausseren der St. Lorenzkirche und
zu St. Jacob wiederkehi't und noch aus dem XIV. Jahrhundert datiren mag. Die kleinere Re-
liefdarstellung an einer Thurmstrebe derselben Nordseite , Christus von Engeln gehalten im
Grabe stehend, dürfte in dieser urkundlichen Stelle nicht gemeint sein. Ich nehme also die
nirgends bezeichnete Taufthüre an dieser Nordseite westlich an und halte den mit den Wund-
malen dargestellten Erlöser für die genannte Barmherzigkeit. In Reliefdarstellungen und Gemäl-
den fügten sich selbstverständlich noch begleitende Einzelheiten an, insbesonders Engel oder
Maria und Johannes , ferner die Leidenswerkzeuge an oder neben dem Kreuze , selbst das
Grabmal des Herrn als viereckiger Behälter, dem in halber Figur Christus entsteigt, aber nicht
mit der Auferstehungsfahne, sondern die Wunden zeigend. Ich fasse also den Begriff weiter, als
jene Statue darthut. Selbst der auf einem Steine sitzende, rastende Heiland kann als „Barmlier-
zigkeit" aufgefasst sein, wenn Leidenswerkzeuge dabei angebracht und die Betrachtung der Wund-
male betont erscheint *. Die Berechtigung- dazu bieten zwei Denkmäler, deren Beischriften keinen
Zweifel übrig lassen. Das eine ist ein grosses, künstlerisch unbedeutendes Gemälde in der Ge-
mälde-Sammlung hiesiger Universität aus dem XVI. Jahrhundert und waln-scheinlich von einem
Landshuter Maler gefertigt. Hier sieht man in einer Früh-Renaissance-Kirche Christus unter dem
Kreuze mit den Leidenswerkzeugen auf einer Erhöhung sitzen, nackt ausser den Lenden, dorn-
gekrönt und aus den Wimden blutend; darüber die Taube des heil. Geistes und seitwärts den
betenden Stifter knieen, zu dessen Füssen auf einem Täfelchen die Anfangsw^oi'te des 88. Psalms
geschrieben stehen: Misericordias Donilni in aeternum cantabo. Dieselben Worte begleiten auf
einem Spruchbande die Gestalt des leidenden Heilands in sitzender Stellung gleich dem erwähn-
den Allfang macht und die letzte. 18. Station die Himmelt'alirt Christi bildet. Bei f'liiistianiis Adriehomius theatntin terrae
sanctae. . . Colon. 1590 sind schon drei Fälle und bis zur Grablegung 10 .Stationen verzeichnet. Langen, Letzte Lebenstage
Jesu p. -29. Cap. Note -2 führt dieselben ausführlich an.
^ Verhandl. des Vereines für Knnst und Alterth. in Ulm ISö.i. p. .32 des 9. u. 10. Berichtes. — ^ Mittelalt. Baudenkinaie
aus Sehwaben L Supplem. v. C. Beisbarth. — ' Baader, Beiträge zu Nürnbergs Kunstgesch. I, 0-2. — s Otte sagt in
seinem Handbuche S. 906, der Ecce homo werde auch Miserere genannt. Geschieht dies auf Grund urkundlichen Zeugnisses?
Im Nat. Mus, ist ein Bild dieses Ciegenstandes, wo der betende Stifter „Miserere mei" im Spruchbande führt. An der hiesigen
Peterskirche sieht man das Eenaissance-Epitaph des betenden Barth. Kosenbusch v. 14SI, wo jene Worte, deutsch geschrie-
ben sind. Womit mag Bock beweisen können, dass Christus als Weltricbter wegen der fürbittenden Madonna und Johannes
diesen Namen führe? Mittheil. d. k. k. Cent. Comm. 18ü9, I, p. 10.
20*
I3G
ÜR. Messuek.
Fis
ten Bilde autciiam gestickten AiitipencUum
des XV. Jalirhunderts im künig-l. National-
Museum zu München — woraus sich ergibt,
dass die .Barmherzio-keit"' Gottes im nach
•liücklichsten Sinne, der leidende Erlöser in
seiner tiefsten Erniediüirunor versreerenwär-
tigt , ja dieselbe in eigener Person ist.
Das oben genannte Wort ^Erbärmde- hat
gleichfalls nur die active Bedeutung, wie
Barmherzigkeit, die Bedeutung von Er-
barmung, sich erbarmen, nicht aber von
„erbärmlich, mitleiderweckend". Über letz-
teren Sachverhalt der W'^ortbedeutung war
Professor Dr. Konrad Hofmaun dahier so
gütig, mir aus der bezüglichen Literatur
Aufschluss zu geben. Die in der Kirche zu
Bartfeld in Ober-Ungarn ^ auf einem Flü-
gelaltare in ganz erhabener iVibeit aus-
geführte Heilaudsfigur wh-d von dem Ver-
fasser Herrn J. a-. Lepkowski, vielleicht
auf Grund einer Urkunde oder Überliefe-
rung .der barmherzige Heiland" genannt, eine Bezeichnung, der ich sonst in wissenschaftlichen
Abhandlungen nicht begegnet bin. Es würde mich freuen, wenn der Herr Verfasser jenes Auf-
satzes meine Darlegung gerechtfertigt fände. In Italien hat Fiesole diese Darstellung zuerst
versucht. Ausser Mantegna nenne ich noch das schöne Marmorrelief'" von Fratello Majono
vom Jahre 1496, woselbst der leidende Heiland in halber Figur mit !Maria und Johannes ver-
sinnlicht ist. In derselben Weise findet sich dieser Gegenstand behandelt auf einem Holztafel-
gemälde von Lucas Kr an ach dem Alteren, das bisher der Kunsthistorie unbekannt geblieben
und sich hier im Privatbesitz befindet (Fig. 1). Dasselbe stammt aus dem Bassenheim'schen
Schlosse Leutstetten, wo es seit Menschengedenken bewahrt war. Dasselbe ist vortrefflich erhal-
ten und misst gegen 4 Fuss in der Länge und 2 Fuss in der Höhe. Auch hier bildet der lei-
dende, nackte Heiland in halber Figur die Mitte. Das qualvoll gedi-ückte Haupt ist mit Dornen
gekrönt; Augen und Mund mit der vorgequollenen Zunge zwischen den sichtbaren Zähnen, die
emporgezogene rechte Schulter und die übrige Haltung dilicken Schmerz und menschliches Elend
aus. Wie sehr auch die Züge mn Lippen und Augen körperlich dem Leiden Ausdruck verschaffen,
die edle Bildung des Angesichtes bricht dennoch hervor und bewii-kt dadurch einen um so
.stärkeren Eindi-uck, ohne dass Blutsti-opfen, wie so oft auf Kranach's Bildern das Gesicht
bedecken ". Rechts davon die weinende Madonna in hellblauem Gewände mit weissem Kopf-
tuche, gegenüber der roth gekleidete jugendliche Johannes mit krausen blonden Locken, die
Hände vor Herzenleid zusammenlegend, wähi-end Maria den Heiland zu unterstützen sucht. Von
dem schwai-zen Grunde heben sich das etwas blasse steinerne Carnat des Heilandes und die
genannten Farben mit grosser Kraft ab und ist von Umrisslinien fast keine Spur wahrzunehmen.
Der Farbenauftrag ist dünn und wie gegossen, allein schon emen Meister verkündend. Solche
' Mittheil. d. k. k. Cent. Comm. 1858. Nr. 10 p. 257. — ><> C'h. C. Perkins tuscan Sculptors. London 1864. — " Beifolgende
Abbildung bat Herr Bayersdorfer Adolph mit grosser Genauigkeit vor dem Bilde gefertigt und mir zn überlassen die Güte
gehabt, wofür ich ihm hiemit meinen Dank ausspreche. Der gegenwärtige .Schnitt wurde vom Herrn Schmidi ausgeführt
Über Darstellung dek Passion Jesu Chiusti etc. 137
Bestimmtheit der Töne mid solch leuchtende Stärke dersel-
ben trifft man nm- bei grossen Malern des Mittelalters. Trotz
des ero-reifenden Schmerzes, der nicht ohne Heftig-keit in der
Gestalt Christi wiedergegeben und das Ganze beherrscht,
geht gleichwohl dm-ch das Bild ein Zug der Ruhe und Er-
gebenheit. Der mit der Farbe des Grundes bemalte Rundstab
des Holzrahuiens zeiget in Gold aufo-emalte Thierfigürchen und
feine Blümchen ohne Verbindung neljen einander (Fig. 2 a),
die reizend behandelt und von dem Meister des Bildes mit
der Pinselspitze mit leichter, aber sicherer Hand hingezaubert sind. Eine gleiche, aber noch feiner
behandelte Thierfigur trat nach einer Säuberung des Bildes über dem Haupte der Madonna, eine
geflügelte Schlange mit dem Ringe hervor, welche das bekannte Handzeichen des Meisters bildet.
Von den bei Chr. Schuchardt ofeg-ebeneu Facsimile's dieses Handzeichens des L. Kr an ach d. A.
(Fig. 2 b) stinunen Nr. 1 und -i zunächst mit dem hier genannten überein, nur dass dort der Flügel
gerade steht und der Windungen eine mehr zu sehen, indess hier der Flügel liegt und ausser der
mittleren Windung keine gleich bedeutende wahrzunehmen ist. L. Krau ach hat diesen Gegenstand
öfters daro-estellt, wenio-stens werden unter seinem Namen Bilder dieser Scene genannt und zwar
in der k. Galerie zu Augsburg mit gefälschten Zeichen, darauf Engel in Wolken und unten Gebüsch
und Stadt; ferner in Dresden bei Frau Professor Förster, welches Bild aber die Wundmale blutend
und Geissei nebst Ruthe auf dem Schooss des Heilands zeigt; zu Innsbruck in älmhcher Auffas-
sung, ebenfalls durch viele Blutstropfen unangenehm wirkend, endlich zu Meissen mit der Jahres-
zahl 1534; hier sind Maria und Johannes, wie auf unserem Bilde, ebenfalls in halber Figur zu
Seiten des Herren angeordnet; die Marterwerkzeuge fehlen wie auf den genannten Bildern auch hier
nicht, indem sie von Engeln in der Höhe gehalten werden. Schuchardt, dem diese Daten ent-
nommen, hält diese Tafel für echt, wälu-end er die dazu gehörigen Flügelbilder bezweifelt. An
Grossartigkeit der Auffassung, an Reinheit der Durchführung und Einfachheit der Anordnung,
endlich an Kraft der Wii-kung ohne andere Behelfe, als jene, die in der Auffassung vind Meisterschaft
der Malerei liegen, steht unser Bild weit über den citirten und zählt überhaupt zu den schönsten
und bedeutendsten des Lucas Kranach. Die Thierfiguren endlich beweisen auch in dieser geist-
reichen Behandlung den Meister, der in der Handhabung der Ai-abeske mit ähnlichen leichten
Figuren aus den Randzeichnungen zu Kaiser Maximilian's Gebetbuch vom Jahre 151.5 bekannt
ist. Dieselben enthalten sogar neben zwei kämpfenden Hirschen den leidenden Heiland mit den
Mai'terwerkzeugen.
Dass Krauach diese begleitenden Thier-Zeichnungen und Blumen hier bei unserem Bilde
auf den Rahmen verwiesen und überhaupt, wie gezeigt, alles den grossen Eindruck störende
Beiwerk unterlassen, erhöht nicht nur den Werth dieses Denkmals, sondern erhöht die Bedeu-
tung des Meisters , der diesmal seiner Phantasie Zügel angelegt und nach Einfachheit und
Totalwirkung gestrebt hat. Wenn Schuchardt in der Vindicirung- eines Bildes durch den Namen
Kr an ach d. Ä. äusserst streng und kritisch bedachtsam ist, so hatte er aus den ächten Werken
dieses Meisters die Gründe dafür geschöpft. Wenn ich dagegen das Holztafelgemälde mit jenem
Bilde vergleiche, das Christum am Kreuz zwischen den beiden Schachern und dem Centurio zu
Ross im Costüme des XVI. Jahrhunderts vorstellt und welches im königl. bayerischen National-
Museum (I. Saal der Renaissance) aufbewahrt ist, so finde ich zwar, zumal das Bild durch die
Restauration nicht gewonnen, keine genügenden Gründe, dasselbe dem Meister abzuspx-echen.
aber ästhetisch und künstlerisch will es gegen das oben geschilderte nicht Bestand halten, sondern
mit Ausnahme des bezeichneten Centurio, der Porträt zu sein scheint und vortrefflich gehalten,
1 38 De. Messmee. Ubeb Dabstellunges deb Passion Jesu Cheisti et c.
wie o-enialt ist, bis zur Unbedeutendheit herabsinken. Es ist schwer zu glauben, dass beide Werke
dieselbe Hand hervorgebracht.
Diese Tafel hat 2' bayer. Höhe und 1 2" Breite, ist mit der Jahreszahl 1510 und dem
Zeichen und zwei Inschriften versehen, von welchen die eine über dem Gekreuzigten „Vater
in dein Hent Betil ich mein Gaist", die andere neben dem Centurio „warlich diser Mensch
ist Gotts sun gewesen- lautet und in lateinischen Majuskeln geschrieben ist. Das ganze Bild
verräth tüchtige Bildung im Technischen imd in der Behandlung des Nebensächlichen, aber in
der Auffassung und Charakterisirung keinen Meister, wenigstens im Vergleiche zu dem obigen
grossen Bilde. Das Zeichen und die Jahi-eszahl will ich niclit als gefälscht erklären, aber zweifel-
los sind sie niclir. Ein Specialkenner mag diesen Punkt seinerzeit erledigen. Mir seluint dies
Bild zu den vielen zu zählen, die, ohne vom Meister gemalt zu sein, doch aus seiner Werkstatt
hervorgingen und das Zeichen des Meisters erhielten ohne zum Ruhme des Meisters beif'etrasren
zu haben. Da Schuchardt aber solche beigesetzte Zeichen als nachträg-lich aufgemalt und keines-
wegs von dem Meister selbst heiTührend erklärt, so wird dieser Sachverhalt auch bei dem letz-
teren Bilde anzunehmen sein. Dass hingegen jenes Werk in die Blüthezeit des Meisters fällt
und seinen Höhepunkt bezeichnet, lehrt der Anblick und Vergleich mit anderen Ai-beiten dieses
Malers.
Auf die Darstellung zurückkommend, sei erwähnt, dass man es liebte, die Passion entweder
zu vergegenwärtigen, dass Christus vord m Kreuze mit den Passionswerkzeugen aufrecht steht,
die Hände übereinandergelegt, wiee z. B.n Müblhausen inschriftlich von 138.5 auf dem Flügel-
dtai-e des Stifters Reinhard von Mühlhausen '^, dann auf der Aussenseite des Flügelaltars von Pähl
im hiesigen k. National-Museum wahrscheinlich aus derselben Zeit '^ oder dass Christus im Grabe
d. h. Sarkophage steht, womit die Messe des heil. Gregor verbunden wird, eine Lieblingsscene
mittelalterlicher Sculptur und Malerei, und endlich in der Form der sogenannten Kelter — wofür
das genannte National-Museum eine Reihe von Belegen bietet. Wie verbreitet im XV. Jahrhundert
diese und ähnliche Darstellungen gewesen, beweisen die Wandgemälde in den Kirchen zu Grenna
und Torpa in Schweden '*, abgesehen von den vielen mittels des Druckes vervieltaltigten Blättern
der Passion. Dass der grosse Albrecht Dürer diesem Gegenstande ebenfalls seine Meisterhand
gewidmet, ist bekannt. Arbeiten von Gesellen und untergeordneten Meistern aus Ober- und Nieder-
Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich sind in Kirchen und Sammlungen in diesem Zweige
reich vertreten. Überblickt man die zunächst einschläffioren Producte des XV. und XVI. Jahr-
hunderts, so haben im allgemeinen die italienischen und flandi-ischen Maler solche Gegenstände
seltener behandelt und wtü-diger gehalten, dabei mehr nach Einfachheit und Schönheit gestrebt
im Vergleiche mit den Oberdeutschen, welche in der Erfindung unerschöpflich, in der Charidi-
terisirung aber, zumal der Widersacher, sowie in der Beimischung von Nebensächlichem oft über
die Grenze des Erlaubten gegangen sind. Dass diese Erscheinungen mit den beliebten Passions-
spielen zusammenhängen, hat schon Kugler" bemerkt und Springer'* wiederholt hervor-
gehoben. Wie Meister höheren Ranges dieses Thema zu behandeln vemioehten, lehrt ausser
manchem Mustergebilde der Sculptur das eben besprochene Werk von Lucas Kr an ach, dem ich
in dieser Gattung der Kunstproduction kein zweites an die Seite zu setzen weiss.
'2 Mittelalt. Kunst in Schwaben p. 38 d. Suppl. — " Vgl Mittlicil. d. k. k. Cent. Comm. 1S62, p. 2.il. - '* M.nndel-
f.'ren, Monuments scandin. etc. Paris 1859. Vgl. Mittheil. d. k. k. Cent. Comm. 1861, p. 77. — '^ llcutsches Kunstblatt 18.i6,
p. 233. — IC Ikonograph. Studien 1860, 2 ff. in Mittheil, der k. k. Cent. Comm. Springer fuhrt daselbst fiir die ältere Sculptur
die orientalischen Teppich-Muster als Biklmotive an. S. De Caumont ABC p. 25 und p. 77.
139
Genesis der Kathedrale von Fünfkirehen in Unofarn.
Von Dr. E. Henszlmann.
(Mit 6 Holzschnitten.)
j\ian wird die folgende Erörterung nicht mit Unrecht als vergleichende architektonische
Anatomie betrachten können, da ich in ihr durch Zergliederung und Nebeneinanderstellung der
Formen und Verhältnisse verschiedener Kirchen einen Sehluss auf die genetische Verwandtschaft
derselben ziehe, und in Zahlen zugleich den Fortschritt in der Construction nachweise. Die An-
schauung ist in mehreren ihrer Theile durchaus neu, indem sie sich auf die von mir wiederent-
deckte Methode der Verhältnissbestimmung gründet , deren sich die Baukünstler der Vorzeit
bedienten. Die antike, bereits den Ägyptern bekannte Methode habe ich in meinem französischen
Werke „Theorie des proportions appliquös dans l'architecture depuis la XIP dynastie des rois
egyptiens &c. Paris 1860", die mittelalterliche, von der antiken etwas abweichende Methode, in
meinem, die Resultate der Ausgrabung der Stuhlweissenburger Staatskirche behandelnden unga-
rischen Werke „A szekes-felierväri äsatäsok eredmenye. Pesten 1864" entwickelt. Im Sinne der
letzten Entwicklung werde ich nun im Folgenden die Fünfkircher Kathedrale mit dem Dome zu
Gurk\ mit der Krypte der Marcuskirche von Venedig- und mit der Kirche des heil. Benignus zu
Dijon^ vergleichen.
Wie einfach die Methode der Alten war, ffeht schon daraus hervor, dass man bei ihrer
Darstellung mit dem Quadratwurzelzeichen ausreicht, und dass wir auch dieses niu- in abstrahirter
Weise anzuwenden haben, denn die Alten bedienten sich blos des graphischen Vorgangs; der
grosse Maassstab ihrer Projectzeichnung aber befähigt uns aus diesen, wie aus ihren mit Präcision
ausgeführten Werken, das Verfahren bei der Verhältnissbestimmung auch algebraisch und arith-
metisch darzustellen.
Auf den ersten vergleichenden Blick, mit welchem wir den Gurker Dom und die Kathedrale
von Fünfkirchen betrachten, wird das zwischen beiden bestehende genetische Verhältniss ersicht-
lich, lind da ersterer um einige Jahrzehende älter ist als letztere, müssen wir jenen als nächstes
Vorbild inid Muster für diese betrachten.
1 S. „Mittelalt. Kunstdenkmale d. österr. Kaiserstaates von Heider und Eitelberger" II Th.
2 S. in den „Mittheil, der k. k. Central C'ommission XI. Jahrg. 1866 den Artikel „Die Krypte der Mareiiskirche in
Venedig" von König und fSchwengb erger.
3 S. in den „Mittheil, der k. k. C'entral-C'ouimission XIII. Jahrg. 1868 den Artikel „Die alte Kirche des heil. Benignus
zu Dijon" von Henszlmann.
40
Du. E. Hexszlmasx.
Untersuchen wir nun die Verhältnisse der Kr\-pta des
Gurker Domes und jene der Unterkirche von S. Marco, wird
auch hier ein ähnliches genetisches Verhältniss um so mehr
auÖallig, als in Gurk die Übereinstimmung' der Anlage
nicht diirch die Übereinstimmung der Umstände bedingt
war, daher eine einfache Nachahmung auf der Hand liegt,
weil sie nicht aus der ähnlichen Lösung zweier ähnlicher
Aufgaben erklärt werden kann.
Endlich weicht die Unterkirche von Fünflcirchen
wesentlich von beiden eben genannten Unterkirchen ab und
schliesst sich, besonders in den Verhältnissen iln-er Säulen,
jenen der alten Dijoner Kirche an, und zwar ganz abgesehen
von meiner in diesen Blättern gegebenen Restauration, bloss
jene sicheren Maasse in Betracht gezogen, die sich theils aus
der Schrift des ungenannten Dijoner Mönches, theils aus
den in neuester Zeit daselbst ausgegrabenen Baugliedern
ergeben, die sich in Taylors und Sargots Prachtwerke
„Dijon, ses monumens&c." Paris 1859 dargestellt und cotirt
finden.
Gemeinsam haben oder hatten die Oberkirche des
Gurker Domes (Fig. 1) und die Fünfkirchner Kathedrale:
das längliche von zwei Pfeilerreihen in drei Schiffe
getheilte Pai-allelogranmi,
ohne eigentliches Querschi i't\ und ohne a u s g e-
bildeten L a n g c h o r,
die unmittelbar sich an die drei Schiffe des Lang-
hauses anschliessenden drei Apsiden,
eine westliche Quer-Empore, die zwar in Fünfkirchen
nicht mehr die ursprüngliche ist, doch ist die neuere an
die Stelle einer ursprünglich verhandenen getreten, wie
dies noch die verschiedenen Höhenabtheilungen des letzten
Pfeilerpaares darthun,
den Doppelthurm an der Westfi-onte,
das alle drei Schiffe durchziehende erhöhte Sanctuarinhu,
die beiden Treppen im Seitenschiffe, welche in die unter diesem Sanctuariuui l)efindliche
Lnterkirche in Gurk noch heute führen, in Fünfkirchen aber ursprünglich führten,
die sehr einfache vierseitige Form der Mehrzahl der die Schiffe von einander trennen-
den Pfeiler,
das über den Verbindungs-Rundbogen dieser Pfeiler höher aufgeführte Mittelschiff, das
ursprünglich in Gurk und in Fünfkirchen bloss mit einer flachen Holzdecke bedeckt war,
oder, in Ermangelung auch dieser, unmittelbar bis zum Satteldache emporstieg, endlich
die Einzelthür an der Westfronte, und je eine Thür an jeder Langseite.
Li Bezug auf die Höhenmaasse haben die beiden Kirchen gemeinsam :
eine verhältnissmässig gleiche Haupthöhe, nämlich die der Las^e d( s Kian/gesinises
über dem Mittelschiffe,
und ebenso der Pfeiler des Mittelschiffes,
tig- 1-
Genesis der Kathedeale von Fünfkiuchen in Ungarn. 141
während die Höhe der niedersten Pfeiler in Fünfkirchen — jener im hohen Chore —
gerade die halbe Höhe des Vierungspfeilers von Gurk niisst.
Dasres'en weichen die beiden Gotteshäuser in mehreren Momenten der Construction, Ver-
zierung und Anordnung sichtlich von einander ab, jedoch auch hier der Art, dass sich nicht
nur das verwandtschaftliche Verhältniss, sondern auch jenes der Priorität des Gurker Domes klar
nachweisen lässt.
Bezüglich der Abweichungen in der Anordnung ist hervorzuheben dass:
wir im Gurker Dome wenigstens das eine Merkmal des Querschiffes haben, nämlich
dessen Erhöhung über die Seitenschilfe bis zum Kranzgesimse des Mittelschiffes, wenn auch
anderseits der Vorsprung über das Langhaus fehlt; in Fünfkirchen findet sich dagegen weder
Aussprung noch grössere Höhe, d. h. es ist ein Querschiff nicht vorhanden, ja nicht einmal ange-
deutet. Diese gänzliche Abwesenheit des Querschiffes, das Festhalten an der ältesten Anordnung
der Basilica, ist ein Mangel, der sich überhaupt in den mittelalterlichen Kirchen Ungarns zeigt,
und zwar häufiger noch als im südwestlichen Deutschland, wo ein ausgebildetes Querschiff' in den
altern Kirchen sich gleichfalls selten findet.
In Gurk haben wir bloss zwei Thürme an der Westfronte, die sich an die Enden der
Seitenschiffe gesetzt, als gewöhnliche Zwillingsthürme erweisen; dagegen stehen in Füufkirchen,
ausser den beiden Thürmen im Westen, auch noch zwei im Osten und zwar der Art, dass wir sie
nicht in das System der bekannten vierthürmigen Kirchen des Auslandes einreihen können, son-
dern sie als eigenthümliche Vertheidigungthürme betrachten müssen , was ein anderes Mal nach-
zuweisen unsere Aufgabe sein wird.
Die Decoration des Gurker Domes ist im Ganzen weit reicher als jene der Fünfkirchner
Kathedrale. In beiden Kirchen beschränkt sie sich jedoch auf das Äussere und einige Haupt-
Bauglieder, während das Innere ziemlich ärmlich ausgestattet ist, wenn hier nicht etwa Wand-
gemälde, die nicht mehr existiren, den Mangel der architektonischen Verzierung ersetzten.
Eine solche malerische Decoration, die ausnahmsweise hier auch durch die architektonische
gehoben wird, zeigt sich an der prachtvollen Quer empöre, dem sogenannten Nonnenchore
in Gurk. In wie ferne sich die ursprüngliche Querempore zu Füufkirchen dem Nonnenchore in
Gurk näherte, ist gegenwärtig, seit jene neugebaut wurde, nicht mehr zu ermitteln.
Die Schiffspfeiler zeigen in beiden Kirchen das einfachste vierseitige Parallelepiped
mit, von quadratischem nicht allzuweit entferntem, länglichem Grundrisse. Zwei Pfeilerpaare
weichen jedoch in Fünfkirchen von dieser Form ab, indem sie eine Kreuzform mit an die Arme
angesetzten starken Säulencylindern darstellen. Das östliche Pfeilerpaar, welches an der Grenze
zwischen Chor und Langhaus steht, ist gegen Osten noch unentwickelt, das westliche dagegen,
welches die ursprüngliche Querempore trug ^), zeigt bereits das vollständig entwickelte System,
indem hier zwischen die Kreuzarme auch schon je zwei rechtwinkelige Abstufungsaussprünge
eintreten. In Gurk kommen bloss einzelne Cylinderansätze vor, nämlich an zwei Pfeilerpaaren
im Chore und an den Pfeilern der Empore, jedoch in keinem der beiden Fälle gleich ausgebil-
det wie in Fünfkirchen. Der Baumeister der Kathedrale hat demnach "seine Form anders woher
geholt, und zwar wahi-scheinlich aus Frankreich, wo sie am ersten auftrat und am weitesten
verbreitet war.
Die Beleuchtung des Innenraumes wurde in beiden Kirchen durch die sehr ähnlich
gestalteten Fenster des Haupt- und der Nebenschiffe vermittelt, doch scheint sie in Fünfkirchen
wegen der bedeutenderen Grösse der Fenster vollständiger gewesen zu sein. Es fehlen wohl hier
die ursprünglichen Fenster; doch lassen sich jene des Mittelschiffes nach einigen unter dem Dache
3 S. Fig. 14 in meinem Aufsatze über die Fünfkircher Kathedrale XIII. Jaiirg. d. Mittheil. pag. 30.
XVI. 21
142 Dr. E. Henszlmass.
noch vorliamknen Resten mit Bestimmtheit restauriren\ und ich glaube in diesen hohen Fenstern
auch das Vurbihl für jene der Seitenschitfe gefunden zu haben, wenn sie nicht etwa, wie es die
Gurker sind, kleiner und enger anzunehmen wären.
In Gurk befinden sich nicht nur die in die Unterkirche hinab, sondern aucli die zum hohen
Chore emporführenden Treppen in den Seitenschiffen, während in Fünfkirchen der Platz für die
letzteren im Mittelschiffe anzunehmen ist. Die Gurker Anordnung hat zwar den Vortheil, dass
sich der Chor im Mittelschifl'e in seiner vollen Breitenausdehnnng ununterbrochen darstellt; jedoch
konnte andererseits, wegen nicht zulangender Breite der Seiteuschifle neben den Unterkircheu-
treppen hier keine bequeme Treppe zum Chore angelegt werden, im Mittelschiffe aber war dies,
besonders in Fünfkirclien thunlich, wo in der Mitte der beiden seitlieh angelegten bequemen
Treppen, noch immer Raum genug für den sogenannten ,.aditus ad confessionem", und über
diesem der hohe Chor noch in ziemlicher Breitenausdehnung sichtbar bleiben konnte.
Auch die Beleuchtung des hohen Chores war in Fünfkirchen entschieden stärker als
in Gurk, denn sie wurde dort durch drei in die Apsidenmauer gebrochene Fenster vermittelt,
während iher bloss ein einziges vorhanden ist, das, wenn auch grösser, dennoch nicht gleichviel
Lichtstrahlen als dies bei di-eien der Fall ist, durchlassen konnte.
Wenn wir uns nun nach aussen wenden, finden wir zuerst in Gurk das wenig bedeu-
tende Portal der Vorhalle, dagegen ein Prachtportal, welches aus dieser in das Langhaus
führt. Mit diesem kann sicli nun das schlichte und im Verhältnisse zur Fagade viel zu klein
o-erathene Fünfkirchner Portal durchaus nicht messen , die Kathedrale ist hier offenbar im
Xachtheil.
Dasselbe ist der Fall an der Ostfronte, wo der Reichthum der Gurker Apsidenver-
zierung und die Fenstereinfassung mit Halbsäulen nichts ähnliches in Fünfkirchen hervorrief.
Daf^egen lässt sich niclit läugnen, dass die weit grösseren Massen der Kathedrale einen imposan-
teren Anblick gewähren, wozu noch besonders die den Schluss des Langhauses bildenden Thürme
beitrao-en. Auch stehen diese Thürme mit ihrer Decoration in weit besserer Harmonie zur Kirche
als in Gurk, wo die Zwillingsthürme bloss rohes, kaum hie und da von kleinen Fensterchen unter-
bi'ochenes Mauerwerk zeigen; im Gegensatze finden wir in Fünfkirchen zierliche Gesimse zwischen
den Stockwerken, und oben grosse Doppelfenster mit mittleren Säulen. Sind auch diese nun nicht
mehr ursprünglich, hat doch der moderne Restaurator die gleiclien, hie und da noch im Hofe
hei-umliegenden ursprünglichen Bauglieder ziemlich treu nachgeahmt.
Bezüglich der übrigen Restauration und zwar der Haupt- und Seitenfa^aden Ist der
Giirker Dom glücklicher gewesen, indem die Erneuerungen hier im Wesentlichen nicht über die
Zeit des Spitzbogenstyles hinausgehen, während die letzte, sehr umfangreiche Restauration der
Kathedrale bereits in unserem Jahrhunderte vorgenommen wiu-de.
Ich o-laube im Vorangeschickten den Gurker Dom als Vorbild der Fünfkircher Kathedrale
unzweifelhaft nachgewiesen zu haben; dass ihn der Bischof Calanus kannte, der wiederholt von
Fünfkirchen nach Italien, besonders nach Venedig, wo er den Friedensschluss zu Stande biachte,
reisen musste, ist mehr als walu-scheinlich, ebenso, dass der Dom zu jener Zeit, sowohl seiner
Grösse als seiner prachtvollen äusseren Decoration wegen eines bedeutenden Rufes in der Um-
gegend geniessen musste.
Wenn jedoch die beiden Oberkirchen einander auffallend ähnllcli sind, können wir nicht
umhin, trotz der grossen Ähnlichkeit der Hauptform, den principiellen Unterschied zu bemerken,
welcher zwischen den Unterkirchen des Domes und der Kathedrale stattfindet
1 S. Fijc. 2" in meinem Aufsatze über die Kathedrale zu Fünfkirclien, XIII. Jahrgang der Mittheilungen der k. k. Tcnt.
Comm. pag. 39.
Genesis der Kathedrale von FCnfkiuciien in Ungarn.
143
In grundsätzlicher Hinsicht steht die Unterkirche des
Gurker Domes (Fig. 2) jener der Kirche von San Marco ^ näher
als der von Fünfkirchen, da in beiden nicht das Prineip der
Schiffe, sondern jenes der Säulengänge angewandt ist; indem
man Bedenken trug, den hohen Chor und eine grössere, etwa
hier zusammenströmende Menschenmnsse auf breiteren freien
Räumen stehen zu lassen und Kreuzgewölbe von grösserer
Spannweite anzulegen. Es wurde demnach hier ein Mittelschiff
mit beiderseitigen Nebenschiffen eher bloss angedeutet, und
zwar in Venedig durch Verlängerung der Apsidenmauer in
Form von Schenkehnauern, welche weit in die Unterkirclie
hineintreten, und diese in drei Schiffe theilen; in Gurk durch
Aufstellung von jederseits drei sehr starken Pfeilern , welche
entsprechenden in der Oberkirche zur Unterlage dienen; wobei
zu bemerken, dass über dem östlichsten der ünterkirche sich
geo'enwärtig kein entsprechender der Oberkirche erhebt, jedoch ursprünglich sicher'" ein solcher
beantragt war. Ausserhalb der starken Pfeiler und z\\ischen denselben wird nun, in Gurk wie in
Venedig, jedes Seitenschiff durch zwei Säulenreihen in drei Säulengänge, das Mittelschiff durch
vier Säulenreihen in fünf Säulengänge g-etheilt, und so der eigentliche Lichtenraum auffalliger
Weise enge und unbequem gestaltet. In Fünfkirchen hielt man sich nun an das Gurker Vorbild
bloss in der Art, dass im Mittelschiffe nicht vier', sondern bloss zwei Säulenreihen aufgestellt,
die Seitenschiffe aber ohne weitere Unterabtheilung gelassen wurden , wodurcli man genügenden
Raum für die dem unterkirchlichen Gottesdienste beiwohnende Gemeinde erhielt, was jedenfalls
als sehr bedeutender Fortschritt in der Anordnung betrachtet Avcrden muss.
Für einen gleichen Fortschritt zeugt dann auch die grössere Liehtenhöhe der Krypta
unserer Kathedrale. In Venedig Hess es der Meeresspiegel nicht zu, den Fussboden der Unter-
kirche in gehörige Tiefe zu legen, damit letztere die gehörige Höhe erhalten könne: ja es dran»-
das Meerwasser dennoch der Art in den Raum, dass die Unterkirche von San Marco aus diesem
Grunde Jahrhunderte lang nicht mehr betreten wurde und gleichsam verschollen war. Ein solcher
Umstand fand bei der Gurker Unterkirche nicht statt, und doch hat diese wegfen tillzu g-erinffer
Höhenentwickelung dasselbe gedrückte Aiissehen, welches den in die Krypta von San Marco Ein-
tretenden beengen muss. Es ist demnach in Gurk, weil hier, wie bereits bemerkt, die Umstände
nicht gleich ja nicht einmal ähnlich sind, eine bloss einfaclie, um niclit zu sagen, gedankenlose
Nachahmung des venetianischen ]\Iusters, zum grossen Nachtheile des Nachgebildeten anzunehmen,
5 S. Mittheilungen der k. k. Cent. C'omm. XI. Jahrgang Taf. IV.
6 Es hat sich in Bezug auf die Frage, ob das erste (östliche) Travee des Gurker Domes, über welchem sich gegen-
wärtig ein grosser, später eingezogener Sjutzbogen erhebt, ursprünglich als ungetheiltes gedacht war, oder in zwei Travöcs
getheilt werden sollte; es hat sich, sagen wir, über diese Frage ein Streit zwischen Karl Haas (vgl. S. 158 d. II. Bandes der
„Mittelalt. Kunstdenkmale von Heider und Eitelbergeri und Qu.ist erhoben, in welchem ich entschieden auf Quast's
Seite treten muss, indem ich zu seinen Gründen noch hinzufüge, dass die Breite des gegenwärtigen Travees um ein Be-
trächtliches grösser ist, als die Breite des Mittelschiffes, was meines Wissens sonst nirgends vorkommt. Nun könnte zwar
behauptet werden, dass dieses grosse Travee nicht als solches, sondern als Länge des unvollkommenen Querschiffes zu be-
trachten sei, dagegen aber lässt sich bemerken, einmal, dass eine grössere Länge, als die Breite des Mittelschiffes, im Querschiffe
unter die grossen Seltenheiten gehört, andererseits aber, dass sich für diese ganz abnorme Breite kein methodisches Maass finden
lässt, während dies doch der Fall bei zwei Travees wäre, die aus einer Pfeilerstellung über dem östHchsteu Pfeiler der Unter-
kirche hervorgingen. Endlich spricht für zwei Tr.ivees auch der Umstand, dem gemäss der Gurker Dom nicht nur Kathedrale,
sondern zugleich auch Kii-che eines Nonnen- und Männerklosters war; die weltliche Geistlichkeit hatte nun, wie gebräuch-
lich, ihren Platz im hohen Chore, ebenerdig; der Chor der Nonnen war über der westlichen Empore aufgebaut, und so bliebe
bloss eine über den beiden östlichsten Tiavecs erhobene Doppellangempore für die Beiiedietiiienuünche übrig. Falls demnach
auch diese allenfalls nicht ausgeführt wurde, muss man sie doch als dem ersten Anoidnungsgedanken gemäss annehmen.
2L*
144 Dr. E. Hesszlmann.
Hievon liielt sich der Fünf kirchner Architekt fern, indem er seinen zweckmässigeren Breiten ent-
!«prechend auch höhere Räume hersteUte. WiQirend demnach die Höhe vom Fussboden bis zum
Schlusssteine in Gurk kaum 10' beträgt, hat sie in Fünfkirchen 9.08' -f- 6.17' = 15.25 zum
iLiasse; jedenfalls um die Hälfte mehr'. Endlich ist auch die innere Gestaltung der Apsiden-
und Apsidiolen-Mauern weit vorzüglicher in FüntTilrchen als in Gurk, und ebenso die Beleuch-
tung eine weit stärkere als in der Kathedrale, vorzüglich wenn man bedenkt, dass die, gegen-
wärtig durch die späteren Langaiibaue nutzlos gewordenen Seitenfenster, ursprünglich der Unter-
kirche das Licht in noch ausgiebigerem Maasse zufühi-en mussten.
Alles wohlerwogen steht die FünfkircherUnterkirche au feiner viel höheren
Stufe der Entwickelung, als jene des Gurker Domes, und hat auch noch durch die Ver-
bindung mit den Capellenräumen unter den anstossenden östlichen Thürmen eine viel grössere
Ausdehnung. Ich habe nun den Beweis der oben aufgestellten Angaben in Zahlen durchzufüli-
ren; wobei ich jedoch den Leser bitten muss, mh- naclirechnend zu folgen, indem derlei Erläute-
rungen, ohne Stlbsfthätigkeit meistens resultatlos zu sein pflegen, weil hier nicht Vertrauen oder
^listrauen in des Verfassers Berechnung, sondern bloss die Überzeugung der Richtigkeit der-
selben entscheidend ist.
Das Grundmaass, aus welchem die anderen, ob kleiner oder grösser, entwickelt werden, die
soo^enannte Einheit, ist nach Sties-litz's richticj-er Bemerkun2' die Breite des Mittelsclüifes, von
Pfeileraxe zu Pfeileraxe gemessen, und zwar wurde diese Einheit im ilittelalter wie Boisser^e
sehi- richtig bemerkt, nach altrömischen Fuss berechnet ^ jedoch nicht nach zehn, — wie Bois-
seree meint, sondern nach zwölfeöUigem Fuss. Bloss in diesem Fussmaasse lassen sich die vor-
handenen Einheiten, entweder zu ganzen, oder über diese hinaus in übersichtlicheren Brüchen
zu y„ '/j, oder y^, ''/^ und ^/^ Fussmassen messen.
Wir haben in unseren vier Kirchenbeispieien zweierlei Art von Fuss; den altfranzösischen
und den Wiener Fuss, das Verhältniss derselben zum altrömischen ist:
altfranzösischer Fuss . . . IJr.iOU Wiener Fuss 14.011
altrömischer Fuss 13.090
Die Einheit der alten Kirche von Dijon war vorläufig angenommen, d. h. gemessen (vgl.
Mittheil. V. J. 1868, S. LXX) 27.75' alth-anzösisch, und daher
13.09' : 27-75 = U.iO' : x. s = 30.527' . . . altrömisch.
Hieraus ist ersichtlich, dass das eigentliche Maass zu 30yj altrömische Fuss angenommen
werden muss, was 27.72' . . . oder kürzer 27.70' altfranzösisch ergibt.
Die Einheit der Unterkirche von San Marco zu Venedior, d. h. die fünf mittleren Säu-
leno-äuge haben, vorläufig angenommen, eine Breite von 40.50 Wr. F.; dies ergäbe:
13.09U : 14.011 = 40.5 : X, x = 43.349 .. . altrömische Fuss.
Da wir jedoch hier 43y3 alti'ömische Fuss anzunehmen haben, wird die Einheit der Unter-
kirche bloss 40.48' beti-agen.
Die Einheit des Gurker Domes* misst, vorläufig angenommen, 2S.95 Wr. F.; dies
ero-ibt: 13.090 : 14.011 = 28.95' : x, x ^ 30.98 . . . altrömische Fuss; um also letztere bis zu
31 voll zu machen, werden wir der Gurker Einheit 28.96' Wiener Maass geben müssen.
' S. Fünfkirchen 1. c. Fig. 2.
* Der anonyme Mönch von Dijon gebraucht zwar die Elle, da aber diese, wie D. Plancher bemerkt, einen und einen
halben altrömischen Fuss misst, ist auch hier keine wesentliche Abweichung vom allgemeinen Gebrauch zu finden.
9 Der :ingefuhrten Abhandlung über den Gurker Dom in den .Knnstdenk. d. osterr. Kaiserstaates" sind bloss riustni-
tionen im kleinen Maassst.ibe beigegeben; ich hätte daher auf diese fussend keine richtigen Berechnungen machen können,
hätte nicht Architekt Lippert, welcher die Aufnahme für dies Werk besorgte, mir seine toten gettilligst mitgetheilt: indem
ich nun die sehr genauen Maassangaben benutzte, statte ich ihm meinen Dank tor seine Gefälligkeit ab.
Genesis dee Kathedrale von Fünfkirchen in Ungarn. 145
Die Einheit der Kathedrale von Fünfkirchen misst, vorläufig angenommen, 37.33'
Wiener Maass ; dies ergibt: 13.090 : 14.011 = 37.33' : x, x = 39.956 altrömisch; es ist nun
offenbar, dass hier 40 altrömische Fuss voll genommen wurden, was als Einheit 37.37 Wiener
Fuss gibt.
Das in der mittelalterlichen Architektur gebrauchte Maass war demnach, wie aus diesen
Beispielen hervorgeht, der altrömische Fuss und ein leicht übersichtlicher Bruch desselben; die
Einheit aber wurde auf dem Wege der Analogie, d. h. in der Nachbildung nach einem Vorbilde
bestimmt. Dies lässt sich nicht überall nachweisen ; in Venedig wurde die Krypteneinheit sicher
durch die der älteren, im Brand theilweise zu Grunde gegangenen Basilika bestimmt, mög-
licherweise nahm auch der Dijoner Meister seine Einheit aus dem älteren Gebäude herüber,
von dem er ja einzelne Theile stehen liess.
Die Gurker Einheit kann jedoch von jener der Unterkirche von S. Marco
leicht abgeleitet werden, da sie sich zu dieser annähernd wie 1 : |/2 verhält; dividiren wir
nämlich die Einheit der Marcuskrypte mit 1/2 d. h. 40.48' mit 1.414, so erhalten wir 28.62',
demnach bloss um Vs Fuss weniger als die Gurker Einheit von 28.96'; dass nun hier dieses '/j
zum methodischen Maass von 28.62' hinzugegeben wurde, ist daraus zu erklären, dass man in
der Einheit ein volles römisches Fussmass haben wollte.
Natürlicherweise ist der Gurker Architekt hiebei nicht wie wir, d. h. nicht arithmetisch
verfalircn, sondern er hat das Maass der Einheit von Venedig, als Diagonale, auf einen
rechten Winkel gelegt, und so lange verschoben, bis dessen Enden die Schenkel des rechten
Winkels erreichten; nachdem er aber fand, dass er nun durch diese Operation eine Einheit
von 30y3 altrömische Fuss erhalten, hat er noch Yä Fuss dazu gegeben, um 31 Fuss voll
zu machen.
Da, wie wir oben gesehen, die Fünfkirchner Kathedrale unstreitig eine Tochter des Gurker
Domes ist, muss es auffallen, dass ihre Einheit auf principiellem Wege von der Einheit ihres
Vorbildes nicht abgeleitet werden kann, denn diese Einheit stammt von jener der ahen
Dijoner Kirche und zwar auf einem mehi* complicirten Wege als die Ableitung der Gurker von der
Einheit der St. Marcus-Unterkirche:
Wenn wir nämlich die Einheit der Dijoner Kirche mit 1/2 — 1 multipliciren, erhalten wir
27.70 X 0.414 = 11.467' . . .
wenn wir ferner die erlialtene Summe mit I/V3 multipliciren, erhalten wir
11.467' X 0.816 = 9.35' . . .
wenn wir endlich die erhaltene Summe viermal nehmen, erhalten wir 37.40' demnach bloss
*/ioo Fuss mehr als die Fünfkirchner Einheit von 37.37' ^''.
Hiebei ist zu bemerken, dass auf graphischem Wege diese complicirt scheinende Ableitung
der Fünfkirchner Einheit von der Dijoner ebenso leicht zu bewerkstelligen ist, als jene der
Gurker von der Venezianischen (vgl. das IL Cap. meiner Szekes-Feherväri äsatAsok eredmenye),
indem das viermal zu nehmende Maass in der allgemeinen schematischen Figur vollständig
gegeben ist-
Wollten wir aber die Einheit in Fünfkirchen von jener des Vorbildes zu Gurk herleiten,
bliebe nichts übrig als zu den' 31 Fuss der letzteren willkürlich noch 9 hinzuzufügen, um auf
10 Der altfranzösische Fuss „pied du roi" ist zwar etwas grösser als der Wiener (14.400 : 14.011); doch ist der Unter-
schied nicht so bedeutend, dass er, besonders bei kleineren von der Einheit abgeleiteten Maassen , sehr auffallend wäre. Dem
früher angegebenen Verhältnisse gemäss müsste die iu unserer Art von der Dijoner abgeleitete Einheit in Fünfkirehen sich
verhalten wie 41.16... zu 31V2 altrömische Fuss, während wir für erstere bloss 40' gefunden haben. Es tritt hier dasselbe
Verhältniss ein, wie bei Kupferstichabdrüeken von einer und derselben Platte, die häufig um Vm ihrer Breiten oder Längen-
maasse von einander abweichen, je nachdem das Papier mehr oder weniger genetzt oder gestreckt wurde.
1 46 Dr. E. Henszlmasn.
40 altrömiscbe = 37.37 Wiener Fuss zu kommen, ein Vei-fahren, welches man im Mittelalter
kaum befolgte.
Die Längeneintheilung' iles Gurker Domes und der Fünfkircher Kathedrale (vgl. unseren
Holzschnitt Xr. S) ist folgende :
Gurker Dom: Wiener Fuss Kathedrale von FUnfkirehen: Wiener Fuss
a) Radius der Apside 10.65 a) Radius der Apside 15.50
hj zum Bednu der ersten Travees . . . 2.50 ^) erstes Travee 26.66
cj erstes und zweites Travee 32.50 7) zweites „ 27.07
dj halbe Pfeilerläuge 1 .50 o) drittes „ 28.02
^^ drittes Travee 17.15 ä) viertes „ 27.90
fj viertes „ 16.49 i) liiultes „ 27.91
g) fünftes _ 17.41 r,) sechstes „ 29. .50
hj sechstes „ 16.75 c-) siebentes „ 24..3I
ly siebentes _ 16.75 Gesammte Lichteniänge = 2o6.87'
kj achtes „ 16.75
Ij neuntes „ 17.. '33
mj Travee der Empore 6.50
nj Gewände des Innenportales .... 6.50
oj Lichte der Vorhalle 22.58
Gesammte Lichteniänge = 201.36
ö^
Wenn wir die Gurker Einheit zu "25^.96' mit 7 multipliciren , erhalten wir "202.02 ; es ist
demnach die Lichtenlängfe des Domes = 201.36' zu sieben Einheiten ang-etraffen.
Wenn wir die Fünfkirchner Einheit zu 37.37' fünf und einhalbmal nehmen, erhalten wir
205,48'; es ist demnach die Lichtenlänge der Kathedi-ale ^ 20G.S7' zu fünf einhalb Einheiten
angetragen.
Die Kathedrale ist somit , obwohl absolut läiig-er , relativ dennoch viel kürzer als
der Dom.
Schlagen wir jedoch n) ■\- o) ^= 29.08', d. h. eine Einheit, für die Vorhallenlänge und das
Portalgewände ab, werden wir für die eigentliche Lichtenlänge des Domes bloss sechs Einheiten,
mithin nur eine halbe Einheit mehr als in Fünfkirchen haben; und auch dies ist noch immer
beträchtlich, da gleichzeitige Kirchen in Deutschland gewöhnlich nur bis fünf Einheiten gehen,
die meisten aber selbst dai-unter bleiben; letzteres ist auch bei ungrarischen Kirchen aus dieser
Zeit der Fall.
Ihrer Ausfülu'ung nach steht sowohl der Dom als die Kathedrale nicht in der Reihe der
präcisen Kirchen des Mittelalters; man sieht dies auf den ersten Anblick der von einander ver-
schiedenen Traveelängen ; nichts destoweniger lässt sich jedoch auch hier ein methodisches
Maass finden, wenn man den Durchschnitt gleichnamiger (d. h. Chor- oder Langhaus-) Trav6es
berechnet.
So haben wir als Durchschnittsläiige der sieben Gurker Joche cJ, f), g), h). i), k) und l)
16.81 Wiener Fuss oder die methodische Zahl von 16.96', welche gleich ist 2 (|/2 — 1) j/'/o d. h.
wenn wir die Gui-ker Einheit zuerst mit 0.2929 multipliciren und dann das Resultat zweimal
nehmen, erhalten wir obige 16.96 Wr. F. als mittlere Zahl eines der sieben Gurker Lang-
haustravees. So complicirt nun auch diese Bestimmung erscheint, ist sie doch äusserst einfach,
weil wir das graphische Resultat von ( 1/2 — 1) ^/y^ in einer einzigen Linie im Gmker Schema
gegeben finden.
Auf gleiche Weise haben wir nun auch, in Hinsicht der ebenfalls nicht präcis ausgeführten
Füutkiichner Kathedrale zu verfahren, d. h. wir müssen die Durchschnittsläuge der fünf ersten
Genesis der Kathedrale von Fünfkiechen in Ungarn. 147
Travees ß), y), 8), e) und C) suchen, die wir in 27.50' finden, was einer methodischen Zahl von
27.51' entspricht. Für die Richtig-keit dieser Annahme spricht auch anderseits der Umstand,
dass sich die Länge der Füufkirchner Travees zur Länge der Gurker Travees annähernd verhält
wie 1 : V5.
Die Fünfkirchner Einheit ist 37.37', Vö <ier Gurker Einheit 23.16', ein Gurker Trav6e
16.96'. Es folgt hieraus die Äquation:
23.16' : 37.37' = 16.96' : x
wobei X gleich ist 27.36' d. h. bloss annähernd der 27.51' gleichen methodischen Trav^elänge
von Fünfkirchen.
Die Verwandtschaft, in welcher der Gurker Dom zur Unterkirche von San Marco steht,
macht, dass auch die Fünfkirchner aus dem Gurker Dome hervorgegangene Kathedrale ver-
wandte Verhältnisse mit der Krypte der Lagunenstadt aufzuweisen hat.
Die Breite eines der Travees der Unterkirche von San Marco misst 5.27' und vier solche
Travees machen die Breite eines Seitenschiffes dieser Unterkirche, welche sich zu einem Fünf-
kirchner Oberkirchenti-av^e verhält wie 1 : |/2-
\/2 der Einheit von Fünfkirchen ist gleich 52.8-4', die Einheit der Krypte von San Marco
40.48' die Breite eines ihrer SeitenschiflPe 5.27' X -1 ^ 21.08'; wir werden also haben:
40.48' : 52.84' = 21.08' : x
und x = 27.51', d. h. der Länge eines Travees in Fünfkirchen.
Ich habe diese Verhältnisse benützt, um auf dieselben fussend die Länge eines Travdes in
Dijon zu finden, und zwar indem ich letztere zur doppelten Grösse eines Venezianer Travees
angenommen.
Die Einheit der Unterkirche von Venedig ist 40.48', die Einheit in Dijon war 27.70', die
doppelte Einheit demnach 55.40', das Maass eines Travees in Venedig 5.27', woraus
40.48' : 55.40' = 5.27' : x, x = 7.21'.
Wie aber diese Grösse mit der ganzen Anordnung und den Angaben der Schriftsteller
richtig stimme, davon kann sich der Leser überzeugen, wenn er das IV. Heft des Jahrg. 1868
der „Mittheilungen" zur Hand nimmt, wo er die Zeichnungen und Maassangaben der alten Dijoner
Kirche finden wird.
Die angenommene Traveelänge von Dijon würde sich demnach zu jener von Gurk verhal-
ten haben wie Vg : 1. Die Einheit von Gurk ist 28.96', das Trav^e in Gurk misst 16.96' und y^
der Dijoner Einheit zu 27.70' sind gleich 12.32' demnach
28.96' : 16.96' = 12.32' : x
X aber ist gleich 7.21' d. h. der oben gefundenen Länge eines Dijoner Travees.
Es ist früher gesagt worden, dass die Pfeiler, welche die Langhaustravees bilden, in Gurk
und in Fünfkirchen dieselbe verhältnissmässige Höhe haben, und zwar in Fünfkirchen die metho-
dische von 28.43' (gemessen 28.61'), in Gurk von 22.03'; woraus die Äquation
28.96' : 37.37' = 22.03' : x
und X = 28.43' d. h. der Gesammthöhe des Langhauspfeilers vom Fussboden bis an die oberste
Linie seines Kämpfers.
Es ist nun bei verhältnissmässig gleicher Höhe der Langhauspfeiler ein grosser Fortschritt
in der Kühnheit der Construction, dass die Travees in Fünfkirchen, wie wir oben gesehen, um '/^
grösser sind als jene von Gurk, doch mussten, um dieses Resultat erlangen zu können, erstere
auch stärker gemacht werden.
In Gurk haben die Pfeiler einen quadratischen Grundriss, welcher 3' (methodisch 3.07)
zur Seite hat, in Fünfkirchen aber bildet der Grundriss ein längliches Rechteck, dessen läne-ere.
148 Dr. E. Henszlmakm.
von Ost nach West stehende Seite 5.61 , die kürzere, von Nord nach Süd stehende 5.08' (metho-
disch 4.99 ) niisst.
Das Verh.Hltniss der Gurker Länjrc und Breite des Pfeilc'r<rrundrisses zur Läno^e der Fünf-
kirchner ist nun 1 : | 2.
Die Gurker Einheit ist 2S.96', |/2 der FüutTiirchner Einheit 52.84 und die Seite eines
Gurker LanghausplVilers 3.U7 , daher:
28.96' : 52.84' = 3.07' : x
X aber ist gleich 5.61' d. h. der Länge des Fünfkirchner Langhauspfeilers.
Das Verhältniss der Gurker Langhauspfeilerbreite = 3.07' zur Breite des Fünfkirchner
Langliauspfeilers = 4.99' aber ist annähernd V5 : Yj, d. h. dasselbe, welches wir oben als Ver-
hältniss der Länge der Travees gefunden haben.
Vs der Gurker Einheit sind gleich 23.16', die Einheit von Fünfkirchen 37.37', die Seite
eines Gurker Pfeilers im Langhause 3.07', daher:
23.16' : 37.37' = 3.07' : x
und X ist gleich 4.95 d. h. annähernd der Breite des Langhauspfeilers in Fünfkirchen.
Wie die meisten Pfeiler der beiden Kirchen eine verhältnissmässio- g-leiclie Höhe haben,
ist dies auch bei der Gesammthöhe der beiden Gebäude, vom Boden bis an das Dach der Fall,
denn beide sind zwei Einheiten hoch, und zwar* das von Gurk 28.90' X 2 = 57.92' und jene
von Fünfkirchen 37.37' X 2 = 74.74'.
Diese verhältnissmässige Gleichheit wird noch auffallender, weil sie nicht, wie bei den
meisten anderen mittelalterlichen Gebäuden, von einer bestimmten Sockellinie unten, sondern
vom Erdboden beginnt, was allerdings, wegen gewöhnlicher Erhöhung des Erdreiches im Laufe
der Zeit, nicht gehörig bestimmt erscheinen kann; nun tritt aber in beiden Kirchen der Umstand
ein, dass eine grössere Bodenerhöhung durch die Zeit, wenigstens an der Ostfi-onte , nicht gestat-
tet werden konnte, weil die Unterkirchenfenster bis an die Bodenlinie hinabreichen; das Ausser-
gewöhnliche findet daher hierin seine Entschuldigung, zugleich aber bestätigt es die Herkunft
der Kathedrale vom Dome, eben desshalb, weil es, obwohl aussergewöhnlich, am jüngeren Gebäude
so gut als am älteren vorkömmt.
Wenn wir die Höhen der Hauptapsiden von Fünfkirchen und Gurk untereinander ver-
gleichen, werden wir ein annäherndes Verhältniss der ersteren zur letzteren von % zu 7$ finden.
Ich habe in Fünfkirchen zwischen der höchsten Linie des Obersockels und dem ursprüng-
lichen Dache, dessen Anfang durch ein Stück des noch vorhandenen Endes vom alten Kranz-
gesimse bestimmt wird, gefunden 39' 8" Wiener Maass, was der methodischen Zahl von dreiviertel
der Wm-ztl aus Zwei der Fünfkirchner Einheit entspricht, d. i. V^ von 52.84' =39.63'. In Gm-k
messe ich dieselbe Höhe des Körpers jedoch vom unteren Sockel bis zum Dachanfang nach Lippert's
Angaben annähernd zu 33.90', was (^2 — 1) j/y, viermal genorumen entspricht, indem dies gleich
ist 28.96' X 0.2928 = 8.479' und dies viermal genommen 33.91' gibt.
Nun haben wir für Vs der Gurker Einheit 32.58', die Fünfkirchner Einheit zu 37.37' und
die Höhe der Giuker Hauptapside vom Untersockel bis zum Dache zu 33.91', daher die Äquation:
32.58' : 37.37' = 33.91' : x
X ist gleich 38,89' demnach bloss annähernd der Höhe von 39.63' der Fünfkirchner Apside.
Ich habe nun zu bemerken, dass ich die Cote der Gurker Höhe nicht genau kenne, sie
demnach bloss auf der Kupfertafel (XXIX. Bd. 11 der „Mittelalt. Kunstdenkmale ■*) gemessen
habe und dass derlei Messungen sehr unzuversichtlich sind, da, je nachdem, wie bereits bemerkt,
das Druckpapier melir oder weniger beim Drucke genetzt und gedehnt wird, ein Fehler von '/«
und mehr, demnach hier von beinahezu einem ganzen Fuss leicht vorkommen kann.
Genesis der Kathedrale von Fünfkiechen in Ungarn. 14"
Auch von den Gurker Apsidialhülien habe ich keine Cotenliöhe, demnach ich dieselben mit
jenen der Kathedrale in Fünfkirchen nicht vergleichen kann.
Eine bemerkenswerthe Thatsache ist aber die, welche mehr noch als die bisher angeführten
für die steigende Kühnheit in der Construction spricht, und welcher gemäss zwischen den Mauer-
stärken der beiden Gebäude das Verliältniss von V3 in Fünfkirchen zu V3 in Gurk eintritt; indem
die Mauerstärke der Kathedrale bloss 3.05', jene des Domes aber 3.53' misst.
Die Gurker Einheit ist 28.90', V3 der Fünfkirchner Einlieit geben 2i.90', die Dicke der
Langhansmanern im Seitenschiffe von Gurk misst 3.53', wir haben demnach:
28.96' : 24.90' = 3.53' : x
und X ist gleich 3.0-i' d. h. der Dicke der Langhausmauern im Seitenschiffe der Kathedrale von
Fünfkirchen.
Diese erörterten Verhältnisse haben die genetisclien Beziehungen der Oberkirche von Gurk
zu jener von Fünfkirchen ausser Zweifel gesetzt; Ein anderes ist es mit der Unterkirche, da
die von Gurk der Anlage der Fünfkirchner bloss im Allgemeinen zum Vorbild diente, die Haupt-
verhältnisse aber, jene der Säulen, anderswoher als aus Gurk herzuleiten sind.
Die Gurker Unterkirche hat eine etwas grössere Länge und Breite als jene von Fünfkirchen;
das Abwechseln von sehr starken Pfeilern mit schwachen Säulen ist beiden gemeinsam; da wir
aber in Fünfkirchen bloss zwei Pfeilerpaare gegen drei in Gurk haben, findet sich auch an ersterem
Orte ein Travee weniger.
Zuvörderst stehen die Fünfkirchner Unterkirchenpfeiler in einem weit besseren Verliältnisse
zu den von ihnen getragenen Pfeilern der Oberkirche als in Gurk und sind verhältnissmässig
viel schwächer; da übrigens die methodischen Grössen der Fünfkirclmer Unterkirchenpfeiler zu
jenen der Gurker Unterkirche nicht leicht darstellbar sind, lassen sich diese Verhältnisse kaum
von den Gurkern herleiten.
Bezüglich der beiden Trav6elängen in Fünfkirchen (siehe ß und 7 auf S. 146), die östliche
zu 26.29', die westliche zu 27.00' angegeben, glaube ich, dass letztere die oben für die
Langhaustravöes gefundene methodische Grösse von 27.51' haben sollte; in Gurk aber ist die
Verschiedenheit der grossen Kryptentrav^es noch bedeutender, da wir hier 14.04', 16.88',
17.25' und 14.20' haben.
Ebenso wenig ist in Gurk die Breite der Seitenschiffe methodisch bestimmt, während sie in
Fünfkirchen gemessen 15.58' beträgt, was der methodischen Grösse von ]/2 — 1 = 15.47'
entspricht, denn 37.37' X 0.414' gibt 15.47'.
Gleich verschieden von einander sind die kleinen, d. h. die Sävilentravöes in Gurk, worin
sie den untereinander ebenfalls ungleichen Säulentravöes der Marcus-Krypte ähneln, während in
Fünfkirchen die Säulentravöe« ziemlich gleiche Länge und Breite haben. Der Durchschnitt der
Längen ist 13.32', der Breiten bei allen gleichmässig 12.45' d. h. Va c^er Einlieit, denn drei
solcher Travöes nehmen die Mittelschiffbreite der Unterkirche ein. Zwei Säulentravöes befinden
sich in einem grossen Pfeilertrav^e der Kirchenlänge nach. Ist min meine Vermuthung begründet,
der gemäss der Projectant die Länge des letzteren zu 27.51' angenommen liätte, wäre in der Hälfte
dieser Grösse = 13.75' ein Mass vorhanden, welches sich zum Dijoner Säulentravee verhielte wie
1/2 : 1 , was oben bcAviesen wurde. Wir könnten hier also die alte Dijoner Kirche als Vorbild
annehmen, oder aber von der Fünfkirclmer Nachahmung auf die Richtigkeit meiner Annahme der
Grössen der Dijoner Travöes zurückschliessen. In Bezug auf die Unterkirchen-Säulentravees von
San Marco tritt zwischen diesen und jenen in Fünfkirchen ein Verliältniss ein von 1 : 2 ]/2.
Diese schon ausführlich dargethane Verwandtschaft zwischen den methodischen Maassen
von Dijoii und Fünfkirchen wird aber noch auffälliger, wenn wir die Säulen der beiden den Ge-
XIV. 22
löO
Dr. E. Hbnszlmakk.
ffenstand unserer Betrachtung bildenden Unterkirclien untereinander und dann auch mit jenen
von San Marco und Gurk vergleichen , wobei die der ersten und zweiten Kirche und dann die
der dritten und \-ierten einander näher, 1 und 2 aber von 3 und 4 entfernter stehen.
Der nähere Beweis ist folgender:
Verschiedene Durchmesser.
Venedig i Fig. 3)
■i Breite der Abacustafel ? —
? Oberer Säulendurchniesser V —
S Unterer ^ 0.66 —
-? Breite der Plinthe 1.30' —
oMS
Gurk (Fig. 4V
1.25
0.58
0.62
1.21
t- 1.50' ^ f
Fig. 3.
Fig. 4.
Das Maass der Breite der Abacustafel und des oberen Durch-
messers der Kr>-ptensäule von San Marco ist mir nicht bekannt;
der untere Säulendurchmesser hat 0.66', jener von Gui-k aber 0.62
zum Maasse,
es tritt nun hier das Verhältniss vom Gurker zum venetia-
nischen wie ^/^ zu Vs ein.
Vs der Gm-ker Einheit geben .38.61'. die Einheit in S. Marco
ist 40.48', der untere Durchmesser der Giu-ker Säule 0.62 , wir
haben also:
38.61' : 40.48' = 0.62' : x
und X = 0.65' d. h. dem Durchmesser in San Marco.
Ein bestimmtes Verhältniss tritt auch zwischen den beiden Plinthentafelseiten ein; denn
wenn man die unteren Säulendurchmesser doppelt nimmt, hat man in \'enedig 0.65' X 2 = 1.30'
in Gurk 0.62' X -' = 1-24 .
Höhen der Säulen.
Venedig.
Höhe des Kämpfers
,. _ Capitäls
.. Schaftes
_ Fusses
der Plinthe
1.22
3.54'
0.97'
Gesammthühe
5.73
Gurk.
0.62
0.S8
3.64
0.74
0.24'
6.12
Im Ganzen verhält sich nun die Höhe in San Marco zur Höhe in Gurk wie Vs zu Vs-
Wir haben Vs der Einheit der Krj'pte in Venedig zu 26.98', die Einheit in Gurk zu 28.96'
und die Höhe der Säule in San Marco zu 5.73', daher:
26.98' : 28.96' = 5.73' : x
und X = 6.15' oder der Säulenhöhe der Gurker Unterkirche.
Man kann jedoch die Ableitung auch noch weiter verfolgen; so verhält sich:
die Kämpfer- und Capitälhöhe in San Marco zusammen zur Kämpferhöhe in Gurk wie
|/2 : 1 , und umgekehrt
die Schafthöhe in San Marco zur Schafthöhe in Gm-k wie 1 : |/2, endlicli
die Höhe des Fusses und der Plinthe zusammengenommen in San Marco zur Höhe der
Plinthe allein in Gurk wie \/i : Vs-
Nachdem dies vollkommen genügen kann, die Ableitung der Kryptensäule in Gurk von
jener der San Marco-Unterkirche zu constatiren , gehen wir zu einer Vergleichung der Säule in
Fünfkirchen mit jener von Dijon über, wie letztere, nach den neuesten Ausgrabungen, in Sargots
angeführtem Werke und dessen Zahlenangaben bekannt wurde.
Genesis der Kathedrale von FünfkirOhen in Ungarn.
151
Breite der Abacustafel . .
Oberer Säulendurchmesser
Unterer „
Seite der Plinthe . . . .
Verchiedene Durchmesser.
Dijou (Fig. 5). Fünfkirchen (Fig. 6).
? — 2.00'
1.53 ■? - 1.08'
1.60' — 1.24'
? — 1.7.Ö'
Es verhält sich nun der untere Durchmesser der Säule
in Fünfkirchen zii jenem der in Dijon ausgegrabenen Säule
wie 1 : |/3.
y^ der Dijoner Einheit ist 27.70' X 1.732 = 47.93',
die Einheit von Fünfkirchen 37.37', der untere Durchmesser
in Dijon aber l.GO', demnach: 47.93' : 37.37' = 1.60' : x
und X = 1.24 d. h. dem unteren Durchmesser in Fünf-
kirchen; ferner hat der obere Durchmesser in Fünfkirchen
genau die verhältnissmässige Hälfte des unteren in Dijon
zum Maasse.
Die Dijoner Einheit ist 27.70', die halbe Fünfkirchner
Einheit 18.68', der untere Durchmesser in Dijon 1.60',
Fig. 5.
Fig. 6.
daher: 27.70 : 18.68' = 1.60' : x, x = 1.07' oder dem oberen Durchmesser in Fünfkirchen.
Höhen der Säulen.
Höhe des Kämpfers
Capitäls .
Schaftes .
Fusses .
der Plinthe
Gesammthöhe
Dijon.
2.43 '
5.88'
0.94'
0.31'
9.56' — 9.09'
Fünfkirchen.
— 0.88'
— 0.64'
— 6.25'
— 0.98'
— 0.34'
So tritt hier in der Gesammthöhe das sein- einfache Verhältniss von |/2 : 1 ein.
]/2 der Dijoner Einheit ist 39.16', die Fünfkirchner Einheit 37.37', die Gesammthöhe der
Dijoner Säule misst 9.56', daher: 39.16' : 37.37' = 9.56' : x, x = 9.12' oder der Gesammthöhe
in Fünfkirchen.
Die beiderseitigen Detailhöhen können wir nicht ebenso, wie in den Säulen von Venedig
und Gurk von einander ableiten, was daher kömmt, dass in Fünfkirchen eine ganz andere For-
mation des Capitäls und des Fusses eintritt, die sich wieder mehr an die Bildung der gleich-
namigen Glieder in Gurk und Venedig anschliesst, ohne zugleich deren Maassverhältnisse zum
Muster zu nehmen.
Obschon nun , wie oben angegeben wurde, das Grössenverhältniss zwischen der Gurker
und der San Marco-Säule ein näher verwandtes ist, als zwischen jener von Dijon und San Marco,
lässt sich der Einfluss des Dijoner Baues auf die Unterkirche von San Marco dennoch in Folgen-
dem nachweisen.
Ein Travee der ünterkirche von San Marco gibt die verhältnissmässige Hälfte eines Trav^es
der Dijoner Kirche;
ferner wurde die sehr- bedeutende Höhe des Dijoner Säulencapitäls zur Höhenbestimmung
des Schaftes der niederen Säule in der Krypte von San Marco gebraucht:
27.70' : 40.48' = 2.43' : x
X = 3.55' oder der Schafthöhe von 3.54' in der Krypte von San Marco;
22*
152 Dt- E- Henszlmann. Gexesis der Kathedrale von Fi-nfkirchen in Incaus.
endlich verhält sich die Höhe des Säiilenfusses in Dijoii zur Höhe des Fusses und der
Plinthe zusmumengenounuen in S. Marco wie |/2 : 1.
|/2 — 1 der Dijoner Einheit ist 39.16', die Einheit der Krypte von San Marco 40.48', die
Höhe des Säulenfusses in Dijon 0.94', demnach: 39.16' : 40.48' = 0.94 : x und x = 0.96 oder
der Summe des Fusses und der Plinthe einer Ki-j^jtensäule von San Marco.
Es geht hieraus hervor, dass sich eine Kette der Verwandtschaft von der alten Dijoner-
kirche durch die Zwischenglieder von San Marco und Gurk nacli Fünfkirchen zieht; dass jedoch
in der Unterkirche der Kathedrale die Mittelglieder von Gurk und Venedig übersprungen werden,
um zur Quelle zurückzukehren und aus dieser die weit angemesseneren gewünschten Grössenver-
hältnisse zu schöpfen, wesshalb es nicht unwahrscheinlich ist, dass der Erzbischof von Fünfkirchen,
Calanus, sich eines Dijoner Benedictiners zum Entwerfen seiner Kathedrale bediente. Wir wissen,
dass Calanus, ein Dalmatiner von Geburt, häutig als diplomatischer Unterhändler mit Venedig
gebraucht wiirde ; auf einer seiner Reisen daliin mag er nun auch Gefallen am neuerbauten
Gurker Dome gefunden haben, welcher sowohl seiner Grösse und reichen Decoration, als auch
seines für den Osten ziemlich neuen Styles wegen zuversichtlich grosses Aufsehen zu jener Zeit
erregte. Hieraus ist erklärlich, dass man sicli in Fünfkirchens Oberkirche strenger an das Vorbild
der Gurker Oberkirche hielt, dagegen musste man in der Unterkirche von diesem Vorbilde ab-
weichen, wollte man einen zweckmässigeren Bau herstellen; da nun aber der Bau sich hier den
bekannten Verhältnissen der alten Dijoner Kirche anschliesst, und zwar in allen wesentlichen Ver-
hältnissen der Säule , kann man diese Übereinstimmung durchaus nicht als zufällig betrachten,
sondern mnss nothgedrungen eine Bekanntschaft mit dem Dijoner Gebäude bei dem Projectanten
von Fünfkirchen voraussetzen und diese lässt sich nicht leichter erklären, als wenn man in ihm
einen Dijoner Mönch vermuthet, da ja um jene Zeit sehr häufig französische Benedictiner nach
Ungarn kamen, so dass sogar die Privilegien dieses Ordens und der Cisterciten nach den Privi-
legien, welche diese Orden in Frankreich genossen, abgcfasst wurden.
Ich darf ferner behaupten, dass sich der aufmerksame Leser aus den angeführten Form-
und numerischen Beweisen auch noch von der Wahrheit folgender Sätze überzeugen konnte:
1. Dass die von mir wiederaufgefundene Verhältnissbestimmungsmethode (vgl. das zweite
Capitel meiner Feh6rväri äsatäsok) wirklich im Mittelalter angewandt wurde.
2. Dass diese Methode Jahrhunderte hindurch im Gebrauche war; denn ich habe hier deren
Anwendung in Kirchen, deren Gründung zwei Jahrhunderte auseinanderliegt, nachgewiesen.
3. Dass die Architekten des Mittelalters, obschon sie sich einer bestimmten Methode
bedienten, dennoch innerhalb derselben ein sehr weites Feld zur Wahl ihrer Verhältnisse hatten;
es ist also ein ganz ungegründeter Vorwurf, wenn man behaupten will, dass dieses System den
Bamneister zur blossen Rechenmaschine mache.
4. Dass die Wahl leichterer Verhältnisse einen chronologischen Fortschritt in der Con-
structionsart beweist.
5. Dass im Mittelalter der Verkelu- zwischen den entferntesten Ländern ein weit lebhafterer
war, als wir heutzutage vermuthen und dass diesem Verkehre nicht nur die Verbreitung der Bau-
kunst, sondern auch Verwandtschaften zu verdanken seien, die man, aus Unkenntniss der alten
Methode, bisher für bloss zufällige zu halten gewohnt war.
6. Dass die hier befolgte üntersuchungsart, welche ich richtig eine verglei chende archi-
tektonische Anatomie zu nennen glaube, kritisch angewandt auch zur Förderung der Bau-
chronologie höchst bedeutend beitragen könne; wenn man dabei nnr die Mühe und Arbeit nicht
scheuen will, welche wirklich sehr bedeutend ist.
Tnent.
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MIVNIO 5lLANO'Q^VlnCIO'CAMEMNOCo5
IdIBVS' MARTIs ' BAl^-lNTKAITORIO LDICTVM
TlCLAVDrCAESAMSAVGVSIlGEP.MANlCirR0r05ITVM'r/rt-ID
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TlCLA\T)lV5'CAESAKAyGVSTVSCfRMAN[Cy5'rONT
MAXlMtRIßronST'Vl'IAVrXI- r-r-COS-DESIGNAlVS liri' DlClt
CvM'EXjV£IEMBV5CONlROVERSlsrETemiBV5ALlQyAMD[VETIA>A
T£NVP0MBVS'tK:AESXKI5rAtKVI-MEl'ADQyAS'0B<DlNAVDAS
rlNAKlVN\ArOLLINAR.EM'?vMSIRAT- QVAETANtVMM.ODO
imEB.COMENSE5'ES5LNt-QyANtYM'MEM.OPcIA?^tfEPvO' Et
BEP.GAIE05 ^ r5(XyErKlMN/A\XrSENTlArEMINAClTAmvfMEl
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DEtVlEMT^CAA\VPvIYS'STATVtVSADA\EAGF.OS-nER.0SQyE
ETSALTV5'MeItvR.IS-E5SEIN^EHTKA£SENTE!v\>M.ISI
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1S3
Ein Edict des Kaisers Claudius.
Von Dr. Fr. Kenner.
(Mit einer Tafel).
J_/as wichtigste der epigraphischen Denkmälei', welche in der jüngsten Zeit diesseits der Alpen
gefimden worden sind, ist eine Bronzetafel, auf die man am 29. April 1869 in den sogenannten
„schwarzen Feldern" (campi neri) an der "Westseite von Cles, dem Hanptorte des Nonsberges,
nördlich von Trient, bei einer zufälligen Grabung auf dem Grunde des Herrn Jakob Moggio
zwei Schuh unter der Oberfläche gerieth und welche in den Besitz der Stadt Trient überging.
Die „Voce cattolica" vom 1. Mai d. J. brachte die erste Notiz davon; darauf theilte „il
Trentino" vom 3 Mai (Nr. 99) den Inhalt der Inschrift mit, welche die Tafel enthält. Überdies
ging der k. k. Central-Commission ein genauer und sorgfältiger Bericht des Conservators, Herrn
Prof. J. G. Sulz er in Trient zu, welcher von einem lithographirten Facsimile der Inschrift be-
gleitet war\ Der letztere bildet die Grundlage für die nachfolgende Besprechung des Denkmals.
Die Tafel ist 18 Zoll 10 Linien (50 Cm.) hoch, 157,, Zoll (38 Cm.) breit, % Zoll (7 Mm.)
dick und 13 Wiener Pfund schwer; sie besteht aus feiner Bronze von aschgrauer Farbe und ist
trefflich erhalten. Auf der Schriftseite zeigt sich eine seichte Vertiefung, die nur zwei Zoll breit
ist und durch den Druck eines liarten Gegenstandes hervorgerufen zu sein scheint, etwa eines
Steines, auf den die Tafel mit der Schriftseite zu liegen kam; als man sie fand, war diese nach
abwärts gekehrt.
Die aus 37 Zeilen bestehende Inschrift ist mit einem einfachen seichtgekehlten Rahmen
von der Breite eines halben Zolles (13 Mm.) umgeben, der in den vier Ecken Löcher zeigt; die
Tafel war also mit Nieten an einer Wandfläche befestigt.
Wir geben nun zunächst den Wortlaut der Inschrift, knüpfen daran Bemerkungen über ein-
zelne Stellen derselben und zum Schlüsse über die Schreibweise luid die Fundstelle.
1. Die Inschrift- der Tafel lautet:
iM(arco) Juiiio Silaiio, Q(uinto) Snliiicio Canierino co(n)s(ulibus j ^idibus iMartiis Baus in praetorio edic-
tum I iTii^berii) Claudii Caesaris Augnsti Germanici pi-opositum fuit, id | ^quod iiifra scriptum est.
5Ti(berius) Claudius Caesar Augustus Gerraanicus pout(ifex) | «maximus Irib(unicia) potest(ate) sextum
Imperator undeeimum p(ater) p(atriae) co(n)s(ul) designatus quartnm dicit:
1 Kurz vor dem Beginne der Drucklegung der folgenden Zeilen erhielt ich durch die Güte des Herrn Prof. Theodor
Mommsen in Berlin einen Abdruck seiner Erläuterungen desselben Gegenstandes, welche im Hermes Bd. IV, Heft I,
S. 99—131 enthalten sind; auf diese beziehen sich die mit dem Namen des berühmten Forschers bezeichneten Hinweisungen
im Texte des hier folgenden Aufsatzes. — - Wo in der Abschrift Trennungspunkte nicht angegeben sind, da fehlen sie auch
im Original. Vgl. die Abbildung .auf der beiliegenden Tafel, welche nach der in Trient bei Scottoni und Villi angefertigten
Lithographie reducirt ist.
1S4 Dk. Fk. Kenxkk.
'Cum ex. veteribus controversiis petentibus (sie) aliquanidiii etiaiii steinpoiibiis Ti(berii) Caesaris patrui
inei, ad qnas ordinandas »Pinarinui Apolliiiaiem iniseiat, quae tantuni modo "«inter Comenses cssent
(quantiim memoria refero) et «"Bertcaleos, isquo i)riiimm ajisentia (sie) jipitinaci iiafrui mei '=deinde eliam
Gaii principatu (quod ab eo non uxigebatur) isrcferre iion stalte qnideni iie^lexserit et posteae (sie) • <*detu-
lerit Camurins Statutus ad me agros plerosque «set saltiis mei iuris esse: in rem i)iaesentem misi i'Plantam
Juiium amioum et comitem meum, qui «"cum, adhibitis procüratoril)us meis (|uisque (sie) in alia "^retrione,
quique in vieiuia erant, summa cura inqui '»sierit et cognoverit, cetera (|iiidcni ut mihi demons 2"trata eom-
nientario facto ab ipso sunt, statuat pronun 2'tietque ipsi ])ermitto.
ä^Quod ad eondieionem Anaunoium et Tuliiassium et Sinduno "rum pertinct quorum parteni delator
attributam Triden -*tinis partem ne adtiibutani (|nidcm aiiiuisst' dicitur, =M:ini et si animadverto non nimiuin
tirmam id genus homii-^num habere civitatis Konianae orii^ineni: tarnen, cum longa ^nisurpationc in i)ossessio-
nem (sie) eius fuisse dicatur et ita permixiastum cum 'J'ridentinis, ut diduci ab iis sine gravi splendi(di)
municipii =9iniuriä non possit, patior eos in eo iure in quo esse se existima!s»verunt permancre beneficio
meo, eo quidem libentius, quod s'plerisque (sie) ex eo genere bominum etiam militarc in praetorio | s^meö
dicuntur, (|uidam vero ordines (|Uo(|ue duxisse I ssnonnuUi collecti in decurias Eomae res judicare |.
=*Quod beueficium iis ita tribuo ut quaecumque tanquam '. 35cives Komani gesserunt egeruntque aut
inter se aut cum ^sTridentinis aliisve ratam (sie) esse iubeat (sie, jubcanri nominaque ea 5"(|iiac liabue-
ruut antea tanquam cives Komani, ita habere iis permittam.
Der Inhalt der Inschrift Ist in fünf Alinea eingetheilt, welche äu.sscrlicli kennljnr sin«! durch
das Vortreten der zwei ersten Buchstaben des ersten Wortes jedes Alinea über die Cohunne in
der die Anfangsbuchstaben der übrigen Zeilen stehen. Das erste Alinea (Zeile 1 — 4) enthält die
auf die Registrirung bezüglichen Angaben: Datum, Ort der Ausstellung und die
Gattung, in welche das Actenstück gehört. Wie wir noch sehen werden, ist es ein am 15 März 46
(n. Chr.) erlassenes Ediet des Kaisers Claudius, also eine proprio motu vom Kaiser getroffene
Verfügung^, welche im Praetorium zu Baiae öffentlich ausgestellt wurde (propositum fuit).
Das zweite Alinea (Zeile 5 und 6) enthält den Eingang des Actenstückes, Namen und
Titel des Kaisers mit dem charakteristischen Zeitworte dicit (verordnet), an welches sich der
Inhalt der Verordnung knüpft.
Dieser selbst besteht aus zwei Theilen, von welchen der eine im dritten Alinea (Zeile 7 —
21j, der andere im vierten (Zeile 22 — 33) und im fünften (Zeile 3-4 — 37) behandelt wird.
Der erste Tlieil betrifft die Streitiofkeiten über das Eicjenthumsrecht auf gewisse Grund-
Stücke, zu deren Verständniss wir die folgenden Bemerkungen vorausschicken. Wie bei allen P^robe-
rungen der Römer, so wurde auch bei jener des südlichen Theiles von Raetien Grund und Boden
als Eigenthum des römischen Staates eingezogen und der in Cultur befindliche Theil zur Anlage
einer römischen Ansiedlung benützt, der übrige Theil aber verkauft oder gegen Grundzins ver-
pachtet*. Die alten Einwohner verloren das Grundrecht, ihre frühere staatliche Eintheilung wurde
zerrissen und in veränderter Weise (als pagi und rcgiones) neu gebildet; in dieser Form wurden
sie theils den neuentstehenden Stadtgemeinden mit römischer Verfassung zugetheilt'', theils
blieben ihre pagi iind regiones direct dem Statthalter unterstellt. Die ersteren waren an die
betreffende Gemeinde steuerpflichtig, ohne activen Antheil an ihrer Verwaltung zu haben. Solches
geschah auch mit den raetischen Stämmen; die Bergalei waren den Einwohnern von Comum zuge-
theilt wordeii. Einige von ihnen mögen sich, statt für Unterthanen, für Bürger von Comum gehalten
und nun Äcker und Weiden, welche vom Staate der letzteren Stadt geschenkt worden waren, als
ihr Eigenthum betrachtet haben. Daraus entstand ein Besitzstreit, zu dessen Beilegung Tiberius
^ Als solche steht formell das edictum eines Kaisers der lex und dem Senatns Consiiltum gegenüber, hat aber dieselbe
bindende Kraft, wie die Ijeiden letzteren. Walter, Komische Heclitsgusrhichte 2öj. Den kaiserlichen Kescripten können die Edicte
insofern entgegengesetzt werden, als die ersteren auf eine Eingabe, ein Bittgesuch erfolgen, letztere aber, wie oben bemerkt,
jiroprio motu ergehen, also eine Eingabe nicht voraussetzen. Zell, llandb. d. röm. Epigraphik II, S. 281. — ' Becker-
Jlarquardt III i, S. 314 f. — ^ A. a. 0. S. 242.
Ein Edict des Kaisers Claudius. 1S5
den Pinarius ApolHnaris .ibsendete. Allein dieser iinterliess darüber Bericht zu erstatten, ohne
an dieser Versämnniss Schuld zu tragen, indem einerseits Tiberius durch die letzten zehn Jahre
seiner Regierung von Rom abwesend war (apsentia pertinaci) und sich um die Regieriings-
geschäfte, zumal wenn sie untergeordneter Art waren, nicht kümmerte, andererseits weil der
folgende Kaiser Gaius(Caligula 3 7 — 41) den Bericht nicht abverlangte. Die Sache schlief daher ein
nnd wurde erst dadurch wieder angeregt, dass der Angeber Camurius Statutus dem Kaiser
Claudius einen analogen Fall zur Anzeige brachte. Auch zwischen dem Municipium Tridentum
und den drei Nachbarstämmen der Anauni, Tuliasses und Sinduni war nämlich ein die Ländereien
des Municipium betreuender Streit ausgebrochen, obwohl, wie der Angeber bemerkte, ein Theil
dieser Stämme dem Municipium gar nicht zugetheilt, also eine Streitfrage eigentlich gar nicht
möglich war. Darauf ordnete der Kaiser den amicus und comes Julius Planta als Commissär ab.
Dieser hatte mit Zuziehung der in der Nähe und der in anderen (entfernteren) Gegenden befind-
lichen kaiserlichen Procuratoren die Streitfrage mit grüsster Sorgfalt untersuchen müssen. Nach-
dem das Ergebniss dem Kaiser vorgelegt ist, entscheidet nun dieser im ersten Theile des Edictes
dahin, dass Julius Planta ermächtigt sein solle, die im Sinne seines motivirten Berichtes nöthigen
Verfügungen zu treffen und bekannt zu machen (Zeile 19 — 21)".
Zugleich hatte er aber, wohl auch auf eine Anzeige des Camurius Statutus hin, das römische
Bürgerrecht der drei Stämme aus der Umgebung von Tridentum zu untersuchen und auch dar-
über zu berichten. Das Ergebniss war, dass allerdings die meisten Angehörigen der drei Stämme
ihr Bürgerrecht nicht allzu bündig nachzuweisen vermochten; dass aber andererseits die Angele-
genheiten der drei Stämme schon zu sehr mit denen des löblichen (splendidi) Municipium
Tridentinum verwachsen waren, als dass man sie ohne zu grossen Schaden des letzteren aus-
scheiden konnte. Auch hatte bei vielen aus den genannten drei Stämmen eine indirecte Anerken-
nung ihres Bürgerrechtes von Seiten des Staates stattgefunden, indem einige von ihnen noch eben
damals in der Garde des Kaisers dienten, andere schon früher Hauptleute gewesen waren (Zeile
31, 32), wieder andere aber, in dieRichter-Collegien zu Rom aufgenommen, dort (als Geschworne)
Recht sprachen. Beides konnte nun nur geschehen in der Voraussetzung, dass sie römische Voll-
bürger seien, Avas ihnen ein factisches Anrecht auf die Civität gab; solchen Leuten konnte man
das Bürgerrecht doch nicht mehr nehmen. Aus diesen Gründen wohl empfahl Julius Planta dem
Kaiser, die drei Stämme auf dem Gnadenwege in dem Besitze des Bürgerrechtes zu bestätigen.
Diese Entscheidung nimmt den zweiten Theil des Edictes ein, in welchem das vierte Alinea
die Verhältnisse der Stämme bezüglich des Bürgerrechtes, die Bestätigung desselben auf dem
Gnadenwege und die Fälle indirecter Anerkennvmg als deren specielle Motive nennt; im fünften
Alinea werden die mit dieser Gnade des Kaisers verbundenen Befugnisse erwähnt, sie bestehen
in der rückwirkenden kaiserlichen Genehmigung aller Rechtsgeschäfte, welche die drei Stämme
mit den Tridentinern, untereinander und mit Dritten gehabt hätten, dann in der Erlaubniss, jene
Namen fortzuführen, die sie früher in der Meinung römische Bürg-er zu sein geführt hatten.
Soviel im allgemeinen über den Inhalt des Edictes; wir gehen nun zu den Bemei'kungen
über wichtige Einzelheiten über, deren die Inschrift mehrere enthält.
Zeile 1. Die Namen der beiden Consulen führen uns zwei sehr alte und hochangesehene
römische Adelsfamilien vor, erinnern uns aber zugdeich an die traurige Zeit, in welcher Claudius
Messalina,. Agrippina und Nero die unerhörtesten Gewaltthaten blutiger Tyrannei ausübten.
M. Junius Silanus gehörte einer Familie an, die an mehreren ihrer Glieder eine sehr nahe
Beziehung zum julischen Kaiserhause eben so sehr zu rühmen als zu verwünschen hatte. Unser
^ Mommsen classiticiert den Streit als einen Fisealprocess, der nach den Kategorien der Gromatiker unter die cou-
troTcrsia de locis publicis sive Populi Romani sive colonianim raunicipiorumve fällt. S. 109.
i3(5 ü'" Fk. Kensek.
Silanus ist der Sohn jenes Appius Junius Silanus. Consuls vom J. 2S' luid Stiefvaters der
Kaiserin Messalina. welche jenem schändHehe Anträge machte niul als sie zurückgewiesen wurde,
im J. 42 den Tod durch eine Intrigue bereitete, die wenn sie nicht übereinstimmend von Mehreren
berichtet würde, kaum glaublich wäre*. Sein Sohn Lucius Silanus, also ein Bruder unseres
Consuls und Stiefbruder der Messalina, war der von Kaiser Claudius hochbegünstigte Verlobte
von des letztern Tochter Octavia', was ihm gleichfalls den Tod brachte, indem die nachmalige
(zweite) Gemahlin des Kaisers, Agrippina, eine Verbindung ihres Sohnes Neio mit der.selben Octavia
anstrebte und den Lucius durch Ränke aus der Gunst des Kaisers zu verdrängen wusste; am
Tao-e der Vermählung des Claudius mit Agrippina (1. Jänner 48) musste L. Silanus sterben"'.
Der andere Consul Quintus Sulpicius Camerinus konnte gleichnamige Vorfahren aus den
ersten Zeiten der Republik aufweisen. Man leitet den Beinamen her von Servius Sulpicius
Cornutus ; da nicht lange vor dessen Consulate (500 v. Chr.) die latinische Stadt Camei'ia
erobert worden war*', vermuthet man, dass er dai-an Theil genommen und davon Cameri-
nus genannt worden sei*-. Der Beiname ging auf seine Nachkommen über; wir finden einen
Q. Sulpicius Camerinus, der 490 v. Chi-, den Consulat versehen, 488 an der Gesandtschaft an
Coriolan Theil genommen hat'^. Ein anderer mit dem Beinamen Praetextatus war 434 Consul'*,
wieder ein anderer (Cornutus) Consulartribuu im J. 402 '^ Der letzte Consul dieses Namens
erscheint 345 v. Chi-. '®, worauf das Geschlecht sich verliert, bis im J. 9 nach Chr. abermals ein
Consul Q. Sulpicius Quinti filius Quinti nepos auftaucht; dieser war wold der Grossvater unseres
Q. Sulpicius und letzterer derselbe, der von K. Nero im J. 58 n. Chr. in einem Repetunden-
process frei gesprochen"', abersammt seinem Sohne als Opfer des k. fi-eigelassenen Helios im J. 07
o-etödtet wurde. Er wird als einer der ersten Männer Roms in damalioer Zeit bezeichnet '*.
Zeile 2, Beide Consuln versahen ihr Amt, wie aus der Datirung des Edictes vom 15. März
hervorgeht, bereits in diesem Monate. In den Fasten werden nun für das Jahr 5G als Consuln
"•enanut Valerius Asiaticus, der damals den Consulat zum .zweiten Male bekleidete und das ganze
Jalu- behalten sollte '* und M. Junius Silanus, beide als ordinarii '■'. Von ihnen war nach unserer
Tafel am 15. März uiir mehr Silanus in Thätigkeit, was sich trefflich aus Dio Cassius"' erklärt,
welcher erzählt, dass der letztere durch das ganze ihm bestimmte Semester (Jänner bis Juni)
Consul geblieben sei, Valerius dagegen das Amt vor Ablauf des Semesters freiwillig niedergelegt
habe, um durch die seltene Auszeichnung zweimal Consul zu sein — er war ein homo novus aus
Vienna in Gallien — und durch seinen grossen Reichthum den Neid der Zeitgenossen nicht allzu-
sehr anzuliegen.
Es gelang ihm dies aber nicht, indem er schon im folgenden Jahre durch die Ränke der
Messalina des Strebens nach dem Throne angeklagt und, obwohl seine Unschuld erwiesen wai-,
zum Tode durch fi-eie Wahl verurtheilt wurde".
Da nun unsere Tafel, die vom 15. März 46 datht , ihn nicht mehr unter den Consuln
nennt, muss seine Abdankung in den beiden ersten Monaten dieses Jahres stattgefunden haben,
und an seine Stelle Camerinus eingetreten sein^^.
^ Plin. H. N. MII 40, 61. Vgl. Lehmann Claudius und Nero I 260 und Beil. III. — » Sueton. Claud. c. 37. — Dio
Cass. 60, 14. — Vgl. Tac-. Ann. XI 29. — ^ djo Cass. 60, 5 spricht von vollzogener Vermählung; vgl. 60, 31. — i" Sueton.
Claud. c. 29; vgl. 24. u. Tac. Ann. XII 3, 4. — " Livius II 19. — i- Pauly K. E. v. Sulpicius. — i3 Dionys. VIII ■>2. —
1* Liv. IV 23. Diodor. XII 53. — J* Fast! ad ann. 352 urbis. — ic Liv. VII 2S. — "• Tac. aun. XIII 52. — i« Dio Cass. 63, 18.
Plin. epist. I 5. — '^ Lehmann Claudius und Nero I 254. — '■"> Onomastieon Tullianum i^Bayterj p. LXVIII. — ^i 60, 27. —
-- Tac. ann. XI 1—3. Dio Cassius 60, 29. Die Ursache des Hasses, den Messalina auf ihn warf, waren die berühmten Gärten
des Lucullus, welche Valerius, ihr damaliger Eigonthümer mit grosser Pracht verschönert hatte. Messalina wünschte in ihren
Besitz zu kommen und räumte Valerius aus dem Wege. Dio Nemesis ereilte sie aber schon im folgenden Jahre in denselben
Gärten, indem sie daselbst von den Henkern, die Narcissus abgeschickt hatte, getödtet wurde. — '-3 Er blieb ordnungsmässig
Consul des ersten Semesters, worauf ihm, wie Mommsen (S. 105; darlegt, Vellaeus Tutor folgte, der im vellaeanischen SC.
als Collega des M. Silanus erscheint.
EiK Edict des Kaisers Claudius. IST
Balis in praetorio bezeichnet den kaiserliclien Somnierpalast in dem ebenso berühmten
als berüchtigten Badeorte Baiae am neapolitanischen Golfe, an dem sich nocli mehrere grössere
Villen der kaiserlichen so wie anderer hoher nnd reicher Familien befanden. Anch diese hiessen
nach damaligem Sprachgebrauche praetoria'*; doch ist dies nicht die vorzüglichere Bedeutung
des Wortes an unserer Stelle, da in dem Edicte als einem officielhn Actenstücke vielmehr der
ursprüngliche Sinn desselben hervortritt, nach welchem praetorium jeden Aufenthaltsort des
Kaisers als des Inhabers des iniperium bezeichnet'-^, avo er seines hohen Amtes handelt, wo sich
also auch seine Cabinetsbeamten befinden. Diesem Begi-iffe entspricht das deutsche „Hoflager" ;
für den Ort Baiae treffen aber beide Bedeutungen des Wortes praetorium zufällig zusammen, da
die Stätte, wo hier der Kaiser Hof hielt, zugleich ein kaiserlicher Sommerpalast war.
Zeile 5 — 6. Die Titelfolge des Kaisers biethet nichts neues dar. Der Beiname Germanicus
ist nicht als Triumphaltitel zu nehmen, sondern als einfacher Beinamen, der dem Claudius bei
Gelegenheit der Adoption seines Bruders (Germanicus) in die Julische Familie ertheilt wurde-''.
Die tribunicia potestas nahm der Kaiser zum erstenmal an, sobald er nach Cahgula's Tode pro-
clamirt worden war, d. i. am :^4. Jänner 41 n. Cln-. -'; sie wurde alljährlich ;ui dem gleichen Tage
erneuert, so dass mit dem 24. Jänner 46 die sechste tribunicia potestas begann, also am 1. Jänner
desselben Jahres noch die fünfte lief. Damit stimmt es überein, dass in den Fasten zum J. 46
d. i. zum 1. Jänner in dem Titel des Kaisers noch die fünfte, dagegen in unserem Edict d. h. am
15. März schon die sechste tribunicia potestas angegeben wnrd.
Imperator XL Es ist aus Dio Cassius-* bekannt, dass dem Kaiser Claudius der Feldzug
nach Britannien (43, 44) wiederholt den Imperatortitel (V — IX) eingetragen habe, gegen die
Gewohnheit der Römer, da man während eines und desselben Krieges nur einmal denselben
anzunehmen pflegte. Dies wird durch Münzen und Inschriftsteine bestätigt. Das X. und XL Impe-
rium nahm er wahrscheinlich in Folge der Siege an, welche im J. 45 Suetonius Panlinus in Afi-ica
und Didius Gallus gegen die Sarmaten in Moesien errangen'"''.
Cos. designatus IUI. Den vierten Consulat bekleidete Claudius im J. 47, in welchem
die ludi saeculares gefeiert wurden. Die Designation hiezu erfolgte aber schon im J. 45; daher
wird auf den zwischen 45 inid 47 gearbeiteten Münzen und Inschriften nicht ein Consulat, son-
dern nur die Designation zum vierten Consulat namhaft gemacht^".
Zeile 7. petentibus. Ohne Zweifel hat der Graveur des Edictes in der Schreibung dieses
Wortes sich einen Fehler zu Schulden kommen lassen, indem es in dem Concepte sicher „pen-
dentibus" gelautet hat; derselbe Ausdruck wiederholt sich in einem Rescript aiis Vespasians
Zeit, das sich auf einer im nördlichen Corsica gefundenen ErztafeF' erhalten hat; dort heisst es
unter anderem : „de controversia, quamhabetis cumMarianis, p end ent i ex Ins agris" ; es soll damit
eine schwebende noch nicht entschiedene Streitsache bezeichnet werden.
Zeile 8. aliquamdiü etiam temporibus Ti. Caesaris patrui mei. Die Streitsache war
schon unter Tiberius einige Zeit lang in der Schwebe. Das aliquamdiü lässt sich aus den Nach-
^i Suet. Aug. c. 72. — Tib. c. 39. — Juvenalis I 75 „criminibus debent hüitos piiietoria meusas" u. A. m. — -ä Prae-
torium ist das Feldherrnzelt im Lager, also der Ort, wo der mit dem imperium ausgestattete Heerführer sich befand, der
in der älteren Zeit praetor genannt wurde. In demselben wurde auch der Kriegsrath gehalten . daher auch dieser praetorium
genannt ward iLiv. 37, 5; 45, 7). Sonach benannte man auch in den Standlagern das dnrch schönereu Bau ausgezeichnete
Commandantengebäude praetorium. Folgerichtig überging dieser Name sowohl auf die Wohnungen der Statthalter in den Pro-
vinzen als auch auf den Theil des kaiserlichen Palastes in Rom, welchen der Kaiser bewohnte. „In praetorio meo" ist ein
stehender Ausdruck für den kaiserlichen Palast in den Militär-Diplomen für Praetorianer, wie in dem jüngst publicirten, das in
Kustendje gefunden wurde. — -« Suet. Claud. c. 2. — 2t Seine Proclamation erfolgte am Todestage des Caligula. Sueton.
Claud. c. 11. — 2S 60, 21. — -'9 Vgl. Orelli-Henzen 703, 708, 5-100, 5098 (wo XII wahrscheinlich für XI verschrieben
ist, da Claudius das XI. imperium noch im Jahre 47, bis Ende Jänner sicher führte, wie die Inschrift Orelli 648 bezeugt.
Vgl. über die imperia Lehmann. Chnidius und Nero I, 227, 255, 259. — ^o Eckhel D. N. V. VI pag. 249. — si OreUi-
Henzen 4031.
XIV. 23
richten von Tacitus und Suetoniiis btstimnien, indem nach erstereni der Kaiser durch einzehie
Vorfälle, die ihn verstimmten^-, durch das Zureden des Sejanns, zumeist aber durch den eigenen
Wunsch in Zurückgezogenheit seinen Leidenschaften fröhnen zu künnen, bewogen wurde llom
zu verlassen. Daher zog er sich im Jahre 2ü nach Campanien^^ im J. 27 aber völlig und bleibend
nach Capreae (Insel Capri) zurück ^^, ohne sich um die Regierungsgescliäfte weiter zu küunueru ■^'.
als insofern sie Bluturtheile gegen A'erhasste und verdächtige Personen der eigenen Verwandt-
schaft und der höheren Stände betrafen. Die Streitigkeiten zwischen Comensern und Bergaleern
müssen also schon vor dem J. iii entstanden sein und blieben bis zu ihrer Entscheidung durch
unser Edict zwanzig Jahre lang unerledigt.
Zeile 9. Pinarius Apollinaris, der sonst niclit weiter genannt wird, gehörte wohl zum
Gefolge des Tiberius, wie der später genannte Planta Julius zu dem des Kaisers Claudius. Sehr
walirscheinlich war unser Pinarius verwandt mit jenem Pinarius Natta, einem Clienten des damals
allvermögenden Sejanus, welclier im J. 25 n. Chr. als Ankläger des Cremutius Cordus auftrat'"^.
Aus der Protection des Sejanus Hesse sich sehr wohl erklären, dass Pinarius Apollinaris mit einer
vertraulichen Sendung zu der Entscheidung der Streitfrage bedacht winde.
Zeile !0 und II. (([uae) inter Comenses essent . . . et Bergaleos. Die beiden streiten-
den Theile sind die Comenses und Bergalei; die ersteren sind wohl die Einwohner von Comum,
die auch anderweitig inscliriftlich vorkommen ^'. Dagegen lassen sich die Bergalei nicht nälier
bestimmen; wahrscheinlich sind sie in der Umgegend von Bergamo zu suchen ^^
quautum memoria refero giebt uns einen eigenthümlichen Begriff von der Art und
"Weise wie der Kaiser in Betreff des schwebenden Processes instruirt war, wenngleich es nichts
auffallendes hat, dass man in einer Angelegenheit, die durch mindestens zwanzig Jahre verschleppt
worden war, nicht mehr genau wusste, wer eigentlich die streitenden Theile gewesen seien. Aber
es mnthet uns naiv an, in einem kaiserlichen Edicte einen Aixsdruck zu finden, welcher statt die
Verschleppung zu bemänteln, vielmehr auf sie aufmerksam macht.
Zeile 13. Gaii principatu, quod ab eo non exigebatur. Der Inbegriff aller Würden,
die Augustus im J. 27 v. Chr. und späterhin seinen Nachfolgern traditionell übertragen wurden
und die ihnen die Stellung absoluter Regenten gaben . wird mit dem Worte principatus bezeich-
net (vgl. Walter röm. Rechtsgeschichte 254, 255); dieses entspricht dahci- im abstracten Sinne
dem Ausdrucke „Kaiserwürde", im coucreten Falle dem Ausdrucke ».Regierung oder Regierungs-
epoche'-. ,.Abeo" muss wieder Zusammenhang lehrt auf den Kaiser Gaiiis bezogen werden, welcher
von der schwebenden Streitfrage Avalirscheinlich gar nichts wusste und von Apollinaris den
Bericht auch nicht verlangte.
Zeile 13. non stulte quidem neglexserit enthält die ausdrückliche Anei-kennung der
Schuldlosigkeit des Berichterstatters an der Verschleppung des Processes; indem der Kaiser sie
im Edict öffentlich ausspricht, wird das correcte Vorgehen des Pinarius hervorgehoben und bleiljt
damit sein Ansehen als einer officiellen Persönlichkeit gegenüber den Untertlianen gewahrt. Eben
dadurch wird das Odium der \'ersclileppung auf die Kaiser Tiberius und Caligula zurückgeworfen,
was aus dem Munde ihres Nachfolgers seltsam klingt; unter einer anderen Regierung würde man
ohne Zweifel die Schuld auf irgend einen der Beamten geschoben, oder doch andere Gründe der
32 Tac. anu. IV 42. — a.; a. a. 0. IV 57. — äi A. a. 0. IV C7. — sj .Sclioii in Campanien Hess er sicli die Städte
bewoliner, die Anliegen an ihn hatten, durch Soldaten vom Leibe iiaiten. Nur nacli dem Einsturz des Ampliitheaters in Fidenae
Hess er wieder Leute vor sich, aber aucli nur auf kurze Zeit. In ('ajireae vernachlässigte er die .Staatsgeschäfte so sehr, dass
er selbst die Ritterdeeurien nicht mehr ergänzte, auch Statthalterposten und Oflficicr.stellen niclit besetzte. Suet. Tib. 41. —
86 Tac. ann. IV 34. — "•■ Orelli-Henzen 3898, öOOG. 5517. — •'*' Giovanelli in der Abhandlung über den Saturnusdieust
in den tridentinischen Alpen (aus dem Italienischen des Grafen G. übersetzt von A. v. !{.; S. 59 macht als Localgott von
Riva einen Bergimns namhaft, in welchem Worte die Stammsilbe Berg, die auch unserem Volksnamen zu Grunde liegt, wohl
zu beachten ist. Vgl. die Steine von Verona bei Fabretti p. 650, 488 und von Brescia, ebenda p. 580. .)33— 535.
Ein Edict des Kaisers Claudius. 1o9
Verschleppung- angeführt haben, um vor den Unterthanen Jas Anselien der verstorbenen Kaiser
nicht zu compromittieren. Insofern liegt auch in dieser Stelle ein charakteristischer Zug naiver
Aufrichtigkeit, welche Mommsen mit der analogen Ausdrucksweise in einem andern Edicte des
Kaisers Claudius^" vergleicht vmd als einen der Gründe für seine Ansicht geltend macht, dass der
erste, übrigens auch durcli verwickelte Satx.bildung ausgezeiclmete Theil unseres Edictes vom
Kaiser selbst verfasst sei (S. 107).
Zeile 14 lliid 15. Nicht minder naiv dünkt mis <Uis im Edict öft'entlich vor der Gemeinde
abgelegte Geständniss des Motives, welches den Kaiser bewog-, den Process, der durcli so lange
Zeit geruht hatte, w'ieder aufzunehmen; es bestand nicht darin, dass die betreifenden Stämme darum
angesucht hätten, wie dies schon aus dem Wesen eines kaiserlichen Edictes erfolgt, welches sich
eben dadurch kennzeichnet, dass es ohne vorhergehendes Bittgesuch oder ohne eine Eingabe
erlassen wird. Die Ursache war vielmehr die Anzeige eines Angebers, dass die meisten Acker im d
Weiden, um welche es sich handelte, rechtliches Eigentlunn des Staates wären, d. h. zu den diesem
seit Eroberung des Landes eigenthümlichen liegenden Gründen gehörten , welche bis dahin noch
nicht anderweitig dm-ch Verkauf oder Pacht vergeben waren.
Mei iuris darf nicht auf ein Privat-Eigenthum des Kaisers gedeutet werden; wenn gleich
die kaiserlichen Privat-Güter zu Ende des ersten Jahrhunderts in der Provinz nicht unbedeu-
tend waren, so waren sie doch in Italien selbst und zumal in den ersten Jahrzehenten unserer
Zeitrechnung sehr spärlich, wie dies von Tiberius ausdrücklich bezeugt ist ^'^ und für Kaiser Clau-
dius aus manchen Nachrichten ofeschlossen werden kann^^ Auch überg-inoen in der Kaiserzeit die
Staatsländereien in agri fiscales ^'" , über welche der Kaiser, wahrscheinlich vermöge der censoria
potestas, zu verfügen das Recht hatte**, sodass auch dem Claudius nicht als Privatperson, son-
dern als Kaiser, speciell als Censor, das alleinige Recht auf die streitigen Gründe zustand, inso-
fern nämlich diese noch nicht an die Städte oder sonst wie verschenkt waren.
detulerit Camurius Statutus ad me agros plerosque et saltus mei iuris esse.
Es liegt in der Natur der Sache, dass der Angeber mit den Verhältnissen der Stadtgemein-
den und der Stämme vertraut sein musste, wenn gleich gerade von den Delatoren des Kaisers
Claudius bekannt ist, dass sie meist nachlässig waren und oft das Gegentheil des wirklichen Sach-
verhaltes angaben*'. Für unseren Fall lässt sich Avenigstens vermnthen, dass der Angeber in
Ober-Italien einheimisch g-ewesen sei, da sein Name auf Inschriften aus dem Gebiete von Brescia
im ilailändischen und in Piacenza sehr häufig vorkommt*"; er konn.te daher sehr wohl unter-
richtet sein und war dies auch insofern, als der Staat zwar nicht mehr der Eigenthümer jener
streitigen Grundstücke war, die er den Stadtgemeinden- Comum und Tridentum zugewiesen hatte,
wohl aber jener, bei denen solches nicht der F^all war. Was die ersteren betrifft, so war es über-
dies Sache des Staates, die Gemeinden gegen die Angriffe, die ihr Eigenthum erfuhr, zu schützen,
und insofern die Anzeige des Delators berechtigt*".
39 Jos. Flav. Antiq. XIX 5, 2. — ^'^ Tac. Ann. IV 7. — ^i Dio Cassius 60, 9. — Suetou. Claiul. c. 6. — ■•^ yighe ilar-
nbor Beckei-Maiquardt III 2, S. 198, Note lOSl. — « A. a. 0. S. 198. — " .Suet. Cland. c. 16. — ^'^ Ein L. Caimirius,
L. libertus Pandaius erscheint als sevir Augustalis in Brixia (Brescia) bei Gruter384, 8 und Jluratori appendix 85, 6; ein
anderer L. Caraurius L. f. gleichfalls als Priester ebenda, Muratori 62, 8; ein Camurius ohne Beinamen auf einem Steine im
Gebiete von Mailand Gruter 864, 2; zwei Camurii iTacunus und Heimesj werden als Freigelassene auf einem Steine in Verona
genannt, Muratori 473, 5; ein Q. Camurius in Piacenza Gruter 935, 5, Muratori 1560, 1. Aus Oberitalien stammt wohl auch
der in einer Inschrift zu Sassoferrato genannte L. Camurius Segovinus Mus. Veron. 361, 7 und C. Camurius C. f. Clemens auf
einem Steine zu Attigio (ümbrien), der seine Laufbahn als praefectus der cohors VII. Raetorum begann, was wohl als ein Finger-
zeig betrachtet werden kann, dass er eben auch aus Raetien oder dessen Nähe abstammte, .Muratori 686, 6 und 1096, 1; cf.
Bulletino 45, 128,9. Endlich kommt der Name auch in Picenum einheimisch vor (Ann. 44, lOOj, und auf Töpferstämpeln in der
Umgebung von Modena, Bulletino 1837, p. 13 und 106, 1838 p. 130. — <« Mommsen S. 114, 115. Der Delator musste nach
den bestehenden Regeln wohl auch den Beweis für seine Angaben tühren und erhielt, wenn ihm dies gelang, eine Geldbeloh-
nung; im entgegengesetzten Falle wenigstens unter gewissen Voraussetzungen verfiel er in Strafe S. 109.
23*
1()0 Dr.. Fu. Kknner.
Zeile 16. fmisi) Plantani Juliuni ainiciuii vt oomiteni niL-uiu. Es ist sclbstverstäiKllidi,
dass die Worte amicus et comes nicht als allgeiueine t'aiviiliäre Bezeiclinungeu. sondern als technische
Ausdrücke tiir die ofticielle Stellung gewisser Persönlichkeiten am Hole des Kaisers zu nehmen
sind. Wir fülnon darüber des Ergebniss der Untersuchung an, welche M o m m s e n in dem der
genannten Abhandlung beigefügten Excurs (S. 120 f.) angestellt hat.
Darnach bezeichnet ..amici" jene Personen, welche die lieutige Holamtsprache imter dum
Ausdruck -grosser" und ,.klehier Zutritt" begreift; sie waren mit Beziehung auf die Zulassung
zum Morgenbesuche und die Beiziehung zur kaiserlichen Tafel je nach ihrem Ansehen in Classen
o-etheilt (amici primae et secuudae et tertiae admissionis), ihre Namen wurden in Register einge-
schrieben und wahrscheinlich hatte das Hofamt ,.cura amicorum- die darauf bezüglichen Oblie-
genheiten zu versehen.
Sowie das Institut der amici, ebenso geht jenes der comites in die re])ublicanische Zeit
ziu'ück. Diese waren meist jüngere Personen von Stand (Ritter), welche die Rechtsstudien eben
vollendet hatten; sie wurden von den Procousvden, wenn diese in die Provinz gingen, aus dem
Ki'eise ihrer Bekannten aiisgewählt i\nd mitgenommen, um sich iluer Assistenz in den Geschäften,
namentlich bezüglich der Rechtspflege zu bedienen. Meist war dies der Anfang des prakti-
schen Dienstes in den amtlichen Laufbahnen. Über ihre Zahl, über die Beamten, welche solche
comites mit sich nehmen durften , über die Bestreitung der daraus erwachsenen Kosten von
Seiten des Staates und über die Ausdehnung der Verantwortlichkeit des Statthalters auf seine
comites sind walu-scheinlich noch in den Zeiten der Repviblik Bestinunungen getroffen worden.
In der Kaiserzeit empfingen sie eine bestimmte Besoldung und begleiteten den Kaiser nur wenn er
als Proconsul reipublicae causae von Italien abwesend war, nicht aber so lang er daselbst ver-
weilte. Sie wurden für jede einzelne Reise, nicht für immer ernannt, obwohl dies ausnahmsweise
geschah; auch wurde ihre Competenz nicht im Einzelnen normirt; wenn sie gleich bei Feldzügen,
vielleicht als legati ohne Commando, militärische Dienste versahen, so bildete doch im allge-
meinen Rechtspflege und Verwaltung und insofern der Beisitz im Rathe des Kaisers die Summe
ihrer Oblisenheiten. Das Rangverhältniss der comites war verschieden nach dem Stande, dem
sie angehörten (senatorii oder equites); die comites Augusti haben wahrseluinlicli senatorischen
Rang gehabt.
Es folgt daraus, dass aucli vmser Julius Planta, dessen Name nicht weiter auf Inschriften
genannt wird, zur ersteren C'lasse gehörte. Wahrscheinlich hatte er den Kaiser auf dem Feldzuge
nach Britavmien begleitet und war von ihm bei der Rückkehr durch Oberitalien mit der Unter-
suchung der Sti'citfragen beauftragt, die in unserem Eldicte besprochen wurden.
Zeile 17 und 18. adhibitis procüratoribus meis quique in alia regione, (iui(iue in
vicinia erant. Von den mannigfachen Bedeutungen des Wortes procm-ator kommen hier nur
zwei in Betracht, deren Anwendung aber zweifelhaft bleibt. Es kömien damit nämlich Verwalter
der Staatsgüter gemeint sein, deren es in Oberitalien mehrere sowohl in nächster Nähe von Comum
und Tridentum als auch in grösserer Entfernung geben moclite, sei es in Italien selbst oder in
der nördlichen Umo-ebuntr der g-enannten Orte. Die betreft'ende Stelle würde dann kein besonderes
Interesse für sich haben, da solcher Art Procuratoren ja vielfach genannt werden.
Es können aber damit auch die kaiserlichen Procuratoren (Statthalter) von Raetien und
Noricum gemeint sein, die, wie man vermuthet, Kaiser Claudius eingeführt hat, sicher unter ihm
zum erstenmal erscheinen''; es würde dann unter „quique in vicinia-' jener von Raetien. unter
*• Vgl. Tac. Hist. I, 11. Für Noricum wird A. Baebius Atticua auf der luschri t in Cividale Henzeu 6938 aus Claudius'
Zeit gen.innt Raetien verwaltete friiherhin ein Praefectus , der wohl im Grunde aucli nichts anderes war. als ein proeurator.
Vgl. die In.scbrift von San-Valentino im Neapolitanischen. Moniuisen IKX. 6330 und Henzen C939.
Ein Edict vv.s Kaisers f'i.AiDus. 1() I
„quique in alia regione" jener von Noricnm zn verstehen sein nnd die Zeit der Einführung der
Procuratur in beiden Ländern aus unserem Edict insofern bestimmt werden können, als sie schon
um 40 vollzogen gewesen, also in den ersten fünf Regierinigsjahren des Kaiser Claudius (il^Ki)
geschehen sein müsste.
Für beide Ansichten lassen sich Gründe anfüliren; für die erstere spricht insbesondere, dass
die Namen der Länder nicht genannt werden, was man doch erwarten sollte, wenn mit procura-
toribus Statthalter gemeint wären; es wäre ja doch kürzer und für eine ofticielle Kundgebung, wie
ein Edict ist, passender gewesen zu sagen: adhibitis procuratoribus meis in Raetia et in Norico
oder Raetiae et Norici. Dagegen konnte man im Edict ganz gut die unbestinnnten Ausdrücke in
vicinia und in alia regione anwenden, wenn es sicli nur um die Verwalter von Staatsdomänen
handelte, deren nähere Bezeichnung nichts zur Sache tliat.
Andererseits liegt es nahe, wenn in Claudius' Zeit und aus der Umgebung von Ober-Italien
von Beamten mit dem Titel procuratores die Rede ist, diese auf die Statthalter von Raetien und
Noricum zu beziehen, deren vorwiegende Aufgabe ja darin bestand, die natürlichen Reichthümer
der beiden Länder in einer für die Krone vortheilhaften Weise zu verwalten. Es lässt sicli sein-
gut denken, dass sie zur Untersuchung einer Streitfrage herbeigezogen Avurden, die über das
Besitzrecht des Staates auf gewisse Gründe entstanden war.
Es sind die Anhaltspunkte zu schwankend, zu wenig prägnant, um sich für die eine oder
andere Deutung des "Wortes procuratoribus aus dem Texte des Edictes zu entscheiden. Gleichwohl
würden wir uns für die erstere Ansicht aussprechen, da wir glauben, dass die Umwandlung der Ver-
fassung von Noricum aus einem verbündeten Lande in eine Procuratur zusammenhängt mit den
Bewegungen der Germanen im J. 50 n. Chr., durch welche der Quadenkönig Vanniiis, ein Schützling
der Römer, gestürzt wurde 'l Darnach würde die Einführung der Procuratur in Noricum nicht vor
50 verfügt worden und im J. 46 noch von keinem norischen Procurator die Rede sein können^''.
Zeile 19 — 21. (summa cura inqui)sierit et cognoverit cetera quidem ut mihi
demonstrata commentario facto ab ipso sunt, statuat pronuntietque, ipsi per-
mitto. Die Vorlage, welche Planta, nachdem die Untersuchung geschlossen war, an den Kaiser
i-ichtete, bestand aus zwei Theilen, aus der Darlegung des Thatbestandes (demonstrare) und aus
den nöthigen Erläuterungen (connnentarius), sie war also das, was die heutige Amtssprache einen
motivirten Bericht nennt. Ohne Zweifel waren der ersteren die Anträoe auf die nöthio-en Vertu-
gungen beigegeben, da der Kaiser ja dem Planta überträgt, so zu verfügen, wie es in seiner Dar-
legung vorgeschlagen sei. Der Lilialt dieser Verfügungen wird aus dem Grunde nicht genannt,
weil sie eben an Planta übertragen wurden, formell also dieser der Verfügende und auch, wie aus-
drücklich angemerkt ist, der Promulgierende sein musste. Wir können uns aber den Ausgang des
Processes leicht vorstellen; g'(-genül)er den an Stadtgemeinden zugetheilten Angehörigen der ver-
schiedenen Stämme musste das Eigenthumsrecht der ersteren gewahrt bleiben; gegenüber jenen,
die nicht zug-etheilt waren, war der Staat Eigenthiuiier von Grund und Boden und nnisste als
solcher anerkannt werden. Sämmtliche Peregrinen werden also mit ihren Ansprüchen zurückge-
wiesen worden sein ""■'.
Das cetera quidem bereitet uns auf den zweiten Theil des Edictes vor, indem es anzeig-t, dass
die an Planta übertragenen Verfügungen nicht alle Punkte seines Berichtes erschöpfen, sondern
■IS Wi,. werden diese Ansicht an einem andern Orte zu begründen versuchen. — ^'' Mommscn vermuthet a. a. 0. S. 108
unter dem Ausdruck „in vicinia" eine Bozieliung auf den Procurator von Eaetien, unter jenen „in alia reg-ione" aber eine Bezie-
hung auf die Ivaiseiiichen Domiinenverwalter in benaclibarten Stadtgebieten. — ''O Ein Zeichen dafür scheint uns in der Ver-
sicherung zu liegen, dass der Process summa cura geführt worden sei; man mochte erwartet haben, dass die Entscheidung-
einige Unruhe bei den Stämmen verursachen würde und hob daher im Edicte die Sorgfalt, die auf die Untersuchung verwendet
wurde, besonders heraus.
"*' Hl!. Tu. Kes.nkk.
nur den übrigen Tluil LiLkii. .lass also ausser jenem Proctsse iioeli eine andere Angelegeulieit
auszutragen war, was denn aucli im t'olgonden geschieht.
ZHh' n. Q n o d a d e o n d i c i o n e m &c. Condicio bezeichnet das Reohtsverhähniss, in welchem
irgend eine juristische Person, sei es ein einzelner Mensch oder eine Gesamnitheit von :denschen, ein
ganzer Vulksstamm zu Rom sich befindet. Am angesehensten war unter den verschiedenen Arten
desselben der Besitz der ( 'ivität (civitas Romana), des vollen Bürgerrechtes, welches als Inbegriff
verschiedener Rechte und Hefugnisse, wie des jus snffragii, honorum. conubii, commercii u. J! w.
zu betrachten ist. Die beiden ersten Rechte, das Stimmrecht uiid die Befähigung zu höheren
Ämtern (honore.s) kommen in unserem Falle nicht in Betraelit. da jenes in der Kaiserzeit durch
Aufhebung der Volksversannnlungen illusorisch wurde, dieses nur für iviclie in Rom selbst lebende
Bürger und durch Protection zur Ausübung kam. Wichtiger sind die beiden andern Bestandtheile.
das jus conubii und jus conmiercii. Auf ersterem beruhte die Möglichkeit eine legitiuie Ehe zu
schliessen, woran sich die wichtigsten Rechtsverhältnisse knüpften, wie die väterliche Gewalt
über die Kinder, die Erbfähigkeit derselben, die Gewalt des Mannes über die Frau (manus), die
Bildnng der Familien, die Rechte der Agnation und Gentilität; wurde das Conulnum verwirkt z. B.
durch den Verlust des Bürgerrechtes oder Nichtanerkennung einer angemassten C'ivität, so ging
die strengrechtliche Ehe in eine laxe oder freie, in ein blosses matr i inon i um über,
welche aller jener rechtlichen Folgen entbehrte. Das Commercium bildete die Grund-
lage des gesanmiten civilrechtlichen Verkehres, indem alle Formen der Eigenthumserwerbung:
Kauf, Verjährung, Abtretung, Tausch, Vererbung, ferner das Vertragswesen (Darlehens- und
Kaufverträge), die Eigenthnmsklage u. s. w. nur dann völlig giltig geübt werden konnten, wenn
die betreffenden Theile das jus commercii liatten.
Eine andere weit unvollkommenere Art des Rechtsverhältnisses war das jus Latii. nach
welchem die damit bewidmeten Gemeinden eine selbständige, jedoch auf die Civilgerichtsbarkeit
beschränkte Jurisdiction, dagegen kein Conubium und nur ein beschränktes Conmiercium hatten^';
doch erlangten die Glieder einer solchen Gemeinde, wenn sie in derselben ein Ehrenamt verwaltet
hatten, nach Ablauf des Amtsjahres das römische Bürgerreclit '-, nicht minder jene, welche in einem
Repetundenprocess die Anklage durchführten.
Es ist nun klar, dass es für eine Colonie oder ein Munieipium nicht gleichgiltii;- war. ob die
ihnen zugetheilten Stämme das Conubium und Connnercium rechtlich besassen oder es unrecht-
mässig ausübten, sei es durch Anmassung oder doch im Glauben, es zu besitzen. War ersteres
der Fall, so konnten Kauf, Tausch, Abtretungen von Grundstücken, Schliessung von Ehen u. s. w.
rechtskräftig zwischen den Bürgern der Colonien und Municipien x\m\ den mit dem Bürgerrecht
beschenkten Individuen der unterworfenen Stännne geschlossen werden. Zeigte sich aber hinter-
drein, dass von Seite der letzteren Conulnnni und Commercium nur angemasst waren, so wurden
alle mit ihnen als rechtskräftig geschlossenen Verträge nngiltig und es mussten die Angelegen-
heiten einer römischen Gemeinde, in der solch' ein unklarer Zustand längere Zeit Jiindnrch ange-
dauert hatte, völlig zerrüttet werden.
In einem solchen Falle waren nun auch die Tridentiner gegenüber den Stiinnuen der
Anauni Tuliasses und Sinduni. Die Anauni, welcJie mit Recht für die alten P.cwohner des
Non.sberges und des Val di Xon gehalten werden, nennt scli..n Ptolemaeos^l Den l)eiden andern
Stämmen ihre Wohnsitze anzuweisen, dürfte ebenso schwierig- nU nutzlos sein, so lano- keine
bestimmten Anhaltspunkte dafür vorliegen; ob sich in den heutigen Namen kleiner Terrain-
*' Walter, ROinische Uechtsgeschichte -230. Vgl. Becker-.M aiqiiiiidt HI, l .S. -ll, 4>. — '- U eckui-Ma rq uaidi.
.1. a. 0. — ^3 in 1. 'Avavvtov, in einem C•o(le.^c auch ' A-j'Jynoj. Der Ort lag westlich von den Venctern im Gebiet Bc/ojvö.v
welche Giovanelli ^Satiirniisdienst .S. 04; mit Wahrscheinlichkeit nm den Berg Beta oberhalb Drö in der (Jegeml von Arco am
Gardasee verlegt.
Ei.\ EiiiCT DES Kaisers Clavdius. 163
stellen und Orte Hinweisiingen auf diese alten Volksnamen finden, müssen wir jenen zu ent-
scheiden überlassen, denen eine genauere Ortskenntniss als uns zu Gebote steht''*. Fest steht nach
unserem Edict nur so viel, dass beide Stämme nicht allzuferne von Trient zu suchen sind.
Was die Tridentiner selbst betriftt, so sind sie ein raeto-etruskischer, kein keltischer Stamm,
dessen Gebiet sehr wahrscheinlich nicht erst im J. 15 v. Gh., als ganz Raetien erobert wurde,
sondern schon früher in den Besitz der Römer gekommen war; sie erscheinen auch in der von
Plinius'^^ dem Texte nach aufgeführten Inschrift des Alpentropaeum aus dem J. 7 v. Chr. nicht,
in welcher die Avährend des Augustus Regierung bis dahin unterworfenen raetischen Völker auf-
gezählt werden; ferner hat sclion L. Munatius Plauens im J. 43 ex Raetis triumpliirt*^ also waln-
scheinlich auch einen Theil raetischen Gebietes besetzt, zu dem vielleicht die Tridentiner gehörten,
bei deren Stadt späterliin ein Castell (Veruca) erbaut wurde ^'. Zweifelhaft aber ist, ob Trident
damals zum erstenmal unter römische Herrschaft gekommen, oder ob solclies nicht schon früher
der Fall gewesen sei, und der Feldzug des Plauens nicht etwa nur den Nachbarstämmen gegolten
habe. Giovanelli hat die Vermuthung ausgesprochen, dass die Tridentiner schon zur Zeit des
Marius und Sulla unter römische Herrschaft gekommen sein ^".
Wie nun dem auch sein mag, so ist das Gebiet derselben wahrscheinlich sclion bei der
ersten Occupation zu Gallia transpadana gerechnet worden, da es nicht dL-nkbar ist, dass man
den südlichen Theil des Alpenlandes für sich als eine eigene Provinz eingerichtet habe. War aber
Tridentum ein Theil von Gallia transpadana, so wurde es ohne Zweifel mit diesem im J. 43 v.
Chr. zu Italien gezogen, d. h. die Provincialverfassung wurde wie für das übrige Gallia trans-
padana so auch für das Gebiet von Tridentum aufgelöst und die Stadt erhielt für Civilrechtsfalle
unter 15000 Sesterzen die eigene Jurisdiction in Folge der lex Rubria''".
Die drei Nachbarstärame blieben sowie früher den Trideirtinern unterthan'"'; wahrscheinlich
haben damals oder doch in der nächst folg-enden Zeit glänze Stämme in Oberitalien das latini-
sehe Recht erhalten wie die Euganei"'; wir dürfen solches vielleicht auch bei unsern Stämmen vor-
aussetzen, so dass sie ein beschränktes jus commercii gehabt hätten. Es war demungeachtet eine
Schädigung des municipium Tridentinum durch Nichtanerkennung des Bürgerrechtes der drei
Stämme zu fürchten, da alsdann die Ehen zwischen ihren Angehörigen und jenen der Stadt
ungiltig geworden '^'- und auch sonst in civilrechtlicher Beziehung Störungen eingetreten sein
würden.
Zeile 36 — 39. tamen cum longa usurpatione in possessionem eins fuisse dica-
tur et ita permixta cum Tridentinis ut diduci ab iis sine gravi splendi(di) niuni-
cipii iniuria non possit. Die Motive, welche den Kaiser bewogen das Bürgerrecht den drei
Stämmen aus Gnade zu belassen, sind doppelter Art; wir können sie allgemeine und Ijeson-
dere nennen. Jene werden vorangestellt, und betreffen die langjährige ungestörte Ausübung des
Bürgerrechtes, also die Verjährung des Besitzes desselben, dann die Rücksicht auf die Bürger-
54 Derlei Stämme gab es gerade iu den Alpen und deren Ausläufern eine bedeutende Anzahl, welche die Erhaltung ihrer
Namen und vielleicht eigenthümlieher Sitten und CTebriiuche der Absonderung und Einschliessung durch die Gebirge zu ver-
danken haben mögen, iu deren TliUlern sie wohnten. Inschriftlich sind noch andere Namen bewahrt, wie die civitates Vardaea-
tensium et Dipriuatium (Inschrift in Breseia mus. Veron. p. 201 1, die Tublinates auf einem Steine im Schlosse Dublino, in dessen
Gegend sie auch gelebt haben mögen (^Gio vane 11 i, Saturnusdienst S. 113j, die C'astellani und Vervassi; letzterer Name erinnert
im Ausgange an unsere Tuliassi und an das Alpenvolk der Salassi bei Plinius III 20, 24 (134). — ^ö h. N. III 20, 24 (136). —
5ß Orelli 590, Inschrift in Gaeta vgl. Pauly Realencyclopaedie V, 20G. — 57 Giovanelli, Discuso sopra iin iscrizione Tren-
tina p. 75. Die von Giovanelli mitgetheilte Inschrift ist zwar nur durch Angabe des XI. t'onsulates des Augustus auf die
Jahre 2.") — G v. Chr. dfttirt ; offenbar hängt ilir Inhalt der Zeit nach zusammen mit der Unterjochung der Alpenvölker, deren
das tropaeum Alpium gedenkt. — "'S ^ ^ q g. 73. — 59 Becker-Marquardt III 1, S. 50, 51. — '^'^ War die Stadt schon
im J. 89 römisch, so bezog sich auch auf sie die lex Pompeia von diesem Jahre, mit welcher die Alpenbewohner den latini-
schen Städten und Municipien von Gallia transpadana zugetheilt wurden. Becker III 1, S. 258. — ''i Plinius H. N. III 3. 4.
IV, 35, 22. — ''■'- Moinmsen S. HG bezieht die injuria raunicipii zunächst auf diese Heiraten.
n)4 1*1!. Fi:. Kensek.
sremeinde von Trideiituin. welche durch Ausscheidung der ilrei Stämme aus ihrem Geuieindever-
bande, mithin durch Xiclitanerkennung ihres Bürgerrechtes und durch die damit rechtHcli verbun-
denen Folgen, die eben dargestellt wurden, einen schweren Schaden erlitten haben würde, l'nser
Edict ist das erste inschriftliche Document, aus welchem wir ersehen, dass Tridentum schon zur
Zeit des Kaisers Claudius ein Municipium gewesen sei; bisher kannte man es als Municipium aus
einem spätem Inschrittsteine ''■' und als eine Colonie ans einem solchen, der zwiselien Hetzen und
Trieut gefunden wurde und der ungefähr aus der Epoche M. Aureis datirt*^. Zugleich erhellt aus
dieser Stelle, dass die Municipien den Titel splendidum (etwa in inisirer heutigen Amtssprache
-löblich") geführt haben, wie die Colonien den Titel splendidissima. wovon häurige Beispiele
auf römischen Inschriften vorkommen.
Zelle 30 — 33. Der besondere Grund, welcher bei der Entschliessung des Kaisers den Aus-
schlag gab lio (piidem libentius), ist in einer von tlem letzgenannten Passus getreiniteii Stelle
aufgeführt, inid besteht in dem Umstände, dass die meisten aus jenen Stämmen damals Dienste
versahen oder schon versehen hatten, mit denen der Besitz des Bürgerrechtes verbunden ist. So
wurden nur ^'olll)ürger, die in Italien wohnten, in die Leibwache atifgenommen **, während in
die Legionen die Vollbürger aus den Provinzen eingetheilt waren. Wenn n\ui ..plerique ex
eo genere hominum etiam militare in praetorio meö dicuntur"*, so muss man bei ihrer
Autiiahme in die Garde vermuthet haben, dass sie das Bürgerrecht besassen ; man muss also schon
damals entweder den Ursprung des Bürgerrechtes nicht genauer untersucht oder die von den
Einzutheilenden beigebrachten Beweise für genügend angesehen haben. Auch für jene war dies
der Fall, von denen das Edict sagt: quidam ordines quoque duxisse (dicunturj. Die
kleineren Abtheilungen von Soldaten (centm-iae) heissen ordiues; davon wird die Charge selbst
ductor ordinis imd abgekiü-zt ordo genannt, womit also der Centurio bezeichnet wird ''^. Es kann
nun mit diesem Ausdruck an unserer Stolle ein Centurio in einer der praetorisolien Cohorten oder
in einer solchen bei ü-gend einer Legion gemeint sein. Beides hat einiges für sich. Der Zusam-
menhang lässt aber auf einen Centurio einer praetorischcn Cohorte schlicssen, deren Veteranen
nur in Italien angesiedelt wurden, so dass die bleibende Anwesenheit der im Edicte genannten
ehemaligen Ha\q)tleute in der Gegend von Trieut eiklärlicli würde; auch die Fügung mit vero
und quoque scheint uns darauf hinzudeuten, indem das vero den Ausdruck ordines duxisse dem
einfachen militare entgegenstellt, durch das quoque aber beide Ausdrücke ;nif „in praiturio
meo-' bezogen werden.
Andere Individuen unserer Stämme versahen als Geschworne das Richteramt zu Ivom.
Zu den von Augustus für die Rechtspflege gebildeten vier Decurien fügte Caligula eine fünfte
Decurie aus Bürgern von wahrscheinlich sehr geringem Vermögen "^ Die zu Rom weilenden Ange-
hörigen unserer drei Stämme wurden nun, wenn sie die gesetzlichen Eigenschaften hatten, für
einzelne Gerichtsliöfe ausgeloost und beeidigt fjuratij; wahrscheinlich gehörten sie nur der vierten
und fünften Decurie an und hatten auch nur über geringere Streitfälle zu urtheilen, mussten
aber jedenfalls rrmiische Vollbürger sein. Auch bei AufVialnne von Leuten unserer Stämme in
diese Decurien muss deren civitas als vollkommen giltig angenommen worden sein, weshalb das
.jUonnulli collecti in decurias Romae res judicare" ein triftiger Grund war, ihnen das Bürgerrecht
zu bestätigen'''. Der Ausdruck collecti in decurias ist übrigens sehr ungewöhnlich und walir-
"•- tiiovanclli «liscorso sopra una iscr. Trentina 1S24, p. S2. CT. Spon. \>. Hi. S. VII. G. Wenn der dort genannte
C. Veranius oder Vcranus identisch ist mit jenem der auf dem interessanten römischen Inscliril'tsteine bei Orelli-Henzen
863 vorkommt, so kann die Zeit des ersteren auf c. 117 — 134 bestimmt werden. — '» OrclIi-Hi-nzen 2183, 3905. Ziiiiipt.
Comm. p. 402. — c« .Mommsen handelt darüber .■<. 117 austulirlich. — '•■' Bccker-Marrjuard t, Handbuch d. rüm. Alter-
thiimer Ili 2. 280. — •'■'• Vgl. über die Decurien Walthers Kechtsgeschichte 237, 698, 797. — '=• Auch die Function als
Oeschworner war durch das Domicil in Italien bedingt und Mommsen knüpft (S. 117) sowohl daran als an den Dienst im
Ein Edict des Kaisers Claudius. 1G5
scheinlich verschrieben für allecti (so liest auch Mommsen), welches der technische Ausdruck
ist für die Ergänzung der Mitgliederzahl einer öffentlichen Körperschaft '^'.
Zeile 34 — 37. Quud beneficium iis ita tribuo etc. Die einfache Ertheilung des Bür-
gerrechtes an die drei Stämme würde die Giltigkeit nur jener Rechtsgeschäfte zur Folge gehabt
hal)en, welclie sie vom 15. März 46, dem Datum des Edictes an abgeschlossen haben würden
nicht aber auch die Giltigkeit der in früherer Zeit zu Ende gebrachten; gerade darum handelte
es sich aber vorzüglich, wenn das Municipium Tridentinum vor Schaden bcAvahrt werden und
die alten Ansprüche einzelner Glieder jener Stämme Anerkennung finden sollten. Es war daher
nothwendig, dass die Verfügung des Kaisers als rückwirkend erlassen und dass dies ausdi-ück-
lich angegeben werde. Dies geschieht nun im letzten Alinea ; der Kaiser will die den drei Stämmen
ertheilte Gnade so verstanden wissen (beneficium ita tribuo), dass er alle ihre früher mit wem
immer — abgeschlossenen Rechtsgeschäfte genehm halte '^^ — Mit Empfang des Bürgerrechtes
nahm der damit Bewidmete einen römischen Vornamen und Beinamen an, zwischen welclien der
Name den er als Peregrine geführt hatte und jener der Tribus, in welche er nunmehr als römi-
scher Bürger aufgenommen ward, gesetzt wurde. Solches hatten nun aucli die Ano-ehörio-en der
drei Stämme in der Meinung das Bürgerrecht zu besitzen, schon früher gethan und sich beim
Abschluss ihrer Geschäfte derselbeia bedient. Da ihnen aber erst mit dem vorlieo-enden Edicte
das Bürgerrecht ertheilt wurde , so bezog sich das Recht römische Namen zu führen nur auf
die in Zukunft abzuschliessenden Geschäfte; es musste daher auch für diesen Punkt die rückwir-
kende Kraft des Edictes ausdrücklich erwähnt w^erden, was in dem letzten Satze o-eschieht.
Es war schon oben davon die Rede, dass Julius Planta auch über das Rechtsverhältniss, in
welchem die drei Stämme zu Rom sich befanden, Bericht abzustatten gehabt habe; die Verfüo-ung
aber ist ihm für diesen Theil seiner Aufgabe nicht übertragen worden. Kaiser Claudius trifft
persönlich über das Büi'gerrecht die Entscheidung und verkündigt selbst die Ertheiluno- des-
selben an die drei Stämme. Es hängt dies mit der Rechtsanschauung der Römer zusam.men. Die
Ertheilung des Bürgerrechts gehörte in der älteren Zeit zu den Prärogativen des souveränen
Volkes und ward immer in Form eines Gesetzes von der Volksversammlung geübt. Dieses Recht
ward auch dem Inhaber des Imperium, dem Imperator übertragen, und nur als solcher übte es
der Kaiser im Namen des Volkes "^ Daher konnte er die Ertheilung eines Bürgerrechtes auch
keinem anderen übertragen, sondern musste sie selbst vollziehen.
3. Die Stylisirung ist ungleich; im ersten Theile ist die Satzfügung sehr verwickelt und
schwer verständlicli '', während von Zeile 15 und namentlich im 4. und 5. Alinea der prägnante
römische Curialstyl sich geltend macht. Die Alndichkeit der Stylart in den ersteren Zeilen mit
jener in den Tafeln von Lyon'" in Verbindung mit der schon oben zu Zeile 13 hervorgehobenen
naiven Rücksichtslosigkeit gegen die früheren Regierungen veranlassten Mommsen zu der tref-
fenden Bemerkung, dass der erste die Exposition enthaltende Passus vom Kaiser selbst herrühre,
während der übrige Theil von seinen Secretären verfasst sein mag. — Die Ortliographie weist
manche Unrichtigkeiten auf. Sicher kommen auf Rechnung des Graveurs die grammaticalischen
Praetorium die Bemerkung-, dass, da die in Italien wohnenden Bürger damals noch eine bevorzugte Classe unter der römi-
schen Bürgerschaft gebildet hätten , die Stellung der drei Stämme vor Erlass des Edictes eine besondere gewesen sei, indem
das von ihnen angemasste und theilweise vom Staate anerkannte Bürgerrecht die vollkommenste Stufe desselben darstellte.
"ä Collecti würde bezeichnen, dass die betreifenden Decurien nur aus Angehörigen jener drei Stämme bestanden, während
der Nachdruck gerade darin liegt, dass nur einige von ihnen als römische Bürger und durchs Loos in die Decurien gelangten. —
•59 Wie aus den Nachweisungen von Mommsen (S. Hö) hervorgeht, erscheinen auf den Inschriften des Nonthales sowohl
einheimische Gentilnamen, als auch römischen mit römischen Vor- und Zunamen; die letzteren gehören aber durchaus der Zeit
nach Claudius an — '" Mommsen, Stadtr.echte S. 394 f. — 'i Nach Mommsen (p. 107) sollte dieser Passus lauten „Cum
Ti. Caesar ad veteres controversias. .. . pendentes aliquamdiu ordinandas Pinarium miserit isque referre neglexerit". — '- P. ois-
sieu Inscr. antiques de Lyon p. 136. Sie enthalten Fragmente einer Rede des Kaisers.
XIV. 24
I(i6 Dit. Fk. Kesker. Eis Edict des Kaisers Ci.Artnis.
Felller, wie Zeile 27 in possessionem fuisse, Zeile 31 plerisque (statt plerique), Zeile 3l) ratam esse
jubeat (statt rata esse jubeam). Auch das schon besprochene petentibiis (statt pendentibus Zeile 7)
und quisque (statt quique Zeile 17), endlich die Anwendung von ni und n vor q, wie Zeile 34
quaecumque neben tanquam, das auch in Zeile 37 wiederkehrt, g-ehüren hieher '^ — Charakteri-
stisch für die Zeit ist die wenn auch spärliche Anwendung des Accents, der zur Bezeichnung der
langen Vocale a e o u dient, wie in Zeile 7 aliquumdiii, Zeile 10 juris, Zeile 17 proci'iratoribus,
Zeile 29 quo, Zeile 32 meö, ördines, Zeile 35 egerunt '*. Dagegen erscheint das lange i, sowie das
doppelte durch Verlängerung über die Zeile hinaus angedeutet. Eine Unregelmässigkeit zeigt sich
nui" darin, dass cives in Zeile 35 mit dem langen, in Zeile 37 mit dem kurzen i geschrieben
wird; ebenso ist in dem Worte Tridentinis in Zeile 23 — 24 das lange i unrichtig in der letzten,
dagegen in Zeile 28 und 35 richtig in der vorletzten Sylbe angewendet.
Die Trennungspunkte sind von cb'eieckiger Form und erscheinen regelmässig zwischen je
zwei Worten, selbst zwischen den einzelnen Bestandtheilen zusammengesetzter Worte "". Zwischen
kurzen und einsylbigen Worten, meist Praepositionen und den dazu gehörigen Haupt- und Für-
wörtern sind sie bald gesetzt'"', bald weggelassen''. Daneben ei-scheinen auch in dieser Rich-
tung Verstösse ". Die Ligatur von a und m in der letzten Sylbe des Schlusswurtes tindet ihre
Erkläruner nur darin, dass der Raum für beide Buchstaben nicht mehr ausreichte.
4. Über die Fiuidstelle haben sowohl die Voce cattolica als auch das Ai-ciiivio giuridico '"
Anmerkungen mitgetheilt, die auch Mommsen in seine Erläuterungen aufnahm"'. Treffliches
enthält hierüber die Abhandlung des Gf. Giovannelli über den Saturnusdienst in den Triden-
tinischen Alpen. Die dort in früherer Zeit und auch jüngst wieder gefundenen Inschriftsteine
bestätigen die Ansicht des letzteren, dass auf den schwarzen Feldern oder doch in ihrer nächsten
Xähe ein TL-mpel des Saturnus gestanden habe.
Dafür spricht nun auch die Auffindung unserer Tafel an jener Stelle. Saturnus ist nach der
römischen Sage der Gott allgemeinen Wohlstandes, da unter seiner Regierung das goldene Zeit-
alter hen'schte"; er ist der Beschützer der Gesetze, er selbst hat die ersten Gesetze gegeben.
Darum wurde in einem Theile seines Tempels der Staatsschatz und das Reichsarchiv der Römer,
das aerariimi und tabnlarium, letzteres in den Jahren S4 — 78 v. Chr. erbaut*'. Ohne Zweifel
bildete ebenso für Trideutum der Saturnustempel in einem seiner Räume Schatzhaus und
Archiv der Gemeinde, in welchem aucli unser Edict angeheftet war.
'3 Die ungewöhnliche Verbindung des Encliticum ce mit ea in posteac Z. 13 kann nach Mommsen eine grammatische
Grille des K. Claudius sein. ti. 104, Anmerk. 2. Vielleicht ist das E ein Schreibfehler für H und sollte das Wort POSTHAC
lauten? — ''* In dem Worte jure Z. 29 fehlt es; für injuria gibt Mommsen, welchem ein Abdruck vorlag, den Apex an; das
lithographirte Facsimile aus Trient zeigt keinen solchen. — ^ä So Z. 25 tarn • et • si, Z. 33 non • nuUi. — '" So Z. 2 in • prae-
torio, — Z. 7 ex ■ veteribus, — Z. 12 ab • eo, — Z. 15 in • rem, — Z. 18 in ■ vicinia, — Z. 27 in • possessionem, — Z. 28
cum • Tridentinis, — sine • gravi, — Z. 31 es • eo. — '''' So Z. S ad quas, ■ — Z. 10 inter Comenses, — Z. 14 ad me, — Z. 20
ab ipso, — Z. 22 ad concionem, — Z. 25 id genus, — Z. 29 in eo, injuria non possit, — Z. 35 inter se. — -^^ So Z. 18
sum • ma, Z. 36 nom • inaque. — ^9 Bologna 1869 S. 360 f. — »o S. 99 f. — ^i Preller, Römische Mythologie S. 412. —
82 Orelli 3267. Becker Alterth. 1 317. Pauly R. E. VI 2, S. 1563.
167
Ein Antiplioiiariuiii im Stifte St. Peter zu Salzburg.
Von Dr. Karl Lind.
I. Einleitung.
_CiS ist für das Wesen der cliristlichen Kunst bezeichnend, dass sie schon in ihren frühesten
Anfängen vorzugsweise die Malerei in das Bereich ihrer Wirksamkeit zog und damit in ihren
ersten Zeiten schon relativ grosse Erfolge und glänzende Leistungen aufzuweisen vermochte. Es
ist dies um so merkwürdiger, weil die Hindernisse, die gerade damals der Übernahme dieser Kunst
aus dem Heidenthume entgegenstanden, nicht unbedeutend Avaren, indem die christliche Kirche
der ersten Jahrhunderte wiederholt das künstlerische Schaffen überhaupt, als gerade verdammens-
würdig von sich wies. Allein der Modus des Überganges fand sich damit, dass, obgleich die
römischen Malereien vor den Augen der Christen standen, sie für dieselben nicht die gewöhnliche,
bisherige Bedeutung hatten und auch nicht in solcher Absicht nachgeahmt wurden, sondern dass
man nm- die Form beachtete, den Geist jedoch verwarf, dafür einen neuen, einen christlichen
Gehalt hineinlegte, sie mit den höchsten Ideen erfüllte und bedeutungsvoll machte, ohne dass sie in
technischer Beziehung sich auszeichneten. Wir wollen absehen von der künstlerischen Ausstattung
der heil. Stätten durch Wandmalereien, absehen von den Fresken, mit denen zahlreiche Räume
der ausgedehnten Katakomben Roms ausgeschmückt waren, absehen von dem jedenfalls auch in
der Zeit der altchristlichen Kunst angewendeten Mosaikschmuck, und unsere Aufmerksamkeit nui*
jenen Pergamenthandschriften zuwenden, deren Miniaturen uns Zeugniss geben, dass die Malerei
sich schon damals, d. i. in der unmittelbaren Fortsetzung der antiken Kunst, nicht darauf
beschränkte in mehr oder minder grossen und rohen Zeiclniungen bunte Darstellungen an den
Wänden anzubringen, sondern, dass sie sich schon frühzeitig in jenen kleinen Bildern versuchte,
die eine weit erhöhtere Genauigkeit der Zeichnung und Farben und künstlerisches Streben ver-
langen.
Die Miniaturen \ welche in die ersten Jahrhunderte des Christenthums fallen, behandeln
tlieils Gegenstände der Antike, die sie in der früher üblichen Behandlungs- und Darstellungsweise
wiedergeben, wenn auch mit augenfällig minderen Kräften, theils Themata der heil. Schrift und
I Ausführliches über die Geschichte der Malerei und insbesondere der Miniatur-Malerei und über die noch erhaltenen
Denkmale dieses Kunstzweiges finden die Leser bei Kugler (kleine Schriften I, t — 95, und in dessen Handbuch der Kunst-
geschichte), Waagen (Kunstwerke undKünstler), Görling (Geschichte der Malerei), Dursch (Asthethik der christlich-bildenden
Kunst im Mittelalter), Schnaase (Geschichte der bildenden Kunst im Mittelalter) etc., auf welche Schriften wir mit dem
Bemerken verweisen, dass dieselben auch für unsere Einleitung massgebend waren.
24*
1(38 Dk. Kart- Lind.
zwar mit Vorliebe des alten Testaments. Dabei finden wir eine doppelte Auffassung: entweder
wird der Maler vom Bestreben geleitet, Symbole darzustellen, oder er liefert einfache liistorisclie
Darstellungen, die, wenn auch selbständig, sich in so engen Grenzen bewegen, dass sie mit
Zuliilfenahme von Allegorien den Symbolen ziemlich nahe kommen. In diese letztere Gattung
o-ehören die Bilder jener Bücher, die man schon in den ersten christlichen Zeiten beim Altardienst
brauchte, und die man desslialb mit Vorliebe prächtig ausstattete.
Mit Malereien geschmückte Schriftdenkmale aus den ersten fünf Jahrhunderten des Christen-
thums sind jetzt wohl höchst selten, und wir wollen uns begnügen nur etlidic davon zu erwähnen,
wie die Bilderhandschriften mit den Homer'schen Dichtungen in der ambrosianischen Bil)liothek
zu Mailand und die mit den Dichtungen des Virgil in der vatikanischen Bibliothek (beide dem IV.
oder V. Jahrhundert angehörig), so wie eine orientaHsche Bihlerhandschrift der Genesis in der
Wiener Hofljibliothek und einige Bruchstücke einer solchen im brittischen Museum. Doch mögen
damals derlei Handschriften nicht wenig gewesen sein, denn die noch vorhandenen Copien
umfangreicher Werke lassen mit Bestimmtheit auf verlorengegangene Originale aus dieser Früh-
Epoche der christlichen Malerkunst schliessen. Dahin gehören namentlich eine grosse Pergament-
rolle der vaticanischen Bibliothek mit Darstellungen der Geschichte Josua's und die bilderreiche
ebendort befindliche Handschrift des Octateuch. Beide diese Denkmale lassen mit Rücksicht auf
den Geist der Erfindung, auf das Leben in der Composition und in jeder einzelnen Figm- und
auf die ganze Auffassung mit Sicherheit annehmen, dass sie Copien von Darstellungen sind, die
einer der antiken Kunst noch sehr nahestehenden Zeit angehören, während der Schriftcharakter
und die äussere künstlerische Behandlung des ersteren der beiden Denkmale selbst auf das VII.
oder VIII.. des anderen auf das XI. oder XII. Jahrhundert als Anfertigungszeit dieser Copien
schliessen lassen.
Wir- wollen nun von Italien imd dem byzantinischen Reiche absehen, woselbst die Kunst
eine eigenthümliche Richtung nahm und den byzantinischen Styl schuf. Die Miniatur-Arbeiten
desselben zeigen sorgfältige Zeichnung, doch ist das Verständniss der Gliederführung theilweise
abhanden gekommen, die Stellung ist wohl natürlich, doch fast ohne Bewegung, steif und starr,
dabei herrscht Mansrel an Gesichtsausdruck. Ausserhalb Italien, vornehmlich am Rhein und im
Westen Em-opas gelangte die Miniaturmalerei erst in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends
zu einiger Bedeutung; denn da es am Kunstgeschiuacke für Wandmalei-eien und Mosaike fast fehlte,
so wie auch an den erforderlichen Geldmitteln und Materialien dazu, so wandte man sich mit
Vorliebe zu diesem besonderen Zweig der Malerei, der weniger derlei Vorbediugimgen verlangte,
dabei dem Streben nach Pracht auch genügte, und benützte ihn, um gleich wie in Byzanz und
Rom heilige Bücher und merkwürdige Schinften theils behufs ihrer besseren Erklärung, theils zur
Erhöhung der Kostbarkeit derselben damit auszustatten.
Besonders in den letzten drei Jahrhunderten des ersten Jahrtausends finden wir diesseits der
Alpen ziemlich vermehrte Denkmale dieses Kuustzweiges , was auf das Bestehen einer erhöhten
Kunstpflege schliessen lässt. Namentlich war es Karl der Grosse (768 — 814), welcher auf dem
Felde der Kunst als gewaltiger Bahnbrecher erscheint, auf dessen Geheiss viele heilige Bücher
angefertigt ^^'urden und der den Mönchen deren Vervielfältigung als eine ihrer Hauptpflichten
einschäi-fte, daher wir derlei kostbare Bücher im Besitze der Kirchen, Klöster und ihrer mächtigen
Gönner finden. Der Regierung Karls des Grossen gehören mehrere Pi'achthandschriften an, die
sich in den Bibliotheken zu Paris (les heures de Charlemagne), London, Wien (Evangelistarium
Karl des Grossen), Kremsmünster (Codex millenarius), Trier (Codex aureus) etc. befinden. Die aus
dieser Zeit stammenden Handschriften des Evangeliums, der Psalmen oder auch die ganze Bibel
enthaltend, ermangeln oft der historischen Bilder, aber die symbolischen Darstellungen Christi und
Ein Antiphonariim im Stifte St. Peteij zv Salzbukg. 161)
der Evangelisten, so wie die Bilder einzelner Heiligen fehlen fast nirgends und finden sich an der
Stelle, wo sie hingehören. Die Handschriften von Karl des Grossen Zeit an haben oft ein Dedica-
tionsblatt, auf welchem der Kaiser oder König dargestellt ist, wie derselbe das Werk vom Ab-
schreiber oder Künstler empfängt. Auch findet sich gewöhnlich in jeder dieser Schriften zu Anfang
ein Kalender, der mit Säulen, Bögen und Heiligenbildern eingefasst ist. Reicher ausgestattete
Manuscripte, haben mitunter purpurfarbige Pergamentblätter, auf jeder Schriftseite eine Randein-
fassung, auch sind die Anfangsbuchstaben jedes Buches oder einzelnen Abschnittes zierlich aus-
gestattet. Ausführliche Darstellungen nehmen eine Seite ausschliesslich ein oder doch einen
grossen Theil derselben und .sind dann vom Texte umgeben. Die Bilder meist prächtig und, wenn
sie klein sind, auch zart ausgeführt, zeigen ein beachtenswerthes Aufraffen im Sinne der antiken
Kirnst, eine gewisse Grösse und jugendliche Frische, grössere Lebhaftigkeit in der Bewegung,
die sich von der damals nur geringen Einfluss auf das Äusserliche behauptenden Schrofilieit des
byzantinischen Styles möglichst freihält.
Ungleich höher als die Figurenzeichnung in den karolingischen Miniaturen steht die orna-
mentale Arbeit, jene wahrhaft merkwürdige und mühsame Verzierung der Blattränder, einzelner
Blattpartien und der bisweilen damit in Verbindung gebrachten Initialen. Das antike Ornament
blieb zwar immer zur Grundlage, allein es zeigen sich hier schon allmählig abweichende Formen,
mit schönem Styl in Zeichnung, mit Geschmak in den Fai'ben und kräftigem Wirken damit, wir
erkennen Sinn für Schönheit der Linien, für Massen und Vertheilung, auch tritt in den Arabesken
eine Verbindung von Linien mit vegetabilischer Bildung (Thier- und Menschengestalten) hervor.
Eine besondere Art des Ornaments war dm-ch die aus irischen Klöstern nach den Continent
gelangten christlichen Sendboten S. Columban, Kilian, Willibord, Gallus in Aufnahme gekommen,
nachdem die Miniatur-ÄIalerei, noch bevor sie im Frankenlande in Blüthe stand, sich dort in
ziemlich barbarischer Weise aber fast unabhängig von den Traditionen der Antike und frei
von jedem byzantinischen Einflüsse aus sich selbst herausgebildet hatte. Diese irische Ornirung
bestand in dem freiesten Spiel mit Linienführung und Bandornamenten und Formenverbindung,
für welche die Naturwelt kaum irgend ein Vorbild hat. Li künstlich ausgesuchtester Weise
verschlingen sich Bänder, Riemen und Ranken; Schnörkel aller Art drehen sich mit langen
Schwingen und unendlichen Schlingen in den phantastischen Windungen durcheinander, besonders
an den Blatt-Rändern und bei den grossen Buchstaben. Diese Verzierungsweise bemächtigte sich
auch der Figuren, welche in monströser Art mit Schnörkeleien in Verbindung kamen, ja hinein-
gezwängt wurden, so dass oft kaum die Grundlinien der Menschengestalt zu erkennen sind. Die
Glieder nehmen den Schwung graphisch verschlungener Linien an, die Menschen sehen wie Buch-
staben aus, ohne dass gerade eine Carricatur aus diesen barbarischen Verunstaltungen folgen
würde. Es liegt ein tiefer grauenhafter Ernst in diesen Bildern, bei denen die Köpfe und Hände
u. s. f., wo sie einigermassen der menschlichen Natur ähnlich werden, oft vom Körper so getrennt
dargestellt werden, dass man unwillkührlich an eine Richtstätte erinnert wird, die mit abgehaue-
nen Gliedmassen bedeckt ist. Und doch herrscht in dieser irischen Ornamentik trotz aller schein-
baren Willkür ein Gesetz.
Von den Iren nahmen die Angelsachsen diese phantastischen Ornamentirungen an, hielten aber
für die figürlichen Darstellungen die aus Italien herüberkommenden Typen fest. Es scheint, dass
die innerste Natur derselben sich gegen diese Verzerrung der menschlichen Gestalt bald gesträubt
hat, da sie zu viel an Fetische, an die widernatürlich verzerrten Götzen der heidnischen Slaven
erinnert.
Obschon die irische Art der Manuscript- Verzierung immer mehr Eingang fand und die Menge
der auf so barbarische Weise verzierten Manuscripte immer zahlreicher wurde, so sank dennoch
170 Dr. Karl Lind.
deren Kunstweitli. Der unter Karl dem Grossen gewonnene Aufschwung war noch nicht von
Dauer, es war noch kein tieferer Lebensgehalt gewonnen, denn nur zu bald folgte Verwilderung
und zunehmend rohes Wesen, wie dies die Wessobrunner Handschrift (814) zu München und die
immerhin noch prächtigen Werke aus Kai'l des Kahlen ('847) und Kaisers Lothar L (840 — 855,
dessen Evangeliarium ) Zeit bezeugen, daher das IX. Jalnhunderl nodi als eine Periode der Blüthe
betrachtet werden kann, gegen die unmittelbar darauf folgende Zeit. Bald verdunkelte sich der
künstlerische Gewinn der christlichen Frühzeit und es trat allgemein die Barbarisirung ein , aus
der nur Einzelnes eine höhere Kraft und geistvolle Erneuerung des Alten zeigt. Man bemerkt wohl
noch einen massgebenden Einfluss griechischer und römischer Vorbilder. Christus und die Heiligen
erscheinen oft in steifer Gestalt und Würde, wie auf den Mosaiken, aber oft auch jugendlich und
heiter, wie auf iliren Vorbildern in den Katakomben. Es finden .^ich die antiken Personirtcationen,
Sonne und Moiui erscheinen als Apollo und Diana auf zweispännigen Wagen, ferner Flussgötter,
Allegorien etc. Ebenso erkennt man daneben Spuren des sich allmählig zur Selbständigkeit erhe-
benden fränkischen Geistes in der Gestaltung des menschlichen Leibes, in der Anwendung der
fränkischen Tracht, in der Wahl der Gegenstände und in der Erfindung. Ferner erkennt man
den nach Freilieit und Selbständigkeit in der Kunst ringenden deutschen Geist dadurch, dass
man sich an historisch-svmbolische Darstellungen im epischen Zusammenhange wagte, luid Gegen-
.stände künstlerisch behandelt werden, welche in Italien und in Constantinopel von der maleri-
schen Behandlung ausgeschlossen waren, denn wir sehen z. B. Gott Vater in der Schöpfungs-
geschichte dai'gestellt. Allein ungeachtet dieses unzweifelhaften Fortschrittes, tritt docli Rohheit
in der Ausfiihrung zu Tage, die Darstellungsmittel werden immer gröber und dürftiger, die Ab-
nahme der künstlerischen Leistungen im Ganzen ist unverkennbar.
Kurz zusammengefasst folgen die Franken des IX. Jalirlunulerts spät-römisch-byzan-
tinischen Einflüssen, nehmen Untergeordnetes von den Briten an, durchdringen das typisch Über-
nommene mit einem naturwidrigen Element, welches sich mehr durch Verwendung- der Figuren
wie durch besondere Fonngebung kundgibt. Es ist ein Ringen zwischen den bestehenden äusseren
Einflüssen und dem erwachenden germanischen Geiste.
Noch grösserer Verfall zeigt sich in den Arbeiten der Epoche Kai-1 des Dicken (Ende des
IX. Jalu'hunderts), davon ein bedeutendes Denkmal die Hand>;clnift der Vulgata in der Calixtus-
kirche zu Rom ist.
Während des X. Jahrb., der Vorstufe des unter den Kaisern aus den sächsischen, fi-änkischen
und schwäbischen Häusern blühenden romanischen Styles, begann Deutschland im allgemeinen
durch seine künstlerischen Leistungen einen hervorragenden Platz einzunehmen. Jsun der durch
die Zeitereignisse und Culturverhältnisse herbeigeführte Stillstand ein Ende hatte, erwachte in allen
Kunstgebieten ein neues Leben, frische Kräfte wurden thätig tnid über alle Erzeugnisse sehen wir.
wie mit einem Schlage den vollen Reichthum der Gebilde ausgegossen. Freilich wohl nahm an
diesem Aufschwünge die Miniaturmalerei nur gerin^ren Antheil. Denn da das künstlerische Bestre-
ben noch der Gemeinsamkeit entbehrte, so blieb auch der Werth der Producte sehr verschieden
und das Bedeutende nur vereinzelt. Im allgemeinen und Ganzen gleicht der Kunstcharakter der
Arbeiten hoch jenem des karolingischen Zeitalters imd zeigt unverkennbar den Kampf der byzan-
tinischen Studien inid der fränkischen Tradition um den Einfluss. dabei auch noch das Bemühen
in Nachbildung und die Geltung der älteren Formen und Kunstweisen, doch kommen schon häuflg
mancherlei mit erneuerter Frische aufgefasste Combinationen, starke Einzelmotive und durch-
gebildeter Farbensinn vor. Die gegen fi-üher zahlreicheren Producte des X. Jalirliunderts, gleich
wie früher Schöpfungen der Klosterschulen, behandeln in Übereinstimmung mit dem allerorts
kräftie auflebenden christlichen Sinne meistens Per.sönlichkeiten und Scenen des f^vangeliums.
Ein" Antipiionarilm i5i Stifte St. Petlr zu Salzburg. 171
Als das mit Angst und Bangen erwartete Jahr Eintausend um war, begann allerorts in
Deutschland eine rege Thätigkeit, um die in der Furcht vor dem bevorstehenden Weltunter-
gang und zu dessen Abwendung gemachten Gelübde rasch zu erfüllen. Freilich war es wieder
die Architektur, die dabei am meisten Beschäftigung und Entwicklung fand, allein auch die
Bedeutung von Sculptur und Malerei war im Zunehmen, wie diess die sich steigernde Anzahl ihrer
noch vorhandenen Producte beweist, ohne das.s sich in der grossen Mehrzahl der Charakter des
früheren Jahrhunderts geändert hätte. Dabei sehen wir in manchen Bildern schon eine gewisse
schlichte Strenge, einen einfach typischen Charakter heraustreten, wie er einer solchen Epoche
künstlerischer Anlange wühl ansteht. Anderseits ist gewiss, dass in vielen Miniaturmalereien des
XI. Jahrhunderts, und eines grossen Theiles des nächsten, gleich wie in den letzten Decennien des
früheren einerseits das byzantinische Element noch in einer eigenthümlichen Mischung mit dem
deutschen durch Nachahmung byzantinischer Typen, so wie auch das lebhafte Colorit und eine
bedeutendere Verwendung des Goldes verblieb, doch hebt sich auch im Gegensatze das deutsche
Element durch das Streben nach geschmackvollem Vortrag und nach Beseitigung des Steifen und
Starren der byzantinischen Vorbilder, durch lebhafte und bewegte Gruppen immer mehr her-
vor. Freilich wohl werden dadurch die Zeichnungen manierirt, verschroben und verzerrt, ja krüp-
pelhaft, allein es ist ein Fingerzeig, dass die deutsche Kunst bald ihren eigenen Weg wandeln
werde. In den Bibliotheken von St. Gallen, Trier (Evangelium des Erzbischof Egbert 978 — 993)
München (die Bamberger Prachthandschriften, das Evangelium von Tegernsee 1017 — 1074),
Aachen (Evangeliarium Kaisers Otto III.), Würzburg, Bamberg, Prag, Gotha (Evangelium Otto II.
c. 973), Bremen, Paris, Klosterneuburg (Psalterium des S. Leopold) haben sich namhafte Beispiele
von Miniatm--Malereien vom X. bis Mitte des XII. Jahrhunderts erhalten.
Doch hatte diese mehrseitig auftretende Reform in Sculptur und Malerei noch nicht feste
Wurzel gefasst und so blieb es für damals nur beim Anlauf zur Besserung, weil sie nur von der
Gunst und Geschmacksrichtung einzelner Personen , geistlicher und weltlicher Fürsten abhing
und verschwand im allgemeinen bald wieder, daher das XII. Jahrhundert vorwiegend das frühere
anspruchslose strenge Gepräge, das Typische und Schematische beibehielt, wie uns die bekannte
Handschrift der Herrarde von Landsberg (hortus deliciarium 1195) und eine zu München befind-
liche Evangelienhandschrift aus dem Stifte Niedermünster zeigen.
Gegen Ende des XII. Jahrhunderts und zu Beginn des nächstfolgenden, als der romanische
Styl seinem Abschlüsse entgegenging und im allgemeinen eine grössere Pflege der bildenden Kunst
Platz griff, nahm auch die Miniatur-Malerei einen grösseren Aufschwung. Ein bedeutender Hebel
dafür lag darin, dass nun auch die nationale Poesie anfing der Miniaturmalerei Stoffe zur künst-
lerischen Darstellung zu liefern. Alan kann annehmen, dass von da an die Zeit gekommen war,
wo die Dichtkunst mit der Malerei Hand in Hand sich verband und eine nicht blos äusserliche
sondern von dieser geistigen Macht getragene und fortentwickelte Einigung begann. Die Malerei
wurde dadurch veranlasst sich an das Leben und dessen mannigfaltig wechselnde Verhältnisse
anzuschliessen, wenn sie der dichterischen Stimmung ordentlich entsprechen wollte. Es wird auch
die Annahme nicht zu gewagt erscheinen, dass, so wie im allgemeinen bereits im XL Jaln-hundert
der Laienstand an den Kunstübungen sich zu betheiligen begann, auch die Miniatur-Malerei nicht
mehr ausschliesslich in den Händen der Geistlichkeit blieb und blos in den Klöstern getrieben
wurde. Es entwickelten sich aus den typischen Vorbildern der früheren Jahre und dem noch
bestehenden Einflüsse byzantinischer Studien zwei Hauptrichtungen, die sich jede in charakteri-
stischen Eigenthümlichkeiten ausprägen und den Keim für weitere Entwicklung in sich tragen.
Die eine Hauptrichtung war die ausgebildete Malerei mit Deckfarben, die vorzugsweise an den
älteren Stylmotiven festhält und auf decorative Wirkung abzielt. Feine Behandlung der Farbe,
1*2 Db. Kakl Lind. Ein Astiphonabilm im SnrrE St. Petek zc Sälzblrg.
scharf ffezeiclmete Umi-isse, Goldgrund, phantastische Randoraamentatioii und Anfangsbuch-
stabenbilduno- charakterisben diese Richtung, die dmch idealistisches Aufstreben und inner-
liche Empfindung die überlieferten Formen trotz ilu-er Sti'enge veredelt und verfeinert. In ihr
bildet sich der entschiedene Gegensatz zur byzantinischen Darstelluugsweise, indem ihre Figu-
ren in einer feineren Würde erscheinen, ihre Gedanken sicli klarer hervorheben und sie den Affect
ero-reifend und wahrscheinlich werden lässt. In München (Mannscript mit biblischem Text aus
Salzburg), Hamburg. Aschatfenburg (Evangeliarium aus Mainz), Bamberg und Stuttgai-t (der soge-
nannten Wartburo--Psalter 1193 — 1216 mit Bildnissen fürstlicher Personen) finden sich derai-tige
ausgestattete Handschiiften.
Die andere Richtung ist zwar minder gefällig und gliinzend, aber für die Geschichte der
deutschen Malerei von nicht minderer Bedeutung. Man bestrebte sich nämlich die Figuren und
Gestalten in einfachen , aber scharfen farbigen (meistens schwarz und roth) Umrissen auf tarbi-
o-en Gründen oder auch ohne solche zu zeichnen, sie decorativ und ornamental zu behandeln und
sie besonders bei Ausstattung grosser Anfangsbuchstaben in kühn phantastischer Weise mit dem
Ornament zu verflechten, ein fast märchenhaftes Spiel poetischen Zug bekundend. Diese Darstel-
lungsart scheint besonders in den bah-ischen Ländern gepflegt worden zu sein und diente in
überwiegender Weise zur Illustration von Dichtungen.
Die Zeichnungen sind schlicht und einfach, die Bewegungen lebhaft, der Ausdruck wirk-
sam, dabei ist die technische Ausführung wenig hindernd und gestattet dem Künstler mehr Freiheit
und eine gewisse Leichtigkeit, es entwickelt sich ein lebendig dramatischer Vortrag, dabei kommen
wohl auch bai-barisch rohe Gestaltungen und Fehler gegen den körperlichen Organismus vor.
Es kann eine Fülle von Lebensbeziehungen und dessen wechselnde Verhältnisse zur Anschauung
gebracht werden, was bei einer mehr durchgebildeten Form nicht leicht möglich gewesen wäre.
Dieses Streben war der Beginn einer weiteren Entwicklung, weil nicht nur eine sichere Darstellung
sondern auch eine grössere Aufmerksamkeit für Natm-wahrheit nothwendig wurde. Obgleich diese
Darstellung anfänglich viel Ähnlichkeit mit der byzantinischen hatte, denn sie war mehr sche-
matisch als malerisch , so zeigt sie doch grössere Lebendigkeit der Geberdeu, das Streben nach
höherer Vollendung und wirklichen Aufschwung und entfernte sich bald so sehr von ihr, dass
sie zu ihi-em Gegensatz wm-de. Beispiele dieser Richtung finden sich zu Stuttgart 3 Passionalia,
zu München (die heil. Geschichte von Conrad von Scheyeru), zu Berlin (die Eneis des Heinrich
von Waldeck 1200, das Leben Mariens aus Tegernsee 11S7), zu Heidelberg (das Rolandslied) etc.
So wären wir bei jenem Zeitpunkte angelangt, wo das den Gegenstand unserer Betiachtung
bildende Antiphonarium , in dem an so vielen Kunstdenkmalen des Mittelalters reichen Stifte
St. Peter zu Salzbm-g aufbewahrt, entstanden sein mag.
Stift Sl PETER in SALZBURG
TAF. 1.
Slift St PETER in SALZBURG
TAF.II
Stift St. PETER mSALZBURG
TAF.III.
AVoert Cainesma feo 1865
:ift St, PETER
iSALZBURG
TAF.IV.
Ürucka Gl KLcUot-Ti ÖtaatsctTiLckere''.
.-,. Stift Üt PETER in SALZBURG
t€¥^Yt¥v^;:^tV^V;,-¥^^y.-s^t^t'i^;:;^^^¥-w^
Wx fMA*J.M*^^A.^^^ß^SM^.AlA^J,a;k!:.AMdM
i'T.Lt fTi t uetnieäji.T
Stift St PETER in SALZBURG
TAF.Vl.
■:r._::;:j l r; V. Hüf-a oxaats dru-ckerr
Stift St PETER inSALlBURG..
TAF.VII.
■khii Ick Hut -i :
ia*tsciTucKerei
Siifi St. PETER In SALZBURG
TAF.VIll.
Druck a ä klc.Hof-u otaaU::clTu.ckerei
AlteTi Camesina fec 1868
;ift St PETER
[SALZBURG
LiZTAF. IX.
Trxicka ä K-tBol-ii. Staatsdinckarei
AVoeirt Cauiesina tec iHi
f4
TAF.X.
Stift St. PETER in SALZBURG..
TAF. XI.
Dru-cka d klcEof-ii Staats drucke
5iift St. PETER inSALZBURG
TAF.XI
AU.-,
Stift St. PETER in SALZBURG
TAF.XI
Stift St. PETER rnSALZBURG
TAF.XIV.
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u. Staats druclc&r ei .
1868
Stift St.PETER in SALZBURG.
TAF.XV.
Stift St. PETER in SALZBURG..
TAF.XVI.
Siift St. PETER In SALZBURG..
TAF.XVII.
»atsdriiCKerei.
Siift M PETER mSALZBURG
TAF. XVIII.
Siift 5t PETER inSALZBURG
TAF. XIX.
Bruclta d klcHof-u Staa:; iruckerei
JlLbsTt oamesiiiÄ tec libÜ .
Slift St. PETER fn SALZBURG
TAF. XX
SiiftSi. PETER In SALZBURG..
TAF.XXl.
tavJ-It ^<.L u-C Kcttii
_Äi.t..er- Larnesmc.
Slift St. PETER in SALZBURG..
TAF.XXII.
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Siift St. PETER in SALZBURG..
TAF. XXIII.
i otaai^arucric
imesma tec löbß
itift Sl. PETER in SALZBURG.
TAF.XXIV.
irucka ä klc n^
Sc. K^dbcrcuf.
.iieit Caraesins
STIFT St.PETERin SALZBURG C>::;
TA F. XXV
m'^mmmmm^
PholhoUlhogr n Driic^v.OscW.igsl.Wien.
STIFT St PETKRin SALZBURG
TA F. XXVI
Das Antiphon AinvM rm Stifte St. Peter zu Salzburg. 17d
IL Beschreibung.
(Mit 20 Tafeln und 1 Holzschnitt.)
Das in Rede stehende Antiplionarium, jedenfalls der kostbarste Codex unter jenen, die sich
in dem an derlei werthvollcn Schriftdenknialen des Mittelalters reichen Stifte St. Peter in Salzburg,
dessen Kunstdenkmale schon wiederholt diesen Blättern Anlass zu Besprechungen gaben, befin-
den, enthält zuerst die sogenannte Brevier- Antiphone und sodann in seiner grösseren Hälfte die
Mess-Antiphone und zwischen beiden auf 14 Seiten das Kalendarium. Das Format des Codex ist
Klein-Folio,' und umfasst 423 Pergament -Blätter, die im XVI. oder XVII. Jahrhundert paginirt
worden sein mögen'.
Der ganze Codex ist in lateinischer, ziemlich grosser und stehender Schrift geschrieben,
dieselbe zeigt einfache Buchstaben mit festem Zvige, ist fleissig und klar ausgeführt itnd leicht
lesbar. Es ist wahrscheinlich, dass sich vier Schreiber mit dem Codex beschäftigten, indem von
Seite 467 an die Schrift etwas kleiner und zarter wird und überhaupt einen etwas anderen Charakter
bekommt; mit Seite 473 kehrt die erste Schrift wieder zurück; 789 tritt Avieder der zweite Schrift-
charakter ein, der Seite 810 einem dritten weicht, welcher nun bis zu Ende bleibt. Die kleinen
Buchstaben wurden alle in schwarzer Farbe geschrieben, nur die g-ewöhnlichen Initialen sind
grösstentheils roth, selten schwarz, noch seltener blau. Auf jeder Seite sind beiläufig 18 bis
24 Zeilen geschrieben, und zwischen den Zeilen sieht man die alten Choralnoten, mn den
Schrifttext singend vortragen zu können. Aus der Hand eines vierten Schreibers mag das Kalen-
darium stammen.
Den Hauptschmuck des Codex bildet seine reiche Ausstattung durch Illustrationen, diesel-
ben sind von zweierlei Art, nämlich eigenthümliche auf den Inhalt des Buches bezügliche Bilder
und viele Initialen. Die ersteren so wie auch die letzteren sind in doppelter Weise ausgeführt,
nämlich entweder bloss mit der Feder gezeiclmete schwarze und rotlie Linien als Contouren der
unbemalten Figuren auf gemaltem Grunde, oder mit Deckfarben und Gold auf farbigem oder Gold-
Grunde, welche beide Malerei-Arten wir schon in unserer Einleitung kurz berührten. Die Gemälde
mögen höchstens drei verschiedenen Malern angehören, da die Blätter mit Deckmalerei, so wie
jene in der Contouren-Malerei und die farbenreiche Ausstattung des Kalendariums einigermassen
verschiedene Charaktere in Farbenführung mid Zeichnung zeigen.
Die eine Art der Initialen- Bemalung, nämlich die, bei welcher der Buchstabe nur durch
farbige Anfangslinien dargestellt wird, ist die am meisten angewendete, und dürften sich so aus-
gestattete Anfangsbuchstaben über 300 im Codex vorfinden. Sie sind von sehr verschiedener Grösse;
während die einen bisweilen fast die ganze Blattseite bedecken, sind die anderen nur unerheblich
grösser als die Anfanofsbuchstaben der gewölmlich im Codex angewendeten Scin-ift. Die meisten
der Initialien dieser Art werden aus ungleich breiten, mit ungemeiner Zierlichkeit und Leichtigkeit
geschwungenen und sich verästenden unbemalten und nur von rothen Linien eingeränderten Bändern
gebildet, denen als Verzierung der Intervalle dreilappige bunte Blätter beigegeben sind. Mitunter
sind sie auch mit Darstellungen von wirklichen oder idealisirten Thieren geziert, die sich alsdann
in den phantasiereichsten Verschlingungen mit dem Gcäste des Buchstabens verbinden. Am öftesten
verwendete der Maler Vögelfiguren, indem er sehr häufig Geier, Tauben, oder gar vogelähnliche
mit einem langen Rollschweife verseliene Drachen, und zwar nicht bloss in einfacher, sondern
' Die Pag-ininmg ist tlieilweise unrichtig, indem die .Seiten 55 — 59 und 77 fehlen , ohne dass dieser Fehler durch das
ganze Werk ginge, denn mit pag. 185 beginnt die richtige Paginirung.
XIV. 25
1 ( 4 Dr. Kakl Lind.
auch bi? in tiiiiftachtr Zahl dvn BiK-hstalKU unter den wundt-rliehsten Gnippiruno^en und Mündunircn,
mitunter auch einander bekäuiptend, beifügte. Dahingehört (Fig. 1. Tat. X.WTj die Initiak- V auf
Seite 632 des Codex, die uns zwei mit den Schweifen in einander versclilungene und mit den Köpfen
von einander abgewendete Drachen zeigt, ferner Initiale J. auf Seite 2Ui (Fig. 2 derselben Tafel),
wu die beiden Drachen mit einander um einen Zweig zu kämpfen scheinen. Doch finden wir auch
Buchstaben, die mit Löwen, Bären, Hunden, Hasen, Fuchsen ausgestattet sind. Meistens erscheinen
diese Thicre in ruhiger oder schreitender Stellung, wie in der Initiale A von Seite 84 (siehe Fig. 3
derselben Tafelj, bisweilen auch einander bedrohend oder gar käm})fend , wie die Initiale S von
Seite 539 ("Fig 4 derselben Tafel) zeigt, wo Bär und Drache auf einander grimmig losgehen.
Schliesslich geben wir noch zwei Beispiele von einfachen Initialen, die sich durch den ge-
schmackvollen Rithmus in der Bandverschliugung auszeichnen. Es ist dies (Fig. 5 dieser Tafel)
die Initiale J und (Fig 6) die Initiale 0 von Seite 46, wovon die erste in der architektonischen
Anordnung ihrer Linien fast ausschliesslich massgebend ist für ähnliche Buchstaben, so wie auch
die zweite nach den Fensterrosetten für die Buchstal)en C. D. E und G die Grundlaae bildet. Wie
schon erwähnt, wird jeder grosse Buchstabe sammt den ornamentalen Zuthaten durch rothe zarte
Umfassungslinien gebildet, die an einigen wenigen Stellen etwas kräftiger werden. Den Grund des
Buchstabens bildet in der Überzahl blaue Deckfarbe mit eing-emengteu grünen Stellen, doch
kommen einige wenige Initialen wie auch Gemälde vor, die keinen gemalten Hintergrund haben.
Von den in Deckfarben ausgeführten Initialen werden wir bei Gelegenheit der Beschrei-
bung der Gemälde, mit denen dieser Codex so reich ausgestattet ist, sprechen.
Wie bereits bemerkt, zeigen die Gemälde eine doppelte Art in der Behandlung der Malerei.
Ein Theil . und zwar der bei weitem geringere (sechs theils einfache, theils Doppelbilder und
zehn Initialen) ist mit Deckfarben auf Goldgrund ausgeführt, der andere und zahlreichere Theil
(15 Bilder) zeigt uns die Figuren in Contouren durch Linien ausgeführt auf farbigem Unter-
grunde. Für die Contourlinien ist immer Schwarz, niu- bei Gewändern, Waffen, Sceptern. Kronen
und derlei Zuthaten Roth verwendet. Der Giund des allemal viereckigen, mehr breiten als hohen
Bildes ist gewöhnlich im Mittelvierecke blau und gegen den äusseren Rahmen hin grün. Doch
kommen davon auch in so ferne Ausnahmen vor, als die Vertheilung dieser beiden Farben am
Hintergrunde in Entsprechung gewisser Darstellungen, wie Thore, Mandorlen u. s. w. geord-
net wiu'de. Alle Bilder, sie mögen mit Deckfarben geraalt oder nur in Linien ausgeführt sein,
haben eine schmale Umrahmung- . die die verschiedenartigsten Zeichnungen zeigt; man kann
sagen, es stehe keine der anderen an Zierlichkeit und Geschmack nach. Die Bilder selbst sind bis-
iveilen einzeln angel)raclit und nehmen dann nur beiläufig die halbe Seite ein, bisweilen sind zwei
unter einander gestellt, haben aber gemeinschaftlichen Rahmen, und füllen dann eine Seite aus.
Wir wollen nun den Codex von Anfang an durchgehen, und die einzelnen Bilder, so wie
auch die grösseren Initialen einer aufmerksamen Betrachtung unterziehen und den \ ersuch machen,
sie zu erklären.
Seite 3. Hier finden wir die Initiale J; sie ist in Contouren ohne Untergrund ausgeführt. Zu
oberst des Buclistabens sehen wir in einem auf die Spitze gestellten Vierecke das Brustbild des
segnenden Heilands, im langen Mittelstücke des Buchstabens zwei Engel mit Lanzen einen zu
ihren Füssen liegenden Drachen bekämpfend, nach aussen auf jeder Seite einen Löwen. Den unte-
ren Abschluss des Buchstabens bildet in einem ebenfalls auf die Spitze gestellten viereckigen Rah-
men das Bildniss des Täufers Christi.
Seite 9. Initiale .P, dargestellt durch die Figur eines Propheten, die Zeichnung nur in den
Umrisslinien, theils schwarz und blau in der Figur, theils roth und lichtblau an dem Obcrkleide.
- Die Initialen sind den, nacli dem Originale durch Petzolt ausgeführten Zeichnungen nachgebildet.
Ein Antiphonarium im Stifte St. Peter zu Salzburg.
175
Seite 155. Mit dieser Pagiiia beginnt das Kalendariuni. Dasselbe ist besonders schön und
mit Vorliebe durch Malereien ausgestattet. Die Gemälde sind in Deckfarben ausgeführt, reich
vergoldet, und zeigen, gleichwie die hier vorkommende Schrift, einen ganz anderen Charakter,
als der im übrigen Buche vorherrschende ist. Den Kopf jedes Blattes schmückt eine romanische
dreitheilige Arcatur mit dazwischen eingesetzten phantastischen Blumen auf grünlichem Grunde.
Unter dem ersten Bogen betindet sich eine Initiale von Gold mit rothen Linien eingerahmt auf
dunkelblauem Grunde, unter dem zweiten und dritten je eine Heiligengestalt, meistens ohne Attri-
but, doch fehlt nirgends der beigelegte Name.
So sehen wir für Jänner: St. Agnes virgo und Paulus apostulus, für Februar: Maria virgo
(Fig. 1) und St. Mathias, für März: St. Gregor und Benedict, für April: St. Marcus und St. Georg,
(dargestelltals Jüngling mit einer Kerze), für Mai: St. Philipp und Jacobus, für Juni: den Apostel
St. Peter und Johannes den Täufer, für Juli : Maria Magdalena und Jacobus, für August: St. Lau-
renz imd Bartholomäus, für September: St. Matthäus und Rupertus, für October: St. Dionysius
und St. Amandus, für November: St. Martin und Andreas imd für December: St. Thomas und
Johannes. Ferner ist jedem Monat in einem Medaillon das Bild des demselben entsprechenden
Zeichens des Thierkreises auf blauem oder grünem Grunde in bunter Zeichnung beigegeben. Bei
jedem Monat sind fromme Sprüche, die Anzahl der Tage, die Tag- und Nachtlänge, Notizen über
Witterung, die Reihe der kirchlichen Festtage und die Festtage einzelner Heiligen, besonders der
auf den Benetictiner-Orden sich beziehenden, beigesetzt^.
Nach den zwölf Monatstabellen folgt ein Blatt mit der Berechnung des Zeiteintrittes des
Osterfestes, als der Basis der beweglichen Festtage, ausgerechnet zuerst für das Jahr luü-i, dann
1092 u. s. f. bis 1867; den Schluss des Kalendariums macht, der früheren Tabelle als Ergänzung
dienend, eine Tafel mit der Zusammenstellung und Berechnung der beweglichen Festtage des
Jahres. Die zierliche Ausstattung dieses Blattes können wir nicht unerwähnt lassen; denn die
reich geschmückten Rundbogen, unter denen die fünf Rubriken eingetheilt sind, kann man als
ganz geschmackvolle architektonische Zeichnungen hervorheben.
3 Im Monat März finden wir auf den 2:j. das Fest der Auferstehung eingetragen, jenes Fest, das, nun nicht mehr üblich,
ohne Rücksicht auf die Ostern gefeiert und zu den unbeweglichen Festtagen gerechnet wurde.
25*
*"*' Dr. Kakl Lind.
•Seile 166. Hier befindet ..ich das Dedicatiousblart des Codex, leider nur ein Bild und
keine die Zeit der Antertigung näher bezeiclmendea Worte dabei. Innerhalb eines bunten Rahmens
sind zwei herrliche Darstellungen auf Goldgrund in Deckfarben angebracht: die obere zeiot in der
Mitte auf einem reichgeschmückten Stuhle sitzend den heil. Petrus in bischöflicher Klei.Uing nn
Haupte die niedrige M.tia mit doppelter Aurifrisia. mit dem Pallium beklei<:let, in der Linken ein
kostbar gebundenes Buch und h. der Rechten den Schlüssel haltend; die Glocken-Casula ist von
rüthhcher Farbe., die Dalmatica grünlich, das Unterkleid weiss und die Fussbeo-k-ituno- röthlich
In gleicher V. eise sind die beiden an der Seife des heil. Petrus stehenden Bischöfe" vielleicht
b. Rupert und S. Woltk^nigj behandelt, nur tragen sie einfache Krummstäbe und ii.re Mitra ziert
bloss eine emfache Aurifrisia. Auch sie tragen das Pallium und gleiche bläuliche roth oemusterte
Caseln über hellrothen Dalmatiken. "^
Unter dieser Haupt-Gruppe sieht man eine zweite, die aber aus bei weitem kleineren Fiouren
gebildet ist. Sie stellt die Widmung des Antiphonars an den Patron der Abtei den heil Petrus
dm-ch den Klosterabt vor. Derselbe kniet, das Antlitz gegen St. Peter gewendet, stützt sich mit der
linken Hand auf einen eint\ichen Krummstab, während er in der rechten den umfanoreichen Codex
mit reichem Einbände und mittelst zweier Schliessen geschlossen empoi hält. Der Abt uäo-t die «-rosse
Tonsur und ist über dem Ordeiiskleide mit einer rothen Casel bekleidet. An der Seltne des Abtes
sehen wir in sehr bewegter Stellung zwei mit grünen Gewändern angethane Diakonen stehen.
>eite 167. Ganz interessant ist hier die sehr grosse Initiale A. Innerhalb eines viereckio-en
oben rundbogig ausbrechenden und mit roth und blauem abwechselnden Blattmuster o-ezierten
Rahmens stellt sich uns auf lichtblauem, theilweise grünem Grunde der aus herrlichen Verschlin-
gungen eines Goldbandes sich bildende Buchstabe dar, dessen kleine Blattäste nur stark roth geran-
det, weiss geblieben sind und mit grossen bunten (blau, roth und gelbe) Blumen endio-en Zu unterst
des Buchstabens stehen zwei Tauben, deren Körper gelb, Kupf und Flügel weiss? In der Mitte
des Buchstabens ist sitzend der heil. Gregorius dargestellt; er schreibt in einem offenen Buche
und eine nimbirte Taube fliegt ihm am Ohre. Eine Darstellung, entsprechend der Leo-ende der
zufolge ihn der heil. Geist bei Verfassung seiner kirchlichen Schriften belehrte. Der Heilicre ist
nimbirt. trägt eine niedrige weisse Mitra mit breiter Aurifrisia, weisses Unterkleid, darüber eine
grüne goldverbrämte Dalmatica. rothe geschlossene Casel und endlich das Pallium. Der äus-
sere Rand des Bildfeldes ist pm-purtaibig bemalt, doch hat die Farbe kein Leben und ist zu
viel bläulich*, oben in den Ecken des Buchstabens sehen wir den harfenspieleuden David und eine
andere ebenfalls nimbirte Figur eine Stange mit Glöcklein tragend und darauf mit einem Stäbchen
schlagend.^ Au der Seite rechts sieht man die Buchstaben D und TE (verschlungen^ und unten
L E \ AVI (ad te levavi) kleingeschrieben und bunt ausgestattet.
Seite 182. Die Geburt Christi (Taf. V) \ Wir sehen hier drei Vorstellungen auf einem
mit buntem Ralmien eingefassten Bilde, dessen Grund goldfarbig ist. In der Mitte liegt die Mutter
Gottes auf einem mit einer blau gemusterten gelblichen Decke belegten Bette, das auf einem wie im
Rundbogen gespannten Teppich steht. Die heil. Maria trägt ein blaues Unter- und ein rothes Über-
kleid. Ihr zu Häupten sitzt sinnend der heil. Joseph. An der linken Seite des Bettes der Gottes-
gebärerin steht auf einer mauerarfigen. von drei grossen Rundbögen durchbrochenen Unterlaoe
das Bettchen, in dem das gefaschte Jesukindleiii liegt, dabei der Ochs und Esel, in dasselbe
hineinblickend.
' Eine Nachahmung der berühmten Purpur-Codices der Wiener Hoftibliothek. und an anderen Orten
mit be,.nL'""i-^""7"-''r'V' ''"'^'"' f '''»'^""=«" ^•''^''^'- Bilder und einer Initiale des Antiphonariums enthaltend, wurden
m.t besonderer künstlerischer Treue dem Originale durch Albert Ritter von Camesina nachgebildet. Camesina w.r der
er auf ;!l/7 /i" . ' ?'^'!^ erkennend, die öffentliche Aufmerksamkeit in Wien auf denselben lenkte und bewirkte, dass
er auf einige Zeit hieber gebracht wurde.
Ein Antiphonarivm im Stifte St. Peter zu Salzburg. W <
Der obere Rand des Bilde.s ist mit Wolken bedeckt, ans denen zwei Enoel lierabschwebeu,
den zn Füssen des Kindes stehenden beiden Hirten, die eine Heerde von Lämmern und Ziegen
bewachen, die Geburt des Heilandes verkündend; der eine Hirt trägt einen Mantel von Schaf-
pelz, aber grUnfarIjig. Endlich befindet sich in einem durch Wolken gebildeten Rundbogen zu
Unterst die dritte Vorstellung, nämlich das Christkindlein (nackt und segnend), wie es eben in
eine Badeschale gesetzt wird. Eine weibHche Person hält das Kind, die andere giesst Wasser zu
aus einem Kruge ^ Das ganze Bild ist mit Deckfarbe gemalt, die Markirungen und Schattirun-
gen sind entweder durch weisse oder schwarze Linien bezeichnet.
Seite 184. Initiale P (puer natus et nobilis) innerhalb eines grossen viereckigen Rahmens
aus bandartigen goldfarbigen Windungen gebildet und geschmückt mit stylisirten Blättern in sehr
geschmackvoller Weise. Der Grund des mit Deckfarben bemalten Blattes purpurfarbig und tlieil-
weise lichter geschacht", der Grund des Buchstabens selbst blau und grün.
Seite 180. Die Steinigung des heil. Stephan. Der Heilige, bekleidet mit dem Leviten-
kleide, kniet, die Arme mit Ergebung ausbreitend und wird von einem linksstehenden Volks-
haufen mit Steinen beworfen. Das Haupt des Märtyrers ist bereits getroffen und Blut entfiiesst
der klaffenden Wunde. Rückwärts sieht man im Regenbogen den segnenden Heiland im Brust-
bilde. Rechts steht eine reichgekleidete Person, auf dem Haupte eine Spitzmütze, und ein Krieo-er,
wahrscheinlich wird damit der spätere Apostel Paulus bezeichnet, der der Legende nach bei
der Hinrichtung St. Stephans zugegen war. Zunächst dieser Figur liegen am Boden einige Klei-
dungsstücke. Die Figuren dieses Bildes, das nur die Hälfte einer Seite einnimmt, sind bloss in
den Contouren mit schwarz und rothen Linien dargestellt, der Grund ist in der Mitte blau, nach
aussen grün._
Seite 192. Der Tod Johannis des Evangelisten. Gemälde in Contouren, auf blauem
und grünem Grunde, die halbe Seite ausfüllend. Der Legende nach soll Apostel Johannes das
Ende seiner Tage gewusst haben. Er ging mit etlichen Priestern vor die Stadt Ephesus , leo'te
sich selbst ins Grab, befahl den Priestern dasselbe nach seinem Tode zuzuscharren und seinen
Leib ruhen zu lassen. Dies stellt uns das Bild vor. Der Heilige liegt als Bischof bekleidet in
einer nicht hohen Tumbe and zwei Engel tragen das Seelchen auf einem kostbaren Tuche in den
offenen Himmel. Um den Stein stehen mehrere Personen. Beim Haupte zwei Priester, deren einer
seine Thränen trocknet, der andere in einem Buche liest und den Leichnam aus einem thuri-
bulum beräuchert, zwei Priester nebst Volk stehen am Fussende der Tumbe, ein Priester träo-t ein
einfaches rothgemaltes Vortragekreuz, der andere ein Weihwasserbecken.
Seite 192. Der K i n d e r m o r d zu B e t h 1 e h e m , Zeichnung in Contouren auf blauem und
grünem Grunde (Taf. VHI oben). An der rechten Seite des Bildes sitzt Herodes auf einem gepol-
sterten Thronsitze, die Rechte mit befehlender Geberde erhoben, in der Linken einen Lilien-
scepter haltend, auf dem Haupte eine Zackenkrone. Der König trägt ein langes Unterkleid, ein
Überkleid mit breitem und reichem Besätze, der Mantel ist auf der rechten Schulter mittelst eines
Knopfes festgehalten. Hinter ihm ein Knappe , auf dem Haupte ein Basinet mit vorwärts geboge-
ner Spitze, das mit ([em Tragbande umwundene Schwert haltend. Die Mitte und linke Seite des
Bildes füllt die eigentliche Darstellung des Kindermordes aus. Wir sehen einen Krieger ein Kind
mit dem Schwerte, einen zweiten ein anderes Kind mit der Lanze durchbohrend; hier eine
von Schmerz überwältigte Mutter zu Boden gestürzt und den Verlust ihres Kindes bejammernd,
dort ein Weib, die ihr Kind zu retten sucht und ihm zur Vermeidung des aufmerksam machenden
Lärmens den Mund mit der Hand verhallt. Am Boden sieht man abgeschlagene Köpfe, Kindes-
Leichen und sterbende Kinder.
« Die gleiche Vorstellung findet sieh auf den Bronzethüren zu St. Paul extra muros in Rom.
17b Dr. Karl Lind.
Seite iyj>. Ein Üujjpelbild mit Deckfarben aut' Güldp-iiiul <i-enialt inuerlialb eines pracht-
vollen Rahmens. Oben: Die Anbetung durch die heil, drei Könige. (Tafel VI.)
Unter einem an ein mehrstöckiges Haus angebauten und vun romanischen Säulen gestütz-
ten Rundbogen sitzt in dreiviertel Wendung gegen links auf einer mit leichem blauen Stoffe über-
zogenen Sella ohne Lehne die Gottes-Mutter, ganz in reichfaltiges Gewand (das untere blau, das
obere roth) gehüllt; das das nimbirte Haupt bedeckende und auf die linke Schulter herabwallende
rothe Tuch ist mit einem kleinen Kreuze über der Stirne geziert. Maria hält mit der rechten Hand
das auf ihrem Schoss sitzende Jesuskind. Die linke Hand ist geöffnet nach vorn gewendet. Das
Jesuskind mit dem Kreuznimbus geschmückt, hält mit der linken Hand die rechte seiner Mutter,
die rechte ist mit segnender Geberde erhoben. Die Könige (ohne Nimbus), welclie in flaclien
Schalen ihre Geschenke tragen, sind so gruppirt, dass einer vorne kniet, und die beiden anderen
in vorgebeugter Stellung ihm zur rechten stehen. Der erste ist alt, reicligekleidet, der zweite
jünger mit wenig Bart, beide tragen mit einem Reif besetzte spitze Mützen, der dritte ist jung,
bartlos, seine Krone ist der römischen Mauerkrone älmlich. Die in neuerer Zeit übliche Darstel-
lung des dritten Königs als Mohren konnnt hier noch nicht vor. Die Kleidung von allen dreien
ist gleichartig, aber nicht gleich kostbar, am reichsten jene des ersten; die Tuniken kurz, die
Beinkleider eng anliegend, ohne besondere Schuhe, die Mäntel bunt und ebenfalls kurz, etwas
fliegend und mit Spangen über die Schulter festgehalten.
Das untere Bild zeigt uns die Taufe Christi. Fast in der Mitte des Bildes (Tafel VI) steht
Christus ganz entblösst im Wasser, etwas gegen links gewendet, den linken Arm abwärts gericli-
tet, die rechte Hand etwas erhoben. Rechts neben Christus steht Johannes mit einem bis unter
die Knie reichenden regenbogenfarbigen Felle bekleidet und das Haupt Christi mit den Fingern
der rechten Hand berührend. Das Wasser des Jordans thürmt sicli um Christum, bis zu seinen
Schultern in leichten Wellen den ganzen Köi-per einhüllend, empor. In den Fluthen spielen
Delphine. Über dem Haupte Christi schwebt der heil. Geist in Taubengestalt herab, aus dem
Schnabel erreichen Strahlen das Haupt Christi. An der linken Seite sieht mau in halber Figur
einen Engel, das zum Abtrocknen des Heilands bestimmte Tuch haltend. Christus, Johannes und
die Engel sind nimbirt. Der Nimbus des heil. Geistes ist roth. Am rechten Ufer steht eine Gruppe
von Menschen.
Seite 199. Initiale E (cce) mit Deckfarben, der Buchstabe selbst golden, auf blau und
»■rünem Grunde.
Seite 212. Darstellung der Aufopferung Christi im Tempel, gemalt mit Deck-
farben auf Goldgrund. Das Bild nimmt das untere Drittheil einer Seite ein. Unter einem Rund-
bogen, der von zwei Säulen getragen wird, steht auf einer Art Mensa das Christkindlein mit
rothem Untergewande und grünem Obergewande bekleidet, gehalten von seiner j\Iutter und die
Hand gegen den greisen Simeon erhebend, der auf dasselbe zutritt. Hinter diesem eine Frau,
hinter Marien der heil. Joseph, zwei Tauben in einem Tuche tragend.
Seite 213. Initiale S (uscepimus) in der gewöhnliclien, prächtigen Weise' ausgeführt, wie
das schon erwähnte A. Nur schmücken diesen Buclistaben mehr lumte Blumen und zwei adler-
ähnliche Thiere.
Seite 220. Verkündigung Mariens. (Taf. III. oben). Maria, innerhalb eines romanischen
Bogens und auf dem Fussbrette eines neben ihr befindlichen gepolsterten Stuhles stehend, und
die Hände halb erhoben, erhält die himmlische Botschaft, die ihr der Erzengel bringt. Maria trägt
ein faltenreiches Unterkleid, an den Ärmeln verbrämt, auch das Oberkleid mit einer Borte geziert.
Das Kopftuch reicht bis zur Stirne und ist daselbst mit einem Kreuze versehen , das Haupt nim-
birt. Der Gottesmutter rechts gegenüber steht der nimbirte Himmelsbote mit langem Kleide
Ein ANTiniONARiuM im Stifte St. Peter zu Salzburg. 179
aiig'ethau , mit der rfclitcu liaud «egueud, in dw liuiien (.-iuen langen mit Kieeblattbesatz an der
Spitze gezierten Stal) lialtend. Die Fiscuren sind nur in den Umrissen gezeichnet, die Linien schwarz,
an den Kküdern rotii; dir Hintergrund )»eini Engel ist innerhalb des viereckigen Rahmens blau,
ausserhalb desselben grün, bei Maria ist der Fond des Bogen.s blau, das übrige grün.
Seite 2ß4. Initiale L (etare Jerusalem) Taf. XXV. DiQsell)e ist ganz besonders zierlich.
Von dem dureh eingesetzte kleine gelbliche Quadrate kreuzförmig genuisterten dunkelrothen
Grunde hebt sich der in den zierlichsten Windungen ausgeführte Buchstabe auf blauer Unterlage
klar und deutlich ab. Der Buchstabe ist mit verschiedenerlei Gethier (Adler, Hase, Bär, Schlange
etc.) geziert, das sich durch seine Verschlingungcn durchwindet, und zu oberst sehen wir die
sitzende Gestalt eines Propheten ".
Sehe .280. Einzug des Herrn in Jerusalem. (Taf. XI.) Der Heiland sitzt segnend und
in ungezwungener Haltung auf einem Esel, hinter ihm zwei nimbirte männliche Gestalten, deren
eine ein Buch trägt. Auf der linken Seite des Bildes eine hohe idealisirte PHanze (Palme), darauf
eine Figur einen Zweig herabreichend, unten kniet ein Jüngling den Mantel ausbreitend, ferner
sieht man noch vier Figuren gegen den Bildesrand iiin, den ein'ziehenden König von Jerusalem
begrüssend. Im Hintergrunde ein Gebäude mit nach. Art eines Thores offenen rundbogigen Dop-
pelbogen, in welchen Christus liinein zu reiten seheint. Der Fond dieses Bildes, dessen Figuren
nur in den Umrisslinien gezeichnet sind, ist grün, nur jener innerhalb des Thores blau.
Seite 298. Die Fusswaschung. (Taf. X. unten.) Christus kniet mit einem Tuche umgüi--
tet vor Petrus und zeigt mit der einen Hand auf dessen rechten Fuss, der in einem schalen-
förmigen Gefäss steht. Petrus von der Demuth Christi ergriffen, erhebt die rechte Hand gegen sein
Haupt. Die übrigen zehn Apostel sitzen mit Petrus gemeinschaftlich auf einer Bank und sind im
Halbkreise gruppirt. Ein Theil ist eben beschäftigt sich die Sandalen zu lösen, der andere Theil ist
im Gespräche begriffen. Dieses Bild gehört in der Zeichnung zu den besten des Codex; die Köpfe
haben einen besonderen Ausdruck. Die Figuren sind in Umrissen g-ezeichnet, der Hintergrund
ist in der Mitte lilau, aussen grün.
Seite 308. Die Kreuzigung. (Taf. XIV.) Christus ist bereits am Kreuze verschieden,
schon klafft die Wunde an der linken Seite und das mit rothem Kreuznimbus gezierte Haupt ist
auf die Schulter gesunken. Der Heiland ist mit einem bis zu den Knien reichenden Schamtuche
bekleidet, die Füsse sind neben einander gestellt und jeder Fuss mit einem besonderen Nagel
angeheftet, die Arme fast horizontal gestreckt. Rechts steht zu äusserst Maria, links Johannes,
am Fusse des Kreuzes rechts eine gekrönte, nimbirte und reichgekleidete Frauengestalt in einem
Kelche das Blut des Heilandes auffangend, die christliche Kirche, links eine verschleierte Figur
ein Joch haltend , das für die Lehre Christi blinde Judenthum vorstellend. Ober dem Kreuze
seitwärts Sonne und Mond, darinnen das Brustbild einer männlichen und einer weiblichen Gestalt
(Apollo und Diana). Der Hintergrund des Bildes ist l)lau, an der äusseren Parthie grün, die
Figuren sind weiss und nur mit etlichen farbigen Linien markirt.
Seite 310. Christus betritt die Vorhölle. (Taf. XV.) Christus, in der linken Hand
eine aus langen Stoffstreifen gebildete, flatternde und zweilappige Fahne haltend, tritt gegen den
offenen Eingang der Vorhölle hin und ergreift mit der rechten Hand den Adam, hinter welchem
Eva steht. Oben und in der Ecke schweben über Christus zwei Engel. Die eisenbeschlagenen
Pfortenflügel der durch ein romanisches Portal versinnbildlichten Vorhölle stürzen mit lieraus-
fallendem Schlüssel und Schubriegel zu Boden und gestatten einen Blick in das Innere. Wir
sehen da, wie schon erwähnt, das erste Menschenpaar nackt aus den Flammen heraustretend,
7 Die hier beigegebene Abbildung musste des Fonnats der Mittheilungen wegen, gegenüber dem Originale etwas ver-
kleinert werden.
180 Dr. Kaui. Lim..
ferner in demselben viele Köpfe und zusammenkanernde Gestalten und vorn die ijeknebelte Fratze
des Teufels. Der Hintergrund dieses Bildes, das hinsichtlich der Fio^uren gleich dem früheren be-
handelt ist, ist bei Christus blau und aussen grün, ebenso innerhalb des geöffneten HöUenthores.
Seite 314. Die heil. Frauen beim Grabe Christi und Christus in Emaus. r)iese
beiden Vorstellungen betinden sich innerhalb eines gemeinschaftliolitn Rahmens uud nimmt das
mit Deckfarben auf Goldgrund gemalte liild die ganze Seite ein.
Oben sehen wir die heiligen Frauen beim Grabe des Herrn, dasselbe ist offen und her und
Linnenstücke hängen aus demselben heraus. Der Deckel lehnt bei Seite und auf diui Sarkophag
sitzt ein weissgekleideter Engel (das Übergewand roth), einen Lilienscepter haltend in einer eine
Ansprache begleitenden Geberde. Die vorderste der Fraueu trägt eine runde Büchse und ein
Räucherfass. Am Grabe liesren schlafend zwei Krieger o-auz in Panzerzeug- onehüllt mit ofrossen
Spitzschilden und konischen Helmen, deren Spitze etwas nach vorn übergebogen.
Das untere Bild zeigt uns Christi Begegnung bei Emaus. Die beiden Jünger treten durch
ein offenes Thor und weisen auf ein gegenüber stehendes Haus. Christus trägt ein blaues Unter-
kleid, darüber ein rothes Kleid und einen rothen Mantel. Er hat keine Wundenmale.
Seite 315. Die Initiale R (esurexi) gehört zu den schönsten Zeichnungen im ganzen Codex;
sie ist in der gewöhnliclien Weise ausgeführt, nur ist der Grund ganz eigenthümlich behandelt,
denn er zeigt zierliche Muster viereckiger Sternchen aus gelblich und rothen Füllungen.
Seite 33S. Die Auffindung des heil. Kreuzes. Es ist dies ein von der in diesem Codex
herrschenden Bemaluugsweise ganz abweichend ausgeführtes Bild. Das nach griechischer Weise
mit Suppedaneum geformte Kreuz halten die heil. Helena und Kaiser Constantin (nirabirt). Auch
in der Ausführung macht dieses Bild eine Ausnahme, indem es keinen ferbigen Hintergrund hat,
was aber schon ursprünglich so beabsichtigt gewesen zu sein scheint, da die Scluift ualie an
die Zeichnuns' reiclit und keinen Platz für einen Fond übrio" lässt.
Seite 343. Die Himmelfahrt Christi. (Taf. XIX.) Christus steht segnend und die l-"aline
haltend in einer blau und gegen aussen grün fondirten Älandorla, die mit iln-er oberen Spitze
in die Wolken reicht und von vier Engeingetragen wird. Unten stehen die Apostel (IX Figuren)
und die heil. Maria nach oben sehend, die Arme voll des Erstaunens dahin LTlubend. Die Figu-
ren sind nur in den Contouren dargestellt, der Hintergrund ist blau, gegen aussen grün.
Seite 344. Die Initiale V und die übrigen Buchstaben der Worte viri galilei, aber kleiner
und jeder für sich allein, in Gold, mit farbigen Blüthen ausgeführt auf grün und blauem Grunde.
Diese Worte nehmen die halbe Seite ein.
Seite 348. Die Ausgiessung des heil. Geistes. Grosses Bild in Deckfarben auf Gold-
grund gemalt. Der heil. Geist in Gestalt einer weissen Taube, schwebt lierab auf die beisammen
sitzenden eilf Apostel; von der Taube gehen neun feurige Strahlen herab auf die Häupter der
Apostel, woselbst kleine Flämmehen leuchten. Die Apostel sind in bunte Kleider gehüllt. Petrus,
als Greis dargestellt, sitzt in der Mitte, ihm zunächst zwei junge Männer, die übrigen sind im
kräftigen Mannesalter dargestellt. Die ganze Handlung geht innerhalb eines grossen Rundbogens
und zweier dahinein gebauten kleineren Rundbogen vor, und stellt diese architektonische Bei-
gabe den Saal vor, in dem jenes grosse Ereigniss gescliali.
Seite 349. Die Initiale S (piritus domini) ist aus goldfarbigen Bändern und Astwerk gebil-
det; auf der unteren Schlinge sitzt ein Vogel; die übrigen Buchstaben sind innerlialb des Rahmens
auf der linken Seite unter einander geordnet. Der Grund des grossen Buchstabens ist abwechselnd
blau und grün, der Fond für ihn und für die übrigen Buchstaben purpurfarbig.
Seite 3.'»9. Die Verkündigung der Geburt Johannes. (Taf. III untLii.) In der Mitte
des Bildes sieht man die Bundeslade mit kostbarem Stoffe überdeckt und unter einem auf vier
Ein Antiphonarium im Stifte St. Petee in Salzburg. 181
Säulen ruhenden kuppeiförmigen Gebäude stehend. Zacharias, im Begriffe mittelst eines Thuri-
bulums die Bundeslade zu beräuchern , empfängt die himmlische Botschaft der Geburt seines
Sohnes , die ihm durch den Engel gebracht wird. Gegen den rechtseitigen Rand des Bildes sieht
man ein Gebäude , oben mit einem grossen offenen Rundbogen und eine dahinfüln-ende gedeckte
Rampe. Die Figuren sind bloss mit einigen farbigen Linien gezeichnet, der Hintergrund ist grün
mit drei blauen Feldern für den Tempel und die beiden Figuren.
Seite 3H1. Zacharias gibt seinem Sohne den Namen Johannes. (Taf. IL) In
einer aus drei Rundbogen gebildeten Arcade sieht man vorn rechts Elisabeth im Bette. Eine
weibliche Gestalt trägt in Mitten des Bildes das mit Linnen bekleidete nimbirte Kind, dem
gegenüber Zacharias steht, mittelst eines Griffels auf einer Tafel, die er in der linken Hand
hält, den Namen schreibend. Zunächst des Bettes sieht man noch zwei Figuren, eine jugendlich
männliche unbedeckten Haiiptes und eine männliche mit dem üblichen Spitzhute. Der Hinter-
grund des Bildes ist blau, gegen aussen grün, die Figuren sind bloss in farbigen Umrissen
dargestellt.
Seite 366. Der Martertod des heil. Petrus. Gemälde mit Deckfarben, ausgeführt auf
Goldgrund, eine halbe Blattseite einnehmend. In der Mitte der h. Petrus an das umgestürtzte Kreuz
geschlagen; er ist mit Ausnahme der Füsse ganz bekleidet, die linke Hand ist bereits angenagelt,
mit dem Annageln der rechten beschäftigt sich so eben ein Krieger, neben demselben stehen noch
zwei Personen, die jedoch vom Bildrahmen grösstentheils gedeckt sind. Ein Mann steht auf einer
an das Kreuz gelehnten Leiter und schlägt die Nägel durch die neben einander gestellten Füsse
des Heiligen. Rechts des Bildes sitzt der König in reicher Kleidung, einen schlüsseiförmigen
Scepter haltend, vor ihm steht ein Jüngling unbedeckten Hauptes ein Schwert tragend.
Seite 368. Tod des heil. Paulus. (Taf XXIII.) Wir sehen auf einem Bilde zwei Scenen.
Auf der rechten Bildseite ist dargestellt, wie die Schülerin Plautilla des Apostels Paulus aus dem
Hause heraustritt und dem Apostel ihren Schleier gibt, damit er sich vor der Entliauptung die
Augen verbinde. Zur linken sieht man, wie der eifrige Bekenn er der Lehre Christi, dem die
Augen verbvmden sind, bereits vom tödtlichen Streiche im Halse getroffen zusammenfällt.
Hinter ihm steht der jugendliche Henker das Schwert schwingend und eine Gruppe Volkes. Das
Bild hat theils blauen, theils grünen Hintergrund , die Figuren sind bloss durch Umriss-Linien
dargestellt.
Seite 376. Der Martertod des heil. Laurenz. Derselbe lieg't auf einem länsr-
liehen Roste, und ist an demselben festgebunden. Ausserdem wird der Körper von zwei
Personen mit an langen Stöcken befindlichen Gabeln festgehalten. Unter dem Roste brennt
ein mächtiges Feuer, und züngeln bereits an einzelnen Stellen des Körpers kleine Flämmchen
heraus. Ein kniender Mann ist im Begriffe mittelst eines grossen Blasebalges das Feuer anzu-
fachen. An der rechten Bildseite sieht man den sitzenden land in der üblichen Weise dargestellten
König, den Martertod des Heiligen befehlend. Hinter ihm ein Knappe mit dem Schwerte. Ober
dem Heiligen schwebt ein Engel aus den Wolken, demselben mit einem Tuche zufächelnd. Das
Bild ist in derselben Art wie das vorhergehende behandelt.
Seite 379. Tod Marien s. Gemälde auf Goldgrund in Deckfarben ausgeführt. Innerhalb
eines bunten Rahmens und die obere Hälfte von dessen Innenraum einnehmend, sieht man die
heil. Mutter Christi im Sterben. Die Heilige liegt auf einem mit einem kostbaren Stoffe über-
deckten Bette. Ihr nimbirtes Haupt ruht auf einem Kissen; sie trägt ein blaues Kleid, rothes
Uberkleid und dunkelrothes Kopftuch. Um das Bett herum stehen fünf Apostel vom Schmerze
ergriffen, zu Häupten S. Petrus und in der Mitte Christus, der das Seelchen mit seinem grünen
Mantel gegen den offenen Himmel hält.
XIV. 26
182 Dr- Kakl Lind.
In der unteren Hälfte des Rahmens befindet sich die prachtvolle Initiale V auf Purpurgrund.
Mit derselben beginnen die "Worte .Vultum tuum- etc.
Sfite 3S3. Stammbaum Christi. (Taf. IV oben.) Wir sehen in zwei Reihen sechs Figuren
daro-estellt. und zwar die drei oberen in ganzer Gestalt, die unteren nur im Brustbilde. In der
Mitte der unteren Reihe ist Abraham, aus dessen Leib ein Zweig emporsteigt, der sich oben
herzförmig theilt und mit einem reichen Blattornament abschliesst. worauf eine o-ekrünte weib-
liche Figur in reicher Kleidung steht: sie trägt in jeder Hand ein Scepter, deren eines mit einem
dreitheiligen Blume (Lilienscepter), das andere mit einem Zweiglein von drei dreilappigen Blät-
tern besetzt ist. Die Figur stellt die heil. Maria als Tochter des Stammes Davids vor. Die
übrio-en Fio-uren sind rechts unten Moses, darüber König David, links Aion als hoher Priester
mit Miti-a und Pallium geschmückt, den blühenden Zweig haltend, darüber König Salomon. Die
Könige sind beide gleich und in der in diesem Codex üblichen Weise dargestellt. Die Figuren
sind niu- in Umrissen mittelst farbiger Linien augegeben, der Hintergrund ist blau, aussen grün.
Seite 386. Der Erzengel Michael. Die geflügelte Gestalt des Erzengels ist mit einem
lano-en Kleide ano-ethan. daniber eine Dalmatica aus Panzerwerk, auf dem Haupte ein zuge-
spitzter Helm. Ein langes, schmales, bindenartiges Tuch ist um den Leib gewunden und liängt
von der rechten Achsel herab. In der rechten Hand hält der Erzengel die Lanze, am linken
Arm träol er einen grossen in eine Spitze auslaufenden Schild; zu beiden Seiten des Erzengels
je ein Engel, davon der rechts kopfabwärts herabfliegend, beide in langen Kleidern und mit
den Lanzen ebenfalls nach dem in feurigen Wellen schwimmenden Drachen stechend, auf dem
der Erzengel und der linksseitige Engel stehen. Die Art der Ausführung des Bildes gleicht der
früheren.
Seite 391. Aller Heiligen. (Taf. XX.) Innerhalb eines breiten Rahmens befindet sich ein
kleines Mittelbild. Dasselbe zeigt den Erlöser als Weltenrichter innerhalb einer von -sner Engeln
o-etrao-enen Mandorla mit blauem Grund auf einem Resenbogen sitzend und auf einem zweiten die
Füsse stützend. Die rechte Hand ist erhoben, in der linken hält er ein oftenes Buch. Der äussere
Theil des Bildes hat grünen Grund.
Der Zwischem-aum zwischen dem Bilde und dem Aussenrahmen ist in kleine Felder getheilt,
so zwar dass an den beiden Seiten je zwei Felder in 6 Reihen unter einander, unten eine Reihe
von 8 Feldern und oben von 7 Feldern, zusammen 31 Felder erscheinen. In jedem dieser Felder,
die nach oben mit einem Rundbogen eingefasst sind, findet sich das Brustbild eines nimbirten Hei-
ligen. Doch lässt sich die Vorstellung nicht erkennen, da weder der Name noch mit geringer
Ausnahme irgend ein charakterisirendes Attribut beigesetzt ist. Die Rundbogen der obersten
Reihe sind reicher ausgestattet. Auch stehen die drei Mittelfelder, die überhaupt grösser sind,
nicht in derselben Linie, wie die übrigen 4 Felder, sondern etwas höher, sind durch enge Säul-
chen von einander geti-ennt und zeigen Johannes den Täufer, das Osterlamm und die heil. Maria.
Der Bogen des Mittelfeldes ragt über den Rahmen hinaus, was der ganzen Gruppirung mehr
Schwung und Zierlichkeit verleiht. \'ermuthlich sollen die Brustbilder in den oberen drei Reihen
beiderseits die Apostel vorstellen. In der vierten Reihe sehen wir Heilige mit Mitren. Die der
.5. und 6. Reihe dürften dem Priesterstande angehören. Die Zeichnung des Bildes ist nur in
bunten Linien dm-chgeführt, der Hintergrund der kleinen Bilder blau, der Raum ober den Bögen
grün; die Anlage des ganzen Bildes grossartig.
Seite 393. Der heil. Martin am Todtenbette. Ein heil. Bisehof in voller kirchhcher
Kleidung mit Mitra und Pallium liegt in einer ofl^enen Tumba und ein Engel trägt seine Seele
gegen Himmel. Beim Haupte des Sterbenden steht ein heil. Bischof das Pedum tragend und
begleitet von mehreren Priestern, ferner ein Chorknabe mit offenem Buche: am P'ussende stehen
Ein Antiphonaeium im Stifte St. Peter zu Salzburg. 183
einiffe Mönche, wahrscheinlich Benedictiner. In der Ecke sieht man einen kleinen hässlichen
Teufel entfliehen. Die Ausführung des Bildes nach in der Mehrzahl üblichen Weise.
Seite 394. Trxl des heil. Andreas. (Taf. XXUI unten.) St. Andreas ist an das gewöhn-
liche Kreuz mittelst um den ganzen Körper wiederholt gewundenen Strickes gebunden. Die
Strick-Enden hält zu beiden Seiten je ein Henkersknecht, rechts steht ein Mann mit einer Spitz-
mütze, dem ein Teufelchen die bösen Gedanken eingebend ins Ohr spricht. Links eine Volks-
gruppe. Ausführung gleich der vorigen.
Seite 395. Der Traum Jacobs. Jacob liegt schlafend unter einem stylisirten Baum auf
schräg ansteigendem Rasen. Hinter der Figur sieht man eine Leiter, darauf ein Engel hinauf
und ein zweiter kopfabwärts herabsteigt. Oben im Regenbogen das Brustbild Gott Vaters mit
Kreuznimbus und mit beiden Händen die Leiter haltend. Auf selbem Blatte sieht man links
eine zweite Darstellung, nämlich wie Jacob nach seinem Erwachen einen Opferaltar baut und
darauf durch Ausgiessen von Flüssigkeit aus einem Hörne opfert. Die Ausführung des Bildes
wie bei früheren, der Hintergrund in der Mitte und innerhalb des Halbkreises bei Christus blau,
sonst grün.
Seite 468. Initiale E (cce dies venient), der Buchstabe selbst goldfarbig, der mit zwei
grossen und bunten Prachtblumen besetzt ist, und auf blau-grünem Grunde ruht. Daneben und
viel kleiner die übrigen Buchstaben der drei Worte bloss in rother und schwarzer Contourlinie
ohne Hintergrund.
Seite 4Ö9. Die Initiale A (spiciens) gehört zu den bedeutenderen Zeichnungen im Codex.
Sie belindet sich innerhalb eines oben halbrund ansgebogenen Rahmens , ist aus verschiede-
nen breiten und sich mannigfaltig verästenden Goldbändern gebildet, mit vielen dreilappigen
Blättern mid bunten Blumen geziert und ruht auf blauem abwechselnd grünem Grunde. In der
Mitte des Buchstabens sieht man die Gestalt eines Propheten, darüber das segnende Brustbild
Christi. In den oberen Ecken schweben Engel in den Wolken. Der äussere Theil des Fondes
ist purpurfarbig.
Seite 495. Der Traum des heil. Joseph. (Taf VIII unten.) Auf einem mit einer gemu-
sterten Decke überdeckten und auf vier Füssen gestellten Bette liegt ausgestreckt schlafend Joseph,
das nimbirte Haupt auf einen Polster gelegt, die Beine gekreuzt und mit einem langen falten-
reichen Kleide angethan. Die rechte Hand ist etwas in die Höhe gehoben, wie zur Empfangnahme
eines Befehles gegen den im Brustbilde aus den Wolken herabschwebenden ebenfalls nimbirten
Engel des Herrn, der ihm beflehlt, dass er seine schwangere Gattin die heil. Maria nicht ver-
lasse (Matth. I, 18). Doch ist es auch möglich, dass der Maler eine andere Voi-stellung beab-
sichtigt hatte, nämlich wie der Engel des Herrn Josepli im Traume erscheint und ilmi befiehlt
(Matth. V, 13) in das Egyptenland zu fliehen und dort bis auf weiteren Befehl Gottes zu bleiben.
Die Behandlung des Bildes wie bei den früheren, nur ist der Hintergrund in der oberen Hälfte
blau, in der unteren grün.
Seite 497. Die Mutter Gottes in der Glorie. (Taf VII.) Die heil. Maria sitzt nach
vorwärts gerichtet auf einem mit einem Polster überlegten Stuhle und hält das bekleidete Christus-
Kindlein im Schosse sitzend. Dasselbe segnet mit der rechten Hand und hält in der linken eine
Schriftrolle. Rechts und links der Gruppe schwebende Engel in Anbetung. Ein vorzügliches Bild,
nach der gewöhnlichen Weise in Umrisslinien behandelt.
Seite 504. Die Bestattung des heil. Stephan. Zwei Personen, davon eine nimbirt,
legen den mit dem Diakonenkleide angethanen Leichnam des Heiligen in eine offene Tumba, links
stehen drei nimbirte männliche Figuren, und ein Engel schwebt über dem Leichnam. Die Behand-
lungsweise des Bildes gleich der früheren.
20*
184 I)k. Karl Lind.
Seite 509. Jesus nimmt die Jünger auf. (T.af. IV unten.) Jesus eine Sclirit'troUe traoend
und gefolg-t von zwei Jüngern (Simon und Andreas) begegnet dem Jacobus und Johannes und
beruft sie zum Lehramte. Die Behandlung des Bildes wie am früheren.
Seite 515. Das Fest der Unschuldigen (Innocentes). Auf einem Flammen -Hügel steht
das Lamm Gottes, nimbirt und mit dem rechten Vorderfusse ein rothes Kreuzlein haltend. Aus den
Flammen sieht man bis zu den Hüften herausreichende Kindergestalten, l)ittend die Hände erlio-
ben; drei jugendliche Heilige in Diaconengewäuder, mit Palmzweigen umschweben den Flammen-
liügel. Diese Vorstellung bezieht sich laut des beigegebenen Textes auf das Cap. XIV, Vers I
imd Cap. XXH, Vers XIV der Offenbarung Johannis, wo es heisst: ,,beati sunt, qui lavant stolas
suas in sanguine agni ut sit potestas eorum in ligno vitae, '' — „ecce agnus stabat supra montem
Sien'-. Die Behandlung des Gemäldes ist die gewöhnliche.
Seite 519. Beschneidung Christi. (Taf. IX oben.) Maria hält mit beiden Armen das
Kindlein in die Höhe , und ist dessen Hemd etwas emporgeschlagen. Hinter Maria steht der heil.
Joseph mit ängstlicher Geberde. Rechts nalit sich der die Beschneidung vornelnnende Priester
mit dem Messer in der rechten Hand, hinter ihm noch eine Figur, etwa ein Diener oder Gehilfe
des Priesters (s. Evang. Lucas II, 21). Die Behandlung des Bildes wie- die des vorigen.
Seite .5.23. Die Hochzeit zu Cana. (Taf. X oben.) Christus sitzt zwischen Johannes
und Maria an der mit verschieden geformten Broten und mit Fischen besetzten Tafel. Zu äusserst
rechts noch ein Apostel (Petrus), links der Speisemeister eine Spitzmütze auf dem Haupte, voll der
Verwunderung über das grescheliene Wunder jene Schale erhebend, über die Christus eben den
Segen spendet. Der Ausdruck Mariens und der Ijeiden Apostel zeigt grosses Erstaunen wegen
der voUzogfeneu Verwandlung- des Wassers in Wein. Im Vordergründe sechs irdene Gefässe, aus
deren einem ein Jüngling- Flüssigkeit in ein anderes überg-iesst, ein zweiter Jüng-ling hält eine
ganz volle Schale (s. Evang. Joannes II, 9). Die Behandlung des Bildes der früheren gleich.
Seite 546. Bekehrung des heil. Paulus. Wir sehen den heil. Paulus eine offene Schrift-
rolle haltend von einem Engel geleitet auf eine geschlossene rundbogige Pforte zugehend; über
der Pforte des Hauses ist ein rundbogiges Fenster angebracht, daraus Christus herausblickt. Der
Hintergrund des Gemäldes ist theils blau, theils grün, der Fensterfond blau.
Seite .561. Tod des heil. Benedict. Der Heilige, der wie die Legende erzählt, seinen
Tod vorher wusste und sein Grab noch bei Zeiten zurecht machen Hess, liegt bereits in dem-
selben, woraus eine helle von Engeln getragene Strasse sich zum offenen Himmel hebt, auf der
das Seelchen eben hinaufwandert. Trauernde Benedictier-Mönche umstehen betroffen das offene
Grab ihres Ordensstifters. Behandlung des Bildes gleich dem vorigen.
Seite 565. Weissagung Isaias. (Isaias VII, 14, s. Taf. IV unten.) In der Mitte steht der
Prophet Isaias vor dem König Ahas; er hält zwei Spruchbänder, davon eines leer ist, am andern
.stehen die Worte: Ecce virgo concipiet. Dvr König ist sitzend dargestellt in reicher Bekleidung.
Rückwärts steht gleichsam als Versinnlichung der Msion des Propheten die heil. Maria, gegen
deren Haupt der heilige Geist in Taubengestalt aus den Wolken herabschwebt. Das Gemälde,
an dessen Rande die Worte stehen: Signum completur, dum pneomate virgo completur, ist in
der gewöhnlichen Weise behandelt.
Seite 570. Zwei Sc enen aus dem Leben des heil. Rupertus. (Taf. XXIV.) Dieses
Blatt enthält innerhalb eines gemeinschaftlichen Rahmens zwei Illustrationen, die sich auf diesen
Heiligen beziehen. Das obere Bild zeigt uns, wie St. Rupertus die Heiden durcli Immersion
tauft. Ein entkleideter Mann steht bis über die Hüfte in einer mit Wasser vollgefüllten Kufe,
hinter ihm ein Diener dessen Kleider haltend. Ein zweiter Heide entkleidet sich so eben, um
die heil. Taufe zu empfangen. St. Rupert steht bei der Taufkufe im vollen bischöHicheu
Ein Antiphonarium im Stifte St. Peter zv Salzburg. loa
Ornate, ein geblümtes Tuch als der Schürze vorgebunden und ist im Begriffe den Täufling unter-
zutauchen, hinter ihm zwei Priester, einer in der Dalmatik ein Bucli haltend, der andere das
Pedum tragend.
Das untere Bild stellt das Begräbniss dieses Heiligen vor. Der Leichnam des Salzburger
Apostels liegt im bischöflichen Schmuck in einer hohen Tumba. Zu Häupten steht ein Priester
im Pluviale, das Weihrauchfass über den Todten schwingend, unten drei Priester, davon einer
aus einem offenen Buche betend. In der Mitte des Bildes schwebt im Brustbilde ein Engel, die
Seele des Heiligen in Gestalt eines Kindes, auf einem Tuche gegen den Himmel tragend. Beide
Bilder sind nur in Contouren ausgeführt und haben grünen und blauen Grund.
Seite 629. In einem gemeinschaftlichen Rahmen befinden sich auf blauem, grün eingerahm-
tem Gnnide zwei Darstellungen in der gewöhnlichen Weise ausgeführt.
Der Verrath des Jiidas. (Taf XII oben.) Der in der Mitte stehende Heiland wird von
Judas umarmt und geküsst, rechts eine Gruppe Bewaffneter, davon einer Christum bei der rechten
Hand nimmt. Im Hintergrunde links ebenfalls eine Menschengruppe , vor derselben Petrus mit
gezogenem Schwerte, einen Jungen bei den Haaren von Christum wegziehend und auf die Erde
drückend um ihm das Ohr abzuhauen. Zu beachten ist die Kleidung eines Kriegers, den Leib
deckt ein Scluippenj^anzer, die Füsse Panzerzeug, in der Hand hält er einen kleinen runden Schild
(s. Evang. Mattli. XXVI, 47, Joan. XXIII. 3 und Lucas XXII, 47).
Das untere Bild zeigt Christum vor Annas. (Taf. XH unten.) Derselbe sitzt avif einem
Faltstiihle, trägt ein reichbesetztes Oberkleid mit weitem auf der Achsel befestigten Mantel, am
Kopfe eine runde niedrige Mütze und in der rechten Hand ein kurzes Lilienscepter. Vor ihm steht
Chi'istus, dem ein Kriegsknecht einen Backenstreich gibt, weiter zur Seite Bewaffnete, darunter
wieder ein wie oben beschrieben gekleideter Krieger, Volk inid vorne ein Priester (s. Evang.
Joan. XVIII, 2-2).
Seite 630. Wieder ein Doppelbild mit gemeinschaftlichem Rahmen und in gewöhnlicher Weise
behandelt. Die Geis seiung Christi. (Taf. XIII oben.) Christus bis zu den Lenden entblösst,
ist mit den Armen an einen Pfahl gebunden, zwei Kriegsknechte schlagen ihn mit Ruthen, der
Oberleib ist mit Wunden bedeckt. An der Seite eine Gruppe Juden (s. Evang. Joan. XIX, 1,
Matth. XXVII, 27, Marc. XV, 15).
Das untere Bild enthält die Kreuzabnahme. Der mit einem Nimbus ausgezeichnete
Joseph von Arimathäa steht auf dem breiten Subpedaneum des Kreuzes und hält den Leichnam
Christi in der Mitte des Leibes umfangen und reicht ihn hinunter. Maria steht unten rechts,
Johannes links und nehmen den Leichnam bei dessen Händen in Empfang. Nicodemus zieht
kniend mittelst einer Zange die Nägel aus den Füssen des Herrn. An der Seite eine weinende
Person (s. Evang. Lucas XXIII, 54, Matth. XXVII, 57, Marc. XV, 43, Joan. XIX, 38).
Seite 631. Innerhalb eines gemeinschaftlichen Rahmens neuerdings zwei Bilder.
Das obige zeigt uns die Grablegung des Herrn. (Taf. XVI oben.) Zwei nimbirte Männer,
Joseph V. A. und Johannes, von welchen einer den Obertheil, der andere das Fussende des mittelst
eines Sterbetuches g-ehobeneu Leichnams Christi hält, sind mit Beihilfe einer weiblichen Gestalt
(heil. Maria), die das Tuch ebenfalls ergreift, im Begriffe denselben in das offene Steingrab zu
legen. Dasselbe ist sarkophagähnlich geformt und mit einem ornamentirten Rand versehen. Der
heil. Leichnam ist nur mit einem Schamtuche bekleidet, das Haupt ziert der Kreuznimbus. Aus-
serdem befinden sich noch beim Grabe zwei nimbirte weibliche und zwei männliche Gestalten,
von welchen letzteren jedoch nur eine (ein Apostel) nimbirt ist, die andere (Nicodemus) trägt eine
rothe Spitzmütze, wie auf dem Bilde der Abnahme vom Kreuze (s. Evang. Joan. XIX, 39, Marc.
XV, 46 etc.).
1 66 Db. Kakl Lind.
Das untere Bild stellt Christum als Gärtner dar. (Taf. XVI unten.) Christus, eine drei-
lappige Fahne tragend, mit den Wundenmalen an Händen und Füssen, steht vor Magdalena, die
in freudiger Empfindung ihm zu Füssen sinkt und ihn zu berühren sucht. Magdalena ist mit
dem Nimbus geziert und mit faltenreichem Gewände angethan. In der Mitte stvlisirte Bäume, die
Behandlung beider Bilder ist die gewühnliclie (^s. Evang. Marc. XVI. 9, Joan. XX. 15).
Seite 662. Doppelbild in Contouren auf blau-grünem Grunde ausgefülirt.
Der auferstandene Heiland unter seinen Jüngern. (Taf. XVIII oben.) Wir sehen
im oberen Bilde Christum in Kreise der versannnelten Apostel und Jünger Avic er ihnen seine
Wundmale zeigt und mit ihnen Brod und Fische isst. Christus steht in der Mitte des Bildes, an
beiden Seiten die Apostel. Der Heiland hält Brod, das er dem Johannes gibt; zu den Füssen der
Apostel Unks sieht man einen Fisch im Netze (s. Evang. Joan. XXI, 13).
Auf dem unteren Bilde sehen wir, wie der Heiland den Aposteln in Galiläa
am Berge erscheint und ihnen das Lehramt überträgt. Christus steht, die Oster-
f;\hne haltend, in der Mitte, auf beiden Seiten in gebückter Stellung die Apostel (s. Matth.
xxvin 16). 3VK.
Seite 668. Petrus predigt die Lehre Christi. (Taf. XXI.) Wir sehen auf dem Gemälde
jenen Moment dai-gestellt . wie Petrus nach Empfang des heil. Geistes in Begleitung der Ajjostel
zu dem Volke hintritt und Busse predigt. Es schreiten die eilf nimbirten Apostel in voller
Gruppe von links gegen rechts theils geschlossene theils offene Büclier haltend, ihnen gegenüber
eine Gruppe des jüdischen Volkes, das sie mit Staunen empfängt. Das Bild ist in der gewöhnli-
chen Weise ausgeführt (s. Apostlg. H, 1-i).
Seite 6S3. Petrus heilt den Lahmgebornen. (Taf. XXII.) Wir sehen Petrus und Johan-
nes an die Pforten des Tempels ti-eten, woselbst ein Lahmer sitzt, den man des Almosens wegen
alltäglich dahin brachte. Petrus ergreift den Unglücklichen, der im vollsten Vertrauen ihn
anblickt, bei der Hand und richtet ihn auf. Die Pforten des Tempels bilden zwei Kundijogen,
deren innerer grünen, der äussere blauen Fond hat. Die Beliandluug des Bildes ist die gewöhn-
liche (s. Apostlg. in, 2).
Seite 685. Wir sehen die Initiale S als Anfang des Wortes Salomon. Dieselbe ist in der
o-ewöhnlichen Weise gezeichnet, das Band naturfarbig, dessen Contoiu- roth. blau und gi-üu
der Fond; die weiteren Buchstaben dieses Wortes sind etwas kleiner, schwarz gerändert im
rothen Fond.
Seite 713. Die Geburt Johannes. (Taf. I.) Die heil. Elisabeth sitzt angezogen auf einem
reich drapirten Bette, mit bis zum Oberleibe heraufgezogener Decke, über dem Bette eine
Art Vorhang. Zunächst dem Bette steht eine Dienerin eine Schale bringend, im Hintergnmd
zwei Frauen, das mit dem Heiligenscheine geschmückte und gefaschte Kind Johannes tragend.
Das Bild in der gewöhnlichen Weise ausgeführt (s, Evang. Lucas I, 57 i.
Seite 724. Christus als Weltenrichter. (Taf. XXI.) Christus sitzt in Glorie nach vorn
"•(-wendet auf dem Resrenbojren. die Füsse auf einen zweiten kleineren stützend, mit der Rechten
seo-nend, in der linken ein Tuch haltend. Rechts und links je ein Heiliger (S. Cosmas und Da-
mian) von einem Engel gehalten. Ein Bild von ganz besonders erbauendem Eindrucke , in der
gewöhnlichen Contourmanier ausgeführt, mit blauem und grünem Fond, doch ist der Raum inner
dem kleinen Regenbogen blau, der zwischen diesem und dem grösseren grün angelegt.
Seite 739. Die Messe des heil. Martin. Der heil. Bischof, hinter dessen Haupt ein mäch-
tiger Flammennimbus angebracht ist, steht bei einem Altare, der mit einem Kreuze geziert ist
und liest die Messe, indem er den Kelch erhebt; die Patena mit dem heiligen Brode und ein
Tüchlein liegt auf der Mensa, die mit einem kostbaren Stoffe überzogen ist. Hinter dem Pontifi-
Ein- Antiphonarilm im Stifte St. Peter zu Salzburg. 187
canten ein Diakon und Volk. Diese Darstellung ist der Legende dieses Heiligen, welcher Bischof
von Tours war, entnommen'. Die Behandlung des Bildes ist die gewöhnliche.
Seite 800. Ein Doppelbild in der gewöhnlichen Weise ausgefülirt.
Samuel salbt den David das erste Mal zum König. Samuel begiesst David's Haupt
mit Ol aus einem Hörne, zur Seite stehen seine sieben Brüder, die Söhne Isaias (s. I. Sam.
XVI, 13).
Unten D a v i d a 1 s K ö n i g. Er sitzt in voller königlicher Pracht auf einem kostbaren
und gepolsterten Stuhle, auf dem Haupte die Krone, und in der Rechten den Scepter hal-
tend. Auf jeder Seite stehen sechs Personen, davon eine bedeckten Hauptes und eine ein
Schwert haltend.
Seite 801. Initial D (eus omnium), eine schöne Arbeit in gewöhnlicher Ausführung. Inner-
halb des Rahmens auf rothem, purpurfarbig gegitterten Grunde befindet sich der Buchstabe selbst
in Gold ausgeführt und mit farbigen Blüthen auf blauem und grünem Grunde.
Seite 805. Salomon wird zum König gesalbt. Der Priester Zadok träufelt aus einem
Hörne Öl auf sein Haupt, der Prophet Nathan hält die di-eizackige Krone. An den Seiten
jubelndes ^'olk und ein Krieger in das Hörn stossend. Behandlung des Bildes wie früher (s. Buch
der Könige I, 3-4).
Seite 809. Verspottung des armen Iliob durch seine Frau. Innerhalb eines Rund-
bogens sitzt auf der Erde der vom Schicksale heimgesuchte Hiob , nur mit einem Schamtuche
angethan. den Körper mit Wunden bedeckt, doch das Haupt mit einem Heiligenschein geziert.
Vor ihm steht eine reich gekleidete Frau mit verspottender Geberde. Die Ausführung des Bildes
die gewöhnliche, nur hat jede Figur einen besonderen blauen oder grünen Rahmen (s. Hiob II, 9).
Seite 814. Heilung des blinden Tobias. Dei-selbe sitzt bekleidet auf einem gepolsterten
Stuhl, sein Sohn salbt ihm das Auge, daneben ein Engel, zur Seite Tobias Frau. Behandlung
des Bildes wie die früheren.
Überblicken wir schliesslich alle Bilder, so sehen wir auf allen übereinstimmend die Figu-
ren lansr und liag-er darg'estellt . die Kleider eng^e, mit langen nach abwärts gezogenen Falten.
Hände und Füsse ausser dem Verhältniss gross, das Antlitz, weil meistens nur mit wenigen
Strichen gegeben, rund und ohne besonderen Ausdruck. Die Stellung der Figuren ist würdig,
lebhaft, bisweilen aber unmöglich, die Handbewegungen meistens als wie ein Gespräch beglei-
tend, aber etwas hölzern. Der Gesammteindruck jedes Bildes ist jedoch ein günstiger, ein erbauen-
der, ja mitunter ergreifender.
Eigenthümlich ist die Verwendung des Nimbus bei den einzelnen Figuren. So sehen wir
auf Tafel I den Johannes als Kind nimbirt, während seine Mutter Elisabeth dieser heiligen
Zierde entbehrt. Auf Taf. II haben bereits beide Eltern den Heiligenschein , ebenso auf Taf III,
wo Zacharias die Botschaft des Herrn wegen der Geburt seines Sohnes bezweifelt. Die heil.
Maria hat einfachen Nimbus, nur auf den Darstellungen der Verkündigung und der Geburt Christi
ist ihre Stirn mit dem Kreuzzeichen geschmückt. Johann der Täufer, die Apostel, die frommen
Frauen, der heil. Joseph, Joseph von Arimathäa und die Heiligen Stephan, Laurenz, Benedict,
Rupertus etc. tragen den Scheiben-Nimbus. Ebenso die christliche Kirche auf dem Bilde des
Kreuzestodes (Taf XIV). Nicodemus und die heil, drei Könige haben diese Auszeichnung nicht.
Die Engel, die immer geflügelt erscheinen, haben gewöhnlich nur djn Scheiben-Nimbus, doch
finden sich auch Darstellungen, wie auf Tafel III, VII, VIII, XX und XXI, wo der Nimbus mit
einem besonderen Perlenreife geziert ist, dessgleichen ist der Nimbus des Apostel Johannes auf
' GewöhnUch wird dci'selbe ;ils Ritter zu Pferde dargestellt, wie er seinen Mantel zertheilt. um damit die Blossen eines
Bettlers zu bedecken.
188 Dr. Karl Lind.
Seite X iiiul XIX in dieser Weise ausgezeielinet. Der Nimbus des heil. Geistes ist abwechselnd
mit dem Kreuze geziert. Christus trägt meistens den Kreuz-Nimbus, nur bei seiner Geburt (Tat. IX),
Taute (Taf. VI) , am Schoose seiner Mutter (Taf. VII) und als Weltrichter (Taf. XIX) ist sein
Nimbus von der gewöhnlichen Form. Der Teufel, wenn er die bösen Gedanken des Menschen
vorstellen soll, wie beim Martertode des heil. Andreas, beim Tode des heil. Martin u. s. f. ist
als kleines viertiissiges Tliier mit t'ratzeuhat'teni Kopf dargestellt.
VonEigenthündichkeiten in den Trachten haben wir zu erwälmen die übliclien Spitzmützen
bei den Juden (s. Taf. II, XII, XIII, XVII etc), die plu-ygisclien Mützen an zweien der drei heil.
Könige, an den Schildknappen der heidnischen Könige, des Annas, an einem Gaste der Hochzeit
von Cana, bei der Benennung des heil. Johannes, bei der Gefangennehmung des Herrn, bei
dessen Geisselung, bei der ersten Predigt der Apostel etc., die Prachtkleidungen aller vorkom-
menden geki-önten Personen, ferner die keineswegs römischen Schergen entsprechenden Rüstun-
gen der Krieger bei der Gefangennehnmng Christi, bei seinem Verhöre durch Pilatus inid am
Grabe des Herrn; nicht minder erwähnenswerth sind die Kronen, deren ^'inige nach Art der
Mauerkronen, ^vie eines der heil, drei Könige, oder nach Art der Bügelkronen oder der Zinken-
kronen gezeichnet sind u. s. w. Schliesslich dürfen wir nicht mit Stillschweigen übergehen, dass
alle Gebäulichkeiten, die auf den Bildern erscheinen, nur durch einen oder mehrere rundbogige
Arcaturen angezeigt sind.
Beachtenswert!! ist ferner die einfache Gestalt des Altars, an dem der heil. Martin die
Messe liest, so wie auch die runde Form der Rauchfässer und die ganz einfache Gestaltung
des bischöflichen Hirtenstabes.
Nun, nachdem wir die Besprechung der einzelnen Bilder und Zeichnungen des Codex, so
wie auch die gewissen charakteristischen Einzelheiten beendet haben, erübrigt uns noch die Frage
der Zeitbestimmung hinsichtlich der Entstehung des Codex , von dem die Tradition des Stiftes
bloss berichtet, dass er im Stifte und für dasselbe angefertigt wurde, wie auch das Dedications-
blatt darthut, und dass er ununterbrochen in dessen Besitz geblieben ist.
Wenn man den Codex aufschlägt, so zeigen sich auf der ersten Pergamentseite bloss fol-
gende in Schriftzügen des XV. Jahrhunderts geschriebene Worte:
Anno partus virginei m° hie liber se scriptum esse refert, dabei steht ein-
geklammert und von anderer jüngerer Hand geschrieben: (106-i).
Dass die erstere Zeitbezeichnung, nämlich die, dass der Codex im Jaln-e 1000 entstanden sei,
unzulässig ist, das wird niemand bezweifeln, der sich einigermassen mit Werken derlei Art und
von einem derlei Alter vertraut gemacht hat. Anders ist es mit der zweiten Jaln-eszahl ; ob diese
für den Beginn der Arbeit an dem Codex wirklich massgebend ist, soll nachfolgende Betrach-
tung lehren.
Ziehen wir zuerst die Architekturen und die Formen der dem architektonischen Principe
gemäss gestalteten Einrichtungsgegenstände, wie die grossen Lehnstühle, Betten, die Bundeslade
u. s. f. in Betracht, so sehen wir überall den ungegliederten Halbkreisbogen sowohl an Fenstern
und Portalen, wie auch an Arcaden und Wölbungen verwendet; wir seilen die schlanke Säule mit
dem bisweilen gemusterten Schafte und mit weit ausladenden antikisirenden Capitälen, Eigen-
thümlichkeiten , die als die Wiederaufnahme des Classischen in der Architektur ohne byzanti-
nisirenden Einschluss, als die Blüthezeit des romanischen Styles die Zeit des XI. und theilweise
Xn. Jahrhunderts charakterisiren. Nicht minder auf diese Zeit hin deuten die Zeichnungen der
Figuren und Initialen, die Trachten, wie die Bekleidung imd Insignien der Könige und der
Weisen aus dem Morgenlande *, die Mitren , die am unteren Rande mit einem reichverzierten
* S. Freiherr v. Sacken über die Fresken zu Lambach. Mittheil. d. Cent.-Comm. XIV 99.
Ein Antiphonarium im Stikte St. Peter zu Salzbung. 1 89
Phiygium verziert sind und nach beiden Seiten angeschwellte runde Ausladungen haben, die
einfachen ungeschmückten Curvaturen der Krummstäbe, die bandförmigen um die Schultern
geschlungenen Pallien^ und endlicli die Bewaffnung und Bekleidung der Krieger. Wir sehen
bei letzteren noch in etlichen Beispielen den vom X. Jahrhundert an allmählig aus dem Gebrauch
tretenden Schuppenharnisch, ferner häufiger das erst im XIII. Jahrhundert abkommende Ring-
hemd, den Halsbcrg und Beinberg aus Panzerzeug, den über die Panzer-Kapuze getragenen
konischen Helm bisweilen mit einer nach vorn gekrümmten Spitze, welche Form in Mitte des
XII. Jahrhunderts ausgebildet war, ferner noch in zweimaliger Verwendung den im X. und An-
fang des XL Jahrhunderts üblichen kleinen runden stark gewölbten Schild, so wie ai;cli mehrmals
jenen grossen und langen Schild, oben abgerundet und unten spitz, der während des XII. Jahr-
hunderts üblich war und im XIII. schon in seinem Umfange abnaluu. Alle diese Umstände deuten
darauf hin, dass das Antiphonar in der Zeit des XL und XII. Jahrhunderts entstanden ist.
Die ausg'iebio-ste Bestärkunof in der Annahme dieser Entstehuno-szeit bietet aber das Kaien-
darium mit seinen Heiligen, deren Heiligsprechung höchstens den Schluss des XL Jahrhun-
derts angehört und insbesonders die XIII. Tafel des Kalendariums , auf welcher der jährliche
Eintritt des Osterfestes berechnet ist und welche Berechnung mit dem Jahre 1064 beginnt.
Was hätte der Schreiber wohl für einen Grund gehabt, die Berechnung des Osterfestes für schon
verflossene Jahre in seine Zusammenstellung aufzunehmen? Wir nehmen im Hinblick auf die
schon erwähnten Eigfenthündichkeiten in den Zeichnuns^en und auf diesen Umstand keinen
Anstand dieses Jahr als das des Beginnes der Anfertigung des Codex zu bezeichnen und geben
gerne zu, dass seine Vollendung in Schrift und Bild, eine lange Reihe von Jahren in Anspruch
nehmend, erst zu Anfang des XII. Jahi-hunderts eintrat, was auch die gegen den Schluss erschei-
nenden Schriftzüge, welche eine Änderung in der Person des Schreibers vermuthen lassen, bestä-
tigen. Jedenfalls ist dieser Codex hinsichtlich seiner Bilder ein würdiger Vorgänger des etwa ein
halbes Jahrhundert jüngeren Email-Altars zu Klosterneuburg, dessen Figuren in ihrer Zeichnung
einigermassen an jene erinnern.
9 Nicht unerwälnit darf jene Mitra bleiben, die der heil. Johannes bei seinem Begräbniss trägt, sie ist jener ähnlich,
die in der Katakumbe Platonia gemalt ist (Bocli: Geschichte der liturgischen Gewänder II, 157).
XIV. 27
iOO
Naehlrägliclies zum Militärdiploiii von Kiisteiidje.
Von De. Fr. Kenner.
J_Jer Text des im IV. Hefte dieser Mittheilung-en S. 125 besprochenen Prätorianerdiplomes wurde
nach einem Papierabdi-ucke mitgetheilt, den Herr Dr. CuUen mir freundlichst zugesendet luitte.
Inz^Yischen ist das Denkmal für das k. k. Antiken- Cabinet erworben und dadurch eine Ver-
gleichung mit dem Originale möglich gemacht worden, deren Ergebniss im folgenden anzu-
zeigen ich nicht unterlassen will.
Die Tafel, in welche die Inschi-ift eingegraben ist, besteht aus gewöhnlicher Bronze und
ist reichlich 1 Linie (27; Mm.) dick, an Grösse und Stäi-ke ganz ähnlich dem im k. k. Cabinete
bereits befindlichen Auxiliar- Diplome ^ des Kaisers Nero vom J. 60. Sie ist leider geputzt und
dadurch die sehr harte graue Patina bis auf wenige Stellen zerstört worden. Die Buchstaben sind
demungeachtet noch sehr scharf und zeigen an den Rändern namentlich der breiteren Stellen,
an welchen der Griffel beim Graviren abgehoben wurde , jene gratartig erhabenen Stellen,
wie sie durch das plötzlich unterbrochene Ausheben des Metalles entstanden sind. Die Beschaf-
fenheit der Patina weist daraufhin, dass die Tafel, wenn nicht direct dem Feuer, so doch einer
starken Hitze, etwa bei dem Brande des Gebäudes, in dem sie sich befand, ausgesetzt war. Zwar
hat sie sich dabei nicht geworfen, sie bildet eine gleiche Ebene, doch scheint der Hitzegrad so
gross gewesen zu sein, dass an einzelnen, namentlich den vertieften Stellen, das Zinn hervortrat
und mit Asche oder Staub vermischt zu einer compacten von aussen schwärzlichgrau aussehen-
den Masse wurde, welche die vertieften Stellen, wie die Punkte und Theile einzelner Buchstaben,
ausfüllte. Bei dem Versuche, diese Füllung mit einem scharfen Instrumente zu entfernen, löste
sich der Staub oder die Asche ab; hie und da zeigten sich darunter kleine, weissglänzende
Punkte, die eben auf die Vermuthung fuhren, dass das Zinn, freilich nur in sehr kleinen Tlicilchen,
ausgetreten sei.
Diese Füllung war nun die Ursache, dass der Papierabdruck nicht in alle feineren Ver-
tiefungen einzudi-ingen vermochte und daher nicht scharf genug wurde. Allerdings reichte er hin,
den Text festzustellen und erwies sich die publicirte Abschrift im Vergleiche mit dem Originale
als richtig. Doch haben sich namentlich bezüglich der Trennungspunkte Abweichungen ergeben,
deren Mittheilung bei der Wichtigkeit des Denkmales nicht überflüssig erscheinen dürfte.
' J. Arncth, zwölf römische Militärdiplome S. 27, Taf. I. — freih. v. Saclien u. K. die Saraiuliingen des k. k. Münz-
11. Ant.-Cab. S. 114.
Nachträgliches zim 5Iilitäi:dipi.om von Kustendje. 191
Da mir von der Inschrift der Rückseite ein Papierabdruck früher nicht zur Hand war, gebe
ich zunächst die Abschrift derselben an dieser Stelle, um die Art der Abtheilunff der Zeilen
ersichthch zu machen; sie lautet:
DIP • CAESAR • VESPASIANVS • AYGVSTVS • POXTIFEX
MAXIM VS • TRIBVNICIA • POTESTAT ■ vm • IMP.
xvm • P • P • CENSOR • COS° -'vn • DESIGN • vüi
NOMINA • SPECVLATORVM • QVI • IN • PRAETO
5 RIO • MEO • :\1ILITAYERYNT • ITEM • MILITVM
QVI • IN • COHORTIBVS • NOVEM • PRAETO
RIIS • ET • QVATTVOR • VRBANIS • SVBIECT
QVIBVS • FORTITER • ET • PIE MILITIA • EVNC (sie)
TIS • rV^S ■ TRIBVO • CONVBI • DVMTAXAT
10 CVM • SINGVLIS • ET PRIMIS • VXORIBVS
VT • ETIA • MSI PEREGRINI IVRIS • FEMINAS
(Bruch)
Die Orthographie ist dieselbe, wie sie in der Copie sich zeigt. Nur das Wort quattuor
erscheint im Originale nicht mit einem, sondern zwei T geschrieben. Auf der Vorderseite, deren
Abdruck mir, wie gesagt, allein vorlag, ist dieses Wort zwischen der 6. und 7. Zeile getheilt, so
dass die erste Silbe an das Ende der 6., die zweite an den Anfang der 7. Zeile zu stehen kommt.
Für die 6. Zeile reichte der Platz nicht mehr vollständig aus, so dass das T in die Kehlung des Rah-
mens gravirt werden musste, wesshalb es im Papierabdrucke nicht deutlich zum Vorschein kam. Auf
der Rückseite dag-eg-en erscheint das Wort in der Mitte der 7. Zeile deutlich mit TT g-eschrieben.
Ferner zeigt das Original regelmässig zwischen je zwei Worten kleine dreieckige mit der
oben beschriebenen Masse ausgefüllte Punkte, von welchen im Abdrucke nur der eine oder
andere zu erkennen war und die in der Abschrift zu ergänzen sind. Unreg'elmässig'keiten zeigen
sich auch hiebei; so ist der Punkt an einzelnen Stellen weggelassen, wie zwischen den Worten
quibus und fortiter in Zeile 7, zwischen duobus und civibus in Zeile 13, zwischen Aquis und
Statellis in Zeile 18 der Vorderseite, ferner zwischen pie und militia in der 8., zwischen etiamsi
und peregrini und juris in der 11. Zeile der Rückseite. Auch finden sich ausnahmsweise am Ende
der 5., 1-1., 15., 16. und 21. Zeile der Vorderseite und der 2. Zeile der Rückseite Punkte, während
solche am Ende der übrigen Zeilen hinweggelassen sind. Dagegen ist der Punkt ungleich in den
zusammengesetzten Worten etiamsi und acsi angewendet, jenes wird in Zeile 10 der Vorderseite
ETIAM • SI, in Zeile 11 der Rückseite gar ETIA • MSI, dieses in Zeile 13 AG • SI geschrieben.
Sonst zeigen sich keinerlei Unregelmässigkeiten; dass in dem Worte tollant der 12. Zeile der
Vorderseite an dem ersten L und an dem T die Querstriche weggelassen sind (das Original hat
deutlich TOILANI) und dass functis in Zeile 8 der Rückseite EVNCTIS geschrieben ist, das
geschah offenbar nur in der Eile des Schreibens.
Die Richtung der Zeilen der Rückseite steht senkrecht auf jener der Zeilen der Vorderseite
und zwar so , dass die Stelle des den Text beginnenden Wortes IMP auf der einen Seite genau
mit der Stelle sich deckt, die dasselbe Wort auf der Rückseite einnimmt; die erste Zeile der
Vorderseite liegt daher in derselben Linie, in welcher, wenn man die Tafel wendet, die senk-
rechte Columne der Anfangsbuchstaben aller Zeilen der Rückseite sich bewegt. Der Charakter
der Schrift ist der bekannte iener Zeit, die Ausführung aber nicht so sorgfältig und gleichmässig-,
27*
192 Dr. Fe. Kenner. Nachteägliches zum Militärdiplom vox Kustedje.
wie in dem Diplome von Kaiser Nero, dessen von A. Camesina gezeichnetes Facsimile in
Arneth's Werk (Taf. I) sich findet. Die Buchstaben auf der Rückseite sind grösser und kräftiger
und eher schöner zu nennen als jene der Vorderseite.
Endlich muss noch nachträglich bemerkt werden, dass die Anfangsbuchstaben nicht bei
allen Zeilen in der gleichen Columne liegen, sondern in der 1. (imp.), 4. (nomina), 15. (Galeone)
und 18. Zeile (L. Ennio) um das halbe Spatium eines Buchstaben vortreten, so dass deutlich
markirte Absätze entstehen, die unsern modemtn Alinea verglichen werden können. Denselben
Zweck hat die in die Augen fallende Kürze der Zeilen 1-4 und 17, sowie der Raum zwischen
Zeile IS und 19, so dass im Ganzen fünf Absätze entstehen, welche den fünf Theilen entspre-
chen, in die der Inhalt der Urkunde getheilt werden kann; diese sind: a) Name und Titel des
Kaisers als Kopf der Urkunde (ZeUe 1 — 3), h) die Ertheilung des Conubiums als vorzüglicher
Bestandtheil dts Inhaltes (4 — 13), c) die Dath-ung (Zeile 14, 15), d) die Adresse, e) Angabe
der Stelle in Rom, wo sich die Original-Urkunde angeschlagen findet.
103
Die Siegel der östeiTeiehischen Regenten.
Von Karl von Sava.
(Mit 6 Holzschnitten.)
V. ABT HEILUNG.
Die Siegel der österreichischen Fürsten aus dem Hause Habsburg.
(Fortsetzung.)
Jjadislaus Posthumus, Sohn Albert V. und der Elisabeth, Tochter Kaiser Sigismund's. Geboren
li-iÜ, gestorben 1-157.
I. Porträtsiegel für Österreich.
Vorderseite.
S. lilajestatis Ladislai . Dei . Gracia . Hungarie . Bohemie . Dalmacie . Croacie . Rame .
Servie . Gallicie . Ludomerie . Camanie (2. Zeile) Bulgarieq Regis . Ducis . Austrie . stirie .
lucembge . carinthie . niarchionis . mo(raviä). Minuskel, die Anfangsbuchstaben bis einschltissig
des Wortes „Austrie" übergangs-Lapidar, zwischen drei Kreislinien, deren innere schief ablau-
fende Seiten je mit einer Reihe von Sternchen besetzt sind, das o am Schlüsse der Umschrift ist
zur Hälfte durch das Gewand des Euo-els verdeckt, welcher den unaarischeu Schild träo-t. Der
Konig sitzt auf einem reich und prachtvoll geschnitzten Tlu'onstulil mit Nischen , welche oben
theils in Rund- theils in Spitzbogen enden. Die Rücklehne reicht, die Umschrift unterbrechend,
bis an die äusserste Randlinie des Siegels, sie ist mit einem verbrämten Stoffe behangen, und am
oberen Rande mit architektonischen Blimien verziert; zu beiden Seiten erheben sich Spitzsäulen.
Die Kleidung- des Königs besteht in einer langen faltenreichen Tunik mit Blumen gestickt, sie
endet am Halse in einen kurzen stehenden Kragen und ist vorn bis zur Brust aufgeschlitzt, so
dass man das Unterkleid sehen kann. Ein Gürtel umschlingt die Mitte des Leibes, und über der
Brust ist eine breite gestickte Stola gekreuzt. Ein weiter ebenfalls reich gestickter Mantel wird
über der Tunik getragen, und vorn an der Brust durch eine zierlich gearbeitete Spange festgehal-
ten, die Säitme sind mit breiten sternbesäeten Borten eingefasst. Auf dem Haupte trägt der König
eine hohe Bügelkrone mit einem Kreuze; das Haar ist zu beiden Seiten des jugendlichen Gesichtes
in dicht gekräuselte Locken gelegt. In der Rechten hält er das Scepter mit einem aus Blätter-
knorren gebildeten gothischem Doppelki-euze, in der Linken den Reichsapfel. Seine Füsse ruhen
auf einem Löwen, der auf dem Thronschemel liegt, zu jeder Seite desselben steht in Nischen des
104
Kahl von Sava.
Throiistubles je ein Ritter, barhaupt, die Haare zu beiden Seiten des Gesichtes wulstig gekräuselt,
mit dem Schwerte umgürtet im Schienenharnisch mit hohl geschliffenen Bruststücken und gescho-
benen Schössen, an den Achseln und Ellbogen mit grossen Scheiben. Ausserhalb des Thronstuhles
befinden sich zu beiden Seiten Wappenschilde pt'ahlartig übereinander gestellt, und zwar rechts
Alt-Ungarn von einem Engel gehalten, darunter ti-ägt ein Ritter, in Rüstung und Haarputz den
bereits erwähnten ähnlich, das Wappen von Dalmatien , und hierauf ein Engel jenes von Öster-
reich; links in symmetrischer Anordnung von gleichen Schildhaltern getragen das böhmische, luxem-
burgische und steierische Wappen. Rechts über dem ungarischen Schilde schwebt ein Engel mit
Fig. 1.
einem Scliriftban de, worauf die Jahreszahl: 1X4>1, links über dem böhmischen Wappen ein gleicher,
auf dessen Schriftbande die Buchstaben : A. D. C. J. P. In gleicher Höhe mit diesen Engeln zu
Seiten der Thronlehne die Buchstaben : L. — L. (Ladislaus). Vorn an der Thronstufe , die
innere Zeile der Umschrift unterbrechend, sitzt e'in P^ngel, der die Wappenschilde von Luxemburg
und ilälu-en hält. (Fig. 1.)
Kehrseite.
S. majestatis. ladislai. dei. gra. hungarie. bohemie. dalmacie. croacie. rame. seruie. gallicie.
lodomerie. camanie. bulgarieq i[^. regis. ducis austr. stirie. lucenbgie karinthie ^. (2. Zeile) caniole.
marchiois, moauie. bgouie. dni. machie. sclavoie. z portus naois. coitis. habspgn. tirolis, ferretis
t kiljge. ne. no. lantgui. alf. Nach Aufl.isuncr der Abkürzansren lautet die zweite Zeile: carniolc.
marchionis moravie, burgovie. domini marchie sclavonice et portiis naonis. comitis. habspurge,
tirolis, ferretis et Kyburge nee non lantgravii alsacie. Der erste Buchstabe Übergangs-Lai)idar,
Die SiEUEl. DEl! ÖSTEIIUETCHISCHEN I>i:OENTEN.
lo:
die übrige Schrift deutsche Mimiskel, zwischen drei Kreislinien, deren innere schief absteigende
Fläche mit Sternchen belegt ist. Das Siegelbild zeigt uns eine Wappengruppc, über welcher eine
Rügelkrone schwebt, die, beide Zeilen der Umschrift unterbrechend, bis zum äusseren Siegelrande
reicht LUid von zwei Engeln in faltigen Gewändern je mit einer Hand getragen wird; mit der ande-
ren Hand hält jeder den ihm zunächst stehenden Schild, nämlich rechts den ungarischen, links den
l)ühniisclien. Aus der Krone gehen zwei Ketten hervor, an wel(;hen die nachfolgenden Wappen
befestigt, und von der Rechten zur Linken in einen Kreis gereilit sind: Alt-Ungarn, Steiermark,
jMähren, Oberöaterreich, Luxemburg und Böhmen. Die einander gegenüber stehenden Schilde von
Fifi
Steiermark und Luxemburg sind jeder von einer Figur in langer Gewandung gehalten, zwischen
dem mährischen und oberösterreichischen Schild sitzt ein Engel, welcher ein Schriftband mit der
Jahreszahl 1X4X hält. In Mitte dieser Wappengruppe trägt ein Löwe den österreichischen Schild
mit damascirtem Felde und gcrauteter Binde vor sich, er hat dabei die Kette, an welcher der
steierische und luxemburgische Schild befestigt sind, mit den Vorderpranken erfasst, und stützt
die Hintcrfüsse auf die Scliilde von Mähren und Oberöstereich. Die ganze Wappengruppe wird
von einem Rosenornamente aus sechs Bogenabschnitten umgeben, mit Blätterknorren an den
Spitzen; die inneren schief aufsteigenden Flächen sind mit Sternchen belegt, und die Aussen-
wdnkel, in welchen sich von der Linken zur Rechten die Buchstaben A. D. C. J. P. befinden, mit
Masswerk verziert. (Fig. 2.)/
Dieses in Zeichnung und Ausführung vortreffliche Siegel verräth in jeder Beziehung eine
Meisterhand. Eine alte Aufschreibung sagt aus von diesem, so wie von dem kaiserlichen Majestät;--
ifl6
Karl von Sava.
sieo-el, dann von jenem ftir die österreichipchen Länder mit der Jahreszahl 1-159 (Nr. 13G und 137}
Kaiser Friedrichs III: „Maister Neidliart Goldschmidt hat sie in Silber jrrabcn- '.
Eund. Durchmesser 4'/, Zoll.
II. Wappensiegel.
S. seremi ladislai vnga'Ie boeie. reg^. zc. supmi. capitaei f pfector. dvcat. austrie. j (Sigil-
lum Serenissimi Ladislai Ungariae Bohemiae regis etc. supremi capitanei praefectorum ducatus
Austriae). Gefällige deutsche Minuskel, der erste Buchstabe Majuskel, zwischen zwei stufenförmig
erhobenen Kreislinien. Auf einem mit Masswerk verzierten, diu-chbrochenen verzierten Kreuze,
von dem das obere Ende des Pfahles und die beiden Endtheile des Querbalkens zu sehen sind,
liegt ein grosser gevierter Schild mit einem Mittelschilde, in letzterem das österreichische Wappen.
Das erste Feld des Hauptschildes ist achtmal in Roth und Silber quer getheilt (Alt-Ungarn), das
zweite zeigt den böhmischen Löwen, das dritte den mährischen Adler, und das vierte das ober-
österreichische Wappen. Rund, Durchmesser l'/g Zoll.
Ulrich Eizinger obrister Hauptmann und die Verweser des
Landes in Osterreich geben im Namen des Königs Ladislaus der
Stadt Zwettel das Umgeld, das Stadt- und Landgericht und den
Zoll auf zwei Jalii-e in Bestand gegen jährliche 150 Pfund Pfen-
nige. Wien, Montag nach Reminiscere (6. Mäi-z) 1452. Besiegelt
„mit dem Land Insigel, das wir in dem Fürstentumb
Österreich gebrauchen''. Daran das vorbeschriebene Siegel
in rothem Wachs auf weisser Schale. (Fig. 3.)
III. t Ladislai. dei. gra. hungarie. bohemie zc. regis. nee
non. ducis. austrie. et. marchionis mora. Die beiden ersten
Buchstaben Ubergangs-Lapidar, die übrigen deutsche Minuskel
zwischen zwei Kreislinien. Ein Engel hält den österreichisclien
'■ Schild, dessen Feld damascirt, die Binde dagegen blank ist, um
ihn gereiht, befinden sich rechts Alt-Ungai-n und Mähren, links Böhmen und Oberösterreich, die
beiden letzteren mit dem Hauptfelde durch Kette und Schloss verbunden. Der Engel hat einen
Stirnreif mit einem Kreuze, und über seinem Haupte schwebt eine
Sonne, deren Strahlen den ganzen Untergrund des Mittelfeldes be-
decken. Diese Gruppe w ird von einem Ornamente aus vier Bogenthei-
kn umrahmt, welche theils durch Knorren, theils durch angesetzte
Spitzwhikel mit einander verbunden sind, im unteren Randfelde eine
kleine Sonne. Rund, Durchmesser 2'/^ Zoll. Das Original in rothem
Wachs auf ungefärbter Schale hängt an weissen, rothen und grünen
Seidenfäden im Stiftsarchive von Melk an der bei Hu eher 1. c. 126,
Nr. 4 gedruckten Urkunde, nur soll nach Smittmer's Angabe das
Datum bei Hu eher: _an sand Urbanstag 1453"' irrig sein, während
es in der Original- Urkunde heisst „am Freitag nach dem heil, phings-
tag-. (25. Mai)-. Abbildung: Herrgott 1. c. Taf 9, Fig. 3 ann. 1453. (Fig. 4.)
IV. ForträUiegel für Böhmen.
Vorderseite.
Ladislavs Dei Gracia Hvngarie . Bohemie . Dalmacie . Croacie zc Rcx . Avstrie . Styrie et
Lvcembvrgen (2. Zeile) Dvx Ac Moravie Marchio 1X4G. Übergangs-Lapidar zwischen Kreislinien
' Tschischka'8 .'^kizze einer Kunstgeschichte Wiens, in Frankl's Sonntagsblättern 1S43. Xr. 2S, S. 6C6.
■-' Auch der .Sanct Urbanst:ig fallt auf den -2;. .Mai.
Fii
Die Sieget, der östeureichischen Regenten. 197
auf Scliriftbändern. Ein reicher gotliischer Baldachin von Säulen getragen mit Giebeln und Spitz-
säulen verziert, überwölbt eine Haupt- und zwei Seitennischen. In der Hauptnische, deren Rück-
wand mit einem von zwei Engeln gehaltenen Teppich behängt ist, sitzt der König zu Throne,
das reich gelockte jugendliche Haupt mit einer offenen Laubkrone bedeckt, in der Rechten hält
er das Scepter, mit der Linken den auf dem Schenkel aufruhenden Reichsapfel. Das Unterkleid
ist gegürtet und über der Brust die gekreuzte Stola sichtbar, die Ärmel desselben sind verbrämt.
Darüber wird ein weiter an den Säumen mit Borten besetzter Mantel getragen, den eine zierlich
gearbeitete Spange vorn an der Brust zusammen hält, die Schuhe sind gestickt. An der mit
Schnitzwerk verzierten Thronstufe ist vorn das Wappen von Luxemburg angebracht. In jeder
Seitennische steht auf einem Pilaster ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln , welche hinter den
äusseren Säulen in das Siegelfeld hinausragen. Diese Engel in langen Tuniken und weiten ver-
brämten Mänteln haben die Haare gekrullt, und tragen Reife mit einem Kreuze verziert auf den
Häuptern. Jener rechts hält mit der linken Hand den gekrönten alt-ungarischen Schild über sich,
zu seinen Füssen lehnt der österreichische Schild mit damascirtem Felde und blanken Quer-
balken; jener links hält mit der rechten Hand den gekrönten böhmischen Schild empor, zu seinen
Füssen ruht der mährische Schild mit dem gekrönten und geschachten Adler. An der Aussenseite
der Architectur jederseits auf Pilastern unter Baldachinen eine langgewandete Figur mit einem
Schriftbande.
Kehrseite.
f Ladislavs . Dei . Gracia . Hvngarie . Bohemie . Dalmacie . Croacie . Rame . Servie .
Lodomerie . Gallecie . Cumanie . Bulgarie Que . Rex (2. Zeile) Austrie * Luxemburgensis *
Stirie * Karinthie ^ Carniole * Dux * Moravie * Et * Lusacie * Marchio * 1856. Überg-ang-s-
Lapidar zwischen drei Kreisen, jener welcher den Rand bildet eine Perlenlinie. — In der ersten
Zeile nach jedem Worte ein Punkt, in der zweiten eine Rose. An die innere Schriftlinie schliesst
sich ein Siebenpass an, dessen Spitzen mit Blumenknorren besetzt sind. Blätterwerk füllt die
Aussenwinkel. In der Mitte hält ein Engel den gekrönten böhmischen Schild an den beiden Ecken
vor sich hin, während zu jeder Seite ein Engel denselben stützt. Sie sind in lange gegürtete
Gewänder gekleidet, mit gekreuzten Stolen über der Brust, und reichem gekrallten Haupthaar.
Diese Gruppe umgeben, in den Krümmungen des Siebenpasses angebracht, von der Rechten zur
Linken folgende Wappenschilde: Mälii-en, Schlesien, Niederlausitz, Oberlausitz, Görlitz, Schweid-
nitz, Luxemburg. Rund, Durchmesser 5 Zoll, 1 Linie. Die Vorderseite dieses Siegels ist abge-
bildet bei: Manni Osservazioni Istorichi sopra i Sigilli Antichi de' secoli bassi, VI. Nr. 1.
V. Majestätssiegel für Ungarn.
Vorderseite.
S. majestatis. ladislai. dei. gra. hungarie. bohemie. dalmacie. croacie. rame. servie. gallicie.
lodomerie. comanie. bulgarieq. regis. Der erste Buchstabe Übergangs-Lapidar, das übrige deutsche
Minuskel auf einem Schriftbande zwischen zwei Linien. Dieses Siegel, minder prächtig als die
beiden vorhergehenden, zeigt den König in einer Nische, welche oben mit einem Rundbogen
schliesst, zu Throne sitzend. Stabbündel, Giebel und Spitzsäiilen, alles aber in einem kleinlichen
Massstabe zieren die Aussenseiten, während der Hintergrund der Nische mit einem reich gestickten
Teppich behangen ist, der sich über die Sitzfläche des Thrones ausbreitet, und von da bis zu
dem Thronschemel hinab reicht. Krone, Scepter, Reichsapfel und Bekleidung des Fürsten sind
wie auf dem österreichischen Majestätssiegel, nur fehlt die Stickerei auf Tunik und Mantel, der
letztere wird vorne durch ein breites Band und zwei Spangen festgehalten; der Haarschmuck
besteht in kleineu dicht gekräuselten Locken, die zu beiden Seiten des Hauptes einen Wulst
XIV. 28
198 Kj
ARL VOS S>AVA.
bilden. Der Kopf ist in einem bedeutenden Relief gehalten, daher das Gesicht als der höchste
Punkt des Siegels gewöhnlich abgeplattet vorkommt. Die Füsse ruhen auf dem mit Teppich
belegten Thronschemel. Ausserhalb des Portals befinden sich durch Verzierungen, die aus der
inneren Schriftlinie hervorragen, gestützt, rechts die Wappenschilde von Neu-UngLrn, Böhmen.
Luxemburg und der österreichische Bindenschild pfahlweise gestellt, der letztere wird von einer
kleinen Thiei-figur getragen, links in gleicher Weise: Alt-Ungani. Dalmatien, der Schild mit den
füuf Adlern, und Mähren.
Kehrseite.
S. majestatis. ladislai. dei. gra. hungarie. bohemie. dalmacie. croacie. rame. servie. gallicie.
lodomerie. comanie. bulgarieq. regis. ducis. austrie. stirie. lucenbgn. karinthie. et. car (2. Zeile)
niole. marchionis. morauie. bgouie. (burgovie) dni. marchie. sclauonic. et portus naonis. comitis.
habspurge. tirolis. pherretis. et. kibvrge. nee. non. lantgravy. alsacie. etc. Der erste Buchstabe
Übergangs-Lapidar, die übrige Schi-ift deutsche Minuskel zwischen drei Kreislinien. Die zierlich
gearbeitete Kehrseite zeigt in der Mitte einen Engel, der mit ausgebreiteten Flügeln hinter dem
Schilde, in welchem sich das ungaiüsche Patriai-chenkreuz auf drei Hügeln befindet, bis über die
Brust emporragt, und mit der Rechten den altungarischen, mit der Linken den böhmischen Schild
hält, an welche sich rechts Dalmatien und Luxemburg, links Österreich und Mähi-en anreihen,
alle gegen den Mittelschild geneigt. Auf den Schilden von Luxemburg und Mähren sitzen kleine
Figuren. Waldmänner, deren jede eine Stange hält, an welche der mittlere Schild mittelst Ringen
befestigt ist. Das mit Sternchen besäete Siegelfeld umschliessen sechs Bogenabschnitte an den
Spitzen mit Blätterknorren verziert, an die Concavseiten derselben lehnen sich kleine Blumen-
bogen an, in den Aussenwinkeln sind geflügelte Drachen angebracht. Rund, Durchmesser
47« Zoll. Das Original in weissem Wachs an einem Wapi^enbriefe für Hanns Kaustorfer, Kam-
mergrafen der Münze, gegeben zu Ofen am 22. März 1456; im kaiseriichen Hausarchive.
VI. Majestatssiegel für das Herzogthnm Schweidnitr.
Ladislaus. dei. gracia. bohemie. rex. et. dux. swidnitzensis et iawrensis. Deutsclie Minuskel
mit Ausnahme des ersten Buchstaben, zwischen Perienliuien. Der zu Throne sitzende König ist
mit einer gegürteten Tunik bekleidet, welche am Halse geschlitzt und bis zum Gürtel mit Tiner
Reihe von Knöpfen besetzt ist. Eine Spange hält vorn an der Brust den Mantel zusammen, der
in kümmeriichen Falten über dem Schooss liegt. Eine Laubkrone deckt das Haupt, dessen Haare
an beiden Seiten dicht gekräuselt sind. In der Linken hält der Fürst ein mit Knorren verziertes
Scepter. und in der erhobenen Rechten den Reichsapfel. Im rankenerfüllten Siegelfelde schwebt
zu Seiten des Thrones rechts der böhmische Wappenschild , links jener von Schweidnitz. In
künstlerischer Ausführung steht dieses Siegel gegen die übrigen Porträtsiegel dieses Königs weit
zurück. Rund, Durchmesser 3 Zoll, 2 Linien.
\II. Sigillum Ladislai Dei Gracia . Hungarie . bohemie zc. Regis Ducis Austrie et Mar-
chionis Moravie zc. Deutsche Minuskel, die Anfangsbuchstaben Majuskel, die Randlinie an der
inneren Seite mit Sternchen verziert, dm-ch eine Stufenlinie vom Siegelfelde geschieden. Die das
Siegelbild umrahmende innere Schriftlinie schliesst sich oben nicht ganz, sondern die mit Knorren
verzierten Endpunkte stehen neun Linien von einander ab. Von ihnen senken sich vier Linien
lange Stäbe herab, an welche sich ein Ornament aus fünf Bogentheilen anschliesst, deren innere
Fläche mit Sternchen, die Spitzen aber mit Knorren verziert sind. Löwenköpfe füllen die beiden
obersten, und Masswerk die übrigen Aussenwinkel aus. In den Bogenkrümmungen sind die
^^ appen von Ungarn, Luxemburg, Oberösterreich, Mähren und Böhmen angebracht. Die einan-
der gegenüber stehenden Schilde von Ungarn und Böhmen werden von Engeln, und jene von
Die Siegel der ösTEnREicHisciiEX ÜECEJiTEN.
i99
Fig. 5.
Luxemburg und Mähren von geharnischten Männern
gehalten. In der Mitte des Siegelbildes hat ein Löwe
den österreichischen Schild mit gerauteter Binde vor
sich, er stützt sich mit den Hinterfüssen auf den
Luxemburgischen und Mährischen Schild , mit den
Vorderpranken hält er jene von Ungarn und Böhmen.
Über seinem Kopfe schwebt ein Schriftband mit den
Majuskeln: A. D. C. J. P. und über diesen eine Bü-
gelkrone, deren Kreuz zwischen den Worten Sigil-
lum t Ladislai in die Umschrift hineinragt. Unter
dem österreichischen Schilde auf einem Schriftbande
die Jahreszahl l>*>-t>2.. Rund, Durchmesser 2 Zoll,
11 Linien, Li rothem Wachs auf ungefärbter Schale
hängt dieses Sietjel an dem Schutzbrief des Königs
Ladislaus für das St. Clarenkloster in Wien. „Des
zu Urkund den Brief versigelt mit unserm kunigh-
lichen anhangenden Lisigel". Wien am Mitichen vor
dem heil. Pfingsttag (21. Mai) 1455. In dem Bestätigungsbriefe über die Stiftsprivilegien von
ZwetteP, an welchem ebenfalls dieses Siegel hängt, heisst es „cum sigillo quali in Aus tri a
ipse uti solet". Auch in der Urkunde über die Mauthfreiheit des Stiftes Osterhofen, Wien am
„treitag nach sand Johanns tag zu sunnen wenten" 1456 (25. Juni)* wird dieses Siegel als das-
jenige bezeichnet, „das wir in unserm fürstentumb O sterr eich gebrauchen". Abbil-
dungen: Hanthaler 1. c. Taf. 20, Fig. 3, ann. 1455, ganz unbrauchbar, wegen der fehlerhaften
Umschrift. Auch die Krone ist verfehlt, die Schriftbänder sind weggelassen, die Engel und gehar-
nischten Männer als Schildhalter mangeln ebenfalls, der luxemburgische Löwe ist in den steieri-
schen Panther umgebildet u. s. w. — Mon. boic. XII. Taf 2, Fig. 6, ist nicht so unrichtig als
die vorige, aber nach einem verstümmelten Originale gefertigt, auch auf ihr fehlen die Engel und
Ritter als Schildhalter (Fig. 5).
VIIL t S. ladislai. dei. gracia. hungarie. bohemie. dalmacie. croacie. regis. ducis. anstrie.
et. mai-chionis. mora. Deutsche Minuskel zwischen zwei Kreislinien. Ein quadrirter Schild von
Strahlen umgeben, im ersten Felde das altungarische, im zweiten das böhmische, im dritten das
österreichische, im vierten das mährische Wappen. Rund, Durchmesser 2y2 Zoll. — Nach der
Abbildung bei Pray 1. c. Taf 12, Fig. 2 vom Jahre 1454.
IX. Von einem Stufem-ande umschlossen, oben die Buchstaben: L. K. V. (Ladislaus Kral
Uhersky). Zu jeder Seite der Buchstaben senkt sich eine ungeföhr einen Viertelzoll lange Stab-
linie herab, an welche sich eine aus drei Halbrundbogen gebildete kleeförmige Verzierung
anschliesst, deren Spitzen mit Blätterknorren besetzt sind, in den zwei grösseren Aussenwinkeln
dieses Ornamentes befindet sich je die Büste eines Engels mit ausgebreiteten Flügeln. Das Siegel-
bild zeigt in der Mitte den österreichischen Schild von einem Engel mit ausgebreiteten Flügeln
gehalten, er ist mit einer langen gegüi-teten Tunik bekleidet und hat auf dem vom Strahlennimbus
umgebenen Haupte einen Reif, von welchem sich ein Ki-euz erhebt. In den Bogenkrümmungen
befinden sich rechts der altuno^arische, links der böhmische, und unterhalb des österreichischen
Wappens der mährische Schild; letzterer wird von zwei Engeln gehalten, deren Flügel zugleich
den ungarischen und den böhmischen Schild stützen. Rund, Durchmesser 1 Zoll, 8 Linien. In
3 Link Annal. 11. 119. b.
* Mon. boic. XII. 494.
2(MI
Kabl von Sava. Die Siegel per österkeichisches Regesten.
rothcni Wachs auf iingefiirbter Schale häng-t dieses Siegel im kaiserliehen Haiisarcliive an der
Urkunde, durch welche Ladislaus Posthuuius an Herzog Ludwig von Baiern ein Kreuz und Edel-
steine ura 30.000 ungarische Gulden verpfändet, am 8. Jänner 145-t. Die Abbildung in den Font,
rer. Austriacar. ü, Nr. VII kann weder schön noch gut genannt werden.
X. (1) Ladislaus : dni (2) : gi-acia : lninga(3)rie : et : hohe
(4)raie : zc : rex : x : Der erste Buchstabe Übergangs-Lapidar,
die anderen deutsche Minuskel, zwischen zwei Kreislinien.
Im Siegelfelde durch schräg geki-euzte Streifen gegittert, darin
je ein Stern — befindet sich ein gekrönter Schild, senkrecht
gespalten, im rechten Feld das Wappen Alt-Ungarns, die Sil-
berstreifen damascirt, im linken Felde der böhmische Löwe-
Zwei vom Schilde abgekehrte Raben mit zurückgewendeten
Köpfen bilden die Schildhalter. Den Mittelschild umgeben
viir kleine Schilde, der oben mit dem österreichischen, unten
mit dem luxemburgischen, rechts dem schlesischen und links
mit dem mährischen Wappen. Smittmer fand dieses Siegel
in rothem Wachs auf ungefärbter Schale an der Urkunde
hängen, durch welche Ladislaus den Johannitern erlaubt, ihr
in Böhmen gelegenes Gut Bytozewcs zu verkaufen. Wien, am 25. October 1455. Im llausarchive
befindet sich dasselbe an der Urkunde _de jure siio in Lyczkow Wenceslab Wlizek de Minü-z
collato. 19. Jänner 1454. Rund. Durclmiesser 2'/« Zoll (Fig. C).
Fiir. C.
Kleinere Beiträge und Besprecliungen.
Die Marienkirche in der Vill, näclist Neumarkt in
Tyrol.
(Mit 3 Holzschnitten.)
Eine Viertelstmule nöidlif-h von Neumarkt durch-
zieht die Landstrasse den Weiler Vill (viila), wohl an
der Stelle eines uralten Meierhofes der nahen römischen
Station Endide. Wider Erwarten findet man da eine
gothische Kirche, welche nicht nur allein mit anderen
Bauten des Landes verglichen Beachtung-, sondern auch
an und für sich alle Aufmerksamkeit verdient. Sie
zeichnet sich durch schöne Verbältnisse und reich l)e-
handelte Einzeltheile aus.
f. Derbeigegebeue Grundriss (Fig. 1) zeigt ein gleich-
seitiges Viereck von ungefähr 06 Fuss lichter Weite, als
Laienraum, an weiches gegen Osten ein entsprechend
geräumiger Chor , gegen Westen der Glockenthurm
angeschlossen ist. Vergleicht man den Chor mit dem
dreitheiligen Schilfe, so lässt sich aus dem Baue der
Fenster und der Anlage der Strebepfeiler gleich deutlich
erkennen, dass jenes älter ist. Wir fassen zuerst die
Aussenseite näher ins Auge, so wie sich die Lage der
Kirche dem Beobachter darbietet.
Der Glockenthurm zeigt einen einfachen, aber kräf-
tigen Sockel und bildet in seinem untersten Geschosse
über den Kircheneingang eine gefällige Halle, welche mit
einem sternartigen Rippengewölbe versehen ist. Höher
hinauf theilen ihn mehrere Gesimse in Stockwerke ab,
und eine stumpfe vierseitige Pyramide, mit Hohlzie-
geln gedeckt, ersclieiut als Abscliluss des Ganzen. Die
Schallfenster bestehen aus einfachen spitzbogigen Öff-
nungen ohne weitere reichere Behandlung. Selbst das
Masswerk fehlt jetzt, kann aber ursprünglich vorhan-
den gewesen sein. Die Abseiten des Schilfes der Kirche
schliessen geradlinig ab, und sind durch einen Sockel
und durch das hart unter der Sohlbank der Fenster hin-
laufende Kalfgesims und durch Strebepfeiler belebt.
In Hinsicht der Form des Strebepfeilers bemerkt man,
dass jene am Schiffe schwach hervortreten und bereits
dreieckig erscheinen, während die am Chore und an
der Facade noch in länglicher Vierecksform mit einma-
liger stärkerer Verjüngung und zierlichem giebelförmi-
gem Abschlüsse gebaut wurden. Der Chor als der
Haupttheil des Gotteshauses ist überdies noch in
anderer Weise ausgezeichnet. Zu diesem Zwecke über-
kleidete man ihn mit schön gehauenen Werkstücken
XIV.
und brachte an den Gewänden der Fenster eine rei-
cliere Gliederung an. Der Theilungspfosten löst sich
noch in gefällige, streng geometrische Formen des Vier-
passes und des Vierblattes auf. Eigenthümlicher Weise
gab man einem Vierpasse eine schiefe Lage. Im Schiffe
sind die Fenstergewände einfach glatt ; das Masswerk
besteht schon aus Fischblasen. Diese Fenster sind
bedeutend l)reiter als jene des Chores, sind daher auch
mit zwei Theilungspfosten versehen.
Fi- 1.
n
Fi;,'.
Einjrang hat diese
Kirche nur einen, weicher,
wie bereits bemerkt wurde,
mitten an der Westseite
unter derThurnihalie liegt.
Er ist durch reiciie und
kräftig gehaltene Gliede-
rung von Stäben und Hohl-
kehlen ausgezeichnet. Aus-
serdem sehen wir vierCon-
solen mit Baldachinen für
Figuren, doch fehlen diese
letzteren.
Noch mehr als die
Aussenseite, befriedigt das
Innere dieses dreisciiifl'igen
Hallenbaues. Vier Rund-
pfeiler tragen mit ihren
entsprechenden Wand- und
Eckenpfeilern ein reich ver-
schlungenes Netzgewölbe.
An den Wandpfeilem be-
merkt man eine hübsche
Gliederung, welche durch
einen kräftigen Rundstab
in Verbindung mit Plätt-
chen und Hohlkehlen ge-
bildet wird. Jene, welche
an der Ost- und Westwand
den Rundpfeilern gegen-
überstehen , zeigen noch
über genanntes Profil die
Spitze eines Dreieckes.
An den Wänden der Ne-
benschiffe kreuzen sich
bereits die Rippenbündel,
])evor sie sich über ihren
Fusspunkten weiter ver-
zweigen. Entsprechend
dem Kaftgesims an der
Aussenseite, läuft ein zar-
tes Gesims auch innen
unter der Fensterbank
herum hin und macht auf
die Wand eine gefällige
Wirkung. Bemerkenswerth
erscheint uns auch, dass
der Fussboden in den
Nebenschiffen höher liegt
als im Hauptraum. In Tyrol
findet man diese Erschei-
nung nur noch in der Hof-
kirche zu Innsbruck, einem
Bau aus dem 16. Jahrhun-
dert. Reichere Gliederung
zeigt sich dann auch am
-.- Triumphbogen. Ungefähr
in der halben Höhe seines
seukrechtlaufunden Unter-
baues trägt er an den
beiden Flächen der Innen-
seiten zwei Consolen; auf
der einen von diesen steht
noch die Statue des Erz-
Fig. 3.
engeis Gabriel. Es war also ohne Zweifel der engli-
sche Gruss dargestellt gewesen. Höher darüber, wo die
Fusspunkte des Sitzbogens beginnen, erscheinen in den
Hohlkehlen der Aussen- und Innenseite andere kleine
Consolen, welche mit Köpfen geschmückt sind und so
ein Unteybrechungsglied der langgestreckten Linie, eine
Art Capital bilden, wie man das auch an den älteren
Chören der nahe gelegenen Orte Neuniarkt und Tramin
noch deutlicher ausgedrückt findet. Die Verästunic der
Rippenbündel des Chores ist einfacher gehalten als in
den Schiffen, aber die Gliederung der Träger ist reicher.
Es sind dies durchaus Bündel von zarten Stäben,
welche von einem gemeinsamen Sockel sich erheben
und in einem zierlichen mit figuralen Darstellungen
geschmückten Capital abschliessen. Wir bemerken im
dreiseitigen Abschluss die vier Sinnbilder der Evange-
listen, an den zwei anderen Stellen Engel mit Spruch-
bändern, dabei auch ein paar Steinmetzzeichen.
In die Ecke zwischen dem Abschluss des nörd-
lichen Nebenschiffes und dem Chore ist die Sacristei
hineingebaut. Aussen bemerkt man an derselben ein
kräftiges Dachgesims, innen im Chore den Eingang in
der Form des glatten Kleeblattbogens, an dessen nach
einwärts schauenden Spitzen zwei kleine Köpfe aus-
gemeisselt sind.
Von den drei folgenden Gegenständen, dem
Saeramentsh ansehen, der diesem gegenüberlie-
genden Wandnische und dem Kanzel -Unterbau
ist ersteres besonders merkwürdig. Das Sacraments-
häuschen (Fig. 2 und 3 ), wie gewöhnlich auf der Evan-
gelienseite des Chores, ist ganz aus grauem Sandstein
gebaut, mit drei Seiten frei und steigt in mehreren
Stockwerken zierlieh und schlank hoch empor. Auf
einem säulenartigen Fasse, welcher mehrere reichere
Gliederungen an sich trägt, erhebt sich der eigent-
liche Schrank zum Verschluss des Ailerheiligsten. Sein
Schmuck besteht aus kräftigen Gesimsen und Säul-
chen, welche in den Ecken eingesetzt sind, nnd über
das Ganze ist eine weit vorragende baldachinartige
Anlage angebracht. An den einzelnen Gliederungen um
die zierlichen Tiiürclicn auf den drei freistehenden
Seiten bemerkt man Spuren von einstiger Polychromi-
rung in Roth und Blau. Die darüber emporwachsenden
Stockwerke sind durchbrochen und setzen sich aus
Säulchen in Verbindung mit Wimbergen, Fialen und
Strebepfeilern zu einem sehr gefälligen Aufbau zusam-
III
men. Den Abschluss bildet eine heimartige Spitze,
welche, durch Krabben reich belebt, in eine Kreuzblume
ausläuft. Zwei oflcne Stockwerke waren für Rundtiguren
bestimmt; die eine davon, Christus die Wundeuniale
zeigend, ist noch vorhanden. Bei dieser so zarten An-
lage konnten wenigstens Einzeltheile in Folge der vielen
Unbilden seit neuester Zeit, wo die Kirche als Bretter-
niederlage diente , nicht unverletzt bleiben. Mehrere
Fialen und andere zartere Theile sind zertrümmert.
Die gegenüberliegende Wandnische schliesst in
Form eines leicht gesehweiften Spitzbogens ab. Das
Ganze macht eine herrliche Wirkung für den Chor. Es
ensteht nun die Frage, wozu diese Nische gedient haben
mag? Die Alten brachten nicht selten an diese Stelle
eine Nische mit einer Bank an, worauf zur Zeit ihres
Gebrauches Sitzpolster gelegt wurden, um den Dienst
unserer beutigen Sedilien zu leisten. Weil man hier
sogar ein Sacramentshäuschen, und zwar ein so reich
behandeltes findet, so muss diese Kirche einst in gros-
sem Ansehen gestanden sein. Es mögen daher wohl
auch Sedilien bisweilen nothwen dig gewesen sein. Wahr-
scheinlicher jedoch haben wir hier einen jener Wand-
schränke zu suchen, welche zur Aufbewahrung heiliger
Gefässe, Reliquiarien und dergleichen dienten.
Die Kanzel stand am zweiten Gewölbepfeiler (vom
Eingang aus gerechnet) auf der Südseile des Schiftes.
Sie war aus Sandstein, welcher überhaupt zu allen
Gliederungen der Kirche in Verwendung kam. Leider
hat sich aber von ihr nur mehr der Fuss und die um
den Pfeiler sich windende Stiege erhalten. Ersterer hat
die Form eines einfachen polygonen Pfeilers, an dem
sich Stäbe in der Richtung einer leichten Schnecken-
windung hinaufziehen.
Durch den unermüdlichen ürkundensammler und
Geschichtsforscher P. Justinian Ladurner kamen wir
auch in den Besitz einer treuen Copie jener Urkunden
aus dem Pfarrarchiv von Neumarkt, welche sehr inter-
essante Aufschlüsse über die Bauführung dieses merk-
würdigen Denkmals mittelalterlicher Kunst in Tyrol
enthalten. Daraus erhellt, dass im Jahre 1412 „Matheys
Sün vlrichs am tempel auss der vill chirchnprast zu
vnser liebu frawn daselbs in der vill bey newenmarkgt
mit gunst willen vnd wort der nachpawrschafft in der
vill da entgegen, was vlrich sein Vater, seine prüder
u. a. nachgebawen hingelassen vnd verdinget haben
ainen Chor vnd ainen sagraer zu machen zu
der lieben vnser frawen chirchen in der Vill mit sollichen
besundern gedinge alz hernach geschriben stet Mais t er
Chunrattn den Stainmezn zu dem obgenantn newen-
markgt''.— Wir lernen hier die Erbauer, den Baumeister
und zugleich die Bauzeit des schönen Chores kennen.
Lohn, heisst es weiter, soll der genannte Baumeister
soviel erhalten „alzo man demselben geyt von dem werich
zuSandnyclausen zu neumarkgt". Also auch der ähnlich
schöne Chor der St. Nicolaus -Pfarrkirche im nahe
gelegenen Neumarkt rührt von diesem Meister her.
Der Steinbruch war in Vorrn (dem heutigen Dorfe
Auer?). Im weiteren Texte der Urkunde wird dann
weitläufiger der Lohn und andere Gaben für den Bau-
meister und seine Gesellen beschrieben, sowie die Zeit
angegeben, wann er die Arbeit unterbrechen darf, wann
nicht. — Mit dem Steinmetzen Äleisfer Chunratt scheint
aber nur wegen des Aufbaues des Chores ein Vertrag
abgeschlossen worden zu sein, denn im Jahre 1473
unterhandelten „kirchbräbst Balthasar Winkler und An-
dere mit dem f ü r s i c h t i g e n M a i^ t e r P e t e r n S t a i n-
metzen von vrft wesenlichen zu Tramonn
(Tramin?), das der benannt maister Peter abseiften
so weiland maister fewr angefangen auf demselben
Form vnd vizirung ganz volbriugen sol bis vudters dach
vnd desgleichen auch dan pfeiler mit dem Gestain so
maister Hans fewr nach Im maister Andre Hof er
habent gehawt auf Ir hoch volkomenlich versetzen vnd
soll er auch die andern abseittn nach dem vnd noch
mit ratt fürgenomen wirdet gar in den grünt oder in die
alt mawr gleicher weis der ersten abseitten vnders dach
mawrnvnd volstreckchenn vnd in das paw allennthalbea
keinen weteraysigen Stain noch fauls gestain ver-
setzen".— Nun folgen die weiteren Vertragsbestimmun-
gen. Gegen Ende der Urkunde heisst es: „Aber der
kirchbräbst ist nicht schuldig vorhin icht hinaus zu
geben vnd so der paw vnd arbait wie oben bemelt ganntz
volstreckcht vnd volpracht ist will man dann weitter
pawen ge weihen oder anders Stugen dann die nach-
paurschaft vnd der maister aber desselbigen paws
überain werden". — Also dieEinwölbung wurde vorder-
hand letztgenanntem Meister nicht ül^ertragen. Es ist
dies ein neuer Beweis, wie bedächtig die Alten bei
einem Kirchenbau vorgingen, um auch mit beschränk-
teren Älitteln doch am Ende ein schönes Gotteshaus
herstellen zu können. Sie stellten einen schönen Grund-
plan fest, und diesen, wenn auch stückweise auszuführen,
war stets dankbar.
Die Einwölbung des Schiffes scheint nach den
bereits sich durchschneidenden Rippen , wie oben
bemerkt ward, zu schliessen, erst in den ersten Jahren
des 16. Jahrhunderts statt gefunden zu haben. Diese
eben beschriebene Kirche befindet sich gegenwärtig in
einem Zustande, in welchen sie nur Barbarismus und
völlige Gleichgiltigkeit bringen konnte. Aber trotz aller
Unbilden, welche sie als gemeines Bretter- und Wagen-
magazin erlitten hatte, wäre doch noch ohne grosse
Kosten eine ihrem Kunstwerthe würdige Herstellung
möglich, und dies hotten wir auch, weil sich ein bes-
serer, das Alterthum gebührend ehrender Geschmack
täglich mehr Bahn bricht. Karl Atz.
Ülier die verscMedenen Formen des G-ebäckes in
Wien.
(Mit 7 Holzschnitten.)
Wir sind so sehr daran gewöhnt, unser Brot, unsere
Kipfel und Semmel vor uns zu sehen, dass wir gar
nicht mehr auf sie achten. Wir wissen, dass man in
der Fastenzeit B r e t z e n, zu Ostern die 0 s t e r f 1 ecken
und zu Allerheiligen die Heiligenstritzel zu kau-
fen bekommt; aber es fällt eben wieder aus Gewohn-
heit Niemanden ein, darüber nachzudenken, warum
man dem Teig bald diese, bald jene ganz eigenthümliche
Form gebe, am wenigsten wissen es die Bäcker selbst,
und der geistreiche Lichtenberg hat hier wieder voll-
kommen recht, wenn er sagt: „Leute von Metier verste-
hen oft das Beste nicht." Indessen ist die Frage über
die verschiedenen Gestaltungen des Wiener Gebäckes
eine an und für sich höchst interessante, und gehört,
wie man aus den folgenden Zeilen erfahren wird, voll-
kommen in das Gebiet der Altertluunskunde, indem
a*
!V
luau zu ibrer Lösung bis in die germanische Vorzeit
hinaufsteigen ninss.
Diese Kiplel nnd Semmeln, diese Wecken uiul
Siritzel, die man nirgends von solcher Güte findet wie
in Wien, sind nämlich keinesweges durch die erfinde-
rische Laune irgend eines Bäckers entstanden, sondern
danken ihr Dasein alten mythischen Ansichten und Ge-
bräuchen, und wenn sie sich bis auf unsere Tage fort-
erbten und erhielten, so kam es nebst der oben ange-
deuteten ^.Gewohnheit- — der conservativsten aller Be-
weggründe und der eigentliehen vis inertiae — haujit-
säihlich auch daher, weil die ersten chrisilichenl'riester
weise genug waren, an gewissen alten Gewohnheiten
nicht zu rütteln, nnd weil sie wieder so vielen praktischen
Sinn hatten, das vorhandene Alte in ein christliches
Kleid KU hüllen, wodurch sie demselben einen neuen
Keiz verliehen, der ihren eigenen Zweiken obendrein
noch forderlich war.
Dies trifft sich min ganz ausge-
zeichnet beiden Osterflecken (^Osfer-
fladen") Fig. 1, welche noch von frühe-
ren Autoren, die noch alle Gebräuche
aus dem Judenthnm abzuleiten suchten,
mit den ungesäuerten Broten des Pa-
schah- Festes verglichen wurden ". Aber
der erste klare Blick auf dieses Brot,
mit seiner vom Mittelpunkt ausgehenden
strahlenförmigen Verzierung weist unmittelbar und un-
zweideutig auf die Sonne hin, und erinnert an das
Siinnenrad der Germanen. Welche andere Deutung
könnten auch die Rundfonii dieses Gebäckes und die auf
demselben angebrachten Strahlen zulassen? Um aber
unsere Jleinung zu begründen, müssen wir einiges über
Ostern selbst beibringen.
Ostern ist für uns ein hohes kirchliches Fest, denn
es ist das Andenken an die Wiederauferstehung Christi,
welches auch die ganze, aufs neue erwachende Natur
mit uns feiert. Bei den Germanen hingegen, wie bei
vielen anderen l'r- oder Naturvölkern, war es das Fest
der nach dem langen düsteren Winter wiederkehrenden
Sonne, das Wiederkommen des Lithtes und der Wärme
und der freudigen Erwartung auf das Emporblühen des
Getreides und das Reifen der Früchte. 0 star bezeich-
net die Richtung gegen Morgen, wie das heutige Osten,
und die Osiara war die weibliche Gottheit des aufstei-
genden Lichtes, welche in den Tagen der Sonnenwie-
derkehr auf der Erde herumfuhr und die Menschen,
besonders aber die Liebenden beschenkte =. Wie tief
dieses Osterfest in das Leben der Menschen eindrang,
geht aus einer Jlenge von Gebräuchen lunvor, von
denen wir selbst noch viele kennen und mitmachten,
wenn sie auch in den neuesten Zeiten, „wo der Dampf
so vieles verdrängt", mehr in Abstrich kommen.
Was ist das ,.Fest der bemalten Eier- anders als
eine Erinnerung an die Wiederkehr der Sonne V Das Ei,
mit dem bildenden Keime und dem nährenden kugel-
runden Dotter, war von jeher ein Sj-mbol der Welt, und
zu Ostern färbt man es mit Roth, der Farbe des Lichtes
und der Freude, um das Festkleid anzudeuten, in wel-
ches sich nun die Natur zu hüllen beginnt. Oster-
spiele wurden aufgeführt: man steckte das Oster-
b 1 ü m c h e n, welches mit seinen strahlenförmigen BlUthen
■ Heu manu. Oputc. p. 326. n. A.
= üia »ird hier au Schillerj ,SUdchen aus der Fremde-' erinnerL
an das Bild der Sonne erinnert (Bellis i)erennis.Maasslieb),
auf die Kuchen, man reini::tc die Häuser und weisste
die Wände, und sparte im Winter, um zu Ostern in
neuen Kleidern umhergehen zu können, man /.Undete
auf den Anhöhen Osterfeuer und in den Zinnnern
Osterlichter an. der Herr Pfarrer bekam tür das
Weihen der Ostereier und Osterfladen einen beson-
deren Ostergrosehen, dafür niussie er aber auch in
früheren harmlosen Zeiten eine besondere Oster])re-
digt halten, und in dieser l'rediüt mnsste ein Oster-
schwank- vorkommen, worauf dann ptliclitinässig das
Ost ergo lacht er erscholl, und Alles vergnüirt" und
zufrieden nach Hause ging, um seinen wackeren und bie-
deren Ostertrunk zu thun, dessen sieh schon die
heidnischen Vorfahrer eifrig beflissen hatten.
Auch Hess man in trüberen Tagen das Jahr mit
Ostern beginnen, und in dem Hochstifte Münster war
dies noch sogar bis zum Jahre 1313 im Gebrauch*,
während unter Karl dem Grossen (um d. J. 801) das
Jahr von der „Gotfe.sgeburt-, nänili'h von den „Wihi-
nächteiii Weihenächten) begann ; denn <lie Geburt Christi
wurde schon im sechsten Jahrhundert auf die zwölf
Nächte der Juelzeit verlegt.
Zu Ostern machte sogar die aufgehende Sonne drei
Freudensprünge wegen der glorreichen Auferstehung
des Herrn, und noch tragen viele Orter und Gegenden
den Namen von Ostern, z. B. Osterwald, Osterborn,
Osterbeck, Osterwiese, Osterode, Osterkirche u. s. f.
Der ehrwürdige Beda ^ schrieb beiläufig hundert Jahre
nach der Bekehrung der Sachsen:
„Mein Volk (die Angelsachsen) nannte in seinem
Heidenthume den Monat .\pril den Estnrmonat, von sei-
ner Göttin Eostra, weil sie um diese Zeit ihr Fest
feierten, jetzt heisst er Ostermonat und das Fest Ostei-
fest. Weil beide in eine und dieselbe Zeit fallen, so
ist der ehemalige gewohnte Name beibehalten
worden.-^ «
Bei dem Bereiten der Osterflecken mnsste auch
mit besonderer Sorgfalt vorgegangen werden : Ort, Was-
ser und Zeit waren wichtig, denn es war das gesündeste
aller Gebäcke, und die Wohlhabenderen theilten den
Armeren Osterflecken aus, denn wer keinen hatte oder
bekommen konnte, dem drohte ein Missgeschick oder gar
ein Unglück, er befürchtete das ganze Jahr in Fin.«-terniss
zu wandeln, da ihm das ..Wibibrod-, das Sinnbild des
Lichtes und der Wärme, fehlte.
Die Rundiorm der Osterflecken erinnert noch an
mancherlei Gebräuche, die vom germanischen Sonnen-
dienste abstammen, so z. B. an die F c u e r s c h e i b e n und
an das^\'epelra d. Noch s]);it herein war es in Schwa-
ben und Graubündten Gebrauch, an dem ersten Sonntag
nach demAschemiittwoeh, dem sogenannten „Scheiben-
sonntag-* Abends Feuer auf den Bergen anzuzünden und
brennende Scheiben zu werfen. Diese waren aus
dünnem trockenen Holz gefertigt, hatten sechs bis zehn
Zoll im Durchmesser und besassen in der Mitte ein
Loch, durch welches man einen Stab steckte. An die-
sem hielt man die Scheibe in das Feuer und schleu-
derte sie, wenn sie in vollen Flammen war, in einem
* Ein Hauptlhema dieses Osierschwankes oder Oslerm'ahrleins war, wie
der heilige Peirus den schelmischen Wirlh .vtra^ie, der ihn prellen wollte,
oder wie * bristus der Herr bei beiner Fahrt in die Vorhölle, einem vor-
witzigen Teufel die Nase abbrach u. s. w — Wahrhaft kindliche Zeiten! —
* Kindlinger. Slüosterischc Kciirüge etc. II. S. 3Ü9.
* Ein Priester in England geb. C72 und gest. 735.
' Üentham. Engl. Kircheo^ilaat. 29. §. § iv.
;/
Fig. 2.
der Osternaclit
man leete es
grossen Bogen diircli die Luft. Sie sollten die lench-
tende, auf- und niedersteigende Sonne anzeigen. In den
früheren Tagen mochte man jeder dieser Scheiben einer
be.sonderen Gottheit gewidmet haben, späterhin aber
widmete man die erste Scheibe der heil. Dreifaltigkeit,
die zweite der heil. Jlaria, die dritte dem König, die
folgenden dem Bürgermeister, dem Pfarrer, der Braut
u. s. w.
Das Wepelrad oder Weiifel-
rad iFig. 2) w\irde aus Weiden-
ruthen geflochten, jedoch der Art,
dass die Sjieichen als verlängerte
Spitzen hervortreten. In die Mitte
legte man ein Stück goldfarbenes
Blech oder im^iothfalle Goldpapier,
an die Spitzen, welche die Sonnen-
strahlen bedeuten sollten, steckte
man aber Apfel oder andere feinere
Früclue und befestigte dieses Bad in
au dem Fenster der Geliebten oder
ihr ,.auf die Diele". Auch dem Bürgermeister oder dem
Pfarrer, wenn sie besonders geachtet waren, widmete
man derlei Wepel- oder Sonnenräder. Dessgleichen
liess man wirkliche Bäder, nachdem man sie in Flam-
men gehüllt hatte, über Bergabhänge herunter rollen.
Es wäre noch viel über den Sonnendienst anzuführen,
besonders wenn mau andere alte IMythen beizöge, wie
z. B. den Adonis- und Hercules- Cultus, sowie ander-
seits den der Astarte, deren Namen mit dem der Ostara
ziemlieh zusammen klingt. Endlich sei noch bemerkt,
dass auf dem regelmässigen Üstei-fleckeu neun Strah-
len augegeben sein müssen, und zwar zur Erinnerung
an die neun grösseren Götter der germanischen Urvöl-
ker: Udhin, Thor, Bragi, Heimdali, Tyr, Loky, Freyr,
Freja und Hei.
Ein anderes auf das Sonnenrad
hindeutendes Gebäcke ist die Bretze
Fig. 3 (anderwärts: das Bretzel) mit
ihrem Ring und den vier Speiehen,
deren Name von brihtan = leuchten (Be-
ratha =^ die Leuchtende u. s. w.) ab-
geleitet werden kann, da kein anderes
Urwort dazu aufgefunden wird, und
dieses Leuchten aber wieder auf die
Sonne hindeutet. Der althochdeutsche Name davon ist
brezila, ]n'etze, jn-etzitella '.
In früherer Zeit leitete man das Wort Bretze von
dem lat. brachiie oder brachiale ab *; man vergass aber
dass ein Armband keine vier Speieheu haben könne. An-
dere sahen daran das Kreuz von einem Bing umgei)en «.
Die heiterste Al)leitung bringt aber Hilscher'», indem
er sagt, dass die „Praeceptores" am Georgsfest, an
welchem die Schüler ihr Schulgeld entrichteten, diesen
Bretzeln schenkten. Endlich glaubt Höfer •', dass die-
ses Backwerk eine Erinneruug an das Leiden des Hei-
landes gewesen sei, ,,da er mit Strickeu gebunden
wurde."' So irrig diese Deutungen sind, so gewahrt man
doch, wie sich die Gelehrten für die Form der Brelzen
interessirten, welche das eigentliche Juel-brod war, das
in den Wibinächten gegessen wurde. Juel bedeutete
• Graff. Diut. II. 317.
' Wächter. Gloss. germ. 212.
* Koch. Dissert. de Spiris pistomm, p. 22.
"> Österlicher .-Aberglaube, p. 20-
" Elymol. "Wörterbuch I, p. llö.
(wie noch jetzt im Friesischen) ein Rad, und Jula-ualt
hiess das mit Speichen versehene Radlirot, welches
auch nach dem Juelfcste autbewahrt wurde, das man
im Hause aufhängte, damit es gegen Krankheiten und
Hexerei schütze, das man bis zur Saatzeit aufhob, wo
es dann klein gestossen und unter das zu säende Ge-
treide gemengt wurde. Auch der Ackersmann und die
vor den Pflug gespannten Pferde oder Ochsen bekamen
von diesen Brotsamen zu essen, denn das sollte eine
gesegnete Ernte bringen 12, und wer am Gründonnerstag
Bretzen ass, bekam das ganze Jahr kein Fieber.
Auch Herrad von Landslierg bildete in ihrem
,,Hortns deliciarum", den sie um das Jahr 11 9ü vcrfasste,
die Bretzen ab, und zwar auf dem Bilde, wo Esther und
Mardochai an der Tafel sitzen 12. (F\g. 3 b. c.)
Hans Sachs (I. 543) erwähnt „Aierpretzen" und
AVeekherlin singt:
,,Die Schwäbelein die so gar gern schwätzen,
Frässen ein Rad für eine Bretzen."
Im Gargantna (1232) heisst es:
„ein thüringisch Pflugrädlein für ein pretsell ansehen",
in welchen beiden Fällen die Bretze ganz richtig mit
dem Rade verglichen wird. Zu München bück man am
ersten Mai die sogenannten Wallerbretzen und Morgens,
um fünf Uhr ritt ein Mann auf einem Schimmel aus uud
rief auf den Strassen: „Geht's zum heiligen Geist, wo
man die Wallerbretzen ausgeit." '* — ganz gewiss zur
Erinnerung an dasSouneurad, dessen erstes und ältestes
Zeichen aus zwei schräge gelegten Stäben bestand X
welche Aufgang und Niedergang anzeigen. Später kam
ein senkrechter Strich, gewissermassen als Axe hinzu
und so enstand jenes Zeichen, welches man auf ptolo-
mäischen Münzen findet;^ dem das Zeichen ^ (-/oi^ro;)
sehr nahe liegt, bei welchem der Ring anstatt ringsum,
nur an dem senkrechten Strich angebracht ist.
Aber noch eine Frage, warum sind die Bretzen so
stark gesalzen'? Einlach darum, weil Scd nnd Sal in
der nächsten Verbindung sind, weil der j\Iensch ohne
Salz eben so wenig bestehen kann, als ohne die Sonne.
Das Salz bedeutete das geistige Princij) i-\ Das Salz
ist ülierall beleliend nnd ernährend, es diente allent-
halben als Bild der geistigen Nahrung und Kraft, und
die Kelten, Hermunduren, Burigunden uud Alemanen
stritten desshalb um die heiligen Salzquellen "i. Christus
sagt in seiner Bergpredigt zu den Jüngern: „Ihr seid
das Salz der Erde" '".
Hierher gehören auch Redensarten : wie „cum grano
salis", oder „et in sole et in sale ommia salus", oder
„non bene mensa tibi pouitur absque sale" u. s. f. Das
Salz hat in fast allen europäischen Sprachen den glei-
chen Namen (sal, sale, sei, sa!t, von dem Griechischen äXj,
selbst im Althochdeutschen heisst es hal (halhus = die
Saline, halgrave der Salzvogt); kurz, es scheint in den
älteren Tagen noch eine weit tiefere Bedeutung und
grössere Wichtigkeit gehabt zu haben, als in unseren
encykloiiädischen Zeiten.
Ist nun die Bretze sehr stark gesalzen, so wird
hingegen das Beugel (anderwärts Kringel), Fig. 4,
von beinahe ganz ungesäuertem Teige geformt. —
*' Berlepsch. Chronik der Gewerke VI. p. 70.
" S. Engelhard. Herr. v. I.andsb. Tab. IV.
»* Schmell. II. 273. Dieser Schimmelreiter deutet, nach allen deutschen
Mythologen auf Odin oder Wodan. S. Simrock. S. Älyih. G3. 54Ü. 567.
'ä Simrock. Deutsch. Mjth. S. 131.
«8 Tacitus Germ 20. Amm. Nr. 28. 5.
" Matth. V. 13. Lucas XIV. 34.
VI
Es wurde nach Ostern gebacken und deutet ganz ein-
fach auf den Sonnenring. Popovitsch <" gibt an, dass
diese Bengel zu seiner Zeit von den Bäckerjungen in den
Strassen Wiens herumgetragen wurden. Diese Burschen
hatten ein sogenanntes Wiidrufiifeifchen , mit dem man
den Ruf der Kibitze und anderer Vögel nachahmt, und
boten ihre Waare nur dadurch aus, dass sie auf diesem
Wildruf pfiffen; eine Eigcnthünilichkcit, die sich seit
beiläufig 5U Jahren gänzlich verlor. In Frankreich wurde
im J. 1711 ein Stein mit einem roh gearbeiteten Brust-
bild eines bärrigen ^[annes ausgegraben , der auf dem
Kopf zwei Hirschgeweihe hat. Der Hirsch war nämlich
ebenfoUs ein Sj.Tnbol der Sonne (der Sonnenhirsch Eik-
thymir). An jedem derGeweihe jenes Kopfes, in welchem
Keysler '« ein Abbild des Gottes Cernunnos sah, hängt
ein Ring, der ebenfalls auf das Ringelrad oder Radbrot
des Jnel-Festes gedeutet wird.
,.Kipfel heisst zuWien,-' sagt Popoviehso^ ein Brod
von Semmelteig, so die Gestalt des Neumondes (wohl
richtiger des Halbmondes) hat. es ist in der Mitte dicker,
an den Enden dünner und durch Querschnitte in Glieder
abgesetzt.- —Fast alle Völker stellten den sich erneu-
erten, sichelftirmigen Mond durch irgend ein Gebäck
dar. Bei den Griechen war das sichelförmige Gebäck
sehr gewöhnlich und biess lii.vjr,, ni\r,-j=:, aoc-irsc und
Episelenion. Dem Apollo, der Artemis, der Hekate und
dem Monde wurden gehörnte Kuchen als ein Siihnopfer
dargebracht, und auch in der Bibel ist die Rede von
Mondknchen. so z.B. beijeremias, VH. 18: ,.Die Weiber
kneteten den Teig, dass sie der Melecheth (der Mond-
göttin) als Himmelskuchen backen.''
Die Volkssage gibt an, dass die Kipfel zuerst im
J. 168.3 in Wien gebacken wurden, und zwar als eine
Darstellung des Halbmondes der Türken, die iu jenem
Jahre die bekannte furchtbare Niederlage erlitten;
allein das ist eben nur Sage, indem man schon im drei-
zehnten Jahrhundert Kipfel bück. Eunenchel sagt näm-
lich in seinem Fürstenbuch (U5):
,.do brächten im (Leopold dem Glorreichen) di pecken
chipfen und weize flecken,
weizer dann ein hermelein. -^
Mag nun das Kipfel immerhin mit dem Halbmond
in Beziehung gebracht werden, als Darstellung eines
Hernes — und _Hörndl-' wird es noch an vielen Orten
genannt — hat es noch eine ganz andere Bedeutung.
Jupiter Ammon hat Widderhörner, Bacchus, Silen, Fan
und die Satyre haben Hörner, auch Alexander der
Grosse Hess sich, als er sich schon bei seinen Lebzeiten
vergöttert wissen wollte, mit Hörnern abbilden ; ebenso
sieht man Osiris und Moses mit Hörnern. Alle diese
Hörner deuten wieder auf die Sonne oder mindestens
auf den Sonnenstrahl, und so wie das Füllhorn der Ziege
Amalthea ('der Nährenden) auf die reifende Kraft des
Sonnenstrahles wies, so galten auch die Trinkhörner
vom Ur bei den Germanen als Zeichen der Macht des
Lichtes; selbst der heil. Blasius rief seine Mr.nche noch
durch ein Hom zusammen; und wie von Ostern, so
führen auch vom Hörn, Städte, Schlösser, ganze Gauen
und alte Familien den Namen ", wie denn auch der
" l" seiner Handschrift über die österr. Mnndart in der Hofbibl. lU
Wien, T. I Fol. 4C b.
" Antiquit. select. septmbr., p. 66, wo dieser Stein auch abgebildet iit,
=• A. a. O. I. Fol. 218.
" Hom in Nordholland, in der Grafschan Lippe, in Schwaben, in Öster-
reich o. 8. f., dann die Grafen von Hoom in Niederland und jene in Sch»cden,
die Herrn Ton Hörn in Pommern o. 8. w.
Fig. 4.
Monat Februarius im Deutschen ,.Hornung-' seuannt
wird, und in alten Kalendern findet man in '^diesem
Monate die wiederkehrende Sonne mit einem Hörn be-
zeichnet.
Das Kipfel wird aber (siehe Fig. 4 h) auch aus
einem dreieckigen Teigtleck gerollt, und dass das Trigon
bis in die neueste Zeil eine gewisse Bedeutung behidt
namentlich als Zeichen der h. Dreifaltigkeit, ist jeder-
mann bekannt.
Entsteht das Kipfel aus dem Trigon, so wird die
Semmel mit ihren fünf Zipfeln oder Lappen aus dem
Pentagon gebildet (siehe Fig. 5 Ä), welches seinerseits
die nächste Ähnlichkeit mit der Legung der Riemen bei
den Sandalen oder Schuhen der Druiden hat, wesshalb
das Pentagon noch heute im Volke der ,.Drudenfuss''
genannt und häufig an die Thüren der Viehställe ge-
zeichnet wird, damit nichts Unsauberes aus- und ein-
gehe ".
Die Semmel gehört ebenfalls den ältesten Zeiten
an. Sie wurde aus Weizenmehl gebacken und hiess
simenellus oder pauis similaceus. Galenus weist ihr in
seinem ,.liber I, de alimentis'' unter den gesundesten
Broten die zweite Stelle an. Auch Plinius 18. lu. 2U
kennt similago oder similia, das feinste Weizenmehl.
Im Althochdeutschen findet man: semala, simi-
lago, semile, semele — semalmelo"^ und Du Gange
führt im VL Bande, Seite 169 und 258 viele Stellen
übersemella und similia an, die man dort nach Gefal-
len naciilesen mag; nur eine sei hier angeführt, und
zwar aus dem „Iter Camerarii Scotici", cap. 9, §. 5, de
pistoiibus :
„Non faciunt quodlibet panis, nt lex burgi inquirit,
videlicet quachelnm, siminellum vastellum, panem
azymum. purum jjanem, panem mixtum.''
Auch Karl der Grosse ordnet in seinem Capitulare
de villis, §. XLV an: „Volumus ut unusquisque judex
in suo ministerio bonos habeat artifices, id est t^abros
ferrarios et aurifices etc., et pistores qui similiam ad
opus nostram faciant-. Das Alter der Semmel dürfte
somit zur Genüge belegt sein.
Hatten mr es bisher mit dem Sonnendienst und
der Götterverehrung zu thun, so begegnen wir in den
noch folgenden Arten des Gebäckes das sexuale Element.
Wir betrachten es als unserer Bildung gemäss, über
alles Sexuale hinweg zu schlüpfen; in den Wissen-
schaften aber darf das Bild zu Sais wohl entschleiert
werden; wären ja wir doch alle nicht, läge jenes Ele-
ment nicht tief in der Natur begründet ! < )hne dasselbe
gäbe es kein Streben, keine Kunst, keine Wissenschaft,
keinen Mythus, ja selbst keinen Staat. Wir dürfen uns
daher auch nicht wundern, wenn es bei roheren Völkern
in den Vordergrund tritt, besonders, wenn wir uns an
~ Desshalb sagt auch Mephisto in Gölhe's Faust il. Act.):
— — ^Oass ich hinaus ^pazire
Verbietet mir ein kleines Hinderniss-
Der iJrudenfuss auf eurer Schwelle.**
Worauf F.-.usl erwidert;
.Da* Pcntagramma macht dir Pein' fu 8 f 1
=' Graff Diutisca. VJ. ii 3. \ ■ ■ ■>
VII
Fis
Fig. 6.
den Plinllnsdienst der Griechen und Römer erinnern,
die doch zu den gebildetsten Völkern des Alterthums
zählen.
Der Wecken (Fig. 6 a) ist demnach seiner ganzen
Form zufolge der Cuncus, der Keil, welcher eindringt
oder der Phallus, und die Schrots emmel (Fig. 6 b),
wie sich gleichfalls auf den ersten Blick zeigt, nichts
als die vulva oder mandorla. Der erstere ist der genitor
oder Urheber und die zweite das Sinnbild der genitrix,
der Hervorbringenden.
Solleu wir hier, wo die Formen so deutlich sprechen,
auch noch mit Worterklärungen kommen ? Wohlan, wir
können es, denn das Wort Wecken steht in nächster
Beziehung zu dem Zeitwort wecken, erwecken (quikan,
erquicken, Queksilber = das lebendige bewegte Silber),
und Schroten heisst schneiden, einschneiden (daher die
Schrotsäge, Jlontserrat = der geschrotene Berg, der
Schröter, ein Käfer mit eingesägtem Geweih).
Endlich haben wir noch des Hei ligenstritzels
zu erwähnen, welcher zu Allerheiligen gemacht und
verkauft oder verschenkt wird =* (Fig. 7). Dieses zopf-
artig geschlungene Gebäck wird verfertigt, indem zwei
lauge Stücke Teig (Fig. 7 b) mit einander mehrfach ver-
flochten werden. Diese beiden Stücke erinnern an den
Caducaeus des Merkur, bei dem sich zwei Schlangen
(wie in der Sage von Tiresias), nämlich eine männliche
und eine weibliche verschlingen. Der Caducaeus be-
zeichnet die Vermittlung alles Getrennten, daher auch
seine Bezeichnung zu allem Mantischen und Magischen,
daher auch seine einschläfernde Kraft, daher wirkt er
noch auf die Seelen ein, die Jlereur als „Psychopom-
pos" vereint iu die Unterwelt führt. Auch Eros stellt die
paarende Kraft dar, aber selbst er kann nicht vollständig
wirken, wenn ihm nicht Anteros eine zweite Kraft ent-
gegenführt , durch deren genaue Verschlingung mit der
ersteren dann die Neugestaltung beginnt. Das Zopfge-
bäck deutet also auf eine innige Vereinbarung. Es
dürfte bei den Festen der Frigga gebraucht, und dann
Fig. 7.
•^ „Festum omnium sanctorum esigit apud Austriacos heil. Strizol"
He um a DD. Opuscula. S. 3i6.
bei der Einführung des Christenthumes auf den Tag.\ller-
heiligcn verlegt worden sein. Popovich in seiner schon
erwähnten Handschrift 25^ erwähnt noch einer anderen
Art von Heiligenstritzeln, die nun aber fast verschwunden
sind und ihrer Form nach gleichfalls auf die Vereinigung
der Geschlechter deuteten. Es waren (Fig. H) zwei läng-
liche Stücke Teig, die iu der Mitte aneinander stiessen,
und von den Kindern „Hosen'' genannt wurden.
Der Zopf hatte überhaupt auch eine bindende
Kraft, denn im Mittelalter wurden die Eide und Verträge
der Frauen mit dem Zopf bestätigt. Grätin Veronica von
Zollern verkaufte im J. 14()3 eines ihrer Güter, dabei
wickelte sie ihren Zopf um die linke Hand und schlug
mit dieser so umwickelten Hand in die Hand des Käufers
ein 2«. In gewissen Fällen, z. B. nach dem Stadtrechte
von Wien vom J. 1351 musste die Frau sogar auf zwei
Zöpfe schwören, und es ist sehr zu bedauern, dass über
den Zopforden, welchen Herzog Albrecht (cum trica)
stiftete, so wenig bekannt ist, denn gewiss hatte dieser
Orden eine ganz andere Bedeutung als dass man blos
den Zopf der Geliebten um den Hals getragen oder sich
iu den Nacken angehängt hätte.
Dass in den Vorzeiten bei den Germanen, sowie
bei allen alten Völkern nur die Frauen die Brote berei-
teten, ist selbstverständlich, da es mit der Würde des
Mannes nicht vereinbar war, sich mit derlei Gegenstän-
den zu befassen. Auch iu der Bibel finden sich viele
Stellen, in welchen angeführt wird, dass die Weiber
die Kuchen bücken. Dieses Geschäft kam erst dann auf
Männer, als die Leibeigenschaft eingeführt wurde, wo
dann einer der Knechte, den Backofen des Hauses zu
übernehmen hatte. „Zum Backen gehört keine Kunst",
daher die Bäcker, als sie gleich anderen Handwerkern
zu einer Zunft zusammentraten, auch kein eigentliches
Meisterstück zu verfertigen hatten. Der Bäckerjunge
musste nur zwei Jahre lernen, zwei Jahre wandern, und
endlich zwölf Gulden Meistergeld zahlen, worauf ihm
von sechs Meistern das Backen erlaubt wurde, voraus-
gesetzt, dass er das nöthige Geld besass, denn ohne
Geld — kein Bäcker. Der Sohn eines Meisters, oder
der Geselle der eines Meisters Tochter oder dessen Witwe
heirathete, kam leichter an das Geschäft, in anderen
Fällen musste er, wie der Wirth ein Haus, einen Back-
ofen an sich gebracht haben. Übrigens waren die Bäcker
bei ihrer geringen Kunst uud dem leichten Erwerb stets
etwas protzig, und zu Wien wurden sie vom Herzog
Albrecht H. um das J. 1340 wegen ihres Übermuthes
sogar ihrer Innung verlustig erklärt und jedermann zu
backen erlaubt ='. A. li. v. P.
Die Statue des heiligen Blasius in der dem gleich-
namigen Heiligen gewidmeten Kirche zu Ragusa.
(Mit 2 Holzschnitten.)
Viele Meilen trennen die Hauptstadt der alten
Republik Ragusa von unserer Metropole; sie selbst hat
auf anderen Wegen und lange vor deutscher Entwick-
lung griechische, römische und italienische Cultur an sich
gezogen; eine jedenfalls bedeutendere, als die spätere
wurde unter den Wogen der Völkerkriege begraben.
An der Grenze des Orients und Occidents gelegen, haben
» Vol. I. Fol. 11. a.
» Sattler. Gesch. v. Wiirtemberg p. 388. §. 2.
" Jura municipalia ab Alberto II., in Rauch. Script, rer. Austr. III. 54.
vm
siili liier die Eiffentbümlichkeitcn beider Weltilieilc hart
begeiTiu't, und die Einflüsse der.sellien iiaben vorzüglieb
in den Kunstresten Spuren zurückirehissen . die von
fremder, uns. die wir unsere Cultur auf anderen Wegen
iibielten. mehr oder minder ferner liegender Auffasung
zeigen, und es ist jedenfalls erkennbar, dass die römi-
sclie Cultur bier ni'cbt jene Gemütlistiefc, jene Innerlich-
keit vorgefunden hat, welche zu ihrer reineren Auf-
fassung in Deutschland so viel geholfen hat.
Diese fremde und nur durch offenbar slavische
Einwirkung in etwas gemilderte realistische .Auffassung
der Kunst in diesen Landen hat in mir anfänglich das
Bedeukeu erregt, bei dem Versuche, einzelne bemer-
kenswerfhe Kunstdcnkmiiler Dalniatiens zum Gegen-
stande einer detaillirten Al)bandlung zu machen, im Ken-
nerkreise nur ein theilweiscs Interesse vorzntinden.
Doch Professor K. Eitel berger's Werk über die
Kunstdenkmale Dalniatiens '. diese für jeden Freund
der Kunstgeschich'c und Archäologie böchst wertbvol-
len. ja unentbehrlichen Beiträge gaben mir den Anstoss
zur Änderung meiner bisherigen Meinung: es wurde
mir klar, wehhen entschiedenen Werth die verglei-
chende Darstellung der Knustentwicklung in den selbst
entferntesten Knotenpunkten für jeden Kunstkenner
und .Archäologen haben müsse , welch immerhin
n'crkbarev, eine Gemeinsamkeit der Interessen aller
Cuiturviijker anzeigender Contact sich in den Stylauf-
\K
mim
Fig. 1.
> Die mittelalterlichen Kunstdenkmalc I ».ilmatifiis in Arbe, Zara, Traii,
Spalato lind Ra^a^a. — Auf;;enommen und dargestellt Tom Architekten W-
Ziminermann. Beschrieben vom Professor Rudolf K it el b c r ^er von Edel-
berg im b. Bande der Jahrbücher der Centr. Comm. Wien, liHA.
fassnngen selbst der entferntesten Punkte ausspricht,
und welche Wichtigkeit der Erforschung des graduellen
Vordringens der Cultur im allgemeinen, der Kunst im
besonderen, beizumessen sei.
Obwohl ich, weit enttcint. mich nicht zu Jenen
zählen kann, an welche dnrcii den gelehrten Verfasser
des oberwähnteii Werkes die k. k. Centr. Contniission
die .Viifforderung richtet, den dalinatiniselien Küsten-
Strich einer gründlichen gediegenen Durchforschung
auf archäologischem Gebiete zu unterziehen, so wird
man es mir nicht als Vermessenbeit anrechnen , wenn
ich zu diesem Zwecke gewisserniassen Gebilfendienst
verrichte. Steine trage für künftigen tüchtigen Bau, die
Arbeit dem Berufeneu erleichternd. Xach dieser voraus-
gesendeten Erklärung wird es den Lesern anheimge-
stellt, meine Bemühung nachsiehtsvoU zu beurtheilen ;
denn ich bin es überzeugt, dass einem mimiereu Inter-
esse für das Gebotene nur eine mangelhafte Bearbei-
tung im obigem Sinne im ^^'ege stehen kann.
Vor allem fiel meine Aufmerksamkeit auf eine Figur
des heil. Blasius, des Patrons der Stadt IJagusa, die
sich im dortigen Dom aufgestellt iiiidet. Die Statue des
heiligen Blasius (Fig. 1) besteht aus einem auf Stanzen
getriebenen dünneu gntvergoldeten Stücke Silberblech.
Sie stellt uns blos den vorderen Theil eines alten
Jlannes im bischöflichen Gewände dar. Ein Kücktheil
ist nicht vorbanden, und scheint aueh nach dem .Augen-
scheine nie vorhanden gewesen zu sein. Der innere
hohle Raum ist durch ein entsprechend geschnitztes
Stück Holz ausgefüllt. Das Blech ist an diesen Klotz
an verschiedenen Stellen, und zwar ziemlich roh, derart
angenietet, dass der letztere als Träger des Ganzen
dient. Die Höhe der Figur ohue Jlitra (welche ein weit
späteres Erzeugniss ist) beträgt 21-5 Wiener Zolle oder
56-5 Centim. ; bis zur Spitze der Mitra gerechnet 26
Wiener Zolle.
Von den einzelnen Theilen der Figur besteht jedoch
nicht alles aus getriebenem iletalie; so sind die beiden
Hände, die Figuren am Pluviale und an der Dalmatica,
der obere ebenfalls jüngere Theil des Pastorales, end-
lich der Inhalt der linken Hand, in welchem wir, wie
später erörtert wird, die Abbildung der Stadt Kagusa
vor dem Erdtieben 1067 erblicken, aus gegossenem
und vergoldetem Silber. Die Figur zeigt viele Beschä-
digungen, vorzüglich an der rechten Seite, Brüche im
Blech, welche sogar das Erkennen der Zeichnung des
Gewandes erschweren. Es ist ferner augenscheinlich,
dass in verschiedeneu Zeiträumen eingehende Repara-
turen vorgenommen wurden. Wiederholtes Neueinlügen
der massiven Hände, ^Viedereinbiegen verbogener Hiecli-
theile der Figur. \'eniietungen und andere Reparaturen
aus späterer Zeit sind deutlich erkennbar.
Einen nicht geringen Einfluss auf die Beschädi-
gung der Statue hat erkennbar die Hitze genommen.
Die Büge des Bleches der Gewandung, die verbogenen
Thürme an der .\l)l)iidiiiig der Stadt lassen verniuthen,
dass es vorzüglich die Brände von 1547 und 17ii(i
waren, die diesem Werke die gefährlichsten Wunden
geschlagen.
Nach dieser vorausgesendeten Angabe des jetzigen
Zustnndes der Statue gehe ich in eine detaiilirtu Beschrei-
bung ihrer Form selbst ein:
Die Figur zeigt einen Mann im bischöflichen
Gewände mit einem Chorhonido. der Stola, der Didma-
IX
tica und Casula aniietliaii. Der Kopf zeigt einen alten
Mann mit langem wallenden, in zwei Spitzen endigenden
Barte. Da der Rücktbeil fehlt, so sind nur einige gerin-
gere Partien der Kopthaare angedeutet. Der Ausdruck
des Gesichtes ist hart und geradezu geistlos, die einzel-
nen Theile desselben sind derb und scharf geschnitten,
die Augenbraunen hoch hinaufgezogen, die Augen fast
übergross, die Nase scharf und fast zu lang, die sicht-
bare Unterlippe ist wulstig. Zwei tiefe Furchen reichen
von den Nasentlügeln zur Wange herab. Der Bart ist,
wie alle Haarpartien, wellenförmig modellirt, und die
einzelnen Haare sind ohne Berücksichtigung der plasti-
schen Form aber mit grossem Fleiss und mit Aceura-
tesse mittelst des Grabstichels angedeutet.
Hart von dem Kopfe, daher die Figur sehr kurz-
halsig erscheint, fallen die Schultern in zwei Bogen-
linien ohne Motivirung der darunter befindlichen Kör-
pertheile herab. Viel zu tief für die Proportion des
Körpers sind die Hände angesetzt, welch letztere ich
jedoch für jünger halte, als die Statue selbst. Die rechte
Hand hält das Pastorale, welches an seiner oberen
Krümmung in Renaissance-Ansätzen das Lamm Gottes
zeigt. Die linke etwas erhobene Hand hält die Stadt
Ragusa in der Vogelperspective gesehen.
Die Gewandung ist mit sichtlicher Vorliebe und
minutiösem Fleisse gearbeitet. Die Casula ist mit einem
erhabenen, nach Art der Weberei bebandelten Kreuze
geziert. Die Details der Ornamente derselben sind streng
motivirt, die darin sichtbar erhabenen Figuren zeigen
Bewegung und Handlung und stellen nimbirte Heilige
und zwei kuieende Engel vor, welche Rauchfässer
schwingen. Die Anordnung der Ornamente besitzt den
spätromanischen Charakter. Im der Länge herablaufen-
den Mittelfelde sind vier Figuren im hohen Relief gear-
beitet sichtbar. Die oberste stellt unverkennbar Christum
vor, wie der kreuzförmige Nimbus andeutet, die übrigen
haben bezüglich ihrer Idendität selbst in competenten
Kreisen keinen Erklärer gefunden, da der Künstler,
Attribute zur Erkennung nur an einer einzigen Figur
angebracht hat. Ich halte sie für Petrus, Paulus und Jo-
hannes; jedenfalls deutet der Zweite auf Paulus, wel-
cher der Kraft seiner Rede halber mit einer Zunge in
der Hand dargestellt ist. Das merkwürdigste bei die-
sen figuralischen Darstellungen ist der Contrast, wel-
cher zwischen der ausdruckslosen Behandlung derStatue
und der mannigfachen Bewegung dieser kleinen Figuren
sich ausspricht. Sie sind besser proportionirt und er-
mangeln auch nicht einer guten Durchbildung der Theile
und einer gewissen Eleganz. Verkürzungen sind noch
keine angewendet und die Füsse reichen bis zu den
Zehen gerade herab.
Die Dalmatica zeigt ein etwas geändertes Muster.
Die Mitte derselben schmückt ein im Viereck gehalte-
nes, zweigetheiltes bildförmiges Blatt, in weichemim
Relief, ähnlich der Casula, zwei Heilige im Brustbilde
dargestellt sind. Der rechts befindliche Heilige im Kahl-
kopfe, langem Barte, mit einem Bogen und einer Glocke
in den Händen deutet auf Petrus den Einsiedler; die
zweite Figur mit einem Buche in der einen Hand, die
andere segnend erhebend, entbehrt genügender Anzei-
chen für ihre Erklärung.
Alle hier erklärten Figuren sind von einer mit dem
Haupttheile differenten Arbeit, gegossen und eingefügt.
Es scheinen diese auch jüngeren Datums zu sein.
XIV.
Noch mehr contrastirt das Ganze zu den Theilen in
dem Faltenwurfe der Casula, welcher wiewohl nicht
zu dem Leibe motivirt, dennoch an Weichheit der Be-
handlung und technischer Richtigkeit nichts zu wünschen
übrig lässt. Die massigere Behandlung des schweren
Stoffes des Oberkleides gegen jenen der Albe ist
deutlich erkennbar. Der Anwendung tiefer Falten, wie
sie sich zunächst den Händen hätten bilden müssen,
ist der Künstler vielleicht aus dem Grunde aus
dem Wege gegangen , weil die Art der technischen
Bearbeitung einer solchen Reliefdarstellung ungünstig
ist. Von nicht geringem Interesse ist der ornamentale
Dessin des Oberkleides. Er besteht aus herz- und
akanthförmigen dreimal übereinander gelagerten Blät-
tern, die der Künstler nur dadurch zu unterscheiden
vermochte, dass er die verschiedenen Blattlagen mit an-
deren Dessin-Mustern versah: so imterscheidet er Blät-
ter mit Querstrichzeichnung = = = in sehr genauer
Grabstichelarbeit oder mit Bogenstrichen wie: "^"^X^
^^^ \_/ V.^/ •
Zwischen diesen etwas rusticalen Blattzeichnungen fin-
det man hie und da in freierer Anwendung Stengelfor-
men sogar mit rohen schneckenartigen Verschlingungen
um grössere Stengel, endlich die Form der Trauben-
oder Pinienfrucht im gewürfelten Dessin.
Was diesem Kunstwerke auch einen besonderen
Werth verleiht, ist die Abbildung der als Zeichen des
Schutzes von dem Heiligen getragenen Stadt, bei deren
Anblicke ich unschwer eine sehr getreue Abbildung der
Stadt Ragusa aus dem 15. Jahrhunderte und noch vor
ihrer Zerstörung durch das Erdbeben 1667 erkannte.
Sie ist meines Wissens die älteste authentische Abbil-
dung der Stadt, und ich habe darum für nötliig gefunden,
nebst jener der Statue auch die Abbildung der Stadt
separirt und in der natürlichen Grösse zu zeichnen
Fig. 2 3.
Der Hauptcharakter der Stadt hat sich bis heute nicht,
die einzelnen (,)bjecte haben sich nur im Baustyle durch
die Umbauten nach dem Erdbeben geändert. Ich füge
zum Verständnisse für den mit der Situation nicht ver-
trauten Leser eine Beschreibung der vorzüglichsten
Punkte der Stadt auch aus dem Gruude bei, um mich
bei späteren Arbeiten darauf berufen zu können.
Sowohl Eitelberge r, noch mehr aber die von ihm
citirten Schriftsteller geben die deuthchsten Nachrichten
über die Entstehung und die Schicksale der Stadt, so-
weit die bisherige Forschung i'eicht; ich kann daher
eine allgemeine historische Einleitung um so eher über-
gehen, als es mir hier nur um Details zur Richtigstel-
lung der allgemeinen Geschichte zu thun ist. Indem ich
die einzelnen wichtigen Theile der Stadt beschreibe,
gebe ich auch bei jedem Objecte an, ob es noch beute
vorhanden ist.
2 Auf einem in der Dominicanerkirche reclits des Hauptaltars befindli-
chen im liyzanlinischen Style gehaltenen Altarbilde trägt ein St. Blasius zwar
ebenfalls die Abbildung der Stadt Ragusa, vom lileinen Hafen aus dargestellt,
in den Händen, allein diese ist Tiel, vielleicht ein Säculum jünger. Diese
Abbildung der Stadt zeigt nebst anderen deutlichen Merkmalen ihres jugend-
lichen Alters den den Hafen abschliessenden Querdamm, welcher, wie eine
Gedenktafel derselben Kirche besagt, erst im Jahre 1485 von Pasquale Micheli
erbaut wurde; vorher war der Hafen, wie dies in unserer viel älteren Ansicht
dargestellt ist, mit einer Kette gesperrt. Es scheint im XV. und XVI. Jahr-
hundert und auch noch später die byzantinische Darstellungsweise hier eine
beliebte gewesen zu sein, ja in solcher Art gemalte Madonnen finden noch
heute auch unter Katholiken dieser Küste allenthalben Liebhaber. Viele
Nichtkeuner glauben byzantinische Originale vor sich zu habeu, es bedarf
jedoch nicht allein dieses historischen Lapsus, um die Unechtheit leicht fest-
zustellen.
pTTTf
4
¥^
Fig
1. (Siehe die entsprechende Nummer der Abbil-
dung in Fig. 2.> DerThurm Mincetta führt seinen
Namen von der Familie Menze, sla%isch Mineetic,
welche ihn im 14. Jahrhunderte erbauen Hess; er war
^-iel kleiner und anders gestaltet, wie der gegenwärtig
dargestellte. Der Senat ordnete 1461 (Reform. 7. Juni
und 25. August") dessen Vergrösserung nach der Art an,
wie Meister Michelocci dieses in einem Holzmodell dar-
gesteUt hatte. Die Erbauung selbst fällt in das Jahr 1463
und 14ü4 durch den Baumeister Giorgio Matajevic
(Rogat. 19. Juli 1464). Dieser Meister Giorgio war aus
Sebenico. und man nennt ihn auch als den Erbauer der
prachtvollen Kathedrale von Sebenico. Er stand zu der
erwähnten Zeit im Dienste der Republik, welche ihm
auch im seLen Jahre (Rogat. 5. Juni 1464) den Umbau
des 1435 von den Flammen thcilweise zerstörten Recto-
ren-Palastes f jetzt Palast des Kreisamtes j, von welchem
in Nr. 14 die Rede ist, übertrug.
2. Die Kirche derFranciscaner, erbaut und
dem Gründer des Ordens gewidmet im Jahre 1317. Die
Franciscaner bezeichnen das Jahr 1235 als das ihrer
Ankunft in Ragusa, und schon 1250 erbauten sie sich
Kirche und Kloster vor der Stadt. Beide sind nunmehr
verschwunden; der Punkt, wo selbe gestanden, hiess
trüber Jamine, jetzt ist er ein Exercierplatz . den die
Franzosen errichteten. Er heisst noch heute im Volke
nach seinem Erbauer, dem bekannten französischen Ge-
neral, Piazza Clauzel.
Der Künstler, welcher bei gewissen henorragenden
Objecten mit gewissenhafter Treue in der Nachbildung
vorgegangen ist, war hier nicht im Stande, das hinter
der Kirche befindliche Kloster darzustellen; er machte
jedoch den anstossenden Garten durch einige Bäume
kenntlich, Eigenthümlich ist die Darstellung des Kircb-
thurmes.
3. Antike Kirche der Nonnen des Klosters
vom heiligen Thomas von Aquino. Sie wurde
durch das Erdbeben 1667 zerstört und nicht wieder auf-
gebaut.
4. Kirche der heiligen Clara, des Klosters der
Clarisser-Nonnen, eriiaut 1290 und, so viel es scheint,
später wieder renovirt. Während der Uccupation der
Franzosen diente Kirche und Kloster als Caserne, jetzt
ist es Artillerie- Arsenal.
5. Das Hauptbassin der Wasserleitung,
errichtet 1438. Die Stadt leidet besonders in den Som-
mermonaten an empfindlichem Wassermangel, da es
hier keine Brunnen in unserem Sinne gibt; sie ist ausser
XI
ileni Wasser der Cisternen nur auf das der Wasserlei-
tiiuj;- angewiesen, welche das Wasser aus dem Gyon-
ketto-Tliale aus einer Entfernung von 7 ]\Iigiien rings-
um den Monte San Sergio, Gravosa ijeriilirend, in die
Stadt führt. Der Baumeister dieses Werkes nennt sich
auf einer Inschrift am Bassin Onofrio Onosifero; er war
ein Nenpolitaner.
6. Kirclie der heil. Maria, der Benedictiner-
Nonncn, seit sehr alter Zeit bestehend und eines der
ältesten Rauweike Ragusas. Die Franzosen benützten
Kirche lind Kloster für militärische Zwecke, welchen sie
noch heute dienen.
7. Kirche der heiligen P e t r u s , L o r e n z und
Andreas, der later. Brüder, in ihrer Abkürzung Chiesa
Petrilovrenze genannt. Schon im 11. Jahrhunderte soll
an demselben Orte = die Galeere mit den Reliquien der
erwähnten Heiligen gelandet sein. Die hier dargestellte
Kirche wurde jedoch erst 1251 erbaut, 1667 durch das
Erdbeben zerstört und nicht wieder aufgebaut. Aus dem
Erlöse des Verkaufes der Reste dieser Kirche stiftete
die Gemeinde einen Altar der gegenwärtigen Kathedrale.
Die Reliquien dieser Heiligen befinden sich jetzt in der
Schatzkammer des Domes.
8. Der Rolandstein. Auf dem von der Kirche
des heil. Blasius (10) gelegenen Platze stand früher ein
etwa 12 Schuh hoher, rinnenförniig ausgehöhlter, oben
mit einem eisernen Geländer versehener Stein; derselbe
diente zur Aufrechthaltung des Banners mit dem Bild-
nisse des heil. Blasius, wie es die Ansicht zeigt. (Zu
ähnlichem Zwecke wie die Fussgestelle Lombardis aus
dem Jahre 1.Ö05 zu Venedig.)
Im Volke hiess dieser Stein Orlando oder Roland,
wahrscheinlich nach einem Hautrelief auf selbem, das
einen geharnischten Mann darstellte.
An diesem Steine wurden früher die Verbrecher
ausgepeitscht und solchen zur Schande der Bart abge-
brannt, welche wegen Theilnahme an Verbrechen ver-
urtheilt wurden. Auf ihm war das Mass der Ragusäer
Elle (51 Centim.~l bezeichnet, und wurde Leinwand, so
wie anderes verkauftes Gewebe daran gemessen. Die
Zeit der Errichtung dieses Steines schwankt zwischen
den Jahren 1418 und 142.!.
Am 6. Jänner 1825 warf ein Orcan dieses Denkmal
der Herrschaft zu Boden, und heute liegt es verlassen
mit der wichtigsten Reliefseite knapp einer Mauer zuge-
kehrt unter dem Bogengänge des Hofes des alten Recto-
ren-Palastes. Sollte es mir gelingen, die Erlaubniss zur
nöthigen Bewegung des Steines zu erhalten , um das
Relief zu erkennen, so werde ich dasselbe zeichnen und
einige gesammelte nähere Daten über seinen Ursprung
mittheilen.
9. Die Fahne des heiligen Blasius.
10. Die Kirche des h. Blasius, in welcher die
hier beschriebene Statue am Hochaltare sich befindet.
Ihre Erbauung wurde auf der Stelle einer älteren, diesem
Heiligen gewidmet gewesenen Kirche vom Senate 1.348
(Reform. 26. Febr.) deeretirt und am 2.3. Mai 1349 der
Grundstein gelegt. Drei Jahre später wurde sie dem
Gottesdienste geöffnet. 1356 (Reform. 28. Mai) wurde
über Befehl des Senates an der Ostseite eine Althane
errichtet, welche in der Zeichnung angedeutet ist. Der
ganze Bau kostete die Summe von 40.000 Dukati.
• Die in der Abliitdan:: brcit"r «fhaltent-
war früher ein Caiial des Mt-t-rc-.
Strasse . Srradonf
Diese im romanischen Style erbaute Kirche erlitt viele
herbe Schicksale. Im Jahre 1547 verzehrte eine Feuers-
brunst einen Theil der Kirche; mau berechnete den
Schaden auf 200 Scudi; im Jahre 1667 litt sie bedeu-
tenden Schaden durch das Erdbeben vorzüglich an der
Apsis. Sie wurde jedoch mit Mühe renovirt und diente
während des Neubaues der jetzigen Kathedrale als sol-
che. Ein neues Unglück zerstörte diese Kirche aber
vollends. Am 24. Mai 1706 wurde der ganze Bau durch
eine Feuersbrunst so vollständig zerstört, dass an eine
Reparatur derselben nicht mehr gedacht werden konnte.
Nichts blieb von den wüthendcn Flammen verschont,
als die gegenwärtige Statue, welche, wie man sagt,
unversehrt aus den verkohlten Trümmern hervorgezogen
wurde.
Die gegenwärtige im Spät-Renaissancestyle gebaute
Kirche wurde in den Jahren 1707 bis 1715 gebaut.
11. Die üomkirche Ragusas, der Sage nach
durch König Richard Löwenherz erbaut, war eines der
prächtigsten Bauwerke romanischen Styles. Der Haupt-
altar war gegen Morgen gerichtet, und vor dem Haupt-
thore stand das Baptisterium (nach Anderer Ansicht die
Grundfesten eines nicht ausgebauten Glockenthurmes)
in achteckiger Form. Auch diese BasiHka fiel dem Erd-
beben 1667 zum Opfer, und auf ihren Grundfesten wurde
die gegenwärtige im späten Renaissaneestyle , nicht
unedel in der Form gehaltene Dom von Angelo Bianchi
erbaut und 1713 eröffnet.
12. Alte Kirche, dem h. Apostel Jacobus geweiht.
13. Der Uhrthurm, nach dem Berichte des Chro-
nisten Giacomo Luccari, „Ristretto copioso della storia
Ragusea 1605, um das Jahr 1480 erbaut.
14. Der Rectoreu - Palast; seine Erbauung
begann 1412 und war 1424 vollendet. Er kostete der
Republik 40.000 Zechinen. Durch einen Brand im Jahre
1435 theilweise beschädigt, wurde derselbe von Meister
Georg Matajovic aus Sebenico restaurirt. Vor dem Erd-
beben hatte derselbe zwei Stockwerke.
15. Der Hafen der Stadt, in welchem man ver-
schiedene undeutlich dargestellte Barken erkennen kann.
(Der eigentliche grosse Hafen der Stadt ist etwa 1/2
Wegstunde entfernt von Gravosa.)
16. Die Kirche der Dominicaner, geweiht dem
h. Dominicus, erbaut 1304, sammt dem Kloster vollendet
1474. Eines der interessantesten Bauwerke des Mittel-
alters. Die Dominicaner kamen 1225 nach Ragusa.
17. In den früheren Epochen bis zum Jahre 1485
wurde der kleine Hafen mittelst einer Kette gesperrt,
um feindlichen Schiffen den Eintritt zu hindern. In dem
Relief ist die Kette ersichtlich gemacht.
18. Fort San Giovanni in seiner alten Gestalt,
ehe es durch Micheli 1485 umgebaut wurde, jetzt heisst
es Fort Jtolo.
Aus der detailirten Untersuchung der einzelnen
dargestellten Objecto des Reliefs erhellte sich mir kein
anderes Resultat, als die bestimmte Überzeugung, dass
die Statue mit allen ihren Theilen und nur mit Ausnahme
der Hände und der Mitra bedeutend älter als die
Darstellung der Stadt ist, und dass letztere nicht viel
früher und nicht später, als zwischen den Jahren J480
und 1485 verfertigt sein konnte.
Die Anzeichen, welche mich zu diesem bestimmten
Ausspruch ermächtigen, sind einfach und klar. Das jüng-
ste Bauwerk des Reliefs ist der Uhrthurm, circa aus dem
b*
XTI
Jahre 1480. Ep kann aber nicht nach 1485 verfertigt
sein . weil sonst Fort Raveliino und Fort San Giovanni
in ihrer der jetzigen ganz ähnlichen P'orm darauf sicher
dargestellt und statt der Hatenspt-rrkette der den Hafen
al)schliessende Querdanim zu sehen wäre.
Es lässt sich also verniutlieu, dass die gleichzeitio-e
Abbildung der Stadt um jene Epoche entweder von
einem Privaten, oder vom Sonate selbst der viel älteren
Statue beigefügt wurde. Für diesen Umstand spricht
auch die schlechte, lockere Einfügung und Befesti'-un"
an dem Theile der Figur und die auch unterhalb'' des
Reliefs in gleicher Genauigkeit fortgesetzte Zeichnung
des Dessins am Uberkleide.
Es ist ferner leicht zu erkennen, dass alle aus
gegossenem Sill)er verfertigten Partikel mit dem aus
Blech getriebenen Theile im Coutraste stehen, wenn
auch bei weitem weniger Technik, doch eine "-eist-
vollere Auffassung und mehr Mache bezüglich' des
künstlerischen Eindru( kes verrathen.
Die gestörte Proportion, der fast todtenähnliche
Ausdruck des Gesichtes, die gleichmässige Stellung der
Füsse, die geringe Motivirung der Kürperpartien, "end-
lich die minutiöse und theihveise unverstandene Hehand-
lung des Details auf Kosten des Ganzen neigt mich zu
der Ansicht, in den Grundpartikeln eine Arbtjit spät-
romanischen Styles vor uns zu haben, welche jedoch
noch vor das Ende des 13. Jahrhundertes hinauf zu
datiren ist. Unzweifelhaft trug diese Figur ursprünglich
ebenfalls vielleicht die Ansicht der damaligen Stadt,
und das Pastorale war ähnlich wie jetzt.
Zur Zeit des Neubaues der Kirche 1356 scheint
diese Statue, welche vielleicht schon damals als ein
Kleinod galt, ausgeschmückt und restaurirt worden zu
sein, und aus dieser Zeit mögen auch das Pastorale,
die Figuren an der Casula und der Dalmatica als Ersatz
für andere vielleicht weggebrochene oder beschädigte
datiren. Dass mit diesem Baue eine kostbare Aus-
schmückung des Inneren in Verbindung war, sa^-en
übereinstimmende Aussagen der Schriftsteller. Sie
sprechen besonders von einer Pala aus gediegenem
Silber über dem Hochaltare und einem Tabernakel aus
demselben Metalle, ja man kennt sogar noch die ein-
zelnen Altäre, so jenen der linken Seite des h. Ambro-
sius, von der Familie Sforza gestiftet, jenen der rechten
Seite des h. Kreuzes, ferner den der h. Margaretha etc.
Es erlaubt mir aber auch die Art der Kunsttechnik
einen weiteren, wenn auch minder bestimmten Schluss
auf das Alter des Werkes zu ziehen. Getriebene Arbeit
in solchem ausgebildeten Grade, so eminente, fast pein-
liehe Mithilfe zur Ausschmückung durch den Grabstichel,
diese Technik ist ein Kind der orientalischen Kunst-
epoche, und es bediente sich derselben auch und vor-
züglich an den Grenzmarken hie und da der romani-
sche Styl.
Ich muss es gestehen, dass ich beim ersten Anblicke
dieser Statue unwillkürlich an die prunkenden Werke
byzantinischer Kunst, jene überreichen Ausschmückun-
gen der Tempel in getriebener Arbeit gedacht habe.
Wir haben aber hier jedenfalls ein Kunstwerk aus jenem
Zeiträume vor uns, in welchem ans verschiedenen Ursa-
chen romanischer und byzantinischer Styl, jener einer
kraftvollen äusseren Einwirkung wich, dieser in eine todt-
ähnliche Erstarrung verfiel. Je weniger Reste wir aus
dieser Zeit der Kunsttechnik in getriebener Arbeit aufzu-
weisen haben, desto mehr Aufmersamkeit beansprucht
eme solche Rcli.iuie, wenn auch aus der spätesten Zeit
Ich habe wiederholte Versuche gemacht, zu er-'rüu-
den, welche äussere Veranlassung in der Geschichte
Kagnsas es gewesen sein konnte , die den Senat oder
einen Privaten bestimmte, die Ansicht der damaligen
Stadt dem Heiligen in die Arme zu legen, oder besser
gesagt, durch ein sichtbares Zeichen die Stadt erneuert
unter den Schutz des Heiligen zu stellen, und habe
nichts weiteres zu finden vermocht, als die Furcht vor
der sich riesig ausbreitenden Macht des türkischen
Reiches Diese Furcht vor Unterjochung mochte sieh
14S0_]4»o aus der Thatsache erzeugt hal)eii, dass die
lurken bedeutende Streitkräfte in Hosnien uud Nord-
Albanien concentrirten, um das erst jüii-st (147U) er-
oberte Bosnien zu behaupten. Man koniUe diesem Er-
oberervolke mit vielem Rechte die Absicht zumuthen
es bei der Eroberung des Binnenlandes nicht bewenden
zu lassen und über die Köpfe der Republikaner weg an
die wichtige Küste vorzudringen.
Die Ausführung des Reliefs zeigt einen typischen
thaiakter in den hervorragenden Objecten. Die Ansicht
ist einestheils, was die allgemeine Anlaee der Stadt wie
die vorzüglichen Gebäude derselben betriflt. mit grosser
Genauigkeit gearbeitet, anderseits aber etwas zusam-
mengezogen, denn es fehlen drei den Stradone durch-
ziehende kleine Querstrassen, welche schon damals
existirten. Die Anzahl der Befestigunirsthürnie ist rich-
tig und noch heute mit Leichtigkeit nachzuweisen Die
Feuersbruust 1547 scheint diese Statue zwar sehr be-
schädigt zu haben, es deutet jedoch nichts auf ein Neu-
hinzutugen von Theilen in jener Periode.
Die Mitra des Heiligen ist das Werk eines minderen
Kunstlers des vorigen Jahrhunderts, eine Reparatur der
Beschädigung von dem Brande des Jahres 17U6 und
ist ohne jeden Werth. Wend. Boeheim,
k. k. Hauptmann.
Neuester Fund keltischer Münzen in der Pfarre
Trifail zu Doberna-Retje.
Heschrieben von Dr. Kichard Knabl, kaiserlichem Ka>he un,i Stadtpfirrer
zu St. Andrä in (irätz.
(Mit einer Tafel )
Zur Zeit des Bestehens der römischen Republik
besasseu deren nördliche Nachbaren , die Barbaren, so
lauge sie noch im freien Zustande waren, eine eigene
Mfinze. Aber auch dann noch, als sie schon unter rö-
mische Herrschaft kamen, nahmen sie das früher aus-
geübte Recht hie und da für einige Zeit in Anspruch.
Daher finden wir in dem ersten christlichen Jahrhun-
derte sowohl Gold- und Silber- als Bronzeniünzen mit
dem Namen barbarischer Häuptlinge in Gallien neben
der gesetzlichen römischen Münze im Umlaufe, bis die
Romanisirung unter diesen Völkern durchgritf, und die
römische Münze die keltische verdrängte. Von da an
findet man diese Münzen zum grössten Theile nur spo-
radisch zerstreut, wohl aber auch, wiewohl in selteneren
Fällen, in grösseren Mengen angesammelt unter dem
Erdboden. Dieses kam wahrscheinlich daher, dass die
an ihre eigene Münze gewohnten Barbaren dieselbe,
zumal wenn sie aus edlen Metallen geprägt war, nicht
gern einschmelzen Hessen, sondern als einen werthen
Hausschatz lieber aufbewahren wollten. Vorzugsweise
-v^
■^^^^
KELTISCHE MÜNZEN
ZU DOBERNA-RE.T'EIN TTFIERMARK
Au.- d .
XIII
ergibt sich diese Wahrnehmung bei „schriftlosen" kelti-
schen Münzen, welche (noch in die Druiden/.eit bis auf
K. Claudius, der Ihre Wirksamkeit und ihren Einfluss
einstellte, gehörig) in grösseren Quantitäten dem
Schoose der Erde übergeben wurden. So der grosse
Münzeufund zu Podmokl in Böhmen Junius 1771 »;
der ansehnliche MUnzcnfund zu Gagers in Bayern
17512; der Münzenfund zu Lemberg bei Neuhaus
1829 in Steiermark 3; der Münzenfund zu Vohburg
in Bayern 1838*; der Müuzenfund zu Deutsch-Jan-
d 0 r f oder Jährende r f zwischen K a r 1 b u r g und ü n-
garisch - Altenburg 1855 s; der Münzenfund zu
Eis s bei V ö 1 k e r m a r kt in Kärnten vom Jahre
1858 6 und endlich der neueste Fund keltischer Münzen
* Im Junius 1771, nahe bei dem Dorfe Podmokl, nicht weit von dem
in den Moldau- Pluss mündenden Flüsschen Beraun (Mies) in der Herrschaft Pü rg-
litz, fanden einige Bauern am Rande eines Baches zerstreute Goldstücke;
als sie weiter suchten, ganz seicht einen ganzen Kessel voll derselben. Beim
Aufheben des Kessels blieb ihnen bloss der Reif mit dem Bogen in den Hän-
den, der Kessel selbst, beiläufig 12 Zoll tief, war vom Ro>te verzehrt. In
demselben befanden sich einige tausend Goldmünzen von viererlei Grösse.
Der bekaunt gewordene Fund beträgt 80 niederÖsterreichische Pfunde ; die
einzelnen Stücke V:» 'A "^^ ^Z* I'ukaten.
Die^e Münzen waren sammtlich „Regenbogen Schüsselchen" (Scutella
Iridis). Stanche darunter fand man an der einen Seite convex, und an der
andern concav. An den convexen Seilen hatten einige keine Abbildung, wuhl
aber au der concaveu bald das Hild des unter den Sonnenstrahlen «achsenden
Mondes, bald das Bild eines Herzt-ns aus dem Stiele hervorragen, bald das
Bild eineö ge^vöhnli^.■heu Kreuzes, bald das eines sugenannton Andreaskreuzes
zwischen zwei Punkten, bald ein Triquetrum (Dreieck) aus den Strahlen her-
vorgehen, woneben sich sechs Punkte befinden , ähnlich nach christlicher
Symbolik dem Auge Gottes oder der Vorsicht, bald einen behelmten Kopf
oder einen Reiter zu Pferde, bald ist auch die convexe Seite mit einem Herz,
einer gezackten Fläche, einem Sterne, oder der Vorstellung des wachsenden
Mondes ausgestattet, so dass es zuweilen schwer hält, die convexe oder die
concave Seite für die Vorder- oder Rückseite zu halten. Gleichzeitig und wohl
auch etwas früher wurden in Böhmen Münzen dieser Gattung in „Silber"
gefunden. (Adauct Voigt, a. S. Germano, Pr. d. fr. Schulen. Schreiben an
einen Freund. Prag bei Höchenberg und Comp. 1771, 40 S., sammi einer
Kupfertafel.)
-Am 22. Junius 1751 sind zu „Gagers" in Bayern 13— H hundert
gleicher Goldmünzen wie die Poiimokler in einem kupft-rnen Kessel gefunden
worden, was mitunter die Ubersiedluiii^ der Bojer aus dem hercynisciien
Walde nach Bayern beweisen dürfte. {Nachricht von den bayerischen Münzen
von dem geheimen Rathe Obermayer, 1763, S. 31.)
* Der Lemberger Fund im vorigen Cillier Kreise Steiermarks is allge-
mein auf 500 Stücke in Gold, Silber und Kupfermünzen veranschlagt worden.
Auch die Landleute dortiger Gegend neigen sich für diese Anzahl. Nach einem
Amtsberirhte des k. k. Münz- und Antiken-Kabinetes vom 3. Sfptember 1829
scheint aber diese Summe etwas zu hoch gegriffen; denn da wird der Hergang
des Fuudes so beschrieben: Lorenz Jauernigg von Goritza, Untertlian
der Herrschaft Lemberg im Cillier-Kreise hatte bei Umgrabuog seines au
der nach Neuhaus führenden Bezirksstrasse gelegenen Grundes an der
Nordseite seines Hauses unter einem Baurastamme in einer seichten
Grube , mit einigen Hafenscherben bedeckt , am 20. Mai 1829, 11 Gold-
und 315 Silbermünzen aufgefunden; aber durch die Herrschaft Lemberg
mittelst des k. k. Kreisamtes und des steierm. Giiberniums sind in Allem nur
7 Gold- und an Silber- und Kupfermünzen 288 Stücke eingeliefert worden,
indem Herr Gla^fabriksinhabe^ Franz Novak einige derselben dem Erztier-
zoge Johann einsandte, und der pensionirte Capitänlieulenant , Joh. Nep.
Lenz einige zurückbehielt. Nach diesem Bericht müssen also die beiden vor-
erwähnten 4 Gold- und 27 Silbermünzen abgegeben worden sein, um die
ursprüngliche Zahl zu ergänzen.
Nimmt man nun zu den 11 Gold- und 315 Silberstücken die nachträglich
bekannt gewordenen Jlünzen, die sich a in dem Besitze Herrn Ulrichs in
Tüffer, des Schwagers des nachmaligen Lemberger Herrschaft.sinhabers Langer
befinden und mit 13 Stücken beziffern, ferner b die bei der Guisiutiabung zu
Lemberg noch vorhandenen 3 Gold- und 5 Silbermünzen, r die in meinem
Besitze gewesenen 4 Stücke, d die im Besitze des Lederermeisters zu Lem-
berg Herrn Krischan befindlichen 3 Stücke, endlich e die von Herrn
Volpi zu Hohenmauthen aus diesem Funde erhandelten 3 Stücke; so
stellt sich der bekannt gewordenL- Fund im Ganzen nur auf 357 Stücke heraus.
Da aber eine ziemliche Anzahl sich noch in uubekannteu Händen befinilen
dürfte, viele Münzen dieses Fundes aber, wie mir bekannt geworden, in die
Schweiz nach Bern und auch anderswohin gewandert sind, so möchte sich
der ganze Lembergerfund wohl über 4ü0 — 450 Stücke belaufen, was
immer noch eine bedeutende Menge ausmacht, die an einem und demselben
Orte der steierischen Erde entrungen worden ist.
* Der Fuud zu Vohburg {Irsching in Bayern) im Jahre 1838 hat sich
auf mehr als lOuo Stucke keltischer Münzen belaufen. (Repertorium der steir.
Münzkunde, von Dr. Friedrich Pichler, 1. B. Graz 18*55, S, 133.)
^ Der Schullehrer von Deuts c h -Jah rn d o r f zwischen Karlburg
und Ungari s c h - A 1 1 e n b urg brachte im Monate Mai 1855 ein hundert ein
Stück Silbermünzen im Gewichte von 98 Lorh und 26 Stück Goldmünzen
30 # schwer zu einem Goldarbeiter in Pressburg, dem er sie zum Verkaufe
anbot. Über Befragen sagte der Schullehrer aus: Der Jahrndorfer Klein-
häusler Paul E de r habe als Taglöhner für die Ungarisch- Altenburger
Herrschaft einen Graben ausgeworfen, wobei er auf ein irdenes Gefäss ge-
kommen wäre, dessen Inhalt diese Münzen waren. Das Gefäss hat er leider
zertrümmei't. Von den Silbermünzen , welche alle so ziemlich von gleicher
Grösse sind, (wie beiläufig ein Zweikreuzerstück in CM., nur etwas dicker),
haben alle ein zur römisch-christlichen Zeit gewöhnliches Gepräge. VierFünf-
Iheile von der ganzen Anzahl sind sich ähnlich in der Darstellung. Auf der
Vorderseite ein odei- zwei Köpfe, auf i1er Rückseite ein Pferd, oder ein Reiter
zu Pferde. l)ie Vorderseite ist ohne Um.schrifi, wie bei allen Barbarenmünzon ;
auf der Kehrseite stehen, auf denen mit einem Kopfe die Namen NONOS
ZU Doberna-Retje in Steiermark vom Jahre 1868;
dem diese Zeilen gewidmet sind. Zwar ist davon schon
eine
kurze Anzeige in der Laibacher Novice unterm
8. Juli und unterm 18. Juli 1. J. in der Grät/er Tagespost
Nr. 1(33 aus Cilli gemacht worden, jedoch lohnt es
sich der Mühe, diesen ansehnlichen Fund ausführlicher
zu beschreiben j weil er der zweite in Steiermark
gemachte ist. Ich schreite demnach zur Sache selbst.
Es war in den ersten Tagen des Monats Julius 1. J.,
als mir Herr Joseph Häsnik, Pfarrer zu Trifail, dieser
warme Freund des Altertliums, eine Silbcniiün/e zur
Beurtheilung nach Grätz einsandte, die, wie er mir
schrieb, einer grösseren Anzahl ähnlicher von ihm an-
gekaufter Münzen angehörte und die zu besehen er
mich einlud. Ich reiste demgemäss am 8. Juli 1868 nach
Trifail an der Save hart an der krainischen Gränze
ab, besah und musterte die Münzen und besichtigte so-
gleich die Fundstelle selbst, wobei ich folgendes in
Erfahrung brachte.
In einer von Bäumen freien Waldstrecke nel)en dem
Dorfe Doberna y^ Wegstunden von dem Pfarrorte Tri-
fail imd Vi Stunde von der dahin gehörigen Filialkirche
Heil. Kreuz in Retje südöstlich von Trifail entfernt,
war ein grosser Steinhaufe von Bruchsteinen aufge-
schichtet, der einen etwa 26° langen und breiten Boden-
raumeinnahm. Diesen Bodenraum wollte ein Bergknappe
des M a u r e r ' sehen Steinkohlengewerkes benützen ,
um, nach Hinwegräumung der Bruchsteine, Rübsamen
anzubauen. Nachdem er hiezu die Erlaubniss des der-
maligen Grundbesitzers Meke, vorhin Tschamer ein
geholt hatte, kam er nach Hinwegräumung der Bruch
steine bei Auflockerung der Grundfläche am 20. Jum
1868 in unbedeutender Tiefe auf eine grosse Menge
kleinen Bruch-
Silbermünzen, welche in der Richtung von Osten gegen
irdenen Vase ziemlich ge-
Westen gelagert, nur vermischt mit
stücken einer bräunlichen
drängt aneinander lagen. Es war ein glücklicher Zufall
dass der erwähnte Herr Pfarrer Häsnik alsogleich
Kunde davon erhielt, und den grössten Theil des Fuudes
käuflich an sich brachte, denn sonst wären diese Münzen
an einzelne Leute verkauft und in kurzer Zeit keine
Spur von dem bedeutenden Münzenfunde zur Kenntuiss
des wissenschaftlichen Publicums gekommen. Bereits
hatte ein durchziehender Jude 53 Stücke an sich ge-
bracht und sie für theures Geld in Grätz verwerthet.
Ausser dieser letzteren, deren ich später einige zu Ge-
sichte bekam, kauften auch andere Personen aus der
Nachbarschaft eine ziemliche Anzahl dieser Münzen,
welche aber von denen, welche der Herr Pfarrer an
sich brachte, in ihrer äusseren Gestalt und im Silber-
gehalte nicht verschieden waren.
Somit betrug die Zahl sämmtlicher Münzen etwas
über sechsthalbhundert Stück, u. z. gelangten an
den Herrn Pfarrer ....... 320
in den Besitz einer Privatperson ... 70
au den Grundbesitzer Michael Meke . 60
an eine andere dortige Person 5
oder SONNON , auf den übrigen mit zwei Köpfen BIATEC. Die Goldstücke
sind alle schüssolartig; auf der concaven Seite ist ein Viertelmond und die
Sonne, die convexen Seiten sind meistens verwischt. (Grazer Zeitung Nr. 241,
vom 26, Mai 1855.)
6 Zu Eiss bei Völkermarkt in Kärnten sind im Jahre 1858
keltische Münzen beisammenÜGgend ausgegraben worden, wiewohl nur wenige,
in der Gesammtzahl nämlich 22 Stücke, wnvon an das k. k. Münz- und Anti-
kenkabinet 12 Stücke {zwei Didrachmen und 10 kleinere) dann 10 Siücke in
Privathände kamen, u. z. zwei Didraclimen dann acht kleinere (Repertorium
der steir. Münzkunde, 1. B., v. Dr. Friedrich Pichler. Graz 1765, S. 1-47— 14S.)
XIV
aD eine Fraa 4
an andere benachbarte Liebhaber des Al-
terthums 50
an ein Mädchen . • 1
an den ersten F'inder 10
an den oberwähnten Juden 33
Zusammen also . 553 Stücke.
Der innere Gehalt dieser Münzen zeigt am Probier-
steine etwas weniger als 151öthiges Silber, welches nur
einen geringen Zusatz von Zink nachweist. Die Grösse
der Münzen beträgt je nach dem Grade der Abnützung
nach dem Münzmesser Appel's zwischen 15—16 Linien
im senkrechten Durchmesser, nach dem Münzmesser
Mionnet's zwischen 7 bis 8 Linien und nach dem Münz-
messer Wellenheim's zwischen 11 — 12 Linien. Das
specitische Gewicht dieser Münzen beträgt durchschnitt-
lich je nach dem Grade der Abgegriffenheit zwischen
lU-24. 10-53 und 10-54 Grammes.
Unter den kleineu, theilweise mit den Münzen rer-
niengten bräunlichen Bruchstücken einer irdenen Vase,
befand sich glücklirher Weise ein Theil, welcher ihrem
oberen Rande angehörte, und die Möglichkeit bot, den
Durchmesser des oberen Randes zu bestimmen, indem
dieser Theil an den Zirkel angelegt, die Spurweite des
Kreises anzeigte, welchen er beschrieb, und daher den
Durchmesser des oberen Randes der Vase mit 7=4 Zoll
anzeigte, woraus selbstverständlich hervorgeht, dass
der Bauchdurchraesser der Vase um ein Bedeutendes
grösser gewesen sein niusste.
Unter allen oben aufgezählten Münzen kamen nur
einige vor, welche sowohl an der Vorderseite unterhalb
des Kopfes als an der Rückseite oberhalb des Pferdes
ein Monogramm mit lateinischen Buchstaben enthalten,
während alle übrigen .schriftlos- sind, und in die vor-
christliche Zeit zu reichen scheinen.
Die Köpfe an den Vorderseiten sind theils links,
theils rechts, nur an einer Sorte dem Beschauer zuge-
wendet. Auf den Rückseiten aller Münzen sind die
Pferde ohne Reiter, und sämratlich zur linken Haud
schreitend ausgeprägt. Namentlich ist
1. auf 14 MUnzstücken der ganzen Summe der
Kopf der Vorderseite gegen den Beschauer zugewendet
und kleiner als das darüber befindliche Perlendiadein,
über welches, so wie an den Seitentheilen des Kopfes,
schlangenartige Haartheile sich befinden, die auch ober-
halb des Diadems heiTorragen, dass man fast versucht
wäre, die ganze Vorstellung für ein nach keltischem
Geschmacke ausgestattetes Medusenhaupt zu halten.
Auf der Rü>-kseite hat das ledige zur linken Hand schrei-
tende Pferd oberhalb seines Rückens ein spiralförmiges
Ornament, das geheimnissvolie Zeichen. (^Fig. 1.)
2. Bei 21 Stücken der Vorderseite erscheint der
Kopf mit zugespitzter Nase und geziert mit einem von
einer Agraffe seitwärts herabwallenden dreischnürigen
Perlendiademe und mit einer steifen Halsbinde, nach
rechts zugewendet, und auf der Rückseite oberhalb
des links schreitenden Pferdes das sechsspeichige Rad,
unterdes Pferdes Bauch aber das Zeichen TL (Tig. 2.)
3. Bei 79 Stücken ist die Vorder- und Rückseite
gestaltet wie Fig. 2, nnr mit dem Unterschiede, dass
an der Rückseite ober- und unterhalb des Pferdes das
Rad und die Zeichen TI fehlen, i Fig. 3.)
4. Bei 12 Stücken ziut die Vorderseite den Kopf
mit einer tief in die Stirne reichenden. rü( kwärts mit
einer Masche gebundenen vierschnürigen Perlendiademe
nach links gewendet, und die Rückseite das ledige
liuksschreitende Pi'erd ohne Zeichen. i^Fig. 4.)
5. Die Vorderseite von 11 Stücken zeigt den
stumpfnasigen Kopf mit einem fünfschnürigen Perlen-
diadeiue geziert, rechts gewendet, und die Rückseite,
das ledige links schreitende Pferd , ohne Zeichen.
(Fig. 5.)
6. Während alle vorbenannten schriftlos sind, zeigen
einige Münzen den links gewendeten Kopf mit einem
dreischnürigen Perlendiadem geziert, unterhalb des-
selben das Monogramm mit den lateinischen Buchstaben
O.T.Cuudan der Rückseite oberhalb des links schreiten-
den Pferdes das Monogramm MC gleichfalls mit lateini-
schen Buchstaben, i Fig. 6. )
Diese sechs Silbermünzen sind die einzigen Varie-
täten in den Darstellungen der Vorder- und Rückseiten,
an welche sich alle übrigen anreihen, selbst die, welche
wegen Abnützung mehr oder minder unkcnubar sind,
und den blossen Silberwerth haben, aber zur Aufstellung
sich nicht eignen. Ihre Zahl ist 142.
Wenn man sich nun die Frage stellt, wie alle diese
553 .Stücke keltischer .Silbermünzen unter den Bruch-
steinhaufen gekommen sein dürften, so genügt keine
andere Erklärung, als dass sie unter den Trümmern
eines eingestürzten Hauses begraben worden sind,
weil man an den zu unterst gelegenen Bruchsteinen
noch Spuren anklebenden Mörtels gefunden hat , mag
nun der Einsturz etwas früher als zur Zeit der Völ-
kerwanderung oder nach derselben statt gefunden
haben.
Ein Räthsel «ürde es imraeihin bleiben, wie ein so
grosser Haufe von Bruchsteinen bis in die neueste Zeit
unberührt bleiben konnte, wenn man nicht in Erwägung
zöge, dass dieser Steinhaufe ganz nahe an den von Nor-
den nach Süden in der Ausdehnung einer hali»en .Stunde
bis zur Filialkirche Heil. Kreuz in Retje streichenden
Korallenkalk -Flütz sich befindet, daher es wohl nicht
leicht jemand beifallen konnte, die Hand an einen .Stein-
haufen in einer Gegend zu legen , die ohnehin so stein-
reich ist. Nähme man aber auch an, dass die Bruch-
steine dieses Haufens absichtlich zusammengelegt und
aufgeschichtet worden wären, so nützte diese Bemü-
hung nicht dem Zusammenträger, weil der Münzschatz
etwas tiefer unter der Erde lag, sondern dem Aliträger
des Steinhaufens, der den Bodenraum aufgelockert
hat.
Mag man aber über das Gerathen dieser keltischen
Münzen unter den .Steinhaufen denken, wie man will,
jedenfalls spricht die Lage derselben, wie sie bei Auf-
lockerung der Grundfläche ansichtig ward, für die
erstere Erklärungsweise.
Eine weitere Frage endlich könnte gestellt werden,
welcher Nationalität derjenige war, der den Schatz
vergrub? Allein diese beantwortet sich von selbst, wenn
man weiss, dass die Bewohner in der Nähe des Fundes
noch in den ersten christlichen Jahrhunderten ,.Kelten-'
waren, wie eine am J5. Mai 1867 entdeckte und in der
Filialkirche Heil. Kreuz in Retje eingemauerte .In-
schrift bezeugt , welche die Namen : Diastuamar.
Ibliend, Coma, Chilo unJ Solimara nennt. Sie ward
photographisch genau abgenommen , und ist lithogra-
phirt int 16. Hefte der Mit;lieilungen des historischen
Vereines für Steiermark zu selten.
XV
Johann Karl von Röselfeld , Maler aus Tyrol, gest.
im Stute &arsten 1735.
Johann Karl von Röselfeld, wie er sich auf
seinen Bildern in dem am 1. Mai 1787 aufgehobenen
Benedictinerstifte Garsten (bei der Stadt Steyer im
Lande ob der Enns) nannte, hiess nach einem alten
Manuscripte Johann Karl R ü s s I. Er warin Tyrol, unbe-
kannt in welchem Orte, um das Jahr 1658 geboren, und
kam sehr jung nach Steyer. Der Freiherr von Riesen-
fels schickte ihn nach Italien, wo er sich durch vier
Jahre in der Schule des berühmten Karl von Loth zu
Venedig ausbildete. Er kam im Jalire 1684 zurück narh
Garsten, um die Kirche und das Stift, welche der Abt
Roman Rauscher i (f 1683) aus Hall in Tyrol schon
1677 zu bauen angefangen und sein Nachfolger Abt
Anselm Angerer vollendet hatte, mit seinen Kunstwerken
zu schmücken.
Röselfeld genoss im Stifte ein jährliches Stipendium
von 20U Gulden, wurde dann unter die Ofticialen aufge-
nommen, und lebte 51 Jahre daselbst, thätig und ge-
achtet von Allen. Durch drei Monate des Jahres malte
er für das Kloster, die übrige Zeit konnte er nach Be-
lieben zur Ausübung seiner Kunst verwenden. Er starb
am 15. Jänner 1735 zu Garsten, und wurde unter dem
Kunigunden-Altare begraben.
Im Stifte Garsten malte er 1686 beim Berthold-Al-
tare das Bildniss des ersten Abtes, des heil. Berthold,
aus dem Geschlechte der Grafen von Würtemberg
(t 26. Juli 1142), und oberhalb den Sarg desselben,
wie er nach der Legende auf den Schultern der Engel
zu Grabe getragen wird; ferner in der vom Architekten
Carlone neu erbauten St. Sebastiancapelle, der alten
Gruft der 1692 erloschenen Grafen von Losenstein und
der Starhemberg, welche beide von den Markgrafen von
Steyer abstammen, das Altarbild des heil. Sebastian.
Seine Hand verschönerte den prachtvollen Saal, ehedem
einen der schönsten in Oberösterreich. Über dem Ein-
gange und dem grossen Aufgange prangte dessen Mei-
sterstück, der Pegasus in drei künstlichen Wendungen.
Dieser Pegasus ist noch zu sehen, aber der Saal ruinirt;
man arbeitet wohl an dessen Wiederherstellung, aber
der schöne Plafond und Röselfeld's Gemälde sind für
immer dahin. Kur eine C'opie und die Bilder au den
Wänden, auf Leinwand gemalt, aber in schlechtem Zu-
■ Stande, sind übrig. Im Speisesaal mit sieben Musik-
chören und in der Vorhalle desselben erschöpfte sich
beinahe der Künstler, dort sind die Belagerung Belgrads
unter dem Prinzen Eugen, die Anmärsche der Ungarn
von Peterwardein herauf, mythologische Vorstellungen,
sämmtliche Kaiser aus dem Hause Habsburg bis auf
Karl VI. und dessen schöne Gemahlin Elisabetha von
Braunschweig, die Bildnisse Ottokars V. (III.) und seiner
Gemahlin, die dieses Kloster 1082 gründeten.
Ausserdem malte er meines Wissens fiir die Kirche
zu Aschach bei Steyer das 18 Schuh hohe Hochnltar-
blatt, welches die Himmelfahrt Jferkjis vorstellt: und
oben den heil. ]\Iartin, für die geschmackvolle Kirche
zum Christkindel bei Steyer, die Abt Anselm 1708 nach
dem Modelle von Maria Rotonda in Rom bauen Hess,
' Roman Rauscher, imj. 1603 zu Hall in Tyro] geboren, und seit
1642 Abt, legte nach der Medaille {s. Appel's Repertorium Bd. I., S. 2'J9) am
5. October 1677 den Grund>tein zur neuen Stiftskirche, feierte am -,^7. Juli
1677 (s. Medaille bei Madcri Nr- 5744) sein priesteriiches Jubelfest und starb
am 12. October 1683.
die Geburt des heil. Kindes am Seitenaltare. Das Hoch-
altarbild zu Ternberg, wie auch neue Gemälde in der
Kirche zu Grossraming; in der Kirche zu St. Magdalena
wurden \on Röselfeld renovirte Bilder aus der alten
Garstnerkirche aufgestellt. In der lichten Kirche zu
Anzfelden ist von seiner Hand das Bild des Kirchen-
patrons, des heil. Valentin; zu Kremsmünster ein Bild ,
an einem Seitenaltare; zu Altmünster in der westlichen
Bucht des Traunsees im Jahre 1697 ein Epistel-Seiten-
altar; im Cistercienserstifte Schlierbach an einem der
Seitenaltäre der heil. Julian, dessen Leib im Jahre 1697
von Rom nach Linz, und von da am 22. September
feierlich nach dieser Kirche gebracht wurde. In der
Stadtpfarrkirche zu Linz 1696 das Blatt des Ibichaltars,
welches die Himmelfahrt und Krönung der heil. Maria
vorstellt.
In der Kirche der Karmeliter zu Linz befinden sich
von unserem Jleister der heil. Johannes vom Kreuze auf
dem sogenannten C'hristkindcl-Altare, oben die Worte :
in cruce triumphat ainor; das Bild des heil. Liboritis auf
dem Altare des heil. Felix; der Skapulieraltar im Jahre
1713; endlich ist auch höchst wahrscheinlich von ihm
das schöne Madonnenbild im Winterchore daselbst.
Joseph Ritter v. Bergmann.
Denksäulen.
(Mit 4 Holzschnitten.)
Es war eine fromme Sitte unserer Vorfahren, dass
sie an solche Stellen, wo entweder für den einen oder
anderen eine glückliche Begebenheit geschah, wo man
von einem schweren Unglücke heimgesucht wurde, wo
die schützende Hand Gottes den Menschen vor einem
harten Schlage bewahrte, an Stellen, wo denkwürdige
Ereignisse vor sich gingen, oder an Stellen des Wie-
dersehens, des Abschiedes, dass sie dort aus Frömmig-
keit und in dankbarer Erinnerung ein Denkmal errich-
teten. Auch die Neuzeit setzt noch Denksäulen, doch
hat sie sich bei ihrer verminderten Frömmigkeit von
den bisherigen christlichen Motiven abgewendet, und
stellt gern in Würdigung grosser historischer Momente
ihre Denksteine auf Schlachtfelder und ähnliche Orte.
Solche mittelalterliche Gedächtnissbauten sind meistens
in den älteren christlichen Zeiten Kirchen und Capellen
gewesen, in jüngeren Zeiten beschränkte man sich auf
die Errichtung von Säulen, die nach dem Vermögen und
dem Grade der Frömmigkeit des einzelnen Stifters oder
der stiftenden Corporationen meistens ganz einfach bis-
weilen aber auch höchst prachtvoll ausgeführt waren.
Derlei Denksteine stehen häutig vereinzelt ausseihalb
dem Orte, an Seiten wegen, an Stellen, wo sich die
Strassen theilen oder kreuzen, an gefährlichen Stellen der
Landstrasse u. s. f. Sie mögen einstens recht zahlreich
gewesen sein, doch gegenwärtig ist ihre Anzahl sehr
geschwunden, und das noch Bestehende ist bedauerli-
cher Weise in den meisten Fällen in einem höchst ver-
fallenen Zustande. Diese kleinen Denkmale theilen das
Schicksal der grossen. Viele derselben gingen bei der
geringen Pietät, die unsere Vorfahren besonders im
XVIII. und XIX. Jahrhundert für Erhaltung älterer Denk-
male, seien es grosse Bauten oder auch nur kleinere
Werke, hatten, ganz zu Grunde oder erlitten im Laufe
der Zeiten arge Schäden und muthwillige Verletzungen
und blieben dann in ihrer oft das Gespötte und Arger-
XVI
niss hen-orrufenden Verwahrlosung so lange stelu-n, bis
die allniählig fortschreitende Zerstörung ihr Werk vol-
lendet hatte und ein Trümmerhaufen oder am Boden
zerstreute schön gemcisselte Steine vielleicht wieder für
ein kommendes Jahrhundert ein neuerliches Denkmal
an die früher hier bestandene Gedächtnisssäule bilden.
In gar seltenen Fällen hatten die Stifter solcher Weg-
kreuze für deren Erhaltung besondere Vorsorge getrol'-
fen, und wie viel haben derlei Stiftungen dnrch die Ent-
werthung an Capital und Verminderung des Erträ-nis^es
eingebüsst! "^
Für den Freund mittelalterlicher Kunst haben diese
Säulen, über deren Gründung sich oft die reizendsten
Sagen im Volksmunde, aber in den wcniirsten Fällen
verlässliche urkundliche Nachrichten erhalten haben
em erhöhtes Interesse, da sie doch häutig das Gepräge
einer eigenlhümlichen Formenentwicklung und auch einer
Ott sehr geübten, oft höchst primitiven Kunsttechnik
tragen. Schon in den früheren Bänden unserer Mitthei-
lungen wurde die Aufmerksamkeit der Leser auf solche
Denksäulen geleitet, so imzwciten Bande (320) auf drei
steinerne Denksäulen bei Ödeuburg. von denen die eine
der zweiten Hälfte des XIII., die andere dem beginnenden
und die dritte dem endenden X\'. Jahrhundert angehö-
ren mögen, ferner auf eine ebenfalls aus dem XV Jahr-
hundert stammemle Itei Mattersdorf in Ungarn und
endlich im eiiften Bande (LXXIX) auf eine zu Anfang
des XVI. Jahrhunderts errichtete Denksäule bei Leoben.
Wir wollen nunmehr in
diesem Aufsatze eine Keihe
von kleineren Wegkreuzen, so
wie die grossen Deuksäulen
bei Brunn, Wiener -Neustadt
und Wien einer eingehenderen
Würdigung unterziehen.
In Wien selbst, wo, wie
wir urkundlich wissen, zahl-
reiche Denksäulen standen,
sind mit wenigen unbedeuten-
den Ausnahmen keine alten
Säulen erhalten.
Eine sehr einfache Säule
ist das sogenannte Bäcker-
kreuz (Fig. 1), welches ehemals
vor dem Eingange in das Ver-
sorgungshaus in der Währin-
gergasse auf der Strasse .stand,
nunmehr seit beiläufig achtzig
Jahren dicht an der Kirchen-
mauer im Hofe der Anstalt auf-
gestellt ist. Über einen vier-
eckigen, niedrigen, ziemlich
breiten Sockel erhebt sich der
ebenfalls viereckige, an den
Kanten abgeplattete Schaft,
darauf etwas hervortretend der
würfelförmige Aufsatz ruhet,
--^^_;_^^^^^ der an den vier Aussenseiten
["^"^^i^^H spitzbogig übergiebelt i.st und
i .;|''"'/ .'^^^^^ mit einer niedrigen Spitze ab-
8chlies.st. Zwei der vier Seiten-
felder enthalten noch Vorstel-
lungen in Relief ausgeführt,
F'g- 1- zwei sind leer. Die eine dieser
Darstellungen , die beide bereits arg von der Verwitte-
rung mitgenommen sind, zeigt den scsrnenden Eriöser
die andere auf der rechten Seite bclindli( he die .Mutter
Gottes, wie sie mit geötfiietem Mantel mehrere knieende
Gestalten umfängt. Auf einem kleinen Bande unterhalb
des Würfels sehen wir die Jahreszahl l.")ns. .sieheriich
das Gründungsjahr, eingemeisselt. Ein unterhalb einer
am Schafte ausgehauenen Bretze befindliches nach
abwärts entrolltes S|)ruchband nennt uns in schwer zu
entzifi'erndcr Schrift den Namen des Stifters dieser alten
Steinsäule; sie lautet: Paul Lundler Bück Z. Mr. (Zech-
nieister) de Got genadt amen i.
Eine einfache, aber
trotzdem ganz hübsche
Säule steht auf dem
^Vege, der von der Stadt
Enns nach deren frühe-
rer Pfarrkirche zu L 0 r c h
(Fig. 2) führt.
Auf einem runden
Sockel , der auf einer
viereckigen Platte steht,
ruhet der achtseitige
Schaft, der in schwacher
Windung aufsteigend eine
kleine vierseitige, aber
nur an drei Seiten offene
Capeile trägt. Die Fen-
sterchen sind nach oben
zugespitzt und giebel-
ähnlich überdeckt; ein
später hinzugefügtes
Kreuz , schliesst das
Ganze ab. Die Säule
mag noch dem XV. Jahr-
hundert angehören. Es
ist sehr wahrscheinlich,
das dieses oft'ene Häus-
chen dazu diente, um
bei gewissen Jahres-
zeiten eine brennende
Lampe (Todtenleuchte)
zu stellen.
Bei weitem zierli-
cher , aber eben so
schlecht erhalten und
schon für die nächste
Zeit vom Zugrundegehen
bedroht, sind zwei Denk-
säulen, die sich in der
Nähe Wiens befinden.
Sie tragen entschieden
gothischen Charakter an
sich, und können als
bessere Arbeiten in
dieser Richtung bezeich-
net werden.
Die eine steht im
Kahlenberg erdorf
am Wege, der aus dem
Fig. 2.
In neuerer Zeit -.vurden inr Erinnerung » die Einnahme von Ua«l,
n Seh an o nttt f/\}imn/ii.n Wn^tr. ^^~..i L..t»__*-,.. >
noch am .Schafte die folgenden Worte angebracht: Sag Goii dem Herrn d^unch
chnmnicn in der Christen hanndt den '-'9. Marzii ]:,98. Über
dasfi Raab ist gec.
diese Säule s. ilittheil. d- Alterih.-Vcreiiie VIII
AlserTorstadt, Wien I86l, 130— I3J.
, ber
und Karl Hofbauer'»-
XVII
iT^
i
'vi
r
iL
1 ■ ;.
Fi?. 3.
Tis. 4.
Gebirge zur Donau führt, nahe bei der Kirche. (Fig. 3.)
Sie ist hoch bis über den Sockel Terscliüttet und hat
sich nur eines der früher daselbst angebrachten Reliefs,
Christum am Kreuze vorstellend, erhalten. Sie mag frühe-
stens zu Ende des XR'. Jahrhunderts entstanden sein.
Die andere der in Eede stehenden Denksäulen
befindet sich in Mitten des kleinen Dorfes Gersthof.
Sie ist iu der Form der eben besprochenen ähnlich,
doch minder reich ausgestattet. Leider steht sie nur
mit einer Seite fi-ei, die andern drei sind in die Mauer
eines Wohnhauses eingelassen. (Fig. 4.) Das auf der Vor-
derseite befindliche Relief zeigt die Kreuzigung Christi.
Darunter ist einem Schilde ein Steinmetzzeichen und
die Jahreszahl angebracht, wovon jedoch nur mehr die
beiden ersten Ziffern 14 sich erhalten haben. Gleich^vie
den früher erwähnten Denkstein die Unbilden der Wit-
terung bereits arg beschädigten, eben so arg leidet
dieser unter niissverstandener Fürsorge der Gegen-
wart, die ihn von Zeit zu Zeit mit frischer, dicker Kalk-
tünche schonungslos überzieht.
(Fortsetzung im nächsten Hefte.)
Karl ihrem Wunsche gemäss im Dom zu Basel bei-
gesetzt. Es war nämlich ihr eigener Ausspruch, dort ihre
Ruhestätte zu finden, um den Dom, den ihr Gemal
hart mitgenommen hatte, dadurch zu entschädigen.
Das Grabmal, welches die sterblichen Überreste dieser
Stammmutter des habsburgisch - österreichischen Hauses
und ihres Söhnleins Karl , der geboren zu Rheiufelden
1276 wenige Monate darauf starb, bis zum Jahre 1770 '
deckte, ist im Chorumgang des Domes an der Evauge-
lieuseite in einer Fensternische aufgestellt.
Die beigegebenen Abbildungen zeigen dieses inte-
ressante Denkmal in der Daraufsicht des Deckels, die
Läugenansicht und die Ansicht des Fussendes, durch
welch letztere sich als unzweifelhaft herausstellt, dass die
/'Vm' ■/'/////■■ y// /yy^'^^y.
m
-/,- /' '• '■■
WA
G-rabmal der Kaiserin Anna im Dom zu Basel.
(Mit 3 Holzschnitten.)
Fis-. 1.
Kaiserin Anna, Gemahlin Rudolfs von Habsburg, ■ im Jahre ITTO wurden die Leichname der habsburgischen Familien-
starb zu Wien 1281 und wurde sammt ihrem Söhnchen imtchwa^waiTTe'J-efnt^"'''"'""''"' '" *" °^""' '^"'""■s'^'"' ""^ *'■ '*"'"''"
XIV.
xvnr
Fig. 2.
gegenwärtige Stellung die nrsiirüngliche ist und dass
der Künstler in der ganzen Anordnung diesem Um-
Stande Eechnung geti-agen hat.
Das zum Grabmal verwendete Material ist röth-
lieher Sandstein. Zur Erklärung der Zeichnungen fol-
gendes:
üie architektonische Theilung des Deckels (Fig. 1)
gibt zwei ungleich breite Felder. In dem linken, grös-
seren sehen wir die liegende Gestalt der Kaiserin, die
Krone auf dem Haupte, die Fiisse auf eine mit Blatt-
werk verzierte Console stützend, der Kopf ruht auf
zwei Polstern, davon der obere über Eck liegt, so dass
die ganze Gestalt, von drei Seiten frei, aus der Fläche
herausragt. Im schmäleren Felde ruhet auf einem Polster,
die Füsse auf einen Löwen gestützt, das Bild des Söhu-
leins. Der Löwe ist zum Theil durch ein Wappenschild
gedeckt, welches den habsburgischen Löwen zeigt. Die
eapitäl gezierten Eundstäbe, welche das Ganze einrah-
men und die Bildwerke trennen, tragen Fialen und sind
durch zwei in eine Blätterspitze auslaufende, geschweift
spitzbogise Wimberge verbunden, zwischen denen das
deutsche Kaisenvappen mit dem einküptigeu Adler au-
gebracht ist. Das obere Gesims ist mit schön gearbei-
teten Blättern geschmückt, wie auch die C'ai)itälchen
mit Epheulaub von schönster Ornamental -Bildhauerei
ausgestattet sind.
Der erwähnten Schönheit der Einrahmung und des
Ornamentes entspricht auch der edle Styl der beiden
Bildwerke. Ruhiger Einst lagert auf ihnen, die Hände
sind gefaltet, dein Orte und dem Zwecke der Darstel-
lung entsprechend. Die grosse Autfassuug des Gegen-
standes von Seite des Bildhauers bürgt auch für die Treue
in den Zügen, wenigstens was die Kaisenn betnftt,
und für die Treue in der Kleidung. Wenngleich aus
dem schon ausgebildeten gothiscbeu Style mit Eecht
gefolgert wird, dass das Denkmal nicht sogleich nach
dem Tode der Kaiserin, sondern erst im beginnenden
XIV. Jahrhundert angefertigt wurde, so ist doch die Be-
kleidung der Figur getreu der damaligen Wirklichkeit
gegeben, wie wir sie aus Beschreibungen und gleich-
zeitigen Bildwerken kennen gelernt haben. Die Kaiserin
trägt ein weites Gewand mit Gürtel, der schön gefaltete
Mantel ist durch eine Schnur mit einer Agraffe über der
Brust zusammengehalten, die rechte Vorderseite des
Mantels ist über den Unterleib der Figur gebreitet und
etwas in die Höhe gezogen. Der Kopf istvoneiuemTucbe
Fiff. 3.
^ bedeckt. Die Krone'
darüber durch Bän-
der befestigt. Die
^ Stirne schmückt ein
^ herum get>uudenes
Band.
Früher war das
11 Monument polychro-
mirt, doch sind da-
von nur mehr Spu-
ren erkennbar. Am
sichersten ist die
Bemalung der Pol-
ster anzugeben,
kleine Quadrate mit
Diagonallinien in
Dunkelroth und
Dunkelgrün, sowie
am Umschlage des Mantels eine Goldlinie sicdi auch
noch erkennen lässt. Am Gesichte, sowie im Übrigen
ist nicht zu sehen, ob die Bemalung sich auch hierauf
erstreckte.
Die freistehenden Seitenwände der Tumbe sind
glatt und mit Wappen geschmückt. Jene drei an der
Langseite (Fig. 2) zeigen den Bindenschild, den steiri-
schen Panther und nochmals den deutschen Eeichsadler,
jenes an der Kopfseite das habsburgische Hauswappen
jenes an der Fusseite (Fig. 3) ist horizontal getheilt.
Sämmtliche Wappen sind in neuerer Zeit übermalt wor-
den und zwar theihveise heraldisch unrichtig.
Zum Schlüsse noch die Bemerkung, dass das ganze
Denkmal keine Inschrift oder Jahreszahl zeigt, auch
habe ich kein Steinmetzzeichen daran gesehen.
A. Wielemans.
Ein Todtentanzgemälde in Krakau.
Das Bernhardinerkloster zu Krakau besitzt ein auf
Leinwand gemachtes Ölgemälde, als die im XVIII. Jahr-
hundert entstandene Copie eines älteren Gemäldes, auf
welchem die im XIV. Jahrhundert noch seltene, aber im
XV. und XVI. öfter auftretende Composition eines Todten-
tanzes < ausgeführt ist a. Das Gemälde ist ziemlieh gut
erhalten und braucht nur eine geringe Restauration, um
wieder in völlig guten Stand zu gelangen. Hinsichtlich
der Zeichnung und der Ausführung in den Farben ver-
dient es keine besondere Beobachtung; etwas anderes
ist es mit der Anordnung der Gruppen, mit der Vorstel-
lung der einzelnen Paare und damit, dass wir ein in
Polen entstandenes Werk vor uns haben, in dem nicht
allein die in Polen bestandenen weltlichen Würdenträger
sich in landesüblicher Tracht am Tanze betheiligen,
sondern auch fast jedem Paare einige in polnischer
Sprache geschriebene« Verse ' beigesetzt sind.
- Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, dass an der Krone die Zinken
felilen, in der beigegebenen Zeichnung find sie durch Lilien ergänzt. Dies
ist aber die einzige Kr^änzung, welche meine Aufnahme des Grabmales zeigt,
die einzige, die überiiaupt nothwendig gewesen, da das Monument Torzüglich
erhalten ist.
> AVir Terwi-isen behuTs der Geschichte der Todientänze aur S ch naas e's
Auf^atz in den Mittheilungen VI, p. 221.
- üas Gemälde befindet sich gegenwärtig iu Wien, da von demselben
verkleinerte Copien in Farbendruck zum Zwecke der Uestaurirung der Ordens-
kirche herausgegeben werden. Mit der Anfertigung dieser letzteren ist die
k. k. Staatsdruckerei betraut, welche in ganz vorzüglicher Weise sich dieses
.\uftrages entledigte.
• Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Verse aus dem Deutschen übersetzt
sind, da in der polnischen Sprache der 'J'od weiblichen Geschlechtes ist, und
dessenungeachtet in den Versen der Tod als männlich angeführt wird.
XIX
Bevor wir zur Besclircibung dieses Gemäldes, das
eiue Höhe von 98 Zoll und eine Breite von 80 Zoll hat.
und aus dem endenden XVI. oder beginnenden XVII.
Jahrhundert stammen mag, übergeben, sei bemerkt, dass
das ganze Talileau aus einem grossen quadratischen
Hau]itgemälde in der Mitte und aus zwölf kleineren
kreisförmigen Gemälden besteht, welche das Hauptbild
symmetrisch, je vier gegen jede Seite hin, umgeben.
In der Jiitte zwischen den oberen Medaillons sehen wir
den Todtenscbädel mit den gekreuzten Beineu, die ab-
gelaufene Sanduhr und ein Uiirblatt, die zwölfte Stunde
zeigend; in der Mitte der unteren lieihe den Todten-
kopf mit der erlöschenden Lampe und eine leere Sehale.
Die Mitte zwischen den I\Iedaillons an den Seiten nimmt
je ein kleines viereckiges Bildchen ein, womit die
Zahl der Bilder des Kahmens auf ^-ierzehn erhöht wird.
Sänmitliehe Eahmenbilder zeigen, wie männliche Per-
sonen vom Tode heimgeholt werden, das grosse Mittel-
bild zeigt uns blos Personen weiblichen Geschlechts in
dieser traurigen Lage. Bei den Bildern mit weiblichen Per-
sonen ist die fast allgemein übliche paarweise Ordnung
beibehalten (^wir finden 9 Paare); nicht so ist es bei denen
mit männlichen Figuren , indem da der Tod bisweilen
zwei Personen zugleich zum Tanze bittet, oder auf
einem Bilde mehrere männliche Figuren und Skelette
dargestellt sind.
Auf einem in der Mitte angebrachten Spruchbande
lesen wir folgende für die ganze Darstellung massge-
bende Worte:
Roznych Stanow piekne grono
G(;sta Smiercia przepleciono
Zyiac wszystko taiicuierny
Aze obok Smierc niewiemy.
Verschiedener Stände schöne A'ersammlnng , von häufi-
gem Tode durcliflochten, lebend thun wir alle tanzen und wissen
nicht, dass neben uns der Tod weilet.
1. Medaillon (heraldisch oben rechts), darinnen der
Papst, wie ihm der Tod grüssend entgegentritt; im Hin-
tergründe eine Stadt, darunter die Worte:
Trzem Koronom nie wybaczysz
W Taniec z soba prosic raczysz :
Musze L toba ehoc nie mite
Zazyc takiej- Krotofil e.
Drei Kronen tlmst du nicht schonen, geruhest sie mit
dir zum Tanz zu bitten, wie ungern auch, sie müssen mit dir.
eine solche Kurzweil geniessen.
2. Medaillon (links vom ersten), der Kaiser wird
vom Tod, der einen grossen mit weissen Federn ge-
schmückten schwarzen Hut trägt, an der rechten Hand
geführt. Im Hintergrund ein Kirchengebäude, dabei die
Worte:
T laz to nie zwycieiony
Stoba mam bye ziednoczony
Wszystka moc Cesarska moia
Schnie gdj- sie tknie reka twoia.
Auch ich , du Unbesiegter, soll mit dir vereint werden.
AU" meine kaiserliche Macht w elkt hin, wenn deine Hand mich
lierührt.
3. Medaillon : Tanzend ergreift der Tod den König,
dessen Krone und Scepter ihm entfallen. Inschrift:
Dalbym Berlo y z Korona
By mie s tahca uwolniono
0 ! nader przykre niesiety
Ktore smierc skacze Ballety.
Hingeben wollte ich Scepter sammt Krone, wurde ich
vom Tanze befreit. 0! leider unendlich widrig sind die Ballete,
die der Tod springt.
4. Die Darstellung im letzten Medaillon oben ist
einem Cardinal gewidmet, auch ihn entfuhrt der Tod.
Kardynalskie Kiipelusze
Chocbym niechcial rzucac uiusze
Strasznyz to skok gdzie muzyka
Ze umrzec trzeba wykrzyka.
Die Cardinalhüte, wenn ich auch nicht wollte, muss ich
abwerfen, ein schrecklicher Sprung das, wo die Musik, dass
man sterben müsse, aufschreiet.
5. Medaillon links herab unter dem vierten. Wir
sehen hier den Bischof, wie ihn der hüpfende Tod ans
seiner Kirche zerrt.
Postradales Pastorala
Gdyc Smierc w Taniec isc kazala
Infutac nie nie pomoze
Musisz skoczyc wgiöb nieboze.
Eingebüsst hast du den Bischofstab, als der Tod dir
zum Tanze zu kommen befahl, die Intel thut dir nichts nützen,
in's Grab springen musst du, armer Wicht.
Viereckiges Zwischenbild links: Es bittet der Tod
den Schüler Loyola's, den Dominicaner, den Capuciuer,
den Carthäuser und Bernhardiner zum Tanze aus, rück-
wärts eine kleine Kirche, auf einer kleinen Anhöhe
tanzen der Domherr und Pfarrer mit dem Tode. Darun-
ter die Verse:
Wszak Kanony zakazu %
niechay Xieza nie tancuia
A wyscie Swieci Kaplani
gwaltem wten Taniec z.abrani.
Verbieten doch die Canones, dass Priester nicht tanzen
sollen, und ihr, geweihte Männer, seid mit Gewalt in den Tanz
hineingezogen.
6. Medaillon. Wir sehen den mit einem mit Herme-
lin verbrämten Purpur bekleideten polnischen Fürsten
den Reigen mit dem Tode tanzen.
Niebadz chociaz Xiaze hardy
Z smierciac te skaczesz Galardy
Bo wnet Jasnie Oswiecony
Tytiü twoy bedzie zacmiony.
Sei doch, Fürst, nicht zu stolz, dass du mit dem Tode
die GaiUarde tanzen thust, denn gar bald wird dein durch-
lauchtigster Titel verdunkelt werden.
7. Medaillon. Der mit einer Pelzkrause angetbane
Tod zieht den alten polnischen Grafen vom Armsessel
empor. Darunter:
Darmo sie w spierasz pod boki
Gdy wte z Smierci^ idziesz skoki
Rusz sie s krzesla choz nie raczysz
Gdy te skoezke w Oczach baszysz.
Umsonst stemmst du die Hände in die Seiten, wenn du
mit dem Tode zu springen anhebst. Hebe dich von deinem
Armstuhl, so es dir auch nicht bchagt, wenn du die Tänzerin
Aug in Aug erblickst.
8. Medaillon (links, untere Reihe), es filhrt der Tod
den Edelmann zum Tanze, im Hintergrunde eine Land-
schaft, dabei :
Jako sie twe suche Kosci
Targnely na me wolnosci
Nie pozwalam wt.aniec z toba
Ty mie przecie ciagniesz z soba.
So deine dürren Knochen zu zerren an meiner Freiheit
anfingen, und ich nicht in den Tanz mit dir mag, thust du
mich doch mit dir hinweg ziehen.
9. Medaillon. Hüjifend führt der Tod den Kaufmann
davon, im Hintergründe ein persischer Bazar; dabei:
Pros mie raczey oblawaty
Bo cie widze zes bez szaty
Nagas a mnie, Odzianego
Prowadzisz do Tanca swego.
c*
XX
Bin mich lieber um Seiden zeusre, Jenn ich sehe doch,
dass du ohne Kleider bist, du bist nackt und h;»st mich be-
kleideten in deinen Tanz hinoingetÜhrt.
lU. Medaillon. Mit beiden Händen ergrreift der
tanzende Tod den Bauern, im Ilintcrirrunde ein Gehöft.
y Ty Kmiiitku Spracowany
W smiertelues sie wybral tany
Niepysina D.ama z Uraozem
Tak taüczy iako z Bujraczem.
Auch du, arbeitsuiüdes Bäuerlein. h^st dich auf die
Tanzbahn begeben, die stolzlose Dame tanzt mit dem Ackers-
mann, so wie mit dem reichen Herrn.
11. Medaillon. Der Tod. einen Dejren am breiten
Wehrjcehäuge tragend, fordert den Soldaten und den
Rettier zum Tanze auf. Der Hintergrand ohne Zeichnung,
darunter:
Czemuz to Werdo nie pytasz
Kiedy sie z ta Dama witasz
Xa obu was dekret srogi
Zoldat umrze y ITbogi.
Warum rufst du nicht ,wer da-, wenn du die Dame
grüssest. auf beide auch kommt der strenge Befehl, der Soldat
stirbt wie der Bettler.
Viereckiges Feld rechts. Eine bunte Gruppe, mit
dem Tode tanzende Türken, Perser und Tartaren, voran
links ein Jude, ebenfalls mit dem Tode tanzend: der
Tod trägt ein schwarzes Käppchen. Im Hintergrund
bergige Gegend; dabei:
.Sprosni Turcy. brzydcy zydzi
Jak sie wami Smierc nie liydzi
Ka zydowskie niedba ^^mrody
Z dzikiemi skacze Narody.
Einfältige Türken, schmutzige Juden, wie mit euch der
Tod ohne Ekel umgeht, er achtet nicht jüdischer Gestänke, er
tanzt mit wilden Völkern.
12. und letztes Medaillon: Der Tod tanzt mit einem
weissgekleideten Kinde und mit dem Narren :
Twe y tego Dziecka zarty
Zapieniadz teraz nie warty
Tu to !jek sie wydvrorowac
^eby z Smierci^ nie taücowac.
Deine und des Kindes Scherze sind jetzt keinen Heller
werth, da ist es schwer sich heraus zu eskaraotiren , um mit dem
Tode nicht tanzen za müssen.
Werfen wir noch schliesslich einen Blick auf sämmt-
liche hier besprochene Gruppen, so sehen wir den Tod
fast immer tanzend und nur selten zum Tanze auffor-
dernd, die anderen Figuren aber immer in einer Situation,
die ein Widerstreben, ja bisweilen ein Ringen zeigt. Der
Tod ist durchwegs als Knochenmann dargestellt und
tiägt mitunter einen oder den anderen Gegenstand, der
der anderen Figur gehört, so den Degen des Kriegers,
die Kappe des Xarren etc. Die Gegentiguren sind im
NationalcostUme oder in der Kleidung ihres Ranges,
immer unbedeckten Hauptes dargestellt, die Kopfbe-
deckung und bisweilen noch ein anderes Abzeichen der
AVürde Hegt am Boden, wie die Tiara und das dreifache
Kreuz , die Kaiser- und Königskrone, Sccpter, Reichs-
apfel, Cardinalshut und Krummstab, der Fürstenhut,
beim Kinde die Haube und das Steckenpferd etc. Auf
jedem der medaillouformigen Bilder sehen wir im Hin-
tergrunde ein höllisches Ungethüm die Musik meistens
auf einer Fidel oder einer Clarinette zum letzten Tanze
aufspielen.
Das grosse Mittelhild zeigt neun auf einer Wiese
einen Ringtanz ausführende Paare. Sie sind im Kreise
aufgestellt und es besteht jedes Paar aus dem Kno-
chenmann und einer weiblichen Person. Die Frauen -
gestalten repräsentiren die Kaiserin, Königin. Fürstin,
die Grätin und Kdelfrau, die Bürgersfrau, die Bäuerin,
das Mädchen und den weiblichen Narren. Sehr inte-
ressant sind diese Figuren durch ihre Tracht, sie zeigen
ganz deutlich das Costume zu Ende des XVI. oder zu
Anfang des XVII. Jahrhunderts >. Die Adeligen mit
bunten engen I'nterkleidern und einer Schleppe darüber,
die jedoch nur bei der Kaiserin und Königin herab-
hängt, bei den anderen ist sie hinaufgeschlagen. Die
Kaiserin und Königin tragen Kronen, die Fürsten einen
Fürstenhut. die Gräfin und die eben erwähnten auch
lange Schleier. Als Spielleute sehen wir am unteren
Rande des Bildes einen Fiedler, ihm zur ."^eite der Tod
mit einer Sanduhr (?) den Takt schlagend, und eine
sitzende Figur, bei einer Art Cla^-ier, ihm zur Seite ein
Gerippe, die Noten haltend. In den Ecken des Bildes
ist rechts unten der Sündenfall, oben die Kreuzigung,
dabei zwei kniende weibliche Gestalten . links oben der
offene Himmel mit Gott Vater und ihm zur Rechten
Christus im Kreise der Gerechten, und unten links der
geöffnete Höllenrachen, so eben einige Gerichtete in
seinen Flammenpfuhl aufnehmend.
Die Bedeutung dieses Bildes, erklären folgende
Worte :
Szezesliwy kto z tego Taücu
Odpocznie w Siebieskim Szaiica
Nieszczesny kto z tego Kola
W pieklo wpadlszy biada wola.
Glücklich, der von dem Tanze ausruhet auf des Himmels
Schanze, unglücklich, der, aus dem Reigen in die Hölle gefallen,
„welie I" rufet. ...?//...
Der Taufstein in der Stephanskirche zu Wien.
(Mit 1 Holzschnitt.)
Derselbe steht gegenwärtig in jener der heiligen
Katharina geweihten Capelle, die sich rechts vom süd-
lichen Eingang unter dem grossen Thurai befindet. Der
Taufstein befand sich einstens in INIitte der Kirche hinter
dem Marcusaltare, dann war er in der Blasius- lEligius-i
Capelle aufgestellt. Er ist aus blassrothem starkgeäder-
ten Mai-mor angefertigt und ein höchst beachtenswerthes
Werk aus der Zeit der Spätgothik. Er hat eine Höhe
von 3 Fuss und erreicht am Schalenrande einen Durch-
messer von 2 Fuss 9 Zoll. Der Fuss ist achtseitig und
an vier Seiten mit je einer zwischen vorspringenden
Ecken frei sitzenden Figur, die Evangelisten vorstel-
lend, geziert.
Auf dem Fusse ruhet ein ganz niedriger runder, mit
einem ringförmigen Stabe gezierter Schaft, aus dem sich
heraus die grosse und hohe Wasserschale entwickelt.
Die Schale ist nach aussen vierzehnseitig und in den
Feldern reich mit Figuren geschmückt. Jede Figur steht
in einem viereckigen Rahmen, innerhalb welchem wir
noch ein besonderes Ornament, wie einen gemusterten
Hintergrund, oder einen geschweiften Spitzbogen, einen
Kleeblattbogen etc. sehen. Die stehend ausgeführten
Figuren in Halbrelief stellen vor : den Heiland , die
Apostel, und zwar zunächst Christum. Petrus mit dem
Schlüssel rechts und Johannes mit dem Kelche links,
neben Petrus sehen vnr Andreas mit dem Kreuze etc.
^ Aach nacli der Beschaffenheit der Sprache ond Onhographie dürfte
der polnische Todtenunz ftUB dem Ende des XVI. and Anfang des iLVII. Jahr-
hunderta herrühren.
XXI
In ihrer Zeichnung erinnern
sie lebhaft .in den Apostel-
cyclus von Lucas Kranach.
Am oberen nach aussen
abg'eschräj;ten Rande be-
findet sich folgende In-
schrift :
Ite in Orbem Univer-
sum, et praedicate Evan-
gelium onuii creatnrae, qui
crediderit et baptizatus fue-
rit, salvus erit, qui vero
non crediderit, condnnna-
bitur. Marci ult. cap. Coni-
pletumest lapidis opus an
Dni MCCCCLXXXI.
Dr. Zahn's Jahrbücher
für Kunstwissenschaft.
(Leipzig, Seemanu.J
Mit dem jüngst ausge-
gebenen 4. Hefte wurde
der erste Jahrgang der
Jahrbücher für Kunst-
wissenschaft geschlossen.
Nachdem wir uns vorge-
nommen haben, in unseren
Mittheiluugen auf die be-
deutenderen Werke für
Archäologie und Kunstwissenschaft
■^V? Xä 12 ir« »8 76S1
!~W.F'.
I i
u_
H
aufmerksam zu
machen, so erfüllen Mir bei diesem Buche, das wir schon
in voraus als ein ganz gediegenes bezeichnen, gerne
diese unsere Verpflichtung und wollen dasselbe einer
näheren Würdigung unterziehen. Die Jahrbücher für
Kunstwissenschaft, eine Ergänzung der Zeitschrift für
bildende Kunst, auf die wir uns vorbehalten in einem
folgenden Hefte zurückzukommen, sollen wissenschaft-
liche Forschungen und Materialien vorwiegend für die
mittlere und neuere Geschichte der bildenden Kunst
enthalten. Der erste Band bietet uns in dieser Hinsicht
eine Reihe sehr interessanter Aufsätze. So finden wir
aus der Feder des Herausgebers eine Besprechung der
Dürer-Handschriften im britischen Museum. Es sind dies
vier Bände , die wahrscheinlich einer niederländischen
Sammlung entstammen, davon der erste von Dürer selbst
paginirt ist, die übrigen Bände sind erst später entstan-
den, und enthalten ohne jegliche Ordnung zusammen
gebundene Blätter verschiedenen Inhalts und Formats.
Es war offenbar eine pietätvolle Hand, die auch das
kleinste Stück aus dem Nachlasse des grossen Meisters
erhalten wissen wollte.
Prof. Lübke bespricht die Schweizer Glasmalerei
und zw^ar jene Art derselben, in welcher die Schweiz
alle anderen Kunstgebiete übertrifft. Es sind dies die
Werke der jüngeren Epoche, in welcher von Anfang des
XVI. bis tief in das XVII. Jahrhundert reichend, die bis
dahin fast nur grossartige Bilder vorführende Glas-
malerei zur Kabinetsmalerei wird und, überwiegend
weltlich gesinnt , die Säle der Raths- und Schützen-
häuser, die Versammlungsstuben der Zünfte, das trau-
liche Wohngemach des reichen Patriziers und des wohl-
habenden Büri;ers durch kleine und feiu ausgeführte
Bildchen ausschmückte. Die ersten Meister deutscher
Kunst, Hans Holbein an der Spitze, verschmähten es
nicht, für diese Fenster unter Anwendung der Renais-
sance die lieblichsten Bilder zu componiren. Den Haupt-
gegenstand der Lübke'scheu Betrachtung bildet eine
Reihe trefflicher Scheiben aus dem Anfang des XVI.
Jahrhunderts, die sich im Saale des grossen Raths zu Basel
und offenbar schon ursprünglich dahin bestimmt befinden
und unter denen gar manches dem Hans Holbein, dem Urs
Graf und Nicolaus Manuel zugeschrieben werden kann.
Indem wir die nicht weniger werthvollen Aufsätze von
Waagen über in Spanien vorhandene Gemälde, über das
Testament des Vincenzo Catena von Crowe, über ein
Ölgemälde des Michael Angelo von Grimm, über ein
Au"tograph Albrecht Dürer's von Hausmann und über den
Nürnberger Kartenmaler Micliael Winterberger u. s. w.
übergehen, wollen wir aus den weiteren Heften dieses
empfehlenswerthen Buches nur noch auf Rahn's Besuch
in Ravenna aufmerksam machen, welcher Aufsatz mit
reichhaltigen Illustrationen ausgestattet ist , die mit
künstlerischem Verständuiss und wabrheitstreu aus-
geführt sind.
Ravenna gehört zu jengn Punkten Italiens, die selten
von einzelnen und nienmls vom grossen Strom^ der
Reisenden berührt werden. In ihr bat das V. bis VII.
Jahrhundert eine namhafte Anzahl von Schöpfungen
aus allen Gebieten der bildenden Künste hinterlassen;
während die gleichzeitigen Denkmale zu Rom unter-
i^ingen odei' durch die Neuerungssucht der Gegen-
wart ihren Charakter verloren haben , hat sich dort in
vier wohlerhaltcnen Monumentalgrnppen das Bild der
Kunst während der erwähnten drei Jahrhunderte
rein und ungeschmälert erhalten. Dr. Rahn widmet der
XXII
Entstehung dieser Stadt eine kurze Betrachtung; er
erwähnt, dass Bischof Ursus um das Jahr 4U0 daselbst
eine Kirche gründete, wahrscheinlich eine flinfschitüge
Basilika, die jedoch zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts
einer grossen Kuppelkirche im tüchtigen Barokstyle
Platz machen niusste : nur der hohe runde Glockenthurui
und eine kürzlich entdeckte Krypta sind als ältere
Theile übrig geblieben. Bischof Neo errichtete 426 bis
430 die geräumige und dem heiligen Petrus geweihte
Kirche, die noch heute mit dem Titel des heiligen Fran •
ciscus theilweisc umgebaut fortbesteht.
Wichtiger ist ein zweiter Bau desselben Bischofs,
die noch erhaltene Taufkirche nächst dem Dome. Eine
Fülle von Mosaiken, vielleicht das Beste aus altchrist-
licher Zeit, schmücken Wände und Gewölbe von einer
Farbenpracht gleich den pompejanischen Wandge-
mälden. Die Hauptvorstellung ist natürlich die Taufe
Christi.
Weiters finden wir zu Ravenna die Grabkirche San
Nuzaro. sie ist völlig erhalten und eines der schnmck-
vollsteii Jlonumeute altchristlicher Zeit. Das Innere ist
bei völligem Mangel an architektonischer Gliederung von
unvergleichlicher Wirkung, indem der ganze Schmuck
nur in prachtvollen Mosaiken besteht.
Leider gestattet uns der enge Raum in unserem
Blatte nicht noch weiter auf diese .Schrift einzugehen
und wirmUssen uns damit begnügen, über diesen Aufsatz
so wie über das ganze Buch jedem Freunde der Kunst-
geschichte unsere volle Anerkennung auszusprechen.
. . . »i ; . .
N 0 l i z e n.
Das Ministerium des Unterrichts hat über Vorschlag
der k. k. Central-Commission unterm 17. October d. J.
den Troppauer Gymnasial-Professor Anton Peter zum
k. k. Conservator für den ehemaligen Troppauer-Kreis
ernannt.
Bei der am 6. November abgehaltenen General-
Versammlung des Alterthums-Vereines zu Wien wurde
in Folge des Rucktrittes des bisherigen Präsidenten
Sr. Excellenz Dr. Jos. Alex. Freiherrn von H eifert,
Se. Excellenz Graf Con.stantin Mathias von Wicken-
burg zum Vereinspräsidenten erwählt. Auch sechs
Ausschussstellen wurden neu besetzt uud es wurden
erwählt Dr. Karl Lind, Sr. Excellenz Graf Franz C r e-
neville, k. k. Oberstkämmerer, Se. Excellenz Karl
Freiherr von Ransonnet, Dr. Eduard Freiherr von
Sacken, Prof Jos. Asehbach und kais. Rath Albert
C'amesina. Bei der am selben Abende abgehaltenen
Abendversaminlung hielt Dombaumeister Schmidt
einen Vortrag über die Burg Vajda-Hunyad. Am 4. De-
cember fand der zweite Vereinsabend statt. Zuerst
sprach Dr. Haupt: Über den getreuen Eckart und die
Frau Venus nach der Vilcina-Sage, wo Eckarts Gema-
lin Bolfria heisst, sodann Prof. y. Perger: Über die
ehemaligen Wielands-Säulen in Osterreich.
Theodor S z a j n o k, Photograph in Lemberg hat zum
Andenken an die Feier der Einweihung der von Bild-
hauer P. Filippi und Maler J. Cholewicz restaurirten
Grabdenkmale in der Kirche zu Zolkiew ein photographi-
sches Album herausgegeben. Die sechs Blätter des ersten
Heftes enthalten die äussere Ansicht dieser Kirche, erbaut
in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts, die Ansicht
des dortigen Grabmais für die beiden Zolkiewski, des
Stanislaus (t 1620) und seines Sohnes Johann [j 1623),
femer des iDenkmals der Regina Zolkiewska, der Ge-
mahlin des Stanislaus, der beiden Seiten des Hauptein-
gangs in das Schloss und endlich eine Totalansicht die-
ses grösstentheils zerfallenen Schlosses. Mit dem zwei-
ten ebenfalls sechs Blätter enthaltenden Hefte wird die
Ausgabe dieses Albums, das den Titel führt: zabvtki
zolkiewski, und dem ein kurzer beschreibender und die
Schicksale der Gegenstände erzählender Text aus der
Feder des Dr. St. Kunaziewicz beigegeben wird, ge-
schlossen. Ausser dem eigentlichen Zwecke, Verbreitung
der Kenntniss der historischen und Kunst-Denkmale Ga-
liziens, ist mit dem Unternehmen noch ein weiterer sehr
l()blicher Zweck verbunden. Es wird nämlich ein Theil
der Reineinnahme zur Wiederherstellung von sechs
Grabmalen verwendet, die. in der Gruft der Dominicaner-
kirche zu Lemberg befindlich , ausser geschichtlicher
Bedeutung, auch einigen künstlerischen Wertb haben.
Anlässlich einer jüngst vorgenommenen Restauration
der den Thurm tragenden Vorhalle der St. Peterskirche
in Salzburg, fand man au den beiden Seitenmauern
schöne romanische Doppelfenster. Doch unferliess man
es, die Restauration auf diese durch die im XVII. Jahr-
hundert ausgeführte äusserliche Umgestaltung bis zur
Gegenwart verdeckt gebliebenen Partien der alten
romanischen Kirche auszudehnen, sondern ver- und
Ubermauerte bedauerUcher Weise dieselben neuerdings.
Nachdem von mehreren Seiten die Anfrage gestellt
wurde, wann die von Kaiser Joseph L gestiftete grosse
Glocke, welche sich auf dem grossen Thurme der
St. Stephanskirche befindet, und seit dem Beginne des
Neubaues des Thunnhelmes nicht mehr geläutet wurde,
wieder über Wien erschalleu werde , nahm Dombau-
meister Schnridt im n. ö. Gewerbeverein lam 27. Xov.)
Gelegenheit, hierüber seine Ansichten bekannt zu geben.
Redner erklärt, dass der Thurm in seiner Anlage nie auf
eine so wuclitige 400 Ceutncr wiegende Glocke berechnet
war und früher nur mehrere bedeutend geringer wiegende
Glocken barg, die in der Nähe der jetzigen Tliurm-
wächterwohnung hingen. Der josepliinischen Glocke sei
nebst andern Ursachen ein nicht geringer Aniheil an
der Zerstörung des Thunnhelmes zuzuschreiben, indem
die durch das Läuten und insbesondere durch das erste
Anschlagen derselben entstehenden Schwankungen ganz
beträchtlich waren und namentlich zur Lockerung des
Gebäudes viel beitrugen.
So lange daher nicht mit Wahrscheinlichkeit ange-
nommen werden könne, dass das Bauniateriale seine
volle Fähigkeit und Verbindung erlangt hat, dürfe von
neuerlichem Läuten dieser nach deutschem System laut-
baren Riesenglocke keine Rede sein, wohl aber hofft der
kunstreiche Meister des Restaurationsbaues, dass diese
Glocke aus ihrem ehernen Jlunde die Gläubigen zum
nächsten Weihnachtsleste rufen werde.
nr. Kul Lind.
Druck der k. k. Hof- und 8txals,irsck«T«i in Wien
XXIII
Zwei alte Wehrthürme zu Mals in Tyrol.
Dieses Gebirgslaud war einst mit Webrbauten wie
Übersäet, aber sowolil der Zahn der Zeit als auch der
Leiclitsinu und die Verkehrtheit der neueren Geschmack-
losij;keit rütteln an deren Überresten so f;ewaltig, dass
CS gar sehr noth thnt, darüber noch in letzter Stunde
vor ihrem Untergange zu berichten, damit diese mit-
unter sehr merkwürdigen Baudenkmale nicht gänzlich
vergessen werden. Wir wenden diesmal unser Augen-
merk auf den Marktflecken Mals in Viutschgau, ,.Mals
war die älteste Düngstättc in Vintschgau, im Jlittelalter
wegen der vielen Capellen und Kirchen Septiianum ge-
nannt und wie ein auf den Malserfeldern ausgegrabener
Inschriftenstein, allenthalben aufgefundene Jlünzcn und
ein noch tlicihveise aufrechtstehender antiker Thurm,
„der Fröhlichsthurm" , andeuten, einst eine römi-
sche Ansiedelung. Dieser Thurm steht fast mitten im
Markte, seine schwarzbraune Farbe lässt ihn von weitem
erkennen. Er bildet ein Quadrat , dessen eine Seite
48 Fuss misst und ist von Quadcrsteineu, welche die
Rustica zeigen, erbaut; er erreicht eine Höbe von
50 Fuss. Man kann, wenn die Höhe der Eingangspforte
als Jlassstab angenommen wird, behaupten, dass ein
Drittheil dieses Haudenkmales in Folge einer Uber-
schütiung unter dem Boden sich befinde. Der Eingang,
4 Fuss breit und 7 Fuss hoch, im Halbkreis überwölbt,
befindet sich ungefähr 14 Fuss über dem Boden auf der
Südseite. Man unterscheidet drei Stockwerke durch
Br^tterbödcn geschieden; da aber dessen oberer Tlieil
fehlt, so lässt sich nicht mehr beurtheilen, ob seine Platt-
form auf einem halbkreisförmigen Gewölbe geruht habe.
In jedem Stockwerke befinden sich Schlitze zur Durch-
lassung des Lichtes. Von den 7 Fuss dicken Mauern
stehen noch drei aufrecht, die innere Füllung derselben
ist Gusswerk.
In der Nähe des genannten steht ein anderer runder
Thurm, inmitten weitläufiger Räume eines alten Ge-
bäudes, der einstigen Jfalsburg, nun Fröhlichs-
burg genannt. Ob seit dem Brande v. J. 1499 oder aus
noch früherer Zeit Ruine, ist ungewiss. Eine Urkunde
V. J. 1310 lässt letzteres vermuthen: Otto carinthiae
ducis, Tirolis et Goritiae comitis etc. propfer magna
Servitia de Henrico de Taiver (Täufers ex familia Rei-
chenberg) facultatem concedit construendi castrum unum
in valle venosta in monticulo vel juxta castrum suum
dictum Malsperch, quod ex insperato casu corruit et
diritum est etc. quod feuduni esse debet. Der Grundriss
bildet einen regelmässigen Kreis. Die acht Fuss dicken
Mauern nmschliessen im Erdgeschoss ein Gemach, wel-
ches nun als Stall oder Scheuer dient und wozu der
Eingang in neuerer Zeit ausgebrochen wurde. Er hat
zur Zeit noch eine Höhe von 126 Fuss und einen Durch-
messer von 32 Fuss, um 2 weniger als der gleichfalls
runde Rümerthurm in Castello vecchio in Trient. Er ist
aus Bruchsteinen erbaut, denen mittelst des Hammers
eine cubische Gestalt gegeben wurde. Sie ruhen in
wagrechten Lagerungen übereinander, durch reichlieben
Mörtel verbunden, mit dem nöthigen Wechsel der Stock-
fugen. In etwas mehr als halber Höhe ist die äussere
Mauerflächc durch 24 gleich hohe, länglich viereckige,
oben hallirund überwölbte Öffnungen unterbrochen,
welche sich um den ganzen Umfang in gleichen Zwi-
schenräumen herumziehen. Übrigens ist weder ein Gc-
XIV.
simse noch Fries bemerkbar; hie und da finden sieh in
den einzelnen Stockwerken längliche Schlitze zur Ein-
lassung des Lichtes sowie zur Aussicht. Auf seiner
ganzen gegen Südost gekehrten Seite zeigt er einen
Spalt, der von oben bis zur Hälfte seiner Höhe herab-
reicht. Da das Innere in seinen oberen Theilen unzu-
gänglich ist, so kann nicht angegeben werden, ob seine
Plattform auf einem Gewölbe ruht. Bei guter Beleuch-
tung lässt sich jedoch erkennen, dass dieselbe eine Zin-
nenbekrönung trug. Nach dem Berichte Bosch m a n n' s
fand man an dieser Stelle Ziegel, in welche das Zeichen
XCI eingedrückt war und von welchen Ritter v. Arneth,
Direetcu' des kais. Münz- und Antikeu-Cabinets in Wien
vermufhete, dass es vielleicht Legionsziegel der LEGX
(Gemina Pia?) bezeichne!. Überhaupt ist es auffallend,
dass solche runde Thürme eben an Örtlichkeiten vor-
kommen, deren Ursprung aus der Zeit der römischen
Herrschaft abgeleitet wird, wie z. B. in der verfallenen
Feste Rotund ob Taufers im Münsterthal undinderBurg-
ruine von Tschengels, mit welch beiden der vorerwähnte
von Mals ein Rechteck bildet. Dann der sogenannte ge-
scheibte Thurm bei Bozen, bei Jlarter in Valsugan, in
Trient, oberhalb des Schlosses Trossburg, im Scbloss
Klamm in Oberinnthal und bei Matzen in Ünterinnthal.
Schliesslich ist noch zu bemerken, dass im Mauer-
werk des oben gedachten Trossthurms ein noch ganz gut
erhaltener Balken von Lerchenholz eingemauert sich
findet, dessen Ende ans der Mauer hervorragt. Dies
erinnert an die Bauart gallischer Mauern, wie sie Julius
Cäsar in seinen Jlemoiren über den gallischen Krieg
VII, 23 beschreibt.
Einen von den beiden Thürmen in Mals scheinen
die Vögte daselbst besessen zu haben, da in ihrer Klage
gegen das Bisthum Chur aus dem XIV. Jahrhundert vor-
kommt: Item so sind mir ein Bruch geschehen an meinem
Haus und dem Turren zu Mails, daz ich Hansen meinen
Richter glichen han und mein ist und wirs ctlich die
vor ze Lehen han gehabt s. Th. Keeb.
Der Purgstall von Mösendorf.
(Mit 4 Holzschnitten.)
Es ist in den ..Mittheilungen" schon einmal jener
Meilenstein besprochen worden, welcher zu Mösen-
dorf bei Vocklamarkt in Ober- Österreich im September
des Jahres 1865 gefunden wurde i. Nachträglich sind
von dem Jlaler Herrn Bin mau er in Vocklabruck Er-
hebungen über diesen Fund gemacht worden, die zur
Kenntniss nicht unwichtiger Details über die Fundstätte
selbst führten. Selbe weiteren Kreisen mitzutheilen, ist
der Zweck dieser Zeilen; es sind dabei die Berichte
des genannten Herrn, welche von anschaulichen Zeich-
nungen begleitet waren, benützt worden.
"in der Nähe von Mösendorf findet sich die Parcelle
Nr. 5262, „Purgstall" genannt, ein Hügelgruud, der im
Eigenthum der^Gemeinde steht und dessen vorzügliche
Humuserde von den Bauern zur Verbesserung ihrer
Felder weggeführt zu werden pflegte; nach längerer
BenützungderErdschichtekam man schliesslich an einer
Stelle, die nahezu 15 'A Klafter gegen Norden von der
< Sitzungsberichte d. k. Akademie der Wissenschaften in Wien, 40. Hd.,
S. 32ä.
= Iloffa: das nündnerische Jlünsterthal. Cur lSC-4 C. D. S. öS.
• S. Schmieder in den „Jlilth." 18r;0, p. IX. Vgl. Fundchronilt,
IX. Fortsetzung Nr. 3i Im .\rchiv d. k. Akad. d. W Bd. 3S.
d
XXIV
Fig. 1.
nach Salzburg führenden Poststi-asse [Fig. 1 t) und 11
Klafter gegen Nordwesten von dem Hause Nr. 63 in
Mösendorf y/ abliegt, anf Kalkmörtel und Bruchsteine,
welche gleichfalls von den Bauern zu Reparaturen an
Haus und Stall verwendet wurden.
Die Verwüstung dauerte ziemlich lange fort, so
dass man nicht mehr im Stande ist anzugeben, wie das
Äussere der Bauüberreste ausgesehen haben mag. Erst
die Aufgrabuug des Meilensteines erregte Aufmerksam-
keit in weiteren Kreisen.
Nunmehr sind nur noch die Grundmauern übrig,
deren Configuration aus dem Grundrisse Fig. 1 zu
ersehen ist, welcher nach Vollendung der Abgrabungen
entworfen wurde; die nordwestliche Ecke ist noch nicht
völlig aufgegraben. Der Grundriss zeigt zwei Vierecke,
ein äusseres und ein von diesem umschlossenes inneres,
beide von fast gleicher Mauerstärke, indem die Grund-
mauer des äusseren faaanj sechs, jene des inneren (ccj
fast fünf Fuss mächtig ist. Das äussere Viereck hat
eine rechteckige Gestalt von 15'', Klafter Breite und
19 Klafter Länge: das innere eine quadratische von je
9 Klafter in die Länge und Breite, so dass die äussere
Mauer im Lichten einen Flächenraum von 221 Klafter
t'ihj umfasst. von welchem ein Quadrat von etwas über
49 Klafter Flächenraum im Lichten durch die innere
Mauer abgeschlossen ist. Beide Fundameutmauern be-
stehen ans meist zubehauenen Bruchsteinen von grobem
Sandstein und schünem Tulf.stein. verbunden mit einem
Mörtel, welcher zwar keine Marmorstückchen, wohl aber
hie und da Ziegelstücke eingemengt enthält.
Innerhalb und ausserhalb der Mauer aaa fand
man an verschiedenen Stellen /'eeej Thierknochen und
römische Münzen, von denen einige von Kaiser Clau-
dius L (t 54 ), andere von M. Aurelius (t 180) herrühren,
endlich viele Hufeisen.
Innerhalb der Mauern cc stiess man bei d auf den
genannten Meilenstein. DerText desselben darf nach
den mehrfachen Veroftentlichungen als bekannt voraus-
gesetzt werden ^ und es genügt zu bemerken, dass er
- Zo bemerken ist nur. dafs nach der sehr genauen und schonen Zeich-
noDg dej Herrn blumauerinZetIe6 auf T , der Name AntooJDUS nicht AN-
TOMn-VS sondern ANTO.M-XVS abietneilt ist; t^i .\ug»be der Schritlezahl
»tebt In der That nicht das gebräuchliche M. P XXXI, tondera nur MXXXI
unter K. Septimius Sevenis und Caracalla — der Name
Geta's ist ausgetilgt — im J. 194 errichtet wurde, unter
Oberleitung des Lcgatus pro praetore Marcus Juventius
Öurus Proculus; von Jnvavum bis zum Aufstellungsort
gibt er eine Entfernnog von 31 Tausend römischen
Schritten (6' j deutsche Meilen'i an. Den Namen der Stadt
schreibt er Juvao 1 1 WAO), wahrscheinlich ein Versehen
des Steinmetzen, der die beiden V nnrichtig nebenein-
ander stellte, so dass IVVAO statt IVAVU entstand.
Unter der letzteren Form t^IVAVO") erscheint der Name
auch auf der Tabula =.
Endlich fanden sich neben dem Fundort des Meilen-
steines, etwa in der Mitte der nördlichen Wand des
inneren Viereckes eine Cisterne 'fj und in derselben
noch folgende Gegenstände, welche absichtlich in die-
selbe geworfen worden sein müssen, ein Umstand, der
auf eine völlige Zerstörung des Werkes durch Barbaren-
hand hindeutet ».
1. Inschrifttafel von Sandstein, 2' lang, die
Höhe unbestimmt, in mehre Theilc zerbrochen. Die In-
schrift in 3'/, ■ hohen, sehr schönen, gut erhaltenen
Lettern aus der zweiten Hälfte des II. oder der ersten
des ni. Jahrhunderts lautet, soweit sie erhalten ist:
SVMELI (Bruch) EDILI
COBKVV ,. fehlt
\\V
Aus Eotenmann in Steiermark bringt Gruter (851,7)
den von Lazius schon mitgetheilten Test einer Grab-
schrift, in welcher ein Sumelonius Secundinus genannt
wird; ohne Zweifel gehört der Name Snmelius auf
unserem Steine dem Ursprünge nach in eine Reihe mit
Sumelonius und ist als norischer oder als keltischer an-
zuseilen. Auch der Anfang der zweiten Zeile ist ohne
Zweifel von einem Namen gebildet worden, der keltisch
anklingt : Cobruv . . . Leider ist der Stein gebrochen,
so dass die Fortsetzung nicht erhalten blieb. Es läge
am nächsten, den keltischen Namen mit Cobruvoniar
(Cobrvvomar) zu ergänzen, da rersonennainon mit der
Endung -mar häufig in den innerösterreichischen Län-
dern vorkommen, wie: Assedomar, Atemar, AuL-tomar,
Brogimar, Condomar, Covidoniiar, Jantumar, Lcucimara,
Mogimar, Nertomar, Nuomar, Uesiniar , Trogimar
u. s. w. '. Wie dem aber auch sei, mit einiger Sicherheit
lässt sich nur folgern, dass der Name Snmelius und das
Bruchstück des Wortes am Ende der ersten Zeile (ai edilis
zusammen gehören , ein Resultat , welches bezeugt,
dass schon in verhältnissniässig so früher Zeit ein No-
riker zur Adilität gelangte. Freilich fehlt jeder Anhalts-
punkt zur Beurtheilung, ob er diese Stufe in einem Ge-
meindewesen oder blos in irgend einer Körperschaft
verwaltet habe, wie z. B. ein Inschriftstein aus dem
alten Laureacum einen Ädil des coilcgiuni juvenum
nennt «. Die Bedeutung der Adilität ist je nach dem
Ressort der Amtsgeschäfte selbstverständlich sehr ver-
schieden gewesen und würde im ersteren Falle um
vieles grösser als im letzteren sein.
2. Bruchstück eines sehr verwitterten Steines von
20 ' Länge und 19 Breite mit einem Relief, von wel-
' Die Herleitung des Xamena s. bei J. Bergmann. 3Iittb. der k. k.
Cent.-Corara. VIII (l.««3) S. 79.
* .\uch bei Klein-Schwechat nächst Wien fand man in den J. 1S4.3 und
]M4 fünf römische Meilenstein« in einem ausgemauerten Brunnen. J. G. Se id 1.
Chronik der archaeol. Funde in Schmidl's Blattern f. Lii. u. Kunst. Srparal-
abdr. S 7.
' Fr. Piehler, Kepertor. d. steierischen Münzkunde I iH t.
* Gaisbcrgerim Aiusealbericht dia Francisco-Caroliuum VIII. S. 9 f.
XXV
ri^^ 2.
clieni der Oberleib einer unbekleideten weiblielien Figur
iNyniplie?'), Fig. 2, von vorn gesellen, ivcnntlich ist; sie
liiilt den rechten Arm (?) vor sicTi; zu iin'er Linken
erscheint nur mehr
der linke Arm einer
zweiten ihr zugewen-
deten Figur, welche
ihre rechte Hand in
jene der ersteren zu
legen seheint. Der
Stein ist obenhin von
einem Rundstab bc-
siiunit, so dass der
obere Contour das
Ansehen eines um-
gestülpten Get'äss-
randes hat. Auch ist
der Stein ziemlich
dünn und nach nnteu hin ausgebaucht, wie das
Wandstück eines grossen Getasses, das uiit Reliefs ge-
schmückt gewesen wäre; ohne Zweifel hat er als Brun-
neneinfassung gedient. Das Vorhandene aber reicht nicht
aus, um den Sinn der bildlichen Darstellung und die Be-
schaffenheit der Arbeit zu beurtheilen.
ij. Fragment eines rohen Steines mit einem Ge-
simse, das aus einem doppelten Rnndstab besteht und
möglicher Weise, wie es nach der Zeichnung scheint,
aucli zu der Brunneneinfassung gehörte.
4. Würfel aus Stein, einen Fuss lang, breit und
hoch mit einer kreisrunden Vertiefung, die etwa einen
halben Fuss im Durchmesser hält und sieben Zoll tief
ist. Er wurde von einem Bauer derart in die Wand
seines Ochsenstalles eingemauert, dass die l\Iündung
gegen vorn gekehrt ist, um als Nische zur Aufnahme
einer Lampe zu dienen.
Ausser diesen Objecteu fand sich noch ein Fen-
sterstock aus Stein mit eisernen Spitzen in die Steine
der Jlauer versenkt und mit Re-
sten eines eisernen Fenster-
kreuzes; endlich kamen ausser-
halb der Cisterne an verschie-
denen Stellen der Fundstelle
viele i'innenförmige Ziegel und
verschiedene Gesimsstücke aus
gebranntem Thon zu Tage
{F\g. .3"), dergleichen wahrschein-
lich zu aichitcktonischer Form-
gebung benutzt waren. Dagegen
zeigten sieh Ziegel mit dem
Stämpel einer Legion oder einer
Truii])enabtheilung nicht; nur
anf einem offenbar mittelalterlichen Ziegel erkannte man
ein erhaben ausgepresstes Ilandwerkszeichen (Fig. 4).
In der Umgebung der Fundstätte hat man
(yi 1 verschiedene Objecte aus Bronze, namentlich
-I P Fibeln ausgegraben, deren eine ziemlich grosse
[jj [>|\ vor einigen Jahren in einem Thongefässe ge-
j p PI / fanden wurde, welches bei der Aufgrabung zu
[}\j\S Gnmde ging.
Dies ist bisher die Ausbeute an Fund-
" ■ objecten im ,,Purgstall-' gewesen; sie ist keines-
wegs entsprechend den Erwartungen, die man an die
Aufgrabung knüpfen dni-fte. Doch wird dies nicht be-
fremden, wenn man bedenkt, wie lange im Stillen die
Zerstörung 'thätig war, ja es ist noch als ein günstiger
Zufall zu betrachten, dass die letzten Spuren vor ihrem
gänzlichen Verschwinden der Beobachtung und Auf-
zeichnung nicht entgangen sind.
Es lässt sich leicht erkennen, dass die Fundstelle
auch im Mittelalter noch zu irgend einem Zwecke benützt
worden sei; namentlich müssen der Ziegel mit dem
gothischen Ilandwerkszeichen und der Fensterstock
als Beweis dafür angesehen werden. Von den übrigen
in der That römischen Fundobjecten können nur die
Grundmauern , der Meilenstein und die Cisterne als
Fingerzeige für die Beurtheilung des Zweckes, welchem
das hier errichtete Gebäude gedient haben mag, benützt
werden.
Was die ersteren betrifft, sodeutensic ohne Zweifel
auf einen kleineren römischen Befestigungsbau hin.
Dieser bestand aus einem quadratischen Hauptbau mit
fünf Fuss starken ]\[auern, der von einer äusseren Um-
fassungsmauer von sechs Fuss Stärke umgeben war;
um letztere hat sich der Graben herumgezogen. Eine
Unterbrechung der ^lauern, aus welcher auf eine Thür-
Öffnung geschlnssen werden könnte, hat sich nirgends
gezeigt. Auch über die Höhe der Mauern lässt sieh eine
Vermuthung nicht aufstellen ; denn die Angabe dass
viele Bruchsteine von den Bauern zur Restauration ihrer
Häuser und Ställe benützt worden seien, ist zu unbe-
stimmt, um einen Schluss aus ihr ziehen zu können.
Das ^'orhandensein der Cisterne gibt einen Fingerzeig
dafür , dass der Bau eingerichtet war , eine länger
dauernde Belagerung auszuhalten , ohne des Trink-
wassers zu entliehren.
Ebenso haben sich im Odenwalde zwei Castelle
bei Wirzberg und zwischen Litzelbacli und Seckmauern
gefunden", die freilich grösser als der Purgstall von
Mösendorf sind, in deren jedem sich aber gleichfalls ein
Ziehbrunnen fand , bei ersterem in der Glitte, bei letz-
terem fast in der l\Iitte. Sowie bei diesen die grössere
Entfernunji' eines lebendigen Wassers, welches hätte be-
nützt werden können, der Grund zur Anlage der Cisterne
im Innern gewesen ist, so war ähnliches auch bei unse-
rem Castelle der Fall; die Veckla steht zu weit gegen
^'orden von dem Purgstall ab, um ihn mit dem nöthigen
Wasser zu versehen.
Die eigenthümlichste Erscheinung ist das Vorhan-
densein eines Jleilenstcines im Innern des Hau]itbaues.
Es ist völlig unwahrscheinlich, dass er in späterer Zeit,
etwa im Mittelalter von einer anderen Stelle hierher
versetzt worden sei. Da man für jene Zeit ein wissen-
schaftliches Interesse nicht als Motiv annehmen kann,
das in diesem Falle den Transport bewirkt haben
könnte, so hätte irgend eine Benützung zu baulichen
Zwecken die Ursache davon sein müssen. Allein der
Stein trägt hievon keine Spur: die Inschrift ist nur im
Anfange beschädigt, sonst vollkommen gut erhalten; das
Denkmal selbst, nur am oberen Theile unregelmässig
gebrochen , zeigt keinerlei Verletzung der Oberfläche,
die doch erkennbar sein müsste, wenn der Stein später-
hin irgend eine bauliche Function zu verrichten gehabt
hätte s. Dagegen enthält die Distanzangabe, welche von
Juvavum (Salzburg) aus gerechnet, auf 31 millia pas-
' Knapp. Römische Denkmale fies Odenwaldes. S. 44 und 61.
^ Ein Jleilenstein , der in der Xüchbarscliaft von Mösendorf, tei Sen-
walclien, nahe am .\ttersee gefunden und in einer Papiermühle zu Schondorf
als Stütze ver«endet wurde, hat die Inschrift ganz eiaijebüsst. Gaisberger,
Liuzer Muscalljcricht 1Sj3, S. 27 (nr. 16.)
(I*
XXVI
snnm angegeben wird, eine merkliche Differenz gegen
die Angaben der Tabula und des Itinerars. Nach erste-
rcr beträgt die Entfernung zwischen Juva\Tim und La-
ciacuni (Frankenmarkt) 27, nach dem Itiuerarium Auio-
nini 28 millia. So sehreihen die meisten Codices des
letzteren an drei Stellen i^Wess. ji. 235. 256, 258); nur
drei Codices bringen die Zahl XXVIIII ». Da der Fund-
ort Möscndorf zwei millia p. von Frankenmarkt (^Lacia-
cum) östlich abliegt, so beträgt seine Eutferuung von
Juvnvum nach dem Wegmass der Tabula •Ji'. nach jenem
des Itinerars :iO millia. Die Differenz der ebengenanuteu
Angaben und jener des Meilensteines beträgt also im
erstercn Falle zwei , im letzteren eine römische Meile.
Doch ist CS nicht schwer zu beurtheilen, welche dieser
Angaben die richtigere ist, da von der Strecke Juvavum-
Laciacum t^Salzburg-Frankeumarkt) noch ein zweiter
gleichfalls unter Kaiser Septimius Severus (^im J. 195)
errichteter Meilenstein bekannt ist. der zn Altentann bei
Hühendorf (Henndort'i in der Xähe des Walchersees ge-
funden wurde und die Entfernung von Juvavum auf
XI millia angibt.
Misst man nun sorgfältig die übrigen Distanzen
von Höhendorf bis Fraukeumarkt in der Kichtuug der
Reichsstrasse ab, so liegt Strasswalchen von Höheudorf
acht römische (1= i deutsche) Meilen, dieses wieder von
Frankenmarkt zehn römische (2 deutsche) Meilen ent-
fernt: die Distanz zwisthen Salzburg und i rankenmarkt
beträgt also: 11 + 8 -f 10, d. i. 29 römische Meilen;
dazu kommt noch die Entfernung des Fundortes unseres
Meilensteines von Frankenmarkt (zwei römische MeUen),
so dass die Gesammtsumme von 31 Meilen, welche der
Meilenstein angibt, als die richtige gelten muss. Im
Itinerarinm Antonini, das um 211 — 217 der Hauptsache
nach entstanden ist, wird demnach die Lesung, welche
einige Codices bewahrt haben: XXVIIU statt XXMII,
vorgezogen werden müssen, während iu der tabula ein
Fehler unterlauft. Da nun die Distanzangabe derselbeu
von 32 millia zwischen Üvilia - Tergolape-Laciacis
(^*els-Schwannenstadt- Frankenmarkt) mit der au drei
Stellen in allen Codices des Itiuerariums überlieferten
Angabe völlig übereinstimmt, so kann der Fehler nicht
wohl auf dieser Strecke gesucht werden, sondern nmss
thatsächlich in einer der beiden Distanzen Laciacis-
Tarnantone oder Tarnantone-Jvavo enthalten sein: es
müsste also an der ersteren entweder statt XIIII, XVI
oder in der letzteren statt XIII, XV stehen, wenn nnr
eine der beiden Angaben gefehh ist; sind beide
unrichtig, so müsste die erstere statt XIIII, XV, die
letztere statt XIII, XIIII lauten.
Vi'ie dem aber auch sei, wir gewinnen aus der Ver-
gleichung der Entfernungen das Kesultat, dass die An-
gabe des Meilenstemes i^XXXI m. p.j mit der thatsäch-
licheu Entfernung seines Fundortes von Juvavum genau
übereinstimmt und können daraus wieder folgern, dass
das Denkmal an dem ursprünglichen Aufstellungsorte,
oder doch nur in sehr geringer Entfernung von dem-
selben aufgefunden wurde.
Die Aufstellung eines Meilensteines innerhalb der
Mauern eines Befestigungsbaues ist, wie gesagt, durch-
aus eigeuihümlich, und soviel wir wissen, etwas neues,
wozu es keine analogen Fälle gibt; alleraings lässt sich
denken, dass man bei Auftinduug von Meilensteinen in
älterer Zeit die nähere Umgebung der Fundstelle nicht
' Itiae.-ir. v. Pinhey und Pinder tu Wess. p. 233, 4 und p. 2J6,
erforscht habe, oder dass analoge Symptome schon so
zerstört waren, dass man sie nicht ünehr wahrnehmen
konnte ; jedenfalls wird der Versuch, diese Erscheinung
iu uuserem Falle zu erklären, die Grenzen einer Ver-
muthung nicüt überschreiten.
Es hat also als eine solche zu gelten, wenn wir
die Ansicht aussprechen, dass das Vorhandensein des
Meilensteines in dem ,.Purgstall- auf eine nähere Be-
ziehung des letzteren zur Keichsstra^se hindeute und
dass derselbe eine befestigte mu tat io gewesen sei,
eine Haltestelle der römischen Reichspost , in welcher
die Pferde gewechselt wurden, womit, wenn man gerade
ein Gewicht darauf legen will, auch die AufHndnug
vieler Hufeisen verbunden werden kann.
Allerdings scheint dagegen der Umstand zu spre-
chen, dass üer Fundort nur zwei millia passuum von
Frankenmarkt entfernt sei, welches als Laciaco oder
Laciacis im Itinerar und auf der Tabula genannt \vird,
mithin als eine mansio oder mutatio zu gelten hat; dem-
nach war es nicht wahrscheinlich, dass man zwei millia
davon entfernt (48 Minuten Weges! abemials eine
mutatio eingerichtet habe. Allein gerade diese geringe
Entfernung spricht für unsere Ansicht: nicht als eine
selbstäudige Foststation, sondern als die zu Laciacum
gehörige Station für den Pferdewechsel muss der Purg-
stall aufgclasst werden, sowie er in strategischem Sinne
als ein \ orwerk des Castelles von Laciacum zu gelten
hat. Die Gründe dafür sind folgende :
Die Tabula, welche die Distanzen des Itinerarium,
mit denen sie im Ganzen übereinstimmt, detaillirt. lässt
auf der norischen Route ein Mass von acht millia so
consequent wiederkehren, dass man versucht ist, anzu-
nehmen , es sei dieses die Einheit für die Bemessung
der Stationen gewesen i» ; je nach der Beschaffenheit
des Terrains verringert sich dasselbe allerdings auf
sieben oder erhöht sich auf neun, der Durchschnitt aber
zeigt das in Mehrheit vorkommende Mass von acht
millia. Zwei solche Einheiten, 14 bis 16, höchstens 18 mill.
(d. i. 275 bis 31/5 und 3= 5 deutsche Meilen! mögen im
Sinne der heutigen Bezeichnung „Posten'' die Strecken
darstellen, au üereu Ende ein Pferdewechsel stattfand.
Zwischen Laureaeum und Ovilaba beträgt die Ent-
fernung 26 millia, d. i. drei solche Einheiten (1 zu 8,
2 zu 9 Millia i; zwischen Onlaba und Laciacum zählen
Itinerar und Tabula 32, d. i. vier Einheiten zu acht
millia, endlich zmschen Laciacum und Juvavum, wie
wir gesehen haben, 29 millia. Dabei sind die gerade
bei Laciacum zusammentreffenden Distanzen sehr un-
gleich. Jene von Tergolape (Schwannenstadfi bis La-
ciacum (Frankenmarkt) beträgt 18 millia, die von hier
weiter nach Taruanto (bei Thalheim) gehende 14. beide
zusammen 32 millia. Genau in der Mitte liegt der Purgstall
vouMösendorf, der von beiden Orten 16 millia entfernt ist,
während Laciacum um zwei millia näher gegen Salzburg
zu liegt. Es war daher eine Erleichterung des Postdieu-
stes und zugleich übereinstimmend mit dem Normale der
Distanzen, den Pferdewechsel zwei millia unterhalb La-
ciacum anzulegen und in die kleine Festung zu versetzen,
ilie an der Stelle des Pnrgstalles stand, mit andern Wor-
'• Sie rechnet zwischen Yindobona und Cetium ^Zeiselmauer) VI iver-
^chrieben »tau XYlj, von Cetium n.Ach Comniagcna VII, von liier nachPirua
t-r[Ua VIII. Ton hier nach Trlgisaiiium VIU. von hier naoh Namare Xi^VI,
dann von Namare wieder nach Arelate VII, v,>n hier nacn Pons Uis \1H,
Von hier nach Klegio XXIII. vr.u hier endlich nach „Blaboriciacum" \1H mp
alto unter neun Angaben sechs Distlozen, {eiue doppelte zu Iti. vier eiufacl,c
ZU acht und eine einfache zu bieten millia, .
XXVII
teil, die mntatio L^ciacum befand sieh zwei millia ausser-
lialb des Ortes ". Ein jinnz analoi;er Fall tiiulet sicli im
Tullneii'elde. Ohne Zweifel bestand an der Mündung
des Perschlingbaehes ein römischer Posten zur Ver-
bindung; von Coniniagena (Tulln) undTrigisanium (Trais-
niaucr), zugleich zum Schutze des tief in das Gebirge
zurückreichenden Perschlingthales. Da die Perschling
grosse Krümmungen macht und der Name Pirus tortus
darauf hindeutet, hält man mit Iteeht diesen Posten der
Tabula für ein an der Perschlingmündung errichtetes
Castell. Nun erscheinen anf der Tabula die Distanzen im
Tullnerfelde so vertheilt, dass von Cetium (^Zciselmaucr)
bis Comma^ena, von hier bis Pirus tortus, von hier
wieder bis Trigisamum je acht millia angegeben werden.
Der achte I\Ieilenstein von Commagena aufwärts tritft
aber nicht auf die Pcrschlingmüudung, die nur fünf
millia entfernt ist, sondern auf das drei millia weiter
aufwärts gelegene Dürrenrohr, das aber in dem um-
liegenden Terrain gar kein Merkmal darbietet, um auch
nur mit einiger Wahrscheinlichkeit die Errichtung eines
Casteiles dort annehmen zu können, während im Oegen-
theile an derMünduug der PersehHng diese Bedingungen
vorhanden waren. Da nun, wie eben gesagt, die Distan-
zen im Tulluerfelde auf je acht millia auskommen, so
kann nicht wohl daran gedacht werden, dass die Meilen-
zahl bei „Piro torto" entstellt sei und ursprünglich V
statt YIII gelautet habe. Es muss also einerseits an-
genommen werden, dass die letztere Zahl die richtige
sei, anderseits, dass der Posten Pirus tortus in der
That an der Mündung der Perschling gestanden habe.
Daraus folgt wieder, dass Castell und mntatio dieses
Namens nicht an demselben Punkte lagen, sondern die
letztere in einem drei millia weiter aufwärts errichteten
kleinen Vorwerke angelegt war. Etwas ganz ähnliches
scheint nun auch mit der nnitatio von Laciacuni der Fall
gewesen zu sein, nur betrug die Entfernung derselben
vom Orte zwei millia.
Zum Schlüsse muss noch bemerkt werden, dass
die Zählung der Schritte auf dem Meilensteine von
Jnvavum ausgeht, ein Umstand, welcher darauf hindeutet,
dass die mntatio von Laciacum, und also auch dieser
Ort noch zu dem Geriehtsbanne der civitas Juvavum
gehörte, natürlich nur in Civil- nicht in Militärangele-
geuheiten. Für letztere war der Legat von Oberpauno-
niendie massgebende Persönlichkeit, da ihm als solchem,
wie wir an einem andern Ort nachzuweisen versucht
haben, auch das norische Uferland unterstand. In dieser
Stellung fungirte zur Zeit der Errichtung unseres Meilen-
steines M.JuventiusProculusSurus, der auch auf anderen
Meilensteinen in Oberösterreich, Kärnthen n und im Salz-
burgischen als Legat und als Leiter des Strassenbaues
erscheint i=. Die Herstellung der Strasse selbst muss
noch zu den indirecten Folgen der Markomanuenkriege
gerechnet werden; in demselben mag manche Strasseu-
strecke zerstört worden, vielleicht auch schon von früher
her, und unter der Regiei'ung des K. Conimodus vernach-
lässigt worden sein. K. Septimius Severus, der seiner
Zeit selbst Legat in Pannonieu gewesen war und den
Zustand des Landes aus eigener Anschauung gekannt
haben mag, stellte es, auf "den Thron gelangt," wieder
" Diese Annahme würde für die ganze Reise von Juvavum naoh Ovi-
laba das Resultat erseljen, dass die muraiiones in folgender Art angelegt
waren: Juvavum.Tanianlo am 1-1.(15.). Tarnanto-J.aciacum am IC, Laciacum-
Tergolape am IG., Tergulape-Ovilaba am 14. Meilenstein; darnach «äre die
mutaiio ven Tarnauto eine, jene von Laciacum zwei millia ausserhall) der
genannten Orte gelegen gewesen.
in völligen Vertheidigungszustand durch Erneuerung der
Castelle und umfassende Ausbesserung der Brücken und
Strassen, wovon wir mauuichfachc Spuren sowohl in
Pannouien als Noricum linden 'a. Dr. Kenner.
Beschreibung eines alten mit Miniaturen reich aus-
gestatteten (iebetbuches in der Gyranasial-Bibliothek
zu Bozen.
Dieses Buch gehört zu jenen AVerken, welche der
k. k. Ingenieur Georg Eberle von Bozen im Jahre 1858
der genuuuteu Bibliothek legatarisch vermachte. Es
hat gewöhnliches Duodez-Format, ist in schwarzen
Sammt gebunden und mit Goldschnitt geschmückt. Die
zierliche Schliesse bietet einzelne Formen, welche noch
an die gothische Periode erinnern. Öflhet man das Buch,
das aus dem Ende des XVL Jahrhunderts staimnen mag,
so erscheint auf dem ersten Blatte ein grösseres Wappen-
schild, mit drei Figuren, welche ILolbmondeu ähnlich
sind; auf den vier Ecken der das Ganze einfassenden
Umrahmung, welche von zwei Sänichen und einem dar-
über gesiiauuten gedrückten Kundbogeu gebildet wird,
sieht mau noch vier andere einfache Wappenschilde an-
gebracht. Zwei von diesen haben denselben Schmuck
wie der erwähnte Hauptschild in der Mitte des Blattes;
von den übrigen ist das eine schwai-z und weiss, das
andere hat überdies noch grüne und silberne Felder.
Das zweite und wirlUiche Titelblatt zeigt einen auf
einem Betschemel knieendeu und lesenden Bischof in
schwarzem, reich umtiiessendem Talare, der weite Ärmel
hat. Das Buch mit hoehrothem Einbände liegt auf einem
himmelblauen Ivisseu, das in Kreuzesform abgenäht ist.
Die daran betindlicheu (Quasten sind blau und in Gold
gefasst. Der Betstuhl hat eine läugÜLh viereckige Form
ohne eine weitere Verzierung als dass an der dem
Beschauer zugekehrten Schmalseite ein reich verziertes
Wappen mit zwei Turnierhelmen und einem Fähnlein
angeüracht ist; der eigentliche Schild dieses Wappens
zerfällt in vier Felder, von denen zwei roth, zwei weiss
mit Hirtenstäbeu geziert sind. Die Inful steht auf der
Mensa des vor dem Betenden beündlichen Altars. Dieser
Allartiseh erhebt sich nur über einer Stufe und ist mit
einem weissen, weit herabHiesseudeu Tuche bedeckt.
Unten schHesseu dieses ringsum Fransen ab, welche
breiten netztörmigen Versehlingungen einer Schnur
entspringen. Den Aufbau über dem Akartisch bildet ein
einfacherFlügelaltar, der bloss aus einer Nische mit Chri-
stus am Kreuze besteht. Der Hintergrund des Kastens, so
wie der Innenseite der Flügel ist einfach blau gehaUen. Den
bereits halbkreisförmigen Abschluss beleben zahlreiche
Krabben. Die drei Leuchter haben schon einen ziemlich
hohen Schaft, welcher durch zwei Knäufe unterbrochen
wird. Im llücken und zur Hechten des Betenden befin-
den sich Chor- oder Lehnstühle in höchst einfachem
Style der Fiüh-Kenaissance. Das Ganze überdeckt ein
Gewölbe, welches von leichten Bündelsäulen getragen
wird. Die Fenster theilen wagrecht eingesetzte Balken
in mehrere Felder. Die Umrahmung dieses zierlichen
Titelgemäldes bilden zwei Silulen mit einem darüber
schwebenden guirlandenartigeu Bogen.
Das zweite Gemälde stellt die allerheiligste Drei-
fahigkeit dar. Es sind drei einander sehr ähnlieh ge-
haltene menschliehe Gestalten über Wolken auf einem
^- Zeichnung und Schnitt der beigegebenen Illustratifinen von Schmidt.
XXVIII
nml ilcni-L-lbcn gepolsterten Tliione rulieiul neben ein-
antier hingemalt. Selbst bezUglieh des Gesiehts-Ans-
ilruckes sind sie alle drei einander ziemlieb äbnlieb. Sie
trnjren stliarlaelirotbe Mäntel . an denen sowobl die
I.ieliter als ancli die L'nisänniun;.' mit Gold ireniaelit ist.
Ilir Unterkleid bestellt ans einem violetten Talare. Die
vollen Bäne sind Jeiebt brann, fast blond, die äbnlieb
.irefiirbten Kopfliaare lang. Von den scbmalen Kronen-
reiten, weklic sie tragen, erbelten sieh je zwei Bogen
mit Krabben vurziert nnd vereinen sich dann in einem
stumpfen spitzen Winkel. Die in der Jlitte befindliehe
fiestalt. ohne Zweifel Gott Vater Torstellend, sehaut
::erade vor sieh hin, die zwei anderen wenden ihren
Hliek anf jene bin. Alle drei erbeben sanft die Rechte
zum Segnen und halten in der Linken die Weltkugel in
Form des deutschen Reichsapfels. Vor ihnen knien zur
Rechten mehrere Engel, die Hände zur Anbetung ge-
faltet. Sie sind in Alben und langen mehrfarbigen Le-
vitenröeken- mit Fransen gekleidet: in den Wolken
schweben Engelköpfe mit grünen Flügeln und darüber
spannt sich eine rechtwinklig gestellte Decke von blauer
Farbe als schirmender Baldachin. Die Umrahmung bilden
zwei fast zopfig nnd willkürlich abgegliederte Säulen.
Nun beginnt der Text, dessen erste Abtlieilnng sich
auf Gebete znmaeeessus et recessus altaris bezieht. Die
Anfangsbuchstaben der einzelnen Verse sind abwechselnd
blau nnd roth, bei den Gebeten nnd in ungebundener
Sprache durchaus roth.
Drittes Gemälde. Die zweite Abtlieilnng des Buches
enthält die Busspsalmen mit einer kurzen eigentbUm-
lichen Allerheiligen-Litanei nnd mehreren kleineu Ge-
beten. Als Titell)ild erscheint König Da\id im Freien,
am Ufer eines Sees oder Flusses in knieender (beten-
der"^ Steilling. Sein goldenes mantelartiges Oberkleid
bat weite Ärmel und den H.als nmgibt ein branner Pelz,
über welchen eine goldene Kette hängt. Die Kopfhaare
sind leicht brann und etwas lang, der Bart von etwas
kürzerem Wachse, aber ganz voll. Rechts vor ihm liegen
Harte, Scepter und Krone: letztere ist ein einfacher
Reifen mit längeren spitzigen Zähnen am oberen Rande.
David blickt gegen Himmel, wo Gott Vater segnend nnd
in derselben Gestalt wie im ersten Gemälde abgebildet
ist. Das steil aufsteigende linke Ufer zeigt Felsen mit
dichtem Graswuchse und zu oberst ein Schloss, das aus
einem grösseren Gebäude mit steilem Dache, einem
niederen Nebengebände und einem runden Thurme
mit knppelartiger Bedachung besteht. Das Firmament
ist tief blau gemalt.
Die erste Seite des folgenden Blattes bat wieder
eine zierliehe und geschmackvolle Randeinfassung, dies-
mal landsehaftartig. Man sieht einen Flu.ss, über den
links am Rande eine hölzerne Brücke führt, zu einem
hohen viereckigen Schlossthurm aus Hausteinen in Re-
naissaneeform: er ist durch Gesimse in mehrere Stock-
werke abgetheilt. Ans einem der oberen Stockwerke
neigt sich David in seinem vollen königlichen Ornate,
mit der Krone auf dem Hau]ite. ziemlich stark hervor
und spielt anf der Harfe. Am untersten Rande des
Bialtes unter dem Text hin sind drei Personen darge-
stellt (zwei weibliehe und eine männliche), welche sich
die FUsse waschen; ohne Zweifel Urias' Weib mit ihrer
Dienerschaft.
Das vierte Gemälde enthält Christum am Kreuze
mit .Maria und Johannes. Christus hat die .\nnc beinahe
wagercchl ausgestreckt, vennuthlich weil er als nocli
lebend gedacht werden soll; er ist ferner mit der Dor-
nenkrone, einer schmalen Binde um die Lenden und mit
drei Nägeln angeheftet dargestellt. Das Hanjit um;;ilit
ein zarter Heiligenschein mit vielen goldenen .strahlen.
Den Blick hat Jesus zu seiner Muiter hingewendet,
welche zu seiner Rechten steht, in etwas gebückter
Stellung mit über die Brust gekreuzten Händen, traurig
vor sich gerichteten Blickes. Ihr Mantel ist blau, das
Unterkleid golden, beide in leichtem und gclalligoni
Faltenwürfe. Johannes, ein schöner Jüngling mit blonden
Haaren, erhebt seine Augen zu Christus hinauf und trägt
ein Buch in der Rechten. Der Ausdruck seines Gesichtes
etwas weichlich, der Faltenwurf an seinem rothen Ober-
und Unterkleid ist nicht so leicht nnd ungezwungen be-
handelt, wie bei Maria, Den Fuss des Kreuzes umfasst
kniend die heil. ^Lngdalena mit turbanartiger Kopfbinde
von weisser Farbe. Am Oberarme sehen die Ärmel ihres
Kleides buschig aus. Den Kopf hält sie gerade und
schaut traurig in die Gegend hinaus. Den Hintergrund
bilden grüne Hügel mit der Stadt Jerusalem, hinter
welchem dann noch weiter bläuliche Berge unter einem
tiefblauen Himmel liegen. Die zwei Säulen der Um-
rahmung, verbunden durch einen gedrückten Rundbogen,
sind Leuchtern nicht unähnlich.
Die Umrahmung des folgenden Blattes lüUt die Dar-
stellung von Abrahams Opfer ans , wie dieser seinen
Sohn zu schlachten im Begritfe steht. In einer anziehen-
den nnd reich in verschiedener Weise geschmückten,
grünen Landscbalt mit den Tliürmen einer Stadt (Jeru-
salem) erblicken wir im Hintergrund den Patriarehen in
scbarlachrotheni Unterkleide (Hosen nnd Ärmel von der-
selben Farbe I, nnd in einem goldenen, von einer schar-
lachrothen Binde um die Mitte zusanunengclialtenen
01)crklei(le, das nur sehr kurze Ärmel hat. Die Linke
hält er auf den Kopf des Sohnes, welcher mit gefalteten
Händen demütbig in gebückter Stellung auf den Kuieen
liegt: er ist in einen einfach blauen Rock gekleidet. Die
Rechte des Vaters schwingt ülier ihn bereits das breite
Schwert, um ihm den Todesstreich zu versetzen. F.in
Engel aber in weissem Gewände und mit bunt bemalten
Flügeln hält dasselbe ein. In der Nähe steht ein rundes
Gelliss mit glühenden Kohlen.
Fünftes Gemälde. Es ist der heil. Apostel Pbilippus
dargestellt, stehend mit dunkelrothem (.»berkleide nnd
braunem Unterkleide, in der Linken ein Buch haltend,
mit der Rechten das krickenartige Kreuz umfassend.
Sein Gesichtsausdruck ist der eines Betrachtenden, fast
Traurigen. Der Hintergrund lässt links auf einem be-
wachsenen Felsenhügel ein modernes schlossartiges
Gebäude in Rnndform , rechts einen See mit einem
Schifflein und in weiter Ferne ein Dorf am Fusse blauer
Berge erblicken.
Das Beililatt rechts zeigt denselben Heiligen in
einem Walde am Kreuze, mit einem lalarartigen Kleide
angethan; unten am Fnsse des Kreuzes steht eine zahl-
reiche Gruppe von Kriegern oder Henkersknechten, in
kräftigen Umrissen in Goldton gezeichnet.
Sechstes Gemälde. Ein Todkranker liegt im Bette,
er seheint der Auflösung nahe zu sein. Das Kopfpol-
ster von weisser Farbe, wie <lie Bettüeher, über welche
eine rothe Decke gelegt ist. Die Beltstätte selbst gleicht
einer geöffneten Truhe ohne Deckel: sie hat keine Füsse
nnd die Seitenwände sind durch SäulenstcUungen bc-
XXIX
lobt. Cl)er das Gauze spannt sich ein länglicher, griinev
Ikildaehin. An der vorderen Längenseite der ßettstätte
steht ein Priester in heilvioletteni Talare, mit scharluch-
lothem Birete auf dem Haupte; mit der Linken hält er
ein Crueitix, die Rechte macht eine Actinn, um ihn ohne
Zweifel im Gespräche begriffen dai-zustellen. Hinter
seinem Rücken sitzt eine Frauengestalt in einem ein-
fachen Lehnstuhl-, sie ist mit blauem Rocke und einem
goldenen Mieder (I'rustleibchen) bekleidet, dessen auf-
rechtstehender Kragen sich vorn auf der IJrust ein wenig
auseinander legt. Sie ist ferner in Hemdärniehi und
beobachtet, mit Stricken beschäftigt, die beiden Obge-
nannten, oder scheint vielmehr auf die Worte des Prie-
sters zu horchen. Links vor ihr steht ein einfacher Tisch
und um die Wand herum läuft eine gleichfalls einfach
gebaute Sitzbank. Die Wände des Zimmers scheinen
unverkleidete Mauer zu sein, welche durch Säulchen auf
Kragsteinen belegt und durch hohe rundbogige Fenster
durchbrochen wird; die Oberdecke hingegen ist aus Holz
von gelblicher Farbe.
Das Nebenblatt zeigt Job in Nähe seiner statt-
lichen, burgähnlichen, brennenden Wohnung, die Hände
betend vor sich hinhaltend, am Oberleibe nackt, nur mit
einem kurzen, unten gefrauseten Rocke bekleidet. Vor
ihm steht sein Weib in langem Gewände, die Haare in
Form dicker Zöpfen um die Stirn gebunden; sie scheint
ihn zu verspotten oder Vorwürfe zu machen. Hinter
dem Rücken Job's ist der Tod in menschlicher Gestalt
dargestellt, die Sense gegen ihn schwingend; zwei seiner
Zähne stehen ihm weit hervor und von der ISrust bis auf
die Oberbeine hinab bekleiden ihn lange, dichte Haare.
Das siebeute Gemälde führt uns den Apostel Jakob
den jüngeren vor, wie er in aufrechter Stellung in die
Ferne schaut. Sein leicht gefaltetes Oberkleid ist pur-
purn, das talarförmige Unterkleid golden. Vor der ßrust
hält er ein offenes Buch in blauem Einbände, in der
Rechten den Walkerstab von der Form eines grossen
Geigenbogens. Die Hügcllandschaft im Hintergrund
bietet einen herrlichen Anblick.
Das Nebenblatt nnifasst ausnahmsweise eine Ver-
zierung, welche in Grau gehalten ist und zwei Medaillons
mit den Köpfen eines Ritters und einer Frauengestalt
darstellt. Von den zwei folgenden Blättern sieht man in
Goldton auf dem ersten (len heil. Pliilipiius auf den
Knieen liegend, vor den Tenipelmauern und der jüdi-
schen Priesterschaft, deren Vorsitzender eine Walker-
stange in den Händen hält, seinen Tod erwartend. Auf
dem zweiten Blatte begegnet uns eine Eberjagd, wo ein
Eber, sitzend, den Kopf aufwärts gerichtet, von den
Hunden auf allen Seiten angefallen, dargestellt ist.
Achtes Gemälde. Der heil. Schutzengel. Li einer
herrlieh grünenden Landschaft, in welcher Felsen mit
Gebüsch und Seen und Hügel mit Burgen gefällig ab-
wechseln, kniet aufeiner Steinplatte ein Greis in violettem
Talare, der mit Pelz umsäumt ist. Seinen rechten Ober-
arm berührt leise sein Schutzgeist, der mit der andern
Hand warnend auf die Umgebung hinweist. Der Himmels -
böte erscheint vorwärts schreitend, in der Albe mit gol-
denem, am unteren Rande befranseten Oberkleid, welches
in der Mitte etwas bauschig gegürtet ist. Die Ärmel sind
eng und haben am Ellenbogen, so wie an der Achsel
eine breite, bandartige Verzierung von weisser Farbe.
Sein Haar ist golden, lang und etwas fliegend, die Flügel
sind bunt, blau, roth und gelb.
Neuntes Gemälde. St. Christoph ruht riesengross
unter einem Felsen am Rande eines Baches, barf'uss, die
Ärmel zurückgeschoben; neben seiner Rechten liegt ein
gewaltiger Baumstannn. Der Heilige blickt aufmerksam
über die Umgegend hin, ob etwa Einer odci' der Andere
hin- oder herüber über den reissenden Wildbach zu ge-
langen wünschet. Ln Hintergrunde steigt ein Einsiedler,
die Capuze über den Kopf gezogen , mit Laterne und
Stock versehen, von seiner Zelle zum Bache herab. Am
jenseitigen Ufer erblickt man ein nacktes Kindlcin mit
einem fliegenden, rothen Mäntelchen, es scheint über den
Bach gelangen zu wollen.
Auf dem Nebenblatt sind zwei Reiter gemalt, welche
von einander Abschied nehmen.
Zehntes Gemälde. Der heil. Sebastian, nackt, in
ziemlich anatomisch richtiger Zeichnung, nur mit einem
schmalen Schamtuche ; die Hände sind hoch an den Ast
eines Baumes hinaufgebunden, dass die ganze Figur fast
hängend aussieht. 01)glcich von mehreren Pfeilen bereits
getroffen, so ist er doch noch nicht getödtet und daher
zielt noch ein ]5ogens<diütz ihm gerade nntten auf die
Brust. Letzterer erscheint in langen, eng anliegenden,
blauen Hosen, und kurzer, unten aufgeschlitzter Jacke.
Neben ihm steht sein Gebieter mit befehlender Miene,
in rothcm faltenreiidien Talare, gleich einem Perser.
Eilftes Gemälde. Der heil. Willibald sitzt im bischöf-
lichen Ornate, voll heiligerRuhe in einer Kirche zwischen
zwei Bündelsäulen auf einem einfachen Throne vor einer
rund gewöllitcn Nische, in Albe und Casel gekleidet;
letztere ist in grünem Tone gehalten und mit einem
blauen Kreuzesstreifen verziert. Li der Linken hält er
ein offenes Buch, in der Rechten den Hirtenstab, in Re-
naissanceform, zu oberst einfach gebogen und etwas
tiefer mit einem weissen, herabhangenden Tuche ge-
schmückt.
Zwölftes Gemälde. Der heil. Georg stürmt auf einem
stark gebauten Schimmel, der lederartige Flügel hat, als
gepanzerter Reiter mit gezücktem Schwerte gegen den
sich windenden Drachen. Ausgenommen der Kopf,
gleicht dieser einem geflügelten, fusslosen Krokodile.
Der Kampf geht in einer reizenden Gegend vor sich, im
Angesichte einer grossartigen, ans Mittelalter noch erin-
nernden Burg; am Fasse des Schlosshügels kniet ein
reich gekleidetes Mädchen mit zum Beten gefalteten
Händen.
Auf dem Nebenblatte treten mehrere Reiter mit lan-
gen Speei'en auf; der Vorreiter sitzt auf einem Schimmel
und ist mit dem Schwerte bewaffnet. Ein zweites Blatt
zeigt unten unter dem Texte eine stille I^andsehaft, oben
naturalistisch gezeichnete Veilchen u. dgl.
Das dreizehnte Gemälde stellt den heil. Valentin als
Bisehof dar; er trägt Albe, Dalmatica und einen golde-
nen Rauchmantel mit einer befranseten, einer einfachen
Capuze ähnlichen Ka])pe daran unil als Koplliedeckung
eine luful, die aber wenig verziert ist. Li der Linken
hält er den Hirtenstab mit dem Schweisstuch daran; die
Rechte segnet einen Manu, der in Folge eines Sturzes
vom Baume todt erscheint. Dieser ist mit blauen Hosen
und rother Jacke bekleidet.
Vierzehntes Gemälde. Auf diesem treffen wir die
heil. Walburga in aufrechter Stellung; ihr Gewand be-
steht in einem weiten umgürteten Oberkleide mit weiten
Ärmeln und einem schwarzen weiss gefütterten Schleier
und weisser Halsbinde. Eine niedrige renaissancearlige
Krone schmückt ilir Haupt: in ihrer Rechten befindet
sich ein Scepter, in der Linken ein Buch mit einem
Kiiischchen daran!'. Den Kopf hat sie etwas auf die Seite
L-eneij.'t. der Bück ist betrachtenden Ausdrucks. Die
Heilige steht vor einem Altartisch, über dem einCiborien-
lian sich erhebt, unter der Fensterbank der Capelle
herum sind rothe Teppiche autVehiinirt.
Fünfzehntes Gemälde. Die heil. Barbara, in einem
rosenrothcn luterkleide mit weiten , ijoldumsäumten
.irmeln, und goldenem Uberkleide, das gegürtet ist und
eng anliegt, steht in einer heiteren Gegend, deren Mitte
nimmt ein Fluss ein und an einer f^telle tührt über ihn
eine einfache, aber hübseh gezeichnete Brücke von
Baumstämmen.
Sechzehntes Gemälde. Die Enthauptung der heil.
Katharina. Diese kniet bereits auf der Ricbtstätte, in
dunkclrotliem Oberkleide, dessen enge Ärmel nahe an
der Achsel ausgebaucht und zugleich ausgeschlitzt sind,
so dass das weisse L'uterfutter hervortritt. An dem fast
etwas zn lang gehaltenen Halse trägt die Heilige viel
Geschmeide und auf dem Haupte eine Krone. Hinter ihr
schwingt der Scharfrichter mit beiden Händen ein langes
Schwert. Er ist in enge, gelbe Hosen mit blauem Unter-
futter und eine goldene eng anliegende Jacke gekleidet.
Die dem Tode Geweihte heftet aber ihren Blick uner-
schrocken auf das vor ihr durch den Blitz zertrümmerte
und angezündete Pvad. Hinter das Gebüsch der nächsten
Fnigebung ziehen sich, wahrscheinlich vor .Schrecken
des herabgestürzten Blitzes, mehrere Lanzenknechte in
Eile zurück. Die ganze Gegend ist etwas dunkel ge-
halten . ähnlich wie es manchmal vor dem Ausbruche
eines Ge\^^tters aussieht.
Auf dem Nebenblatte erscheint eine Landschaft mit
einem viereckigen Steine nahe am Wege und darüber
auf einer hohen, bewachsenen Felsenkuppe legen zwei
Engel den Leichnam der Heiligen ins Grab. Ein zweites
Blatt ist mit ziemlich naturalistisch gemalten Blumen
geziert und unten stösst sich der Teufel in menschlicher
(Jestalt aber mit Schwanz, Hörnern und Bocksfüssen
versehen mit einem schwarzen Bocke.
Siebenzehntes Gemälde. Die heil. Apollonia sitzt
auf einem Steinblocke in einer lieblichen Gegend vor
einem See, dessen jenseitiges Ufer eine Stadt mit dahin-
terliegenden blauen Bergen schmückt. Hire Bekleidung
besteht in einem rothen Ober- und einem goldenen
Untcrkleide. Dieses hat denselben Schnitt, welcher sich
an unserer heutigen Bauerntracht zeigt. Am Halse siebt
man das weisse Hemd, dessen Kragen sich ein wenig
zurücklegt. Die Hände sind über einander gelegt und
mit einem Strick gebunden und ruhen auf dt m Schosse.
Der eine von den grausamen Henkersknechten setzt
mit der einen Hand einen starken, eisernen Nagel an die
Zähne der Heiligen und mit der anderen schwingt er
hoch einen Hanmier, um so gewaltsam den Kinnladen
sammt den Zähnen zu zersprengen. Das aus dem Munde
hcnorfliesseude Blut beweist, dass er bereits wenigstens
einen kräftigen Schlag gethan haben muss. Ein zweiter
Flinkersknecht hält die heil. Jungfrau fest an den
.■Schultern und an den lang hcrabfliessenden blonden
Haaren. In der Nähe steht der bekriinte Fürst oder
liicliter in goldenem mit Pelz gefüttertem Oberkleide,
einer Scbmnckkette um den Hals, in der einen Hand
einen Scepter haltend, die andere leicht emporge-
hoben.
Achtzehntes Gemälde. Die letzten Blätter des
Buches füllt das Todten-Oflicium aus und in diesen»
steht als seineu luhah erklärendes Bild die Einsegnung
einer Leiche voran. Man hat sie bereits ins Grab
gesenkt und mit einer Steinplatte bedeckt. Die Einseg-
nung nehmen drei Priester vor; sie sind in Alben ge-
kleidet und der in der Mitte stehende trägt auch eine
über die Brust kreuzweise gelegte Stola, hält in der
einen Hand ein Buch, die andere lässt er sanft heral)-
häugeu. Die Alben sind nur an der Vorderseite mit
einer schmalen Stickerei anstatt der heute üiilichen
Spitzen versehen, und eben so ist die Stola au ihrem
Ende nicht schaufelformig erweitert. Von den zwei
anderen Priestern hält einer das Kanchfass. der andere
ein Weihwasserbecken. Vor ihnen stehen auch zwei
Todteugräber, von denen jener zur Eechten nicht eut-
blössteu Hauptes ist, sondern noch seinen Hut auf dem
Kojife sitzen hat, auf die Seite schaut und den vorge-
nommenen Cerenionieu gegenüber sich ganz theilnahms-
los zeigt. Zur Kechten im Vordergrunde erblickt man
die Todtenbahre, welche oben eben ist und auf vier
Füssen ruht; riugsherum läuft ein Geländer. Das Bahr-
tuch ist von schwarzer Grundfarbe und der Länge nach
mit einem hochroihen Kreuze geziert; es betindet sich
bei Seite halb zusammengelegt. Der Boden des Fried-
hofes ist grün bewachsen, das Eiugaugsthor im Piuud-
bogen und an das Chor einer Kirche angebaut, welche
Strebepfeiler und Pvundbogenfeuster in zwei Keihen
über einander zeigt. Die kleineren und tiefer liegenden
Fenster scheinen bestimmt zu sein, die unter dem Altare
liegende Gruft zu beleuchten. Im tiefereu Hintergründe
sieht man ein Haus über die Friedhofsmauern mit
hohem Giebel und langgestrecktem Kamine empor-
ragen. Aa/7 -i^^.
Das romanisclie Portal zu Hullein in Mähren.
Mi: 1 UolzsciiQiu '.}
Wenn auch die Bauthätigkeit während der roma-
nischen Stylepoche in unserem Vaterlaude nie solche
Dimensionen angenommen hat , wie dies am Rhein, in
Frankreich oder Italien geschehen, so sind doch eine
Reihe mitunter ganz prächtiger Repräsentanten dieser
Zeit auf unsere Tage gekommen, welche beredtes Zeug-
niss "eben von dem grossartigen gemeinsamen Strebeu
und "^der sittlichen Kraft längst entschwundener Ge-
schlechter.
Während meines Aufeuthaltes in Ülmütz, woselbst
ich im Auftrage der k. k. Cential-Commission die
Reste der romanischen Herzogenburg aufnahm, hatte
der hochwürdige Herr Donulechant Graf v. Lichnowsky,
k. k. Conservator, die Güte, mich auf das Portal von
Hullein aufmerksam zu machen.
DorfHuUein, beiKremsier besitzteine massig grosse
Kirche im Kenaissancestyl, und an deren Nordseite
durch einen Aorbau geschützt, ein vorliegendes roma-
nisches Portal. Dieser Vorbau ist nicht wie bei vielen
romanischen Portalanlagen ein mit der Purlahvand ver-
bundenes organisches Gebilde, sondern dürfte erst bei
Erbauung der Kirche, d. i. gegen Ende des vorigen Jahr-
hundertes derselben angefügt worden sein. Die Imfas-
sungsmauern der Halle sind mit einem Gewölbe uin-
' Zfichnoiig Ton Segens c Um ied, Schnitt aus W»l dhc im's xylogra-
phisclicr Aiiatali.
XXXI
spannt, dessen Bogen concentriseh mit dem Portalbogeu
läuft und gleich über dem äusseren verzierten Wulst be-
ginnt, daher auch die halben äusseren Säulen durch die
Seitenmauern der Halle ganz gedeckt werden. Dies, und
die ganz unvermittelte Ansetzung von Mauer und Ge-
wölb beweisen zur Genüge, dass der Vorbau einer
spätem Zeit angehört.
An der ganzen Kirche ist, sowohl was Anlage als Detail
betrifft, keine weitere Spur romanischer Kunst zu finden;
nur das Portal, als ein für sich bestehendes Ganze,
scheint den Zerstörungen der Zeit Wiedersfrand geleistet
zu haben. Das Material, aus dem vorliegendes Portal ge-
schaffen wurde, ist ein stark eisenhaltiger Kalkstein, von
D^^s^^m^
grosser Härte, daher auch die einfache kräftige Durch-
bildung von Profil und Ornamenten dadurch zur Bedin-
gung wurde.
Der Grundriss des Portals zeigt die gewöhnliche
romanische Anlage, bildet drei zurückspringende Ecken,
von denen zwei durch Säulchen ausgefüllt sind.
XtV.
Ein etwas starkes Kämpfer- zugleich Capitälge-
simse trennt Säulen und Bogen, welch letztere entweder
mit strickartig gewundenen Wülsten oder mit Gliederun-
gen in ganz wirkungsvoller Weise belebt sind.
Die Säulchen sind achteckig, gewunden, je eine
Seite ist convex, die andere concav; dadurch entsteht
eine ganz nette Licht- und Sehattenwirkung, welche viel
dazu beiträgt, dass das in ganz kräftiger Weise profi-
lirte Portal im grossen Ganzen einen reich belebten
harmonischen Eindruck hervorbringt. An jener Stelle,
wo die concaven Achtecksseiten der Säulchen an die
runden Capital- und Fussplatten aufstossen, entsteht
eine leere Fläche, welche durch rundliche blattartige
Körper, ähnlich den Schutzblättchen an den Wülsten der
Säulenbasen, ausgefüllt erscheint.
Drei der etwas niederen Capitäle sind nach dem-
selben Principe durch aufwärts strebende Blätter gebil-
det, das vierte ist mit der symbolischen Eule geziert,
freilich in etwas primitiver Art. Eines der Blättercapitäle
zeigt auch an den Ecken schüchterne Spuren von
Voluten.
Bis in die neueste Zeit waren die Basen dieses
Portals durch einen Mauerklotz bedeckt, welcher als
Sitzbank für die Ortsarmen diente, doch war der Herr
Pfarrer auf mein Ansuchen so freundlich, diese störende
Umhüllung beseitigen zu lassen. Die Basen zeigten sich
nun in der gewöhnlichen attischen Form, die Wulste
gehen über die Platten hinaus, deren Ecken durch
Schutzbläfter in einfacher Form gedeckt sind.
Die Thür selbst ist 4' 5" breit, 7' 3" hoch und ganz
einfach in die glatte Wand geschnitten, ohne Giebelfeld
oder sonstigen Schmuck. Die Ecken der Mauerrück-
sprünge sind abgefacet und laufen wie bei den Archi-
volten in eine viertelbogige Resche aus.
Vorliegendes Portal dürfte jener gesteigerten Bau-
periode angehören, welche gegen die zweite Hälfte des
Xn. Jahrhunderts allenthalben sich entfaltete, und wenn
es auch kein Baurest von ausserordentlicher Bedeutung
ist, so dürfte es doch so viel Interessantes bieten, um an
dieser Stelle ein Plätzchen zu finden.
F. X. Segenschmied,
Architekt.
Die gotliische Kirche zu Katharein.
(Mit 4 Holzschnitten.)
Das kleine gothische Kirchlein von Katharein ist
eine Filiale des Wallfahrtsortes Wranau, welches letztere
etwas über If/j Meile von Brunn entfernt ist.
Man mag von was immer für einer Seite kommen,
so nimmt sich die Kirche sehr gut aus; sie steht auf
einem ziemlich steilen Hügel, nur auf der Ostseite
steigen Felsen schroff hinan ; au dem Fusse des Hügels
schlängelt sich ein Bach, und im Thale stehen die
Häuser des Dorfes in einzelnen Gruppen zwischen
Bäumen. Den Hintergrund bildet eine hohe , sehr
steile Berglehne, die mit einem alten Nadelwalde be-
wachsen ist. Nach der Sage stand schon früher hier
eine Kirche, deren Bestand bis an die Zeit der hh. Cyrill
und Method zurückreichen, und die von vielen Wall-
fahrern besucht worden sein soll.
Von aussen ist die Kirche, die nach ihrer Bauart
in die zweite Hälfte des XV. Jahrhunderts gehören mag,
was auch eine im Innern befindliche Inschrift „Ao. Dni.
XXXII
Fig. 1.
MCC'CCLXIX" bestätigt, sehr eintaeh: au der Westseite
befindet sich die Facade (Fig. 1), die mit einem boch-
ansteigenden abgetreppten Giebel, auf dessen Spitze
ein steinernes Kreuz prangt, geziert ist. Daselbst ist
auch der Haupteingang angebracht, welcher wag- und
senkrecht mit einigen in den Ecken sich kreuzenden
Stäbchen eingefasst ist. Zwei grössere spitzbogige Fen-
ster im Dachraume befindlich, und ein kleines Rund-
tenster für den Musikchor beleben nebst einer Gesims-
und einer Suckclleiste die Facade. Einen eigenthümlichen
Anbau derselben bildet die spiralturraige Musikcliorstiege,
die mau vom Innern der Kirche betritt. Da die Kirche
auf einer Berglehne liegt, so führen zum Haupteingang
sieben Stufen. Ebenso anspruchslos sind die beiden Lang-
seiten und der rückwärtige Thcil des Gebäudes. Einen
zweiten Eingang hat die Kirche auf der Südseite (Fig. 2),
er ist spitzbogig; an derselben Seite beim Anfang des
Presbyteriunis ist der Thurm oder besser gesagt, der
untere Theil eines Thurmes, da der Oberbau nicht zur
AusfübrunL' kam . angebaut. Nur bis zum Dachrande
der Kirche erhebt sich
das Mauerwerk; darüber
wurde blos ein höl-
zerner Aufsatz, um die
beiden kleinen Glocken
unterzubringen, mit nie-
drigem Dache aufgesetzt.
Im Thurimnauerwcrk be-
iludet sich ein Fenster
mit geradem Sturze und
einigem Masswcrkan-
satze. Die Gesimsleiste
der Fagade setzt sich an
beiden Seiten des Lang-
hauses in Abstufungen
iiöher steigend fort, dess-
irleichen der Sockel. Ober
dem Seiteneingang be-
iludet sich eine kleine mit
horizontalem .^turz und
nnt Masswerk versehene
P)lende, die jedoch leer
ist. Das ganze Gebäude,
wird durch Strebepfeiler
:;cstiitzt, von denen die
^-K
Fig. :j.
Fig. 2.
gegen die Facade hin über Eck gestellt, die Iteim ("hör
einmal abgestuft sind. Langhaus und Presbyterium haben
jedes einen besonderen Dachstuhl, dazwischen sich eine
hohe Abtheilungsmauer befindet.
Das Innere bestellt aus Langhaus und Presbyterium.
(Fig. 3). Im Ersteren wird das Gewölbe durch zwei acht-
eckige Pfeiler getragen, welche dasselbe in drei Schitfe
theilen. Die drei Sebiffe sind nicht gleich breit, das
mittlere ist am breitesten, jenes au der linken Seite das
schmälste. Die Gewölbe sind flach und einfach und
werden von Kreuzrippen und Quergurten getragen. In
dem über einer kleinen Gruft erbauten Presbyterium.
das breiter als di^s Mittelschiff ist und aus einem fast
viereckigen Gewölbejoche nebst dem aus fünf Seiten
des Achtecks gebildeten Chorschlusse besteht, ist das
Gewölbe regelmässig, jedoch mehr spitzbogig. Der
gleichzeitige Musikchor wird von zwei kleinen achtecki-
gen Säulchen ohne Capitäle getragen; die darauf ruhen-
den Bögen sind stunipfsjdtzbogig.
Säinmtiiche Kippen haben das Birnenprofil. Die am
ganz ungeschmückten Triumphbogen angebaute Kanzel
ist sehr roh, nur gemauert; hingegen sehen wir links vom
Altare ein hübsch verziertes Sacramentshäuschen. Der
viereckige Tabernakel Ist mit in den Ecken gekreuzten
Stäbchen eingefasst: darül)er erhebt sich ein Caijcllchen,
das durch zwei geschweifte Spitzl)ogen untertlieilt wird
(Fig 4). Ein zweites schmales Capellehcn steht dar-
über mit einem Säulcben darin; dieses Capellehcn ist
ebenfalls mit zwei Flammenbogcn überwidlit und wird
durch einen Baldachin überdeckt, der nach oben in eine
das Ganze abschliessende nnt Krap])en besetzte Spitze
ausläuft. Das ganze sich rückwärts au die Mauer an-
schliessende Häuschen steht auf einem runden Halbsäul-
clien, welchem ein Fuss in der Form eines ballien Sechs-
eckes zur Unteilage dient. Die Mitte der Säule ist mit
einem kleinen strickähnlichcn Hinge geschmückt.
Derlei Sacramentshäuschen sind in Mäiircn sehr
selten. Es sind bis jetzt nebst diesem nur mehr drei
andere als noch gegenwärtig bestehend bekannt, nändich
jenes In der Nikolauskirche in Znaini, welches sehr hoch
und schön war, von welchem aber leider nur mehr
einige Trümmer vorhanden sind; das zweite in Jam-
nitz, schön und gut erhalten, aber kleiner; noch kleiner,
und auch In gutem Zustande ist jenes in der Kirche von
Kakschitz. einer Filiale von Krumau.
XXXIII
i r- ,
Fi"
Die übrige Einrichtung der
Kirche ist aus neuerer Zeit und
schlecht; nur ein Votivbild ver-
dient erwähnt zu werden ; es stellt
die Enthauptung der heil. Katha-
rina vor. Unter dem Bilde ist der
Geber vor dem Kreuze kniend dar-
gestellt. Darunter: Augustin Polen-
tarius 1624 tohoto casu ufednik w
Lomnici (^Amtmann in Lomnitz).
Dabei ist sein Wappen : drei gelbe
Getreidehalme auf grünem Hügel
im blauen Felde.
Der Zugang zum Thurme ist
vom Presbyterium aus, der mit
Stabwerk verzierte Eingang ist
kleeblattlormig, demselben gegen-
über betindet sich der ganz ähn-
liche in die Sacristei, welche der
linken Seite des Presbyteriums an-
gebaut ist. Noch ist der Fenster Er-
wähnung zu thun, sie sind alle
spitzbogig, mit etwas Masswerk
verschen, und zweitheilig, die des
Presl)yteriums sind schmal , die
vier des Langhauses etwas breiter.
Die äusseren sich erweiternden
Ausschnitte der Fenster sind fast
rundbogig.
Der Zustand der Kirche war bis noch vor kurzem
sehr misslich , sie ging ihrem gänzlichen Verfalle ent-
gegen ; erst vor einigen Jahren wurde über Bemühung des
k. Conservators Grafen Sylva-Tarouca eine Samm-
lung in der Brüuuer Diöeese veranstaltet, deren befriedi-
gendes Ergebniss eine Restauriruug der Kirche möglich
machte.
Die Kirche war ehedem durch eine Wehrmauer ge-
schützt. Auf der Ost- und Kordseite war der Raum zwi-
schen dersellien und der Kirche nur einige Fuss breit;
hier ist die Mauer noch einige Fuss hoch erhalten; auf
der Südseite sind nur mehr die Grundfesten kennbar;
auf dieser Seite war mehr Raum, und gerade gegenüber
dem Seiteneingange stand ein Gebäude, welches wie ein
starker viereckiger Thurm aus der Mauer vortritt; die
Leute hier sagen, es wäre ehemals die Wohnung des
Pfarrers gewesen. Auf der Westseite ist nichts mein- zu
kennen. fAus dem Nachlasse des Graf en Sylva-Tarouca.)
Die ZeitscMft für bildende Kunst.
l.Mit 1 Holzschnitt.)
Seit dem Jahre 1866 erseheint in Leipzig diese
Zeitschrift unter der Redaction des Dr. Karl v. Lützo w,
Bibliothekar der k. k. Akademie der bildenden Künste
in Wien. Gegenwärtig sind drei Jahrgänge vollendet
und der vierte ist bereits über das erste Viertel hinaus.
Die Bestimmung des Unternehmens war in erster Linie
die Verzeichnung alles Bemerkenswerthen und Schönen,
was die Kunst der Gegenwart vornehmlich in Deutsch-
land hervorbringt, und die Verbreitung der Kunde von
derlei Producteu in die grösseren Kreise des gebildeten
Publicums durch Bild und Wort. Doch soll das künst-
lerische Schallen nicht die Grenze für den Inhalt dieser
Zeitschrift bezeichnen, sondern es soll der höheren
Kunstindustrie gleichwie den übrigen Gebieten des
Geisteslebens und der Kunst- und Culturgeschichte da-
rin genügend Rechnung getragen werden, während
das nur historisch oder antiquarisch Merkwürdige nicht
mehr in Betracht kommen und den betreffenden Fach-
organen überlassen bleiben soll.
Leider ist es uns erst jetzt möglich, in eine Betrach-
tung dieser Zeitschrift einzugehen , die aber um so
gedrängter sein muss, als der beschränkte Raum es
nicht gestattet, den reichhaltigen Inhalt der inzwischen
schon zu drei Bänden und darüber angewachsenen Zeit-
schrift genügend zu würdigen. Aus demselben Grunde
wird es uns ziemlich schwierig, dem Leser eine Übersicht
des Gebotenen zu verschaffen und kann daher nur
Einzelnes des vielen Gediegenen näher gewürdigt
werden.
Aus dem ersten Bande heben wir hervor den Auf-
satz Wilhelm Lübke's über die heutige Kunst und die
Kunstwissenschaft.
H. Reinhart bespricht das Asyl Paolo's Veronese.
die vollständig aus dem XVI. Jahrhundert erhaltene Villa
Maser bei Treviso, ein Bau Palladio's, welcher, reich und
prächtig, sowohl in Bezug auf Anlage und Architektur
als auf innere Ausschmückung zu dem Schönsten gehört,
was in dieser Art geschaften worden ist und in seiner
Gesammtwirkung ungescheut mit der hochberühmten
Villa Farnesina bei Rom sich messen kann. Die schönen
Frescomalereien Paolo's Veronese daselbst kann man
naiiezu als das eigentliche ]Monument bezeichnen, das
der frische Geist des lebensfrohen Malers sich setzte.
Sehr eingehend wird der Ausbau der florentiner
Domfa^ade und die im Jahre 1865 zu diesem Zwecke
ausgeschriebene Concurrenz besprochen und sind diesem
Aufsatze das bezügliche Schreiben eines der Schieds-
richter nämlich Viollet-le-Duc's, so wie Beschreibungen
der vier bedeutendsten Projecte nämlich von de Fabris,
Hasenauer, Petersen und Alvino angeschlossen.
Von grosser Bedeutung für die kunstgeschichtliche
Belehrung ist Falke's Studium über die arabische
Kunst.
Nicht unerwähnt können wir lassen Fechner's
Arbeit über das Associationsprincip in der Aesthetik,
Woltmann's Holbein, Quentin Massys in Longford
Castle und Thausing's Schrift über Kupferstich und
Photographie. Bevor wir unsere höchst beschleunigte
Durchsicht des ersten Bandes schhessen, haben wir noch
der Besprechung eines Hauptwerkes deutscher Kunst
auf französischen Boden zu gedenken.
Die französische Provincial-, ehemals freie deutsche
Reichsstadt Kolmar in Elsass , dem französischen
Deutschland enthält gar manch werthvolle Proben
deutscher Kunst. Es sei hier nur Erwähnung gethan,
der schönen, Künstlern und Kunstfreunden wohl be-
kannten Madonna im Rosenliag in der Sacristei des
dortigen Münsters, ferner zweier Altartlügel (jetzt im 5Iu-
seum), weiche einerseits Maria Verkündigung anderseits
den heil. Anttmius und Maria mit dem Kinde zeigen. Es
sind diese Werke sicher Producte des Martin Schon-
gauer, der zu Kolmar gelebt und gewirkt hatte. Was
aber volle Beachtung verdient, das ist der ehemalige
Hochaltar des ehemaligen Antoniterklosters zu Issen-
heim, eines der reichsten Stifte im Elsass, das die gross-
artigsten Kunstschätze besessen hatte. Zwar wurde
über dieses Altarwerk schon manches geschrieben und
XXXIV
gesprochen, doch ist es in weiteren Kreisen beinahe
unbekannt geblieben und von der Wissenschaft noch
nicht nach seinem AVerthe gewürdigt. Es mag unter den
gUiuzeudcn Fiügelaltiiren, an denen die deutsche Kunst
des XV. und XVI. Jahrhunderts so reich ist, nur \iel-
leicht von den Altären zu Blaubäuern und .*>t. Wolfgang
iiltertroflfen werden. Leider ist es im Museum nicht als
Aiiar aufgestellt, denn es feiilt das architektonische
Gerüst, welches das Ganze getragen hatte. Doch Bild
und .Schnitzwerk sind noch vollständig und unbeschädigt
erhalten. Das Werk ist ein Wandelaltar, d. i. mit doppel-
ten Flügeln: indem beim Uffiien des ersten äusseren
Paares das geschlossene zweite l'aar erscheint, nach
dessen Uffiien sich erst das Innerste zeigt. Bei geschlos-
senen Thüren sehen wir anf der Anssenseite das Leiden
Christi dargestellt, öffnet sich das erste Flügelpaar, so
zeigen sich Bilder, die sich auf das Leben der Mutter
Gottes beziehen, das Innerste ist dem Kirchenheiligen,
dem heil. Anton dem Einsiedler gewidmet. Die Tiefe
des Sehreines mit seinen beinahe runden Sculptnren
Hess an dessen Schmalseiten noch für je ein Bildfeld
Kanm. Hier befanden sich einst die beiden Tafeln mit
den Einzelgestalten von zwei Heiligen, die auf gothi-
schen Consolen stehen: S. Sebastian von Pfeilen durch-
bohrt, frei vor der Martersäule stehend, indess zwei
Engel mit der Märtyrerkrone über ihm schweben, und
endlich noch einmal .S. Antonius der Kirchenpatron,
damit man seiner auch vor der ErölTnung des -Schreines
ansichtig werde, eine mächtige Figur, im Ausdruck er-
haben. Über ihm , hinter einem vergitterten Fenster
lauert ein Teufelchen. Diese Gestalten gehören zu den
besten Theilen des Werkes. Eine gewisse Abweichung
von dem früheren Gebrauche zeigt sich an diesem dem
beginnenden XM. Jahrhundert angehörigen Schrein-
werke, indem das Ganze nicht mehr aus einer Anzahl von
kleinen Bildern besteht, welche eine Reihe nacheinander
folgender Momente dar.stellt: sondern wir tretfen hier
nur höchst wenige Einzeldarstellungen, aber dafür mög-
lichst grosse Bildfelder, ja es sind zu diesem Zwecke
bei jedem Flügelpaare die aneinanderstossenden Aus-
senseiten als gemeinsame Gemäldefläche benützt. Hier-
mit wird zu denjenigen Altären der Übergang gemacht,
bei denen die Malerei mit Ausschluss der Plastik Mittel-
bild und Flügelbild allein schmückt, und welche ihrer-
seits den modernen Altar vorbereiten, der aus einer Bild-
fläche besteht.
Nur im Sockel und in dem in der Tiefe des
Schreines befindlichen Mittelbilde finden wir bemaltes
Schnitzwerk. Oben thront als Hauptperson des Ganzen
St. Anton frei herausgearbeitet als runde Figur, ihm zur
Seile stehen S. Hieronymus mit dem Löwen und S. Au-
gustin, daneben der kniende Stifter. Die Altarsockel,
obwohl nicht unkünstlerisch, haben nicht diese beson-
dere Bedeutung, Wir sehen hier im Hochrelief ausge-
führt die Brustbilder des segnenden Heilands mit der
Wehkugel und die Apostel. Während keine Quelle den
Künstler des oberen Schreines nennt, melden alte Nach-
richten, dass Meister Desiderins Beiehel die Sockelbilder
im Jahre 1493 anfertigte.
Geist und Behandlung, wie sie bereits der yorge-
schritteneren deutschen Kunst entsprechen, treten uns
auch aus den Malereien entgegen, .\ntons Versuchung
sehen ^vir links von der Mitte . auf dem Bilde zur
Rechten sind die greisen Einsiedler Paulus und Antonius
in der Wüste dargestellt. Schliessen sich die Flügel, so
gewähren sie einer grossen bildlichen Darstellung Raum,
welche die ebeu erwähnten ganz tüchtigen Gemälde über-
tritt. Wir sehen die Gottesmutter, das Kind in den Armen,
eine Wiege, eine Badewanne und ein irdenes Töpfchen
zur Seite. .\ber trotz dieses Hausgeräthes hat uns der
Künstler nicht in ein häusliches Gemach versetzt, son-
dern in eine freie herrliche Landschat\. Auf den FlUgel-
bildeni sieht man die Verkündigung Mariens und die
Auferstehung Christi.
Diesen drei trefflichen Bildern stehen jene der FlUgel-
Aussenseiten eiuigerraassen nach, sie sind an Geist und
Ausführung geringer, ."^chülerarbeiten, Sie zeigen den
gekreuzigten Christus , umgeben von Johannes dem
Täufer, von Maria Magdalena, von der im Schmerze zu-
sammenbrechenden Mutter und vom Lieblingsapostel.
Von ganz anderer Bedeutung ist dagegen das Staff"elbild,
die Beweinung des todten Heilands vorstellend.
Keine Inschrift gibt den Meister dieser Bilder an.
Vor Zeiten pflegte man ohne irgend einen Grund sie
dem Albrecht Dürer in die Schuhe zu schieben. Die
Neuzeit nennt Mathäus Grunewald, diesen berühmten
Meister von Aschafl'enburg, der lange Zeit ganz in Ver-
gessenheit gerathen war und jetzt mit Recht nächst
Dürer und Holbein als der grösste deutsche Maler jener
Epoche bezeichnet wird. Woltmann theilt jedoch nicht
diese Ansicht. Die seltsame Kühnheit in der Farbe wie
in der Zeichnung, welche sicher und edel, nur hie und
da in deu Handbewegungen etwas geziert ist, die Grösse
und Noblesse in den Gewandmotiven, der Charakter
der Köpfe insbesondere, der in der Bildung des Gesichtes
und der sorgfältigen Behandlung des Haares unzweifel-
haft erkennbare Einfluss Albrecht Dürer's sprechen auf
das bestimmteste dafür, dass nicht Grunewald, sondern
vielmehr der Maler des Freiburger Hochaltars Hans
Baidung Grien der geniale Meister des Gemäldes war.
Übergehend zum Inhalt des zweiten Bandes heben
wir unter dem vielen Guten und Lehrreichen hervor,
Julius Meyer's geistreiche Betrachtungen über die fran-
zösische Malerei seit 1 848, Karl Schnaase's Betrachtung
der italienischen Renaissance, sowie endlich Max Jor-
dans längeren Aufsatz über Juhns Schnorr's Lehr- und
Wanderjahre.
Gleich wieder zweite Band den ersten an Gediegen-
heit der Aufsätze wesentlich überragt, ebenso zeigt der
des dritten Bandes eine sich noch weiter steigernde
Ftille von sehrwerthvollen literarischen Arbeiten. Höchst
beachteuswerth sind die Gespräche des Cornelius, sie
gewähren uns einen wohlthuenden Blick in das geistige
Innere dieses grossen Künstlers, ferner die Berichte Julius
Meyer's über die Kunstgewerbe auf der Weltausstellung
vom Jahre I8l)7, die Kritik Woltmann s über die Lei-
stungen Schinkel's als Maler, Schnaase's Würdigung
der byzantinischen Kunst, Jacob Falke's Gedanken
über die Weberei und Stickerei bei den Alten, vom
.•Standpunkte der Kunst, und endlich die eingehende Be-
schreibung der Meisterwerke der Braunschweiger Gal-
lerte, so wie der Anfang einer Reihe von Städtebildem,
die mit Danzig beginnen.
Einer Abhandlung des dritten Bandes wollen wir
etwas ausführlicher gedenken und uns erlauben, nicht
nur zur grösseren Verdeutlichung des Nachfolgenden,
sondern zugleich auch als Muster der den drei Bänden
dieser Zeitschrift beigegeben Illustrationen, eine xylo-
XXXV
graphische Abbildung- ' jenes Objectes beizugeben,
welches der Custos des k. k. Museums für Kunst und
Industrie Herr F. Lippmann in höchst scharfsinniger
Weise in dem Aufsatze: „Madonna von Albrecht Dürer"
besprochen hat.
Es ist nämlich bekannt, dass Dürer, wie er in seinen
eigenhändigen Aufzeichnungen erwähnt, mehrere „Tücli-
lein" mit kunstvoller Malerei ausstattete. Man kann
diese mit Wasserfarben ausgeführten Gemälde als ein Mit-
telding zwisclien
der blossen Haud-
zeiehnung u. dem
ausgeführten Öl-
gemälde bezeich-
nen und dürfte
ihnen nicht allein,
weil sie ein Werk
des grossen Mei-
sters sind, sondern
auch ihrer gegen-
wärtigen Selten-
heit wegen , da
Leinwand und Ma-
lerei durch wie-
derholte Berüh-
rung und den Ein-
fluss der Feuch-
tigkeit leicht zer-
stört werden, eine
besonders würdi-
gende Aufmerk-
samkeit gewid-
metwerden. Lipp-
manu ist über-
zeugt ein solches
Tüchlein in Wien
aufgefunden zu
haben, und führt
mit Zuhilfenahme
mannigfaltiger
theils aus dem Vor-
handensein ganz
ähnlicher Compo-
sitionen Dürer's,
theils aus dem in
der Composition
und Ausführung
des Gemäldes un-
verläugbaren Cha-
rakter der Dürer-
schen Arbeiten
entnommenen Be-
gründungen den
Beweis, dass die-
ses schöne Ge-
mälde dem Pinsel jenes grossen deutschen Malermeisters
sicherlich entstammt. Freilich hat Lippman anfänglich
nicht wenige und auch heftige Gegner für seine Behaup-
tung gefunden, doch ist jetzt der wissenschaftliche Streit
beigelegt und zwar in einer den Autor und den Besitzer
des Gemäldes völlig befriedigenden Weise.
Hören wir, was Lippmann in der Hauptsache über
dieses Gemälde spricht:
' Die Veröffentlichung dieter Abbildung eesciiielit mit ZubtimmunK der
Herren Arraria und v. Liifx'^w.
ABtc
In den Besitz des Wiener Kunstfreundes, Herrn
A r t a r i a gelangte einBild, dessen Composition der neben-
stehende Holzschnitt veranschaulicht, eine Madonna in
weissem, in den Falten ins blaue spielendem Unterkleide
und weitem rothem Mantel. In einer durch vorspringende
Marmorsäulen gebildeten Nische sitzend, hält sie mit der
linken Hand das auf ihrem Knie ruhende, mit einem
Vogel spielende Kind, während die rechte auf einem auf
dem Sitze aufgestützten Buche aufliegt. An dem Gesimse
oberhalb der Säu-
len hängt an zwei
dünnen Bändern
ein goldgewirkter
Teppich , in des-
sen Einfassung
die wiederholten
Woi-teJESUSMA-
RIAzu lesen sind.
Jedem , der die
Dürer'schen Ku-
pferstiche kennt,
wird sofort die
Übereinstimmung
der Stellung der
Madonna und des
Kindes mit jener
auf dem unter dem
Namen die Ma-
donna mit der
Meerkatze (dem
Affen) bekannten
Blatte auffallen ;
nun dieUmgebung
ist eine durchaus
andere, dort eine
Landschaft mit
Wasser und wei-
ter Fernsicht, hier
eine wesentlich
architektonische ,
dort sehen wir die
kauernde Meer-
katze, hier einen
zierlich geformten
Krug mit Blumen ;
überdies verhält
sich die Stellung
der Figuren auf
dem Bilde zu jener
der Figuren auf
dem Stiche gegen-
einander, wie ein
Spiegelbild.
_ Doch nicht
dieAhnlichkeitniit
dem Kupferstiche, die Meisterschaft der Behandlung, die
unvergleichliche Sicherheit der Strichführung, die klare,
die Werke Dürer's charakterisirende Bestimmtheit der
Formen ist es vor allem , was den Beschauer kräftigst
überzeuget, dass es sich hier um ein üiiginalwerk dieses
grossen Meisters handelt. Der Ausdruck des Kopfes der
Madonna, der prachtvolle Mantel mit seinen im höchsten
Verständniss gelegten Falten und im hellen leuchtenden
Both ausgefüiirt, endlich das mit Vorliebe behandelte
Detail im Vördcruriiiule, scheinen Gründe genug für die
XXXVI
Echtheit des Werkes zu sein, das mit keinem Monogramme
oder mit einer sonstigen Bereiihnung versehen ist. Der
Mangel einer solchen Bezeichnung ist aber keineswegs
in einer dem Gemälde ungünstigen Weise zu dcuteu,
denn es ist kein Zweifel, dass das Bild überhauiit und
sicherlich in der Richtung nach unten grösser war und
erst später wohl in Folge des Ausfranzens und Verder-
bens am Rande beschnitten worden war. Denn denkt
man sich das Bild nach unten verlängert, so erscheint
der Mantel vollendet, das (ianze besser formirt und an
diesem wcggencnuiieuen Stücke dürfte sich die Dürer-
sche Bezeichnung befunden haben.
Die Zeitepoche der Entstehung dieses Tüchleins
lässt sich nur annähernd u. z. mit Rücksicht auf zwei
andere ofl'enbar damit in Verbindung stehende ebenfalls
leider nicht daiirtc Arbeiten, nämlich: „Maria mit der
Meerkatze- und .Maria in einer reichen Landschaft" be-
stimmen. Etwa um 1500 werden diese Arbeiten zu
setzen sein, und dürfte auch dieses Datum ohne grossen
Fehler für das 1' t< hohe und 1' 8"breite Artaria'sche
Bild massgebend werden. —
In diesem Bande beginnen auch die ganz interes-
santen Schiiderungen ^lax Lohde's seiner italienischen
Reise, in denen besonders die Aufmerksamkeit des
Lesers auf einige weniger bekannte Kunstwerke ge-
lenkt wird. Der vornehndiche Reisezweck Lohde's war
nämlich diel'ntersuehung derFa^-adenmalereien,speciell
der Sgraftiten Italien's , und dieser führte ihn öfters in
minder besuchte Gegenden der Halbinsel. Die erste
Stadt, die Lohde besuchte, war Udine, früher die Haupt-
stadt Friauls. als solche noch viel bedeutender deun
jetzt, und im Besitze nicht unbedeutender Kunstwerke,
die sie sehr bemerkenswerth machen. Der Einfliiss Ve-
nedigs macht sich in allen dortigen Bauwerken merklich.
Nennenswerth ist der Palazzo publico vom Architekten
Niccollo Lionello im Jahre 14.t7 erbaut, der Dom von
Pietro Paolo da Venezia 1.366 erbaut, ursprünglich eine
dreischiffige breiträumige Basilica. Lange nach L540
wurde er von Domenico Rossi verrestaurirt. bekam tiefe
Seitencapellen in halber Breite der Seitenschiffe und
zwar so, dass zwischen jedem Pfeiler noch ein zweiter in
die Seitenschiffmaner eingesetzt wurde, um ihre Anzahl
zu verdoppeln. Nur der Tlieil von der rechtwinkeligen
Chornische blieb in seinerUrsprünglichkeit erhalten. Das
Mittelschiff erhielt ein Tonnen-, jedes Seitenschiff ein
Kreuzgewölbe. In den Theil des Mittelschiffes vor dem
Chor kam eine aussen sichll)are Flachkuppel. Auch die
Fat;ade wurde ruinirt. Sie hatte früher drei grosse Kund-
fenster, dann eine Galerie von vorgesetzten Säulcheu
mit Spitzbogen und polychroinirte Fensterumrahmungen.
Nun sind die Rundfen.ster verbaut, dafür ein hässliches
Hochfenster durch die Galerie gebrochen und unten
eine nicht minder hässliche Thür hineingesetzt, natürlich
auch seitwärts für die Capelle die Fa^ade noch erweitert.
Neben dem Dome stellt der Campanile, 1442 von Chri-
stoforo da Milano begonnen, aber nie fertig geworden.
Nach Udine besuchte Lohde Conegliano, das für
seinen Zweck manches, iu anderen Beziehungen fast
nichts bot. Sodann gelangte er nach Treviso. Dort
fand sich eine unerwartet reiche Fülle bemalter Favaden:
darunter mehrere relativ gut erhaltene aus der besten
Zeit mit farbigen mythologischen Darstellungen und
Nachbildungen von Antiken, auf die SeitenfaQade einer
Kirche ganz mit Sgraffiten bedeckt. Noch erwähnt Lohde
der kleinen S. Nicolokirche, die sehrviel Ähnlichkeit mit
S. Giovanni Paolo in Venedig zeigt.
Wir haben hier nur eine äusserst gedrängte Über-
sicht und Auswahl der zahlreichen ganz gediegenen
grösseren Aufsätze gegeben, und es wird jeder Leser
dieser Zeilen zugeben, dass die hier angeführten Namen
der Autoren für fachgemässe kundige .\bhandlungen
bürgen, so wie die Wahl der Themas und besprochenen
Gegenstände ein Beweis für die Vielseitigkeit des Inhalts
dieserZeitschriftist. Zahlreiche Correspondenzen bringen
uns Nachrichteu über das Kunstleben in und ausser
Deutschland, in einer ununterbrochenen Reihe von Re-
censionen werden die neuesten Producte der Kunst und
der kunsthistorischen Literatur facligemäss besprochen
und gerecht gewürdigt, endlich finden sich in einem be-
sonderen Beiblatte kleinere sehr wissenswerthe Mitthei-
luiigen überKunstauctioncn. über den Kunsthandel. Perso-
nal-Nachrichten und Nekrologe. Notizen über Kunstver-
eine. Sammlungen und Austeilungen, Bücheranzeigen etc.
Eine besondere und höchst lobenswerthe Partie dieser
Zeitschrift bilden die consequent fortgesetzten Biogra-
phien berühmter Künstler der Gegenwart aller Länder.
Der Werth dieser Lebensabrisse wird noch erhöht,
durch die beigegebenen meisterhaft xylographisch aus-
geführten Portraite dieser Meister. In dieser Künstler-
galerie finden mr die Porträte von Ferdinand Wald-
müller, Karl Rahl. August Löffler. Louis E. Meissonier.
Antoiue Wiertz, Julius Schnorr. Hermann Heidel, Peter
von Cornelius, Ferd. Pauwels, Erastus Dow Palmer.
H. Schiewelbein. Karl v.Enhuber, Joseph Führich, Gustav
Friedrich Waagen. Theodor Rousseau. Wir können nur
unserenlebbaften Wunsch aussprechen, dass diese Küust-
ler-Gallerie in der bisherigen Weise fortgesetzt werde.
Da wir nun bereits von den Illustrationen dieser
Zeitschrift sprechen, so müssen wir betonen, dass die
mannigfaltig ausgeführten und in nicht unbedeutender
Anzahl beigegebenen Illustrationen nicht allein jeder
billigen Anforderung entsprechen, wie dies der vorge-
wiesene Holzschnitt darthut, sondern in den meisten
Fällen grösseren künstlerischen Werth haben. Wir wollen
ausser den schon erwähnten Porträts nur hervorheben,
von Holzschnitten: die heil. Familie von Giorgione. die
Madonna von Hubert van Eyck, dieRadirungdes Preller-
schen Bildes Odysseus bei den Heliosrindern, die Ab-
bildungen der bedeutendsten Originale der Gallerie zu
Braunschweig, wie : des Sündenfalles von Palma- Vecchio.
des Mädchens mit dem Weinglase von Jan van der Mer, des
Heirathsccmtracts von Jan Steen, des Petrus im Hause
des Cornelius von Fabritius nebst vielen anderen, die auf-
zuzählen der Raum unserer Zeitschrift nicht gestattet.
Wir glauben beim Abschluss unserer Besprechung mit
Recht behaupten zu können, dass diese Zeitschrift ihrem
Programme bestens entspricht, dass sie der .\ufmerk-
.samkeit und eingehenden Würdigung jedes Freundes
der Kunst, sei es der antiken oder mittelalterlichen, oder
der modernen wärmstens anempfohlen werden kann,
wünschen, dass sie die mit so gläuzeiideni Erfolge betre-
tene Bahu rüstig fortwandle, und sehen mit Befriedi-
gung bei flüchtigem Einblicke in die wenigen bis jetzt
erschienenen Hefte des IV. Bandes, dass auch deren
Inhalt unseren vollkommeu verdienten Lobspriich bekräf-
Dr. Karl Lind.
Karl l.ind. — [iraek der k k. Hof- und SuiUdnjctccrci
XXXVII
Römische Inschriften aus Mitrovic.
Der Correspontlent und Reallehrer in Jlitrovic Herr
Zachariiis Grnic hat an diek.k. Ceutral-Commission über
ncnordiugs gemachte Funde antiker Inschril'tsteine be-
richtet, deren Texte von so grosser Wichtigkeit sind,
dass sie einem weiteren Kreise mitgetheiit zu werden
verdienen. Der genaue Bericht des Herrn Corresponden-
ten mit trefflichen, später durch den Augenschein be-
stätigten Abschriften liegt der folgenden Untersuchung
zu Grunde.
1. Dem alten Brauhause in Mitrovic gegenüber
wurde in einem dem Baumeister Herrn Fuchs gehörigen
Garten im März 1867 bei Fundamentgrabungen ein
Meilenstein gefunden, welcher sechs Fuss unter der
Erde von Schutt umgeben in der Richtung von Ost gegen
West lag, die Inschrift nach oben gekehrt. Hinter ihm
fand man die Reste einer Grundmauer, so dass es den
Anschein gewinnt, er habe au der Mauer eines Gebäudes
gestanden.
Der Stein ist 6 Fuss 8 Zoll hoch, bei einem Durch-
messer von 22 Zoll , ist aber nicht sorgfältig rund ge-
meisselt, sondern zeigt hie und da Ecken und Erhebun-
gen. In der äusseren Ausstattung weicht er von den ge-
wöhnlichen Meilensteinen ab ; er ist aus weissem Marmor
gearbeitet, oben mit einem aus zwei Rundstäben und
Hohlkehlen gebildeten Gesimse und nach unten mit vor-
tretendem Fusse versehen. Überdies stand er ursprüng-
lich auf einem gemauerten Postamente, das auch in der
unmittelbarsten Nähe gefunden wurde und in der Mitte
den Rest eines Zapfens aus Blei enthält, welcher ohne
Zweifel in das viereckige Loch gesteckt war, das man
an der unteren Fläche der Säule wahrnimmt '; endlich
ist auch die Inschrift von einem seicht gekehlten vier-
eckigen Rahmen umgeben ~.
Die Buchstaben der Inschrift sind nur 1 '/i Zoll
(31 Millim.) hoch, sehr mager und seicht gcmeisselt, die
Kanten aber scharf. Der Text ist selbst vollkommen
erhalten und gut zu lesen; er lautet:
JI P V
TMP • CAES • FLAVIV
CONSTANTIVS • PIVS • FEL
AVG • VICTOR ■ MAXDIVS
5 TRIVMFATOR • AETERNVS
DIM CONSTAKTINI OPTIMI
MAXIMIQVE PRINCTPIS • DIVO
RVM MAXIMIANI • ET
CONSTANTI • NEPOS • DI\^I
10 CLAVDI • PRONEPOS PONTI
FEX MAXIMVS GERMANIC
sie
ALAMAMNICVS MAXIMVS
GERM • MAX • GOHTICVS
MAXIMVS • ADIABIN ■ MAX
15 TRIBVNICIAE POTESTATIS
' Vgl. den Meilenstein von Kreuzerhof zwischen Völkermarkt und Kla-
genfurt. Archiv für v.ilerländ. Gesch. und Tcpogr. von Kärnten IV, S. 54.
= Vgl. die Meilensteine von Hütlau, Tweng, Mauterndorf. Von Hefner
In den llenkschrifteu d. k. Akad. d. Wisseascii. 1. Band, nr. 20, 21, 22.
XIV.
XXXI IMP XXX CONSVLI VII
PP PROCONSVLI VHS MVNI
TIS PONTIBVS REFECTIS
RECVPERATA REPVBLICA
2U QVINARIOS LAPIDES PER IL
LYRICVM FECIT
AB . ATRANTE AD FLVMEN
SAVVM MILIA PASSVS
CCCXLVI
Die Inschrift bietet mehrfaches Interesse dar. Auf
die Siglen der ersten Zeile (MPV), welche weiter unten
im Zusammenhange mit dem Ausdruck: „([uinarios
lapides" erklärt werden, folgt zunächst der Titel des
Kaisers Constantius, welcher von der ganzen 24zeiligen
Inschrift zwei Drittel in Anspruch nimmt. Mit dem seit
dem HI. Jahrhunderte Mode gewordenen Schwulst
werden die allgemeinen Beinamen aufgeführt: pius,
felix, Victor maximus, triumfator aeternus. Dann folgen
Beinamen bezüglich auf die Abstammung von Kaiser
Claudius H. (f 270), die aber bekanntlich nur von
mütterlicher Seite sich herleitet; diese lauten: „Divi
Constantini optimi maximique principis (filius), divorum
Maximiani et Constanti(i) nepos, divi Claudi(i) pro-
nepos-'; endlich folgen die Amts- und Triumphaltitel:
,,pontifex maximus , Germanicus , Alamamnicus (sie)
Maximus, Germanicus Maximus (wiederholt), Gohticus
(sie) Maximus , Adiabinicus (sie) Maximus , tribuniciae
potestatis XXXI, Imperator XXX, consuh (sie) VII,
proconsuli". Erst nach dieser langen Titelfolge kommt
der wesentliche Inhalt zum Ausdruck: viis munitis, pon-
tibus refectis recuperata re publica quinarios lapides
per HljTicum fecit. Die Schlussformel ist in gewöhnli-
cher Art stylisirt: „Ab Atrante ad Humen Savum milia
(sie) passus CCCXLVI.
Kaiser Constantius IL, geboren im Jahre 31 7, wurde
von seinem Vater Constantin dem Grossen im Jahre 324
zum Caesar ernannt, erhielt im Jahre 335 bei der Thei-
lung des Reiches die orientalischen Provinzen und be-
hielt sie nach Constantin's Tode (337). Aus seinem Feld-
zuge gegen die Perser ist von neun Schlachten nur ein
entschiedener Sieg, jener bei Singara 348 bekannt =.
Nachdem seine Brüder gestorben und die meisten seiner
Verwandten aus dem Wege geräumt waren, zog er
gegen seine beiden Nebenbuhler Vetranio (350), dessen
Heer bei Sardica auf Constantius' Seite übertrat, und
Magnentius (351), den er in einer von Zosimus (II 54)
beschriebenen, sehr blutigen Schlacht bei Mursa (Esseg)
mit Mühe besiegte. Nach dem Tode des letzteren 353
vereinigte Constantius die Alleinherrschaft des Reiches
wieder und führte sie bis zu seinem Tode (361").
In demselben Jahre, in welchem unser Meilenstein
errichtet wurde (354), zog der Kaiser gegen die Häupt-
linge der Alemannen Gundoraad und Vadomar, welche
häufig Einfälle in die gallischen Provinzen gemacht
hatten; das bei Chälons sur Saone versammelte kaiser-
liche Heer litt grossen Mangel an Lebensmitteln und
begann darüber schwierig zu werden. Zugleich riethen
die Wahrsager des Feindes den genannten Häuptlingen
^ Eutropius X, Ut. — .\inmianus XVIII, 5.
XXXVIII
von einer Schlacht ab; diese suchten daher bei dem
Kaiser um Friedeu an, indem sie ihm Ergebung antrugen.
Bei der eigenen schwierigen Lage nahm Constautius
das Anerbieten gerne an und gewährte nach dem
Wunsche des Heeres, das er in öfieutlicher Ansprache
dafür gewann, den Frieden. In dieser Ansprache betont
er, dass nicht blos der Feind für besiegt gelten müsse,
der im Treffen der Übermacht der Waffen und höherer
Kraft unterliege, sondern weit sicherer der. welcher sich
freiwillig unter das Joch schmiege, durch Erfahrung
belehrt. "dass es ,.uns weder an Mutb gegen Empörer,
noch an Milde gegen Uuterwürtige fehle- ». Aus dieser
Anschauung lässt sich wohl alileiten. dass der Kaiser,
».bwohl keine .Schlacht vorgefallen war, sich den Trium-
phaltitel ,.Alamannicus'' beilegte.
Soviel sei aus der Geschichte dieses Kaisers zum
Verständniss der Inschrift bemerkt, in welche nun näher
einzugehen ist. Die allgemeinen Titel enthalten nichts
Auffallendes. Pins, Felix, Augustus sind althergebrachte
Beinamen der römischen Kaiser. Die Ausdrücke ,. Victor
maximiis" und „Triumfator aeternus-, welche sich nicht
blos auf die von dem Kaiser selbst sondern überhaupt
auf die unter seiner Regierung erfochtenen Siege beziehen,
kommen ähnlich auf dem Meilenstein in Pesaro ( Orelli
1102) vor und sind noch bei weitem nicht die crassesten
Ausdrücke offieieller Schmeichelei , wie ein anderer
Inschriftstein zu Sebenico in Dalm:itien (Orelli 1098)
lehrt, der den Constautius einen au Tapferkeit und
Glück alle Vorgänger übertreffenden Fürsten (^virtute et
felicitate omnes retro principes snpergresso ) nennt. Die
auf die Abstammung des Kaisers bezügliche Stelle
unserer Inschrift nennt Constautin den Grossen als Vater
und da dieser ein Sohn von Constautius t^Chloriis) war,
letzteren als den einen Grossvater; da ferner seine
Mutter Fausta, die Tochter des Kaisers Maximianus
Herculeus war, bezeichnet der Stein diesen als den
andern Grossvater, als jenen von mütterlicher Seite.
Seltsam ist es dabei, dass der mütterliche Grossvater
an erster, der väterliche an zweiter Stelle genannt
wird. Gewiss hat dies gegen die officielle Gewohnheit
Verstössen und ist als ein Fehler des Bildhauers zu
betrachten.
Endlich erscheint als Urgrossvater der Kaiser
Claudius IL. auch nur indirecter Weise hereingezogen,
indem die Mutter des Constautius Chlorus, Claudia, nicht
die Tochter des Claudius war, sondern seine Kichte,
eine Tochter nämlich seines Bruders Eutropius.
Getrennt von diesen Bezeichnungen der Abstam-
mung durch die Erwähnung des Poutiiicates, die wir
füglich unter den Amtstiteln suchen sollten, werden die
Triumphaltitel: Germanicus, Alamaiinicns, Gothicus
Adiabinicus. Jeder mit dem Beiworte -Maximus", aufge-
führt; sie beziehen sich auf die schon genannten theil-
weise problematischen Siege gegen Perser, Sarmaten
nnd Alamannen; da die Feldzüge, die Constautius als
Kaiser gegen die Sarmaten unternahm, erst in die Jahre
.357 bis 359, also nach Errichtung der in Rede stehen-
den Strassensäule fallen, so können sich die Titel
Sarmaticus und Gothicus nur auf die Theilnahme des
Constautius an den FeldzUgen Constantins des Grossen
in dessen letzten Lebensjahren beziehen (Eutrop. X, 7).
Die nun folgenden Amtstitel weisen auf das Jahr
354 als Zeitpunkt der Errichtung des Denkmales hin,
' AmmitDUi XIV, lU.
indem der Kaiser in diesem Jahre das siebente Con-
sulat bekleidete , gemeinschaftlich mit seinem Neffen
Constautius Gallus, der damals dieselbe Würde zum
dritten und letzten Male iune hatte, zum letzten Male,
da er in demselben Jahre noch in Pola hingerichtet
wurde ^ Was nun endlich die letzte Angabe betrifft,
die allein historischen Werth hat. so lässt sich aus ihr
die Herstellung der Strassen und Brücken in Illyricum,
d. h. nach damaligem Begriffe in den Donauländern vom
Inn bis zum schwarzen Meere (^Xoricum, Pannonicn, Mö-
sien und Dalmatieu) eoustatiren; sie bildet, nachdem der
Friede wieder hergestellt ward, den Abschluss der Thä-
tigkeit des Kaisers im Donaugebiete. Dieses hatte bis
zur Zeit der Errichtung des Meilensteines besonders
gelitten durch den Krieg gegen Magnentius im Save-
lande, auf welchen wir näher eingehen müssen; denn
sowohl der Ausdruck „recuperata republica- als auch
die Bestimmung der Route, auf die sich unser Meilen-
stein bezieht, lassen sich daraus erklären.
Von den drei Söhnen Constantins des Grossen fiel
der eine, Constantin der Jüngere durch die Ränke seines
Bruders Constans, der hierauf die Regierung im Abend-
lande an sich riss und, wenn wir den Geschichtschrei-
bern glauben dürfen, in einer Weise führte, welche die
allgemeine Unzufriedenheit der Unterthanen erregte,
ein Umstand, den Magnentius, der Comniandant zweier
Legionen, der von Constantin dem Grossen aus niede-
rem Stande emporgehoben ward, benützte, um sich des
Thrones zu bemächtigen, worauf die Ermordung des
Constans erfolgte. Diese Usurpation galt in den Augen
des Constantins, des überlebenden letzten Sprossen
Constantins des Grossen, und bei seinem Anhange, als
ein unerhörter Eingriff in die Rechte der jungen Erb-
monarchie, abgesehen von der Verwerflichkeit, welche
der Mord überhaupt in sich hatte. Auch reizte das
Beispiel des Magnentius den Velranio, der die Truppen
in Pannonien befehligte, zu einem ähnlichen Unterneh-
men auf, indem er sich in Mursa (Esseg) zum Kaiser
ausrufen Hess. So drohten die alten Zeiten der Thron-
prätendenten aus dem Feldherrenstande wieder zu
kommen, welche während der Regierung des Gallienus
das Reich an den Rand der Auflösung gebracht und
gegen welche die aus Illyricum stammenden Kaiser —
die grossen Reformatoren des Staates, Claudius, .Aurelia-
nus, Pmbus und Diocietianus — mit Energie und Erfolg
angekämpft hatten. Die Abwehr derTbronanniassungen
und die Behauptung der Einheit des Reiches gehörte
denn auch zu den Bestrebungen des Kaisers Constan-
tins; man kann daraus abnehmen, wie tief er sich
durch die verbrecherische Unternehmung des Magnen-
tius getroffen fühlte. Erwägt mau noch, dass die Regie-
rung des Prätendenten die Unzufriedenheit im Abend-
lande, namentlich in Rom, erregte , so ist wohl zu
erklären, wenn sie auf einem nach seiner Besiegung
errichteten Denkmale zu Rom eine „pestifera tyrannis"
genannt wird (Orelli 1101).
Constantins begann denn auch ohne Zögerung den
Kampf mit Magnentius und suchte, um in der Flanke
gesichert zu sein, vorläufig einen Vergleich mit Vetra-
nio. Bei der Zusammenkunft mit ihm in Kaissos gelang
es dem Kaiser sogar, durch Erinnerungen an die
Regierung Constantin's des Grossen die Soldaten des
Vetranio zur Rache an Magnentius zu entflammen und
^ AmiD:aDus XIX, 11.
XXXIX
gänzlich auf seine Seite zu bringen, worauf Vetranio
selbst seinem ünteruebmen entsagte.
Magnentius war von Emona (Laibach) aus Über
Poetovio (Pctlaii) gegen Pannonien vorgerückt und
suchte das feste Siscia (Sissek) zu nelimeu, um den
Übergang über die Save zu bewerkstelligen und am
rechten Ufer derselben vorzurücken. Allein er wurde
von der Besatzung von Siscia zurückgeschlagen. Doch
verfolgte man von Constantius' Seite diesen Vortheil nicht
weiter, da der Kaiser die ebenen Gegenden der unteren
Save als Terrain für die Hauptschlacht vorzog, wo er
seine Reiterei, die jeuer des Magnentius überlegen war,
wirksamer verwenden konnte. Er gestattete daher dem
Feinde unbeiästigten Rückzug und zog seine Truppen
weiter unten bei Cibala (Vinkovce) zusammen. Kaum
aber hatte Magnentius in dieser Weise Luft bekommen,
so fiel er abermals über Siscia her, erstürmte es, über-
schwemmte das ganze Uferland an der Save, recrutirte
dort und rückte weiter nach Sirmium (Mitrovic), den
zweiten strategisch wichtigenHauptpunkt desSavelandes,
vor, den er ohne Schlacht einzunehmen hoffte. Allein
die Besatzung und die Einwohner vertrieben ihn durch
tapfere Gegenwehr, so dass er sich gegen Mursa (Esseg)
wenden musste, um es einzunehmen und zum Stützpunkt
seiner Operationen zu machen. Es fehlte ihm jedoch an
Belagerungsmaschinen ; er konnte auch hier nichts
Erhebliches ausrichten, zumal da die Einwohner seine
Stürme tapfer abschlugen. Auch brach nunmehr der
Kaiser aus seinem Lager bei Cibala hervor und griff
Magnentius an. Es folgte eine überaus blutige Schlacht,
in welcher 54.000 Mann gefallen sein sollen. Der Sieg
schwankte lange, blieb aber endlich dem Kaiser, worauf
Magnentius entfloh (352). Er versuchte in Oberitaiien
noch ein zweites Mal das Schlachtenglück ohne erheb-
lichen Erfolg 6 und brachte sich, da ihm als dem Un-
glücklichen die Verhältnisse überall ungünstig wurden,
selbst ums Leben (353").
Somit war Constantius wieder Alleinherrscher, das
Reich ward wieder in seinem ganzen Umfange als ein-
heitlicher Staat hergestellt; wohl darauf geht der Aus-
druck unseres Steines „recuperata republiea", sowie
die Ausdrücke ähnlichen Sinnes auf anderen Inschrift-
Steinen, z. B. ,..4ngustus toto Constantius orbe receptus"
(Orelli 38), „restitutori urbis Romae atque orbis et ex-
stinctori pestiferae tyrannidis" auf dem schon genann-
ten Steine von Rom fOrelli 1101), „conservatori impcrii
Roniani" (Orelli 1102) n. s. w.
Das Kriegswetter in diesem Zweikampfe zog sich
vorzüglich in der Gegend zwischen der Dran- und Save-
miindnng zusanmien , in dem Dreiecke, welches die
wicliiigen Punkte Mursa, Cibala und Sirmium bilden.
Die Haupstrasse des Savelandes verband diese Orte,
sie mochte also auch dnrcli den Krieg sehr viel gelitten
haben. Aber auch über Mursa hinaus an der Drau auf-
wärts kann eine theiiweise Zerstörung der Strasse als
Wirkung des Kampfes angenommen werden, aus fol-
gendem Grunde. Es gab zwei Strassenzüge im Save-
lande. Die eine führte am rechten Drauufer bald in
grösserer bald in geringerer Entfernung vom Flusse, von
Poetovio nach Jlursa und verband in kürzester Linie
Oberitalien mit den unteren Donauländern. Daher wurde
diese Route von den Pilgern ins heilige Land am meisten
benutzt, als die Wallfahrten nach Jerusalem begannen;
' Victur epit. 42.
auch das Itinerarium Hierosolymitanum , welches zum
Zweck der Pilger die Reise von Bordeaux in Frankreich
nach Jerusalem beschreibt und um 333, also 19 Jahre
vor der Schlacht bei Mursa, abgefasst worden war',
führt auf dieser Strasse an die untere Donau, indem sie
von Aquileja über Emona (Laibach) nach Atrans
(Adrans, heute St. Oswald am Trojanaberge in Krain),
Celeja (Cilli) Poetovio und Mursa, und von da über
Sirmium und Singidunum (^Belgrad) den Weg in den
Orient einsehlägt.
Die zweite , um vieles ältere und in strategischer
Beziehung wichtigere Strasse ist jene an der Save; sie
lief von Emona aus gerade östlich über das h. Weixel-
burg undRudolphswörth in Krain, folgte dann dem Gurk-
flusse bis zur Mündung in die Save und weiter dieser
bis nach Sissek (Siscia); von hier aus ging sie meist
am Südrande des Gebirges über Neugradisca und Brod
noch Vincovce (Cibala) und Mitrovic (Sirmium). Ihre
Ausdehnung ist grösser als jene der Draustrasse; den-
noch wurde sie in Feldzügen, die sich gegen den Orient
bewegten, in der Regel eingeschlagen; denn es lag an
ihr das überaus wichtige Siscia, schon seit Tiberius'
Zeiten eine Festung ersten Ranges, welche im Vor-
marsch zur Rechten oder im Rücken liegen zu lassen
nicht räthlich war. Darum wendete sich Magnentius
von Poetovio sogleich gegen Siscia und nahm es beim
zweiten Versuche wirklich ein. Auch Julianus Apostata,
der schon genannte Neffe des Constantius, Hess, als er
in der Folge (360) gegen seinen Oheim zu Felde zog,
die dritte, südliche seiner Heeressäulen über Emona
nach Siscia vorgehen s.
Vergegenwärtigt man sich nun die Stellung der
beiden kämpfenden, des Magnentius, der nach der Ein-
nahme von Siscia gegen Sirmium vorrückte, und des
Kaisers Constantius, der in Cibala sich verschanzte, wo
die Drau und die Savestrasse sich sehr nahe kommen,
so erhellt, wie gross die Gefahr für ersteren war, in der
Flanke durch eine Trnppenabtheilung bedroht zu werden,
welche etwa von Cibala aus nach der Draustrasse aufwärts
zog und durch eines der Seitenthäier, die vom Krapina-
flusse und von der Bednja und Lonja gebildet werden,
hervorbrechen, Siscia überraschen, einnehmen und so
dem Magnentius den Stützpunkt seiner Operationen ent-
ziehenkonnte. Es ist daher sehr wahrscheinlicii und war
ein Gebot der Vorsicht, dass Magnentius auch die Drau-
strasse unwegsam machte durch Abtragung der Brücken
und durch Zerstörung des Strassenkörpers selbst. Kur
so lässt es sich erklären, dass schon 19 Jahre nach Ab-
fassunff des Itinerarium Hierosolymitanum, zu welcher
Zeit die Drau- oder die Pilgerstrasse, wie man sie auch
nennen kann, in gutem Zustande gewesen sein muss,
ihre Restauration, die unser Meilenstein bezeugt, noth-
wendig wurde.
Dass aber eben diese Strasse es war, deren Re-
stauration unser Meilenstein verewigt, lässt sich aus
seiner Distanzangabe (v. 23, 24) entnehmen; sie lautet:
,,Ab Atrante ad flumen Savura milia passus CCCXLVI",
rechnet also von Atrans zum Savefluss 346 millia passus,
von denen fünf auf eine deutsehe Bleile geben. Atrans
ist völlig bestimmt. Nach den Angaben der Tabula und
des Itin. Hierosol. trifft es genau mit der h. Poststation
■ Itinerarium a Burdigala Hierusalem usque &c. Aiisg.ibe vfin Wese-
liDg p. 549, V. Parthey und Pinder p. iCl. cf. Bernhardy, Römisch. Litlerr.lur-
gesch. III, Bearbeitung S. G.iO.
* Vgl. Wietersheim, Gesch. d. Volkerwanderung III, 291.
XL
St Oswald bei Trojana auf der Rcichsstrassc zwiscbeu
Cilli und Laibacb nahe an der Grenze von Krain und
Steiermark zasanimcn. Dagegen ist nubestimmt. was
man unter der Bezeichnung ,ad Humen Savuni- zu ver-
stehen habe, indem von der ziemlich laugen Strecke,
welche dieser Fluss zurücklegt, nur e i u bestimmter
Punkt gemeint sein kann, und zwar ein ausgezeichneter
wichtiger Punkt, der schlechtweg mit _ad Humen Savura-
bezeichnet weiden konnte, ohne dass der Leser im
Zweifel über den Sinn dieser Bezeichnung blieb. Da
nun die Entfernung dieses Punktes von Atrans auf 34ö
römische Meilen angegeben wird, so mnss er an der
unteren Save gesucht werden. Hier gibt es aber nur zwei
ausgezeichnete Stellen, auf welche der Ausdruck des
Meilensteines bezogen werden könnte . entweder die
Steile, wo die Save die Stadt Sirniium i Mitrovic ) berührt,
oder ein Ort nahe an ihrer Mündung in die Donau.
Um darüber entscheiden zu können, muss zunächst
bestimmt werden, in welcher Richtung die im Meilen-
stein envähnte Strasse von Atrans aus zum SaveHusse
sieh bewegte. Es gab dafür zwei Eichtungen : man
konnte entweder über Celeja (Cilli). Poetovio (Pettau)
längs der Drau, also über Mursa. nach Sirniium gelan-
gen ; dieser Weg betrug nach dem Itinerariuni Antonini
(Wess. p. 129) 300, nach der Tabula 2i^6, wobei offen-
bar einige Zahlen entstellt sind, endlich nach dem Itine-
rarium Hierosol. 311 njjllia. Oder man konnte von Atrans
über Emona i Laib:ich i. Pindolphswörth durch das Thal der
Gnrk und von deren Mündung in die Save längs der
letzteren nach Siscia und weiter über Cibala i Vinkovcei
nach Sirmium gelangen, in welchem Falle der Weg nach
dem Itinerarium Antonini 35u millia ausmachte. Schon
von vorneherein gibt uns der Name Atrans für den Aas-
gangspunkt der Eoute. einen Wink über deren Piichtung.
Wer auf dem Wege über Aquileja und Emona nach
Sirmium einmal bis Atrans gelangt ist. wird doch wohl
nicht wieder zurück nach Emona gehen und von hier
aus die Reise wieder beginnen, sondern er wird von
Atrans weiter über Poetono und Mursa direct nach
Sirmium gehen.
Doch untersuchen wir die verschiedenen Richtun-
gen und Längen der Strassen , die man möglicherweise
von Atrans aus nach Sirmium verfolgen kann . und
mluiien wir zunächst an, der Ausdruck ,ad Humen
Savvum- sei auf Sirmium zu beziehen, wo die Save
die Stadt berührt : dann könnte die erste der beiden
ebenangegebenen Richtungen nicht gelten, da der Mei-
lenstein 346 millia von Atrans weg zählte, während
Sirmium 300 bis 311 millia abliegf. Dagegen kommt
der Weg über Emona. der nach "sirmium 350 millia
sich erstreckt , der Angabe des Meilensteines so nahe,
dass man versucht sein könnte, diese Route für die
im Meilensteine gemeinte zu halten. Aber es spricht
dagegen, wie gesagt, der Umstand, dass man in diesem
Falle von Atrans nach Emona zurück gehen musste und
erst von hier ans gegen O.sten vorgehen konnte, wobei
der Reisende einen Imweg von 50 millia zu machen
hatte, um schliesslich an denselben Punkt zu gelangen,
den er von Atrans ans geraden Weges ü"ber Mursa und
\-iel schneller erreichen konnte.
Einen andern Weg in derselben Zeit, wie über
Mursa. nach Sirmium zu kommen, gab es nicht: der Wc
von Atrans nach Poetovio und von hier durch das Kra*^
pinathal über Agram und Siscia nach Sinuinm betrug
371 millia. kann also hier nicht in Betracht kommen.
Parallel zu dem Thal der Krapina führen die Thäler
zweier anderer kleiner Wässer. derBednja. die nordwärts
Hiessend sich in die Drau, und der Lonja, die südwärts
fliessend in die Save sich ergiesst. Durch diese Thäler
von der Drau an die Save nach Siscia ablenkend betrug
der Weg nach Sirmium 356 millia, also 10 millia mehr
als der Meilenstein angibt. Wenn mau auch auf diese
Differenz kein Gewicht legen wollte, so könnte man doch
diese Route nicht lur die im Meilenstein benannte halten,
weil erstlich alle Spuren fehlen, dass in den Thälem der
Bediija und Lonja eine lieerestrasse geführt habe, und
weil, selbst wenn eine solche vorausgesetzt würde, dabei
ein Umweg von 56 millia gemacht werden müsste, um
von Atrans nach Sirmium zu gelangen, also ein grös-
serer selbst, als im ersten Falle jener über Emona
gewesen wäre.
Von den angegebenen Richtungen stimmt daher
keine zu der Meilenzahl unseres Denkmals, wenn man
den Ausdruck .ad flumen Savum- auf Sirmium bezieht.
Da aber eine andere Route zwischen Atrans und Sir-
niium als die eben verglichenen von Natur aus nicht
gegeben, und da die kürzeste unter ihnen und mithin die
wahrscheinlichste jene über Poetovio - Mursa führende
ist, so mnss man folgern, dass der Ausdruck >ad Humen
Savum^ nicht auf die Save bei Sirmium sich bezieht,
sondern einen unterhalb Sirmium betiudlichen Punkt
an diesem Flusse bezeichne. Dies kann nach unserer
-Ansicht nur ein (Jrt an der Mündung der.Save selbst sein,
in nächster Nähe von jenem Orte, der in der Tabula
unter dem Namen Confluentibns erscheint, also in näch-
ster Nähe von Taurunum i Semlin i am linken und Singi-
dnnum (Belgrad' am rechten Ufer. Die Entfernung
zwischen Sirmium und Singidunum gibt das Itinerarium
Antonini ^p. 131 1 anf ö'J. das Itinerarium Hierosolvuü-
tannm auf 50. die Tabula, die übrigens an dieser Stelle
sicher nicht verlässlich ist. auf 38 millia an. Die that-
sächliche Entfernung beträgt, wenn man die geradeste
Linie über Pecince und Ugrinovce einschlägt, was die
Terrainbildnng vollkommen gestattet. 45 bis 46 millia.
Rechnen wir diese letztere Distanz zu den Distan-
zen, welche die beiden Itinerarien lur die Strecke
Atrans-Poetovio-Mursa-Sirmium ansetzen, so resultiren
nach dem Itinerarium Antonini : 3(.i0 -|- 45 oder 46, zu-
sammen 346. nach dem Itinerarium Hierosol. 311 -|- -15
oder 46. zusammen 356 bis 357 Meilen, ^'on dem letz-
teren lässt sich aber nachweisen, dass es die Entfer-
nungen häufig zu gross annimmt, wie z. B. zwischen
Pultovia (St.Lorenzeni und Poetovio, die statt 12 in der
Tliat nnr 7 millia beträgt, so dass die Gesammtsumme
der Meilen bis Sirmium nicht 311, sondern höchstens
3' ;6. jene bis Singidunum nicht 356, sondern 351 be-
trüge. Auch sonst mögen Krümmungen des Weges zur
Verlängerung beigetragen haben, die man bei der Re-
.«tauration der Strassen unter Constantins vermied; lehrt
doch eben die Angabe des Itinerarium Antonini, dass
man von Atrans aus nach Sinnium nicht mehr als 300
millia zurückzulegen nötliig hatte.
Stützen wir uns auf die letztere Angabe und rechnen
wir dazu die factische Entfernung zwischen Sirmium
und Singidunum nnterVoraussetzung einer völlig geraden
Linie, so gelangt man zu der Zahl 345 — 346 als Summe
der Meilen zwischen Atrans und Singidunum, womit die
Angabe des Meilensteines genau übereinstimmt. Übri-
XLI
gens kann aiu'li die Entfernung zwischen Sirniium und
Singidununi, ohne die geradeste Linie zu wählen, so an-
genommen werden wie im Itinerarium Hierosol. (mit äU)
oder im Itinerarium Antoniui (mit 52 millia), wonach
dann der Funkt ,.ad flumen Savuni" vier bis sechs Millia
von Singidununi entfernt gewesen wäre. Als sicher aber
darf uns gelten, dass der letztere Ort in nächster Kähe
der Savemündung lag, ob vier oder sechs oder nur drei
millia davon entfernt oder unmittelbar an der Jlündung,
hart an der einen oder anderen der beiden Festungen
Singidununi und Taurunum (Semlin), ist gleiehgiltig.
Für unsere Vermuthuug, dass ^ad üunien SavuuT'
nicht bei Sirmium , sondern an der Mündung der Save
oder doch in ihrer Nähe zu suchen sei, spricht auch der
Umstand, dass ,,ad flumen Savum" als Endpunkt der
Route genannt wird; wäre Sirniium derselbe gewesen,
so hätte auf den Meilenstein nach epigraphischer Ge-
wohnheit geschrieben werden müssen entweder: „Ab
Atrante Sirmium m. p. CCCXLVI" oder einfach: „Ab
Atrante m. p. CCCXLVI", wobei „Sirminnr" eine noth-
wendig aus dem Aufstellungsorte sich ergebende Er-
gänzung gewesen wäre. Da aber ausdrücklich statt Sir-
mium „ad flumen Savum-' geschrieben ward, so muss
der letztere Ort vom ersteren oöenbar verschieden ge-
wesen sein.
Wohl kann man gegen diese Darlegung den Ein-
wand erheben, dass, wenn „ad flumen Savum" nahe der
Savemündung lag, der Meilenstein, daerden Endpunkt der
Koute erwähnt, an letzterer hätte aufgestellt werden
müssen, also eben nahe der Savemündung, nicht aber in
Sirmium.
Allein dieser Einwand ist nicht stichhältig; es ist
schon oben davon die Rede gewesen, dass die äussere
Ausstattung unseres Denkmals nicht die eines gewöhn-
lichen Meilensteines, sondern eine reichere sei, welche
es insbesondere auszeichnen und auffallend machen
sollte; es hat in Folge dieser Ausstattung den Character
eines Strassenbaudenkmales, nicht blos eines
einfachen Wegzeigers. Der römischen Sitte ist es
durchaus gemäss, ein friedliches und für den Verkehr
bedeutsames Ereigniss, wie die Herstellung der Strassen
und Brücken in Illyricum war, durch ein iiischriftliches
Denkmal zu verewigen ; nicht minder wahrscheinlich ist
es, dass man ein solches nicht an einem entlegenen
Endpunkte, sondern in der Hauptstadt der Provinz auf-
stellte, im Centruni des Verkehres, wo sich auch ein
kaiserlicher Palast befand ; dort hatte es als die Haupt-
strassensäule der ganzen Route seinen Platz. — Das
Resultat unserer Forschung besteht also darin, dass die
in unserem Meilensteine angegebene Route keine andere
als die im Itinerarium Hierosol. angezeigte sei, die von
Atrans über Poetovio, Mursa und Sirmium an die Save-
mündung führte und dass der Meilenstein als Denkmal
des in den Jahren 353 und 354 vollzogenen Neubaues
der Strasse an dem Hauptpunkte derselben, in Sirmium,
aufgestellt worden sei.
Es bleibt noch ein Ausdruck zu erklären , der
unseres Wissens zum ersten Male auf diesem Denkmal
erscheint, der Ausdruck „quinarios lapides" in Zeile 20.
Quinarius bezeichnet die Zusammensetzung aus tünf
Ganzen oder fünf Einheiten. So wurden bei Wasser-
leitungen die Röhren, welche einen Durchmesser von
fünf Quadranten hatten, fistulac quinariae genannt (Fron-
tinus aquaeduct. 25); die kleine römische Silbermünze,
weiche fünf Asses darstellte, erhielt davon den Namen
nmiiiinis quinarius. Auf Meilensteine angewendet kann
nun quinarius entweder auf die äussere Beschaffenheit
derselben gehen und ihre Höhe oder ihre Dicke bezeich-
nen, die das Fünffache Irgend einer metrischen Einheit
betrugen, oder es kann sich der Ausdruck auf den Sinn
des Wortes „Meilenstein" beziehen, indem dieser Aus-
druck auf eine von zwei Sleilensteiuen begrenzte
Strecke übertragen wird. Alsdann würde „quinarius
lapis" eine Strecke Weges bezeichnen, die aus fünf Ein-
heiten des Wegmasses d. h. für unsern Fall aus 5 millia
(eine deutsche Meile) bestünde. „Quinarios lapides fecit"
würde dann ausdrücken , dass der Kaiser nicht alle
tausend Schritte sondern nur alle fünftausend Schritte
eine Meilensäule errichtet habe.
Uns scheint der letztere Sinn dieses Ausdruckes den
Vorzug bei der Erklärung zu verdienen. Denn es wai'
doch völlig gleiehgiltig, ob die Meileusäuleu fünf oder
sechs Schuh hoch oder dick waren, wenn nur die Orts
namen und die Distanzen richtig angegeben waren. Es
widerspriclit dem praktischen Sinne der Römer ganz und
gar, eine so nebensächliche Eigenheit im knappen Text
der Inschrift zu erwähnen. Dagegen gehörte es zur
Sache, auf dem Denkmale des Strassenbaues das Weg-
mass anzudeuten, das der Errichtung der Meilensteine
zu Grunde lag. Auf den einzelnen Meilensteinen genügte
eine kurze Angabe des Systemes, wie dies auch auf
unserem Denkmal geschehen ist. Nicht anders lassen
sich nämhch die Siglen M P V in der ersten Zeile
erklären, denn als „millia passuum quinque" d. h. der
Stein stand von dem letztpassirten Meilensteine fünf
millia entfernt. Indem diese Siglen auf jedem der neuen
Meilensteine ersichtlich vraren, gaben sie das System
des Fünfmillia-Masses völlig deutlieh an. Ebenso wird
die Münze , welche fünf Asses hielt, der quinarius, mit
einem V bezeichnet, wobei das Wort asses gedacht
ist. Auf den Steinen würde aber das einzeln stehende
V zu Irrungen Anlass gegeben haben, wesshalb die
Siglen M P hinzugefügt werden mussten.
Auffallend sind die mehrfachen Verstösse gegen
die Orthographie und gegen die Genauigkeit in der
Redaction des Textes der Inschrift, wie: Alamamnicus,
Gohticus, Adiabinicus, milia, oder wie die Wiederholung
von Germanicus (Z. 11 und 13), die dritten Endungen
in den Titeln : consuli (statt consul Z. 16) proconsuli
(statt proconsul Z. 17), die Fügung milia passus, die
Nennung des mütterlichen vor dem väterlichen Gross-
vater, die Aufiuhrung des Pontificates vor den Triumph-
phaltiteln (Z. 10), während man sie nach denselben erwar-
ten sollte, endlich die Stellung des Titels p. p. (pater pa-
triae) zwischen Consulat und Proconsulat, während es
nach letzterem, am Ende der Titeln, stehen sollte. Ob
die Schreibung triumfator (statt triumpliator) als ein
Verstoss gegen die Orthographie anzusehen ist, oder
schon damals üblich war, und ob die Schreibung Adia-
binicus auf einen griechischen Bildhauer gedeutet wer-
den könne , muss dahin gestellt bleiben 9. Die ortho-
graphischen und stilistischen Fehler deuten auf eine
des Lateinischen und höchst wahrscheinlich auch des
Griechischen nicht sonderlich kundige Hand; die falsche
Stellung der Beinamen und Titel vcrräth nicht minder
Unsicherheit und Mangel an Vertrautheit bei dera-
' In Adiabeuicus das e mit dem griechischen t, geschriebea gedacht
und als * geleseil, würde die Schreibung Adiabinicus erklären.
XLU
jenigen, der den Text rerfasste und die Ausführung be-
:iuf>i(biig;e. Diese Mängel wiegen um so schwerer, als
das Denkmiil ein otticielles ist, sie geben ein vernehm-
liches Zeugniss für den Yerlall der epigraphischen
Kunst in jener Zeit.
Das Denkmal gewährt in seiner Inschrift eine
interessante Parallele zu der betreffenden Route des
Itinerarium Hierosolymitannm. es enthält einen Beweis
der uralten Verbindung zwischen Morgen- und Abend-
land sowohl in commercieller Beziehung als auch in
Folge der Wallfahrten in das heilige Land. Es ist somit
ein überaus schätzbares Monument gerade für die Ge-
schichte der Donauländer. Um so erfreulicher ist. dass
es als ein Geschenk des früheren Besitzers, des k. k.
Obersten des Peterwardeiner Grenz-Regimentes, Herrn
von Scharisch, an das k. k. Antikencabinet gelangte und
in der Sammlung der Inschriften und Sculpturen im
unteren k. k. Belvedere aufgestellt werden konnte. Mit
grösster Liberalität hat die k. k. Donau -Dampfschif-
fahrts-Gesellschaft den unentgeltlichen Transport des
Steines von Mitrovic bis zu den Kaisermühlen über-
nommen.
2. Die Eroberung von Dacien (105 n. Chr.") hat in
den altgewohnten Verhältnissen des.Savelandes eine Än-
derung hervorgebracht, indem auf längere Zeit hinaus
die directe Bedrohung desselben von Seite der jenseits
der Donau wohnenden Barbaren aufhörte, also seine strate-
gische Wichtigkeit mehr zurück- und die mercantile mehr
in den Vordergrund trat. In dieser Beziehung war seine
Lage von der günstigsten Art, indem es Oberitalien mit
Jlösien und Thracien, also die abendländischen mit den
morgenländischen Provinzen und überdies die süd-
lichen L&nder mit Pannonien und Dacien verknüpfte.
Die Folge des eben erwähnten Umschwunges war, dass
die uralte Hauptstadt des Landes Siscia an Bedeutung
verlor, dagegen .Sirmium (Mitrovic) mächtig empor-
blühte; diese untere Savestadt wurde der Brennpunkt,
in welchem die Verkehrslinien von allen Richtungen
her zusammenliefen und sich kreuzten, von Thracien.
also in weiterem Sinne vom schwarzen Meere, von der
Ostküste des adriatischen Meeres, von Rom über Aqui-
leja, vom biunenläudischen Xoricum und Gallien über
Poetovio, von Pannonien über C'arnuntnm und Sabaria,
welch letztere Stadt den Verkehr mit den Germanen Mit-
tel-Europas und mit der Ostseeküste versah, endlich von
Dacien und den Ländern des südlichen Rnssland. Sir-
mium war für das IL und HL Jahrhundert das, was
Constantinopel mit dem IV. wurde, nur freilich in etwas
beschränkterem Sinne, indem die letztere Stadt durch
die Lnge am Meere, welche Sirmium fehlte, ein Welt-
platz geworden ist.
Aus dieser tretfliehen Lage der Stadt zwischen Orient
und Occident erklärt sich eine rasche Zunahme und Ver-
dichtung des römischen Lebens und, was damit innig
zusammenhängt, eine verhäitnissmässig sehr frühe auf-
kommende Pflege der christlichen Religion, eine Er-
scheinung, die durch analoge Fälle aus anderen C'olonial-
städten vielfach bezeugt wird; in der That gehört die
Leidensgeschichte der Märtyrer von Sirmium zu den
ältesten Legenden. Auch hängt mit der Lage der Stadt
zusammen, dass hier neben der lateinischen die grie-
chische Sprache geübt ward und wenn gleich nicht in
so reichem Masse, als jene, auf Inschriftsteinen ange-
wendet erscheint.
In dieser zweifachen Beziehung, sowohl der sprach-
lichen als der religiousgeschichtlichen. ist eine Insehrift-
tafel von Interesse, welche ein Grenzer vor etwa 13 J;ihren
im llofraume des Hauses Xr. 73S zu Mitrovic beim Aus-
graben eines Sarkophages fand. Späterhin als Thür-
schwelle benützt, wurde sie von dem schon genannten
k. k. Reallehrer Herrn Gruic irenau beschrieben und
betindet sich nunmehr gleichfalls als ein Geschenk des
k. k. Obersten Herrn v. Scharich in der Inschriften-
samndung des k. k. .Antikencabinetes.
Das Denkmal besteht in einer Tafel ans weissem
Mnnnor von 28 Zoll Länge, 20'/, Zoll Höhe und 2 Zoll
Dicke und zeigt in schönen, etwas schmalen, gut erhal-
tenen Lettern, von denen nur in der untern rechten Ecke
(vom Beschauer ans gerechnet) einige fehlen, lolgenden
Text :
Yn.\TeiA ■ Ta)N AecnoTcDX
H.WÜDN'}' .V\^ • IO\ A • K(DNCT.\NTIO
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'l,Tar£!a rtüv OcS— orcov i5,uwv OXavt'o'J 'lov/tov Kuv-
sravris'j av!xr;rs-j asßcc'jroO rs S xxi ^Ix-j Kwvjravriov £-'.-
uavc5rar5-j KiSasi, fi.»;v5; ZavQizsv oz £(?) ('jJs)3-'jiJCT;('?)
ü's 7r,-j uv»;a>;v avr" a-Jrr,v ßaot/iav "Os-Jx . . . Tiiirr.g vioj.
Der Schluss fehlt.
Die Inschrift bezieht sich also auf die Errichtung
eines, wie wir glauben, sepulcralen Denkmales am 24.
Tag des Xanthikos in dem Jahre, in welchem „unsere
Herren- Flavius Julius Coustantius (ll.i _der unbesieg-
bare Kaiser- zum fünften und der durchlauchtige Caesar
Constantius (Gallus) Cousulen waren (352); es ward
zur Erinnerung (wessen? mochte einst der nun fehlende
Theil besagen) gegenüber von dem kaiserlichen Palaste
selbst errichtet.
Das fünfte Consulat des Kaisers Constantius II.
und das zweite des Caesar Constantius G.iUus fällt in
das Jahr 352 '», also ein Jahr vor dem Tode des Mag-
nentius und zwei Jahre vor Errichtung des oben bespro-
chenen Meilensteines. Auch Monat und Tag sind be-
stimmt. Zavc-'.«; (nicht ZAXAIKUX. wie der Stein fälsch-
lich enthält, sondern HA-NöIKOÜi. ist bei den Macedo-
niern und Gazaeern, ferner bei den Ephesiern in später
Zeit der am 22. Februar beginnende Monat n. oz be-
zeichnet den 24. Tag dieses Monates i-.
Die folf;enden Zeilen beziehen sich auf die Errich-
tung eines Denkmals, das nach den Siglen A .J (1) sehr
wahrscheinlich ein sepulcrales war; der Name und das
'• ReUodi ftsti consuUres p. 367.
" P»uly E. E. IV, p. 18— iS.
<- D&55 in so später Zeit Dicht mehr die arsprüngliehe griechische
Zählung der Tige nacli der ersten, zweiten and dritten DekAde des Monates
galt, S' ädern tbeils eine fonlaufende *, theils die römische nach Noneu and
Idus lässt sich nach Kioftihrung- des Jutianischen Kalenders erwarten. Ein
Beispiel gieU: eine gleichfalls sehr späte Inschrift bei Osann Sylloge p. 3ß9
nr- ^6 , welche als Datum {i-T,-n 'lo'jXto-i Ö£x3t^ (r^ikii'i) mit der Anzeige der
Ii^diccion Terbindet.
t*Dt«r dra christlicbca IiuchrifteD io Böm encbeiot die ent« wcicll« aacb fort-
laafeDdni Tacc° (die tjoart« Dccenbris) tlhlt, au dem iabr« 303. SUtmi la«crpt. cbciss-
^ttiM RuBAc Dr. 2S.
XLTII
Alter des Verstorbenen mögen in der Fortsetzung, die
nicht mehr erlialleii ist, genannt gewesen sein. Es war
der Stein gegenüber dem kaiserlicben Paläste aufge-
stellt (avr' auTY^v ßxtJMav); aus diesem Grunde ist wobl
nicht daran zu denken, dass an der betretfendcn Stelle
das Grab des Verstorbenen selbst sieh befunden habe,
sondern nur eine Erinnerungstafel oder, da man voraus-
setzen kann, dass die Tafel in irgend ein Postament
eingelassen war, ein entsprechendes Bildwerk.
Da bei Ba^dta der Zusatz avT~ aür/jv erscheint,
so lässt sich erwarten, dass diese Localität in irgend
einer Rücksicht ausgezeichnet war, so dass zur Erhö-
hung des Nachdruckes ccjTr,v (ipso praetorio ex adverso
ponebatur) beigesetzt werden konnte. Wir erhalten
damit einen Wink über die Lage des kaiserlicben
Palastes in Sirmium; ursprünglich war derselbe wohl
nur ein praetorium im Standlager, wurde aber späterhin
als die Kriege mit den Sarmaten permanent wurden, in
eine bleibende Residenz verwandelt, die wichtige histo-
rische Erinnerungen für sich hat. Sie wurde das Haupt-
quartier der Kaiser bei den Kriegen gegen Sarmaten
und Gothen, wie es Carnuntum für die Kriege gegen die
Markomannen war. Hier rüstete Maximinus (235 — 237)
den grossen Krieg gegen die Sarmaten, der aber nicht
zur Ausführung kam (Capitolin c. 13; Herodiau VH, 2);
auch Constantin der Grosse rüstete sich hier in der Zeit
von 317 bis 324 gegen Sarmaten und gegen Licinius
(Wietersheim HI, 187) ; seine Söhne theilten in Sirmium
im Jahre 338 das Reich unter sich und Constantius H.
triuniphirte hier (358) über die besiegten Sarmaten und
hielt sich in der folgenden Zeit hier auf.
Der Name des Errichtenden ist zur Hälfte zerstört;
auch von dem Beisatze TGVTHC VIOC bleibt es zweifel-
haft, ob Teutes ein zweiter Name derselben Person sei,
also zu OCnPA . . . gehöre, oder ob „Sohn der Teute"
übersetzt werden müsse. Im ersteren Falle würde voraus-
gesetzt werden müssen, dass die folgenden (nicht mehr
erhaltenen) Zeilen den Sinn gehabt haben, dass 0.spra
._.. Teutes als Sohn etwa seinem Va*er oder seinen
Altern dies Denkmal widme. Dies scheint uns wahr-
scheinlicher, als der zweite Fall, erstlich weil alsdann
TGYTHC als Genitiv nur auf einen weiblichen Namen
(T6YTH), also auf die Mutter bezogen werden kann,
und es undenkbar ist, dass der Betreffende seine Mutter,
statt wie gewöhnlich geschah seinen Vater genannt
habe; dann weil die griechische Bezeichnung des Vaters
regelmässig nur durch die Setzung des Namens des letz-
teren im Genitiv ohne den Beisatz vii^ gebräuchlich war;
man müsste nur annehmen, dass die Inschrift von einem
Manne abgefasst wurde, der nicht rein griechisch sprach
sondern lateinische Ausdrucksweise im Griechischen
beibehielt. So unvollständig nun auch das Denkmal ist,
so enthält es doch sowohl im allgemeinen, als auch für
die Localgeschichte mannigfach Belein-endes. Es nennt
das fünfte Consulat des Kaisers, den Monatsnamen Xan-
thikos und das Slonogramm Christi mit den Buchstaben,
die es regelmässig begleiten und deren Sinn ist, den
Anfang und das Ende aller Dinge in dem Namen Christi
zu begreifen.
Für die locale Geschichte ist es von Wichtigkeit
alsZeugniss der Anwendung der griechischen Sprache 's
" Die Schreibung deutet eben auf die späte Zeit, welcher die Inschrift
ansehört; z. B. Ksjopo;, EavoixoO ujpOo,'>7| statt ((up)9iijf)Tj; das in Zeile 7 er-
scheinende dvToi für avTi dürfte -wohl so zu erklären sein, dass die Präposition
apostrophirt und das folgende Wort a'j-.'r,-/ darangefügt weiden sollte (dvx'
aÜTTjvj, der Steinmetz aber das a zweimal setzte.
und als Denkmal christlichen Glaubens, endlich wegen
der Nennung des kaiserlichen Palastes. Nach dem Be-
richte des Herrn Gruic fand sieh gleichzeitig noch eine
zweite Tafel mit griechischer Inschrift, die vielleicht zu
der unserigen gehörte; leider wurde sie verschleppt.
3. Ein drittes Denkmal, das in Mitrovic gefunden
wurde und als Pflasterstein neben der Thorschwelle
eines Hau.ses benutzt wird, ist eine Ära aus feinkörni-
gem Sandstein von 29 Zoll Höhe und 11 Zoll Breite;
eine nähere Auskunft über den Fundort vermochte mau
nicht anzugeben. Der Text lautet:
sILVAno
iLLATORi
SACR
L MARCELLus
5 dEc CoL nvk
VSLM
Herr Gruic, dem auch die Abschrift dieser Inschrift
verdankt wird, vermuthete mit Recht die angegebenen
Ergänzungen des etwas beschädigten Textes, welche mit-
hin lautet: Silvano Illatori sacrum L. Marcellus decurio
coloniae duumvir(alis?) votum solvit laetus merito. Der
Beiname der zweiten Zeile ist zwar verstümmelt; nach
dem schmalen Räume der Inschrift kann aber nur je ein
Buchstabe zu Anfang und zu Ende fehlen, so dass die
Ergänzung mit conservATORi, die am nächsten läge,
nicht statthaft und die Ergänzung mit ILLATORI, so
eigenthümlich sie uns anfänglich dünkt, wohl die beste
ist. Herr Gruic, dessen Sorgfalt im Copieren der In-
schrift durch die Copien des Meilensteines und der
griechischen Inschrifttafel ausser Zweifel steht, ver-
sichert auf das bestimmteste, dass die beiden ersten
noch erhaltenen Buchstaben der zweiten Zeile LL seien.
Demnach erscheint Silvanus der Flurgott zugleich als
Erntegott, der das glückliche Einbringen der Feld-
früchte gewährt, eine neue, mit seinem sonstigen mytho-
logischen Charakter wohl vereinbarliche Eigenschaft.
Die in Zeile 5 erscheinende Titelbezeichnung kann
wohl nur decurio Coloniae (Sirmii) duumviralis gelesen
werden, d. h. der Errichtende sass nicht blos überhaupt
in dem Rathe der Colonie (ordo decurionum), sondern
er hatte bereits in derselben auch die Stelle eines du-
umvir versehen und führte seitdem, obwohl nach Ablauf
seines Amtsjahres in die Reihe der übrigen decuriones
zurückgetreten, den Beinamen duumviralis.
Den Rang einer Colonie erhielt Sirmium von Kaiser
Septimius Severus (193 — 211), nachdem es schon viel
früher durch Kaiser Trajanus die „Civität" mit dem
Beinamen Favium erhalten hatte <*. Unser Stein kann
daher nicht vor der Regierung des erst genannten
Kaisers errichtet worden sein. Dr. Kenner.
Die Pfarrldrclie zu Griöbming in Steiermark.
(Mit 3 Holzschnitten.)
Der in der Obersteiermark gelegene Ort Gröbming
ist sehr alt. Schon frühzeitig bestand dort eine Pfarr-
kirche, wie uns eine Urkunde des St. Peterstiftes in
Salzburg aus dem Jahre 1160 lehrt, indem in derselben
dieses Ortes gelegentlich eines Gottesurtheiles Erwäh-
1* Zumpt. comm. Epigraph, p. 39C, 430.
XLIV
;,JJi;|MiM^SJ\iiiÄSMm^M§S&SS^^
T"
"I 1
Vis- 1.
»c«^
nuiig gethan wird. Als im Jalirc 1210 Erzbischof Eber-
liard das Archidiaconat in Salzburg vergrösserte, er-
scheint unter den neu zugewiesenen Pfarren auch jene
zu Griibenig (Grübiiiiugl.
Die gegenwärtige der heil. Jlaria geweihte Kirche
ist ein Steinbau, der gegen Ende des XV. Jahrhunderts
entstanden ist, wie die im Innern des Gotteshauses
befindlichen Jahreszaj|j.len 1491 und 1500 bedeuten. Ein
halbes Jahrhundert fjiäterf 1353) wurde sie durch einen
I5rand arg beschädigt '. Wann die Kestauration geschah,
darüber schweigen die hi.storischen Quellen.
. Die Kirche (Fig. 1 und 2) ist ein einschiffiger Stein-
bau von ungewöhnlicher Breite, der gegen Westen mit
einer geraden Wand, gegen Osten mit dem dem Lang-
liause in der Breite fast gleichen Presbyteriinn, das mit
fünf Seiten des Achteckes endet, abgeschlossen ist. Das
Langhaus besteht aus vier, das Presbyteriura nebst dem
Chorschlusse aus drei Gewölbejochen. Das Schiff hat
eine Länge von 30°, ist 6° 4' breit und 8° 5' hoch;
das Presbvterium ist nur 6° 2' breit, 8° 4' hoch und
o "
9 5' lang. Zwei Capellen, je eine gegen Norden und
Süden des vierten Langiiausjoches angebaut, geben der
Kirche annähernd eine Kreuzesform.
Das Gewölbe des Sciiiffes ist netzförmig aus riiom-
benförmigen Feldern zusammengesetzt, das Gewölbe des
Ciiores behält wohl thcilweise auch diese Figur der ein-
zelnen Felder bei, doch ist die C'ombination keineswegs
mehr eine so regelmässige. Die Rippen im Chor und
Schiffe haben kein gleiches Profil. Diese zeigen vier
Kchiungen und einen staik abgestumpften Endansntz,
jene bestehen aus zwei Kchiungen und dem zugespitzten
Mittcltheil. Die Langhausrippen vereinigen siclije vier
über den Wandpfeilcrn. deren auf jeder Seite drei ganze
* über Anzeige der Zöchpröpste Ulrich AVyser «nd Jörg Walch an den
Bischof Hieronymus von Chieuisee am 21. Augutit 1553 wegt-n erfolgtem Tod
ihres Pfarrers Sebastian Zottner beauftragt selber den l'riesler llenedict
Marpeuijtner, den Zuätand der Pfarre zu untersuchen und über selbe Bericht
zu erstatten, was mit folgendem geschali: .,Un»er lieben Frauenpfarrkircbc ist
luftig gewölbt, hat fünf Altäri- mit Tafeln (Klügclaltärej und Altartiicheru
geziert, aber der sechste Altar so uiiaerer Frauen und il"ctialtar i^t. ^amrnt
Glocken, Kircnciifensier, Tach, Uhr und Lampen vormhi'chw. Sakrament ist
Terbrünncn, an der Mauer und Geweih iiab ich kein Schaden gesehen. Die
Kriethofmaner will ertlich abgebn. Aber es Ist wieder ein neu Schardach nit
60 hoch als vor gwcst über den Kircheugowelb aufgericht. Auch die Glocken
anders gössen worden, welche auf den Frelthof in ein hölzera Gerüst auf-
gemacht bis maus in Thurm aufzeucht**.
und zwei halbe aus der Wand heraustreten. Nach ihrer
Vereinigung entwickelt sich als Wandpfeiler- Vorlage
ein zu drei Viertheilen freistehender cylindrischer Dienst
ohne C'a))itäl, doch mit besonderem Sockel. Aimlich
geordnet ist auch die Rip]ieiiablagerung im Chor, nnf
dass sich hier je drei Kippen über jedem der acht
Wandpfeiler vereinen und dass der Dienst mit einem
kleineu kelchartigen Cai)itäi versehen ist. Den spitz-
bogigen Triumphbogen ziert eine 2' 9" breite reich
gegliederte Gurte; die Bogenöffnung ist 5° 3 breit.
Die an der AVestseite des Langhauses eingebaute
und mit der Kirche gleichzeitige Musikempore ruhet auf
vier achteckigen und in zwei Reilien geordneten Pfei-
lern, welche auf Sockeln stehen und die drei Gewölbe
tragen, von denen das Jlittlere netz-, die beiden an
den Seiten rautenförmig sind. Der Aufgang zum Chor
wird durch eine steinenie Stiege vermittelt , welche
im ersten Joche zunächst der nördlichen Aussenmauer
erbaut ist.
Die südliche Seitencapelle, der heil. Anna geweiht,
liegt im gleichen Niveau mit dem Kirchenchor, zu dem
aus dem Langhause eine Stufe führt. Ein grosser Spitz-
bogen vermittelt den Eingang in die Capelie, welche
mit einem flachen, reich verschlungenen Rippcngewöliie
überdeckt ist. Die Rip])en verlaufen sich flieils in den
Mauern, tiieils ruhen sie auf schwachen Eekdiensten.
Die Capelle an der Nordseite liegt circa 10 Stufen
höher als das Presbvterium, was sich dadurch erklärt,
weil unter ihr eine kleine Gruft angebracht ist, in die
jcdocli der Eingang von der Aussenseite der Kirche
führt. Die gegenwärtige niedrige und schmucklose Ca-
])e]le ist aus neuerer Zeit und verdient keine besondere
Beachtung.
Das Langhaus hat an der Südseite zwei, an der
Nordseite ein, die südliche ein S]iitzbogiges Fenster.
DasPresbyterium erhält sein Tageslicht durch drei spitz-
bogige Fenster im Chorschlusse und ein kleines und
ein grösseres an der Südseite. Sännntliche Fenstt'r sind
mit Masswork geschmückt, das kleinere an der Südseite
und die an der Nordseite sind zweitheilig, die übrigen
dreitheilig. Im Masswerk sieht man neben dem Drci-
uud Vierpasse die Fischblasenforiu. Im Presbyteriutu
XLV
H h
loxrAj
Fi£
sind die Pfosten in der Mitte durch einen Kreis ver-
bunden. Das grosse spitzbogige Fenster an der West-
seite ist vermauert. Zwei Ivleine Fenster an den Seiten
daselbst sind nocli otfen geblieben.
Die Kirche hat drei Eingänge, einen kleinen spitz-
bogigen rechts im Presbyterium, an der Südseite des
Langhauses einen spitzbogigen etwas verzierten, und
endlich an der Westseite den Haupteingang (Fig. 3),
vor dem sich gegenwärtig ein hölzerner Vorbau befin-
det , statt des früheren gothischen von Stein , von
welchem noch wenige Eeste übrig sind.
Die Aussenseite der Kirche ist höchst eiufiich. Wir
finden der inneren Eintheilung entsprechend an den
Mauern die Strebepfeiler hervorti-eten , welche an den
westlichen Ecken über Eck gestellt sind. Dieselben
verjüngen in ersten Drittel der Gebäudehöhe, dess-
gleichen im zweiten Drittel und schliessen mit einem
viereckigen über Eck gestellten Säulchen fialenartig ab.
Dieser letztere Schmuck ist jedoch nur den Strebe-
XIV.
Fiff. 3.
bauten des Laughauses eigen
die ganze
Das mn
Kirche laufende Dachgesimse ist einfach profilirt, dess
gleichen der das ganze Gebäude umfangende Sockel.
Als besonderer Schmuck des Chors erscheint eine
zweite Gesimsleiste, welche in der Strebepfeilerhöhe
angebracht ist.
Das ganze Gebäude ist mit einem gemeinschaft-
lichen hohen Satteldache überdeckt.
Noch ist des Thurmes Erwähnung zu thun, der
sich an der Nordseite neben der Capelle und sich an
die beiden ersten Joche des Presbyteriums, in das auch
die Mauer etwas hineinragt, anschliessend befindet. Er
ist aus Bruchstein erbaut, hat eine quadratische Grund-
form, die er bis zu seinem gegenwärtig durch eine
schwerfällige Kuppel hergestellten Abschiuss beibehält.
Bis zum vorletzten Geschoss zeigt er einfach gothischen
Charakter, im uniersten Stockwerke befindet sich die
Sacristei, darülier die Schatzkammer, jetzt eine Capelle.
Den Aufgang zum Thurm vermittelt eine aussen ange-
baute Wendeltreppe, zu welcher der Eingang vom Chor
ausführt. Über dem ersten Stockwerke setzt sich die
Stiege im Thurme selbst fort.
Das Äussere der Kirche hat durch bisherige Re-
staurations- und Erhaltungsarbeiten wohl mehr gelitten,
als durch den Zahn der Zeit.
Es ist zu bedauern, dass die Strebepfeiler und
Gesimse verstümmelt, die Portale beschädigt, die Wände
mit Verputz und Weissigung verunstaltet sind. Das
Erdreich hat sich im Laufe der Zeiten rings um die
Kirche erhöht, und es erscheint nothwendig auf der
Nordseite das an der Mauer aufgehäufte Erdreich zu
beseitigen und einen Graben zu ziehen, damit Wasser
und Schnee die Mauer nicht beschädigen können.
Eine Eestauration des Äussern so wie des Innern wäre
sehr erwünscht, müsste aber gründlich vorgenommen
XLVI
werden, insbesondere müsste alle fehlende Steinmetz-
arbeit ergänzt werden.
Weniger kostspielig wäre die Kestiiurirung des
Innern, da kein eigentlich constriictiver Thcil beschä-
digt ist. Die Pfeiler, Gewölbe. OLWölbcrippcn , Mass-
werke der Fenster sind ditrchselmittlich im guten Stand.
Als Aufgabe der Restauration im Innern muss
daher zunächst bezeichnet werden: die Entlernnng der
Kalktünche; falls sich an den Wänden und Gewölben
Spuren ehemaliger ^lalereien finden, sind diese Male-
reien zu restauriren. und zu ergänzen; endlich müssen
die drei Fenster des Chorschlusses reichere Glasmale-
reien haben; die Fenster sind strenge im Styl der
spätem Gothik. sowohl in den figuralen als in den orna-
mentalen Theilen durchzuführen : die übrigen Fenster
der Kirche sind in einfacher Weise mit ornamentalen
Malereien zu versehen ; die Kanzel und die sämmtlichen
.Altäre sind zu beseitigen und durch neue zu ersetzen.
nur ein älterer ganz wcrthvoller Flügelaltar wäre nach
entsprechender Wiederherstellung wieder zu verwenden.
Die Kirche verdient, dass sie mit Hedacht restau-
rirt werde, indem auf diese Weise eine Kirche geschaf-
fen wird, die nicht nur einen erhebenden und erfreu-
lichen Eindruck auf die Gemeinde machen würde, eine
Kirche, die nicht nur an und für sich den Aiifordernn-
gcn entspricht , sondern wodurch auch ein höherer
Zweck erreicht werden könnte. Es würde zugleich ein
Muster aufgestellt, wie eine Kirche eingerichtet, ins-
besondere wie eine Kirche des XV. Jahrhurderts restau-
rirt werden soll, ein Muster, das auf Hebung des Kunst-
sinns und der Kunsibildung der Gemeinde, wie des
Clerus, vom grös,sten Einfluss sein würde. Mit der Auf-
gabe der Restauration wird zugleich die höhere Aufgabe
gelöst werden, die Ausstattung der Kirchen in jener
Gegend überhaupt in eine bessere Richtung zu drängen.
...d...
Inschriften aus Pola und Risano.
Po 1 a.
Am Clivo di S. Ginliana in der Nähe der B. V. for-
mosa zu Pola wurde im Herbste 1867 eine Tafel von
griechischem Marmor gefunden, welche 21 V4 Zoll hoch.
15 Zoll breit und ly, Zoll dick i.st und eine Inschrift
von 17 Zeilen enthält. Ein der k. k. C'entral-Commission
zugekommener Papierabdruck derselben zeigt kleine
ziemlich seichte und schmale Buchstaben von 6 — 7
Linien Höhe. Die Inschrift lautet:
IN COLOXIA ■ IVLIA • PO
LA • POLLENTIA • HERf'VLANEA
REFEREXTIBVS P • MVTTIENO PRIS
. CO • ET C ■ MAECIO ■ HISTRO • n VIR
5 NON SEPT •
QVod vERBA FACTA SVNT • SETTIDIVM
ABASeaNTVM PRAETER PROBITA
TEM Vitae cVM EA SOLLICIT\ DINE
ADQuE INdustRIA • DELEGATVM SIBI
10 OFFICIVM in INSVLA MINERVIA TVERI
VT NON soLVM CONTENTVS SIT • CVRA AC
DILIGentia rELIGIONI PVBLICAE SATISFA
CERE VERum etlAM QVAEDA3I l'ROPRIO SVM
tV SVO AD EXCOLENDVM LOCVM EXCOGITET
15 atque in PENDAT ET PROPTER • HOC TALIS ADFECTI
onis merita ex PVBLICO REMVNERANDA
esse decretum est ab (?) ILLIS POR PVBLIC GRAtias
(Schluss fehlt).
Die Einleitung der Inschrift, welche die fünf ersten
Zeilen einnimmt, lautet also: In colonia Julia Pola Pol-
lentia Herculanea referentibus Publio Muttieno Prisco
et Cajo Maecio Histro duoviris, nonis Sejitcnibribus.
Es folgt hierauf der motivirte Antrag, über welchen die
Duoviri rcferirt hatten: quod vcrba facta suut.Settidium
Abascantum j)raeter probitatem \"itae cum ea sollicitn-
dine atque industria delegatuui sibi officium in iusula
Minervia tueri, ut non tantum contentus sit, cura ac
diligentia religioni pubjicae satisfacere, verum etiam
qnaedani sumtu suo ad excolendum locum excogitet
atque impendat, et propter hoc talis adfectionis merita
ex publico remuneranda esse, decretum est ab (?) illis
pro (?) publico (porro publice ?) gratias (^agendas esse ?)
Der Schluss fehlt leider: auch die letzte Zeile ist
schwer zu ergänzen; da ,,illis-*, wenn es ein selbstän-
diges Wort für sich ist, nur auf die Duoviri gehen kann,
so mnss eine Bezeichnung ihres Schlussantrages erwar-
tet werden; ob das POR, das auf dem Steine möglicher-
weise auch POP gelautet haben kann, als porro oder
als ein Fehler (statt pro), oder wie es anders zu fassen
ist, bleibe dahingestellt. Ebenso ist an der linken Seite
des Beschauers ein von der 7, bis zur 13, Zeile reichen-
der schmaler Streifen beschädigt , der durch die in
f'urrentsclirift angezeigten Ergänzungen bezeichnet ist.
Der Conservator des Küstenlandes Herr P. Ritter von
Kandier hat das Denkmal im zweiten Jahrgang der
Zeitschrift ,.la Provincia" Nr. 4 publicirt; wir .-ind seinen
Ergänzungen zum grössten Theile gefolgt ; nur in Zeile 9,
wo er adque < impari pericia ergänzt, haben wir die
Ergänzung adque industria aufgenommen, weil nach
dem Papierabdruck der Raum für zwei Wörter nicht aus-
reicjien dürfte und von dem zerstörten Worte die End-
silbe RIA. welche auf industria schliesseu lässt, völlig
erhalten blieb. Zur letzten Zeile hat er keinen Vorschlag
der Ergänzung gemacht.
Die Inschrift gehört in die ziemlich reiche Classe
jener Deukniälcr öffentlicher Anerkennungen, wie wir
sie auch aus anderen Colonialstädten erhalten finden.
Sie hat daher ein vorwiegend locales Interesse, in
welcher Beziehung Herr v. Kandier sie zu den wich-
tigsten ans Pola stammenden zählt, Settidins Abascan-
tus hatte wahrscheinlich, durch die Wahl der Dccurionen
berufen, das Amt eines Viertelmeisters, wenn wir uns
so ausdrücken dürfen , in einem kleinen Theile der
Stadt Pola zu versehen, welcher von dem dort liegen-
den Minervatemi)el ,,insula Minervia" hiess. Sein „offi-
cium" mag wesentlich jidlizeilicher Art gewesen sein,
indem er für die Sicherheit und für Erhaltung des
Tempels der Wege u, dgl. zu sorgen hatte. Er hat
aber nicht blos in dieser Beziehung und in herkömm-
' Es muss ftafmcrksam pcmacbc werden, dass die Srhrcibung „adque'*
statt atque auch in der Trie>tluer Inschrift ähnlichen Inhaltes vorkommt.
Kandtor, Indicazjoui per ricoooecerc le cose storicbe del littorale, p. 226,
Nro. 32.
xr.vir
lieber Weise den Forderungeu seiner öffentlichen Stel-
lung gewissenhaft Genüge geleistet (religioni ptiblicae
satisfacere), sondern ein Mehreres gethan, indem er
selbst Entwürfe für die Verschönerung des Platzes,
(quaedam ad excolendum locum exeogitet), machte und
sie auf eigene Kosten ausführte. Auch sonst war er
ein Ehrenmann; umsomehr fanden sich Bürger, wahr-
scheinlich Dccurionen (Mitglieder des Gemeinderathes)
bewogen, einen Antrag an den ordo decurionum auf
eine öffentliche Danksagung zu stellen. Darüber berich-
teten die Zweimänner der Stadt, die, weil ihre Namen
zur Bezeichnung des Jahres dienten, mit vollem Namen
genannt werden, in einer am .5. September (nonis Sep-
tembribus) ihres Amtsjahres, das wir alier nicht bestim-
men können, abgehaltenen Sitzung; in derselben wurde
der Antrag angenommen und daraufhin die Tafel auf-
gestellt. Es gibt uns diese einen interessanten Beleg für
die Behandlungsweise ötfentlicher Angelegenheiten im
städrisehenRathe, die jener des römischen Senates nach-
gebildet war; zugleich aber erinnert sie uns an mehrere
ähnliche Gemeindebeschlüsse, die ähnliclie Verdienste
ehren. Sehr selten kommen grössere und wichtigere An-
lässe für die Errichtung von Gedenktafeln vor, was auch
bei der arg beschränkten Autonomie der Gemeinden in
der römischen Kaiserzeit erklärlich ist.
Im Jahre 546 hat, wie Herr v. Kandier hervor-
hebt, der heil. Maximianus, Erzbischof von Ravenua,
einen alten Tempel zu Pola in eine Kirche der heil.
Maria formosa umgebaut. Diese Nachricht erhält durch
den Fund unserer Tafel eine überraschende Bestäti-
gung, indem sie in der Nähe der genannten Kirche
gefunden ward und nicht mehr zweifeln lässt, dass
jener umgebaute Tempel der der Minerva war.
Wichtig zumal für die Datirnng der Inschrift sind
die Beinamen von Pola; Julia Pollentia und Herculanea.
Der erste ist der älteste, er geht auf die Zeiten des
Kaiser Augustus zurück. Der zweite, Pollentia, wird
von Herrn v. Kandier auf die Mutter des Kaisers Ve-
spasianus Polla zurückgeführt, welche daselbst wohnte;
es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kaiser nach man-
nigfachen Änderungen in der Administration des Kü-
stenlandes und bei der der Stadt Pola bewiesenen
Sorgfalt ihr diesen Beinamen seiner JIntter zu Ehren
gegeben habe. Den letzten endlich, Herculanea, deutet
Herr v. Kandier auf Kaiser Commodus (18U — 192),
der den Beinamen Hercules führte; für das Ende des
II. Jahrhunderts spricht auch die Form der Buchsta-
ben und die etwas weitläufige Textirung der Inschrift.
R i s a n 0.
Bei der Umackerung eines Grundstückes in der
Nähe von Risano • am Golfo di Risano bei Cattaro kam
man 1867 auf einen Inschriftenstein, welcher 2 Fuss
10'/^ Zoll hoch, 1 Fuss 10 Zoll breit und 11 Zoll dick
war. Der Text lautet :
C STATIVS C F
SERG • CELSVS •
EVOC • AVG ■ DONIS •
DONATVS • BIS • CORONA.
5 AVREA ■ TORQVIBVS.
' Der Ort kommt nntor dem Namen 'PiCiov bei Polybios, als 'Pijdvn
bei Ptoicniaeus, als RiciDium bei Pliujus, als Rucimum beim Ravenn.iteD vor.
Korbiger III, p. S42.
PHALERIS • ARMILLIS •
OB TRIVMPHOS • BELLI
DACICI • AB • IMP • CAESA
RE • NERVA • TRAIANO • AVG
10 GERM • DAG • PARTHICO
OPTIMO 9 LEG • W, ■ GEMKAE •
IN • HISPANIA • T • P • I • ET EPVLÜ
DEDICAVIT Q
Cajus Statins Caji filius, (tribu) Sergia Celsus,
evocatus Augusti donis donatus bis corona aurea tor-
quibus phaleris armillis ob triuniphos belli Dacici ab
imperatore Caesare Nerva Trajano Augusto Germanico
Dacico Parthico optimo, ceuturio legionis septimae
geminae in Hispania titulum poni ju.ssit et Epulo dedi-
cavit.
Evocati Augusti hiessen jene Soldaten , welche
zwar ihre Dienstzeit schon vollendet hatten, aber bei
Ausbruch eines Krieges dem Aufgebot des Kaisers,
wieder in den Heeresdienst einzutreten freiwillig Folge
leisteten; es war dies eine Massregel, welche einem
neugebildeten Heere erprobte Elemente beimischte und
den Eintretenden die nächste Aussicht auf Beförderung
gab; aus Inschriften sind zahlreiche Beispiele nach-
zuweisen, welche scliliessen lassen, dass solche .A.uf-
gebote mit Freuden befolgt wurden.
Als solcher evocatus Augusti machte unser C. Sta-
tins Celsus die denkwürdigen zwei .dacischen Feldzüge
des Kaisers Trajan mit, welche, in der Zeit von lUü bis
105 n. Chr. unternommen, zu der letzten Eroberung der
Römer, zu jener des weitausgedehnten dacischen Landes
führten. Sei es, dass er schon damals Ceuturio der
Vn. Legion war, oder dies erst in Folge des Krieges
wurde, jedenfalls bewies er grosse persönliche Tapferkeit
und vollbrachte glückliche Thaten, die er freilich nicht
allzu bescheiden „Triumphe des dacischen Krieges"
nennt. Obwol die Inschrift den Krieg nur in der Einzahl
nennt, dürfen wir annehmen, dass mit dem einen Krieg
beide Feldzüge gemeint sind, da er zweimal decorirt
wurde. Die Auszeichnungen sind die gewöhnlichen;
am ersten Platze genannt, auch die grösste, war die
Corona aurea (vallaris oder castrensis) für die Er-
stürmung eines feindlichen Walles, ein goldener Kranz,
dessen Bildung wohl auch auf die That anspielte; ferner
erhielt er die ,,phalerae", eine aus mehi-eren metallenen
mit Bildwerk verzierten Scheiben bestehende Decora-
tion , welche an sich kreuzeudem Riemwerk auf der
Brust getragen wurden. Die torques sind Halsketten
oder Halsreife, die armillae Armbänder, die man am
Oberarm trug. Diese Auszeichnungen bestanden aus
edlem Metall, die meisten wohl , wo nicht ausdrücklich
Gold genannt wird, aus Silber. Die Decorirung nahm
ohne Zweifel der Kaiser selbst vor, da er in jenen
Feldzügen den Oberbefehl persönlich führte.
Für die Zeitbestimmung sind die in Zeile lü ange-
führten Trinmphaltitel des Kaisers von Wichtigkeit,
da unter ihnen auch der Beiname Parthicus genannt
wird. Denselben nahm Kaiser Trajan an im Jahre 115.
es kann also unser Stein nicht vor demselben gesetzt
worden sein. Ferner erscheint der Name des Kaisers
ohne den Zusatz „a divo imperatore etc." der, wenn
g*
XLVTII
von einem schon verstorbenen Kaiser die Rede ist,
hiiiznirefiiiTt wird : es ninss also Kaiser Trajan zur Zeit
der Errichiung unseres Denkmales noch am Leben
gewesen sein. Da er nun 117 n. Chr. starb, so miiss
das Denkmal in der Zeit von 115 bis 117 errichtet
worden sein.
Damals lag die siebente Lejrion in .Spanien: auch
der Ceniurio lebte dort und veranlasste von dort aus die
Errichtung des Denkmales in Kisano , wahrscheinlich
seinem Geburtsorte, wie denn auch der folgende lu-
schriftstein beweist, dass die Familie der Statu hier zu
Hause war. Daher steht ausdrücklich „in Ilispania- auf
dem Steine, was nicht uothwendig gewesen wäre, weun
Statins in Dalmatien gelebt hätte. Die Siglen der zwölf-
ten Zeile und der folgende Znsatz klären uns auch
darüber auf, dass derCentnriodie Errichtung des Steiues
letztwillig angeordnet habe und dass diese Bestimmung
von seinem Freigelassenen — Epnlo ist der Xanie eines
Sclaven — vollzogen wurde, indem dieser zugleich das
Denkmal dem Andenken seines Herrn widmete. Wäre
dies nicht der Fall gewesen und hätte Statius den
Stein noch bei seinen Lebzeiten errichtet, so würde der
letzte Zusatz völlig unklar sein.
Die legio VII. gemina lag seit Vitellius in Spanien;
ein beträchtlicher Theil derselben machte die dacisehen
Feldzüge mit, wie mehrere in Siebenbürgen gefundene
Inschriften beweisen. Nach diesem Kriege kam sie
wahrscheinlich bald, wie unser Stein beweist, sicher
zwischen 115 und 117 wieder nach Spanien zurück und
blieb daselbst.
Aus demselben Fundorte Risano stammt eine zweite
Inschrift, welche man unweit des Amtsgebändes der
k. k. Prätur auf dem Grunde Do nur 1 Fuss 4 Zoll
unter der Erde auffand. Sie befindet sich in einem
Postament eingelassen von ll'/, Zoll Länge und Breite;
auf dem Postament erhebt sich eine Säule, die nach
oben sich rasch verjüngt, aber gebrochen ist. In einer
Höhe von LS Zoll läuft ein Band um den Rumpf,
welches mit kleinen Ornamenten (Blumenkelchen) ge-
schmückt ist. Die Schriftfläche, 9'/j Zoll im Quadrat
gross, lautet:
C • STATIO • C F • SER
RESTITVTO AN • XV ■
51 • \1 • H • VI ■ ET • SHC ■
STATIVS • VAL (?) • FI C.E
5 SIA • SEC\'NDA • PA
REXT ■ HL POSVER
.Cajo Statio Caji filio (tribu) Sergia Restituto
(vixit) annos quindecim menses sex horas sex = et
.Seccius (jf) Statius Valerii filius, Caesia (^V) Secunda
parentes filio posuerunt.-
Der Name Statius erscheint hier wieder als ein in
Risano einheimischer, an zwei Gliedern einer Familie;
der jüngere Cajus Statius Restitutus starb mit 15 Jahren
6 Monaten und 6 Stunden. Die Altern, welche ihm den
Stein setzten, sind Seccius Statius, Sohn des Valerius
- Da& H der dritten Zeile k&nn sovohl „hor&f'^ bedeuten, wonach der
Verstorbene genaa 15t/x Jahre und 6 Stunden gelebt haben miis5te; f'der es
kann alb griechisches H aafgefasst und i^iLt^a^ gelesen werden , wonach die
I.ehensdauer 15'/. Jalire und G Tage betragen hatte. Die erste Auslegung h.it
mehr für sich, als die letzte , zu deren Gunsten angeführt werden könnte,
dass auch in Zeile 'd der Name Seccitis nicht mit SEC sondern SHC ab-
gekärzr. also griechisch gedacht war.
und Caesia (?) Secunda. Der Stein nennt letztere beide
die Altern, den erstem den Sohn: allein ein leiblicher
Sohn des Seccius Statius kann Cajus nicht gewesen
sein, weil er in Zeile 1 als rC'iiji filius- genannt wird,
während der in der Inschrift augeführte Vater den
Namen Seccius führt. Daher wird wohl anzunehmen
sein, dass Seccius und Caesia an C. Statins, mit welchem
sie aJlerdings verwandt gewesen sein mögen. Altern-
stelle vertreten haben. — Die Anwendung des H statt
E im Worte SHC in Zeile 3 deutet darauf hin. dass der
Steinmetz ein Grieche war, was bei der örtlichen Lage
des Ortes sehr wahrscheinlich ist. F. Kenner.
Üter die Regeneration der Heraldik und den gegen-
wärtigen Standpunkt dieser Wissenschaft.
I.
Unter den zahlreichen historischen Nebenfiicheni ,
welche der Geschichtsforscher ebensowenig als der
Archäologe übersehen darf — unter jenen speziellen
Wissenszweigen, welche für den Hauptstamm dasselbe
sind, was ein korinthischer Porticus für einen Tempel:
Stütze und Zierde zugleich — finden wir auch einen
Gegenstand , der einestheils einer alten . Iäng8t\er-
gangenen, doch farbenreichen und biklerliebenden Zeit
angehört, anderestheils aber noch immer sehr in das
tägliche Leben eingreift, und an dem Kunst und Iniln-
strie, Luxus und Mode noch immer den regsten Antheil
nehmen.
Ich meine die Wappenkunde, d. i. die Wissen-
s c h a f t jener charakteristischen S\'mbole, jener mitunter
eigenthümlichen und geheimnissvollen Bilder, welche in
Verbindung mit der Familiengeschichte, Biographie, Ge-
nealogie, Sfragistik und Diplomatik eine so mächtige
und brauchbare Hilfe für die Spezialgeschichte gewor-
den ist: ich meine aber auch die Kunst des Blasen, mit
ihren aparten und bizarren Fonuen, welche sich in ihrer
Anlage und Entwicklung organisch dem Geschmack und
Geist der verschiedenen Jahrhunderte angepasst hat.
lind als ein eigener Zweig der bildenden Kunst, nament-
lich der zeichnenden und der Ornamentik, Beachtung
verdient.
Die Heraldik nun hat in neuester Zeit einen merk-
^vürdigpn Umschwung erfiihren. eine Änderung, welche
am besten zu vergleichen ist mit jener, die der gelehrte
Niebuhr in der Geschichtsforschung hervorgerufen
hat, eine so gründliche Läuterung und Umgestaltung,
dass sie nunmehr einen wesentlich andern Standpunkt
einnimmt als früher, und dass sie. ich dart' sagen, voll-
berechtigt in den Kreis der historischen Wissenschaf-
ten, beziehungsweise auch der Culturgeschichte einge-
treten ist.
Es sei mir zunächst gestattet, einen flüchtigen Rück-
blick auf die Behandlung und die Vertreter der Heral-
dik im 17., IS. und in der ersten Hälfte des U». Jahr-
hunderts zu werfen, hierauf die Reorganisation dieser
Wissenschaft etwas näher zu beleuchten . endlich den
heutigen Stand der Wappenkunde einer kurzen Betrach-
tung zu unterziehen, und zum Schlüsse ihre National-
charaktcristik mit einigen Zügen anzudeuten.
Doch bevor ich hierauf eiii^^ehc. kann ich es mir
nicht versagen, einer .Ansicht .\usdruck zu verleihen,
welche vielleicht nicht ganz unzeitgemäss sein dürfte.
XLIX
leb habe wäbrend meiner Studien unrl Arbeiten im
Fache der Heraldik und Geschlechterkunde so häufig
die Meinung anhören müssen, dass derlei Forschungen
ganz und gar dem Zeitgeiste entgegen, jedes prakti-
schen Wortes entbehren, und tiiglich heutztuage unter-
lassen werden können und sollen. Derlei Äusserungen
musste ich mitunter auch an solchen Stellen vernehmen,
bei welchen gerade ein besonderes Interesse, um nicht
zu sagen, eine gewisse Verpflichtung l'iir Erhaltung und
fachmännische Benützung von heraldischen und spezial-
historischen Objecten vorauszusetzen wäre.
Ich hingegen hal)e von jeher der Auffassung gehul-
digt, dass der zusammengehörige Kreis der historisch-
heraldischen Fächer schon als Wisseuschaftsganzes
einen gegründeten Anspruch auf Pflege und Beachtung
besitze; und überdies habe ich in unzähligen Fällen
Gelegenheit gehabt mich zu überzeugen, dass sich die
Vernachlässigung der Heraldik, Genealogie und Fami-
liengeschichte nicht nur bei scientifisclien Bestrebungen,
sondern auch in unendlich vielen praktischen Fällen des
täglichen Lebens sehr unangenehm rächt.
Diejenigen also, welche in dem Heraldiker und
Genealogen nur einen Vertreter von feudalen Theorien
«attern , welche ihn des Versuches beschuldigen , dem
Strome der Gegenwart entgegenzuarbeiten, und das
Mittelalter wieder in die Mode bringen zu wollen — die
irren, wenn auch häufig mit Absiebt und Vorbedacht.
Ich habe vor einiger Zeit in diesen Blättern ' die
Behauptung gewagt, dass gerade diese Wissenschaften
ein noch tieferes und eingehenderes Studium erfahren
würden , wenn weder Adel noch Wappen im thatsäch-
lichen Gebrauch sein würden; analog allen jenen Wis-
senschaften, welche absolut antik, sich einer giossen
Beliebtheit und eifrigen Forschung erfreuen. — Um so
angenehmer hat es mich berührt, dass der ausgezeich-
nete Heraldiker, Dr. Otto Titan v. Hefner in München,
im 2. Bandes seines „Adelichen Antiquarius- 1867, die-
selbe Idee, als von einem, leider nicht citirten ,.nordi-
sehen Historiker'' ausgesprochen anführt, und ihr im
Ganzen beistimmt.
In so ferne aber, als der Wappen- und Geschleeh-
terkundige seinen besten Stoff und das gediegenste
Material aus dem Mittelalter schöpft, gehört er und seine
Wissenschaft der Alterthumsforschung an — und ich
glaube, ich brauche es wohl nicht besonders zu begrün-
den, dass ich sage : So lange es c i v i 1 i s i r t e Men-
schen gibt, so lange wird es auch Alterthums-
forscher geben!
So wie jede andere Lehre ist nuch die Heraldik
aus dem Leben und der Praxis entstanden ; allein indem
die Erfindung und Anwendung des Sehiesspulvers und
der Feuerwaffen eine ganz neue Epoche hervorrief und
dem Ritterthum ein Ende machte ; indem durch die
vollkommen veränderte Kriegskunst die beiden Schutz-
wafleu, Schild und Helm allmälig verschwanden, so ver-
schwanden damit auch diejenigen Theile der ritter-
lichen Rüstung, welche vor allen dazu bestimmt waren,
zugleich die Träger der Wappenfigureu und SchiKlbil-
der zu sein. Kun bemerken wir aber, dass je weiter
wir uns von dem Ritterwesen entfernen, und je mehr
wir in der neueren Zeit herabrücken, desto mehr ver-
liert sich auch das Verständuiss der alten, echten He-
' XT. Jahrgang. September-Octoberheft X86G ;
Ton Dr. Otto Titan v. Hefner in München.''
- pag. 376.
„Das heraldische Institut
roldskunst, und macht einer höchst willkürlichen Auf-
fassung Platz, der man es auf den ersten Blick ansiehi.
dass ihr das eigentliche Wesen der Sache total abhan-
den gekommen ist. Wenn uns die Renaissance im
A\'appenstyl, trotz mancher 1,'nricbtigkciten und einer
gewissen Mauierirtheit dennoch meist schöne Formen —
im heraldisch-ornamentalen Sinn, und nicht selten einen
anerkeunenswerthen Geschmack zeigt, so leidet hinge-
gen schon der darauffolgende, vorzüglich im vorigen
Jahrhundert blühende Rococostyl au taktloser Über-
ladung, auBeseitigungderHauptsache und Begünstigung
der Nebendinge, woraus deutlich genug resultirt, wie
unendlich fremd der richtige Begriff' eines Wappens den
Heraldikern und noch mehr den Künstlern jener Zeit
geworden ist. — Wo möglich noch trostloser sieht es
vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die ."lOer Jahre
des unsrigen aus: all' der erborgte Prunk und Flitter
ist abgefallen, die heraldischen Missgeburten repräsen-
tiren sich in ihrer ganzen lächerlichen Verkehrtheit.
Waren zuvor die Schilder gemeiniglich zu kleinen
runden .Scheiben zusammengeschrumpft, welche von
schweren Rahmen, Leisten, Guirlanden, Blumen, Frucht-
züpfen, Muscheln, Engeln und Kindern förmlich er-
drückt wurden, — der Helm, sein Kleinod, und die
malerischen Decken waren damals cassirt — so macht
sich hernach der Schild möglichst geltend, nimmt
eifrig alles Moderne auf, modernisirt das Alte, je natür-
licher desto schöner, hiess es, und trägt dann obenauf
eine breite Rangkrone, auf deren mittelster Spitze etwas
schwankt, was sich unter der Lupe als ein seinsollender
Helm darstellt.
Indessen wäre es sehr irrig, wenn man aus diesem
Verfall der edlen Wappenkunst den Schluss machen
wollte, die Gelehrten hätten sich sehr wenig mit ihr be-
fasst; im Gegentheil erschien im 17. und 18. Säculum
eine Menge von Werken und Werkchen über diesen
Gegenstand, und der Unterricht in der Heraldik war ein
gleichsam obligater Zweig des Studiums für den jungen
Adel, ein Umstand, welchen schon der satyrisch-witzige
Rabener auszubeuten nicht unterlassen hat.
Aus den gelehrten und überaus fleissigen heraldi-
schen Schriftstellern des 17. Jahrhunderts will ich hier
nur zwei hervorheben, welche massgebend für ihre Zeit
gewesen sind; das ist in Deutschland der protestan-
tische Geistliche Dr. Philipp Jacob Spener, geboren
1635, gestorben 1705, welcher anno 1690 seinen be-
rühmten Folianten „Insignium Theoria-' zu Frankfurt
a. M. herausgab; dieses Buch erschien dann mit einem
zweiten, aber ursprünglich früher geschriebenen spe-
ciellen Theil: „Historia Insignium Illustrium" Frankfurt
a. M. 1680, einer Art Geschlechterkunde, in 2t er Aus-
gabe anno 1717 unter dem gemeinsamen Titel: „Operis
heraldici pars generalis et specialis-'.
Man begreift nicht, wober der Autor, dem der
Ehrentitel eines „Vaters der Heraldik- zu Theil wurde,
die Zeit und die Ausdauer genommen hat, um dieses
liisher noch immer umfangreichste Lehrbuch der Wap-
penkunde zu schreiben, wenn man bedenkt, dass er
ausserdem einen bedeutenden Ruf als theologischer
Schriftsteller genoss, und dass seine Thätigkeit in letz-
terer Richtung so hervorragend war, dass man darüi)er
seine heraldisch-historischen Arbeiten ganz vergessen
zu haben scheint, obschon diese vielleicht die werthvol-
leren, jedenfalls aber die nachhaUigeren gewesen sind.
DasHaiiptverdienst Spener's besteht darin, dass
er mit aussen Tdeutlicheni Fleisse Alles in seinem Werke
anfirezeichuet hat, was seine Zeit an Kenntnissen Über
die Wajjpenwissensehaft, hauptsärhlieh in Deiitsehland
und Frankreich, besass, wodurch die ,,Theoria Insig-
uium-' zu einer Art heraldischen Codex anwuchs, wel-
cher in der Geschichte der Fachliteratur jedenfalls einen
ansehnlichen Platz einninnnt, und woraus Viele nach
ihm geschöpft iiaben. Was hinlegenden Kniwickliini;s-
gang unserer Wissenschaft, was das künstlerische und
teohnische Moment anlielangt, so ist freilich nicht zu
längnen. dass dieser Tlieil so gut als gar nicht beachtet
wurde; und zwar aus dem Grunde, weil das ganze da-
malige heraldische Wissen ein rein theoretisches war,
weil man keine Ahnung davon hatte, dass man auf die-
sem Boden, um auf einer sicheren Basis zu bauen, vor
Allem Sidide Grundsteine, nämlich Quellenforschung
brauche, und weil man consequenter Massen in dem
Wahne lebte, dass mit todten Blasonirnormen und hie
und da mit phantastischen Annahmen die Sache voll-
stäudig erschöpft sei.
Der zweite Heros der Wappenkunde, der im selben
Säculum. als Zeitgenosse Spener's lebte, mit diesem
in wissenschaftlichem Verkehr stand, und anno 1669
oder 1670 zu Leyden mit ihm persönlich bekannt wurde,
war der Franzose Pere Claude Francois Mene
strier, geboren den 9. März 1631 zu Lyon, gestorben
den 21. Jänner 170.") zu Paris (im nämlichen Jahre wie
sein deutscher College), ein Jesuit, welcher in seiner
Art tür Frankreich die gleiche Bedeutung hat. Dasselbe,
was ich zuvor von der rastlosen Thätig'keit und schrift-
stellerischen Fruchtbarkeit Spener's sagte, gilt in
noch grossartigerem Massstabe von diesem französi-
schen Gelehrten. Auch er hat mehrere heraldische
Werke, 18 an der Zahl, geschrieben, von denen das
bekannteste und verbreitetste, obgleich das letzte in
der Reihe, jenes ist, welches den Titel führt: _Nouvel1e
Methode raisounee du Blason,'' und welches in vielen
Auflagen und Nachdrucken erschien. Die übrigen seiner
Schriften auf diesem Gebiete befassen sich mit dem Ur-
sprung der Wappen und ihrem Gebrauche, mit den Gra-
den des Adels und mit ähnlichen Dingen, die haupt-
sächlich in seinen „Le veritable art du blasou" benann-
ten Büchern zu finden sind.
Es war eine eigenthümliche Ersnheinung, dieser
Pater M e n e s t r i e r , jedenfalls liochbegabt. von grosser
Leichtigkeit der Auffassung und Darstellung, eingenom-
nien für die historischeu Studien, von tiefem Verständ-
niss für die Kunst, namentlich für die Plastik, und vor
allem Andern ein wahres Genie als Arrangeur und Deco-
rateur bei grossariigen und prächtigen Festlichkeiten.
Er hinteriiess im Ganzen 144 Schriften von grösserem
und kleinerem Umfange, und überdies 9, welche Ma-
nuscript geblieben sind. Sein Leben und eine Literar-
geschichte seiner Geistesprodncte erschien im Jahre
18.Ö6 zu Lyon von Paul Allut, betitelt: „Becherches
sur la vie et .sur les oeuvres du P. Claude FrauQois
Menestrier", ein ebenso treffliches als schönes Buch,
auf welches ich auch seiner Zeit die Alterthumsfreunde
und Bibliographen in der nunmehr eingegangenen
-Wochenschrift," Beilage zur Wiener Zeitung =, auf-
merksam machte. Ein sehr pikantes Blatt ausMene-
T.. .' •'»'"«"e '863. II B<1- Nr. 42, pag. 494 u. 495; ,Au8 der heraldiBcheu
Literatur der fitgenwart."
strier's Leben ist wohl der heraldische Streit mit dem
gleichfalls gelehrten Priester Le Lal)oureur. dem
Prcvöt de l'ile Barbe, welcher auch als Autor in der
Wappenwissenschaft auftrat; allerdings ist es nicht er-
baulich, wenn wir sehen, wie diese aus Nichtigkeiten
hervorgegangene Differenz rasch in eine derart niass-
lose. persönliche Feindseligkeit ausartete, dass die bei-
den Herren nicht nur ihrer Würde als Diener des Altars
verg.tssen, sondern sogar die Grenzen des Schicklichen
überhaupt überschritten. Diese ganze Angelegenheit
wird um so merkwürdiger, wenn man sich erinnert, dass
kurz zuvor auch ähnliche, obschon weniger heftige Miss-
helligkeiten zwischen zwei sehr reuonnnirien Heraldi-
kern stattfanden, nämlich zwischen dem tüchtigen Marc
Vulson de la ColombiSre und dem Jesuiten Syl-
vester ä Petra Sancta, von denen jeder behaup-
tete, die Schraffirung, wodurch in den Wappen die Far-
ben angezeigt werden, erfunden zu haben; o])gleich
schon anderthalb Decennien vor ihnen ein Deutscher,
Jacob Francquart, das Princip der SchratTirung in
seinem Werke : Pompa funeliris optinii potentissimi prin-
cipis Alberti Pii, aichiducis Austriac etc. Bruxellae,
1623, Fol., zur Geltung brachte.
Um aber auf Mene strier's Wirken für unsere
Wissenschaft zurückzukommen, so kann man sagen,
dass seine Verdienste und seine Mängel ziemlich die-
selben sind, wie die des Dr. Spener, nur dass der
Letztere vielleicht noch etwas mehr Gelehrsamkeit auf-
gewendet hat, welche dem leichtblütigeren Franzosen
gar zu schwerföllig geworden wäre. Um es in zwei
Worten zusammenzufassen, der Deutsche schrieb tür
die Fachgelehrten in sauberem Latein, der Gallier für
die adeligen Herren seines Vaterlandes in gutem Fran-
zösisch.
Wenden wir unsere Blicke dem 18. Jahrhundert
zu, so gewahren wir erst in dem letzten Viertel dessel-
ben eine allgemein berühmte heraldische Grösse, welche
über die zahlreichen Collegen ihres Säculums hervor-
ragt, nämlich den famosen Johann Christoph Gatterer,
Professor der Geschichte und der historischen Hilfs-
wissenschaften zu Göttingen.
Ich habe hier weder von seinen historischen Ab-
handlungen, noch von seinen verdienstlichen Schriften
über Numismatik undDiplomatik, selbst nicht von seiner
Histoina Holzschuherorum — die Holzschuhcr waren ein
berühmtes, altes und reiches Nürnberger Patriziergc-
schlecht — zu sprechen, sondern bloss anzudeuten, wie
sich die Heraldik in seinen beiden Lebrl)üchern „Abriss
der Heraldik" und ,, Praktische Heraldik." die sich zu-
sammen verhalten wie l^lieorie und lUnspiel, allniälig
gestaltet hat. Da sehen wir denn gar bald, wie dieser
scientifisch ausgezeichnete Gelehrte seinen Gegenstand
nicht etwa als Cniturhistorikcr oder Künstler, sondern
geradezu als Matbcniaiiker behimdelte. Der poetische
Hauch, welcher, auch ohne Mälirdien und fabclhalte
Wappensagen, die Heroldskunst so gut wie alle andern
Künste durchweht, ist ganz und gar daraus verschwun-
den, und ein abschreckend trockenes, in Abschnitte und
Paragraphe gegliedertes Skelett von geometrischer Re-
gclmässigkcit ist zurückgeblieben. Freilich ist nicht zu
läugncn, dass diese in deutscher Sprache abgefassten
beiden Traktate nach den damaligen Anforderungen
des Studiums sehr genau und präcis gearbeitet sind,
und ihre Handsamkcit als Lehrbücher sowohl, wie der
LI
bedeutende Ruf des Verfassers als historischer Schrift-
steller und Hochschullehrer waren ohne Zweifel die Ur-
sache, dass unsere Grossväter und Väter, und zum Theil
die jetzt noch lebende Generation die Heraldik auf den
deutscheu Universitäten durchwej;' streng nach Profes-
sor Gatterer betrieben, freilieh fürchte ich, weder mit
besonderem VergnUg-en, noch allzu lebhaftem Interesse.
Ich halte es nicht tür überflüssig, nebenbei zu be-
merken, dass es durchaus nicht meme Absicht ist, die
Verdienste jener grossen Gelehrten zu verkleinern,
welche sich einst im Wappenfache hervorgethau haben;
Vieles von dem, was sie uns darboten, benützen wir
noch heute, und so mancher alte Foliant in Pergament
oder Schweinsleder ist anziehenderen Inhaltes als irgend
ein modernes Taschenbuch in Goldschnitt und englischer
Leinwand. Allein Gatter er 's heraldische Arbeiten
waren absolut zu trocken und zu kahl; da sie aber
durch mehrere Jahrzehnte, circa ein halbes Jahrhundert
an den Hochschulen regierten, so begreift sich sehr
leicht, dass der Geschmack an unserer Wissenschaft
zugleich mit der Achtung vor derselben sank; die Her-
ren Studierenden fanden es natürlich nicht sehr lustig,
sich auszurechneu, in wie viel Permutationen man einen
12- oder 24-feldigen Schild ordiniren könne, und sahen
keinen besonderen Nutzen darin, blasouiren zu können,
dass diese Figur ein Sparreu und jene ein Ständer sei.
Das grosse J'ublikum befand sich noch weniger in der
Lage, der Lehre von den Wappen einen Geschmack
abzugewinnen, und so war man denn so ziemlich allge-
mein der Ansicht, der Blasen sei ein sehr trockenes,
langweiliges und unnützes Studium, welches man höch-
stens einem einsamen Stubengelehrten verzeihen könne.
War es doch auch damals, dass der, wegen seiner beis-
senden Satyre nicht minder, als wegen seiner vielsei-
tigen Kenntnisse berühmte Karl Weber, der Verfasser
des ,,Lachenden Demokrif, in eben diesem Werk er-
klärte, die Heraldiker, Numismatiker, Genealogen
u. s. w. seien Kleinigkeitskrämer, Steckenpferdreiter
und beschränkte Köpfe. Nun, die Fachmänner können
sich freilich über dieses Urtheil sehr leicht trösten, denn
der Stand wäre erst zu crciren, welchen Weber nicht
in ähnlicher Art kritisirt hätte, aber die Behandlung der
Heraldik zu jener Zeit war auch wirklich nicht darnach,
um Uneingeweihten eine hohe Meinung beizubringen.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts zulenken, so treffen wir eigentlich
nur einen Mann in Deutschland, der sich ein ganz be-
sonderes, und zwar originelles literarisches Verdienst
um die Wappenkunde erwarb, nämlich den Bonner Pro-
fessor Christian Samuel Theodor Bernd, welcher mit
seinen 4 Theilen „Allgemeine Schriftenkunde der ge-
sammien Wappenwissenscbaft," Bonn 183U — 41, einem
in Wahrheit vorhandenen Bedürfnisse Rechnung trug,
und auf den Dank all' derjenigen vollberechtigten An-
sjiruch hat, welche in dieser Richtung arbeiten.
Wenngleich sein Lehrbuch der Heraldik und mehr
noch sein Wappenbuch der preussischen Rheinprovinz
— vom Stj-1 der Zeichnung abgesehen — nicht ungün-
stig aufgenommen ward, so ist es doch hauptsächlich
das erstgenannte Werk, welches seinem Namen die ge-
bührende Anerkennung sichert. Es gehört in die Reihe
jener Schriften, welche dem Fachmann geradezu unent-
behrlich sind. Man hat Bernd einen Vorwurf daraus
gemacht, dass er nicht alle die Tausende von Büchern
und Broschüren, welche er möglichst genau aufführt,
selbst gesehen und untersucht hat, und dass in Folge
dessen sich hie und da ein unwesentlicher Irrthum ein-
schlich. Ich denke, es ist mir die Mühe erspart, den
gelehrten Professor desshalb zu vertheidigen, umso-
mehr, als sich bisher noch Niemand fand, der es besser
gemacht hätte, und wir hinsichtlieh der gesammten Li-
teratur bis 1841 auf Bernd allein angewiesen sind.
Mit diesen vier, als Lehrer der Wappenkunde vor
die Öffentlichkeit tretenden Persönlichkeiten ist unge-
fähr der Stand unserer Wissenschaft vor dem An-
bruch der neuen Periode gekennzeichnet. Doch
sehr unvermuthet sollte sich die Bedeutung der Heraldik
so zu sagen mit einem Schlage ändern.
Zu Anfang des vorigen Decenniums unternahm der
schon damals durch verschiedene heraldische und histo-
rische Arbeiicn vortheilhalt bekannte Münchner Gelehrte,
Dr. Otto Titan v. Hefner, eine neue Edition des be-
rühmten alten Sieb mach er'scheuWappeiibuches, dem
ein entsprechender Text beigegeben werden soUte.
Diese riesige Aufgabe wurde jedoch nur theilweise ge-
löst, indem der Nürnberger Verleger während der Her-
ausgabe starb, und noch andere Hindernisse sich der
Vollendung des Werkes in den Weg stellten. Allein im
Verlaufe der Edition, und zwar anno 18.55 erschien
plötzlich statt des 17. Wappenheftes eine mit Tafeln
versehene Schritt des Herausgeiters, unter dem Titel:
„Grundsätze der Wappenkunst", in welcheu Herr von
Hefner den bisher üblichen Weg iu der Heraldik ver-
lässt und ganz neue Bahnen andeutet, aufweichen fort-
geschritten werden müsse, um jene Wissenschaft aus
der Bedeutungslosigkeit zu erheben, in welche sie all-
niälig gerathen war, und um das ästhetische sowohl,
als auch das nutzbringende Element, welches in unge-
ahntem Masse in der Wappenkunde vorhanden war.
ans Tageslicht zu fördern und zur Geltung zu bringen.
Balil darnach, im Jahre 1857, wurde in München
ein neues, umfangreiches Werk herausgegeben, weiches
in den Kreisen der Heraldiker und Sphragistiker aller
deutschen Lande eine enorme Sensation erregte, näm-
lich das „Heraldische ABC-Buch" des Dr. Carl Ritter
v. Mayer. Eine durchaus neue Aera war damit für un-
sere Hülfswissenschaft angebrochen, ihre Geschichte
und Literatur in die Sphäre der Besprechung gezogen,
auf die vielfachen Beziehungen der Heraldik mit Waffen-
und Trachtenkunde, mit mittelalterlichen Gerathen und
Utensilien, mit alter Kunst und Sitte im weiten Sinne
hingewiesen, und die Verkehrtheit und Unzukömmlich-
keit des bisherigen Verfahrens in äusserst witziger,
wenn auch rücksichtsloser und stellenweise derber ]\Ia-
nier gegeisselt. Fügen wir noch hinzu, dass der arti-
stische Theil des ABC-Buches wahrhaft unübertrefflich
vollendet und glänzend ausgeführt ist, so begreift es
sich leicht, welchen entschiedenen Erfolg Dr. Mayer
V. Mayerfels errang.
Ein paar Jahre später, nämlich von 1861- 63 Hess
Dr. Otto Titan v. Hefner sein ebenfalls höchst ver-
dienstliches und grundgelehrtes „Handbuch der theore-
tischen und praktischen Heraldik" zu München erschei-
nen, worin dieselbe Richtung eingebalten ist, wenn-
gleich in milderer Form und mit vielen neuen Ausführun-
gen bereichert».
* Vide meine literarische Besprechung in den Mittheilungen der k. k.
Central-Commission, VIlI. Jahrgang, 1S63, Decemberhett, pag 357—60.
I.II
Durch diese Schriften nun wurde eine Purification
der edlen Heroldskunst hervorgerufen. Und worauf ba-
sirte denn eigentlich dieser gewallige Umschwung in
der Heraldik? Darauf lässt sich mit einem Worte er-
widern: Auf der Einführung des Quellenstu-
diums! Dieses war bisher total vernachlässigt worden,
ja man war gar nicht einmal darüber im Klaren, was
denn eigentlich Alles zu den Quellen der Wappenwis-
sensdiaft zu rechnen sei, und man war aussenleni noch
in einem für dieses Fach folgenschweren Irrthum befan-
gen, hinsichtlich des Ranges und der Wichtigkeit der
einzelnen anerkannten Quellen. Um deutlicher zu spre-
chen : 5Iau betrachtete als erste und vornehmste Quelle
der Wajjpenkenntniss die Wappen- und Adelsbriefe,
die sogenannten Adelsdiplonie , wie wir heutzutage
sagen, und schenkte den Siegeln, Grabmälern, Stamm-
büchern und Familienchroniken erst in zweiter und
dritter Linie Beachtung. Man vergass demnach, dass
schon lange Adel und Wappen existirteu, als noch Nie-
mand daran dachte, beides zu verleihen; man über-
sprang die ganze hochwichtige Periode des Uradels,
jene Zeit, in welcher der Begriff „Adel" eine gewisse
.Ähnlichkeit mit dem modernen Begriif „gute Gesell-
schaft-' hatte, nämlich insofern, als nicht Brief und Siegel
genügten, um Jemanden dem .Adel zuzählen zu können,
sondern einzig und allein ritterliche Lebensweise,
durch Generationen fortgeführt. Eben in jener Zeit, im
11. und hauptsächlich im 12. und 13. Jahrhundert, bil-
dete sich zugleich das Wappenwesen aus, entwickelten
sich in der Wirklichkeit und Praxis die Formen der
diversen Wappeustücke und der Figuren, mit denen sie
geschmückt wurden; und entsprechend den verschiede-
nen Phasen des gothischen, des Übergangs- und desRe-
naissancestyls gestalteten sich die kräftigen und lebens-
vollen, wenngleich nichts weniger als naturgetreuen
Bilder, welche eifrig zu studiren die späteren Heral-
diker fast gänzlich verabsäumten.
Daher wurde weiterhin auch der Styl, und die er-
forderliche Einheit und Harmonie dessellH'n ülierseiien,
und gar häufig die sonderbarsten Combinationen zu
Tage gefördert, ohne dass es irgendwem beigefallen
wäre, dieselben vom ästhetischen Standpunkte aus zu
beanständen. Die reiche, üppige Blüthen treibende,
künstlerische Symbolik des Jlittelalters, von so grossem
F.influss auf heraldischem Gebiete, welche in jedem
Eckstein, an jedem Erker, in jedem j\Iissale und bei
tausend Schöpfungen ihren sehr oft satyrischen oder
komischen Ausdruck zu finden wusste, sie war ein un-
gehobener Schatz für die Wapj)eiikunde, statt welchem
man sich begnügte, in die Wajipenfarben und in einige
heraldische Figuren und Zeichen eine ganz willkürliche
Bedeutung hineinzutragen, und wieder andererseits dort
etwas besonderes zu suchen, wo in der Tliat nichts zu
finden war.
Niemand aber aus den massgebenden heraldischen
Kreisen hatte auch nur eine Ahnung davon, dass, um
alte Wappen richtig zu kennen und zu bcnrtlieilen, so-
wie um neue tadellos und echt heraldisch zu entwerfen,
eine möglichst genaue Kenntniss mittelalterlicher Rüstun-
gen, Waffen, Trachten und Geräthe unentbehrlich sei:
dass die sehr eigenthlimlichen Rangverhältnisse des
Adels und der Wajipengenossen nicht minder wie die
ritterlichen Sitten und Gebräuche im Mittelalter wohl
zu berücksichtigen wären, und dass selbst die Vertraut-
heit mit alten Bezeichnun,:;en und .Ausdrucken, sowie
mit der Geographie jener Tage, das Studium der guten
alten Muster nicht selten wesentlich erleichtere.
Was endlieh die Kunstteehnik der Wallen und
Wappen anbelangt, die doch so viel zum Vciständniss
der Sache beiträgt und vielen sonst unausweichliclien
Irrthümern vorbeugt, so hat sich von allen Heraldikern
bis auf unsere Tage, nämlich bis zu den Münchnern,
Niemand darum bekümmert.
War CS unter solchen .\aspicien zu wundern, wenn
der christlich-mittelalterliche, und ich betone es beson-
ders, der ornamental-plastische Charakter der ganzen
Wappenkunst allmälig vollkommen verloren ging, und
die Wissenschaft, d. h. die Theorie ihrerseits selbst
auch immer weiter von den richtigen Pfaden ablenkte"?
Gewiss war es nur eine ganz natürliche Folge, welche
wir übrigens nicht unseren sehr fleissigen älteren Heral-
dikern beimessen dürfen, da Genie in was immer für
einer Richtung eben nur eine Gabe Gottes ist. welche
sich nicht erzwingen lässt; und eines solchen bedurfte
es jedenfalls, um diesen Zweig des Wissens und der
Kunst zu regeneriren.
Mit dem berühmten und herrlich ausgestatteten,
sowie grüuiilich durchgreifenden „Heraldischen ABC-
Buch" des Ritters Dr. v. Mayer wurde endlich, um
seine Sprechweise zu gebrauchen, der Augiasstall der
heraldischen Irrthümer wieder gereinigt, und je mehr
wir sein Werk studieren, desto deutlicher geht daraus
hervor, dass nur fortgesetztes Quellcnsiudium und Auto-
psie es ihm möglieh machte, die richtigen und leitenden
Grundsätze zu finden und neuerdings zur Anerkennung
zu bringen.
Nicht nnnder hat sein hochgelehrter Rivale, gleich-
zeitig dieselben Hahnen verfolgend, mit seinen zahl-
reichen Werken der Wissensciiaft grosse Dienste ge-
leistet, und nimmt Dr. Otto Titan v. Hefner als Schrift-
steller sowohl, wie auch als Begründer seines bekann-
ten heraldischen Institutes, unter den Heraldikern unserer
Tage einen der hervorragendsten Plätze ein.
Die Geschichte der Heraldik, die Fonnentfaltung
der betreffenden Rüstungsstücke und der Waiipenligu-
ren, die Kunsttechnik, die Symbolik, die Moden der
Blasonirung und Urdinirnng, die Kunde der heraldischen
Trachten und Geräthschaften, der Gewohnheiten und
Bräuche, welche im Zusammenhange mit der Wissen-
schaft stehen, die Nationalcharakteristik der Wappen,
die Adelsgeographie und noch vieles andere Wissens-
werthe haben jene beiden Forscher in ihren Schriften
aufgenommen, und so der Heraldik ganz neues Interesse
und neuen Reiz gegeben. Freilich ist dieses Studium
nunmehr auch ein weit umfassenderes und in mancher
Beziehung schwierigeres geworden, aber es hat aufge-
hört, trocken, todt und überflüssig zu sein.
Ich kann nicht undiin, noch einen Gelehrten hier
zu nennen, der durch seine au.sgezeichneten Arbeiten
mehrere, bis in die allerneucste Zeit noch problema-
tische Punkte der Wappenkunde aufgeklärt und sicher-
gestellt hat. Es ist dies der Sphradstikcr Friedrich
Carl Fürst zu Hohen lohe- Waiden bürg in Würtem-
berg. Seinen vortrefflichen Monographien ist es zuzu-
schreiben, dass die Identität des bekannten sächsischen
Rautenkranzes — einer höchst seltenen Wapiienfigur —
^ Vide meine Besprechung in diesen Blättern, \ll. Jahrgang, 1867,
Mürz-Aprilhefi, pag. Xlr.
Liri
mit einem Blätterkranze endlich fest steht 5; viel wich-
tiger aber ist seine letzte Schrift: ,,Das heraldische
Pelzwerk-', als Manuscript gedruckt, durch welche un-
umstösslich bewiesen wird, dass die heraldischen soge-
nannten Eisenhütlein, französisch vairs, die heraldi-
schen Wolken und zuweilen auch die heraldischen
Flüsse nichts mehr und nichts weniger als säunntlich
heraldisches Pelzwerk sind, oder doch ursprünglich vor-
stellen sollten. Wenn mau weiss, wie viel über diesen
Gegenstand schon geschrieben und "^ gestritten wurde,
und welch' grosse Rolle derselbe namentlich in franzö-
sischen und englischen Wappen spielt, so begreift man
leicht, dass die Beendigung der langjährigen Diseussion
von den Fachmännern mit grossem Beifall aufgenom-
men wird. Interessant für uns Österreicher ist speciell
der Umstand, dass ein österreichisches, und zwar ein
Lilienfeldersiegel dem hohen Sphragistiker einen der
allerbesten und schhiiiendsten Beweise für seine Be-
hauptung abgegeben hat.
Franzenshtdd.
Die Ausstellung der Wiener Pläne und Ansichten
beim Wiener Magistrate.
Als zu Anfang dieses Decenniunis der Gemeinde-
rath der Stadt Wien mittelst neuer Wahlen ergänzt
wurde, war es eine seiner ersten Schöpfungen, das
städtische Archiv in einer der Zeit entsprechenden
Weise umzugestalten und zu organisiren. Vor allem
musste das Archiv von dem Bleigewichte der , eine
ganz andere Bestimmung erfüllenden Registratur
befreit und selbständig gestellt, und einer dieser Auf-
gabe gewachsenen Persönlichkeit übergeben werden.
Gleichzeitig beschloss man auch, eine grössere Bib-
liothek anzulegen , die nicht blos die Bestimmung
hat , die für den Amtsdienst des Magistrats nothwen-
digen Hilfsbücher zu enthalten , sondern in welcher
der Geschichte Wiens eine ganz besondere Aufmerk-
samkeit gewidmet werden soll. Bibliothek und Archiv
sollten einer gemeinschaftlichen Leitung unterstellt
werden.
Bald fand sich eine vertrauenswürdige Persönlich-
keit, in deren Hände man mit voller Beruhigung und
mit bester Zuversicht, dass beide Schöpfungen dem
beabsichtigten Zwecke völlig entsprechen werden, die
Leitung legen konnte. Es war Herr Karl AVeiss, der
gewesene Redacteur dieser Mittheilnngen, unter dessen
achtjährigem Wirken dieselben eine allgemein lobende
Anerkennung erlangten. Weiss ging rüstig an die Neu-
gestaltung, und bald ward ihm die Befiiedigung, dass
sein Bemühen kein fruchtloses blieb. Die von Zeit zu
Zeit veröffentlichten Verzeichnisse der in der städti-
schen Bibliothek befindlichen Werke zeigen eine stete
Zunahme der Bücherzahl, wie auch die Vermehrung der
Bibliothek durch Aufnahme werthvoller und mitunter
sehr seltener aber vornehmlich für die Geschichte Wiens
wichtiger Werke.
Hinsichtlich der systematischen Ordnung der
Bücher und sonstiger der Bibliothek einverleibter
Schriften etc., wurden vier Hauptgruppen gewählt,
nämlich Viennensia, Austriaca, Werke rechts- und
staatswissenschaftlichen Inhaltes, und solche verschie-
^ Vide auch Paul AUut, Becherches sur la vie et snr les Oeuvres du
P. C. F. Menestrier, pag. 217 n. f. sammt -Abbildung.
XIV.
denen Inhalts. Einen wichtigen Bestandtheil der ersten
Ahtheilung bildet die Sammlung von Plänen, Ansichten,
Volkstrachten und sonstigen bildlichen Darstellungen,
die sich auf die Stadt beziehen, indem nämlich für diese
Sammlung als Programm festgestellt wurde, dass alle
auf Topographie und Geschichte, auf locale Ereignisse
und Verhältnisse, auf das Volksleben und besondere
Sitten Bezug nehmenden Abbildungen in dieselbe auf-
zunehmen seien.
Die Sammluug zerfällt demnach in:
1. Pläne der Stadt und Vorstädte,
2. Pläne einzelner Stadttheile und Gebäude,
3. Ansichten der Stadt und Vorstädte,
4. Ansichten einzelner Strassen und Gebäude,
5. Brücken und Denkmale,
6. Triumphpforten und Trauergerüste,
7. denkwürdige Ereignisse,
8. Bürgerwehr und Freiwilligencorps,
9. Volksscenen und Volkstrachten.
Diese Sammlung enthält gegenwärtig ungefähr
2500 Blätter und wird ununterbrochen dadurch ver-
mehrt, dass über jede Veränderung in einem Theile
der Stadt, über jedes ältere, architektonisch oder histo-
risch interessante Gebäude (darunterauch die ehemaligen
Stadtthore, Bastionen etc.), welches zum Abhruch be-
stimmt wird, Aquarellliilder angefertigt werden. Ausser-
dem werden alle im Kunsthandel vorkommenden geeig-
neten Blätter augekauft und der Bibliothek auch häufig
Geschenke gemacht. Den grössten Zuwachs erhielt die
Sammlung durch Ankäufe aus dem Schimmer'schen
Nachlasse und durch denAnkauf der Bergenstamm'-
schen Collection.
Eben diese Sammlung bildete im letzten Monat des
vorigen Jahres den Gegenstand einer ganz interessan-
ten , über Anregung des erwähnten städtischen Archi-
vars und Bibliothekars ins Leben gerufeneu Ausstellung,
die sich zahlreichen Besuches erfreute und allseitig die
verdiente Anerkennung fand. Wir sehen da den so
gern angezweifelten Zapp er t'schen Plan Wiens, den
derselbe im Jahre 1857 unter dem Titel ,, Wiens ältester
Plan" herausgab, jenen Plan von Wien aus den letzten
Jahren vor der Mitte des XV. Jahrhunderts, den Pro-
fessor Glax im Jahre 1849 in einer Privatsammlung
zu Bamberg auffand, sodann die Pläne von Wolmuet
und Hirschvogel ' sammt dem bekannten Rundtisch •
aus dem Jahre 1547=, das Meldeman'sche Rundbild aus
dem Jahre 1529, die Vogelperspectiven von Fischer
und Hufnagel (1605 — 1613), die Pläne von Suttinger
(1684), von van Allen (1680—1682), Anguisola (1706),
Steinhauser (1711), Nagel (1770) die Vogelperspecti-
ven von Huber (1769 — 1776) und die vielen neueren
fast von Jahr zu Jahr erscheinenden Pläne, an deren
Hand man vom XVI. Jahrhundert an die Um- und Neu-
gestaltung der Stadt fast ganz sicher und zweifellos
studieren kann.
Nicht minder interessant war die Collection der
ausgestellten Ansichten von einzelnen Thcilen der Stadt,
von Plätzen, Strassen, denkwürdigen öffentlichen und
Privatgel)äuden, thcils Kupferstiche, theils Holzschnitte,
Aquarelle und Photographien. Man fand da die von
Game si na trefflich copirte älteste Ansicht der Stadt
' Herausgegeben von Camesina im Jahre 1863.
- Herausgegeben Tom Wiener Alterthums - Vereine in den Jahren 1SÖ7
und 185S.
^ Herausgegeben durch die Commune Wien im Jahre 1863.
LIV
von der Donan aus (1483) * eutnommen dem Staiiim-
baiime zuKlosternciiburjr, die Ansichten von Lautensack
(I55S)5 und Suttinger (1683) «, die vielen Zeichnungen
von Delsenbach, Kleiner, Schütz, Wilder, die Aquarelle
von Hütter u. s. f. Wir können nur wünschen, dass
diese in so kurzer Zeit gebildete nandiat'ie Saninihing
noch weiter möglichst vervcillständigt werde, dass das
dafür bestehende lobenswerthe Bestreben nicht erlahme,
worüber uns wohl die Intentionen des jetzigen Ge-
nieinderathes, so wie auch des Hibliotheks- und Archiv-
Vorstandes beruhigen, und dass die übrigen bedeuten-
deren Städte des Reiches die gleiche Bahn betreten
mögen. . . .m. . .
Aus Kärnten.
Eine Geschäftsreise gab mir Gelegenheit manche
Denkmale dieses Landes wieder zu besuchen. Vor
allen zog mich Milstadt in Ober-Kärnten mit seinem
schönen Kreuzgang an. Derselbe ist nun zwar vor
Unliilden der Kohheit und Unwissenheit geschützt und
wird einigermasseu erhalten, allein es gäbe noch sehr
viel in diesem Gotteshause besser zu bewahren und
ans Licht zu ziehen. Das im Verfalle begriffene Stifts-
gebäude, die TJiUrme, die Xebencapellen, das Portale und
anderes verdienen wohl auch einige Berücksichtigung.
Ein ganz interessantes Gebäude ist der Karner
in Metnitz, im gleichnamigen Thale gelegen. Der-
selbe bildet ein Octogou und ist noch wohl erhalten
bis auf das Dach , welches übrigens (wenigstens
die Eindeckung) aus viel späterer Zeit herrührt. Das
gothische Thor ist nördlich, der Eingang in das unter-
irdische Beinhaus östlich angebracht ; ober letzterem,
das einen Vorsprung bildet, scheint auch der Hochaltar
gewesen zu sein, welchen zwei schmale spitzbogige
Fenster beleuchteten, während die ganze Capelle sonst
nur zwei runde Öffnungen in der Höhe hat. Das gothi-
sche Gewölbe innen ist hoch, zeigt aber gar keine
Zierden: der Innenraum ist über 3 Klafter hoch und
geräumig, das Untergeschoss, wohin man auf mehreren
Stufen hinabsteigt, voll Todteuschädclu und Beinen.
Am interessantesten erschienen mir die Fresken
auswärts, welche im Osten und Süden noch gut, im
Norden (geschützt von der Kirche) auch noch leidlich
erhalten, im Westen aber beinah unkenntlich sind,
sämmtlich mit Inschriften (gothische Schriftzüge aus ileni
XV. Jahrhundert) versehen, die aber kaum auf einer Seite
mehr zu entziffern sein dürften. Höchst interessant sind
die Bilder sellist auf den acht Fronten, deren jede über
2 Klafter misst ; da tanzt der Tod (theils Gerippe,
theils als gräulich abgemagerte menschliche Figur) mit
Kriegern, mit dem Bauer, mit Königen und Fürsten,
mit geistlichen Würdenträgern aller Art (vom Papste
bis zum Mönche), mit der .Jungfrau und dem Jünglinge,
mit dem Alter und ndt Kindern, mit dem Geizhalse und
Lebemann, mit Musikern u. s. w., welche gut dargestellt
und aus den Emblemen zu erkennen sind, den gräu-
lichen Reigen und spielt (selbst die Trompete , Pfeife
oder Paucken in der Ilandi die Musik dazu. Diese
Bilder dürften mit Bezug auf die Bestimmung des Ge-
bäudes als Karner gewählt worden sein.
• S. Mittheil. d. Allcrtli. Vereines v. Wien I. 238.
' S. Mittheil. d. Altcrth. Vereines t. Wien I.
• S. Mittheil. d. Altcrlh. Vereines v. Wien VIII.
Die dem heil. Leonhart geweihte Pfarrkirche selbst
bietet wenig des Interessanten; sie ist ein dreischiffi-
ger, gewiihnlicher und ziemlich plumper Bau aus dem
XVI. Jahrhunderte und stützt sich das gothische Ge-
wölbe auf runde Säulen von ungleichem Durchmesser.
Die Cai)elle unter dem Thurmgewölbe ziert ein noch
ziendich wohl erhaltener Altar im gothischeu .'>i_vle.
Nichts erfreuliches ist von dem schönen Münster
zu Gurk zu erzählen; aber erwähnt soll des Vandalis-
mus werden, dass man in der Vorhalle der Kiiche
Xägel einschlug, um Schnitzwerke autzuhängen, welche
auch nicht liieher gehören und eben die Fresken ver-
stellen, welche ohnedem durch die Zeit und Xägcl
gelitten haben , statt dass man sie einer Renovirun.::
unterzogen hätte. Die Schnitzwerke verdienen einen
bessern Platz und die Fresken mehr Rücksicht als
ihnen hinter jenen zu Theil wird.
In der Pfarrkirche der 1. f. Stadt St. Veit wäre zu
wünschen, dass den schönen Monumenten jene Sorg-
falt geschenkt würde, wie denen in Villa eh. Diese
Stadtpfarrkirche zu besuchen, empfehlen wir jedem
Reisenden und Altertliumsfreunde dringend. Leider ist
die Aufstellung der Grabsteine an den Wänden nicht
immer und überall thunlich, aber wo es möglich wäre,
sehr zu empfehlen. J. C. Hofrickter.
Über die ursprüngliche Bestimmung des sogenannten
Scliatzkammer-Muttergottes-Bildes zu Maria-Zeil.
(Mit 1 Holzschnitt )
Bei Gelegenheit der Besprechung des Schatzes der
berühmten Wallfahrtskirche zu Maria - Zell (^Mitthei-
lungen XIV. Jahrgang, pag. 87) wurde auch jenes
Bild eingehend gewürdigt, das, ein unzweifelhaftes
Werk des XIV. Jahrhunderts, und zwar nach 1370 ent-
standen, König Ludwig der Grosse von Ungarn und
Polen , jener von den Königen des erstgenannten
Reiches häufig und gern besuchten, altehrwürdigen
Marienkirche in der Steiermark gespendet haben soll.
Nicht gering ist die Anzahl von Gaben, die dieser
fromme König gemäss der Sitte seiner Zeit an ver-
schiedene Kirchen innerhalb und ausserhalb der Gren-
zen seines Reiches machte, und manche davon .sind
noch erhalten. So besitzt die Schatzkammer der Hof-
burgcapelle in Wien ein Stehkreuz mit doppelten Bal-
ken, das sich durch das darauf befindliche Wappen als
Geschenk desselben Königs unzweifelhaft erkennen
lässt. Wir sehen nämlich .bleich wie am Rahmen des in
Rede stehenden Bildes zu Maria-Zeil am Fusse dieses
Kreuzes das Wappenschild des Hauses Anjou mit einem
Theile des Wappens von Ungarn, den vier Flüssen, in
heraldische Verbindung gebracht, während das Geräth
selbst, die andere und vornehmere Wappenfigur Ungarns
das Patriarchcukreuz vorstellt.
Die Schatzkammer des Münsters zu Aachen, bei
welchem jener König um 1374 eine reich dotirte Ca-
pelle stiftete, zu dessen Reliquienfesten stets namhafte
Scliaarcn von Andächtigen pil.irerten, enthält dessglei-
chen manche Spende dieses Ungarkönigs , an dessen
Hofe ein wahrer Wetteifer gegenüber Karl V. von
Frankreich, Karl IV. von Deutschland und Casimir dem
Grossen von Polen in Glanz, Luxus und Veredlung der
Künste und Wissenschaften entstand.
LV
Manch kostbares Werk der Goldschmiudekunst
mag damals in Ungarn gescliaften worden sein, damit
es der kunstsinnige König in frommem Sinne und mit
freigebiger Hand auf dem Altäre niederlegen konnte,
^icht unbedeutend mag damals der Stand der bis
dahin fast ganz vernachlässigten Kleinkünste dortselbst
gewesen sein, da doch Werke in edlem Metalle, aus-
geführt in schönen und reinen Formen, ausgestattet mit
edlem CTCstein, Perlen und Farbenschmclz, von jeher
und daher auch dem Sinne jener Zeit bestens entspre-
chend als am geeignetsten zur Entfaltung des Luxus
erschienen.
Unter den verschiedenartigen Gescheuken dieses
Königs an die ungarische C'apelle zu Aachen, als da
sind Picliquiengefässe , Leuchter , Kleinodien u. s. w.
finden sich auch drei Bilder , welche genau dersel-
ben Technik, derselben Schule angehören, wie jenes
Bild zu Maria-Zeil, ja die denselben Händen entspros-
sen sein dürlten. Ein lölick auf die hier beigegebene
Abbildung (Fig. 1) wird diese Behauptung begründen.
Wir sehen den gleich geformten Rahmen, die gleiche Ver-
zierung in den an einander gereihten viereckigen Feld-
chen, als das vereinigte Wappen von Anjou und Ungarn,
das Patriarchenkreuz, den polnischen Adler, den Strauss
mit dem Hufeisen, ein sehr ähnliches Blattornament,
ferner sehen wir als Hauptgegenstand ein Tempera-
Gemälde, sicher ein Werk eines italienischen Meisters,
dabei die Nimben mit reichem Steinbesatz, endlich im
Tiefgrunde des Bildes Metallplatten, die mit durchsich-
tigem blauen Email überzogen in rhombischen Ein-
fassungen das Hauswappen der Anjous, die goldene
Lilie, in zahlloser Wiederholung zeigen.
In älteren Schatzverzeichnissen werden diese
drei Tafeln „Tabulae reliquiarum" genannt. Der
gelehrte Vorstand des germanischen ^luseums tritt
dieser Ansicht bei ', obgleich Dr. Bock 2 die Ver-
muthung ausspricht, dass sie Predellstücke eines
Altars wären. Schreiber dieses glaubt sich der
ersteren Jleinuug anschliessen zu sollen und her-
vorheben zu müssen, dass der Reliquiencultus des
Mittelalters gerade die Goldschmiedekunst veran-
lasste, in den allerverschiedensten Formen jene
kostbaren Gefässe, die zur Aufnahme der Reli-
(juien bestinnnt waren, anzufertigen, und dass Re-
li(iuientafelu keineswegs zur geringst verwendeten
Reliquiarform gehören. Solche Reliquienbehälter,
in welche nur kleine Reliquienstücke eingelegt
wurden, stellte man bei festlichen Anlässen gerne
zur Zierde des Altars auf demselben auf. Es ist
noch fraglich, ob man nicht bisweilen von der
eigentlichen Bestimmung dieser Tafeln als Reli-
quienbehälter abging und sie blos als selbstän-
dige Bilder anfertigte, nicht minder fraglich ist es,
ob nicht ingendwo unter der Metallhülle im Körper
der Holztafel doch eine Reliquienpartikel einge-
legt war? Wir wollen daher gern unsere Meinung
dahin aussprechen, dass das sogenannte Schatz-
kammer-Muttergottes -Bild zu Maria -Zell der
Hauptbestandtheil eines Hausaltares war und mög-
licherweise damit die Bestimnuiug eines Reliquiars
verbunden wurde. ...»*...
Die "VVaffensammlimg des österreichischen Kai-
serhauses im k. L Artillerie -Arsenal -Museum
in Wien.
Herausgegeben von Quirin Leitner, I. Band, 1—6 Heft. Fol. Wien.
(Mit einer Tafel.)
Es war im Jahre 1846, als Friedrich Otto Edler
von Leber im zweiten und dritten Theile seiner Rück-
blicke in die deutsche Vorzeit das kaiserliche Zeughaus
zu Wien eingehend besprach, und eine höchst fleissig ge-
arbeitete historisch-kritische Beschreibung der daselbst
befindlichen Waflensammlung, bekanntlich einer der
grössten und reichsten Europa's, zur Belehrung und
Freude der Alterthumsfreunde und Waffenkenner her-
ausgab. Viele sehr werthvolle kleinere Abhandlungen
naheliegender Themata bereicherten den lehrreichen
Inhalt dieses Werkes, dessen Ausstattung übrigens nur
in wenigen, höchst einfach ausgeführten Illustrationen
bestand. Die lebhafteste Anerkennung der Arbeit wurde
hierüber Leber zu Theil , und man konnte dem-
selben nur bestens danken, dass durch ihn zum ersten-
mal diese ganz bedeutende Collection zur Kenntniss
der üflentlichkeit gebracht wurde, und dass er mit mäch-
tigen Schlägen ins wilde Gestrüjip verknöcherter Vor-
urtheile hieb, so wie auch mit klarem prüfenden Auge
jenen oft wahrhaft lächerlichen IMärchen auf den Grund
blickte, die sich an den einen oder anderen Gegen-
stand seit alten Zeiten hefteten. Mancher Anlass des
von Leber mit Recht ausgesprochenen Tadels ist seither
geschwunden.
Denn es war kaum mehr als ein .Jahr seit der Her-
ausgabe dieses Buches abgelaufen , als höchst verwerf-
■ Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1867, pag. 302.
- .Mittheil. d. Cent. Comm. 1862, pag. 113.
LVI
lieber Zerstöruugstrieb sich au der Sammlung arg ver-
sündigte, was zur Folge hatte, dass die ganze Sammlung
in ein eigens zu diesem Zwecke im k. k. Artillerie-Arsenal
aufgefithrtes l'racbtgebäude übertragen und dort in
systematischer, den heutigen Anforderungen der Wissen-
schaft entsprechender Weise aufgestellt wurde, wobei
gar viele noch vom längst dahingeschiedeneu Leber ge-
gebene Winke aufmerksam gewürdigt wurden. Schon
nahezu vollendet ist die neue Aufstellung der Sammlung,
die in der neuesten Zeit durch liedeutende Acquisitionen
aus der manches seltene Stück bergenden Rüstkammer
zuLaxenburg und aus der nicht minder Werthvolles ent-
haltenden Satlelkammer der k. k. Stallungen vermehrt
wurde. Manche bisher in ihren Bestandtheilen incomidete
Küstung wurde ergänzt oder gar vollständig gemacht.
Im jedoch eine solche Sammlung, wie die nun-
mehrige des k. k. Arsenais ist , ordentlich würdigen zu
können, ist es nothwendig. dass einerseits in einer
Prachtausgabe die bedeutendsten Gegenstände weiter
bekannt gemacht werden, und anderseits, dass mau nach
der Art wie es bei Sammlungen des Auslandes üblich
ist, dem Besuchenden einen verlässlichen Führer biete
in Gestalt einer kurzgefassten Beschreibuug.
Die Obhut der Schätze, so wie auch schon früher
die Sichtung und neue Aufstellung derselben ist dem
gewesenen k. k. Hauiitniann und nunmehrigen Adjune-
ten der k. k. Schatzkammer Herrn Quiriu Leitner an-
vertraut. Dass derselbe den Werth und die Bedeutung
dieser Gegenstände zu würdigen weiss, llir seine Stellung
die volle Fähigkeit und entsprechende Kenntnisse, so
wie fachwissenschaftliche Bildung besitzt, somit Herr
seiner Aufgabe i.st, beweist jenes in der Aufschrift be-
nannte Werk, mit welchem derselbe nunmehr vor die
Oflentlichkeit tritt, und womit einer unserer beiden eben
ausgesprochenen Wünsche erfüllt wird. Es ist nicht ein
Erstlingswerk Leitner's, deuu schon die ,.Gedcuk-
blätter aus der Geschichte des österreichischen Heeres-
haben ihm sowohl in den Kreisen der Militär- Wissen-
schaft wie auch in jenen der Kunst gebührendes Lob
und Anerkennung eingebracht.
Das vorliegende Werk wird in circa 20 Heften voll-
endet sein und besteht aus circa 100 Tafeln sammt ent-
sprechendem erläuternden Texte. Derselbe ist kurz aber
völlig genügend , blos beschreibend, wobei dem tech-
nischen, historischen und künstlerischen Momente jedes
Gegenstandes hinreichend Rechnung getragen wird.
Gauz richtig widmet der Verfasser grössere Aufmerk-
samkeit den Plattnerzeichen, so wie es uns als ganz
und gar nicht unwichtig erseheint, dass der Verfasser
bei vielen Gegenständen, so weit es möglich ist, bei-
setzt, woher sie stammen.
Nun zu den Abbildungen übergebend, glauben wir
deren Werth damit am besten bezeichnen zu können,
wenn wir sie würdig dieser Sammlung und des Pracht-
baues l)ezeichnen, in welchem dieselbe untergebracht ist.
Die Illustrationen, theils Farbendrucke, theils Steingravi-
rungen werden in einem im Arsenale eigens eingerich-
teten Atelier unter Leitner's Aufsicht genau nach den
Originalien angefertigt und es ist gewiss, dass in den
Zeichnungen die sehr schwierige Aufgabe, welche. .die
Wiedergabe dieser Meisterwerke der Plattnerei, Atz-
uud Tauscbierkunst stellt, in völlig zufriedenstellender
Weise gelöst ist. Sämmtliche bis jetzt erschienene
30 Tafeln sind fast alle von ganz besonderer VorzUg-
lichkeit und sichern dem kostbaren, aber auch kost-
spieligen Werke die Anerkennung der ganzen kunstver-
ständigen Welt.
Wir können nicht unbemerkt lassen, dass das Titel-
blatt wahrhaft genial zusammengestellt ist, es zeigt nus
den Mittellract des Watfenmuseums -Gebäudes. Xach
Massgabe der Gegenstände enthält jede Tafel die Dar-
stellung eines oder mehrerer derselben Gattuug; dabei
ist als Eintheilungsprinrip die Gruppirung in Kriegs- und
PrunkwaflFen. in Trophäen und Turnierzeug aufgestellt.
Mit grossem Vcrständniss hat der Verfasser die werth-
voUsten Gegenstände der Samndung ausgewählt, einer
Sammlung, die in ihren Anfängen I)is Kaiser Max L
zurückreicht, unter Kaiser Ferdinand I. ausgiebig ver-
grössert wurde, aber erst unter Kaiserin Maria Theresia
ihren gegenwärtigen Umfang und eigentliche Bedeutung
erhielt, obwohl zu Zeiten der franzJisischen Invasion
manch schönes Stück nach Paris wanderte, um dort
noch heut zu Tage als eine für Osterreich traurige Tro-
phäe die Sammlung des Artillerie-Museums zu schmücken,
Nach den dargestellten Gegenständen geordnet
finden wir sieben Tafeln mit Rüstungen, darunter den
schönen Reiterharnisch des Kaisers Max I., den er bei
seinem Einzüge in Luxenburg trug, ferner jene gegit-
terte Rüstung des unglücklichen Königs Ludwig II.
von Ungarn, die interessante Pfeifen- (Mailänder?)
Rüstung, die lange Zeit der Wlasta {^.) zugeschrieben
wurde, mehrere Harnische des Kaisers Ferdinand I..
und endlich die Rüstung des bekannlen Generals Spork
t 1679 (^FarbendruckV
Ferner sehen wir die berühmte Sturmhaube Karl'sV.
nebst vier anderen Helmen und Eisenhüten des XV. und
XVI. Jahrhunderts, den Kürass und eine kunstreich
ausgestattete Sturmhaube Karl VI., und endlich das
ebenfalls in Farbendruck ausgeführte Koller des Sclnve-
denköuigs Gustav Adolph; mit Ausnahme einzelner
kunstreicher Degen- und SäbelgrifiFe (s. die beigegebene
Tafel) < ist immer eine grössere Anzahl von gleicharti-
gen Waffen auf einer Tafel vereint, und wir zählen
bereits sechs mit Abbildungen von Schwertern, zwei
von Helmbartcu, zwei von Cussen, eine von Streitäxten,
von Armbrüsten und Partisanen etc.
Indem wir nun unsere Besprechung schliessen,
können wir nur unseren Ausspruch des Lobes über
die grosse Bedeutung des Buches, so wie über den Ge-
schmack und die Sorgfalt, die auf die Herausgabe ver-
wendet wird, wiederholen und wünschen, dass dieses
Werk in keiner öffentlichen oder Privatbibliothek von
Bedeutung fehle. Wir sind überzeugt, dass jeder Freund
der Denkmale des Mittelalters uns zustimmen wird, wenn
wir sagen, dass Herr Leitner mit diesem Unternehmen
eine österreichisch.' Ehrenschuld getilgt hat. Er hat in
• Zur BegrüadUDä unseres Lobes über die Ausstattung dieses AVerkcs
bringen wir in der .Anlage eine Tafel Nr. 34; desselben. Wir sehen einen Degen-
griff aus dem letzten Drittel des XVI. Jahrhunderts. I. citner beschreibt ihn
folgeudermassen :
.\lle ornamenlirten Theile sind Ton grauem Elsen, die Zeichnung ist mit
Gold ausgeschlagen, einzelne Gegenstände der Darstilluni^en sind Silber tan.
sciiiri. wvfdurch die Wirkung des Ganzen wesentlich erli' li: wird. So gcschmack-
Toll die Arabesken auch componin und ausgeführt sind, so lässt die Correct-
heit der Zeichnung bei den figürlichen Darstellungen noch manches zu wünschen
übrig; dies findet zum Theil aber seine Erklärung: in d.-r ausserordentlichen
Schwierigkeit, welche die aalfcescblagene Tauschirang bei unregeltsässigcn
Linien verursacht und die selbst bei der grbssteu manuellen Fertigkeit des
Meisters immer bei dieser -Arbeit hervortritt, deshalb werden bei so minutiösen
Darstellungen, wie der abgebildete Degen sie zeigt, nur schwer kleine Fehler
zu vermeiden sein. Im Ganzen i»l die Comp^sition schwungvoll und voll
N'aivitSi. Auf der vorderen Seile des KüugenverstarkungsstOckes zunächst
der Angel zeigt sich ein Klingenschmiodc-stcmi'el eingeschlagen und auf den
schmalen Seiten dieses Vcrstärkuncsslückes der Name des Tausehirkunstlers
Ifamiauu.s de Nerve und die Worte me fecit in Gold tauschirt-
DEGEN,
'-na-
Museum in Wien"
Heraiisge^eben von (tuir leitner
Irui:lt.a.U3 d k.kHoT-u. Staats druckeTgi
LVII
höchst würdiger Weise auf jene Denkmale aufmerksam
gemacht, an denen zum grossen Theile die persönlichen
Erinnerungen der mächtigsten Herrscher, Feldhcrrn und
Staatsmänner Österreichs haften , auf wahrhafte Denk-
nmle des Hauses Habshurg und ihrer mit Österreich so
innig verflochtenen Schicksale. . . .m. . .
Die Restauration des Frauenchors in der St. Stephans-
kirche zu Wien.
Es dürften nahezu zehn Jahre sein, dass der links-
seitige Chor der St. Steplianskirche, gewöhnlich der
Frauenchor genannt, gesperrt und der Zutritt dahin den
Andächtigen nicht mehr gestattet wurde, da man densel-
ben einer eingebenden Restanration unterziehen wollte.
Bald erhoben sich Gerüste bis zum Gewölbe hinan, die
Altäre trug man ab, man beseitigte die zahlreichen Grab-
male; und Hanunerund Meissel waren geschäftig, die ans
Russtünche, Staub und Feuchtigkeit während der Jahr-
hunderte entstandene Patina zu beseitigen. So ging es
munter und geschäftig eine "Weile fort; da wurde es im
versperrten Räume allmählig ruhig und immer stiller,
und das vorwitzige Auge eines durch die Risse der Vor-
hänge Blickenden sah nur ein Bild der Verwüstung,
wie wenn die Arbeit mitten im Schaffen plötzlich abge-
brochen wäre und die Bauleute nur auf Augenblicke sich
entfernt hätten. Steinabfälle und Staub, altes Eisen,
das zum Gerüste bestimmte aber nicht mehr l)enutzte
Holzwerk, neue Werkstücke imd Statuentrümmer lagen
umher und gestatteten kaum einen Durchgang durch
das unheimliche Gewirre. Allein es war dies mit nichten
eine momentane Ruhe. Gar lang herrschte diese Ode
im verlassenen Räume und manchen übertrieben Vor-
sichtigen schien es bereits nöthig, das schon so lauge
verwendete Gerüstholz auszuwechseln, da es durcli
die Länge der Zeit schadhaft geworden sein dürfte und
bei künftiger Wiederaufnahme der Arbeit die Arbeiter
leicht Schaden nehmen konnten.
Mit dem Jahre 1869 wurde es anders; es kam
wieder Leben in die verlassene Werkstätte, geschäftig
stieg wieder der Steinmetz die Leitern hinauf, lustig
erklang im reinen Tone der Hammerhieb am Steine,
und allmählig lichter wurde der Wald der Gerüsthölzer.
Jlit dem Chörlein, das sich Bischof Brenner baute, um
geschützt gegen der Witterung Unbilden der Andacht
im Münster beiwohnen zu können, (wobei es aber den-
selben nicht berührte, dass dieser Aufbau zugleich eine
\^erunglimpfung des Grabmals des Stifters des Wiener
Doms war), verschwand auch die Stiege, die längs des
Chorschlusses dahinauf führte, Werkstücke füllen wieder
die zum Tragen dieser Stiege ausgemeisselten Stellen
der flauer aus nnd säuberlich abgearbeitete Figuren
schmücken unter den zierlichen Baldachinen die für
diese Zier bestimmten Consolen an den Wandpfeilern
des nunmehr bis zur blendend nüchternen Weisse aus-
geputzten Steinbaues.
Ging auch diese Restauration regelrecht vor sich,
so ist doch nicht zu verkennen, dass sie mit einer ge-
wissen Hast betrieben wurde; denn man machte weder
Miene, diesen Raum zu polychromiren, was für Belebung
derArchitekturdringeud nöthig wäre, noch stellte man an
etliche Stellen, wo Consolen sind, Figuren — denn da
schon seit vielen Jahren keine dort standen, hätten sie
neu gemacht werden müssen — noch sorgte man für
einen würdigen stylgemässen Altar. Xicmandeu wird es
jedoch einfallen, für diese Versäumnisse die Donibau-
leitung verantwortlich zu machen, die nie in Verlegen-
heit ist, die besten und correctesten Vorschläge für die
Restauration des Domes zu machen und dabei immer
Gediegenes geleistet hat. Allein das Factum besteht und
es ist sicher, dass der Mangel eines passenden Altars
schon bei flüchtiger Besichtigung dieser Abseite unange-
nehm berührt. Es dürfte wohl nicht sehr schwierig sein,
von irgend woher einen alten, kunstreichen gothischen
Altar für diese Stelle zu acquirireu '.
Doch eines wurde bei dieser rasch zu Ende geführ-
ten überstürzten Restauration zu Stande gebracht, was
der Freund der Wiener Geschichte nicht genug dankend
anerkennen kann, das ist die Wiederaufstellung der
beseitigten Grabmale, welche Aufstellung gleichzeitig
auch im Passionschor durchgeführt wurde , nachdem
dieselben dort ebenfalls bei Gelegenheit derRestauration
ans den Wänden herausgenommen und entfernt wurden.
Nur ein Monument blieb seinem Verfalle überlassen, es
ist jenes in der letzten Arcade gegen den Hauptchor
aufgestellte, über dessen Bestimmung unter den heinn-
schen Geschichts- und Alterthumsforschern noch einiger
Zweifel herrscht, da es nicht ausgemacht ist, ob es in
Folge seiner unbestimmten Umschrift auf Rudolph IV.
oder Albrecht HI. bezogen werden soll. Immerhin wird es
aber einer Person zugeschrieben, die sich um den Bau
dieser Kirche besondere Verdienste erworben hat, nnd
wir halten es als eine Ehrenpflicht, dass seiner Zeit,
wenn an die Restanration des Hauptchores Hand ange-
legt wird, auch diesem arg verfallenen Denkmale die
entsprechende Fürsorge und Aufmerksamkeit gewidmet
wird.
Was nun die wiederaufgestellten Grabmale betrifft,
so reihen sich gegenwärtig im Frauenchor an der linken
Wand folgende aneinander:
1. des Prinzen Karl Eugen von Lothringens,
2. des Cardinais und Bischofs Melchior Kiesel =,
' Z. B. jenen ehemaligen Hochaltar in der Cistercienscrlcirclie zu
Wiener-Neustadt, der fast dem Verfalle preisgegeben ist.
- Eine rothe Marmorplatte, darauf das Lothringisclie Wappen, welches
so wie die leistenartige Einfassung der Platte und die Buchstaben aus Bronce
verfertigt ist. Die Inschrift lautet:
Carolo . Eugenio a Lotharingia . principi . illustrissimae Lothariugo-
rum . stirpis . quae . ab. anno. MDXTII. gallia . floruit . ultimo superstiti .
aurei . velleris . equiti . militaris . ordinis . mariae . Theresiae . commendatori .
ordinum . christianissimi . regis . equiti . duci . equitatus . generali . et . legionis .
equitum . cataphractorum . proprietario . caes. reg. turmae . praetorianae .
primae . capitaneo . qui . XXVIII septembris M . D . CCC . XXV viennae . de-
cessit . Imperator . caesar . francijcus . I. aug. hoc monumeotura . fieri . jussif
(Dieses Grabmal stand früher als fünftes in der Reihe).
Auf dem kleinen Gruftsteine inmitten des Chors; Carol. Eug. | Lotha-
ringiae 1 Princeps.
3 Dasselbe zeigt im^ oberen Theile die Büste des hier Ruhenden; dar-
unter das Wappen, welches der Lange nach getlieilt ist, und im ersten Felde
einen getlügelten I.öwen, im zweiten drei schräg linke Binden zeiget.
Die Inschrift lautet:
Monumentuin Eminentissimo & Reverendissimo Principi | Et D. D. Mel-
chiori S. R. E. Tit. 1 S. Mariae de Pace Presbytero | Cardinali Kleselio | Epi-
scopo Vien. et Neosfadiensi | Augustissimi Tmperatoris Mathiae arcanorum 1 con-
siliorum Directori | Haeresum persecutori | Religionis catholicae hie labantis
Restauratori 1 Maxim. P. P. P. et Imp. Rom ob Excelsas Ingenii ac Naturae Dotes
ad summas res adhibito | Eloquentia Consiliis, legationibus, et Ingentibus factis
I per Orbem christianum Clarissimo qui utraque fortuna domita | Exactis vitae
Annis T.XXVH Episcopatus Viennensis XXXVI | Coelo jam maturus ( facul-
tates suas Deo sibi commissis Ecclesiis ] Corporis vero Exuvias Meritorum
suorura deinceps Gloria vestieudus morti lubens cessit Die XVII Septbr.
CIOIOCXXX Hie I ad Aram 11. A'. 51. sepultus [ Antonius ejus in Episcopatu
Vienn. Suceessor | Invictissimorum Caesarum Ferdinand! II et III [ Coiisilia-
rius Intimus [ Praesüli aeterna memoria diguissimo | Pie posuit.
Das Monument ist aus weissem Marmor und war früher mit vielen Em-
blemen des Todes verziert. Klesl's Herz wurde in Wiener - Neustadt in der
Dorakirche zunächst des Hochaltars beigesetzt.
Über den zu Wiener-Neustadt verstorbenen Bischof und Cardinal
Melchior Kiesel s. Orgesser 1. c. 221 — 233, Tschischka's Geschichte
Wiens 377 und 396, Hormayr's Geschichte Wiens, I. Jahrgang, 4. Band,
3. Heft GT — 71.
In der Nähe des Monuments befindet sich im Boden der rothmarmorne
Gruftstein mit der Inschrift:
LVIII
3. des Erzbischofs Sijrisninnd Kolouitscb *,
4. des Erzbischofs Johannes Trautson »,
5.
des Bischofs Georg Slatkonia «,
S«Tereiida$ Pominos Melchior Eleselius VieoncnMs i Austriae. cum xb
ItLxictitsimo Caesare Kadoipbo 1 Anno M. P. LÜIX proprio motu In prae-
positnm , Saactae Catbedralis hoJQ» ecelesiae puMicar»tur ejasd«in pari b«nl-
goiraie in Episcopum Anoo M . D . XC - VUI . XXIV Jaonnarii die procla-
m&inr losnper a Paulo V. Sammo Pontifice Apo^toHci Concionaioris litalo
iosigoitus malti» ac Tartis pro Ecclesia Dei & Cbriftina RcpublicA fuecepUs
laboriba? confecta^ Deo animam reddidii Anno M . DCXXX.
* D&5 Mcnameot des Erzbischofs Sigismand Grafen Ton Kollonitsch.
Dasf-elbe ist aus weissem Marmor ond bildete ehemals eine Nische^
nnerhalb deren die Ton MoU gearbeitete BOate des Erzbischofs angebracht
ist. Um dieselbe "war das PaJIium. die Inful, d&s Pedum und das Patriarchen-
krtuz acgebracht. Vber dtm Monumeni erschien die Gestalt feiner Victoria
in eine Tuba ^to^£t'nd. Anf dem Sai^e, an dessen Seiten sich £\rci trauernde
Gestalten bennden, ist das Kollocit:^ch'sche Wappen angebracht. Dasselbe hat
sieben Felder und ein Mittelschiid. Im ersten rothen Kelde ist eine silberue
Qaerbinde mit einem Kreuze daraufstehend, im zweiten und siebenten eine
silberne 5chrii'rr''rhfe Binde mit drtri KJeeblSttern nach oben, im dritten schwar-
zen ein drciv ■ r Werkstein, im rierten und fünften rotben. ein
L'jcr.s niii hii. ;.em Schweife und ausgestreckter Zunge, und endlich
im >ecii,-ten r - -dene Fischgräte. Der MittelschiJd i.-t quadriert und
zeigt im erste u -:.i vierten »elssen Felde einen springenden Wolf, im zweiten
und dritten rothen ein goldenes Rad.
Die Inschrift lautet:
I>. F. O. M. , Sta, qui nnnquam non curis ad metam , quam Tiator, si
potes 4 refer: Vel in exemplnm vel in admirationem Posierorum Memoriae
Sigisfflundum Cardinalem a Kollonitsch Arehi-Praesulem temo testimonio
piis^i::.um. Innocentia viiae, Probiiate Morum, Eminenlia virtutum, Hinc recie
Eminentissifflus Cui virtutes solum eminentes , mediocris nulla. Tantus cum
esset Viennensls Ecelesiae Anti^tes S. E. J- Princeps creatuä Anno MDCCXVI
episeopali infala, quia digiii>simu5 meruit ac debuit favore CaroÜ VI Impe-
raioris Primo Viennae Archi-Episcopali Pallio exomari MDCCXXIII Tl primus
& secundus eiset. Ipsi insictiium in Eccle>iam meritorum purpur.a irans-
mittitur Anno MDCCXXVIII Celebrato anno MDCCXLIX adaras Sacerdotii
jnbilaeo tempus suae resolutionis in^tare videns Eeclesiam suam noluit relin-
quere vidoam. Idco non came & sangine, sed releranie s-uperno flamine
sponstun elegii Josephum. quem in ipsa divinae nativitatis nocte Archi-Epis-
scopum ecnsecrans gennit Succe^sorem Anno MDCCL. Yiiii Sigismundus dives
paaperibus. sibi DiTitf pauper. ut etiam post fata esset munificus, omnia sua
bona lestamento reliquit pauperibus Orphanis. Tandem peracio senectutis
Vespere plenus diemm et Gloriosus meriiis Post mediam noctem abdorraivit
in Doicino Anno MUCCLI aetatis I-XXV. Die XII April Cui a maximo asque
ad niinimum parentant, aetemam requiem omnes devotissime precantnr.
Der hier begrabene Sigismund Graf Ton Kollonitsch war der jüngste
Sohn des Grafen Johann sigismund von Kollonitsch und der Regina Elisabeth,
gebomen Gräfin von Speidl . wurde am 30. Mai 1676 geboren, nnd war der
letzte Mannssprosse seines Geschlechts. Zuerst war er Domherr in Gran, Titn-
lar.Bischof in Scutari, l'OS Bischof von Weitzen, 1TI6 Bischof, 1723 Erzbischof
Ton Wien, 1727 wurde er Cardinal, Protector von Deutschland und Grossinqui-
sitop von Neapel und Sicilien. Über sein Leben s. Wissgrill V. 193—194,
Ogesser 1. c. 247—251.
Auf dem Gruftsteine, der sich gerade vor dem Monumente im Fuss-
boden befindet, ist folgende Inschrift:
Sigismundus ■ s. r. e. Cardinalis Presbyter S. R. J. Princeps Primus
Archiepiscopus Viennensis et Comitibus de kollonicz obiit Die XII Aprilis
MDCCLI. aetatis suae septnagesimo quint. ] Requie^cai in pace.
^ Dasselbe ist aus weissem und schwarzem Marmor, und bat die Form
eines Obelisken, vor demselben ist ein Sarg aogebrachi. Der Obelisk endiget
in einen mit einer Schlange umwundenen Todienscbadel. In der Mitte des
Obelisken ist das durch das Wappen des Wiener Erzbistbums vermehrte
forstlich Trautsohn'sche Wappen angebracht.
Am Sarge befindet sich das Relief-Bildniss des Erzbisrbofs^ umgeben
von den Symbolen der Kirche und des Todes, als: dem auf dem Evangelium
ruhenden Kelche, der Urne, und zwei Engeln, deren einer einen Spiegel, der
andere eine abgebrochene Kerze hiU.
Die Inschrift ist bereits grosslentheils zerstört und tautet:
Josephus Filius Joannis Ler^p. S- R- J- Principis a Trautsohn, Genere,
Yirtute, Doctrina eonspicuus, Prima adolescentia Canonicus Satisburgeusis &
T*aiaviensis. Mox Praepositus Sexardiensis Post Archi-Episcopus Viennensis
S. R. J. Princeps. Deniqne Cardinalis. Supremus liberalium studionim Mode-
rator Multis brevi tempore Rebus Gestis pro chrisiiana & civili Republica
Plures & Majores Moliens Morte Praerentus. Anno -lltatis LIII. Anno Domini
MDCCLVII.
Der hier ruhende Erzbischof Johann Joseph ist der Sohn des Fürsten
Johann Leopold Donat von Trauisohn und der Maria Theresia gebornen
Gräfin von Weissenwolf. Er wurde zuerst Domhew zu Passau. Breslau und
Wien. Probst zu Ardegger und Abt zu Sexard, passaueriscber Official unter
der Enns, I75ö C'cadjutor des Cardinal und Erzbischofs K'-lloniisch zu Wien,
1751 wurde er Erzbi^chcf Vvn Wien, 1756 vom Pap.-ite Benedict dem XIV. in
die Zahl der Cardiosle aufgenommen, geh. Kath, endlich Hofcaplan der Kai-
serin Elisabeth Christine und starb 175*. Das Monument Hessen seine Ver-
wandten errichten.
Auf der linken Seite in diesem Chor ist seine Gruft, und auf der
Deckplatte zu lesen: J. S. R. E. P. 1 C- T. C. J. I F. A. E. V. ] S. R. J. P. l
A. 1757, d. i. Josepbns Sanctac Romanae Ecelesiae Presbyter Cardinalis
Trautsohn, Coires in Falkenstain, Arcbi-Episcopus Viennensis, Sacri Romani
imperii_Princep6 Anno 1757.
Üt;er das Leben des Erzbisch-fs Trautsohn s. Ogesser I. c. 251- S53.
• Eine durch Säulen und anderen archiiekronischen Schmuck verzierte
Küche aus rothem Marmor . in derselben die lebensgro.-sc Kelieffigur des
Bischofs mit der Casula nach älterem Schnitte angeihan. auf dem Haupte die
Mitra, In d^r rechten Hand ein geschlo^^e^es Buch, in der linken das Pedum mit
dem Sudariam. Im Tynipa.K-n siüd zwei Wappenschilder angebracht, die auf
zwei Bi*chofestSben ruhen, uod mit einer Infel überdeckt sind. Das erste
Wappen i^: das des Wierier-Eitthums, eine wei^e Binde mit darauf gestelltem
■»..i- .^T V-, ,*e Ina rothen Felde, das zweite Wappen ist borisonral in zwei
"^ ' in dem oberen kleinen Felde ein Kreuz zeigend. Das untere
i-' :reifvldig und zwar zuerst mit einer Binde, sodann die rechte
Jirt..;.; • ;m Ij'^'ppeladlers und endlich ein Pferd darinnen.
Darunter die Inscbrlft .
Gerrgiut a Slatkonia Natioz.e Camiolus Labacensis ciTitatis . hojus
templi pontifex & Pecinensis administrator , Divi Maxiroiliani cae^aris Au-
6. des Ritters Adam Schweikovitz ".
7. des Propst Veit Easnian n
8. des Cardinais Alexander Bisehof v. Massovieu»,
9. des Fahnenträgers Leo Nothhaft»«,
10. des Bischof Johannes Kosinus »»,
11, des Stephan Gundel »s.
Der Burgbruimen zu Trausnitz.
Mi: 1 ll'.-Szschniti.j
In seltenen Fällen waren die Brunnen in den mit-
telalterlichen Burgen künstlerisch ausgestattet; die Ab-
bildung des eisernen Brunnens in der Burg Trausznitz
zeigt uns einen jener weniger hübsch geschmückten
Brunnen.
^stissimi a consilio. Archimnsicusqne. Vir pietisslmos , modestlssimus
integerrimus. qui in ornando Episcopatu Viennensi, omnes antecessores suos
facile superavit. Yivens ni'-nuinenium sibi tieri curavi;. Anno saluiis
M . D . XXn sexto Calendas Maji Vixit annis LXVI mense uno diebus
qtünqae.
Über das Leben des Bischofs Georg Slatkonia s. Ogesser 1. c. 209—
214, woselbst auch das Monument, jedoch mangelhaft abgebildet Ist.
' Eine grosse tch^'U gearbeitete Marmorplatte, darauf ist unter Laub-
gewinden das Wappen der Familie Schweikovitz angebracht. Dasselbe ist
senkrecht getheilt und zeigt im ersten Felde das Wappen von Jerusalem im
blauen Grunde, im zweiten Felde eine Fahne, darauf ein Kreuz. Als Helm-
zimier erscheint auf dem ersten Uelme ein wachsender Löwe mit Fahne wie
im zweiten Felde und auf dem zweiten ein zwolfAtrahliger Stern.
In den beiden unteren Ecken sind zwei kleine Wappen angebracht,
deren rechtes nicht ausgearbeitet, das linke quadriert ist, und im ersten und
vierten Felde das hyerosolimitanische Kreuz, im zweiten und dritten zwei
gekreuzte Steinbocknörner zeigt.
Die Umschrift lautet:
Hie ligt begraben der Edl und erenfest Adam Schwetkowitz, der ge-
storben ist am nevnzenbn Tag des monats nowem [ her anno- 1522 u. Fraa
katharina sein gemahel starb am 15 ■ - • Tag . . .
s Eine rothe Marmorplaite, darauf unter einem gothischen Baldachin
die lebensgrosse Relieffigur des Propstes Rosman; im Priesterge wände mit
Mozette und Piretum auf einem Löwen stehend. Zur linken halt ein Löwe ein
geschlossenes Buch, zur rechten ein Wappen, welches auf einem Hügel einen
Mann zeigt, welcher in jeder ausgestreckten Hand ein Schilfrohr hält.
Die Umschrift:
anno salntis christianae 1504 prima die augusti ; viventium e medio
sublatus est venerabilis egregiusque Dominus Dominus | Vitus Rosman Prae-
positus Zoliensis, plebanasque in Valknstaio j hie sepultus Cujus aia in Deo
vivat amen.
* Eine rothmarraorne Tafel, darauf die lebensgrosse Kelieffigur des hier
Ruhendon, im langen faltenreichen Kleide mit Rog«i und Mozette. den Car-
dinalshut auf dem Haupte, dessen Quasten bis zu den Füssen reichen, mit
der rechten Hand segnend, mit der linken hält er ein hvhes Kreuz. L>as Haupt
ruhet auf einem Polster, und von den Knien an smd auf beiden Seiten je
zwei Wappenschilder angebracht, deren oberes links und unteres rechts, den
einköpfigen ungekrönte n deutschen Reichsadler . die beiden anderen einen
ungekrönten, einköpfigen Adler mit Kleestängeln auf den Flügeln zeiget. Die
Inschrift lauft um den Rand der Platte und lautet: Majuskel) anno. dm.
M . CCCCXHV. Die scda mesis. i juny. o. reverendiss. i. xpo. pr. 4: Dlmu».
princeps. ac dns dns alexander \ dei gra. Cardinalis. Patriarcha | Aquil. Admi-
nistrator Eccle. Trident. et Dux Masoviae cujus, aia. vivat. i. deo.
Alexander Herzog von Massovien war der Milchbruder K. Friedrfch's
des dritten. Er war Cardinal, Patriarch von Aqnileja, Administrator der Bis-
tbümer von Trienl und Chur; die hiesige Propste! liess er durch einen Vicarius
verwalten, hatte diese Würde jedoch nur zwei Jahre inne. S. Ogesser
1. c. 1-S9.)
'* Auf der rothmarmornen Platte beinahe lebensgross die Relieffigur eines
mittelalterlich gekleideten Fahnenträgers. In der linken Ecke ist ein kleines
Wappen angebracht. Dasselbe zeigt einen Bindenschild , der Helm hat ein
Bufielhörnerpaar als Zimier von zweierlei Tinkturen, die zwischen denselben
wachsende Figur ist unkennbar.
Die jetzt verschwundene Inschrift lautete : Hie jacet in getico Leo
nothliafFc signifer | hoste nobile, cui nomen mens generosa dedit.
Ogesser sagt pag. S'M. Leo Nothhaft, Fähnrich zu Raab t Ji66.
Auch Fischer sagt über dieses Monument: Hie ligt begraben der Edl
und Ernvest Herr Leo Xothh.ift v. Weissenstein. r. k. m. gewester Hofdiciier
und Fähnrich zu Raab in Ungarn, welcher den 8. Novbr. 151C alhie zu Wien
in Gott verschieden ist.
'» Zwei Platten von weissem Marmor. Auf der grossem Oberen zeigt sich
das plump gearbeitete Brustbild eines Priester», das Haupt mit dem Piretum,
und die Schultern mit der Mozette bedeckt. Mit beiden Händen hält er ein
geschlossenes Buch. Auf der Seite zeigt sich gegen die Ecke oben die Mitra
und das Pedum, auf der anderen Seite ein quadriertes Wappen, in dessen
erstem und viertem Felde die linke Hälfte eines senkrecht geiheilten Kreuzes,
und ein senkrechter Pfahl, und im zweiten und dritten oberen Felde ein
Schwan, und im unteren drei Ro^en sich befinden. Auf der kleineren unteren
Inful befindet sich die Inschrift, sie lautet:
D. 0. M. S. ; Joauni Kosino Art. Praeposito Viennensi Consiliario 1
Regio et siogtilari morum probiiate graecis laiinifque ] literls exulto ac ingre-
dibüi facultate concionandi ( praedlio haercdes bene de litcris. ac religione
chri&tiana [ merito hoc m<^<riuntentum ; P. P. obiit 18 Noqemb. 1M5.
Kurze Andeutungen Über das Leben dieses hier Ruhenden, welcher
jedoch nur durch ein Jahr die^e kirchliche Würde bekleidete, s. Ogesser
1. c. 192— ir»3.
^ Eine Kehlheimerplatte mit folgender Inschrift:
Hie Stephan Gundel, Socia viriuie Senator ( Vir cui uUa qulcs vix ali-
quando futt j Virque cui sane sexdenr s trcsque per annos i Indefessa erat nocte
dieque labor ! Post consumatos tandem cum laude labores | Ultima nunc
ipsi est hicce Iccafa quies Unde Viator ei requiem die, quaeso perennem .
HoC ProLes LVgeos et geMebVoDa jeilt.
LIX
Dieser eiserne Brunueu, welcher uuter den uus
bekauuten ähnliclien Gebilden wohl der schönste ist,
erhebt sich auf rundem 3 Ftiss hohen steinernen Brun-
uenkranz, an welchem ein grosser Steineubus zum
Aufstellen der Eimer angebaut ist, auf dem Brunneu-
kranz liegt als Schutz des Steines dickes Eisenblech;
auf diesem steinernen Unterbau nun erhebt sich die
dreibeinige Maschine des Hebwerkes. Die drei Beine,
als Strebepfeiler gelöst, endigen oben in schönen Blu-
men, schliessen sich mittelst viertelkreisförmigen Bligeln
gegen das Centrum, und tragen daselbst das Kloben-
rad; aus den drei Bügeln wächst je ein Ast, in Gestalt
einer aus dickem Draht gedrehten Blume. In der Mitte
erhebt sich die Wimpelstange, geziert mit einem hohlen
vollen blechernen Knopf, darüber ein zweiter Knopf aus
Draht gewunden, und oben au der Spitze eine Wimpel.
An den drei Strebepfeilern sind ferner blecherne AVap-
pen angebracht. Das eiserne Klobenrad, welches aus
einem Ring von hohlkehlenartigem Querschnitt besteht,
(in welche Hohlkehle sich die Zugkette legt), ist mit
einer Führung versehen, welche das Ausspringen der
Kette verhindert. In dieser Führung ist auch die Jahres-
zahl 1525 eingravirt. Die innere otfene Kreisfläche des
Rades ist mit aus Eisenstäben gefertigten Fischblasen-
Masswerk verziert.
Die ganze technische Ausführung ist brillant und
mau kann diese Schmiedearbeit ein Meisterwerk des mit-
telalterlichen Handwerks nennen. Die zwei alten Eimer
aus Kanonenmetall haben Formen der Frührenaissance,
und stehen jetzt ausser Gebrauch. Sie beweisen, dass,
während die Giesserei sich schon in den Formen der
Renaissance bewegte, die Schmiede noch fest an den
heimischen gothischen Formen hielten '.
Schulcz Ferenz.
Wunibald Zürclicr aus Bludenz , Conventual in
Weingarten, letzter Abt zu Hirschau, und dessen
Grrabstein zu Thüringen , nebst einer lotiz über die
Wanderungen der Original- Handschrift der Annales
Hirsaugienses vom weitberühmten Abte Johannes
Trithemius.
Johann Gtddeni)iick , ein edler Zürcher, verliess
seines katholischen Bekenntnisses wegen seine Vater-
stadt und Hess sich zu Bludenz in Vorarlberg nieder,
wo er den Namen Zürcher annahm, den seine Nach-
kommen, die nun erloschen, fortführten i. Mehrere der-
selben bekleideten daselbst das Bürgermeisteramt;
Wunibald I. war Pfarrer zu Schnitis uud Kammerer des
drusianischen Capitels d. i. des Walgaus; Wunibald IL,
am 3. Februar 1605 geiioreu, widmete sich gleichlälls
dem geistlichen Stande und trat frühzeitig in die reichs-
unmittelbare Reichsabtei Weingarten ein.
Um seinen Eiutiitt in dieses Gotteshaus zu erklären,
wollen wir einige Notizen über dessen damaligen Abt
hier einschalten. Dieser war Georg WegeHu ausBregenz,
Sohn Wolfgang Wegelin's, Verwalters der österreichi-
schen Herrschaften Bregenz und Hoheueck, am 20. März
1558 geboren. In einem Alter von sechzehn Jahren trat
er in"s genannte Kloster ein, ward 1581 Priester, wegen
seiner ausgezeichneten Eigenschaften schon im folgen-
den Jahre Subprior, und durch einhellige Wahl seiner
Mitbrüder am 10. November 1586 Abt.
Am 31. December 1610 kaufte er die vom Grafen
Hugo von Montfort im Jahre 1218 gestiftete Malteser-
ordens - Commende zu St. Johann in Feldkirch um
61.000 Gulden, die er 1617 zu einem Priorate von
Weingarten erhob, welchem der berühmte Genealog
P. Gabriel Bucelin (f 1681) viele Jahre vorgestanden,
dann am 7. Februar 1613 von den Grafen von Sulz die
vormals den Grafen Werdenberg-Sargans zu Vaduz ge-
hörige Reichsherrschaft Blumenegg unweit Bludenz um
150.000 Gulden, eine Besitzung, welche dem Stifte mehr-
mals, namentlich beim Vordringen der Schweden im
dreissigjährigeu Kriege als sichere Zufluchtsstätte von
hohem Werthe war. Am 1. August 1627 legte Abt Georg
seine Würde nieder und starb am 10. October desselben
Jahres. Mit Recht wird er von den Seinigen als der
zweite Gründer dieses alten Welfeustiftes und von
seinen Zeitgenossen als die Perle der damaligen schwä-
bischen Prälaten gepriesen 2. Nun kehren wir zu unse-
rem Wunibald Zürcher, dem Jüngern zurück.
Von dem Rufe Weingartens und seines in der Nach-
barschaft waltenden Abtes augezogen, ward Wunibald
— wie gesagt — Conventual in Weingarten, legte am
24. August 1621 seine Gelübde ab vmd brachte am
5. August 1629 dem Herrn das erste Messopfer dar.
Als das vom Grafen Erlafrid von Calw im J. 830
gestiftete Beuedictiucrkloster Hirsau oder Hirschau au
' Weite des Brunnentranzes 4' 4", Öffnungsweite 3' 4", Höhe der
Bügel, die daü Kad tragen 1 ' , Hötie des ganzen lirunnens bis an die Wurzel
■> o -» '
' Vgl. des Zeitgenossen P. Clabriel Bucelini Khaetia Sacra et profana.
Aug. Yindelic. IGiJG, pag. 470.
- Catalogus Abbatum imperialis monasterii Weingarteusis ä P. Gerardo
Uess. Aug. Vindelic. 17S1. 1". pag. 298—129.
LX
derNasrold, welches die rastlose Thätigkeit des berühm-
ten Abtes Wilhelm (1069—1094^ zu grossem Rufe
emporgehoben hatte, vom Herzog Christoph von Würtem-
berg im J. 1558 in eine protestantische Klosierschule
umgewandelt, aber in Folge des Kestitutionsedictes vom
6. Mai 1629 am 6. September I63u von den Katholiken
in Besitz genommen nml wieder hergestellt wurde ',
kam der fromme Andreas Gaist aus Eottweil, Wein-
gartener Prior zu St. Johann in Feldkireh. erst als Ad-
ministrator dahin, ward am 15. Mai 1635 als erster Abt
consecrirt, starb aber schon am 28. April 1637 und
wurde zu den Füssen des seligen Abtes Wilhelm beige-
setzt i^s. Hess p. 407 — 174).
Ihm folgte am 5. Mai durch Wahl unser oben er-
wähnter Wnnibald Zürcher als Abt, musste aber beim
Wechsel des Kriegsglückes mit seinen Ordensbrüdern
bald fliehen und nahm nebst anderen Schätzen auch die
Originalhandschrift der Hirschauer Annalen von dem be-
rühmten Abte Johannes Trithemius (vou dem wir
unsem Lesern, denen das Leben desselben weniger
bekannt sein dürfte, das Wesentlichste in Kürze am
Schlüsse mittheilen wollen) mit sich nach Weingarten,
und als die Kriegeswogen wieder nach Oberschwaben
sieh wälzten, suchte er seine Zuflucht im Kloster St. Gal-
len, wo vom Original eine Abschrift genommen wurde.
Als diese noch nass und kaum vollendet war, über-
siedelte der Exabt Wnnibald, wahrscheinlich von seinem
Abte Dominik Layniann abberufen, ins Schloss Blu-
menegg, wo Kurfürst Maximilian I. von Bayern (tl651)
auf seinen Befehl und seine Kosten die meisten Docu-
mente abschreiben und die Abschriften nach München
bringen Hess. Bekanntlich ward das Schloss um 1660
plötzlich durch Brand zerstört und angeblich auch dieses
Jlanuscript von den Flammen verzehrt *. Hiemit stimmt
Ildefons von Arx in seinen Geschichten des Cantons
St. Gallen, Bd. IIL 274 überein, wo er sagt: ..Der ge-
lehrte Bibliothekar Hermann Schenk ' ist der Heraus-
geber der Hirsehauer Chronik (richtiger der Annalen)
des Abtes Trithem, die ganz zu Grunde gegangen wäre,
wenn man zu .St. Gallen nicht in Eile von dem hernach
im .Schwedenkriege verbrannten Originale eine Abschrift
genommen hätte-.
Wahrscheinlich verlebte Wunibald, der letzte Abt
von Hirschau, den Best seiner Tage in Thüringen,
dem Haupt- und Amtsorte der Herrschaft Blumenegg,
wo er am 18. October 1664 starb.
Als ich im Jahre 1849 die dortige Pfarrkirche be-
suchte, gewahrte ich einen im Fussboden eingesenkten
rothen Marmorstein (5' 2" lang und 2' 5" breit), darauf
Inful und Stab, Hess ihn reinigen und las seine Inschrift,
die ich abschrieb, aber verlor. Jüngst erhielt ich durch
die Güte des Herrn Pfarrers Jakob Fink eine Abschrift
der wahrscheinlich durch Schuld des Steinmetzen incor-
recten Inschrift, welche lautet :
HIC . POSVIT . MORTA
ALES . EXVVIAS . RND
MVS« DN . DX . WV
* ^attler'5 GeÄchichte des Herzogthams Würtcmberg uoier der Ke-
giemng der Herzoge). 1774, Bd. VII, 27
* So in der Vorrede zur /aDonymen) Ausgabe von Joannis Tritbemä
SpanbeimeDsis etc. Abbaiis Aonales Hlrsangieoäes. IT. Tom. in fol. SL. Gallen
MDCXC.
* Scbeok batte nacb t. .\n 1. eil. im J. 1700 den Ruf als kalserlicner
Bibliotb^kar nacb Wien erbalten, lehnte ibn aber auf Befehl seines Abtes ab
und itarb im J. 1706.
' ReTerendissimui Dominus ftc. — HrESSAVGI.At: pro BIRSAVGIAE.
VXIBALDVS
SACRAE . HIRS
SAVGLAE (!).
ABBAS . OPT"»
VH'AT . DEO
OBIIT. XV. CAL. XOV.
MDCLXIV.
Den Raum über der Inschrift füllt ein vierfeldiger
Wappenschild, auf dem ein kleinerer gleichfalls mit vier
Feldern ruht. Auf jenem gewahrt man im ersten und
vierten Felde je einen auf Hügeln aufrecht stehenden
gekrönten Löwen, nach innen gekehrt, im zweiten und
dritten je einen Hirschen, ebenfalls nach innen gekehrt,
wegen des Klosters Hirschau ; das Zürcher'sche Fami-
lieuwappen hat im ersten und vierten goldenen Felde
auf einem schwarzen Querbalken drei neben einander
und aufrecht gestellte Goldammern mit gespreizten
Flügeln und im zweiten und dritten rothen Felde einen
silbernen, einwärts springenden Löwen, der eine Lilie
hält "; doch sind auf diesem Grabsteine die AVappen in
unrichtiger Stellung dargestellt, indem eigcntHcli der
Löwe (ohne Lilie i im ersten und vierten Felde und der
Querbalken mit den drei Goldammern im zweiten und
dritten Felde stehen soll.
Xun lassen wir den Abt Wunibald im Frieden
ruhen und wenden uns zum Abte Johannes Trithemius
oder Trithem. Dieser, am 1. Februar 1462 zu Triten-
heim unweit Trier geboren, verlebte unter einem harten
Stiefvater traurige Knabenjahre, ward im Jänner 1482
Benedictinermönch zu Sponheim bei Kreuznach und,
wenn auch der jüngste, schon am 29. Juli 1483 zum
Abte gewählt, als welcher er eine strenge und sparsame
Verwaltung führte und eine unverwüstliche Ausdauer und
höchst seltene Arbeitskraft entwickelte. Die 48 Bände
der Bibliothek jvusste er bis zum Jahre 1505 auf 2000,
zum Theile sehr kostbare Bücher und Manuseripte zu
vermehren.
Auf Veranlassung des Hirschauer Abtes Blasius
^^von 1484 — 1503) verfasste er das Chronicon Hirsau-
giense, das bis zum Jahre 1370 herabreicht. Xachdem
Trithem der Sorgen, welche theils die \'erwaltung der
Abtei Sponheim theils die Vertblgungssucht und der
schmähliche Undank seiner Mönche ihm bereitet
hatten, durch seine Berufung als Abt des Schotten-
klosters St. Jakob zu Würzburg (wo er am 13. December
1516 gestorben) los geworden war, begann er 1508 in
freierer Müsse auf Auftbrderung des Abtes Johann von
Hirschau die völlige Umarbeitung dieser Chronik, die er
bis 1513 fortführte und am 31. December dieses Jahres
mit dem Titel „Annales Hirsaugicnses'- in zweien unge-
heueren Bänden vollendete.
Dieses Manuscript, ein wahres Pracht- und Riesen-
werk, ward als speciclles Besitzthum und Kleinod für
Hirschau betrachtet, indem der Verfasser und Schreiber
am Ende des I. Buches mit rother Schrift schrieb: „Me
sola Hirsaugia gaudet".
Das vorgenannte Chronicon Hirsaugiense , das
Trithem dem Kurfürsten von der Pfalz verehrt haben
dürfte, fand Manpiard Frehcr in Heidelberg, wusste aber
bei Herausgabe der historischen Werke Trithems im
s. Gedenkblältcr der Familie Lorioser. Von Dr. Fr. Wilh. L o r i ns e r.
Wien. S. 57 und Taf. IX, und Ut.cr die Familie Zürcher daselbst S. 3«.
LXI
Jahre 16Ul ' uichtä von der Existenz der zweiten Be-
arbeitung. Im Jahre 1606 war es ihm jedoch vergönnt,
das Original dieser zweiten Bearbeitung (wahrscheinlich
in der Klosterschule zu Hirschau) zu sehen, von wo es
Abt Wunibald mit sich genommen hat.
Die Anuales Hirsaugienses sind Trithem's vor-
züglichstes und werthvoUstes Werk, indem sie nicht
blos die Geschichte dieses Klosters und seiner Abte
(wiewohl nicht inmier wahrheitsgetreu) geben, sondern
auch die wichtigsten Weltbegebenheiten, vornehmlich
in Deutschland vor Augen fuhren und mit vollem Recht
als historisches Quelienwerk zu beachten sind.
Nun weist Dr. Ruland, Oberbibliothekar zu Würz-
burg, das Vorhandensein dieses verloren geglaubten
Originals in der k. Hof- und Staatsbibliothek zu Mün-
chen (Cod. latin. Nr. 703 und 704) im Serapeum 1855,
S. 296 ff. aufs gründlichste nach und sagt, dass dieses
von Trithem eigenhändig geschriebene Original-Exem-
plar nicht verbrannt, sondern zur Zeit des Kurfürsten
Maximilian I., in dessen Bibliothek nach München
gekommen sei. Höchst wahrscheinlich ist dieses Origi-
nal, die Quelle des St. Gallener mitunter fehlerhaften
Druckes, vom geldbedürftigen Exabte Wunibald, der es
als sein gerettetes, kostbares Eigeuthum betrachten
mochte, vor dem Schlossbrande auf Blumenegg an den
Kurfürsten verkauft worden.
Wer mit der Bedeutsamkeit dieses mit den viel-
seitigen Kenntnissen ausgestatteten Mannes, welcher
mit Papst Julius H., Kaiser Maximilian I., dem Kur-
fürsten Joachim I. von Brandenburg, dem Pfalzgrafeu
am Rhein, dem Herzog von Bayern und vielen anderen
geistlichen und weltlichen Fürsten und Herren Deutsch-
lands, ja ganz Europa's, theils in persönlichem, theils
in brieflichem Verkehre stand, näher bekannt werden
will, sei verwiesen auf „Johannes Trithemius, eine Mono-
graphie von Dr. .Silbernagel, Universitäts - Professor
in München, Landshut 1868-'. Eine mustergiltige sehr
lesenswerthe Arbeit (vgl. Augsb. allg. Zeitung 1869,
Beil. Nr. 36), in welcher S. 235 — 245 ein Verzeichniss
von Trithem's sämmtlichen, grösseren und kleineren,
gedruckten (45) und ungedruckten (33), wie auch neun
unterschobenen Schriften niedergelegt ist.
Dr. Jos. V. BogmaiiH.
Die Grrabdenkmäler von St. Peter und lonnberg zu
Salzburg.
I. und II. AbtheiUin^ mit 4.S Steindrucktafelu, Salzburg IS'j" und 18G8.
Schon zu wiederholten Malen ist iu diesen Mitthei-
lungen die Aufmerksamkeit der Geschichtsfreuude und
jener der mittelalterlichen Kunst auf den Wertli mittel-
alterlicher Grabdenkmale, dieser verlässlichsten Hilfs-
quellen der Geschichte, gelenkt worden, auch Director
Dr. Joseph Ritter von Bergmann hatte in einer sehr
werthvoUen Schrift hervorgehoben, wie dringend noth-
wendig es ist, dass diesen Denkmalen grössere Sorgfalt
und erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werde '. Sie
sind Producte verschwundener Jahrhunderte und geben
uns als solche Beweise der gleichzeitigen Kunst und
Technik, sowie sie auch fast allenthalben Inschriften
enthalten und der Gegenwart Namen und Daten über
einzelne Personen, über ihren Rang und ihre Wirksam-
8 Marquardi Freher opera historica. Francof. HJOI. Pars II. 1 — 235.
' llitlh. der Centr.-Comm. II. b. und f.
XIV.
keit in Staat und Kirche, über ihre Familie und Herkunft
u. s. f. verkünden ; Daten, deren Kenntniss auf einem
anderen Wege uns nimmermehr geworden wäre. Nicht
minder werthvoU sind die artistischen Beigaben dieser
Denkmale, wie die ganzen oder halben Bildnisse des
Verstorbeneu, die Wappen und Ordenszeichen etc.
Schon damals hatte Dr. Bergmann die Abfassung
eines Corpus Epithaphiorum im allgemeinen und ins-
besondere eines urbis Vindobonensis in Anregung ge-
bracht und hervorgehoben, dass bei vereinten Kräften
der in den einzelnen Orten in grösserer Menge noch vor-
ftndliche Stotf leicht bewältigt werden könne.
Allein es blieb nur bei dem guten Gedanken, die
Ausführung folgte nicht nach. Wohl enthalten die Mit-
theilungen der k. k. Cent.-Comm. in allen ihren Bänden
zahlreiche Aufsätze über einzelne Grabdenkmale , die
nicht selten mit den entsprechenden Abbildungen ver-
sehen sind; wohl finden wir in den Mittheilungen des
Wiener Alterthums- Vereines die Grabdenkmale der
St. Michnelskirche und der ehemaligen Minoriten-, Au-
gustiner- und Carmeliterkirche, der Salvatorcapelle zu
Wien, ferner jene der beiden Kirchen zu Baden, der
Frauenkirche zu Wiener-Neustadt, der Carthause zu
Agsbach u. s. w. eingehend gewürdigt; allein es sind
dies eben nur einzelne Aufsätze -, es besteht kein weiterer
innerer Zusammenliang und gar manche, reichhaltiges
Materiale an Grabdenkmalen enthaltende Orte sind noch
nicht berücksichtigt. Es sei nur beispielweise erwähnt
die Schlosscapelle zu Pottendorf, die Kreuzgänge zu
Klosterneuburg, Heiligenkreuz und Lilienfeld, das Stift
Göttweig, das Stift Rein, die Losensteiner-Capelle zu
Garsten, die Stahremberg Gräber iu Helmonnsöd etc.
Erst die neueste Zeit brachte ein Werk über dieses
Thema, das wir in jeder Beziehung als mustergültig be-
zeichnen können. Es ist dies jene Arbeit, die wir Ein-
gangs unserer Besprechung benannt haben und in
Tobenswerther Intention von der Gesellschaft für die
Landeskunde Salzburgs herausgegeben wird. Dr. Walz
in Linz wurde mit der Herausgabe betraut und hat an
seiner Seite als vortreffliche Stützen den Consistorialrath
Doppler und Dr. Chiari.
Das Werk enthält nicht nur eine Bearbeitung der
Grabdenkmale der salzburgischen Stifte St. Peter und
Nonuberg, sondern zieht in seinen Rahmen auch alle
anderweitig in Salzburg befindlichen Grabdenkmale. Wir
finden bei jedem Denksteine den Standort, die Grössen-
verhältnisse nach Wiener Mass, das Material und den
heutigen Zustand angegeben. Ferner die vollständige
Mittheilung der Inschrift mit Angabe der Schreibweise
und Buchstabenformen, die Beschreibung der Figura-
tionen und speciellen Formen und endlich Notizen über
die Persönlichkeit und ihre Familie.
Von denjenigen Denkmälern, welche für die Ge-
schichte der Stj'le und Ideen der Kunst oder für die
Geschichte der Cultur und Wissenschaft besonders be-
merkbar erscheinen, sind Abbildungen beigegeben. Die
bezüglichen Zeichnungen sind von Karl v. Frei, die
Lithographien von Herwegen. Jeder Kenner muss bei
Betrachtung dieser Illustrationen deren Gelungenheit
anerkennen und zugeben, dass der Zeichner nicht nur
- Auch iu den Mittheilungen des Vereines für n. ö. Landeskunde finden
wir den Epithaphicn Rechnung getragen uud werden daselbst (II. 218} jene
der Franciscanerkirche veröffentlicht. Wäre es denn nicht möglich, dass
durch vereintes Wirken des Alterthums-Vereines zu Wieu und dieses Vereines
jene von Dr. Bergmanu angeregte Idee verwirklicht würde?
i
LXII
voUktiniiiiene Kunstfertigkeit besitzt, sondern auch für
Wiederirabe dieser Gegenstände das vollste Verständ-
niss hat" Diese Beigaben bilden sicher nicht den mindest
•werthToUeu Theil dieses enipfehlenswerthen Buches.
Das älteste Grabdenkmal ist jenes aus der ersten
Hälfte des XIV. Jahrhunderts, der Äbtissin Wilbirgis,
ein Stein mit ganz kurzer Inschrift. Hervorzuheben ist
femer jenes (fer Elsbeth. des Venedigers Hansfrau,
(c. 13uO) in der Kirche am Nonuberge, weil das älteste
mit dem Schmucke eines Schildes in Umrissen einge-
zeichnet. Auf dem Grabmale des Hermann Gaerrfc. 1300)
im St. Peterskreuzgang sehen wir bereits ein vollkomm-
nes Wappen mit Schild, Helm und Helnidecke. Das
eben dort befindliche 7 Fuss hohe Grabmal des Wul-
fingns de Goldek (1343) erscheint beachtenswerth, weil
bereits die Buchstaben der Legende und Wap]ienbe-
standtheile aus Bronze angefertigt waren , die dann
in die ansgemeisselte Vertiefung eingelassen und durch
Blei befestigt wurden. Am Grabsteine des Ulrich Kal-
hochsperg (1348) ist das in der Mitte befindliche Wap-
pen bereits relief behandelt. Als eine schöne Arbeit
kann man auch den Grabstein des Heinrich Aichaimer
(1335) bezeichnen.
Es ist sonderbar wie wenig Grabplatten mit ganzen
Figuren darauf sich in Salzburg erhalten haben; so
finden sich in der Klosterkirche am Nounberg nur fiinf
Denkmale für Äbtissinen und im St. Petersstifte sieben
für Äbte, die in dieser Weise geziert sind. Freilich wohl
mag eine grosse Zahl solcher, namentlich denErzbischiifeu
gewidweter Denkmale beim Umbaue der Domkirehe
verloren gegangen sein. Ein schönes Denkmal ist jenes
des Abtes Johannes (1428) mit der knieenden Figur des-
selben. Nicht übergehen können \vir endlich die mit
dem vollen heraldischen Schmuck gezierte Grabplatte
des Martin Rawter 1 1416), jene mit der Figurengruppe
der Kreuzigung geschmückte des Peter Xusdorffer
(1424), so wie endlich jene des Virgilius Überakcber
(1456), das mit sieben sehr schön ausgeführten Wappen
versehen ist. . . .m. . .
Die Sammlimgen des germanisclien Museums zu
Mmberg.
Unter diesem Titel erschien zn Ende des vergan-
genen Jahres im Verlage des Museums ein 123 Seiten
umfassendes Buch in Grossoctav, das die Bestimmung
hat, den Besuchenden als Wegweiser zu dienen. Die
Leitung der Anstalt glaubt durch die Veranstaltung der
neuenimd bedeutend vermehrten Auflage dem gesteiger-
ten Interesse des Publicums zu entsprechen, das sich in
jüngster Zeit zahlreicher mit ideellen oder praktischen
Zwecken den Denkmälern heimischer Kunst oder des
einst in hoher Vollendung blühenden Gewerbes zuwen-
det. Wir begrüssen dieses Buch mit der Überzeugung,
dass in Folge seiner sehr praktischen Anlage einem
langgefühlten Bedürfnisse der Besucher dieses Museums
bestens abgeholfen wird. Es ist ein wahrer Führer
durch die zahlreichen, ausgedehnten und mit Schätzen
namhaft gefüllten Räume derXümberger Carthause, ge-
widmet nicht blos dem tür ein bestimmtes Fach sich inter-
cssirendeu Kenner und Gelehrten, somlern ein Leiter
für jedweden Besucher, der über die wichtigsten Ge-
genstände Aufklärung gibt und demselben zugleich die
Anordnung des Ganzen und die Bedeutung der ein-
zelnen Reihenfolgen verständlich macht.
Xacli vorausgesendeter Besuchsordnung wird ein
kurzer Abriss des Entstehens dieser .Sammlung uud ihrer
Bedeutung, so wie der Geschichte und der durch einen
Grundriss erläuterten Beschreibung des Gebäudes , in
welchem dieselbe untergebracht ist, nämlich der vom
reichen Handelsherrn und Xüruberger Altbüiger Mar-
((uaril Mendel um 138u gegründeten und nach kaum
anderthalb Jahrhunderten wieder eingegangenen Cart-
hause, gegeben.
Der Wanderer betritt zuerst die Sammlung der
Grabdenkmale im grossen Kreuzgange, woselbst derlei
Denkmale theils laber in nur wenigen Exemplaren) Ori-
ginale, theils (nnd zwar sehr bedeutende Werke) in guten
Abgüssen aufgestellt sind. Es ist bei Besprechung dieses
Buches nicht unsere Aufgabe, die Gegenstände selbst
zu schildern, sondern wir wollen uns unserem Zwecke
gemäss nur darauf beschränken, an der Hand dieses
Führers die einzelnen Räume zu durchschreiten. Auf die
Sammlung der Grabdenkmale folgt jene von Bautheilen,
architektonischen Ornamenten, und nun den Kreuzgang
verlassend von figürlichen .Sculpturen in der ehemaligen
Kirche. Die .Sammlung kirchlicher Alterthümer, als der
Werke der Goldschmiedeknnst und ihrer Verwandten in
unedlem Metalle, in Original und Abgüssen , der eigent-
lichen kirchlichen ilöbel und Geräthe. Altäre, Gemälde,
Taufsteine, Chorgestühle etc., alle diese Gegenstände
befinden sich in den Capelleuräumen an den .Seiten der
Kirche. Im Saale zunächst der Kirche finden wir Gewebe
und Stickereien, Muster der Seiden-, Leinen- und Wol-
lenweberei des Mittelalters, der Bortenschlägerei etc.
Xeuerdings betreten wir von da den Kreuzgang, um
dort die reichhaltige Waffensammlung zu besichtigen,
und gelangen dann zu den Möbeln undHausgeräthen, die
im ehemaligen Refectorium aufgestellt sind. Damit steht
in Verbindung die Kammer für die Folter- und .Strafwerk-
zeuge, deren grösster Theil aus den Gerichtsstätten des
Burggrafen von Xürnberg stammt und echt ist.
Xunmehr verlassen wir das Erdgeschoss des Ge-
bäudes und erreichen die oberen .Säle, die die Denk-
male von Kunst und Wissenschaft enthalten. Wir finden
da die Sammlung der Landkarten. Pläne und Prospecte,
Kalender, Sonnenuhren, medicinischer Apparate, geo-
metrischer Instrumente, die der Urkunden (das Münz-,
^ledaillen- und Siegelcabinet treften wir in einer im
ersten Stocke an der Kirche gelegeneu Capelle i, ferner
die bildlich-chronologischen Darstellungen der Entwick-
lung der Buchschrift, des Buchdruckes, der Miniatur-
malerei, die Kupferstichsammlung, die der Holzschnitte,
gestochenen Platten und geschnittenen Stöcke , der
Handzeichnungen, der culturhistorischen Blätter, die
Gemäldegallerie uud schliesslich die Sammlung der Co-
stüme und Schmuckgegenstände.
Wesentlich fördernd den Zweck des Buches sind
die guten Illustrationen , mit denen dasselbe in zahl-
reicher Weise ausgestattet ist. Indem wir diesen Führer
mit Befriedigung zur Seite legen, müssen wir gestehen,
dass wir neuerdings die Überzeugung gewonnen haben,
dass die Schöpfung des germanischen Museums eine
gelungene, seine Sanuulung bereits achtunggebietend und
das Institut der warmen Fürsorge des deutschen Volkes
würdig ist. . . .m. . .
BedacUur : Dr. Karl Lind. — Drack der ic. k. Hof- ond SUAt>-lracJC*rei m Wien
LXIII
Zur Literatur der cliristlichen Archäologie.
Bulleliiio di Archeologia criftiana del Cav. Giov. Halt, de Rossi.
Im Laufe dieses Jahres (1868) sind von Kossi's
Hiilletino wieder Fortsetzungen hieher gelangt, welche
zunächst den Jahrgang 1866 enthalten und für die früh-
christliche Kunst belangreiche Aufsätze bieten. In Nr. 1
beginnt ein durch mehrere Nunmiern fortgeführter,
zunächst kirchengeschichtliclier Aufsatz ül)er die von
Eni. .Aliller ]8.")1 herausgegebenen Philosophumena
sive oninium haeresiuni refutatio e codice Paris, woran
sich ein reicher Kranz gelehrter Schriften Englands,
Flankreichs, Italiens und Deutschlands gereiht hat.
r> e Kossi stimmt zumeist mit der beiühmten Ab-
handlung Döllinger's „Ilippolyt und Kallistus-
überein, ohne jedoch die anderen Autoren unberück-
sichtigt zu lassen. Für die christliche Archäologie ist
von den vielen interessanten Pieceu folgendes zumeist
wichtig :
1. Eine aus Doni Inscr. C\. II. n. 178 reproducirtc
Inschrift aus der Zeit der Antonine macht uns mit dem
Carpophorus bekannt, dessen Name in den Philosoiihn-
niena eine Rolle spielt. Derselbe errichtet laut genannter
Inschrift für sich und die Seinigeii nebst Nachkommen
ein Jluniinentum sive Cepotaphium und verbietet, das-
selbe seinem Namen zu entfremden. Wie seinerzeit auf
Grund des zu Basel entdeckten römischen Epitaphiums
dargetlian wurde, ist hier ein Monumcntum mit der arca
oder dem hortus zum Pi'ivateigenthnm des M. A. C'ar-
po])horus und der .^einigen erklärt, ein Verhältniss,
welches gerade im I. und II. Jahrhundert den Christen
für ihre Grabstätten belangreich war, abgesehen davon,
dass dies Grab des Carpophorus möglicherweise ein
solches gewesen und die Clausel für das christliche
Bekenntniss der in dies Grab Aufzunehmenden Vc)raus-
gesetzt werden darf.
2. Da dem Callixtus die Obsorge über das Cöme-
terium der Päpste und die Ordnung (constitutio) des
Clerus nach Yietor"s Tode von Zephyrinns übertragen
worden, so sucht de Kossi an der Hand des Textes
der Philosophumena den schwierigen Punkt über die
Eintheilung der römischen Kirche in gewisse Bezirke
zu erhellen und die Zeit zu tixiren. Das den Christen
vortheilhafte Eescript des Septimius Severus, welches
die Collegien behufs der Todleubestattung privilegirte.
fällt gerade in diese Zeit und in diesen Zusammenhang,
das auch durch Tertullian Apolog. .39 klar wird. Es ist
der AVende]ninkt, wo die Grabstätten der Christen aus
dem privatrechtlichen Verhältnisse der ersten Periode
in das mit solchen Collegien verbundene corporative
Pechtsverhältniss übergingen, d. h. wo die Cömeterieu
anfingen, Eigenthum der Ecclesia zu weiden. Der
Namens dieser Corporation (Collegium für die Todten-
bestattung) bei den Behörden handelnde Syndicus oder
Actor war der Archidiacon, war Callixtus. Er beklei-
dete das Vertrauensamt des Administrators der area
ecciesiastica, deren Tertullian gedenkt. Nach ihm ward
jenes Cömeterium benannt, welches allein und zuerst
auf Grund des erwähilten Privilegiums legal Eigenthum
der Ecclesia als Körperschaft geworden und oti'iciell
diesen Namen bei den Behörden führte. So erklärt sich,
warum dies Cömeterium nicht nach dem Papste (Zephy-
riuus), sondern nach Callixtus benannt wurde, der kei-
neswegs in demselben bestattet ward.
XIV.
3. In demselben Nr. 1 wird (liebst Abbildung) eine
Broncelani]ie besprochen, welche M. Peignc-Dela-
court in eineniGrab-Hypogaeum inAfrica gefunden hat.
Die dabei belindliclien Iiischriltcn sind ans dem V. Jalir-
hundert, dem auch die interessante Bronzelampe zuge-
schrieben werden kann. Dieselbe stellt eine Säulen-
basilica vor mit lialbkreisförmiger, von Säulen gebil-
deter Apsis, worin die Cathedra primitiver Gestalt wahr-
zunehmen. Dieselbe trägt als Abscliluss ein Kreuz.
Ein solches sieht man auch in dem Tympanon der Front-
seite. Ob, wie de Eossi glaubt, für die Kenntniss der
(africanischen) Basiliken aus dieser Lampe nichts zu
folgern ist, lasse ich einstweilen dahingestellt. Jlir
scheint es nicht der Fall zu sein.
4. In Nr. 2 wird ein Oratorium geschildert, wel-
ches ausserhalb der Porta von Ostia auf der Vigna des
Marchese Ricci Paraceiani im zerstörten Zustande ge-
funden und otlenbar ursprünglich eine Familiengrab-
capelle in zwei Stockwerken bildete. Der dort gefun-
dene Sarkophag war nie für ein unterirdisches Grab
bestimmt, so dass ich in diesem Oratorium eine I) o p p c 1-
capelle erblicke, deren unterer Raum für die Depo-
sition des Sarkophages diente, während der obere mit
Altar als Oratorium und für die Anniversarien bestimmt
war. Für die gerade in diesen Mittheihingen der k. k.
Central-Commission wiederholt besprochenen Kirchhof-
oder Todtencapellen scheint mir dies Denkmal bei Rom
nicht ohne Belang, zumal es laut Inschrift im XIV, Jahr-
hundert die noch aus den Trümmern erkennbare letzter
Gestaltung erfuhr,
5. Nr, 3 bespricht die christlichen Monumente von
Porto und macht durch folgende Argumentation die
Existenz eines schon vor dem Jahre 317 daselbst be-
tindliehen Bischofssitzes wahrscheinlich. Im Jahre l'.tö
ist die Administration von Porto und Ostia laut Inschritt
Mommsen Inse, R, N. 6803 schon getrennt, die unter
Antoninus Pins noch für beide Communen gemeinschatt-
lich war. Eine griechische Inschrift nennt Claudius und
den Vorsteher der Synagoge ■ — so dass unter Kaiser
Claudius hier eine Juden-Niederlassung anzunehmen
und damit die Wahrscheinlichkeit einer frühen Christen-
Gemeinde gegeben ist. Bewog die Juden das Handels-
interesse diesen Ort zu wählen, so bestimmte die Chri-
sten für diese Station die Liebe gegen die Ankömmlinge
ihres Glaubens, wie aus Cyprians Epistola 20 zu erse-
hen. Es wäre hier auf ein Verhältniss wie zu Pompeji
zu sehlicssen, gewiss von vorneherein nicht unzulässig,
wo ebenfalls die Synagoge den Samen des Evan-
geliums vorbereitet, abgesehen von der Wichtigkeit des
Ortes für den Verkehr der christlichen Gemeinden. Dazu
kommen noch paläographischc Eigenthümlichkeiten der
portuensisehen Inschriften im Vergleich mit denen von
Ostia, die gleichfalls eine selbständige Ecclesia zu
Porto gegen Ende des III. Jahrhunderts beurkunden.
Daran reiht sich eine Fntcrsuchuug über die christlichen
Cömeterien und Gebäude, zunächst über das von
N i b b y entdeckte C ö m e t e r i u m G e n e r o s a e zu Porto,
das sich als übereinstinimend mit dem von Rossi (Roma
sott, I, Taf. 1, p. 94) gegebenen Modell herausstellt.
Hier, wie in Ostia, erlaubten die geologischen und
hydraulischen Verhältnisse keine unterirdischen, aus
dem Gestein geaibeitete Grabkannnern wie in Rom und
Nea|iel. sondern blos sub divo angeordnete Gebäude
mit loculis für die Leichen, die übereinander, je eine
k
LXIV
Leiche in einem Lager, in mehreren Heihen beipeset/.t
waren. Hervorzuheben ist das schöne Oediciit auf die
Zosinia, weiches mit den letzten Worten der Martyrin
„Accipc me. dixit. Domine-^. . . beginnt, der Leiden und
Verfolgung in nur gelinden, des Sieges und Triumphes
bei Christus in beredten Ausdrücken gedenkt und am
.^chlus-;e die Worte des Apostels Paulus mit Nennung
seines Namens ifideni servari etc.") in rührender Weise
wiedergibt: offenbar in der Zeit der Verfolgung selbst
noch verfasst, wo die Hinweisung auf den Triumph mit
Christus die Schilderung derQualen zurückdrängt, welcli
letztere später, nach der Verfolgung, in den Vorder-
grund tritt. Zosima und die Genossen sind wahrschein-
lich in der kurzen anrelianischen Verfolgung (anno 274)
gefallen ^Tillemont H. eccl. 4. 362 tf).
6. Das bereits im Mai 1865 behandelte Thema Über
das Schicksal der heidnischen Tempel in Rom unter
den christliehen Kaisern wird in Nr. 4 wieder berührt
und dabei die Tafel mit den Acta der fratres Ar-
vales, im Tempel Deae Diae gefunden, mitgetheilt; ein
unschätzbares Denkmal fiirdic Alterthumskunde. Ferner
wird der christliche Sarkophag zu Sa int- Gilles
bei Nimes. besonders in ikonographischer Hinsicht be-
sprochen.
7. In Nr. 5 wird an W e s c h e r's zu A 1 e x a n d r i e n
erzielte Entdeckungen angeknüpft und durch mehrere
Denkmäler eonstatirt, dass die ägyptischen Christen
über den Gräbern von Märtyrern Thonlampen aufzu-
hängen und dann mit etwaigem Reste von Öl aufzube-
wahren pflegten als benedictio oder Eulogi. Die Lampe
trug desshalb gewöhnlich den Namen des Heiligen, an
dessen Grabe sie eine Zeit lang brannte. Darauf folgt
Hencht über Phil. Lanciani's Studien zu Ravenna. die
besonders die Lage der kirchlichen Gebäude zum Gegen-
stande haben, über den Unterbau der Basiiica S. Mariae
Trastev. und die gefundenen Inschriften von Cömeterien,
speciell von dem des Callixtus — eingemauert an
Wänden und Pfeilern; endlich über die von dem verstor-
l)encn Cavedoni zu Modena gefundene Area von Blei,
dergleichen Rossi in Rom nur ein Exemplar entdeckte,
das übrigens keineswegs mit dem Cünicterium gleich-
zeitig gewesen sein musste, worin es getroffen worden.
8. Nr. 6 ist wie mehrere vorausgehende der Ge-
schichte des Callixtus gewidmet, wobei die Constatirung
eines Cömeteriums der sa bei lianischen Secte be-
lehrend ist. Daran schliesst sich die schon in Nr. 3 be-
gonnene ausführliche Darstellung des Xenodochium des
Panimachius zu Porto, welches mit der Basiiica, dem
Atrium und den Anbauten anschaulich gemacht wird,
ohne wesentlich Neues zu bieten in Bezug auf Anlage
und Architektur.
9. Den .Jahrgang 1867 eröt^nen die Mittheilun-
gen über die Wiederauffindung des Cömeteriums Bal-
binae , nahe dem des Callixtus zwischen der Via Appia
und Ardeatina, wobei die gründlichste Darle^^ung der
Lage des Cömeteriums Callixti, Prätextati. Domitillae,
Judeorum und ad catallumbas gegeben und von einem
Specialplan unterstützt wird. Dann folgt eine inter-
essante Untersuchung über die Beziehungen des Apostels
Paulus zu Seneca gelegentlich der Besprechung der von
\Uconti zu O.stia gefundenen Marniortafel mit den
Namen M. Anneus Paulus Petrus.
Eine Zusammenstelhing der am Palatin in Palato
Cäsaris gefundenen Thonlampen und deren Indicieii
macht den Schln>s dieses Nr. l. Dies Thema setzt sich
gelegentlich der Erörterung über die Genfer Lampen
in Nr. 2 fort, welches der BlUthe des Christenthums in
dieser Stadt eingehend gedenkt. Die Besprechung der
Abhandlung von Edm. Le Blant „über die juristische
«Grundlage der Criminal-Processe gegen die Märtyrer-
eiithält nichts neues tlir die Leser des Bulletino, wo
dies Thema wiederholt und gründlich bearbeitet worden.
Dagegen hebe ich die Notiz zu Nr. 1 heiTor. welche
eine griechische Inschrift des Juden-Cömeteriums an
der Via Appia mittheilt. Dieselbe nennt die Synagoge
Eleas und ein Sarkophag-Titel den Archon Zonatas.
10. In Nr. 3 stellt de Rossi vom V. Jahrhundert
rückwärts ins IV. und III. gehend kritisch die histori-
schen Zeugnisse über die Cathedra S. Petri ap. zusam-
men und eonstatirt, dass zweierlei Cathedrae S. Petri in
Rom gewesen und verehrt worden, womit sich auch zwei
unterschiedene Festtage verbanden. Die eine Cathedra
ist die. welche von Ennodius im V. Jahrhundert sella
gestatoria genannt wird und von Damasus in das von
ihm erbaute Baptisterinm gebracht, später nach dem VI.
Jahrhundert auf den Hochaltar, dann in ein eigenes
Oratorium und endlich von P. Alexander VII. vor zwei
Jahrhunderten in das gegenwärtige Bronee-Monument
eingeschlossen worden. Dies ist die Cathedra des Vati-
cans, d. h. jene, welche nach der Überlieferung vom
Apostel eingenommen wurde bei seiner zweiten Ankunft
in Rom, also unter Kaiser Nero. Die andere, gänzlich
verschollene ist die im Cömeterium Ostrianum ehedem
verehrte Cathedra, deren Gedächtniss am lt<. Jänner
begangen wurde , während das Fest der Cathedra
Vaticana auf den 22. Februar fiel. Diese Cathedra
Ostriana wird in dem Verzeichnisse der Ole von Abt
Johannes zu Lebzeiten Gregor d. Gr. mit den Worten
bezeichnet: de sede ubi prins sedit sctus Petrus —
wodurch also ein posterius gefordert wird, das eben die
vaticanische Cathedra bietet. Somit knüpft sich an die
Cathedra Ostriana die Erinnerung an des Apostels Erste
Ankunft in Rom unter Kaiser Claudius. Indem die Ge-
lehrten diese Unterscheidung nicht kannten oder nicht
festhielten, geriethen sie in unlösbare Schwierigkeiten.
Im ältesten Calendar. Roman, bei Bucher und Momm-
sen steht unter 22. Februar: Natale Petri de cathedra,
wozu von unkundiger Hand im IX. Jahrhundert Antio-
chiae gesetzt wurde, wie schon Mazochi Calend. Eccl.
Neapel, p. 50 l)emerkt hat. Dieser Beisatz wird die
d'ip])elte Erwähnung eines Festes der Cathedra Petri
und zwar das eine Mal mit dem Beifügen Romae (sedit )
und die in alten Martyrologien auf den 22. Februar
treffende Commemoratio Galli martyr. de Antiochia ver-
anlasst haben. Da sich nur mit der vaticanischen Ca-
thedra die Überlieferung von der Succession der römi-
schen Bischöfe verknü])fte, somit eine über Rom hinaus-
reichende weltgeschichtliche Bedeutung damit verbun-
den erschien, blieb die andere nur localen Werthes ohne
fernere Auszeichnung. Rossi hatte Gelegenheit die Be-
sehattenheit der vaticanischen Cathedra zu erkunden
und schildert dieselbe also: die eigentliche Sella besteht
aus Holz; die vier Füsse, in Fortn von viereckigen Pila-
stern, die diese Füsse verbindenden Theile und die zwei
Stangen der Rücklehne sind von gelblichem Eichen-
holze, von der Zeit corrös und von den nach Kcliiiuien
d. h. Splittern verlangenden Händen beschädigt. In den
Pilastern sind die Ringe angebracht, um die Sella zur
XLV
jrestatoria zu machen, wie sie Ennodius beschreibt. Diese
Partien sind ohne Elfenbeinschnuiek, welcher sich an
der im Dreiecke atisciiliesscnden Rückleluie und an den
Vordertheileu zwischen den Pilastern betindet. Akazicu-
hoiz ist angewendet an der RUcklehne und den verbin-
denden Theilen der Füsse. Hier deutet auch die jetzt
fast destrnirte Hogen-Architckfnr mit den plumpen
Capitälen, dessgleichen an der Hückieline, auf eine
ungleich spätere, jedenfalls nicht mehr apostolische Zeit.
Die Thierarabesken hält de Rossi für jünger als das
V. Jahrhundert, während die sogenannten Arbeiten des
Herkules in Elfenbein-Relief älteren Datums, keines-
wegs aber aus augusteischer Zeit sind. Somit sind die
vier schmucklosen corrösen Füsse, die verbindenden
einfachen Stangen desselben Holzes, und die Ringe die
ursprüngliche, der apostolischen Einfachheit und Armuth
würdige sella gestatoria, während die nut Schmuck ver-
sehenen, aus Aka/.ienholz bestehenden Theile später
hinzugefügt wurden, jedenfalls zu einer Zeit, wo man
specitisch heidnische Darstellungen antiker Kunstwerke
ungescheut selbst auf Evangelien-Büchern, Kelchen
u. dgl. zum Schmucke anbrachte, nachdem nämlich der
Kampf mit dem Götzendienste beendigt und irgend
ein Missverständniss zur Unmöglichkeit geworden war.
Die tom. 5. Juni fol. 457 der Acta Sanctorum gegebene
und von Phoebeus u. C. Wisemann in ihren l)ezüg-
lichen Abhandlungen reproducirte bildliche Darstellung
dieser Cathedra wird als für den Gesanunt-Anblick ge-
nügend erklärt, während sie von der .Verschiedenheit
des Holzes und dem Schmucke keine Vorstellung ge-
währt. Im Nachtrag fügt Rossi bei, dass in der Mitte
des dreieckigen Abschlusses der Rücklehne, im Tym-
panou derselben, die Büste eines gekrönten Kaisers zu
sehen ist, der in der Rechten das Sceptcr, in der Linken
die Kugel hält und welchem je ein Engel an der Seite
eine Krone entgegenträgt, während zwei andere in
gleicher Anordnung die Palme führen. Im Style findet
sicli mit der Zeit des wiederhergestellten Kaiserthums
im Abendlande die grösste Verwandtschaft, so dass
die Büste vielleicht Karl den Grossen vergegenwärtigt.
11. Da Nr. 4 nicht nach München gelangt ist, habe
ich noch die sorgfältige Abhandlung über die antiken
Gebäude an der Kirche L. Cosmas und Damianus in
Nr. 5 kurz zu erwähnen. Der von den deutschen Archäo-
logen für den Penatentempel gehaltene Rundtempel
am Eingange von L. Cosmas und Damian wird durch
Mittheilungen aus Panvinius Manuscripten- Codex Vat.
6780" als Bau aus Maxentius Zeit, und zwar dessen
Sohne Romulus dedicirt, wahrsdieinüch gemacht, welcher
dann, wie alle Werke des Maxentius, dem Namen Con-
stantin durch den Senat vindicirt wurde. Der auch von
Reber in seinen Ruinen Roms betonte Ziegelbau har-
monirt mit der nahe gelegenen Basilica des Maxentius.
Die von Panvinius gegebenen Inschrifien bestätigen
diesen Sachverhalt. Für die christliche Archäologie ist
aber der Anbau des Papstes Felix IV. im VII. Jahrhun-
dert in sofern wichtig, als die Apsis der genannten
Kirche, in der Hauptsache ebenfalls aus Constanlin's
Zeit, sich in drei Bogen nach einem hinter ihr li( genden
Räume öflfnet, der den Standort der Matronen und
Frauen bildete, und wenn ich hierbei an die sub i^
erwähnte africanische Broncelam])e mit der durch
Säulen und Bogen geotfneten Apsis erinnere, so werde
ich einem begründeten Einwurfe schwerlich begegnen,
ohne übrigens zu behaupten, dass dies die normale An-
lage gewesen, indem mir die in Algerien aufgefundenen
christlichen B:isiliken hinlänglich bekannt sind. Dass
hier bei S. Cosmas vier Mauei stücke die Öffnung gestat-
ten, ist ebenfalls zu bemerken. Die von Rossi anläss-
lich dieser Apsisbildung gegebene Erklärung der sonst
dunklen Stelle bei Anastas. Vit. Paschalis I von der
Basilica Libeiiana leuchtet Angesichts dieser Anlage
mit den drei Bogenöffnungen sofort ein. Dass hier
der berühmte Plan der Stadt Rom gefunden wurde, ist
bekannt.
12. Daran schliesst sich eine Untersuchung über
die nahe, den Aposteln Petrus und Paulus geweihte
Kirche, welche mit der Erzählung vom Sturze des Zau-
berers Simon im Znsammenhnnge gezeigt wird; hiebei
ist die Ausführung über die alte Bezeichnung „in silice"
unter glücklicher Verwerthung der Apokryphen des
Pseudo-Linus und Pseudo-Marcellus, so wie eines Sar-
ko])hages zu Marseille, von grossem Interesse, indem
die Altersbestimmung dieser Urkunden daraus resultirt
und die Aufgrabungen neuesten Datums einen über-
raschenden Zusanunenhang in diese sonst so räthsel-
haften Angaben bringen. Die Notiz endlich über ein zu
Neapel entdecktes Cuhiculum im Cömeterium S. Severi
aus dem IV. Jahrhundert, ferner über einen von Vis-
conti in Rom gefundenen Mithras-Tempel desselben
Jahrhunderts, also aus christlicher Zeit, bietet für die
Kenntniss der damaligen Verhältnisse lehrreiche Daten.
Mit diesem Nr. b enden die bis December 1868 hierher
gekommenen Bulletinos. iJr. Messvier.
Die Reliquiensclireine in der Neuklosterkirche
Wiener-Neustadt.
(Mit 1 Holzschnitt.)
Im Chorschlusse der Cistercienser Kirche zu Wie-
ner-Neustadt befindet sich zu beiden Seiten des Flügel-
altars in fast halber Wandhöhe je ein grosserReliquien-
kasten angebracht, über dessen Gestalt der beigege-
bene Holzschnitt .\ufscliluss gibt.
LXV]
Kill ci^entliüiiiliches .Schicksal war diesen beiden
üeii.inienkäslen bcscliieden. Sie waren Iriiher vereint
und biiJeten beide Theile zusammen einen grossen
Selirein,. der auf vier Füssen ruhend (von denen noch
die Spuren an den Kästen sichtbar sind), in der Burgr-
capclle zu Wiener-Neustadt stand. Darin waren jene
\ielcn Kelii|nien aufliewahrt. die Kaiser Friedricli IV.
aus Koni mitbrachte. Bei Unigrestaltung der Burgcapelle
zur Kirche der Militär- Akademie unter der Kaiserin
Maria Theresia wurde dieser, der Zeit Kaisers Fried-
rich IV. eutstammende . umlangreiche Picliquicnkasten
aus der Capelle entfernt und dem Cistercieiiserkloster
Neukloster gespendet. Man war anfänglich unschlüssig,
über den Ort. wo man diesen grossen Schrein aufstel-
len solle, bis man endlich auf den wenig gelungenen
Gedanken verfiel, denselben entzwei zu schneiden, die
Füsse wegzunehmen und lioeli oben an der Kircheii-
wand diese Fragmente zu befestigen. Der I\eli(|uieii-
schatz wurde nun in die beiden
durch die Theilung gewonnenen
Schränke gleichmässig vertheilt.
Die Reliquien liegen jedes abge-
sondert in einem irdenen Geflisse.
ähnlich einem Blumentöpfe, sind
mit verschiedenen Siotfcn über-
zogen und mit künstlichem Bhi-
menwerk verziert, doch fehlt die
Authentik: dessgleichen ist nir-
gends ein Xamensverzeichniss
der Reliquien zu tinden.
Zurückkehrend zu dem ur-
sprünglichen grossen Schrein,
muss noch einer besonderen
Zierde desselben Erwähnung
gethan werden , nämlich einer
grossen bemalten Tafel, welche
die untere d. i. nach aussen
gerichtete Seite des Bodensiückes
des Schreines bildete. Der Schrein
stand nämlich auf so hohen Füs-
sen, dass es möglich war, unter
demselben durchzugehen. Diese
Tafel mit den Bildnissen von 28
verschiedenen Heiligen und dem
Friedricianischen Monogramme
geziert, war somit für die unter
dem Schreine Stehenden sichtbar.
Wahrscheinlich sind die auf der
Tafel vorgestellten Heiligen die
den Reliijuien entsprechenden
Personen. Als der Schrein getheilt
wurde, verschonte man diese Bil-
dertafel und brachte sie in das
Museum des benannten Cister-
cicnser-Stiftes. wo sie sich noch
iiclindet •. Diese Tafel entspricht
in ihrer Länge der ganzen Länge
der Kästen und in ihrer Breite
der halben Breite dersellien.
Das apostolische Kreuz im &raner Domschatze.
Mit 1 llolMrIiiiin.)
Im Sehatze der Metropolitankirclie zn Oran wird
ein sehr werthvolles Kreuz aufbewahrt, das. als crux
Stationalis den Xamen „das apostolische Kreuz- führt '.
Die Könige Fugarns geniessen nämlich seit den Tagen
Stephan's des Heiligen das ^ orrecht.dass ihnen in Folge
des gewährten Ehrentitels ^rex aiioslolieus" bei der
Krönung und bei sonstigen feierlichen Aufzügen das
a|i<istolische Kreuz vorgetragen wird. Dieses Kreuz
hatte ehedem ohne Zweifel, wie auch die crux bi])artita
auf dem ungarischen Reichsapfel, doppelte Querarme:
auch liegt es nahe anzunehmen, dass der heil. .Stephau
ein solches apostolisches Kreuz für den cbcngedachten
Zweck vom Pajiste zum Geschenk erhalten lial)e. \\'aiin
und bei welcher (ielegeuheit das ältere, ehemals hei
den Krönungen ungarischerKönige im Geliramh belind-
Wegwcii»er t, Nied. Öslerreirh, 1. 4ti.
■ S. auch .der Srhalz der .Uetrop<>)ii.tDkirclie /u tiran in t nct'ii,
III.. Band deä JahrbucneE der k. k. Central-Comroiifiiou, äelr« 123 — ti-j. Aua-
zng auf Bock's Kleinodien des heil. röm. Kelchfli: ' '
LXNII
lielie I)(iii])clkrcuz in Wcii'f'all gi'koiiiiucu if>t, unil wie
das ajKKstiili.sohc Kren/, in älterer Zeit bescliaft'eii j;e-
wesen sein mag, darüber fehlen zur Stunde gescliielit-
liche Angaben. Die lieutige erux ajiostolic'a dürfte wie
mit ziemlielier Sielieriieit anzuneinncn ist, i'riiiiestens
gegen Soliluss des XY. Jaliriinnderts nnd offenbar von
einem Künstler des nördlichen Italien oder von einem
solchen auf ungarischem Hoden angefertigt worden sein,
der als Italiener nach Vorbildern der liebgewonnenen
Formen seiner Heimat gearbeitet hat.
Dieses apostolische Kreuz von Ungarn , welches
nun bei feierlichen Gelegenheiten dem Kaiser und
Könige vorgetragen wird, besteht aus zwei Theilen,
niindich dem älteren Kreuze und der modernen Trag-
stange, die in ihren unschönen Formen verräth, dass
diese Canna erst in neuerer Zeit auf ziemlich unm--
gauische Weise mit dem Kreuz in Verbindung gesetzt
worden ist. Das eigentliche Kreuz misst in seiner
Länge M. ü-32 bei einer grössten Ausdehnung der
Kreu/.nrme von M. 0-26. Die Breite der Kreuzbalken
beträgt M. 0-03 bei einer Tiefe derselben von kaum
M. 0-ü2. Die vordere Hauptfronte der crux apostolica,
die wir beifolgend unter Fig. 1 im verkleinerten Mass-
stabe bildlich wiedergeben, zeigt auf carrirtem sill)ernen
Tiefgrnnd und zwar in den AusmUudungen der Kreuz-
balken halb erhaben aufliegende figürliche Darstellungen
von Silber, die stark vergoldet sind. In den Vierpässen
der beiden Querarrue erblickt man als Reliefs die Brust-
bilder der Passionsgruppe, Johannes und Ilaria; ferner
an dem oliern Balken den l'elikan und an dem untern
Kieuzbalken das Bild der Magdalena. Die Figur des
Heilands ist in Silber gegossen und ciselirt, die Krone,
das Haupthaar und das Lendeugewand des Gekreuzigten
sind vergoldet: dessgleicjien auch die energisch profi-
lirten Einfassungsstreifen, die auf beiden Seiten die
Balken des Vortragekreuzes umgeben. Koch sei be-
merkt, dass sämmtliche Tieffläclien auf der vordem
Seite des Kreuzes mit einem dunkelblauen Email aus-
gefüllt sind, das, durchsichtig gehalten, eine gefällige
Musterung der darunter befindlichen silbernen Blatte
durchblicken lässt, welche au die Entwicklung der ita-
lienischen Kenaissance deutlich erinnert. Ein nicht
geringeres Interesse als die vordere Seite des apostoli-
schen Kreuzes bietet auch die hintere Fläche desselben,
indem die Vierpässe der Kreuzarme hier mit den Brust-
bildern der vier Evangelisten in Niello ausgeführt sind.
In derselben Schwarzmauier ist auch in dem Vierpass,
der die mittlere Vierung unseres Kreuzes einninnnt, das
Brustbild der Himmelskönigin dargestellt, l'm die Ein-
tönigkeit der Kreuzbalken zu heben, sind dieselben auf
der hintern Fläche mit zierlichen Ornamenten gemustert,
die elien sowohl wie Haltung und Ausführung der er-
wähnten Figuren für die italienische Kunstübung gegen
Ausgang des Mittelalters bezeichnend sind. . . .B. . .
Über die Regeneration der Heraldik und den gegen-
wärtigen Standpunkt dieser Wissenschaft.
II.
( Schi u SS.)
Die erspriessliclien Folgen jener gänzlichen Ände-
rung auf dem Felde der Heraldik sind bereits allenthal-
ben wahrzunehmen: iu allen Wappenländern blüht die-
ses Studium wieder auf, allcii vman Bayern nndStlnveiz,
namentlich das kunstsinnige', altcrthumsfreundliclie
Zürich. Auch bei uns hat es seither nicht an Bestrebun-
gen gefehlt; ich ei'innere nur an die \ crdienstvolk-n
Arbeiten des verewigten Vicehofbuchlialters, Garl \o\\
Sava, als Siegelkundiger rühmlichst bekannt; Dr. Fritz
Pichler in Graz, welcher sich gegenwärtig mit so viel
Erfolg der Numismatik zugewendet hat, machte einen
sehr ancrkcnncnswertiien Versuch mit seineu „Steiri
sehen Heroldsfiguren". Auch ein Wiener Gelehrter,
dessen Name jedem deutschen Alterthumsfreund gar
wohlbekannt sein dürfte, hat sich auf dem Boden unsc
rer Wissenschalt hervorgethau: Dr. Eduard Freiherr
von Sack e n mit dem trefflich geschriebenen „Kate-
cliisnuis der Heraldik", wodurch die neuen Grundsätze
auch einem grösseren E^ublicum zugänglich gcAvordeu
sind '.
Es würde mir zwar nicht an Stoff mangeln, noch
weiter darzutliun, wie anregend diese Umwandlung der
Heraldik gewirkt hat, und wie gerade in den letzten
Jahren bei uns und im Ausland sehr gediegene Arbeiten
in dieser Sphäre publicirt worden sind; allein ich will
nur noch darauf hinweisen, dass diese Um- und Rück
kehr zu den echten alten heraldischen Kunstformen
sich bereits allenthalben, auch ausser der gelehrten
Welt, erfreulieh bemerkbar macht. Die Graveure, Siegel-
stecher, Wa-jjpenmaler, Zeichner und Steinmetzen wissen
davon zu erzählen, wie rasch sich in dem letzten De-
cennium der Gesclnnack, den herakli sehen Styl betref-
fend, geändert und verbessert hat. Überall taucht wieder
der Dreieckschild mit dem Kübelhelm, und noch mehr
die Tartsche mit dem Stech- oder Spangenhelm auf, die
schwindsüchtigen Theaterhelme werden immer seltener,
die Helmdecken erscheinen nicht mehr als arnbesken
artiger Hintergrund der Wappen, sondern als wahre
Decken, die auf dem Helm liegen, wenn auch noch so
verschlungen und gezackt; die Adler, Löwen und all'
das andere Gethier erhält nun wieder eine Form, welche
den guten heraldischen Kunstepochen entnommen ist:
die neuen Wappen werden mitunter doch wieder etwas
einfacher; auch die uralten Herolds- oder sogenannten
Ehrenstücke, jene geometrischen Figuren, welche die
neue praktische Kunst förmlich perhorrescirte, finden
nun hie und da ein Plätzchen; die übertriebene Ängst-
lichkeit im Cojiircn und Neuordiniren der Wappen gibt
schon einer frischeren und freieren Auflassung Raum,
und man tiingt au, einzusehen, dass es sich auch hier,
wie überall, um den Geist, nicht um sclavische Nach-
ahmung handle. Man begreift jetzt, dass zu dem Auf-
reissen eines Wappens oder zu der Vereinigung meli
rerer noch etwas mehr gehört, als ein guter Figuren-
zeichner, und dass es geradezu widersinnig ist, mittel
alterliche Rüststücke, wie Schild und Helm, mit Revol-
vern. Locomotiven und Leibhusaren zu bemalen und auf-
zuputzen. .Man staunt lieutzulage über die Blindheit,
mit welcher vor noch ganz kurzer Zeit auf die Vorder-
seite eines Helmes die Rückseite eines Bären, oder auf
einen rechtssehenden Helm ein linksgewendetes Eiidiorn
gesetzt wurde, ähnlich einem Mann , der seine Kai)])c
mit dem Schirm nach rückwärts oder gegen das Ohr
LXVIII
bin i^.'lirt trä^'t. Auch die all/.uinaleiischeii Laiid-
serrTfTün luit Hintergrund kommen mir nielir selten vor.
und man entseliliesst sich lieber, derlei Darstellungen
mü^'lichst zu vereinfachen, z. H. aus einem landsdiatt-
lichen Garten mit blauem Himmel einen heraldischen
mit seinen 3 oder 4 Bäumen um/.äunt, im blauen Feld
zu machen, in Beberzigung des Grundsatzes: der Schild
repräsentirt nur eine ebene Fläche, auf welcher gewisse
Figuren oder Zeichen aufgemalt oder aufgelegt sind,
welche also durciiaus keine Perspective und keinen
Hintergrund haben kann, wie ein Gemälde.
Die Grundlagen zum richtigen Verständniss und
zur sachgemässen Anwendung unserer Wissenschaft
sind demnach gegeben, die Principien und Kegeln nicht
nur aufgestellt, sondern, worauf das Haujjtgewicht gelegt
werden mnss, auch als nothwendig und gut erwiesen;
allein es erübrigt gleichwol noch Einiges, was zu
ergänzen bliebe.
Hieher rechne ich die Intersrnhung und Fest-
stellung der noch immer beträchtlichen Menge von Ge-
räthen und Zeichen des Mittelalters, welche, häufig rein
technischer Art, bisher nicht zweifellos erkannt und
benannt wurden: es fehlt ferner noch eine Geschichte
des Styls der vielen üblicheren Wappenfiguren, in der
Weise, wie wir sie hinsichtlich der Darstellung des
Löwen und Adlers, in verschiedenen Jahrhunderten,
l)esitzen.
Dem Herolds- undPerseverantenwesen, .sowie dem
merkwürdigen Verhältniss zwischen Dienstmannen und
Lehensherren bezüglich der beiderseitigen Wappen,
wurde vorläufig auch nur sehr nebenbei Beachtung
geschenkt. Dasselbe gilt von den Wappengenossen und
den ad personani Bewappneten. Es ist bekannt, dass
nicht nur erbgesessene Bürger, sondern auch die Ducto-
ren aller Facultäten, die Buchführer, Aufdrucker und
sogar die Setzer, welche einst den Gelehrten gleich
geachtet waren, in jener Bilder und Symbole liebendeu
Zeit ihre Wappen hatten.
Den Wappensagen fängt man erst seit allerneue-
stem Datum an, wieder etwas Aufmerksamkeit zuzu-
wenden: namentlich ist es Herr Haus Weininger,
Secretär des historischen Vereines zu Regensburg und
der Oberpfalz, der diesen poetischen Theilder Heraldik
mit grossem Geschick und ohne allzuweit von der Sache
abzuschweifen, )>tlegt.
AVie interessant und lohnend wäre die Erforschung
und Richtigstellung der alten Wappen jener bedeutende
ren Geschlechter, welche ihre lieraidischen Attribute
aus ]\FangeI an Erkenntniss. Veischönerungssucht oder
Eitelkeit oft total verändert und verschlechtert haben.
Ein anderes, und nach meiner unmassgeblichcn
Ansicht vielleicht das dankbarste ¥e\ä wäre die Na-
tionalcharakteristik der Wapiienkunde, auf welche bis
nun auch nicht viel mehr als hingedeutet worden ist.
Es sei mir erlaubt. Über diesen nicht unfruchtbaren Ge-
genstand zum Schluss noch ein paar Worte zu sagen.
Sowie jede Nation in körperlicher und geistiger
Beziehung, im Exterieur wie im Charakter, Anlagen
und Bildung, in Sitten, Tracht, Sprache und in so vielen
anderen Momenten ihre besonderen Eigenthümlichkei-
ten hat, so ist diese Verschiedenheit auch nicht ohne
Einfluss auf ihre Heraldik, und specicll auf ihre plastisch-
ornamentale Darstellungsweise geblieben. Wer jemals
viel mit Siegeln oder überhaupt mit Wapjien aus diver-
sen Ländern zu thun gehabt hat, der wird dies in
reichem Maassc Ijcobaclitct haben.
Betrachien wir zur Probe die grossen Wappen-
nationen. Bei den Deutschen ist das Wai)pcnwesen
zu seiner vollkommensten Ausbildung gelangt . inso-
fern man unter „vollkommen- vernünftig, gründlich
und einfach schön versteht. Bei ihnen zeigen sich die
einzelnen Bestandtlieile der Wappen, als da sind:
.-Schild, Helm, Kleinod und Decken — nach Ablauf der
Periode, in welcher der Schild allein alles andere
vertritt, in ihrer natürlichsten Zusammenstellung und
ästhetischesten Entwicklung. Sic haben den BcgritT
des geharnischten Kitters, eine Idee, welche eigentlich
hinter jedem Wuppen versteckt ist, oder in Betreff der
Darstellung sein soll, am reinsten wiedergegeben und
trotz aller heraldischen Verirrungen verhältnissmässig
am längsten bewahrt. Die deutschen Wappenfiguren
tragen den Stempel der schlichten Einfachheit und
Klarheit, und wie in ihren Bauten, so ist auch in ihren
Scliildbildern dergotbische Stil zur grössten Vollendung
gediehen. Bescheidene Anwendung der Tincturen, sorg-
fältige Pflege der Kleinode, d.\. der Helnizierdcn.
dieser schmucken und lustigen Figurenplastik — und
deren Veränderung neben dem Wechsel der Schildfar-
ben, um verschiedene Linien und Fannlicn zu unter-
scheiden, zeichnen sie aus.
Die Franzosen, allerdings das älteste Wajjpen-
volk. lieben schon mehr Buntheit und Composition ; die
kleinen aber in grösserer Anzahl auftretenden Figuren
sind bei ihnen zu Hause, und eine gewisse Überfeine-
rung und Subtilität wird gar bald ersichtlich; die ge-
stümmelten Vögel (merlettes), die fünfstrahligen Sterne
(die deutsche Heraldik bedient sich der sechsstrahli-
gen), die Bastardfaden und der Ausbruch — eine Art Ver-
stecken dieses Zeichens durch Abkürzung — sind ganz
speciell französisch. Die Bordüre, Kreuze und Kreuz-
lein jeder FaQon, Schindeln, der Turnierkragen, der
Delfin und der wilde Kirschbaum ('crequier) werden von
Franzosen gern geführt. Die Lilie aber, welche von
Laien häufig als Kennzeichen eines französischen Wap-
pens betrachtet wird, kommt ebenso häufig in deutschen
Schildern und denen anderer Nationen vor.
Ahnlich wie in Frankreich sind die Wappenbilder in
Italien, Spanien und Portugal, dieser verwandten
romanischen Völker des Südens, wiewohl es auch für
ihre Heraldik zuweilen Kriterien gibt, so z. B. das Vor-
kommen von Schlangen. Drachen u. dgl. und vor allem
die eigcntliümlichen Schild- und llelmformen älterer
Zeit, die gleichwohl nicht immer mu.sterhaft sind.
Bei den Italienern sind die schräge Streifung,
die phrygische Mütze, das Jerusalemiterkreuz, und my-
thologische Figuren nicht selten.
Ein vorzüglich schönes Beispiel portugiesi-
scher Heraldik ist das Wappen der alten Herren
von Goes, von denen die heutigen Grafen Goess in
Kärnten abstammen, wiewcdd sie ihr altes Stamm-
wappen längst nnt einem anderen, durchaus verschie-
denen vertauscht haben. Die rechte und linke Seite des
blauen Schildes ist mit je drei pfahlweise untereinander
gesetzten silbernen lunels belegt. Diese Figur wird durch
vier, in einen Vierpass gestellte Monde gebildet, und
mitunter irrig als ,.SchnalJe" blasonirt. Der Schild liängt
an grüner goldbordirter Schildfessel mit dem Spangen -
heim zusammen, welcher zwei Schnallen zur Befestigung
LXTX
an Brust und Klicken zeigt. Der grüne,
rothgewaffnete Kleinod- Drache mit
ausgespannten Flügeln steht auf einem
silbernblauen Wulst , aus dem sich
die zierlichen Decken cutwickeln. Das
Original befindet sich in dem Livro da
Nobreza, einem Wappenbuch des Kö-
nigs Manuel von Portugal, etwa vom
Jahre 1600, welches in der torre de
tomba zu Lissabon aufbewahrt wird.
Die Engländer, welche in ihrer
Sprache und in manchen andern Be-
sonderheiten germanische und roma-
nische Elemente aufgenommen haben,
verläugnen diesen Umstand auch in
ihren Wappen nicht. Einfache Bilder,
dann wieder kleine Figuren in grös-
serer Zahl wechseln bei ihnen ab. Aber
der vorzüglich beliebte Gebrauch der
Freiviertel und Orte, die häufige An-
wendung des Hermelinpelzwerkes, das
höchst originelle Gepräge ihrer vier-
füssigen Thiere und Vögel, und haupt-
sächlich die ihnen ganz allein ange-
hörige Manier der Beizeichen für die
jüngeren Linien und Söhne niarkiren
sie entsciiieden genug. Es sei hier
erwähnt, dass gerade bei ihnen der
Sinn und die Vorliebe für den Blason
im gebildeten Publicum am allgemein-
sten verbreitet ist.
Eine ganz aparte Stellung nimmt
die polnische Heraldik ein.
Pfeile , Hufeisen , Kreuze , schächer-
kreuzartig zusanmiengestellte Arme
und Füsse , unbekannte und sonder-
bare Instrumente und Zeichen sind
bei dieser, politisch nicht mehr existi-
renden Nation in Gebrauch. Ich erin-
nere mit Bezug auf die räthselhaften
Wappenbilder an die viel besprochene
und zuviel erklärte, aber dennoch nicht
ganz klare Graf Sedlnizky'sche
Schildfigur ; dieses Wappen (Odro-
wonz) liest man noch immer hie und
da als Wurfeiseu „mit einem unten
daran hängenden silbernen Knebel-
barte" blasonirt! Die natürlichste Er-
klärung dafür aber habe ich bisher
noch nirgends gefunden, nämlich, dass
dieser angebliche Knebelbart, Mund
und weiss Gott was alles, wenn er
schon überhaupt etwas besonderes
bedeuten soll , nichts anderes sein
könne, als die Andeutung des Bogens
«der der Armbrust, worauf der Pfeil
liegt.
Der Umstand, dass meistens meh-
rere, oft 70 — 100 und mehr Familien.
Ursprung haben oder prätendiren, sich desselben Wap-
pens, sowie auch, Zunamens bedienen, vereinfacht die
Zahl der polnischen Schildbiidcr ungemein. Jedes pol-
nische Wappen aber hat, abgesehen von seinen Trägern,
seinen fixen "Namen. So heisst das zuvor besprochene
'^^t,^C^<^\\'i->^-^tn tTtn-Unn^jmfflfQaro)-iiciii«hrQbrn)oirgon9-hQPri jtf ^mQ^/^f•ftfl^/p/f^;'^
Fig. 1.
welche einerlei Bild „Odrowonz". So gibt es eine Reihe (Jeschleclitev
des Wappens „Nalenez" d. i. die Kopfbinde ; oder des
Wappens „Brog" d. i. das Strohdach, u. s. w. Die 76
Geschlechter des Stammes Dun in führen sämmtlich
den silbernen , goldgewatfneten Schwan im rotheu
Feld, und als Helmzier, mit rothsilberuen Decken. Der
LXX
SilMvan heisst polniscli Labedz (spricli
I.abeiidz), und die Dunin sind also all«-
Labedzi (^sp. Labcnd/i) uder Scliwanen-
wappcnträg:er.
Leii-lit kenntlicli sind dii- Wappen
derrnfcaiu. Das l'atiiaitlH'ni^reu/,.
gebarnischte Arme mit Säbein. an%c-
spiesste oder blutende Türkensehädei,
Festungen, von Tbieren etwa der Löwe,
der pt'eiidurehscbossene Ilirseli uml die
Taube mit dem Olzweiir wiederlicden
sieh in allen erdeukliclieu Variationen.
Die Ungarn haben sieh auf einen ziem-
lieb kleinen Kreis von Wappenbildern
beschränkt : allerdings trelten wir bei
ilmen ebeutalls zuweilen mehrere r.-imi-
lien. die sich des ganz gleichen Wapjjens
bedienen, wiewold ohne jene gesctzmäs-
sige Zusammengehörigkeit, wie bei den
Polen.
Den polnischen und ungarischen
Wappeneharakter vereinigen die Rus-
sen, obgleich sie als Slaven nur mit den
Krsteren nachweislich verwandt sind;
Übrigens sind mir lici ihnen keine ilirek-
len heraldischen Kennzeichen bekannt,
da ich in dieser kurzen Ausführung jene
Merkmale übergehe, welche in den ver-
schiedenen heraldischen Fehlern und
Missgril^Vn liegen.
Von einer aussereuropäischen He-
raldik kann begreiflicherweise keine
Kede sein, und was sich etwa als solche
ircrirt. mag allenfalls in die Kategorie
de.- Sinnbilder oder Wahrzeichen gerechnet werden.
Dr. Ernst F.illrr ;;. Fraazeushul'l.
Mittelalterlicher Brunnen zu St, Wolfgang.
Mit i Unlzaclinilteii-
Ilart vor dem Haupfeingange der als Wallfahrts-
ort und durch ihren kunstreichen Flügelahar weit be-
kannten St. Wolfgangskirche am gleichnamigen See
l »her Österreichs steht ein ganz zierlicher Brunnen, der
in seiner Hauptform bereits der Ileuaissance angehürig
in seinen Details noch vieles der kurz vor seiner Ent-
stehung entschlummerten Gothik zeigt.
Wie die beifolgende Abbildung (Fig. 1) angibt.
erhebt sich auf einem hohen .Sockel der Schaft, anf
dem die v^eite Wasserschale ruhet, in deren Mitte der
sich verjüngende Schaft weiter aufwärts steigt . bis
er in einer Höhe von 7' 3'' flach abschliesst.
Der Sockel selbst, der sowie überhaupt der ganze
Hrunnen aus Blei gegossen ist, vier Ahstufnngen bildend
(Fig. 2), zeigt auf der Abflächnng der obersten Stufe
eine Reihe von phantastischen Kestalten , als: zwei
nackte Figuren an den Hälsen mittelst eines Strickes
miteinander verbunden , zwei tanzende Satyrn . ein
kämpfendes Hahnenpaar, eine weibliche Gestalt in
einem Gebüsche schlunnnernd. zwei Musikinstrumente,
spielende und zwei kämpfende ^^'eiher.
Der Schaft ist zehnseitig- und unten mit si)itzbogi-
gcn Blenden geschmückt: gegen oben sehen wir dariin
kleines, wie abgebrochen dargestelltes .Vstwerk.
Fig. 3.
Beachtenswcrlli ist die untere Seite der ö '2 " im
Durchmesser erreichenden, ziemlich flachen, kreisrun-
den Wassersehale (Fig. 3). Wir sehen im inneren Theile
tl.immenartige Zungen von ungleicher Länge gegen den
Uand scliicssen und dazwischen ein hülisch ]iunktirtes
(trnament. Den Raum zwischen diesen Flannneneiiden
und dem eigentlichen mit einem schönen Ornament
besetzten Anssenrand füllen abwechselnd zwei Spruch-
bänder und zwei Doppelwa]ipen aus. Diese Dojipel-
wappen zeigen beide die gleiche Vorstellung, nämlich
das Wap])cn des Stiftes Mondsee (die Mondessichel
über dem Wasserspiegel) und jenes des Stifters (^die
Buchstaben A. M. A. D. im Viereck gestellt und in der
Mitte ein ansgebildetes Monogramm. Die Worte des
einen .Spriiclii)andcs sind:
„Gott hab unss all In seiner .\clit. maister lienliard
hat mich gemacht-.
Am andern ist zu lesen :
„Dorch maistei- lienliard rannaclier. stat in-unenmai-
ster czu jiassau-.
Den eigentlichen Aussenrand ziert folgende Inschrift:
..Icli pin zu den eren sannkt wolfgang gemacht, abt
wclfgang haberl zu mansee hat mich petraeht zu
nucz und zu framen den armen ]iilgruml) dye nit
luiben gelt umb wein dye sollen pey dissen wasser
freilich sein. Anno den lölö jar ist das werk
viplpracht gott sej' gelobt- '.
' I»i»-' Sftge gibt dt-m God^hlt fincii mihirren humaneren Cnnraklt-r
Ks soll niinilieli n.-icti dem Segen de» Al>te& das dem Itruitucn entquilU ndc
Wa5^e^ den Pil-^i.Tn t'leie'i Wein ge.vrlinieckl liaben.
LXXI
Fig. 2.
Der aus der Brunnenschale sich erhebende acht-
seitige Schaft ist auf seinen Flächen reich geschmückt;
wir sehen theils ein kleines Ornament hinauflaufen,
theils lockiges Gewinde an Stäben, auch Figürchen in
rnndbogigen Blenden u. s. f. Im Drittel der Hübe wird
die Oruamentation des Schaftes durch einen breiten
Reifen unterbrochen, an welchem mit den schon be-
schriebenen Wappen abwechselnd vier wasserspeiende
Löwenköpfe angebracht sind. Auf diesen Reif sitzen in
geschweiften Spitzbogen sich vereinigende und wieder
lösende Aste auf, die dann umgebogenen Fialen äbnlich
werden , und in dieser Art behandeltes Laubgeflecht,
das in Windungen am Schafte aufwärts steigt.
Auf der mit Crenelirungen umgebenen Plattform
des Schaftabschlusses steht eine etwas plump behan-
delte Statue des heil. Wolfgang. . . .m. . .
Aus dem k. bayerischen lational-Museum ein roma-
nisches Rauchfass.
(Mit 1 Holzschnitt.)
Von den kirchlichen Utensilien pflegt man die
durch Kunst oder das JMaterial ausgezeichneten in Schrift
und Bild vor allem Ijekannt zu geben, während die
schmucklosen und solche von unbedeutendem Material
gewöhnlich unberücksichtigt bleiben '. Und doch liilde-
ten letztere selbstverständlich die Mehrzahl, so dass es
für die mittelalterliche Kunst-Archäologie von Interesse
ist, sie ebenfalls kennen zu lernen. Ich theile hier ein
möglichst einfaches und schmuckloses eisernes Rauch-
fass im königl. National-Museum zu München abbildlich
mit, welches als Muster für die im gewöhnlichen Ge-
brauche stehenden Geräthe dieser Art dienen kann, und
so die Lücke füllt, die in der Reihe der bekannt ge-
machten Utensilien dieses Zweckes in soferne noch vor-
' Organ f. clir. Kunst v. Eaudri ISGO. Nr. 3 gibt eine kl. Abhandlung
über das liauchfass, vgl. Schaepkens in Corblet's Revue de l'art ehret.
1863. 3. Heft. — Fast diirchgehends sind nur kunstreiche Muster erörtert.
XVI.
neben dem
zu werden.
banden ist, als aus der
vorgothischen Periode
nur Pracht - Exemplare
zur Kenntniss kamen.
Der vorgothischen oder
romanischen Kunstpe-
riode gehört das in Rede
stehende Geräthe an
wegen der Halbkugel-
form des Beckens und
der Gestalt und Orna-
mentirung des Deckels.
Vergleicht man ein-
schlägige Denkmäler,
so ist nur der Mangel
eines kleinen Ständers
auifällig, wodurch man
zu der Annahme berech-
tigt sein dürfte , dies
Exemplar habe die Bestimmung gehabt ,
Altare aufgehängt, nicht aber getragen
Dieser Sorte von Rauchfässern gedenkt zuerst Bischof
Aldhelm von Sherburn in England, indem es als von der
Höhe in die Kirche herabhängend, als thuribulum capi-
tellis undique cinctum, in einem Gedichte geschildert
wird ~. Dieser Bischof starb im Jahre 709. Die neben
dem Reliquienschrein oder seitwärts vom Altare hän-
genden Rauchgefässe dürften geringere Dimensionen
gehabt haben, da diese in nächster Nabe sich befanden.
Das auf einem Steiucapitäl in der Krypta von S. Denis
aus dem Beginne des X. Jahrhunderts neben dem an
Stangen getragenen Reliquienschrein herabhängende
Rauchfass in Relief gewährt hiefür genügende Vorstel-
lung s. Das tragbare liturgische Rauchfass findet sich
erwähnt in dem V. Ordo Roman. * aus dem IX. Jahr-
hundert, wo die thuribula als von Clerikern getragen
genannt sind. Die beiden von Engeln geführten Rauch-
fässer 5 auf dem kostbaren A des Schatzes zu Conques
desselben Jahrhunderts lassen auf das nämliche Sach-
verhältniss schliessen, da dieser Dienst der Engel im
Himmel ein Abbild des kirchlichen auf Erden ist. Wir
dürfen uns also bei dem Bericht der Gesandten über
das ba_yerische Kloster Staftelsee aus dem IX. Jahr-
hundert unter dem angeführten thuribulum argenteum
und dem thuribulum antiquum aus Kupfer, sowie unter
den zwei thuribula argentea caelaturis insignia im
Planctus b. Galli aus dem XI. Jahrhundert solche trag-
bare Geräthe vorstellen, und werden hierin von den
Miniaturen zu dem Menologium Gräcum des IX. und von
denen zu dem Exnltet des XL Jahrhunderts, ehedem in
d'Agincourt's Besitz hinlänglich unterstützt 6. Da die
Pracht-Exemplare von diesem Utensile zu Lille, Trier.
Freising, Menne bei Paderborn u. s. w. kein Kriterium
für das vorliegende Gefäss darbieten, so möchten die
beiden auf dem Siegel des Benedictinerklosters Seiten-
= Bei Angelo M a j i. Classic, autor. V. 3S7, 390.
' AMollet le Duc Dictionnairc du Mobilier s. v. chässe p. 68.
* Mabillon Museum Italic. II. 19 ff.
^ Didron Annal. ISCO p. 2G4, vgl. ibid. 1. Heft. Dies mit Edelsteinen,
Filigran uud sonst geschmückte A aus Silber hing nebst dem ebenso gearbei-
teten u) (Alpha und Omega) vom Querbalken des am Triumphbogen in der
Kirclie augebrachten Kreuzes herab, zwei schon seit dem IV. Jahrhundert
(um i5.55) das Monogramm Christi und dann das Kreuz begleitende Buchstaben
bekannter Symbolik. Die Sage jedoch erklärte dies silberne A zu Conques
daher, dass Karl der Grosse so viele Kirchen stiftete, als das Alphabet Buch-
staben enthält und jeder dieser Kirchen einen solchen Buchstaben zur Er-
innerung bestimmte.
' S. d'Agincourt v. Quast. Malerei Taf. 55. 58 (7) und 31 (i6).
1
LXXIT
Stätten in Österreich unter der Enns abgebildeten ', von
Engeln geschwungeneu Kauehfässer zunächst hierlier
bezogen werden, welche im Ganzen die meiste Über-
einstimmung mit dem besprochenen Geräthe erkennen
lassen. Dies Siegel datirt, wenn nicht aus dem Stiftungs-
jahre 1116 selbst, doch vom Schlüsse des XII. Jahr-
hunderts. Hier nimmt man jedoch ausser einem kleinen
runden Ständer auch ein Kreuz über dem Deckel wahr.
Die Miniatur zu Vita Afathildis vom Jahre 1141 bei
Fertz Monum. Germ. XIV und das im Paderborner Dom-
schatz aulbewahrte altare portatile, auf dessen Umrah-
mung eine Bischofsfigur mit dem Rauchfass eingegra-
ben, zeigen dieselbe pjTamidale Gestalt des Deckels *,
welche das Miiuchener Exemplar aufweist, so dass dies
Geräthe dem XII. Jahrhundert zugeschrieben werden
kann. Da das Becken in der Mitte etwas ))latt gedrückt
ist und aus dickem Eisen besteht, das sich nicht zu
schnell erhitzt, so kann es immerhin auch zum gewöhn-
lichen liturgischen Dienste bestimmt gewesen sein. Es
sind nämlich nur ein Paar Augenblicke , welche das
Geräthe auf der Ilachen Hand des Dieners bei Einlegen
des Weihrauches verweih. Das Gefäss ausserdem nie-
derzustellen, ist liturgisch ganz und gar nicht gefordert.
Das den Deckel aufziebljar machende (vierte") Kettchen
spricht ebenfalls datür. Da dies Geräthe zwar aus
Bayern stammt, aber nicht als ehemaliges Eigenthum
irgend einer Kirche bewiesen werden kann, so habe ich
einen Zweifel über die Echtheit, genaue Untersuchung
angestellt und dabei mehrere Fachmänner zu Rathe ge-
zogen. Es Hessen sich aber nur Merkmale der Echtheit
constatiren. Das Becken ist von dickem Eisen, zwar
durch die Kohlenglut stark mitgenommen, aber nirgends
durchlöchert. Der Durchmesser desselben beträgt drei
Zoll acht Linien bayerisch Duodecimal- Masses oder
U.9 Meter. Spuren von irgend einem Ornament Hessen
sich nicht auffinden. Die Kohlen wurden in dasselbe
direct gelegt, was bei silbernen Geräthen nicht thunlich
war. Die stärkste Dichtigkeit misst fast zwei Linien.
Am Rande sind drei starke, runde Ose angeschmiedet,
denen solche des Deckels entsprechen. Dieser Deckel
ist von Erz, die drei dünnen Stangen aber von Eisen
und die daran anschliessenden Kettchen von Messing
und misst die Höhe des Deckels, ohne den Kopf 2 ' « Zoll
oder 0.6 Meter. Die Ose des Deckels sind mit diesem
aus einem Stück gegossen. Die Stangen und Kettchen
enden in einem durchbrochen gearbeiteten, fast runden
Schüsselcheu, das die eigentHche Handhabe bildet. Der
Deckel zeigt fünf Reihen Durchbrechun-
gen über einander, welche überhöhte
Halbkreisbögen bilden. Vom Boden des
Beckens bis zum erwähnten Schüssel-
chen misst das Ganze beinahe einen
bayerischen Fuss oder 29 Centimeter.
Da in der Chronik von Peterhausen «,
die 1156 geschrieben worden, von
einem prächtigen, leider bald gestoh-
lenen Rauchfass berichtet wird , dass
dasselbe für die höheren Feste be-
stimmt gewesen, so wird das geschilderte des baye-
rischen Natioual-Museums für den gewöhnlichen Ge-
brauch gedient haben. Dr. Messmer.
Die St. Stefans-Capelle zu Börzsöny in Ungarn.
Bauwerke sind die steinernen Urkunden eines Vol-
kes, leider werden sie selten. Auf malerischer Anhöhe
ragt zu Börzsöny ein uralt romanisches Kirchlein empor,
das als Zeuge längst entschwundener Zeiträume wohl
scbonim Beginne des XL Jahrhunderts entstanden, seine
Geschichte an vergilbte Pergamente knüpft , die uns
doch nur dunkle sagenhafte Auskunft geben. Deutsch
Pielsen, ungarisch Börzsöny. vor Zeiten Bersen genannt,
ein Dorf, sjjätorhin Markitlccken , war eine sächsische
Colouie, welche, von den ersten Königen Ungarns ans
Zipsen und Siebenbürgen berufen , noch lange vor der
' Jabrbacli der k. k. Cent. Comm. III. Bd. 241. ■
* Späteren Daloms , ftber von derselben Form ist
MB( dem W&ndgemilde der Kirche zu Bjersiö iu Schwe-
den das RAachf&s£, ebenfalls von Engeln gesch^ranges,
▼gl. Handelgren Honnm. scandinaviqaes da roor.-n age.
P»rs 1862 pl. 2. Vergl. die Skulptur bei Didron Ann.
IV. Buid. 22. die »us dem SIII. Jahrhundert datirt.
* Mone QaellensammtuQg zur badiseheo Landes-
beschichte I, 150.
+H+-
rTr.
l'ig. 1.
Lxxrii
würdige Bau selbst biethet sowohl dem Laien als dem
Fachmaun Gelegeuhcit in Fülle, seine Wissbegierde zu
belohnen. Der einfache Grundriss (Fig. 1) zeigt ein
längliches Viereck, woran sich als Chorraum die roma-
nische Apsis schliesst. Die Südseite des Schiffes (Fig. 2)
wird von drei halbrunden schmalen Fenstern erleuchtet,
während die Nordseite gar keine besitzt. Im Chorraum
sind zwei Fenster, eines an der südlichen Seitenwand,
das andere in der Mitte der Apsis angebracht, das Portal
aber ist unter den Fenstern der Südseite angeordnet.
Die vollkommen erhaltene Thurmvorlage an der
Westseite des Baues bekömmt durch ihre unter der Be-
dachung in zwei Etagen angebrachten romanischen
Betriebe des Bergbaues in Börzsöny, verlieh späterhin säulengetjbeilten Doppelfenster einen graziösen Ab
anno 1417 König Sigismundus noch besonders dem Erz-
Reformation, sich hier des Bergbaues wegen nieder-
liess. Im Honther Comitat (Comitatus Hontensis), in
einem bewaldeten Thale , von Gran zwei Meilen gegen
Nordost entfernt, unweit des Flusses Spoly gelegen,
wurde es als primatialisches Gut schon von Stefan,
Ungarns erstem Könige selbst, dem Graner Erzbisthume
gewidmet. Im Jahre 1293 ward die damals bereits
ansehnliche Gemeinde von den Söhnen des Grafen
Pasztoi faustrechtsmässig occupirt, zur Strafe für jene
Gewaltthat aber denselben von ihrem Besitze die
Dörfer Kemencze und Kernend genommen, welche dem
Erzbischofe Ladomer (1279 — 1298) übergeben bis jetzt
noch dem Erzbisthume angehören. Das Recht zum
bischofe Johannes III.
Das merkwürdigste älteste Bauwerk daselbst aber
ist die St. Stefans-Capelle, von welcher die Hauschronik
nach ältester Tradition folgendes erzählt: König Stefan,
der gegen Ende des X. Jahrhunderts das Christcnthum
in Ungarn einführte, wohnte damals in Gran, von wo er
zur Jagd oft nach Börzsöny, seinem Besitze, kam und
hier in frommem Sinne jene Capelle auf der Waldhöhe
zur Pflege stiller Andacht für sich erbauen liess. Zur
Zeit Raköczi's wurde sie dann durch fünf Jahre von den
Protestanten benützt und erst durch ein kais. könig.
Mandat den Katholiken wieder zurückgegeben.
Der einst so reiche Bergbau, welcher selbst edle
Metalle zu Tage förderte, ruht nun, die Stollen sind
längst verlassen, nur Weinbau und Holzarbeit beschäf-
tigen die Einwohner des Ortes, und der Fremde wird
hier vor allem durch den Anblick jener alten Kirche ange-
zogen, deren dunkles Gestein noch von keiner meuch-
lerischen Tüncherhand berührt, sich harmonisch an das
Waldesgrün der Hügelkette schmiegt; es hat den Reiz
des Mystischen und Besonderen für sich, wie jedes
Menschenwerk, das uns von dem Geiste vergangener
Zeiten spricht und den Schritt des Wanderers in seine
Nähe lockt. Schon der Eintritt in die halbverfallene
Mauereinfassung, einst zum Schutze der Kirche aufge-
führt, gewährt eine herrliche Rundschau und der ehr-
schluss. Die Capitäle jener Säulen sind verschieden und
bestehen aus Würfeln mit theihveise reicher an classi-
sche Formen erinnender Ornamentik (Fig. 3, 4, 5). Ganz
interessant sind auch die Sockel jener Fenster-Thei-
lungssäulchen, davon wir in Fig. 6 eine Abbildung
bringen. Über den Capitälen tritt ein in die Mauerstärke
Fiff. 6.
1*
LXXIV
Fifr. 7.
verlaufender Kämpfer als Träger der beiden Absehluss-
böjren hervor, welche je aus vier senkrecht aneinander
fresteliteii Steinbögen zusaniniengesetzt sind.
Das Hauptgesiiuse hat eine einfache, ü Zull aus-
ladende Hohlkehle, während bei dem untersten Do])pel-
fenster ein ziemlich breiter Fries um den Thurm herum-
läuft, welcher olien eine kleine Gliedcrunic und darunter
eine schachbrettartige Verzierung trägt. Das Portal ist
durch ein Paar wenig vorspringende Pfeiler markirt, die
sieh wie ein Fries im Halbkreise über dem Tympanon ver-
einen und eine natürliche Verdachuug desselben bilden.
In Mitten der Bogenfriesverzierung des Tympanons ist
eine Kreuzesform eingemeisselt. __
Den interessanten Theil am Ausseren dieser Kirehe
bietet die Apsis dem betrachtenden Auge, da sie mit
einem reichen Friese bedacht ist und in den einzelnen
Bögen desselben, an der Höhe des Gesimsprofiles ange-
brachte Köpfe mit den fantastischcsten Gesichtsaus-
drücken zeigt (Fig. 7). Ihre beiden Fenster sind mit
Rundstäben protilirt und im Ganzen sehr gut erhalten.
Die Kirche befindet sieh über 3 Fuss tiefer in der
Erde als sie es ursprünglich war, ein Theil des Sockels
aber, durch Ausgraben zu Tage gefördert, ist gut erhal-
ten und besteht aus kräftigem Rundstab und Platte.
über der Apsis an der Giebehiianer des Schiffes
springt eine Firstnase vor, in welcher sieh einst das
Dachgebälke derselben vereinigte (Fig. 8).
Allen Schmuckes baar
erscheint jetzt das Innere
der Kirche , die Apsis mit
einem Tonnengewölbe , der
Schiffsraum mit einer Balken-
decke verseilen, welche ver-
schallt und wie der ganze
Raum von innen verputzt ist.
Vom Niveau des äus-
seren Erdreiches tritt man
drei Stufen abwärts in die
Kirche, und da sie von aller
Restauration bi.s auf das in-
nere Vertünchen, was mehr
aus ReinlichkeitsrUcksichten geschah, verschont geblie-
ben, so ist zu hoffen , dass dieses Monument jetzt
stj'lgerecht wieder hergestellt werde, indem der kunst-
sinnige Patron Fürst Primas von Ungarn den Primatial-
Architekten mit dem Auftrage zur Anfertigung der liiczu
nöthigen Pläne betraut hat. J. Ltppert.
Fig. 8.
Üter die zu Ellenbogen im Bregenzerwalde im Jahre
1816 geborne und zu Berlin 1848 verstorbene Bild-
hauerin Katharina Felder.
ErgäDzuug der kurztru N<'ti^ in dit.-M--u Miltheiluu^tn lSti8. S. CVII.
Des Bauern Balthasar Felder und der Walburga
Bitselinau eheliche Tochter Katharina, zu Ellenbogen
der Pfarre Bezau am 15. Jänner 1816 geboren, zeigte
schon zur Zeit, als sie die Doiisehule besuchte, nnbe-
zwinglichen Hang zum Schnitzen, indem sie in den
Stunden, in welchen sie sticken ' sollte, vorsorglich ein
Holz und ein Sehneideisen in ihrem Schosse verborgen
hielt, um bei zeitweiliger Abwesenheit der Altern kleine
Crueifixe aus Buch.sholz zu schnitzen.
Die Frau des Dr. lierlocher aus Rorscliach bekam
im Jahre 1838. in weichem sie das nahe gelegene Bad
in Reute besuchte, ein solches Schnitzwerk zu Gesieht
und fasste den Gedanken, ihrem Manne, einem ausge-
zeichneten Kunstkenner, ein derlei Exem])lar zum Ge-
schenke zu Miachen. Nach seiner Ankunft erhielt er das
Geschenk und äusserte den Wunsch, das Mädchen
kennen zu lernen.
Voll Theiliiahme an diesem so sicher hervortreten-
den Talente bahnte er der Naturkünstlerin den Weg za
ihrer Ausbildung, indem er sie, die schon zwei und
zwanzig Lebensjahre zählte, zur grossherzoglich badi-
schen Hofmalerin Maria Ellen rieder nach C'oustanz
brachte, welche sich, nachdem die Felder einige Proben
ihrer vielversprechenden Fähigkeiten abgelegt hatte,
geneigt fand, sie als Lehrling aufzunehmen und in den
ersten Grundlinien der Kunst, im Zeichnen, zu unter-
richten. Auch unterliess sie nicht, ihre strebsame Schü-
lerin dem Zeichnenmeister Biedenuann und dem Bild-
hauer Egger, bei denen sie sehr vieles lernen konnte,
wohlwollendst zu empfehlen.
Als nach einem Jahre Fräulein Elleurieder nach
München sich begab, um eine grossartige Arbeit einzu-
studiren, nahm sie ihren Lehrling mit der Au.sserung
mit, dass — er in Constanz all das gelernt habe, wozu
man ihm daselbst Gelegenheit bieten könne. Sehr lieb-
reich wurde unsere Künstlerin bei Herrn Professor
Schlotthauer in München aufgenommen, wo sie im Ge-
nüsse unzähliger Wohltbaten durch ein Halbjahr im
Zeichnen und Modelliren mit grosser Auszeichnung sich
übte. Hierauf zeichnete sie durch ein Jahr auf der
Akademie unter Anleitung des grossen Peter Corne-
lius, und als dieser sich nach Beilin begeben hatte,
nahm Schiotthauer sich ihres Unterrichtes wieder an, bis
sie endlieh ins Schwanthaler'sehe Atelier aufge-
nonnnen wurde, in deni sie unter Anleitung des grossen
Meisters arbeitete.
Ihrer ausgezeichneten Fortschritte wegen wurde
sie nach Verlauf eines Jahres von der Hofmalerin Ellen-
rieder mit einer grossartigen Aufgabe für den Dom zu
Con.stanz betraut, nämlich „Glaube, Hoffnung und Liebe"
aus Sandstein auszuarbeiten. Man vermutliete, diese
Arbeit »ei für das künftige Grabmal des Fräulens Ellen-
rieder bestinnnt. Kaum als die erste Figur in Schwan -
thaler's Atelier angefangen war, erhielt sie einen zweiten
Auftrag von ihrem ersten Gönner und Wohlthäter Dr.
Berlocher in Rorschach, zwei Processionsbilder aus Hol/.
> Die Brogenzerwäldcrinnen, Jung und alt, sind bekanntlich mit Sticken
von Mussciinätiickcn für die Schweizerfabriken in und um ßt. Gallen und
Appenzell - Auä»errhoden aufs lleitiaigste be&cbäftigt und verdieneu scheue
Summen ins Haus.
LXXV
zu machen. Alsogleich begab sie sich aus schuldiger
Dankbarkeit dahin, und vermochte in Zeit von drei Mo-
naten ihre Aufgabe mit grosser Auszeichnung zu lösen.
Mittlerweile ward die Felder von Frau Schinkel
und ihren drei Töchtern, mit denen sie früher in München
Hekanntscliaft gemacht hatte, besucht und ihr vorge-
tragen, mit nach Berlin zu reisen, mit dem freundlichen
Anerbieten, sie unentgeltlich mitzunehmen und mit gutem
Tisch und sorgsamer Pflege zu versehen, wie auch ihr
ein recht geräumiges Arbeitszimmer einzuräumen, und
die Gelegenheit zu verschaffen, mit dem Hofbildhauer
Professor Rauch zu weiterem Fortschreiten in der Kunst
bekannt zu werden.
Bald nach ihrer Ankunft in Berlin wurde sie von
der Königin Elisabeth nach Hof gerufen, wohin sie der
berühmte Künstler Rauch begleitete, und kurz darauf
von Ihrer Majestät mit dem Auftrage beehrt , ihre
rechte Hand zu modelliren, und später für den General
Knesebeck die Statue des Ritters St. Georg zu Pferd
zu verfertigen. Sie löste ihre Aufgaben mit so bewun-
dernswerther Schnelligkeit und Vortrefflichkeit, dass sie
sich das Wohlwollen des ganzen königlichen Hofes und
der höchsten Kreise erwarb.
Katharina Felder, körperlich zu schwach Schlägel
und Meissel zu führen, erlag in ihrem Kunstringen all-
zufrüh um grössere, namhafte Werke zu hinterlassen.
Sie starb in Berlin am 13. Februar 1848 um drei Uhr
Nachmittags, ihre irdische Hülle ward am 15. in der
St. Hedwigskirche eingesegnet. Sie legte auch in der
Fremde die züchtige und kleidsame Jupe aus schwarzer
Glauzleinwand, das ehrbare Häss, wie sie die Bregen-
zerwälderinnen, reiche und arme tragen, niemals ab. Ihre
Bescheidenheit wird von allen, die sie kannten, gelobt.
Was wäre aus diesem Mädchen geworden, wenn
es in seiner Jugend einer sorgsamen Kunstleitung sich
erfreut hätte und durch einige Jahre mit einem vStipen-
dium zu seiner Ausbildung bejilückt gewesen wäre. Der
vollste Dank gebührt sowohl dem ersten Gönner Dr.
Berlocher, als auch denen, welche in Constanz, München
und Berlin die vielversprechende Künstlerin unter-
stützten und ihr grosses Talent nicht verkümmern
Hessen.
Von der Hand der Felder verwahrt der Pfarrhof zu
Bezau einen 3'd" hohen, aus Holz geschnitzten heil.
Sebastian, den sie als eine Votivarbeit in die St. Seba-
stianscapelle zu Oberbezau verfertigt und geldbedürftig
um 23 Gulden dem Pfarrer Martin Blaser (f 30. Dec.
18ü3) verkauft haben soll , der laut Zeugenaussage
willens war, das Schnitzwerk in der erwähnten Capelle
aufzustellen. Dessen Nachfolger Joseph Schneider, dem
ich mehrere Notizen über unsere Felder verdanke, wird
dasselbe fassen und in der Oberbezauer-Capelle, wohin
es ursprünglich bestimmt war, aufstellen lassen. Von
ihrer Hand verwahrt die Capelle in Ellenbogen, wo ihr
väterliches Haus steht, auch die Gottesmutter, wie sie
das Kind in der Wiege anbetet, im Gypsabdruck, so
auch der Pfarrer in Reute und zwei Private in Bezau. In
München, Berlin und anderwärts dürften noch mehrere
uns unbekannte Arbeiten von ihrer Hand sich finden,
deren Anzeige in irgend einer Fachschrift sehr erwünscht
wäre 2. Dr. Jon. V. Bergmann.
- Aus dem Geschlechte der Felder ist der poetische Bauer Frauz
Michael Felder, zu Schoppenau, des Waldes inuerstein Doife , am 13. Wai
1839 geboren. Von diesem armen und einäugigen Autodidakten sind: Nümma-
müllers und das Schwarzok ispale- Ein Lebensbild aus dem Bregenzerwalde-
Inschriften auf den Wappenschildern der in den deut-
schen Orden aufgenommenen Ritter, in der Ordens-
kirche zu St, Kunigunde am Lech in Grrätz.
Die nachfolgenden Inschriften befinden sich auf
den theils aus Holz, theils aus Blech angefertigten und
mit Wappen geschmückten Ehrenschilden, die an der
in der Kirche vorhandenen Galerie angebracht sind.
Ihrer Entstehung.szeit nach fallen sie alle in die Jahre
zwischen 16.56 und 1716 '.
I. „Dem Wollgebornen herrn heirn Johann Frid-
rich, Herrn von Tschernembl Pannerherrn aufWund-
tegg, Schwerdtperg, Erbmundschenk in Crain und der
windischen Marh, der Kheiniglichen Maysted in hispa-
nien bestelter Obrister Wachtmeister 16.56" =.
Die folgenden zehn Inschriften enthalten die Namen
der eingekleideten Cavaliere und der die feierliche Ein-
kleidung vornehmenden Ordenscomtlmrne nebst dem
Datum dieser Feierlichkeit. Wir führen jene Inschriften
nur auszugsweise mit Namen und Datum an, indem sie
mit Ausnahme eines einzigen, des waffcnberühmten
Guidobald Grafen und Herrn von Stahremberg ihre per-
sönlichen Namen nicht auf unsere Zeit gebracht haben.
Diese sind:
n. „Seifrid von Saurau ist am (Datum unleserlich,
ausgebrochen) Juli 1656 von Johann Jacob Graf Dhaun
Land-Comentor der D. 0. R. Wol. Coramende zu Gros-
sen tag und am Lech zum Ritter eingekleidet und ge-
schlagen worden".
III. „Anno 1668 ist der Hoch und wolgeborne herr
herr Christoph Hartmann des H. R. R. Graf von Schal-
lenberg Freyherr auf Luftenberg unter Ihro Hochwürden
und Gnaden herr Graven von Lamberg Landtcomentur,
in den Hoch-löblichen Ritterlichen Teutschen Orden an-
und eingekleiht worden" s.
IV. „Den 8 September 1672 ist der Hoch undt wol-
geborne herr Heinrich Graf von Herberstein herr auf
Neuberg u. Guettenhagg under ihro Hochwürden undt
Gnd. herrn Christoph Freyherrn von Hinckhen Landt-
Comentern der 0. baley hochlöbl. Ritterlich Teutschen
Orden an- und eingekleidet worden".
V. „Anno Christi 1677 den 17 May ist der Wol-
geborne Herr Gotttridt, Freyherr von Stadl herr auf
Khornberg, Lichtenegg und Freyberg, der röm. Kays.
Mayst. Bestellter Hauptmann in den Hochlöbl. Ritter-
lichen Teutschen Orden eingekleidet worden".
VI. „Den 15 May 1686 ist durch den Hochwürdig
Hoch- und Wohlgebornen Hr. Herrn Christophen Frey-
Hr. Hunekhen Der Röm. kay. May. Cammerer & 0. Hof-
krigsrath lant-Commenthur der Balley Oestereich, der
hoch- und Wolgeborne H. Johann Christop graft" und
her von Schaumberg in den Ritterl. teutschen Orden
eingeklaydet worden".
VH. „Den 26 Feb. 1688 ist durch den HochwUrdig
Hoch und Wohlgebornen Herrn Herrn Seyfriedt von
Lindau 1863; Die Sonderlinge. 2 Bde. Leipzig 1S67; Liebeszeichen. Eine
Erzählung aus dem Bregenzerwalde. In der österreichischen Gaitenlaube 1867,
Nr. 41 — 44; ferner „Grobe Federzeichnungen" aus dem Kregenzerwalde. ßeich
und Arm. Leipzig 1868. Der arme, lungenkranke Mann, der unter .Mühen und
Sorgen die Jahre seiner harten Jugend durchkämpfte, ward am 7. April 1869
vom Srhlagflusse getroffen und starb am 26. S. „Vorarlberger Landes-Zeitung'"
Nr. 65 u. 56 und besonders die „Neue freie Presse'' Nr. 1699 im Feuilleton
„Bauer und Dichter- von Dr. WiUielm Hauen.
' Ein Theil der zu den einzelnen Persönliclikeiten beigegebenen bio-
graphischen Notizen entstammt der Feder des k. k. Rathes Jos. v. Bergmann.
- Vergl. Hoheneg's .Stände von Österreich ob der Knus III. "ibb.
^ Die Schilder sind von Holz, rund, erhaben gearbeitet und haben
einen Durchmesser von 2'/; Fuss.
LXXVI
Sanrati Land Coiunienthern der Balley Oester. Teutsch.
Ordens Rittern, der Hoch und wolgeborne herr herr
Quidobaldus Gral' und Herr von Stabrenberg der Rom.
Kay. Matt. Cammerer und Obrister zu Fuess, in den
hocbiöbl. Ritter. Teutschen Orden eingekleidet worden-.
Guido bald Graf von Starhemberg, von seinen
Zeitgeno.ssen Guido genannt, am 11. November 1657
zu Grätz geboren, ist einer der hervorragend.^ten Feld-
herren Österreichs, .^chon im J. 1(563 gab er als Haupt-
mann zur Zeit der Belagerung Wiens, das sein Vetter
Ernst Rüdiger aufs heldenmüthigste vertheidigte, be-
kanntlich Proben seiner Geistesgegenwart und Uner-
schrockenheit, indem er dem Feuer, weiches schon die
Pulverkammer zu ergreifen drohte, Einhalt that. Später
führte er an den Ufern der Donau und der Theiss,
wie an jenen des Po, des Ebro und des Tajo mit dem
grössten Ruhme die WaflFen seines Kaisers und Herrn.
Als Fcldmarschall und Landcomthur der Bailei
Osterreich siarb er zu Wien am 7. .März 1737. ward
nach seinem Hinscheiden in den Habit des deutschen
Ordens gekleidet und in der Ordenskirche daselbst be-
stattet, wo er sein Grabmal hat.
Wer diesen grossen Mann näher kennen will, sei
auf -das Leben des kaiserlichen Feldniarschalls Grafen
Guido Starhemberg, von Alfred Arneth, Wien 1853-,
ein umfassendes und quellensicheres Werk, verwiesen.
VHL -Den 26. Feb. 168S ist durch den hoch- und
Wohlgeljomen Herr Herr Seifriedt graflfen von Saurau
Erblandmarschall in Steyer. Landt C'ommenther der
Balley Oesterreich 'S der hoch und wohlgebohrne Herr
Hans .~>igmund her Gayman Freyherr, der Rom. Kay.
Matt. Cammerer Gnrl Adjutant und Hauptmann in Ihr
Mj. des Hoch- und Teytsch-meisters Löbl. Regiment,
eingekleidet worden- *.
rX. ,.Den 6 May 1691 ist der Hoch und Bolge-
pohrne Herr Qnidowald max Graff von Saurau, R. K:
M. C. und Obrist L: (entnanf) Erbland marschall in
Steier, Durch den Hoch und Bolgepohrnen Herrn Herrn
Seyfriedt Gräften von Saurau Erblandmarschallen in
Steyer, fi und Landt Comenthurn der Balley Ö. in den
Hochlöbl. Ritterl. Teutschen Orden Eingekleidet wor-
den-.
X. ,Den 23 April 1713 ist der Hoch- und wolge-
borne Herr Christian Herr von Stnbenberg auf Kappen-
berg zu Stubegg, Muregg etc. unter Ihro Hochwünlen und
Excellenz Herrn Hainerich Teowald graflen von gottstein
Lanteomentem der Ö: bally etc. in den Hochl. Ritt.
Teutsch: orden eingekleidet worden-.
XI. _Den 19 Jenuer 1716 ist durch ihre Excellenz
den hochwürdig hoch und wollgebohruen herrn heinrich
Theobald graften von Goltstein landt comenthurn der
Balley Oesterreich Teutsch-Ordeus Kittern. der hoch-
nnd wolgebohme herr herr Erasmus graff" und heiT von
Stahrenberg. und Obrist leitnant des Stahrenberg. Re-
giments zu Fuess. in den hochlöbl. Ritt. Teytschen orden
Eingekleidt worden-.
Er war geboren zu Linz 1685, später kaiserlicher
Kännuerer. Comtbur zu Gross- Sonntag, k. k. General-
Fddwachtmeister und Inhaber eines Infanterie-Regi-
ments. Er focht in Spanien, Sicilien und Ungarn mit
ausgezeichnetem Heldenmuth und nahm den Nachruf
eines Mannes von seltener Sanftmuth, Klugheit und un-
erniUdetem Bestreben in allen wissenschaftlichen Zwei-
• Vergl. WUbgrill ,die Stiode Ton Sieder-Österreich HI. 3J3".
gen mehr und mehr fortzuschreiten mit sich in das Grab,
in das er frühzeitig im November 1729 sank.
Dr. Hönisch.
ßheinlands Baudeiilnnale des Mittelalters.
Diesen Titel führt ein Werk, das Dr. Franz Boik
eben jetzt in Lieferungen herausgibt. Es ist ein Führer
zu den merkwürdigsten mittelalterlichen Bauwerken
gelegen am Rheine und seinen Nebentiüssen.
Seit jenen fernen Zeiten, in denen die deutschen
Könige und Kaiser von der Wahlstadt Frankfurt dem
Main und Rhein abwärts nach Aachen zogen, um dort
die Krone Karls des Grossen im heil. .Münster zu er-
langen, von dieser poetischen Zeit herab bis zu den pro-
saischen Tagen der Gegenwart . wo auf und an diesen
Flüssen jährlich Tausende von Reisenden die herrlichen
Rheinlande bereisen, sind die Blicke aller Wanderer
mit Staunen und Wissbegierde auf jene mächtigen
und ehrwürdigen Bauwerke gerichtet, die, wie ernste
Mahner an die vergangene ßlüthe des deutschen Reiches,
die dortigen Lande in reicher Anzahl und in vollende-
ter künstlerischer Ausführung zieren.
Ungeachtet der schon vorhandenen zahlreichen Be-
schreibungen dieser Kunstdenkmale hielt es Dr. Bock
für nöthig, neuerdings dieselben zum Gegenstand einer
solchen Schrift zu machen. Wir glauben datllr dem
gelehrten und urii die Archäologie hochverdienten
Domherrn des Aachner Münsters zum Danke verpHich-
tet zu sein; denn wahrlich nicht blos dem Kunstfreunde
und Archäologen, auch dem einfachen wissbegierigen
Wanderer fehlte dafür bis heute ein brauchbarer zeit-
gemässer Führer, welcher diese Denkmale nicht vor-
nehmlich vom archäologischen, als vielmehr vom popu-
lär-wissenschaftlichen Standpunkte aus beleuchtet und
durch zahlreiche Abbildungen sowohl bei Besichtigung
des 5Ionuments willkommene Anhaltspunkte darbietet,
wie auch die Kuude jener Denkmale in weitere Kreise
bringt.
Auf eine ganz eigenthümliche aber nachahmens-
werthe Weise hat Dr. Bock das Werk ins Leben geru-
fen und es möglich gemacht, einen sehr billigen Ver-
kaufspreis zu erreichen , wohl eine der wichtigsten
Bedingungen um ein poiuilär geschriebenes Buch auch
populär zu machen. Der Autor wnsste nämlich die Mit-
glieder der preussischen Königsfamilie und den rheini-
schen Adel dafiir so zu interessiren , dass sich viele
Personen bereit erklärten, die Kosten für die xylogra-
phische Ausstattung der Bearbeitung einzelner Bau-
werke zu übernehmen. So übernahm der Fürst Karl von
Hohenzollern jene für die Abteikirche zu Gladbach, der
Erzbischof von Köln die für die St. Gereonskirche
daselbst , die Kronpriucessin die für die Curie des
Königs Richard von Cornwallis zu Aachen.
Das uns vorliegende erste Heft enthält die Be-
schreibung der Abtei Gladbach, die im VHL Jahrhun-
dert begründet worden sein soll. Die mit einer grossen,
in Kreuzesform angelegten Krypta versehene Kirche ist
dreischifiig, der Chor bereits gothisch, alles übrige noch
romanisch. Von den Einrichtungsgegenständen wird ein
Tanfstein, aus der Sammlung der Geräthe ein Tragaltar,
beide romanisch, hervorgehoben; 13 sehr gut ausge-
führte Xylographien zieren dieses Heft. Wir wünschen
dem Unternehmen bestes Gedeihen. . . .m. . .
LXXVII
Die Kirchen des Cistercienser-Ordens in DeutscMand
während des Mittelalters.
Von Dr. K. Dohme. Leipz. 1S69. 8. 150 Seiten mit vielen Holz-
schnitten.
(Mit lu Holzschoitteu.)
Schon wiederholt beschäftigte die archäologischen
Schriftsteller, insbesonders die Verfasser grösserer
archäologischer Conipendien und Leitfäden über mit-
telalterliche Architektur jener eigeuthümliche Charakter,
den die Kirchen des Cistercienser-Ordens allenthalben
zeigen. Nicht dass sie eine der anderen ähnlich seien
oder gar gleichen würden, so haben sie dennoch manche
Eigenthümlichkeiten in ihren Grundrissen und Ausfüh-
rungen, die einen inneren Zusammenhang aller dieser
Ordensbauten nicht verläugnen. Ändert sich auch im
Laufe der Zeiten manches in den für neuzubaueude
Kirchen festgestellten Grundrissen, so sind doch auch
diese Änderungen nicht vereinzelt geblieben, sondern
sie treten gleichzeitig, verschiedenartig und in Neben-
sachen mannigfaltig modificirt in mehreren Beispielen
auf. Insbesondere wurde diese Zusammengehörigkeit
der Bauten in neuerer Zeit von Schnaase «, Otte =
und Felis mehr gewürdigt; allein ersterer nimmt über-
wiegend Rücksicht auf die gegenwärtig vorhandenen
Monumente , letzterer behält fast ausschliesslich die
Ordensvorschriften im Auge, während Otte nur in so
weit dem Orden mehr Betrachtung widmet, als es ihm
zur Entwicklung der mittelalterlichen Architektur noth-
wendig schien.
Dieser ganz entschieden gemeinsame Charakter
der Cistercienser- Kirchen hat Herrn Dr. Dohme ver-
anlasst eine grössere Arbeit über diese Baudenkmale
zu veröffentlichen. Der Verfasser versucht mit dieser
Schrift nicht blos einen Beitrag zur genaueren Kennt-
niss der deutschen Bauten während des Mittelalters
überhaupt, sondern auch eine Feststellung und Schil-
derung aller denCistercienser-Ordenskircheu anhaften-
den Eigenthümlichkeiten zu geben, wodurch sich die-
selben von den übrigen kirchlichen Anlagen Deutseh-
lands unterscheiden. Bei der Bedeutung, welche die
Cistercienser in der Cultur- und Architekturgeschichte
Deutschlands überall eiunehmen, hat Dr. Dohme ganz
Kecht, wenn er die architektonische Wirksamkeit dieses
Ordens genauer ins Auge fasst und der eingehenden
Betrachtung derselben ein eigenes Buch widmet.
Wir wollen mit Folgendem einen gedrängten Aus-
zug dieser ._ganz lehrreichen Schrift liefern und uns
dabei, mit Übergebung der ersten Entwicklung dieses
Ordens in Frankreich, hauptsächlich auf dasjenige be-
schränken, was sich auf den Bau der Ordenskirchen
unmittelbar bezieht.
Das Auftreten und die erste Ausbreitung des in
Frankreich zu Citeaux gegen Ende des XL Jahrhun-
derts gestifteten Cistercienser-Ordens in Deutschland fällt
in das erste Viertel des XII. Jahrhunderts,und währte
dessen Verbreitung in lebhafter Weise bis gegen das
Ende des XIII. Jabrhundeits, von welcher Zeit an der
Orden im Vergleiche mit früher nur wenig neue Stätten
erwarb. In Deutschland gewann derselbe tür die Ent-
wicklung der kirchlichen Baukunst eine viel grössere
' S. dessen Gt-schichte der bildenden Künste V.
' Otte, Geschictite der deutschen Baukunst 18fil p. 298.
' Heider's und E 1 1 e 1 b erge i '^ mittelalt. Kunstdcnkmale Öster-
reichs. Die Cisterrienser-Abtei Heiligenkreuz, Baugeschichte v. Feil.
Fig:. 1. (HeiUgenkreuz).
Bedeutung als in seiner Heimath. Dem Orden fällt hier
ein grosser Antheil bezüglich der Verbreitung der um
die Mitte des XII. Jahrhunderts in Frankreich schon
allenthalben geltenden Gothik zu, so wie er auch mit
seinem Stammlande in fortwährender Verbindung blei-
bend die sonstigen architektonischen Vorzüge dieses auf
dem Gebiete der Architektur gegenüber Deutschland
weit vorausgeeilten Landes herüber verpflanzte. Freilich
wohl ging es mit der Verpflanzung der neuen Formen
nicht zu rasch, denn die deutschen Mönche waren zu sehr
Kinder ihres Landes, als dass sie das Fremde und ins-
besondere den neuen Styl, ohne weiters als fertiges
LXXVIII
Fig. 2 (Viktriug .
Ganzes hingenommen hätten. Sie modificirten ihn, pass-
ten ihn den baulichen Traditionen ihrer Gegend an.
gestatteten ihm immer mehr Geltendmachung, bis endlich
7.n Marienstadt die erste gothische Ordenskirche dies-
seits des Rheines entstand, zu welcher beiläufig im
.Jahre 1227 der Gmndriss gelegt worden sein dürfte.
In rascher Folge entstanden im XII. und Anfang
des Xni. Jahrhunderts die Kirchen der Cistercienser.
Man kann diese Ordenskirchen in ihrer Gesammtheit
als Zeugnisse einer besonderen Schule bezeichnen,
einer Schule, die nicht an einem bestimmten Punkte,
sondern in einer bestimmten Gesellschaft haftet, die
sich in der Ordenstradition herausgebildet und sich
von der localen Begrenzung unabhängig forterhalten hat.
Natürlich blieben die arr hitektonischen Besonderheiten
gewisser Gegenden nicht ohne Einfluss, aber sie waren
nicht mächtiger, als das Bewusstsein der Zusammen-
gehörigkeit des Ordens. Die Folge dieser verschie-
denen Einwirkungen auf die Ordensbanten war keines-
wegs ein ängstliches Copiren der Vorbilder, sondern
es wurde blos manches Charakteristische in freicster
Bildung beibehalten, im Übrigen aber freie Thätigkeit
dem jugendlich frischen Geist ge-
währt, der in Deutschland den Orden
allseitig durchdrang.
Obwohl sich alle Vorschriften
über die Kirchenanlage auf das Gebot
grösster Einfachheit beschränkten.
80 zeichnen sich doch die Kirchen
durch vortrefiliche Technik, durch
ernst schöne Verhältnisse, sehr häutig
durch eine bestimmte, in der Ordens-
sitte bedingte Grundrissform, durch
würdige Entfaltung des Inneren und
sparsam angewendetes Detail ans.
Ein bei der Formation der Or-
denskirchen nicht zu übersehendes
Moment ist, dass alljährlich sämmt-
liche Abte in Citeaux zusammen-
trafen , wo jedenfalls auch bauliche
Unternehmungen zur Sprache kamen.
Auf diese Weise sahen die fremden
Äbte die Mutterkirche, aber auch auf
ihren Reisen manche neuere oder
ältere Kirche ihres Ordens und hatten
Gelegenheit zum Sehen und Lernen,
und ihre Erfahrung zu bereichem.
Gleiche Erfolge hatten auch die häu-
figen Ordensvisitationen der Abte
der Mutterklöster in ihren Filialen.
Zu den Neuerungen gehört romehui-
lich der Gewölbebau, zu dessen Ver-
breitung die Cistercienser , seinen
praktischen Werth früh erkennend
und in Frankreich kennen lernend,
wesentlich beitrugen und ihm bald
durch das gegebene Vorbild allge-
meine Verbreitung verschafften. So
allein erklärt es sich, dass wir häufig
in ganz entfernten Punkten eng ver-
• xK wandte Bauten finden, bald als Ver-
einfachungen bald Bereicherungen
eines und desselben Gedankens.
Der Ansicht des Verfassers, dass
der Orden ausnahmslos seine Baumeister selbst erzog
und aus der Zahl der Mönche wählte, kann man nicht
so unbedingt beistimmen, weil einerseits sehr wenig
diesen Beweis liefernde Namen der Baumeister älterer
Ordenskirchen auf uns gekommen sind, und es nicht
nothwendig erscheint, den Baumeister aus dem Mönch-
stande zu wählen, wenn gewisse Bauregein und der
Umfang der Kirchenausschniüekung in den Ordens-
satzungen festgestellt waren, worüber die Abte jeder
einzeln und alle in ihrer Vereinigung, wie auch der
ganze Convent zu wachen hatten.
Gerade dies, dass nur die Ordensgewohnheiten
den Rahmen bildeten, in welchen hinein die Anlage
einer Ordenskirche gefügt werden sollte, dabei aber
noch hinlänglich Freiheit dem Baumeister in der Aus-
führung seiner Ideen blieb, spricht mehr für unsere
Ansicht.
Galt es eine Ordensniederlassung zu gründen . so
handelte es sich zunächst um die Wahl eines geeigne-
ten Platzes. Verboten war die Anlage in .'^tädten.
Dört'ern oder Schlössern, gesucht wurden dem Verkehr
entrückte Punkte, stille versteckte Thäler. Ja, wenn
T.xxrx
: 'i _r ^
Fig. 3 (Lilienfeld).
dem Orden ursprünglich eine Ansiedlung auf einem
erhöhten Punkte angewiesen wurde, so vertauschte man
bald diesen Aufenthalt mit einer in der Tiefe gelegenen
Niederlassung. Oft geschah es, dass die Ansiedlung
Fig. 4 (Hradist).
im Gegensatze zu den geräumigen , für die Aufnahme
des Volkes berechneten Benedictinerkircben. Durch
Beschluss des Generalcapitels waren seit 1157 steinerne
Glockenthürme verboten, wcsshalb der Orden die später
auch bei anderen Kirchen beliebten Dachreiter, anfäng-
lich blos Holzbauten , zum Aufhängen des meistens
nur aus zwei Glocken bestehenden Geläutes wählte.
DerFussboden sollte mit einfachen Fliessen belegt sein,
mehrmals gewechselt wurde, bis man eine geeignete was jedoch nicht zu strenge gehalten wurde. Selbst
Stelle fand. Eine Ausnahme von dieser Ordensgewnhn-
heit macht das Kloster Hohenfurt, das auf einem Hügel
am Moldau-Ufer, und Neukloster, das inner den Mauern
von Wiener-Neustadt liegt. Freilich wurde Letzteres
zu einer Zeit gegründet, wo die Ordeusgewohnheiten
bereits viel von ihrer scharf bindenden Kraft verloren
hatten. So wie hinsichtlich des Platzes, ebenso bestan-
den auch hinsichtlich gewisser Eigenschaften der Kirche
bestimmte Vorschriften. Klein , innen und aussen un-
scheinbar, fast ausschliesslich auf blosse Structurfor-
men beschränkt, häutig plump und schwerfällig, standen
die ersten Cistercienserkirchen da, und ist uns ein Theil
derselben noch erhalten. Man liebte es, im Widerspruch
mit der sonst üblichen Bezeichnung Ecclesiae, die Got-
teshäuser des Ordens Oratoria zu nennen ; man wollte
nur ein kleines, für den Convent bestimmtes Bethaus
XIV.
die Grabsteine, welche in die Pflasterung der Kirchen
und Kreuzgänge eingelassen wurden, sollten ohne jedes
Relief sein. Weder reichere Sculpturen noch Malereien,
nicht einmal Tafelbilder auf den Altären, wurden in den
Ordenskirchen anfänglich gestattet. Dass man aber
auch hierin, wie in so vielen anderen Fällen, wo Strenge
und Einfachheit bezweckt wurde , nicht durchdrang,
beweist unter anderen das Beispiel des höhmischen
Klosters Königssaal, dem sein Stifter Wenzel H. (1297)
ein prächtiges auf Holz gemaltes Marienbild schenkte.
Derselbe König verstiess auch gegen ein anderes
Ordensgesetz, indem er, oljgleich goldene und silberne
Kreuze durchaus verpönt waren, den Mönchen dieses
Klosters ein 1400 Mark Silber wertbes, kostbares und
mit Edelsteinen besetztes Kreuz schenkte. Ebenso
besitzt das Kloster Hohenfurt ein höchst werthvolles
LXXX
Fig. 5 (Tisnovicj.
Patriarchenkreuz byzantinischer Arbeit, das 1412 in den
Besitz des Klosters gekommen ist.
Ein weiteres, die kirchlicbe Ausschmückung betref-
fendes Verbot bezog sich auf die Glasmalereien in den
Kirchenfenstern. Allein gerade diese Verordnung stiess
in ihrer Durchführung auf die grössten Schwierigkei-
ten und kam trotz öfterer Erneuerungen nie zur all-
gemeinen Geltung, ja selbst der kategorische Beschluss
von 1182. dass innerhalb zweier Jahre sämmtliche etwa
noch vorhandenen gemalten Fenster aus den Kirchen zu
entfernen seien, und wenn dies nicht geschehe, dass
Abt, Prior und Kellermeister so lange auf schmale Kost
zu setzen seien, bis diese Glasbilder entfernt wurden,
scheint nicht at»solut gewirkt zu haben. Man muss es
als ein Zeichen der allgemeinen Freude, die jene Zeit
an derartiger Ausschmückung der Kirchen hatte, an-
sehen , wenn man innerhalb des Ordens auf jegliche
Weise von diesem Verbot loszukommen trachtete,
Alan suchte vorerst einen Miftehvei: zu linden, ohne das
(iesetz zu verletzen. So wurden antlinglich die einzel-
nen zerschnittenen Glasslückc durch Bleignss verbun-
den, daraus Ornamente gebildet, so dass das Fenster
wie mit einem Te[)i)ii'limustpr übersponnen schien.
Dann ging man weiter, man begann (lie Formen des
Bleigusses durch Sclnvarzloth zu imitiren . was zur
Grisailmalerei führte. Diese etwas freiere Behandlung
trieb ihre schönsten Blüthen in den noch bestehenden
Glasgemälden zu Heiligeukreuz. Schon bald treten
Spuren bunter Farben auf, bis wir im XIV. Jahrhundert
die Kirchenfenster bereits vielfältig mit grossen tigUr-
lichcn Darstellungen in der ganzen Farbenglut der
mittelalterlichen Technik geschmückt linden.
Alle diese eben angedeuteten Bestimmungen und
Vorschriften, die sich auf den Bau und die Einrichtung
der Ordenskirchen beziehen und aus denen sich leicht
erklärt, warum heutzutage der .\ufbau von derlei Kir-
chen sich noch immer gleich scharf kennzeichnet, führt
der Veri'asser weitläufig aus; doch wollen wir diese
Vorschriften als theilweise bekannt und für eine Be-
sprechung des Buches als zu weit gehend bei Seite
lassen.
Als IJaupteigenthümlichkeit fast sämmtlicherCister-
cienserkirchen kann man bezeichnen die dreischifllge
Alllage mit in überwiegender Muhrzahl vorkommender
Basilikenform und mit einer Queischitiaiilage, welche
die Ordenssitfe für so wichtig hielt, dass sie deren
Alllage selbst bei den einfachsten Bauten nie übersah.
Minder allgemein ist die Anwciulniig eines geradlini-
gen Chorschlusses. Nur selten tritt m gothischer Zeit
die Hallenform auf In Osterreich entwickelt sich ein
etwas exceptioneller Bautypns , indem daselbst eine
Gruppe von Hallenkirchen besteht, bei welchen auch
die Kreuzesform im Grundriss beinahe ganz aufgege-
ben ist.
Eine andere Eigentbümlichkeit vieler Cistercieu-
serkirchcn , nämlich den Anbau von zwei oder meh-
reren meist niedrigen, rechtwinkeligen Capellen an der
O.stseite des Querhauses zu Seiten des Presbyteriums,
eine Eigentbümlichkeit, die oft besprochen und viel-
seitig als ein Charakterisiicum der Cistercienserkirchen
bezeichnet wird, will Dr. Dohme in dieser Eigenschaft
nicht und zwar mit Recht nicht anerkennen, denn bei-
spielsweise fehlen diese Anbauten gerade vielen Or-
denskirchen Österreichs, wie Heiligenkreuz, Lilienfeld,
Hradisl, Zwettl, Neulierg etc.
Schon in der einfachsten Form einer Ordensbaute.
wie sie nns der Grundriss von Fontenay in Burgund
als erstes Beispiel zeigt und auf dessen Vorbild sich
zahlreiche deutsche Kirchenaiilagen dieses Ordens
zurückführen lassen , finden wir diese Capellenpaare
zu Seiten des rechtwinklig geschlossenen Altar-
hauses, wo sie aus der Ostseite des Querhauses in
halber Länge des Chores heraustreten. Es ist aucli
richtig , dass dieses Princip vielen Plananlagen zu
Gründe gelegt wurde, im Laufe der Zeit eine reiche
Entwicklung empfing und verschieden variirt in Deutsch-
land herrschend ward: allein man kann dessen Vorhan-
den sein keineswegs als ein untrügliches Erkennungs-
zeichen einer Cistercienserkirche annehmen und umge-
kehrt. Nicht zu übersehen ist, dass diese Capellen der
Kirche des Mutterklosters zu Citeaux fehlen. In der
Baugruppe, welche diesem Vorbilde folgte, findet man
dafür die Entwicklung des rechtwinkeligen Chorschlus-
ses von der einfachsien bis znv durchdachtesten und
reichsten Form in seltener Durchbildung,
Die Frage , wie sieh die Vorliebe des Ordens
für diese besondere Anlage rechtfertigt, beantwortet
Dr. Dohme mit dem prakiisch nüchternen Sinn der
Ordensleute und mit ihrem Strelicn nach Einfachheit.
Man hatte nämlich bei diesem (Mundrisse nur gerade
oder rechtwinkelig gebrochene AVände aufzuführen
und konnte jeden mehr schwierigen Steinschnitt ver-
LXXXI
meiden. Zeichnung- undMaasse des Bauwerkes konnten
demnach bei Kenntniss der Tragfähigkeit des Materials
nicht die kleinste Schwierigkeit hervorrufen.
Die zweite weit weniger zahlreiche Classe von
Kirchenanlagen folgt dem Grundrisse der französischen
Kathedralen, mit im Halbkreise oder im Polygon strah-
lenförmig um den Chor gestelltem Capelienkranz. Die
Kirche zu Heisterbach (c. liuO vollendet) ist die erste
derartige auf deutschen Boden, und blieb w.ährend der
romanischen Zeit das einzige Beispiel. Als aber mit
dem Vordringen der Gothik die Lust an reichen Grund-
rissbildungen reger wurde, entstanden mehrere in dieses
System gehörige Bauten, wie Zwettl, Sedletz etc.
Schliesslich macht Dr. D o h m e noch auf eine
Besonderheit der Cistercienserkirchen aufmerksam, es
ist dies die ungewöhnliche Länge des Schiftes, was
um so mehr aufflillt, als diese Kirchen nicht eigentlich
für den Besuch der Laien natürlich nur Männer bestimmt
waren. Eine weitere Besonderheit ist das Fehlen der
Krypta. Der Orden scheint sich gleich anfangs durch-
gehends ablehnend gegen diese bis tief in das XH.
Jahrhundert hinein so beliebte Anlage verhalten zu
haben, obgleich sie ihm durch kein directes Gesetz
verboten wurde. Es scheint, dass der doch erst spät
entstandene Orden nicht mehr in die Lage kam, den
Cultus an den Gräbern der Heiligen zu üben, und damit
entfiel die Ursache zur Anlage von Unterkirchen. Dass
die Cistercienser zum Aufgeben der Krypten bei der
weiten Verbreitung ihres Ordens und bei dem Beispiel,
das er in baulicher Hinsicht allenthall)en gab, bedeu-
tend beitrugen, ist unzweifelhaft, um so mehr, da die-
selben erst seit dem XHL Jahrhundert allgemein zu ver-
schwinden anfangen, der Orden sie also schon volle
hundert Jahre früher nicht mehr errichtete.
Den zweiten Abschnitt seines Buches widmet
Dr. Dohme der Beschreibung der Baueigenthünilich-
keiteu der einzelnen in den Ländern der deutschen
Zunge noch bestehenden Cistei'cienserkirchen , und
versucht die einzelnen Bauten auf ihre Vorbilder zurück-
zuführen. Wir wollen seinem Excurs folgend dabei die
in Osterreich gelegenenen Cistercienserkirchen näher
ins Auge fassen, und diesen Erläuterungen eine Anzahl
von bei der k. k. Cent. Comm. vorräthigen, in Holz s;e-
Abbildungen
schnittenen
Kirchen beigeben.
Von Säulenl)asiliken
innerhalb des Ordens nur
einzelner Grundrisse solcher
haben sich in Deutschland
zwei Beispiele erhalten; das
eine bildet die Kirche des Klosters Heilsbronn bei
Nürnberg, das andere jenes zu Amelunxborn bei
Holzniinden. Ersteres Kloster entstand um 1132 und
1150 fand die Weihe der neuen Kirche statt, die jedoch
126;-> bis ]28u einen Umbau im Chor erfuhr. Damals
verlor er seinen aus einer halbrunden Apsis gebildeten,
und bekam dafür einen geradlinigen Schluss , wurde
jedoch in spätgothischer Zeit noch einmal erweitert und
aus fünf Seiten des Achtecks eonstruirt. Die roma-
nischen Reste der Kirche zu Amelunxborn
(P'nde des
luse und in
das übrige
XH. Jahrhunderts ) haben sich nur im Langha
den Untermauern des Qnerschitfes erhalten,
gehört einem gothischen L'mbau an.
Das älteste Beispiel einer Pfeilerbasiliea, die zu-
gleich dem einfachen Grundrisse von Fontenay folgt,
bildet die Klosterkirche von Marienthal bei Helm-
städt, deren Gründung wahrscheinlich in das Jahr 1138
Fig. 6 (Hohenfurtj.
fällt, die Bauzeit aber bis in die Mitte des XH. Jahrhun-
derts sich erstreckt. Auch hier findet sich der quadrate
Altarraum und gleich wie zu Heilsbronn thront über der
Vierung ein Dachreiter. Damit eng verwandt und auch
in der Bauzeit nicht viel verschieden sind die Reste des
romanischen Baues (um 1140 vollendet) der Kloster-
kirche zu Porta, soweit sie aus dem jetzigen gothisihen
Bau sichtbar werden. Die beiden rechtwinkeligen Ca-
pellen schliessen sich zu beiden Seiten des gleichen
aber grösseren Altarhauses an die Ostseite des Quer-
sehiifes an.
In die Mitte des folgenden Jahrhunderts gehört
die dreischiff'ige Kirche des in der Schweiz gelegenen
Klosters Wettingen (geweiht 12.56), dessen von je
zwei Seitencapellen begrenzter Chorraum vierseitig ist.
Nach einiger Zeit verlängerte man die beiden zunächst
dem Altarraume gelegenen Capelien über denselben hin-
aus, schloss sie mit Apsiden ab und verband dieselben
hinter dem Chor und um denselben herum durch einen
niedrigen Umgang.
Mit diesem Baue in ihrer Anlage sehr ähnlich ist
die, halb der romanischen, halb der Übergangszeit ange-
hörige Kirche des um 1188 gestifteten Klosters Be-
benhausen (vollendet 1214).
Ein höchst beachtenswerther Ordensbau ist die
1 1 78 geweihte Kirche des Klosters M a u 1 b ron n ; leider
Lxxxir
iü^Jai
Fig. 7 (Neuborgj.
erfuhr sie zahlreiche VeräiKierinigcn, doch blieb der
viereckige Altarnuim unverändert. Eii^euthünilich ist
dabei, dass das Querschift' auf Kosten der C'apellen fast
ganz verkümmerte. Zum ersten ilale begegnet man in
dieser Kirche einem Ordensbau mit reicheren Formen.
Gleichfalls sechs Capellen au der Ostseite des Quer-
schitfes hat die um 1186 vollendete Kirche zu Eber-
ach, deren Grundriss jenem zu Maulbronn iilinlicli ist.
Unmittelbaren Eintiuss der frauzüsisch-ronianischeu
Kunst weisen die eigentlich schon in den Übergangs-
st}1 hineinreichenden Kirchenbauten zu Rroniliach bei
Wertheim auf. Die Kirche dieses Klosters, 1151 gegrün-
det, dürfte gegen Ende desselben Jahrhunderts v(dien-
det worden sein. Im Grundrisse zeigen sich manche
Abweichungen der bisherigen Gepflogenheit, so ist das
Altarhaus halbrund geschlossen, die rechteckigen Ca
pellen der Ostseite hai)eu wenig Tiefe. Wie es niüglich
war, in der Construction und Mauereintheilunj,'- franzö-
sische Vorbilder nachzuahmen, lässt sich nicht bestimmt
nachweisen. Doch kann man mit allem Grund anneh-
men, dass der Meister selbst ein Deutscher war, denn
deutsch sind alle Details innen und aussen. Die Jetzt
abgebrochene Klostcrkirclie zu T h c n n e n b a c h in
Breisgau (gegründet 115ti) zeigt ähnliche Eigenschaf-
ten, hat jedoch den rechtwinkeligen Altarschluss.
Interessant ist, was Dr. Dohnic über die älteste in
Osterreich bestehende Ordenskinlie, nändich jene zu
Heiligenkreuz bemerkt, von welclier wir den (Jrund-
riss in Fig. I licigeben ». Konnte mau in den bisiier auf-
gezählten Beispielen die Ausbildung der Chorpartie als
recht eigentlich dem Orden zukommend bezeichnen . so
fehlen Ausnahmen nicht, bei welchen andere Einflüsse
die PIandis])(jNition dictircn, während Mässigung und
.Sparsamkeit im Aufbau und Detail überall die gemein-
same Schule zeigen Ein solcher Einfluss machte sich
's. Bcid cr'e und K i le I lie i ge r's mlllclalt. KiinMdenkmalG dit öbtcrr.
Kaiterelaatet I und archäol. Wegnt-iter durch Xieder-Ötiei reich I.
vornehndicli iiei dieser Kirche geltend, zu deren
Kloster Markgraf Leti])old der Heilige im Jahre
1135 die ersten Mönche aus Morimond lierief.
Als man den Hau begann, stand das .'^ystem
desselben völlig fest und wurde ohne Ände-
rung bis zu dessen Vollendung beibehalten.
Wir sehen in diesem gegen 1187 vollendeten
Baue eines der ersten Beispiele des gebun-
denen romanischen Systems innerhalb des
Ordens. Leider lässt dergothische Umbau des
Chores dessen ursprüngliche Gestaltung nicht
mehr erkennen und es gestattet nur ein erhal-
tenes Glasgemälde die Vermuthung, dass der
Chor so wie jedes Nebenscliifl' jenseits des
Querschitfes d. i. gegen Osten mit einer halb-
runden Capelle geschlossen war. Obgleich das
Innere ernst und fast schmucklos ist, zeigt das
Äussere all den reichen decorativen Schmuck,
^^^■■^ wie ihn die ISaukuust im südöstl chen Tlieile
Deutschlands überhauitt liebte.
Weiter bespricht Dr. Dolime die Kirche
znVolkenrode bei Mühlhausen (1 140), deren
Trümmer genau dieselbe Choranlage zeigen,
wie sie bei Heiligenkreuz zu vernuithen ist.
Auch der romanische Tlieil der gotliisch über-
bauten Kirche zu Alten berg bei Cölu (^Mitte
des XII. Jahrb.) zeigt eine an ein nahezu Qua-
drates Altarhaus angebaute halbrunde Apsis.
Die an der um 1142 gegründeten Klosterkirche
in Vi kt ring (Fig. 2| in Kärnten (geweiht um 1200)
erhaltenen romanischen Baureste zeigen Spuren einer
dreischiffigen Pfeilerbasilica mit verkümmerter Querhaus-
anlage, der im linken Mügel gegen Osten zwei Capellen
(gegenwärtig jüngeren Ursprungs) angeschinssen sind.
Die Kirche hatte bedeutende Umgestaltiuigen erlitten.
So wurde gegen Ende des XIV. Jahrhunderts der aus
drei Seiten des Achtecks geschlossene Chor im An-
schlüsse an das romanische Clmrcpiadrat erl)aut, und
in neuei-er Zeit das ehemals Hacli gedeckte Langhaus
um mehrere Joche verkürzt, weil niemand die Kosten
für deren Heparatur tragen wollte ■.
Feiner und reicher als im romanischen Styl_ ent-
faltet si(4i die Ordensbaukunst in der Zeit des l'ber-
ganges. Die früher bestehende ängstliche Befangenheit
tiMit zurück, und die Zahl iler entstehenden Uauwerke
von höherer Bedeutung ist im Zunehmen. Freilich wohl
ging der Orden in .seinem Übergangsstyle anders zu
Werke, hatte andere Ziele, als die allgemeinen Bau-
schulen. Er leitete in der Thal von seinen ernsten
Fiirmen zur Gothik, ohne erst eine Umkehr von der
decorativen iji)erfülle zur strengeren Weise der Früh-
gothik nöthig zu machen.
In die Grujijie der Bauten während der Üi)ergangs-
zeit gehört das Kloster Loccum. dessen einen vollkom-
nien einheitlichen Charakter zeigende Kirche um die
Zeit v(in 1240 bis 1277 erbaut wurde. Sie zeigt im
Grundrisse bereits einige Abweichungen von der herge-
brachten Form, doch schliesst sich an das Vierungsfeld
des Querschitfes das vierseitige Chorhaus, und an die
Ostseite der Seitenvierungen des Querliaues der Anbau
je eines Capellenpaaresan, die in di'r Stärke der Mauer
kleine Absiden haben. Ahnlich diesem Baue ist der des
Chors und Querschiffes an der Kirche zu Eusserthal
^ S. Miliheil. d. Cent.-C'onim. IX. In:i n f.
Lxxxm
in der Pfalz (l"2iiü) und der Osttheile des schweizeri-
schcu Klosters Kappel. Hin,i;egen zeigt der Grundriss
der mit dieser so ziemlieh gleichzeitig-en Klosterkirche
zu Zinna von aussen eine wesentliche Verschiedenheit.
Wir sehen wohl den Chorraiiiii in Mitte der vier Capel-
len , allein diese sohliessen innen halbrund, aussen mit
drei Seiten, jener ebenfalls innen halbrund, aussen mit
fünf Seiten des Achtecks.
Wie überhaupt bei den Ziegelbauten gegenüber
den Steinbauten manche Versidiiedenheiten in Folge
der Bedingungen des Materials eintraten, ebenso ist es .
mit den aus solchem Material erbauten Ordenskirchen
der Fall.
So erkennen wir noch aus den Ruinen der Kirche
zu Lehnin, dem ältesten Beispiele von aus Ziegeln
gebauten Cistercienserkirchen, Abweichungen in den
Capcilenbauten. Sic sind nicht durch Scheideniauern
getrennt, sondern bilden ein zusammenhängendes Gan-
zes, wenn auch mit gesonderten Eingängen.
Einen auffallenden Fortschritt in der Ausbildung
des Grundrisses mit möglichster Beibehaltung der
Ordcnstraditioneu zeigt die um 1222 geweihte Kirche
des Klosters Marienfeld. Wir linden hier schon den
breiten Umgang um das rechtwinkelige Altarhaus , das
aus einem ganzen und halben Gewölbequadrat besteht,
als Ersatz der Ostcapcllen des Querhauses. Ahnlich ist
die Constiuction der bereits zerfallenen Kirche zu Arns-
burg (geweiht um 1222), nur legen sich da an den
Umgang selbständige Capellen an, von denen die mitt-
lere halbrund geschlossen ist, ohne dass der Charakter
des geradlinigen Schlusses dadurch vernichtet würde;
auch die Kreuzarnie haben je eine runde Osteapelle,
ähnlich Heiligenkreuz.
In voller Ausbildung und Klarheit zeigt sich das
System der Chorausbildung in der um 1278 geweihten
Kirche zu R i d d a g s h a u s e n bei Braunschweig, wo sich
ein niedriger Umgang um das oblonge Aitarhaus legt,
an den sich eine Reihe von 14 niedrigen Capellen an-
schliesst. Genau dieselbe Behandlung zeigt der Chor der
zu Anfang des XIII. Jahih. begonnenen und 1285 vollen-
deten Ebracherkirche bei Bamberg, nur treten hier
noch Capellen an die Ostseite des Qiierschift'es, wodurch
der alte Cistercienser-Kirchentypus mehr hervortritt.
Von dem Sy^stem der Kirchenanlage zu Fontenay
einigevmassen durch das polygon geschlossene Altarhaus
abweichend, obgleich noch in der reichen Chorausbil-
dung und im geradlinigen Schlüsse derNebenräume des-
selben dem Vorbilde tveubleiljend zeigen sich die Grund-
risse der Kirchen zu Lilienfeld «, Hradist, Walken-
ried etc. Erstere Kirclie, Fig. 3. neigt sich in Construc-
tion und Detail auftallend zurGothik. Die edlen im])osan-
ten Verhältnisse zeigen schon den schlanken Charakter
der neuen Kunstweise. An das aus fünf Seiten des Zehn-
ecks geschlossene Altarhaus legt sich als Fortsetzung
beider Nebenschiffe jenseits des Querschitfes gegen Nor-
den. Süden und Osten ein doppelter Umgang nach aussen
geradlinig abschliessend. Diese Kirche, deren Grund-
stein 1202 gelegt wurde und dessen P>au Mönche aus
Heiligenkreuz überwachten, damit alles nach den Regeln
des Ordens geschehe, dürfte unter allen Ordcnskircheu
die reichste sein. Eine Fülle schönen Blatt- und Band-
werks bedeckt alle Details und verräth in den Formen die
Spuren der Frühgothik. Die Vollendung der Kirche kann
• S Jahrbutli d. Cent. Comm. II. ]u:t.
¥\g. 8 (Zwettli.
zwischen 1220 und 1230 angenommen werden. Eine
getreue Wiederholung, ja fast Copie, und in dieser Art
einzig unter den Ordenskirchen, zeigen die Trümmer der
Kirche zu Hradist in Böhmen (entstanden 1177 bis
1420)_(Fig.4). Der Grundriss zeigt bis auf das genaueste
die Übereinstimmung mit Lilienteld, selbst mit allen
Mängeln, zu denen Dr. Dohme den Chorschlnss in seiner
unorganischen Verbindung mit dem Umgang rechnet •.
Ganz den Traditionen des Ordens abhold werden
in dieser Zeit die Grundrisse der Kirchen von Otter-
berg (1200 bis 1277) und Dobrilugk (XHL Jahrb.)'
indem die Kreuzarme keinen Cajiellenbau haben und das
Altarhaus im Grijndrisse iler ersteren i)olygon, in jenem
der anderen halbrund geschlossen ist. Dessgleichen
ganz abnorm und eine Ausnahmsstellung einnehmend
erscheint die Kirche oder eigentlich die davon nur mehr
erhaltene Apsis zu Heisterbach im Siebengebirge. Die
neuen constructiven Ideen, die an diesem Baue hervor-
treten, die sichtbaren Erfolge der (Jothik in Kücksicht
auf Raumötfnung, bessere Beleuchtung und im Anpas-
' S. Mitth. d. Cent. Comm. IX, 13S.
LXXXIV
Fig. 9 ( Sedletz I.
seil der Verstrebun-
gen an (las alte Sy-
stem machen densel-
beu wicbtig. Diese um
12(i2 bis iL':;!? entstan-
dene Kircbe erkennt
D 0 h m e als unläug-
bar verwandt mit den
irleiclizeitigen Bauten
des Cölnersprengels,
wie mit der Gesammt-
heit der deutschen
Cistercienser - Kirchen,
zeichnet sich aber von
beiden durcli die inter-
essante Umdeutuug
gothischer Construc-
tions - Gedanken aus ,
deren Vorbilder wir in
Deutschland zu jener
■Zeit vergeblich suchen
würden. So finden wir
im Querschift' die Ost-
capeilcn. aber auch in
der Ausbildung des
halbrund geschlosse-
nen Chores mit Um-
gang und Capellen-
kranz das französische
Kathedrals^stem in
seiner vorgeschrittenen
Rntwicklung zum ersten Male auf deutschem Boden.
In die Übergangszeit füllt auch der Bau der Kirche
des Nonnenklosters dieses Ordens zu T i s n o v i c.
Schon zu Anfang des XII. Jahrhunderts wurde die Ge-
nehmigung zur Errichtung von Nonnenklöstern auf die
Ordensregel hin überhaupt ertheiU, allein die strenge
Zucht konnte hier nicht recht in Kraft erhalten werden,
daher es kam, dass der Orden das Entstehen solcher
Klöster nicht sehr begünstigte und sich auch nicht beson-
ders kümmerte, ob die Ordensgewohnheiten hinsichtlich
des Baues der Klosterkirche aufmerksam befolgt werden.
Der Grundriss der nm 12o9 vollendeten Ti-snovicer
Kirche (Fig. 5) zeigt uns eine dreischitfige Pfeilerbasi-
lica mit grossem Querschiff, nach Osten weithin vor-
ragendem polygonen Chor, flankirt durch zwei poly-
gonale aus dem Quersehilfe hervortretende Seitenapsi-
den. Wir sehen die Bangewohnheit des Ordens ein
Querschift mit Seiteneapellen gegen Osten anzulegen,
doch annähernd beibehalten, im Übrigen trägt die Kirche
einen selbständigen Charakter, der fast nicht an die
Eigenthümlichkeiten der Cistereienserbanteii erinnert ^
Obgleich Dr. Dohme in seinem sehr lesenswerthen
Buche die Kirchenbauten der Nonnenklöster dieses
fJrdens übergeht, so glaubten wir bei unserer Bespre-
chung die.ser Ansicht nicht folgen m sollen , schon
hauptsächlich de.s.shalb, weil wir damit versuchen, ein
Gesammtbild der Kirchenanlagen dieses Ordens im
Kaiserstaate nach Möglichkeit zu biethen.
Zur Zeit, als die Gothik sich zur allgemeinen Gel-
tung gebracht hatte, tritt die Bedeutung "des Ordens in
der Baukunst mehr und mehr in den Hintergrund, was
sich besonders im Nachlassen in den bauliehen Eigen-
' S. Jshrbucb der k. k. t ent.-Comm. III, p. iCU u S.
thümliehkeiten zeigt. Man kann annehmen, die kunst-
historische Aufgabe der Cistercienser habe tur Deutseh-
land darin bestanden, der Gothik eine schnellere Ver-
breitung zu ermöglichen. In die Zeit dieses Verbreitens
fallen fast alle Epoche machenden Bauwerke des
Ordens, für deren Bedeutung die Schönheit und Be-
sonderheit die an ihnen zu Tage tritt nicht weniger
massgebend ist, als der Umstand, dass sie in Hinsicht
auf Stylentwicklung Schöpfungsbauten sind. Zur Zeit
der Gothik bestand nicht mehr das enge Verhältniss
der Klöster unter einander, auch die Ordensregel verlor
etwas von ihrer Härte, es traten bei vielen Ordensbau-
ten Meister aus dem Laienstande auf, die Schiffe ver-
loren ihre auffallende Länge, die alten Chor- und Quer-
schiöanlagen werden wesentlich variirt, bunte Glas-
gemälde zieren die Fenster und manch anderer bisher
verpönter Schmuck macht sich am Gebäude bemerkbar.
Das erste Auftreten der Gothik geschieht in der
Ordenskirche zu Marien Stadt in Nassau, gegründet
]2l'1; der Bau lK',i:ann 1227 und wurde 1 -'24 geweiht.
Der Chor hat die Gestalt eines aus sieben Seiten des
Zwölfecks gebildeten Polygons, umgeben von sieben
halbrunden Capellen, die aus der Mauer selbständig her-
austreten, das Querschift" ist mit (»stcapellen versehen.
Ein Bau von reinerer Gothik ist die Kirche zu Kloster
Haina, zu Beginn des XllL Jahrhunderts in den For-
men der Übergangszeit nach dem Vorbilde von Fonte-
nay, jedoch mit sechs Ostcapellen, in Angriff genom-
men, wurde sie 1228 in entschieden gothischen Formen
als Hallenbau fdrtgesetzt, bis in der ersten Hälfte des
XIV. Jahrhunderts der Abschluss ertblgte.
In diese Zeit der aufblühenden Gothik fällt auch
der Umbau der Kirchen zu Porta und Amelunxboru
(gew. l.'!08), der Bau der Kirche zu Ilude (Fortsetzung
der Schifte über das Querhaus mit rechtwinkeligem
Abschluss ) und zu Choriu (ein frühgothischer Back-
steinbau mit polygonem Chorschluss).
Die entwickelte Gothik hat im westlichen Deutsch-
land nur einen vollständigen Kirchenban aufzuweisen,
nämlich jenen von Salmansweiler, welcher an der
Stelle der romanischen Kirche 1285 begonnen. 1311
vollendet wurde. Der Grundriss zeigt eine Bereichening
des von Hude und Amelunxborn; wieder ist der Chor
geradlinig geschlossen und Seitenschifte begleiten im
Norden und Süden das Altarhaus, sind jedoch durch
Capellen erweitert. Die meisten Aufgaben der Zeit der
entwickelten Gothik beschränkten sieh bei Ordens-
kirchen auf Zu- oder nur theilweise Umbauten älterer
Kirchen, oder höchstens darauf, dass ein Neubau be-
gonnen aber ni<ht vollendet wurde.
Im deutschen Südosten begegnen wir der österrei-
chisch-böhmischen Gruppe der Hallenkirchen, eine Form,
die nur hier innerhalb des Ordens zu allgemeiner Gel-
tung gelangte, ohne dass diese Anlage gerade der
Ordensaufgabe besonders entsprechen würde. Das
höchste Alter dürfte unter diesen Bauten die Kirche zu
Hohen fürt besitzen, eines Klosters, das vomWilhering
aus bevölkert wurde. Der Kirchenbau dürfte sehr lang-
sam vor sich gegangen sein, denn wenn auch nach 12.59
von einer Kirdiwcihe berichtet wird, so kann diese nur
auf den östlichen Theil bezogen werden, der westliche
trägt die unerträglichen Merkmale des XIV. Jahrhun-
derts an sich und dürfte dessen Vollendung in die zweite
Hallte desselben fallen. Der Grundriss (Fig. 6) dieser
LXXXV
Hallenkirche zeigt die ausgesprochene An-
lage des Quersehiffes mit einem aus fünf
Seiten des Achteckes geschlossenen Altar-
liause und je zwei dem Querbau gegen
Usten angeschlossene Capellcn, davon nur
zwei geradlinig schliessen.
In diese Gruppe gehört der (s. Fig. 1 1
in blühender Gothik erbaute gerade Chor-
schluss der Klosterkirche zu Heiligen-
kreuz, der die Form jenes zu Amelunx-
born hat. Er bildet ein Rechteck, durch
vier mit Halbsäulcn besetzten Bündelpfei-
ler in drei gleiche Hallen gctheilt. Drei
l'feilerpaare ausser den Vierungspfeilern
theilcn den Raum in dreimal vier Felder '.
In die Späthgothik gehört die Kirche
des um 1 327 gestifteten Klosters N e u b e r g.
Die Stiftskirche wurde um 1471 erbaut,
ist eine dreischiffige Hallenkirche , mit
.schwach angedeutetem Querschiff , die
Schiffe gleich lang und ohne besonderem
Altarhause geradlinig geschlossen (Fig. 7),
so dass der ganze Bau ein oblonges Viereck
bildet.
Eine besondere Gruppe bilden die
Kirchenbauten in den Klöstern Zwettl und
Öedletz, in denen das französische System
der Grundrisse für Kathedralkirchen ange-
nommen erscheint. An Stelle der alten
Kirche zu Zwettl begann 1335 der Neu-
bau, davon der Chor um 1348 geweiht
wurde, ein Prachtbau im wahren Sinne
des Wortes, der sich leider nur auf den
Chor und die beiden ersten Gewölbetra-
veen des Langhauses beschränkte. Der
Grundriss (Fig. 8) erinnert so schlagend
an die Notredame in Paris , dass kein
Zweifel darüber sein kann , der Meister
habe jenes Werk gekannt und an ihm
studirt. Dort finden sich die Vorbilder
tür die rechteckigen Capellen und die Fort-
führung derselben an den Seiten des Lang-
hauses. Zugleich gehört Zwettl y.u einer der ältesten
Kirchen Deutschlands , die die Hallenform mit dem
Umgang verbinden. Der Altarraum ist fünfseitig, der
mit neun Capellen versehene Umgang aus dem Achteck
geschlossen '».
Die noch bestehende Kirche des wohl nicht mehr
existirenden Stiftes Sedletz der ersten Cistercienser-
Ansiedlung in Böhmen wurde zwischen 1280 und 1320
vom Grunde aus neu erbaut, jedoch 1421 von den
Taboriten niedergebrannt. Durch mehr als 200 Jahre
blieb die Kirche Ruine, erst 1693 begann ihre Wieder-
herstellung, wobei man alles Stehengebliebene schonte
und benützte. Es ist sichergestellt, dass der in Fig. 9
mitgetheilte Grundriss der Stiftskirche unverändert blieb.
Dies ist aber fast alles, was noch vom altem P)esfande
Zeugniss gibt, denn die Wände hat das XVII. Jahrhun-
dert in seiner damals belie';ten Ausschmückung wahr-
" Hei der, E ss e n w ei n und S c h n a a s e lialten aus architektonisciien
Gründen das Ende des XIY. Jahrliunderis , K u g I c r und Feil, letzterer
gestützt auf urkundliche Xachrichteu, das Ende des \III. Jahrhunderts als die
Zeit dieses Baues. S. Mittheil. d. k. k. Cent, Comm. IV. 3lS u VI, Hl.i.
'"Ausführlich bespricht diesen Kinhenbau Freiherr v. Sacken in
Heider's und Eitelberger's Werke II.
Fig. 10 fBiiinn).
haft entstellt. Wir sehen an dieser Kirche das Kathe-
dralsystem noch mehr entwickelt und, weil der Bau
vollendet, auch klarer hervortreten. Die Kirche ist fünf-
schiffig, hat ein dreischiffiges Querschiff, jenseits dessen
sich die je zwei Seitenschiffe als Umgang um den aus
dem Achteck geschlossenen Chor vereinen, und dabei
neun polygon geschlossene und etwas vorspringende
Capellen bilden, wodurch der Umgang als eine Cou-
struction aus einem Sechzehneck erscheint. Die Kirche
hat ülirigens keinen Thurm, nur einen Dachreiter ".
Der schliesslich beigegebene Grundriss (Fig. 10),
der um die Mitte des XIV. Jahrhunderts entstandenen
Kirche des Königinkloster.s in Brunn, das ursprüng-
lich Cistercienser Nonnen bewohnten und gegenwärtig
Augustiner inne haben , beweist , wie wenig bei Kir-
chenbauten für Nonnen dieses Ordens an den Bautradi-
tionen desselben gehalten wurde, was schitn bei Gele-
genheit von Ti.siKivic erwähnt wurde '•.
Nach Besprechung der Zwettler Kirche kehrt
Dr. D o h m c wieder in die ausserösterreichischen
" S. MittUeil. d. k. k. Cent. L'oinm Vi. SIG.
'• S. Miltheil. d. k. k. Cent. Comm. VII, p 11.
LXXXVI
Länder Deutsehlands zurüik und bespricht noch die
Cisteicienserkirehe zn K a i s h e i m »^ähnlich der zu
Zweiili. geweiht 1387. und die gothischen Neubauten
zu Alteuberg und Dargun.
Als dritter Abschnitt ist diesem tür das Studium
der kirchlichen Archäologie \vichiigen Buche eine Filiu-
ti.ms- Zusammenstellung der deutschen Cistercienser-
kh'Ster beigegeben . in welcher hinsichtlich der öster-
reichischen Kliister einige Miingcl und Lücken beste-
hen , die wir hiermit zu verbessern und auszutlilleu
bereit sind. Das in Steiermark betindliche Stift Hain ",
gestiftet am 1129. ist eine Filiale von Ebrach, und sen-
dete 1154 Mönche zur Stiftung von Wilhering, und erst
als diese Stiftung einging, sandte 1 185 Kbrach eine
Colonie nach Wilhering. " 1 i"J3 wurde von Wilhering
aus das Kloster Engelszell besetzt. Auch Neukloster ist
ein Zweig des Stiftes Rain, Ton woher Kaiser Friedrieh
IV. die ersten Mönche in seine im Jahre 1444 ge-
machte Stiftung berief'*. 1620 gingen von Kain Mönche
nach Schlierbach in Ober-Österreich, wo bis dahin ein
Nonnenkloster dieses Ordens bestand. Von dem für die
Ausbreitnngdes Cistercienser-Ordens so wichtigen Hei-
ligenkreuz, das Zwettl, Baumgartenberg ü, Lilienfeld,
Goldenkron '« und Neuberg als seine Töchterstiftungen
nennt, zogen 11 42 Mönche zur Stiftung von Cicador und
1 195 von Marienberg aus, die beide, in Ungarn gelegen,
1526 eingingen. Dr. K. Lind.
Der Alterthums-Yerein in Wien.
Mit der Abendversammlnng am 3. Mai 1869 wurde
die Reihe der für die vergangene Wintersaison bestimm-
ten Vereiusabende beschlossen. Wie ursprünglich fest-
gestellt, wurden sechs Vereinsabende abgehalten, wovon
zwei, nämlich der erste und letzte, mit einer General-
Versammlung in Verbindung: gebracht werden sollten.
Es war ein recht glücklicher Gedanke, derlei Mit-
glieder-Versammlungen einzuführen und sie jährlich
fortzusetzen. Abgesehen davon, dass damit eine nähere
Berührung der einzelnen Vereinsmitglieder und dadurch
ein regerer Verkehr derselben untereinander zu Zwecken
des Vereines möglich wurde, wurde zugleich oftmalige
Gelegenheit geboten, einzelne Kunst- und archäolo-
gisch interessante Gegenstände zur Ausstellung und
Kenntniss der Mitglieder zu bringen, es wurden viele
sehr belehrende Vorträge über interessante The-
mata und Gegenstände gehalten und das Leben des
Vereines so gekräftigt, dass das Aufhören der Vereius-
abende sicherlich die Existenz des Vereines in Frage
stellen könnte.
Die Aufnahme der hoch interessanten Burg Vajda-
Hunyad in .Siebenbürgen, deren Restauration und Wie-
derversetzung in bewohnbaren Stand die ungarische
Landesvertretung ans Landesmitteln beschlossen hat,
und das Zusammentreffen mit der Herausgabe dieser
" Die Stiful^irchc za Rain blieb bis ias XVIII. jAbrbundert erhalten,
wo lie dmoD am<ebaur wurde. Kioer Abbildung zufolge war sie ein schmales
langes Gebäude rnii :;eradem Cborschlnsse ohae Qaer»cbiff und mit Dachreiter.
S. Mitlheil. d k. k. Cenl. C-imm. l^M p. XL, a. is<;5 p 2lIX.
'* Die Dreifaltigkeitakirrhe sommt Kluster war bis dahin dem Dominicaner-
Orden gehörig, der beit I-i25 dort i^e^Tlftet war und bodann in das St. Petersklo-
iter iu Wiener-Stustadi äberttedrlte.
'•' Zu haumgartrDberg dürfte die erste Stiftskirche um 1142 entstanden
sein, 13rj erhielt dm Kirche Tbitriiie mit grossen Glocken, lt2<.' wurde sie von
den HusBiteu zentört, der Neubau fällt in die Mitte des XV.' Jahrhunderts.
'* Die Kirche dieses Siift- » wurde um lifio erbaut und ist ;;rösstentheils
in ihrer ursprünglichen Form erhalten, ein g-ilhischer dreisfhiffiger Bau von
90 Schritt L.-ioge und -^4 Si-hritt SL-hiffbreite, mit t^uerschiff uod aus dem Zwölf-
eck gebildeten Chorschluss. S. Jlitlheil. d. Cent. Comm. HI, 173.
Aufnahmen durch den Wiener Architekten -Verein, ge-
nannt die „BauhUite- ' gab am 15. November 1868 dem
gefeierieu Wiener Dombaumeister und Protessor, Ober-
liaurath .Schmidt Aulass, einen kurzen aber ganz inter-
essanteu Vortrag über dieses merkwürdige Bauwerk
zu halten. Professor .Schmidt nahm die ausgestellten
Ansichten zum Ausgangspunkte seines Vortrages. Er
erwähnte, dass im Jahre 1867 diese .Schlossrnine das
Ziel einer Studienreise der Schüler der Wiener Arehi-
tekturschule wurde, nachdem durch Mittheilungen des
rrofcssors Aranyi iu Pest Kunde von diesem fern
abliegenden .Schlosse geworden, von dem es aber auch
verlautete, dass es schon Ruine sei und im Begriffe
stehe, es noch mehr zu werden.
Jedem, der den Weg gegen Siebenbürgen schon
einmal zurüikgelegt hat, wird aufgefallen sein, «ne von
.Station zu .Station der Eindruck des Ostens immer deut-
licher wird, wie das Culturleben des Westens mehr und
mehr iu den Hintergrund tritt und der Orient in seinem
Farbenglanze sowohl in der Natur als auch in der äusse-
ren Erscheinung der Bewohner hervortritt. Noch leben-
diger ist jedoch dieser Eindruck, wenn man die weite
unabsehbare Puszta verlässt und den herrlichen Grenz-
wall .Siebenbürgens überschreitet. Da auf einmal findet
man sieh fern ab von den Gedanken und Ideen, welche
den Werten beleben; man befindet sich vor den Resten
einer uralteu Cultur, deren Wurzel ganz anderswo,
nämlich im .Süden, zu suchen sind.
Eigentliümlieh wie das Volk ist auch das Land,
beinahe möchte man sagen, dass eine antike Land-
schaft auftritt ; es ist nicht der antike .Schwung des
deutschen Waldes, nicht der heroische Ausdruck der
Karpaten, sondern des Terrassengebirges, \yie ihn der
.Süden zeigt. Der Reisende, der diese Burg aufsucht,
Ulli au ihr ein ehrwürdiges Bauwerk der Vergangenheit
zu tindeu, wild sich nicht enttäuscht fühlen. Sehr
grosse Erwartungen werden übertroffen. Dem Forscher
erschliessl sich eine Herrlichkeit, die sich nicht mit
Worten wiedergeben lässt.
Es ist ein eigentliümlieh Bild, wenn man beachtet,
dass das herrliche Schloss von Hütten der Walachen
umgeben , dass dort Holzarchitektur das einzige
.Symptom von Architektur ist, welches den majestäti-
schen Bau umgibt, und dass auf dem nächsten Hügel
eine walachische Kirche steht, welche einige Spuren
gothisclier Architektur zeigt, innen aber ganz im grie-
chischen .Style ausgeschmückt ist, so dass man sagen
kann, diese Kirche mit der .Schlossruine ist eine Kunst-
Oase mitten im weiten Umkreise.
In jedem Laude , welches an und für sich eine
fortlaufende Kunstgeschichte hat, welches in ziemlich
ununterbrochener Weise gleichzeitig Kunstfonnen ge-
schaffen hat , gibt sich ein bestimmter Typus kund,
nach welchem das Alter , so wie die Entwicklungs-
geschichte mit apodyktischer Gewissheit benrtheilt
werden können. Anders verhält es sich mit Ländern,
welche aus sich selbst heraus eine selbslämligc Cultur-
Geschichte niemals entwickelt haben, sondern wo aus
anderen Gegenden Kunstideen und Kuusterzeugnisse
hineingetragen worden sind. Als ein solches Erzeug-
niss ist dieses Schloss zu betrachten. Es wurde nicht
von den dortigen Eingebornen auf Grund ihrer Kunst-
' Zahlreiche Abbildungen dieser Burg, m der Ausgabe der „Baabütte**
waren damals ausgestellt.
LXXXVII
ideen, sondern theils durch deutsche, theils durch fran-
ziisischc und theils durch italienische Hände Geschäften.
Es ist das ein hochwichtiger Punkt, welcher bei der
Beurtheiliins;- aller östlich gelegenen mittelalterlichen
Bauwerke zu lierUcksichtigeu ist.
Nun ging Professor Seh ni i d t auf die Einzelnheiten
des Baues über. AVir heben daraus nur hervor, dass
schon eine oberflächliche Betrachtung darthut, dass er
nicht aus einem Gusse entstanden ist. Es ist anzuneh-
men, dass der mächtige Fürst Miklos Hunyad diese
Burg erbaute und dass sein Sohn, der bekannte Ma-
thias Corvinus ihr erst die Ausstattung gegeben hat,
deren weitere Vollendung dem Könige Bethlen (ia-
bor zuzuschreiben ist: duch sind die urkundlichen Be-
helfe über die Geschichte dieser Burg sehr lückenhaft.
Das .Schloss ist auf einem schmalen Bergrücken
erbaut, dessen äusserste Spitze den Thurm trägt.
Schrolfe Felsabhänge, künstlich gebildete Schluchten
umgeben das Schloss. Der Bergrücken bildet in seiner
Verlängerung ein flochplateau, erhebt sich dann noch-
mals steil und fällt jenseits in ein reizendes Thal ab.
Das ursinüngliche Vertlieidigungssystem war auf dieses
Terrainverhältniss gegründet; die steilen Abhänge und
Schluchten machten die Ost-, Süd- und Westseite sturm-
frei und der Haui)tvertheidigungs]iuukt war auf die
Nordseite verlegt. Der Eingang der Burg hat sich früher
auf der entgegengesetzten Seite bei dem haliimondför-
migen Vorbau, der aus späterer Zeit herrührt, befunden.
Der jetzige Haupteiugang ist aus viel neuerer Zeit und
dürfte in Verbindung mit der Brücke ganz und gar von
Holz gebaut gewesen sein, während beide unter König
Bethlen Gabor von Stein aufgeführt wurden.
Die ursprüngliche Form der Burg wurde erweitert
höchst wahrscheinlich in der Zeit der Erfindung des
Schiess])ulvers, denn es ist auf Schussweite ein Ver-
thcidigungsthurm erbaut worden, dermit dem vollständig
massiv überwölbten Mordgange mit der Burg in Verbin-
dung steht. Mit den damaligen Geschossen war man in
der Lage, von diesem Thurme aus die Burg vollständig
zu beherrschen.
Was die allgemeine Bedeutung der Burg in architek-
tonischer Beziehung betrifft, so bezeichnet sie Professor
Schmidt nicht für ein einfaches Bollwerk, sondern
für einen grossen Sammelort, oder, wie man in der Mili-
tärsprache sagen würde, für ein verschanztes Lager, das
mit einer Menge kleiner Burgen in den Nebenthälern in
Verbindung steht. Das Ganze bildet also ein System, in
welchem die Burg Hunyad als Centralpunkt, die übri-
gen als vorgeschobene Posten erscheinen.
Sehrbeachtenswürdig ist der prachtvoll geschmückte
Saalbau mit seinen ungeheueren Dimensionen.
Professor Schmidt lenkte ferner die Aufmerksam-
keit der Zuhörer auf die fortificatorischeu Anlagen des
Gebäudes, wie auf das überall vorkommende Zurück-
springen des Fusses der Mauer; es ist das die traditio-
nelle Form der „Pechnase", welche verhinderte, dass
beim Herabwerfen der tödtlichen Steingeschosse der
Fuss der Mauer beschädigt wurde.
An der Innenseite des Ganges vor dem grossen
Saale bilden fortlaufende Erker eine Nischenreihe, aus
denen man die prachtvollste Aussicht in die Ferne ge-
niesst und es lässt sich nicht leugnen, dass die guten
Alten, bei allem Feuereifer für hohe Ziele nicht auf die
Annehndichkeiten des Lebens vergassen. Namentlich
XIV.
kann ein schönerer Baum, wie der grosse Saal mit
seinen allerdings nur mehr in Spuren vorhandenen
Säulen, Bögen und Wölbungen, mit seiner prachtvollen
Ausschmückung nicht leicht gefunden werden.
Als Anhaltspunkte, dass deutsche, französische und
italienische Hände bei dem Ausbaue thätig waren, be-
zeichnete der Vortragende vorerst den Umstand, dass
das Zeichen der Wiener Bauhütte mit dem Schlüssel
sich öfters findet. Es lässt diess keinen Zweifel übrig,
weil nur die Wiener dieses Zeichen geführt haben.
Der Grund, warum den Franzosen ein Einfluss
zugewiesen werden muss, ist, weil die Fa^ade viele
Formen zeigt, die in Deutschland keinen Anklang fan-
den, sondern rein französische Producte sind. Es scheint
die Annahme Berechtigung zu haben, dass ein französi-
scher Architekt disponirt gewesen ist und dass deutsche
Künstler den Bau ausgeführt haben, während die ita-
lienischen Künstler erst um die Zeit Bethlen Gäbor's
gewirkt haben mögen, denn es sind Theile in Renais-
sance ausgeführt, die unzweifelhaft italienischen Ur-
sprunges ist.
Nebst dem grossen lüttersaale ist in architektoni-
scher Beziehung zunächst die Capelle erwähnenswerth.
Diese ist mit der Burg durch eine Loggia verbunden.
Der jetzige Stiegenaufgang scheint secundär, wahr-
scheinlich aus der Gäbor'schen Zeit zu sein. Auch der
verborgene Gang zur Burg ist noch sichtbar, ahcr natür-
lich nicht mehr zugänglich. Höchst merkwürdig ist der
Capistran-Thurm, von dem behauptet wird, dass Capi-
stranus längere Zeit in dieser Burg sich aufgehalten
habe. —
Am 4. December 186S (2. Vereins-Abend) wurden
zwei Vorträge gehalten. Zuerst sprach Professor Bitter
V. Perger über die ehemaligen Schmiede- oder Wie-
landsäulen; es sind diess jene meistens hölzernen
Säulen , welche man in früheren Zeiten vor den Werk-
stätten der Schmiede und Wagner aufgestellt fand. Der
Obertheil war grösstentheils schraubenförmig gewunden
und die Spitze zierte der Kopf eines bärtigen Mannes,
bedeckt mit einer Krone, einem Helme oder einer Haube.
An der Säule sah man ein Ead und verschiedenartige
eigenthümliche Ausschnitte angebracht, welche die
Maasse zeigten, nach welchen gewisse Bestandtheile
eines Wagens kunstgemäss verfertigt werden mussten.
Diese Säulen waren .stets grün, oder grün und weiss
angestrichen und befanden sich bis in die Dreissiger-
Jahre unseres Jahrhunderts allenthalben aufgestellt.
Professor Per g er gibt diesen Säulen eine weit
andere und wichtigere als die einfach handwerks-
mässige Bedeutung, und greift mit ihrem Ursprung bis
in das heidnische Alterthum und die Sage zurück. Mit
grossem Geschick und in geistreicher Weise fand er in
ihnen eine innige Beziehung auf Wieland oder Weland
den Schmied, der in der germanischen Sage eine so
bedeutende Rolle .spielt, wie Hephaistos und Vulcau
bei den Griechen und Römern und Tubalkain bei den
Juden.
Im Mittelalter wurden die Werkstätten der Wafien-
schmiede Wielandshäuser genannt, das Bdd Wieland's
war vor ihnen aufgestellt und allenthalben findet man
in Deutschland Schmiedsagen, die sich in letzter Quelle
auf Wieland zurückführen lassen. Auch bei uns wurden
Wieland zu Ehren Standsäulen mit seinem Bildnisse
aufgestellt, nur vergass man allmälig die Tradition und
Lxxxvrir
die Säule sauk zum Haudwerkszeichen. Aber auch diess
bestellt nicht inelir. die Verbreiterung der Strassen, die
Änderung im Gewerbewesen und Betriebe, und vieles
andere unserer nlichterneu Zeit hat auch dieses Denk-
mal der Yolkspoesie beseitigt.
Sodann behandelte Herr Haupt die Sage vom
Venusberg und dem Tannhäuscr. Zuerst besprach er
das häutige Vorkommen der Frau Venus, der germa-
nischen Göttin Fria. in den mittelnlterlicheu Dichtern
Deutschlands, bemerkt, dass Fria in der Heldensage als
Bolfria erscheint, und des Kkkehart treulose Geraah-
liu ist. wies nach das oftmalige Vorkommen des Wortes
Venus bei geographisch-localer Bezeichnung, wie Veuus-
berg, Venusdorf etc. vornemlich iu Sehwaben. Sodann
sprach er seine Meinung ans, dass der in den Venus-
Gedichten so oft vorkommende getreue Eckhart niemand
anderer sei, als der in der deutschen Sage so hoch
berühmte Herzog Eckehart der Pfleger der Harlungc,
und verlegt dessen Sitz nach Breisach, obwohl noch
nicht mit Gewissheit. Unter Tannhauser versteht er
nicht den salzburgischen Minnesänger am Hofe Fried-
rich des Streitbaren, sondern den im Walde Hausen-
den, wahrscheinlich den Wittich der Vilcinasagar uud
versucht dabei seine Ansichten häufig durch philolo-
gische Deduetionen zu begründen. Es ist nicht zu
leugnen, dass Haupt viel beachtenswerthes und neues
vorbrachte, was von den Zuhörern um so mehr mit In-
teresse angehört wurde, als der Name Tannhäuser eben
jetzt in der ^[usikwelt grössere Verbreitung gefunden
hatte.
Am dritten Vereinsabende (15. Jänner 18G9) hielt
Se. Excellenz Carl Freiherr von Ransonnet einen
Vortrag über die nordischen Museen zu Stockholm,
Christiania und Kopenhagen. Die Zuhörer folgten mit
grossem Interesse den Wanderungen des Vortragenden
durch die einzelnen Sannulungen, von denen er jene zu
Stockholm als die bedeutendste schilderte. Das histori-
sche Museum daselbst besteht aus den Abtheilungen
der Stein-, Bronze- und Eisenzeit und aus jenen der
christlichen AlterthUmer. Unerreicht in Beziehung auf
Zahl und Mannigfaltigkeit sind daselbst die Überreste
der vorhi-storischen Steinzeit, wo die Einwohner des
heutigen Schwedens den Gebrauch der Metalle noch
nicht kannten und statt derselben Kiesel und Feuerstein
als Waffe und Werkzeug benutzten. Reichhaltig, wenn-
gleich nicht im selben Grade, sind die Sammlungen aus
der Bronze- und Eisenzeit, jenen zwei Culturperioden,
wo bekanntlich auch schon Gold und Silber und zwar
oft sehr zierlich verarbeitet wurde. Begreiflich fehlt es
in einem schwedischen Museum nicht an Inschriften ndt
runischen Schriftzügen. Die christlichen Altcrthünier des
Museums scheinen im Ganzen von geringerer Bedeutung
zu sein als jene der vorhistorischen Heidenzeit und
dürfte noch vieles im Lande zerstreut liegen, wofür
unter anderem auch der Umstand spricht, dass das
protestantische Schweden auf der letzten Pariser Welt-
ausstellung mehr und schönere mittelalterliche Mess-
gewändcr nach katholischem Ritus zur Ausstellung
brachte, als irgend ein katholischer Staat.
Als ganz eigenthündiihc Sannulungsgegenstände
des Museums zu Christiania hob Baron Ran sonnet
hervor die daselbst befindlichen (Überreste uralter nor-
wegischer Holzkirchen aus dem XI. und XII. .lahr-
hundert.
Von grosser Wichtigkeit ist das historische Museum
in der Hauptstadt Dänemarks, wo schon im .lahre 1S07
eineConimission „förNordiske Oldsager's 0|)hevarnihg-
gebildet wurde. Die Samndungen sind in einem könig-
lichen Palaste aufgestellt, die zweckmässige Anordnung
und der schön illustrirte Katalog machen den Besuch
ebenso lehrreich als angenehm, Sie umfassen die
Periode von der Steinzeit bis zur Mitte des XVH. Jahr-
hunderts.
Längcrc Zeit und ausführlicher bespricht Baron
Ran sonnet zwei iu ihrer Art seltene Arten von .\lter-
thUmern. Es sind diess die sogenannten Küehenreste und
die Moosfunde. Erstere sind Anhäufungen von .Vustern
uud anderen Muschelschalen gemengt niitTliierknoehen.
Diese Anhäufungen meistens an den Ufern des Kattegat
und der beiden Belte befindlich, l)etragen Millionen Ku-
bikscbuhe und reicht deren Entstehung weit iu die vor-
historische Zeit zurück. Unter Moosfnnden versteht man
die in den Torfmooren auf Füuen und Seeland, Jütland
und Schleswig gemachten Funde von Waffen, (Jcräthcn,
ja Kleidern und Geweben, die in den unteren Torf-
schichten lagern. Die Archäologen wollen darin eine
Kriegsbeute erkennen, welche zu Ehren der Götter, ins-
besondere Othin's, vollständig vernichtet in den Moor
versenkt wurden, ohne dass sich der Sieger irgend
etwas davon zugeeignet hätte.
An demselben Abende besprach Dr, Lind einen
Plan der Stadt Wien, den Professor Glax im Jahre
1849 in der Kartensammlung des J. M. v. Reider
zu Bamberg gefunden hatte und der nun Eigenfhum des
Dr. Georg Theodor von Karajan ist. Derselbe zeigt
zwar kein volles Bild von Wien, da die eigentlichen
Häusergruppen uudStrassenzUge fehlen, ist auch sicher-
lich nicht iu allen seinen Angaben auf JIcssungen
basirt. wird aber unstreitig durch das, was er zeigt,
ein hüchst werthvolles Denkmal von höchster Belehrung
für das Studium der Entwicklung der Siadt Wien in
Mitte des XV. Jahrhunderts. Ausser der Burg nnd der
Universität ist kein Gebäude darauf eingezeichnet, das
nicht gottesdienstlichem Zwecke gedient hätte, daher wir
wohl gegen 20 Kirchen und Capellen inner nnd ausser
der durch die Ringmauer bezeichneten Stadt sehen.
Aber gerade diese Ringmauer mit ihren Thoren undTliiir-
men ist eine der werthvollsten Angaben dieses Planes.
Nicht minder wichtig ist, dass eine Menge von Gottes-
häusern in den ehemaligen Vorstädten angegeben sind,
über deren Existenz geschweige der Situation nichts
oder weniges und unsicheres bekannt war. Auch dass
man auf diesem Plan den Weg verfolgen kann, den
einstens ein durch die Stadt geleiteter Arm des Alser-
baches nahm, erhöht seinen Werth, da dadurch eine
unter den Gelehrten bisher unbeantwortet gewesene
Frage völlig gelöst wurde.
Im Programme für den vierten Vereinsabend
(5, Febr,) waren festgesetzt Vorträge der Herren Baron
V. Sacken und k, k. Rnth Ritter v. Camesiua. Erste-
rer sprach über Ansiedlungen aus heidnischer Zeit in
Nieder-Osterreich, uud hob hervor, dass aus den zahl-
reichen in der Gegend von Horu gefundenen Steinwerk-
zeugen, von denen das k. k. Antikcnkabinet eine Aus-
wahl durch Geschenk d€s H(.'rrn Grafen Ernst v. Hoyos
besitzt, sich in Verbindung mit den Ortsverhältnissen
nele Ansiedlungspunkte einer Völkerschaft von primiti-
ver Culturstufe im Kreise ob dem Manhartsberare fest-
LXXXIX
stellen lassen. Sodann berichtet derselbe über seine im
Sommer 1868 mit Unterstützung Sr. Excell. des Herrn
Oberstkämmerers Grafen v. Crenueville unternommenen
Nacbgrabungen und Forseliungen, wek-lie bei Pott-
schach die Aufdeckung eines Urnengrab fehles, bei
Maiersdorf in der neuen Welt Funde von sehr
schönen Schmucksachen aus Bronze und die Auffindung
der Fundamente der runden Hütten ergaben , welche
die Ansiedler der Bronzezeit bewohnten, endlich bei
Kettlach die Ausdelniung des germanischen Grabfel-
des feststellten, da man bestattete Leichen mit Beigaben
von Eisen, Bronze, zum Thcil emaillirt, Thon und Glas
fand. Ein Xiederlassungspunkt schon aus der Zeit der
römischen Gccupation ist bei Ober-Bergern durch
18 Grabhügel constatirt, welche meist Gefässe römi-
scher Technik bei Brandresten enthielten. Camesina
las nach kurzer Einleitung unter allgemeinem Interesse
einige Bruchstücke aus dem im XVH. Jahrhundert im
Wiener Dome am Charfreitag aufgeführten Passious-
spiele vor. Das bisher wenig beachtete Mauuscript
befindet sich in der Wiener Hofbihliothek.
Freitag den 5. März d. J. sprach zuerst Se. Excel-
lenz Freiherr von H eifert. Er hatte sich als Thema für
seinen mit allgemeinem Beifall aufgenommenen Vortrag
die Stadt Prachatic und den goldenen Steig in Böhmen
gewählt. Beginnend von der uralten Grenzfestung Böh-
mens, die in einem um das Land sich lieruraziehenden
dichten Waldgürtel bestand , wurde sodann die ge-
schichtliche und commercielle Wichtigkeit des goldenen
Steiges als des von Passau durch den Grenzwald nach
Prachatic führenden Pfades , der wegen des reichen
bis über die Grenzen der historischen Zeit hinaus-
reichenden Waarenverkehrs den Beinamen des gol-
denen erhalten hatte, so wie auch die geschichtliche
Bedeutung dieser Stadt hervorgehoben. Schliesslich
berührte Se. Excellenz die noch vorhandenen merkwür-
digen Bauten und architektonischen Eigenthümlichkei-
ten der Stadt 2.
Dr. Kenner hielt einen Vortrag über K. Sep-
timius Severus und seine Bedeutung für die österrei-
chischen Länder. Von den mittleren und unteren Donau-
länderu ist zu Ende des HI. und zu Anfang des IV.
Jahrhunderts eine das gesammte Reich tief ergreifende
Rückwirkung, eine Restauration des zerrütteten Staats-
wesens ausgegangen, welche nach den sie begleiten-
den Erscheinungen als ein Sieg der römisch-barba-
rischen Mischbildung über die classische Cultur der
Mittehneerländer und zugleich als ein Beweis dafür
angesehen werden kann , dass die Donauländer zu
jener Zeit eine dominirende Stellung gegenüber der
Hauptstadt und den andern Provinzen des Reiches ein-
nahmen. Diese wichtige Erscheinung erklärt sich aus
der sehr günstigen Lage der Donauläuder zwischen
Morgen- und Abendland, Norden und Süden, deren
Vortheile in strategischer und commercicller Beziehung
dem illyrischen Proviucialgebiete den Vorrang verschaff-
ten. Die Bedeutung der Regierung des K. S. Severus
für die österreichischen Länder besteht nun eben darin,
dass er jene günstigen Bedingungen erkannte und zum
erstenmal und zwar in der glücklichsten und erfolg-
reichsten Weise zur Geltung brachte. Indem er sich
derselben bediente um auf den Kaiserthron zu gelan-
- Da wir den am 5. Slärz gehaltenen Vorlrag nach seinem vollen Inhalte
in einem der nächsten Hefte bringen werden , so glaubten wir uns über den-
selben hier kürzer fassen zu müssen.
gen, sicherte er der illyrischen Armee durch siegreiche
Kämpfe mit den übrigen römischen Armeen in Syrien
und Gallien, sowie durch die Aufhebung der alten bei
allen Stddateu verhassten Prätorianergarde das Über-
gewicht im römischen Reiche, welches sie auch in
der Folge, wenn gleich zu Zeiten in den Hintergrund
gedrängt, behauptete. Die Donauländer hob er durch
Neubau der Strassen und Befestigungen, namentlich
aber durch Begünstigung des Handels; au die Stelle
des unter ihm zerstörten Byzanz trat die Stadt Sirmium
(Mitrovic), in handelsgeschichtlicher Beziehung ein Vor-
bild von Constantinopel ; durch ihre Erhebung zu einer
Colonie schuf er sie zu dem vorzüglichsten Mittelpunkte
des Handels in Jlitteleuropa und der rasch aufblühen-
den Mischbildung. Sie spielte damals für so lange eine
grosse Rolle, bis sie von Constantinopel überflügelt
wurde. —
Am 3. Mai d. .1. hätte die General- Versammlung
für das Jahr 1868 abgehalten werden sollen, allein es
erschien nicht die hinreichende Anzahl von Vereins-
Mitgliedern, daher dieselbe auf den kommenden Octo-
ber verschoben und nur ein gewöhnlicher Vereinsabend
abgehalten wurde. Professor Ritter v. Perger, der eine
besondere Vorliebe für das Studium der vorhistorischen
Steindenkmale hegt und in Folge dessen im verflosse-
nen Jahre eine Reihe von beiläufig ;i(J Zeichnungen von
Dohnen, Menhirs u. s. w. zur Ansicht brachte, war durch
fortgesetzte Nachforschungen dahin geführt worden,
näher auf die geographische Verbreitung dieser Stein-
denkmale in Europa einzugehen und entwarf demnach
eine Karte, welche diese Verbreitung graphisch dar-
stellt und einen raschen Überblick gewährt. Selbe
Karte wurde an diesem Abend vorgewiesen. Im Westen
Spaniens finden sich nur sehr wenige dieser Denkmale,
jenseits der Pyrenäen aber, nämlich au der Westküste
Frankreichs, werden sie zahlreicher und nehmen in der
Richtung nach Norden immer mehr zu. Am dichtesten
finden sie sich in der Betragne und in der Normandie,
wo sich die Pfeileralleen von Carnak und der riesige
Menhir von Lockmariaker befinden. Eben so dicht sind
sie im Süden von England, namentlich in Corn^allis
und in Wales. Sie verbreiten sich dann ostwärts über
Belgien au die Mündungen des Rheins, der Elbe und
der Oder bis gegen Esthland.
Der zweite Bezirk, in welchem sie wieder in grosser
Zahl vorkommen, wird von den dänischen Inseln und
der Südküste Schwedens gebildet, so dass die Ufer
des Canals la Manche, wie jene des Kattegat und des
südlichsten Theiles der Ostsee als die eigentlichen
Centralstellen der vorgeschichtlichen Steindenkmale zu
betrachten sind. Zugleich ergibt sich aus der Betrach-
tung dieser Karte, dass jenes Volk, welches diese riesi-
gen Steindenkmale setzte, ein sehifffahrendes gewesen
sei, das ziemliche Strecken weit den Rhein und die
Elbe hinaufkam und auf der Oder bis in das heutige
Riesengebirge vordrang.
Das östliche Frankreich, Italien und das östliche
Spanien sind leer an solchen Denkmalen, da sie überall,
wo griechische Coionien stattfanden, hinweggeräumt
wurden. An der Nordküste von Afrika hingegen finden sie
sich in grosser Anzahl und lassen sich von da über
das rotheMeer hinüber verfolgen, bis nach Persien und
Indien, von wo dieses vorhistorische Volk vermutblich
seinen ersten Ausgang genommen haben mag.
11 *
xc
Den zweiten Vortrag hielt Dr. Lind. Er besprach
die grosse Jfengre der ausgestellten und von Professor
Klein angefertigten P:iusen jener Fresken, die allent-
halben das Kirehengebäude des grieehisf-h-nichtiinirten
Klosters Suczewiea in der Bukowina selnniuken, und
erging sieh dabei in einer kurzen gesehiehtlichen Ent-
wifklung der griechischen Malerei.
Die Kirche liegt in der Mitte des grossen, ein
Viereck bildenden Hofes und ist ein dem griechisch-
orientalischen Ritus entsprechendes, aber ganz einfaches
Gebäude fast ohne alle architektonische Ornanienta-
tion und Oliedernng und daher, indem man in- und aus-
wendig nur Hache glatte Wände schuf, für den l)eson-
deren Schmuck der Malerei völlig hergerichtet, mit dem
es auch wirklich allseitig im wahren Sinn des Wortes
überzogen ist.
Es sind so \"iele Bilder au den Ausscnseitcn ange-
bracht, dass das Auge des Beschauers anfänglich gar
nicht im Stande ist, die einzelnen Vorstellungen zu
unterscheiden: dessgleichen auch im Innern. Man ist bei
dem Betreten des nicht grossen inneren Raumes auf
den ersten Blick fast verblüfft über die daselbst zusam-
mengedrängte Bildermasse. Man erstaunt bei dem An-
blicke der Fülle von Figuren, welche in den verschie-
densten Grössen von 6 Fuss bis herab zu 6 Zoll sich
längs der Mauern entrollen, die sich um die Archivol-
ten schwingen, die in die Wölbungen des Baues hinauf-
klimmen und in den Kuppeln sich fast dem Blicke des
Beschauers entziehen , die sich in alle Lagen und
Längen hinein vertiefen, von allen Höhen herabsehen,
an den Wänden der halbkreistormigen Apsis stehen und
von überall uns mit düsterem Ernst anblicken.
Xun erörterte Dr. Lind in L'mrissen das Wesen
der byzantinischen Malerei und hob hervor, wie das
starre Festhalten an den einmal angenommenen Dar-
stellungen ein Merkmal der kirchlichen Malereien des
Orientes ist. Die Vorstellungen bleiben sieh zu allen
Zeiten gleich, sie mögen als Fresken oder als Mosaike
ausgeführt worden sein, sie mögen aus dem X. oder
aus dem XMI. Jahrhundert stammen.
Als eine weitere Eigenthümlichkeit der byzantini-
schen Malerei bezeichnete der Vortragende die ilurch
scharfe Umrisse und durch die Farbeukraft bewirkte
Vereinigung des historischen und symbolischen Ele-
ments. Für jedes Bild der Bi])el . des Evangeliums und
der Legende hat die griechische Ikonographie feste
und unveränderliche Formen angenommen, welche man
überall selbst im kleinsten Detail wiederfindet. Ausser-
dem zeichnen sich alle Bilder durch absolute Decenz,
durch angemessene Haltung der Figuren . durch die
Ruhe derConipositionaus. Die Personen werden als nicht
mehr von den mensclilichen Leidenschaften berührt,
dargestellt. Zeit und Ort haben fast gar keinen Einfluss
auf die Art und Weise der Bemalung der orientali-
schen Kirciien ausgeübt. Die Gewandung der Figuren
ist überall und zu jeder Zeit dieselbe geblieben und
zwar nicht nur in Form und Stellung, auch in Zeichnung
und Farbe, ja selbst bis zur Anzahl und Fülle der
Falten. So wie alle die Darstellungen sich bis zu den
untersten Kleinigkeiten gleichen , ebenso verhält es
sich mit der Vertheilung und der Aufeinanderfolge der
Darstellungen.
Der Platz, der einer göttlichen , himmlischen oder
heiligen Person angewiesen ist, ist unveränderlich. Der
Künstler wird .^clave des Theologen, er ist der Tradi-
tion unterworfen, die Erfindung, die Idee gehört den
Kirchenvätern. Der Maler ist bloss Meister seiner Aus-
führung, nur das Tecimische ist sein. Die Freiheit des
Gedankens und der Erfindttng weder in der Zeichnung
und Wahl der Figur, noch in der .Vnordnung des Cyclus,
ist niemals von der griechischen Kirche ihrem Maier
gestattet worden.
Sodann wurde hervorgehoben, dass bei solcher
l'nveränderlichkeit es unverkennbar ist, dass ein festes
Princip, ein (besetz besteht, welches von den Priestern
dem Künstler aufgenöthigt wird, ein Gesetz, das, von
Alters her geschatfen, bis heute unverändert in Kraft
geblieben ist.
L'her dieses für die kirchliche Malerei der griecliisch-
orientalischen Kirche giltige Gesetz gibt belehrenden
Aufschluss Didron in .seinem Buche vom Berge .\thos.
Er erklärt daselbst, dass diese ]\lalerei ihren Anfang
fand in dem durch Kaiser Justinian geführten Bau der
Sciphienkirche zu Constantinopel. in welcher 365 Altäre
zu Ehren aller Heiligen des Jahres aufgestellt waren.
Man machte von allen diesen Heiligen eine Beschrei-
bung und vergrösserte dieselbe allmählig durch Hinzu-
fügung von noch anderen Heiligen.
Eben eine solche durch Zusätze erweiterte Schrift
fand der gelehrte Didron gelegentlich seiner Reisen
in Griechenland in dem Jahre 1839 in vielen Klöstern
am Berge Athos. Die.se Schrift führt den Titel: „Hand-
buch der ^lalerei vom Berge Athos- =. Für die byzantini-
sche Malerei ist dieses Werk von hoher Bedeutung. Es
ist im Orient allgemein verbreitet, entstammt in seiner
erweiterten L'marbeitung von dem ^lönelie Dionisos
dem 5Ialer des Klosters Fourna bei Agra])lia und umfasst
das ganze System der griechischen Malerei. Es wird
darinnen alles gelehrt, was sich auf die Ausschmückung
der griechischen Kirchen durch Malerei bezieht.
Auch in Russland existiren viele und theihveise
durch Zusätze erweiterte Copien dieser Schrift, die mit-
unter auch mit Illustrationen versehen sind : doch sind
letztere den Bildern einer russischen Kirche nämlich
der im Hauptkloster zu Kiew entnommen.
Diesen theilweise und nur in untergeordneten
Punkten von denen des Berges Athos abweichenden
Vorschriften über die Bemalung der russischen Kirchen
gemäss, meint der Vorti'agende, mögen die Fresken des
Klosters Snczawica angefertigt worden sein.
(Schluss folgt.)
3 Aoi- dem handschriftlichen neugriechischen Vrtcxt überseUt mit An-
merkungen vüD Di d ron d. A. und eigenen von Dr. G ud e h a r d, Schäfer,
Trier 1855.
Notiz.
Das oben Seite 12.5 von Dr. Kenner besprochene Militärdiplom von Kustendje ist erfreulicherweise vor
wenigen Tagen vom k. k. Münz- und Antiken-Cabinete erworben worden.
RMlacunr : Dr. Karl l.ind. — Hrnck der k. k. Hof- and SusUdrQckcrci in Wien.
XCI
Die Doppelcapelle in den Ruinen der Kleinfeste zu
Stein in Krain.
(Mit 2 Holzschnitten.)
Fig. 1 a.
Fig. 1 b.
Nur in wenigen Beispielen haben sich bis hent
zu Tage die überhaupt nicht häufig bestandenen Doppel-
capellen erhalten. Meistens standen sie in Burgen, und
liegt im Verfalle dieser auch der Hauptgrund ihrer Sel-
tenheit in der Gegenwart. Eine der merkwürdigsten
solcher Doppelcapellen ist die im Nachfolgenden Be-
schriebene, da sie mehr als eine Doppel- eigentlich eine
dreifache Capelle ist.
Bei dem freundlichen Städt-
chen Stein erheben sich an dem
Auslaufer einer gegen den Feistritz-
fluss fast senkrecht abgeschlosse-
nen Gebirgskette die Kuinen der
Kleinfeste als Ueberreste eines
Bollwerkes vergangener Zeiten.
Auf dem weit ausgedehnten und
mit einer theilweise verfallenen
Basteimauer umschlungenen Pla-
teau befindet sich das alte Schloss-
gebäude und die niedliche im ro-
manischen Style erbaute Doppel-
capelle, welch' letztere bis jetzt
in ziemlich gutem Bauzustande
erhalten wurde. Wann diese Ca-
pelle erbaut worden ist, darüber
gibt kein Stein, kein Denkmal
einen Aufschluss. Nach der Er-
zählung älterer Schriftsteller und
namentlich nach Valvasor soll
hier ehemals ein Götzentempel ge-
wesen sein, worin ein mächtiger
Abgott gestanden, der viel ge-
wahrsagt und dem zu opfern von
weitem die Leute hergereist sind.
Abgesehen von diesen Remi-
niscenzen scheint die Erbauung
der Doppelcapelle in den Ruinen
der Kleinfeste einem Zeitalter
anzugehören, wo die kirchliche
XIV.
Baukunst bereits eine hohe Culturstufe erreicht hatte;
jedenfalls dürfte deren Erbauung zwischen das XII. und
XIII. Jahrhundert fallen, wo in Rittersciiiössern derlei
übereinander befindliche Capellen nicht selten aus-
geführt worden sind.
Die Capelle liegt sehr hoch und führt eine Stiege
zur selben empor. Sobald man diesen Stiegenaufgang
passirt, gelangt man in eine 22' breite und 11' lange
Vorhalle, welche mit einer niedrigen Holzdecke ver-
sehen und gegen den Stiegenaufgang offen ist (Fig. 1 b).
Diese Vorhalle steht mit dem Kirchenschiffe und mit der,
um die Doppelcapelle herumziehenden, nach aussen
offenen Galerie in unmittelbarer Verbindung , doch
wurde dieser Umgang um die Capelle durch die in
späterer Zeit in süil- östlicher Richtung ausgeführte
Sacristei unterbrochen. Diese offene Galerie deckt ein
auf hölzernen Siiulchen ruhendes Dach, welches so
wie jenes der Vorhalle kaum bis zur Fussboden-
ebene der oberen Capelle reicht. Bevor man von der
Vorhalle in das Innere der unteren Capelle gelangt,
präsentirt sich dem Beschauer als ein wesentliches
Merkmal romanischen Styles das Eingangsportale,
dessen profilirter halbkreisförmiger Abschluss durch je
zwei freistehende vollruude Säulen an den Seiten
getragen wird. Der gerade Sturz der Thür in der
Höhe der Säulencapitäle trägt die, um die Profiliruug
des Bogens zurückgezogene Ausmauerung des halb-
kreisförmigen Abschlusses, in welcher haut-relief ein
Kreuz mit zwei zu beiden Seiten knienden Engeln
im Brustbilde angebracht ist. Doch ist dieses Relief
schon bedeutend beschädigt. Die Capitäle des vorn ste-
henden Säulenpaares haben die Kelchform und sind
ivaq
TT
1 r—
Fig. 2.
XCII
mit Blattwerk versehen , jeue der weiter rückwärts
betiudlicheu besitzen die WUrfelforui mit Deckplatten
von irrösserer Höhe . deren Gliederuniren aus einem
Wechsel von Rundstäben und Hohlkehlen bestehen.
Der innere Raum der unteren Capelle (Fig. 2)
enthält das SchiÖ", den Chor und das Sanctuarium,
wovon ersteres eine Länge von 16' und eine Breite von
13 hat; das Sanctuarium hat hingrciren 8' Breite und
7 • ■; Länge. Der zwischen dem .'^chitl'e und dem Chore
betiudliche. portalartig mit Halbsäulchen (dabei würfel-
förmig construirte Capitäle) verzierte Triumphbogen ist
im Halbkreise geschlossen. Drei Stufen führen in der
Mauerdicke des Triumphbogens zum Chore mit seinem
geraden .Schlüsse hinan. Rechts vom Chore gelangt man
in die Sacristei, welche, wie gesagt, später zugebaut
wurde, und einen Theil der offenen Galerie einnimmt.
Das Schiff dieser unteren Capelle ist tonnenartig im
Halbkreis eingewölbt, und mit zwei Schildern in der
Richtung der Fensterachsen versehen. An der Gewölbs-
leibung sind neun aus Halbkreisen und geraden Linien
zusammengesetzte .Schilder mit breiten Bordüren von
Perlenschnüren, Bändeni und Stäben umschlungen an-
gebracht, worin dermal heilige Bilder gemalt erschei-
nen. Über dem Chore erhebt sich ein flaches Kuppel-
gewölbe. Das Sthift" hat bis zum Scheitel des Gewölbes
12 , der Chor und das Sanctuarium 1 1 Höhe.
Aus dem Schiffe der unteren Capelle ftihrt an der
linken Seite eine 2' breite Stiege zu der unter dem Chore
hetindliehen 8 '/^ breiten und 9 ' langen Krypta , deren
l'mfassungsmanern gegen Aussen eine Dicke von 12'
besitzen. Die Krypta ist mit einem gedrückten Tonnen-
gewölbe versehen, hat bis zum .Scheitel dieses Gewölbes
eine Höhe von 8' ,' und wird durch ein in der nordöst-
lichen Richtung angebrachtes Fenster erhellt.
Vom Chore der unteren Capelle gelangt man über
eine zur rechten Seite in der Dicke der Umfassungs-
mauer angebrachte schmale Stiege in die obere Capelle
(Fig. 1 a), deren innerer Raum analog mit der unteren das
Schiff und den Altarraum enthält. Die Ausdehnung des
Schiffes ist jener der unteren Capelle gleich gehalten;
der Aliarraum hat aber 12' Breite und lO"';' Länge.
Der Abschluss zwischen Chor und dem Schiffe ist in
gleicher Weise wie unten durchgeführt, nur mit dem
Unterschiede, dass hier die mit Blattwerk gezierte Kelch-
form an den Capitälern herrscht. Die Fussbodenebene
des Chores i.st in der oberen Capelle blos um eine Stufe
gegenüber jener des .Schiffes höher gestellt. Über dem
Schiffe der oberen Capelle ist ein Sterngewölbe mit
einem über den Halbkreis nur wenig erhöhten Spitz-
bogen gespannt, worauf die Rippen nicht besonders
markirt erscheinen. Die stumpfen Gewölbskanten ent-
springen aus den, in den vier Ecken angebrachten,
aufgegliederten Consolen ruhenden Halbsäulchen. Das
Gewölbe des halbrund geschlossenen Chores ist tonnen-
artig im. Halbkreise geformt. Der innere Raum der obe-
ren Capelle ist bis zum Scheitel des Gewölbes im Schiffe
13' und im Chore 14' hoch.
Was das Äussere der Doppelcapelle in den Ruinen
der Kleinfeste betrifft, so bietet dasselbe ausser dem
bereits beschriebenen Eingangsportale kein weiteres
architektonisches Interesse und es wird nur noch be-
merkt, dass über der Bedachung der Doppelcapelle seit-
wärts des Dachfirstes und ungefähr in der Mitte der
Bedachung das in achteckiger Gestalt aus Holz- und
Mauerwerk construirte Thürmchen von b' innerer Breite
emporragt, welches mit einer hohen pyramidalen Beda-
chung versehen ist. Obzwar dasselbe der jüngsten Ban-
pcii()de_ angehört, so dürfte mit Rücksicht auf die sicht-
baren Überreste in frühesten Zeiten diese Capelle ein
gemauerter Thurm geziert haben. //. Hausner,
k. k. IngeDieur.
Aus dem Berichte des k. k. Conservators Mieczyslaw
Ritter v. Potok-PotocM.
Der hohe Landtag hat im verflossenen Jahre zur
Erhaltung der Denkmäler in Galizion einen Betrag von
6.'>ijO fl. flüssig gemacht und einen solchen am h für das
laufende Jahr zu geben beschlossen. Von dieser Ge-
sammtsumme pr. 13.000 fl. entfallen für den westlichen
Theil Galiziens 7250 fl.. der Rest aber mit 5750 fl.
wurde für den östlichen Theil bestimmt und bereits zur
Verfügung des Herrn Conservators gestellt.
Über eine Vorstellung des Conservators an das
k. k. Oberlandesgericht, wegen des traurigen Zustande»
des in Leniberg bestehenden alten Grod-Gerichts-.\cten-
Archivs hat das hohe k. k. Justizministerium eine bedeu-
tende Quote angewiesen und wurde dieses Archiv in
Folge dessen in einem Theile zur gewünschten Ordnung
gebracht.
Herr von Racibovski erwirkte beim Magistrate die
Einwilligung zur näheren Untersuchung des alten Grab-
hügels bei Przenn-sl, welcher nun im Beisein einiger
Mitglieder der Krakauer k. k. Gelehrten -Gesellschaft
umgegraben wird..
In der Stadt Zolkiew wurden die auf dem Ararial-
Hause betindlichen und im rothen Marmor eingegra-
benen Inschriften und die schönen adeligen Wappen
der Familie Zolkiewski aus Privatbeiträgen gänzlich
renovirt und hergestellt.
Die alte, fast ganz zertrümmert gewesene auf den
Feldern des Dorfes Pieczychwosty befindliche und zum
Andenken zweier Schlachten mit Tataren im XVI. und
mit Schweden im XVIH. Jahrhund, errichtete Denksäule
ist durch Privatsammlungen vollkommen und schön aus
den Trümmern auferstanden und hergestellt worden.
Das schöne, aus dem XVL Jahrhund, herstammende
Grabmal in der Pfarrkirche des Ortes Rymanow ist durch
Vermittlung des k. k. Conservators in West- Galizien
Ritter v. Gorczynski entsprechend restaurirt worden.
Die mehreren Grabhügel auf den Feldern bei
Obertyn, nach der blutigen Schlacht gegen die Wa-
lachen im Jahre 1531 aufgeschüttet, später durch die
Bauern beackert, sind jetzt durch umsichtige Amts-
handlung des ehemaligen Obertyner k. k. Bezirksamtes
deutlich abgegränzt und von einer weiteren Beschädi-
gung somit gesichert.
Von den alten aus Alabasterstein geschnitzten
Grabmälern in der Dominicanerkirche in Lemberg
konnten bis nun nur zwei restaurirt werden und zwar
aus Mangel der ertbrderlichen Mitteln. Die einzige Hilfe
des Herrn Grafen Vladimir bzieduszycki von 300 fl.
und des Herren k. k. Correspondenten Dr. Sermak von
200 fl. war unzureichend, um die ganze Renovirung
vornehmen zu können. Erst jetzt nach der erhaltenen
Unterstützung von Seite des hohen Landtages werden
diese Grabmäler nach Möglichkeit restaurirt werden.
XCIII
Die schönen Frescobilder auf der Aussenseite der
Christuscapelle neben der lat. Donikirehe in Lemberg
wurden auf Kosten des Domcapitels ganz und gut
renovirt.
Die uralte, halbruinirte, in der Mitte der Ruine des
einst festungsartigen Basilianerklosters in Trembowla
vorfindliche griechisch katholische Kirche konnte wegen
des bis nunnichtgeordnetenEigenthumsrechtes auf diese
Ruine nicht restaurirt werden. Nach alten Nachrichten
soll dieser Ort der erste Sitz morgenläudischer Mönche
gewesen sein, die das Licht des Glaubens in jener
Gegend verbreitet haben.
Das Abtragen der abgebrannten schönen Basilia-
ner Kirche im Orte Wicyn ist leider vor sieh gegangen.
Das wunderschöne Rathhaus in Buczacz, welches
durch den Brand stark beschädigt war, ist theilweise
restaurirt und obwohl es nicht zu seinem ursprüng-
lichen Glänze zurückgeführt worden ist, doch wenig-
stens im Ganzen erhalten.
Die alten, als unschätzbares Andenken erhaltungs-
würdigen Festungsthore im Marktflecken Okopy sind
endlich in der Art restaurirt worden, dass sie von nun
an noch viele Jahre festbestehen werden. Der Landes-
ausschuss hat zu dieser Restaurirung einen Betrag von
350 fl. angewiesen.
Von den Kirchen in Galizien wurde jene in Zolkiew
mit einem Kostenaufwand von über 30.000 fl., dann die
alte lateinische Domkirche in Przemysl entsprechend
restaurirt. Die Ausbesserung der in letzterer inwendig
vorfindlichen alten Denkmäler wird in diesem Sommer
vorgenommen. Ferner wurde die sehr schöne Pfarr-
kirche in Horodenka durch den Beitrag des Religions-
fondes sowie auch die aus dem XIV. Jahrhundert
stammende Minoritenkirche in der Stadt Krosno her-
gestellt.
Die kleine lateinische Kirche sammt Nebengebäu-
den in der Stadt Zolkiew ist mit Beibehaltung ihrer
ursprünglichen kuppeiförmigen Gestalt gehörig herge-
stellt und die sehr schöne aus Quaderstein erbaute
Pfarrkirche in Tarnopol von der Stadtgemeinde aus-
gebessert worden.
Die uralte Pfarrkirche in Felsztyn wurde auf Un-
kosten des Gutsbesitzers Herrn Stanislaus von Katynski
umsichtig und schön restaurirt. Die darin befindlichen
merkwürdigen schrankartigen Seitenaltäre werden in
diesem Sommer ausgebessert.
Die Restaurirung der sowohl durch ihre schöne
Bauart wie auch durch die zahlreichen Wallfnhrten sich
auszeichnenden lateinischen Pfarrkirche zu Milatyn hat
schon begonnen. Tk. Bauer.
Aus Teschen.
(Mit 4 Holzschnitten.)
DerThurm auf dem am rechten Olsa- Ufer gelegenen
Schlossberge in Teschen, von dem sich eine reizende Fern-
sicht in die nahe Karpathenregiou erööuet, ist ein Über-
bleibsel des festen Schlosses, welches an dieser Stelle
stand, worüber alte Chroniken sprechen und Mauerreste,
die rings um den Thurm in grösserer Ausdehnung in der
Erde sich linden, Zeugniss geben. Auch die jetzt noch
bestehenden Mauern bezeugen, dass der ganze Schloss-
berg befestigt war, dass selber ringförmig von drei
Reihen solcher Mauern umgeben wurde, an dessen höch-
sten Punkt und in
deren Mitte das
Schloss mit dem
Thurm sich erhob i.
Zwischen einem
Theil der beiden
untern Mauern lief
ein Graben, in wel-
chem nach Art der
Casematten , Stal-
lungen etc. unter-
gebracht waren ,
von denen bei dem
Bau der Lagerkel-
ler für die nun am
Bergabhaug beste-
hende Brauerei ein
Theil aufgedeckt
wurde, bei welcher
Gelegenheit in einer
Tiefe von 4 Klafter
unter dem jetzigen
TerrainSporen,Huf-
eisen , Stallrequisi-
ten und eine mäch-
Schichte von
aus-
tige
Pferdedünger
gegraben wurde.
DerThurm Fig. 1
Fig. 1.
steht jetzt sowie die
von diesem 18 Klft.
entfernt stehende Capelle ganz isolirt auf dem in neue-
rer Zeit mit einer Parkanlage versehenen Schlossberge.
Die Schlosscapelle von runder Form, mit S'/^ Klft. Licht-
weite und einer gewölbten Kuppel ganz schmucklos
von Bruchsteinen mit innerem Verputz aufgeführt, wurde
vor dreissig Jahren zu ihrer ferneren Erhaltung um-
mauert und im italienischen Style von aussen deeorirt.
Das Innere derselben wurde erst im vorigen Jahre re-
staurirt und gemalt.
Die Capelle ist ein einfacher Rundbau von 3'/, Klft.
Durchmesser, mit 5 Fuss starker Mauer ohne unteren
Raum und Altarausbau, jedoch mit s])ity,bogigem Portal
und solchen Fenstern, darinnen M;iss\veik. Das Kup-
pelgewölbe hat keine Rippen, wie überhaupt der be-
deutend hohe Innenraum jedes
architektonischen Schmuckes
entbehrt. Sie dürfte eine Tauf
capelle gewesen sein. Bei dem
Abgange jedweder urkundli-
chen Behelfe ist die Zeit ihres
Entstehens schwer zu bestim-
men, da sich im Baue vieles
(wie der Spitzbogen und die
organische Verbindung derar-
tiger Fenster- und Eingangs-
—
n
u
.^j^ — 0-- c .,
formen) vereint, was auf des- [f[
sen Entstehen im XTV. Jahr-
hundert deutet, während der
±_
V'"z,
fii
< Wahrscheinlich wurde mit der 1164 in Teschen errichteten Castellatui
des Herzogs Mesko I. von Oppeln in Schlesien, ein derlei Wartthurm erbaul.
Bei tlolegenheit der Erhebung der Castellatur zum Herzogthtime 1-90- viel-
leicht auch in Folge der Belehnung des Herzog» C:i»imir I. mit dem Fürslen-
thumo als Lehen der böhmischen Krone unter Konig .Tohann (1.327) mag eine
bedeutende Änderung mit dem Thurme vor sich gegangen, und statt des alten
Baues ein neuer entstanden sein.
XCIV
Mangel von Strebepfeilern
und die runde Form ein
höheres Alter (XII. Jahr-
hundert) erwarten Hessen.
Nach Angabe des
verstorbenen erzherzogli-
chen Cameral-Directors
Kasperlik von Teschen-
feid, soll über den Ban der
Capelle im XIV. Jahrhun-
dert in einer Chronik oder
Urkunde Erwähnung ge-
schehen , des Thurmes
aber als schon bestehend
gedacht werden. Letzte-
rer ist ganz in seiner ur-
sprünglichen Gestalt er-
halten. Er hat eine Höhe
von 15 Klftr. 2 Fuss an
der Aussenseite. im Innern
ist noch eine Eintiefung
von 3 Klftr. dazu zu rech-
nen, die vier Seiten betra-
gen je 28 Fuss 5 Linien
(Fig. 2). Die in neuerer
Zeit vorgenommenen Re-
paraturen beschränkten
sich blos auf die Yerzwi-
ekung der bedeutenden
Sprünge des stark beschä-
digten Mauerverputzes
und auf die Eindeckung
der Bekrönung desselben.
Die ganze Gestaltung und Bauart lässt seinen mittel-
alterlichen Ursprung und seine Bestimmung, als Wart-
thnrm und zur Vertheidignng zu dienen, deutlich erken-
nen und war das an der Südwestseite des Thurmes
angebaute und erst im Jahre 18.38 abgetragene, zuletzt
als Schüttkasten benützte Gebäude, wie dessen massive
Mauern erkennen Hessen, noch ein Überbleibsel des
alten festen Schlosses.
Der Tburm ist aus Sandstein von den nahen Mistrzo-
witzer Brüchen erbaut und zwar sind der Sockel und
die Bekrönung ^ovrie die Verkleidung der Ecken von
Quadern, das übrige Mauerwerk von Bruchsteinen her-
gestellt. Der Thnrm bildet sieben Etagen (Fig. 3) und
nimmt das Mauerwerk mit der Höhe an Mächtigkeit ab,
tliiu! f I 1 r
Hg. 3.
unten 7', zu oberst 4 ), das
Fig. 4.
Zurücktreten ist nur
einmal ausserhalb
des Mauerwerks
sichtbar und durch
eine Art Sockel ge-
gliedert. Die Platt-
form wird durch
eine in neuerer Zeit
erhöhte Brustwehr
geschützt, und sind
die acht Erker mit
Gusslöchern verse-
hen. Die einzelnen
Stockwerke werden
durch Fenster be-
leuchtet , welche
theils gerade Kreuze
haben, theils nind , theils spitzbogig und ziemlich
ungleich vcrtheilt sind.
Der Thurm ist gegen Nordwest, an welcher Seite
sich der Eingang befindet, um neun ZoU überhängend,
und ist das Holzwerk der Böden und Dachung, wahr-
scheinlich durch Gewitterschhig schon mehrmalen aus-
gebrannt, wie Spuren an dem Mauerwerk deutlich
zeigen, und woher auch die bedeutenden Risse in dem-
selben ihren Ursprung haben mögen, welche, wie bereits
erwähnt, in neuerer Zeit verkeilt und ausgebessert
wurden s.
Xoch vor ungefähr 30 Jahren war unter dem mit
der Thürschwelle im gleichem Niveau liegenden Fuss-
boden die innere Sqhle des Thurmes 3 Klftr. tief, was
in letzter Zeit nach und nach ausgeschüttet wurde.
An den vier Ecken der Bekrönung des Thurmes
sind etwas vorspringend schildartige Sandsteiuplatten
mittelst eiserner Zapfen in dem Mauerwerk befestigt,
in welchem der schlesische Adler etwas erhöht ausge-
hauen ist, welche aber spätem Ursprungs zu sein
scheinen. Die Form des Adlers, die in verschiedenen
Zeitperioden gewechselt hat, wird auf die Zeit ihrer Ent-
stehung schliessen lassen, daher hier eine Zeichnung
desselben beigefügt wird (Fig. 4) s.
Dr. Gabriel.
Zur Kenntniss der G-lockenräder.
iTii: 1 H.jlzschiiiti.)
Ich habe im Jahrgange 1864 der Mittheilungen
der k. k. Centr.-Commiss. für Baudenkmale gelegent-
lich der PubHcirnng und Beschreibung eines aus dem
Augsburger-Dom in das k. bayerische National-
Museum zu München ge-
langten eisernen Glocken-
rades (p. IV.) die Hoffnung
ausgesprochen, es möch-
ten die noch sonst vorhan-
denen Exemplare dieses
merkwürdigen , urkund-
Hch hinlänglich bezeug-
ten Kirchengeräthes nam-
haft und der Wissenschaft
mittelalterlicher Archäo-
logie zugänglich gemacht
werden. Diese Hotfnang
hat sich schnell erfüllt,
indem die Redaction zu
besagtem Artikel eine
Note fügte, wo des kunst-
reichen Glockenstemes zu
Fulda gedacht wurde, und
Lübke in der neuen Auf-
lage seiner ,, Vorschule''
Seite 126 die Abl)ildung
des im Dom zu Gerona
in Spanien befindlichen
Glockenrades brachte '.
• Ausser den Dothwendigen All5be»5eningen wurden auch noch der obere
Abschla>ä des Tharmes geändert and ein hoher Zinnenkranz aufgesetzt.
> Die Adler sind unbekrönt, also in die Zeit Ton 1327 gehörig, indem in
diesem Jahre da« Wappen mit der Krone vermehrt wurde.
' Ein ganz ähnlich conetruirtet GJ-.ckenrand befindet sich in der Dom-
kirche zu GrKz, und steht bei Pontlfical-Ämtem noch im Gebrauche. Daji metal-
lene Gehäuse mag aus dem XVIII, Jahrhundert stammen.
Die RedactioD.
lÜE Mroiisd]at"j-(rnpfllf im lt. I^ritsbomt jn ^M[\.
MitthcO. A. k. k. Ccnt-Comm. I»9.
Abs a«T k. k. lief- and SUatiJniektr«i
xcv
Da das ehedem zu Fulda vorhandene Exemplar
verschollen ist, so reducirt sich die Zahl dieser bis
jetzt bekannt gewordeneu und noch vorhandenen inter-
essanten Geräthe auf zwei , nämlich das zu Gerona
und jenes im k. National -Museum zu München. Ich
bin nun so glücklich, diesen zweien ein drittes Exem-
plar anzureihen , welches einer meiner Schüler, Herr
Steigenbcrger zu Landsberg zu zeichnen und mir zu
wissenschaitlicher Erörterung zu überlassen die Güte
gehabt hat. Das hier in der Abbildung gegebene
Glockenrad befindet sich noch gut erhalten im Chor
der Pfarrkirche zu Landsberg am Lech im bayeri-
schen Schwaben und ist durch ein Gehäuse von Holz
im Renaissancestyl ausgezeichnet. Dies Gehäuse misst
ohne den obersten kleinen Aufsatz mit dem Kreuze
30 Zoll in der Höhe, 8 Zoll in der Breite in der Vorder-
und 11 Zoll in der Breite in der Seitenansicht. Wie die
Inschrift bekundet, wurde das Gehäuse im Jahre 1611
neu gefertigt und im Jahre 1775 renovirt. In der Kir-
chenrechnung vom Jahre 1611 ist zu diesem Jahre
folgender Eintrag zu lesen: „Anfertigung des Glocken-
häuschens im Chor mit 12 Glöcklein''. Die Mittheilung
dieser Rechnung verdanke ich der zuvorkommenden
Güte des dortigen Landgerichts-Assessors Herrn Hess.
Diesem urkundlichen Datum entspricht das an der
Scheibe angebrachte Eisen-Ornament mit den flammen-
artigen Strahlen vollkommen, so dass dies Rad und die
Grundform des Gehäuses derselben Zeit angehören. An
dieser runden, eisenbeschlagenen Scheibe von Holz
sind 9 Glöckchen angebracht, deren ursprünglich jedoch
12 waren. An der verlängerten, in der Scheibe festen
Achse ist eine Art Handhabe angefügt, woran sieh die
Schnur befindet, mittels welcher das Rad in Bewegung
gesetzt werden kann. Dies Denkmal zu Landsberg aus
der Renaissanceperiode schliesst stylistisch die aller-
dings noch kleine Reihe der Glockenräder ab, indem
die übrigen noch dem gothischen Style zugehören. Es
ist zu beklagen, dass das Münchner Exemplar ohne
Gehäuse geblieben ist , respective desselben im Laufe
der Zeiten beraubt worden sein mag, denn ohne con-
formen Behälter ist dasselbe gewiss nicht im Dom zu
Augsburg errichtet worden. Dem Styl zufolge setze ich
das Glockenrad zu Gerona als das früheste, reihe ihm
das jetzt zu München befindliche aus Augsburg und
diesem den Glockenstern zu Fulda an, woran sich dann
das in Rede stehende zu Landsberg als bisher einziges
Muster ansderEenaissance anschiiesst. Nicht unerwähnt
darf ich die dortige Überlieferung lassen, welche in
diesen Glockenrädern ein Vorrecht der Kathedralkirchen
erkennt und das zu Landsberg vorfindliche mit dem
zeitweiligen Aufenthalte des bischöflichen Capitels von
Augsburg daselbst in Zusammenhang bringt. Da der-
selbe jedoch in Folge der Refonnationsstürme schon im
Jahre 1540 stattgefunden, so ist nur der Fall noch
denkbar, dass zum Andenken dieser Übersiedlung
die Landsberger Pfarrkirche später mit diesem Utensil
bedacht wurde. Die von Du Gange angeführten Stellen,
zu welchen ich im genannten Aufsatze noch eine neue
aus dem Necrologium Lauresham. fügte, lassen dies
Geräthe allerdings nur in Kathedral- und Abteikirchen
erwarten, wie die erwähnte Überlieferung von dem
Glockenrade zu Landsberg voraussetzt. Gleichwohl liegt
darin noch kein entscheidender Grund, indem Urkunden
von Pfarrkirchen bei derartigen Sammelwerken bisher
noch viel zu wenig berücksichtigt worden sind. Somit
bietet auch dieses Moment für das Landsberger Glocken-
rad eine neue Seite, welche bisher in der Archäologie
unbekannt oder doch unbeachtet war. Die urkundliche,
oben mitgetheilte Nachricht sagt nichts von der vorgeb-
lichen Auszeichnung der Pfarrkirche durch dies Geräthe
und bemerkt ebenso wenig die von der Überlieferung
angegebene historische Reminiscenz an den zeitweiligen
Aufenthalt des Augsburger Domcapitels in Landsberg
oder der schon 1537 hierher geflüchteten Canoniker von
S. Moritz zu Augsburg, es wird also das genannte Ge-
räthe bis auf weiteres das erste bisher bekaimte Glocken-
rad einer Piarrkirche bleiben. Dr. Mesmner.
Die Kronschatzcapelle zu St. Veit.
(Mit einer Tafel.)
Gleichwie die deutschen Reichskleinodien unter
Kaiser Friedrich I. in einer besonders von ihm erbauten
prachtvollen Capelle des kaiserlichen Schlosses zu Ha-
genau in Elsass aufbewahrt wurden, wie ferner unter
den letzten Hohenstaufen die Schlosscapelle zu Trifcls
in der Pfalz der Hort der kaiserlichen Zierathen war,
und erst seit der Regierung des Kaisers Sigismund die
Emporcapelle über der Sacristei der heil. Geistkirche
zu Nürnl)erg der Aufljewahrungsort der deutschen
Reichskleinodien wurde, so scheint erst seit dem XVI.
Jahrhundert die Empore über der jetzt verschlosseneu
Haupteingangshalle an der Südseite des St. Veits-Domes
zur Aufbewahrungsstätte der Kleinodien und Insigiiien,
welche zur Krönung der böhmischen Könige verwendet
wurden, ausersehen worden zu sein. Nach aussen hin
ist das böhmische Krongewölbe nur an drei schmalen
Spitzbogenfenstern ersichtlich , die am Südportale
unmittelbar über der heute sehr erloschenen musivischeu
Malerei, welche aus den Tagen Karl's IV. herrührt, zum
Vorschein treten. Diese Mosaikmalerei ziert die Wand-
fläche unmittelbar über der südlichen Eingangshalle,
dort wo auch das Gusswerk Karl's IV., die Bruunen-
statue des heil. Georg, sich befindet. Die Grösse des
böhmischen Kronschatz-Gewöibes stimmt so ziemlich
mit den räumlichen Verhältnissen der darunter befind-
lichen Vorhalle überein, die am Südportale ehemals
geöffnet war. Zu dieser oberen Capelle gelangt man
vermittelst einer sehr schmalen steinernen Treppe, die
durch schwere , mit Eisen beschlagene Thüren ver-
schlossen ist. Die erste Einlassthüre zu diesem Treppen-
aufgang befindet sich in einer Ecke der westlichen Seite
der reich mit Wandmalereien verzierten St. Weuzels-
capelle. Die Empore selbst , weiche die böhmischen
Kroninsignien birgt, zeichnet sich in ihrem Innern, wie
das die beifolgende Abbildung zu erkennen gibt, durch
edle Einfachheit der Formen aus. Über jedem der drei
Fenster construirt sich ein Gewölbe, das durch zwei
Stirnbogen abgeschlossen und durch zwei sich durchkreu-
zende Gurtbogeu in vier Gewölbka]ipen getheilt wird.
Die kräftig profilirten Gurt bogen der Kreuzgewölbe
werden nicht von Wandpfcilern getragen, sondern setzen
in der Höhe der Fensterbrüstnngeu ab und sind von
Ccmsolen gestützt, die als Fratzenköpfe humoristische
und karrikirte Gesichter zeigen.
Das Kronschatzgewölbe entbehrt aller Einrichtung.
Keine Mobiliarstücke aus früherer Zeit füllen die auf-
fallende Leere des schön gewölbten Raumes. Nur als
XCM
einzigen Einriehtungsgegenstand erblickt man unter der
BrU>tuDgsmaaerdes Fensters einen einfachen viereckigen
Tisch, der mit einer grossen Decke von schwerem, unge-
musterten Sammt in rother Farbe, vielleicht aus dem
XVI. Jahrhundert herrührend, behängt ist. Auf diesem
Tische befindet sich als Aufsatz ein Kästchen von dun-
kelschwarzem Holz, das seiner Form nach dem vorigen
Jahrhundert angehört. In demselben wird die böhmische
Königskrone Karl's IV. in einer vielfarbigen Leder-
kapsel aufbewahrt. Auch das reich verzierte böhmische
Scepter ans den Tagen Rudolphs IL, und der Reichs-
apfel aus derselben Zeit finden sich in diesem kleinen
Schrein. Ferner wird auch der böhmische Krönnngs-
mantel in demselben autliewahrt. Älteren, aus der letzten
Hälfte des XIV. Jahrhunderts herrührenden Schatzver-
zeichnissen zufolge gehörten die böhmische Königs-
krone Karls IV. und die übrigen königlichen Insignien
zu den kirchlichen Kunst- und Reliquienschätzen des
Prager Domes, und befanden sich in jenem gewölbten
Räume über der heutigen Sacristei von St. Veit aufbe-
wahrt, wo auch jetzt noch der reichhaltige Reliquien-
schatz der gedachten Metropole sich befindet i.
Ein mitt«lalterliclies ÖMgeföss im Stifte NeuMoster.
'Mit 1 Holzschnitt.)
Die vom Kaiser Friedrich IV. im Jahre 1444 ge-
stiftete Cistercienserabtei Neukloster, welcher das im
Jahre 1227 gestiftete Dominicaner -Klostergebäude zu
Wiener-Neustadt übergeben wurde, besitzt ausser der
Stiftskirche und einigen dort befindlichen Denkmalen,
wozu auch das schöne Grab-
monument der kaiserlichen
Gemahlin Eleouora zu rech-
nen ist, nur noch äusserst
wenige vom kaiserlichen
Stifter unmittelbar herrüh-
rende Gegenstände. Schon
das am 27. Mai 1586 dem
Abte Laurentius Laimbrod
von den Commissären des
k. k. Klosterrathes vorge-
legte und übergebeue In-
veniarium erwähnt nur noch
sechs besonders namhafte,
werthvolle und vom Stif-
ter stammende Kleinodien.
Diese mit grosser Pietät
für den erhabenen Stifter
aufbewahrten Gegenstände
waren folgende: 1. Kaiser
Friedrichs Chrysam-Pfaidl <
mit rothen seidenen ver-
goldeten „Porten-', sammt
einem seidenen taffeten
Hemdel (Taufkleid des
Kaisers), 2. „das neue
Testament mit güldenen
Buchstaben auf Pergament
geschrieben mit silbernen
■ Aas dem Pru'htwerke de» gelehrteu C«i>ODicus Dr. Frani Bock: Die
Klcioodien des heiligen römischen Beiches deuucher Nation neUsI den Kron-
inMgniea Böhmens, fngivrnt und der l.ombu-die.
' ChrTsmm-Pfaidl-, Pfad oder Pfoad bezeichnet in eiaiecn oberdenucheu
ProTlnzen ein Hemd.
Beschlägen und „übergülth mit vier Löwen-. .3. Ein
„Plattel- Tafel- (Buchstabier- und Lesebuch aus der
Jugendzeit des Kaisers, aus dem er gelernt haben soll),
mit 5U Blättern. 4. „Ein silbervergulter Kelch-, mit den
vier Evangelisten in Schmelzwerk und den Buchstaben
A. E. L 0. U. 1437 sammt Pateue mit denselben Buch-
staben. 5. „Item ein anderer silberner Kelch und ver-
guldet-* mit den nämlichen Buchstaben und der Jahres-
zehl 1437. 6. Endlich mehre werthvolle Messkleider
von 1444, ebenfalls mit den bekannten, vielfach gedeu-
teten Buchstaben des Kaisers Friedrich IV, bezeichnet.
Das Stift Neukloster wurde zu wiederholten Malen
ein Raub der Flammen, hatte überaus zu leiden während
der Türkeneiufälle und — weil unmittelbar an der
Grenze Ungarns gelegen — auch bedeutende Opfer
zu bringen , als wiederholt erbitterte Streitigkeiten
zwischen Ungarn und den österreichischen Regenten
ausgebrochen waren.
Während alle die genannten Kleinodien in den
Drangsalen, denen das keineswegs reich dotirte Stift
ausgesetzt war, verloren gingen, hat sich fast wunder-
bar ein an materiellem Werthe freilich unbedeutendes,
aber wegen des erlauchten hohen Spenders und wegen
der Zeit, aus der es stammt, so wie auch wegen
der einfach schönen Form immerhin beachtenswerthes
Kleinod bis auf unsere Zeit in dem gedachten Stifte
erhalten. Es ist dies ein.8 Zoll hohes silber-vergoldetes
Gefäss für die heiligen Öhle.
Der Fuss dieses merkwürdigen Gefässes hat, wie
die meisten gothischen Kelche, die Form einer sechs-
blättrigen Rose, die auf einer einen glatten Rand mit
einfacher Profilirung bildenden Fussfläche ruht, die im
Lichten 3 Zoll im Durchmesser hat. Der ganze Fuss
besteht aus einem Stücke getriebenen Silbers; die einzel-
nen Felder sind glatt und erheben sich zum Nodus sich
allmäblig verjüngend. Über dem sehr einfachen Knauf
setzen sich diese Flächen so fort, dass sie sich aufwärts
erweitern und dann als Ständer die drei runden anein-
ander gelötheten Gefasse ftir die heiligen Üble tragen.
Dieselben sind li/j Zoll tief, etwa »/* Zoll breit, so dass
behufs der Salbungen der Daumen bequem eingedaucht
werden kann. Alle drei Gefässe sind von Silber, innen
vergoldet. Über ihnen befindet sich ein ebenfalls aus
getriebenem Silber gefertigter mittelst zwei Scharnie-
ren an die beiden rückwärtigen Gefässe befestigter
Deckel, der die drei Gefässe gemeinschaftlich bedeckt
und aus der Mitte spitz zulaufend zu einer einfachen
Kreuzblume sich entwickelt, an der ein silbernes 7=^4
Zoll langes Kettchen herabhängt, das am andern Ende
einen das Gefäss schliessenden Riegel hat. Der geöft'-
nete Deckel zeigt innen die den Inhalt der drei einzel-
nen Gefässe bestimmenden Buchstaben: I (Infirmorum
Oleum) 0 (Ol. Cath.) und C (Chrysam). Äusserlicb sind
diese Gefässe als für sich bestehende ebenfalls leicht
erkennbar, und rückwärts unter den beiden Scharnie-
ren befindet sich die Jahreszahl 1SS6 (144Gi, während
an der vorderen Seite die bekannten Buchstaben Fried-
rieh's IV. eingravirt sind, unter welchen ein ebenfalls
tief eingra^^rter Strich sich befindet, der ausserhalb des
Buch.staben A sich aufwärts in vier Zacken erhebt und
ein Zeichen sein soll, dass das Gefäss vom Kaiser selbst
und auf seine Kosten augeschafft worden sei.
B. Kluge,
Capitular zu Neuklostcr.
XCVII
Fundberichte aus Steiermark.
Zu Wagnitz nächst Feldkirchen unterhalb Grätz,
fand man gegen den Herbst 1868 eine Goldmünze von
von Valerian (vortrefflich erhalten).
Im Rittergraben am Königsberg, im Walde an
einem Kreuzwege, wurden Mitte November 1868 unter
dem Rasen vier Silbermünzen, meistens Groschen gefun-
den, die erheblichste derselben ist ein Thaler (Augustus •
d: G. dux • saxo • sa • roma ■ imp. 1574.)
Über den Fund im St. Leonharder Walde
nächst dem Hilmerteich bei Grätz im Sommer 1868,
gelegentlich des Baues der gräflich Attems'schen Villa,
liegen zusammenfassende Nachrichten noch nicht vor.
Zu Neudorf oberhalb Wildon, nächst St. Georgen
an der Stiefing, wurden im Februar 1869 Lanzenspitzen
und Knochensplitter ausgegraben.
Auch fand man Eisenstücke und Pferdeknochen
im Münz graben zu Grätz bei Canalbautcn.
In den Windischbücheln unterhalb Mureck. und
zwar zu St. Anna am Kriechenberg in einem Wein-
garten wurden im Februar 1869 gefunden zwei Thon-
töpfe, stärkerer Structur als die jetzzeitigen, deren
Boden c. 3" Durchmesser, obere Weite 4 — 5", H()he
5 — 6", darin viele Münzen, in einen Klumpen zusam-
mengerostet.
Zwischen P u n t i g a m und F e r n i t z , unterhalb
Grätz auf dem Feldwege fand man den 9. März 1869
einen messingenen Siegelstempel mit Wappen, der Helm
im Style des XV. Jahrhunderts tief gearbeitet , mit
Umschrift: iorg • rit • auctortfer.
Im Kalksteinbruche nächst dem Harthop fer-
grund, Gemeinde Schattleiten, oberhalb der Wein-
zettelbrücke nördlich von Grätz, fand man in den ersten
Märztagen 1869 eine römische Kupfermünze: hadrianus
istus.
Zu Gamlitz nächst Ehrenhausen stiess man in der
ersten Märztagen 1869 beim Umbaue des Schulhauses
im Keller in der Tiefe von 1' auf 2 Silbermünzen:
1. NIIC .
Büste.
2. Einseitiger Silberd. mit drei Wappen 1 auf 2, der
Reichsaar, Bargund und ? (Kreuzwa])pen '?) XVII.
Jahrh. (1622). Gr. an 0-015 Mtr. Dritttheil ausgebro-
chen.
In der Nähe des Klosters Renn, fand ein Bauer
einen messingenen Siegelstempel, Wappen ohne Be-
deckung, in 1 und 4 Schenkelkreuz, in 2 und 3 drei
Kugeln 1 auf 2. Randumschrift Sigillvm ■ confraterni-
IDI NSNENAL im Ring um die Cs.
tatis - sancti.
Dr. Fried. Fickler.
Die Auffindung der Überreste des Königs Kasimir
des Grrossen von Polen in der Domkirche zu Krakau.
Am 24. Juni d. J. gelangte an Se. Excell. den Prä-
sidenten der k. k. Central-Commission für Baudenkmale
Freiherrn v. Helfert ein Telegramm des Correspon-
denten dieser Cent.-Comm. Professor Lepkowski in
Krakau, worin letzterer in Abwesenheit des dortige*»
Conservators Anzeige von der zufälligen Auffindung
der Überreste Königs Kasimir des Grossen von Polen
machte. Auf das über diese Anzeige vom Präsidenten
der Cent.-Comm. diesfalls gestellte Ersuchen erstattete
Professor Lepkowski unterm 29. v. M. weiteren Bericht
und schloss demselben vier auf die erwähnte Auffin-
dung sich beziehende Documente in polnischem Urtexte
bei, deren Übersetzung der k. k. Ministerialsecretär
Freih. v. Päumann, seitens der Centr.-Comm. hierum
angegangen, in bereitwilligster Weise lieferte.
Aus diesen Actenstücken ist zu entnehmen: Paul
Popiel hatte sich am 14. Juni Nachmittags mit dem
Steinmetzmeister Fabian Hochstim und dessen Gehilfen
Karl Fiyc in den Dom begeben, um sieh zu überzeugen,
inwieweit die Grundfesten des Monuments Kasimir des
Grossen im Stande wären, die dazu gehörigen Marmor-
platten zu tragen, die bestimmt sind, nach ihrer Her-
stellung an dem alten Ort wieder eingefügt zu werden.
Doch schon nach den ersten Hammerschlägen, welche
gegen die östliche Wand des Denkmales geführt
wurden, lösten sich einzelne Steinchen los, mit welchen
diese Seite des Denkmales zugemauert war, und es
zeigte sich in der Wandung ein hohler Raum , bei
dessen Beleuchtung man Gebeine entdeckte, welche
sich unzweifelhaft als die irdischen Überreste Kasimir
des Grossen darstellten.
Die Gebeine, offenbar aus dem vermoderten Sarge
herausgefallen, waren von einem schweren Seidenstoffe
bedeckt. Popiel liess augenblicklich die Öffnung der
Gruft auf das sorgfältigste vermauern und den in der
Herstellung begriffenen Theil des Denkmals mittelst
eines Vorhängschlosses verschliessen, hierauf setzte er
Herrn Dr. T. Zebrawski, Leiter der Restaurirungs-
arbeiten am Monumente, und durch diesen das hochw.
Krakauer Domcapitel in Kenntniss, zugleich verstän-
digte er durch ein eigenes Rundschreiben die Mitghe-
der des von der Krakauer Gelehrtengesellschaft zur
Herstellung des Kasimir-Denkmales delegirten Comites.
Am 15. Juni hatten sich im Dome vor dem Denk-
male Kasimir des Grossen die Herren: S. Grzybovvski,
Krakauer Dompropst, Dr. T. Zebrawski, Baumeister,
Johann Matejko, Maler, ferner der erwähnte Steinmetz-
meister mit seinem Gehilfen eingefunden. Die Tags
früher wieder aufgemachte Öffnung in der Wandung
wurde erweitert. Man sah darin in der That die Gebeine
Kasimir des Grossen, geziert mit der Krone und dem
Scepter, gehüllt in einen schweren Seidenstoff, der nur
wenig vom Moder gelitten hatte. Die Höhlung des
Sarkophags, d. i. das Grabgewölbe, besteht aus drei
grossen behauenen Steinplatten. Sie erhebt sich 3 Fuss
über die Sohle (des Seitenschiffes der Kirche). Auf vier
Schienen (Rost) von dickem Eisen ruhte der hölzerne
Sarg mit den irdischen Resten des Königs. Der morsche
Sarg war geborsten und die Gebeine lagen daher auf
dem Grunde der Gruft zerstreut; nur auf den eisernen
Schienen waren hie und da noch einige grössere Ge-
beine des Skelets liegen geblieben, welche herabhän-
gende Stücke eines Überthans bedeckten.
Das nach Osten gekehrte Haupt des Königs war
noch mit der Krone bekleidet, die aus einem Stirn-
reifen, auf weichem sich 5 Lilien (Zinken) erhoben,
bestand. Die Krone, stark vergoldet, ist aus Kupfer und
mit böhmischen ungeschliffenen Edelsteinen geziert. In
der Richtung des rechten Armes erblickte mar! auf dem
Grunde des Sarkophags das Scepter, eigentlich nur
den oberen Theil desselben in der Länge von 14 Zoll;
dasselbe ist von Silber und vergoldet und trägt an der
Spitze eine Kugel mit Laubwerk geziert. In der Fuss-
gegend gewahrte man grosse Sporen von vergoldetem
CXVIII
Kupfer mit Schnallen an Riemen befestigt, die vom
Moder nicht gelitten hatten. Die eben erwähnten Ge-
genstäude wurden vom Herrn Job. Matejko sogleich
abgezeichnet. Mag sein, dass der Gürtel, der untere
Theil, d.i. der Griff des Scepters, weitere Schnallen
und Schliessen und selbst das Schwert wie auch andere
Theile des Wehrgehäuges auf dem Grunde der Gruft
unter dem Moder der Gebeine, Gewänder und Sarg-
trümmer verborgen liegen; gleichwohl gebot die Scho-
nung der nach 50*.' Jahren entdeckten königlichen
Überreste weitere Nachforschungen einzustellen. Paul
Popiel und Joh. Matejko blieben ununterbrochen bei
der offenen Gruft, um sicher zu sein, dass auch nicht
das geringste Theilchen der irdischen Hülle und der
dabei vorgefundenen Gegenstände beschädigt würde.
Professor Dr. Lepkowski, um 3 Uhr Nachmittags von
dieser Entdeckung verständigt, begab sich eilends in
den Dom. besichtigte sofort das Innere der Gruft und
widmete sich der ihm übertragenen Function.
Um 6 Uhr Abends wurden die Offnungen des
Grabdenkmales neuerdings zugemauert , mit Cement
verstrichen, mit Schnüren versehen und versiegelt.
Der Conservator Popiel verschluss die Eingänge zum
Monumente.
Am 21. Juni 1S69 um 10 Uhr Vormittags wurde
die westliche Wand des Grabgewölbes neuerlich geöffnet,
der Inhalt aus dem Innern des Grabmales herausge-
nommen und einstweilen in einem Sarge von Tannen-
holz gesammelt: nun begannen die bei der Beisetzung
einer Leiche üblichen kirchlichen Functionen, worauf
der Domkanzler und Präsident des Dombaues Karl
Teliga den Professor Joseph Lepkowski aufforderte, das
Amt des Schriftführers zu übernehmen, und den gewe-
senen Universitätsprofessor der Anatomie Dr. Anton
Kozubowski, Alles, was sich in der Gruft vorfinden
sollte, herauszunehmen. Dr. Kozubowski betrat nun das
erleuchtete Gewölbe nnd holte daraus die Gebeine,
welche von Joseph Szujski. Stanislans Graf Tarnowski
und Johann Matejko der Picihe nach dem Abte Grzy-
bowski eingehändigt wurden. Unter den herausgenom-
menen Überresten fehlten 60 (sechzig) kleinere Knochen,
deren Bruchtheile und Splitter zugleich mit Moder und
Schutt bedeckt auf dem Grunde des Grabmales Jagen:
diese Trümmer wurden aufgelesen und in einem Käst-
chen yenvahrt, um nach dem Fehlenden zu forschen,
sobald die vornehmlicheren Überrestein einem kupfernen
Sarge verwahrt sein würden. Die Überreste, genau in
derselben Ordnung, wie sie in der Gruft zum Vorschein
kamen, wurden sammt den vorgefundenen Bestandthei-
len des Skelets von Wlad. Luszczkiewicz verzeichnet.
Ausser den Gebeinen fand man eine Krone von
vergoldetem Kupfer, ein kleines silbernes Scepter (und
zwar nur den oberen Theil desselben, da der untere
Theil des Scepters von Holz war nnd daher vermodert
sein mochte). An der Spitze des Scepters befanden sich
drei Zinken. Ferner fand man einen P.eichsapfel von
vergoldetem Silber mit einem Kreuze (jedoch ohne Edel-
steine), einen goldenen Bing mit Amethyst, Sporen
von vergoldetem Kui)fer, zehn Stück silberne Knöpfe
von einem Gewände herrührend, StoffstUcke und Haar-
büscheln: endlich fand man Sargnägel und morsche
Sargreste, Theile eines eisernen Kostes (Gitters), auf
welchem der Sarg inmitten des Grabgewölbes gestan-
den haben mochte.
Der Abt S. Grzybowski nahm nun die Krone, das
Scepter, den Reichsapfel, die Sporen, den Ring, die
Knö])fe und die einzeln aufgefundenen Edelsteine der
Krone in Verwahrung, welche sämmtliche Gegenstände
sammt dem Sarge in die Wasa-Capelle übertragen wur-
den : dort legte man diese Gegenstände in den Sarg
durchzog denselben mit Schnüren und versah ihn mit
dem Consistorialsiegel der Krakauer Diöcese, auch
drückte Paul Popiel sein Conservatorsiegel darauf.
Am 8. Juli wurden alle diese Reste sammt den
beigegebenen Insignien in einem Sarge hinterlegt und
derselbe in grosser Feierlichkeit an der alten Stelle im
Grabmale versenkt '. . . .m. . .
Beiträge zur Kunde der St. Stephanskirclie in Wien.
I. Das Siegel der St. Morandus-Capelle.
(Hit 1 Holuchnitt).
Jene Capelle, die im gothiscben Style zunächst der
romanischen Facade und in Folge dieser Stylverschie-
denheit beim ersten Blick erkennbar links von den so-
genannten Heideuthürmen erbaut ist, und welche ge-
wöhnlich die Kreuz-, Eugenius- oder auch Tyrua-Capelle
genannt wird , soll nach einer früher allgemein ange-
nommenen < Meinung um 1326 durch einen Ritter Ulrich
von Tyrna erbaut worden sein.
Feil war der erste, der in seiner umfangreichen
und durch ihren Inhalt höchst werthvollen Recension des
Tschischka'schen Buches über die St. Stephanskirche»
diese Annahme bezweifelte. Seine Nachforschungen
über diese Tradition führten nicht weiter als bis zu
dem unverlässlichen Laz, als den ersten der darüber
spricht. Ist schon diese Quelle tür die Wahrscheinlich-
keit der Tradition nur in schlimmer Weise massgebend,
so wird Lazens Angabe überdies noch dadurch ge-
waltig erschüttert, dass es trotz sorgfiiltigen Verfolgens
jeder vertranenswerthen Spur nicht gelingen konnte,
aus jener Zeit einen Ulrich von Tyrna nachzuweisen,
der um 1326 gelebt haben soll, obwohl der ganze Stamm
dieses wahrscheinlich unter Otakar nach OesteiTeich ein-
gewanderten Geschlechtes sich mit ziemlicher Genauig-
keit und fast vollständig bis auf den zu St. Stephan
in der Tyrnacapelle ruhenden Georg v. Tyrna, gestor-
ben 1478, als der letzte seines Geschlechtes, wie ihn
die Grabsihrift s ausdrücklich benennt, verfolgen lässt.
Die Betbeiligung an der Stiftung und dem Ausbaue
der Capelle durch die angesehene und reich begüterte
Familie T}*ma kann zwar nicht in Abrede gestellt,
keineswegs aber für das Jahr 1326 nachgewesen wer-
den. Dass die Capelle unter Herzog Rudolph IV. ent-
standen und wahrscheinlich von ihm selbst gestiftet
worden ist, dürfte hauptsächlich dadurch zu begründen
sein, dass sie dem heil. Morandus geweiht wurde, einem
Heiligen, der hier zu Lande beinahe ungekanut war,
von dem es aber bekannt ist, dass Rudol|>h IV. auf
seine Verehrung» grossen Werth legte, und dass er der
' Wir werden in einem spateren Hefte die Abbildungen der bedeuten-
deren in diesem Grabmale gefundenen Gegenstände mit entsprechender Be-
schreibung bringen. We Redactiin.
' S. Ogesser's Beschreibung der Metr.-Kirche tu Sl. Stephan p. 137
= S. Schmidl's Blauer für Literatur und Kunst IS«. Kr. SO a. f.
' Fischer brev. nou Vind. IV. 107.
• Im k. k. Hausarchire befindet sich eine Urkunde Tom Jahre 1365
(23. 31ärzi, in der es heissl, das* Sand Morandus der des oftgenannten unters
Herrn 'Ilercrog Kudolfen des virden zu Österreich) geschlechtes gewesen ist.
S. auch Froh lieh dipl. sacr. St/r. II. 37.
XCIX
erste seiner Familie war, der die öffentliche Andacht
auf diesen Heiligen leitete, da der Legende 5 nach dieser
Heilige dem Hause Hahsburg entstannnte. Es ist demnach
sehr wahrscheinlich, dass, als man mit dem Flaue des
neuen Kirchenbaues des 8t. Stephansmiinsters ins reine
und zum ökonomischen Entschlüsse gekommen war, die
alte Stirnseite der Kirche mit ihren beiden Thünnen
stehen zu lassen, und sie nur um das zu verbreitern, was
beiläufig durch die Anlage des dreischiffigen Langhauses
nothwendig wurde, dass der Bau der Grundfesten au den
beiderseitigen Fa^adecapellen gleichzeitig mit dem Bau
der Grundfesten des Langhauses im Jahre 1359 in An-
griff genommen wurde, und ebenso wie dieser während
Rudolph's Lebzeiten energisch fortgeführt wurde. Aber
schon nach 6 Jahren war der zweite Stifter von St. Ste-
phan nicht mehr am Leben und man kann annehmen,
dass der während dieser Zeit geführte Bau sich haupt-
sächlich nur auf die Seite gegen den Bischofhof ein-
schliesslich der Facadencapelle beschränkte, aber selbst
da kaum über die Grundfesten gediehen sein mochte.
Unter Rudolph's Bruder Älbrecht HL (f 1395),
welcher gleich nach des Herzogs Tode überhaupt, al)er
seit 1378 fast ununterbrochen allein die Eegierungsge-
schäfte in Osterreich leitete, wurde die Kirche in ihrem
grössten Theile vollendet. Obgleich auch der Weiterbau
derMorandus-Capelle nicht unterbrochen worden, sicher-
lich aber nur langsam gegangen sein mag, so tritt im
Jahre 1389 ein Ereigniss ein, das die ausgiebige Re-
theiligung der Familie Tyrna an der Förderung dieses
Baues begreiflich macht, ohne dass es desshalb aus-
geschlossen wäre, dass schon früher die Familie Tyrna,
nachdem Hans Ritter von Tyrna, der Bürgermeister von
Wien und spätere Münzmeister, sich des Vertrauens
Herzog Rudolph's IV. erfreute , thätigen Antheil am
Kirchenbaue genommen habe. In den von Pez (scrip-
tores rer. austr. I. p. 116, 3. Bd.l aus einem Codex der
Wiener Dominicaner abgedruckten Aufschreibungen,
welche in deutscher und lateinischer Sprache abwech-
selnd gemacht wurden und verschiedenen dem Laufe
der aufgezeichneten Ereignisse gleichzeitigen Händen
entstammen, findet sich folgende !\Iittheilung: ^iPaul von
Tyrna ^ starb an unser Frauenabend zu der Lichtmess,
den schlueg ain laytter ze todt in den tburm dacz Sant
Steffan" .
Es ist sehr wahrscheinlich, dass mit diesem Unglücks-
falle die Veranlassung gegeben war, dass die Fandlie
Tyrna mit der Kirchs, in der eines ihrer Mitglieder, Paul
von Tyrna, unvermuthet ums Leben kam, respective
mit ihrem Neubau in nähere Beziehung trat und dass
die Brüder des Verstorbenen, Rudolph und Ludwig von
Tyrna (die sich in einer Urkunde vom J. 1388 Rudolph
von Tyrna, Hubmeistcr in Osterreich, Ludwcig und Paul
von Tyrna al dre.i Brueder, Söhne Hans von Tyrna selig,
Hubmeister in Österreich nennen) sich aufgefordert
fühlten, daselbst eine fromme Stiftung zu machen. Ob
nun diese Stiftung in der Vollendung der St. iMorand-
capelle bestand, ist zwar nicht erwiesen, aber immerhin
wahrscheinlich aus zwei Gründen. Einerseits ist uns
^ Die acta sanctornm , welche mehrere Angaben über das Leben und
die Wunderthaten des heil. Morandus enthalten, bestätigen, dass noch spätere
Herzoge aus dem Hause Habsburg diesen Heiligen besonders verehrten, so
Friedrich mit der leeren Tasche, der 14'2S dem Morandenkloster eine zwei
Schuh hohe silberne Statue dieses Heiligen verehrte. Auch sein Sohn Sigismund
hat sich als ^grosser Wohlthater dieses Klosters erwiesen.
S. Über die Familie Tyrna die Mittheilung de.s Dr. v. Franzens-
huld im Jahrb. II. für n. ö. Landeskunde p. 331, welcher von Paul erzählt,
dass er seiner Familie dureh reiche Ueirath neuen Glanz verschafft habe.
XIV.
nicht überliefert worden , in welchem der drei Thürme
das Unglück geschah; es ist demnach auch möglich,
dass der Ort nicht, wie man bisher cdine Begründung
annahm, der damals im Bau begriffene grosse Thurm,
sondern der linksseitige Heidenthurm war, daher die
Tyrna'sche Familie sich entschlossen haben mag, eben
die daran stossende bereits im Baue begriffene Capelle
zum Ausbau zu übernehmen. Anderseits liefert einen
nachhaltigen Beweis für die Mitwirkung der Familie
beim Baue das zweimalige Vorkommen des Wappens
der Tyrna ' an den Strebepfeilern der nördlichen Aus-
senseite der Capelle , und zwar erscheint dasselbe aut
unverhältnissmässig grösseren Werkstücken zwischen
den übrigen kleineren. Auch die Fagadenseite der Ca-
pelle hat in dem in Stein ausgemeisselten Stechhelme
nnt den zwei Mondsicheln im Zimier ein auf diese Fami-
lie sich beziehendes Ornament. Sollten sich diese An-
nahmen bewähren, so würde die Fortsetzung des Baues
und die Vollendung der Tyrna-Capelle bestimmt in die
Jahre 1389 bis 1394 fallen, denn in dem letzteren
Jahre muss schon der Bestand der Capelle angenonmien
werden, indem damals bereits ein eigener Caplnn derer
von Tyrna, Namens Crystan, urkundlich erscheint ». Im
Jahre 14ü3 wird diese Ca])elle gelegentlich einer Ein-
tragung in dem bei dem Wiener Stadt-Magistrate befind-
lichen Buche der Käufe (P. 246) schon mit dem Namen
der Familie bezeichnet s. Ein Jahr später erscheinen in
einer im städtischen Archiv befindlichen Urkunde „Jakob
V. Newnburkh xmd Pilgreim Meister Pilgreim's selig Son
zu den czeitenpaid chapplan und Verbeser der von Tyrna
Kappeln Sand Bloranden Stiftt dacz Sand Stephan ze
AVienu'' ausdrücklich benannt.
Die Capelle war sehr reich mit kirchlichen Gefässen
und Geräthen dotirt, wie dies uns ein im Jahre 1426
aufgenommenes Schatzinventar "> mittheilt. Dasselbe
lautet :
„Vermerkcht das Heyltum jn Sand Morandcn Cap-
pellen jn sand Steffans kirchen ze wycnn vnd ist ver-
schriben worden am phintztag vor Natiuitatis Marie
(5. September) Anno domini Millesimo quadringente-
simo vicesimo sexto vnd dapey sind gewesen Her
Achatz von Tyerna korher zu Passaw , Her Niclas
pharrer zu vtteldorfif, Her wentzla scherler jn Kirehperg
vnd ander Erber lewt vnd her Mertt von Wels dye zeit
der Cappelleu Capplan vnd her Niclas HoUeubrunner
auch dye zeyt Capplan etc.
Item, von Erst funfczehen Manstranczen vnd ain clains
Monsfraczel hat darzue gebem her Mathes von Tyerna
all silbrein vnd vergolt.
Item, grozz chrewez mit gestain silbrein vnd vergultt.
Item, ain chlains chrewtz on staiu silber vnd vergultt.
Item, ain silbreins Tauel vergult auff ainem hulczein
fuezz voller heyltum vnd ist plab gesmelczt an den
fingen.
Itein, ain Helfifcnpaines Tauel.
Item, ain Chrewzzenschär (sie) beslagen mit Messing
vnd darjnne ain Agnus dei.
' Auch im Tnn«rn der Capelle sind zwei W.appenschilde angebracht, deren
eines das Tyrna- Wappen, das andere ein horizontal gelheiltes Schild zeigt.
' Satzbuch A. Fol. 234,
3 Die Stelle lautet; Rudolph und Ludwig gebrüder von Tyrna habent
gemaclit vnd gegeben zu zwayn messen in ir kapellen dacz sand Slepiian ze
wienn ... In den ern des heiligen herrn sand Jloraut gestifft haben Ir Haus
gelegen In der Wollzeil zenachst den Münzhof etc.
10 Ich verdanke die Kenntniss dieser Mittheilung dem k. Rathe Albert
Ritter von Camesina. Das Original befindet sich im Wiener städtischen
Archiv,
Item, czwav lebel zu Ambullen knpphrein vnd verürnldt.
Jifm, aiu alts ^runs Tauell mit Hevltuem vnd ist last
hulczein vnd jnnen bekgrt mit gold.
Item, ain lidreins lädel vberezojrcn mit Messein drättcn
vnd ligeut darjnne czway silbreine krewezel ver^rolt
vnd sand Achaczen pain Saud Kathrein Oll vnd ain
irlazz mit pysem vnd dapey ain Zedel \Tid ist als
verpetscliafft.
Item, ain ledel vcrsrlast ansscn helejrt mit gold auch
veq)etsthadt mit heren Aehaez von Tyeraa pedschadt
vnd ligt darjnne vil heyltum vngenasst.
Item, ain miehiew tafel mit vnser frawen Rundung vnd
der fuezz verglast vnd darjnne vil heyltum.
Item, Sand Jörgen pild hulzein vnd vergolt mit seinen
heyltum verglast an der prust.
Item, Sand Lndweig pild hnlczein vnd vergult an heyltum.
Item, aiu lad hiikzein vnd vergolt darjnn leyt eiu gancz
kindel de Innocentibus.
Item, Im Sarich auflF dem alter sechs hawbt der aindleff
tawssend mayd.
Item, ain geweiehts vergulcz manudel (manipulum) zu
goczleichnam in einer schachtl.
Item, ein tncheins beidl mit brieffen verpetschadt mit
Herrns Achaczen von Tyema petschad.
Item, ain ledel von hören vnd belegt mit gold vnd nichts
darjune.
Item auff den hindren Altar ain tafel als ein tumdel
verguldt vnser frawn pild mitten darjnne vnd czway
vergulte pild als hulczein vnd czway giildeine fendel.
Item, czwen czynnen lewchter.
Item, ain Chelich den man zesam legt.
Item, czwen grozz kelich silbrein vnd vergult.
Item, czwo Silbrein Ampullen mit ainem silbremHosiiary.
Item, Zehen Corporal vnd funff taschen dar zue.
Item, Zwae Mespuecher.
Item, ain Mettenpueeh jn ezwain pantten.
Item, ain Gradual.
Item, czwen antiphner jn pergament.
Item, ainer in papir auch ain antiphner.
Item, ain Swarcz püchel in pergament vers Salue vnd
passiones.
Item, ain vesperal in perganiento.
Item, ain Cancioual in pergamento.
Item, Jacobellus versus super Salue Kegina jn per-
gamento.
Item, Brcuiarius jn pergamento.
Item, ^ier scyden Kappen vnd ain guideine.
Item, drei schilt mit perlein gehetft.
Item, ain prawner Ornat mit ezwain C'orrokchen geheffit
mit perlein pilden vnd drew vmbrall perlein vnd alle
andrem zugehorung.
Item, ain Swarcz samedems Mesgewantt mit ainen
perlein chrewcz vnd vnsscr frawn pild mitten darjune
auch perlein vnd all andre sein zugehorung.
Item, ain liechtplabs Samedeins Mesgewantt das
chrencz dar auff perleine pild das vmbral perlein vnd
alle ander zugehorung.
Item, czway Satplabe Mesgewant Saraedeine mit
ezwain perlein chrewczen das ain ze obrist mit ainen
perlein lebemchopf das ander ze obrist ain perkine
Rosen vnd czway vmbrall perlein vnd alle ir zuge-
horung da pey.
Item, ain Sadtplabs Mesgewant samedeins vnd das
chrewcz mit silbrein vergnlten spangen das vmbrall
perleiu mit czwaien Rosen vnd czwaicn krön mit
andern seiner zugehorung etc.
Item, czwen Sadtplab Corrokch samedein mit silbrein
vergnlten spangen hinden vnd vor an der prust.
Item, ain sadtplabs Mesgewantt ain guidein chrewcz
geuet mit seydnen pilden das vmbral mit perlein
puchstaben vnd mit anderer seiner zu gehorung.
Item, ain guldeins Mesgewantt das vmbrall auch guidein
vnd ander sein zugehorung mit dem weyssen futter.
Item, ain gnldeins Mesgewant mit einen Rotten futter
vnd das vmbrall auch guidein vnd ander sein zuge-
horung.
Item, ain alte goldeine gasel mit ainen plabem
vnderzlig.
Item, ain seydein Mesgewant Rot vnd grün das chre«iz
mit silbrein adlern vnd ander sein zugehoruugen.
Item, ein Grün seydenew gasel mit einem rotten
chrewcz mit liligen genet.
Item, ain silbreins Mesgewant mit plaber veldung mit
seiner zugehorung.
Item, czwo plab scyden Gasel tunkchelplab.
Item, ain liechtplabe gasel seydein.
Item, ain gasel zu der vasten Rot vnd weyzz.
Item, czwae vbrigen vmbrall.
Item, ain Ganiseins (Genefer) altartüch mit seydein
tollen an dem furhanng.
Item, ain altartüch mit ainen guidein furhang vnd ain
guldem portten.
1 1 e m , ain altartüch der furhang grün seydein mit gülden
portten vnd die leisten auch guidein.
Item, czwae tagleiche Altartucher mit sambt.
Item, anft' den hindern altar ain altartüch mit einem
Seydem furhang gnklein porten.
Item, ain Altartüch der furhang Rott vnd plab leinbat
anff der leisten ain guldeine portten.
Item, vier tagleiche Altartuch auch, zu dem selbigen
alter.
Item, zway seydeme Schulier Cappel.
Item, ain güts hawbtuch vnder das Corporal.
Item, ain Rotten seydein furhang.
Item, drew seydenew tucher jn der Cappellen auff ze
haben.
Item, ain guidein tuch von Tamasch auch zu ainem
furhang.
Item, sechs seydem pbannen.
Item, ain pulpid tuch gut mit seyden.
Item, sechs gemalte vasten tucher für dy pilder vnd
die Taffellen.
Item, ain gemalez tuch mit Herodes Kindlen.
Item, ain Tewich für den altar.
Item, ain pankchtüch.
Item, ain Sadtgruns partuch.
Item, drey altarstain.
Item, czwen vergult engel hulczen.
Item, czwen Kerczenstab hulczein vnd vergult.
Item, ain Rotter Stab mit einen Geniscintuili iGenue-
ser) für den alter.
Item, czway fandel.
Item, Hanttücher do man dy hendt an wischt.
Item, ain hulczein grab vergult.
Item, czwae Rauchfass Messingen.
Item, ain altartüch rat vnd plab von leinbat.
Item, czway knaben korrokchcl.
Item, ain Jesus mit ainen perlein chrenczlein.
CI
Item, ain seydem Chussel vud <ain Gcniscnstuch in
das grab.
Item, drew uewn altartnclier rot vnd i;run von seydcn
auft' den leisten guidein portten die her Wernhart ber
zu hat pracht.
Item, sechs newn phanen vnd vier chhiinew.
Item, Sand Niclas pild das dy schellin darzu hat
geben.
Item, ain Taffei mit silber dy auch dy Schellin darzu
bat geben.
Item, zwae new vmbral vou pcrlein.
Item, ain guldem chorkappen gemacht aus aim alten
rokch.
Item, czwae newe fände! auff den hindern altar grün
vnd rott.
Item, ain news altartuch auff den hindern altar auff-
gedrukcht mit pildeu.
Item, ain ratz news tuch zu dem pulpild.
Item, czwen new stäb zu den chertzen vnd vergult etc.
Nicht minder ansehnlich war auch das Vermögen
und Einkommen der Capelle, wie uns ein auf deren
Vermögen bezüglicher Gerichtsspruch aus dem Jahre
1486 lehrt, welcher im Originale sich im Archiv der
Stadt Wien befindet.
Die Lehenschaft über diese Capelle hatte nach
dem Verschwinden der Tyrna'schen Familie die Stadt
Wien, trat sie aber im Jahre 1518 mittelst Urkunde
dto. 27. April sammt dem ganzen Besitz dem jeweiligen
Cantor der Kirche von St. Stephan zur Aufbesserung
seines Einkommens gegen dem ab, dass er die alten
Stiftungs-Verpflichtungen getreu erfülle.
Nachdem die Capelle grosses Grundeigenthum
hatte, ist es auch natürlich, dass sie ein besonderes
Grundsiegel führte, welches aus dem Ende des XIV.
oder des beginnenden XV. Jahrhunderts stammen mag.
Wie die beigegebene Abbildung zeigt, ist das Siegel
von spitzovaler Form, 23" hoch und 14"' breit und führt
innerhalb einer doppelten Perlenlinie die Umschrift :
t S. fundi s. moraudi capelle, daneben Rankenorna-
ment. Im Mittelfelde auf einer Console das Kniestück
des heil. Morandus, als mitrirten Bischof in Glockeu-
casula, Stab und Buch haltend unter der Console das
Tyrna'sche Familienwappen, zwei nach aussen gekehrte
Mondsicheln auf einem Biuden-
schilde liegend <<.
In dieser Capelle befand
sich ursprünglich der Denkstein
Cuspinian's , so wie auch dort
seine Ruhestätte ist. Als man
jedoch den alten Eingang unter
der Empore verschloss , und
jenen gegen das Seitenschiff,
der noch heutzutage besteht,
durchbrach, musste der Stein
von seiner Stelle und wurde aus-
serhalb der Capelle an seinem
jetzigen Platze aufgestellt.
II. Die Kathar inen -Capelle.
Nunmehr, da die Restauration der beiden Seiten-
chöre vorläufig abgeschlossen ist (s. pag. XVII), wurde
" Dieses Wappen scheint Jans von Tyrna vor 1360 erhalten zu haben,
denn schon in diesem Jahre bedienter sicii im Siegel eines Helmes, der mit
zwei Mondsicheln am Fluge geziert ist. Die früheren Siegel dieser Familie
zeigen ein T.
ein weiterer Theil der Kirche einer eingehenden Reno-
virung unterzogen. Es ist dies die unterm grossen Thnrm
befindliche S. Kathariiien-Capelle, in der sich nebst den
Grabmalen des Bischofs Anton Wolfrath f 1639 und des
Erzbischofs Milde f 1853 auch seit 1639 der Taufstein
(s. pag. XXI) befindet. Die Kosten der Restauration
werden von einem Privaten getragen, die Restauration
leitet der Dombaumeister. Obwohl diese Capelle schon
seit ihrer Entstehung den Namen der heil. Katharina
trägt, so enthält sie doch gegenwärtig keinen dieser Hei-
ligengeweihten Altar. Der bisherige Altar ist '^ seit 1844
mit jenem möglicherweise noch aus dem XVI. Jahrhund,
stammenden schönen Kreuze geschmückt, das früher
beim Eingang in die Todtenkammer stand. Der darauf
befindliche Christus ist eine Bildbauerarbeit von hohem
Kunstwerthe, und um eben dieses Werk zu schonen,
wurde die Übersetzung des Kreuzes auf den Altar der
Capelle beschlossen, an die bisherige Stelle des Origi-
nals trat ein Metallabguss.
Die Capelle, welche mit der Substanz des Thurmes
organisch verbunden ist, und daher schon in der
ursprünglichen Planconception desselben lag, erscheint
bereits 1396 urkundlich erwähnt (s. Ogesser 129).
Auch 1404 und 1417 wird sie in Urkunden als „gelegen
auf Sand Stephan Freithoif unter dem neuen Turn-' er-
wähnt (Buch der Oblig. 131 und 153). Sie besteht aus
zwei Theilen, aus dem zwischen den Ostsfreben des
Thurmes gelegenen achtseitigen Räume und dem vor
den Thurmkörper hinaustretenden aus fünf Seiten des
Achteckes gebildeten Altarhause. Das Gewölbe des
grösseren Raumes entspricht der achteckigen Form
desselben, doch sind die die Gewölbefelder abgrenzen-
den Rippen nicht constructiv mit demselben verbunden,
sondern nur einfach vorgesetzt.
Ganz eigenthümlich ist die Bildung des Schluss-
steines. Derselbe hängt nämlich mehr als zwei Klafter
vom Gewölbescheitel als Zapfen herab und gehen von
ihm freitragende Rippen hinüber auf jene Stelleu des
Gewölbes, wo sich die Kappen über den Fenstern in
ein weiteres Dreieck theilen, diese Rippen sind mit
schönem Blattwerk geziert. Die untere Fläche des
Schlusssteines ziert das bemalte Relietl^rustbild der
heil. Katharina. Das Chörlcin besteht aus einem Kreuz-
gewölbejoche und aus einem Sterngewölbe im Schlüsse.
In jedem der beiden Gewölbe findet sieh ein platter
Schlussstein mit schönem ebenfalls polychromirten
Relief, das Lamm Gottes und den Cliiistuskopf vorstel-
lend. Die Kippen sitzen allseitig auf kleinen, aber ganz
zierlichen Blattcapitälen auf, mit denen die vom Fuss-
boden an aufsteigenden Wandsäulchen abschliessen. In
der Höhe von circa zwei Klaftern umzieht die Capelle
ein Kaffgesims, darunter ein kleeblattförmig ausge-
füllter Rundbügenfries mit Lilicnbestatz an den Schen-
keln. Die Capelle hat sieben schmale spitzbogige Fen-
ster, davon fünf zweitheilige im Chürlein (darinnen noch
Masswerk und bemalte Gläser im spitzbogigen Schlüsse)
und zwei dreitheilige im Vorräume, doch fehlt daselbst
Masswerk und bnntes Glas, auch sind diese Fenster
nnregelmässig, indem sie nur zu zwei Drittheilen geöffnet
im dritten Drittheil, das schon zum Thurmkörper gehört,
das Fenstennasswerk nur als Relief imitirt zeigen.
Nachdem wir die Capelle in ihrer architektonischen
Beschaffenheit betrachtet haben, erübrigt uns noch ein
*" S. darüber Mittheit. d. Alterthums-Vereines 1869 p. 342. Anmerk. lu.
CII
Blick all! ihren dermaligen Zustand und die Aufgrabe
ihrer Kcstauration. Vor allem muss hervorirehobeu wer-
den, dass sie eonstruetiv, nämlich hinsichtlich der Be-
sebatfeuheit des Gewölbes, geradezu iui Ar^^en lie^n. Es
ist demnach die erste und vorzugsweise Aufirabe der
Restauration, dass das Gewulhe wieder «rekrälii^n werde,
zu welchem Behüte jener Tiicil des Octo-ou-Gewöll)es,
der aus den Thurmkörper hinaustritt, neu zu machen ist.
Von gleicher Schwache sind die sich vom hängenden
Sehlussteine abtrennenden und frei schwingenden Kip-
pen, die jetzt, um die Arbeiter nicht zu gefährden, mit
Stricken befestigt werden mussten. Von nicht minderem
Belang ist die arge Misshandlung, die die Capeile im
Laufe der Zeiten durch die Tünchquaste erlitt. An
manchen Stellen erreicht die Tünchkruste \-ier Linien,
überall aber ist sie wenigstens zwei Linien dick, zum
ÜbeiHuss wurde die jüngste Ubertünchung mit einer
dicken dunkelgrauen Farbe gemacht und der damalige
Maler, von lebhattem Streben nach Gleichheit der Farbe
ergriffen, verschonte bei diesem Acte weder Kippe, noch
Schlussstein, weder Capital, noch Fenstermasswerk;
alles erhielt den gleichen schmutzig grauen Ton. Kur
die drei Schlusssteinreliefs blieben unversehrt.
Diese dunkelgrauen Kalkmassen, die den Blättern
im Capital und Schlussstein die scharfe Kante ganz
nahmen und sie in ihrer wirklich schönen Form wesent-
lich beeinträchtigten, mussten überall entfernt wer-
den, um zu sehen, wie die ursprüngliche Beschaffenheit
der Mauer und der Ornamente war. Die Wände wurden
gesäubert, die Capitäle und der Blätterkrauz im hän-
genden Schlusssteine wurden mit grösster Schonung
von der Tüuchhülle befreit und es zeigte sich, dass
alle Rippen an ihrer Zusammenstossstelle einfach blau-
grün oder roth, das Kranzornament am Schlusssteine
theilweise vergoldet und endlich das ganze Innere der
Capeile mit einer dünnen ockergelben Farbe über-
malt war.
Dem Vernehmen nach ist es die lobenswerthe Ab-
sicht des die Restauration leitenden Sachverständigen,
der Cai)elle unter möglichster Schonung des Bestehen-
den ihr ursprüngliches Aussehen und ihren gebührenden
Schmuck wiederzugeben, in ihr statt des schwerfälligen
Zopfaltars einen dergothischen Architektur entsprechen-
den Altar zu erbauen und die Spitzbogenfenster im gebüh-
renden Farbenschmucke wieder prangen zu lassen. Da
diese Restauration mit so richtigem Verständniss und
in massvoller Weise durchgelührt wird , wünschen
wir, dass sich noch allerorts viele Wohlthäter finden
mögen, die sich für solche Acte von Pietät begeistern und
die Bestreitung von derlei Kosten auf sich nehmen, und
dass bei allen Restaurationen, so wie hier, der rechte
Mann getroffen w^erde, der sich der Durchführung der
Sache unterzieht, aber auch dafür das entsprechende
Wissen und die beste Erfahrung hat.
III. Wiederaufgestellte Grabmale im recht-
seitigen Chore.
In Fortsetzung der Mittheilungen über die wieder-
aufgestellten Grabdenkmale im sogenannten Frauenchor
der St. Stephanskirche (pag. LVIj, wollen wii; nun über
jene in Kürze eine Mittheilnng machen, die sich im
rechtsseitigen Chor (Passionschorj befinden, und nach
der Restauration wieder, wenn auch nicht alle auf ihren
früheren Plätzen, aufgestellt wurden; dafür sind sie
sämmtlich an der rechtsseitigen Mauer in einer das Lesen
derliischrilten betjuem ermöglichenden llrdie angebracht.
Wenn wir vom Chorschlusse beginnen, so reihen
sich die Gedenksteine in folgender Weise aneinander:
I.Grabmal der Antonia Gräfin von Mi^azzi tl773 '^.
2. Monument des Johann Gschwind von Pöckstein,
seiner Frau Magdalena Barbara und seiner Tochter
Maria Kegina '*.
3. Das Grabmal des durch seine Thätigkeit wäh-
rend der zweiten Türkenbelagerung Wiens berühmten
Arztes des Dr. Paul v. Sorbait f 1691 «s.
" Eine kleine Tafel aus rothcm S&lzburger Marmor, darauf mii gravirteD,
TcrgoIdetOD Bucti&tabeu die lu^chrii't:
aiitlioniaü uiicbaelJs caspari
comitib do migazzi de vaal
cae!>arei cubicularü
et ab intiiniä con±iiliie>
trideuti et roboreti csiiitanei
et mariae dorotbeae comitis^ac
ab arlz et vasseg ßliae barbara comitis
Joanoig de 5taray coujux
sorori amatis»imae
mOfStissima po:]Uit
Tixit auQis XVII diebus XXIY
obiit
II Januarii MDCCLXXIII.
Das Wappen dieses ans dem allen Veltlin nacli TyrnI cingewanderleu
Geschlechts, in weissem Marmor ausgeführt, i^t quadrin, hat über den ganzen
Schild eine echrägrechte Kinde mit drei Lilien darauf. 1. und 4. Veld eine
Sonne, 2. und 3. ein castilischer Thurm mit offeuem Th><r. l>a& Schild ist mit
drei Helmen überdeckt, deren mittlerer einen wachsenden Greifeukopf zeigt,
der 2ur Hechten einen Thurm und zur Trinken eine Sonne aU Zimier hat.
** Eine rotbmarmorne b.iuchichte Platte von quer ovaler Korm. mit von
Scalptur reicbgeschmticktem Kaud ; in der Mitte das Inschriftfeld , darauf
steht:
Siste viator et inspice.
Ac postquam legisti n^nni&i bene mortuis apprecando tibi ipsi vero quo citiut»
eo melius consulendo subscribe monumeuto, quc-d optimis (fama publica teste)
pareniibus perillustri domioo domino joanni. Gschwind a Paeksiein equiti
carintho sac* caes. maj. Ferd. III. consiliario et generali tani campi quam
aulae bellico questori, qui anno MDCI.VIII aet. LIV. Necdum iuiegro XV.
maji Vieunae obüt et conjugi ipsius lecti:^simae Reginae natae Schrökingt-rin
q. a. MOCLXII act. LI. nondum completo XXII xbris pie pariter Vienuae
obdormivit n. absque lacrimis, ex testamento posueruut illor. filü et tiliae
Joann. Martin. Georg, ludavicus, franciscus, Christoph, maria margaretha,
maria felicitas et huic gemtua maria regiua, quae licet natu ultima prima
nihilominus a- MDCLXXVI act. XXIV vix ante biduum adimpleto XX VII
augusti Viennae etiam mortis victima obtinuit et nunc unacum Parentlbus
quibus hie consepulta jacet veoiturum in illa de tremcuda regem majestatis
expectat.
Darunter auf einer kleinen besonderen Inschrifttafel : cum reneris domine
judicare noli nos condemnare.
Johann Gschwind v. Pöckstein kärntnerischer Landstand, war von l*i51
bis 166S kais. Rath, Hof- und Generalkriegszahlmeister des Kaiser Ferdi-
nand III. und starb 1658. Von den sechs Kindern führt Wies gri 1 1 (Schau-
platz VI. 43-4 n. i. A.) nur zwei an, nämlich Joh. Martin, späteren Freiberrn
von Gschwind und Maria Margaretha vermählt mit Joh. Edlen t. Fabrizzi.
M. Felicitas surb am 15- März IGSS und ruhet zu Klagenfuri.
Das am Grabmale angebrachte und bekrönte Doppelwappen zeigt im
1. Schilde einen wach.senden Bären mit silbernem Halsband und daran hängen-
der Kette, im 2. eine sitzende Heuschrecke.
i^Eine Tafel aus rotheo Salzburger Marmor, darauf mit goldenen Lettern
folgende Inschrift:
De stercore erigens pauperem Psalm 112.
Paulus de Sorbeit in Belgio natus hie denatus, musicus, orator, pbilo-
eophus, miles, medicus, professor, archiater, rector magniiicus, mendicus, nihil
musicus fui, ut bonam viiae mensuram servare
orator, ut me ad boiium vitae epilogum dirigere
phik'Sophus, ut vitam contemuere
miles, ui dura tolkrare
medicus, ut aliis serviendo me consumere
Professor, ut alios promovendo me deprimere
rector magniiicus, ut prlvilegia defendere
aulicus. ut aliis nun mihi servire
discerem ai amara mors
et ad musici modulationes
et ad oratoris persuasiones
et ad pbilosopht argumentaliones
e I ad militis comminationes
et ad professoris lectiones
et ad medici rccL'ptiones
et ad rectoris defcneiones
et ad aulici moriiticationes
surda me rapuit
nunc mendicus sum et nihil
rogo te, ora pro me
obiit iinnn i»;9l die 29. mensls aphl
actaiis LXVII annorum.
Über dem Monuitiente ist das Wappen aus weissem Marmor angebmchl,
selbes ist senkrecht getheilt. Das 1. Feld ist horizontal und unten neuerdings
t'Lspalten. Im oberen Felde sind zwei übcreiuanderstehende Vogel, im unteren
rechts ein l^oppeladler, links eine' Lilie sichtbar, im andern Felde ein Baum.
i'lier dem Scliilde ein Turnierhclm mit einem Büschel Straussenfedern. Unten
ist am Monumente noch eine kleine Tafel aus weissem Marmor aiigebrachi,
dieselbe stellt en relief den Verstorbenen vor einem Kreuze kniend vor. I>er
hier Ituhende war Leibarzt der Kaiserin Eleonore und Anführer des bewaff-
neten Studentencorps während der zweiten TÜrkenbelagerung liiäü. (s- Mittb.
d- Alterlhuras-Vereines Vlil, pag. 11).
cm
4. Monument ftlr den im Jahre 1641 verstorbenen
Jacob BerthoUl Freihurru von Ungerschütz »ß.
5. Der Gedächtuissstein für den Hofbuchhalter
Michael Kern f 1667 ".
6. Grabstein des Dompropsten Augustin Zwerger
t 1648 1^
7. Grabmal des Hieronimus Joseph Franz von Paula
Grafen von Colloredo-Wallsee, Erzbischofs und letzten
souveränen
1732 tö.
Keicbsfürsten von Salzburg, f 1- Mai
'ß Eine von zwei Engeln gehaltene, draperieartig geformte schwarze
Marui"rplatte, auf roiher Unterlage, darüber zwei Wappen aus Bronce, deren
eines cjuadrirl im 1. und -1. Felde einen einköpligen gekrönten Adler, im 2.
und 3. einen Löwen unter einem doppelten Sparen zeigt. Das zweite "Wappen
i$t horizontal getheüt, und zeigt einen wachsenden Greifen, ein Schwert in
der Tatze, das untere Feld ist überdiess senkrecht getheiU, und hat im einen
Feld drei Kogeln (1 — 2) im anderen zwei schrägrechte Binden.
Die Inschrift lautet:
illustrissimus d. d.
jacobus bertholdus 1. b. ab. ungerschiiz, frading | pullitz et radiiig dominus
in podendorff augus | -tissimorum imperatorum Ferdinandi quondam se | cundi
et Ferdinandi teriü a consiliis camerae | inip«?rialis aulicae director, exeelsi
regiminis infra j aunasuni cousilianus justitiae et equitatis ama | tor erat
cameralis desperatis temporibus, auctor religionis catholitae pluriniis in lo [
eis niaxime pore in austria buperiore propagator | et stabiliter viduarum et
pupillorum in l defes^us adjutor, pauperum benefactcr juris con | -sultus
praeclarus omnisque doctiinarum | generis de republica et fi.de catbolica |
optime meritUö subduoeus se tandem mundi ] vanitatibus durius ut pluri-
mum vacans mor | bo fatigatus dileetissimae conjugi vale- | dulcissimis liberis
benedirens sacramentis | omuibus inviiiatus | obdormivit suaviesime | in
dominum 28 maii anno 1641 aetatis 50, | cujus exanime corpus loculus hie ani |
ina vero sinus abra | hae per | merita salvatoris domini nostri ] Jesu christi [
expectit.
Neben diesen Familienbegräbnisse befand sich der Leopoldi - Altar,
welcher von dieser Familie errichtet worden ist.
^' Ein Monumtnt aus rothem Marmor mit einer Inschrifttafel aus licht-
grauem Granit , darauf mit schwarzen , gravirten Buchstaben folgende
Inschrift:
Allhier ligt begraben der
Wohl- Edl und gestrenge Ilerr
Michael Kern, der röm.
kay may, gewester Rath und
Hoflfbuechhalter, welcher den 27.
Julii anno 1G67 im 6-1. Jahr
seines Alters gestorben, denie Gott gnädig
und barmherzig sein woll
Amen.
Auf der linken Seite der Schrift ist das Bild der Sonne, auf der rechten
das der Sanduhr.
Die Inschrift lautet weiter:
Volai hora sine mora, sol celer est, at sole tamen velocior hora, hora stetit
nunquam, sol aliquaudo stat.
Schnell ist die Sonn in ihren Lauff
Noch schneller ist die Stunde
Denn die lasst sich nicht halten auff
Die Sonn wohl aber stundte
Es fliegt die Stundt ganz ohne Zill
Lasst sich nicht widerrueffen
Der du vorbeygehst, stehe still
Hilf jenen, so dir rueffen
Über dem Monumente ist ein Wappen aus weissem Marmor angebracht,
das von zwei Genien gehalten wird j das Wappen zeigt zwei springende, gegen
einander gerichtete gekrönte Löwen mit getheilten Schweifen, dieselben lialten
eine Pyramide, darauf eine Lilie. Als Helmzier ist ein wachsender gekrönter
Löwe mit getbeiltem Schweife angebracht, eine Lilie haltend. Unter der In-
schrifttafel ist eine Uhr angebracht, die zwölfte Stunde zeigend.
'8 Ein Monument aus dunkelgrauem Marmor, in der Mitte die Kreuzes-
abnahme en relief in weissem Marmor ausgeführt.
Am Sockel des Monuments befindet sich folgende Inschrift:
Joannes augustinus zwerger
i. V. p. sac. caes. mitis consiliarius decan
in kirenberg, cathed. eccl. viennensis
praepositus
officialis et vicarius generalis
nee non
celeberrimae et anti —
quissimae universit. ibidem
cancellarius
obiit die IV mensis
sept. anno domini
MDCXLVIII
aetatis LX
Über dem Monument befindet sich das Wappen, dasselbe ist in vier
Felder getheilt, von denen das 1. und 4. die Hälfte eines senkrecht getheilten
Kreuzes, das 2. und 3. einen Doppeladler ohne Krone vorstellt. Der Schild
ist einerseits mit der Infel, dc-m Pedum mit Sudarium, anderseits mit einem
geschlossenen Turnierhelm überdeckt , der zwischen dem Adlerflug einen
wachsenden Ritter als Zimier hat.
Johannes Zwerger, gebürtig aus Wien, war zuerst Custos, sodann Decan
an dieser Kirche.
1* Früher stand hier eine Pyramide aus schwarzem Stucfcmarmor, darauf
oben en relief das Bildniss des hier Ruhenden im bischöflichen Hauskleide,
darunter das salzburgische Wappen mit dem colloredo'schen im Herzschilde.
beides aus weissem Marmor. Das Wappen ruhte auf Schwert und Pedum und
ist mit dem Legatenhute überdeckt. Zu unterst befand sich die Inschrifttafel. Als
der rechte Seilenchor restaurirt wurde, wurde auch dieses Monument entfernt,
und sind jetzt nur Theile demselben aber nicht zu Schaden des Ganzen an der
alten Statte aufgestellt worden, nämlich das Wappen und das Portrat. Eine neue
Inschrifttafel euthält die mit der früheren ziemlich gleichlautende Inschrift.
8. Grabstein des Job. Kaltenmarkter, passauisehen
Officials, t löU(>=i«.
y. Grabmal des Alphons Valdesius, f 1532 -».
Eine Betsäule bei Pressburg.
(Mit 1 H..lz>chnitl.)
Wir haben bereits Seite XV dieses Bandes der Mit-
theilnng-en der Cent.-Coinm. unsere Leser darauf auf-
merksam gemacht, dass mitteJalterliohe Denksäulen und
Marterkreuze, da sie jetzt schon sehr selten vorkommen,
allerorts eingehender Beachtung und auch Schonung be-
düri'en. Zugleich haben wir versprochen, eine Reihe von
Beispielen solcher Säulen zu bringen. Indem wir hier-
mit wieder ein solches Denkmal ^ das sich durch seine
zierliche Gestaltung auszeichnet, derBesprechung unter-
ziehen, müssen wir jedoch die Mittheilung beifügen,
dass wir erst im nächsten Bande dieser archäologischen
Schrift in der Lage sein werden, die versprochenen
grösseren Beispiele, wie die Zderad-Säule bei Brunn,
die sogenannte Spinnerin bei Wien etc. in Abbildungen
beibringen und besprechen zu können.
Diese hier in Bede stehende Säule befindet sich im,
in neuerer Zeit bedeutungsvoll gewordenen Blumen-
thaie bei Pressburg am sogenannten Schweinplatz, sie
steht öd und verlassen in einer Wüste von Schmutz und
Koth; arg durch die Zeit und menschlichen Muthwillen
beschädigt, ist sie der Restauration dringend bedürftig,
aber auch würdig.
Sie ist ganz aus Werkstücken gebaut, wird aus
einem viereckig aufsteigenden Schaft gebildet, auf
D. M.
hyeronimi . francisci . d. . Paula,
archiepiscopi . salisburgensis . s. r. imp. prineipis
legati. s. sedis. apostolicae. nati. primalis germaniae
vindobonae XXXI maji MDCCXXXII natus
ex rudolpho principe a colloredo
et gabriella comitessa a starhemberg
promotus ad archiepiscopatum salisburgensem
XIV martii MDCCLXXII arduis pro bono religionis
Übertäte ecclesiae germanicae
et territorii salute praeclarae perfunctus
ob mutatum sacri romani imperii statum
in urbem patriam regressus ad suos
adjuvente caesare
hunc sibi sepuliurae locum elegit
obiit XX mai MDCCCXII
Ausserdem gab die frühere Inschrifttafel noch bekannt: „In gratam
memoriam posuit rudolphus princeps a colloredo-mannsfeld ex fratre nepos'^.
Der besagte Erzbischof und Primas von Deutschland (legatue natus)
war der zweitgeborne Sohn des Rudolf Grafen und nachmaligen ReichsfÜrsteu
von Colloredo, Grafen von W'allsee, f 1. Nov. 1788 und der Maria Gabriele
Gräfin v. Stahremberg, f 8. Nov. 1793. Mit ihm erlosch die Reihe der souve-
ränen Erzbischöfe von Salzburg.
-" Ein Slonument aus grauem Marmor, mit einem schönen Holzschniiz-
bilde (?) in der .Mitte. Dasselbe stellt den Heiland am Kreuze vor. Vor demsel-
ben kniet auf der einen Seite der heil. Hieronimus vor ihm liegt ein rother,
runder Hut und ein Löwe, auf der anderen Seite ein Priester in rothem Ornat.
Hinter dem Priester sind zwei Figuren sichtbar, von denen die eine der heil.
Johannes ist.
Die Inschrift ober dem Basrelief lautet:
clarissimi, d. | io. kaltamar | kt juriv. e- theolgiae | doct. ratisbonn. patavienn. |
ac viennen. ecclessiarum canonici, infra 1 onasum officialis ebitha ductu magi-
stri I georgii Berlar editum. Oui obiit ultima april. auno MDVI. | memoriae
d. kaltenmarkt.
Unter dem Basrelief: S. O. M. S.
dura visi cognovi hominum pia jura, dumque me studiorum habuit d-octa
vienna pafrem consilio assentit cesar hie morte dirempti ossa jacent animum
sidera celsa fovent. M. D. VI.
Das Wappen zeigt einen mit dem Cardinalshut bedeckten Löwen.
2' Eine kleine Kehlheimerplatte :
alphonso valdesio hispano ex
generosa valdesiorum familia
viro doctrina moribusq.
ornatissimo ad resp.
gerendas aptissimo
caroli caesari v.
secretario fatorum
invidia sublato mon-
imentum temporarium
Alumni maiimo cum lue»
tu posuere VI octobria
MDXXXII.
CIV
welchem die nach
drei Seiten jreölfiiete
Capeile stellt, deren
FensterniitMas.swerk
und die sich darüber
bildenden Giebel mit
Knorren und Kreuz-
blumen besetzt sind;
die Capellenpteiler
endigen in Fialen.
Über der Capelle
steigt die knorrige
Spitze empor. Doch
ist sie in Wirklichkeit
nicht so Tollkommen
aussehend , wie sie
uns die beigegebene
Abbildung darstellt;
denn schon mangeln
viele Krabben und
die abschliessende
Kreuzblume, so wie
auch in der Kische
das heil. Vesperbild i.
Die ganze Säule hat
eine Höhe vou 23'.
Über die Ge-
schichte der Säule,
die noch aus dem
XV. Jahrh. stammen
mag, ist nichts be-
kannt ; nach einer
alten Überlieferung
steht sie auf einem
Platze, der einst dem
Stifte Martinsberg ge-
hörte •. ...»(...
Der
Alterthums - Verein
in Wien.
(Schluss.)
Nachdem wir die
Thätigkeit des Ver-
eines in der einen
Richtung geschildert
haben , wollen wir
nun über sein weiteres
'm4 \ 1 \ 1 '' ^Vi'-ken berichten.
' ' ' ' Gleiclizeitig nnt
der Veröflentlichung
unserer Besprechung ii))er die Vi'irksamkeit dieses Ver-
eines wird das Schlussheft des X. Bandes den Jlitglie-
deni übergeben. Es ist schon lange her, dass dieses Heft
hätte erscheinen sollen, allein der Umstand, dass der
■ Die Abbildung zeigt ans den Resl«or«tion8-Enlwurr nach dem AreU-
tc-ktcn Schul CE Ferencz.
= Dr. Fiorian Eomer bespricht diese Säole in seiner Broschüre „Press-
burss archäologische nenkmale" p. 330 und erwähnt, dass auf einem alten
kupforstiche der Hofbiblioiliek In Wien ohne Angabe der Zelt und dis
Kuiisilirs die öetlichc Ansicht Ton Prcssbnrg dargctlellt ist nnd darauf im
V'.rdergrunde diese Säole erscheint. Korabinsky («eschreibung der k. ung.
Hauptstadt Presi,burgj erwäl.nt diese Säule p. 10^1, nennt sie eine alle Pyramide,
deren hohes Alierthum erst vor einigen Jahren durch frischen Kalk verstellet
Word en sei.
Ausschuss mit aller Energie sich vorerst bestrebte, den
VHI. Band der Vereinsschritten zu vollenden, machte
in der Ausgabe dieses Heftes eine Verzögerung nöiliig,
die eben durch ihre Ursache eutschuldigbar wird. Wir
glauben, dass es für die Zukunft, um solche Zwischen-
lalle zu vermeiden, am zweckmässigsten wäre, wenn die
den Vereinsmitgliederu bestimmte jährliche Gabe der
Vereinsberichfe immer einen vollständigen, wenn auch
nicht so umfangreichen Band bilden würde; es wäre
damit vielen Wünschen der Mitglieder entsprochen und
würden manche Keclamationcn und unuöthige Antra-
gen vermieden werden.
Was nun den Uobalt des Heftes anbelangt, so
zerfällt derselbe in zwei Gruppen , die eine Gruppe
bilden selbständige wissenschaftliche Arbeiten, die
andere die den Verein betretfenden Berichte. In erste-
rer finden wir die grössere Anzahl der im Winter 1868
auf 1869 gehaltenen Vorträge, wie jenen schon bespro-
chenen des Dr. Lind über einen Plan von Wien aus
der Mitte des XV. Jahrhunderts, ferner die Vorträge
Sr. Excellenz des Freiherrn Karl von Ransonnet über
die Museen zu Chiistiania, Stockholm und Kopenha-
gen, des Herrn Haupt über die Sage von der Frau
Venus und Ritter Tauuhäuser und des Prof. A. Ritter
V. Perger über die Wielandssäulen. Auch finden wir
den Text jenes Passionsspicls, das während des XVII.
und anfangs des XVIII. Jahrhunderts am f'hartreitag
alljährlich in der St. Stephauskirche aufgeführt wurde.
Es wird dieses Gedicht mit Unrecht ein Passionsspiel
benannt, denn es behandelt nicht das ganze Leiden
Christi, sondern nur den Act der Kreuzesabnahme und
Grablegung, und hatte den Zweck, da es am Char-
freitag Vormittag nach den Traucrfeierliclikciten auf-
geführt wurde,' die Andächtigen auf den kirchlichen
Act der Grablegung vorzubereiten. Man könnte sagen,
diese dramatische Aufführung bildete einen Bestandtheil
der kirchlichen Feier. Kachniitfags wurde dann eine
zweite Darstellung gehalten, die die Trauer der Frauen
und Jünger beim heil. Grabe vorstellen sollte.
Sehr interessant sind die von Camesina diesem
Passionsspiele beigegebenen Erläuterune-en. Sie bezie-
hen sich theils überhaupt auf einige kirchliche Feier-
lichkeiten im Wiener Münster, (dahin gehört der Zug
der Priester am Weihnacht.stage zum Standbil de des
Engels, als Erinnerung an die Verkündigung der Geburt
des Heilands an die Hirten und an die Warnung Josephs
wegen des bevorstehenden bethlehemitisclieii Kinder-
mordes, der Umzug mit dem Pahnesel am Palmsonntage
und die Darstellung der Auffahrt Christi, indem eine
lebensgrosse Figur durch ein besonders geschmücktes
Aufzug.sloch in die Höhe gezogen, sodann von oben
auf das Volk heilige Bilder, aber auch Wasser ausge-
gossen wurde), theils auf die Stephanskirche selbst,
ihre Umgebung und Einrichtung. Wir erfahren nämlich,
dass die aus dem dreischiffigen Langhause gebildete
s. g. untere Kirche die Pfarr- oder Laieiikinlieznmheil.
Stephan war , dass dort inmitten der Marcusaltar mit
dem Taufsteine stand, dass dort zu gewissen Zeiten
das Hungertuch (Fastentuch), der Palmesel, die Bühne
mit dem Ühlberge und der Kreuzigung, wo auch das
Passionsspiel aufgciülirt wurde, seinen Platz hatte, dass
der jetzige Orgelchur früher diese Bestiiiiiiiung nicht
hatte, sondern die Emporkirche hiess, und dass dort
einige Altäre standen , die erst bei Aufstellung der
cv
grossen Orgel um 1720 entfernt wurden, dass auf dieser
Emporkirche auch das Capitelhaus der Canoniker sich
befand, dass jenseits des Lettners der drcisehiffige
Chor die Kathedrale bildete und zu Ehren aller Heili-
gen geweiht war, dass ein Theil des Friedhofes um die
Kirche, nämlich jener gegen Nordosten an sie anstos-
sende Theil, von der dort vorgenommenen Palmweihe
der Palmbübel hiess u. s. w.
Ein Abschnitt dieses Heftes ist einer archäologi-
schen Rundschau gewidmet. Die Redaction beabsichtiirt
nämlich, von Zeit zu Zeit mit Illustrationen ausgestat-
tete Auszüge von in anderen neueren Werken enthalte-
nen Beschreibungen solcher interessanter Raudenkmale
Nieder-Osterreichs-zu bringen, die bisher in den Schrif-
ten des Vereines noch nicht besprochen worden waren.
Da diese Einführung die Erreichung einer möglichst voll-
ständigen Übersicht bezweckt, die den Verein smitgliedcrn
über die Denkmale Nieder-Osterreichs auf diese Weise
geboten werden soll, so kann man diesem Unternehmen
die Anerkennnugnichtvcrsagen. Für diesmal bietet diese
Rundschau kurze aberreich illustrirte Beschreibungen:
der Karner zu Tulln, Pulkau und Zellerndorf, der Kirchen
zu Krems, Sievring und zu Maria-Stiegen in Wien ; die
Original -Aufsätze befinden sich grösstentheils in den
Mittheilungeu der k. k. Centr. Comm., woher auch meh-
rere Holzschnitte entlehnt wurden. Ganz passend wurde
der Baubeschreibung letzterer Kirche die von dem ver-
dienstlichen und für die vaterländische Geschichte leider
zu früh verstorbenen Feil verfasste Geschichte dersel-
ben vorausgeseudet.
Nicht unberührt können wir lassen, dass aus den
geschäftlichen Mittheilungen des Vereines eine ganz
gute Cassagebarnng und eine ansehnliche Vermehrung
der Vereinsmitglieder mit Befriedigung ersehen werden
kann.
Schliesslich haben wir noch heiTorzuheben, dass
am 9. Mai d. J. über Antrag des Freiherrn v. Sacken
der Versuch einer archäologischen Excursion der Ver-
einsmitglieder gemacht wurde. ]\Ian wählte die in mehr-
facher Beziehung interessanten Orte Hainburg, Deutsch-
Altenburg und Petronell. Fast 40 Personen nahmen an
diesem Ausfluge theil, über dessen Erfolg der allseitig
ausgesprochene Wunsch einer recht baldigen Wieder-
holung das beste Zeugniss gibt. In Hainburg wurden
der Besichtigung unterzogen dessen mittelalterlich forti-
fiea torische Bauten, als: das in seinem unteren Theile
mit Buckelquadern versehene mächtige Ungarthor, die
sich daran schliessende Stadtmauer mit ihren vierecki-
gen über Eck gestellten Thürmen , die in ihren unteren
Theilen dem XHI. Jahrhundert angehören mögen , der
schöne oblonge Raum, wahrscheinlich ehemals ein Saal,
mit seinen schimen romanischen Doppelfenstern und dem
Ahrenmauerwerk, ferner das merkwürdige in die Zeit
der Kreuzzüge gehörige Wienerthor mit seinen halb-
runden Vorbauten und den Relieffiguren daran. Auch
der Schlossberg wurde erstiegen, und dort die Ruine
der ins XH. Jahrhundert zurückreichenden Burg mit
der romanischen Capelle und dem grossen ^^ercckigen
Thurmemit seinem rundbogigen Portale und den schönen
romanischen Fenstern in Augenschein genommen. So
versäumte man auch nicht, der gothischen Todtenlenchte,
dem romanischen Karner und der berühmten im Rath-
hause aufgestellten ara heinburgensis einige Augen-
blicke zu widmen.
In Deutsch- Altenburg besuchte man die Pfarrkirche
mit ihrem romanischen dreischitfigen Langhause und
dem im reinsten gothischen Style erbauten Chor und
natürlich auch die der Kirche zunächst gelegene Todten-
capelle, eine der schönsten in Nieder-Österreich, bei der
nur zu bedauern ist, dass bei der im Jahre 1823 vor-
geuomnieuen Restauration ihr Eingangsbogen seinen
ursprünglichen Schmuck nicht erhalten hatte.
Das letzte Ziel der Excursion war Petronell. An
der romanischen Kirche vorüber kam man zur grossen
Rundcapelle, die wahrscheinlich ursprünglich ein Bap-
tisterium oder eine Pfarrkirche war und gegenwärtig
restaurirt wird, sodann in das gräflich Trauu'scheSchloss,
woselbst in einem Gartensaale eine Menge grösserer
Fundstücke, alle dem verschwundenen Carnuntum auge-
hörig, aufbewahrt werden, später erreichte man entlang
des Scbüttkastens und einer ausgedehnten offenen Nach-
grabnngsstelle endlich das ausser Petronell inmitten
eines Ackers stehende und weithin sichtbare Heidenthor,
einen mächtigen Bogen, den Rest von einem mit vier
sich durchkreuzenden Eingängen versehenen Thore,
das dem Ende des III. oder Anfang des IV. Jahrhun-
derts angehören mag, der einzige von Zubauten frei
gebliebene römische Bau um Wien. Mit der Besichti-
gung dieses Objects war die Reihe der Sehenswürdig-
keiten erschöpft und die Theilnehmer der Excursion
kehrten befriedigt nach Wien zurück.
Was besonders das Interesse an den besichtigten
Gegenständen hob, war, dass bei allen Anlässen Freiherr
V. Sacken einige wenige, aber das Object vollständig
erläuternde Worte sprach.
Schliesslich unserer Besprechung über die Tbätig-
keit des Alterthums-Vereines haben wir noch zu erwäh-
nen, dass diesem Bande ein Verzeichniss sämmtlicher
in den zehn Bänden der Vereinsschriften erschienener
Aufsätze beigegeben ist, eine Beigabe, die, um das bei
den 14 Bänden der Mittheilungen derCent.-Comm. schon
sehr schwierige Nachschlagen zu erleichtern, für eheu
diese Publication auch sehr erwünscbenswerth wäre.
Das Jahrbuch des Vereines für Landeskunde von
ffieder-Österreich.
Vor kurzer Zeit wurde bereits der 2. Band dieser
Vereinspublication ausgegeben. Der Zweck des Jahr-
huches ist die Erweiterung der Landeskunde nach
allen Richtungen und die Ansammlung des nothwendi-
gen Stoffes zu einer Topographie Nieder-Osterreichs.
Nachdem aber zu diesem iZwecke der Stoff aus allen
Gebieten des Wissens und der Erfahrung geschöpft
werden muss, so ist es nur ein geringer Theil des
Inhaltes der beiden Bände des Jahrbuches, der für uns
vom Standpunkte der Archäologie von Wichtigkeit ist;
doch können wir nicht unterlassen beizufügen, dass
eine Geringschätzung des übrigen Inhaltes uns fern liegt.
Dieses eben angegebene Ziel im Auge behaltend,
müssen wir vor Allem des im 1. Bande befindlichen
Aufsatzes von Dr. A. v. Meiller, dem verdienstvollen
Forscher um Österreichs ältere Geschichte Erwähnung
thun. Dr. Meiller hatte sich die schwierige Autgabe
gestellt, ein Verzeichniss jener Örtlichkeiten im Lande
Österreich unter der Enns, welche in den Urkunden
des IX. bis XL Jahrhunderts vorkommen, zusammen-
CVI
zustellen. Allein es bliel) nicht bei dem einfachen Darch-
forschen der eine Ausbeute vermuthen lassenden Urkun-
denwerke, auch eine sorgfältige Priit'iinir des Vorgefun-
denen war nnthwendig. Diese Aufg.ibe wurde vorzüglich
gelöst, und wir finden niit Erstaunen eine namhafte Zu-
sammenstellung von Ürtlichkeiten i Orte, Berge, Flüsse,
Bäche etc.), deren Zahl fast -tOO ist. Eine grosse mit
diesen Ortlichkeiten bezeichnete Karte erleichtert das
Verständniss und gibt eine klare Übersicht.
Im zweiten Bande fesselt unsere Aufmerksamkeit
Dr. Kenner 's durch eine Karte erläuterter Aufsatz
über die Römerorte in Nieder-Osterreich.
Der Verfasser hatte sich dabei nicht auf jene Orts-
namen, die in den alten Keischandbücheru, auf der
Strassenkarte und in Inschriften erscheinen, oder von
alten Historikern und Geographen genannt werden, be-
schränkt, er hatte dazu noch zweiQclien benutzt, nämlich
die archäologischen Funde und die Kritik der Orts-
namen. Zur Begründung des umfangreichen Verzeich-
nisses sendet Dr. Kenner demselben mehrere Abschnitte
voraus, davon der erste eine Übersicht der Entwicklung
der römischen Vertheidigungs- Anstalten in Nieder-
Osterreich, der zweite die strategische Bedeutung der
Festungen und Strassen behandelt und endlich der
dritte uns ein Bild der römischen Cultur in Nieder-Oster-
reich gibt. Sowie Kenners Arbeiten überhaupt alle
sich durch Gründlichkeit und geistreiche Benützung der
Forschungsresultate auszeichnen , so ist es auch bei
diesem Aufsatze der Fall. Wir sind überzeugt, dass mit
demselben die älteste Geschichte Nieder -Österreichs
eine höchst werthvolle Bereicherung erhalten hat.
Dr. Ernst Edler von F ranz ensh nid, ein ganz
fleissiger Schriftsteller in Fragen der Heraldik, liefert
eine historisch-diplomatische Skizze über das in der
Wiener Geschichte vom XIII. bis ins XV. Jahrhundert
eine mitunter hervorragende Eolle spielende Bürger-
iind Rittergeschlecht der Tyrna. Leider ist die Skizze so
kurz, dass wir das auifalieude Unerwäiintlassen einer
Menge von reichen urkundlichen Quellen über diese
Familie nur aus dem Grunde des dem Autor zu wenig
gewährten Raumes entschuldigen wollen , indem kaum
anzunelimen ist, dass dieselben dem sonst so tüchtigen
Schriftsteller unbekannt geblieben seien.
SchliessHch müssen wir noch Erwähnung thuu einer
sehr schätzenswerthen Arbeit des magistratiscben Ar-
chivars Herr Weiss über R a p h a e 1 Donner, jenen
kunstreichen Bildner, von dem Wien so manches Denk-
mal seiner Kunst besitzt.
Weiss wollte nicht die äussere Lebensgeschichte
dieses Mannes (geb. 1692, tl741) zum Gegenstand
seiner Darstellung machen, sondern vielmehr das Ver-
hältniss dieses Künstlers zu der Epoche, die ihm voran-
ging und zu der Zeit, in welcher er selbst wirkte, schil-
clern, nachdem Schlager schon im J. 1844 die ersten
ausführlicheren Nachrichten über Donners Aufenthalt in
Pressburg und Wien und seinen Lebenslauf gebracht
hatte. Jlit grossem Interesse verfolgen wir die Be-
sehreibung der ganz nach italienisch-verkommenem Ge-
schmucke geregelten Kunstzustände in Wien während
der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts und lassen
willig unsere Aufmerksamkeit auf noch hier vorhandene
plastische Producte dieser Zeit lenken. Dahin gehören
die am Hochaltar der St. Stephanskirche befindlichen
vier -Marmortigureu, die nach Angabe Ogesser's Werke
des Bildhauers Joh. Bock (164U) sind, für ihre Zeit vor-
zügliche Leistungen, die einen Styl zeigen, der noch
weit entfernt ist von der Aufgedunsenheit der Barockzeit.
Weit weniger gelungen sind die Statuen der Marieu-
säule am Hof (1G6S). Wenn auch die Figur der heil.
Maria keineswegs von ungezwungener Bewegung und
unnatürlichem Ausdrucke frei ist, so kann man diesen
Tlieil der Denksäule noch als gut bezeichnen gegen-
über jenen misslungencn ja wahrhaft lächerlichen Gestal-
ten der mit Drachen käm]jfenden, geharnischten Engel-
chen. In der plumpen Dreifaltigkeitssäule am Graben
hatte aber die barocke Wiener Plastik ihren Gipfelpunkt
erreicht , von welcher Säule Weiss. berichtet, dass sie
bisher fälschlich dem Architekten Buruacini zuge-
schrieben wurde , während sie in Wirklichkeit von
dem berühmten Paul v. Strudel stammt, indem dieser
sich in seinem Adelsbrief als Schöiifer dieses Werks
bekennt. Weiss glaubt bei Vergleich anderer Werke
Strudel's es wagen zu können, diesem Manne zn
seiner Ehre nur die erträglich modellirten Figuren zuzu-
schreiben. Donner's AVirken wird damit bezeichnet, dass
er als einer der ersten, wenn nicht der erste selbst
erscheint, welcher besseren Anschauungen Bahn bre-
chend mit den Überlieferungen der entarteten, geistig
verkümmerten italienischen Schule abschloss, einem
hohlen von falschem Pathos getragenen Idealismus den
Rücken kehrte und mit feinem Gefühle auf Wirkungen
verzichtete, welche ausserhalb der Aufgabe und auch
ausserhalb der Grenzen plastischer Darstellung liegen.
Dr. K. Lind.
B e r i c li t i g u n g
betreffend die Lesung zweier Inschriftsteine, deren Text
ich im III. Hefte dieser Mittheiluugen pag. XLII und
XLVIII veröflentlicht habe.
Den Inschriftstein von Mitrovic hat Herr Professor
Th. Mommsen im Bull, dell' Instit. di corrisji. arch.
(1868) mitgetheilt (pag. 14.3), wovon ich erst nach dem
Druck meines Aufsatzes Kenntniss erhielt. Er liest ohne
Zweifel richtiger die letzten Zeilen (6 f.): ü<; Tr,v jxvn
lJ.i:/.-j -(a)-JTr;v Bact/.tavoc (-pcc/ixa) 7vjrr,c jtoc. Ich nehme
daher die Deutung auf den kaiserlichen Palast zurück,
dessen Stelle nach wie vor unbestimmt bleibt, obwohl
an dem Vorhandensein eines soleheu in Sirndum nicht
zu zweifeln ist.
Bezüglich des Steines aus Risano jiag. XLVIII
hatte Herr Prof. Becker in Frankfurt a. M. die Güte,
mir brieflich seine Lesung mitzutheilen, die gleichfalls
richtiger ist als die meinige ; auch hier nehme ich die
Folgerungen zurück, welche ich an die Buchstaben SHC
in Zeile 3 geknüpft habe. Es miiss nämlich statt SHC,
S • H ■ C und in Z. 4 statt VAL ■ FI, VAL • ET auf
dem Steine vorausgesetzt und danach gelesen werden:
,.Gaio Statio Gai filio (tribu) Sergia Restituto annorum
((uindecim mcnsium sex horarum sex et scrupulorum
(hiiirum Gains Statins Valerianus et C'aesia Secunda
parentes filio posueruut-'. Die Angabe des Lebensalters
auf Minuten (scrupulorum) ist eine seltene Erscheinung
und giebt der sonst unbedeutenden Grabschrift den
Wertii eines Beispieles einer epigraphischen Beson-
derheit. l>'-. Fr. Kenner.
RcdACtcur : Dr. Karl Lind. — Drack der k. k. Hof- und Staatjitruckerei in Wien.
CVII
Üter Kaiser Rudolph's von Schwaben G-rabmal in
Merseburg.
Zu den werthvollsten und ältesten Denkmälern
des Er/.grusses gehört in Deutschland die Grabplatte '
Rudolph's von Schwaben , des Gegenkönigs von
Heinrich IV. Er ward in der Schlacht bei 'Wolksheini
an der Elster tödtlich verwundet und nach Merse-
burg gebracht, wo er bald darauf verschied, im Jahre
1080. Über sein Begräbniss melden die betreifenden
Quellen, dass es im Dome /.u Merseburg stattgefunden
und zwar mit königlichen Ehren -. Nähere Angaben
über den Platz, wo der Sarg aufbewahrt ist, finden sich
bei den Chronisten nicht. Erst Brotuff berichtet in
seiner Chronica, dass Rudolph unter dem Chore in der
Kryiita in einem kleinen besonderen Gewölblein begra-
Ijen liege, welches Sam. Strauss= möglicherweise von
Bischof Werner für diesen Zweck eigens hergestellt sein
lässt, ohne jedoch bestimmt die frühere Existenz dieses
Gewölbes in Abrede zu stellen. Es ist möglich, dass im
Jahre 15.55. wo E. Brotuif schrieb, noch deutliche Spuren
eines so ehrwürdigen Begräbnissortes vorhanden waren,
die Michael Sidonius durch Herstellung eines Wein-
kellers bald darauf vernichtet haben soll. Fabricius *
wenigstens beklagt die um das Jahr 1560 von dem ge-
nannten Bischöfe geschehene Veränderung, welche zu
seiner Zeit stattgefunden, wozu die von Puttrich ' citirte
spätere Megalurgia Martisburgica in deutscher Sprache
die Xotiz fügt, dass M. Sidonius das Begräbniss Ru-
dolph's mitten im Chor bewerkstelligte «. Sam. Strauss
findet es in seiner 1745 gedruckten Abhandlung über
den Gegenkönig Rudolph für nothwendig, einen Beweis
für Fabricius' Worte in der Richtung zu versuchen, dass
die noch sichtbare, über dem Eingang in der Krypta
ausgehauene steinerne Hand das Abbild der den Eid
der Tieue schwörenden Hand Rudolph's sei, der seinen
Eid dem Kaiser gebrochen und in dem Verluste seiner
Hand die Strafe Gottes erkennend die Umstehenden
zur Treue ermahnt habe. Diese in Stein ausgeführte
Hand bezeichne desshalb den ursprünglichen Begräb-
nissort des Gegenkönigs. Da aber kein Zweifel darüber
waltet, dass diese Hand mit dem Kreuz-Nimbus die
segnende Hand Gottes bezeichnet, so muss besagtes
Argument auf seine Beweiskraft verzichten, abgesehen
davon, dass es denn doch eine wunderliche Verherr-
lichung eines Heimgegangenen wäre, dessen Verbi-echen
dauernd im Denkmal zu vergegenwärtigen. "Würde
Bischof "Werner in Rudolph's That einen Treubruch
und ein Verbrechen erblickt haben, so hätte er nimmer-
* Abgebildet bei Dethier in „Keue Mittheilnngeu histor. antiquar.
Forschungen ]. Bd., 2. Heft und von Hefners Trachten des Mittelalt.
I. Band. 58. Puttrich Sachs. Dkm. II. 18. Otte's Handbuch p. 656.
- Verglichen sind hier !. Saxo Annalista bei Kccard. Corp. bist. 1. Fol.
557 und daselbst 2. Chronica Reg- S. Pantaleonis Fol. 90.S. 3. Bruno -Saxon.
belli Chr. bei Freher Fol. 150. 4. Chron. Magdeburg. Meibom II. Fol. 316.
5. Chr. Oldenburg, ibid. 135. 6. Chron. Stcderburg. Fol. 452 ibid. Die
übrigen sind speciell citirt. Cuspinianus, Crusius, Spaugenberg und Ludwig
Präfatio in 4. tom. der Keliquiae Mscptor. pag. 53 eulhallen nichts neues.
* Positiones historicae de Rudolphe Suevico, Halae Magdeburgicae 1745
in 4*. Vgl. auch Gerbert Martin. De Rudolpho Suevico etc. Typis San-
Blasianis 1783 in 4"*. pag. 78, -wo auf die nähere Untersuchung der Erzählung
von S. Strauss leider nicbt eingegangen ist. Die bis 1722 fortgeführte Chronik
der Bischöfe von Merseburg bei Ludewig „Reliquiae Manuscriptonim" pag. 494
des 4. tom. gibt die Erzählung wie Fabricius, ohne Ton der Verlegung der
Grabstätte oder der Krypta zu reden.
' Bei S. Strauss p. 32. Fabricius' Orig. Saxon. III. 3G0. Dies ist die
letzte Quelle aller späteren Berichte.
* Denkmäler Bd. II. 16. Note.
« Megalurgia Martisburgica das ist Fürtretflichkeit der Stadt Märse-
bnrg durch J..h. Vulpium anno 1700 in 4°. pag. 30, wo Jac. Dan. Ernst
Altenb. Confekt-Tafel P. 3. p. 316 als Beleg angeführt ist, die 1698 gedruckt
ihrerseits wieder Fabricius' Worte als Quelle citirt. ohne von der Krypta,
sowie der Verlegung in den Chor ein Wort zu verlieren.
XIV.
mehr für irgend ein ehrenvolles Begräbniss und noch
weniger für ein auszeichnendes Denkmal Sorge getra-
gen; denn darin stimmen alle alten Quellen überein,
dass Rudolph in Ehren, dass er wie ein König bestat-
tet worden. Alle von Dethier und anderen citirten
fi-üheren Quellen bis zu Brotutf nennen den eigentlichen
Ruheplatz des Königs nur allgemein als im Dome zu
Merseburg befindlich. Mir erscheint es zweifellos, dass im
Falle eine frühere Quelle den Ruheplatz des Königs
deutlich bezeichnet, spätere Nachrichten auf sich be-
ruhen müssen. Zu meiner Verwunderung kennt selbst
die eingehende AbhandlungDethiLTs eine von Rudolph's
Tod und Bestattung erzählende Urkunde des XII. Jahr-
hunderts nicht, die schou Ussermann von S. Blasien
1790 gedruckt hat '. Es ist die seitdem von F. J. Mou e »
in correctester Weise edirte Chronik von Peters-
hausen, die im Jahre 1156 verfasst und geschrieben
ward. Die bezügliche Stelle lautet : Ita rex Rudolphus
eadem die vitam tinivit apud Elstere, atque a suis Mer-
siburch delatus ibique honorifice sepultus est in ipso
choro basilicae et imago ipsius ex aere fusa atque
denurata super tumulum ejus transposita est. Da dies
königliche Denkmal von Rudolph's Anhängern errichtet
worden, die den Gefallenen als wirklich legitimen König
der Deutschen anerkannten, so ward für dasselbe jener
Platz gewählt, der die grösste Auszeichnung in sich
schloss, nämlich der Chor der Kathedrale. Das kost-
sjiielige Denkmal selbst war als solches noch keines-
wegs das Anzeichen königlicher Würde des betreffen-
den Grabmales, sondern der Ort, wo es sich befand.
Ich verstehe die Worte Otto's von Freising de Gestis
Friderici Imp. cap. 7. „Rudolphus . . . necatur et in
ecclesia Merseburg cultu regio sepelitur-' und dessel-
ben Bericht über Kaiser Heinrich IV. Besuch der Merse-
burger Kirche ,,cum ad prädictam ecclesiam ^Merseburg
venisset ibique präfatum Rudolphum velut regem huma-
tum vidisset. cuidam dicenti, cur eum, qui rex non fuerat,
velut regali honore sepultum jacere permitteret, dixerit:
Utinam omnes inimici mei tam honorifice jacerent" vor-
züglich von der auszeichnenden, nur Stiftern undKaisem
gewährten Begräbnissstätte im Chore der Kirche. Die
Chronik von Petershausen betont dies hinlänglich, wenn
sie sagt: in ipso choro. Freilich zeigt die Grabplatte
den Gegner Heinrichs wirklich in königlichem Schmucke,
so dass nichts mangelte, die Grabesstätte als die eines
Königs res]). Kaisers zu kennzeichnen. Jedenfalls lässt
das Wort ..ipso-' keinen Zweifel, dass das Grab im Chor
der Kirche selbst angelegt war, nicht in der Krypta.
Das aus dem beginnenden XIII. Jahrhundert stam-
mende Chrouicon Halberstadense bei Leibniz 9 sagt
gleichfalls von dem Gefallenen ,,in medio chori honorf-
fice est sepultus". Diese alten Quellen wissen das Grab-
mal somit an derselben Stelle, wohin es erst unter Sidonius
wegen des zu grabenden Kellers gebracht worden sein
soll, im Chor der Kirche nämlich. Wenn Fabricius nach
der Autopsie berichtet hat, so konnte er nicht sagen:
Sepulcrum Rndolphi ad nostra usque tempora in loeo
templi subterraneo magnifice stetit, donec , . . .
sondern er musste wenigstens wie Brotuif das Grabmal
von der Grabesstätte unterscheiden, dann aber ist sein
Ausdruck „magnifice" unerklärlich und wenn die cit.
Megalurgia resp. Dan. J. Ernst den Sidonius aus dem-
' Chronicon Ilernianni Contracti Tom. 1. pag. 33S.
* Quellensammlung z. badischen Landesgeschichte I. Band. pag. 138.
' Scriptor. Brunsvic. illustr. tom. 2. Fol. 128.
cvm
selben Grunde das Begräbniss des Königs in den Chor
vornehmen lässt, so lässt sie nur 1561 erst «reschehen,
was schon 1556 als geschehen berichtet wird. Ich will
diese Schwierigkeit durch eine Stelle zu heben suchen,
die vom Jahre 1144 herrührt und den berühmten Abt
Suger zum Verfasser hat ">. Derselbe meldet von der
Deposition des heil. Dionys also : ^.eoUocavitque post
altare in cripta tantae profiinditatis, ut usque ad genua
omnino se intromittat, si quid inde voluerit abstraliere
alicpiis". Der Leiciiiiaiu lag also kaum zwei Fuss
unter dem rdaster des Clmres, welche uniiedeutciide
Vertiefung gleichwohl eine Krypta genannt wird. Wenn
Rudolph in älinlicher Weise im Pflaster des Chors
deiiouirt und darüber dann auf einer Art von Tundja
die Erzplatte niedergelegt war, so erhalten die ältesten
Berichte das richtige Verständniss und lirotulfs Angabe
kann möglicherweise davon herrühren, dass er irgend-
wo die Ruhestätte des Kaisers als Krypta bezeichnet
vorfand. Auch haben die Aufgrabungen bei der alten
Wilhadikirche zu Bremen nach <leni meisterhaften
Berichte im Brem. Jahrbuch " ein solches Saehverhältniss
hinlänglich begründet. Wie es mit der Verificirnug
alter Kaisergräber beschaffen ist, davon haben ausser
den Kaisergräbern zu Speier die sorgfältigen For-
schungen Quast's zu Prün am Begräbnissorte Kaiser
Lothar's zureichende Aufklärung gebracht, zureichend,
um in diesen Dingen mit der grössten Vorsicht zu ver-
fahren '2.
Die niedere aus massivem Stein bestehende Tumba
unter der Erzplatte bat ähnlich dem niederen Grabmal
Kaiser Otto des Grossen im Chor des Doms zu Magde-
burg die Überreste Kudolph's in der kleinen Grabver-
tiefung umschlossen und zwar von Anfang au: alle
späteren Erzählungen sind hinfällig, weil sich wider-
sprechend in dem einen oder anderen Punkte. Werner
hat dem unglücklichen Helden diese grosse Auszeich-
nung kaiserlicher Würde im vollen Masse wahrscheinlich
mit i'beicinstimmung der übrigen Parteigenossen zu-
gedacht und glänzend gewährt. Obige Erzählung des
Otto V. Freising gewinnt im Hinblicke auf die Stelle der
Chronik von Petershausen und den aus ihr sich erge-
benden Sachverhalt neues Licht, indem Kaiser Heinrieh
im Chor der Kirche selbst seinen Gegner bestattet
und zwar in königlicher Auszeichnung bestattet , die
Tumba mit der kunstvoll ausgeführten Metall])latte und
darauf das Abbild des Gefallenen im königlichen
Schmucke verewigt fand. Um so grösser erscheint Hein-
rich gegenüber dieser herausfunlernden Pracht am
Grabe seines Gegners, weil unberührt von der Gemein-
heit seiner Umgebung. Schon daraus lässt sich auf die
^eichzeitige Errichtung des Denkmales schliessen,
das dem Petershauser Chronisten genau bekannt sein
musste , da er allein von den alten Berichterstattern
der Metalljdatte und ihrer Vergoldung gedenkt, bis jetzt
die einzige ältere Belegstelle für dies königliche Denk-
mal. Wie genau dieser Chronist unterrichtet war, lehrt
ausser den angegebeneu Umständen auch ein Blick auf
die Umschrift der Erzplatte, welche ausdrücklich das
vor Augen stehende Grabmal als die wirkliche (irabes-
stätte bezeichnet, als tumulus, wie in der l'etershauser
Chronik: Kex hoc Kudolphus patria pro lege peremtus
"> Ftlll.lon. Hisloire de l'abbaye do S. D. Fol. :66.
" Breni. Jahrbucli 1864, I. Bd.
'-('orrespondeitzblatt der Ocbammtvcreino d. deutschen Gettcttichts- und
AltcrthB.-Vcreioc 18ü4. l ff.
Plorandus merito conditur in tumulo . . . Der exacte
Ausdruck für Grab im eigentlichen Sinne ist in jener
Zeit durchaus tumulus, wie unter vielen anderen Stelleu
aus dem Berichte derseliien Chronik ad ann. 1134
ül)er die Erötfnungsfeierlichkeit des Grabes lit'i)hard's,
liischofs von Constanz genügend erbellt. Dafür wird
dann auch das alte Wort tumba " gebraucht, und zwar
als eigentliches Grab, z. B. in der Chronik von Wimpfen
im Thal vom Jahre 1270, ohne dass jedoch tunmius
ausser Anwendung tritt, was, um auch hier einen Beleg
zu geben, das von Conrad von .Maidenburg gegen 184U
verfasste Ofticium S. Erhardi zu Regensburg lehrt, wo
..tumulus ferreis caneellis circumdatus" vom Grabe des
heil. Erhard in Xiedermünster zu Hegensburg gebraucht
ist. Es findet sich sogar ein urkundlicher Beweis dafür,
dass man das die Grabesstätte vertretende Zeichen, was
ein blosses Denkmal ohne Inhalt ebenfalls ist, bestimmt
vom Grabe selbst als memoriale sepulcri untersidiieden
hat. Hugo von Leimen '* bestimmt im Jahre 1"_'7'.', dass
beim Anniversarium vor dem Hochaltäre ein Teppich
ausgebreitet und vier Leuchter an dessen Ecken gestellt
werden zur Vergegenwärtigung des Grabes „pro me-
nioriali sepulcri". Wir sind somit gezwungen, die Worte
tunuihis in der Erzplutte und in dem Berichte der ge-
nannten Chronik als Grab im eigentlichen Sinne zu
nehmen und Rudolph's ursprüngliche, nie veränderte
Grabesstätte 's im Chor selbst, unter der Erzplatte und
deren Unterlager, vielleicht etwas in das Pflaster ein-
gelassen zu suchen, alles übrige aber über angebliche
Veränderung dieser Stätte als leere Erfindung späterer
Scriptoren auf sich beruhen zu lassen.
Dr. Messmer.
Ufeunkirclien in Meder-Österreich.
i;.Mii W nolzscbnitteD.;
Neunkirchen, ein alter Ort, der schon im Jahre 1081
in einer Urkunde des Bisch(ds von Passau erwähnt
wird, hiess ursprünglich Neukirchen. Niuwekirchen.
Die landläufige Ableitung des Ortsnamens von
nenn Kirchen ist daher ganz unrichtig und das Wappen-
schild am Rathhaus, so wie jenes an den Kirchenbän-
ken in der Pfarrkirche, wo neun Kirchen im grünen
Feld ' diese Ableitung symbolisiren , sind eine willkür-
liche Erfindung der Zopfzeit. Fr. Schweighard in
seiner ,,Darstellung des Erzherzogthums Österreich
unter der Enns 1831" führt zwar diese Ableitung als
alte Sage an; scheint sich jedoch um ältere Uikunden
nicht bemüht zu haben. In diesem Werke ist von der
alten Pfarrkirche die Rede, welche im Jahre 892 im
gothischen Style erbaut wurde, ein herrlicher archäologi-
scher Schnitzer ! Soll die .\bleitung des Ortsnamens richtig
sein, so nntss sie auf eine neue Kirche zurückgeführt
werden, und man kann annehmen, dass um selbe Zeit
eine neue Kirche, also eine romanische, dagestanden
habe. Doch ist sie längst verschwunden ; es befin-
den sich zwar in dem Mittelbaue der Kirche einfache
" Ist schon bei Prudenlius und HIerorymu« im jetzigen Gebrauch.
" Mrinc. Ztschft f. Ge.Mh. d. Oberrhclne n. li.ind, p. 92.
'^ Selbütveratandlich iht blor nur von dem Platze des Grabes die
Kedf, der trotz der ini C'horbau gegen das XII 1. Jahrhundert vorgenommenen
Veränderungen im A\'esentHchcD beibehalten blieb.
' Da» gegenwärtige Wappen ist ao gestaltet und findet sich schon in
der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts ein derartiges Wappensiegel. Allein
es sind auch aus der.selben Zeit noch Siegel des Marktes vorhanden, darauf
nur eine Kirche im Wappenfelde erscheint. (Melly's Beiträge zur Slegel-
Icundc des .Mittelalters p. 40. j
CIX
romanische Bauformen, allein dieselben reichen nur ins
XII. Jahrhundert zurück. Möglich, dass die Kirche im
XII. Jahrhundert vergrössert oder umgebaut worden
ist; altromanische Formen sind nicht aufzufinden.
Im Mittelalter ist die Geschichte der Kirche mit
jener der Orte meist so verschlungen, dass mau mit
der Geschichte des Kirche auch jene des Ortes erzählt ;
so auch hier.
Schon unter dem fränkischen Kaiser Conrad II.
wird 1036 berichtet, dass der Kaiser dem Grafen Eck-
bert dem älteren von Neuburg und Pitten zu Gefallen
diesen Ort zum Markte erhob und ihm das Münz-
regale ertheilte.
Sein Sohn Eckbert schenkte mit Bewilligung seines
Vetters Ulrich im Jahre 1094 den Markt nebst Pfarre,
Zehend und Müuzgerechtigkeit dem bayrischen Kloster
Formbach.
Abt Ortulph III. zu Formbach gab im Tausche
Neukirchen gegen den Markt Herzogenburg im V. 0.
W. W. bei St. Polten an Markgraf Leopold IV.
Neukirchen war den Einfällen der Ungarn stark
ausgesetzt und hat namentlich durch die Eintiille Bela's
im Jahre 1250 und 1252 sehr gelitten.
1379 wurde dem Herzoge Leopold zu Osterreich
Neustadt, Neukirchen, Klam, Schottwien und Aspang
übergeben, die man somit aus dem Verbände von Nieder-
österreich herausriss. Ein Theil dieser Orte wurde noch
vom Kaiser Friedrich III. bis zum Ausgange der Alber-
tinischen Linie besessen.
1683 bedrängten die Türken den Ort, wobei der
Tradition nach die zwei Thürme der Kirche (von 32Klftr.
Höhe) zerstört worden sein sollen.
Nach einem vorhandenen Visitatious - Protokoll
1544 war der Landesfürst Lehensherr über die Pfarre.
1549 wurde vom Kaiser Rudolph II. die Vogtei
und Pfarre sammt Beneficien und Filialkirchen dem
Johann Baptist von Hoyos und seinen männlichen Nach-
kommen für immerwährende Zeiten verkauft, 1555 der
Verkauf bestätigt und die Herrschaft StUchsenstein zur
Baronie erhoben.
1631 berief Johann Balthasar I. Georg Graf von
Hoyos zu dieser Kirche Minoriten und erwirkte vom
Kaiser und Erzbischof von Salzburg das Ffarrrecht.
Seit dieser Zeit findet sich zu Neunkirchen ein Minori-
tenkloster.
1752 am 13. November fand ein grosser Brand
statt und verwüstete 30 Häuser.
1828 wurde der Thurm an der Südseite erneuert.
Wie es aus dem Vorliegenden hervorgeht, sind die
Daten über Ort und Kirche sehr mangelhaft, Kirchen-
bücher wurden keine geführt, und die wenigen Werke,
wo von diesem eben nicht bedeutsamen Orte die Sprache
ist, fertigen ihn mit wenigen Angaben ab; es bleiben
daher nur hinsichtlich der Kirche die Bauformen, welche
als bleibendes Zeugniss der verschiedenen Jahrhunderte
Anhaltspunkte geben zur Zeitbestimmung dieses immer-
hin interessanten Bauwerkes.
Die Kirche steht mitten im Orte zunächst dem
Marktplatze, und bildet gewissermassen den Mittelpunkt
einer Insel, die aus einem um sie herumgebauten Häuser-
Complex von Wohn- und Wirthschaftsgebäuden besteht.
Die thurmartigen Ausbauten und Wallmauern, welche
von einem Graben umgeben sind, zeigen den Charakter
der früheren Befestigung dieser Häusergruppe.
Hill'
Fig. I.
Der unregelmässige Raum zwischen Kirche und
den zur Kirche gehörigen Gebäuden gemahnt sehr an
einen Burghof. Der breite Graben, früher mit Wasser
gefüllt, wird jetzt als Gemüse- und Obstgarten benützt.
Noch ist das alte Thor vorhanden und die Vorrichtun-
gen für die Zugbrücke sind auch noch erkennbar. Macht
schon die ganze Anlage im ersten Moment den Ein-
druck des befestigten Platzes, so wird dieser noch
erhöht durch die ganz ungewöhnliche architektoni-
sche Behandlung des Kirchenchores. Das alte wetter-
gebräunte Gemäuer sieht so trotzig darein, die Aufbau-
ten ober dem Dachsims geben dem Bau einen so kriege-
rischen Charakter, dass man unwillkürlich in die Zeiten
der Faustrechtes versetzt wird ; Zeiten, wo Kirchen nur
zu häufig, als Citadellen benutzt, der bedrängten und
bedrohten Bevölkerung Schutz vor dem Anstürmen der
barbarischen Feinde gewährten.
Dass die Kirche zu Neunkirchen aus verschiede-
nen Bauperioden stammt, ist schon aus dem Grundriss
(Fig. 1) zu ersehen. Der mittlere Theil zwischen Chor
und LangschifF gehört der romanischen Periode an; und
zwar weisen die Formen in der hochliegenden Empore
(Fig. 2) auf die zweite Hälfte des XII. Jahrhunderts.
Das Capital besteht blos aus einer Platte, die durch
q*
ex
Fiff. 2.
Kiü
Eiuzicbung mit dem Pfeiler vermittelt ist. Die Kippen
siud flach und beginnen erst in einiger Höhe ober dem
Capitäle.
Die starke Anlage dieses Zwischentbeiles deutet
auf uiucn Centralthurm , eine Anordnung, welche in
jener Bauperiode allgemein beliebt war. Es scheint
aber, dass nach einem Brande oder sonstiger Zerstö-
rung des Thurmes. vielleicht auch in späterer Zeit, das
(lewölbe gelitten hatte, und dass man desshalb eine
Mittelgurte spannte, nachdem es ausser Zweifel steht.
dass diese Gurte ursprünglich nicht angelegt war;
damals dürfte auch der darauf ruhende Thurm entfernt
worden sein.
Steile Treppen führen aus den beiden Seiten-
schiffen zu den Emporen, die in diesen Mittcltract ein-
gebaut sind und von welcher man in den nun rechts an
die Kirche angebauten Thurm gelangt. Der untere Theil
dieses Thurmes hat derbe Rippen, mit der Breite eines
Schuhes, und steht mit dem ältesten Baue in Verbindung,
obwohl jetzt flache Stuck-Ornamente am Scliluss, zoptige
Ansätze an den Kippen und ein elliptischer Bogen mit
Feldern in Stuck gegen das südliehe Seitenschiff die
völlige decorative Umwandlung dieses Kaumes zeigen.
Der hohe Chor, welches gegen Osten an den alten
Mittelbau ansehliesst, ist sehr geräumig, 7 Klftr. lang,
4 Klftr. 3 Fuss breit, überragt an Höhe das Mittelschifl",
und hat dadurch ein schlankes aufstrebendes Ansehen.
Leider sind zum Schaden der Gesammtwirkung die
Fenster des polygonen Abschlusses durch den zopfigen
Altar verdeckt.
Eigenthümlich sehen die fünf Schlusssteine des
reichen Netzgewölbes aus , an denen im Chor-
sehinsse ein reich gegliederter Baldachin (Fig. 3^ frei
herabhängt. Er ist aus dem Sechseck construirt, mit
Fialen und Wim])ergen geziert, zeigt Spuren von alter
Vergoldung und l'olychromie, und ist, wie ich es vom
Dachboden aus untersucht habe, aus Holz angefertigt
und aufgehängt. Diesem folgen zwei reich ornanientirte
Schlusssteine, dann zwei Steine mit darauf frei geariiei-
teten Dreijtässen, darin in einem ein Wappenschild, im
anderen ein Ko\)t'.
Unter den Indien, vcrhältnissmässig schmalen Fen-
stern lauft ein Kaft'sinis herum, und ist im driitcu Zwi-
schenraum höher hinauf gerückt, wahrscheinlich um
dem Chorstuhl des l'ontiflcanten Kaum zu lassen.
Die Dienste, ein Bündel von drei Säulchen, durch-
laufen dasKaft'sinis, und sitzen etwas tieler als dasselbe
auf Consolen mit sehr ausdrucksvoll und phantastisch
gebildeten Köpfen (Fig. 4, 5, 6); nur im zweiten Feld
gehen die Dienste bis an den Fussboden und stützen
sich auf jjolygon gegliederte Sockeln (Fig. 7). Die Ca-
piiäie der Dienste siud mit Blattwerk reich ornamentirt,
meist Aht>rn . Wciiilaub und Ephcu. Die Chorstühle
gehören dem XVH. Jahrhunderte an.
An das erste Travee nächst dem Triumphbogen ist
an der südlichen Seite eine kleine Capelle angebaut,
welclie sich gleichzeitig an den Thurm ansehliesst, sie
führt den Namen Frauencapelle. Bemerkenswerth sind
daselbst die drei Schlusssteine mit ursprünglicher I'oly-
chroniie. Der erste ein Doppelwappen vorstellend, links
der steierische Panther, rechts der österreichische Bin-
denschild. Eine Figur (Brustbild) hält die beiden Wap-
penschilder in den Händen. Auf der anderen ein weisser
Doppelzweig in grünem Felde mit dem Spruchbande:
Karl playtner Stifl'ter diser Cappeln; sodann im dritten
ein Vierjtass, darin ein Wappen, ein blauer Pfahl mit
drei weissen Blättern belegt, rechts davon ein weisses,
links ein schräg getbeiltes Feld mit roth und weiss. Die
Rippen sind birnfönnig auf einfachen Consolen ohne
Ornament. Die Capelle ist im halben Achteck geschlos-
sen, das Fenster gegenwärtig ohne Masswerk.
Das Mittelschiff ist gegen die Seitenschiffe stark
überhöht und misst 41 Fuss hebte Höhe, bei 5 Klaftur
Breite. Starke Scheidebögen trennen die beiden Seiten-
schiffe vom Mittelschiff. Die Dienste im halben Achteck
gehen vom Boden bis zum Anlauf des Gewölbes, wo
daun die Kippen mit birnförmigem Profil sich theilen
und das Netzgewöibe bilden. Die Schlusssteine tragen
Wappenschilder. Die Fenster selbst sind halbkreisför-
Fi"
Fig. 5.
V\s. 6.
CXI
mig geschlossen, gehören jedoch in dieser Form einer
jüngeren Zeit an.
Das sitdlielie Seitensehilf (2 Klftr. 2 Fnss breit)
ohne Strebepfeiler scbliesst sich an den Thurm an.
Gleich im ersten Travee ist ein neuerer Ausban, eine
Capelle mit Fresken angefiigt, ein alter einfacher Tauf-
stein befindet sich daselbst. Die beiden ersten Travees
beider Seitenschiffe haben Sterngewölbe , die zwei
nächsten jedoch einfache Kreuzgewölbe mit Rippen. An
der Wand stehen Halbpfeilcr, die Durchkreuzung der
Gewölbsrippen ist über die Kreuzungspunkte hinaus-
geführt, eine späthgothische Steinmetzweise. Das nörd-
liche Seitenschiff ist um einen Schuh breiter als das
südliche, und hat nach Aussen hin Strebepfeiler.
Gegen den Chor hin scliliesst sich eine zopfige
Sacristei an, mit zwei Kreuzgewölben geschlossen.
Der Orgelchor im Mittelschiff ist ein späterer Einbau.
Nach Westen zu schliesst sich eine Thurmanlage an,
welche jetzt nur die Höhe des Orgelchcires erreicht.
Es scheint, dass zur Zeit als der Orgelchdr eingebaut
wurde, auch diese Thurmanlage in Angrifl' genommen
worden ist. Die Tradition sagt zwar, dass die Türken
die zwei Thürme an der Kirche zerstört hatten; 1683
könnte ein solcher Thurm möglicher Weise schon
bestanden haben, doch ins Mittelalter reicht diese An-
lage für keinen Fall.
Vom grossen Interesse sind die geschnitzten und
polyehromirten Wappenschilder aus dem Anfang des
XVII. Jahrhunderts, welche unter der Brüstung des
Oratoriums aufgehängt sind. Die Inschrift dabei lautet:
Hie ligt begraben der wohlgeboren herr herr Ludwig
V. Hoyos, Freyh. von Stixenstein und Gutenstein, Römm.
kais. Maj. Eath, niederöst. Camerpresidänt (auch des
für. Dur. Erzherzog Mathiescn zur Ostreich wirklicher
Rath) welcher in Gott seliglich den 11. Januarii a. 1600
entschlafen.
Was das Äussere der Kirche betrifft, so macht, wie
schon früher erwähnt, das hohe Chor den bedeutendsten
Eindruck (Fig. 8). Die Mauerflächen besteben aus unre-
gelmässigen Bruchsteinen ohne Verputz, die Fenster-
gewänder und Bögen, Gesimse, so wie die doppelten
Abtreppungen an den Strebepfeilern und die vorderste
Seite derselben sind aus gehauenen Steinen hergestellt.
Die Strebepfeiler haben beim Ausgang einen Giebel mit
Ansätzen zu Kreuzblumen und schliessen sich in steiler
Schräge an das Mauerwerk.
Ober jedem der fünf hohen und schmalen Chor-
fenster ist ein in das Dach reichender Aufbau ange-
bracht, oben mit einem steilen Katzensteig geschlossen.
In diesem Aufbau sind oblonge Dachfenster mit gera-
dem Sturz und einfacher Abfa^ung angebracht; an den
Seiten dieser Aufbauten ist noch die alte Schräge des
sehr steilen Daches zu sehen, das später hergestellte
wurde viel niedriger ausgeführt.
Zwischen den Strebepfeilern des Chores wurden
zopfige Capellen eingebaut, was die Wirkung des auf-
strebenden Chores wesentlich beeinträchtigt.
Was den übrigen Bau des Langschiffes betrifft, so
erkennt man die Einwirkungen späterer Zeit. Kur der
Oberbau der Seitenschiffe zeigt noch das alte braun-
graue Gemäuer, obwohl selbst hier die Fenster umge-
ändert wurden. Analog mit den Pfeilern des Mittel-
schiffes treten oben Lisenen vor, welche sich in das ein-
fach profilirte Gesims todt laufen.
In welcher Weise
und auf welche
directe Veranlas-
sung die drei-
schiffige Kirche
an den alten Mit-
telbau angebaut
worden ist , wii'd
wohl kaum zu
eruircn sein, da
hierüber Urkun-
den fehlen. Es sei*
hier nur erwähnt,
dass das Profil der
Kirche mit dem
stark überhöhten
Mittelschiffe und
den gedrückten
Seitenschiffen
einer früheren Pe-
riode entspricht,
während die De-
tail - Ausführung
jene Steinmetz-
weise zeiget, wel-
che als Ausläufer
der gothischen Ar-
chitektur bezeich-
net wird. So die
Art des Netzge-
wölbes im Mittel-
schiff", das unver-
mittelte Heraus-
treten der Rippen yig. s.
aus dem Schafte
des Dienstes, die Pfeiler ohne Capitäle, ferner die Durch-
kreuzung der auslaufenden Rippen im den Seitenschiffen
etc.; Fenster und Portale sind aus ganz später Zeit,
sowie das Orgelchor, Thunnaufbau und Sacristei. Der
hohe Chor hingegen muss als eine selbständige eiuheit-
hche Anlage betrachtet werden, und dürfte der Frideri-
cianischen Zeit angehören. Die malerische Anlage, die
reiche Ornamentation andenCapitälen, ebenso die reiche
Abwechslung an den Trägern der Dienste, wie die
effectvollen hängenden Schlusssteine charakterisiren das
XV. Jahrhundert, in welcher Zeit in und um Neustadt
viel kirchliche Bauten entstanden sind.
Ungefähr eine kleine Viertelstunde vom Orte Neun-
kirchen entfernt, liegt auf der südwestlichen ziemlich
steilen Abdachung eines sanften Hügels die Filiale St.
Peter. Nach dieser Seite hin begrenzen moosbewach-
sene groteske Felsen den Hügel, alte knorrige Schwarz-
föhren strecken ihre Kronen hervor und bilden einen
wirklich malerischen Vordergrund zu der prachtvol-
len Thalansicht gegen Ternitz, welche vom Schnee-
berg, der Raxalpe, dem Göstritz etc. in wunderbarer
Weise begrenzt wird. Man kann sich nicht leicht einen
reizenderen Punkt denken, gern verweilt jedermann
daselbst; es ist keine zu gewagte Annahme, dass die
herrliche Lage Veranlassung zum Baue der Kirche gege-
ben hat. Die Kirche selbst ist nicht ganz 7 Klafter lang,
mit einer Breite von etwas über 5 Klafter. Es mag dieser
Bau als ein äusserster Ausläufer des Mittelalters zu be-
trachten sein, und die Angabe, die in manchen Geschichts-
CXII
Fig. 9.
werke vorkommt, als stamme dieser Bau mit der Mntter-
kirche aus Einer Periode, ist vollkommen unrichtig. Es
ist eine Anlage, in welcher man den alten traditionellen
Pfeiierbau beibehalten hat, aber doch die modernen Ein-
flüsse und zwar in nüchternster Weise berücksichtigte.
So ist der Chor halbkreisartig angelegt, hat aber doch
und zwar im Mittel einen Pfeiler (Fig. 9).
Im Langschiflf ist das Pfeilersystem durchgeführt:
jedoch die Wölbung sowohl des Chores als Langschit^es
ist nicht mehr die mittelalterliehe. Keine Rippen, keine
.Sehlasssteine, keine Dienste oder Consolen, nicht einmal
die Gurten treten aus den Gewölben hervor, sondern
Tcrlaufen in den Kappen. So wurden auch die Fenster-
masswerke vermieden, und der Rundbogen an die Stelle
des Spitzbogens gesetzt, wohl aber der Wasserschlag
und die Abschrägung der Gewände beibehalten. Einen
ganz eigenthümlichen Eindruck macht die Chorseite
nach aussen. Das Schindeldach ist steil gehalten, über
die Chorpfeiler nach Art eines Vordaches hinausgerückt.
Der hölzenie Dachreiter in der Manier der wällischen
Haube sitzt nächst der Giebelwand am Dachtirste. Es
ist kaum anzunehmen, dass die Kirche jemals anders
ausgesehen habe. Das einzige wäre möglich, dass man
den Aussenbau mit dem Pfeilersystem angefangen, und
durch irgend eine Veranlassung der Weiterbau sistirt,
dagegen in viel späterer Zeit unter dem Eintlnsse der
inzwischen geänderten Kunstübung den Bau vollen-
det hat. Ein Weihwasserbecken und eine steinerne
•Sammelbüchse sind der Form nach mittelalterlich. Der
Anblick dieses Kirchleins macht den Eindruck eines
Mischlings von mittelalterlicher und moderner Architek-
tur und ist daher vom kunsthistorischen Standpunkte
tti+-
Fig. 10.
beachtungswerth. Da die Familiengruft der Hoyos sich
in dieser Kirche betindet, so dürfte damit der Finger-
zeig tur ihre Entstehung gegeben sein.
Ebenso auftauend und abnorm ist die kleine Grab-
capelle westlich der Kirche in unmittelbarer Xähe, aber
etwas höher gelegen (Fig. 10;.
Ein kleiner karg beleuchteter Vorraum führt durch
eine vier Fuss hohe ThUre in einen kleinen völlig finste-
ren Innenranm, eine Mensa an der rechten Seite. Hier
soll seiner Zeit das heilige Grab aufgestellt worden sein,
was seit Jahren jedoch ausser Gebranch gekommen ist.
Die Anssenseite ist ganz eigenthUmlich gestaltet. Aul
kurzen Säulchen, deren Capitäle und Sockel aus Ziegel
gehauen sind, stützt sich ein giebelartiger Aufbau, oben
von einem Renaissancegesims geschlossen, an welches
das Dach anschliesst. Es macht das Ganze einen abson-
derlichen Eindruck, dass man im ersten Momente mit
einer Classificirung in Verlegenheit kommt.
Allein da es unbestritten als ein Bau aus der Re-
naissancezeit zu betrachten ist. so kann man das ganze
Werk als eine Art Reminiscenz der byzantinischen Archi-
tektur betrachten. Eigenthümlich ist es, dass diese ver-
tieften Spitzgiebel unvermittelt auf die Säulchen aufge-
stellt in der Vorhalle des Klosters Lorsch vorkommen,
und zwar in der oberen Galerie musivisch durchge-
führt sind. Die Erklärung dürtte für solche Reminiscen-
zen der orientalischen .\rehitektur nicht so schwierig sein,
indem seiner Zeit von hohen weltUehen und geistlichen
Personen häufig Reisen im Orient und in die heiligen
Orte gemacht worden sind, und nach der Rlickknnft
das Bcdürfniss lebhaft empfunden wurde, Grabcapellen
im byzantinischen Styl aufzutlihren, ohne dass man sieh
CXIII
jedoch von der herrschenden Bauweise ganz losmachen
konnte, was zur Folge hatte, dass derlei abnorme Bauten
erstanden sind; für den Forscher haben sie jedenfalls
ein berechtigtes Interesse. lla)is l'etschmg.
Wocel's Pravek zeme Ceske.
(Urgeschichte von Böhmen. Prag 1S68.)
In der Forschung über die Entwickelung der Archäo-
logie ist in den letzten Decennien eine solche Umstal-
tung früherer Ansichten eingetreten und eine solche
Bereicherung des Stoffes zugewachsen, dass die wenigen
zusammenfassenden Darstellungen, die aus der jüngsten
Vergangenheit noch in die Tage unserer Gegenwart
hineinreichten, den gegenwärtigen Anforderungen nicht
genügen konnten.
Wocel's Urgeschichte Böhmens ist ein eminent
nationales Werk, dessen Bedeutung für das Volk und
dessen Geschichte nicht genug hervorgehoben werden
kann, da es den Grundstein für die letztere gewisser-
massen gelegt hat. Die erste im Jahre 1866 erschie-
nene Abtheiluug umfasst die Periode der Bojer und
Markomannen in Böhmen.
Einen besonderen Fleiss hatte der Verfasser auf
die Untersuchung der in Böhmen gefundenen Bronze-
Objecte verwendet. Um die Zeitschichten, aus denen
die zumeist in Gräbern gefundenen Gegenstände von
Bronze und somit die bei denselben befindlichen Objecte
von Thon, Glas und Eisen herrühren, zu bestimmen, be-
dient sich Wocel der regressiven Methode. Zur Gewin-
unng eines sicheren Anhaltspunktes werden von ihm
vor allem jene Bronze-Objectc einer genauen Prüfung
unterzogen, welche in den Gräbern der früheren christ-
lichen Periode gefunden wurden. Als solche erscheinen
die Hand- uud Ohrringe von messingähnlicher Legirung
oder von vergoldetem Kupfer, deren Schlussenden
sehlaugenförmig in Gestalt eines S gewunden sind; bei
den Ringen dieser Art wurden nicht selten Thongefässe,
deren Böden mit eigenthümlichen Zeichen versehen
sind, gefunden. Ahnliche Ringe uud ebenso bezeichnete
Gefässe kommen aber auch in Gräbern vor, die oft'enbar
der spätesten heidnischen Periode angehören, worauf
insbesondere die mit der Asche der Verstorbeneu ge-
füllten Urnen hinweisen. In solchen Gräbern kamen
aber auch massive Ringe, Heftnadeln und zierliche
Spangen vor, deren Legirung aus Kupfer, Zinn und
Blei besteht, bei denen aber auch immer sich Waffen
und Werkzeuge von Eisen vorfinden. Die Gräber dieser
Art bilden das Verbindungsglied zu jenen Grabstätten,
in denen kein Eisen mehr vorkömmt, sondern Schwerter,
Lanzenspitzen, Gelte und Paalstäbe von Bronze, die aus
Kupfer und Zinn zusammen gesetzt ist, welches somit
die vorhistorische Periode bezeichnet, und füglich der
ältesten Bevölkerung Böhmens , den Bojern vindicirt
werden kann. Von l)esonderem Interesse ist die Unter-
suchung der merkwürdigen Vogelgestalten, die bei
Svijan gefunden wurden, wobei der Verfasser alles, was
in Deutschland, England und Italien über diesen Gegen-
stand veröffentlicht wurde, in das Bereich seiner For-
schung zieht. Höchst anziehend sind die bisher wenig
beachteten verschlackten Wälle und die grossartigen,
auf waldigen Bergen sich erhebenden cyklopischen
Steinwälle geschildert ; der Ursprung dieser vorgeschicht-
lichen, offenbar strategischen Werke verlegt der Ver-
fasser, auf Analogien sich stützend, gleichfalls in die
Vorzeit der Bojer, deren Einwanderung nach Wocel's
ausführlicherem Berichte nicht in das IV. sondern in
das VI. Jahrhundert v. Chr. fällt. Eingehend handelt
der Verfasser in einem besonderen Capitel über die
Regenbogenschüsselchen uud über die in Böhmen
häufig vorkommenden keltischen Silberniünzen und
weiset nach, dass die Letzteren Nachahnuingen mace-
donischer Münzen des III. Jahrhunderts v. Chr. sind.
Der Geschichte und den Alterthumsresten der Mar-
komannen sind zwei Capitel gewidmet ; als ein interes-
santer Umstand muss hier hervorgehoben werden, dass
die eigenthünilich ornamentirten Spangen, Schnallen
und Heftnadeln, wie mau sie in Deutschland, Frankreich
und England in Gräbern der sogenannten Merovingischen
Periode findet, in Böhmen nicht vorkommen, woraus ge-
schlossen werden kann, dass Schmucksachen dieser Art
weder bei den Markomannen (bis zum Schlüsse des I.
Jahrhunderts v. Chr.) noch bei den heidnischen Cechen
im Gebrauche waren. Die bei weitem wichtigste Parthie
des Werkes bildet die zweite Abtheilung derselben,
welche von den Alterthümern der slavisclien Böhmen
handelt. Hier hatte Wocel die bisher von den Archäo-
logen wenig beachteten Sprachquellen benützt und aus
denselben sehr beachtenswerthe Resultate gewonnen.
Der Verfasser weiset nach, dass die in böhnnscher, pol-
nischer, russischer, bulgarischer und illyrischer Sprache
gleichlautenden Wörter zugleich mit den Begrifi'en der-
selben bereits in jeuer Periode entstanden sein mussten,
wo die Slaven ihre gemeinsame Urheimat, die Länder-
strecken zwischen dem baltischen und schwarzen Meere,
bewohnten, uud dass solche Wörter unmöglich etwa in
Folge eines gemeinsamen Einverständnisses erst zu
jener Zeit gebildet werden konnten, wo die verschiede-
nen Slavenstämme die von ihnen gegenwärtig bewohn-
ten von einander weit entlegenen Länder eingenommen
hatten. Diese durch zahlreiche Beispiele und Belege
sichergestellte Ansicht führt zu Ergebnissen, deren Trag-
weite für die Culturgeschichte nicht verkannt werden
darf Erwägt man z. B., dass, wie der Verfasser nach-
weiset, in allen slavischen Sprachen Pflug, Pflugschaar,
Hackenpflug, Sense, Sichel und Garbe mit denselben
Wörtern bezeichnet werden, und dass ferner die Be-
nennungen der Getreidearten: Korn, Weizen, Gerste,
Hopfen in böhmischer, polnischer, russischer, serbi-
scher, bulgarischer Sprache gleichlauten, so wird man
nicht umhin können einzuräumen, dass diese Benen-
nungen sowie die durch sie bezeichneten Gegenstände
den ackerbauenden Slaven bereits in ihrer Urheimat
bekannt waren und das gemeinsame Erbgut aller
Slavenvöiker sind.
Auf diese Weise führt Wocel eine lange Reihe von
Wörtern, die sich fast auf alle Zweige des Culturlebens
beziehen, an und construirt sodann die GrundzUge des
Culturzustandes in dem sich die slavischen Böhmen zur
Zeit des Heidenthums befanden. Als Gegenprobe für die
Richtigkeit seiner Ansicht führt der Verfasser zahlreiche
Namen von Gegenständen an, zu deren Kentniss die
Slaven erst im Mittelalter gelangten, z. B. Papier, Uhr,
Strassenpflaster, Maulbeere u. s. w. und weiset nach,
dass die Benennung solcher Gegenstände nicht mehr
aus denselben Quellen geflossen sind , sondern in
jeder slavischen Sprache anders lauten. Was für die
indogermanische vergleichende Culturgeschichte A.Kuhn,
CXIV
Pictet, F. Spiegel u. a. geleistet, das hat Woeel in seinem
Werke angestrebt. Allerdings war seine Aufgabe ver-
gleichnngsweise viel leichter, denn die slavischeu Idiome
sind wohl bekannt, die Bedeutung ihrer Wörter con-
statirt, und nur die kritische .Dichtung und die Zusam-
meustellung der Gegebenen war zur Gewinnung der
eulturhi-storischen Resultate ertorderlioh.
Ebenso neu und interessant ist Wocel's Darstellung
der ethnographischen und topographischen Verhältnisse
Böhmens in der Periode des Hcidenthums der Ceclien.
Den ersten Anhaltspunkt gewährt (leniscll)en die klinia-
matische und agronomische Beschaflfenheit des Landes.
indem er annimmt, dass die Slaven als ein ackerbauen-
des Volk sich vorzugsweise an den für den Ackerbau
geeigneten Landstrichen niedergelassen hatten; es
werden daher die frnchii>arsten Bodenstrecken, sodann
die minder fruditbaren bezeichnet und von den rauhen
zum Feldbau weniger geeigneten Hochebenen und der
bergigen Umwallung des Landes unterschieden und
abgegrenzt. Ferner wird die bekannte Thatsache ange-
führt, dass die in der Vielzahl gebrauchten böhmischen
Ortsnamen, die sich auf ee endigen und die nach dem
Zeugnisse von Urkunden bis ins XIIL Jahrhundert auf
ei auslauteten, CoUectivnamen sind, welche ursprüng-
lich ebenso wie bei andern ."^lavenstämmen die Ansiede-
lungen der Geschlechter und Familien bezeichneten.
Die in Böhmen sehr häutigen Ortsnamen dieser Art, an
welche sich überdies noch andere CoUectivnamen an-
reihen, sind unzweifelhaft zur Zeit der primitiven An-
siedlung der Czechen entstanden. Damit stimmt nun der
Umstand vollkommen überein, dass bei weitem die
Mehrzahl der pluralen Ortsnamen in Böhmen in der
fruchtbaren Landschnft vorkommt, während dieselben
in den weniger fruchtbaren Gegenden viel seltener, auf
den sterilen Hochebenen und auf den ehemals mit unge-
heuren Wäldern eingefassten Grenzgebieten gar nicht
auftreten. Auf diese Thatsache gestützt war der Ver-
fasser in der Lage die seinem Buche beigefügte Karte
von Böhmen im VHL und IX. Jahrhundert zu entwerfen,
auf welcher die in jener Zeit im Lande angesiedelten
Hauptstämme, ferner die Richtung der durch den Grenz-
wald zu den Thoren des Landes führenden Strassen, die
Lage der Stein- und Erdwälle, wie auch die zahlreichen
Fundstätten heidnischer Alteithümer angegeben erschei-
nen. Eine Glanzparthie in Wocel's Werk bildet die
Schilderung der bis jetzt wenig beachteten, zumei.st
grossartigen Erdwälle. Das die meisten jener riesigen
Umwallungen Reste uralter Zupen oder Gauburgen
sind, wird durch historische Belege nachgewiesen. Durch
beigefügte Pläne und Zeichnungen wird die Anlage
solcher Befestigungen veranschaulicht und der Ver-
fasser benützt zu seinem Zwecke fast alles, was über
vorhistorische Erd wälle in Deutschland, Russland und
Polen geschrieben wurde.
Im letzten reichhaltigsten Capitel seines Buches gibt
er eine erschöpfende Übersicht aller bisher in Böhmen
aufgedeckten Gräber der heidnischen Vorzeit und weiset
nach, dass die heidnischen Czeciien ihre Todten theils
beerdigt, theils verbrannt hatten. Dabei wird constatirt,
dass derTodtencultusder.Slaven an keine speeielleForm
des Grabes gebunden war. indem sie die Leichen oder
auch dieAsehenurnen bald in die blosse Erde beigesetzt,
bald in ein Steingewölbe eingeschlossen und bald wieder
bloss mit Steinplatten umgeben, und über die Todten-
reste bald Erde bald Steinhügel aufgcfürt hatten ; ja es
kommen in Böhmen Gräber vor, die von Balken einge-
fasst, und andere die als Brunnen angelegt waren, in
welchen die Todtenasehe in Gelassen, die in Schichten
übereinander standen, eingeschlossen war. Da nun in
allen diesen Gräbern, mochte ihre Form und Anlage wie
immer gestaltet sein, Mctallob.iecte derselben Form und
Metallmischung, die auf die späteste Periode des Heiden-
thums hinweiset, wie auch Gefässe gefunden wurden,
deren Böden dieselben eigenthümlichen Zeichen hatten,
die man an den Gelassen der früheren christlichen
Periode gewahrt, so gelangt der Verfasser zu dem
.Schlüsse, dass alle jene verschiedenartigen Grabstätten
von einem Volke, welches unmittelbar vor der Christi-
anisirung Böhmens dieses Land bewohnte, d. i. von den
heidnischen Czechen herrühren. Dabei beschränkt sich
Wocel nicht auf die blosse Schilderung der (Gräber und
ihres Inhaltes, sondern wendet seine Aufmerksamkeit
dem Jlateriale, aus dem die Alterthumsobjecte verfertigt
sind, der technischen .\nsführung derselben zu, und ge-
langt mit Zuhilfenahme chemischer und technischer
Untersuchungen zu Ergebnissen, welche geeignet sind
die Grundlage einer Geschichte der Arbeit zur Zeit des
Hcidenthums in Böhmen zu bilden. Bei seinen viclver-
zweigten Forschungen, schöpft der Verfasser aus allen
Quellen, welche das dassische Alterthum. \vie auch die
Literatur der germanischen , romanischen und slavi-
scheu Völker darbieten , und stellt sich durch sein
Streben, das wechselseitige Verständniss der west- und
osteuropäischen Forschung zu fördern, auf den Stand-
punkt, der dem böhmischen Forscher durch die geogra-
phische Lage seiner Heimath angewiesen ist. Nicht um-
hin können wir aber zu bemerken, dass Wocel in seinen
Reflexionen und historischen Deutungen manchmal die
Culturverhältnisse seiner Vorväter zu überschätzen
scheint und damit zumal bei der herrsehenden Zeitströ-
mung auf Widerspruch stossen dürfte. Dem Werke
sind zwei Beilagen beigefügt : die erste enthält eine ein-
gehende Abhandlung über antike Bronz-Objecte und ein
sorgfältig zusammengestelltes Verzeichniss der meisten
bisher bekannten chemischen Analysen derselben, die
zweite eine Schilderung der in jüngster Zeit in der Nähe
der .Stadt Strakonic entdeckten i^teinwälle und der bei
denselben befindlichen .Steindenkmale, welche die Form
der Peulvane und Dolmene weisen. Der Text ist durch
194 zumeist gelungene Holzschnitte illustrirt. Wocel's
Buch wurde auf Kosten der königlich-böhmischen Ge-
sellschaft der Wissenschaften herausgegeben, und ist
bereits im Buchhandel fast gänzlich vergriffen. Eine
deutsche Übersetzung des Werkes wäre sehr erwünscht,
um den bedeutsamen Inhalte derselben weitere Bahnen
zu brechen. C. F. J- Bsch.
Beiträge zur Kunde der St. Stephanskirche in Wien.
IV. Vorlaufs Gedenkstein.
(Mit 3 Holzschnitten.)
Als Herzog Albrecht IV. (1404) starb, war sein
Sohn Albrecht V. erst sechs Jahre alt. Die Minderjäh-
rigkeit des Erbfolgers und der Tud seines Vormunds
Herzog Wilhelm 14U6 gab für Wien und ganz Öster-
reich Anlässe zu manchen traurigen Ereignissen. Denn
Albrecht V. ältester Vetter Herzog Leopold IV., der
cxv
sogleich die Vormuiidscliaft Übernahm, konnte es den
Wienern niemals Recht machen. Man beschuldigte ihn,
dass er durch allzu grosse Auflagen die Uiiterthanen
aufsauge, und statt des Vormundes den Herrn spiele.
Bald entstand daher zu Wien eine Partei, die den bis-
herigen Vormund entfernt und den Herzog Ernst der
Steiermark an seine Stelle gesetzt wissen wollte. Ging
mit Herzog Ernst der Rath und die wohlhaliende Bürger-
schaft, so war doch auch Leopold nicht ohne Anhang,
die Handwerker und der rohe Volkshaufe hielten zu ihm.
So kam es bald zu Reibungen, die Unzufriedenheit führte
zu Vülksaufständen und der kaum wenige Monate her-
gestellte Laudfriede fand wieder seinen Abschluss. Um
den fortwährenden Tumulten ein Ende zu machen, sahen
sich Bürgermeister Konrad Vorlauf und der Rath zu
strengeren Massregeln genöthigt, ja es musste sogar
zum äussersten geschritten werden und wurden fünf
Handwerker, als die Rädelsführer des Aufstandes, am
Hohenmarkte am 5. Jänner 1408 enthauptet. Doch sollte
das ziemlich voreilig vergossene Blut bald ausgie-
big gerächt werden. Ungeachtet der scharfen Execu-
tion kehrte die Ruhe in die Stadt Wien nicht zurück.
Kleine Kämpfe, Morde, fruchtlose Ausgleichsversuche
reihten sich fast ununterbrochen an einander. Beson-
ders waren Leopold und seine Partei gegen den Bürger-
meisterund die angeseheneren Bürger eingenommen, und
bald gelang es ihm, denselben mit einigen der Räthe in
seine Gewalt zu bekommen. Es war nach dem erfolg-
losen Tage in St. Polten. Zwar ging man friedlich von
einander, aber bei Gablitz überfielen Leopold's Gesellen
unter Führung des Hanns Laun von Krumau und Burk-
hard des Truchses, nachdem sie schon früher Absage-
briefe denselben gesendet hatten, die heimziehenden
Wiener Abgeordneten. Nach tapferer Gegenwehr nahm
man sie gefangen und führte sie nach Ternberg. Unter
den Gefangenen beliinden sich Konrad Vorlauf, der Bür-
germeister und die Räthe Rudolph Angerfelder, Hanns
Rock, Stephan Poll, Friedrich Dorfner, Wolf Schad-
nitzer und Niclas Untermhimmel '. Der Rathsherr Niclas
Flusshart, der ebenfalls mitheimzog, wurde im Kampfe
erschlagen.
Nachdem die Gefangenen reiches Lösegeld zuge-
sagt hatten, kehrten sie am 20. Juni nach Wien zurück;
doch nicht von langer Dauer sollte für einige die eben
erlangte Freilassung sein. Bald begann Herzog Leopold
schwere Forderungen an den Stadtrath zu stellen, die
dieser verweigern musste. Durch den Widerspruch
gereizt, bot dem Herzoge Leopold die vom Pöbel, der
nun die Zeit gekommen sah, die Hinrichtung seiner
Führer zu rächen, ausgehende Klage , dass der Rath
ein ungerechtes drückendes Umgeld auf den Wein
gelegt habe, um damit das versprochene Lösegeld auf-
zubringen, die erwünschte Gelegenheit, die Häupter der
Stadt neuerdings gefangen nehmen zu lassen (7. Juli
1408). Es waren dies Konrad Vorlauf, Hanns Rock,
Konrad Rampersdorfer, Rudolph Angerfelder, die Büger
Schrul und Nichl. Vergebens baten die bedeutenden
Bürger bei dem Herzoge um die Freiheit ihrer Freunde,
vergebens flehten Frauen und Kinder um das Leben
ihres Familienhauptes. Leopold's Entschluss war ge-
fasst, und durfte keine Zeit verloren werden, den-
selben zu executiren. Schon nach vier Tagen wurde an den
* S. darüber Schlager's Wiener Skizzen des Mittelalters Y. 93. 101—
105 und Fontes rerum austiiacarum von Feil 13 — 17,
XIV.
Gefangenen
das Blnturthcil vollzogen. Am Schwein-
markt (^Ldbkowitzplat/,) fielen sie alsOpfer eines ungerech-
ten aus Parteihass entstandenen Urthcilspruches zum
Leidwesen Herzogs Ernst, der in einem Schreiben ddo.
27. Juli 1408 bei dem Rathe der Stadt Wien sich um
die Ursachen einer so schweren Bestrafung anfragt 2.
Als der Henker zuerst am Stadtratlie Rampers-
dorfer den Spruch vollziehen wollte, wies ihn der Bür-
germeister mit dem Bemerken zurecht, dass ihm der
Vorrang gebühre, er sei in der Treue für seinen recht-
mässigen Herrn jederzeit der Vorläufer gewesen, er
wolle es auch im Tode bleiben. Die Leichen blieben
bis Sonnenuntergang am Blutgerüste, wurden dann von
den Angehörigen auf den Stephansfreithof gebracht
und in der Nähe des Platzes, wo der dazumal noch nicht
begonnene und bisher uuausgel)aut gebliebene Thurm
steht, beerdigt K Die Güter der Hingerichteten zog Herzog
Leopold ein. Die anderen Gefangenen, die zwar mit dem
Leben davon kamen, mussten ihre Freiheit mit schweren
Summen bezahlen. Man erzählt, es habe die Höhe des
Bargeldes über einen am Throne sitzenden Menschen
gereicht. Doch der Endzweck, den der Herzog durch
diesen Act der Grausamkeit erreichen wollte, der wurde
nicht erreicht; der Zwist der Herzoge um die Vormund-
schaft wurde heftiger, die Einmischung des Auslandes
nahm zu und erst, nachdem das Land noch länger
schwer heimgesucht war, sprach ein Machtsjiruch des
Kaisers Sigismund die Vormundschaft über Albrecht
den V. beiden hadernden Fürsten für etliche Jahre zu;
allein schon 1411 erklärte er den Herzog Albrecht als
volljährig.
Gegenwärtig erinnert an diese drei pflichttreuen
Wiener Bürger eine Inschrift von dreizehn Zeilen auf
einer grossen Marmorplatte, welche unmittelbar vor den
Stufen, welche im rechten Seitenschiffe, dem sogenannten
Passionschore, der Wiener Kathedrale zum Monumente
Kaiser Friedrich IV. hinaufführen, im Bodenpflaster ein-
gelassen ist. Die Inschrift selbst befindet sich auf einer
grossen Messingtafel, die in der oberen Hälfte der Stein-
platte angebracht wurde, und ist, weil schon sehr aus-
getreten, gegenwärtig schwer zu lesen. Sie lautet folgen-
dermassen: Sta, fle, plange, geme mortalis homo, lege,
disce, I Quid labor, atque tides, quid mundi gloria, quid
spes| Prelis, divitiae, quid honor prosit, tribuatque! ! Ecce
brevi saxotres cives cernesepultos: j ConradumVorlauff,
Kunz Rampersdoröer et Hanns Rock, | Jlagnificos etenim
cunctis, hac urbe priores, j Officiis celebres, quos virtus,
nomen honoris, | Emeritos vexit; fortunae sed rota fallax
I Acephalos feria dedit una, quos amor unus j Foedere
civili conjunxit sie; quod utrinque hie prior, ille prior
* 1408. r>en erbern, weisen, vasern liebsten getrewn dem Burgerraaister
dem Kioliter, vnd dem Itat ze Wien.
Krnst von gots gnaden, Herczog ze Osterreich etc. Erbern, weisen, vnd
liebsten t'Ctrcwn. Als Ir vns yeczand ge.schriben habt, -wie die hendel. die an,
dem Vorlauff, dem RampelsttortTer, viid dem Koggen, den Got'gnad, von
anrüffung wegen, der ganczen gemain, bescheheti sein; von merkleicher not-
durft't wegen. Empfelhen wir e\v, vnd begern ernstleich , daz Ir vns ewrselbs
verschribne antwurt, vnuerczogenleich wissen lazzet, mit wen, die egenant
fromen leut, si-lbe swere straffe, verschuldet haben, vnd ob das, mit ewren
wissen, vnd willen sey zugegangen vnd ob jr, daran, schuld habt, oder nicht.
Geben zu Gretz, an Suntag nach .Tacobi Apostolj (27. Julj) Anno etc. viij.
— Original Papier. Aufgedrucktes Siegel W. Magist.
•* Thomas libendorfer von Haselbach, der die ergiebigste Quelle für
diese VorgHnu-e bietet und den Konrad Vorlauf einen vir promptus et in armis
expertus nennt, erzahlt in seinem chronicon Austriae (Pez II. S35) darüber;
Uiidecima igitur Julii VorlaufT Hamperstorfer Rockb praefati mane ante sextara
ad forum porcorum Viennae deducti se altrin^ecus deosculantes capilali sen-
tentiae sunt addicti. Quorum Corpora libitinis imposita cadem die (undi-cima
Julii) ad vesperas in eodem tumulo ad S. Stephanum extra foras ecclesiae
versus septenirionem in loco , quo jam altara turris fundamenta -suscepit,
humata sunt.
CXVI
Fig. 1.
Yig. 3.
conteuihint fleetcre coUa: Sustulit infaustuni sed Vor-
lauft', tunc prioratum Anno domini 3ICCCC octavo post
Margarethae. Von besonderer Zierlichkeit sind die
Ornamente, die am Schlüsse jeder Zeile und bei den
Satzabtheilungen beigegeben sind: sie sind verschieden
gross, je nachdem die Länge der Worte einen Ausgleich
der Zeilenlänge fordert, stellen Blattrauken, meistens
kniende Engel u. s. w. vor.
Eine weitere Zierde des Steines bilden drei in einer
Reihe befindliche ebenfalls in Messing ausgeführte und
unter der Inschrift befindliche Wappen. Das Wappen
rechts zeigt in einem schräg rechts getheilten Felde
die vordere Hälfte eines stehenden Löwen. Es ist dies
das Wappen Konrad Rampersdorfer's . welchem Wap-
pen wir auf dessen Siegel wiederholt im städtischen Archiv
begegnen *. Das zweiteWappen bezieht sich unzweifelhaft
auf Hanns Rock '\ und zeigt drei Roggenähren in einem
horizontal getheilten Felde. Das dritte Wappen zeigt
im oberen Felde ein mit seinen Annen bis an den Feld-
rand reichendes Kreuz. Da es nicht unwahrscheinlich
ist, dass dieses Wappen jenes des Wiener Bisthums
vorstellen soll, und da die Heftstücke einer grossen,
darüber befindlich gewesenen, aber bereits verloren ge-
gangenen Verzierung die Vorstellung der über diesem
Wappen schwebenden Mitra mit fliegenden Stolen
wahrscheinlich machen, so glaubt Herr Albert von Ca-
mesiiia darinnen einen Anhaltspunkt zur Erklärung
der bisher so schwierig zu enträthselnden Wappendar-
stellung gefunden zu haben •.
Seiner Ansicht nach sei diese Marmorplatte erst
unter dem ersten Bischof von Wien Leo von Spaur
* Konrad Bampersdorfer dürfte nach FeiTs Meinung einige Zeit Bau*
meister an der schonen gotbiscben Kirche za Miriastiegen in Wien g**weten
sein, denn am 22. December 1403 erscheint laut Eintragung im stadti:^cben
Geechäftsbache (1. 136) derselbe Tor dem Bargermeister und nennt sich Bau-
meister des neuen Hauses an der Frauencapelle an der Stetten. (^tlheil. der
Cenl.-Comm. n S3} Sein Siegel s. Fig. 1.
5 Sein Testament lautet:
An Eriiag nach Tixser fraven ug Nativitatis (12. September) kom für
den Rat Chunrat der Rock vnd bracnt vnd weist mit erbern Leuten zu
rechter zeit als er zerecht sei mit Herrn Petrein den Schuldenrein Echter
daz Sand Stephan ze wienn vnd mit Hangen dem Jochlinger das geschefl So
sein Bruder Hanns selig der Rock getan het als es an einer zedel für den
ha*, bracht ward die von wort ze wort lauttet als hernach geschriben stet.
Hie ist Termerchkt das gescheft daz Hanns der Rock geschaA hat bey seinen
lebentigen tegen gegenwnrig erber leul die dabey gewesen sind Her Peter
der Schulderwein, Fridreich Ton Ratt zu den Zeiten >larschalk, Jandel Jud,
Hanns Jochlinger, Item, Ton er.^^t Teriacb er seiner geltschuld Tnd was der
gelter wer die sol man aufrachten Tod daz man das auf seiner See) nicht
ligen seit lassen durch gots willen. Item Tnd Ton der geltschult wegen da
»ey er Tnderkomen Ton seiner HausfraTt^n erb wegen, Ifem meldet er einen
gemechtbrief. Item er sach auch da er sein Hausfrawn genomen biet da wer
er nicht mer »cbuMig gewesen denn dreu hundert guidein, Item erpat auch
gar flf^issichlicfaen daz man seine Kinder nicht gar enterbett. Item er sach
daz er seiner tocbter der Trslein zu Irm mann nichts geben biet denn nur
einen Weingarten den biet er Ir anfgezaigt des Sey Sye r*ye geweitig worden
TBd bat fleissicblich daz man die auch aufrichtet als die oben geschriben
erbem lent also gedenckhen wir der daz da geschriben ist Tnd nicht anders
da druchkt wir drey Tiuer pets< hat auf zu zeugniess der Sach, als die obge-
nanten erbem leut her Peter der Schulderwein bey seiner brlesterschaft vnd
bans der Joehlinger bey seinen trewen an eides siat vor offem Rat haben
getagt als Sy zerecht sollen. Wiener .\rchiT. Gescheftbuch p. 63. b. Am selben
Tage wird auch das Testament der Frau des Rampersdorfer, Barbara be-
kannt r- T-- \ :.'.
■.^te ein redendes Wappen, wie dies das schöne
Si». .-weist, in welchem drei Roggenähren aus einem
^" . ; riessen (Fig. 2;.
' :>. i;;äucr för L^bdeskunde Ton Üieder-Österreich 1869 p. 132.
(t 1479). der mit dem Bürgermeister und Rath der Stadt
Wien auf freundschaftlichem Fasse stand ", angefertigt
und an diese Stelle nächst dem Monumente Friedrichs,
dem Sohne Herzogs Ernst, dessen Anhänger Vorlauf
war, in weihevoller Weise gelegt worden. Auch die
Charaktere der Buchstaben gehören einer wenigstens
um ein halbes Jahrhundert jüngeren Zeit an. Ferner ist
es auch sehr wahrscheinlich, dass dieser Stein kein
Grabstein ist, dass die Gebeine der Gerichteten nicht
darunter ruhen, sondern dass er bloss dem Gedächt-
nisse derselben gewidmet wurde.
Auch die Eigenthüinlichkeit. dass das Wappen des
Vorlauf feiilt, versucht Camesina damit zu erklären,
dass Koiirad Vorlaufs Geschlecht mit ihm im Manns-
stamme erlosch, während Rock und Rampersdorfer
m.inuliche Nachkommen hinterliessen. Wenn uns auch
diese Erklärung als nicht ganz fest begründet vorkommt,
so erscheinen uns die übrigen Ansichten dieses um die
Wiener Geschichte nicht wenig verdienten Forschers in
so weit richtig, dass ^vir gern dieselben acceptiren und
es beruhigt der Zukunft überlassen wollen, diese eine
Lücke durch eine gründliche Erklärung auszufüllen.
Doch auch Vorlauf der wahrscheinlich von einer
Familie ausser Wien stammte, da ein solcher Name unter
den Wiener Bürger - Familien nicht vorkommt, sollte
nicht ohne besonderes Denkmal in der St. Stephans-
kirche bleiben. Es befindet sich nämlich im Langhause
des Domes auf der ersten Säule (vom Hauptthore
gezählt! gegen das rechte Seitenschiff hin, nebst zwei
anderen Statuen das Standbild der Mutter Gottes Maria-
Schutz, und ist der .Sockel dieser Statue mit dem Wap-
penschilde des Konrad Vorlauf geziert. Dasselbe zeigt
ähnlich derHelmzimier in dem hier beigegebenen Siegel
(Fig. 3 1 * desselben ein gezäumtes laufendes Pferd. Es
ist mit Bezug auf das Wajipen sehr wahrscheinlich, dass,
wie überhaupt die Statuen an den Pfeilern laut den
dabei angebrachten Wappen Votivgaben einzelner
Wohlthäter waren, Frau Dorothea Vorlauf, die noch
um 1419 Hill Leben war. sich ebenfalls an der Aus-
schmückung des Wiener Domes betheiligte. Wir können
mit Rücksicht auf diese Prämisse es auch wagen, jene
Figuren, welche die heil. Maria mit ihrem Mantel schüt-
zend umgibt, in Bezug anf die Vorlauf sehe Familie,
wie es Camesina thut. zu erklären. Zu den Füssen
Mariens kniet rechtsseitig Konrad Vorlauf» mit einem
pelzverbrämten Oberklcide angethan , unbedeckten
Hauptes, vor ihm liegt der runde Hut. Hinter ihm steht
sein Namenspatron und ein gekrönter Heiliger. Links
' Einen Beweis für das fretindschaftliche Verhältoiss zwischen der
Stadt und diesem mag liefern, dass im Jahre 14GT die Stadt dem Spawrer
pbarer zu Berchdoldstnrf zu seiner ersten Hess geschankbt hat 1 lag Rayfal
XLiiij ächterin p. xxxvi See. (facit Tj .fcc. iiij 3 xxiiü &c. K»-nmcramts-
Arch. d. Stadt Wien). Derlei Geschenke finden sich nur in sehr wenigen
Beispielen.
' Conrad Vorlaufs Testament wurde ebenfalls erst am 11. September
I40S Teröffentlicht ond lautet:
Desselben tags k <men auch für den Rat der erber her llaiurich
der Weczz diezeit karmaister daz sand Stephan ze wienn vnd der erber
Hanns der Jochlinger Tnd habent da gesagt der Torgenante her Hainrich bey
seiner priesterschaft Tnd derselb Hanns Jochlinger mit seinen trewn an
ayries slat zu rechter zeit als Sv zurecht sollen rmb das gescheft so her
Chonrat seliger der Vorlauf waillent Burgermeister zu wienn an seinen lesten
Zeiten getan hat. .\l6o das er geschaft hat Ton aller seiner bab die gelter ze
weren vnd ze bezallen den andern tail der vorgenanten bab seinen kindern
vDd hat das>elb sein gescheft enph-.lichen den T.^rgenant Hern Hainrich dem
Wezz'.n Tnd Hannsen dem JocnJiuger Tnd '«ann Si also nach der Statreeht
ze wienn darumb nicht gesagen mochten darjmb haben wir es von jn zu
vnsem banden genomen vnd haben in da.' wider in jr irew ausrzerichten
enpbolcfaen in der weis als vorgescbriben stet. Wiener St. Aren. Geschäft-
bücber p. 69. b.
• Nicht ohne lieferer Bedeutung dürfte Vorlauf als Conirasiegel einen
geschnittenen Stein gewählt haben, der ein laufendes Pferd mit einem Palm*
zweige zeigt.
CXVII
kniet Dorothea Vorlauf, Jakob des Süssen Tochter, mit
gefaltetem Jlantel bekleidet und i;leicli ilirom (iemahl
einen Rosenkranz in den Händen haltend, hinter ihr ihre
beiden Töchter und die heil. Dorothea. Ausserdem sind
in der Umhüllung des Mantels noch mehrere Köpfe
sichtbar. ...?«...
Das Siegel des St. Johannes-Spitals am Siechenais
zu Wien.
(Mit 1
Holzschnitt.)
Das während des XIII.
Jahrhunderts noch sehr be-
scheidene Wien hatte, gleich
■nie es von jeher und bis zur
Gegenwart in Wohlthätig-
keitsanstalten Wesentliches
geleistet und durch den mil-
den Sinn seiner Bürger
sich
immer besonders hervorge-
tlian hatte, schon damals eine
nicht unbedeutende Anzahl
von Spitälern, Biirgerversor-
gungen, Pilgrim-, Siechen-
und Leprosenhäusern. Eines
davon war das Spital zu
St. Johannes am Siechenais. Zwar ist es nicht möglich
dessen Gründungszeit anzugeben, doch dürfte sie in das
XIII. Jahrhundert fallen, denn, obgleich die Kirche
schon im XII. Jahrhundert bestand , so finden wir
erst 1298 eines Amtmannes ' des Siechenhauses von
S. Jobann am Siechenais 2 Erwähnung gethan. Da es
nicht selten im Zusammenhange mit den Spitälern zu
St. Lazar und am K 1 a g b a u m aufgeführt wird und auch
im XV. Jalirh. zur Unterbringung von mit anstecken-
den Krankheiten behafteten Personen verwendet wurde,
so ist es wahrscheinlich, dass es gleich Anfangs zu
diesem Zwecke gegründet wurde. Auch der Name des
Stifters ist verloren gegangen, doch spricht die Vermu-
thung für eine landesfürstliche Stiftung, da, obgleich
1370 ein Schatfer des Spitals urkundlich 3 erscheint, das
Spital im Jahre 1476 vom Kaiser Friedrich IV. in die
Verwaltung der Chorherren von St. Dorothea überging.
Das Spital führte im XIV. Jahrhundert das in der
Abbildung beigegebene Siegel». Dasselbe ist spitzoval
mit einem Höhendurchmesser von 2". Innerhalb des ge-
perlten Aussenrandes und einer inneren Perllinie be-
findet sich die Lapidar-In Schrift: f S(igilluni") domfus)
S(ancti) Joh{ann)is Bapt(istae) in alse. Im Mitteiljilde
zeigt sich in sehr zierlicher Zeichnung auf einer Console
stehend die Figur des heil. Johannes, des Täufers
Christi, das Haupt nimbirt, in der Rechten eine Scheibe,
darauf das Agnus dei haltend. Er trägt ein langes Kleid
und darüber ein Dalmatic aus Lanunfell , eine ganz
* Der Sichenals hat seinen Kamen Ton dem trügen und langsamen Laufe
des Wassers im Alserbache, dessen grösseres Wasseniuanlum in einem Arm
der Stadt, während nur wenig Wasser im Hauptbachbette der Als am Spital
vorbei der Donau zulief.
s Hormayr Wien, II. 3. Ed. 1. Hft. t'rlt. 296.
3 Notizenblati de kais. Akademie 185-i, Gl.
* Dieses Siegel befindet sich auf einer im Besitze des kais. Rathes
V. Camesina belindlirhen Urkunde, mit welcher am Johannis - Abend
der Sonnenwende 13:^4 Heinrich Unverzagt und seine Gattin ("Jertraud mit
Zustimmung des Grundherrn Michael Schönhelfer, Meister des Hauses dacz
Sand Johannes der Siechenalse vor dem Schottenthor L' Pfd. W. Pf. Bergrecht
um 20 Pfd. W. Pf. gelegen auf ihrem Haus am neuen Markt zunächst Heinrichs
des Paders Haus verkaufen. Mehrere solche Siegel finden sich im Archiv der
St.idt. In etwas jüngerer Zeit finden sich auch Siegel dieses Spitals, auf denen
nur der Kopf des heil. Johannes angebracht ist.
sinnige Autfassung und Vereinigung seiner traditionel-
len Bekleidungsweise mit dem Gewände des christlichen
Diaconen.
Zu Beginn der ersten Türkenbelagerung verliessen
die Chorherren das im Pfarriiofe untergelirachte Spital,
das sannnt dem dabei bründlichen Dtirfe zu Grunde
ging. Wenige Jahre später Hess die Wiener Gemeinde
daselbst ein neues Spital errichten, welches bei Aus-
bruch von Epidemien zur Unterbringung der Pestkran-
ken und nach deren Erlöschen als ein Aushilfsspital
für jene Armen und Kranken vci'wendet werden sullie,
die im grossen Sjntale bei St. Clara kein Unterkommen
fanden. Das neue Spital, Lazareth genannt, mit der Jo-
hauneskirche^, wofür 1.030 die (Gemeinde das Gruud-
eigenthuiii erwarl), eriiob sich auf den Überresten des
alten Jolianiiispitals und stand ungefähr an der Stelle
des heutigen Bürgerspitsiis am rechten Ufer des Alser-
baches. Im Jahre 1766 verlor das Gebäude seine bis-
herige Bestimnmng, wurde anderweitig verwendet bis
es im Jahre 1858 verschwand «.
Die Krypta zu &ÖS3.
Als ich die in den Mittheilungen der k. k. Central-
Comm., Jahrgang 1866 veröffentlichte Beschreibung der
Kirche des ehemaligen Xonnenstiftes zu Göss verfasste,
war ich genöthigt, mich mit der Constatirung des Vor-
handenseins einer Krypta zu begnügen, indem der Be-
such derselben seit dem Jahre 1849 nicht mehr ge-
stattet wurde.
Im Laufe dieses Sommers ist es mir gelungen die
Erlaubniss zum Betreten dieses so lange verschlos-
senen Raumes zu erlangen, und ich bedaure es wahrlich
nicht, diesen unheimlichen Ort besucht zu haben.
Die Krypta hat die Grösse des Presbyteriums inclu-
sive des Chorschlusses. Sie wird durch je vier in zwei
Reihen geordnete Säulen und Pfeiler in drei Schiffe ge-
theilt. Hinsichtlich der Bauweise unterscheidet sich der
Raum charakteristisch in zwei Partien. Der unter den
beiden ersten Gewölbefeldern des Presbyteriums gele-
gene Theil gehörtder romanischen Zeit, der unter dem
Chorschlusse befindliche der Gothik an.
Der romanische Theil, von dem sich mit grosser
Wahrscheinlichkeit annehmen lässt, dass er noch ins
XI. Jahrhundert zurückreicht, charakterisirt sich durch
zwei Paare romanischer Säulen mit gewundenen und
ornamentirten Schäften, Würfelcapitälen und zierlichen
hohen attischen Basen, durch rundbogige Gewölbe ohne
Rippen und Gurten, der andere durch den polygonen
Schluss, der jenem des Presbyteriums entspricht. Dieser
Theil hat ein einfaches Tonnengewölbe und plumpe
viereckige Pfeiler ohne jede Durchbildung.
Die Krypta ist ziemlieh gut beleuchtet und ventilirt,
da sie im Schlüsse mehrere Fenster hat, die bei der
hohen Lage des Raumes fast ganz über dem Xiveau des
Klosterhofes liegen. Da, wie schon in der erwähnten
Beschreibung bemerkt, das Presbyterium um 7 Stufen
höher als das Kirchenschiff" liegt, so war es auch nicht
nöthig die Krypta tief unter die Erde zu legen. Jene
^ Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei dem Baue dieser Kirche manche
noch den romanischen Charakter an sich tragende Bautheile der früheren
Kirche ihre Verwendung fanden.
' S. Ausführliches über dieses Spital bei Karl Weiss: Geschichte der
Arinenversorgung in Wien.
CXVIII
Stiege, welche sich vor den Stufen des Presbyteriams
befindet, und über welche ich in die Krypta gelangrle.
zählt nur 10 Stufen. Übrigens ist der Raum kaum
8 Schuh hoch.
Eigeuthümiicb ist das Bild, das diese matt beleuch-
tete Stätte mit ihren Säulen und IJügen gibt, in deren
drei Gängen in langer Reihe nebeneinander offene «Särge
stehen, worin, mehr oder ininder der Verwesung an-
heimgefallen, die Körper derAlitissinnen seit Jahrhunder-
ten liegen. Die Körper sind alle noch mit Haut über-
zogen . sehr eingeschrumpft und tbeilweise weich , die
Kleider faserig, ja bei vielen nur Staub, doch decken
sie noch die ganzen Leiber.
An die Krypta schliesscn sich noch Nebenräume
an. die sich unter den Thlimicn und der Sacristei befin-
den, allein in diese zu gelangen war mir nicht möglich.
da sie mit Särgen angefüllt sind. Doch führt in jenen
links der bereits erwähnte zweite, gegenwärtig ver-
mauerte Eingang von der Sacristei aus. der dem ins
Presbyterium (s. Fig. 1, p. 92, Jahrg. 1866) entspricht.
Dr. K. Lind.
Hostienbüclise . Eigenthmn der Decanatürclie zu
Melnik.
(Mit 1 Holzschnitt.)
Hostienbüehsen, d. i. kleine Büchsen, die den
Zweck hatten darinnen geweihte Hostien, welche noch
nicht unmittelbar zur Ansspeisung an die Gläubigen
bestimmt sind, aufzubewahren, gehören von jeher zu
den Ahargeräthen der katholischen Kirche. Sie wurden
je nach der Freigebigkeit und dem Vermögen des Bestel-
lers aus Holz. Elfenbein und Metall angefertigt.
Derlei kirchliche Gefässe haben sich aus dem
Mittelalter gar wenige erhaben, und wir nehmen gern
Gelegenheit unsere Leser hiermit auf ein solches ^luf-
merksam zu machen, das, weil in edlem Metalle angefer-
tigt, sicherlich einen reichen Spender hatte.
Dasselbe befindet sich in der Decanalkirche zu
Melnik in Böhmen, ist aus Silber angefertigt und tbeil-
weise vergoldet. Die Büchse ist kreisrund, hat eine Höhe
(inclusive der Fignren) von 5 ' und erreicht im Durch-
messer 4« . '. Das Gefäss ist, weil in ganz zierlicher
Weise ausgestattet, einiger Beachtung in künstlerischer
Beziehung würdig und mag mit Rücksicht auf die <»rna-
mentation aus dem ablaufenden XV. oder beginnenden
XVL Jahrhundert stammen.
Das Gefäss ruht auf drei Füssen, deren jeder einen
knienden musicireuden Engel vorstellt. Die Schale ist
unten fiach, und hat senkrechte Sciteuwandung, die
nach unten mit einem eingeschnittenen Wulste nach oben
einem fortlaufenden gothischen Lilienoniament ab-
schliesst. Im die ganze Aussenseite der Wandung
schlingt sich ein meisterlich diirchgefiihrtes Ornament
ans rankenden Blumen und Blättern, das selbstständig
ausgeführt, auf den Flächen reliefartig aufliegt. Der
ganz abhebbare Deckel ist nach, aussen mit einem ge-
flcH'htenen Zaun abgeschlossen . was sicherlich die
Umzäunung des (jlberges vorstellen soll. Inner demsel-
ben kniet Jesus gegen einen Felsen gewendet, auf dem
ein Kelch steht, l'm ihn liegen schlafend seine drei
Begleiter, Petrus, Jacobus und Johannes. Obgleich die
einzelnen Figuren, namentlich die des Deckels, an den
Köpfen sehr mangelhaft ausgeführt sind, so ist deren
Gruppirnng doch sehr lebhaft und lässt das ganze Werk
mit Rücksicht auf Zeichnung und Ausführung als seinen
Vert'ertiger einen Goldschmied von Strebsamkeit und
künstlerischer Begabung vermuthen, dem manche der
bedeutenden Werke der Goldschmiedekunst der früheren
Zeit nicht unbekannt geblieben sind, wodurch in ihm
eine gewisse und an dem Werke deutlich merkbare
Läuterung des Geschmackes bewirkt wiirde.
Beiträge zur GrescMchte der Siebenhirter.
(Mit 1 Holzsclinitt.;
Der Name dieses altösterreichischen Geschlechtes
kommt in den Formen Siebenhirter. Sibenbirter,
Siebenhüi ter, Sübenhierter, Siebenhirtner,
Sybenhirt vor.
In Niederösterreich, im Viertel U. W. W. nächst
Liesing lieget das Dort' Siebenhirten am Peters-
bach: daselbst war eine adelige Familie sesshaft, wel-
che im XV. Jahrhundert unter der Wiener Bürgerschaft
auftaucht. Möglicherweise besteht irgend ein Zusam-
menhang zwischen diesen Rittern und jenem Dort" und
der heutigen Siebenhirtengasse in Lerchenfeld
bei Wien. Übrigens finden sich noch zwei Orte die-
ses Namens in Niederösterreich : im Viertel 0. W. W.
ein Dorf südlich hinter Bärsebling oberhalb Böheim-
kirchen. und im Viertel 1'. M. B. ein ehemals vicedomi-
sches Gut. der Herrschaft Staats gehörig, an der Zaya,
zwischen Hüttendorf und Mistelbach '.
Der erstgenannte Ort erscheint schon im XII. Jahr-
hundert in dem Saalbuch des Stittes Klostemeubnrg,
als 1178 Ulrich v^n Falkenstein, ein Ministerial Herzog
Leopold VI., dem Stifte seine Besitzungen zu Mcinharts-
dort' nächst Meldung verkaulte: unter den daselbst auf-
geführten Zeugen lesen wir Heinrich und Albert
von Siebenhirtis.
Dass jener Dietrich von G e r u n g von Sieben-
hirten, der 1224 als Zeuge in einem Documente von
» Weis kern. Topoprmphf^ Ton Sieder-Österreieh H, 186 f.
= R e m 1 i 5 . Curiosiciten* and HemorftbiMen-LexIkon tod Wien IT. 333 ff.
CXIX
Klostevneuburg erscheint, hiehergehört, wie Weis-
kern, der ihn naeh Hernh. Petz anführt, glaubt, niüsste
erst noch erwiesen werden. Eher möchte jener Ulrich
von Siebenhirten mit seiner Hausfrau Margareth,
welche zu Sieghartsdort sassen, und anno 1332 am
8t. Johannestag zu der Sonnenwende dem Kloster Molk
ihren Erbpacht verkauften, zu dieser Familie zu rechnen
sein, obgleich das bei Huebers abgebildete Siegel mit
der Umschrift :
t 8 . VLRICI . DE . SIBEnhIRTE.
ein oberhalbes Rad zeigt, und also gar keine Ähn-
lichkeit mit dem späteren Siebenhirter Wajipen hat.
Aus den wenigen Zeilen, welche das Wissgrill'sche
Manuscript im n. -ö. Landesarchive über dieses Ge-
schlecht beibringt, entnehmen wir zwei fernere Mit-
glieder desselben :
pSiebenhürtner Niclas war 1361 Zeug in
Herrn Jannsen v. Eckendorf Brief (Duellii Excerpta).
Martin seu Märt Siebenhürtner hatte mit Jörig
dem Rodauner 1376 Strittigkeit wegen einiger Grund-
stückezwischenBruunnndBertoldsdorf arch: n. 1992" *.
Weitere Spuren dieses Namens linden sich im
Wiener Stadtgrundbuch aus dem 15. Säculum, wo ein
^Hanns bey dem Prunn, den man nennet
Sibenhirter" erwähnt wird, der jedoch ein anderer
zu sein scheint, als der bekannte Fürst und Hochmeister
des St. Georgenordens, welcher seinen Stamm der Ver-
gessenheit entriss, und den P. Fischer s „nobilem virum"
und die Carinthia« „einen Bürger Wiens-' nennt.
Derselbe Johann Siebenhirter" war Haupt-
mann der Schlösser Eisenstadt und Forchtenstein und
führte auch den Titel eines Küchenmeisters Kaiser
Friedrich des III. Anno 1462; während der Belagerung
der Wiener Burg durch die aufständische Bürgerschaft
war Siebenhirter mit dem Kaiser daselbst eingeschlos-
sen und einer seiner Yertheidigers ; wahrscheinlich trug
dieser Umstand zu seiner nachherigen Erhebung wesent-
lich bei. Denn als Friedrich den Ritterorden des heil.
Georg stiftete, bestimmte er seinen getreuen Johann
Siebenhirter zum ersten Oberhaupte ; der Kaiser reiste
mit seinem Schützling im November 1468 nach Rom,
stellte ihn persönlich dem Papste Paul II. vor, worauf
dieser den Empfohlenen am 1. Jänner 1479 zum Hoch-
meister des Sanct Georgensordens weihte, wodurch ihm
zugleich die fürstliche Würde verliehen ward.
Am 14. Mai desselben Jahres nahm Siebenhirter
Besitz von seiner Residenz zu Millstadt in Kärnthen.
Allein er fand dieselbe in einem höchst traurigen Zu-
stande, und es gelang ihm nur mit grosser Mühe die
Jlittel aufzuln-ingen , um Millstadt mit ^lauern und
Thürmen zum Schutz gegen die Türken zu umgeben.
Dann Hess er auch bedeutende Restaurationen an der
grossen Kirche vornehmen, und die Reliquien des heil.
Domitian in einer Nebencapelle aufstellen.
Anno 1481 » übertrug ihm Kaiser Friedrich ein
Haus '0 neben der St. Kikolauscapelle in der Singer-
' Hueber, Austria es Archiv. Mellicens. iUustr. p. GT lab. XIV. !sr. 9.
* Wissgrill. Manuscript. Schauplatz des nieder-österreich. Adels. Die
Berufung auf die augei^ebene Arcliivnummer ist irrig.
^ Brevis notit. urb. Vindob. I, 9G.
« Carinthia, 1825 Nr. 24 ff.
" Vide die treffliche Abhandlung des Herrn Dr. J. R. t. Bergmann,
^Dcr St. Georgs-Uitierorden vom Jahre I4C9— l.iT'J" im Jahrg. ISGS, pag. 169
dieser Blätter, mit den dazu gehörigen Tafeln.
* Fugger, Ehrenspiegel pag. G95. Hieron. Pez, Scriptores rerum
austriacarum II. 609 ff.
9 1'. Fischer. 1. c.
"* Nach Weiskern das ehemalige Nonnenkloster.
Strasse zu Wien als Residenz bei zeitweiligem Aufent-
halte in der Hauptstadt. Über Siebenhirter's Versuch,
die Abtei Victring nächst Klagenfurt dem St. Georgs-
orden einzuverleiben , und des Kaisers Max Schreiben
an ihn in dieser Angelegenheit ddo. 30. April 1494 ist
hier, als bloss die Ordens- und kärnthnerischen Ver-
hältnisse berührend, nicht der Ort zu sprechen. Von
seiner Grossmuth aber ist es ein ehrendes Zeugniss,
dass er aus eigenem Säckel zweimal das Hospital St.
Martin zu Wien und das Gut Trautmannsdorf aus den
Händen eines Wiener Fleischers auslöste, und als die
Ungarn im Kriege mit Friedrich IV. verwüstend in Kärn-
then einfielen, für seine armen Unterthanen Lösegeld
bezahlte.
Fürst Johann Siebenhirter starb nach 39jähriger
Regierung im Alter von 88 Jahren am 10. September
1508 zu Millstadt, ,.ein herrlicher Greis, an Körperbil-
duug seinem kaiserlichen Gönner Max ähnlich , unge-
beuet an Geist, und treu seinem Wahlspruche: „Ver-
giss" dich nicht!" Der historische Verein zu Klagen-
furth besitzt vier auf Johann Siebenhirter bezügliche
Urkunden, welche mir mit gewohnter Liberalität mit-
getheilt wurden, und wovon zwei besonders interessant
sind. .
Die eine ddo. Neustadt, St. Martinstag 14o6 ist
ein Schuldbrief des Kaisers Friedrich, worin derselbe
erklärt, seinem Küchenmeister Johann Sybenhirter nach
gepflogener Verrechnung 2080 Pfund 5 Schilling, 27
Pfenning schuldig zu sein, wofür ihm die Einkünfte
einiü-er Ämter angewiesen wurden. Diese guten Dienste
mö-Teu wohl auch das ihrige dazngcthan haben, den
Mann zu so hohenEhren zu bringen. In der andern Urkunde
ddo. Millstadt Sanct .... tag' i 1498 verpfändet der
Hochmeister J. Sybenhirter und das Capitel dem Ordens-
ritter Herrn Hans Gaymann von Gailspach'is für ein
Darlehen von 709 rhein. Gulden Schloss und Herrschaft
Trautmaunsdorf in Österreich. Au diesem Pfamibrief
hängen zwei Siegel, wovon das eine in rothem Y> achs
jene^s des Hochmeisters, das andere in grünem Wachs
das des Ordenscapitels ist.
Das Erstere, obstchend abgebildete, enthalt das
Wappen des St. Georgeuordens mit dem rothen Kreuz
in Silber, darüber die Kaiserkrone, welche Friedrich auf
'1 Der N.ame des Heiligen ist verwischt.
i: Dieser wurde anno 1511 zweiter Hochmeister des Ordens.
cxx
manchen von ihm verliehenen Wappen anzubringen
liebte, z. B. über dem Doppeladler der Städte Wien,
Krems und Stein 'i; als Scbildhalter rechts die heil. Maria
mit dem Jesuskind, links St. Georg: auf dem Drachen
schreitend. Unterhalb befinden sich die beiden (V» Sie-
benhirter'schen Wappenschilde, zwei gegeneinander ge-
lehnte Tartschen. von denen die vordere in Roth einen
aus einer blauen Gugelhanbe sehenden Mannskopf links-
-ewendet, die hintere blaue eine silberne rechte Vie-
rung zeigt.
Über diesen in einen Dreipass gestellten Schilden
erhebt sich anf dem absonderlich geformten Kreuze der
Kaiserkrone das Banner des heil. Georg, das rothe
Kreuz auf silbernem Grunde \viederholend <*.
Um das Ganze windet sich ein Spruchband mit der
Inschrift :
„siff . . . iohannis sibenhirter ein erst hochm . . .
sant iorgen erden-.
Der historische Verein zu Klagenfart besitzt aus-
serdem noch zwei messingene Original-Siegelstöcke des
Ordens, deren Gravirung sich durch ihre Schönheit aus-
zeichnet. Der eine dürfte um weniges älter sein als
der andere; beide weisen einen unten runden quadrirten
Schild; in 1 und 4 drei Münzen 1 und 2, wovon jede
ein von 2 Nägeln (?) beseitetes Kreuz enthält: in 2 und
3 das schwebende St. Georgskreuz. Umschrift auf einem
Spruchband :
_sigillvni T confratemitatis . sancti . Georgy t"*-
Was nun aber das Wappen des Geschlechtes Sie-
benhirter anbelangt, so mag dies zuerst ein oberhalbes
Rad. und später der Kopf mit derGugel in Roth i^Hirten-
kopfPi gewesen sein, welcher auch auf dem Grabmal
des Hochmeisters Johann zu Millstadt rechts, gegenüber
dem Georgsschild lehnt '^ Wie die zweite alliirte blaue
Tartsche mit der silbernen Vierung, welche sich eben-
falls auf dem Knopf des im Museum des historischen
Vereins von Kärnthen aufbewahrten Ceremonienschwer-
tes gegenüber dem Gugelhaapte in Email präsentirt,
hinzugt-kommen. ist mir leider zur Zeit noch nicht sicher
bekan^nt. Das Wappen von Millstadt (wohl abzuleiten
von Mühlstatt), welches in ofienbarer Anspielung auf
seinen lateinischen Namen Millestatuae 3 Säulen führt,
die als Capital einen Bocks- , Stier- und Lammskopf
tragen, und neben dem Ordens- und Geschlechtswappen
an dem Grabmale des Hochmeisters Gaymann prangt,
ist es nicht. Das Wahrscheinlichste bleibt immer, dass
jener zweite Schild das Wappen seiner, vermuthlich vor
1469 verstorbenen Gemahlin gewesen '«.
" Vid* die Slfgelwfeln in Melly's Beilrigen zur Siegelkunde des Mit-
telalter». QDd die lUastratioDen im .Wappen der Stadt Wien-* von Dr. Lind.
'^ In der Abbildung auch niobt ganz deutlich erscheinend.
t* Vide Dr. U. t. Bergmann, 1. c.
■* Vide über Slebcnhirter: Archiv für vaterländische Geschichte und
Topographie, herausgegeben von dem hiftoriscbeo Verein ftir Kärnthen. Jahrg.
1, 11 1» ond IV, liö ff.
Damals führte das adelige Geschlecht der Kerseh-
perger ein solches Wappen, nur schwarz statt blau.
Marchard der Kerschperger war 1443 und 144i> Unter-
Landmarschall von Osterreich und Stadtanwalt von
Wicu- ''. Dr. Ernst Edler V. Framenshuld.
General -Versammlung der historisclien Vereine
DeutscMand's in Regensburg.
Die obbenannte Versammlung wurde in der Woche
vom 2<». bis 25. .September abgehalten. Es hatten sich
an derselben die Vertreter der meisten historischen
und archäologischen Vereine Deutschlands sowie ausser-
dem viele Freunde der Geschichte und Archäologie ein-
gefunden, so dass man nahezu an lOU Theilnehmer
annehmen kann. Leider können wir nicht dasselbe aus
unserem Kaiserstaate berichten, aus dem nur zwei
Vereine vertreten waren. Der Empfang und die Auf-
nahme von Seite der Stadt Regensburg war eine sehr
herzliche und gastfreundschaftliche und das Local-Pro-
gramm bot reiche Abwechslung der Besichtigungen
wissenschaftlicher und heiterer Versammlungen.
Dem Gästen wurde als Localtuhrer ein sehr schön
ausgestattetes Buch: _Regensburg in der Vergangen-
heit und Gegenwart- übergeben, in welchem sich jeder-
mann vollkommen belehrende Kenntniss über Regens-
burg's Kunst- Werke und Sammlungen , über seine
Baudenkmale, seine Geschichte und Wahrzeichen u: s. w.
verschaffen konnte, indem man bei Besuchen der Denk-
male genügenden Aufschluss über jedes derselben fand.
Dieses Buch wird gewiss jedermann ein freundliches
Erinnerungszeichen für immer bleiben.
Natürlich bildeten die St. Llrichs- und St. Jacobus-
kirche, die Abtei St. Emmeran, und endlich der nun-
mehr in höchst gelungener Weise vollendete und seine
ganze Pracht entfaltende Dom die Hauptzielpuukte,
wohin sich die Schritte der Gäste gerne lenkten. Ein
ganz eigenthümlich, ja furchtbar schönes Bild gewährte
die Beleuchtung der gothischen Kathedrale mit ben-
galischen Lichte. Glich er bei blauem Lichte einem
Werke ans weissem Marmor, so erschien er in röther
Beleuchtung wie ein rother Riese, der zum Himmel auf-
steigt um von da herab die Allmacht Gottes zu verkünden
sowie auch zur Bewunderung der Leistungen des mensch-
lichen Geistes aufzufordern.
Wir sind gewiss, dass dieses Bild sowie überhaupt
die Tage in Regensburg jedem der damaligen Besucher
unvergesslich bleiben werden.
Die Fragen , welche Gegen.stand der Berathung
bildeten und von denen sich einige auf Österreich bezie-
hen . wollen wir nächstens eingehend besprechen.
. . .m. . .
" Prenenhober, Anoal. Styrenses p. 51 und Ȋ. Ho eher 1. c. p. 216,
Tab. XXV. Sr. 10. Wissgrill V. 71—73. Hoheneck III, p. K'9.
N e k r 0 1 0 2: e.
Wir haben die traurige Pflicht über den Tod zweier
Männer zu berichten, die mit der k, k, Central-Commis-
sion in reger Verbindung standen, und deren Hinschei-
den für dieselbe zum empfindlichen Verlust wurde. Wir
meinen das Mitglied der k. k. Central-Commission Karl
R ö s n e r und den Conservator für den Kreis Ober-
Wiener- Wald in Niederösterreich Ignaz Keiblinger.
Der erstere war am 19. Juni 1804 zu Wien gebo-
ren und der älteste der drei Söhne, mit welchen seine
Mutter Felicitas ihren Gemahl beschenkt hatte. Der
Stand der beiden Eltern (sie waren Mitglieder des
damals vereinten Hofburg- und Kärnthnerth.>r-Thea-
ters I und die ausserordentlichen Erfolge seines Oheims
mütterlicher Seite, Hermann Neefe, als Decorations-
CXXI
maier am Theatci- an der Wien, mochten in dem jungen
Manne gegen den Willen der Eltern die Lust sich
dem Theater zn widmen geweckt haben. Die Nei-
gung zu dieser Laufbahn verleitete ihn sogar, seine
Gymuasial-Studien vor ihrer Vollendung aufzugeben.
Obgleich Kösner's Leistungen auf dem Felde der De-
oorations- und Schauspielkunst gerade nicht unbedeu-
tend waren, so bewogen ihn dennoch die unausgesetzten
Bitten seiner Eltern, diesem Lebensplane zu entsagen.
Dieser Schritt war sicherlich zu Rösner's Wohl, doch
blieb ihm das Theater für sein ganzes Leben ein Lieb-
lingsgegenstand. An einem schönen Sonntagsmorgen, so
berichtet der Kekrologist der neuen freien Presse
(S. 17 79 ) ' im verflossenen Jahre hatte HoflFmanii im Circus
Suhr eine Decoration zur „Zaubei-flöte" aufgestellt.
Rösner sass sinnend davor und gedachte mit Wehmuth
der Zeit, in der er diesem Kuustzweige mit schwärmeri-
schem Eifer ergeben war.
Als neue Laufbahn wählte nun der von künstleri-
schem Streben beseelte Geist Rösner's die Architectur,
und oblag mit allem Fieisse dem bezüglichen Fach-
studium, erlernte mehrere Sprachen, sowie er sich
auch tüchtiges Wissen in der Mathematik, Chemie und
Physik aneignete. Sein Talent trat bald zu Tage, er
erlangte 182.5 den grossen Preis für die Zöglinge der
Architecturschule und ging 1830 als Pensionär nach
Rom, wo er in den Kreis der Koryphäen Oberl)eek, Cor-
nelius, Thorwaldsen gelangte, und an Steinle und ande-
ren Freunde fand.
Schon 1826, also noch vor der italienischen Reise,
war Rösner provisorischer Corrector an der akademi-
schen Architecturschule geworden, 1828 erfolgte seine
detinitive Ernennung. Seinen aus Italien mitgebrachten
Studien und seiner unernnideteu Thätigkeit in der
Architecturschule verdankte Rösner nach dem Ableben
des Professors Pein im Jahre l^.'Sö die Ernennung zum
wirklichen Professor mit der Weisung der Unterriclits-
Ertheilung in der schönen Baukunst und in dem Ürna-
meuten-Zeichnen nach Gypsniodellen. Im Jahre 1845
genehmigte Kaiser Ferdinand Rösner's Wahl zum
ordentlichen akademischen Rathe. Am 18. Juli 1848
Murde Rösner provisorisch mit der Präsidentschaft der
Akademie betraut, welchen Posten er neben seiner
Professur mit Umsicht bis zum 30. September 1852,
d. i. bis zu dem Zeitpunkte verwaltete, in welchem
Ruhen das Directorat der in Orgauisirung begriftenen
Akademie tibernahm. Nach erfolgter Reorganisirung des
gesammten akademischen Unterrichtes und in Folge
der damit eingeführten Theilung des Lehrstoffes in die
antike Baukunst und Renaissance einerseits und die
specifisch christliche Architectur anderseits, und nach-
dem diese beiden Professuren durch Hansen und
Schmidt besetzt wurden, blieb für R ö s n e r nur die Lehre
der Perspective, die Darstellung ornamentaler Gegen-
stände aus den verschiedenen Styl-Epocheu und die
Techtonik derGeräthschaftenaus diesen Perioden übrig.
Nach der Pensiouirung Van der Nüll's supplirte er die
erledigte Lehrkanzel, später auch die des erkrankten
Siccardsburg. In letzterer Zeit trug er sich mit der
Idee, Vorträge über Theater-Decorationsmalerei zu hal-
ten, eine Idee, die bei dem traurigen Stand der heutigen
Leistungen in diesem Fache, insbesondere in Bezug auf
Architecturformen und Perspective als eine glückliche
^ Dem dort verüffentiichfen Nekrologe sind wir theilweise gefolgt.
bezeichnet werden kann und deren Realisirung dringend
nothwendig ist.
Nach dem Zeugnisse seiner Vorstände hat sich Rös-
ner in allen Stadien seines Berufes stets als ein i)flic,ht-
treuer, eifriger, gewissenhafter Lehrer seiner Zöglinge
und als humaner, uneigennütziger und biederer Cha-
rakter seinen Collegen gegenüber benommen. Er stand
in freundschaftlichen Beziehungen mit Kupelwieser,
Führich, Böhm, Endres, Helfert, Camesina und vielen
anderen hervorragenden Persönlichkeiten.
Rösner genoss ausserordentliches Vertrauen bei
der Regierung. Vielfach wurde er von derselben zu
ehrenvollen Dienstleistungen berufen. Schon 1839 war
ihm vom damaligen Stadthauptmann v. Bartenstein eine
genaue Aufnahme des baufälligen und zur Abtragung
bestimmten Helmes des St. Stephansthurmes aufge-
tragen worden. Im März 1845 wurde Rösner zum
Hof-Comniissions-Mitglied für die Wiener Industrie-Aus-
stellung ernannt, im März 1850 in die österreichische
Commission für die Londoner Industrie-Ausstellung,
dann in die Preisrichter-Jury berufen, und mit der Be-
i'ichterstattung über die Ausstellung, endlich auch mit
der Zusammenstellung des Geschenkes unseres Kaisers
an die grossbritannische Majestät, bestehend aus einer
Sammlung von Dichtungen, Musikstücken und Zeich-
nungen österreichischer Künstler, betraut. Auch bei der
Jlünchener Industrie-Ausstellung 1854 fungirte R ö s n e r
als Preisrichterinder Jury. In der Bank- und Börsenbau-
Frage so wie auch in der bei dem Programm-Entwürfe
für das neue Opernhaus wurde Rösner's Rath eingeholt.
Die Wiener Stadtgemeinde, deren Rath er durch 12 Jahre
angehörte, ehrte Rösner für seine Thätigkeit im Ge-
meinde-Interesse , insbesondere für die Vertretung der
Connuune in der Stadterweiterungs-Comniission durch
Verleihung des Bürgerrechtes der Stadt ad personam.
Im Wiener Gewerbevereine erwarb sich Rösner Ver-
dienste um die Errichtung der gewerblichen Zeichuuugs-
Unterriclitsanstalt und war bei seinem Lebensende
dessen Vice-Präsident.
Rösner's architectonische Schöpfungen sind von
sehr ungleichem Werthe. Während die Kirche des
Klosters der Redemptoristinnen am Rennwege eher als
missluugeu bezeichnet werden kann, ferner die St. Jo-
hanneskirche in der Jägerzeile Wiens, die Pfarrkirche
zu Meidling, der Spitalstract im k. k. Arsenale und die
Capelle daselbst als ganz gewöhnliche Bauten erschei-
nen, sichern die neueren Projecte seiner Kirchen roma-
nischen Styles, nämlich die zu Carolinenthal in Prag
und zu Diakovar in Croatien dem verstorbeneu Archi-
tekten einen ehrenvollen Platz in der neueren Kunst.
Rösner war strenger Katholik, gehörte der Gruppe jener
Künstler an, die ihre Thätigkeit mit Vorliebe der Kirche
widmen, und war in seinen letzteren Werken entschie-
den und mit gutem Erfolge Anhänger des romanischen
Styles.
Rösner wurde im Jahre 1864 Mitglied der Centr.-
Comm. Nicht wenig leistete er für dieselbe. Sie hat eine
namhafte Reihe von gründlichen und sehr schätzbares
Jlaterial enthaltenden Gutachten aufzuweisen, die er über
Restaurationen, Adaptirungen u. s. w. für des Erhaltens
werthe Baudenkmale abgab ; dahin gehört auch das
grosse Elaborat über die Restaurirung des Schlosses
Tyrol, sein \'otum über die Wiederherstellung der pracht-
voll decorirten Räume im ehemaligen Prinz Eugen'schen
CXXII
(Ttrbämle. des jetzigen Finanz-Ministerinms etc. Schon
vor vielen Jahren besihiiftigte ihn die Idee der Heraus-
gabe der burgundischen Gewänder der Schatzkaninier:
theilweise war das Werk auch im Gange, doc-h sditint
deren Kostspieligkeit die Vollendung bei dem Imstande,
als nnr die Kräfte eines Privatmannes aufgeboten wur-
den und keine Subvention datiir zu erlangen war. un-
mfiglich gemacht zu haben. Die Idee zu diesiin Unter-
nehmen, das weit über .-eine materiellen Kräfte ging,
ist ans seinem Pairiotismus entstanden, denn, da es aus-
ländischen Krätien gelungen war, die Herausgabe der
deutschen Keiihskleinodien zu bewerkstelligen, so
wollte er die Herausgabe dieser wahrhaft prachtvollen
Capelle nicht auf demselben Wege durchführen lassen.
Allein Rösners Plan blieb bloss beim Versuche.
R ö s n e r wurde für das Project der Arsenal-Capelle
mit dem Ritterkreuze des Franz Joseph -Ordens, für
jenes der Carolinenthalerkirche mit dem Titel eines
Oberbaurathes ausgezeichnet.
Der gegenwärtige Papst zeichnete ihn für seineu im
katholischen Gesellenvereiue ertheiltenSonntags-Uuter-
richtim gewerblichen Zeichnen mit einer silbernen Denk-
münze und für seine im Severiuus-Vereine gehaltenen
Vorträge über christliche Baukunst durch Verleihung des
Ritterkreuzes des Gregor-Ordens aus.
Schon vor etlichen Jahren zeigte sich ein Nieren-
leiden, das wiederholt bösartig auftretend durch die
Kunst der Arzeneiwissenschaft zeitweise gestillt wurde.
Allein mit der Zeit nahm auch die Heftigkeit der Anfälle
zu. Im Frühjahre wurde das Übel drohend und es be-
durfte diesmal längerer Cur, um die Krankheit theil-
wcise zu bewältigen. Noch vor Eintritt der Sommer-
ferien verliess Rösner die Residenz und suchte sonder-
barer Weise Heil in den Jodquellen zu Hall. Scheinbar
gebessert machte Rösner Ausflüge nach den Örtlich-
keiten der Umgegend, nach Kremsmünster am 8. Juli,
nach Steier am 13. Juli, und dort war ihm das Ende
seiner Lebensbahn beschieden. Nur wenige Stunden
dauerte der heftige Anfall der Krankheit und bald
erlosch das Leben eines Künstlers, eines allgemein ge-
achteten und beliebten, eines schlichten, gebildeten und
liebenswürdigen Mannes.
Am 14. Juli d. J. verbreitete sich in Wien die
Tranerkunde, vier Tage später wurde die entseehe
Hülle dieses rechtschaffenen Mannes zu Grabe getra-
gen und am Matzleinsdorfer Friedhofe der ewigen Ruhe
übergeben.
Ignaz Keibliuger, geboren zu Wien im Jahre
1797 den 20. September, erhielt bei der Taufe den
Namen Franz. besuchte das Gj-mnasinm zu Melk, trat
in den Benedictiner-Orden, war Capitular des Stiftes
Melk und wurde 1820 zum Priester geweiht. Anfänglich
in der Seelsorge zu Ravelsbach und Gainfahren verwen-
det, wirkte er später am Stiftsgymnasiura und an der
theologischen Hauslelir.instalt als Professor, 18.!2 wurde
er .*^tiftsbibliothekar. später Plarrer zu Zwerndorf. Mcisel-
dorf und MaizKinsdnrf, dann wieder (iymnasial-Profes-
sor. Als im Jahre 1818 die kirchliche Topographie von
Osterreich ins Leben gerufen wurde, schloss sich Keib-
liuger diesem vaterländischen Unternehmen an und
lieferte dafür namhafte literarische Beiträge: dessgk-i-
cheu tindeu wir Arljeiten Keiljlinger's im Archive
des Freiherm V. Homiayr (ls22 und 1827). Von nun
blieb derselbe seinen historischen Forschungen treu
und übergab von Zeit zu Zeit einzelne grössere Ar-
beiten der Öffentlichkeit . wie zum Beispiel Notizen
über Melk, Kunst und Altcrthum betreffend (1836)
in Tschisehka's Kunst und Alterthum von Österreich,
ferner die Geschichte der Ruine .\ggstein in den Mit-
theilungen des Alterthum -Vereines (VII. Band), die
Geschichte von Schwallcnbach (X. Band) etc. Sein
bedeutendstes Werk ist jedoch die Geschichte seines
Ordenshauses, des Benedictinerstiltes Melk, deren
erster Band in zwei Auflagen erschien, und deren zweiter
die wirklichen und gewesenen Pfarren und Besitzungen
des Stiftes umfassende Theil im Jahre 1869 vollendet
wurde. K ei b linger hatte die Absicht, noch einen dritten
Band auszuarbeiten, derselbe sollte die Umgebungen
von ^lelknach den Grenzen des gleichnamigen Decauats,
mit Inbegriff der kaiserl. Güter dieser Gegend und des
uralten Pöchlarn behandeln. Alleiu vor dem Zustande-
kommen dieser Abtheilung war seine irdische Laufbahn
abgeschlossen. Seine letzte historische Arbeit, Schloss
und Kloster Schöubühel an der Donau betreffend, dürfte
in den Berichten des Wiener Alterthums-Vereines ver-
öffentlicht werden, wofür sie auch den Verfasser selbst
bestimmt hatte.
Seit dem Jahre 1 854 war Keibliuger Conservator
für den Kreis Ober- Wienerwald, und finden sich in den
Mittheilungen der Centr.-Comm. mehrere Berichte aus
seiner Feder. Keibliuger war ein fleissiger und ängst-
lich genauer Geschichtsforscher, unermüdet thätig,
dabei anspruchslos, sehr zuvorkommend und freundlich.
Se. Majestät der Kaiser hatte ihn mit dem Ritterkreuze
des Franz Joseph -Ordens, die k. k. Akademie der
Wissenschaften durch Ernennung zum correspondiren-
deu Mitgliede ausgezeichnet. In den letzteren Jahren
hatte er das Lehramt aufgegeben, und besorgte nur mehr
das Stiftsarchiv. Schon gegen Ende des Jahres 18(38
war Keibliuger leidend, sein rastloses Arbeiten,
um baldigst den zweiten Band seines Geschichtswerkes
zum Abschluss zu bringen, erschöpfte seine Kräfte.
Im Herbste desselben Jahres gab er seinen Wohnsitz
in Wien auf. kehrte ins Stift heim, und starb an Ab-
nahme der Kräfte am 3. Juli dieses Jahres.
Ein ehrendes Andenken bleibe beiden würdigen
Männern. Dr. K. Lind.
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