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Full text of "Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale"

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THE  J.  PALT,  GETTY  AlUSEUAI  LIBRARY 


MITTHEILUNGEN 


PER 


K.  K.  CENTRAL-COMMISSION 


ZUR 


EEFOESCHUNG  UND  ERHALTUNG  DER  BAUDENKMALE. 


HERAUSGEGEBEN  UNTER  DER  LEITUNG 


SEINER  EXCELLENZ  DES  PRÄSIDENTEN  DER  K.  K.  CENTRAL-COMMISSION 


Dl.  JOSEPH   ALEXANDER    FREIHERRN   VON   HELFERT. 


EEDACTEUR:  Dr.  KARL  LIND. 


XIV.  JAHKGANG. 


MIT  193  HOLZSCHNITTEN  UND  33  TAFELN. 


WIEN,  1869. 

IN    COMMISSION    BEI    KARL    GEROLD'S    SOHN. 

UKUCK  DER   K.  K.   HOF-  UND  STAATSDRUCKEREI. 


THE  J.  PAUL  GETTY  CENTER 
UBRAKY 


INHALT 


DES  XIV.  BANDES  DER  MITTHEILUNGEN. 


Seite 

Neuentdeckte  Fresken  aus  dem  Leben  der  heil.  Apostel  Cyrill  und  Met  ho  d  in  Bom.  Von  Dr.  B.  Dudlk, 

0.  S.  B.  (Mit  3  Holzschnitten  und  1  Tafel.) 1 

Der  Schatz  von  St.  Veit  zu  Prag  I.  Abtheilung.  Von  Canonicus  Dr.  Fr.  Bock.  (^Mit  •22  Holzschnitten.)    9 

Die  Urform  der  römischen  Basilica.  Von  Franz  R  eher.  (Mit  3  Holzschnitten.) 35 

Das  Melkerkreuz.  Von  Dr.  E.  Fr.  v.  Sacken.  (Mit  7  Holzschnitten.) 59 

Die  Wallfahrtskirche  zu  Maria-Zeil  in  Steiermark.   Von  Hans  Petschnig.   (Mit  28  Holzschnitten  und 

einer  Tafel.)  67 

Die   romanischen  Deckengemälde  in  der  Stiftskirche  zu  Lambach.    Von  Dr.  E.  Freiherrn  v.  Sacken. 

(Mit  einer  Tafel.) 92 

Der  Grabstein  der  Kaiserin  Eleonore  zu  Wiener-Neustadt.  Von  Dr.  Karl  Lind.  (Mit  1  Holzschnitt.)  ....  101 
Studien  über  Befestigungsbaute  n   des  Mittelalters.  (Fortsetzung  Deutschland.)    Von   Schulcz  Ferencz. 

(Mit  35  Holzschnitten.) 105 

Über  ein  bei  Kustendje  gefundenes  römisches  Militärdiplom.  Von  Dr.  Fr.  Kenner 125 

Über  Darstellungen  der  Passion  Jesu  Christi,  insbesondere  auf  einem  noch  unbekannten  Bilde 

von  Lucas  Kranach.  Von  Dr.  .Mes  smer.  (Mit  2  Holzschnitten. j    133 

Genesis  der  Kathedrale  von  Fünfkirchen  in  Ungarn.  Von  Dr.  E.  Henszlmann.  (Mit  6  Holzschnitten.)  . . .  139 

Ein  Edict  des  Kaisers  Claudius.  Von  Dr.  Fr.  Kenner.  (Mit  einer  Tafel.) 153 

Ein  Antiphouarium  im  Stifte  St.  Peter  zu  Salzburg.  Von  Dr.  Karl  Lind.  (Mit  1  Holzschnitt  und  26  Tafeln)  167 

Nachträgliches  zum  Militärdiplom  vom  Kustendje.  Vom  Dr.  Fr.  Kenner 190 

Die  Siegel  der  österreichischen  Regenten.  Von  Karl  v.  Sava.  V.  Abtheilung.   (Mit  6  Holzschnitten.)   193 


Kleinere  Beiträge. 


Die  Marienkirche  in  der  Vill,  nächst  Neumark  in  Tyrol. 
Von  Karl  Atz.  (Mit  3  Holzschnitten.) 

Über  die  -verscliiedenen  Formen  des  Gebäckes  in  Wien. 
Von  A.  R.  T.  P.  (Mit  7  Holzschnitten.) 

Die  Statue  des  heil.  Blasius  in  der  dem  gleichnamigen 
Heiligen  gewidmeten  Kirche  zu  Ragusa.  Von  Wen- 
delin Boeheim.  (Mit  2  Holzschnitten.) 

Neuester  Fund  keltischer  Münzen  in  der  Pfarre  Trifail  zu 
Doherna-Retje.  Von  Richard  Knabl.  (Mit  1  Tafel.) 

Johann  Karl  von  Röselfeld,  Maler  aus  Tyrol,  f  im  Stifte 
Garsten  1735.  Von  J.  R.  t.  Bergmann. .    

Denksäulen.  Von   Dr.  Karl  Lind.  (Mit  4  Holzschnitten.) 


Seite 

I 

III 

VII 

vn 

XY 
XVI 


Spite 
Das  Grabmal  der  Kaiserin  Anna  im  Dom  zu  Basel.  Von 

A.  W j  e  1  e m an s.  (Mit  3  Holzschnitten.) XVII 

Ein  Todtentanzgemälde  in  Krakau.  Von     .  .  .m XVIII 

Der  Taufstein    in    der    Stephanskirche    zu   Wien.    Von 

. .  .m.  . .   (Mit  1  Holzschnitt.) XX 

Dr.  Zahn's  Jahrbücher  für  Kunstwissenschaft.' Von.  .m.  .  XXI 

Zwei  alte  Wehrthürme  zu  Mals  in  Tirol.  Von  Ph.  Neeb.        XXIII 
Der  Purgstall  von  Mösendorf.  Von  Dr.  Kenner  (Mit  4 

Holzschnitten.) .         XXm 

Beschreibung  eines  alten  mit  Miniaturen  reich  ausgestat- 
teten Gebetbuches  in  der  Gymnasial-Bibliothek  zu 

Botzen.  Von  Karl  Atz .       XXVH 

A* 


IV 


Dm  romanische  Portal  zu  Hulein  in  Mähren.  Von  F.  X. 

Segenschmied.  (Mit  1  Holzschnitt.) XX.\ 

Die  gothische    Kirche  zu  Katharein   in   Mähren.  (Mit  5 

Holzschnitten.) X.XXI 

Lützow's  Zeitschrift  für  bildende  Kunst.    Von  Dr.   Karl 

Lind.  .Mit  1  Holzschnitt.) XXXIII 

Römische  Inschriften  aus  Mitrovic.  Von  Dr.  Kenner.  .  .    XXXVII 

Die  Pfarrkirche  zu  Gröbming  in  Steiermark.  Von  .  .  .d.  .  . 

(Mit  3  Holzschnitten.) .  .    XLIII 

Inschriften  aus  Pola  und  Risano.  Von  Dr.  Kenner  ....         XLVI 

Über  die  Regeneration  der  Heraldik  und  den  gegenwär- 
tigen Standpunkt  dieser  Wissenschaft.  Von  Dr.  Ernst 
Edlen  V.  Franzenshuld XLVIII  u.  LXVII 

Die  Ausstellung  der  Wiener  Pläne  und  Ansichten  beim 
Wiener  Magistrate.  Von  . .  .m 

Aus  Kärnten.  Von  J.  C.  Hof  richter 

Über  die  ursprüngliche  Bestimmung  des  sogenannten 
Schatzkammer-Muttergottes-Bildes  zu  Maria-Zeil.  Von 
.  .   m.  .  .  (Mit  1  Holzschnitt.) 

Die  Waffensammlung  des  österreichischen  Kaiserhauses 
im  k.  k.  Artillerie-Arsenal-Museum  zu  Wien.  Von 
.  .  .m    .  .  (Mit  einer  Tafel.) 

Die  Restauration  des  F'rauenchors  in  der  St.  Stephans- 
kirche zu  Wien 

Der  Burgbrunnen  zu  Trausnitz.  Von  Schulcz  Ferenz. 
(Mit  einen  Holzschnitt.) 

WunibaldZürcher  aus  Bludenz,  Conventual  in  Weingarten, 
letzter  Abt  zu  Hirschau,  und  dessen  Grabstein  zu 
Thüringen,  nebst  einer  Notiz  über  die  Wanderungen 
der  Original-Handschrift  der  Annales  Hirsaugienses 
vom  weitberühmten  Abte  Johannes  Trithemius.  Von 
Dr.  Jos.  V.Bergmann LiX 

Die  Grabdenkmäler  von  St.  Peter  und  am  Nonnberg  zu 

Salzburg.  Von  ..  . ra .    hXl 

Die  Sammlungen  des  germanischen  Museums.  Von    .  .m.  .  LXII 

Zur    Literatur    der   christlichen    Archäologie.    Von    Dr. 

Messmer LXIII 

Die  Reliquienschreine  in  der  Neuklosterkirche  zu  Wiener- 
Neustadt.  Von  .  .  .m.  ,  .  (Mit  1  Holzschnitt.) LXV 

Das    apostolische   Kreuz    im  Graner  Domschatze.    Von 

.  .  .  B .    .  (Mit  1  Holzschnitt.)     LXVI 

Mittelalterlicher  Brunnen  zu  St  Wolfgang.  Von       .  m . 

iMit  3  Holzschnitten.) LXX 

Aus  dem  k.  bayrischen  Nationalmuseum  ein  rornanisches 

Rauchfass.  Von  Dr.  Messmer.  (Mit  1  Holzschnitt.)        LXXI 

Die  St.  Stephans-Capelle  zu  Börzsöny  in  Ungarn.    Von 

J.  Lippe  rt.  (Mit  8  Holzschnitten.) LXXII 

Über  die  zu  Ellenbogen  im  Bregenzerwalde  im  Jahre 
1816  geborne  und  zu  Berlin  1848  verstorbene  Bild- 
hauerin Katharina  Felder.  Von  Dr.  Jos.  v.  Bergmann 


LIII 
LXV 


LIV 


LV 


LVII 


LVUI 


Lxxrv 


Seite 
Inschriften  auf  den  Wappenschildern  der  in  den  deutschen 

Orden  aufgenommenen  Ritter,  in  der  Ordenskirche 
zu    St.    Kuiiigunde   am    Lech    in   Grätz.    Von    Dr. 

Hönisch LXXV 

Rheinlands  Baudenkmale  des  Mittelalters.  Von        .m.  .  .       LXXVI 
Die    Kirchen    des    Cistercienser-Ordens   in  Deutschland 
während  des  Mittelalters.   Von  Dr.  Karl  Lind.  (Mit 

10  Holzschnitten.) LXXVII 

Vom  Alterthums-Vereine  zu  Wien.  Von  .  .  .m.  .  .     LXXXV  u.  CIV 
Die   Doppeleapelle    in    den    Ruinen    der   Kleinfeste    zu 
Stein    in  Krain.    Von  H.  Hausner.    (Mit  2  Holz- 
schnitten)     XCI 

Aus   dem   Berichte   des  k.    k.    Conservators   Mieczyslaw 

Ritter  von  Potok-Potocki.  Von  Th.  Bauer XCII 

Aus  Teschen.   Von  Dr.  Gabriel.  (Mit  4  Holzschnitten.)         XCIII 
Zur   Kenutniss   der  Glockenräder.    Von   Dr.    Messmer 

(Mit  1  Holzschnitt.) XCH' 

Die  Kronschatzcapelle  zu  St.  Veit.  (Mit  einer  Tafel.) XCV 

Ein  mittelalterliches  Ölgefäss  im  Stifte  Neukloster.    Von 

B.  Kluge.  (Mit  1  Holzschnitt.) XC\T 

Fundberichte  aus  Steiermark.  Von  Dr.  Fr.  Pichler.     .  .        XCVII 
Die  Auffindung  der  Überreste   des  Königs   Kasimir   des 
Grossen  von  Polen  in  der  Domkirche  von  Krakau. 

Von  -  .  .  m XCVII 

Beiträge  zur  Kunde  der  St.  Stephanskirche  in  Wien.  Von 
.  .  .  m .  .  .  (Mit  1  Holzschnitt) :  Das  Siegel  der  St.  Mo- 
randus-Capelle,  Die  Katharinen-Capelle,  Grabmale 
im  rechten  Seitenchore.  (Mit  3  Holzschnitten),  Vor- 
laufs Gedenkstein XCVIII  u.  CXIV 

Eine  Betsäule  bei  Pressburg.  Von  .  .  .m.  .  .  (Mit  1  Holz- 
schnitt.)     cm 

Das  Jahrbuch  des  Vereines  für  Landeskunde  von  Nieder- 

Osterreich.  Von  Dr.  K.  Lind CV 

Berichtigung  zu  den   römischen  Inschriften  in  Mitrovic 

und  Pola.  Von  Dr  Fr.  Kenner CVI 

Über  Kaiser  Rudolph's  von  Schwaben  Denkmal  in  Merse- 
burg. Von  Dr.  M  e  s  s  m  e  r CVII 

Neunkirohen  inNieder-Osterreich.Von  Hans  Petschnig. 

(Mit  10  Holzschnitten.) CVIII 

Wocel's  Pravek  zeme  Cesk^.  Von  C.  F.  J.  Bsch CXIV 

Das  Siegel  des   St.  Johannes -Spitals  am  Siechenais  zu 

Wien.  .  .  .m.  .  .  (Mit  1  Holzschnitt) CXVII 

Die  Krypta  in  Göss.  Von  Dr.  Karl  Lind       CXVII 

Hostienbüchse,  Eigenthum  der  Decanatkirche  zu  Melnik. 

Von  .  .  .m.  .  .   (Mit  1  Holzschnitt.) CXVIU 

Beiträge  zar  Geschichte  der  Siebenhirter.  Von  Dr. 
Ernst  Edlen  von  Franzenshuld.  (Mit  1  Holz- 
schnitt.) CXVIII 

General-Versammlung  der  historischen  Vereine  Deutsch- 
lands in  Regensburg.  Von  .    .  m CXX 


Nekrologe:  Karl  Rössner  und  Ignaz  Keiblinger 
Notizen    


Personalstand  der  k.  k.  CentraUCommission  mit  Ausschluss  der  Functionäre  in  Ungarn,  Croatien,  Slavonien  und  Dalma- 
tien,  die  erst  im  nächstjährigen  Bande  aufgeführt  werden. 


CXX 
XXII 


REGISTER 


der 


in  diesem  Bande  angeführten  Personen,  Orte  und  Sachen. 


Aachen,  der  Münsterschatz,   24,  26,  60, 
LV. 

—  befestigtes  Thor.  115. 

—  die  Burg  zu,  109. 

—  Miniaturen  zu.  171. 

Ah  raham  3- Opfer,    Miniature    im  Botzner 

Gebetbuche,  XXVIII. 
Af  lenz,  die  älteste  Capelle  zu,  69. 
Agraffe,  als  Reliquiar,  Prager  Schatz,  23. 
Agrippina,  römische  Kaiserin,  156. 
Alb  recht  IV.,  Herzog,  CXIV. 
Allerheiligen.  Miniature  in  Salzburg  102. 
Altarkreuz,    ein,    Keliquiar    im    Prager 

Schatze,  27. 
Altert hums- Verein  in  Wien,  LXXXVI, 

CIV. 
Altmünster,  Kirche  zu,  XV. 
Amelunxborn,  die  Cistercienserkirche  zu, 

LXXXIV. 
Anatomie,  architektonische,  vergleichende, 

139,  152. 
Anaumi,  die,  in  Südtirol,  155,  162. 
Andernach,  die  Stadtthürme,  120. 

—  befestigtes  Thor,  115. 

Andreas  (s.)Tod,  Miniature  in  Salzburg,  183 - 
Anger  er  .\nselm,  Abt  von  Garsten,  XV. 
Angerfelder  Rudolph,  CXV. 
Anguisola's  Plan  von  Wien,  LIII. 
Ansiedlungen  der  Heiden  in  Österreich, 

LXXXVIII. 
Antiphonarium  in  Salzburg,  173. 
Anzfelden,  die  Kirche  zu,  XV. 
Apollonia,   d.  h.,  Miniature  im   Botzner 

Gebetbuche,  XXX. 
Ära  zu  Mitrovic,  XLIU. 
Aranyi's    Beschreibung    der    Burg   Vajda- 

Hunyad,  LXXXVI. 
Artaria,   A.,    dessen   Gemälde-Sammlung, 

XXXV. 


Arneth  Joseph,  126. 

Arsenal  zu  Wien,  LV. 

As  chach,  die  Kirche  zu,  XV. 

Athanarich's  Schatz,  60. 

A  t  h  0  s ,  das  Malerbueh  t.  Berge.  XC. 

A  trän  s  ,  XL. 

Atz  Karl,  III,  XXX. 

Augsburg,  der  Dom,  XCIV. 

Auxiliarier,  römische,  129. 

.A.uiiliar-Dipl  om  des  Kaisers  Xero,  190. 

B. 

Bacharach,  die  Stadtthürme  zu.  121. 
—  befestigte  Kirchthürme,  124. 

Baj  ae,  Volksstamm  in  Südtirol,  157. 

Bamberg,  Miniaturen  zu,  171. 

Barbara,   d.  heil.,   Miniature    im  Botzner 
Gebetbuche,  XXX. 

Barmherzigkeit,   die,   christlich   darge- 
stellt, 135. 

Bartfeld,  die  Kirche  zu,  136. 

Basel,  Grabmal  der  Kaiserin  Anna,  XVII. 

Basilica,  die  Urform  der  röm. ,  35,  39. 

Bauhütte,  die,  zu  Prag.  9. 

Baumgartenberg,  Cistercienserkirche  zu, 
LXXXVI. 

Babenhausen,   Cistercienserkirche  zu, 
LXXXI. 

Becker  H.,  50,  52,  53. 

Benedict  (s.),  Miniature  in  Salzburg.  184. 

Befestigungsbauten  im  Mittelalter,  105. 

Benesch  C.  F.  J.,  CXIV. 

Bergalei,  die,  in  Südtirol,  154,  158. 

Bergmann,  Dr.  Jos.  v.,  XV,  LXI,  LXXV. 

Berlin,  Miniaturen  zu,  172. 

Berlocher,  Dr.,  LXXIV. 

Bethlehemitischer,  Kindermord,  Minia- 
ture in  Salzburg,  177. 

Bernd,  S.  Th.,  LL 

Birk,  Dr.  E.,  101. 

Bliisius-Statue  in  Ragusa,  VII. 


Blaser,  Martin,  LXXXV. 

Bludenz,  LIX. 

Blumenau  bei  Pressburg,  CHI. 

B  1  u  m  e  n  e  g  g  ,  Schloss   und  Kirche,   LX, 

LXI, 
B  ö  h  1  i  n g e  r   Hans ,  135. 
B  0  ck,  Dr.  Franz,  9,  60,  LXXVL 
Böhmen,  die  Erdwälle  in,  CXIV. 
Bojen,  die.  in  Böhmen  CXIII. 
Boltze.  Dr.,  V. 
Bopfingen,  ein  Sanctuar  in  der  Kirche  zu, 

135. 
Boppart,  die  Burg  Schwalbach.  110. 
Börzöny,  die  Stephans-Capelle,  LXXII. 
Bozen,  ein  miniirtes  Gebetbuch  zu,  XXVII. 
Brachiale  (Reliquiar)  in  Prag  18,  19. 
Bremen,  das  Rathhaus,  114. 
B  r  0  m  b  a  c  h, Cistercienserkirche  zu,LXXXII. 
Brunn.   Cistercienserkirche  zu,  LXXXV. 
Brunnen  zu  Trausnitz,  LVIII. 

—  zu  St.  Wolfgang,  LXX. 
Bucelini,  Gabr.,  LIX. 

B  ucz  acz,  das  Rathhaus,  XCIII. 
B  u  nsen  ,  38. 

Burgbauten,  mittelalt.,  107. 
Burnacini,  CVI. 

Büsten   (gekrönte)    an   der   Gnadencapelle 
zu  Maria-Zeil,  78. 

c. 

Camerarius  Quintus  Sulp.,  Consul,  156, 
Games  ina,  Alb.  t.,  192,  LIII,  LXXXVIII, 

XCIX,  CIV. 
Camurius  S  tatut  US,  155. 
Capelle  rom.  zu  Börzöny,  LXXII,  LXXm. 

—  mit  dreifachen  Raum  übereinander,  XCII. 
Capreae.  158. 
Capselförmiges  Reliquiar  im    Prager 

Schatz,  14,  15,  24. 
Card  inali,  125, 
Casimir  von  Polen,  dessen  Grabmal,  XCVn. 


Yl 


Cathedra  s.  Petri,  LXIV. 
Cechen  in  Böhmen,  CXIV. 
Christiania.  die  Museen  zu,  LXXXVIII. 
Christi  Geburt,  Miniature  itc  Salzburger 
Codex  176. 

—  Stammbaum,  IS'i. 

—  Taufe,  1J8. 

—  Bescbneidunp,  184. 

—  .\ufopferung,  178. 

—  .Aufnahme  der  Jünger,  184. 

—  Einzug,  179. 
Christus  vor  Annas,  185. 
Christi  Geisselung,  185. 

—  Kreuzigung,  179. 

—  Kreuzabnahme,  185. 

—  Grablegung,  185. 

—  in  der  Vorhölle,  179. 

—  als  Gärtner,  186. 

—  in  Emaus,  180. 

—  Himmelfahrt,  180,  186. 

—  als  Richter,  186. 
Ciborienförmige  Reliquiare  zu  Prag, 

17. 
Cirill's  Reliquien,  Freske  in  St.  demente 
in  Rom. 

—  Leichenzug,  5. 

—  knieet  vor  dem  Kaiser  Michael  III.,  4. 

—  Begräbnissplatz,  1,  2. 

Ci  stercienser-Ordenskirchen- Bau- 
anlage, LXXVII. 
Claudius,  röm.  Kaiser,  154. 
Clemens  und  der  blinde  Sisinius,  Freske,  6. 

—  und  der  Sohn  der  Witwe,  Freske,  7. 

C  0  b  1  e  n  z ,  das  Rathhaus,  113. 

Colloredo- Wallsee,  Uieronimus,  Erz- 
bischof V.  Salzburg,  sein  Grabmal  in 
Wien,  CHI. 

Co  In,  die   mittelalterlichen  Befestigungen, 

112. 
Commercium,   162. 

Constantius  11.,    röm.  Kaiser,  XXXVII. 
Conubium,  162. 
Creneville,  Franz  Graf,  XXII. 
Crucifix,  das,  in  der  St.  Stephanskirche 

zu  Wien,  CI. 
Cullen,  Dr.,  Arzt  in  Kustendje  125,  190. 


D. 


Danzig,  die  Marienkirche  zu,  112. 
Barstellung  der  h.  drei  Könige,  Freske 
in  Lambach,  93,  98. 

—  des  Königs  David,  Miniature  in  Bozen, 
XXVIII. 

David's  Salbung,  Miniature  in  Salzburg, 
187. 

—  als  König,  187. 
Delsenbach's  Wiener  .insichten,  LIV. 
Denksäulcn,  mittelalterliche.  XV,  XVII, 

xcii,  cm. 

Didron,  XC. 

Dietz,  die  Burg,  108. 

Dioniss,  der  malende  Mönch,  XC. 


Dijon,  die  St.  Benignuskirche,   139,   144, 

151. 
Dobrilugk,  LXXXIll. 
Dohme,  Dr.,  LXXVII. 
Döllinger,     Hyppolit     und    Kallistius, 

LXIII. 
Dolmen,  LX.XXIX. 
Donn  er,  Raphael,  (JVI. 
Doppelcapelle  in  Stein,  XCI. 

—  in  Rom,  LXIII. 
Doberna-Retye,  Münzenfund. 
Dreifaltigkeit,  Miniature  zu  Botzen, 

XXVIl. 
Dudik,  Dr.  B.,  1. 
Dürer,  Albrecht,  138,  XXXV. 
Düren  bei  .\achen,  113. 
Dursch,  G.  M.  IC". 


E. 


Ebendorf  er  Tiiomas,  v.  Haselbach,  CXV. 

Eberach,  Cistercienserstift,  LXXXII. 

Edict  des  Kaisers  Claudius,  154. 

Eitelberger,  R.  v.,  VIII,  IX. 

Ellenrieder,  Marie,  LXXIV. 

Email  am  apost.  Kreuze  zu  Gran,  LXVI. 

E  n  g  e  I  z  e  1 1 ,  Cistercienserkloster,  LXXX VI. 

Erker,  im  Mittelalter  als  Befestigungsbau, 
113. 

Ernst,  Herzog,  CXV. 

Essenheim,  der  Flügelaltar  jetzt  zu  Kol- 
mar,  XXXIII. 

Euganei,  die,  in  Südtirol,  103. 

Evangelisten,  deren  symbolische  Dar- 
stellung, 63. 

Eyck,  Hubert  van,  134. 


Fanum,  die  Basilica  zu,  39. 
Faustiniana,  die  Familie,  2. 
Felder,  Katharina,  LXXIV. 
Feil,  Joseph,  101,  LXXVI,  XCIII,  XCVHI, 

CXV. 
Ferox  L.  Ennius  132. 
Fibulae,  als  Reliquiare  in  Prag,  24. 
Fischer  L.,  LIU. 
Forum  romanum,  46. 
Feuersbrünste  zu  Maria-Zeil,  74,  76. 
Flügelaltar  zu  Kolmar,  XXXIII. 
Flusshart  Xicias,  CXV. 
Franzenshuld,  Dr.  Ernst  Edler  von,  LIII, 

XCIX,  CVI. 
Freisingen,  Otto  v.,  CVIII. 
Funde  von  Münzen  in  Doberna-Retye  XIII. 
Fresken  in  St.  demente  in  Rom,  3. 

—  in  Lambach,  93. 

—  in  Suczawitza,  LC. 

Friedric  h  IV.,  röm.  deutscher  Kaiser,  101, 

LXVI,  XCVI,  CIX,  CXIX. 
Fröhlichsburg,  XXIII. 
Fulda,  Glockenrad  zu,  XCV. 
Funde  in  Steiermark,  XCVII. 


Funde  zu  Doberna-Retye.  XIII. 
Fünfkirchen,  der  Dom.  139,  144,  149. 
Fuss Waschung,   die,  Miniature  in   Salz- 
burg, 179. 

G. 

Gabriel,  Dr.,  XCIV. 

Gager's  Münzenfund,  III. 

Galeo  Tettienus  Petronianus,  Consul,  131. 

Gallia  transpadana,  163. 

G  a  m  i  n  g,  Grabmal  .\Ibrecht  des  Lahmen,  101. 

Gamljtz,  Funde  zu,  XCVII. 

Garsten,  die  Kirche  zu,  XV. 

Gärten,  die,  des  Lucullus,  156. 

Gatterer,  J.  Ch.  L. 

Gayman,  Sigmund  Freiherr  von,  LXXVL 

Gebäcks  formen  in  Wien,  mittelalt.,  lU. 

Geist,  der  heilige,  Miniature  in  Salzburg, 

180. 
Gemmen  auf  einem  Reliquiar  in  Prag,  28,  29. 
Georg  (s.),  Miniature  in  Bozen,  XXIX. 
Gero  na,  Dom,  Glockenrad,  XCIV. 
Gersthof,  eine  Denksäule  zu,  XVII. 
Geschenke  K.  Ludwigs  von  Ungarn  nach 

Aachen,  LV. 
Geschworne  bei  den  römischen  Gerichten, 

164. 
Gillo  M.  Fulvius,  Consul,  131. 
Giovanelli,  102,  166. 
Gladbach,  Abtei,  LXXVI. 
Glax,  Professor,  LIII,  LXXXVIIL 
Glockenräder  im  Dome  zu  Fulda,  Gerona, 

Graz  und  in  München,  XCIV,  XCV. 
Grabhügel  bei  PrzmysI,  XCII. 
Grabplatten  von  Metall,  CVIIL 
Grabmale  in  Basel,  XVII. 

—  Gaming,  101. 

—  Krakau,  XCVII. 

—  in  Merseburg  des  Kaisers  Rudolph  von 
Schwaben,  CVII. 

—  in  Salzburg,  LXI. 

—  in  Wiener- Xeustadt  der  Kaiserin  Eleo- 
nore, 101. 

—  in  Wien,  St.  Stephan,  LVIII,  CH,  CHI. 
Graz,  Dom,  LXXV. 

—  Lechkirche,  XCIV. 

—  Funde,  XCVII. 

Gran,  der  Schatz,  24,  LXVI,  LXVII. 
Grimsinger,  Otto,  61. 
Grien,  Hans  Baidung,  XXX IV. 
Gröbming,  die  Kirche  zu,  XLIII. 
Grossraming,  die  Kirche  zu,  XV. 
Gruic,  Zach.,  XXXVII. 
Grunewald,  Max.,  XXXIV. 
Goldcnkron,  Kloster,  LXXX  VI. 
Goldschmiedordnung  v.  Wien,  66. 
Goltstein,  Theob.  Graf,  LXXVL 
Görllng,  167. 
G  0  t  h  i  s  c  h  e  Kirche  zu  Gröbming,  XLIII. 

—  Kathrein,  XXXI. 

—  Vill,  I. 

G  0 1  h  i  k  in  der  Kleinkunst  in  Osterreich,  65. 


VII 


Gschwind   von  Pekstein,    s.    Grabmal  bei 

St.  Stephan  in  Wien,  CII. 
Gundel,  Stephan,  LVIII. 
Gurk,  der  Dom,    100,  139,  IH,   U3,  145, 

149,  LIV. 

H. 

Hagenau,    Schloss,  XCV. 

Hagn,  Theod.,  Abt  zu  Lanibaeh,  100. 

H  a  i  n  b  u  r  g,  A  usflug  des  Wiener  Alterthums- 

Vereines  nach,  CV. 
Hand  Werkszeichen  im  Mittelalter,  XXV. 
Häsnik,  Jos.,  XIII. 
Haupt.  LXXXVIII,  CIV. 
Hausner,  H.,  XCII. 
Hefner,  O.  T.,  XLIX,  LI. 
He  Her t,  Jos.  A.  Fr.,  XXII,  LXXXIX. 
Helm  im  Schatz  zu  Prag,  32. 
Heidelberg,  Miniaturen  zu,  172. 
Heid  en  -  Ansiedlungen   in  Osterreich, 

LXXXV,  LXXXVIII. 
Heiligenkre  uz,  Kirche  zu,  LXXVII, 

LXXXII. 
Heiligenstrizzel,  III,  VII. 
Heilsbronn,     Cistercienserkirche    zu, 

LXXXI. 
Heisterbach,  Cistercienserkloster,  LXXXI, 

LXXXIII. 
Henszlmann,   Dr.  E.,  139. 
Heraldik,  die,  XLVIII,  XLIX. 
Herberstein,  Heinrich  Graf,  LXXV. 
Herzog  Rudolph  der  Vierte,  LV,  XCVIII. 
Hiob,  Miniature  in  Salzburg,  187. 
Hirschau,  Wunibald  Abt  zu,  LIX. 

—  Trithemius,  Abt  zu,  LX. 
Hirschvogel's  Plan  v.  Wien,  LIII. 
Hochzeit  zu  Cana,  Miniature  in  Salzburg, 

184. 
Hofmann,  Dr.  Conrad,  136. 
Hofrichter,  J.  C,  LIV. 
Hohenfurt,  Cistercienser  -  Stift,  LXXIX, 

LXXXI,  LXXXIV. 
Ho  henlo  he  -  Waidenburg,  Carl    Fürst 

von,  LII. 
Konisch,  Dr.  LXXVI. 
Hostienbüchse  zu  Melnik,  CXVIII. 
Hoyos,  Johann  v.,  CIX. 

—  Ludwig,  Freiherr  v  ,  CXI. 

—  Balthasar,  Graf  v.,  CIX. 
Horodenka,  Pfarrkirche,  XCIII. 
Hradist,  Cistercienserkirche  zu, LXXXIII. 
Huefnagel's  Wiener-Plan,  LII. 
Hulein,  romanisches  Portal  an  der  Kirche, 

XXX. 
Hunesch,  Christ.  Freih.  v., 

I.    J. 

Jacob's  Traum,  Miniature  in  Salzburg,  183. 
Jahrendorf,  Münzenfund  zu,  XIII. 
Initialen  im  Salzburger  Codex,   174,   176, 
177,  178,  180,   183. 


Inschrift,  röm.  zu  Mitrovic,  XLII. 
Inschrift  zu  Pola,  XLVI. 

—  Risano,  XLVIII,  CVI. 
Irische  Miniaturen,  169. 

Johannes  d.  E.Tod,   Miniature  in  Salz- 
burg, 177. 

—  d.  T.  Geburt,  180,  186. 

—  Benennung,  181. 
Joseph"s  Traum,  183. 
Isaias  Weissagung,  184. 
Judas'  Verrath,  185. 

Ju  vav  um,  XXVI. 


K. 


Kahlenbergerdörfel,  XVI. 

Kalendarium  im  Salzburger  Codex,  175. 

Kaltenmarkte  r's,  Johann,  Grabmal,  CHI. 

Kais  e  r  SeptimiusSeverus,LXIV, LXXXIX. 

Kaiser  Karl  der  Vierte,  10,  31,  XCV. 

Kandier,  XLVI. 

Kanzel  zu  Vill,  II. 

Kappel,  LXXXIII. 

Karajan,  Dr.  Th.  G.  v.,  LXXXVIIL 

Karl  der  Grosse,  Kunstbewegung  zu  seiner 
Zeit,  168. 

Karl  IV,,  Kaiser,  sein  Wirken  für  die  Kunst, 
10. 

Karlstein,  das  Schloss,  9. 

Karner  zu  Metnitz,  LIV, 

Katharina,  St.,  Miniature  in  Bozen,  XXX 

Katharein  in  Mähren,  die  Kirche,  XXXI. 

Keiblinger,  Ignaz,  61,  CXXII. 

Kelch  Friedrich's  IV.  in  Wr.  Neustadt  XC  VI. 

Kenner,  Dr.,  125,  153,  190,  XVIII,  XXVII, 
LXXXIX,  CVI. 

Kern,  Michael,  Grabmal,  CHI. 

Kettlach,  Funde,  LXXXVIIL 

Kipfel,  VL 

Kirchthürme,  befestigte  zu  Bacharach, 
124. 

Kleinfeste  in  Krain,  XCI. 

Kiesel,  Cardinal,  LVII. 

Klosterneuburg,  66,  171. 

Klosterschulen  im  Mittelalter,  130. 

Kluge,  Ben.,  XCVI. 

KnabI,   Dr.  Richard,  XIV. 

Kolmar,  Flügelaltar  zu,  XXXIII. 

Kolonitsch,  Sig.  Erzb.  v.  Wien,  LVIII. 

Kopenhagen,  das  Museum  zu, LXXXVIII. 

König  Mathias  Corvinus,  LXXXVII. 

Kasimir  von  Polen,  XCVII. 

Könige,  die  heil,  drei,  Miniature  in  Salz- 
burg, 177. 

Königssaal,  Cistercienserkloster,  LXXIX. 

Kraft,  Anton,  135. 

Krakau,  Bernhardinerkloster,  XVIII 

—  Todtentanzgemülde,  XVIII. 

—  Grabmal  des  Königs  Kasimir,  XCVII. 
Kranach,  L.,  133,  136. 
Kremsmunster,  Miniaturen  zu,  168. 
Kreuse  r,  38. 

Kreuz  zu  Melk,  Reliquiar,  62. 


Kreuz  zu  Gran,  das  apostolische,  LXVI. 
Kreuz  gang  zu  Millstatt,  LIV. 
KreuzigungChristi,  Zeit  d,  Erscheinens 

dieser  Darstellung,  133. 
Kreuzerfindung,  Miniature  in  Salzburg, 

180. 
Krone  im  Grabe  Königs  Kasimir.  XCVIII. 
Krone  von  Böhmen,  XCVI. 
Krosno,  Minoritenkirche, 
Krypta  zu  Göss,  CXVII, 

—  zu  Venedig,  139,  löO, 
Krystallgefäss  als  Reliquiar   im  Prager 

Dom,  21. 

Küchenrestf unde,  vorhistor.  in  Däne- 
mark, LXXXVIII. 

Kugler,  38,  167. 

Kustendje,  Funde  zu,  125,  190,  XC. 

L. 

Laciac  um,  XXVI. 

Ladislaus  Posthumus,  Herzog,  seine  Sie- 
gel, 193. 

Ladurner,  Justin,  III. 

L  a  m  b  a  c  h,  romanisches  Deckengemälde 
in  der  Kirche,  92,  188. 

—  Theod.  Abt,  190. 
Lambrecht,  St.,  das  Stift,  67,  68. 
Lampe  antike  aus  Bronze  in  Form  einer 

Basilica,  LXIII. 
Landeck,  V,  CV. 
Landsberg,  Herrard  v.,  171. 

—  die  Pfarrkirche  zu,  XCV. 
Laun  von  Krumau,  Hans,  CXV. 
Lautensack's  Ansicht  von  Wien,  LIV. 
Laymann  Dom.,  Abt  zu  Weingarten,  LX. 
Leber,  Otto  v.,  LV. 

Legio  septima,  XLVIII 
Lehnin,  LXXXIII. 
Leitner,  Quirin,  LVI. 
Leibwache  römischer  Kaiser,  164. 
Lemberg,  Dominikanerkirche,  XCII. 

—  Domkirche,  XCIII. 

Leopold  III.  von  Osterreich,  Markgraf, 
60. 

—  IV.,  von  Österreich,  Markgraf,  CXV. 
Lepkowsky,  136,  XCVIL 

Lerch,  Niclas,  104. 

Lilienfeld,  Cistercienserkirche,  LXXIX. 

Lind,    Dr.     Karl,     101,     167,    LXXXVI, 

LXXXVIII,  LXXXIX,  CIV,  CVL 
Linz,  Stadt [>farrkirche,  XV. 

—  Carmeliterkirche,  XV. 
L  ippert,  LXXIV. 
Lippmann,  F.,  XXXV. 
Lo  rch,  Denksäule  zu,  XVI. 
London,  mittelalt.  Miniaturen  zu,  168. 
Lothringen,  Prinz  Karl  von,  LVII. 
Lübeck,  Holstenthor,  117. 
Ludmilla,  Büsten-Reliquiar  der  h,,  in  Prag, 

12. 
Ludwig  der  II.  von  Ungarn.  LVI. 
Lützow's  Zeischrift  für  Kunst,  LXXIII. 


VIII 


M. 

Mähren,  Markgraf  Heinrich  t.,  "I. 
Mainz,  das  Holztbor,  113. 
Malereien  in  Lambach,  mittelalt..  99. 
Mals,  zwei  alte  Wehrtbürme,  XXIII. 
Marburg,  die,  108. 
Maria-Ze  II,  67. 

—  die  zopfige  .Vussenseite,  82. 

—  die  Brautgewänder  im  Schatz,  88,  89. 

—  Büsten  an  der  Gnadencapelle,  78 

—  Emailbild  in  der  Schatzkammer,  87. 

—  Elfenbeinschnitzereien,  91. 

—  die  Gnadencapelle,  77. 

—  Statue  der  Gnadenmutter,  79. 

—  Grundriss  der  Kirche,  77. 

—  der  Karner,  87. 

—  die  alte  gothische  Kirche,  80. 

—  MessgewUnder,  89,  90. 

—  das  Portal,  83. 

—  Reliefs  am  Portale,  85,  86. 

—  der  Sehatz,  76,  87,  91,  LIV. 

—  der  gothische  Thurm,  83. 

—  Waffen  u.  Sporen  i.  d.  Schatzkammer,  88. 
Maria  Verkündigung,    Miniature  in   Salz- 
burg, 178. 

Marien's  Tod,  181. 
Maria  in  der  Glorie  183. 
Marienburg,  110,  112,  117. 
MariensTod,  Perlmutter-Relief  in  Prag,  23. 
Marienst  adt,  LXXVIII. 
Markomannen,  die,  in  Böhmen.  CXIII. 
Martin  (s.)  Messe,  186. 

—  Tod,  182. 

Massovien  Alex.  Bischof  v.,  Car.,  LVIII. 
Mateyko,  Maler,  XCVIII, 
Matzen,  in  Tirol,  XXIII. 
Maulbronn,  Cistercienserkirehe,  LXXXI. 
Mauerbach,    Grabmal    Friedrich     des 

Schönen,  101. 
Max  I.,  dessen  Streitharnisch,  LVI. 
Mayer  t.  Mayerfels,  Dr.,  LI. 
Meiersdorf,  Funde  bei,  LXXXIX. 
Meilensteine,  röm., in MitroTitz,XXXVII . 

—  in  Mösendorf ,  XXIV. 
Meiller  Andreas  v. ,  CV. 
Meldemann's,  Rundbild  t.  Wien,  LIII. 
Melk,  das  Stift,  60. 

—  das  grosse  Reliquienkreuz ,  59  ,  62. 
Merseburg,  der  Dom ,  C VII. 
Melnik,  Hostiengefäss  zu,  CXVIII. 
Messalina,  154,  156. 

Messmer,  37,  41,  56,  133,  LXV,  LXXII, 

XCV,  LVIU. 
Menestrier  Claudius ,  4. 
Metnitz,  der  Karner,  LIV. 
Michael  (s.)  der  Erzengel,  182. 
Migazzi  Antonie,  Gräfin,  ihr  Grabmal,  CIL 
Militär-Diplom,  röm.  125,  257. 
Miniaturein  einen  Gebetbuche  zu  Botzen, 

xxvn. 

—  im  Salzburger  Codex,  174. 

—  altchristlicher  Zeit,  167. 


Millstatt,  der  Kreuzgang,  LIV,   CXIX. 
Mitro  vic  ,  röm.  Inschrift  zu,  XLII,  CVI. 

—  Meilenstein,  XXXVII. 
Mödling.  Fresken  im  Karner,  100. 
Moggio  Jacob,  153. 
Mommsen,  153,  159,  160,  165,  CVI. 
Monogramm  des  Lucas  Kranach  ,  137. 
Mont forte  Hugo  v.,  LIX. 
Morandus,  S. ,  XCVIII. 
Moosfunde  in  Dänemark,  LXXXVIII. 
Mösendorf,  röm.  Meilenstein,  XXIV, 

—  Purgstall,  XXIII. 
Mothes,  38. 

München  ,  Xat.  Museum,  137,XCIV. 

—  Miniaturen  in  der  Bibliothek,  148,  17  1, 
172. 

Münzenfund  in  Dolberna-Retje,  XIII. 

—  in  der  Steiermark  XII,  XLVII. 

—  in  Jahrendorf,  XIII. 
Mur sa,  XL. 

Mylatin,  Kirche  zu,  XCIII. 

N. 

Nagel's  Wiener  Plan,  LIII. 
N ei  dhart  der  Goldschmied,  196. 
Nero  ,  röm.  Kaiser,  190,  LXXXII. 
Neuberg,  Stift,  101,  LXXXU. 
Xeuhaus,  Münzenfund,  XIII. 
Neunkirchenin  Xieder-Osterreich,  CVIII. 

—  dessen  Kirche,  CVIII. 

—  dessen  Filialkirchen,  CXI. 
Nimbus,  der,  187. 
Nonsberg,  162. 
Nordhausen,  CIV. 

Nothaft  Leo,  dessen  Grabmal,  LVIII. 
Nürnberg,  das  germ.  Museum,  LXII. 

—  die  heil.  Geistcapelle,  XCV. 

—  Sebalduskirche,  134,  135. 

—  Laurentiuskirche,  134,  135. 

—  Jacobskirche,  135. 

0. 

Oberbezau,  LXXV. 
Obertyn,  XCII. 
Oberwesel,  121,  124. 
Ölgefäss  zu  Wr.-Neustadt,  CXVI. 
Okopy,  Thore  zu,  XCIIL 
Onyxschale,  im  Prager  Schatze,  20. 
Orte  in  S.  Osterreich  aus  den  IX.  bis  XI. 

Jahrhundert,  CV. 
Orthographie  des   röm.   Militär-Diploms, 

191. 
Osterfeste,  die  verschiedenen,  IV. 
Osterflecken,  IV. 
Otri  CO  li ,  die  Basilica  zu  ,  39. 
O verbeck,  37. 


Pacificale  im  Prager  Domschatz,  25. 
Pasc  walk,  die  Thore  zu,  119. 


Passio  Christi,  deren  Darstellungen,  133. 
Passionsepiel  bei  St.  Stephan,  CIV. 
Paris,  Miniaturen  in  der  dortigen  Bibliothek, 

168. 
Pauli  Bekehrung  und  Tod,  181,  184. 
Perger,  A.  R. ,  XII,  LXXXVII.  LXXXIX, 

CIV. 
Pesina  v.  Czechorod,  Domherr  zu  Prag,  10. 
Peter  Anton,  Conservator,  XXII. 
Petershausner  Chronik,  CVII. 
Petreosa,  60. 

Petri  (s.)  Wunder  und  Tod,  181,  186. 
Petronell  ,  .\usflug  des    .iltherthums-Ver- 

eines  dahin,  CV. 
Petschnig  Hanns,  67,  CXlll. 
Phalerae,  XLVIL 

Phili  p  p  US,  S. Miniature  in  Botzen,  XXIX. 
Pichler,  Dr.,  LXVII,  XCVII. 
Piecz  och  wosty,  Denksäule  bei,  XCII. 
Pinarius,  AppoUinaris ,  154. 
Pläne  von  Wien,  deren  -Ausstellung,  LIII. 
Po  diji  okl.  Munzenfund,  XIII. 
Pola,  röm.  Inschrift  zu,  XLVI. 
Po II  Stephan,  CXV. 
P  0  m  p  ej  i ,  die  Basilica ,  39. 

—  das  Forum,  37. 
Popiel  Paul,  XCVII. 

Portal,  goth.  zu  Gröbming,  XLV. 

Porträtsie  gel,  193. 

Potok-Potoki,  Miecz.,  XCII, 

P  0 1 6  c  h  a  c  h,  Urnengrabfld.  bei,  LXXXVIII. 

Prachatic,  in  Böhmen,  LXXXIX. 

Prag,  der  Dom,  XCV. 

—  der  Domschatz,  9. 

—  die  Bauhütte,  9. 

—  Karlshof,  9. 
Prätorianer,  129. 
Przemysl,  Grabhügel  bei,  XCII. 

—  die  latein.  Domkirche,  XCIII. 
Prenzlau,  die  Befestigung  v. ,  112. 

—  die  Thürme,  112. 
Pressburg,  Betsäule,  CHI. 

Pro  ces  sionskreuz  im  Prager  Dom  ,  26. 
Procuratoren  in  Noricum  ,  161. 

R. 

Ragusa,  der  Rolandstein,  X. 

—  die  Domkirche,  XI. 

—  Statue  des  heil.  Blasius,  VII. 

—  Abbildung  der  Stadt,  IX. 

—  Blasiuskirche,  XI. 

Rain,  das  Stift,  LXXXVI,  XCVIL 

—  Grab  des  Herzog  Ernst,  101. 
Rampersdorfer  Conrad ,  CXV. 

R  a  n  6  o  n  e  t  K. ,  Freih.  V. ,  LXXXVIII ,  CIV. 
Rapiza,  Benno  de,  58. 
Rasman  Veit.,  Propst,  LVIU. 
Rauchfass,  röm.  in  München,  LXXI. 
Rauseher  Thom.,  Abt  in  Garsten,  XV. 
Ravenna,  XXI. 
Reh  er,  Dr.,  35. 
Regeneration   der  Heraldik,  XLIX. 


IX 


Regensburg,  CXX. 
Keliquiarformen.  60. 
Eeliquiar  in  Form   von  Monstranzen,  15, 
16,  18  —  20. 

—  in  Kapselform.  24. 

—  als  ."i-graffe,  23,  25. 

—  in  Form  einer  Hand,  19. 

—  in  Form  einer  Ampulla  ,  31. 

—  in  Form  eines  Kreuzes,  25,  59. 

—  in  Form  einer  Tafel,  LV. 

—  in  Form  von  Brustbildern,  11,  12. 

—  in  Form  von  Pyxen,  1-t,  15. 

—  in  Form  von  Ciborien,  17. 

—  mit  der  Lanze  des  heil.  Mauritius,  61. 
Reliquienverebrung,  60. 
Riddagshausen,  LXXXIII. 
Ringmauern,  mittelalterl. ,  111. 
Risano,   röm.   Insebrift,    XLVII,   XLVIII, 

CVI. 
Rock  Hans,  CXV. 

—  sein  Testament,  CXVI. 
Rolandstein  zu  Ragusa,  X. 
Rom,  der  AppoUotempel ,  36. 

—  die  Basiliea  s.  Clementis,  1,  2. 

—  „  ,  Porcia,  46. 

—  ,  „         Sempronia,  54. 

—  ,  ,         Julia,  31,  52,  57. 

—  ,  ,         Constantiniana,  58. 

—  „  ,         Opimia,  52. 

—  ,  „  Fulvia,  52. 

—  der  ConcorJientempel. 

—  der  Castortempel,  36. 

—  die  curia  Julia,  37. 

—  die  curia  hostilia,  37,  52. 

—  die  curia  Pompeji,  37. 

—  die  Fresken  zu  St.  demente,  3. 

—  das  Forum,  36. 

—  Kirche  der  .Apostel  Petrus  u.  Paul ,  LXV. 

—  der  Quirinustempel ,  36. 

—  Theater  des  Marcellus ,  36. 
Römerorte    in  Nieder-Österreich,  CVI. 
Römische  Überreste  in  Mösendorf,  XXIV. 
Röselfeld  Joh.  Karl,  XV. 

Rosinus  Job.,  LVIII. 

R  ö  s  n  e  r  Karl ,  CXX. 

R  0  s  s  i ,  Cavaliere  de ,  1 ,  LXIII. 

Rötzel  Martin,  134. 

Rudolph  IV.,  Herzog,  61,  65. 

—  von  Schwaben,  deutscher  Kaiser,  CVII. 
Rup  ert  US  S.,  184. 


s. 


Sacken,  59,  92,  LXVI,  LXXXVIU  ,  CV. 
Sacramentsh  äusch  en     in     Bopfingen  , 

135. 
Salmannsvfeiler,  LXXXIV, 
Salomon  als  König,  187. 
Salzburg,  Grabmale  um  Nonnberg  und  bei 

St.  Peter,  LXI. 

—  St.  Peterskirche,  XXII. 

—  das  Antiphonar,  173. 
Sanetuarium  zu  Vill  ,  II. 

XIV. 


Sanetuarium  zu  St.  Kathrein  ,  XXXIII. 
Saturndienst  in  den  Alpen,  158. 
Säur  au  Guido,  Graf,  LXXVI. 

—  Seifried,  Graf,  LXXV ,  LXXVI. 
Sava,  193,  LXVII. 

Sebastian  (s.)  Miniaturen  in  Bozen,  XXIX. 

Sedletz,  LXXXIV,  LXXXV. 

Sedlnitzky's  gräfliche  Wappen,  LXIX. 

Segenschmied,  Architekt,  XXXI. 

Semmel,  deren  Form ,  VI. 

S  eptimius  Se  verus,  röm.  Kaiser,  XXVI, 
XXVII. 

Schadnitzer  Wolf,  CXV. 

S  chale  aus  Onyx,  20. 

Schallenberg  Christoph,  Graf,  LXXV. 

Scliatzverzeichniss,  mittelalterl.  Kir- 
chen, 10. 

Schatz  des  Athanarich,  60. 

Schlierbach,  Kloster,  XV. 

SchmiederPius,  92,  100. 

Schmiedt  Friedrich,  LXXXVI. 

Schnaase ,  167. 

Schulz  Ferenz,  105,  LIX,CIC. 

Schütz,  LIV. 

Schwalbach,  die  Burg,  110. 

Schwert  des  heil.  Wenzel,  34. 

Schwetkovitz  Adam  v.,  LVIII. 

S  i  d  0  n  i  u  s  Michael ,  CVII. 

Siebenhirter  Johann,  Hochmeister  des 
Georgs-Ordens,  34. 

—  die  Familie  ,  CXVIII. 
Siebmacher,  LI. 
Siegel,  des  C.  Vorlauf,  CXVL 

—  Rampersdorfer,  CXVI. 

—  Rock ,  CXVI. 

—  der  Joh.  Capelle  am  Siechenais,  CXVII. 

—  der  Morandus-Capelle,  XCVIII. 

—  der  Familie  Tyrna,  CI. 

—  des  Johann  Siebenhirter  CXVIII. 

—  der  Österreich.  Regenten  193. 
Silbernagel,  Dr.,  LXI. 
Sigmundscapelle  bei  Maria-Zeil,  74. 
Silanus,  M.  J.,  156. 

Sinduner,  die,  155,  162. 

S  i  r  m  i  u  m ,  XL ,  XLIII. 

Sisinius,  der  Blinde   u.   St.  Clemens,  eine 

Freske  zu  Rom,  6. 
S 1  a  t  k  0  n  i  a ,  Bischof  Georg ,  L VIIL 
Sorbait,  Dr.  Paul,  CIL 
Spaur  Leo,  Bischof,  CXVI. 
Speculatores  der  röm.  Armee,  128. 
S  pener,  Dr.  Ph.  J. ,  XLIX. 
Stadl  Gottfried,  Freih.  v.,  LXXV. 
Städtebefestigungen,    mittelalterliche, 

109. 
Stargard's  Befestigung,  116,  122. 
Stahremb  erg  Guido  und  Erasmus ,    Graf, 

LXXVI. 
Stehbilder  in  .Aachen,  LIV,  LV. 
Steinhause r's  Wiener-Plan,  LIII. 
Stendal's  Befestigung,  118. 
Stephan's  S.  Tod,   Miniature  in  Salzburg, 

177. 


Stephan's  S.  Bestattung,  183. 
Stockholm,  die  Museen ,  LXXX VIII. 
Strassenbau,  römischer,  XLI. 
Strauss  Sam.,  CVIL 
Strudel  Carl  v.,  LXXVL 
Stubenberg  Christ,  v.,  LXXVI. 
Stuhl weissenburg,  die  Schlacht  bei,  75. 
Stuttgard,   mittelalt.  Miniaturen  zu,   172. 
Sulzer  J.  G.,  Prof.,  153. 
Suttinger's  Wiener-Plan,  LIII. 

T. 

Tannhauser,  Ritter,  LXXXVIU. 
Tannhäuser,  d. Minnensänger,  LXXXVIU. 
Tarnopol,  die  Pfarkircbe,  XCIU. 
Ternberg,  die  Kirche  zu,  XV. 
Teschen,  der  alte  Burgthurm,  XCIII. 

—  die  Schlosscapelle,  XCIII. 
Thangermünde,  befestigtes  Thor,  116. 
Theunerbach,  LXXXII. 

Thore,  befestigte,  im  Mittelalter,  115. 
Th  ii  rm  e,  befestigte,  zu  Bacharach  und  Ober- 
Wesel,  121 
Tisnovic,  LXXX,  LXXXIV. 
Trausnitz,  die  Burg,  109,  111,  122. 

—  der  Brunnen  ,  LVIII. 
Trautson  Johann,  Erzbischof,  LVIII. 
Trembowla,  Basilianerkloster ,  XCIU. 
Trennungspunkte  auf  römischen  Inschrif- 
ten ,  166. 

Trient,  Edict  des  K.  Claudius  für,  153. 

—  die  Stadt,  162. 

Trier,  Miniaturen  zu,  168,  171. 
Trifail,  Münzenfunde  zu,  XII. 
Trifels,  XCV. 

Trithemius  Job.,  Abt  zu  Hirschau,  LX. 
Triumphaltitel  der  röm.  Kaiser,  157. 
Trossburg,  in  Tirol,  XXIIL 
Truchsess,  Bernhard  der,  CXV. 
Tschernembl  Friedrich  v. ,  LXXV. 
Tschengels,  Burg,  XXIII. 
Tuch  lein,  bemalte  v.  A.  Dürer,  XXXV. 
Tuliasses,  155,  162. 
Tyrna  Achaz  v.,  XCIX. 

—  Georg  V.,  XCVIII. 

—  Hans  Ritter  v.,  XCIX. 

—  Ludwig,  XCIX. 

—  Paul  V.,  XCIX. 

—  Rudolph  V.,  XCIX. 

—  Ulrich ,  XCVIII. 

—  die  Familie,  CVI. 

—  die  Capelle,  XCVIIL 

u. 

Ungarn,  Ludwig  der  Grosse  v.,  71. 
Ungerschütz,  Berth.  Freih.  v.,  CHI. 
Unschuldigen,  das  Fest  der,  184. 


Vaida-Hunyad.  LXXXVI. 
Valdinon,  162. 

B 


X 


Vald  esius  Alphons,  CHI. 

Valentin  is.).  Miniature  in  Botzen.  XXIX. 

Veitsreliquiar  in  Prag,  11. 

Veit;  St.,  in  Kärnthen,  LIV. 

Venedig,  die  Kry|ite  von  St.  Marco.  139, 

143,  150. 
Venus.  Frau,  LXXXVIII,  CIV. 
Vesjiasian,  röni.  Kaiser,  1'27. 
Vill  in  Tirol,  die  Kirche,  I. 
Viektring,  LXXVIII. 
VitruTiUB,  40,  43. 
Vohburg.  Münzenfund.  XIII. 
Völkermarkt  ,  Miinzenfund ,  XIII. 
Vorlaufs  Conrad,Gedenkstein  u.  Testament 

CXIV,  CXVI. 

—  Dorothea ,  CXVII. 

w. 

Waagen  ,  19". 

Wagnitz  in  Steiermark,  XCVII. 

Waffensammlung  im  k.  k.  .\rsenal,  LV. 

Walkenried,  LXXXIII. 

W"alpurga  s.,  Miniature  zu  Botzen,  XXIX. 

Walter,  154. 

Walz,  Dr.,  LXI. 

Wappen   des  Bisthums  Wien,  CXVI,  CXIV. 

—  des  Georgs-Kitter-Ordens. 

—  der  Familie  Goess,  LXVIII. 

—  TOn  Mondsee,  LXX. 

—  von  Xeunkirehen,  CVIII. 

—  des  polnischen  Adels,  LXIX. 

—  des  russischen  Adels.  LXX. 


W'appen  von  Schlesien.  XXIV. 

—  der  Siebenhirter,  CXVIIl. 

—  der  Ungarn,  LXX. 

—  der  Tyrna,  XCIX. 
appensagen,  LXVIII. 
eingarten,  Dominik,  Abt  zu,  LX, 
eingartner,  42. 
eininger  Hans,  LXVIII. 
ei  SS  Karl,  LIII,  CVI. 
enzel.  König  von  Böhmen,  dessen  Helm, 

32. 
ettingen,   LXXXI, 
essobrunner,  Handschrift  die,  170. 
ickenburg  Const.  M.,  Graf.  XXII. 
ilandsäulen       üSchmiedesäulen)  , 

LXXXVII. 
ien,  Arsenal ,  LV. 

—  Antikencabinet,  190,  XC. 

—  Goldschmiedordnung,  66. 

—  Hofbibliothek,  168. 

—  Johannes-Capelle,  CXVI. 

—  Lobkowitzplatz,  CXV. 

—  NicolausCapelle,  CXIX. 

—  Pläne,  LIII,  LXXXVIII.  CIV. 

—  Palmesel.  CIV. 

—  Schatzkammer  der  Hofcapelle  ,  LIV. 

—  Schottenkloster,  60. 

—  Säule  am  Graben,  CVI. 

—  St.  Stephanskirche,  CXIV,  XCVIII. 

—  —     Vorlaufsfigur,  CXVI. 

—  —     Marcusaltar,  CIV. 

—  —     Passionschor,  CII,  LXX,  LIX. 

—  —     Christi  Himmelfahrt,  CIV. 


Wien,    St.    Stephanskirche,     Hungertuch, 
CIV. 

—  —     grosse  Glocke,  XXII. 

—  —     Taufstein,  XX. 

—  —     Frauenchor ,  LVII. 

—  —     Morandus-Capelle.  .XCVIII. 

—  —     Katharinen-Capelle.  Cl 
Wiener- Neustadt,  Kelch    v.    K.   Fried- 
rich IV.,  XCVI. 

—  Xeukloster,  .XCVI,  LXXIX. 

—  Reliquienschrein  .  XLN'. 

—  Grabmal  der  Eleonore,  101. 
Wilder's  Wiener  .Ansichten,  LIV. 
WiIhering,.LXXXVL 

Willibald  (s.  i ,  Miniature  zu  Botzen,  XXIX. 
Wocels  Pravek  zeme  Ceske,    Urgeschichte 

Böhmens  ,  C.XIII. 
Wolmueth's,  Wiener  Plan,  LIII. 
Wolfgang  (St.),  Brunnen  zu,  LXX. 


Z  ah  n's  Jahrbücher,  XXI. 

Zappert's  Wiener-Plan,  LIII. 

Zestermann,  41,  48,  52. 

Zinna,  Cistercienserkloster,  LXXXIII. 

Zinnen,  112. 

Zolkiew,  lat.  Kirche,  XCIII. 

—  die  Grabdenkmale  in  der  Kirche,  XXU. 
Zürche  r's  AVappen,  LX. 

—  Wunibald,  Abt  zu  Hirsohau ,  LIX. 
Zvfettl,  LXXXm.  LXXXVI. 
Zwerger  .\ugust,  dessen  Grabmal.  CHI. 


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70 


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CD 


Neuentdeckte  Fresken  aus  dem  Leben  der  heil.  Apostel 

C5  rill  und  Method  in  Rom. 


Von  Dr.  B.  DroiK,  0.  S.  B. 


(Mit  3  Holzschnitten  und  einer  Tafel.) 


In  dem  vom  Museum  zu  Moskau  auf  das  Jahr  1866  herausgegebenen  Sammelwerke  altrussischer 
Kunst  (sbornik  na  rok  1866  vydany  spoleönosti  staro-ruskeho  um6ni  pfi  vefejnem  museum  Mos- 
kovskem)  und  im  VIII.  Bande  dieser  Mittheilungen  finden  sich  von  Vinohradski  und  von  Pro- 
fessor R.    V.    Eitelb erger    Aufsätze    über  die    Fresken    der  unterirdischen  Basilica  des  heil. 

Clemens  in  Rom. 

Da  diese  Fresken  Mähren  in  doppelter  Beziehung  im  hohen  Grade  interessiren  müssen, 
einmal,  weil  sie  grossentheils  dui-ch  mährische  Hochherzigkeit  zu  Tage  kamen,  und  dann,  weil 
sie  mit  der  mährischen  Geschichte  im  innigsten  Zusammenhange  stehen;  so  beschloss  ich,  sie  im 
Sommer  des  Jahres  1867  an  Ort  und  Stelle  einer  eingehenden  Prüfung  zu  unterziehen,  deren 
Resultate  ich  hier  in  Umrissen  vorlege. 

Schon  im  Jahre  1852,  als  ich  zum  ersten  Male  Rom  besuchte,  richtete  ich  mein  Augenmerk 
auf  die  uralte  Clemenskirche,  diesen  historisch  festgesetzten  Begräbnissort  des  grössten  mähri- 
schen Wohlthäters,  des  heil.  Bischofs  Cyrill.  Ich  vermuthete,  im  Archive  oder  in  der  Bibliothek  des 
mit  der  Kirche  verbundenen  Klosters  vielleicht  Documente  zu  finden,  welche  mit  der  Geschichte 
der  slavischen  Apostel  in  Verbindung  stehen.  Doch,  ich  irrte  mich.  Der  seit  Urban  VIII.  (1623 
— 16-4-1)  hier  eingeführte  Dominicaner-Orden  irischer  Nation,  besitzt  weder  ein  nennenswerthes 
Archiv  noch  eine  Bibliothek;  in  dieser  Hinsicht  war  also  nichts  zu  gewinnen,  wohl  aber  in 
archäoloo-ischer.  Von  dem  freundlichen  P.  Prior  in  die  Kellerräume  des  Klosters  geführt,  nahm 
ich  alsogleich  wahr,  dass  die  jetzige  Kirche,  die  mit  Beibehaltung  der  alten  Form  häufig  Aus- 
besseruno-en  erlitt,  auf  den  Resten  einer  viel  älteren  stehe,  von  welcher  bei  einem  oberflächigeu 
Nachgraben  alsobald  eine  prachtvolle  Marmorsäule  zum  Vorschein  kam.  Ich  meldete  diesen 
Fund  dem  ersten  Conservator  der  römischen  Denkmale,  Cavaliere  de  Rossi,  habe  auch  in 
meinem  Iter  Romanum,  welches  ich  1855  in  Wien  publicirte,  auf  diesen  Umstand  aufmerksam 
gemacht,  dachte  aber  bis  zum  Jahre  1859  nicht  weiter  an  St.  Clemens  und  an  seine  unter- 
irdische Kirche. 

Im  genannten  Jahre  musste  an  der  Kirche  eine  Reparatur  vorgenommen  werden,  man  stiess 
in  dem  ehemaligen  Vorhofe  auf  Rudera  uralter  Mauerwerke,  dies  erinnerte  Cavahere  di  Rossi  an 
die  aUe  Clemenskirche  und  den  in  Rom  gerade   damals  anwesenden  Erzbischof  von  Olmütz  an 
XIV.  1 


2  Dr.  B.  Dudik. 

das  vermisste  Grab  seines  grossen  heiligen  Vorgängers  auf  dem  mäln-iselien  Bi^chofsstuhle.  Eine 
bedeutende  Geldsumme,  die  noch  später  einige  Male  wiederholt  wurde,  ward  dem  römischen 
Conservator  zur  Verftigung  gestellt,  und  so  das  Aufgraben  der  alten  Clemens-Basilika,  auf  dessen 
Trümmern  die  heutige  steht,  ermöglicht.  Vom  Jahre  1859  bis  1865  dauerten  die  Arbeiten  und 
lieferten  die  herrlichsten  Resultate. 

Um  die  Bedeutung  dieser  Resultate  gehörig  würdigen  zu  können,  müssen  wir  uns,  wenig- 
stens in  allgemeinen  Umrissen,  die  Geschichte  der  St.  Clemens-Kirclie  vergegenwärtigen. 

An  der  Stelle  der  jetzigen  Kirche  stand  um  Christi  Geburt  das  Haus  einer  römischen 
Familie,  der  Faustinianer.  Sie  muss  zu  den  Vornehmeren  gezählt  haben,  weil  am  Fusse  des 
Berges  Coelius,  wo  das  Haus  stand,  nur  reiche  Bürger  sich  ankaufen  konnten.  Es  war  da  der 
angesehenste  Stadltheil.  Wenige  Jahre  nach  Christi  Tod  besass  dieses  Haus  Faustinianus,  der 
Vater  des  heil.  Clemens.  Widrige  Umstände  trennten  den  Knaben  von  den  Eltern,  bis  derselbe, 
hei'angewachsen,  Schüler  des  heil.  Petrus  und  im  Jalu-e  91  sogar  sein  Nachfolger  im  Apostolate 
wurde.  Als  solcher  überstand  er  glücklich  die  unter  Domitian  im  Jakre  93  n.  Chr.  G.  ausgebro- 
chene Christen verfo Igung ,  bekehrte  selbst  nahe  Verwandte  des  Kaisers  Domitian  zum  wahren 
Glauben  und  liess,  der  erste  christliche  Geschichtsforscher,  das  Leben  der  damaligen  Märtyrer 
dm-ch  eigene  hiezu  angestellte  Notare  niederschreiben.  Diese  Martyrologien  oder  Märtyreracten 
besitzen  wir  zum  Theile  noch.  Aber  unter  Kaiser  Trajan  wurde  er  nach  dem  Chersonesus,  in  die 
heutisre  Ki'im.  verbannt,  wo  er  im  Jahre  100  im  schwarzen  Meer  den  Märt\-rertod  fand. 

Kaum  war  der  Ruf  seiner  Heilig-keit  nach  Rom  gedrungen,  als  man  alsogleich  sein  väter- 
tiches  Haus  in  eine  Kiixhe,  ihm  zur  Ehre,  umwandelte.  Welches  Ansehen  dieselbe  gewann,  beweist 
der  Umstand,  dass  schon  Gregor  der  Grosse,  Papst  zwischen  den  Jahren  590  und  604,  daselbst 
seine  altberühmten  Homilien  hielt.  Dieser  Papst  stiftete  bei  der  Kirche  ein  Benedictiner-Kloster, 
welches  bis  1-431  bestand,  und  hauptsächlich  Ursache  ist,  dass  sich  dieses  uralte  christliche 
Denkmal,  in  welches  im  Jahi'e  8G7  die  Reliquien  des  heil.  Papstes  Clemens  durch  die  Brüder 
Cyrill  und  Method  übertragen  imd  869  der  heil.  Cvrill  daselbst  begraben  wurde,  überhaupt  erhal- 
ten hatte.  Als  nämlich  in  den  Kämpfen  zwischen  Gregor  VII.  und  Heinrich  TV.  der  normannische 
Fürst  Robert  Wizkard  Rom  für  Gregor  VH.  erobert  hatte ,  ward  gerade  der  Stadttheil  zwischen 
dem  Lateran  und  der  Engelsburg  durch  Feuer  und  Schwert  gänzlich  verwüstet,  und  bei  dieser 
Gelegenheit  die  Kirche  des  heil.  Clemens  am  29.  Mai  1084  dem  Erdboden  gleich  gemacht.  Aul 
den  Trümmern  der  alten  Basilika  oder  besser  gesagt,  auf  ihren  Hauptmauern,  bauten  nach 
einigen  Jahrzehenten  die  Benedictiner  die  jetzige  Kirche  auf. 

Wir  haben  es  hier  mit  der  bis  zum  Jahre  1859  verschüttet  gewesenen  Basilica  zu  thun. 

In  ihrer  Pracht  bildete  die  alte  Kirche  eine  fünfscliiffige  Basilica  mit  einem  durch  Säulen 
verzierten  Atrium  und  dem  solchen  Bauten  üblichen  Porticus.  Von  Säulen,  welche  die  Holzdecke 
trugen,  sind  nur  Bruchstücke  übrig  geblieben.  Eben  solche  Bruchstücke  sind  von  der  südlichen 
Lang  wand  sichtbar,  dagegen  haben  sich  die  Apside,  die  nördliche  Langwand  und  die  Front- 
mauer, an  welcher  der  Porticus  sich  anlehnte,  vollkommen  erhalten,  und  diese  sind  es,  welche 
die  merkwürdigen  Frescobilder  tragen,  von  denen  Avir  eben  reden  wollen.  Um  sie  jedoch  besser 
zu  verstehen,  müssen  wir  zuvor  noch  bemerken,  dass  selbst  diese  Baureste  nicht  aus  einer  und 
derselben,  sondern  aus  verschiedenen  Zeiten  stammen.  Der  Construction  nach  zu  urtheilen  bildet 
die  Apside  den  ältesten  Theil ;  Quadern  aus  Travertin  und  die  unverkennbar  noch  der  Consular- 
zeit  angehörigen  kleinen,  an  die  Kante  gesetzten  leichten  und  doch  gut  gebrannten  Ziegeln 
cliarakterisiren  zu  sehr  diese  Periode,  um  nicht  alsogleich  auf  den  Gedanken  zu  kommen,  dass 
Mir  hier  Reste  der  Wohnung  des  heil.  Clemens  vor  uns  haben.  Es  war  auch,  wie  dies  mit  solchen 
heiligen  Orten  bis  zur  Gegenwart  geschieht,  ganz  natürlich,    dass  man  aus  der  Geburts-  und 


Neuentdeckte  Feesken  etc. 


Wohnstätte  des  verehrten  Märtyrers  das  Oratorium  bildete,  und  dann  erst  den  übrigen  Raum  des 
Hauses  in  die  neue  Kirche  einbezog.  Die  Anbauten  sind  besonders  an  der  Frontmauer  zum  Por- 
ticus  deiitlich  wahrnehmbar. 

Die  Bilder,  welche  al  fresco  die  Mauerreste  zieren,  sind  aus  dem  Leben  der  heil.  Katharina 
von  Alexandria,  des  heil.  Alexius,  des  heil.  Papstes  Clemens  und  der  slavischen  Apostel  Cyrill  und 
Method  genommen,  durchgängig  Themata  aus  den  ersten  Jahi'hunderten  der  christlichen  Kirche. 
Wir  wollen  uns  hier  blos  mit  den  heil.  Cyrill  und  Method  und  mit  dem  heil.  Clemens,  im  Ganzen 
mit  sechs  Bildern,  beschäftigen. 

I.   Bild.    An  der  Apside,  also  auf  dem  ältesten  Theile  des  Mauerwerkes,   wurde  1864  ein 
Bild  entdeckt,  welches  sowohl  des  Gegenstandes,  als  auch  der  Kunst  wegen  zu  den  Merkwürdig- 
sten gehört.  Hätte  sich  die  fünfzeilige  lateinische  Untersclmft  bei  demselben  erhalten,  dann  wären 
wii*  allerdings  vollkommen  klar  über  dasselbe,  so  aber  sind  nur  wenige  Buchstaben  lesbar,  aus 
welchen  sich  nur  so  viel  eruiren  lässt,   dass   das  Bild  „ziun  Andenken  Lebender"   ansrefertio-t 
wurde.    Es  stellt  ein  sogenanntes    Votivbild  dar,    zwei    der   Tonsur  nach    dem  Regularstande 
angehörige  Männer  werden  kniend   durch  die  Erzengel,  Gabriel  und  Michael,  unter  Fürbitte  der 
Heiligen  Clemens  und  Andreas  dem  nach  griechischer  Ai-t  segnenden  Heilande  anempfohlen.  Die 
Namen  der  Erzengel  und  der  beiden  Heiligen  sind  durch  angesetzte  Buchstaben  deutlich  markirt, 
der  Heiland  an  dem  griechisch  gehaltenen  Heiligenscheine  unverkennbar.  Es  bleiben  uns  daher 
nur  die  zwei  knienden  Männer  zu  erklären  übrig.   Wie  gesagt,  die  Untersckrift  hätte  vielleicht 
über  sie  Auskunft  gegeben,  sie  ist  aber  für  ewige  Zeiten  verloren.  Dem  Charakter  nach  gehört 
dieses  ganz  gut  erhaltene  Gemälde  ohne  Widerrede  dem  IX.  Jahrhunderte  an  und  verräth  einen 
sekr  geübten,  ausgezeichneten  Maler.  Hätte  uns  die  Vorsehung  nicht  den  weiteren  Bilder-Cjclus 
aufbewahrt,  dann  wäre  es  wohl  schwer,  dieses  Gemälde,  falls  es  vereinzelt  da  stände,  zu  deuten; 
so  aber  schliessen  sich  an  dasselbe,  fi-eilich  aus  einer  späteren  Periode,  andere  an,  von  denen  das 
Eine  durch  die  wohl  erhaltene  Aufschrift  auf  den  heil.  Cyrill  hinweist,  ein  zweites  eine  Taufliand- 
lung  und  ein  drittes  den  Leichenzug  des  heil.  Cyrill  darstellt,  wähi-end  der  weitere  Bilder-Cyclus 
Züge  aus  dem  Leben  der  mit  unseren  heil.  Aposteln  so  innig  verwachsenen  Thätigkeit  des  heil. 
Clemens  enthält.  (Fig.  L) 


Fig  1. 


4  Dr.  B.  Dl-dik. 

Wenn  nun  die  ganze  Reihenfolge  der  Gemälde  zur  Verhenlicliung  der  Slavenapostcl  und 
des  von  ihnen  nach  Rom  gebrachten  Leibes  des  heil.  Clemens  dient,  so  wii-d  wolil  auch  das 
aufsclu-iftslose  Bild  im  Zusammenhange  zu  denselben  stehen,  besonders  als  die  beiden  Schutz- 
patrone Clemens  und  Andreas,  und  die  Erzengel  Michael  und  Gabriel  auf  Männer  und  Länder 
hinweisen,  von  denen  und  in  denen  sie  ganz  besonders  verehrt  wurden.  Bis  zur  Gegenwart  ist 
aber  neben  Nicolaus  der  heil.  Andreas  der  Patron  des  gesammten  russischen  Reiches,  Michael 
und  Gabriel  sind  noch  immer  die  gefeierten  Namen  der  orientalisclien  Kirche,  und  wem  konnte 
der  heil.  Papst  Clemens  näher  stehen,  als  unseren  Aposteln  Cvrill  und  !Method?  Wir  sind  daher 
der  Ansicht,  dass  uns  hier  ein  Votivbild,  welches  Constantin  und  seinen  Bruder  Method  darstellt, 
vorliegt,  ein  Votivbild,  das  sie  aus  Dankbarkeit  und  Verehrung  bei  ihren  Lebzeiten  anfertigen 
Hessen.  Method  als  der  Altere  trägt  ein  Buch  in  der  Hand,  Constantin  der  Philosoph  ein  Gefäss, 
das  sich  nach  dem  Vergleiche  mit  alten  Miniaturen  als  Tintenfass  herausstellt.  Ihm,  dem  Philo- 
sophen, gebührt  vor  allem  dieses  Kennzeichen  seines  Berufes. 

Die  Zeit,  wann  das  Bild  angefertigt  wm-de,  ist  nicht  schwer  herauszufinden,  wenn  mau 
bedenkt,  dass  es  im  Alterthume  Sitte  war,  vor  dem  Antritte  eines  wichtigen  Amtes  oder  einer 
grossen  Unternehmung  sich  Gott  zu  verloben,  was  bei  Vermöglicheren  in  der  Regel  durch  ein 
Votivbild  auch  nach  aussen  kundgegeben  wurde  \  Unsere  beiden  Apostel  kamen,  wie  bekannt,  im 
J.  867  zum  ersten  Male  nach  Rom,  zu  Bischöfen  vrurden  sie  daselbst  am  6.  Januar  869  geweiht, 
wobei  sie  die  Mission  für  Mähren  erhielten.  Da  war  wohl  der  Augenblick  gekommen,  sich  Gott 
ganz  und  gar  durch  die  Fürbitte  des  heil.  Clemens  und  der  Landespatrone  aufzuopfern,  und  wir 
wagen  es  auf  diese  Wahrnehmung  gestützt,  auszusprechen,  dass  dies  Votivbild  um  das  Jahr  869 
angefertigt  wurde.  Der  Styl,  das  Costume  und  die  Manier  der  Malerei,  sowie  der  Ort,  wo  die  von 
den  beiden  Glaubensboten  aus  dem  Chersones  gebrachten  Reliquien  niedergelegt  wurden, 
sprechen  dafür. 

Sind  meine  Conjecturen  richtig,  dann  haben  wir  in  diesem  Gemälde  die  Porträte  unserer 
grössten  Wohlthätcr  —  wir  haben  ein  Bilil,  das  sie  sich  selbst  setzten  —  eine  Thatsache,  die 
einzig  dasteht. 

n.  Bild.  Constantin  erhält  vom  Kaiser  Michael  III.  auf  Ansuchen  des  mährischen  Füi'Sten 
Rastic  den  Auftrag-,  in  Mähren  das  Evangelium  zu  predigen. 

Man  sieht  auf  diesem  Bilde  den  Kaiser  auf  dem  Throne  im  grossen  Ornate  mit  der  Krone 
auf  dem  Haupte  und  vor  ihm  kniend  den  festlich  gekleideten  Philosophen.  Dass  es  unser  Con- 
stantin ist,  zeigt  der  bei  ihm  angebrachte  deutliche  Namen  „Cyrill"'.  Zwei  wie  im  Gehen  begrif- 
fene Personen,  denen  der  Kaiser  mit  aufgehobener  linken  Hand  gleiclisam  den  Weg  wei.st,  sind 
hinter  dem  heil.  Cyrill  sichtbar.  Schade,  dass  dieses  Gemälde  sehr  viel  gelitten  hatte.  Von  der 
ehemaligen  Unterschrift  desselben  haben  sich  nur  drei  Buchstaben  ALM  erhalten.  Aufgedeckt 
wurde  es  im  Jahre  1859.  (Fig.  2.)  Die  Geschichte  erzählt,  dass  Rastic's  Gesandtschaft  nach 
Byzanz  im  Jahre  863  ankam,  und  dass  die  heiligen  Brüder  den  mährisch  en  Boden  in  der  ersten 
Hälfte  des  genannten  Jahres  betraten.  Die  dargestellte  Scene  fällt  demnach  in  das  Jahr  863;  das 
Gemälde  selbst  jedoch  scheint  dem  X.  Jahrhunderte  und  dies  von  einem  Maler  abzustammen, 
welcher  bei  weitem  nicht  mehr  jene  Befähigung  hatte,  der  wir  am  ersten  Bild  begegnen.  Cvrill 
erscheint  hier  mit  dem  Heiligenscheine,  der  natürlich  auf  dem  ersten  Bilde  den  beiden  Brüdern 
felilt.  Damals  waren  sie  dem  Maler  nocli  am  Leben,  jetzt  sind  sie  ihm  schon  lange  todt.  Von  dem- 
selben Künstler  und  aus  gleicher  Zeit  ist  das  unmittelbar  an  dieses  sich  anschliessende  dritte  Bild. 

'  Als  Bischof  Heinrich  IL  von  Ohnütz  im  Anfange  des  XIV.  Jahrbundertes  in  der  alten  Peterskirche  zu  Rom  einen  Altar 
zur  Ehre  des  heil.  Wenzel  gestiftet  hatte,  liesb  er  »ich  auch  auf  ein  Votivbild  malen,  wie  er  von  den  heil.  Adalbert  und  Prokop 
der  Madonna  vorgestellt  wird. 


Neuentdeckte  Fresken  etc. 


5 


Fig.   2. 


Fig.  3. 


III  B  i  1  d.  Der  heil.  Method,  angetlian  mit  dem  erzbischöfliclien  Pallium,  tauft  als  Metro- 
polit durch  Untertauchung  einen  noch  ziemlich  jugendlichen  Slaven.  (Fig.  3.) 

Dass  wir  es  hier  mit  einem  gut  erhaltenen  Gemälde  des  X.  Jahrhunderts  zu  thun  haben, 
dafür  ist  uns  die  Form  und  die  Verzierung  des  Palliums,  welches  der  Erzbischof  auf  der  Casula 
und  um  die  rechte  Hand  umgeschlagen  trägt,  Bürge.  Der  Erzbischof  hat  die  Mönchstonsur  und 
trägt  einen  kurzgeschorenen  Vollbart.  Der  blos  mit  einem  Lendentuche  versehene  Täufling  steht 
bis  zu  den  Hüften  im  Wasser. 

Die  folgenden  drei  grösseren  Gemälde,  auf  der  Wand  des  Porticus  angebracht,  sind  von 
einem  und  demselben  Meister  gut  ausgeführt  und  kaum  jünger  als  das  XI.  Jahrhundert.  Sie 
scheinen  unmittelbar  vor  der  Zerstörung  der  Kirche  durch  die  Normannen  angefertigt  worden 
zu  sein  und  stellen  gleichfalls  Votivbilder  dar.  Die  angebrachten  Inschriften  machen  uns  mit 
dem  Urheber  derselben  bekannt.  Er  nennt  sich  Benno  von  Rapiza,  welcher  mit  seiner  Gemalin 
Maria  macellaria  und  seinen  beiden  Kindern  Clemens  und  Altilia  zur  Ehre  des  heil.  Clemens 
und  zu  seinem  vmd  der  Seinigen  Seelenheile  diese  Bilder  malen  liess. 

IV.  Bild.  Sanct  Cyrill  wird  vom  Vatican  in  die  St.  Clemenskirche  übertragen  *  mit  der 
Unterschrift:  „Huc  a  Vaticano  fertur  PP.  Nicoiao  imnis  divinis  quod  aromatibus  sepelivit"  (sci- 
licet  Corpus  sti  Cyrilli).  Auf  der  Todtenbahre,  dem  feretrum  honoratum,  wird  unter  einer  pracht- 
vollen Decke  der  Leichnam  des  heil.  Cyril  unter  dem  Incensum  zweier  Diakonen  und  bei  Vor- 
trasruner  des  Evangrelienbuches  von  vier  iunsren  Männern  aus  dem  Vatican  in  die  Clemenskirche 
übertragen.  Dass  hier  die  Clemenskirche  verstanden  werden  soll,  deutet  der  Maler  durch  den 
heil.  Clemens  selbst  an,  den  er  beim  Altare,  mit  dem  Gesichte  gegen  das  Volk,  wie  dies  in  den 
Basiliken  Roms  bis  zur  Gegenwart  Sitte  ist,  aus  einem  vor  ihm  aufgeschlagenen  Buche  das 
„Pax  Domini  sit  semper  vobiscum"  sagen  lässt,  und  den  Vatikan  drückt  er  durch  den,  den  Lei- 
chenzug begleitenden  Papst  aus,  dessen  Haupt  der  Auszeichnung  wegen  mit  dem  Nimbus  um- 
geben ist,  den  rechts  der  heil.  Method,  durch  den  Heiligenschein,  durch  die  Mönchstonsur  und 
den  Bart  kenntlich,  und  links  ein  anderer  Bischof  begleiten.  Da  der  Papst  das  über  die  Knie 
herunterreichende  Palliiim  ,    welches  übrigens  auch    noch    im  XII.  Jahrhunderte    üblich  war, 

2  Entlehnt  hat  die  katholische  Kirche  die  hier  bildlich  dargestellte  Tradition  aus  der  vom  Bischöfe  zu  Veletri,  Gaude- 
,.ieus,  abgefassten  Translatio  sti.  C'lementis,  der  ein  Zeitgenosse  der  heil.  Apostelbruder  war,  und  daher  wissen  konnte,  was 
mit  der  Leiche  des  heil.  Cyrill  geschah. 


6  Dr.   B.  DtDi'K. 

und  statt  des  Regmim  oder  der  Tiai-a  die  uralte  conische  Mütze,  den  Pileus  träjrt,  und  die 
Bischöfe  die  lange  schmale  Stola  haben,  so  ist  uns  dies  der  schlagendste  Beweis,  dass  dieses 
Gemälde  vor  dem  Jahre  1054  angefertigt  werden  musste,  weil  im  genannten  Jahre  bei  der 
Krönung  des  Papstes  Hadrian  IV.  schon  die  „mitra  turbinata  cum  Corona-  benützt  wurde.  Auf 
unserem  Bilde  ist  die  -mitra  turbinata-  noch  ohne  Krone  \  Das  Vortragekreuz,  die  zwei  Bischof- 
stäbe und  drei  Labara  stimmen  in  ihren  Formen  vollkommen  mit  der  Zeit,  in  welche  wir  dies 
Gemälde  versetzen,  überein  (s.  die  beigegebene  Tafel).  Das  Thema  zu  demselben  wurde  aus  der 
bis  zur  Gegenwart  in  den  römischen  Brevieren  enthaltenen  Kirchenlegende  zum  Feste  der  Slaven- 
apostel  Cyrill  *  und  Metliod  genommen.  Dort  heisst  es:  „C}Tillus  cum  Romae  obiisset,  primum  eins 
corpus  in  basilica  vaticana  conditur,  postea  magno  cleri  populique  concursu  ad  basilicam  saneti 
Clementis  translatum  est".  Zum  Zeichen,  dass  auch  dieses  Gemälde,  welches  1863  zum  Vorschein 
kam,  ein  Votivbild  sei,  lesen  wir  unter  einer  gut  stylisirten  Blumenverzierung  die  Worte:  „Ego 
Maria  Macellaria  pro  timore  Dei  et  remedio  anime  mee  hec  pingere  feci-. 
V.  B  i  1  d.    Der  heil.  Clemens  und  der  blindgewordene  Sisinius. 

Zum   Versränduiss    dieses    aus    drei   über  einander  liegenden  Abtheilungen    bestehenden 
Bildes,  welches  sich  auf  der  Taf.  XI  der  Mittheilungen  der  k.  k.  Centi-al-Commission,  Bd.    VIII, 
Jahr  1863  vorfindet,  muss  man  seine  Zuflucht  zu  der  Legende  des  heil.  Clemens  nehmen,  wie 
selbe  die  sogenannte  Legenda  aurea  des  lacobus  a  Voragine  erzählt.  Dort  liest  man  zur  Deutung 
des  mittleren  Hauptbildes:  „Cum  (s.  Clemens)  Domicillam  virginem,  neptem Domitiani imperatoris, 
sacro  velamine  consecrasset,  et  Theodoram,  uxorem  Sisinii,  amici  imperatoris,  ad  fidem  conver- 
tisset,  et  in  castitatis  proposito  manere  promitteret,   Sisinius,  zelo  ductus,  ecclesiam  post  uxorem 
suam  occulte  intravit,  scire  volens,  propter  quod  illa  sie  ecclesiam  frequentaret.  At  vero  a  sancto 
demente  oratio  fusa  est,   et  a  populo  responsum  est.    Tum  Sisinius  coecus  et   surdus   penitus 
effectus  est,  qui  statim  pueris  suis  dixit:  „cito  me  tollite  et  foras  educite".  Pueri  autem  per  totam 
ecclesiam  eum  girabant,   sed  et  ad  ianuas  pervenii-e  non  poterant.   Quos  cum  %ndisset  Theodora 
sie  errantes,  primo  quidem  ab  iis  declinavit,  putans,  quod  vir  suus  eam  cognoscere  posset;  post- 
modum  autem,   quidnam  hoc  esset,   eos  interrogavit,   qui  dixerunt:    ,.  dominus  noster,   dum  vult 
videre  et  audire,  quae  non  licet,  coecus  et  surdus  factus  est".   Tunc  illa  in  oratiouem  se  dedit, 
deprecans,   ut  vir  suus  inde  exire  posset,  et  post  orationem  dixit  pueris:  „ite  modo  et  perducite 
dominum  vestrum  ad  domum''. 

Das  Gemälde  stellt  nun  nach  dieser  Legenden-Stelle  die  Kirche  dar,  in  welcher  der  heil. 
Pabst  Clemens  celebrirt.  Auf  dem  Altare  liegt  das  offene  Buch,  die  Paten  und  der  mit  Henkeln 
versehene  Kelch,  ein  Beweis,  dass  aus  demselben  der  consecrirte  Wein  den  Anwesenden  gereicht 
wurde.  Den  Manipel  hält  der  Papst  nicht  an,  sondern  in  der  Hand,  indem  derselbe  nichts  anderes 
als  blos  ein  Theil  der  ehedem  um  die  linke  Hand  gewundenen  Stola  ist.  Die  siebenarmige  Lampe, 
die  Corona  lampadum,  wie  man  sie  in  den  Katakomben  öfter  abgebildet  findet,  schwebt  ober  dem 
Altare.  Dem  Pontificanten  ist  deutlich  der  Name  Sanctus  Clemens  papa  beigesetzt.  Rechts  von 
ihm  steht  seine  Assistenz  aus  vier  Priestern  bestehend,  von  denen  zwei  je  ein  Pedum  und  einer 
das  Rauchfass  und  ein  Gefäss  mit  Weihrauch  tragen.  Dieses  Weihrauchgefäss  aus  einer  runden, 
verzierten  Büchse  bestehend,  ist  zu  charakteristisch,  um  aus  seiner  Form  nicht  alsogleich  auf  das 
XI.  Jahrhundert  schliessen  zu  können.  Aus  den  Zeiten  des  Königs  Roger  von  Sicilien  hat  sich 
im  Sacristei-Schatze  zu  Monte  Casino  ein  ähnliches  Gefäss  aus  Elfenbein  erhalten.  Im  XII.  Jahrh. 
kamen  erst  unsere  Weihrauchschiffeln  auf.  Links  von  dem  Celebranti-n  ist  die  Scene  dargestellt, 

2  Heut  zu  Tage  sitzen,  wie  bekunnt,  drei  Kronen  auf  dieser  päpstlichen  Kegelmütze. 

*  Bekanntlich  starb  der  heil.  Cyrill  zu  Rom  am  14.  Februar  869  in  seinem  42.  Lebensjahre.  Damals  war  jedoch  nicht 
mehr  Nicolaus,  welcher  bereits  am  13.  November  867  starb,  sondern  Hadrian  II.,  welcher  bis  87-2  regierte,  am  päpstlichen 
Throne.  Doch  solche  Anachronismen  sind  in  den  Legenden  nichts  Seltenes, 


Netjentdeckte  Fresken  etc.  7 

wie  Tbeodora  den  Dienern  des  blind  nnd  taub  gewordenen  Sisinius  die  Worte  zuruft:  „gehet  und 
füliret  eueren  Herrn  nach  Hause".   Die  Namen:  Theodora  und  Sisinius  sind  deutHch  zu  lesen. 

Gewissermassen  als  Fortsetzung  der  Legende  erscheint  die  untere  Abtheilung  des  Gemäl- 
des, eine  ofiene  Halle  darstellend,  in  welcher  auf  Befehl  des  Sisinius  drei  mit  Namen  angeführte 
Diener:  Carvoncel,  Albertel  und  Cosmaris  eine  Steinsäule  mittelst  Stricken  schleppen.  Warum  sie 
dies  thun  müssen,  darüber  belehrt  uns  die  angebrachte  Inschrift:  „Ob  duritiam  cordis  vestri, 
saxa  trahere  meruistis".  Zur  Erklärung  dieses  Bildes  erzählt  die  obangeführte  Legende  weiter: 
„Cumque  abiissent,  sancto  Clementi  Theodora,  quid  acciderit,  indicavit.  Tunc  Sanctus,  rogatu 
Theodorae  ad  Sisinium  venit,  et  ipsum  invenit  apertis  oculis  nil  videntem  et  nihil  penitus  audien- 
tem.  Cumque  Clemens  pro  eo  orasset,  et  ille  auditum  et  lumen  recepisset,  videns  dementem  iuxta 
uxorem  suam  stantem,  amens  efticitur,  ut  se  illusum  magicis  artibus  suspicatur,  praecepitque  servis 
suis,  ut  tenerent  dementem,  dicens:  „ut  ingrederetur  ad  uxorem  meam,  magicis  artibus  me  excae- 
cavit",  praecepitque  ministris,  ut  dementem  ligarent  et  ligatum  traherent.  At  illi  ligantcs  colum- 
nas  iacentes  et  saxa  putabant,  sicut  etiam  Sisinio  videbatur,  quod  sanctum  dementem  cum  suis 
clericis  traherent  et  ligarent.  Tunc  Clemens  Sisinio  ait:  „quia  saxa  Deos  dicis,  saxa  trahere  merui- 
sti".  Ille  autem  vere  eum  ligatum  existimans  ait:  „ego  te  interfici  faciam".  Clemens  autem  inde 
abscedens,  Theodoram  rogavit,  ne  ab  oratione  cessaret,  donec  virum  suum  Dominus  visitaret-'. 
Als  Erfolg  des  Gebetes  erscheint  der  Theodora  der  heil.  Petrus  mit  den  Worten:  „per  te  vir  tuiis 
salvabitur,  ut  impleatur,  quod  dixit  frater  mens  Paulus:  salvabitur  vir  infidelis  per  mulicrem 
fidelem".  Die  P'olge  dieser  Erscheinung  und  der  darauf  folgenden  Heilung  war,  dass  Sisinius 
und  mit  ihm  313  zum  Hause  Gehörige  sich  vom  heil.  Clemens  taufen  Hessen.  Sisinius  ist  Con- 
patron  der  bischöflichen  Kirche  in  Trient.  Als  Anspielung  auf  die  Erscheinung  des  h.  Petrus  sieht 
man  ober  dem  Hauptbilde  die  unteren  Theile  von  sieben  Figuren,  aus  denen  den  angebrachten 
Inschriften  nach  die  vier  ersten  Päpste:  Petrus,  Linus,  Cletus  und  Clemens  erkennbar  sind.  Aus 
diesen  Bezeichnungen  nehmen  wir  zugleich  wahr,  dass  bereits  im  XI.  Jahrhunderte  die  später 
angezweifelte  Reihenfolge  der  ersten  vier  Päpste  feststand.  Dass  wir  es  hier  ebenfalls  mit  einem 
Votivgemälde  zu  thun  haben,  zeigt  die  Aufschrift  unter  dem  Hauptbilde:  „Ego  Beno  de  Rapiza 
cum  Maria  uxore  mea  pro  amore  Dei  et  beati  Clementis  pingere  feci".  Beno  und  Maria  mit 
Wachsstöcken,  und  nicht  mit  Kerzen,  in  der  Hand,  aus  Demuth  in  kleiner  Gestalt  abgebildet, 
stehen  im  Vordergrunde  zur  rechten  Seite  des  celebrirenden  St.  Clemens.  Zum  Überflüsse  steht 
bei  der  männlichen  Figur  noch  der  Name  Beno. 

VI.  Bild.  Das  Wunder  des  heil.  Clemens  mit  dem  Sohne  der  Witwe  (s.  die  beigegebene 
Tafel).  Nachdem  unter  Kaiser  Trajan  der  h.  Clemens  „ligata  ad  collvim  eins  ancora"  im  schwarzen 
Meere  den  Märtyrertod  fand,  kamen  seine  Schüler  zum  Ufer,  um  den  Leichnam  des  Heiligen  zu 
finden.  „Statim",  so  erzählt  die  obangeführte  Legende  weiter:  „statim  mari  per  tria  milHaria  rece- 
dente  omnes  per  siccum  ingressi,  invenerunt  in  moduui  templi  marmorei  habitaculum  a  Deo 
paratum,  et  ibi  in  archa  corpus  sancti  Clementis  et  ancoram  iuxta  eum.  Revelatum  est  autem 
discipulis  eins,  ne  inde  tollerent  corpus  eins.  Omni  autem  anno  tempore  passionis  eins  per  septem 
dies  ad  tria  milliaria  mare  recedit,  et  siccum  iter  advejiientibus  praebuit".  Da  geschah  es,  dass 
bei  einer  solchen  Festlichkeit  eine  Witwe  mit  ihrem  Sohne  ankam,  aber,  als  das  Meer  wieder 
zu  steigen  anfing,  auf  den  Sohn  vergass.  Nach  einem  Jahre  fand  sie  ihn  jedoch  gesund  wieder 
auf  derselben  Stelle. 

Auf  unserem  Gemälde  sieht  man  diese  Scene.  Auf  der  Stufe  eines  in  einer  Nische  ange- 
bracliten  Altars  mit  zwei  romanischen  Leuchtern,  aber  ohne  Crucifix  —  vor  dem  XII.  Jahr- 
hunderte am  Altare  nicht  gebräuchlich  —  und  mit  Vorhängen,   die  sich  bis  tief  Ins  Mittelalter, 

^  Aufgefunden  war  dieses  grossartige  Gemälde  im  Jahre  1861. 


8  Dr.  B.  Dudik. 

namentlich  im  südlichen  Frankreich,  erhielten,  liegt  in  der  Nähe  des  charakteristischen  Ankers 
der  Knabe,  den  aufzuheben  eben  die  Witwe  im  Begriffe  steht.  Um  anzuzeigen,  dass  die  Nische 
im  Meere  sich  befindet,  sind  rund  herum  Fische  angebracht.  Eine  Procession  mit  dem  Bischöfe 
an  der  Spitze  tritt  eben  aus  einem  Stadtthore  mit  der  Aufschrift:  „Cersona"  hervor.  Bei  dem 
Knaben  liest  man  die  Worte:  „puer",  und  bei  der  Frau:  , mulier  A-idua-'.  Ober  dem  Gemälde  war 
eine  längere  Inschrift  angebracht,  von  welcher  noch  die  Worte  .  .  .  „tumulum  ptirat  angelis  istum" 
lesbar  sind.  Die  Schrift  unter  dem  Bilde  lautet:  „Puer,  ecce  iacet,  repetit  quem  previa  mater-. 
Auch  dieses  Bild  legitimirt  sich  durch  die  gut  erhaltene  Inschrift  als  Votivtafel.  Man  liest:  ,,In 
nomine  Domini.  Ego  Benno  de  Rapiza*  pro  amore  beati  Clementis  et  redemtione  anime  mee 
pingere  feci".  Zu  gleicher  Zeit  Hess  Benno  auf  diesem  Bilde  seine  ganze  Familie  anbringen.  In  der 
Mitte  erscheint  in  einem  Medaillon  das  Brustbild  des  heil.  Clemens  mit  dem  Motto:  Me  prece 
Csic)  querentes,  estote  nociva  caventes.  Dem  Medaillon  zur  rechten  Seite  steht  Beno  mit  einer 
Wachskerze,  die  gerade  die  Fomi  hat,  wie  ich  selbe  im  Oriente  bei  den  Griechen  und  Armeniern 
sah,  nach  unten  dick,  und  auffallend  dünn  nach  oben  und  bemalt.  Bei  ihm  steht  von  einer  Frau 
oreleitet  seine  kleine  Tochter  Altilia.  Zur  linken  Seite  des  Medaillons  erblickt  man  die  Domina 
Maria,  Gemalin  Beno's,  mit  einem  Wachsstock  in  der  Hand,  und  vor  ihr  ihren  Sohn,  den  puerulus 
Clemens,  mit  einer  brennenden  Kerze.  Deutlich  angebrachte  Namen  lassen  über  die  Personen 
keinen  Zweifel  zu.  Als  Ornamente  sind  hier  sehr  hübsch  stslisirte  Blätter,  mit  Vögeln  dazwischen 
angebracht.  Zum  Vorschein  kam  dieses  im  Ganzen  ziemlich  gut  erhaltene  Gemälde  im  J.  1863. 
Die  Buchstaben  aller  Namen  stehen  nicht  neben  einander,  sondern  unter  einander. 

Man  könnte  uns  einwenden:  Da  diese  auf  das  Leben  des  heil.  Clemens  sich  beziehenden 
Votivbilder  fast  wörtlich  der  Legende,  wie  selbe  lacobus  a  Voragine  angibt,  entlehnt  sind,  dieser 
aber  erst  am  Schlüsse  des  XIII.  Jahrhunderts  schrieb,  so  werden  wohl  auch  die  Gemälde  erst 
diesem  Zeitalter  entstammen.  Daraufhaben  wir  die  kurze  Antwort:  dass  lacobus  selbst  sich  in 
der  Legende  des  heil.  Clemens  schon  auf  ältere  Quellen,  die  er  benützte,  bei-uft.  Und  dass  der 
Künstler  unserer  Votivtafeln  nicht  den  lacobus,  sondern  eine  andere  Quelle  vor  sich  hatte,  dafür 
sprechen  deutlich  die  Aufschriften  auf  dem  fünften  und  sechsten  Bilde.  Jacobus  spricht  nur  von 
einer  „mulier  cum  filio  suo  parvulo",  auf  dem  Bilde  liest  man  aber:  mulier  vidua  et  puer,  und 
dass  auf  dem  fünften  Bilde  die  Note:  Ob  duritiam  etc.  mit  der  Legende  nicht  übereinstimmt, 
liegt  am  Tage. 

So  viel  über  die  neuentdeckten  Fresken.  Wie  verhält  es  sich  aber  mit  den  Reliquien  des 
heil.  Cyrill?  Diese  wurden  nicht  aufgefunden.  Es  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  sie  entweder 
vor  der  Zerstörung  der  Kirche,  oder  unmittelbar  nach  derselben  sammt  den  Reliquien  des  heil. 
Clemens  auf  einen  sicheren  Ort  übertragen  wurden.  Eine  Inschrift  in  der  heutigen  Kirche  sagt 
zwar,  dass  Reliquien  des  heil.  Clemens  im  Hochaltare  eingeschlossen  seien;  von  Reliquien  des 
heil.  Cyrill  besitzt  jedoch  Rom  in  seinem  Reliquienschatze  heut  zu  Tage  gar  nichts '. 

^  Wer  aber  Beno  de  Rapiza  war,  wird  wohl  noch  lange  unbeantwortet  bleiben.  Wenngleich  der  Name  ßapiza  einen  so 
slavischen  Klang  hat,  dass  man  dabei  unwillkürlich  an  Rapza,  Rabaniza,  einen  Nebenfluss  der  Raab,  Hrapa  erinnert  wird,  su 
möchten  wir  doch  lieber  die  Forscher  auf  die  C'omites  Tudertini  im  Kirchenstaate  hinlenken,  von  denen  ein  Rapizo,  Coraes 
Tudertinus,  gerade  in  der  Zeit,  als  Gregor  VII.  mit  Kaiser  Heinrich  im  Kampfe  lag,  eine  wichtige  Rolle  spielte.  Die  Kleider- 
tracht der  Personen  ist  durchgängig  die  römische. 

'  Dass  aber  Reliquien  dieses  Heiligen  in  Rom  und  anderswo  vorhanden  waren,  dafiir  spricht  die  Kirche  des  heil.  Hie- 
ronymus  in  Rom,  wo  am  Feste  der  Slavenapostel  eine  grosse  Reliquie  des  heil.  Cyrill,  die  zn  verehren  ich  selbst  das  Gliick 
hatte,  ausgestellt  wird ,  und  dass  die  Domkirche  zu  Brunn  in  einem  sehr  alten  silbernen  Kästchen  ein  Armbein  des  heil, 
f'yrill  besessen  hatte,  bezeugt  P.  Theodor  Moretiis  in  einem  Schreiben  an  die  Bollandi.-*ten,  welche  zum  9.  März  das  Leben 
der  .Slavenapostel  veröffentlicht  haben.  Wahrscheinlich  von  dieser  Briinner  Reliquie  stammt  jene  ab,  welche  in  der  Capelle  der 
Prälatur  zu  Beigem  Prälat  Othmar  im  Jahre  1765  aufgestellt  hatte.  Es  wäre  interessant  zu  erfahren,  wo  noch  in  Mährens 
Kirchen  Reliquien  der  slavischen  Glaubensboten  aufbewahrt  werden. 


9 


Der  Schatz  von  St.  Veit  zu  Praff. 


Von  Canonicus  Dr.  Fr.  Bock. 


£  i  D 1  e  i  t  u  D  2;. 


^  achdem  in  den  letzten  Decennien  in  Belgien,  Frankreicli,  England  und  Deutschland  die  her- 
vorragendsten kirchlichen  und  profanen  Baudenkmale  des  Mittelalters  mit  Aufwand  bedeutender 
Kosten  mehr  oder  weniger  im  Geiste  ihrer  ersten  Erbauer  wiederhergestellt  worden  sind; 
nachdem  ferner  auch  in  dem  österreichischen  Kaiserstaate,  Dank  der  Vorliebe  des  Allerhöchsten 
Kaiserhauses  für  Kunst  und  nationale  Alterthümer,  unter  der  thatkrcäftigen  Mitwirkung  der  k.  k. 
Central-Commission,  eine  grosse  Zahl  von  Monumenten  eine  gründliche  Restauration  erfahren 
haben,  ist  in  jüngster  Zeit  auch  das  so  ausdauernd  angestrebte  Ziel  des  vor  wenigen  Jahren  ver- 
storbenen Prager  Canonicus  Pesina  verwirklicht  worden ,  dass  nämlich  der  Dom  von  St.  Veit 
zu  Prag,  die  grossartigste  Schöpfung  Karl's  IV.,  nach  so  vielen  Unbilden  durch  eine  wissen- 
schaftlich -  gründliche  Restauration  eine  endliche  Verjüngung  und  Wiedererneuerung  erfahren 
möge.  Wenn  nun  die  Bauhütte  von  St.  Veit  unter  der  jetzigen  erfahrenen  Leitung  hoffentlich  in 
wenigen  Jahren  das  Äussere  des  altehrwürdigen  Monumentes  auf  dem  Hradschin  mit  ängstlicher 
Beachtung  aller  vorfindlichen  Überreste  wiederhergestellt  haben  wird,  dann  dürfte  vielleicht, 
nach  dem  Vorgange  Kölns,  auch  für  Prag  die  Zeit  gekommen  sein,  dass  man  sich  mit  einer 
blossen  Wiederherstellung  des  Vorhandenen  nicht  begnügt,  sondern  durch  einmüthiges  Zusam- 
menwirken aller  Kräfte  kühn  das  grosse  Ziel  zu  verwirklichen  suchen  wird,  die  noch  unvollen- 
dete Schöpfung  Karl's  IV.  in  jenem  Geiste  und  jenen  Formen  consequent  durchzuführen  und 
auszustatten,  wie  dieselbe  nach  einem  einheitlichen  Plane  dem  königlichen  Bauherrn  und  seinem 
genialen  Baumeister  Arier  von  Gmünd  vorgeschwebt  haben  mag.  Zur  selben  Zeit,  wo  man  es 
unternommen  hat  die  Metropole  auf  dem  Hradschin  wieder  herzustellen  und  auszubauen,  haben 
die  Stände  Böhmens  den  lobenswerthen  Entschluss  gefasst,  noch  eine  andere  Schöpfung  des 
kunstsinnigen  Karl  IV.,  das  Schloss  Karlsstein,  von  jenem  Meister  wieder  herstellen  zu  lassen, 
dessen  erfahrenen  Händen  auch  die  Restauration  des  St.  Stephansdomes  zu  Wien  anvertraut  ist. 
Gegründete  Hoffnung  soll  in  jüngster  Zeit  vorhanden  sein,  dass  auch  für  ein  drittes  Monument  die 
Zeit  einer  gründlichen  Wiederherstellung  nicht  mehr  fern  ist,  welches,  an  der  Kleinseite  von 
Prag  auf  dem  Karlshof  gelegen,  unter  den  wenigen  gothischen  Kuppelbauten  aus  den  Tagen 
Karl's  IV.  unstreitig  den  ersten  Rang  einnimmt. 


10  Dr.  Fr.  Bock. 

Seit  Jahren  vorzüglich  mit  dem  Studium  der  kh-chhch-m«tallischeu  Künste  des  Mittehxlters 
beschäftigt,  haben  wir  zu  verschiedenen  Malen  Veranlassung  genommen,  auf  den  belebenden 
PZintluss  aufmerksam  zu  machen,  den  Karl  IV.  nicht  nur  in  der  Metropole  an  der  Moldau,  sondern 
auch  in  vielen  andern  Städten  Böhmens  und  Deutschlands  auf  die  Pflege  und  Hebung  der  kinh- 
lichen  Goldschmiedekunst  ausübte.  Die  bei  weitem  grossartigsten  Denkmäler  des  Fromm-  und 
Kunstsinnes  Karl's  IV.  besitzt  indessen  heute  noch  der  Schatz  seiner  Lieblingsstiftung  von 
St.  Veit  zu  Prag  in  jenem  umfangreichen  Kunst-  und  Reliquienschatz,  der  trotz  der  vielen  Plün- 
derung und  Entstellungen  in  den  di-ei  letzten  Jahrhunderten  heute  noch  im  österreichischen 
Kaiserstaate  als  ein  ünicum  dasteht  und  als  der  reichhaltigste  zu  betrachten  ist '.  Wie  kostbar 
und  umfangreich  derselbe  zur-  Zeit  seines  kaiserlichen  Gründers  in  der  letzten  Hälfte  des  XH'. 
Jahrhunderts  gewesen  sein  muss,  das  beweisen  die  noch  erhaltenen  Schatzverzeichnisse  jener 
Zeit,  welche  eine  wahi-haft  unglaubliche  Menge  der  verschiedensten  Reliquiarien  in  allen  Formen, 
ferner  von  Cultgeräthen  und  Prachtgewändern  jeder  Ai-t  in  langer  Reihe  enthalten.  Kaiser  und 
Könige,  Fürsten  und  Erzbischöfe  beeiferten  sich  auch  in  den  beiden  folgenden  Jahrhunderten, 
den  von  Karl  IV.  gegiäindeten  Schatz  von  Reliquien-  und  metallischen  Kunstwerken  zu  erhalten 
und  zu  mehren.  Tram-ige  Zeiten  jedoch  brachen  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert  in  Folge  der 
politischen  und  religiösen  Wirren  über  die  böhmische  Metropole  und  den  reichen  Schatz  ihrer 
Kathedrale  herein.  Seit  den  Tagen,  wo  der  Prager  Domherr  Pesina  de  Cechorod  in  seinem 
-Phosphorus  septicornis"  die  Herrlichkeiten  seiner  erzblschöflicheu  Kathedrale  beschrieb,  ist 
durch  die  UnsTunst  der  Zeiten,  durch  Ung-eschmack  und  Unkenutniss  vieler  Generationen  o-;ir 
manches  verloren  gegangen.  Vieles  jedoch  hat  sich  trotz  der  Stürme  und  Drangsale  bis  heute 
noch  erhalten,  was  mit  Hinzunahme  der  alten  Schatzverzeichnisse  einen  sprechenden  Beweis 
dafür-  gibt,  welch  grossartige  Meisterwerke  der  religiösen  Goldschmiedekunst  sicli  im  XIV.,  XV. 
und  XVI.  Jahrhundert  in  dem  Thesam-us  Ecclesiae  Metropolitanae  Pragensis  befanden,  nachdem 
Karl  IV.,  römischer  Kaiser  und  bölunischer  König,  es  nicht  unter  seiner  Würde  gehalten  hatte, 
auf  seinen  vielen  Züg-en  und  Reisen  allenthalben  seltene  Reliquien  für  seine  Lieblingsstiftung 
zu  Prao-  anzusammeln  und  dieselben  mit  kunst-  und  werthvoUen  Fassung-en  zu  schmücken. 

Da  man  nun,  wie  Eingangs  bemerkt,  mit  löblichstem  Eifer  allseitig  bestrebt  ist,  die  in 
den  letzten  Jahi-hunderten  kaum  beachteten  Monumente  Karl's  IV.  mit  Vorliebe  und  Sachkenntniss 
wiederherzustellen,  so  haben  wir  nicht  länger  säumen  wollen,  auch  unserer  Seits ,  wenngleich 
aus  weiter  Feme,  ein  Scherflein  ziu-  Wiederherstellung  des  Ansehens,  der  Würde  und  kunst- 
geschichtlichen Bedeutung  der  altberühmten  Prager  Metropole  beizutragen,  indem  wir  es  ver- 
suchen werden,  die  meist  ungekaunten  Kunst-  und  Reliquienschätze  von  St.  Veit  in  Wort  und 
Bild  zu  veröfi'entlichen  und  allen  Verehrern  Karl's  IV.  zugänglich  zu  machen.  Wenn  es  uns  nim 
in  dieser  monographischen  Besckreibung  des  Prager  Domschatzes  gelingen  sollte,  zu  den  alten 
Ehren  der  böhmischen  Mutterkirche  eine  neue  hinzuzufügen,  so  verdanken  wir  dieses  hauptsäch- 
lich dem  hochwürdigsten  Cardinal  und  Füi-st-Erzbischof  von  Schwarzenberg ,  Hochweicher  uns 
vor  wenigen  Jahren  in  entgegenkommender  Herablassung  Gastfreundschaft  auf  längere  Zeit 
gewährte,  damit  in  der  erzbischöflichen  Curie  von  sämmtlicheu  Reliquiarien  des  St.  Veits-Domes 
eine  crenaue  Abbildung:  und  eincjehende  Beschreibung  vorgenommen  werden  konnte. 

1  Um  nicht  Gesagtes  zu  wiederholen,    verweisen  wir  hier  auf  unsere  Abhandlung-  „Das  Schatzverzeichniss  des  Domes 
von  St.  Veit  in  Prag  aus  dem  Jahre  1387".  (.Mittheilungen  etc.  IV.  Jahrgang,  1SÖ9,  Heft  9,  10,  11,  12.) 


Deu  Schatz  von  St.  Veit  zu  Prag. 


II 


I.  ABTHEILl  NG. 

(Mit  22  HoLzschnltten.) 

Brustbild  des  heil.  Veit.  (Fig-.  l.) 

In  dem  um  das  Jahr  1387  unter  dem  Decan  Bohuslaus  angefertigten  Inventar  über  den 
Praeter  Domschatz  befindet  sich  unter  der  Überschrift  Summa  capitum  neben  26  anderen  Brust- 
bildern obenan  caput  sancti  Viti  sine  gemmis  verzeichnet.  Schon  aus  der  Bezeichnung  ,,sine 
gemmis"  scheint  hervorzugehen,  dass  das  zu  beschreibende  Reliquiar  damals  noch  niclit  exi- 
stirte,  da  dasselbe  mit  mehreren  Edel- 
steinen geschmückt  ist.  Damit  stimmen 
dann  auch  alle  Merkmale,  welche  das  Bild 
an  sich  trägt,  überein.  Die  Stylisirung  des 
Haares  in  reichen  Locken,  die  Behandlung 
des  Gesichts,  sowie  die  knieenden  Engel, 
welche  die  Büste  tragen,  mit  Gewändern 
im  reichsten  Faltenwurf,  dieses  alles  spricht 
dafür,  dass  unsere  Herma  erst  in  der  letzten 
Hälfte  des  XV.  Jahrh.  angefertigt  worden 
sei ,  wahrscheinlich  zur  Zeit  des  Königs 
Wladislaus,  der,  ein  zweiter  Karl  IV.,  mit 
grosser  Freigebigkeit  der  Prager  Domku-che 
das  zu  ersetzen  suchte,  was  unter  seinen 
Vorgängern  durch  die  Ungunst  der  Verliält- 
nisse  verloren  gegangen  war. 

Das  in  Silber  getriebene  Haupt  des 
heil.  Vitus  ist  50'/,  Ctm.  hoch,  der  untere 
Rand  iS'/a  Ctm.  lang  und  23  Ctm.  breit. 
Der  Brusttheil  ist  glatt  ohne  Ornament  ge- 
halten, ein  enganliegendes  Gewand  darstel- 
lend,  an  dem  bloss  der  Kragen  durch  eine 
einfache  Fassung  sich  augenfällig  macht. 
Mitten  auf  der  Brust  erblickt  man  liinter  einem  grossen  Bergkrystall  Gebeine  des  h.  Vitus  mit  einer 
modernen  lateinischen  Aufschrift.  In  der  kleinen  Hohlkehle  am  untern  Rand  befinden  sich  einige 
facettirte  Steine  mit  kunstloser  Fassung.  Das  Bild  ruht  auf  drei  knieenden  gegossenen  Engeln. 
Dieselben  sind  lOy.  Ctm.  hoch  und  sehr  wenig  ciselirt.  Mit  Humerale,  Albe  und  Cingulum  beklei- 
det, scheint  die  Haltung  der  Hände  anzudeuten,  dass  sie  ursprünglich  Instrumente  hielten.  Die 
beiden  vorderen  sind  nach  einem  und  demselben!  Modell  gegossen. 

Der  unstreitig  kunstreichste  Theil  der  Büste  ist  der  Kopf.  Das  Gesicht  ist  bartlos,  von 
jugendlichen,  sehr  scharfen  Zügen,  und  gibt  Zeugniss  von  der  grossen  Meisterschaft  des  Künst- 
lers in  der  Hammerarbeit ,  dem  opus  propulsatum  oder  malleatum.  Von  grosser  Schönheit  ist  auch 
die  Behandlung  des  Haares,  welches  in  zahlreichen  Locken  mit  feiner  Stylisirung  das  Haupt 
umwallt.  Wie  bei  den  meisten  Brustbildern  des  XV.  Jahrhunderts  sind  die  Incarnationstheile  in 
Silber  gehalten,  und  nur  die  Gewandtheile  und  das  Haar  vergoldet. 

2* 


Fiir.   1. 


12 


Dr.  Fr.  Bock. 


Unter  den  27  Häuptern,  wovon  das  erwähnte  Verzeichniss  spricht,  fonden  sich  gewiss 
mehrere  von  grossem  Kunstwerth  und  kostbarem  Metall.  Die  mei.sten  sind  wahrscheinlich  in  den 
Stürmen  der  Hussitenkriege,  welche  das  unter  Karl  IV.  blühende  Böhmen  im  XV.  Jahrhunderte 
verwüsteten,  verloren  gegangen. 

Brustbild  der  heil.  Ludmilla,  in  Silber  vergoldet.  (Fig.  2.) 

Unter  den  vielen  Brustbildern  des  Domschatzes,  welche  als  Reliquiarien  dienten ,  ist  jenes 
der  heil.  Ludmilla  das  älteste ,  und  zugleich  in  ästhetischer  und  technischer  Hinsicht  das  schönste. 
Ganz  ohne  Zweifel  zeigt  Form  und  Stylisirung  an,  dass  wir  hier  ein  Bravourstück  jeuer  Gold- 
schmiede vor  uns  haben,  welche  Karl  IV.  in  grosser 
Anzahl  von  Augsburg  und  Nürnberg  an  seinen  Hof  beru- 
fen hatte.  Die  Büste  der  heil.  Ludmilla,  der  ersten  christ- 
lichen Herzogin  Böhmens  und  Grossmutter  des  heiliofen 
Wenzels,  misst  in  der  Höhe  0-34  Ctm. ,  während  der 
ovale  Fuss  eine  grösste  Länge  von  0*295  Ctm.  hat.  Der 
untere  schmale  Rand  zeigt  in  gravirter  Ai'beit  kleine ,  sich 
nahe  aneinander  schliessende  Blättchen  in  Zickzacklinien, 
wie  dieses  Ornament  sich  auch  in  der  Weberei  und 
Stickerei  des  XIV.  Jahrhunderts  in  den  Säumen  der  Ge- 
wänder häufiger  vorfindet. 

Die  eisrentlicben  Ständer,    die  nach   Analogie   der 
meisten  metallenen  Büsten  aus  jener  Zeit  nirgends  fehlten 
und  die  in  der  Regel  in  geflügelten  Engeln,  stehenden 
oder  liegenden  Löwen  u.  s.  w.  bestanden,  mangeln   hier 
o-änzlicli,  und  sind  wahrscheinlich  entfernt  worden,  als  sie 
einmal  lose  zu  werden  begannen. 
Die  Büste  selbst,   eine  mit  grosser  Meisterschaft  getriebene  Ai-beit  eines  hervorragenden 
Meisters  des  Goldschmiedegewerkes,  zeigt  in  der  Behandlung  des  StoflPlichen  einen  sehr  edeln 
Styl.    Die  heil.  Ludmilla  ist  dargestellt  mit  dem  im  XIV.   Jahrhundert  an  manchen  ähnlichen 
Standbildern  von  heiligen  Frauen  vorkommenden  Kinntuche,  wodurch,  wie  es  scheinen  will,  der 
Witwenstand  ano-ezeioft  war.  Ein  solches  Tuch  findet  sich  z.  B.  bei  den  Darstellungen  der  heil. 
Elisabeth,  der  Landgräfin  von  Hessen  und  Thüringen,  nachdem  sie  als  Witwe  in  den  Orden  der 
Tei-tiarier    eingetreten    war.    Entsprechend    mit    diesem   verhüllenden   Kinntuclie    ist   das   Haar 
und  Haupt  ebenfalls  mit  dem  Schleier  des  Witwenthums  verdeckt.  An  diesem  Schleier,  der  das 
ganze  Hinterhaupt   in    zierlichem    Gefälte   umfliesst,    befindet    sich    als    einziges  Ornament   ein 
ausgerandeter    eingeschnittener  Saum ,   der  leicht  sich  über   die  Stirn  fortsetzt  und  an  beiden 
Seiten    des  Hauptes  in   gehäuftem  Faltenbruch  reich   herunterfällt.    Die    Formen   des  Gesichtes 
sind  sehr  edel  gehalten  und   lassen  fast  errathen,    dass    bei    der  Composition  der  Büste  dem 
Goldschmiede  ein  Meister  der  Malerzunft  zur  Seite  stand. 

Leider  ist  das  Brustbild  heute  an  den  Incarnationstheilen  des  Gesichtes,  die  ehemals  ver- 
goldet waren,  auf  unschöne  Weise  mit  glänzend  fetter  Oelfarbe  übermalt,  was  dem  Standbilde 
den  Anschein  gibt,  als  ob  dasselbe  in  Holz  geschnitzt  und  nacliträglich  vergoldet  und  polychro- 
mirt  worden  wäre;  hoffentlich  wird  dieser  unscliüne  entstellende  Anstricli,  wodnrcli  das  edle 
Metall  verdeckt  wird,  bald  entfernt  werden. 

Ursprünglich  als  Reliquienbehälter  bestinmit,  befand  sich  ehedem  auf  dem  Haupte  unseres 
Caput  pectorale   unter  Krystallverschluss ,    eine   ziemlich  grosse  Partikel  vom  Hirnschädel    der 


Fig.  2. 


Der  Schatz   von  St.  Veit  zu  Prag.  13 

böhmischen  Landespatronin,  der  lieil.  Ludmilla;  heute  ist  nur  noch  die  leere  Öffnung  geblieben. 
Eine  Vorrichtung  auf  dem  Haupte,  bestehend  in  zwei  aufgenieteten  Silberhäkchen,  zeigt  deutlich, 
dass  hier  ehemals  eine  kostbare  Fürstenkrone  angebracht  war.  Und  in  der  That  befindet  sich  heute 
noch  ein  merkwürdiger  herzoglicher  Hut  in  einem  Verschluss  des  Altares  der  heil.  Ludmilla, 
der  ehemals  vielleicht  die  Büste  geziert  haben  mag.  Derselbe  ist  stofflicher  Natur  und  zeigt 
eine  reiche  Gold- und  Perlenstickerei ,  deren  Anfertigung  jedoch  höchstens  in  den  Schluss  des 
XVL  Jahrhunderts  zu  verlegen  ist;  es  müsste  diese  Kopfbedeckung  also  erst  später  hinzugefügt 
worden   sein. 

Die  alten  Schatzverzeichnisse  des  Prager  Domes  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  erwähnen 
ausser  dem  Brustbilde  der  heil.  Ludmilla,  eine  grosse  Menge  anderer  Capita;  ja  zur  Zeit 
Karls  IV.  zählte  der  Domschatz  Brustbilder  in  vergoldetem  Silber,  die  jedes  einzeln  ein  Kunst- 
werk waren.  Heute  befinden  sich  ausser  den  beiden  beschriebenen  Büsten  des  heil.  Veit  und  der 
heil.  Ludmilla  noch  drei  andere  solcher  getriebenen  Halbfisruren  in  Silber  mit  verg'oldeten  Orna- 
menten  vor,  die  jedoch  anscheinend  erst  im  Laufe  des  XV.  Jahrhunderts  angefertigt  worden 
sind.  Das  eine  dieser  Bilder  stellt  dar  den  heil.  Wenzeslaus,  das  andere  den  heil.  Adalbert.  Diese 
Büsten  sind  fast  inLebensgrösse  ausgeführt  und  mit  grosser  manueller  Fertigkeit  in  äusserst  schöner 
Tind  solider  Technik  in  Silber  getrieben.  Die  ornamentalen  Theile  derselben  sowie  alle  Ränder 
an  den  Gewändern  sind  silbervergoldet.  Aus  dieser  Anwendung  zweier  Farbentüne,  hauptsäcli- 
lich  aus  der  Fassung  der  Steine  sowie  aus  der  Stylisirung  der  faltenreichen  Alben,  womit  die 
kleinen  Engelsgestalten  bekleidet  sind,  die  als  Fussgestell  und  Träger  dienen,  lässt  sich  deutlich 
erkennen,  dass  diese  Brustbilder  gegen  Ausgang  des  Mittelalters  angefertigt  worden  sind,  nachdem 
die  älteren,  von  denen  noch  die  Schatzverzeichnisse  des  XIV.  Jahrhunderts  sprechen,  im  Drange 
kriegerischer  Ereisrnisse  abhanden  g'ekommen  sein  mochten. 

Das  Brustbild  des  heil.  Wenzeslaus  ist  mit  dem  herzoglichen  Pileus  bekleidet ;  den  oberen 
Tlieil  der  Brust  bedeckt  ein  reichverzierter  Panzer  und  Herzogsmantel;  die  auf  demselben  befind- 
lichen Steine  scheinen  nicht  mehr  die  alten  und  primitiven  zu  sein. 

Die  Büste  des  heil.  Adalbert,  welche  in  derselben  Technik  angefertigt  ist,  ist  mit  der 
bischöflichen  Mitra  bekleidet;  um  den  Hals  liegt  in  reichem  Faltenbruch  das  Humerale,  das 
in  mittelalterlicher  Weise  mit  der  nach  hinten  befestigten  und  aufgenähten  Plaga  (Parura) 
verziert  ist. 

Die  Büste  der  heil.  Anna  stammt  mit  denen  des  heil.  Vitus,  Adalbert  und  Wenzel  nicht 
nur  aus  einer  und  derselben  Zeit,  dem  Sclilusse  des  XV.  Jahrhunderts,  sondern  hat  auch  offen- 
bar einer  und  derselben  Künstlerhand  ihre  Entstehung  zu  danken.  Die  heil.  Anna  ist  nach  mit- 
telalterlicher Weise  als  Ahnfrau  der  heil.  Familie  aufgefasst,  indem  sie  auf  dem  linken  Arme  in 
kindlich  naiver  Darstellung  die  Mutter  Gottes  als  zartes  Kind  hält  und  auf  der  rechten  Hand  den 
Jesuskuaben  selbst.  Auch  dieses  Bildwerk  ist  in  Bezug-  auf  Faltenbruch  und  Behandluno-  der 
anatomischen  Form  mit  grosser  technischer  Bravour  ausgeführt. 

Ein  kleiner  Beliälter  zur  Aufbewahrung  der  li.  Eucliaristie.  —  XV.  Jalirliiindert.  (Fig.  3.) 

Dieses  interessante  Gefäss  besteht  aus  einem  Krystall-Cylinder  von  oV^  Ctm.  Höhe  bei 
einem  grössten  Durchmesser  von  6  Ctm.  mit  silbervergoldeter  Einfassung  auf  beiden  Seiten,  welche 
von  fortlaufenden  Vierpässen  durchbrochen  wird.  Beide  Ränder  sind  durch  drei  verticale  und 
wenig  profilirte  Metallstreifchen  verbunden.  Die  untere  Einfassung  ruht  auf  drei  ciselirten  Löwchen, 
die  den  gedachten  Metallstreifen  entsprechend  angebracht  sind.  Den  Verschluss  bildet  ein  silber- 
ner Deckel,  dessen  äusserer  Rand  von  einer  zierlichen  Zinnenbeki-önung  überragt  wird.  Der 
etwas  abgerundete  Deckel   hat  nach  oben  eine   halsförmige  Spitze,    welche  in  eine  gedoppelte 


14 


Di:.   Fk.    Bock. 


Fig.  3. 


Kreuzblume  verläuft.  —  Gegenwärtig  wird 
diese  merkwürdige  Pyxis  als  Reliquiar  benutzt 
und  enthält  einer  im  Innern  befindlichen  Per- 
gament-Inschrift zufolge,  die  wohl  kaum  ein 
höheres  Alter  als  das  XVII.  Jahrliundert  bean- 
spruchen kann,  Reliquien  der  hh.  Johannes 
Baptist,  Petrus  und  Thomas.  Dass  dieselbe 
jedoch  ursprünglich  zur  Aufbewahrung  der 
hh.  Eucharistie  bestimmt  war,  bezeugt  die  Dar- 
stellung des  Symbols  des  lieil.  Sacramentes, 
das  Agnus  Dei,  welches  sich  in  einem  Vierpass 
auf  l)lau  gesclimelztem  Grund  im  Innern  vor- 
findet. Dieses  Svmbol  ist,  von  einem  Kreise 
umschlossen  ,  aufgelöthet.  Dem  entsprechend 
erblickt  man  gegenüber  auf  der  innern  Fläche 
des  Deckels  das  Bild  des  Heilands  ebenfalls 
auf  blau  emaillirtem  Grund  mit  dem  gekreuz- 
ten Kimbus  in  rothem  Schmelz.  Offenbar  diente 
diese  Pvxis  zur-  xVufbewahrung  der  heil.  Hostie  im  Tabernakel,  wenn,  wie  es  noch  heute  in  vielen 
Kirchen  geschieht,  nach  Beendigung  des  feierlichen  Gottesdienstes  die  meist  kostbare  Monstranz 
hinter  festen  Verschluss  gebracht  wurde.  Ein  ähnliches  Gefäss ,  mit  der  gleichen  Bestimmung, 
findet  sich  unseres  Wissens  nur  noch  in  Kempen  am  Niederrhein;  ähnliche  Pj-xides  in  Zinn 
sind  heute  noch  in  belgischen  Kirchen  häufiger  anzutreffen. 

Wir  nehmen  keinen  Anstand,  bei  Anschaffung  ähnlicher  Behälter  das  besprochene  schöne 
Gefäss  zur  Nachahmung  zu  empfehlen.  Was  die  Zeit  der  Anfertigung  anlangt,  scheint  es  uns 
dem  Schlüsse  des  XIV.  Jahrhunderts  anzugehören. 

Relifjiiiar  in  Gestalt  einer  kleinen  Pyxis.  —  XV.  Jahrliundert.  (Fig.  4.) 

(Höbe  14  Ctm.,  Durchmesser  des  Fusses  5  C'riu.  7  Mm.) 

Die  Form  dieses  Gefässes  ist  sehr  einfach  und  bedingt  durch  den 
inneren  Crystall-Cylinder  von  kaum  3'/.,  Ctm.  Höhe.  Dieser  Cylinder 
ruht  auf  einem  kleinen  Fussgestell,  das  mit  einer  Kammverzierung  von 
gothischem  Laubwerk  geschmückt  ist.  Zu  beiden  Seiten  wird  der  Cylin- 
der eingefasst  von  zwei  silbervergoldeten  profilirten  Metallstreifen,  welche 
in  verticaler  Richtung  Fuss  und  Aufsatz  mit  einander  verbinden.  Der 
untere  Rand  des  Aufsatzes,  zugleich  obere  Einfassung  des  Cylinders, 
zeigt  ein  einfaches  Profil,  und  ist  nach  oben  und  unten  mit  einer  zinnen- 
förmitiren  Laubl)ekrönun2:  zierlich  auso-estattet.  —  Den  Aufsatz  bildet  ein 
kleiner  Dachhelm,  der  auf  der  Spitze  einen  quadratischen  Knauf  trägt; 
der  zugfehörige  Abschluss  des  Ganzen,  eine  Kreuzblume  oder  ein  kleines 
Kreuz,  ist  abliaiuien  gekommen.  Die  Flächen  des  Helmes  sind  mit 
rhomboidenförniigen  Gravirungen  durchzogen,  welche  Dachziegel  an- 
deuten; die  vier  Kanten  sind  mit  Gräten  bedeckt,  ans  denen  zierlich 
ciselirte  Krabben  hervor.spriesson.  —  Die  Reliquien  befinden  sich  in 
einem  grünseidenen  Involucrum  von  glattem  Tatfct  ohne  Dessins.  Die 
äusseren  Detailformen ,   wie    der  Charakter    der    Pergament-Inschrift  in 


Der  Schatz  von  St.  Veit  zu  Prag. 


IS 


dem  Cylinder  weisen  dieses  interessante  Gefäss  dem  Sclilusse  des 
XV.  Jahrhunderts  zu.  Dasselbe  kann  besonders  für  ein  Bohältniss 
zur  Aufbewahrung  der  heiligen  Ole  als  sehr  erapfehlenswertlies 
Vorbild  dienen. 

Reliquiar  in  Gestalt  einer  kleinen  Pyxis.  —  XIV.  Jahrhundert.  (Fig.  5.) 

(Höbe  0  Ctm.,  Durchmesser  mehr  als  4  C'tm.) 

Der  Krystall-Cylinder,  welcher  eine  Reliquie  des  h.  Bischofs 
und  Märtyrers  Blasius  birgt,  ruht  auf  einem  silbervergoldeten 
kreisförmigen  Fuss,  der  auf  dem  untern  Rand  eine  eingeprägte 
Rosenverzierung  zeigt.  Der  polygone  Rand  dieses  Sockels  hat  ein 
kleines  kammartiges  Ornament,  das  an  der  obern  Ötfuung  des 
Cylinders  wiederkehrt  und  auf  dem  Deckel-Polygon  gleichmässig 
sich  fortsetzt.  Der  kleine  Krystall-Deckel  hat  zum  Abschluss  einen 
vielseitigen  Krvstall-Knauf,  aus  welchem  ein  silberverg-oldetes 
Knöpfchen  in  Gestalt  einer  Erdbeere  mit  i;mgesclilagenen  Blätt- 
chen hervorragt. 

Dieses  Gefäss,  welches  als  Modell  zu  einem  Olgefäss  zu 
empfehlen  ist,  dürfte  dem  Beginne  des  XIV.  Jahrhunderts  ange- 
hören. 


Fig.  5. 


Kellquiengefäss  in  Silber  vergoldet.  —  XIV.  Jahrhundert.  (Fig.  6.) 

(Höhe  18  Ctm.) 

Dasselbe  besteht  aus  einer  von  einem  Ständer  getragenen  Kapsel  von  6  Ctm.  2  Mm. 
Durchmesser.  Der  Fuss,  im  Durchmesser  von  9  Ctm.,  ist  im  Sechseck  angelegt.  Über  dem- 
selben erhebt  sich  eine  sechsblätterige  Rose,  deren 
zu  einem  Halse  ansteigende  Flächen  mit  kleinen 
Medaillons  in  Dreipassform  verziert  sind.  Dieselben 
zeio-en  in  farbio-em  durchsichtigem  Schmelz  Halb- 
fiocuren  anbetender  Engel  mit  Rauchfässern  oder 
Lichtern.  Auf  dem  ansteigenden  Hals  der  Rosenblatt- 
Bildung-  erhebt  sich  ein  sechseckiger,  2  Ctm.  3  Mm. 
hoher  Aufsatz.  Dieser  ist  architektonisch  gehalten,  mit 
Widerlagpfeilern  versehen  und  von  sechs  Spitzbogen- 
feldern durchbrochen,  auf  deren  Tiefgrund  man  in  far- 
bigrem  durchsichtigem  Schmelz  die  Brustbilder  von 
Heiligen  erblickt,  deren  Reliquien  in  der  Kapsel  ver- 
schlossen sein  mögen.  Auf  diesem  zierlichen  Piedestal 
erhebt  sich  eine  sechseckige  glatte  Röhre  (Fistula)  in 
der  Höhe  von  2V'.  Ctm.  und  im  D^rössten  Durchmesser 
von  V/2  Ctm.,  die  in  einen  kleinen  Knauf  ausläuft. 
Letzterer  ist  aus  einer  im  gleichseitigen  Sechseck 
construirten  hohlen  Kapsel  äusserst  zierlich  zusammen- 
gesetzt, deren  Ecken  nach  beiden  Seiten  von  je  zwei 
aufgelötheten  frei  stehenden  Blättchen  verziert  werden. 
Auf  jeder    der    drei   Seiten    dieser   Kapsel    springen  Pi,,  g 


in 


De.  Fr.  Bock. 


drei  Ruhrchen  als  Pasten  in  Vierpassform  ziemlich  stai-k  hervor,  deren  Flächen  in  durchsichtigem 
Schmelz  kleine  symbolische  Thiere  dai-stellen.  —  Über  den  Knauf  liinaus  setzt  sich  dann  die 
Röhre  bis  zu  2  Ctm.  wieder  fort,  und  erweitei't  sich  zu  einem  kleinen  Hals  als  Sockel  für  das 
eigentliche  Reliquiar,  das  in  einer  Kjystall-Kapsel  besteht.  Auch  dieses  Zwischenglied  zwisclien 
letztci-er  und  dem  Ständer  ist  mit  schön  stvlisirten  aufo^tlötheteu  Blättchen  verziert.  Die  Schedula 
aus  Pergament,  welche  wahrscheinlich  erst  im  vorigen  Jahrhundert  neu  gescluüebeu  wurden  ist, 
enthält  folgende  Inschriften :  Reliquiae  St.  Mariae  Virg. ,  de  catena  St.  Petri,  St.  Magdalenae  etc. 
An  der  vordereu  Rundfläche  der  Kapsel  erblickt  man,  von  allerhand  spielenden  Zierathen  des 
XVII.  Jaluhunderts  umgeben,  eine  Inschrift  iüug-eren  Datums,  deren  Lesung  durch  die  beio-efüo-- 
ten  Ornamente  unmöglich  gemacht  mrd.  Das  unpassende  Kj-euzchen  auf  der  Krvstall-Kapsel 
scheint  gt-gen  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  hinzugefügt  worden  zu  sein.  Die  Reliquien -Kapsel 
selbst  wird  von  einem  breiten  silberneu  Rand  eingefasst,  auf  welchem  sich  ungeschliffene  Edel- 
steine (Tüi-kise.  Saphii-e  u.  s.  w.)  berinden. 

Was  die  Entstehungszeit  beti-ilft,    so  sprechen  die  sein*  markirten  Details  für  die  zweite 
Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts,  als  Karl  IV.  die  Goldschmiedezunft  aus  dem  südlichen  Deutscliland 

nach  Prag  o-ezogren  hatte.  —  Auf  dem  Fiiss  befindet  sich  noch 
ein  gi-össeres  Medaillon,  welches  in  durchsichtigem  Schmelz  einen 
sreflüo-elten  Drachen  darstellt.  Vielleicht  steht  dies  in  Beziehung' 
zu  dem  Drachenorden,  der  bekanntlich  von  Kaiser  Siirmund  g-e- 
stiftet  wurde,  und  überall  in  seinen  Insignien  das  Bild  des  Drachen 
führt.  (Vgl:  Der  Domschatz  zu  Gran  und  die  di-ei  daselbst  befind- 
lichen Hörner  „Greifenklauen."} 


Rpliquiar  aus  vergoldetem  Silber  in  Form  einer  kleinen  Monstranz  mit 
hozriontal  liegendem  Krj stall -Cylinder.  (Fig.  Tj. 

Diese  mustergültige  Monstranz  hat  eine  Höhe  von  ISV^  Ctm. 
bei  einer  Breite  von  14  Ctm.  Aus  dem  sechsblätterigen  Fuss  von 
I2V2  Ctm.  im  Diu-chmesser.  dessen  hochstehender  Rand  von  einer 
im  Viei-pass  gehaltenen  Gallerie  dm'chbrochen  wird,  erhebt  sich 
ein  schlank  ansteigender  Hals,  welcher  einen  reich  mit  Strebe- 
pfeilern, Fialen  und  Giebelfeldern  geschmückten  sechseckigen 
Aufbau  trägt.  Nach  den  sechs  Seiten  hin  wird  derselbe  durch 
Fenster  mit  rother  hinterlegter  Folie  dm-chbrochen.  Über  diesem 
thurmartigen  Aufsatz  befindet  sich  der  Träger  des  S'/j  Ctm. 
langen  Reliquien -Behälters,  der  als  Krystall  -  Cylinder  gestaltet 
ist.  Letzterer  Avird  auf  beiden  Seiten  von  blätterartig  verzahnten 
Ringen  eingefasst  und  von  Widerlagjjfeilern  und  Strebebogen 
flankii't,  die  mit  einem  zweiten  helmai'tigen  Aufbau  in  Verbin- 
dung stehen,  der  sich  in  einer  Höhe  von  217«  Ctm.  über  dem 
Krystall -Cylinder  aufsetzt.  Von  dieser  zierlichen  xVrchitectur 
überragt  erblickt  man  auf  einem  kleinen  quadratischen  Sockel 
ein  ausdnicksvoU  ciselirtes  Bild  der  heil.  Katharina,  der  Patro- 
nin der  Prager  Hochschule.  Über  dieser  Statuette  wölbt  sich 
ein  schlanker  Baldachin  im  überhöhten  Spitzbogen,  der  wie- 
derum einem  sechseckigen  Aufbau  zur  Grundlage  dient,  welcher 


Der  Schatz  von   St.   Veit  in  Pkag. 


17 


nach  allen  Seiten  hin  durch  Fensterstellungen  mit  reichem  Mass-  und  Sprossenwerk  belebt 
wird.  Das  Ganze  wird  endlich  abgeschlossen  durch  einen  sechsseitigen  Dachhelm,  der  oben 
mit  Knopf  und  Kreuzblume  bekrönt  ist. 

Es  ist  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  dass  von  sämmtlichen 
Reliquiarien,  die  sich  aus  den  Sturm-  und  Drangzeiten  der  letzten 
Jahrhunderte  im  Prager  Domschatz  als  Zeugen  entschwundener 
Herrlichkeit  erhalten  haben,  unsere  Monstranz  sowohl  durch  die 
originelle  Composition,  als  auch  durch  ihre  schönen  Verhältnisse 
eine  hervorrajrende  Stelle  einnimmt '".  Wir  glauben  nicht  zu  irren, 
wenn  wir  die  Behauptung  aufstellen,  dass  dieses  Ostensorium, 
welches  in  seinen  entwickelten  Formen  sich  als  ein  Werk  aus 
der  schwäbischen  Schule  zu  erkennen  gibt,  von  jenen  Zunft- 
meistern verfertigt  worden  sei,  die  Karl  IV.  bekanntlich  aus 
Süddeutschland  in  die  Moldaustadt  heranzog  ^.  Vielleicht  war 
sogar  der  Einfluss  des  Altmeisters  Aider  von  Gmünd,  der  nach 
dem  Tode  des  Meisters  Mathias  von  Avignon  den  Weiterbau  des 
St.  Veitsmünsters  leitete,  bei  Composition  dieses  und  eines  später 
folgenden  Gefässes  thätig. 

Reliquiar  in  Gestalt  eines  Ciboriiim.  —  Sclilass  des  XV.  Jahiiiunderts. 

(Fig.  S.) 

(Höhe  31  C'tra.,  Durclimesser  des  Fusses   14  Ctm.) 

Der  Fuss  dieses  Gefässes  ist,  wie  bei  den  meisten  Reli- 
quiaren  und  Kelchen  des  XV.  Jahrhunderts,  als  sechsblätterige 
Rose  gehalten.  Auf  dem  schlank  ansteigenden  Hals  desselben 
erhebt  sich  eine  runde  Rühre  von  Sy^  Ctm.  Höhe  mit  einem 
architektonisch  geformten  Knauf  und  doppelten  Widerlagpfeilern 
und  Zinnenbekrönung;  dieser  Nodus  hat  in  seiner  grössten 
Ausdehnung  4  Ctm.  3  Mm.  und  ist  jede  2  Ctm.  breite  Fläche 
durch  gedoppelte  Rundbogenfenster  frei  durchbrochen,  so  dass 
die  im  Innern  durchgehende  Röhre  sichtbar  ist.  Diese  Röhre 
erweitert  sich  dann  zur  Aufnahme  einer  cylinderförmigen  aus 
Bei-gkrystall  geschliffenen  Kapsel  von  -i'/^  Ctm.  Höhe,  welche 
nach   den  eingefügten  Pergament -Spruchstreifen    „R.   S.  Lazari 

frat.  S.  Mariae  Magdalenae  et  S.  Marthae"  enthält.   Diese  Kapsel  wird  durch   einen  halbrunden 
Krystalldeckel    verschlossen  und  ist  nach   beiden   Seiten  mit  einem  silbervergoldeten  Ring  ohne 


Fig.  8. 


-  Vergl.  Phosphorus  septicornis,  h.  e.  Simctae  Eeclesiae  Pragensis  majestas  &  gloria,  ab  Joanne  Pessina  de  Czechorod, 
Pragae  167.S. 

3  Bis  vor  wenigen  Jahren  befand  sich  noch  in  der  wohlverschlossenen  Truhe  der  alten  Prager  Goldschmiede-Innung  ein 
höchst  merkwürdiges  Documeut  in  Minuskelschrift  mit  Initialen,  welches  die  Zunftregeln  und  Vereinbarungen  der  Goldschmiede 
unter  Karl  IV.  enthielt.  Dasselbe  kann  als  die  älteste  Zunftrcgel  der  Goldschmiede-Innung  betrachtet  werden,  von  der  uns 
heute  noch  Kunde  geblieben  ist.  Wir  haben  spiiter  zu  wiederholtenmaleu  in  Prag  nach  diesem  äusserst  werthvullen  und 
für  die  geshichtliche  Entwicklung  der  Goldsclimiedekunst  in  Böhmen  höchst  interessanten  Originaldocumente  Nachforschungen 
angestellt,  um  davon  Abschrift  nehmen  zu  können.  Wie  uns  mitgetheilt  wurde,  soll  dieser  seltene  Codex  durch  Kauf  in 
den  Besitz  einer  grossen  fürstlichen  Bibliothek  in  Prag  übergegangen  sein.  Für  die  Archäologen  Prags  wäre  es  eine  lohnende 
Aufgabe,  dieses  Manuscript  wieder  ausfindig  und  duroli  seine  Veröffentlichung  der  Alterthumswisseuschaft  wieder  zugänglich 
zu  machen. 

XIV.  3 


18 


Dr.  Fb.  Bock. 


\'iele  Profilirung  eingefasst.  Die  Kapsel  wie  den  Deckel  entlang  laufen  drei  schmale  Metall- 
streifen, welche  in  die  Deckelbekrönung  einmünden.  Die  Spitze  bildet  ein  kleines  Kreuz  mit 
den  bekannten  Dreiblattausläufen  (Trefle). 

Das  besprochene  Geföss,  welches  durch  seine  Proportionen  bei  sehr  einfacher  Anlage  zur 
Nachahmung  zu  empfehlen  ist,  scheint  dem  Schluss  des  XV.  Jahrhunderts  seine  Entstehun«-  zu 
verdanken.   Die  Reliquieufassung  wie  die  Inschiift  gehören  offenbar  neuerer  Zeit  an. 


Reliquiar  iu  (jestalt  einer  kleiueii  Moiistranze.  —  \V.  Jalirliuuilert. 

Höhe  über  19  Ctm.,  Durchmesser  des  Fnsses  7  Ctm. 

Dieses  zierliche  Ostensorium  erhebt  sich  über  einem  schlank  ansteigenden  Ständex-,  dessen 
Fuss  zu  einer  mit  einer  Gallerie  verzierten  Rose  sich  gestaltet.  Dieser  Ständer  bildet  eine  thurm- 
artige  Anlage  mit  Widerlagspfeilern  und  offenen  Fensterstellungen,  welche  kleine  Ziergiebel 
schmücken.  Ein  schräg  ansteigender  Helm  schliesst  das  im  Sechseck  angelegte  Gefäss  ab,  der 
jedoch  nicht  in  eine  Spitze  ausläuft,  sondern  stumpf  abgeschnitten  ist  und  von  einem  sechs- 
eckigen Knauf  überragt  wii-d.  Dieser  Knauf  trägt  dann  den 
eigentlichen  Reliquienbehälter,  eine  seehsblättrige  Rose  von  S'/o 
Ctm.  Dm'chmesser.  Die  Reliquie  gehört  den  heil.  Aposteln  Matthäus 
und  Mathias  an.  Die  Rundung  der  Kapsel  wird  dm-ch  sechs 
gefasste  Steine  (facettii-te  Rubine)  in  Gestalt  von  kleinen  Blumen 
verziert.  In  den  sechs  Rosenblättern  erblickt  man  auf  glattem 
Silbergi-und  ciselirte  und  vergoldete  Eugelsgestalten  in  Halbfigur, 
welche  die  genannten  Bliunen  zu  tragen  scheinen.  Durchbrochen 
srearbeitete  Blattverzierung-en  füllen  die  Zwickel  der  Rosenblätter 
aus.  Der  1  Ctm.  breite  Rand  der  Kapsel  ist  mit  einem  gleiclifalls 
diu-chbrochenen  Laubvverk  ornamentirt.  Auf  der  flachen  Rückseite 
ist  die  Krönunsr  der  allerseUo^sten  Jungfrau  einsravirt.  Alles  spi-icht 
dafür,  dass  das  besprochene  Gefäss  dem  Schlüsse  des  XV.  oder 
soo-ar  demBeg-inne  des  XVI.  Jahrhunderts  angfehört.  Es  kann  dieses 
Reliquiar  sehr  passend  als  Modell  zu  einer  Monsti-anze  dienen,  die, 
weniger  architektonisch  gehalten ,  in  der  sechsblätterigen  Rose 
eine  Art  Sonne  als  Receptaculum  der  heil.  Eucharistie  böte. 

Reliiiiiiar  in  Form  einer  Hand,  silbervergoldet.  (Fig.  10.) 

Das  Mittelalter  liebte  es,  schon  durch  die  Gestalt  des 
Gefässes  anzudeuten,  welchem  Körpertheile  die  darin  enthaltene 
Reliquie  angehöre.  Daher  trifft  man  Reliquiare  iu  Kopfform,  in 
Gestalt  von  Brustbildern,  in  Form  von  Fusstheilen  und  Arm- 
schenkeln häufiger  an.  Auch  der  Domschatz  von  St.  Veit  besitzt 
der  letzteren  eine  ziemliche  Anzahl.  Jedoch  wollen  wir  hier  nur 
das  interessanteste  und  reichste  Brachiale  in  Abbildung  beifligen, 
da  die  übrifen  mit  diesem  so  ziemlich  hinsichtlich  ihrer  f^orm 
übereinstinmien.  Dieses  Reliquiar  enthält  einen  gTösseren  Theil 
vom  Armschenkel  des  heil.  Georg;  dasselbe  ist  56  Ctm.  hoch 
und  besteht  aus  einem  architektonisch  construirten  Sockel,  über 
dem   sich    ein   silbervergoldeter  Arm   nebst  Hand  erhebt.  Durch 


¥-^ 


{S7hiSü?s^Sisss>mmsz  >>^- 


Fig.  9. 


Der  Schatz   von  St.  Vkit  in  Prag. 


19 


eine    Üffiiimg   in    der   Haud   ist    die   Reliquie   ersiclitlicb.    Der    Sockel 
misst  17  Ctm.  an  Breite  und  wird  auf  den  vier  Ecken  von  kleinen  vier- 
eckigen über  Eck  gestellten  Thürmchen  umgeben.  Die  vier  Seiten  sind 
von  Spitzbogen  dinxhbrochen,   welche  durch  getriebene  Heiligenbild- 
chen ausgefüllt  werden.  Auf  einer  Seite  erblickt  man  die  Himmelsköni- 
gin in  sitzender  Stellung  mit  dem  Kinde  dargestellt,  auf  der  folgenden 
den  Heiland  mit  segnender  Rechten,  in  der  Linken  das  verschlossene  liber 
vitae  haltend.  Dann  folgt  das  Staudbild  des  heil.  Ritters  Greorgund  endlich 
das  der  heil.  Ludmilla.  Sämmtliche  Figuren  sind  sehr  fein  in  »Silber  ge- 
trieben iniil  die  Namen  der  Heiligen  in  Majuskeln  auf  den  Widerlags- 
pfeilern  eingravirt.  Die  Spitzbog-ennischen ,  welche  diese  Bildchen  um- 
geben, sind  ring'sum  mit  verschiedenen  Edelsteinen,  Smaragden,  Rubi- 
nen, Saphiren,  in  ziemlich  roher  Fassung  besetzt.  Zwischen  den  Steinen 
befinden  sich  statt  der  Perlen  silberne  Knöpfchen.  Über  jeder  Nische 
ist   ein  geradliniges    Giebelfeld   angebracht,    welches   von    zwei   vier- 
eckigen   Fialen    ohne   Verjüngung   flankirt   wird,   die   nach   den   vier 
Seiten     im    Spitzbogen    durchbrochen    sind.     In    den    Dachhelm    des 
architektonischen  Unterbaues  greift  dann  der  silbervergoldete  Ann  ein, 
der,  nach  hinten  glatt,  vorn  eine  Öffnung  zur  Besichtigung  der  Reli- 
quien  bietet.   Zu  beiden  Seiten  wird  diese  Öffnung  durch  zwei  Reihen 
viereckig  gefasster  Edelsteine  mit  imd  ohne  Facettirung  verziert.   Die 
Hand,  welche  sich  als  die  rechte  darstellt,  ist  von  natürlicher  Grösse 
und  in  Schrauben  beweglich.  Die  Finger  sind  ausgestreckt,  iind  im  Innern 
der  Hand  befindet  sich  ein  in  Masswerk  durchsichtig  gearbeitetes  Thür- 
chen,  vermittelst   dessen   man    die    Reliquie  sehen   kann.   Sämmtliche 
Finger    sind   mit   Ringen  versehen;  jedoch  behaupten  wir  nicht,  dass 
die  unschön  angebrachten  geschliffenen  Edelsteine  in    derber  Fassuno- 
sich  ursprünglich  dort  befunden  haben.   Auch  das  Kreuz  mit  vier  Bero-- 
krystallen,   welches  in  der  innern  Handfläche  sich  befindet,   so  wie  die 
vier  Steine,  die  sich  unterhalb  der  oben  beschriebenen  Figuren  befinden 
scheinen    aus    späterer   Zeit    herzurühren.    Dem   Anscheine  nach    fehlt 

diesem  Reliquiar  das  Fussgestell.  Hinsichtlich  des  Alters  und  Herkommens  dürfte  kaum 
Zweifel  obwalten,  da  die  schön  getriebenen  Heiligenbilder  vollständig  den  Typus  der  Malerschul 
Karl's  IV.  an  sich  tragen,  xibgesehen  von  diesen  trefi'lichen  Figuren  verräth  die  o-anze  Arbeit, 
deren  Entstehung  wir  in  die  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  setzen,  etwas  rohes  und  unbeholfenes, 
Auch  ist,  namentlich  in  der  Architektur,  der  Einfluss  des  romanischen  Styls  nicht  zu  verkennen. 

Kleine  Rellqiilenmonstranz  aus  ver^oldetein  Silber  mit  einem  Krystallcylnider.  —  XIV.  Jahiliiindert. 

(Fig.  11.) 

Die  Höhe  dieses  schönen  Gefässes  beträgt  44  Ctm.  Der  Fuss  im  Durchmesser  von 
ISVa  C'tm.  bildet  eine  sechsblättrige  Rose  mit  einem  in  fortlaufenden  Vierpässen  durchbrochenen 
Rand.  In  den  Einschnitten  des  Fusses  sind  schön  stylisirte  Thierfratzen  in  Gestalt  von 
Eidechsen  angebracht,  deren  Schweife  als  Ornamente  an  den  Hals  des  Gefässes  sich  anlegen. 
Aus  dem  stumpfen  Halse  des  Fusses  erhebt  sich  ein  architektonisch  nach  sechs  Seiten  o-eo-lie- 
derter  Sockel  bis  zur  Höhe  von  4  Ctm.,   der  einen  sechseckigen  Stiel  trägt,  welcher  durch  einen 


10. 


em 
e 


20 


Dr.  Fe.  Bock. 


stai-k  ausladenden  Knauf  unterbrochen  wird.  Auf  diesem  Sockel  erblickt 
man  hinter  irothischem  Masswerk  blaue  und  <::rüne  Flächen  in  durchsich- 
tio-em  Schmelz,  der  in  blauer  Farbe  gleichfalls  auf  den  sechs  vorspringen- 
den Yierpässen  des  Knaufs  sich  voi-findet.  Die  vorspringenden  Flächen  des 
Knaufs  tragen  die  Inschi-ift  in  gothischen  Majuskeln  :  AVE  MAR.  Zur  beson- 
deni  Zierde  dienen  dem  Knauf  die  sechs  erhaben  vorstehenden Durchbrechun- 
oen  in  Form  von  Fischblasen,  welche  zwischen  den  vorspringenden  Pässen 
sich  schlansfcnartig  durchziehen.  Aus  dem  obern  Theil  der  über  diesem 
Knauf  sich  fortsetzenden  Fistula  erhebt  sich  dann  ein  sockelartiger  Hals, 
welcher  auf  einer  sechseckigen  Abschrägung  ansteigt  und  in  seiner  obern 
kreisformio-en  Platte,  von  einer  durchbrochenen  Gallerie  innzogen,  den 
nach  unten  zugespitzten  Krystallcy linder  aufnimmt,  welcher  den  neueren 
Inschriften  auf  Pergament  zufolge  Reliquien  S.  Galli  abbatis,  S.  Ludmillse, 
S.  Georgii  m.,  S.  Alexii  conf.,  S.  Laurentii  Icv.  m. ,  S.  Andrere  apost., 
S.  Petri  m.,  S.  Remigii  episc,  S.  Philippi  apost.,  S.  Sigismundi,  S.  Marc, 
evano-.,  S.  Pancratii  m.  enthält.  Über  dem  9  Ctm.  hohen  Cylinder  erblickt 
man  eine  kleine  Zinnenbekrönung  als  Einfassung  eines  ebenfalls  9  Ctm. 
hoch  ansteigenden  Dachhelmes,  der  auf  vier  Seiten  mit  den  gewöhnlichen 
Ki'abbenblättern  verziert  und  durch  schmale  inCharnieren  bewegliche  Band- 
streifen mit  dem  untern  Theil  des  Gefässes  verbunden  ist.  Auf  den 
schuppenartig  gravirten  vier  Feldern  des  Helmes  sind  vier  Spruch- 
bänder mit  folgenden  Inschriften  in  blauem  Schmelz  aufgelöthet: 

:  OS  de  tibia  beati  Macarii  |  de  sudario  beati  Remigii  |  de  camisia 
beati  Remiffü  |  de  feretro  .  .  .  (der  abgekürzte  Name  ist  schwer  zu  lesen). 
Ein  Vero-leich  dieser  Inschriften  mit  der  ol)en  niitgetheilten  ergibt,  dass 
die  ursprünglichen  Reliquien  durch  die  jetzt  noch  vortindlichen  sind  ersetzt 
worden. 

Auch  dieses  schlanke  Gefäss  gehört  offenbar  der  letzten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  an. 
Da  dasselbe  in  seinen  Formen  eine  überraschende  Ähnlichkeit  bietet  mit  ähnlichen  Werken  der  rheini- 
schen Goldschmiedekunst,  so  könnte  man  sich 
zu  der  Annahme  ffeneifft  fühlen,  dass  Karll\  . 
unter  den  andern  vielen  Schätzen,  womit  er 
sein  oeliebtes  Prao-  von  aussen  her  berei- 
cherte ,  auch  dieses  schöne  Reliquiar  vom 
Rheine  dorthin  gebracht  habe. 


Eine  Schale  aus  einem  aiissieliölilten  Onyx  mit  sil- 
berveriioldetem  Fuss  und  Hand.  (Fig.  Vi.) 

Länge  IG  Ctm.,  Breite  12  (tm. 

Unter  den  vielen  Schätzen  und  Merk- 
würdigkeiten des  Prager  Doms  bietet  vorzüglich 
eine  grosse  Onyxschale  ein  doppeltes  Interesse. 
Einmal  ist  der  ausgehölte  Onyx  an  und  für 
sich  eine  wcrthvolle  Seltenheit,  dann  aber  ist 
die    in    Rede   stehende   Schale    darum   merk- 


Fiar.   11. 


Fi-.  12. 


Der  Schatz  von  St.  Veit  in-  Prag.  *l 

würdi.g-,  weil  man  aus  der  Inschrift  auf  dem  Fusse  mit  Leiclitifi-keit  auf  die  Anfertigungszeit  und 
den  vSclienkgeber  auch  vieler  übrigen  Geräthe  im  Prager  Schatz  einen  ziemlich  sichern  Schluss 
ziehen  kann. 

Der  länglich  riiude  Fusstheil  liat  eine  Länge  von  14  bei  einer  Breite  von  1 2%  Ctm.  Über  dem 
untern,  nur  weniff  ausladenden  Rand  desselben  erhebt  sich  eine  1  Ctm.  hohe  Gallerie  mit  erliaben 
vorstehenden  Vierpässen  ohne  Durchbrechung.  Die  obere  Fläche  steigt  glatt  zu  einem  Halse  an 
und  ist  am  Rande  in  gothischen  Maiuskeln  von  folgender  Inschrift  umgeben: 

+  A.  D.  MCCCL.  JUBILEO"  CAROLUS  ROMANORUM  SEP.  AÜGUSTUS  ET  BOEMIE 
REX  PRÄGEN.  ECCLE.  AD  USUM  INFIRMORUM  HUNC  CIPHUM  ONICHINI  LAPIDIS 
DONAUIT.  Diese  Inschrift  ist  sehr  energisch  auf  mattem  Grund  glänzend  und  fast  heraustretend 
gearbeitet  imd  bildet  zugleich  ein  zierliches  Ornament.  Sodann  befinden  sich  auf  demselben  Fuss  vier 
kleine  Wappenschilder  mit  Nägeln  ziemlich  roh  aufgenietet,  die  auf  den  verschiedenen  Geschenken 
Karl's  IV.  dm-chgehends  anzutreffen  sind,  imd  zwar  in  dem  grösseren  Durchmesser  des  Fusses 
einander  gegenüber  zwei,  die  auf  goldenem  Feld  den  schwarz  emaillirten  einköpfigen  Reichsadler 
zeig-en.  Auf  den  beiden  andern  erblickt  man  in  rothem  Feld  den  böhmischen  Löwen  mit  silberner 
Krone.  Auf  diesem  5  Ctm.  hohen  Fussgestell  ruht  die  kostbare  7  Ctm.  tiefe  Onyxschale.  Diese 
Schale,  welche  gegen  das  Licht  gehalten,  eine  schöne  gelblichbräunliche  Farbe  zeigt,  erinnert  an 
classische  Vorbilder,  welche  unter  den  Cäsaren  in  hohem  Werth  standen.  Vielleicht  gehört  auch  der 
in  Rede  stehende  Onyx  dem  Alterthum  an;  wenigstens  entsinnen  wir  uns,  in  Rom  und  Neapel 
ähnliche  Onyxe  gesehen  zu  haben  mit  denselben  tief  eingegrabenen  Rundbogenstellungen,  die 
nach  unten  zusammenlaufen  und  im  Innern  als  Rippen  vorstellen.  Vier  Goldreifen  verbinden 
diese  prachtvolle  Schale,  welche  trotz  des  häufigen  Gebrauchs  keine  erhebliche  Verletzung 
erlitten  hat,mitdem  vorlier  beschriebenen  Fussgestell,  während  sie  eben  durch  Charnieren  in  den  sil- 
bervergoldeten Ring  eingreifen,  der  den  Rand  der  Schale  einfasst.  Eine  kleine  Hohlkehle  und 
Verzahnung  bilden  den  einzigen  Zierrath  dieses  2  Ctm.  2  Millim.  breiten  Ringes. 

Was  den  Gebrauch  dieses  Gefässes  betrifft ,  so  sagt  darüber  das  auf  Geheiss  des  Bischofs 
Arnestus  1354  angefertigte  sehr  ausführliche  Inventar  des  Prager  Doms:  Item  Cyphus  onichinus 
cum  pede  argeuteo  deaiu-ato*  pro  infinnis  et  pro  communicantibus  in  parasceven  deputatus, 
quem  idem  Rex  donavit.  Dies  stimmt  sowohl  zu  der  oben  angeführten  Inschrift  des  Gefässes 
als  auch  zu  den  xlngaben  der  späteren  Inventarien  aus  den  Jahren  136S  und  1387. 

« 

Ein  Bellälter  aus  Krystall  mit  silbervergoldeten  Einfassungen.  (Fig.  13.) 

Liiiige  H^:,  Ctm.,  Breite  ll^o  Ctm. 

Dieses  interessante  und  seltene  Gefäss  dient  zum  Beleg,  wie  die  Goldschmiedekunst  zur  Zeit 
Karl's  IV.  auch  in  ihren  Formen  für  profane  Zwecke  am  Hofe  in  Verbindung  mit  Sculpturen  in 
Krystall  auftrat.  Dasselbe  hat  die  Gestalt  einer  länglich  runden  Dose,  wie  solche  im  Mittelalter 
im  Hausgebrauch  der  Fürsten  und  Grossen  häufig  vorkamen.  Vielleicht  hat  es  am  Hofe  Karl's  IV. 
als  Schmuckkästchen  einer  seiner  drei  Gemahlinnen  gedient,  welche  dem  Kaiser  in  rascher 
Folge  durch  den  Tod  entrissen  wurden,  bevor  es  in  kirchlichen  Gebrauch  überging.  Die  beiden 
Henkel  legen  eine  derartio-e  Vermuthung  nahe.  Das  Gefäss  besteht  aus  zwei  schalenförmig  aus- 
gehöhlten  Bergkrystallen  mit  einer  wellenförmig  gedrehten  eigenthümlichen  Schleifung,  wie  man 
sie   auch    an    den   Gefässen  der  heil,   drei  Könige  auf  Tempera-Gemälden  der  flandrischen  und 

*  Da  schon  seit  langer  Zeit  die  Communio  siib  utraque  speeie  von  Seiten  der  Laien  kirchlich  nicht  mehr  in  Gebrauch 
war,  so  liegt  es  nahe  anzunehmen,  dass  dieser  lapis  oniehini  als  Abspiilungssetass  benützt  wurde,  um  nach  der  heil.  Communion 
daraus  die   früher  übliche   ablutio  von  Seiten  der  Laien  zu  nehmen;  solche  Gefösse  führten  auch  häufig  den  Namen  „Spülkelch-. 


09 


Du.  Fu.  Bock. 


Tis.  13. 


rliciiiisclien  Scliukn  wnlir- 
iiinmit.  Der  Deckel  ist  an  Tin- 
faiitp  etwas  kleiner  als  der  untere 
Tlieil  und  mit  einer  silber- 
X^  vergoldeten  Verzahnung  ein- 
gefasst,  hinter  welcher  sieli 
eine  platte  Fläche  mit  Laub- 
gravirungen  befindet.  Darüber 
läuft  ein  kleiner  Rand  mit 
kaum  sichtbarer  Holdkehle  und 
kleinen  Rosen  -  Ornamenten. 
Über  diesem  Rand  erhebt  sich 
ein  Spitzbogenfries  mit  gothi- 
schem  Nasenwerk.  Diese  Verzahnung  bezweckt  zugleich  die  Befestigung  der  Kry.<tallkapsel  in 
dem  Deckel.  Der  untere  Theil  des  Grefässes  hat  einen  g-latten  unverziertcn  Fuss  mit  älmlicher 
Vei-zahnung,  von  welcher  kleine  Metallstreifen  zur  Verbindung:  der  obern  Einfassung-  mit  der 
untern  auslaufen.  Einzelne  abgebrochene  Spitzen  scheinen  anzudeuten,  dass  auch  der  obere 
Theil  von  Metallstreifchen  ehemals  eingefasst  worden  sei. 

Der  Tradition  nach  umschliesst  dieses  Gefäss,  das  wohl  kühn  heute  seines  Gleichen 
suchen  darf,  einen  Theil  des  Schleiers  der  allerseligsten  Jungfrau.  Eine  Inschrift  ist  indess 
nicht  vorfindlich.  Was  jene  Reliquien  betriflft,  welche  in  den  Inschriften  de  peplo  bcatre  M.  V. 
heissen,  so  darf  man  sich  darüber,  dass  sie  so  häufig  vorkommen,  gar  nicht  wundern,  da 
bekanntlich  die  orientalischen  Schleier  einen  bedeutenden  umfang  haben  und  auch  wolil  anzu- 
nehmen ist,  dass  die  allerseligste  Jungfrau  mehr  als  einen  Schleier  besessen  habe.  Im  übrigen 
bemerken  wir  über  diese  Gewebe  als  Ergebniss  genauer  Untersuchungen  folgendes.  Die  meisten 
dieser  Überreste  stimmen  hinsichtlich  ilires  Gewebes  merkwürdigerweise  ziemlicli  vollständig 
überein.  Es  ist  dies  nämlich  ein  äusserst  zarter  durchsichtiger  Stoff  von  weissgelblicher  P'arbe, 
älnilich  unserm  heutigen  Crepe  de  Chine.  Meistens  besteht  es  aus  feinem  gazeartigem  Leinen;  sel- 
tener ist  es  ein  Seidengewebe ,  das  an  Zartheit  dem  Netz  der  Spinne  sehr  nahe  kommt.  Auch  die 
in  Rede  stehende  Reliquie  ist  ein  solches  äusserst  feines  Gewebe  und  zwar  aus  zartestem  Leimn 
so  fein  und  durchsichtig,  dass  die  heutige  Weberei  wohl  kaum  ein  subtileres  Gewebe  herzustellen 
im  Stande  wäre.  Ahnliche  StoflFe  findet  man  auch  häufigr  in  reicheren  alten  Evansreliaricn  und 
Plenarien  zwischen  den  Miniaturmalereien  um  Abreibung  der  Farben  zu  verhüten.  Im  Alterthum 
bezeichnete  man  dieses  äusser.st  delicate  Leinengewebe  als  linea  nebula,  »Nebelleinen"  ;  auch  sagte 
man,  dass  wer  damit  bekleidet  gewesen,  habe  ausgesehen  wie  vinum  in  vitro.  Sowohl  in  der  lieil. 
Schrift  als  auch  bei  den  Schriftstellern  des  Mittelalters  heisst  dieses  gazeartige  meistens  alexan- 
drinische  oder  antiochenische  Gewebe  Byssus.  Seine  Seltenheit  und  sein  hoher  Werth  geht  schon 
daraus  hervor,  dass  er  in  den  Inventarien  immer  mit  dem  Purpur  zusammengestellt  wird. 


Eine  silberverffoldpte  \m\k  mit  EiiiaiIIiriiii2:en  als  Kcliqiiienkapsel.  (Fig.  14.) 

Dieses  Monile  in  Gestalt  einer  siebenblätterigen  Rose  misst  in  seiner  grössten  Ausdeh- 
nung 11  y,  Ctm. ;  der  Rand  hat  eine  Breite  von  IV,,  Ctm.  Die  obere  Hälfte  ist  mit  reiciiem 
Laubornament,  edlen  Steinen  und  einem  Medaillon  von  Perlmutter  als  Basrelief  verziert, 
welches  in  edler  Composition  und  kunstvoller  Ausführung  das  im  ganzen  Mittelalter  in  allen 
Zweigen   der  bildenden    Kunst    beliebte    Bild   des  transitus   beatae   Mariae    V.     darstellt.    Nacli 


Deu  Scuatz   VON"   St.   Veit   in   I'kai^. 


23 


der  Legende  ist  hier  die  Mutter  des 
Herrn  auf  dem  Sterbebett,  von  den  zwölf 
Aposteln  umgeben  dargestellt,  die  in  tiefer 
Betrübniss  dem  lieil.  Petrus  bei  den 
kireldiclien  Gebeten  und  Segnungen 
assistiren.  Auch  diis  o-eriuu'ste  ist  bei 
der  betreffenden  lituro-ischen  Function 
nicht  vergessen.  Ein  Apostel  trägt  das 
Kreuz,  ein  anderer  das  Rauchfass,  ein 
dritter  das  Weihwasserbecken.  Den  Un- 
glauben des  heil.  Thomas  bei  der  Aufer- 
stehuntj  des  Herrn  hat  die  mittelalterliche 
Kunst  nie  unterlassen.  Dieser  Apostel 
sitzt  nämlich  zuletzt  mit  abgewandtem 
Gesicht  und  hat,  offenbar  nicht  ohne  Ne- 
benbeziehung, die  psalmi  poenitentiales 
vor  sich.  Über  dem  Haupte  des  heil. 
Petrus,  der  das  aspersorium  erhoben  hat, 
ersclieint  der  Heiland  in  stylisirten  Wol- 
ken von  Engeln  umgeben ,  wie  er  die 
Seele  seiner  jungfräulichen  Mutter  in  Ge- 
stalt eines  kleinen  Kindes  in  den  Himmel 
aufnimmt.  Im  Hintergrunde  erblickt  man 
das  Grabmal,  über  welchem  sich  ein  Kreuz  erhebt.  Bei  den  grossen  Schwierigkeiten,  die  das  Perl- 
mutter, welches  sich  bekanntlich  leicht  blättert,  auch  dem  geübtesten  Künstler  darbietet,  muss  man 
sich  wundern,  wie  trefflich  es  dem  Bildschnitzer  gelungen  ist,  der  ungefügigen  Materie  so  bewegliche 
Formen  abzugewinnen,  und  insbesondere  den  Gesichtern  einen  so  zarten  Ausdruck  zu  verleihen.  Um 
dieses  stark  vortretende  Medaillon  zieht  sich  ein  Stahlgeflecht,  welches  einer  Dornenkrone  nicht 
unähnlich  sieht;  vielleicht  sollen  dadurch  die  Schmerzen  Maria  angedeutet  werden.  Die  darunter 
liegende  tiefe  Hohlkelde  ist  mit  einem  Kranz  von  Blüthen  und  Blättern  ausgefüllt  und  hin  und 
wieder  mit  vielfarbigen  Steinen  verziert,  wodurch  nicht  undeutlicli  die  sieben  Freuden  Maria 
symbolisirt  zu  werden  scheinen.  Darauf  beziehen  sich  jedenfalls  die  siebenblätterigen  Rosen,  die 
als  Unterlaofen  zum  Vorschein  treten  und  sonst  o:ewöhnlich  sechsblättriü-  sind.  Der  breite  Rand  ist 
in  Laubwerk  durchbrochen,  welches  das  Gepräge  der  Spätgothik  trägt.  Die  Rückseite  enthält 
hinter  Krystallverschluss  eine  Reliquie  vom  heil.  Bartholomäus.  Die  Schrift,  welche  Jüngern 
Datums  ist,  lässt  vernmthen,  dass  früher  andere  Reliquien  sich  hier  befunden  haben, 
die  zu  der  beschriebenen  Darstellung  in  näherer  Beziehung  stand.  Um  diesen  Krystall- 
verschluss hat  der  Künstler  sieben  radförmige  Medaillons  auf  blau  emaillirter  Fläche 
mit  einem  Anhauch  von  Goldschmelz  augebracht.  Den  Mittelpunct  bildet  der  Heiland  mit 
der  Weltkugel,  umgeben  von  vier  andern  Medaillons  mit  den  Symbolen  der  Evangelisten. 
Die  l)eiden  übrigen  siml  mit  einem  Drachen  und  einem  Strauss  ausgefüllt,  deren  symbolische 
Deutung  wir  auf  sich  beruhen  lassen.  Composition  und  Ausführung  des  Basrelief  sowohl  wie 
der  Ornamente  und  Schnielzarbeiten  weisen  dieses  Reliquiar  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahr- 
luniderts  zu. 


IS-   iJ- 


24 


Dr.  Fr.  Bock. 


Reliquiariuui  sill)pr\ergül(let  in  Form  einer  runden  Kapsel.  —  \V.  Jahrhundert.  (Fig.  15.) 

In  den  Schätzen  alterer  Kuthedi-alen  fanden  sich  mehrfach  ähnliche  Reliquienbehälter  vor 
in  Form  von  Agraffen.  Diese  Reliquienbehälter,  von  älteren  Schriftstellern  auch  monilia,  phylak- 
teria  genannt,  sind  meistens  von  einem  Ringe  überragt,   wodurch  eine  Kette  gezogen  werden 

konnte,  so  zwar,  dass  sie  als  Brustverzierunsr 
bei  grossen  Festen  zur  Verdeckung  jener  Ver- 
bindungsstücke von  Stoff  getragen  wurden, 
wodurch  die  Chorkappe  auf  der  Brust  zusammen- 
gehalten wurde.  Sie  führen  daher  auch  hin  und 
wieder  den  Xamen  fibula.  monile,  morsus,  lio-a- 
tura  '.  Die  vielen  Namen,  die  für  dieses  kirch- 
liche Utensil  bei  älteren  Schriftstellern  vorkom- 
men, sind  Beweis  dafür,  dass  die  Formen  des- 
selben im  Laufe  der  verschiedenen  Jahrhun- 
derte auch  sehr  vielgestaltig  waren.  Auch  der 
Domschatz  zu  St.  Veit  in  Prag  besitzt  mehrere 
dieser  Monilien,  die  noch  heute  als  Keliquien- 
behälter  dienen  und  deren  Ring-e  am  Obertlieil 
es  deutlich  besagen,  dass  sie  im  Mittelalter 
bei  feierlichen  Veranlassungen  als  pectoralia 
getragen  wurden  (s.  Fig.  14.)  "Wir  lassen  hier 
eine  Beschreibung  eines  der  interessanteren 
folgen. 

Das  grössere  derselben  misst  im  Durchmesser  fast  11' .>  Centim. ;  seine  Breite  beträgt 
2  Centim.  Auf  beiden  Seiten  ist  dieses  durch  verschiedenartige  Technik  ox'namental  so  ein- 
gerichtet, dass  es  zugleich  als  ostensorium  auf  der  Hauptseite  eine  Sicht  der  darin  enthaltenen 
Reliquien  zulässt,  und  auf  der  Rückseite  durch  seine  Decoration  beim  Tragen  nicht  hinderlich 
ist.  Die  vordere  Seite  wird  durch  eine  starke  gedrehte  Cordonirung  abgeschlossen,  die  erhaben 
auflieo^t.  Innerhallj  dieses  Medaillons  erhebt  sich  von  derselben  Cordonirung  umzogen  ein 
zweites  Medaillon,  das  3  Centim.  hoch  hervorsteht.  In  der  tiefen  Hohlkehle,  die  zwischen  diesen 
beiden  Ringen  entsteht,  hat  der  Goldschmied,  der  in  der  Kunst  des  Giessens  und  Ciselirens  zu 
einer  nicht  unbedeutenden  manuellen  Fertigkeit  es  gebracht  hatte ,  einen  fi-ei  geai-beiteten 
Laubkranz  in  einer  Weise  angebracht,  dass  er  mitten  in  der  Hohlkehle  rundum  einen  Rundstab 
anlegte,  auf  welchen  nach  beiden  Selten  hin  an  kleinen  Stielchen  sich  kleine  Eichenzweige  ver- 
ästeln mit  zart  stylisirten  Blättchen  und  Fruchtbildungen.  Zwischen  diesen  ciselirten  frei  auf- 
gelötheten  Laubornamenten  entwickelt  sich  die  Scene  einer  Jagd.  In  kleinen  Darstellungen  mit 
grosser  Präcision  ausgeführt  erblickt  man  nämlich  einen  Jäger,  wie  er  das  Jagdhorn  ansetzt  und 
mit  seinem  Hunde  das  dabei  befindliche  Wild  verfolgt.  Ausserdem  befinden  sich  noch  von  diesen 

1  Ahnliche  Fibulae  finden  sich  im  Domschatze  zu  Gran  ebenfalls  als  Reliquiarien  mehrere  vor:  vgl.  unsere  Beschrei- 
bung des  Domschatzes  zu  Gran  in  dem  HI.  Band  des  Jahrbuches  der  k.  k.  Central-C'omuiission  zur  Erlorschunjf  der  Bau- 
denkmale 1859.  Auch  im  reichhaltigen  Schatze  zu  Aachen  finden  sich  ähnliche  munilia  vor  als  Briistverzieriing  auf  dem  pluviale 
bei  feierlichen  Processionen;  vgl.  unsere  Pfalzcapelle  Karls  d.  Gr.  und  ihre  Kunstschiitze.  Kunstgeschichtliche  Beschreibung  des 
Karolingischen  Octogon  zu  Aachen,  der  späteren  gothischen  Umbauten  und  sämmtlicher  im  Schatze  daselbst  befindlicheu 
Kunstwerke  des  Mittelalters,  II.  Thcil,  S.  66,  Fig.  XXVIII  und  S.  74  und  75,  Fig.  XXXIV  und  XXXV.  Wohl  das  reichste 
Exemplar  in  Foim  einer  grossen  Kose  findet  sich  in  der  Sammlung  des  Herrn  Kaufmann  Kühl  zu  Cöln.  Auch  die  reiche 
ehemalige  Sammlung  des  Fürsten  P.  Soltykoff  zu  Paris  bewahrte  einige  Prachtexemplare  solcher  monilia. 


Fis 


15. 


Der  Schatz  von   St.  Veit  in   Prag.  2 


ZU 


ciselirten  Ornamenten  umgeben  nach  gleichen  Zwischenräumen  7  kleinere  Rosen,  die  in  hoch  auf- 
stehender Fassung  im  Innern  5  kleinere  Granaten,  vielleicht  aber  auch  kleinere  Krystalle  von 
einer  dunkelrothen  Folie  unterlegt  zum  Vorschein  treten  lassen.  In  der  obern  hochstehenden 
Umkreisung,  dem  innern  Medaillon,  erblickt  man  die  frei  ciselirte  Darstellung  der  Kreuzigung 
des  Heilandes  mit  den  beiden  Schachern  und  der  Passionsgruppe  mit  Johannes  und  Maria.  Es 
scheint  jedoch,  dass  der  Goldschmied  sich  besser  auf  Ausarbeitung  und  Stylisirung  von  freien 
Ornamenten  als  figuralen  Darstellungen  verstand.  Die  Ciselirung  dieser  Figuren  lässt  viel  zu 
wünschen  übrig,  und  sind  dieselben,  was  wahrscheinlich  von  ihrer  Kleinheit  herrührt,  ziemlich 
roh  gehalten.  Hinter  dieser  Kreuzigung  befindet  sich  ein  Glasverschluss,  wodurch  ein  Theil  der 
Reliquien  ersichtlich  ist.  Den  Inschriften  zu  Folge,  die  wie  bei  den  meisten  Reliquien  des  Prager 
Domschatzes  nach  einer  vorgenommenen  neuen  Fassung  im  XVHI.  Jahrhundert  hinzugefügt 
worden  sein  mögen,  werden  in  dieser  Kapsel  folgende  Überbleibsel  der  Heiligen  aufbewahrt: 
reliquiae:  S.  Justinae  V.  M.,  S.  Caeciliae  V.  M.,  S.  Adalberti,  S.  quinque  fratrum,  S.  Brigittae, 
S.  Richardi  R.  Aug.,  S.  Christophori,  S.  Philippi  Apostoli,  S.  Egobani  M.,  S.  Afrae,  S.  Joannis  M. 
Auf  dem  breiten  k  jour  gearbeiteten  Rande  schlängelt  sich  ein  Laubornament  von  guter  Compo- 
sition;  aus  den  Blüthenkelchen  der  Blume  heben  sieh  empor  die  Halbfiguren  von  musicirenden 
kleinen  Engeln,  deren  Flügel  sich  ebenfalls  zu  Blätterornamenten  gestalten.  Auf  der  glatten 
Grundfläche  der  Rückseite  dieses  Monile  erblickt  man  in  ziemlich  derber  Graviruno-  die  annun- 
tiatio;  der  verkündende  Engel  mit  einer  Alba  angethan  hält  ein  Spruchband;  die  allerselig'ste 
Jungfrau  kniet,  von  einem  weiten  faltenreichen  Mantel  umgeben,  nieder  vor  einem  Schemel,  auf 
welchem  das  psalterium  ausgebreitet  liegt.  In  der  einen  Ecke  zeigt  sich  das  Bild  eines  Francis- 
canermönches,  der  mit  der  linken  Hand  sein  cingulum  gefasst  hält;  in  der  rechten  hält  er  ein 
Spruchband,  aus  dessen  Inschrift  sich  ergibt,  dass  dieses  das  Bild  jenes  Laienbruders  ist,  der 
als  aurifaber  vorstehendes  Monile  angefertigt  hat.  Der  Spruch  lautet  nämlich  in  gothischen 
Miniiskelschriften :  frater  Albericus  me  fecit.  Eigenthümlich  ist  es,  dass  die  Incarnationstheile  an 
sämmtlichen  eingravirten  figürlichen  Darstellungen  in  Silber  weiss  gehalten  sind ,  was  sonst 
seltener  vorkömmt.  Vorstehendes  Monile,  das,  wie  die  Ciselirungen  und  namentlich  der  schon 
ausgeartete  und  manirirte  Faltenwurf  erkennen  lässt,  in  der  letzten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts 
entstanden  ist,  legt  Beweis  dafür  ab,  dass  auch  noch  zu  Schluss  des  Mittelalters  die  Gold- 
schmiedekunst in  den  vier  Mauern  des  Klosters  häufig  von  Laienbrüdern  geübt  wurde,  wie  dies 
vom  XL  bis  zur  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  in  den  meisten  reicheren  Abteien  der  I'all  war. 

Goldenes  Reliquieiikreiiz.  (Fig.  16.) 

Hö,he  31  Ctm.,  Länge  des  Querbalkens  23  Ctm.,  Breite  fast  9  C'tm.,  Tiefe  l'/.,  Ctm. 

Dieses  prachtvolle  Pacificale,  welches  in  der  Kreuzung  unter  Krystallverschluss  einen  Theil 
vom  Lendentuch  des  Herrn  umschliesst,  nimmt  sowohl  wegen  seines  materiellen  Werthes,  als 
seiner  kunstreichen  Darstellungen  unter  den  Gefässen  des  Prager  Schatzes  eine  der  hervor- 
ragendsten Stellen  ein.  Die  hintere  Seite  ist  glatt  ohne  Ornament  gehalten;  auf  der  vordem  Seite 
hingegen  erblickt  man  vier  verschiedene  Darstellungen.  Der  Kopftheil  des  Kreuzes  zeigt  den 
Heiland  am  Kreuze,  stehend  auf  dem  suppedaneum,  mit  langem  Schürztuch  umgürtet,  in  welches 
das  heil.  Blut  strömt;  zu  den  Seiten  die  Passionsgruppe  Maria  und  Johannes.  Die  sehr  lebendige 
Darstellung,  welche  den  Typus  der  florentinischen  Schule  ziemlich  deutlich  zu  erkennen  gibt, 
scheint  den  Augenblick  vergegenwärtigen  zu  wollen,  da  der  Heiland  seiner  Mutter  den  h.  Johan- 
nes statt  seiner  als  Sohn  überwies.  Im  rechten  Querbalken  zeigt  sich  quadratisch  von  bi-eiten 
schwarzen  Emailstreifen  umgeben  das  Bild  eines  Papstes  in  knieender  Stellung  mit  Pluviale  und 

XIV.  4 


','l> 


Dn.  Fk.  Bock. 


öciälinö-tnifutnto-  quo 
xpi-iinnrnp-fuit-tn-cruff- 

oio-un-raujfaton-roinanDü 


Tiara;  hinter  demselben  kniet  ein  Car- 
dinal-Diakon  in  Mitra  mid  Dalmatik. 
Über  dieser  knieenden  Gruppe  liest  man 
in  Abkürzun«itii :  l'rbanus  papa  quintus, 
Petrus  de  BL-Uit'ortis,  diaconus  cardina- 
lis.  Im  linken  Querbalken  kniet  Karl  IV. 
in  kaiserlichem  Ornat,  und  hinter  ihm 
sein  Sohn  Wenzel.  Über  dem  Haupt 
des  Kaisers  liest  man  die  g-eschmelzte 
Inschrift:  Carolus  quartus  Eomanonini 
imperator,  Wenceslaus  quartu.s,  Bohe- 
miae  rex,  Caroli  filius.  Auf  dem  untern 
L'inii'ern  Kreuzbalken  ist  die  Uberg-abe 
der  Reliquie  durch  den  Papst  Urban  an 
Karl  IV.  dargestellt.  Der  Papst  im  Plu- 
viale  und  Tiara  überreicht  dem  Kaiser 
stehend  das  Kreuz  mit  der  Reliquie; 
Karl  in  dem  paludamentum  imperiale 
und  der  Kaiserkrone  empfängt  dasselbe 
aus  Ehrfurcht  mit  verdeckten  Händen. 
Über  dieser  Darstellung  steht  folgendes 
legendarium:  De  panno  cruentato  ^,  quo 
Christus  praecinctus  fuit  in  cruce  datum 
per  Urbanum  papam  V.  Carolo  IV. 
imperatori  Romanorum.  Die  Ecken  der 
Balken  sowie  die  vier  Kreuzungspunkte 
sind  mit  grossen  ungeschliffenen  Saphi- 
ren und  Rubinen  geschmückt,  die  in 
kräftigen  Einfassungen  knopfförmig  be- 
festigt sind.  Die  Composition  der  oben 
beschriebenen  Gravirungen,  welche  mit 
schwarzem  Email  ausgegossen  sind,  lässt 
fast  mit  Sicherheit  auf  einen  italieni- 
schen Meister  schliessen.  Sowohl  die 
Technik  des  Schmelzes  als  noch  mehr 
der  Schnitt  und  die  decorative  Ausstattung  der  Gewänder  berechtigen  zu  dem  Schluss,  dass 
Karl  diese  Reliquie  zugleich  mit  der  Fassung  über  die  Berge  gebracht  habe.  Doch  scheinen  uns 
die  Edelsteine  erst  später  hinzugefügt  worden  zu  sein. 

Traiikreaz  oder  Procession^kreuz.  —  XIV.  .lahrliiiiidert.  (Fig.  IT.) 

Höhe  80  f'tm.,  Länge  des  Querbalkens  51  Ctm. 

Dieses  Kreuz  ist,  wie  noch  viele  andere   in  den  kirchlichen  Schatzkanuncrn  des  westlichen 

Europa,  aus  mehreren  Stücken  von  polygon  geschliffenem  Bergkry.stall  zusammengesetzt,  welche 

durch  silbervergoldete  Bänder   verbunden  werden.    Jeder  Arm  besteht  aus  zwei  solcher  Stücke, 

-  Da.s  Lendentuch  des  Herrn  befindet   sich  unter   den  vier   grossen   karolingischen  Reliquien,   welche   .lUe   sieben   .I;i1iip 
in  A.-ichcn  öffentlich  gezeigt  werden.   Dieses   perizonium  Domini,   seit   der  Zeit   der  Karolinger  aufbewahrt  zu  Aachen,  ist  in 


Der  Schatz  von  St.   Veit  in    Prag. 


27 


welche  ein  mittleres  Vierungsstück  einscliliessen.  Die  Kreuz- 
arme laufen  in  stumpfe  Lilien  aus,  die  jedoch  nur  in  den 
äusseren  Umrissen  ang-edeutet  sind.  Auf  den  äussersten 
Punkten  dieser  Ausmündungen  befinden  sich  runde  silber- 
vergoldete Knöpfe.  Sämmtliche  Krystallstücke  sind  in  der 
Mitte  angfebohrt  und  von  einem  starken  Eisendraht  mit 
Goldblechen  durchzogen.  Eine  zweite  Verbindung  erhalten 
die  Krvstallstücke  durch  silbervergoldete  Biinder,  welche 
neunmal  zwischen  den  verschiedenen  Theilen  vorkommen. 
Die  vier  mittleren  Bänder  haben  nach  oben  einen  vergolde- 
ten Kamm,  die  vier  äusseren  sind  in  der  Mitte  nur  mit 
einem  profilirten  Ringe  umgeben  und  nach  den  Seiten  orna- 
mental eingeschnitten.  Auf  der  Vorderseite  dieses  Kreuzes 
befindet  sich  eine  Reliquien-Kapsel,  welche  sich  in  durch- 
brochenen ,  mit  Glas  hinterlegten  Vierpässen  öifuet  und 
eine  kleine  Partikel  vom  heil.  Kreuz  einschliesst.  Auch  der 
untere  Knauf,  welcher  einen  Durchmesser  von  8  Ctm.  hat 
und  eine  Fruchtkapsel  darstellt,  scheint  ursprünglich  zu 
sein,  dagegen  gehört  die  Verbindung  dieses  Knaufes  mit 
dem  untern  Langbalken  offenbar  der  Spät-Renaissance  an. 
Offenbar  stammt  auch  diese  crux  cristallina,  welche  heute 
als  Vortragkreuz  des  Prager  Domcapitels  gebraucht  wird  aus  der  Zeit  Karl's  IV.  Wir  glauben 
dieselbe  unter  den  drei  Kreuzen  wiederzufinden,  von  denen  es  in  dem  oft  erwähnten  Schatz- 
verzeichniss  vom  Jahr  1354  heisst:  Item  tres  cruces  cristallinae,  duae  sollempnes  et  tertia 
Simplex  valde  est  fracta.  Da  unser  Kreuz  weder  gebrochen  noch  auch  einfach  ist,  so  gehört  es 
offenbar  zu  beiden  ersteren,  die  das  sehr  ausführliche  Verzeichniss  vom  Jalire  1387  anführt 
mit  den  Worten:  Item  duae  cruces  cristallinae  sine  defectibus.  Ein  ganz  ähnliches  Krystallkreuz 
befindet  sich  im  Domschatz  zu  Gran. 


Fi^.    17. 


Ein  kostbares  AUarkreuz  ans  feinstem  Gold,  mit  vielen  ecliten  Perlen  und  Edelsteinen  geschmückt. 

Abgesehen  von  dem  unschätzbaren  Inhalt,  den  dieses  Prachtstück  in  den  grossen  Par- 
tikeln des  Kreuzes  Christi  umschliesst,  ist  dasselbe  auch  in  materieller  Beziehung  eines  der 
kostbarsten  Übjecte  des  Prager  Domschatzes,  und  das  allerdings  mehr  mit  Rücksicht  auf  sein 
Gewicht  und  den  Reichthum  der  grossen  Saphire  und  Perlen,  als  wegen  delicater  technischer 
Ausführung.  Es  misst  in  seiner  Länge  0.G3  M.  und  in  der  Breite  0.4  M.  Dieses  Kreuz  besteht 
eigentlich  aus  zwei  verbundenen  Reliquiarien,  indem  die  fast  0.05  M.  dicken  Querbalken  im 
Innern  eine  Zwischenlage  von  Goldblech  haben,  auf  welcher  nach  beiden  Seiten  hin  die  Reli- 
quien angebracht  sind.  An  den  vier  Ecken  mündet  das  Kreuz  in  eine  Verzierung  aus,  ähnlich 
einer  fleur  de  lis,  welche  nach  oben  noch  mit  einem  kleeblattförmigen  Aufsatz  verziert  ist; 
dadurch  erhalten  die  Ausmündungen  der  Balken  eine  reichere  Gestaltung.  Die  Hauptseite  zeigt 
an  diesen  Aufsätzen  ausserdem  noch  je  fünf  Saphire  von  ziemhcher  Grösse,  die  in  Metall  gefasst 
sind  und  frei  das  Kreuz   flankiren.    Die  meisten   derselben  sind  von  prächtigem  Wasser,    doch 

einem  grosseu  Theile  vom  heil.  Blut  durchflössen  und  zeigt  an  einer  Stelle  deutlich  die  Abtrennung  eines  pars  notabilis;  dieses 
Fehlen  einer  Ecke  dieser  kostbaren  Aachener  Reliquie  dürfte  als  Beleg  dienen ,  dass  von  derselben  mehrere  Partikel  abgetrennt 
und  an  hervorragende  Kirchen  des  christlichen  Abendlandes  verschenkt  worden  sind.  Vgl.  unsere  Abbildung  und  Beschreibun»-  des 
perizonium  Domini  in  unserer  Schrift:  Das  Heiligthum  zu  Aachen,  Verlag  von  Schwan  in  Neuss  S.  mit  jC  Holzsciinitten,  1S67. 

4* 


28 


Du.   Fu.  Bock. 


befinden  sich  auch  einio-e  Lux- 
sajihire  von  geringerem  Werthe 
darunter.  Zwischen  diesen  Edel- 
steinen erklickt  man  je  Wer  Perlen 
von  aufiallender  Grösse,  die  ähnlich 
wie  an  der  böhmischen  Köniffs- 
ki-one  auf  Knäufchen  aufgesetzt 
sind  und  frei  hervorstehen.  In  der 
Vierung  des  Kreuzes  bildet  sich 
durch  die  abschliessenden  Gold- 
streifen wieder  ein  kleineres  Kreuz, 
welches  seinerseits  wiederum  von 
zwei  ähnlichen  über  Eck  ^eleg-ten 
Streifen  durchzogen  ist.  Unter 
diesem  letzteren  sieht  man  im 
innern  Verschluss  durch  die  Kry- 
stallwände  eine  grössere  Partikel 
des  heil.  Kreuzes,  die  in  einer  gol- 
denen Lade  einjreschlossen  und 
mit  prachtvollen  Saphiren  und  Ru- 
binen und  grossen  Perlen  nach 
allen  Seiten  verziert  ist. 

Die  vier  Balken  des  erwähn- 
ten   kleinen  Kreuzes   enthalten   in 
besonderen  Verschlüssen  ebenfalls 
werthvolle  Reliquien  unter  Krystall- 
verschluss;    in  dem  oberen  Theile 
erblickt  man  nämlich  ein  Stück  von 
dem  Schwämme,  womit  der  Heiland 
am    Kreuze    getränkt    wurde ;    im 
untern  mehrere  gi-osse  Dornen  von  der  Kj-one  des  Erlösers;    im  linken  Querbalken  einen  Theil 
eines  Ki-euznagels :  im  rechten  endlich  eine  vierte  Reliquie  stofflicher  Katm-,    die  nicht  näher 
bezeichnet  ist. 

Die  erwähnte  Partikel  des  heil.  Ki-euzes  erhielt  Karl  IL  in  dem  Cistercienserkloster  Parys 
in  der  Diöcese  Basel,  ^-ie  er  dies  in  der  betreffenden  Schenkungsurkunde  an  den  Prager  Erz- 
bischof und  sein  Capitel  selbst  erzählt:  Hinc  (nämlich  aus  Verehrung  und  Anhänglichkeit  tür 
die  Prager  Domkirche)  est,  quod  lignum  vivificae  Crucis  preciosum,  partem  illam  videlicet, 
quam  inclita  Imperatrix  illa  B.  Helena,  quae  superno  muuere  almae  Crucis,  quae  mundi  tulit 
precium,  inventrix  esse  promeruit,  thecis  sivi  laminis  avu-eis,  miro  quodam  opere  expolitis,  recon- 
ditam,  Constantinopolim  quondam  legitur  attulisse,  quamque  processu  temporis  Religiosus  quidam 
Martinus  Abbas  de  Parys  ordinis  Cisterciensis  in  Alsatia,  tunc  Apostolicae  Sedis  Legatus,  ad 
idem  monasterium  apportavit,  in  ipso  monasterio  nobis  donatam,  una  cum  praedictis  thecis 
sive  laminis  am-eis,  vestrae  devotioni  pro  perpetuo  decore  et  honore  dictue  Pragensis  Ecclesiae 
destinamns  *. 


Fig.    18. 


*  PliO!»pborus  septicurnis  etc.,  pag.  448. 


Der  Schatz  von  St.  Veit  in  Puag.  29 

Die  hintere  Seite  unseres  Kreuzes  zeigt  einen  kostbaren  Schmuck  von  verschiedenen 
Camcen  von  grossem  Umfange.  In  der  Vierung  dieser  Rückseite  zeigt  sich  unter  Krvstall- 
verschluss  eine  ungewöhnlicli  grosse  Partikel  vom  heiL  Kreuz,  deren  Dimensionen  alle  ähnlichen 
Reliquien  übertreffen,  die  wir  gesehen  haben.  Der  Langbalken  dieser  Partikel  misst  0.154  M., 
der  Querbnlken  O.I-i  M.,  die  Breite  beträgt  0.032  M.  die  Dicke  jedoch  scheint  nicht  sehr  beträcht- 
lich zu  sein.  Karl  IV.  erhielt  diese  seltene  Reliquie  von  dem  Domcapitel  zu  Trier,  als  auf  dem 
bischöflichen  Stuhle  daselbst  eine  Sedisvacanz  eingetreten  war.  In  einem  Schreiben  an  das 
Prager  Capitel  vom  Jahre  1354  berichtet  er  hierüber:  Damus  et  donamus  eidem  Pragensi  Eccle- 
siae  inprimis  partem  tertiam  de  ligno  Dominicae  Ci'ucis,  quod  manu  propria  praecidimus,  quodquc 
Vivificae  et  sanctae  Crucis  lignum  Beatissima  Helena  Mater  Imperatoris  Constantini,  de  Hieruza- 
lem  ad  Trevirensem  rediens  civitatem  secum  attulit,  ubi  illa  pro  tunc  habitationem  et  domicilium 
habuit  et  ubi  Katalis  sui  originem  duxerat,  ab  Boemundo  Electo  et  paucis  de  Capitulo  dictae 
Trevirensis  Ecclesiae  clandestine  et  secrete  habitam  et  obtentam  *. 

In  dieser  merkwürdigen  Pai'tikel  erblickt  man  an  dem  obern  Theile  eine  grosse  unregel- 
mässige Ofiiiuug,  die  nach  der  Tradition  von  einem  der  Kreuzesnägel  stammen  soll.  Der  kaiser- 
liche Geschenkgeber  hat  es  nicht  unterlassen,  diese  kostbare  Partikel  in  dem  schöjien  goldenen 
Kreuz  mit  den  reichsten  geschnittenen  Steinen  umgeben  zu  lassen.  Karl  IV.  scheint  überhaupt 
bei  seiner  Vorliebe  für  Sammlungen  von  Reliquien,  die  ihm  bis  zum  Tode  eigen  war,  aucli  noch 
ausserdem  kostbare  Steine  und  andere  Pretiosen  gesammelt  zu  hal)en;  man  liest  nämlich  in  den 
Kircheninventaren  bei  Angabe  von  grossen  und  besonders  werthvollen  Steinen  oft  die  Bemer- 
kung, dass  sie  aus  dem  Schatze  des  Königs  herrühren.  Der  Ausstattung  der  hinteren  Seite  nach 
zu  uitheilen  dürfte  dieser  Privatschatz  von  kostbaren  Gemmen,  die  Karl  in  Italien  zu  sammeln 
Gelegenheit  hatte,  ein  sehr  bedeutender  gewesen  sein,  und  scheint  es,  dass  er  denselben  beson- 
ders verwendete,  um  äusserst  prachtvolle  Reliquiengefässe  damit  zii  ornamentiren.  So  erblicken 
wir  in  goldenen  Einfassungen  auf  der  hintern  Seite  des  Ki-euzes  drei  grössere  Cameen,  anschei- 
nend aus  Onyx  geschnitten,  und  sechs  kleinere  Gemmen,  von  denen  die  meisten  offenbar  ein 
byzantinisches  Gepräge  trag-en  und  ein  höheres  Alter  in  Anspruch  nehmen.  An  dem  obern 
Kopftheile  des  Kreuzes  zeigt  sich  eine  besondere  merkwürdige  ovale  Camee  in  einem  Durch- 
messer von  0.05  M.,  die  zugleich  auch  als  Verschluss  eines  kleinen  Reliquicnfächelchen  dient. 
In  einem  sehr  edlen  und  zarten  Styl,  der  offenliar  die  manuelle  Fertigkeit  eines  byzantinischen 
Steinschneiders  erkennen  lässt,  ist  Christus  am  Kreuze  dargestellt,  neben  ihm  Johannes  und 
Maria.  Sowohl  das  Suppedaneum,  auf  welchem  der  Heiland  in  griechischer  Weise  mehr  segnend 
Lind  regierend  am  Kreuze  steht,  als  auch  die  Drapirung-  der  Figuren,  desgleichen  die  beiden 
trauernden  Halbfiguren  zu  Häupten  des  Heilandes,  Sonne  und  Mond  repräsentirend,  wie  sie 
ihren  Schein  verlieren,  ebenso  der  Berg  Golgatha,  auf  dem  das  Kreuz  errichtet  ist  und  an 
dessen  Fuss  man  auf  allen  älteren  Darstellungen  den  Schädel  des  ersten  Adam  erblickt;  alle 
diese  Einzelheiten  bezeugen,  dass  dieses  Kunstwerk  griechischem  Kunstfleisse  zuzumessen  sei. 
Bei  näherer  Besichtigung  mit  der  Loupe  erkennt  man  auch,  wie  das  auf  allen  grieschischen 
Darstellungen  vorkömmt,  griechische  Inschriften  zu  beiden  Seiten  des  Gekreuzigten,  wodurch 
also  das  Herkommen  der  Camee  ausser  allem  Zweifel  gesetzt  wird.  Die  Lesuncr  dieser  Inschrif- 
ten  ist,  da  die  Buchstaben  nur  leise  eingeritzt  sind,  sehr  schwierig;  wir  glauben  jedoch  darin 
folgendes  gelesen  zu  haben:  im  Titel  des  Kreuzes  IS  X-;  über  dem  Querbalken  ■/;  KAYPQSIS; 
über  dem  Haupt  Marias  MHP  6EüY;  zur  Seite  des  andern  Bildes  lüANNES;  unten  am  Fuss  des 
Kj'euzes  auf  der  einen  Seite  T,   auf  der  andern  K.  Auf  dem  linken  Querbalken  des  Kreuzes  im 

*  Phosphorus  septicornis  etc.,  p.  443. 


30  Di:.   Fr.    Rock. 

Lilienaufsatz  zeigt  sich  wieder  im  Onyx  eine  andere  srrössere  Camee  in  ovaler  Form  mit  einem 
Durchmesser  von  0.065  M.,  darstellend  das  Standbild  des  Heilandes  und  Welterlösers,  wieder- 
kelirend  iu  seiner  Herrlichkeit  mit  segnender  Rechte;  die  linke  hält  das  geschriebene  Buch:  zu 
beiden  Seiten  des  geki-euzten  Nimbus  liest  man  das  bekannte  Hierogramm  111!  \^.  Nicht  nur 
allein  diese  Inschrift,  sondern  auch  die  Haltung  und  segnende  Rechte  des  Heilandes  iu  griechi- 
scher Weise  lässt  deutlich  den  byzantinischen  Ursprung  dieser  Camee  erkennen. 

Diesem  Steine  gegenüber  befindet  sich  im  Lilienornament  des  rechten  Kj-euzl)alkens  eine 
gleich  prachtvolle  Camee  im  Durchmesser  von  0.05S  M.,  die,  wie  es  scheinen  will,  das  Brustbild 
eines  römischen  Kaisers  im  griechischen  Typus  erkennen  lässt,  und  die  vielleicht  als  Büste  des 
grossen  Constantin  aufzufassen  ist.  Die  letztere  Ansicht  begründen  wir  auf  den  Umstand,  dass  auf 
dem  untern  Fusstheil  sich  eine  andere  Camee  befindet  von  kleinerem  Durchmesser  und  mit  einer 
sehr  edel  gehaltenen  Darstellung,  die  zu  beiden  Seiten  des  Nimbus  in  gothischen  Majuskeln  aus 
der  Zeit  Karls  IV.  die  abgekürzte  Lischiüft  zeigt:  Sancta  Helena.  Man  könnte  ungewiss  sein,  ob 
diese  beiden  sehr  edel  geschnittenen  Cameen  entweder  aus  der  classischen  Zeit  herrühren,  oder 
ob  es  Naciibildungen  von  italienischen  Küustleru,  Zeitgenossen  KaiTs  IV.,  seien. 

Auf  dem  unteren  Langbalken  prangt  auch  eine  schöne  Camee,  vorstellend  einen  römisch- 
deutschen Kaiser  in  vollem  Reichsornate,  sitzend  auf  einem  reichverzierten  Throne,  in  der  rechten 
Hand  tragend  das  Scepter  und  in  der  linken  die  Weltkugel  mit  dem  Ki"euz.  Aus  den  sehr  edel 
gehaltenen  körperlichen  Formen  und  den  schönen  Drapii'ungen  des  Gewandes  glauben  wir 
urtheilen  zu  sollen,  dass  diese  Camee  in  Italien  zur  Zeit  der  Hohenstaufen  gegen  Schluss  des 
XII.  Jahrhunderts  gearbeitet  wurde.  Über  dieser  Camee  befindet  sich  eine  andere  von  sehr 
schöner  Technik  und  mit  zwei  ausdrucksvollen,  fast  haut-relief  geschnittenen  Figuren,  die  eben- 
falls den  Kaiser  Constantin  und  seine  Mutter  Helena  veranschaulichen,  wie  sie  gemeinschaftlich 
das  Zeichen  der  Erlösung  tragen.  Diese  Camee  halten  wir  ftir  ein  lateinisches  Kunstwerk,  eben- 
falls aus  der  Zeit  der  Hohenstaufen. 

Ausser  diesen  genannten  Cameen  zeigt  uns  das  Kreuz  noch  drei  andere,  die  oftenbar 
wieder  der  Geschicklichkeit  von  griechischen  Künstlern  ihren  Ursprung  zu  verdanken  haben. 
Auf  dem  linken  Kreuzbalken  nämlich  befindet  sich  eine  ziemlich  grosse  Gemme  aus  einem  Sapliir, 
vorstellend  den  heil.  Michael  als  Standfigur,  mit  kriecherischem  Costüm  und  gezogenem  Schwerte. 
Zu  beiden  Seiten  des  Nimbus  liest  man  die  Worte  Ao/aYYi/.o;  M'./a7;Ä  in  Abkürzungen.  Gegen- 
über zeigt  sich  eine  zweite  Gemme,  ebenfalls  ein  Saphir,  der  in  Reliefdarstellung  heute  kaum 
mehr  zur  Hälfte  ersichtlich  ist.  Sie  ist  nämlich  durch  den  Gebrauch  bedeutend  abgegrifi"en  und 
lässt  nicht  erkennen,  ob  sie  eine  religiöse  oder  profane  Figur  vorstellt. 

Auf  dem  Kopn:>alken  befin  det  sich  unter  der  ei-wähnten  Camee  mit  der  Kreuzigung  noch 
eine  kleinere  im  Sechseck,  die  in  ziemlich  starkem  Relief,  aus  einem  Amethyst  geschnitten, 
darstellt  das  Brustbild  des  Heilandes,  abermals  mit  segnender  Rechte  (doch  in  lateinischer 
Weise)  und  dem  verschlossenen  Buch  in  der  Linken. 

Wie  diese  Cameen  zur  Genüge  beweisen,  und  wie  das  aus  einer  Menge  prachtvoller  Cameen 
hervorgeht,  die  sich  auf  grösseren  Reliquiarien  im  Domschatze  zu  Köln  und  Aachen  voi-finden, 
war  im  Mittelalter  die  von  den  Griechen  und  Römern  sehr  sreübte  Kunst  des  Steinschleifens  keine 
verlorene,  sondern  sie  wurde  sogar  mit  besonderer  Vorliebe  an  dem  prunkvollen  Hofe  von  Bvzanz 
von  Künstlern  geübt,  und  es  gewinnt  den  Anschein,  dass  viele  solcher  Edelsteine,  religiöse 
Personen  oder  Scenen  darstellend,  schon  vor  dem  X.  Jahrhundert  zur  Ausstattung  von  Reliquien- 
gefässen  etc.  in  Anwendung  gekommen  sind.  Es  scheint  so  ziemlich  festzustehen,  dass  sämmt- 
liche  Cameen,  die  zur  Ausschmückung  des  vorliegenden  Kreuzes  verwendet  wurden,  aus  dem 
Schatze  KaiTs  IV.  herrühren  und  dass  er  namentlich  die  Brustbilder  von  Constantin  und  Helena, 


Der  Schatz  von  St.  Veit  in  Pkag.  31 

im  Falle  sie  ans  dem  höchsten  Alterthum  herrühren,  was  wohl  nicht  zu  bezweifeln  steht,  nicht 
ohne  Absicht  an  dem  vorlien-enden  Kreuz  hat  anbringen  lassen. 

Es  initerlieo't  keinem  Zweifel ,  dass  Karl  diese  reiche  Goldfassuno'  als  hervorrao-endes 
Werthstück  zur  Ausstattung  der  von  ihm  erbauten  Kreuz-  oder  Allerheiligen-Capelle  hat  anferti- 
gen lassen,  die  in  dem  kolossalen  Hauptthurme  von  Karlstein  errichtet  worden  war.  Und  in  der 
That  ersieht  man  in  der  Stifts-  oder  Maria- Himmelfahrtskirche  auf  demselben  Schlosse  Karl 
den  IV.  auf  einem  grossen  Wandgemälde  dargestellt,  wie  er  beschäftigt  ist  die  erhaltene  Kreuz- 
partikel in  ein  vor  ihm  auf  dem  Altar  stehendes  goldenes  Reliquienkreuz  einzuschliessen,  das 
der  Form  nach  so  ziemlich  dem  vorliegenden  gleich  ist.  An  diesem  Ki-euze  prangt  auch  ein  im 
Dreieck  angelegter  Fuss  mit  drei  flankirenden  Fialen,  der  jedoch  in  den  Kriegsunruhen  der 
folgenden  Jahrhunderte  abhanden  gekommen  ist.  Der  jetzige  bewegliche  Fuss  hat  keinen  for- 
malen Werth,  wesshalb  wir  ihn  nicht  in  die  Zeichnung  aufgenommen  haben;  fast  unschön  im 
beginnenden  Renaissancestyl  soll  er  den  altern  Fuss  ersetzen  und  ist  wahrscheinlich  1.522 
auf  Befehl  Ludwig-s  any-efertigt  worden.  Bis  zum  Jahre  1645  befand  sich  dieses  Kreuz  mit 
noch  einem  kleineren,  das  Karl  IV,  von  Urban  V.  zum  Geschenk  erhielt,  in  der  heil.  Kreuz- 
Capelle  zu  Karlstein  unter  den  vielen  Reliquien,  die  er  allenthalben  gesammelt  hatte.  In  jenem 
Jahi'e  nämlich  wurden  sämmtliche  Reliquien  in  die  Wenzels-Capelle  nach  Prag  gebracht,  wodurch 
auch  unser  Kreuz  in  den  Schatz  von  St.  Veit  überging. 

Das  eben  beschriebene  Reliquienkreuz  gehörte  sammt  jenem  kleineren  (Fig.  17)  auch  zu 
dem  engeren  Kronschatz  von  Böhmen  '";  die  Anwesenheit  desselben  bei  der  jedesmaligen  Krönung 
der  böhmischen  Könige  war  essentialiter  nothwendig,  und  zwar  wurde  es  bei  dieser  feierlichen 
Handlung  auf  einem  besondern  Altar  exponirt. 

Grosseres  Reliquiar  io  Form  eioer  Giess-  oder  Triiikkaniie  (ainpulla,  tiaiiiula).  (Fig.  19.) 

Dieses  Gefäss  besteht  aus  drei  Theilen,  einem  reich  verzierten  Fussstück,  einem  kannen- 
förmigen  Krvstall  nebst  Handhabe  von  demselben  Material  und  endlich  einem  reich  grearbeiteten 
Deckel.  Der  Fuss  ist  im  Sechseck  angelegt  und  misst  in  seinem  grössten  Durchmesser  17  Ctm. 
Dieser  untere  Sockel  hat  in  der  Höhe  von  l'/,  Ctm.  eine  zierliche  Dui'chbrechung  in  Vierpass- 
form und  trägt  sodann  einen  zweiten  Sockel  von  13  Ctm.  Durchmesser.  Dieser  mit  derselben 
galerieförmigen  Durchbrechung  geziert,  dient  einem  dritten  und  letzten  Sockel  zur  Grundlage, 
der  ein  Zwölfeck  bildet.  Auf  der  Plattfläche  des  untei-n  vorstehenden  Sockels  erblickt  man  zu  jeder 
der  sechs  Seiten  je  fünf  in  grössere  Lectula  gefasste  ungeschliffene  Edelsteine,  unter  welchen  Sma- 
ragde, Saphire  und  Riibinen  und  andere  Halbedelsteine  abwechseln.  In  gleicher  Weise  schmücken 
den  zweiten  Sockel  auf  jeder  Seite  solche  Edelsteine  in  kräftiger  Fassung.  Die  durchbrochene 
Seite  mit  kleiner  Cameeverzierung  dient  als  Einfassung  für  den  Untertheil  des  Krystallcy linders, 
in  welchem  die  Reliquie  aufbewahrt  wird.  Dieses  Vas  crystallinum  ist  aus  einem  einzigen  Berg- 
krystall  gebildet  und  an  und  für  sich  ein  merkwürdiges  Stück,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  Bau- 
chung des  Gefässes  in  ihrem  grössten  Durchmesser  16  Ctm.  beträgt,  die  Höhe  ist  29  Ctm.  Die 
Handhabe  bildete  ursprünglich  mit  dem  Gefäss  ein  Ganzes;  später  durch  Fallen  wie  es  scheint 
abgebrochen,  hat  man  die  jetzige  unschöne  Verbindung  durch  Metallstreifen  hergestellt.  Der  in 
einem  Charnier  bewegliche  Deckel  hat  eine  kräftig  profilirte  Leistenwehr  mit  kleiner  Zinnen-Ver- 
zierung, hinter  der  man  einen  andern  im  Zwölfeck  gebildeten  Aufsatz  gewahrt,  den  ebenfalls  eine 
durchbrochene  Galerie  in  Vierpassform  schmückt.  Den  Abschluss  bildet  ein  ausgerundeter  flacher 

5  Wh  entuelimen   dies    auch   aus    einer  Urkunde   vom  Jabre    1575,    die    sich    im   Phosphorus   septicornis   etc.   pag.   420 
befindet. 


.32 


Dr.   Fit.   Bock. 


FiiC.   19. 


Deckel,  der  als  Spitze  eine  birnartige  von  einem  Blättorkekh  umschlos- 
sene faucht  trägt.  Das  seltene  gesclilitlene  Krystallgetass  eiitbält 
nach  Angabe  der  am  äusser.'^trn  Saum  bctindlichon  Inschrift  in  Minus- 
keln aus  der  Mitte  des  XI\'.  Jahrliund.  eine  Reliquie  ..de  mensale 
ihs  ehr."  Nach  der  ganzen  Anlage,  wie  den  Detailtbrmon  des  Ge- 
fässes  zu  nrtheilen,  stammt  dasselbe  aus  der  letzten  Hälfte  des 
XI\'.  Jahrhunderts  und  rührt  vielleicht  aus  dem  Nachlass  Karl's  IV. 
her,  der  bekanntlich  ein  grosser  Verehrer  und  Sammler  seltener 
Werthstücke  war.  Die  Reliquie  selbst,  der  frommen  Tradition  gemäss 
ein  Theil  des  Tischtuches  vom  letzten  Abendmal,  dessen  Ächthcit 
durch  schriftliche  Documente  gewährleistet  sein  soll,  zeigt  Spuren 
des  höchsten  Alterthums.  Es  ist,  der  Kette  nach  zu  urtheilen,  ein 
mittelfeiner  Byssus  von  weisslichem  Ton ,  der  streifenförmig 
mit  mehreren  Farben  durchwebt  ist.  Nach  Zwischenräumen  von 
5V2  Ctm.  folgen  breite  Streifen  von  ungefähr  6  Ctm. ,  die  in  der 
Glitte  von  einem  weissen  Bvssusstreifen  durchzogen  sind.  Zu  beiden 
Seiten  dieses  letztern  setzen  sich  V/.,  Ctm.  breite  violett-purpur- 
farbige Streifen  an,  die  nach  dem  äussern  Rand  von  schmalen 
gelben  Streifen  abgegrenzt  werden.  Die  gedachten  Streifen  sind 
durch  Einschlag  in  Seide  erzielt  worden. 
Das  Reliquinr  als  Schaugefäss  eingerichtet,  hat  die  Gestalt  der  Messkännchen,  wie  solche 
in  der  spät  romanischen  und  früh  gothischen  Epoche  gehalten  zu  werden  pflegten.  Nach  Form 
und  Material  bildet  dasselbe  ein  Seitenstück  zu  zwei  interessanten  Messkännchen,  welche  sich 
im  Schatze  der  St.  Lambertskirche  zu  Düsseldorf  erhalten  haben. 

Ein  pisener  Helm  mit  aiifgesdiweisstpii  Silber-Ornamenten.  (Fig.  20.) 

Höhe  etwas  über  17  Ctm.,  Breite  -li  Ctm. 

Dieser  Helm  rührt  einer  g-laubwürdioen  Tradition  zufolire,  von  dem  heil.  Herzog;'  Wen- 
zeslaus  her,  der  im  Jahre  938  durch  seinen  heidnischen  Bruder  Boleslaus  und  auf  Anstiften 
seiner  eisreneu  Mutter  Drao-omira  des  Glaubens  willen  ermordet  wurde  und  welcher  zu  den  Lan- 
despatronen  Böhmens  gezählt  wird.  In  demselben  Behälter  der  Capelle,  welche  von  Karl  I\'. 
dem  Andenken  dieses  Heiligen  geweiht  wurde,  befindet  sich  auch  ein  grösserer  Theil  jenes  eiser- 
nen Panzerhemdes,  das  der  Überlieferung  gemäss  der  heih  Wenzel  trug,  als  er,  im  Gebet  begrif- 
fen, den  tödtlichen  Streich  empfing.  Mit  diesem  einfachen  Panzerhemd  war  elieinals  ein  Panzer- 
kragen verbunden  zum  Schutz  des  Halses,  welcher  bloss  am  äussern  Rand  mit  einem  l)reiten 
Streifen  von  Golddräthen  panzerartig  geringelt  ist.  Derselbe  befindet  sich  heute  im  eigentlichen 
Domschatz.  —  Der  Helm  nun  ist  verfertigt  aus  gehämmertem  Eisen,  steigt  in  der  Haube  in 
ßogenform  an,  und  zeigt  an  dieser  Stelle  eine  markirte  geradlinige  Austiefung,  wodurch  er  in 
zwei  Theile  zerlegt  wird.  Diese  höchst  einfaclie  Kopfbedeckung,  welche  eben  (buch  ilire  Ein- 
fachheit und  charakteristische  Form  für  das  Jahrhundert  des  heil.  Wenzel  massgebend  ist,  wird 
bloss  unten  am  Rand  durch  ein  ebenso  einfaches  aufgenietetes  Ornament  in  Form  eines  Ringes 
verziert,  welches  vorn  gänzlich  fehlt.  Es  will  uns  scheinen,  dass  im  Lauf  der  Jahrhunderte  am 
vordem  Theile  eine  pia  fraus  von  Seiten  der  Verehrer  des  heil.  Wenzel  ist  begangen  worden. 
Auf  der  Rückseite  hingegen  findet  sich  ausserdem,  wie  die  Zeichnunof  veranschaulicht,  ein  zweites 
in  starken  Nägeln  mit  runden  Köpfen  aufgenietetes  Ornament,  das  ofi'enbar  den  Zweck  hat, 
Rücken  und  Hals  vor  Hieben  zu  schützen.  Dieses  Ornament  ist  sehr  charakteristisch  und  sclieiut 


Di;i:   Schatz  von   St.  Veit   in   Prag. 


33 


vom  heil.  Wenzel  nicht  ohne  Absicht 
angebracht  worden  zu  sein.  Es  zeigt 
nämlich  in  dunkler  Färbung  ein  Kreuz 
mit  fast  gleich  langen  Balken.  Der  obere 
Balken  wächst  spitz  zu  und  ist  hier  mit 
einem  Nietnagel  mit  rundem  Kopf  ver- 
sehen. Die  Querarme  sind  nach  oben  im 
Zickzack  ausg-esäg-t  und  an  den  Enden 
mit  srleichartiffen  Nägeln  aufgenietet. 
Der  untere  Balken  ist  ziemlich  breit 
gehalten  und  misst  an  der  breitesten 
Stelle  3  Ctm.  2  Mm.  Dieser  Balken  hat 
unten  noch  einen  hervorragenden  Stift, 
der  auf  eine  Verbindung  des  Helmes  mit 
dem  Panzer  an  dieser  Stelle  zu  deuten 
scheint.  Zu  der  Annahme,  dass  in  diesem 
freilich  schwerfälligen  Ornament  ein 
Kreuz  beabsichtigt  sei,  veranlasst  uns 
noch  der  Umstand,  dass  sich  in  etwas 
roher  und  unbeholfener  Weise  angedeu- 
tet, wie  es  scheint,  die  Darstellung  des 
Gekreuzigten  in  aufgeschweissten  Sil- 
berblechen gravirt  erkennen  litsst.  Fast 
sollte  man  glauben,  dass  die  Figur  des 
Heilands  absichtlich  in  ornamentaler 
Weise  und  mehr  symbolisch  angedeutet  vom  Verfertiger  wiedergegeben  worden  sei,  um  die 
Abneigung  der  noch  heidnischen  Umgebung  des  Herzogs  nicht  zu  reizen.  Indem  wir  diese  Dar- 
stellung in  getreuer  Zeichnung-  wiedergeben  ,  begnügen  wir  uns  ,  gedachte  Ansicht  blos  als 
Hypothese  hinzustellen,  zu  deren  Begründung  noch  dienen  mag,  dass  auch  unter  den  nordischen 
Alterthümern,  wie  sie  sich  in  Norwegen,  Schweden  und  Dänemark  finden,  ähnliche  mehr  orna- 
mentale und  versteckte  Darstellungen  des  Gekreuzigten  noch  häufig  vorkommen.  Charakteristisch 
ist  für  das  X.  Jahrhundert,  dem  wir  mit  Überzeugung  dieses  Werk  zusprechen,  die  Aufschweis- 
sung  des  Silbers  auf  Eisen,  wie  wir  das  in  Italien  an  Kirchthüren  in  Erzguss  von  byzantini- 
schen Künstlern  herrührend,  namentlich  aber  an  den  alten  Thüren  zu  Monte  Cassino  gefunden 
haben.  Auch  erinnert  diese  Technik  an  die  auf  ähnliche  Weise  in  vergoldetem  Kupfer  gearbeite- 
ten und  durch  Feuer  aufgeschweissten  Ornamente  der  Damascenerklingen ,  wie  sie  z.  B.  an  dem 
Schwerte  Karl's  des  Grossen  sich  finden,  welches  der  Tradition  nach  von  Harun  al  Raschid 
herrührt  und  heute  im  Kaiserschatz  zu  Wien  aufbewahrt  wird.  Auch  die  Bandverschlingnngen 
am  untern  Rand  des  Helms  verrathen  grosse  Verwandtschaft  mit  ähnlichen  im  X.  Jahrhundert 
gebräuchlichen  Verzierungen,  welche  schon  frühzeitig,  namentlich  in  normannischen  und  angel- 
sächsischen Miniaturen ,  in  vollständiger  Lostrennung  von  der  Antike  auftreten.  —  Dass  dieser 
Helm  mit  dem  Panzer  schon  in  alter  Zeit  als  vom  heil.  Wenzel  herstammend  in  hohen  Ehren 
gehalten  wurde,  bezeugen  die  Schatzverzeichnisse  aus  der  Zeit  Karl's  IV.,  welche  heute  noch 
in  dem  Archiv  von  St.  Veit  aufbewahrt  werden.  In  dem  altern  von  1354  heisst  es  unter  der 
rubrica  armorum:  „Item  cas«\ö  ferrea  sancti  Wenceslai"  und  „item  lorica  s.  Wenceslai". 


Fig.  20. 


XIV. 


34 


Dk.  Fk.  Bock. 


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*Si>S 


Schwert  des  heil.  Wenzel.  (Fig.  21  und  -22.) 

In  derselben  anspruchslosen 
Einfachheit  hat  das  eiserne  Zeit- 
alter des  heil.  Wenzel ,  wo  beim 
(.r.sten  Aiit'keimen  des  Christen- 
thunis  in  Bülimen  an  eine  selb- 
ständig entwickelte  Kunst  nicht 
zu  denken  war,  aucli  das  Schwert 
cles  grossen  böhmischen  Landes- 
j)atrons  gestaltet.  Griff  und  Klinge 
(Fig.  21)  sind  unzweifelhaft  echt. 
Der  Griff  ist  von  Eisen,  hat  die 
Krenzfumi  und  ist  mit  einem  Kry- 
stallknupf  von  polygoner  Schlei- 
fung versehen,  den  wahrscheinlich 
Karl  IV.  hinzufügen  Hess;  die  stoff- 
liche Uberkleidung-  des  eigrent- 
liehen  Griffes  ist  aus  neuerer  Zeit; 
die  Klinge  ist  ziemlich  breit  und 
mit  einer  stai-ken  Blutriuue  verse- 
hen. 

Nicht  vom  gleichen  Alter  ist 
die  Scheide.  In  den  Prager  Schatz- 
verzeichnissen der  Jahre  1354  und 
1387  wii-d  nocli  der  ur.sprüuglichen  mit  Perlen  und  edlem  Gestein  verzier- 
ten Vagina  Erwähnung  gethan.  Es  heisst  in  dem  älteren  Verzeichnisse:  Item 
gladius  cum  solemni  vagina  de  auro,  gemmis  et  perlis  facta  S.  Wenceslai, 
in  dem  kaum  zwanzig  Jahre  jüngeren:  Item  gladius  ipsius  Wenceslai  cum 
vagina,  quae  in  parte  inferiori  est  fracta,  gemmis  et  perlis  ornata.  Es  scheint 
somit,  dass  bald  dai'auf,  wahrscheinlich  in  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahr- 
hunderts die  ritterliche  Reliquie  des  böhmischen  Landespatrons,  statt  der  beschä- 
digten eine  neue  Bekleidung  erhielt,  die,  wenn  auch  zierlich  in  rothem  Sammt 
und  vergoldeter  Silbeifassung  (Fig.  22)  ausgefühi-t,  an  Pracht  der  fi-üheren 
sicherlich  zurücksteht  ^.  Dieses  Schwert  bildete  bis  zm*  Zeit,  als  die  böhmischen 
Köni<je  noch  zu  Prag  gekrönt  wurden,  einen  intesrrirenden  Theil  der  Krönungfs- 
insignien. 

6  Die  Scheide  erinnert  sehr  an  jenes  I'rachtschwert  aus  dem  Jalire  1499  des  ersten  Hochmeisters 
des  St.  Georgs-Ritterordens  Johann  Sicbenhirter  f  löOS,  das  sich  gegenwärtig  im  kärntnischen  Lan- 
desmuseum zu  Klagenfnrt  befindet. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Fig.  22. 


3d 


Die  Urform  der  römisehen  Basiliea. 


Vom  Fkanz  Kebee. 


(Mit  3  Holzschnitten.) 


J_Jie  römische  Architektur  ist  eine  Architektur  des  Innern.  Ihre  Innenentwicklung  ist  der  Römer 
eigenes  Product,  das  Äussere  ist  erborgte  Decoratiou,  hauptsächlich  den  Griechen  entlehnt, 
deren  Architektin*  sich  mehr  nach  aussen  entfaltet.  In  dieser  verschiedenen  Richtung-  lieert  das  für 
beide  Seiten  charakteristische:  weil  es  dem  Hellenen  in  erster  Linie  um  die  vollendete  äussere 
Erscheinung  zu  thun  war,  so  ist  seine  Architektur,  den  beiden  Schwesterkünsten  würdig  zur  Seite 
stehend,  mehr  Kunst,  während  die  römische,  weil  der  Römer  als  hauptsächliches  Ziel  den  Zweck 
und  nur  secundär  die  Schönheit  im  Auge  hatte,  mehr  Technik  ist;  der  hellenische  Architekt 
wollte  Monumente  schaffen,  der  römische  Räume. 

Es  wäre  ganz  unrichtig,  diese  Tendenz  den  Römern  erst  fttr  j  e  n  e  Zeit  zuzuschreiben,  in 
welcher  sie,  zur  Weltherrschaft  gelangt,  die  Fesseln  der  beschränkten  hellenischen  Dimensionen 
durchbrechen  mussten,  denn  die  raumgestaltende  Richtung  der  italischen  Architektur  im  Gegen- 
satze zur  hellenischen  lässt  sich  bis  in  die  fi'ühesten  Zeiten  hinauf  verfolgen.  Schon  von  vorn- 
herein zeigt  der  italische  Tempel  dieses  der  griechischen  Cultarchitektur  fremde  Streben  nach 
Innenentwicklung  und  Raumentfaltung.  Das  wesentliche  des  etrurischen  Tempels  in  Bezug  auf 
den  Plan  war  die  Zweitheilung  eines  fast  quadratischen  Oblongums  in  eine  vordere  und  hintere 
Hälfte,  so  dass  die  rückseitige  Abtheilung  desselben  der  Cella  oder  den  Gellen,  die  vorderseitige 
der  Säulenvorhalle  eingeräumt  wurde.  Derart  waren  auch  alle  älteren  Heiligthümer  Roms  bis 
zum  siebzehnten  Jahre  nach  der  Vertreibving  der  Könige,  in  welchem  zum  erstenmal  griechische 
Kunstleistungen  neben  den  etrurischen  daselbst  auftraten  (Plin.  XXXV.  12.  15-1  nach  Varro), 
und  wohl  noch  viele  Tempel  weiterhin,  wofür  der  fast  quadratische,  genau  in  zwei  Hälften,  die 
Vorhalle  mit  Treppe  und  die  Cella,  getheilte  Concordientempel  am  Clivus  Capitoliuus,  387  d.  St., 
von  Camillus  gelobt,  ein  Beispiel  darbietet. 

Der  wachsende  griechische  Einfluss  liess  jedoch  die  Römer  nicht  bei  den  geringen  Modi- 
ficationen  der  etrurischen  Anlage  stehen  bleiben,  welche  man  an  dem  Concordientempel  versucht 
sieht.  Der  nahezu  quadratische  Plan  musste  dem  entschiedenen  Oblongum,  wie  es  der  griechische 
Tempel  darbot,  Platz  machen.  Doch  konnte  man  sich  in  dem  lebhaften  Räumlichkeitsgefühl,  wie 
es  den  Römern  eigen  war,  nimmermehr  zu  dem  unverhältnissmässig  kleinen  Innenraum  der 
coi-ridorartigen  griechischen  Cella,  die  sich  zum  ganzen  Tempel  durchschnittlich  verhielt  wie  1  :  4, 

XIV.  6 


36  FuANZ   Keber. 

entschliesseii ;  mau  verschniälite  die  hellenische  Abtheihmof  in  ein  äusseres  Säulenhaus  und  in 
die  innere  Cella,  und  verblieb  bei  der  altitalischen  Disposition,  welche  die  vordere  Hälfte  dem 
Säulenhause,  die  hintere  der  Cella  zutheilte.  Was  man  noch  zup-estehen  konnte,  war,  dass  man 
die  Verhältnisse  etwas  verrückte,  d.  h.  zum  Vortheil  des  Tempel-Innern  nicht  genau  in  Hälften 
abtheilte,  ferner  dass  man  die  Anten  des  Naos  etwas  weiter  vortreten  Hess,  und  endlicli,  dass  man 
den  Peripteros  dem  Scheine  nach  iniitirte,  indem  man  die  Cella  mit  Halbsäulen  umg-ab,  welche 
dem  Naos  einige  Harmonie  mit  der  Säulenvorhalle,  und  seinen  kahlen  Wänden  mehr  architek- 
tonisches Leben  verliehen.  Mit  diesen  Zugeständnissen  aber  war  als  Prostylos  pseudoperipteros 
der  eigentlich  römische  Tempel  abgeschlossen,  der  durch  die  beregten  Eigenthümlichkeiten  der 
Disposition  charakteristisch  genug  sich  darstellt  und  als  ein  Medium  zwischen  dem  etrurischen 
und  dem  griechischen  Tempelplan  erscheint. 

Das  Forum  Romanum  allein  zeigt  unter  den  mehr  oder  weniger  erhaltenen  Ruinen  drei 
Tempel  der  Art,  den  Saturn-,  den  Vespasian-  und  den  Faustinentempel ;  auch  sonst  gehört  die 
Mehrzahl  der  erhaltensten  römischen  Tempel  dieser  Art  an,  wie  der  jetzt  als  Kirche  S.  Maria 
Egiziaca  dienende  Pseudoperipteros  am  Velabrum,  der  jetzt  in  die  Kirche  S.  Giorgio  verwandelte 
Tempel  neben  der  Rotunde  in  Tivoli,  der  merkwürdige  Tempel  von  Cori  mit  seinen  etrurisch- 
dorischen  Säulen,  der  köstliche  Pseudoperipteros  von  Nimes,  der  Tempel  von  Pola  u.  s.  w. 

Auch  an  den  Tempeln,  bei  welchen  man  in  späteren  Umbauten  oder  bei  besonders 
sumptuoser  Neuanlage  den  griechischen  Peripteros  in  volle  Anwendung  brachte,  so  dass  der 
Tempel  äusserlich  ungefähr  die  Gestalt  des  hellenischen  erlangte,  behielt  man  die  etwas  breitere 
geräumigere  Cella  bei,  wodurch  auch  hier  ein  saalartiger  Inneuraum  sich  in  Gegensatz  gegen 
den  corridorartigen  griechischen  stellte.  Dadurch  musste  immer  der  Säulenumgang  verliältniss- 
mässig  schmäler  als  in  einer  hellenischen  Anlage  werden,  die  Tempellänge  aber  gegen  die  Breite 
weniger  bedeixtend,  wenngleich  man  in  nationaler  Weise  auch  am  Peripteros  den  tieferen  Pronaos 
beibehielt,  der  nicht  minder  wie  die  kürzere  und  breitere  Cella  an  die  altitalische  Übung 
erinnerte. 

Sehr  geräumige  saalartige  Gellen  müssen  wir  namentlich  an  allen  den  Tempeln  voraus- 
setzen, in  denen  Senatssitzungen  gehalten  wurden,  wie,  um  nur  Erwähnungen  aus  der  republi- 
kanischen Zeit  zu  verzeichnen,  im  Apollotempel  vor  der  Porta  Carmentalis  (Liv.  XXXIV.  43  imd 
a.  a.  O.),  im  Tempel  der  Bellona  ebendaselbst  (Liv.  XXVL  21  u.  a.),  im  Castortempel  am  Forum 
Romanum  (Cic.  Verr.  L  49),  im  obengenannten  Concordientempel  (Cic.  Catil.  HL  9.  und  ander- 
wäi-ts),  im  Quirinustempel  (Liv.  IV.  21)  u.  s.  w. 

Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  ebenso  die  Curien,  die  als  Tempel  im  sacralen  Sinne  gel- 
tenden gewöhnlichen  Sitzungssäle  für  den  Senat  und  für  religiöse  Versammlungen,  in  der  Regel 
auch  architektonisch  tempelartig  und  nichts  anderes  als  eine  geräumige  Cella  waren.  Die  wenigen 
Notizen,  die  wir  über  das  Äussere  der  Curia  Hostilia  besitzen,  weisen  mit  Bestimmtheit  darauf 
hin.  Das  Ge1)äude  hatte  an  der  Fronte  eine  grössere  Freitreppe,  über  welche  Tarquinius  Super- 
bus den  Servius  TuUius  herabstiü'zt  (Liv.  I.  48,  Dionys.  IV.  38)  und  ein  Vestibulum  (Liv.  II.  48) 
d.  h.  einen  Pronaos,  der  hier  um  des  Zweckes  des  Gebäudes  willen  unter  jenem  Namen  erscheint. 
Dem  entsprechend  schildert  auch  Vitruv  V.  2  (3)  die  Curia,  und  wir  dürfen  wohl  annehmen,  dass 
seiner  Schildenmg  die  nach  der  Vertilgung  der  Ciu-ia  Hostilia  von  Cäsar  und  Augustus  neuge- 
baute Curia  Julia  am  Forum  Romanum  zu  Grunde  liege,  da  er  ja  ausdrücklicli  sagt,  dass  die 
Curia  am  Forum  gebaut  werden  solle,  wonach  ihm  die  Curia  des  Ponipeius  wie  die  der  Porticus 
Octa^'iäe  wenigstens  der  Localität  nach  abnorm  erscheinen  musste.  Dass  er  nur  und  wie  er  vom 
Innern  spricht,  lässt  wohl  voraussetzen,  er  habe  die  äussere  Tempelform  als  selbstverständlich 
betrachtet.   Das  Innere  aber  kann  nach  ihm  entweder  quadratisch  oder  oblong  sein,  wie  ja  an  den 


Die  Urform  dee  römischen  Basilica.  37 

Gellen  überhaupt,  und  so  hat  er  nichts  weiter  zu  bemerken,  als  dass  die  Höhe  namhafter  als  die 
Breite  sein,  dass  aber  in  halber  Wandhöhe  ein  stai'kes  Gesims  herumlaufen  soll,  welches  das  Ver- 
schlagen der  Stimme  in  die  Höhe  verhindern  sollte.  Wir  dürfen  indess  voraussetzen,  dass  die 
AkxTStik  nicht  der  einzige  Grund  für  eine  solche  architektonische  Auszierung  gewesen  sei,  denn 
die  hohen  kahlen  Wände  konnten  eine  derartige  Zweitheilung  durch  ein  Gesims,  das  dann  wieder 
Pilaster-  und  Lisenenbildung  im  nächsten  Gefolge  haben  musste,  nur  höchst  wünschenswerth 
machen,  wenn  nicht  grosse  historische  Gemälde  die  Längswände  schmückten,  wie  dies  in  der 
Curia  Hostilia  wenigstens  an  einer  Seite  der  Fall  war.    (Plin.  H.  N.  XXXV.  4,  22.) 

Ferner  ist  zweifellos,  dass  wenigstens  in  vielen  Fällen  die  Sitzungssäle  des  Senats  oder 
anderer  Corporationen  an  einem  Ende  eine  besondere  bauliche  Vorrichtung  besassen,  um  sowohl 
für  die  Aufstellung  eines  Weihebildes  als  für  das  Präsidiiim  und  dessen  Umgebung  einen  passen- 
den Raum  zu  gewähren.  Von  der  Curia  Hostilia  und  Julia  am  Forum  Romanum  wissen  wir  in 
dieser  Beziehung  allerdings  nichts ;  aber  vier  curienartige  Säle  am  Foi-um  zu  Pompeji  (drei  neben- 
einander die  westliche  Schmalseite  bildend,  während  sich  die  vierte  grössere  an  der  südlichen 
Langseite  des  Forums  belindet)  zeigen  halbkreisförmige  Ausbaue  und  dürften  diese,  wenn  auch 
nicht  geradezu  für  Curien,  da  sich  diese  Bezeichnung  nicht  für  die  vier  Säle  sichern  lässt,  so 
doch  für  öUentliche  Saalbauten  am  Forum  verbüi-gen  (vgl.  Ov  erb  eck,  Pompeii  2.  Ausg.,  Bd.  I, 
S.  120  und  126).  Ja  noch  mehr,  ein  halbkreisförmiger  Saal  allein  (Exedra)  erscheint  unter  dem 
Namen  Curia.  Dies  ist  bestimmt  der  Fall  mit  der  als  Schauplatz  der  Ermordung  Cäsars  berühmt 
gewordenen  Curia  des  Pompeius,  welche  von  Plutarch  (Brut.  14,  17)  als  eine  mit  einem  der  Säulen- 
gänge hinter  dem  Theater  des  Pompeius  in  Verbindung  stehende  Exedra,  von  Sueton  dagegen 
ausdrücklich  als  Curia  bezeichnet  wird  (Caes.  80,  SS).  Die  Säulengänge  hinter  dem  Pompeius- 
theater  waren  nämlich  von  der  Gattung  der  Porticus  absidatae,  wie  sie  das  Regionenverzeichniss 
(Curiosum  Urbis  Romae)  in  der  vierten  Region  nennt,  wie  sie  die  auf  das  Pompeiustheater  und 
auf  die  Porticus  Liviae  bezüglichen  capitolinischen  Planfragmente  deutlich  zeigen  und  wie  sie 
aus  der  Beschreibung  der  porticus  regiae  von  Constantinopel  (Urlichs,  die  Apsis  der  alten  Basi- 
liken. Greifswald  1847,  S.  10)  zu  entnehmen  sind,  d.  h.  Säuleugänge  mit  einseitiger  Säulenreihe 
deren  anderseitige  Parallelwand  von  verschiedenförmigen,  mehr  oder  weniger  geschlossenen  Aus- 
weitungen ,  corridorartigen  ,  saalartig  oblongen  und  hemicyklischeu  Räumen  für  verschiedene 
öftentliche  Zwecke  ixnterbrochen  wird.  Möglicherweise  war  auch  die  Curia  in  der  Portieus  der 
Octavia  (Plin.  XXXVL  5.  28)  ebenso  wie  die  pompeische  eine  Exedra,  wenigstens  zeigt  das 
capitolinische  Planfragment,  weichet;  diese  Porticus  fast  vollständig  wiedergibt,  einen  hemi- 
cyklischeu mit  dem  Scheitel  an  die  Rückwand  der  beiden  Tempel  gelehnten  Saal  (vgl.  meine 
Ruinen  Roms  S.  213  Abb.  20).  Doch  möchte  ich  mich  hierüber  bei  der  Unklarheit  der  Notizen 
des  Plinius  über  den  Complex  der  Porticus  Octaviäe  nicht  bestimmt  entscheiden.  Aus  dem  Um- 
stände aber,  dass  einige  Curien  —  oder  wenn  wir  ganz  sicher  gehen  wollen,  bestimmt  eine  —  die 
Gestalt  einer  Exedra  hatten,  erklärt  sich  wie  die  hemicyklische  Apsidenausweitung  einer  Basilica 
im  übertragenen  Sinne  unter  dem  Namen  „Curia"  erscheinen  kann,  wenn  anders  wirklich,  wie 
Messmer  (Über  den  Ursprung,  die  Entwickeluug  und  Bedeutung  der  Basilica  in  der  christlichen 
Baukunst,  Lpz.  1854,  S.  27)  durch  andere  Gründe  wahrscheinlich  gemacht  hat,  die  curia  basilicae 
laiTt  einer  lusclmft  bei  Gruter  (L  p.  444.  2)  mit  apsis  basilicae  zu  identiticiren  ist. 

Mit  solchen  Versammlungssälen  war  aber  nur  für  einen  kleinen  Bruchtheil  des  römischen 
Volkes  gesorgt.  Zunächst  konnte  bei  der  ganz  unbeschränkten  Öffentlichkeit  der  Volksversamm- 
lungen nicht  daran  gedacht  werden,  diese  unter  Dach  und  Fach  vorzunehmen,  und  so  kam  es  auch 
in  der  That  während  der  Republik  nicht  zur  Herstellung  eines  Gebäudes  für  solche  politische 
Zwecke;  und  wenn  auch  im  Anfang  der  Kaiserzeit  eine  bedeutende  Bauanlage  (die  Septa  Julia) 

6* 


38  Feanz  Eeber. 

hiefür  entstand,  so  ist  doch  sehr  fi-aglich.  ob  der  Hoiiptraum  derselben  bedeckt  war.  «-ährend  es 
ffemss  ist,  dass  ienes  Gebäude  bald  nach  seiner  Vollendung  seinen  ursprünglichen  Zweck  verlor 
und  seiner  neuen  Bestimmung  als  Bazar  nur  in  sehr  namhafter  Reduction  des  ehemaligen  Unitangs 
entsprach.  "Weit  dringlicher  und  leichter  ausführbar  musste  eine  bauliche  Vorsorge  für  die  Gerichts- 
verhandlungen und  für  den  geschäftlichen  Verkehr  erscheinen,  wofür  lauge  Zeit  das  Forum  der 
Raum  war.  Zwei  Umstände  nämlich  machten  diesen  letzteren  mehr  und  mehr  unzulänglich :  einer- 
seits die  sich  steigernde  Neigung  der  Römer  flu-  imposante  gemeinnützige  Anlagen  und  öffent- 
lichen Comfort  verbunden  mit  der  unaufhaltsam  erwachenden  Verweichlichung,  welche  das 
Geschäftsleben  im  Freien  immer  unerträglicher  erscheinen  Hess,  anderseits  das  mit  der  zuneh- 
menden Bevölkerung  wachsende  Gedränge.  Diesen  beiden  Umständen  konnte  durch  eine  geschützte 
und  o-edeckte  Erweiterung  des  Forums  Rechnung  getragen  werden,  und  eine  solche  ist 
daher  auch  als  die  Grundidee  und  als  das  Wesen  der  römischen  Basilica  zu  betrach- 
ten. Ob  und  in  wie  fern  schon  die  König-shalle  von  Athen  oder  andere  hellenische  Gebäude 
der  Art,  von  welchen  doch  zweifellos  Anregung  und  Namen  für  die  römischen  Basiliken  ausging, 
auf  einer  ähnlichen  Idee  beruhten,  können  wir  bei  den  dürftigen  Notizen  darü1)er  nicht  beiu-theilen  : 
doch  sind  alle  Mittel  vorhanden,  uns  erkennen  zu  lassen,  dass  die  römische  Basilica  von  dem 
Forum,  das  nach  Vitruv's  Schilderung  (V.  1)  im  allgemeinen  aus  einem  von  zweistöckigen  Por- 
ticus  umgebenen  oblongen  Mitteh'aiun  bestand,  hauptsächlich  nur  dadiu'ch  sich  unterscheidet, 
dass  dieser  Mittelraum  bedeckt  war.  wonach  die  Basilica  selbst  als  nichts  anderes  denn  als  ein 
kleines  gedecktes  Nebenfortim  zu  betrachten  ist.  Als  eine  solche  Erweiterung  des  Forums 
bezeichnet  sie  auch  schon  das  Alterthum,  wie  Cicero  (ad  Att.  IV.  16)  das  Motiv  der  Erbauung  der 
Basiliken  mit  den  klaren  Worten  gibt:  _itt  ampliaretur  forum". 

Dieser  merkwürdige  8aalbau.  die  Basilica,  hat  dm-ch  seine  hohe  Wichtigkeit  und  unendliche 
Folge  schon  eine  sein-  ansehnliche  Literatm-  hervorgerufen  und,  von  älteren  Studien  wie  zer- 
streuten kiu-zen  Notizen  und  Besprechungen  abgesehen,  liegen  eingehendere  Abhandlungen  von 
Kugler  (1842),  Bunsen  (1842),  Zestermann  (1847).  Ulrichs  (1847),  Kreuser  (1851), 
v.  Quast  (1853),  Messmer  (1854  und  1859),  Weingärtner  (1858)  und  0.  Mothes  (1865) 
darüber  vor.  Die  Mehrzahl  dieser  Arbeiten  ist  jedoch  der  christlichen  Basilica  zugewandt,  die 
vorchi-istliche  findet  niu-  bei  Zestermann  (Die  antiken  und  christlichen  Basiliken,  Lpz.  1847)  eine 
zwar  o-ründliche,  reichhaltige  und  höchst  verdienstvolle,  aber  nicht  auch  die  neuen  Resultate  der 
Ausgrabungen  und  der  Topographie  Roms  vollkommen  würdigende  Behandlung.  Wenn  daher 
Mothes  (die  Basilikenfoinn  bei  den  Clu-isten  der  ersten  Jahrhunderte,  ihi-e  Vorbilder  und  ihre  Ent- 
wicklung, Lpz.  1865,  S.  83)  glaubt  „über  Form  imd  Ursprung  der  heidnisch-römischen  Basiliken 
sei  schon  genug  geschrieben  worden",  so  scheint  er  zu  übersehen,  dass  zwar  die  vitrmaschen  und 
einige  Basiliken  der  Kaiserzeit  ausreichend  befriedigend  behandelt  worden  sind,  dass  aber  nicht 
ein  gleiches  von  den  Basiliken  der  Republik  gesagt  werden  kann.  Ja  die  Hauptfrage  ist  noch 
ganz  unberülu't:  wie  haben  wir  uns  die  ersten  römischen  Basiliken  und  besonders  die  Mutter  aller 
anderen,  die  Porcia.  zu  denken?  wie  war  die  basilicale  Urform? 

Als  man  begann,  der  Basilica  ^vissenscllaftliche  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  bildete  man 
sich  aus  der  Gestalt  der  christlichen  Basilica  auch  den  Begriff  der  vorchristlichen  und  dachte  sich  die- 
selbe: 1.  als  einen  oblongen  Saal,  2.  nach  aussen  durch  Wände  abgeschlossen  und  3.  innen  durch 
Säuleureihen  der  Länge  nach  in  drei  oder  ftinf  parallele  Schiffe  getheilt.  von  welchen  das  mittlere 
von  grösserer  Breite  und  in  ganzer  Höhe  ununterbrochen,  die  Seitenschiffe  aber  manchmal  in  zwei 
Stockwerke  gegliedert  waren;  man  dachte  sich  ferner  4.  die  eine  Schmalseite  die  Fronte  bildend, 
5.  die  andere  dagegen  in  eine  halbktxp])elförmig  übei-wölbte  Apsis  ausgebaucht,  6.  alles  übrige  durch 
Balkenlage   horizontal  gedeckt,    und    das    Mittelschiff  in  Giebelform,    die  Seitenschiffe  pultartig 


Die  UnFORM  der  römischen  Basilica.  ö9 

bedacht,  eudlich   7.  das  Mittelschiff  durch  namhafte  auf  die  Säulen  gestellte  und  von  Fenstern 
durchbrochene  Oberwände  über  die  Seitenschiffe  emporragend. 

Man  applicirte  nun  diese  von  den  christlichen  Basiliken  geschöpfte  Vorstellung  auf  die 
allmählig  gründlicher  zur  Kenntniss  kommenden  Riiinen  und  die  mit  mehr  kritischer  Strenge 
behandelten  Beschreibungen  von  heidnisch-römischen  Basiliken  und  ward  durch  das  Vergleichs- 
ergebniss  nicht  wenig  betroffen.  Dennder  Vergleich  zeigt  sofort,  dass  —  einen  grösseren  gedeckten 
Mittelraum  ausgenommen  —  keines  von  den  angeführten  Merkmalen,  w^ie  sie  vereint  fast 
alle  christlichen  Basiliken  charakterisiren,  sich  an  allen  bisher  bekannten  heidnisch-römischen 
findet.  Man  ziehe  nur,  um  sich  davon  zu  überzeugen,  jene  sieben  vorchristlichen  Basiliken,  welche 
die  gesichertsten  und  in  ihrem  Plane  genauer  bekannt  sind,  nämlich  die  Julia,  die  Normalbasilica 
des  Vitruv,  dessen  Basilica  zu  Fanum,  die  Basiliken  von  Otricoli  und  Pompeji,  die  Ulpia  und  die 
Constantiniana  in  Betracht  und  der  Zusammenhang  ihrer  Gestalt  mit  dem  Typus  der  christ- 
lichen wird  auf  ein  Minimum  zusammenschwinden. 

Denn  selbst  das  Oblongum,  so  wenig  bezeichnend  auch  dieses  in  obiger  Aufzählung  an 
erster  Stelle  erwähnte  Merkmal ,  das  ja  die  meisten  Saalbauten  aller  Welt  bis  auf  unsere  Zeit 
haben,  an  sich  ist,  erscheint  an  der  Basilica  von  Otricoli  nicht  angewandt.  Es  ist  zwar  die  Identi- 
fizirung  der  Saalruine  von  Otricoli  mit  einer  Basilica  bestritten  worden  (Zestermann  a.  a.  0. 
S.  114),  doch  dürfte  Zestermann  dadurch,  dass  er  aus  einem  Raum  von  etwa  10  Meter  Länge  und 
Breite  eine  unbedeckte  Spazierporticus  machte,  der  Wahrheit  nicht  näher  gerückt  sein,  wie  dies 
schon  Mothes  (a,  a.  0.  S.  82)  bemerkte.  Demjenigen,  w^elcher  sich  aus  den  zweifellosen  Denk- 
mälern überzeugt  hat,  dass  in  der  Fortentwicklung  der  heidnisch-römischen  Basilica  die  grösste  Frei- 
heit herrschte,  bleibt  das  Gebäude  von  Otricoli  noch  immer  am  wahrscheinlichsten  eine  Basilica. 

Dem  zweitangegebenen  Merkmale  des  Wandabschlusses  ringsum  widerspricht  die  grössten- 
theils  aufgedeckte  Basilica  Julia ,  deren  äussere  Umfassung  ringsum  durch  Pfeilerarcaden 
geöffiiet  war. 

Die  Gliederung  des  Innern  durch  Säulenreihen,  das  drittgenanute  Charakteristicum,  fehlt  an 
der  Basilica  Julia  und  an  der  Constantiniana,  indem  bei  der  ersten  Pfeilerarcaden  den  Mittelraum 
wie  das  Ganze  umschlossen,  während  bei  der  letzten  gewaltige  Pfeilerwände,  an  welche  sich  vier 
Säulen  mehr  decorativ  anlehnten,  die  Tonnengewölbe  der  Seitenschiffe  und  die  Kreuzgewölbe  des 
Mittelschiffes  stützten.  Wenn  Mothes  (a.  a.  0.  S.  82)  an  der  Julia  innen  Säulenreihen  angibt,  so 
ist  das  ganz  gegen  den  Befund  der  Ausgrabungen,  welcher  mit  einem  bis  auf  das  erhaltene 
Paviment  genauen  Plane  bei  C.  Ravioli,  Ragionamento  del  foro  Romano,  G.  Montiroli,  Osser- 
vazioni  sulla  parte  meridionale  del  foro  Romano,  Roma  1857,  sich  dargelegt  findet.  Ferner  zeigt 
sich  auch  an  keiner  römischen  Säulenbasilica  unter  den  genannten  eine  eigentliche  Abtheilung  in 
Schifl'e,  wie  an  der  christlichen,  indem  der  Mittelraum  nicht  blos  in  der  Längsrichtung  Seiten- 
schiffe neben  sich  hat,  sondern  stets  von  Nebenräumeu  auf  allen  vier  Seiten  umzogen  ist. 

Was  dann  das  vierte  Merkmal  der  christlichen  Basilica,  die  Fronte  an  einer  Schmalseite 
betrifft,  so  findet  sich  dies  nur  an  einer  der  sieben  genannten  antiken,  nämlich  an  der  von  Pom- 
peji. Das  quadratische  Gebäude  von  Otricoli  kann  hier  nicht  in  Betracht  kommen,  da  bei  diesem 
weder  von  Lang-  noch  von  Schmalseite  die  Rede  sein  kann:  die  fünf  anderen  aber  haben  ihre 
Fronte  und  ihren  Haupteingang  an  einer  Langseite,  nur  die  Constantiniana,  welche  überhaupt 
baulich  beide  Richtungen  nach  der  Länge  und  nach  der  Breite  verquickt,  zeigt  sie  ebenso  an 
einer  Langseite  wie  an  einer  Breitseite. 

Das  fünfte  Merkmal,  eine  halbkreisförmige  vermittelst  eines  Halbkuppelgewölbes  sich  an  den 
Hauptraum  anschliessende  Ausbeugung  (die  Apsis)  an  der  der  Eingangseite  gegenüberliegenden 
Schmalseite,  findet  sich  an  keinem  der  sieben  genannten  Denkmäler  in  der  Weise  der  christlichen 


40  Franz  Rebeb. 

Basilikeu.  Gai-  keinen  apsidenartig  gesonderten  Raum  hatten  die  Basilica  Julia  und  die  von  Vitruv 
o-esclüldeite  Kormalbasilica  (wenigstens  erwähnt  sie  Vitruv  trotz  ihrer  Wichtigkeit  fiii-  den  Plan 
in  der  Planbeschreibung  nicht,  was  er  doch  als  angeblich  selbstverständlich  um  so  weniger  unter- 
lassen konnte,  als  er  ja  aus  seiner  Zeit  ein  Gebäude  der  Alt  ohne  Apsis  in  der  Basilica  Julia 
kennen  musste).  Einen  eingebauten  rechteckigen  Tribunalraum  (somit  auch  noch  keine  Apsis  im 
eio-entlichen  Sinne)  an  der  dem  Eingang  gegenüberliegenden  Schmalseite  zeigt  die  Basilica  von 
Pompeji.  Eine  Apsis  findet  sich  am  Gebäude  zu  Oti-icoH,  jedoch  da  dieses  quadi-atisch,  so  fällt 
die  Unterscheidimg  von  Laug-  und  Schmalseite  weg  wie  bei  der  Frage  nach  der  Fronte.  Eine  apsi- 
denaiti^e  Ausbeugung  an  einer  Langseite  hatte  die  von  Vitruv  gebaute  und  besclu-iebene  Basilica 
von  Fanum.  doch  war  hier  die  Apsis  nicht  als  Halbkuppelbau  wirklich  ausgeftihit,  sondern  da 
das  Tribunal  mit  dem  angebauten  Aiigustu Stempel  in  offener  Verbindung  stand,  nm-  in  dem 
Tribimalausschuitt  angedeutet.  Die  Basilica  Ulpia  ferner  hatte  wahi-scheinlich  zwei  Exedi-en  imd 
zwar  an  jeder  Schmalseite  eine,  ich  nenne  sie  nicht  Apsiden,  denn  sie  gehen,  wie  dies  schon 
Zestermann  bemerkt,  über  den  Begriff  derselben  hinaus  und  werden  zu  besonderen  hemicykli- 
schen  Sälen,  welche  einerseits  von  dem  übrigen  Raum  der  Basilica  durch  die  doppelte  Säulen- 
reihe so  ziemlich  abgeschlossen  werden,  anderseits  aber  so  gross  sind,  dass  sie  nicht  blos  für  das 
Tribunal  dienen  konnten,  sondern  den  ganzen  Gerichtshof  mit  allen  Betheiligten  umfassten.  Zwei 
wirkliche  Apsiden  aber  zeigt  die  Basilica  des  Constautin  und  zwar  die  eine  an  einer  Langseite, 
die  andere  an  einer  Schmalseite.  Es  kömmt  sonach  an  den  sieben  antiken  Basiliken,  die  uns 
wissenschaftlich  sicher  zu  Gebote  stehen,  in  Bezug  auf  die  Apsiden  mit  Ausschluss  der  Ai-t  und 
Weise,  wie  sie  die  christliche  charakterisirt,  fast  alles  mögliche  vor.  nämlich  keine  Apsis  (Julia, 
!Nonnalbasilica  des  Viti-nv).  eine,  einmal  an  der  Schmalseite  (Pompeji),  ein  zweifesmal  an  der 
Laugseite  (Fanum)  —  in  keinem  Falle  aber  als  Apsiden  im  eigentlichen  Sinne  durchgebildet  — .  ein 
di-ittesmal  an  einer  indifferenten  Seite  (Otricoli) ,  tmd  endlich  zwei  Apsiden,  einmal  au  beiden 
Schmalseiten  und  da  als  besondere  hemicyklische  Säle  auftretend  (Ulpia),  das  anderemal  an 
einer  Schmalseite  und  an  einer  Langseite  (Constantiniana). 

Das  sechste  Merkmal  der  clu-istlichen  Basilica,  die  horizontale  Holzbedeckung  ist  wahr- 
scheinlich wenigstens  an  den  Seitenschiffen  der  Basilica  Julia  nicht  anzunehmen,  wo  die  Pfeiler- 
arcaden  des  Erdgeschosses  in  der  Art  der  Theater  inid  Amphitheater  oder  in  nächster  Analogie 
nach  der  Ai't  des  geradlinigen  Ai'cadeucorridors  des  Tabularium  am  Capitolinxis  Gewölbe  getragen 
haben  werden.  Die  Basilica  des  Constautin  aber  war  durchaus  überwölbt  und  zwai-  dm-ch  sechs 
Tonneno-ewölbe  in  den  Seitenschiffen,  von  welchen  di-ei  noch  fast  vollkommen  erhalten  sind,  und 
in  riesigen  di-ei  Kreuzgewölben  im  Mittelschiff,  deren  Ansätze  noch  deutlich  sichtbar  sind. 

Was  endlich  das  siebente  Merkmal  der  christlichen  Basilica,  die  Überhöhung  des  Mittel- 
schiffes betrifft,  so  finde  ich  dies  nm*  an  zwei  von  den  sieben  genannten  Protanbasiliken,  nämlich 
an  der  Basilica  von  Fanum  und  an  der  des  Constautin  gesichert.  Von  drei  andei-en  (Julia.  Ulpia, 
Otricolensis)  erlaubt  der  Befund  der  Ruinen  schlechterdings  nichts  anderes  als  Verniuthungen, 
ebenso  von  der  Basilica  von  Pompeji,  von  welcher  wir  nicht  so  leicht  wie  Mothes  (a.  a.  0.  S.  80) 
aus  dem  Umstände,  dass  man  Stirnziegel  im  Lmeni  fand,  die  Überzeugung  schöpfen  können, 
_dass  der  Mittelraum  jedenfalls  höher  hinaufgeführt  war  und  über  den  flachen  Dächern  der  Seiten- 
schiffe Seitenfenster  hatte".  Von  der  Normalbasilica  des  Vitruv  aber  macht  es  das  gänzliche 
Schweigen  des  Autors  bezüglich  der  Überhöhung .  obwohl  imd  weil  sonst  die  Lmenanlage 
ziemlich  vollständig  beschrieben  ist,  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  wir  keine  solche  annehmen 
dm-fen,  wenn  wir  nicht  rein  willkürliches  in  den  Text  hineintragen  wollen.  Ich  werde  übrigens 
zeigen  können,  dass  auch  die  zwei  ältesten  Basiliken,  die  Porcia  und  die  Aniilia.  keine  Überhöhung 
des  Mittelschiffes  gehabt  haben. 


Die  Urform  der  römischen  Basilica.  41 

Sind  auch  diese  Vergleiche  bisher  noch  nicht  so  weit  durchgeführt  worden,  indem  man  der 
Eigenthümlichkeiten  der  antiken  Basiliken  vor  einigen  entscheidenden  Entdeckungen  durch  Aus- 
grabungen, vor  näherer  Bestimmung  und  endlich  aus  ungenügender  Würdigung  der  Sprache  der 
Ruinen  noch  nicht  ausreichend  mächtig  war,  so  konnte  es  doch  nicht  fehlen,  dass  durch  die  grosse 
Dissonanz  der  Gedanke  erweckt  wurde,  die  christliche  und  antike  Basilica  ständen  in  gar  keinem 
Zusammenhange,  welchen  auch  Zestermann  ausführlich  zu  begründen  unternahm.  Dagegen  suchte 
Messmer  (Über  den  Ursprung,  die  Entwickelung  und  Bedeutung  der  Basilica  in  der  christlichen 
Baukunst,  Lpz.  1854)  die  Anknüpfungspunkte  zwischen  den  beiden  Gebäudearten  wieder  hervor, 
indem  er  mit  Recht  daran  fest  hielt,  dass  die  gleichen  Namen  auf  einen  inneren  Zusammenhang 
zwischen  den  Gebäuden  hindeuteten.  Es  gelang  ihm  auch,  einzelne  Ansichten  Zestermann's  zu 
berichtigen,  nocli  nicht  aber  in  dieser  ersten  Abhandlung  jenen  völligen  Mangel  an  Congruenz 
zwischen  der  christlichen  und  Profanbasilica  zu  erklären,  wozu  erst  seine  spätere  glückliche  Ent- 
deckung den  Schlüssel  liefern  sollte. 

Es  war  nämlich  weder  mit  dem  Verwerfen  alles  Zusammenhangs,  noch  mit  dem  versuchten 
Nachweis  eines  directen  zwischen  den  bekannten  antiken  und  den  christlichen  Basiliken  das  Rich- 
tige getroffen.  Die  antike  Basilica  war  bis  dahin  einseitig  behandelt  worden,  indem  man  nur  die 
forensische  in  Frage  zog.  Zestermann  hatte  zwar  schon  verschiedene  Arten  unterschieden,  die 
forensische,  die  Spazierbasilica,  die  Privat-  oder  Palastbasilica  und  die  Weinbasilica ;  auch  Pelz- 
händler- und  Wechslerbasiliken  (Youvdcptrji  in  Constantinopel  und  argentaria  in  Rom)  wurden 
beigebracht,  allein  von  einer  näheren  Charakterisirung  derselben  glaubte  man  absehen  zu  dürfen. 
Als  wirkliche  Gattungen  scheinen  auch  von  allen  diesen  nur  zwei  bestehen  zu  können,  die  öffent- 
lichen und  die  privaten  Basiliken.  Dass  die  Weinbasilica  auf  einem  Missverständniss  der  von 
Zestermann  dafür  beigebrachten  Stelle  des  Palladius  Rutilius  I.  18  beruhe,  hat  schon  Brunn  in 
einer  Besprechung  des  Zestermann'schen  Werkes  (Kunstblatt  1848  Nr.  19,  April)  bemerkt.  Auch 
die  sogenannten  Spazierbasiliken  sind  nichts  anderes  als  dieselben  Verkehi'ssäle,  als  welche  wir 
uns  alle  öffentlichen  Basiliken  zu  denken  haben ,  und  deren  man  an  verschiedenen  Plätzen, 
namentlich  in  der  Nachbarschaft  starkbesuchter  Örtlichkeiten  ebenso  sehr  bedurfte,  wie  noch 
heutzutage  in  grossen  Städten  der  Verkehr  sich  nicht  auf  einen  Platz  oder  einen  Bazar  zu 
beschränken  pflegt.  Sie  enthielten  ohne  Zweifel  Buden  und  empfingen  die  Käufer  und 
Verkäufer,  dienten  als  Bestellplätze  für  Unterredungen  jeder  Art,  wie  einst  die  ihnen  so  ver- 
wandten Fora,  und  dass  in  diesen  vermeintlichen  Luxusbasiliken  auch  öffentliche  Verhandlungen 
gepflogen  werden  konnten,  dürfte  so  lange  nicht  in  Abrede  zu  stellen  sein,  als  sich  nicht  erweisen 
lässt,  dass  alle  Gerichte  an  bestimmte  Basiliken  gebunden  waren.  Denn  wollte  man  behaupten, 
dass  diese  in  Rom  auf  die  Basiliken  des  Forum  Romauum  beschränkt  waren ,  so  müsste  man 
selbst  die  herrliche  Ulpia  zu  einer  Spazierbasilica  degradireia.  Zestermann  selbst  aber  erklärt  den 
Verkehr  als  den  hauptsächlichsten  Zweck  der  Basiliken,  wozu  die  Gerichtsverhandlungen  als  eine 
gelegentliche  Nebensache  kämen,  was  auch  wenigstens  in  der  Kaiserzeit  seine  volle  Richtigkeit 
zu  haben  scheint,  indem  bei  den  sich  mehrenden  Gebäuden  der  Art  allmählig  das  Übergewicht 
von  den  Gerichtszwecken  auf  die  des  Verkehrs  überging.  Abgesehen  von  alle  dem  ist  mir  die 
Vorstellung  von  Spaziersälen  überhaupt  unzugänglich:  diesem  Zwecke  dienten  die  Portiken,  deren 
es  in  Rom  genug  gab,  und  wenn  auch  Spaziergänger  die  Basiliken  wie  die  Foren  besuchten,  so 
wird  man  so  wenig  für  sie  allein  Basiliken  gebaut  haben,  wie  man  Fora  für  Müssiggänger  anlegte. 
Auch  die  Pelzhändler-  und  die  Wechslerbasiliken  sind  nicht  als  besondere  Arten  zu  betrachten, 
sondern  wie  sich  noch  jetzt  in  grossen  Städten  gewisse  Handelsartikel  an  einzelnen  Plätzen  und 
in  einigen  Bazai-s  concentriren,  z.  B.  Seide  oder  Spezereien  in  den  Hauptstädten  des  Orients, 
oder  Bijouterie  im  Bazar  des  Palais  Royal  in  Paris,  so  werden  auch  in  diesen  Basiliken  vor- 


42  Fkasz  Reber. 

wieo-end  die  Haiulelsgescliätte  in  jenen  Artikeln  vertreten  gewesen  sein  und  den  Räumen  nacb- 
ti-äo-licli  die  entsprechenden  Kamen  gegeben  baben. 

Dagegen  wurde  nun  mit  Recht  die  Bedeutung  der  Privatbasiliken  hervorgehoben  und 
dadurch  der  ganzen  Frage  eine  andere  Wendung  gegeben.  Weingärtner  und  Messmer  kamen 
irleichzeitio-  auf  den  Gedanken,  die  Entwicklung  der  christlichen  Gemeinde  von  den  frühesten 
Zeiten  an  mit  Rücksicht  auf  die  in  der  Geschichte  derselben  angeführten  Räume  zu  verfolgen, 
und  beide  kamen  unabhängig  von  einander  zu  dem  Schlüsse,  dass  das  Innere  des  Hauses  der 
Schoss  der  christlichen  Gemeindeentwicklung,  der  vorzugsweise  Raum  der  Versannulungen,  Feste 
und  des  Gottesdienstes  gewesen  sei.  Sonderbarer  Weise  blieb  Weingärtner  (Ursprung  und  Ent- 
wicklung des  christlichen  Kirchengebäudes,  Lpz.  1858)  dabei  stehen,  die  Säle  römischer  Paläste 
im  allgemeinen,  besonders  aber  den  sogenannten  ägyiDtischen  Saal,  welcher  von  Vitruvius 
(VI.  3,  9)  -den  Basiliken  ähnlich-  genannt  wird,  als  das  Local  der  Ecclesia  zu  erklären,  während 
doch  der  Name  Basilica  darauf  hinwies,  die  Privatbasilica,  d.  h.  den  Hauptsaal  einer  römischen 
,.domus"  im  grössten  Styl,  von  welchem  ebenfalls  Viti-uv  (VI.  5.  2)  spricht,  ins  Auge  zu  fassen. 
Diesen  Gedanken  ergriff  Messmer  und  es  gelang  ihm  damit  in  der  Abhandlung  „Über  den 
Ursprung  der  christlichen  Basilica™ :  Zeitschi-ift  f.  christl.  Archäologie  und  Kunst,  herausgegeben 
V.  F.  V.  Quast  und  H.  Otte.  Lpz.  1859,  H.  5.  S.  212  ff.  die  entscheidendste  Behauptung,  welche 
in  der  Fragre  über  das  Verhältniss  der  antiken  ziu*  christlichen  Basilica  und  über  die  Entstehunors- 
»■eschichte  der  letzteren  eremacht  worden  ist. 

Seine  Untersuchung  war  aber  eine  rein  archäologische.  Er  blieb  dabei  stehen  aus  dem 
literarischen  Apj^arat  und  aus  der  Geschichte  der  Christusgemeinde  uniuoistösslich  nachzuweisen, 
dass  die  Versammlungen  der  heranwachsenden  Kirche  in  den  Hauptsälen  der  Häuser  und  dann 
in  den  Basiliken  der  Paläste  römischer  Grossen  abgehalten  wurden;  die  kunstgeschichtlichen 
Consequenzen  jedoch  zog  er  nicht.  In  der  That  mochte  auch  das  Material  unzureichend  erscheinen, 
es  schien  sich  lediglich  voraussetzen  zu  lassen,  dass  die  Privatbasiliken  den  christlichen  älmlicher 
gewesen  sein  mussten  als  die  öffentlichen,  mit  welcher  Vorausetzung  sich  die  Sprödigkeit,  in  der 
die  genannten  öffentlichen  Basiliken  der  heidnisch-römischen  Periode  den  christlichen  gegenüber 
im  Vergleiche  mit  diesen  sich  verhielten,  erklärte.  Es  ist  jedoch  meine  Überzeugung,  dass  man 
über  diese  alloremeine  Voraussetzuof  hinausgehen  und  der  Gestalt  der  Privatbasilica  näher  rücken 
kann,  wenn  man  festhält,  dass  sie  auf  ältere  Vorbilder  als  die  genannten  forensischen  Basi- 
liken zurückgehen,  dabei  aber  jene  Modificationen  erfahren  haben  müssen,  welche  die  Eins  chli  es- 
sung eines  freistehenden  Saalbaues  in  einen  Gebäudecompiex  nothwendig  bedingt. 

Die  nähere  Untersuchung  dieser  Sätze  wird  erstlich  bezüglich  des  Verhältnisses  der  antiken 
zur  chi'istlichen  Basilica  zu  einem  neuen  Resultate  führen.  Hat  nämlich  Messmer  gegen  Zester- 
mann  zuerst  aufrecht  zu  halten  gesucht,  dass  die  christliche  Basilica  von  der  antiken  Gerichts- 
basilica  abzuleiten  sei,  und  in  seiner  zweiten  Abhandlung  diese  Behauptung  auf  den  Zusammen- 
hang zwischen  der  christlichen  und  Privatbasilica  beschränkt,  so  Avird  durch  die  Zurückführung 
der  letzteren  auf  ihre  forensen  Originale  das  gemeinsame  Band  wieder  herzustellen  sein  und  erst 
die  volle  Walu-heit  in  dem  Schlüsse  sich  ergeben,  dass  die  christliche,  zwar  unmittelbar  der  Privat- 
basilica entsprossen,  mittelbar  auch  in  ihrer  Gestalt  auf  die  ältesten  forensischen 
Basiliken  zurückzuleiten  sei.  Ferner  Averden  sich  an  der  christlichen  Basilica  gewisse 
Eicrenthümlichkeiten  der  Schiffgliederuno-  und  Beleuchtung-  und  deren  ständig-e  Beibehaltung^  der 
wandelbaren  forensischen  gegenüber  erklären. 

Für  die  Gestalt  der  Privatbasiliken  steht  uns  zunächst  die  Beschreibung  der  Säle  im 
Hause  eines  römischen  Grossen  bei  Vitruvius  VI.  3,  S  sp.  zur  Verfügung,  welche,  da  sich  nur  eines 
aus  dem   andern    erklären   lässt,    im  Zusammenhange  zu  erörtern  ist,   um  das   dadurch  für  die 


Die  Urform  der  römischen  Basilica.  43 

Basilica  gebotene  Material  verwerthen  zu  können.  Der  Autor  spricht  anfangs  von  den  Dimensions- 
verhältnissen im  allgemeinen,  empfiehlt  bei  allen  Speise-  und  Conversationssälen  die  halbe  Summe 
von  Länge  und  Breite  als  Hühenmass  und  fährt  dann  fort:  „Die  korinthischen  Säle  und  die  vier- 
säuligen  und  die  sogenannten  ägyptischen  sollen  Längen-  und  Breiten-Verhältnisse  haben,  wie 
sie  den  Speisesälen  im  allgemeinen  zugetheilt  worden  sind,  aber  wegen  der  Zwischenstellung  von 
Säulen  müssen  sie  geräumiger  angelegt  werden.  Zwischen  den  korinthischen  inid  ägyptischen 
Sälen  aber  ist  der  Unterschied  dieser:  die  korinthisclu^n  haben  einfache  Säulen  (d.  h.  nicht  je 
zwei  übereinander)  entweder  auf  einen  Sockel  oder  auf  den  Boden  gestellt,  und  darüber  Architrav 
und  Gesimse  entweder  von  Holz  oder  Stuck;  ausserdem  eine  nach  der  Zirkellinie  gewölbte  Decke. 
Bei  den  ägyptischen  Sälen  aber  sind  über  die  Säulen  Architrave  und  von  den  Architraven  zu  den 
Wänden  horizontale  Deckbalken  zu  legen  und  über  das  Deckengetäfel  ein  Paviment,  damit  oben 
unter  freiem  Himmel  ein  Umg-ano'  sei.  Dann  sind  auf  den  Architrav  in  senkrechter  Linie  mit  den 
unteren  Säulen,  andere  zu  stellen,  die  um  ein  Viertheil  kleiner  sind,  und  über  den  Architraven 
und  Gebälkzierden  der  letzteren  soll  eine  mit  Lacunarien  verzierte  Decke  und  zwischen  den  oberen 
Säulen  sollen  Fenster  angebracht  werden,  so  scheinen  sie  mit  den  Basiliken  und  nicht  mit 
den  Speisesälen  Ähnlichkeit  zu  haben". 

Vitruv  beschreibt  also  hier  zwei  Arten  von  grösseren  Sälen,  die  sich  durch  Säulenstellung 
im  Innern  auszeichnen,  von  einer  dritten  Art  (denviersäuligen  Sälen)  scheint  ihm  die  blosse  Nennung 
zu  genügen.  In  der  That  wird  man  sich  wohl  die  den  viersäuligen  Höfen  ganz  analoge  letztere 
Art  auch  ohne  eingehende  Erklärung  leicht  vergegenwärtigen  können  :  die  vier  Hauptdecken- 
balken, je  zwei  nach  jeder  der  beiden  Richtungen  werden  nämlich  an  den  vier  Kreuzungspunkten 
durch  ebenso  viele  Säulen  gestützt.  Die  korinthischen  Säle  dagegen  werden  wir  uns,  da  der  Saal 
ausdrücklich  gewölbt  genannt  wird,  so  vorzustellen  haben,  dass  die  Säulen  mehr  decorativ  an  die 
Wand  gestellt  sind,  wie  dies  an  den  meisten  Triumphbogen,  den  sogenannten  Colonnacce  in  Rom, 
der  Hauptnische  im  Pantheon,  der  Pseudoporticus  an  der  Agora  von  Athen  u.  s.  w.  noch  zu  sehen 
ist,  eine  ^Säulenstellung,  die  später  auch  structiv  verwerthet  wurde,  indem  man  die  Gurten  der 
Kreuzgewölbe  auf  die  Säulen  stützte,  wie  es  in  den  grossen  Sälen  der  Thermen  des  Caracalla 
und  des  Diocletian  oder  im  Mittelschiff  der  Basilica  des  Constantin  angeordnet  war.  Über  das 
Säulengebälk  der  korinthischen  Säle  konnte  man  verschiedener  Ansicht  sein,  nämlich  ob  hier 
fortlaufendes,  von  einer  Säule  zur  anderen  spannendes,  oder  nur  das  sogenannte  verkröpfte,  d.  h. 
über  jede  Säule  vorspringende  Gebälk  anzunehmen  sei,  wenn  nicht  die  zahlreichen  Belege  der 
letzteren  Art  aus  den  römischen  Überresten,  während  mir  für  die  erstere  kein  Beispiel  aus  dem 
Alterthum  bekannt  ist,  und  namentlich  auch  structive  Gründe  überwiegend  für  das  verkröpfte 
Gebälk  sprechen.  Denn  die  Schwierigkeit,  das  aus  Holz  oder  anderem  Material  hergestellte  Gebälk, 
wenn  es  von  einer  Säule  zur  anderen  gespannt  war,  in  die  Wand  einzubinden  war  so  gross,  dass 
sie  sogar  der  Entstehungsgrund  für  das  verkröpfte  Gebälk  an  den  blos  decorativ  an  die  Wand 
gestellten  Säulen  wurde,  was  ich  demnach  keineswegs  für  eine  geschmacklose  Laune  der  Römer, 
sondern  für  structive  Nothwendigkeit  und  unabweisliche  Consequenz  des  Übergangs  von  Halb- 
säulen- und  Pilastersystem  zu  der  wirksameren  Decoration  der  an  die  Wand  gerückten  vollen 
Säulen  halte.  Diese  Anordnung  ist  auch  aus  Vitruv's  Anweisung  zu  entnehmen,  wonach  das  Gebälk 
„entweder  in  Holzschnitzwerk  odei-  in  Stuck"  herzustellen  sei,  was  man  nur  dann  verstehen  kann, 
wenn  man  den  Gedanken  an  ein  geradlinig  fortlaufendes  von  einer  Säule  zur  andern  spannendes 
Gebälk  fallen  lässt.  Denn  es  hätte  keinen  Sinn,  wenn  der  Architekt  die  Wahl  zwischen  Holz- 
schnitzwerk und  Stuck  freiofibt,  da  sich  doch  «gewiss  kein  freischwebendes  Gebälk  in  Stuck  her- 
gestellt  denken  lässt,  während  es  ganz  entsprechend  scheint,  das  an  den  Wänden  hin  nur  decorativ 
angedeutete  und  lediglich  über  den  Säulen  vorspringende  Gebälk  durch  Ilolzvertäfelung  oder 
XIV.  7 


44  FuANz  Keueu. 

Stuck  auszuführen.  Damit  stimmen  auch  die  constructiveii  Bedingungen  der  Gewülbdecke  überein  ; 
denn  wie  der  Umstand,  dass  Vitruv  von  einer  Gewülbdeckung  spricht,  nicht  an  selbständige,  den 
Saal  in  Schiffe  gliedernde  Säulenstellung  denken  lässt,  sondern  es  nur  möglich  macht,  hier  an  die 
Wand  «'•erückte,  rein  ornamentale  Säulen  anzunehmen,  so  ist  natürlich  ebenso  wenig  anzunehmen, 
dass  das  Gewölbe  auf  ein  von  einer  Säule  zur  anderen  spannendes  Gebälk,  das  nicht  einmal  aus 
solidem  Material  hergestellt  war,  gegi-ündet  wm-de:  das  Tonnengewölbe  musste  von  der  Wand  auf- 
steigen. Dies  ero-ibt  sich  von  selbst,  wenn  wir  uns  das  Gebälk  zwischen  den  Säulen  an  die  Wand 
zurücktretend  an  derselben  nur  ornamental  in  Stuck  oder  Schnitzwerk  angedeutet  denken.  Stellen 
wir  uns  dann  das  Tonnengewölbe,  wie  an  den  Triumphbogen,  dem  Venus-  und  Romatempel,  der 
Constantinsbasilica  u.  s.  w.,  cassetth-t  vor,  so  haben  wir  in  dem  sogenannten  korinthischen  den 
eigentlich  römischen  Saal:  diese  decorative  Verbindung  griechischer  Säulenordnung  mit  dem 
römischen  Gewölbebau  sammt  der  nicht  minder  decorativen  Verkleidung  des  Gewölbes  mit  dem 
hellenischen  seiner  ganzen  Natur  nach  horizontalen  Lacunarlengetäfel  in  den  sogenannten  Cas- 
setten.  Seltsam  erscheint  es  freilich,  wenn  gerade  die  eigentlich  römische  Saalcomposition  unter 
dem  Namen  der  korinthischen  auftritt,  und  ich  muss  gestehen,  diese  Bezeiclnmng  nicht  genügend 
erklären  zu  können.  Denn  wenn  jemand  glauben  sollte,  dass  damit  im  allgemeinen  die  hellenische 
Abkunft  dieser  Saalform  gemeint  sei,  da  ja  die  Römer  seit  Mummlus  das  Hellenische  hauptsächlich 
durch  Korinth  kennen  gelernt,  so  kann  ich  darauf  nur  erwiedern,  dass  eine  solche  Ansicht  auf  voll 
ständigem  Unverständniss  des  Wesens  der  hellenischen  und  der  römischen  Architektur  beruht. 
Möo-llch  wäi-e ,  dass  ledi"-lich  von  der  für  solche  Prachtsäle  angewandten  korinthischen  Oi-dnung 
der  Name  entstanden  ist,  wobei  Ich,  um  das  Spielen  mit  solchen  Namen  zu  belegen,  daran  erinnern 
darf,  dass  man  im  eigentlichen  Sinne  höclistens  von  einem  korinthischen  Capitäle  sprechen  kann. 
Indem  das  aus  den  römischen  Resten  landläufig  gewordene  korinthische  Gebälk  mit  Kragsteinen 
u.  6.  w.  rein  römisches  aus  dem  ionischen  Gebälk  entwickeltes  Product  ist. 

Der  drittgenannte  Säulensaal  bei  Vitruv,  der  sogenannte  ägyptisch  e,  zeigt  keine  Wölbung 
dafür   Gliederung  durch  Säulenreihen  In  einen  mittleren  Hauptraum  und  in  (ringsumlaufende?) 
Nebenräume.    Die  letzteren  sind  einstöckig  in  Bezug  auf  die  Bedeckung ,  erinnern  aber  durch 
den  freien  Umgang  auf  Ihrer  Decke  an  das  Obergeschoss  der  Nebenschiffe  der  Basiliken.    Der 
Mittelraimi  erhebt  sich  über  die  Nebenräume,   indem   eine    zweite    obere    Säuleustellung   seine 
horizontale  lacunarlenartig  vertäfelte  Decke  und  sein  Dach  trägt.   Die  Intercolumnien  der  oberen- 
Säulenreihen  bildeten  die  Lichtöffnungen,  so  glaube  ich  wenigstens  die  Worte:   „Inter  columnas 
superlores  fenestrae  collocantur"  deuten  zu  müssen,  denn  sobald  man  sich  in  die  Intercolumnien 
Wandausfüllungen,  in  welche  erst  die  Fenster  eingeschnitten  wären,   denkt,  verliert  die  Anord- 
nung einer  oberen  Säulenreihe  allen  structiven  Verstand,   denn  man  stellt  Halbsäulen  oder  Pila- 
ster  nicht  dadurch  her,  dass  man  erst  Säulen  auffuhrt  und  dann  die  Intercolumnien  veiTDauert. 
Man  besorge  nur  nicht  die  Ungeschütztheit  und  traue  dem  Klima,  allenfallsigem  Schutze  durch 
Gitter,  Vela  oder  Teppiche,  wie  dem  Beispiele  der  BasUIca  von  Fanum  die  Möglichkeit  einer 
solchen    Anlage   zu.    Über   die   Herkunft    des    Namens    „ägyptischer   Saal"    sind  ebenfalls  nur 
Vermuthungen  möglich.   Man  findet  zwar  In  Ägypten  und  nur  da  einen  Säulensaal  mit  erhöhtem 
Mittelschiffe,  wie  in  dem  gewaltigen  Hypostyl  des  grossen  Tempels  von  Karnak.    Die  höheren 
Säulen  der  Doppelreihe  zu  beiden  Seiten  der  Tempelaxe  stützen  nämlich  die  liorizontalbedeckung 
eines  die  Decke  des  Übrigen  überragenden  Aufbaues,   der  beiderseits  zwischen  kurzen  Pfeilern 
gitterartig  gebildete  Öffnungen  enthält,  durch  welche  der  ganze  Saal  Licht  und  Luft  bezieht.  So 
naheliegend  es  scheint,    in  diesem  Vorbilde  den  Ursprung  des  Namens  der  in  Rede  stehenden 
Saalform  zu  suchen,  so  möchte  ich  doch  den  ägyptischen  Saal  nicht  unmittelbar  auf  eine  solche 
altägyptische  Anlage  zurückführen,    sondern  vermuthe  vielmehr,   dass  die  letztere  ein  Medium 


Die  Urform  der  römtsciiek  Basilica.  45 

durch  die  Ptolemäer  gefunden  habe,  welche,  die  Vortheile  einer  solchen  Säulensaalanlage  erken- 
nend, dieselbe  in  ihren  halbhellenischen  Styl  übertragen  und  dadurch  dieser  Saalart  den  Weg 
nach  Italien  gebahnt  haben. 

Wie  man  überhaupt  von  jeher  die  Darstellung  des  Vitruv  da  als  einfältig  zu  erklären 
gewohnt  war ,  wo  dem  oberflächlichen  Studium  das  Verstilndniss  ausging,  so  hat  man  auch  bei 
dieser  Stelle  sich  gewimdert,  wie  der  Autor  nur  solche  „Specialitäten"  den  viersäuligen,  den 
korinthischen  und  den  ägyptischen  Saal  in  Betrachtung  ziehen  konnte.  Die  obige  Darlegung 
wird  jedoch  überzeugt  haben,  dass  es  sich  bei  diesen  „Specialitäten"  nicht  blos  um  drei  grund- 
verschiedene Arten ,  sondern  um  die  drei  Hauptgattungen  von  rechtwinkligen  Säulen sälcn, 
welche  man  sich  unter  den  damaligen  Bedingungen  der  Construction  und  des  Styls  übcrhaiipt 
denken  kann ,  handelt.  Denn  mit  dem  viersäuligen  Saale  ist  ein  Beispiel  von  einheitlicher  über 
das  Ganze  sich  hinziehender  Horizontaldecke,  mit  dem  korinthischen  ein  Beispiel  von  Gewölbesaal, 
mit  dem  ägyptischen  einBeispiel  von  Gliederung  in  mehrere  ungleich  hohe  Schiffe  oder  Räume  mit 
horizontaler  Bedeckung  2'eg'eben.  Das  sind  die  drei  Grundlao-en ,  auf  welche  sich  alle  damals 
möglichen  architektonischen  Combinationen  rechtwinkliger  Säulensäle  zurückführen  lassen.  Ja 
selbst  die  Kreuzgewölbsüle  der  Thermen,  die  jedoch  in  augusteischer  Zeit  noch  nicht  nachweisbar 
sind,  aber  zu  den  kostbarsten  Errungenschaften  der  römischen  Architektur  gehören,  entwickelten 
sich  unschwer  aus  dem  Plane  des  sogenannten  korinthischen  Saales. 

Der  Autor  bemerkt  selbst  am  Schlüsse,  dass  der  ägyptische  Saal  fast  über  die  Gestalt  von 
Speisesälen  hinausgehe  und  mehr  den  Basiliken  ähnlich  sei.  Er  spricht  vom  Hause  des  mittleren 
doch  reichen  Römers,  der  ausser  den  Wohngemächern  ein  Tablinum,  Speisesäle,  Exedren  und 
höchstens  einen  Gemäldesaal  brauche.  In  einem  der  folgenden  Capitel  führt  er  aber  an,  dass  der 
Mann  von  Stand  und  Würden  für  seinen  Palast  mehr  thun  müsse,  „da  seien  hohe  Atrien  und 
geräumige  Säulenhöfe,  Gartenanlagen  mit  ausgedehnten  Promenaden,  Bibliotheken  und  Gemälde- 
säle und  Basiliken  nöthig,  weil  in  ihren  Häusern  öfters  sowohl  Staats-  als  Privatberathungen 
abgehalten  und  schiedsrichterliche  Erkenntnisse  gefällt  würden.  Der  ägyptische  Saal  grenzt  also, 
und  das  liegt  in  jener  Schlussvergleichung  der  oben  angeführten  Stelle  (VI.  3,  8),  über  die  Bedin- 
gungen der  Triclinien  eines  lediglich  vermöglichen  Bürgers  bereits  hinausgehend,  schon  nahezu 
an  die  Privat-Basilica  des  römischen  Würdenträgers.  In  der  That  ist,  wie  wir  etwas  vorgreifend 
behaupten  dürfen,  der  Unterschied  nur  der,  dass  im  ägyptischen  Saale  der  obere  Gang  der 
Nebenräume  unbedeckt,  in  der  Basilica  dagegen  bedeckt  ist,  so  dass  es  ganz  unrichtig  ist,  in 
Bezug  auf  die  Ähnlichkeit  den  Umstand  hervorzuheben,  dass  hier  wie  dort  das  Mittelschiff  die 
Nebenräume  überragt;  indem  dies,  wie  noch  gezeigt  werden  soll,  kein  ursprüngliches  Charakte- 
risticum  der  Basilica  ist,  und  gerade  umgekehrt  der  ägyptische  Saal  dadurch  zur  Basilica  würde, 
dass  man  die  Seitenräume  durch  Bedeckuno:  des  oberen  Umj^'anQ'es  zur  Höhe  des  Mittelraumes 
brächte. 

Auf  die  Beschreibung  der  Privatbasilica  aber  glaubt  unser  Autor  nicht  mehr  eingehen  zu 
dürfen,  da  er  bereits  von  der  öffentlichen  ausführlich  gesprochen,  obwohl  er  sehen  musste,  dass 
die  erstere  theils  durch  natürliches  Zurückbleiben,  theils  durch  Vereinfachung  oder  durch  die 
von  dem  Coniplcx  eines  Hauses  veranlassten  Modificationen  in  eine  andere  Entwicklungsbahn 
gerathen  war,  als  er  sie  in  der  für  die  augusteische  Zeit  geltenden  forensischen  Normalbasilica 
andeutet ,  um  jedoch  selbst  von  der  Freiheit  bei  solchen  Anlagen  in  seinem  eigenen  Gebäude  zu 
Fanum  Gebraucli  zu  machen.  Wenn  wir  also  hierin  gleichwohl  von  unserem  Gewährsmann  im 
Stich  gelassen  werden,  so  dürfte  doch  die  Behauptung  keinen  Einspruch  zu  erleiden  haben,  dass 
die  drei  öffentlichen  Basiliken,  die  wir  aus  augusteischer  Zeit  kennen,  die  Julia,  die  normale  uml 
die  zu  Fanum  des  Vitruv,    auf  die  Gestaltung  jener  Privatbasiliken,  die   der  in  cäsarischer  und 

7* 


46  Fbanz  Eeber. 

augusteischer  Zeit  lebende  Autor  als  ans  der  letzten  rcpublicanisclien  Zeit  stammend  in  Rom 
kannte,  keinen  Eiufluss  haben  konnten.  Da  aber  ebenso  wenig  bezweifelt  werden  kann,  dass  die 
Privatbasilica  als  eine  Übertragung-  der  forensen  auf  Privatverhältnisse  zu  betrachten  sei ,  so 
werden  wir  die  forensen  Vorbilder  der  zu  ^'itruv's  Zeit  keineswegs  neu  eingeführten  Privat- 
basiliken in  voreiisarischer  Zeit  zu  suchen  haben.  Wenn  es  uns  daher  gelingt,  die  Gestalt  einiger 
Basiliken  der  Republik  in  ihren  Hauptzügen  festzustellen,  so  werden  wir  auch  den  Tvpus  der 
Privatbasiliken  und  den  Urtypus  der  christlichen  gewinnen.  Damit  sind  wir  an  dem  wichtigsten 
Punkte  unserer  Untersuchung  angelangt. 

Erweislicli  voraugusteisch  sind  nur  vier  römische  Basiliken:  die  Porcia  5G9  d.  St.  (185 
V.  Chr.),  die  Fulvia  (Amilia)  575  d.  St.,  die  Sempronia  585  d.  St.  und  die  Opimia  wohl  um  600 
erbaut.  Die  Nachrichten  über  sie  sind  sehr  spärlich  und  bis  jetzt  in  Bezug  auf  die  Gestalt  dieser 
Bauwerke  so  viel  wie  unbenutzt.  Wird  es  mög-lich,  aus  ihnen  wesentliche  Ergfebnisse  zu  jjewin- 
nen,  so  werden  diese  um  so  grösseren  Werth  haben,  als  wir  es  hier  mit  den  ältesten  Typen  der 
römischen  Basiliken  zu  thun  haben. 

Die  vier  Basiliken  lagen  am  Forum  Romanum.  Iln-e  genaue  Lage  könnte  uns  hier,  da  wir 
blos  die  Gestalt  dieser  Gebäude  zu  ermitteln  streben,  o-leicho'ültig'  sein,  wenn  nicht  ihre  Grenzen. 

-     O  Co 

der  beschränkte  oder  weitere  Raum  auch  für  ihre   Gestalt  von  grosser  Bedeutuncr  wären.    Die 

C  C 

Erledigung  der  topographischen  Frage  würde  aber  grossen  Raum  ei-fordern,  wenn  ich  mich  nicht 
hiebei  zum  Theil  auf  meine  Abhandlung  ^Die  Lage  der  Curia  Hostilia  und  der  Curia  Julia-. 
M.  1S5S,  undauf  meine  ^Ruinen  Roms-,  Leipz.  1863,  beziehen  könnte.  Drei  von  den  genannten 
vier  Basiliken  lagen  an  der  nordöstlichen  Langseite  des  Forum,  nemlich  die  Porcia,  die  Opimia 
und  die  Fulvia,  wie  durch  die  wenigen  zu  Gebote  stehenden  und  noch  im  Einzelnen  zu  erörtern- 
den Nachrichten  darüber  gesichert  erscheint.  Ich  habe  nun  in  der  obengenannten  Abhandlung 
erwiesen,  dass  die  Curia  Hostilia  wie  deren  Neubau  durch  Sulla  an  derselben  Langseite  und 
zwar  ungefähr  in  der  Mitte,  doch  etwas  näher  am  Carcer  als  am  Faustinentempel  sich  befunden 
haben  müsse,  und  dass  diese  Curie  südöstlich  eine  Substruction  neben  sich  hatte,  welche  Vul- 
canal  hiess,  am  vorderen  Rande  zur  Gräcostasis,  rückwärts  aber  zum  sogenannten  Senaculum 
eingerichtet  war  und  in  der  Mitte  die  Aedicula  der  Concordia  des  C.  Flavius  trug.  Ich  brauche 
hier  nicht  abermals  auf  die  Beweisführung  einzugehen,  einerseits  haben  jene  Behauptungen 
keinen  Widerspruch  erfahren,  anderseits  hätte  ein  solcher  auch  factisch  keinen  Boden,  da  die 
beiden  anderen  allenfalls  in  Frage  kommenden  Seiten  des  Forums  (die  vierte,  nämlich  die  süd- 
östliche Schmalseite  kann  bei  einer  Breite  von  wenicr  mehr  als  20  Meter  hier  niclit  in  Betracht 
gezogen  werden)  vollkommen  aufgedeckt  sind  und  durch  ihre  erhaltenen  Reste  den  Curiacomplex 
daselbst  unmöglich  machen. 

Die  Basilica  Porcia  wird  „mit  der  Curia  verbunden''(Asconiusin  Cic.  Mil.  Arg.  §.  S;und 
an  der  Stelle  der  ^Häuser  des  Mänius  und  Titius  in  den  Lautumien"  (Liv.  XXXIX.  44)  genannt. 
Dass  im  Bereiche  der  Lautumien  das  Tullianum  lag,  welches  unter  dem  Namen  Carcer  Mamer- 
tinus  am  Fusse  des  Hügels  von  Araceli  noch  erhalten  und  als  solches  völlig  gesichert  ist,  lässt  sich 
bei  Varro  L.  L.  ^  .  23.  \).  150  sp.  Sp.  zwischen  den  Zeilen  lesen:  da  man  aber  darüber  streiten  kann 
(vgl.  Becker  H.  d.  röm.  Alterth.  I,  S.  262  fg.),  so  genügt  es  für  unsern  Zweck,  jene  Notiz  des 
Asconius  „et  basilica  Porcia,  quae  erat  ei  (curiac)  juncta-  festzuhalten.  Diese  will  offenbar  sagen, 
dass  die  Porcia  an  die  Substruction  der  Curia  „angebaut"  war;  da  aber  dies  nicht  auf  der  süd- 
östlichen Seite  der  Curia  sein  konnte,  weil  hier  die  Substruction  des  Vulcanal  mit  Gräcostasis 
und  Senaculum  unmittelbar  an  die  Curia  stiess,  so  musste  es  an  der  nordwestlichen  Seite  sein, 
und  sonach  lag  die  Basilica  Porcia  zwischen  der  Curia  und  dem  Carcer.  Z estermann  glaubte 
einen  weiteren  Ausweg  mit  der  Behauptung  zu  finden,   dass  die  Basilica  Porcia  nicht  am  Forum 


nE 


UnFOßM  DEK  RÖMISCUEN  BaSILICA.  •*  • 


selbst  lag:,  sondern  etwa  riickAvärts  an  die  Curia  angebaut  gewesen  sei.  Es  würde  vielleicht  aus- 
reichen, dagegen  den'classisch  verbürgten  Begriff  der  Basilica  „als  einer  gedeckten  Erweiterung 
eines  Forums''  (vgl.  Cic.  ad  Att.  IV.  16  s.  oben)  anzuführen,  welcher  nicht  erlaubt,  daraus  ein 
Hintergebäude  mit  irgend  welchem  obscuren  Zugang  zu  machen.  Es  steht  Zestermann  aber  auch 
eine  direete  classische  Notiz  entgegen:  Plutarch  (Cato  maj.  19)  sagt  ausdrücklich,  dass  Cato  die 
Porcia  am  Forum  erbaute  „t^  ayopa  7:ap£|3aXs",  und  wenn  er  hinzufügt,  unter  der  Curia  „ütcö  to 
|3ouk'jT7;piov''  so  erklcärt  sich  dies  am  befriedigendsten  mit  der  philologisch  kaum  zu  missbilligen- 
den Übertragung  „zu  Füssen  der  Curia",  indem  ja  die  letztere,  wie  oben  belegt  worden  ist,  einen 
erhöhten  Unterbau  mit  namhafter  Freitreppe  hatte,  während  das  Paviment  der  Basiliken  über  das 
der  Fora  sich  nur  wenig  zu  erheben  pflegte. 

Wenn  sonach  niclit  zu  bezweifeln  ist,  dass  die  Basilica  Porcia  als  am  Forum  liegend  einer- 
seits nicht  weit  vom  Carcer  entfernt  sein  konnte  und  anderseits  an  die  Substruction  der  Curia 
sich  anlehnte,  so  stehen  wir  der  Beantwortung  der  Frage  schon  zienüich  nahe,  welche  Gestalt 
ganz  im  allgemeinen  diese  Basilica  gehabt  haben  müsse.  Wir  dürfen  dazu  nur  in  der  Lage  sein, 
die  beiderseitigen  Grenzen  der  Gruppe  jener  drei  aneinanderstossenden  Anlagen,  der  Porcia,  der 
Curia  und  des  Vnlcanals  annähernd  bestimmen  zu  können.  Hiefür  ergibt  sich  von  selbst  an  dem 
einen  Ende  (nordwestlich  gegen  das  Capitol  hin)  der  Carcer  oder  vielmehr  die  vor  demselben 
vom  Forum  weg  in  der  Richtung  gegen  den  Quirinal  führende  Strasse  (jetzt  Via  di  Marforio),  von 
deren  Existenz  wie  Richtung  abgesehen  vom  Bedürfnisse  die  östliche  Eingangsseite  des  Carcer 
bestimmtes  Zeugniss  gibt.  Auch  die  andere  südöstliche  Seite  der  Gruppe  musste  eine  nicht  minder 
gesicherte  Strasse  begränzt  haben,  welche  vom  Forum  in  nordöstlicher  Richtung  gegen  die 
Subura  hinführte.  Der  Ausgangspunkt  der  letzteren  ungefähr  in  der  Mitte  der  durch  Carcer  und 
Faustinentempel  begränzten  nordöstlichen  Forumlangseite  abzweigenden  Strasse  ist  durch  die 
Laffe  und  Richtung-  der  schönen,  unter  dem  Namen  Colonnacce  bekannten  Ruine  zuverlässig 
angedeutet.  Denn  jene  von  der  südöstlichen  Umfriedung  des  Nerva-Forum  herrührende  Ruine 
gibt  die  Richtung  dieser  sclimalen  Anlage,  welche,  zwischen  dem  Augustus-  und  Pax-  (Vespasian-) 
Forum  eingekeilt,  nur  durch  die  sie  der  Länge  nach  durchschneidende  Hauptstrasse  vom  Forum 
nach  der  Subura  Bedeutung  und  die  Namen  Forum  Transitorium  (Lampridius  Alex.  Sev.  28) 
und  Pervium  (Aurel.  Vict.  Caess.  12)  erhielt.  Die  Lage  der  drei  genannten  Kaiserfora  und 
besonders  des  mittleren  Nervaforum  aber  macht  es  unzweifelhaft,  dass  jene  Hauptstrasse  nicht 
mehr  als  20  Meter  südöstlich  von  der  jetzigen  Kirche  S.  Adriano  vom  Forum  abzweigte,  und 
so  ero^ibt  sich  für  die  drei  orenannten  aneinanderstossenden  Räumlichkeiten  des  Forum,  B.  Porcia, 
Curia  und  Vulcanal  nur  ein  Raum  von  ziemlich  genau  80  Meter. 

Was  davon  die  Curia  Hostilia  in  Anspruch  nehmen  musste,  können  wir  annäherungsweise 
aus  ihrer  Bestimmung  entnehmen.  Sie  war  als  ein  Versammlungssaal  für  wenigstens  300  Raths- 
mitglieder  eingerichtet,  wir  dürfen  sie  also  nicht'zu  klein  uns  vorstellen.  Der  Tempel  der  Dio- 
scuren  wie  der  Tempel  der  Concordia,  beide  gelegentlich  zu  Senatssitzungen  benutzt,  messen, 
wie  die  Ruinen  zeigen,  der  eine  33,  der  andere  45  Meter  in  der  Fronte.  Ziehen  wir  aber  auch  m 
Betracht,  dass  der  erstere  ein  Peripteros  und  demnach  die  Cella  verhältnissmässig  kleiner  war 
als  die  Fronte  und  dass  der  letztere  aus  den  oben  angeführten  Gründen  nur  eine  geringe  Tiefe 
hatte,  so  werden  wir  doch  bei  der  Curia  im  Frontemass  nicht  zu  weit  zurückgehen  dürfen.  Denn 
würde  man  den  iedem  Senator  zucrewiesenen  Raum  mit  Einrechnung  der  freien  Durchgange 
u.  s.  w.  durchschnittlicli  auf  V/.,  Meter  im  Gevierte  annehmen,  so  ergäbe  sich,  wenn  wir  uns  der 
Cellaform  entsprechend  je  20  Stühle  in  der  Länge  und  je  15  der  Breite  nach  aufgestellt  denken, 
eine  innere  Cellenbreite  von  22%  Meter,  welcher  gering  angeschlagen  eine  äussere  Breite  von 
26  Meter  entsprechen  dürfte.    Eine  ungefähr  ebenso  grosse  Breite  müssen  wir  der  Substruction 


48  FuASZ  Reber. 

des  Vulcanal,  welche  die  Grilcostasis,  die  Aedicula  der  Concordia  und  das  Senaculum  enthielt, 
zuschreiben,  nnd  so  bleibt  für  die  Basilica  Porcia  nicht  viel  mehr  übrig,  nemlich  ungefähr 
28  Meter.  Dass  aber  dies  oder  selbst  auch  darüber  ,  nicht  für  die  Langseite  einer  Basilica 
o-enügte.  welche  z.  B.  an  der  Basilica  Julia  101  Meter,  an  den  beiden  anderen  uns  in  Ruinen 
erhaltenen  heidnischen  Basiliken  Roms,  der  Ulpia  und  der  Constantiniana,  sogar  noch  etwas  mehr 
betrug,  liegt  auf  der  Hand:  es  kann  sonach  die  Basilica  Porcia  nur  mit  der  Schmal- 
seite ans  Forum  gegrunzt  haben. 

Wir  besrnüfren  uns  iedoch  mit  diesem  in  Bezusr  auf  die  christliche  Basilica  wichtifren  Er- 
fi^ebniss  nocii  keinesweors,  sondern  hoffen  den  vorhandenen  dürftigen  Notizen  über  die  Porcia 
auch  noch  einiges  weitere  hinsichtlich  ihres  Planes  abzugewinnen.  Plutarch  berichtet  nämlich 
(Cato  min.  5),  dass  die  Volksti'ibunen ,  welche  die  Basilica  Porcia  als  Amtslocal  zu  benutzen 
pflegten,  eine  Säule  ihren  Stühlen  hinderlich  fanden,  und  daher  beschlossen,  diese  Säule  ganz 
weg:zunehmen  oder  zu  versetzen,  welche  Absicht  den  iünoreren  Cato  zum  ersten  öffentlichen 
Auftreten  und  zur  Opposition  gegen  eine  solche  Verstümmlung  des  ehrwürdigen  Gebäudes  zwang. 
Da  es  sich  hier  ohne  Zweifel  um  das  Innere  handelt,  so  erfahren  wir  zunächst  aus  dieser  Stelle, 
dass  die  Basilica,  wie  das  auch  ihrem  Wesen  als  Stoa  zukam,  innen  durch  Säulen  gegliedert  war. 
Der  Umstand  ferner,  dass  eine  Säule  den  Stühlen  der  Volkstribunen  hinderlich  gewesen  sei, 
setzt  jedenfalls  voraus ,  dass  diese  Stühle  nicht  innerhalb  des  Mittelraums  aufgestellt  waren  und 
dort  die  Verhandlungen  gepflogen  wurden,  weil  in  diesem  Falle  von  keinem  Hindemiss  durch 
eine  Säule  die  Rede  sein  konnte,  sondern  ausserhalb  in  den  Seitengängen,  welche  in  den  bekann- 
ten profanen  Basiliken  den  Mittelraum  stets  (mit  alleinigem  Ausschluss  der  Constantiniana)  an 
den  vier  Seiten  umo-aben.  Es  ist  auch  vollkommen  erklärlich,  dass  den  an  iro^end  einer  Stelle  der 
Nebenschiffe  sitzenden  Volkstribunen  der  Amtsverkehr  mit  den  zu  Zeiten  wohl  noch  in  den 
Mittelraum  hinein  sich  ausbreitenden  Betheiligten  durch  ein  Intercolumnium  hindurch  etwas 
beengt  war  und  desshalb  eine  Abhülfe  durch  Beseitigung  einer  Säule  sehr  wünschenswerth 
erschien.  Doch  auch  ein  Laie  in  der  Architektur  wird  sofort  gewahren,  dass  man  eine  Säule  nicht 
beseitigen  konnte,  ohne  auch  wegzunehmen,  was  sie  vorher  trug,  nemlich  das  von  den  beider- 
seiticj  benachbarten  Säulen  her  auf  sie  o-eletrte  Gebälk,  die  von  diesem  g-etra^-enen  Deckbalken 
des  Erdgeschosses  der  Umgänge  und  die  der  unteren  entsprechende  Säule  des  Obergeschosses 
sammt  ihrem  Gebälktheile :  der  obere  Umgang  musste  demnach  da,  wo  die  Säule  weggenommen 
werden  sollte,  eine  Unterbrechuno-  erfahren. 

Eine  solche  ständige  und  wesentliche  Umtrestaltunor  aber  konnte  nur  an  der  Stelle  verlanjft 
werden,  wo  die  Obrigkeit  ständig  ihren  Platz  hatte,  und  diese  hervorragende  Localität  kann 
selbstverständlich  nur  dem  Eing-anof  o^ecpenüber,  d.  h.  an  der,  der  Einsranorsseite  g-eprenübcrlieg-en- 
den  Seite  angenommen  werden.  Ich  sage  selbstverständlich,  denn  von  demjenigen,  welcher  hiefür 
nach  einer  anderen  Stelle  etwa  an  den  beiden  Langseiten  rechts  oder  links  oder  gar  an  der  Ein- 
gangsseite selbst  tasten  wollte,  würde  ich  verlangen,  den  Hauptaltar  einer  Kirche,  den  Thron 
eines  Thronsaales,  die  Richterbühne  eines  Gerichtssaales  oder  die  Präsidialtribüne  eines  Par- 
lamentsaales in  einem  Winkel  oder  wenigstens  seitwärts  zu  suchen.  Wenn  aber  der  Raum  für  die 
öffentlichen  Verhandlungen  der  Volkstribunen  und  wohl  auch  anderer  Magistrate  ständig  in  dem 
Nebenschiffe  an  der  dem  Eingange  gegenüberliegenden  Schmalseite  war,  so  dürfen  wir  auch 
annehmen,  dass  derselbe  hiefür  besonders  gestaltet  und  ausgezeichnet  war,  und  dass  man  ihn 
als  den  Sitzungsraum  (die  cui-ia  basilicae  vgl.  Gruter  I.  p.  444,  2)  geräumiger  herstellte,  als  die 
Nebenschiffe  im  übrigen  gewesen  sein  konnten.  Ich  trage  keinen  Augenblick  Bedenken  zu  glauben, 
dass  schon  hier  die  den  meisten  heidnischen  und  fast  ausnahmslos  allen  christlichen  Basiliken 
elgenthümliche  Exedren-  oder  Apsidenbildung  vorhanden  war,  welclie  ich  immer  da  annehmen 


Die  Uefoum  deu  komischen  Basilica.  ■*«' 

zu  müssen  glaube,  wo  das  Tribunal  nicht  im  Mittelraume  aufgeschlagen  war,  was  gerade  von 
dieser  Basilica  durch  Plutarch's  Notiz  von  der  Süulenw^egnahme  speciell  in  Abrede  gestellt  wird. 
Denn  ohne  Exedra  oder  Apsis  lässt  sich  in  einem  besonders  bei  verhältnissmässig  kleinen  Dimen- 
sionen des  Ganzen  schmalen  Nebenraume  kaum  ein  passender  Platz  für  öffentliche  Gerichts- 
oder andere  Amtsverhandlungen  denken,  und  anderseits  wird  es  jeden  Architekten  in  Verlegen- 
heit setzen,  die  Unterbrechung  des  zweistöckigen  Corridors  zu  construiren,  wenn  nicht  die  Ein- 
fiio-ung  einer  horizontal  oder  zeltartig  überdeckten  Exedra  oder  einer  halbkuppelförmig  ül)crwölb- 
ten  Apsis  unterstützend  und  ansprechend  zu  Hilfe  kömmt.  Exedren  aber,  die  von  gleicher  Höhe 
wie  die  Säulenumgänge  zu  decken  sind,  halte  ich  für  näher  liegend,  so  lange  die  Säulengänge 
um  alle  vier  Seiten  herumgeführt  sind,  während  höhere,  halbkuppelförmige  Apsiden  (in  der  Art 
wie  sie  am  Venus-  und  Romatempcl  wie  an  der  Constantiusbasilica  noch  zu  sehen)  wahrschein- 
licher sind  bei  solchen  Anlagen,  in  denen  die  Säulengänge  wenigstens  an  der  Seite  der  Aus- 
beus^uno:  unterbrochen  sind. 

Jedem  aber,  welcher  sich  die  Ergebnisse  der  Forschung  durch  Risse  zu  vergegenwärtigen 
sucht,  wird  dadurch  völlig  klar  werden,  dass  die  Notiz  von  der  beabsichtigten  "Wegnahme  einer 
Säule  die  Unmöglichkeit  einer  auf  die  doppelte  Säulem-eihe  gelegten,  die  Seitenschiife  überra- 
genden Fenstenvand  voraussetzt.  Denn  mit  der  Wegnahme  der  einen  Säule  wäre  nicht  blos  die 
entsprechende  Säule  des  Obergeschosses,  sondern  nothwendig  auch  das  daraufruhende  Stück  der 
Fensterwand  in  Wegfall  gekommen,  wenn  eine  solche  die  Seitenschiffe  überragte,  und  es  wäre 
dann  nothwendig  eine  Lücke  entstanden,  welche  auszufüllen  nur  dann  gelingen  konnte,  wenn 
man  zur  Veränderung  der  Stützen  griff,  um  mit  einer  Art  Triumphbogen  nach  Analogie  der  christ- 
lichen Basiliken  oder  mit  einem  Ausbau  des  Mittelschiffes  bis  an  die  Apsis  nachzuhelfen.  Gerade 
die  constructiven  Schwierigkeiten  bestimmen  mich,  die  Oberwand  des  Mittelraumes  um  so  mehr 
zu  negiren,  als  sie  in  unserem  Falle  überhaupt  nur  dann  entschuldbar  wäre,  wenn  es  an  sonstiger 
Lichtzufuhr  gebräche.  Denn  eine  Wand  auf  ein  Oblongum  von  doppelt  übereinander  gesetzten 
Säulen  zu  stellen,  würde  ausserordentlich  s'ewao^t  sein  und  könnte  nur  im  äussersten  Nothfalle 
erwartet  werden.  Unter  den  gesicherten  forensen  Basiliken  ist  auch,  wie  schon  oben  erwiihnt 
wurde,  die  Überhöhung  des  Mittelraumes  nur  an  zweien  zweifellos,  nämlich  an  der  von  Vitruv 
geschilderten  zu  Fan  um  und  an  der  letzten  der  bekannten,  der  Constantiniana,  und  in  diesen 
beiden  Fällen  liegen  keine  doppelgoschossigen  Säulenstellungen  vor.  Von  anderen  ist  sie  ganz 
ungewiss,  indem  das  Erhaltene  nicht  ausreicht,  ein  vollgültiges  Urtheil  zu  ermöglichen.  Von  drei 
forensen  Basiliken  aber  lässt  sich  das  Gegentheil  als  sicher  annehmen,  nämlich  von  der  Vitruv'- 
schen  NoiTualbasilica,  deren  sonst  ausreichende  Beschreibung  von  der  Überhöhung  keine  Andeu- 
tung gibt,  von  der  Porcia  aus  den  angeführten  structiven  Gründen,  und  von  der  Aemilia,  nach 
einer  Münze  des  Lepidus,  wovon  unten.  Ich  bestreite  sonach,  dass  die  Überhöhung  des 
Mittelschiffes  zu  dem  Charakteristischen  der  Basilica  gehörte,  und  glaube,  dass  diese 
noch  jedes  structiven  Grundes  entbehrte,  so  lange  die  forensen  Basiliken  wenigstens  auf  drei 
Seiten,  wenn  nicht  auf  allen  durch  die  Aussenwand  des  Säulenumgangs  völlig  freien  Lichtzugang 
hatten,  und  dass  sie  so^ar  ein  sfewaoftes,  besonders  den  Ecksäulen  kaum  zuzumutliendes  Experi- 
ment  wäre,  so  lange  sie  ohne  Wandabschluss  und  Widerlager  lediglich  auf  einem  Säulenoblon- 
gum  ruhen  müsste. 

Wir  können  in  der  Entwicklung  der  Gestalt  der  Porcia  noch  w^eiter  gehen.  Die  obige  Notiz 
des  Plutarch  beweist  nämlich,  dass  die  Säulenzahl  an  der  Seite  des  Inneren,  wo  eine  Säule  zum 
Zweck  der  Verbindung  des  Hauptschiffes  mit  dem  Sitzungsraume  fallen  sollte,  eine  ungleiche 
war,  denn  sonst  könnte  nicht  von  der  Beseitigung  einer  (Mittel-)  Säule  gesprochen  werden.  Wir 
dürfen  nun   nach  unserer  Darlemmgr  der  räumlichen  Verhältnisse  an  diesem  Theile  der  nord- 


so 


Fbanz   KtBEn. 


Fiff.  1. 


Östlichen  Lan;:;'- 
seite  des  Fo 
rnms  der  Basi- 
Hca  im  ln'kli- 
sten  Pralle  eine 
Fronte  von  der 
Proite  des  okta- 
stylen  Castor- 
tenipels  anwei- 
sen, und  einer 
solchen  würden 
im  Innern  fünf 
Säulen  an  jeder 
Sclmialseite  wohl  cntspreclien.  Man  denke  sich  die  mittelste  davon  weg-,  und  wird  die  Absiebt 
der  Volkstribunen,  welche  allerding-s  der  catonisehe  Conservatismus  —  wie  es  scheint,  mit  Erfoljr 
bekämpfte,  verkörpert  finden.  Merkwürdig-,  dass  in  diesem  Plane  der  Volksti-ibnnen  schon  jener 
Fortschritt  ausgesprochen  lag,  den  wir  in  der  christlichen  Basiliea  finden,  die  Unterbrechun  g 
der  ringsumgeführten  Nebenräume  zu  Gunsten  derApsis,  die  Umbildung  in  die 
eigentliche  Mehrschiffigkeit  des  Ganzen  durch  eine  lediglich  nach  einer  Rich- 
tung ausgeführte  Parallel-Gliederung. 

Auch  bezüglich  des  Ausseren  der  Fronte  sind  wir  nicht  g-anz  ohne  Andeutmi"^.  Vor  allem 
ist  festzustellen,  dass  von  den  fi-ühesten  Zeiten  her  das  Forum  mit  Portiken  um"-eben  war,  welche 
sich  vor  die  Privathäuser  und  Tabernen  legten  und  in  ihrem  flachen  Dache  passende  Schaubüh- 
nen für  die  bis  zu  Ende  der  Republik  auf  dem  Forum  abgehaltenen  Gladiatorenspiele  darboten. 
Derjenige  nun,  welcher  Privatgebäude  und  Tabernen  mit  den  dazu  gehörigen  Portiken  erwarb, 
um  an  ihrer  Stelle  Basiliken  anzulegen,  würde  keineswegs  alle  befriedig-t  haben,  wenn  er  nicht 
die  Säulenhalle  mit  ihren  schattigen  Gängen  unten  und  Schauterrassen  oben  belassen  oder  sie  in 
Verbindung  mit  der  neuen  Anlage  neu  hergestellt  hätte.  Dies  vorausgesetzt  wird  man  die  Notiz 
eines  Scholiasten  (Pseud.  Ascon.  ad  Cic.  Div.  in  Caec.  16  cf.  Isidor.  Orig.  XV.  3,  11)  verstehen, 
welche  besagt,  dass  Mänius,  als  er  sein  Haus  an  die  Censoren  Cato  und  Flaccus  zum  Zweck  der 
Anlage  einer  Basiliea  verkaufte,  sich  das  Recht  auf  eine  Säule  vorbehielt,  über  welche  er  an  der 
entsprechenden  Stelle  des  Daches  ein  balkonartig  vorspringendes  Gerüst  zimmern  liess,  von  wo 
aus  er  wie  seine  Nachkommen  bei  den  Gladiatorenspielen  zusehen  konnten.  Unser  Gewährsmann 
bringt  dies  freilich  mis.sverständlich  (wie  schon  Becker  H.  d.  r.  A.  S.  300  Anmerkung  519 

bemerkt)  mit  der  Ehrensäule  des  Mänius,  338  v.  Chr.  für  einen  Sieg  über 
die  Latiner  errichtet,  in  Verbindung,  an  welcher  sich  allerdings  kein  bal- 
konartiges Schaugerüst  annehmen  lässt;  über  einer  Säule  der  zu  Mänius' 
Besitzungen  gehörigen  Porticns  aber  ist  ein  solcher  Familienbalkon  ebenso 
denkbar,  wie  der  Vorbehalt  durchaus  verständlich  ist,  dass  der  vormalige 
Besitzer  des  Grundstückes  auch  nach  der  Anla"-e  der  Basiliea  noch  das 
gleiche  Recht  auf  eine  Säule  oder  vielmehr  das  derselben  entsprechende 
Dachstück  haben  sollte.  Dass  natürlich  hier  nur  von  den  Säulen  der  Vor- 
halle die  Rede  sein  kann,  braucht  kaum  bemerkt  zu  werden,  und  so  kann 
es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  der  Porcia  eine  an  die  Stelle  der  vor- 
maligen Tabernenporticus  gesetzte,  vielleicht  sogar  theilweise  belassene, 
Fig.  2.  wahrscheinlich  octastyle  Säulenvorhalle  vorgelegt  war.   Diese  aber,  nicht 


Die  Urform  der  römischen  Basilica. 


Sl 


zu  venvecliseln  mit  dem  auch  an  der  Fronte  herumgeführten  muthmasslich  zweistöckigen  Neben- 
schiffe, war  in  sehr  schwacher  Neigung  puhartig  und  weit  vorspringend  bedacht  und  die  Dachung 
am  Rande  mit  Geländern  versehen,  welche  Einrichtung  sich  als  so  zweckdienlich  erwies,  dass 
unter  des  Mänius  Namen  (Maeniana)  solche  balconartige  Dächer  der  Forenportiken  für  diesen 
Zweck  ganz  allgemein  wurden  (Vitruv.  V.  1.  Cic.  Acad.  IV.  22.  Min.  XXXV.  10.  n.  113.  Paul. 
Diac.  p.  135). 

Nach  dieser  Darlegung-  wird  niemand  die  Möglichkeit  bestreiten  können,  die  älteste  römi- 
sche Basilica  zu  reconstruiren,  was  ich  hiermit  zum  erstenmale  versuche. 

Die  beigefügten  Risse  geben  den  Plan  der  Porcia  mit  zwei  Längendurchschnitten,  von 
welchen  der  erstere  die  Gestalt  der  Basilica  in  der  ursprünglichen  Anlage,  der  zweite  die  nach 
Plutarch  von  den  Volkstribunen  beabsichtigte  Umänderung  zeigt.   Selbstverständlich   ist  daran 


Fig.  3. 

manches  conjectural,  da  ja  hinsichtlich  der  Details  nur  Vermuthungen  möglich  sind :  wie  die  Lage 
der  Treppen  zum  Obergeschosse,  die  Formen  von  Thüren  und  Fenstern,  die  Gestalt  und  Bedec- 
kung der  Apsis,  die  Säulenformen  u.  dgl.  Doch  war  ich  in  allen  diesen  Dingen  bestrebt,  der 
"Willkür  keinen  Raum  zu  gewähren.  Ich  habe  die  Treppen,  da  es  durchaus  nicht  statthaft  schien, 
an  einem  Gebäude  des  Forums  die  Vorhalle  damit  zu  beeinträchtigen,  an  der  zweifellos  passend- 
sten Stelle  angeordnet.  Die  Formen  von  Thüren  und  Fenstern  sind  den  römischen  Theatern  und 
Amphitheatern  wie  der  Basilica  Julia  entlehnt  und  demjenigen  gewiss  nicht  widerstrebend,  welcher 
derartige  römische  Monumentalbauten  kennt.  Für  die  Apsis  wählte  ich  die  Planform,  wie  sie  die 
Porticus  apsidatae  zeigen  und  hielt  mich  in  Bezug  auf  die  Grösse  sowohl  an  jene  Vorbilder  wie 
an  die  zwei  Intercohimien  zu  beiden  Seiten  der  beanstandeten  Säule,  in  Bezug  auf  Höhe  und 
Bedeckung  aber  an  den  oben  S.  49  ausgesprochenen  constructiven  Grundsatz,  wonach  bei  der 
lU'sprünglichen  Anlage  mit  ringsum  geführtem  Säulenumgang  eine  niedrige  horizontal  gedeckte 
Ausbeiigung  (Fig.  1),  nach  der  beabsichtigten  Unterbrechimg  dieses  Säulenumgangs  aber  eine 
höhere  halbkuppelförmig  gewölbte  Apsis  (Fig.  2  und  3)  wahrscheinlicher  ist.  Die  Säulen-  und 
Gebälkformen  vergegenwärtigen  jene  Mischung  von  dorischem  und  etrurischem  Styl,  wie  sie  das 
Theater  des  Marcellus ,  der  Tempel  von  Cori  u.  s.  w.  zeigen  und  wie  sie  Vitruv  als  dorische 
Ordnung  beschreibt,  die  aber  vielmehr  als  die  eigentlich  römische  denn  als  die  toscanische  zu 
betrachten  ist.  Da  auch  hiefür  die  römischen  Theater  und  Amphitheater  als  Vorbilder  vor- 
schweben mussten,  so  mag  man  vielleicht  beanstanden,  dass  das  Obergeschoss  nicht  in  ionischer 
XIV.  8 


Oi 


2  Frasz  Reber. 


Ordnuii?  auso-eführt  sei.  wie  nm  Marcellustheater:  wog-egen  ich  nur.  ohne  aber  dies  für  unmöglich 
zuhalten,  daran  erinnern  will,  dass  die  Basilica  des  schlichten  Cato  fast  iöO  Jahre  vor  dem  Mar- 
cellustheater entstand.  Was  aber  die  Bedeckung  beti-iftt.  so  wäre  jede  Reconstruction  der  Balken- 
lage willkührlich,  ich  begnügte  mich  daher  damit,  lediglich  die  lacunarienartig  vertäfelte  Holz- 
decke anzudeuten,  das  übrige  der  Muthmassung  überlassend,  namentlich  auch  die  Entscheidung 
der  Fräse,  ob  ein  nach  den  vier  Seiten  abfallendes  Dach,  wie  ich  es  gezeichnet  habe,  oder  ein 
Giebeldach  wahrscheinlicher  sei '. 

Man  wird  daraus  ersehen,  dass  die  christliche  BasiHca  in  ihrer  t\-pischen  Gestalt  dieser  ältesten 
römischen  Basilica  viel  näher  stand  als  den  forensen  Basiliken  der  Kaiserzeit,  der  Julia,  den  beiden 
Vitruv'schen,  der  Ulpia,  der  Constantiniana.  und  dass  vielmehr  die  letzteren  den  ursprünglichen 
Tvpus  höchst  mannigfach  alterirten.  wälu-end  er  in  der  Privatbasilica.  von  welcher  aus  die  christ- 
liche ihren  unmittelbaren  Ausgangspunkt  nahm,  sich  nur  in  einigen  noch  zu  erörternden  Verein- 
fachungen modificirte. 

Es  wäre  nun  freilich  sehr  erwünscht,  dieselbe  Gestaltung,  T\'ie  wir  sie  au  der  Porcia  ent- 
wickelt haben,  auch  an  den  folgeuden  Basiliken  des  römischen  Forums  aus  der  republikanischen 
Zeit  erweisen  zu  können.  Allein  die  Nachrichten  über  diese  sind  so  spärlich  und  unbefriedigend, 
dass  wenig  mehr  als  die  Frage  entschieden  werden  kann,  ob  sie  die  Laug-  oder  die  Schmalseite 
als  Fronte  gegen  das  Forum  richteten. 

An  derselben  Seite  des  Forums  wie  die  Porcia  lagen  noch  die  Basilica  Fulvia  und  die 
Opimia.  erstere  fünf  Jahre  nach  der  Porcia  (575  d.  St.),  letztere  wohl  vor  600  d.  St.  angelegt. 
Die  Nachrichten  über  die  letztere  beschränken  sich  ausser  einer  unsicheren  Hinweisung  (Cic.  p. 
Sext.  67)  und  einigen  inschriftlicheu  Erwähnungen  ohne  weitere  Bedeutung  (^larini.  Atti  de"  fra- 
telli  Ai-vali  tom.  I.  p.  •212)  auf  eine  Notiz  bei  Van-o  1.  1.  V.  32  p.  156):  ^Senaculum  supra  Graeco- 
stasin,  ubi  aedes  Concordiae  et  Basilica  Opimia-.  aus  welcher  nichts  anderes  her\'orgeht,  als 
dass  diese  Basilica  bei  Senaculum,  Graecostasis  und  aedes  Concordia  des  Fla%-ius  lag.  den  drei 
Bestandtheilen  des  Vulcanal,  wie  in  meiner  obengenannten  Abhandlung  (c.  8)  ausgeführt  worden 
ist.  Doch  habe  ich  damals  mich  noch  nicht  losg-erissen  von  der  o-ewöhnlichen  ai'anz  falschen  An- 
nähme,  welche  bei  topogi'apliischen  Schwierigkeiten  forense  Basiliken  ohne  weiteres  hinter  andere 
Gebäude  verweist,  während  sie  doch  sowohl  der  Natur  der  Sache  nach  als  „ Erweit erimgen  des 
Forums'^  (vgl.  S.  38.)  nothwendig  mit  dem  Forum  in  unmittelbarer  Verbindung  stehen  mussten, 
d.  h.  höchstens  Tabernen  an  der  Fronte  ertrugen,  wie  das  einst  und  jetzt  an  %nelen  öffentlichen 
Gebäuden  üblich  wai-  und  ist.  Die  Basilica  Opimia  musste  demnach,  wenn  sie  neben  dem  Vul- 
canal lag  und  ans  Forum  grenzte,  an  der  Südostseite  des  ersteren  lieffen.  da  die  Südwestseite 
des  Vulcanals  unmittelbar  an  die  Curia  Hostilia  stiess,  wurde  jedoch  nothwendig  von  dem  Vul- 
canal getrennt  durch  die  besprochene  vom  Forum  nach  der  Subura  führende  Strasse. 

An  die  Basilica  Ojiimia  musste  dann  die  Basilica  Fulvia  angrenzen  und  den  Rest  der  nord- 
östlichen Langseite  des  Forums  einnehmen,  wie  aus  dem  Bericht  des  Livius  (XL.  51):  _M.  Fulvius 
erbaute  die  Basilica  hinter  den  neuen  Wechslerbuden  (post  ai-gentarias  novas)'-  hervorgeht.  Die 
Tabernen.  ursprünglich  das  ganze  Forum  umgebend  oder  wenigstens  an  den  beiden  Langseiten 
sich  hinziehend,  und  von  verschiedener  Art,  nemlich  Fleischerbuden  (Liv.  HL  48,  Dionys. 
XL  .37),  Schulstuben  (Liv.  HL  44,  Dionys.  EX.  28).  Wechselbuden  u.  s.  w.,  hatten  sich,  von  den 
öffentlichen  Gebäuden  "mehr  und  mehr  verdrängt .  allmählig  sowohl  in  Bezug  auf  den  Raum  als 
auch  in  Bezug  auf  ihre  Bestimmung  zusammengezogen.  In  Cicero's  Zeit  scheinen  sie  schon  vom 
Comitium  ganz  verschwunden  und  auf  das  Forum  im  engeren  Sinne  (Südwesthälfte  des  Forums 
im  weiteren  Sinne)  beschränkt  gewesen  zu  sein,  wie  wirsie  auch  geradezu  als  argentariae  d.  h.  als 

'  Die  Zeichnungen  besorgte  H.  Riewel,  den  Schnitt  F.  .Schmidl. 


Die  Urfohm  der  römischen  Basilica.  S3 

Banqiiier-  oder  Wechsleriocale  begegnen.  Cicero  nun  nennt  (Acad.  IL  22)  die  argentariae  veteres 
schattig,  die  novae  dagegen  der  Sonne  ausgesetzt,  woraus  mit  Recht  geschlossen  wurde,  dass  die 
letzteren  an  der  Nordostseite  des  Forums  lagen  und  somit  gegen  Südwest  sahen.  Daraus 
folgt  dann  weiterhin  von  selbst,  abgesehen  von  anderen  Argumenten,  dass  die  Basilica 
Fulvia  als  „hinter  den  argentariae  novae"  liegend,  an  der  nordöstlichen  Langseite  des  Forums 
sich  befand. 

Es  ist  aber  nach  dem  Obigen  für  die  Fulvia  an  keine  andere  Stelle  dieser  Forumseite  mehr 
zu  denken,  als  an  den  Raum  neben  dem  noch  erhaltenen  Tempel  des  Antoninus  und  der  Faustina, 
welcher  selbst  auch  nicht  an  die  Stelle  der  Basilica  getreten  sein  kann,  da  letztere  noch  nach  der 
Verlegung  des  Herrschersitzes  von  Rom  nach  Byzanz  erwähnt  wird  (Curios.  Urb.  Rom.  Reg.  IV.) 
Es  bleibt  demnach  auch  hier  nur  ein  bestimmt  limitirter  Raum  von  nicht  einmal  70  Met.  Fronte- 
länge  zwischen  der  obenerwähnten  vom  Forum  Romanum  über  das  Forum  Transitorum  nach  der 
Subura  führenden  Strasse  bis  zu  der  Strasse  auf  der  linken  (nordwestlichen)  Seite  des  Faustinen- 
tempels,  welcher  jedenfalls  ganz  frei  stand,  für  die  Opimia  und  Fulvia  übrig,  worin  ein  werth- 
volles  Resultat  für  die  Gestalt  der  beiden  Basiliken  liegt.  Die  Fronte  des  gegenüberliegenden 
Castortempels  mass  35  Met.,  und  es  wird  niemandem  beifallen,  ein  gleiches  Mass,  wie  es  sich 
durchschnittlich  für  eine  der  in  Rede  stehenden  Basilikenfronten  ergibt,  für  deren  Langseiten  in 
Anspruch  nehmen  zu  wollen.  Es  folgt  also,  dass  auch  diese  beiden  Basiliken  ihre  Schmalseiten 
als  Fronten  gegen  das  Forum  gekehrt  haben  mussten. 

Wenige  Gebäude  jedoch  haben  durch  Verschönerungen,  Restaurationen  und  Neubauten 
wie  durch  die  widersprechendsten  Erklärungen  der  darüber  vorliegenden  classischen  Stellen 
von  Seite  der  Archäologen  und  Topographen  so  mannigfache  Schicksale  gehabt,  wie  die  Basi- 
lica Fulvia  oder  richtiger  Inüvia  et  Aerailia  wie  sie  von  den  beiden  sie  gründenden  Censoren 
M.  Fulvius  Nobilior  und  M.  Aemilius  Lepidus  (später  als  die  Aemilier  sich  besonders  um  das  Ge- 
bäude annahmen,  sogar  überwiegend  mit  dem  letzteren  Namen)  genannt  wurde.  Plinius  zunächst 
berichtet  (XXXV.  3,  4),  dass  M.  Aemilius  Lepidus  seine  Ahnenbilder  (die  unter  dem  Namen 
clipei  bekannten  Porträtmedaillons)  in  der  Basilica  Aemilia  aufliing.  Wir  würden  die  Stelle  der- 
selben auch  ohne  weitere  Kunde  an  dem  Gebälk  oder  Brüstungsgürtel  zwischen  der  unteren  und 
oberen  Säulenreihe  sxichen,  zumal  auch  die  Papstmedaillons  in  cliristlichen  Basiliken  auf  diese 
Stelle  hinweisen,  haben  aber  zu  dieser  Annahme  eine  unabweisbare  Veranlassung  durch  eine  Münze, 
welche  mit  Bezug  auf  diese  Ausschmückung  das  Innere  der  Basilica  darstellt  und  die  clipei 
deutlich  an  jener  Stelle  zeigt.  In  Rücksicht  auf  die  obige  Notiz  des  Plinius  hätte  Zestermann 
nicht  daran  denken  sollen,  die  bei  ihm  (Tab.  II,  Fig.  8)  abgebildete  Münzdarstellung  für  die 
Vorhalle  der  Basilica  zu  nehmen,  und  noch  weniger  Becker  (H.  d.  r.  A.  S.  307.  Anmerk.  o9) 
die  Aussenseite  einer  Langseite  an  derselben  zu  suchen.  So  wenig  Bedeutung  indess  an  sich  die 
Geschichte  von  den  clipei  vom  architektonischen  Standpunkt  aus  hat,  so  gibt  uns  doch  gerade 
diese  Münze  einen  andern  höchst  bedeutenden  Avifschluss.  Sie  zeigt  nämlich  die  zwei  Säulen- 
geschosse mit  zwischenliegenden  schildgeschmücktem  Gebälk,  jedoch  keine  Wandüberhühung 
mit  Fensterbildung,  sondern  unmittelbar  über  der  oberen  Säulenreihe  die  Decke.  Es  lässt  sich 
vom  Ungeschick  sprechen,  mit  welchem  diese  halb  perspectivisch  hergestellt  ist,  allein  es  lässt 
sich  nicht  leugnen,  dass  hier  Decke  und  Dach,  auf  keinen  Fall  aber  eine  überhöhte  Fensterwand 
gemeint  ist,  und  somit  haben  wir  in  dieser  Münze  ein  weiteres  Document  für  die  Behauptung,  dass 
jene  Überhöhung  des  Mittelschiffes  nicht  als  ein  ursprüngliches  Charakteristicum  der  Basilica 
zu  betrachten  sei. 

Von  nicht  minder  grosser  Wichtigkeit  ist  die  bisher  nicht  gelungene  Erklärung  einer  Stelle 
bei  Cicero  ad  Att.  IV.   16:   „Paullus   iu  medio  foro  basilicam  iam  paene  texuit  iisdem  antiquis 


d4  Franz  Reber. 

columnis:  illam  auteru,  quam  locavit.  facit  maornificentissimam.  Quid  quaeiis?  Nihil  gratius  illo 
monumeuto.  nihil  gloriosius.  Itaquc  Caesaris  amici.  —  nie  dico  et  Oppium,  dirumparis  licet  — 
in  moiiumentuni  illud,  quod  tu  tollere  laudibus  solebas,  ut  forum  laxaremiis  et  usque  ad  atrimu 
Libertatis  explicaremus,  contempsimus  sexcenties  HS.  Cum  privatis  non  poterat  transigi  minore 
pecunia".  Indem  man  dies  stets  so  interpretirte:  „Paullus  hat  an  der  Mitte  des  Forum  die  Basi- 
lica  nun  beinahe  mit  denselben  alten  Säulen  hergestellt,  jene  aber,  welche  er  in  Accord  gegeben 
hat,  baut  er  höchst  prachtvoll"  glaubte  man  zwei  Basiliken  annehmen  zu  müssen,  eine  von  Aemilius 
Paullus  restaurirte  und  eine  von  demselben  neu  gebaute.  Weil  aber  weiterhin  und  in  allen  Erwäh- 
nungen nur  von  einer  Basilica  Aemilia  gesprochen  wird,  kam  B  unseu  auf  den  Gedanken,  daraus 
eine  Doppelbasilica  zu  bilden,  wozu  er  die  bekannten  capitolinischen  Planfragmente,  welche 
jedoch  zum  grösseren  Theile  für  die  Ulpia  gehören,  in  Anspruch  nahm.  Die  Uuthunlichkeit  dieses 
Verfahrens  hat  Becker  gezeigt  (T.  302  flg.),  so  dass  es  überflüssig  ist  noch  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  dass  für  einen  so  langgedehnten  Bau  au  der  nordöstlichen  Langseite  des  Forum  kein 
Raum  zu  finden  wäre.  Doch  hat  Becker  keine  begründetere  Behauptung  an  die  Stelle  der  Bun- 
sen'schen  zu  setzen  gewusst,  indem  er  die  Yermuthung  aufstellte,  da^■s  mit  dem  Neubau  des 
Paullus  die  Basilica  Julia  gemeint  sei.  Die  dafür  beigebrachten  Gründe  sind  so  schwach,  dass 
man  schwer  begreift,  wie  Becker  überhaupt  mit  solchen  operiren  wollte,  und  auch  was  Zester- 
mann  (S.  63.  Anm.  ISO)  dafür  ins  Feld  schickte,  befriedigt  ihn  selbst  so  wenig,  dass  es  trotz  der 
Geneifftheit  für  die  Becker'sche  Vermuthung  auch  ihm  scheint  ..als  ob  Cicero  hier  nur  von  einem 
Baue  spräche". 

Dies  ist  auch  entschieden  der  Fall  und  bei  genauerer  Betrachtung  der  Stelle  muss  der 
Gedanke  an  zwei  Basiliken  vollkommen  schwinden.  Was  sollen  wir  uns  denn  unter  dem  ..iam  paene" 
denken,  wenn  wir  der  obenangefühi-ten  Interpretation  folgen  wollen?  Hierin  liegt  doch  gewiss  die 
Nutzlosigkeit  des  bereits  fast  vollendeten  Baues  ausgesprochen.  Ich  muss  mir  daher  erlauben, 
eine  andere  Interpretation  vorzuschlagen:  ..Paullus  hatte  die  Basilica  in  der  Mitte  des  Forum  unter 
Belassung  der  alten  Säuleu  bereits  fast  wieder  unter  Dach  gebracht,  da  begann  er  sie  von  Grund 
auf  neu  bauen  zu  lassen  und  stellt  sie,  nun  auf  das  prachtvollste  her".  Dann  fähi-t  Cicero  fort: 
,. Welcher  Einfall!  wirst  du  sagen.  —  Als  ob  es  etwas  beliebteres  uud  etwas  ruhmvolleres  gäbe  als 
jene  öffentliche  Anlage !  Desswegen  haben  auch  wir  Freunde  Cäsars  (ich  nenne  nämlich  —  auch 
wenn  du  dies  übel  aufnimmst  —  mich  und  den  Oppius  so)  für  dies  Gebäude,  das  du  so  sehr 
zu  rühmen  pflegtest,  sechzig  Millionen  Sesterzen  nicht  augesehen,  um  dadurch  das  Forum  noch 
mein-  zu  erweitem  und  es  bis  an  das  Atrium  Libeitatis  auszudehnen ;  für  einen  geringeren  Preis 
konnte  man  nämlich  mit  den  Privatbesitzern  nicht  zurecht  konuuen". 

In  dieser  Stelle  ist  jedenfalls  auch  auf  eine  Vergrösserung  des  ursprünglichen  Planes  hin- 
gedeutet, sowohl  durch  die  Erwähnung  des  hohen  für  abgelöste  Privatgrundstücke  bezahlten 
Preises,  wie  auch  durch  den  Umstand,  dass  nun  die  Anlage  bis  zum  Atrium  Libertatis  sich 
ersti'eckte.  Von  der  Lage  dieses  zwar  mehrfach  erwähiiten  Atrium  wissen  wir  allerdings  sonst 
nichts,  doch  kann  es  niu-  da  gesucht  werden,  wo  nachmals  Forum  und  Templum  Pacis  angelegt 
wurde,  nämlich  nordöstlich  vom  Forum  weg  gegen  die  Carinen  hin :  denn  an  der  Stelle  des  nach- 
maligen Faustinatempels  kann  es  nicht  angenommen  werden,  weil  sich  bis  zu  dieser  die  Basilica 
Fulvia  schon  in  ihrer  ersten  Anlage  erstreckt  haben  musste,  wie  oben  gezeigt  worden  ist;  auch  au 
der  gegenüberliegenden  Nordwestseite  konnte  es  nicht  liegen, weil  hier  die  Opimia  augränzte.  und 
sonach  nichts  mehr  von  Privaten  zu  kaufen  war,  gegen  das  Forum  heraus  aber  waren  nur 
Tabenien,  die  argentainae  novae,  ..hinter  welchen"  die  Fulvia  angelegt  wurde.  Gleichwohl  ver- 
muthe  ich  eine  Vergrösserung  nicht  blos  nach  rückwärts,  sondern  auch  nach  der  Fronte  zu,  da 
die  neue  -Basilica  magnificentissima*'  jedenfalls  einer  entsprechenden  Fa^ade  bedingten,  welcher 


Die  Urform  der  römischen  Basilica.  OÖ 

die  Tabernen  weichen  mussten,  wie  bald  darauf  auch  die  Tabernae  veteres  vor  der  Julia,  und  da 
man  nur  von  den  Besitzern  der  Tabernae  tbrenses  einen  so  hohen  Kaufpreis  annehmen  kann,  den 
die  „subbasilicani"  (Hinterbasilicaner)  für  ein  verhältnissmässig  kleines  Areal  kaum  fordern 
durften.  Ob  die  weiterhin  nicht  mehr  erwähnte  Bas.  Opimia  durch  einen  Neubau  der  Aemilia  — 
sei  es  nun  durch  diesen  des  Aem.  PauUus  oder  durch  einen  späteren,  da  der  Prachtbau  zwanzig 
Jahre  nach  der  Vollendung  wieder  abgebrannt  war  740  d.  St.  —  in  der  vergrösserten  Aemilia  auf- 
gieng,  wie  die  Sempronia  in  der  Julia  aufgegangen  sein  muss,  wird  niemand  entscheiden  können. 
Wenn  es  aber  auch  geschah,  so  musste  darum  die  Aemilia  noch  nicht  ihre  Langseite  dem  Forum 
zuwenden,  da  ja  auch  die  B.  Julia  GO  Met.  in  der  Breite  mass  und  Cicero's  Notiz  von  der  Aus- 
delmuns:  der  Aemilia  bis  zum  Atrium  Libertatis  aiif  eine  namhafte  Tiefe  schliessen  lässt.  Doch 
berührt  das  unsere  Untersuchung,  welche  zunächst  nur  auf  die  ursprüngliche  Form  der  älteren 
Basiliken  gerichtet  ist ,  weniger.  Von  dem  Innern  wissen  wir,  dass  die  ursprüngliche  Säulen- 
gliederung (Cic.  a.  a.  0.)  blieb,  denn  Plinius  XXXVI.  15,  102  rühmt  die  wunderbare  Säulenpracht 
aus  phrygischem  Marmor,  und  dürfen  wohl  auch  annehmen,  dass  die  Doppelstellung  der  Säulen- 
reihen übereinander,  wie  sie  die  mehrerwähnte  Münze  der  Fam.  Aemilia  zeigt,  nicht  geän- 
dert ward. 

In  derselben  Weise  wie  die  drei  genannten  scheint  auch  die  vierte  Basilica  des  Forum 
Romanum,  die  Sempronia,  die  Schmalseite  als  Fronte  nach  dem  Forum  gewendet  zuhaben.  Diese 
Basilica,  585  d.  St.  von  Tiberius  Sempronius  Gracchus  „pone  veteres"  erbaut  (Liv.  XLIV.  16), 
lag  sonach  jedenfalls  an  der  Südwestseite  des  Forums  und  zwar  gegen  dieses  selbst  gewandt, 
obwohl,  wie  damals  auch  noch  die  Fulvia,  die  Tabernen  vor  sich  lassend,  wie  das  Ze  st  ermann 
gegen  Becker  geltend  gemacht  hat  (S.  63  Anm.  181).  Sempronius  kaufte  hiezu  als  Bauplatz  das 
Haus  des  P.  Corn.  Scipio  Africanus  nebst  den  damit  verbundenen  Fleischbänken  und  anderen 
Buden.  Der  so  geschilderte  Bauplatz  erklärt  sich  vollkommen  durch  die  wohlbekannte  Gestalt 
des  Hauses  eines  Römers,  wie  sie  nicht  blos  Vitruv  schildert,  sondern  wie  wir  sie  auch  in  zahl- 
reichen Beispielen  aus  Pompeji  vor  uns  haben.  Dieses  bildet  zumeist  ein  Oblongum,  dessen  eine 
Schmalseite  als  Eingangsseite,  somit  als  Fronte  erscheint;  die  an  Strassen  gränzenden  Seiten  sind 
von  Tabernen  umzogen.  Übertragen  wir  diese  Form,  wie  beispielsweise  vom  Hause  des  Pansa  in 
Pompeji ,  an  das  Forum  Romanum ,  und  zwar  an  die  Ecke  wo  der  Vicus  Tuscus  einmündete 
(Becker  S.  341.  489),  der  nachweislichen  Stelle  des  scipionischen  Hauses,  und  betrachten  diese 
Form  als  Bauplatz  für  die  neue  Basilica  Sempronia,  so  werden  wir  auch  für  diese  eine  ähnliche 
Richtung,  wie  wir  sie  an  der  Porcia,  Opimia  und  Fulvia  gefunden,  nämlich  die  Schmalseite  als 
Fronte  am  Forum,  vermuthen  dürfen. 

Zwischen  diesen  und  den  bekannten  nächstangelegten  Forumbasiliken,  der  Julia  und  den 
vitruvischen,  liegt  mehr  als  ein  Jahrhundert,  jene  Periode  der  Bürgerkriege,  welche  weniger  an 
Werke  des  Friedens  und  des  Verkehrs  denken  Hess.  Wie  es  stets  in  Zeiten  politischer  Auflösung 
zu  geschehen  pflegt,  das  Interesse  für  das  allgemeine  Wohl  trat  zurück  hinter  Privatinteressen, 
und  je  weniger  für  öff'entliche  Bauten  geschah,  desto  anspruchsvoller  entstanden  die  Privatgebäude. 
Die  Säulensäle  am  Forum  boten  die  Vorbilder  dar  für  grössere  Säulensäle  in  Privathäusern,  und 
schon  in  augusteischer  Zeit,  wie  wir  aus  Vitruv  sehen,  waren  Basiliken  in  Privathäusern  gar 
nichts  ungewöhnliches  mehr.  Die  Parteihäupter  des  damaligen  Rom  brauchten  grosse  Versamm- 
lungssäle, um  ihre  Angelegenheiten  schon  geordnet  zu  haben,  ehe  sie  dieselben  vor  das  gesammte 
Volk  brachten.  Hervorragende  Männer  mit  ausgedehnter  Clientel  bedurften  grosser  Audienzsäle, 
in  welchen  sie  die  Schaaren  von  unfreiwilligen  und  freiwilligen  Hörigen  empfiengen,  theils  um 
lediglich  ihre  Aufwartung  entgegenzunehmen,  theils  um  das  ihnen  zustehende  Richter-  oder  wenig- 
stens Schiedsrichteramt  zu  pflegen.   Wir  müssten  uns,   auch  wenn  wir  über  die  Gestalt  dieser 


56  Franz  Rebeb. 

Räume  nichts  weiter  \\-iis?ten.  solche  grosse  Säle  in  einer  Zeit,  in  der  das  Wölben  noch  nicht  in 
so  o-rossen  Dimensionen  —  nnd  am  wenigsten  im  Privatban  —  in  Anwendung  gekommen  war. 
uno-efähr  in  der  Alt  der  Basilica  Porcia  und  überhaupt  der  älteren  Forumbasiliken  denken,  nun  aber, 
da  diese  Säle  ausdi-ücklich  Basiliken  genannt  werden,  kann  gar  kein  Zweifel  mehr  obwalten. 
dass  diese  Palastsäle  ursprünglich  jenen  älteren  forensischen  ganz  ähnlich  waren.  Denn  ein 
ähnlicher  Zweck  konnte  hier  niir  das  geringste  Motiv  für  den  Namen  sein,  das  nächstliegende  war 
die  ähnliche  Form. 

Da  wir  aber  einerseits  Messmer  den  gesicherten  Nachweis  verdanken,  dass  die  christliche 
Basilica  von  der  Privatbasilica  ihren  Ausgang  genommen  und  da  anderseits  hier  der  Nachweis 
o-eliefert  sein  dürfte,  dass  die  älteren  forensen  Basiliken  den  christlichen  ihrer  Erscheinung  nach 
weit  näher  stehen  als  die  forensen  der  Kaiserzeit,  so  kann  dem  Schlüsse  nichts  im  Wege  stehen, 
dass  die  Privatbasiliken,  welche  nach  Vitruv  in  augusteischer  Zeit  schon  ganz  gebräuchlich 
scheinen,  sich  an  den  ihnen  vorliegenden  voraugusteischen  Urtypus.  wie  er  sich  am  Forum 
Romanum  in  republikanischer  Zeit  ausgeprägt  hatte,  anlehnten,  und  diesen,  ohne  auf  die  Fort- 
entwickluns:  der  forensen  Gebäude  der  Art  weitere  Rücksicht  zu  nehmen,  nur  nach  den  Bedin- 
gungen  des  geschlossenen  Hauses  ein  für  allemal  vereinfachten  und  modificirten,  wäln*end  die 
forensen  Basiliken  den  gesteigerten  Anforderungen  an  Fa^adenbildung  und  an  grössere  Solidität 
diu-ch  Pfeiler  und  Gewölbe  wie  auch  dem  Ruhm  von  Bauunternehmern  und  Architekten  den 
ursprünglichen  T^-pus  fast  ganz  zum  Opfer  brachten. 

In  zwei  nicht  unwesentlichen  Beziehiingen  aber  scheint  die  Privatbasilica  den  basilicalen 
ürtvpus  alterirt  zu  haben.  Zunächst  in  Rücksicht  auf  die  Lichtzufuhr.  Die  forense  Basilica  stand 
an  mehreren  Seiten  frei  und  erfreute  sich  daher  einer  ausgiebigen  Aussen-  und  Fensterentwicklung; 
die  Privatbasilica  dagegen  war  in  den  Palastcomplex  eingebaut  und  hatte  soviel  wie  keine  Aussen.- 
entwicklunor.  Stiessen  allenthalben  andere  Säle.  Corridore  u.  s.  w.  an,  so  hatte  man  zum  Zweck 
hinreichender  Beleuchtung  der  Basilica  nur  die  Wahl  zwischen  hypathraler  Anlage  (die  übrigens 
der  praktische  Römer  verschmähte.  Vitruv  III.  2,  8)  und  der  Überhöhung  des  Mittelraumes,  um 
die  Fenster  über  den  Seitenräumen  anzubringen,  wo  kein  Anbau  mehr  hindern  konnte.  Diese 
letztere  Einrichtung,  bisher  als  einer  der  Grundzüge  des  basilicalen  Typus  festgehalten,  wiu-de 
oben  für  die  zwei  ältesten  öffentlichen  Basiliken,  wie  frir  die  Normalbasilica  des  Vifruv  in  Abrede 
gestellt  und  wird  wakrscheinlich  aucli  au  den  übrigen  mit  Ausschluss  der  anomalen  Fanum-  und 
Constantinsbasilica  gefehlt  haben.  Erst  in  der  Privatbasilica  tritt  diese  Oberwand  des  Mittelraums 
als  structiv  nothwendig  auf,  und  ich  trage  kein  Bedenken,  die  Einführung  dieser  Eigenthümlich- 
keit  der  Privatbasilica  zuzuschreiben.  Dieser  Neuerung  musste  jedoch  eine  zweite  nothwendig 
auf  dem  Fusse  folsren.  Dem  Techniker  ist  es  nämlich  völlig  klar,  dass  der  Architekt  sich  auf  der 
äussersten  Grenze  der  Solidität  bewegte,  wenn  er  auf  ein  grosses,  lediglich  aus  doppelt  über- 
einandergestellten  Säulenreihen  gebildetes  Rechteck  Decke  und  Dach  legte,  indem  wenigstens  die 
Ecken  eine  kräftigere  Stütze  als  zwei  übereinandergesetzte  Säulen  zu  erfordern  scheinen.  Auf  ein 
solches  zweio^eschossig-es  Säulenrechteck  aber  ausser  Decke  \ind  Dach  noch  eine  wenn  auch  durch 
Fenster  unterbrochene  Wand  zu  stellen,  erscheint  als  ein  so  gewagtes  architektonisches  Experiment, 
dass  wir  es  einem  Römer  nicht  zutrauen  dürfen.  Die  Oberwand  erheischte  dringend  einen  kräfti- 
geren Abschluss  an  den  Ecken  und  dieser  konnte  durch  eine  naheliegende  Vereinfachung  des 
basilicalen  Planes  leicht  erreicht  werden.  Man  brauchte  nur  die  Allseitigkeit  der  Nebenräume 
aufzugeben  und  diese  nur  zweiseitig  als  zwei  Nebeuschiffe  herzustellen,  so  fanden  die  Säulenreihen 
mit  ihrer  Last  an  den  beiden  Wänden  der  Schmalseiten  einen  genügend  kräftigen  Abschluss  und 
die  Anlage  wurde  structiv  weit  weniger  bedenklich.  Dadurch  wurde  zwar  die  Continuität  des 
oberen  Umganges  aufgelöst,  allein  man  konnte  sich  dazu  um  so  leichter  entschliessen,  als  die  Ver- 


Die  l  RFORM  DER    RÖMISCHEN  BaSILICA.  S7 

kehrs-  und  Spazierritume  des  Obei-geschosses  in  der  Privatbasilica  als  ganz  überflüssia-  erscheinen 
mussten.  Ja  das  Obersreschoss  der  Nebenscliiffe  überhaupt  musste  ansresichts  der  Zwecklosip-keit 
desselben  in  den  Privatbasiliken  im  Laufe  der  Zeit  verschwinden,  während  die  Verdoppelung  der 
Seitenschiffe  durch  eine  weitere  Säulenreihe  beiderseits  im  Erdgeschosse,  wie  sie  auch  die  forense 
Basilica  Ulpia  zeigt,  in  grösseren  derartigen  Sälen  beliebt  blieb,  und  so  in  die  christliche  Basilica 
hinübergeführt  worden  zu  sein  scheint. 

Ich  glaube  somit  mein  Ziel  erreicht  und  nach  Herstellung  des  basilicalen  Urtypus  in  der 
Porcia  nnd  in  den  nächstfolgenden  Basiliken  das  Problem  gelöst  zu  haben,  wie  sich  die  Privat- 
basilica den  forensen  Vorbildern  der  voraugusteischen  Zeit  gegenüber  verhielt.  Die  Bahnen  der 
Entwicklung  der  forensen  Basiliken  der  Kaiserzeit  einerseits  und  der  auf  den  Forumbasiliken 
der  Republik  fussenden  Privatbasilica  anderseits  gingen  weit  auseinander,  wie  es  sowohl  der  ver- 
schiedene Zweck  als  die  structiven  Bedingungen  erheischten.  In  der  Privatbasilica  und  somit 
in  deren  Tochter,  der  christlichen,  verblieb  von  dem  in  Bezug  auf  die  letztere,  so  zu  sagen  gross- 
mütterlichen Urtypus  die  Anordnung  der  Fronte  an  der  einen  und  des  Tribunals  an  der  anderen 
Schmalseite,  wie  auch  die  Gliederung  des  Innern  durch  Säulen,  ersteres,  weil  für  die  Privatbasi- 
lica das  Äussere  gar  nicht  in  Betracht  kam  und  eine  imposaiite  längere  Facjade  ganz  bedeu- 
tungslos, ja  unmöglich  gewesen  wäre,  indem  der  Basilikensaal  in  den  übrigen  Palast  eingebaut 
Mar  und  ein  mit  der  Langseite  nach  vorn,  ohne  Zweifel  nach  dem  Epistyl,  gewendeter  grösserer 
Saal  den  ganzen  Complex  abgesperrt  und  unzweckmässig  getheilt  hätte;  das  zweite,  weil  zu  einer 
Vermehrung  der  Tribunale  kein  Grund  sein  konnte,  im  übrigen  abhängend  vom  ersten;  das 
dritte,  weil  die  Verhältnisse  eines  Hauses  bei  geringerem  monumentalen  Charakter  riesigen 
Gewölbebau  weder  zu  fordern  schienen,  noch  die  dadurch  nöthig  werdenden  verstärkten  Wider- 
lager und  Wände  angemessen  erscheinen  lassen  konnten.  Im  Gegensatz  damit  wiu-de  bei  den 
öffentlichen  Gebäuden  der  Kaiserzeit  die  äussere  Erscheinung  von  gesteigerter  Bedeutung  und 
von  Augustus  Zeit  an  wendeten  die  meisten  forensischen  Basiliken  ihre  Langseite  als  imposante 
Facjade  den  Foren  zu.  Dadurch  musste  sich  auch  die  Lage  der  Apsis  ändern,  welche  jetzt  natur- 
gemäss  an  der  der  Fronte  gegenüberliegenden  Laugseite  zu  suchen  ist  (Bas.  v.  Fanum).  Die 
Apsidenverhältnisse  wurden  aber  nicht  minder  durch  den  Umstand  alterirt,  dass  man  zwei,  ja 
sogar  vier  Tribunale  in  einer  Basilica  anordnete,  und  im  ersteren  Falle  an  jeder  der  beiden 
Schmalseiten  (B.  Ulpia)  oder  an  einer  Schmalseite  und  an  einer  Langseite  (Constantiniana)  die 
Apsiden  anlegte,  im  letzteren  Falle  aber,  bei  vier  Tribunalen,  ganz  auf  die  Apsidenbildung  ver- 
zichtete (Bas.  Julia).  Solche  radicale  Modificationen  des  Planes  im  allgemeinen  und  füi"  jeden 
einzelnen  Fall  verliehen  auch  die  Befugniss  zu  den  weitgehendsten  Änderungen  von  Stützen  und 
Decke.  Während  man  in  den  Privatbasiliken  mit  den  Dimensionen  doch  nicht  über  ein  gewisses 
beschränktes  Maass  hinausgehen  konnte,  so  dass  die  horizontale  Holzüberdeckung  immer  leicht 
thunlich  blieb,  wurde  bei  Dimensionen  wie  an  der  Constantiniana  diese  zur  Unmöglichkeit.  Der 
Private  zog  auch  die  Unverwüstlichkeit  seiner  Anlagen  nicht  in  dem  Grade  in  Rechnung,  wie  der- 
jenige, welcher  in  einem  öffentlichen  Bauwerke  sich  selbst  ein  unverwüstliches  Denkmal  errichten 
wollte.  Aus  diesen  Gründen  lag  es  für  die  forensen  Basiliken  nahe,  unter  theilweiser  (B.  Julia) 
oder  gänzlicher  (B.  Constantiniana)  Aufgebung  der  Holzdecke  Gewölbe  in  Anwendung-  zu 
bringen,  wodurch  die  Basilica  sich  gänzlich  umgestalten  musste,  indem  weder  Säulen  noch  ein- 
fache Wände  hiefür  mehr  grenüp'ten. 

Die  römische  Ai-chitektur  der  Kaiserzeit  konnte  daher  ihre  Aufgabe  bei  Herstellung  einer 
forensen  Basilica  nicht  so  fassen,  als  sollte  sie  eine  traditionelle  Form  reproduciren ,  sondern  als 
hätte  sie  einen  öffentlichen  Saalbau  herzustellen,  füi'  welchen  zunächst  örtliche  Bedingungen, 
relative  Zweckmässigkeit,   Solidität  und  Pracht,   der  basilicale  Urtypus  aber  nur  insofern  mass- 


o8  Franz  Rebeb.  Die  Urform  der  römisches  Basilica. 

«•ebend  war.  als  er  mit  der  Bestimmung-  des  Gebäudes  uiizertreunlicli  erschien.  Im  Ubricren  strebte 
sie  dai-nach.  neue  Formen  und  Arten  zu  finden  und  immer  wieder  Neues  zu  schaffen,  was  um  so 
wenio-er  zu  tadeln  ist.  als  ja  dies  sogar  zu  den  Aufgaben  der  Kunst  gehört.  Solche  technische 
Ansti-enooing'en  und  unablässige  Neuerungen,  wie  an  monumentalen  Werken  hielt  jedoch  die 
Architektur  im  Privatbau  nicht  füi*  nöthig  und  so  konnte  die  Privatbasilica  wirklich  einigem 
Schablonismus  verfallen,  der  dann  auch  in  der  christlichen  Basilica  traditionell  verblieb.  Hätte 
die  chi-istliche  Ai'chitektur  an  der  forensen  Basilica  der  cunstantinischen  Zeit  angeknüpft,  so  wäre 
dies  bei  o-anz  anderem  Ausgangspunkt  für  die  Entwicklung  der  christlichen  Architektur  von 
unberechenbar  grossen  Folgen  gewesen,  doch  wie  ich  zuversichtlich  glaube .  nicht  von  Vortheil : 
denn  der  Weiterbildung  der  gewaltigen  Gewölbeai-chitektur,  wie  sie  in  der  Basilica  Constantiniana 
und  in  den  Diocletianthennen  nicht  ohne  Spm-en  einer  letzten  übermässigen  Anstrengung  vorliegt. 
war  das  erschöpfte  Westreich  nicht  mehi*  gewachsen :  dieses  bedurfte  wie  ein  ausgesogener  Acker- 
grund  längerer  Brache,  und  für  eine  solche  wai*  der  einfachste  Typus  zu  allen  Werken  der  ange- 
messenste und  vielleicht  allein  mögliche. 


so 


Das  Melkerkreuz. 


Von   Dr.   E.  Fk.  v.   Sacken. 


(Mit  7  Holzschnitten.) 

iJie  Kleinkünste  oder  sogenannten  Kunstgewerbe  zeigen  in  der  Geschichte  der  Kunst  zu  keiner 
Zeit  eine  selbständige  Entwicklung,  sondern  sie  werden  stets  von  der  grossen  Kunst  getragen 
und  sind  nur  die  Sprossen  derselben.  Wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  bei  den  wilden  und  barbari- 
schen Völkern,  bringen  sie  es  nicht  über  die  primitive  Stufe  manueller  Fertigkeit  und  regelloser, 
verwildeter  Ornamentik  hinaus;  bei  allen  Kunstvülkern  aber  folgen  sie  als  Dependenzen  der 
Grosskunst  dem  Style  derselben,  insbesondere  der  Architektur. 

Von  jeher  hat  die  Goldschmiedekunst  unter  ihnen  die  hervorragendste  Stelle  eingenommen. 
Es  liegt  dies  zum  Theile  schon  im  edlen  Materiale,  das  man  keiner  ungeübten  Hand  anvertrauen 
mochte,  besonders  aber  darin,  dass  sie  zu  den  höchsten  Zwecken  verwendet  wurde,  als  edelster 
Schmuck  der  Cultusgeräthe  und  zur  prächtigen  Leibeszier  derjenigen  Classe,  welche  die  meiste 
Bildung,  den  raffinirtesten  Geschmack  besass.  Schon  in  den  ältesten  Zeiten,  bei  Ägyptern  '  und 
Griechen  finden  wir  daher  Goldschmiedearbeiten  von  bewundernswürdiger  Vollendung,  die  mit 
Recht  von  den  Zeitgenossen  gepriesen  wurden,  und  aus  griechischen  und  etruskischen  Gräbern 
kamen  Erzeugnisse  zu  Tage,  welche  die  ausserordentliche  Blüte  dieses  Kunstzweiges  und  die 
höchste  Stufe  der  Technik  bekunden  ". 

Auch  der  Norden  blieb  nicht  zurück;  wir  treffen  hier  eine  hohe,  sehr  weit  hinatifreichende 
Ausbildimg  der  Kunst  die  Edelmetalle  zu  bearbeiten ,  insbesondei-e  bei  den  germanischen 
Stämmen,  bei  denen  sie  mit  einer  sehr  vorgeschrittenen  Eisentechnik  in  Verbindung  stand.  In 
Formgebung  und  Ornamentik  beruht  sie  ganz  auf  eigenthümlichen  Elementen  und  wich  selbst 
nicht  dem  überwältigenden  Einflüsse  römischer  Cultur,  der  bisweilen  Zwitter-  oder  Mischformen 
herbeiführte,  in  denen  die  beiden  zusammentreffenden  Elemente  mehr  oder  minder  unvermittelt 
neben  einander  herlaufen.  Wir  besitzen  eine  Reihe  solcher  Arbeiten  von  österreichischen  und 
ungarischen  Fundorten  ^   Ein  sehr  wichtiger  Zweig  der  ornamentalen  Metalltechnik,  die  Kunst 

>  Z.  B.  der  prachtvolle  emaillirte  Goldschmuck  einer  äthiopischen  Königin ,  zu  Meroe  gefunden ,  jetzt  im  Museum  zu 
Berlin.  Lepsius,  Denkmäler  von  Ägypten  und  Äthiopien  X,  Tat'.  42. 

2  So  besonders  die  herrlichen  Goldschmucksachen  aus  den  Gräbern  von  Kertsch  (dem  alten  Panticapaeum)  in  der  Krim 
(Antiquites  du  Bospore  Cimmerien,  T.  III);  Stackeiberg,  die  Gräber  der  Griechen,  Tat".  LXXII,  Museum  Gregorianum  I 
Tab.  76,  82—91. 

3  Namentlich  von  Wulzeshofen  in  Nied.  Österreich,  von  der  Puszta  Bakod  bei  Kalocsa  (Mittheil.  V,  102)  und  aus  dem 
Saroser  C'omitat.  Von  Funden  im  Norden  sind  die  von  Süder  Brarup  in  Schleswig  die  bedeutendsten  dieser  Kategorie 
(Engelhardt,  Thorsberg  Mosefuud). 

XIV.  9 


f)0  Di:.  H.  Fk.  V.  Salkex. 

des  Emaillirens,  scheint  bei  den  nordisclien  Völkern  schon  im  III.  Jiüirhundert  vor  Christus  in 
Übuno:  gewesen  zu  sein,  während  er  den  Griechen  noch  unbekannt  war'.  Ebenso  ist  der  Besatz 
mit  dünnen  Plättchen  von  Granat,  farbigem  Glase  oder  weissem  mit  unterlegter  Folie  oder  Pur- 
purseidenstoff,  in  Kapseln  gefasst  oder  in  ein  aus  aufrechten  Wändchen  gebildetes  Rahmenwerk 
eingelegt,  eine  charakteristische  Eigenthünilichkeit  der  nordischen  Goldschmiedearbeiten.  Von 
der  Ausbildung  dieser  Technik  und  der  vieltachen  Übung  der  Goldschmiedekunst  bei  den  ger- 
manischen Völkern  im  V.,  VI.  und  VII.  .Jahrhundert  geben  uns  die  kostbaren  Überbleibsel  der 
Schätze  gothischer,  fränkisclier  und  longobardischer  Fürsten  einen  Begriff,  so  der  wahrscheinlich 
dem  Westo^otlienkönige  Athanarioh  geliürige,  zu  Petreosa  in  der  Walachei  im  Jahre  1837  auf- 
gefundene Schatz  *,  das  an  Goldschmuck  sehr  reiche  Grab  des  Frankenkönigs  Childerich  (bei 
Tournav  entdeckt  1653)  *,  die  Weihgeschenke  und  Reliquiarien,  welche  Theodolinde,  Königin 
der  Longobarden  nach  Monza  schenkte,  die  prachtvollen  Kronen  der  Westgothen  Recesvinth  und 
Svinthila,  die  bei  Toledo  gefunden  wurden  und  sich  gegenwärtig  nebst  vier  Votivkronen  derselben 
Zeit  im  Hotel  Cluny  befinden  ',  nebst  zahlreichen  Fundstücken  aus  Ungarn  und  Siebenbürgen  '. 
So  sehen  wir  also ,  dass  die  Bearbeitung  der  Eldelmetalle  eine  sehr  alte  nationale  Kirnst  ist  und 
es  wird  iins  nicht  wundern,  dass  sie  schon  im  frühen  Mittelalter  auch  diesseits  der  Alpen  eint- 
verhältnissmässig  hohe  Stufe  der  Ausbildung  eiTcichte.  Auf  die  Ornamentik  waren  die  heimischen 
Traditionen  vom  entschiedensten  Einflüsse,  besonders  sind  die  beliebten  Bandverschlingungen 
und  phantastischen  Thierbildungen  des  romanischen  Styles  hierauf  zurückzuführen,  ein  Umstand, 
der  noch  bei  weitem  nicht  genug  gewürdigt  und  untersucht  ist.  denn  thatsächlich  finden  sich  die 
Prototvpe  der  romanischen  Verzierungsweise  in  den  altgermanisclien  Metallarbeiten. 

Der  o-rosse  Bedarf  an  kirchlichen  Geräthen,  insbesondere  der  ausgebreitete  Reliquiencultus 
trut^en  wesentlich  zur  Förderung  der  Goldschmiedekunst  bei.  Seit  Karl  dem  Grossen  und  den 
Verbindungen  mit  Italien  machte  sich  ein  wahrer  Heisshunger  nach  Reliquien  geltend,  die  man 
als  die  theuren  verehrungswürdigen  Überreste  der  auserwählten  Vorkämpfer  für  das  Christen- 
thum  mit  kostbaren  Fassungen  versah ,  um  sie  in  wüi-diger  Weise  zur  allgemeinen  Verehrung 
auszusetzen'.  Man  wählte  gern  eine  der  Reliquie  conforme  Fassung,  so  für  das  Cranium  den 
Kopf  oder  die  Büste,  für  einen  Armknochen  die  Form  eines  emporstehenden  Ai'mes  mit  der 
Hand  u.  s.  w.,  und  so  wurden  aucli  für  die  Partikeln  des  Kreuzes  Christi,  die  vornehme  Ki'euz- 
fahrer  als  das  theuerste  Angedenken  mitbrachten,  gew-öhnlich  ki'euzförmige  Reliquiarien  ange- 
fertio"t,  die  weo-en  des  unschätzbaren  Werthes  der  Reliquie  auf  das  kostbarste  ausgestattet 
wurden  '". 

Auch  die  Lieblingsstiftung  der  Babenberger,  das  als  Collegiatstift  von  Leopold  I.  985,  als 
Benedictinerabtei  vom  Markgrafen  Leopold  III.  1089  gegründete  Kloster  Melk  wurde  um  1040 
von  dem  siegreichen  Markgrafen  Adalbert  mit  einer  Ki-euzpaitikel  beschenkt.  Die  Form  der 
Fassung  dieser  kostbaren  Reliquie  war  die  eines  Kreuzes;  dass  sie  von  Gold,  sehr  prächtig  und 
werthvoU  war,  geht  aus  dem  Umstände  hervor,  dass  im  Jahre  1170  sich  ein  Cleriker,  Namens 
Rupert  durch  die  Begierde  nach  dem  Golde  verleiten  liess,  die  Kreuzpartikel  zu  entwenden,  die 
durch  mehrere  Hände  zuletzt  in  das  Schottenkloster  zu  Wien  kam.  An  den  Streit  um  den  Besitz 

*  Philostratus,  Iiuag.  I,  28.:  „Es  wird  berichtet,  dass  die  dem  Ocean  ben.ichbarten  Barbaren  die  Farben  dem.glülieiideii 
Metalle  auflegen,  dass  diese  fest  bleiben  und  wie  .Stein  erhärten,  und  dass  ein  solches  Gemälde  ewige  Dauer  hat". 
'  Mittheil.  d.  k.  k    Cent.  (onim.  XIII,  lOö. 

«  Chifletius,  Anastasis  Childerici  regis.  —  Cocbet.  Le  tombeau  de  Childerie  I. 
'  Bock,  die  Kleinodien  des  h.  röm.  Reiches.  Taf.  36,  37,  S.  171. 

"  Arneth,  die  antiken  Gold-  und  Silbermonumente  des  k.  k.  .Münz-  und  Antikencabinetes.  Taf.  XI    Xll. 
'  Vgl.  Bock,  der  Keliquienschatz  des  Liebfrauenmünsters  zu  Aachen.  Kiul. 
'0  Ebenda,  S.  :*6  ff. 


Das   Mklkerkueuz.  61 

des  Heilig-thumes,  der  nun  zwischen  den  beiden  Äbten  Finanu.s  von  den  Schotten  und  Sighard 
von  Melk  entstand  und  zu  Gunsten  des  letzteren  endete,  hat  sich  eine  ganz  dem  Geiste  des 
Mittelalters  entsprechende  Sage  geknüptib.  Man  schritt  nämlich,  da  jeder  der  beiden  Äbte  sein 
Recht  geltend  machte,  zur  Entscheidung  durch  das  Gottesurtheil  und  es  sollte  das  zwischen  beide 
gestellte  Kreuz  dem  zugehören,  auf  dessen  Seite  es  sich  hinneigen  würde.  Es  näherte  sich  aber, 
von  wunderbarer  Kraft  bewegt,  dem  Abte  von  Melk.  Hiermit  noch  nicht  zufrieden,  ordnete  man 
ein  zweites  Gottesgericht  an,  dem  zufolge  die  Entscheidung  davon  abhängen  sollte,  wohin  das 
in  einem  leeren  Kahne  auf  der  Donau  ausgesetzte  Kreuz  schwimmen  würde.  Nachdem  nun  der 
Nachen  ohne  Beihülfe  stromaufwärts  bis  Nussdorf  schwamm,  wurde  die  Reliquie  dem  Stifte  Melk 
zugesprochen  und  für  den  Tag  der  Auffindung  (13.  Februar  1170)  eine  besondere,  bis  auf  den 
heutigen  Tag  zum  Theil  bestehende,  kirchliche  Feier  angeordnet  ". 

Ein  besonderer  Gönner  des  Stiftes  Melk  war  Herzog  Rudolph  IV.,  der  bei  seinen  wieder- 
holten Besuchen  (am  22.  Jänner  und  31.  August  1362)  nicht  nur  demselben  wichtige  Vorrechte 
gewährte,  sondern  auch  für  die  kunstvollere  Ausschmückung  seiner  Reliquien  Sorge  trug.  So  Hess 
er  in  der  Stiftskirche  an  die  Stelle  des  schadhaften  unansehnlichen  Grabmales  des  heil.  Coloman 
ein  prächtiges  Monument  setzen.  Es  war  eine  Tumba  mit  vier  offenen  Bögen  auf  jeder  Lano-seite 
die  oben  mit  Masswerk  ausgefüllt  waren  und  durch  die  man  die  liegende  Figur  des  Heiligen  sah. 
Der  Aufsatz  darüber  war  mit  Fialen,  an  denen  kleine  Heiligenfiguren  standen,  dazwischen  mit 
Stabwerk  und  Giebeln  reich  geschmückt ,  oben  eine  Art  Spitzenbekrönung,  auf  der  Predella  ver- 
schiedene betende  Figuren.  Zufolge  der  Inschrift:  Rudolphus  IV.  etC.  (Titel)  nie  fecit  in  honorem 
S.  Colomanni  Anno  Domini  MCCCLXV  wurde  das  Monument  erst  drei  Jahre  nach  Rudolph's 
Besiich  fertig  '^  Ferner  Hess  Rudolph  die  Lanze  des  heil.  Mauritius,  ein  Geschenk  des  Markgrafen 
Ernst  um  1065  mit  einer  neuen,  überaus  geschmackvollen  Fassung  im  gothischen  Style  versehen. 
Es  war  ein  Spitzbogen,  beiderseits  Fialen,  unten  Herzog  Rudolph  knieend,  ein  eingravirtes  Fio-ür- 
chen  im  Panzer  mit  dem  kurzen  Lendner,  an  den  Schultern,  Ellbogen  und  Knieen  Buckeln,  am 
Gürtel  Schwert  uud  Dolch,  auf  dem  Haupte  das  Bassinet,  neben  ihm  der  österreichische  Binden- 
schild; auf  der  Rückseite  seine  Gemahlin  Katharina  von  Böhmen,  ebenfalls  betend,  dabei  der 
Wappenschild  mit  dem  böhmischen  Löwen.  Der  Fuss  des  Ganzen  bildete  eine  achtblättrige  Rose, 
darauf  die  Symbole  der  vier  Evangelisten  mit  Spruchbändern  eingravirt.  Diese  ebenso  schöne  als 
kunstgeschichtlich  interessante  Fassung  wurde  bei  der  Silbereinlieferung  als  Kriegssteuer  im  Jahre 
1810  eingeschmolzen  ^^ 

Auch  der  Kreuzpartikel,  welche  der  Stolz  des  Stiftes  war,  wollte  der  Herzog  eine  neue 
Fassung  geben.  Die  Reliquie  wurde  aus  ihrem  alten  Gehäuse  herausgenommen  und  blieb  einige 
Zeit  ohne  Fassung  aufbewahrt,  was  die  Veranlassung  zu  deren  zweiten  Entwendung  wurde.  Otto 
Grimsinger,  ein  reicher  Bürger  aus  der  dem  Stifte  gegenüber  am  linken  Donauufer  liegenden 
Ortschaft  Emersdorf  wusste  sich  das  Vertrauen  der  Geistlichen  zu  erwerben  und  missbrauchte 
dieses,  um  am  Abend  des  10.  November  1362  die  Sacristei  mittelst  Nachschlüssels  zu  öffnen  und 
die  kostbare  Reliquie,  die  auf  einem  Papiere  lag,  nebst  einigen  Kirchengeräthen  zu  stehlen.  Ein 
von  ihm  geschriebener  Brief,  der  dem  Prior  die  Schuld  aufbürden  sollte,  ward  durch  die 
Schriftzüge  zum  Verräther  und  der  Frevler  ,  der  die  Partikel  zu  Kaiser  Karl  IV.  nach  Prag 
bringen  wollte,  aber  niu-  bis  in  das  drei  Stunden  entfernte  Laach  am  Jauerling  kam,  wo  er  sie 

"  Keiblinger,  Geschichte  des  Benedictinerstiftes  Melk.  -2.  Aufl.  I,  S.  SS'i  ff. 

12  Abg.  bei  Gottfr.  Deppisch,  Gesch.  und  Wunderwerke  des  h.  Coloman,  S.  179  und  bei  Hueber,  Austria  ex  archiv. 
Mellicens.  illustr.  Num.  V.  Es  wurde  beim  Baue  der  neuen  Stiftskirche  im  vorig-en  Jahrhundert  ^ibyetragen. 

'3  Unter  den  eingelieferten  Gegenstanden  befanden  sich  22  Kelche,  ein  Ostensorium,  ein  Ciborium,  ein  (,'apitelkreuz  und 
anderes.  Die  Lanze  mit  der  beschriebenen  Fassung  bei  Hueber  a.  a.  U.  p.  297,  Num.  II,  III. 

»* 


♦J2 


Dk.  K.  Fk.  V.  Sackes. 


Fijr.  1. 


in  der  Kirelie  versteckte,  büsste 
seine  Tliat  mit  dem  Feuertode". 
Bald  darauf  wurde  das  Kreuzes- 
liolz  in  seine  neue  Fassung»-  ein- 
getiioft  (1363).  Diese  ist  noch 
erhalten  und  in  Fi»r.  1  in  o-e- 
ti-euer  Abbildung  dargestellt. 

tSie  bildet  ein  13  Zoll  hohes, 
10  Zoll  breites  Kreuz  aus  Plat- 
ten   von    Goldblech  mit   Klee- 
blatt-Enden,   eine    im   ganzen 
Mittelalter  sehr  beliebte  Form 
des  Kreuzes,   die,  vielleicht  in 
der  Grundidee  auf  die  Trinität 
bezüglich ,   an  den  zahlreichen 
Vortrage-     und      Altarkreuzen 
häufig  vorkommt  '"■.  Die  Vorder- 
seite    zeigt    den    gekreuzigten 
Heiland ,    3^^  Zoll  hoch  in  ge- 
triebener   Arbeit.    Es   ist    eine 
absichtlich   mager  und   düi-ttig 
gebildete  Gestalt,  um  die  Wir- 
kung der  Leiden  und  Schmerzen 
recht  anschaulich  und  das  Mit- 
leid   des    Beschauers    rege    zu 
machen.    Der    Kopf    zeiirt    ein 
tiefes  Streben   nach  Ausdruck, 
der  diuxh  Energie  der  Empfin- 
dung bei  aller  Mangelhaftigkeit 
der  Form  glücklich  erreicht  ist. 
Die  zusammengezogeneuBrauen 
und    die    schmerzvoll   gefaltete 
Stinie.   die  eingefallenen  "\Van- 
oen     charakterisiren     lebendig 
die  Qualen  des  Leibes  und  der 
Seele,  die  geschlossenen  Augen, 
der  offene  Mund  zeigen  den  über- 
wundenen Todeskampf  an.  Das 
Haupt  mit  lang  herabwallenden 
Haaren    ist    auf  die    eingesun- 
kene Brust,  nach  rechts  geneigt, 
gesenkt,    der   Leib   mager   mit 

1^  Kcibling-er  a.  a-  0.  !>.  44U.  - 
Heil,  das  l)iinanliintlchi>n  S.  436. 

'■'  Bock,  (las  h.  f'öln  Taf.  XXXIX, 
UO,  111.  gibt  zwei  solche  dem  uiiMigen 
Shnlielie  Kreuze- 


Das  Melkerkkeuz. 


63, 


Andeutung-  der  Rippen,  um  die  Mitte  sehr  schmal.  Die  Arme  sind  g-estreckt,  und  um  das  Hängen, 
das  Ziehen  durch  das  Gewicht  des  Körpers  zu  charakterisiren,  treten  die  Sehnen  scharf  und 
kantig-  vor.  Hände  und  Füsse,  welche  bei  der  Schwierigkeit  der  Detailbildung  in  dieser  Zeit 
noch  fast  durchgehends  auffallend  unbeholfen  und  unschön  erscheinen,  sind  auch  hier  zu  gross 
und  plump.  Trotz  dieser  in  dem  Entwicklungsgange  der  Kunst  liegenden  Unvollkommenheiten 
bekundet  die  Figur  doch  eine  selbständigere  Beobachtung  des  Lebens  und  eine  tiefere  Charak- 
teristik, als  sie  in  dieser  Zeit,  welche  noch  vielfach  in  Conventionellen,  fast  tvpischen  Formen 
befangen  war,  vorzukonnnen  pflegen,  sie  muss  sonach  als  ein  Werk  eines  bedeutenderen  Künst- 
lers bezeichnet  werden.  Das  fast  bis  an  die  Kniee  reichende,  aber  nicht  mehr,  wie  bei  älteren 
Werken ,  schürzenartige ,  sondern  umgebundene  Lendentuch  erscheint  in  dem  einfachen ,  aber 
naturgemässen  Motive  mit  reichen  gezogenen  Falten ,  wie  sie  für  das  XIV.  Jahrhundert  charak- 
teristisch sind,  durchaus  fein  pvinzirt. 

Das  Kj-euz,  an  dem  Christus  hängt,  ist  ein  schmaler,  di-eikantiger  Goldstab,  beiderseits, 
so  wie  an  der  vorderen  Kante  cordonnirt;  die  schmalen  Seitenflächen  sind  gravirt.  In  den  Klee- 
blattenden  sieht  man  in  erhobener,  getriebener  Arbeit  die  vier  Evangelisten,  wegen  des  gegebe- 
nen Raumes  in  hockender  oder  kuieender  Stelluno- 
in  der  seltsamen  unschönen  Darstellungsweise,  dass 
sie  statt  menschlicher  Köjjfe  (mit  Ausnahme  des  Mat- 
thäus) die  ihrer  symbolischen  Thiere  haben  (Fig.  2)  '*. 
Die  Figuren  erscheinen  kurz  und  gedrungen,  die 
Extremitäten  derb  und  unvollkommen  gezeichnet,  die 
Gewänder  —  jeder  ist  mit  einer  langen  faltenreichen 
Tunica  bekleidet,  darüber  ein  vorne  mit  kreuzförmi- 
ger Agraffe  befestigter  Mantel  —  in  breiten  gezoge- 
nen Falten  ohne  scharfen  Bruch,  durchaus  punzirt- 
Mntthäus  und  Johannes,  letzterer  wie  ein  Orientale 
sitzend,  haben  die  Hand  aufs  Knie  gelegt.  Die  grossen  Thierköpfe  sind  mit  einem  gewissen 
Natm-alismus  behandelt,  besonders  der  Adlerkopf  des  Johannes  mit  seinem  dicken  Schnabel, 
was  den  Fiouren  fast  etwas  komisches  verleiht.  Auf  den  an  den  Enden  aufgerollten  Schedu- 
len,  die  jede  in  der  Rechten  hält,  steht  der  Name  in  schlechter  Minuskelschrift.  Die  Inschrift 
ist  in  Niellotechnik  ausgeführt.  Der  Hintergrund  ist  blank,  mit  keck  und  flüchtig  eingravirten 
Blattranken. 

Der  ornamentale  Theil  des  Kreuzes  ist  von  ausgezeichneter  Schönheit  und  zeigt  den  edlen 
durchgebildeten  Geschmack,  die  feine  Stylisirung  und  die  consequente  bis  in  das  kleinste,  kaum 
mehr  wahrnehmbare  Detail  durchgeführte  lebendige  Gliederung  der  blühenden  Gothik.  Der  Grund 
der  Vorderseite,  um  den  Gekreuzigten,  ist  mit  ganz  frei  gearbeiteten,  aufgelegten  herrlichen  Wein- 
ranken, offenbar  in  symbolischer  Weise  mit  Bezug  auf  das  Blut  Christi,  bedeckt ;  es  sind  höchst 
geschmackvolle  Züg-e  mit  naturgetreuen  und  doch  fein  stilisirten ,  dabei  aber  charakteristischen 
Blättern  und  kleinen,  mehr  nur  angedeuteten  Trauben.  Die  Umrahmung  bilden  fortlaufende  kleine 
erhobene  Kreuzchen. 

Die  Enden  der  Kreuzesarme  bilden  Kleeblätter  in  Durchschneidung  mit  gleichseitigen  Drei- 
ecken, deren  Spitzen  in  den  Winkeln  des  Dreipasses  vortreten.  Im  Innern  setzt  sich  die  Dreithei- 
lung  fort,  indem  jede  Ausrundung  wieder  einen  di-eitheiligen  Bogen  enthält  mit  je  drei  Kügel- 
chen  an  den  Enden  der  Bog-enschenkel.  Von  diesen  Dreiblättern  umfasst  das  mittlere  innere 
abermals  einen  Kleeblattbogen   mit  Zackenfüllung,  jedes  der   Seiten    einen  Doppelbogen,    die 

18  Diese  Darstelluuar  findet  sieh  auch  in  einem  Fenster  des  XV.  Jahrhunderts  in  der  Lorenzkirche  zu  Nürnberg. 


Fig 


64 


Dk.   E.   Fu.   V.   Saikkn. 


Schenkel  in  Blätter  ausgehend. 
Allenthalben  zeigt  sich  so  die 
reiche,  auf  Grundlatre  der  Drei- 
theilung  durchgefülu-te ,  rein 
o-othische  Gliederung ,  denn 
alle  die  kleinen  Bogenfelder 
und  Z^nckeln  sind  wieder  mit 
derartigen  Figuren,  meist  von 
zugespitzter  Form  ausgefüllt. 
Als  äusserer  Besatz  erscheinen 
auf  den  Spitzen  und  Bögen 
dreit heilige,  gravirte  Cylinder, 
>  vorne  und  rückwärts  mit  einer 
Perle  besetzt. 

In  anderer  Weise  aber 
nicht  minder  reich  und  ge- 
schmackvoll ist  die  Rückseite 
(Fig.  3)  verziert;  der  Besatz  mit 
Perlen  und  unfacettirten,  bloss 
gemugelten  Edelsteinen ,  Sa- 
phiren, Granaten.  Smaragden, 
bringt  durch  seine  funkelnde 
Farbenpracht  eine  schöne  Wir- 
kung hervor.  Der  grosse  Sa- 
phir  in  der  Mitte  und  die  übri- 
gen grösseren  Steine ,  von 
denen  einer  ein  unzweifelhaft 
antiker  Camee  mit  einem  sehr 
gut  geschnittenen  Amorkopf 
ist,  bilden  mit  ihren  Fassun- 
gen die  Schrauben  zum  Üfiben 
des  Kreuzes ;  wenn  nämlich 
die  Platte,  welche  die  Rückseite  bildet,  abgehoben  wird,  erscheint  im  Innern  in  der  Mitte 
eine  kleine,  mit  einem  Schieber  verschlossene  Vertiefung,  welche  die  Partikel  des  Holzes  vom 
Kreuze  des  Erlösers  enthält.  Der  Grund  der  Rückseite  ist  wieder  mit  ft-ei  geabeiteten  Laub- 
zügen und  vielen  zum  Theil  spiralförmigen  Ranken  aus  Golddiaht  belegt.  Gleichsam  als  Früchte 
sind  Trauben  von  je  drei  Perlen  auf  einem  Stiele,  zwischen  jeder  der  letzteren  ein  mit  dunkel- 
blauer Email  überzogenes  Kügelchen,  angebracht.  Besondere  Beachtung  verdienen  die  eigen- 
thümlichen,  in  der  Mitte  und  in  den  Kleeblattenden  befindlichen  emaillirten  Figuren,  nämlich 
Halbmonde  mit  verschiedenen  Mustern  in  Email  champlev^,  in  jedem  derselben  eine  frei  aus 
Gold  gearbeitete,  gegen  den  gemeinschaftlichen  Mittelpunkt  gestellte  Ki'one  mit  Lilienzinken, 
von  einer  Form,  wie  sie  auf  gleichzeitigen,  namentlich  ungarischen  Münzen  vorkommt.  In  der 
Mitte  befindet  sich  ein  aus  zugespitzten ,  einwärts  gebogenen  StäbcKen  gebildetes  Viereck  mit 
undeutlichen  schlechten  Minuskeln  in  blauer  Emailarbeit,  die  schwer  in  Zusammenhang  zu 
bringen  sind;  ich  glaube  lesen  zu  können:  iesus  christus  o  hilf  vns  ae  *  (Amen).  Die  Aufschriften 
der  vier  Halbmonde,  welche  goldene  Krönchen  umschliessen,  sind  noch  schwieriger  zu  entziffern. 


Fi-   3. 


Dab   Mei.kekkueuz.  6S 

da  die  Buchstaben  ziemlich  formlos  und  uncharakteristisch  sind,  von  der  Hand  eines  mit  der 
Schrift  offenbar  weniger  als  mit  dem  Goldschmiedehammer  vertrauten  Künstlers.  Sie  dürften 
folgendermassen  zu  deuten  sein :  o  erpa-rm  dic-h  vber-not  uns  (O  erbarme  dich  über  unsere 
Noth).  Die  Schrift  erscheint  übrigens  an  dieser  untergeordneten  Stelle  mehr  als  Ornament,  als 
wegen  ihrer  Bedeutung  angebracht.  In  dem  oberen  und  unteren  Kleeblattende  bilden  diese  Halb- 
mondfiguren Dreipässe,  die  gegen  die  äussere  Form  des  Kreuzesendes  verkehrt  gestellt  sind;  in 
ersterem  sind  sie  mit  Masswerkfiguren,  Dreiblättern  in  Kreisen  in  rother,  weisser,  schwarzer  und 
blauer  Email  sehr  zart  und  fein  verziert,  in  letzterem  ebenso  mit  Vierblättern.  In  den  Kreuzesarmen 
erscheinen  sie  an  die  Seiten  von  schwarz,  roth  und  golden  quer  oder  schief  gestreiften  Dreiecken 
angelegt,  mit  Spitzen  von  schwarzer  Email  geschmückt,  oder  in  Schwarz,  Weiss,  Roth  und  Gold 
geschacht.  An  jeder  Dreiecksspitze  befindet  sich  wieder  eine  Traiibe  von  je  drei  Perlen,  zwischen 
diesen  blau  emaillirte  Beeren.  Die  Schmalseiten  des  Kreuzes  sind  mit  erhobenen  vierblättrigen 
Blumen  auf  gravirtem  Grunde  geziert,  von  gewundenen  Stäbchen  beseitet.  (Fig.  4.)  Es  ist  kein 
»«»»»«»«£«««v:»Q>y^7>^,^;^^^^  Plätzchen  ohne  Ornament  gelassen,  überall  erblüht  eine  Fülle  mau- 
M^^^^^^^I^^^M^M  nig'foltiger  geschmackvoller  Verzierungen,  nicht  ohne  symbolische 
^^a^^^^^h^^^l^t^^^  Grundidee,  nämlich  die  heil.  Dreizahl,  die  bis  ins  kleinste  Detail 
-^Bty«.Qo«.i»!..^j*-„„.,j.yyfflw^  durchgeführt  ersclieint;    auch  die  aufgelegten  Blätter  sind  alle  drei- 

*''•  *■  theilig,  die  Trauben  u.  s.  w. 

Der  zu  diesem  schönen  Keliquienkreuze  gehörige,  ursprüngliche  Fuss  ist  nicht  mehr  vor- 
handen; derselbe  hatte  nach  Hueber  (Austria  ex  archiv.  Mellic.  p.  296)   folgende  Inschrift: 

„Nos  Rudolphus  IV.  Dei  gratia  Archidux  Austrie  Stirie  et  Carinthie  Dominus  Carniole 
Marchio  ac  Portus  Naonis  Comes  in  Habspurck  Tirolis  Ferretis  et  in  Kiburgk  Mai-chio  Purgavie 
nee  non  Lantgravius  Alsacie  profitemur  quod  hanc  crucem  ob  Dei  reverentiam  et  ob  specialem 
amorem  sanctissimi  martyris  Colomanni  comparavimus  et  multorum  reliquiis  Sanctorum  ab  intra 
decoravimus  sub  anno  nativitatis  nostre  vicesimo  quinto,  dominationis  nostre  anno  sexto  reonante 
imperatore  Karolo  IV'°  et  Urbano  Papa  quinto  scilicet  anno  Domini  millesimo  tricentesimo  sex- 
agesimo  tertio"  ". 

Der  gegenwärtige  Fuss  aus  vergoldetem  Silber  ist  eine  etwas  jüngere  Zugabe,  der  Form 
und  dem  Charakter  seiner  Ornamente  nach  aus  dem  Ende  des  XV.  Jahrhunderts.  Er  bildet  im 
Grundrisse  die  Form  einer  Rose  mit  vier  gespitzten  Blättern ,  dazwischen  Spitzen.  Die  Felder 
sind  mit  eingravierten  geschmackvollen  und  schwungreichen  Blattornamenten  in  drei  verschie- 
denen Motiven  (Fig.  5,  6,  7,  das  erste  zwei  Male)  verziert.  Der  vierkantige  Stiel  mit  stark  vor- 
springenden Gesimsen  in  Wasserschlagsform  ist  im  Verhältnisse  zum  Kreuze  etwas  mager;  der 
gedrückte,  von  Fischblasenmustern  durchbrochene  Knauf  zeigt  in  den  vier  kapselartig  vorragen- 
den Feldern  die  Buchstaben  i  |  n  |  r  ]  i.  Der  hohe  Rand  der  Rose  ist  von  aneinander  gereihten 
spitzen  Kleeblattbogen  durchbrochen. 

Das  Kreuz  selbst,  das  in  seinem  Kunstcharakter  vollständig  mit  der  Überlieferung  über- 
einstimmt und  ohne  Zweifel  das  von  Herzog  Rudolph  IV.  im  Jahre  1363  angeschafi'te  Reliqviien- 
kreuz  ist,  dem  die  Kreuzpartikel  eingefügt  wurde,  muss  als  eine  hervorragende  Goldschmiede- 
arbeit bezeichnet  werden  und  bekundet  eine  bedeutende  technische  Ausbildung  des  Künstlers. 
Es  ist  zwar  nicht  zu  beweisen,  hat  aber  viele  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  dass  es  eine  Wiener 
Arbeit  sei.  In  der  Zeit,  in  welcher  der  gothische  Stil  in  Österreich  eine  solche  Vollendung 
erreichte,  dass  er  so  herrliche  Werke  ins  Leben  rief  wie  den  Dom  von  St.  Stephan,  die  Kirchen 
von  Zwetl,  Imbach,  Maria  am  Gestade  in  Wien  u.  s.  w.,  stand  ohne  Zweifel  auch  die  Kleinkunst, 

1'  Nach  dieser  auffallend  langen  Inschrift,  die  der  Kreuzpartikel  nicht  erwähnt,  scheint  es,  dass  ursprünglich  das  Reliquieu- 
kreuz  nicht  als  Fassung  t'iir  dieselbe  bestimmt  war.  Gegenwärtig  befindet  sich  ausser  dem  Kreuzesholze  keine  Reliquie  darin. 


(-.(> 


Dl;.    K.   Fi;,  v.  Sacken.    1)a.s   ^Ihlkkukckiz. 


Fiir.  ö.  FIl'.  r,.  Fig.  7. 

namentlich  die  GolcLsehraiedekunst  zu  Wien  in  hohei'  Blüte.  In  der  Tliat  wird  in  dieser  Zeit 
dieser  Kunstzweig  öfter  erwähnt  und  es  sind  uns  noch  einige  vorzügliche  Werke  erhalten.  Nach 
dem  grossen  Brande  des  Stiftes  Klosterneuburg  im  Jahre  1322  Hess  Propst  Stephan  von  Sierndorf 
das  berühmte  Email-Tafel w-erk  vom  Jahi-e  1181  nach  Wien  bringen,  um  es,  da  es  durch  das 
Feuer  Schaden  gelitten  hatte,  von  den  Goldschmieden  herstellen  zu  lassen,  die  auch  einige  Tafeln 
neu  dazu  fertigen  mussten,  da  es  jetzt,  nachdem  es  früher  die  Verkleidung  einer  Ambone  gebildet 
hatte ,  zu  einem  FlUgelaltare  umgestaltet  werden  sollte  '''.  Diese  Platten  ,  wenn  auch  nicht  an 
Geist  und  Grossaiiigkeit  den  alten  des  Nicolaus  von  Verdun  gleichkommend,  bekunden  doch  eine 
sehr  beachtenswerthe  Technik  von  Kün.stlern,  die  liier  mit  feinem  Gefühle  sich  der  romanischen 
Kunstweise  anzuschmiegen  bestrebt,  dadurcli  aber  in  ihrem  freien  Schaffen  beschränkt  waren. 
Derselbe  Propst  Stepham  liess  auch  lun  1325  einen  Kelch  sammt  Patene  anfertigen;  letztere, 
niellhl,  aussen  getrieben  und  ciselirt,  mit  dem  Bildnis.se  des  Donators,  ist  noch  erhalten'".  In 
diese  Zeit  fällt  auch  das  herrliche,  überaus  reich  und  zart  emaillirte  Ciborium,  welches  die 
Zierde  der  Schatzkammer  zu  Klosterneuburg  bildet".  Im  Jahre  1366  gaben  die  Herzoge  Albert 
und  Leopold  den  Goldschmieden  von  Wien  eine  Ordnung,  bei  welclier  Gelegenheit  auch  das 
Siegel  dieser  Zunft  (mit  der  Umschi-ift:  S(igillum)  aurifabroriun  de  Wienna  um  den  heil.  Eligius, 
der  einen  Kelch  schmiedet)  angefertigt  worden  sein  düi-fte  "-,  "*. 

19  Berichte  des  Altertliums  -  Vereines  zu  Wien  IV,  4.  Fischer,  Schicksale  des  .Stiftes  Klosterneuburg  I,  158.  — 
Archiv  für  Kunde  österr.  Geschicht.'^quelleu  VII.  231.  —  20  Mittheil.  d.  k.  k.  Cent.  Comni.  VI,  271.  — -'  Ebenda  IX,  41,  Taf.  I,  II. 
—  2i  Ebenda  VIII,  49. 

-3  Die  Zeichnungen  zu  den  vctrstehenden  Abbildungen  lieferte  J.  Jost,  die  Holzschnitte  wurden  in  Waldheim's  xylogra- 
phischer  Anstalt  ausgeführt. 


67 


Die  Wallfahrtskirche  zu  Maria-Zeil  in  Steiermark. 


Vo.\  Hans  Petschxig. 

Historische  Einleitung. 

i'Aaria-Zell  ist  unzweifelhaft  einer  der  berühmtesten  Wallfahrtsorte  der  katholischen  Welt.  Weit 
hinaus  über  die  Marken  des  grossen  Kaiserstaates  ist  sein  Ruf  gedi'ungen  und  zahlreiche  Wallfahr- 
ten zeichnen  diesen  Gnadenort  seit  Jahrhunderten  aus. 

Über  Maria-Zeil  sind  mehrere  grössere  und  kleinere  Werke  erschienen,  allein  vom  archäo- 
logischen Standpunkte  ist  die  Kirche  bisher  noch  nicht  beleuchtet  worden,  und  doch  bietet  eine 
solche  Aufgabe  ein  grosses  Interesse,  weil  man  an  der  Hand  dieser  Wissenschaft  manchen  tradi- 
tionellen  Irrthum,  der  immer  wieder  nacherzählt  wird,  aufklären  und  richtig  stellen  kann,  denn 
dort,  wo  die  schriftlichen  Nachweise  fehlen,  sprechen  die  Steine;  ebenso  steht  es  mit  der  Werth- 
schätzung  des  noch  vorhandenen  Kirchenschatzes  vom  künstlerischen  Standpunkte. 

Die  Entstehungsgeschichte  von  Maria-Zeil  hängt  innig  mit  jener  des  Benedictinerstiftes 
zu  St.  Lambrecht  zusammen,  daher  hier  einiges  über  das  genannte  Stift  vorausgeschickt  werden 
muss,  imi  dann  auf  die  weitere  Geschichte  von  Maria-Zeil  übergehen  zu  können. 

Da  in  früherer  Zeit  schriftliche  Aufzeichnungen  selten  geführt  worden  sind,  und  die  wenigen 
Urkunden,  welche  vielleiclit  eine  Aufklärung  über  die  Entstehung  solcher  Orte  hätten  geben 
können,  meist  bei  Bränden,  in  Kriegszeiteu  etc.  zu  Grunde  gegangen  sind,  so  hüllt  sich  die 
Erzählung  des  Ursprunges  in  mystisches  Dunkel,  das  dämmernde  Irrlicht  der  Sage  gibt  keinen 
klaren  Anlialtspunkt  für  genaiie  Zeitbestimmimgen,  im  Gegentheil  dieselben  werden  dadurch  oft 
noch  imsicherer.  So  geschieht  es,  dass  die  meisten  Angaben  in  eine  nebelhafte  Vergangenheit 
zurückgeführt  wurden,  meist  weiter  in  die  graue  Vorzeit,  als  es  wirklich  der  Fall  ist. 

Indess  haben  auch  diese  sagenhaften  Überlieferungen  ihr  Interesse,  finden  ihren  Platz 
neben  der  historischen  Erzählung;  denn  sie  geben  derselben  einen  poetischen  Reiz,  und  das  Wun- 
derbare, Unaufgeklärte  beschäftigt  die  Phantasie  in  anregender  Weise. 

So  führt  Ulricus  Chemnicensis  im  proem.  Themel.  pag.  I  an,  dass  bereits  in  ältester  Zeit 
in  der  Gegend  von  St.  Lambrecht  Mönche  ein  Kloster  nebst  Kirche  unter  dem  Namen  des  heil. 
Märtyrers  Blasius  bei  dem  kleinen  Fluss  Thesseu  inne  gehabt  hätten,  und  selbes  noch  bis  Mitte 
des  V.  Jahrhunderts  bestanden  habe;  dm-ch  die  Horden,  welche  Attila  nach  Welschland  führte, 
sei  es  aber  nebst  vielen  anderen  Orten  verheert  worden,  die  geistlichen  Inwohner  seien  gewalt- 
sam herausgezogen  und  mit  ihrem  damaligen  Vorsteher  Sylvino  auf  unmenschliche  Art  ums  Leben 
gebracht  worden.    Weiter  wird  erziUdt,  dass  das  Kloster  von  den  Heiden  grösstentheils  einge- 

XIV.  10 


68  Hans  Petschxig. 

äscliert  worden  sei,  und  dass  die  noch  übrig  gebliebenen  geistlichen  Inwohner  den  Ort  verlassen, 
den  Leib  des  heil.  Candidus  und  das  Haupt  des  heil.  Blasius  mit  sich  genommen,  die  andern  Reli- 
quien aber  theils  in  die  Mauern  des  Gotteshauses  unter  den  Altar  verborgen  hätten,  allwo  man  selbe 
nach  Verlauf  einer  geraumen  Zeit,  die  jedoch  nirgend  augeführt  wird,  wieder  aufgefunden  hätte. 

Udalricus,  der  vierte  unter  den  Vorstehern  des  Stiftes  St.  Lambrecht,  soll  die  alte  in  Trüm- 
mern liegende  Kirche  des  beil.  Blasius  wieder  erneuert  haben,  so  dass  selbe  im  Jalu-e  1126  von 
Rombeiti,  Bischof  zu  Brixen,  mit  Genehmhaltung  Conrads  von  Abensperg,  salzbm-gischen  Erz- 
bischofs, feierlich  eingeweiht  wurde.  Zahlreiche  Wallfahrten  hätten  dieses  Gotteshaus  ausgezeich- 
net, so  dass  nicht  selten  6U  Fahnen  mit  einer  unglaublichen  Menge  Volkes  sich  fürnendich 
um  das  Fest  der  Himmelfahi-t  Chi-isti  allda  versammelten.  Heutigen  Taoes  steht  noch  diese 
Kirche,  wenn  auch  meln-mals  erneuert,  eine  halbe  Stunde  vom  Stifte  und  heisst  noch  immer  die 
Blasiikii-che. 

\  om  alten  Kloster  ist  kein  Merkmal  übrig  geblieben,  nur  schreibt  der  Benedictiner  Gabriel 
Bucelicus,  es  wäre  die  Umgebung  auch  von  den  Geistlichen  nicht  sofort  verlassen,  sondern  noch 
emige  Zeit  bewohnt  worden,  bis  im  Jahre  989  „Otto  III.  römischer  Kaiser,  von  der  Heilis:- 
keit  des  Orts,  so  nämlich  mit  dem  Märt\Terblut  befeuchtet  war",  eingenommen,  nicht  weit  davon 
ein  neues  Stift  zubauen  angefangen,  welches  nach  ungefähr  100  Jahren  „von  denen  zwei  Durch- 
lauchtigsten Herzogen  in  Kärnthen,  Marquardo  fortgesetzt  und  von  Hem-ico  seinem  Sohn  zur 
vollkommenen  Endschaft  gebracht"  worden  sä. 

Es  musste  aber  eine  Zeit  von  einigen  Jalu-huuderten  vorübergehen,  ehe  dieser  Aufenthalt  zu 
dem  Ansehen  einer  Abtei  gekommen  ist,  denn  erst  das  Jakr  1073  wird  als  dasjenige  angegeben, 
wo  Lambrecht  als  förmliches  Stift  und  als  Abtei  angesehen  werden  kann.  Als  eigentlicher  Grün- 
der wird  Marquard,  der  Sohn  des  Adalberus  oder  Adalbert,  Grafen  in  Mierzthal  und  Afflenz,  und 
Beatrix,  Conrad's  IL  römischen  Kaisers  Mutterschwester  zu  betrachten  sein.  Nach  dem  zeitlichen 
Hintritt  seiner  Eltern,  war  er  im  Jünglingsalter  Erbe  zweier  Grafschaften,  und  erhielt  unter  dem 
höchsten  Schutz  des  Kaisers  Heinrich  des  HL,  nach  Einio^en  des  IV.,  das  Herzog-tluim  Kärnten 
erblich;  indess  erlosch  sein  Geschlecht  schon  1127. 

Marquard  wollte  auch  zu  St.  Lambrecht  im  Walde,  wie  es  damals  geheissen  haben  soll, 
ein  Kloster  für  Mönche  errichten,  und  sandte  zu  diesem  Zwecke  Commissäre  an  Gebhard,  Erz- 
bischof von  Salzburg,  den  Gründer  des  Stiftes  Admont.  Der  feierliche  Vertrag,  kraft  dessen  die 
neue  Stiftung  bedeutende,  sowohl  geistliche  als  zeitliche  Vortheile  erhalten  sollte,  war  schon 
unterzeichnet,  das  angefangene  Gebäude  für  das  Stift  konnte  jedoch  nicht  fortgefülut  werden, 
weil  sich  Marquard  mit  der  Ausrüstung  von  Hilfsvölkern  zum  Dienst  seines  Schwagers  Salamouis, 
Königs  von  Ungarn,  beschäftigen  musste,  welche  Ki'iegsschaar  er  persönlich  nach  Ungarn  beglei- 
tete. Der  Feldzug  nahm  einen  unglücklichen  Ausgang  und  Marquard  wm-de  selbst  gefährlich 
verwundet  und  gefangen;  er  starb  in  Folge  seiner  Wunden,  nachdem  er  in  sein  Herzogthmu 
wieder  zurückgekehrt  war,  1077  am  Itj.  Juni  und  hinterliess  ausser  seiner  Gemahlin  Luitpurga, 
Tochter  Kaiser  Heim-ich's  HI.,  fünf  Söhne  und  drei  Töchter. 

In  seinem  letzten  Willen  war  zwar  der  ausdrückliche  Befehl  gegeben,  das  unvollendete 
Kloster  St.  Lambrecht  fortzusetzen,  allein  unter  den  Erben  entstanden  Misshelligkeiten,  und  so 
ward  der  Bau  nicht  nur  nicht  fortgesetzt,  sondern  selbst  das  Vorhandene  gegen  alle  väterliche 
Anordnung  auch  noch  niedergerissen. 

Die  Herzogin-Witwe  Luitburga  vermochte  endlich  ihren  diüttgebornen  Sohn  Heinrich  zu 
veranlassen,  den  letzten  Willen  seines  Vaters  zu  erfüllen. 

Nachdem  er  seinem  im  Jahre  1090  ohne  Erben  verstorbenen  Bruder  als  Herzog  von 
Kärnten  nachfolgte,  beschleunigte  er  den  Bau  der  Abtei  dergestalt,  dass  die  ganze  Abtei  noch 


Die  Wallfahrtskirche  zu  Maria- Zell  in  Steiermark.  69 

vor  Ablauf  des  Jahres  1096  vollendet  wiirde.  Er  unterschrieb  in  diesem  Jahre  den  ersten  Stifts- 
brief und  behielt  sich  und  seinen  Kindern  das  Vogteirecht  fju?  advocatiae)  voi%  welche  Urkunde 
von  Kaiser  Heinrich  im  selben  Jahre  zu  Verona  bestätigt  wurde. 

Ein  zweiter  Stiftsbrief  datirt  vom  Jahre  1104  und  wurde  von  ihm  in  Mainz  austrefertio-t;  in 
diesem  wird  erklärt:  dass  sein  Vater  Marquardus  die  Abtei  zu  St.  Lambrecht,  o-degen  in  dem 
Bisthume  Salzburg,  in  der  Grafschaft  Friesach  in  dem  Walde  jenseits  des  Tenenbaches,  habe  stiften 
wollen  zum  Nutzen  seiner  Seele  und  seiner  geliebten  Gattin  Luitpurga,  wie  auch  seiner  schon  ver- 
storbeneu und  künftigen  Verwandten ;  da  aber  der  Tod  seinen  Vater  vor  Vollendung  des  Baues  ereilt, 
habe  er  Heim-ich,  Herzog  von  Kärnten,  das  fromm  angefangene  Werk  vollendet,  und  verleihe 
aus  seiner  väterlichen  Erbschaft  den  zu  Lambrecht  Gott  dienenden  Brüdern  viele  Orter,  unter 
welchen  im  Thale  Avelenze  centum  regales  mansus  a  terminis  Weissenbache.  et  feuchte  cum  cela 
ibidem  constructa  et  ministerialibus  ac  habitantibus  etc.  etc. 

In  dem  Jahre  111-4  (16.  Kai.  Februaris)  bestätigte  der  Kaiser  diesen  Stiftsbrief  seines 
Neffen,  sowie  auch  den  früheren  in  Betreff  des  Vogteirechtes  und  den  vom  Papste  Paschal  II.  dem 
damals  schon  zweiten  Abte  Jacob  1109  ertheilten  Exemtions-  oder  Freiheitsbrief  und  erklärte 
das  Stift  St.  Lambrecht  nur  dem  Kaiser  unterworfen.  Durch  diese  vorsorgliche  Anordnung  war 
das  Stift  sowohl  des  päpstlichen  als  des  kaiserlichen  Schutzes  sicher  und  konnte  sich  ungestört 
fortentwickeln.  Otto,  der  siebente  Abt,  dehnte  den  Wirkinigskreis  seines  geistlichen  Berufes  immer 
weiter  aus  und  sandte  in  das  sogenannte  Ailenz-Thal,  etwa  20  Meilen  vom  Stifte  entfernt,  fünf 
seiner  Geistlichen,  um  für  das  Seelenheil  der  Bewohner  zu  sorgen.  Dieselben  mussten  sich  in 
dem  ausgedehnten  Gebiet  zerstreuen,  und  einer  davon  war  berufen  am  diesseitigen  Theil  des 
grossen  Afflenz-Thales  gegen  die  österreichische  Grenze  vorzudringen,  wo  das  Gebiet  des  heu- 
tigen Maria-Zeil  liegt.  Der  fromme  Priester,  dessen  Name  unbekannt  geblieben  ist,  soll,  wie  es  die 
mündliche  Überlieferung  erzählt,  am  Thomastage  an  den  Ort  seiner  Bestimmung  angekommen 
sein,  das  Jahr  jedoch  wird  verschieden  angegeben.  Man  kann  aber  mit  ziemlicher  Sicherheit 
annehmen,  dass  es  in  der  zweiten  Hälfte  des  XH.  Jahrhunderts  gewesen  ist,  denn  von  Hadrian 
dem  IV.,  der  1154  den  päpstlichen  Stuhl  bestieg,  begehrte  Otto  die  Einwilligung  zur  Anstellung- 
einiger  Geistlichen  als  Seelsorger.  Die  Ursache  dieses  Ansuchens  muss  in  der  damaligen  Exemtion 
des  Stiftes  und  in  dem  noch  nicht  eingefiihrten  Gebrauche,  Stiftspriester  als  Pfarrer  anzustellen, 
gesucht  werden. 

Die  Antwort  des  heil.  Vaters  lautet  in  deutscher  Übersetzung: 

„Der  heil.  Vater  gestattet  nicht  nur  die  gerechten  Wünsche  der  Bittenden,  sondern  nimmt 
auch  die  Zelle  des  heil.  Michael  zu  Gross  Cuppa,  zu  welcher  zwölf,  die  Zelle  des  h.  Martin,  zu 
welcher  sieben,  und  die  Zelle  des  h.  Peter  zu  Ovelenz,  zu  welcher  fünf  Geistliche  bestimmt  sind, 
in  seinen  besonderen  Schutz,  unel  will  zußleich,  dass  dort  die  klösterliche  Ordnung-  nach  den 
Regeln  des  heil.  Benedict  beobachtet,  iind  die  bestimmte  Zahl  der  Geistlichen  ohne  Veränderiing- 
beibehalten  werde. 

Das  Jahr  1157  wird  als  das  Gründungsjahr  des  Wallfahrtsortes  Maria-Zeil  angenommen. 
Der  Priester,  welcher  sich  in  dem  heutigen  Zell  unter  den  Hirten  ansiedelte,  dürfte  sich  eine  Hütte 
aus  Brettern  aufgeschlagen  haben,  welche  nach  Art  der  Eremiten  sowohl  als  Wohnung,  wie  auch 
als  Capelle  gedient  haben  mag.  In  dieser  Zelle  stellte  der  fi-omme  3Iann  eine  aus  Lindenholz 
geschnitzte  Statue  der  heil.  Maria,  welche  er  mit  sich  führte,  auf  einen  abgehauenen  Baumstamm 
auf,  verrichtete  vor  diesem  Bilde  seine  Gebete,  verkündigte  den  Hirten  das  Wort  Gottes  und 
stand  ihnen  in  geistigen  Nöthen  bei".    Der  Name  Maria-Zeil  ist  daher  leicht  erklärlich,  da  man 

2  Altere  Schnftsteller  führen  an,   dass  die  Statue  noch  von  dem  alten  zerstörten  Kloster  des  heil.   Blasius  herstamme; 
dass   selbe  einer  jener  Männer,    die  vom   heil.  Virgilius  dahin  gesandt  worden  seien,   mitgenommen,  gleichwie  der  heil.  Mode- 

10* 


70  Hans  Petschxig. 

die  kleinen  Behausungen  der  ausgesandten  Priester  Zelle  genannt  hat,  wie  es  aus  den  vorange- 
fnlirtcn  päpstlichen  Schreiben  hervorgeht.  Wenn  die  andern  Orte  den  Namen  Zell  nicht  behielten, 
so  diü-fte  dies  daher  kommen,  weil  die  Marion-Statue  als  wunderthätig  berühmt  wurde  und  der 
Name  „Maria  in  der  Zelle'-  sich  volksthüinlich  für  alle  Zeiten  erhielt. 

Als  erste  Begebenheit,  welche  diesen  Ort  auch  in  die  Ferne  hin  berühmt  maclite,  wird  jener 
wunderthätige  Vorfall  angeführt,  welcher  sicli  auf  den  Markgrafen  Heinrich  von  Mähren  und  seine 
Gemahlin  bezieht. 

Heinrich  einigte  sich  mit  seinem  Bruder  König  Przemysl  oder  Ottokar  I.,  welcher  zwar  von 
Heinrich  IV.  abgesetzt,  aber  nach  dessen  Tode  1179  wieder  ziu-  Regienmg  berufen,  von  Kaiser 
Philipp  IISS  und  von  Otto  IV.  1203  und  Friedrich  II.  1212  bestätigt  wurde,  dahin,  dass  Otto- 
kar (Przemysl)  König  von  Böhmen  verblieb,  während  Heinrich  (Wratislav)  das  Jlarkgrafthum 
Mälu-en  als  Lehen  von  Böhmen  mit  dem  Titel  „Markgraf''  erhielt. 

Im  Jahre  1286,  erzählt  die  Chronik,  ,. unter  dem  grossmächtigsten  Kaiser  Rudolfo  I.  imd 
Alberto  sein  Sohn  Fürst  in  Österreicli  und  Steiermark,  habe  sich  Heinrich  in  Mayren.  und  sein 
Hausfrau  so  viel  Jahr  in  Siech  Betten  gelegen,  aus  Eingebung  und  Rath  des  heil.  Wenceslai, 
Fürsten  in  Beham,  welcher  ihnen  in  Schlaf  erschienen,  hieher  verfüget,  und  haben  beide  den 
Gesund  erlanget.  Als  sie  nun  das  Gebet  zu  den  allerhöchsten  und  gütigsten  Gott  und  zu  seiner 
würdigsten  Mutter  auch  zu  den  h.  Wenceslaum  sammt  der  Danksagung  vollbracht  hätten,  haben 
sie  nahe  zu  Auferbauung  und  Merung  unser  Lieben  Frauen  in  Cell  der  seligsten  Mutter  Gottes  zu 
Ehren,  Bau-  und  Zimmerleuth  auch  Tagwerker  lassen  berufen,  Geld  und  Unkosten  dargewendet. 
Demnach  haben  imsere  Lieben  Frauen  Zell  aus  dem  Königreiche  Beham  und  Ungarn,  aus  Oster- 
reich, Steiermark,  Mayern  und  viel  andern  Ländern  Älanns-  und  Weibsbild,  Jungs  und  Alts, 
ansrehabt  zu  besuchen". 

Die  Sas'C  erzählt  noch  weiter,  es  hätten  die  marko-räflichen  Pilffcr  Heinricli  und  Agnes, 
ilu-e  Bittreise  nach  Zell  mit  starkem  Gefolge  ihrer  Landesinsassen  vorgenommen,  und  da  selbe  das 
Hochgebirg  betreten,  wäre  der  heil.  Wenceslaus  oder  ein  Engel  in  Gestalt  eines  Pilgers  ihr  Weg- 
weiser gewesen.  Dieser  hätte  ihnen  nach  den  vielfältigen  Irrwegen  den  rechten  Weg  gewiesen 
und  das  Geleit  zur  Gnadenzelle  gegeben.  Das  Erscheinen  des  markgräflichen  Paares  aus  Mähren 
beweiset  jedoch,  dass  bereits  im  XIII.  Jahrhundert  dieser  Gnadenort  schon  eine  bedeutende  Be- 
rühmtheit gehabt  haben  mag,  obwohl  kein  besonderer  Vorfall  aus  früherer  Zeit  erzählt  wird. 

Jedoch  ist  man  mit  der  Jalu'eszahl  1286  nicht  ganz  einig,  da  der  letzte  Markgraf  Heinrich 
von  Mähren  bereits  1245^  verstorben  sei,  und  so  wird  auf  eine  in  Stein  gehauene  Inschrift  im 
Portale  hingewiesen,  wo  das  Jahr  12u0  angegeben  wird,  in  welchem  man  eine  Kirche  zu  erbauen 
angefangen  habe  (Ano  Domini  MCC  in  choata  est  haec  Ecclesia  gloriosae  Mariae),  welche  In- 
schrift indess  erst  Ende  des  XIV.  oder  sogar  Anfang  des  XV.  Jahrhunderts  nach  dem  grossen 
Bau  dahin  gesetzt  worden  ist,  also  sich  auch  auf  traditionelle  Zeitrechnung  basirt. 

Es  wird  nämlich  erzählt,  dass  Herzog  Heinrich  '  und  seine  Gemahlin,  die  steinerne  Capelle, 
welche  jetzt  noch,  in  der  Mitte  der  Kirche  steht,  aus  Dankbarkeit  erbauen  Hessen.   Diese  Angabe 

8tU8  der  Sage  nach  ein  geschnitztes  Christusbild  nach  Maria  Saal  in  Kärnten  mitgebracht  habe.  Eine  andere  Auslegung 
geschieht  dahin,  dass  der  erste  Priester  diess  Hildniss  selbst  geschnitzt,  wie  es  zu  damaliger  Zeit  häufig  vorzukommen  pflegte, 
da  die  Klosterbrüder  sich  mit  der  Ausübung  der  kirchlichen  Kunst  beschäftigten. 

3  Papst,  Geschichte  von  Böhmen,  III.  Bd.  Seite  -15,  ist  das  Todesjahr  122-2  angegeben. 

'  Wie  unsicher  die  Daten  über  Markgraf  Heinrich  sind ,  zeigt  der  Einblick  in  die  einschlagenden  Geschichtswerke.  — 
Nach  Hubner's  genealogischer  Tabelle  Nr.  IOC,  waren  es  des  Herzogs  W'ladislaw  von  Böhmen  ff  1150)  Sohn,  Heinrich  zu  Znaim 
und  dessen  Gemahlin  Agnes,  Tochter  Marqu.ard's.  Herzog  von  Kärnten.  Nach  Palack5''s  Stammtafel  I  zu  dessen  Geschichte 
von  Böhmen  Bd.  1,  war  es  des  Ladislaus  I.,  jüngsten  Sohnes  Ilcinrich's  von  1112  bis  IICO.  Gemalilin  Margarctha  —  ohne  nähere 
(Bezeichnung;  Bestimmung.  Diese  letzteren  Angaben  stimmen  mit  der  Jahreszahl  am  Portal  1200  ebenso  wenig  übcreiu,  ale 
die  früher  angeführten,  die  Jabrcsbestimmung  ist  daher  ganz  unsicher,  und  beruht  nur  auf  Traditionen. 


Die  Wallfahrtskirche  zu  Maria-Zell  in  Steiermark.  7i 

ist  iiidess  vollkommen  unrichtig-,  da  diese  sogenannte  Gnadencapelle  m-sprünglich  ein  Ciborium- 
altar  war,  welcher  mit  dem  Bau  der  grossen  Kirche  in  eine  Zeit  füllt.  Es  ist  daher  wahrschein- 
lich, dass  Heinricli  eine  Kirche  zu  bauen  anfing,  denn  von  Johanes  Mannersdorfer,  einem  Wiener 
Kechtsgelehrten,  welcher  zur  Handhabung-  der  Rechte  des  Stifl:es  berufen  wurde,  existiren  einige 
Pergamentblätter  in  lateinischer  Ursprache  mit  dem  Namen  des  Verfassers  und  der  Jahreszahl 
1487,  diirin  heisst  es: 

,.Im  Jahr  nach  Gelmrt  des  Herrn,  als  mann  zellt  hat  1284,  unter  den  Abbt  St  Lambrecht, 
Bucliardo  Benedictiner  Ordens,  Salzburgischer  Diöcese  und  den  apostolischen  Stuhl  ohne  Mittl 
unterworfen. 

Das  kleine  Ort,  alda  der  Altar,  ist  der  allerscligsten  Jungfrau  Maria,  nahet  mitten  in  gedach- 
ter Kirchen,  Avar  ein  Zell  eines  gar  andächtigen  Bruders  und  Conventuelen  vorgeiueltes  Klosters 
St.  Lambrecht,  welchem  die  Seelsorg  daselbst  vorgemelter  Abbt  eingeantwortet.  In  dieser  Zell 
liat  gedachter  Bruder  Tag  und  Nacht  vor  dem  Bild  der  seeligsten  Jungfrau  Maria,  welches 
auf  den  heutigen  Tag  noch  vorhanden,  zu  den  unsterblichen  Gott,  und  seiner  Mutter  der  heil. 
Jungfrau  Maria  andächtig  gebettet;  bisweilen  hat  auch  Abbt  Buchardus,  wenn  er  hieher  ankom- 
men, auf  einen  geweihten  Stein,  den  man  hin  und  wieder  kann  tragen,  aus  Zulassung  Ihr  Päbst- 
lichon  Heiligkeit  entweder  selbst  Mess  gehalten  oder  durch  andere  halten  lassen  etc.  etc." 

Es  wird  also  von  einer  Kirche  gesprochen,  in  welcher  sich  die  gedachte  heilige  Zelle  befun- 
den habe,  sowie  sich  eben  heut  zu  Tage  noch  die  Gnadencapelle  mitten  in  der  Kirche  befindet, 
nur  mit  dem  Unterschied,  dass  damals  gar  kein  Altar  in  der  Zelle  stand,  sondern  es  erst  in  Folge 
Aufstellung    eines  Reisealtars  möglich  wurde  dort  eine  Messe  zu  lesen. 

Nach  all  dem  ist  daher  anzunehmen,  dass  nicht  gegen  das  Ende,  sondern  im  Anfange  des 
XIII.  Jahrhunderts  eine  Kirche  über  der  heil.  Zelle  gestanden  hat.  Leider  sind  keinerlei  Banüber- 
reste  da,  welche  auf  einen  Bau  aus  der  romanischen  Periode  schliessen  lassen. 

Der  wichtigste  Moment  in  der  Baugeschichte  der  Wallfahrtskirche  ist  jedoch  jener,  als 
Ludwig  der  Grosse  König  von  Ungarn,  Sohn  Karl  Robert's  von  Anjou,  eine  ganz  neue  Kirche 
erl)auen  liess.  In  den  Geschichtsbüchern  finden  sich  mehrere  Versionen  darüber  ^ 

*  So  sdueibt  der  alte  Chronist  Joannes  Mannersdorfer: 

„Verners  unter  des  vlelgemellten  Klosters  St.  Lambrechts  Abbten  David  nnd  den  nnuiberwindlicheu  Khaiser  Carl  den  IV. 
Item  von  dem  streitbahren  Fürsten  zu  Steiermarkh  Leopoldo  so  ein  Enkl  des  Kaisers  Friedrich  des  III.  Item  von  Alberto 
den  IV.  Herzogen  ans  Osterreich  so  ein  Enkl  des  Ladislai  König  in  Ungarn  &  Behiim   auch  Herzog  in  Osterreich  etc.  etc. 

Als  der  Witrich  Tiran  der  Tirkh  aus  Asien  und  Tratien  durch  die  Enge  des  Mers  durchschifftet,  Banonien  und  die 
ganze  Walachei  zu  uiberziehen,  zu  bestreiten,  zu  verheeren  und  zu  verderben,  auch  in  ihren  Gewalt  und  machometisehen 
Glauben  zu  bringen  vermeinte,  hat  sich  allda  sehen  lassen  der  alte  unuiberwindlichste  &  christliche  König  Ludwig  in  Ungarn 
ist  dem  türkischen  Hör  mit  20.000  Eeit  und  Fuss  Knecht  begegnet;  da  aber  König  Ludwig  das  grosso  Hör  der  Feind  warname 
(dan  ilir  mehr  als  an  die  achtzig  tausend  waren)  hat  er  sich  entsetzet,  sein  und  der  seinigen  Leben  mit  der  Flucht  zu  erhalten 
vermeint:  Unter  dem,  als  er  in  grosser  Traurigkeit  war,  uiberfiel  ihm  ein  Schlaf,  und  kam  ihm  für  dasjenig  so  er  von  vielen 
zuvor  gehört,  wie  die  seelige  Jungfrau  Maria  zu  Cell  mit  gar  grossen  Mirakeln  und  Wunderwerken  geziert  seie.  Als  er  nun 
in  solichen  Gedanken  war,  ist  ihm  die  allerwürdigste  Jungfrau  Maria  erschienen  und  hat  ihr  Bildniss  auf  sein  Brust  gelegt, 
gestärkt  &  befohlen,  er  soll  beherzt  den  Feind  angeen  und  mit  ihm  ein  Schlacht  thun.  Als  nun  König  Ludwig  ermuntert  und  die 
Bildniss  unserer  lieben  Frauen  auf  seiner  Brust  gefunden;  hat  er  die  Sach  alsbald  seinen  Mitgefährten  erklärt,  welche  sich  erfreid 
&  gestärkt  mit  dem  König  Ludwig  an  den  Feind  haben  einen  Angriff  gethan  und  gar  glückselig  Sig  und  Vietori  erlangt. 

Den  bald  hat  sich  König  Ludwig  mit  seinen  ganzen  Kriegshör  aufgemacht  nnd  wie  er  verlobt  gegen  Cell  zu  Unser 
Frauen  verfieget. 

Da  aber  die  Cell,  welche  von  obgemelden  Marggrafen  aufgerichtet,  gar  zu  eng  und  nicht  zum  besten  fieglich  gebaut, 
hat  er  stracks  dieselbe  Cell  lassen  abbrechen,  und  diesen  herrlichen  Tempi,  welchen  wir  jetzt  vor  Augen  haben,  mit  aigen 
Unkosten  auflsauen  lassen,  hat  auch  damals  dis  obbemeldete  Bild  unserer  Frauen  so  auf  seiner  Brust  gelegen,  mit  Gold  und 
Edelgcsteinen  aufs  zierlichst  gezieret,  geschmückt  diser  Kirchen  aufgeopfert.  Weiter  das  Täfiein,  so  mit  Heiligthumen  der 
Heiligen  erfüllet,  welches  er  selbst  an  Halss  zu  tragen  gepflegt,  Item  deu  Khelich  mit  der  Paten,  so  aus  lauter  guten  Gold, 
auch  ganz  güldene  Messgewänder  mit  güldenen  Lilien  und  vil  mer  andere  Glänäter,  in  welche  alle  sein  Wappen  eingedruckt, 
in  der  Sacristei  allhier  gefunden  und  gezeigt  werden,  hat  obgedachter  König  Ludwig  dieser  Khirche  übergeben  und  aufgeopfert. 
Die  Wunderwerk  aber,  welche  der  Allerhöchste  Gott  durch  Fürbitt  der  allerscligsten  Jungfrau  seiner  würdigsten  Jluttcr  von 


<  -i  IIaXS    PETSCnNIG. 

Es  ist  nicht   die  Aufgabe  dieses  Aufsatzes  zu   untersuchen,    welche    Geschichtsaneabc  in 
Bezug  auf  den  Erfolg  der  erzählten  Schlacht  die  richtige  ist,  auch  die  Berichtigung  ob  dieselbe 

obbemeldeter  Zeit  an,  allda  gewirkt  hatt,  und  noch  täglich  wirkhet,  wiewohl  sie  nicht  alle  beschrieben  oder  in  Druck  verfertigt 
worden,  dennoch  kinnen  sie  wahrgenommen  werden,  ans  den  M.ililwerkhen  &  IJihlnissen,  aus  allerlei  Zaichen  und  Instrumen- 
ten, als  Bögen,  Messer,  Waflfen  und  dergleichen  mercr,  welclie  zum  Theil  in  der  Sacristei  zum  Theil  von  jedermann  kinnen 
gesehen  werden''. 

Als  Jahreszahl  dieser  Schlacht  wird  nach  Petrus  Lambicius  im  Diario  St.  Itineris  Celensis  pag.  5.S  das  Jahr  1363  angege- 
ben; —  und  zwar  wäre  das  türkische  Heer  von  Amuratii  I.  selbst  angeführt  worden,  was  jedoch  nicht  richtig  ist,  da  Murad  I. 
schon  1359  die  Regierung  nach  dem  Tode  seines  Vaters  Urchan  angetreten  iiatte.  In  der  Geschichte  der  Ungarn  von  Michael 
Horvath  1.  Bd.  .S.  211  heisst  es: 

„Die  Ursache,  warum  der  Papst  die  Herstellung  des  Friedens  zwischen  Ludwig  und  Kaiser  Karl  so  eifrig  betriel)  und 
warum  aucb  Ludwig  selbst  den  Frieden  wünschte,  war  die  Ausbreitung  der  türkischen  Macht  in  Europa.  —  Als  diesem  Volk 
von  Eroberern  schon  Adrianopel  sich  unterworfen  hatte,  bath  der  Papst  den  König  Ludwig  mehrmals,  er  möge  die  Bewegungen 
dieses  wilden  immer  weiter  vordringenden  Volkes  im  Auge  behalten.  Sisman  Fürst  von  Bulgarien,  von  den  Türken  geschlagen, 
schloss  sich  als  Bundesgenosse  an  sie  an,  und  begann  mit  ihrer  Hilfe  die  Walachei  und  Serbien  zu  beunruhigen.  Als  daher 
Ludwig  die  Angelegenheit  im  Westen  geordnet  hatte,  führte  er  sein  Heer  im  Jahre  1365  nach  Bulgarien,  vereinigte  sich  dort 
mit  seinem  Lehenstriiger  dem  wallachischen  Fürsten  Ladislaus  (Xajkoj,  eroberte  Widdin,  obgleich  es  von  Strasscimir  dem  Ober- 
feldherrn Sismans.  tapfer  vertheidigt  worden  war,  nahm  Strasscimir  selbst  gefangen,  und  nachdem  er  das  fast  SO.OOO  Mann 
starke  bulgarisch-türkische  Heer  vollständig  geschlagen  hatte,  Hess  Ludwig,  um  Gott  seinen  Dank  zu  bezeigen,  eine  Kirche 
in  Maria  Zell  bauen  fKatona  10,  394),  und  eroberte  das  ganze  auf  dem  linken  Donauufer  liegende  Land,  weil  er  selbst  aber 
durch  die  in  Oesterreich  ausgebrochenen  Unruhen  nach  Hause  gerufen  wurde,  Übertrag  er  die  Errichtung  und  Regierung  der 
Provinz  dem   Woiwoden  Dionisius  Apor"^. 

In  der  Geschichte  des  osmanischen  Reiches  von  Joseph  v.  Hammer  wird  diese  Episode  folgendennassen  beschrieben, 
1.  Band,  S.  169,  170,  171:  Murad  I.  hatte  nach  der  Eroberung  von  Philippopolis  Frieden  mit  dem  griechischen  Kaiser  geschlos- 
sen, aber  er  hatte  desselben  zu  Brusa  kaum  zu  geniessen  angefangen,  als  in  Europa  ein  neues  Ungewitter  losbrach.  Der 
griechische  Befehlshaber  von  Philippopolis  hatte  sich  zum  Könige  von  Servien  geflüchtet,  und  nachdem  Papst  Urban  V.  den 
zweiten  Kreuzzug  wider  die  Türken  ausgeschrieben,  wie  Clemens  V.  den  ersten,  verbündeten  sich  der  König  von  Ungarn, 
Serbien,  Bosnien  und  der  Fürst  der  Walachei  zu  einem  gemeinschaftlichen  Feldzuge  wider  die  schon  ihre  Grenzen  bedrohenden 
Türken.  Lalaschahin  der  Beglerbeg  sandte  hievon  Kunde  und  bath  um  Hilfe,  weil  er  allein  der  Übermacht  der  Verbündeten  zu 
widerstehen  unlahig  war.  Murad  schickte  sich  an  mit  Schiffen  und  Truppen  den  Hellespont  zu  übersetzen,  als  er  aber  bei 
Bighar  (dem  alten  Pigai  vorbeikam,  welches  schon  früher  von  Urchan  erobert,  eine  Zeit  lang  der  Aufenthalt  seines  Bruders 
des  Grosveziers  Alaeddin  gewesen,  dann  aber  wieder  in  die  Hände  der  Feinde  gerathen  war,  beschloss  er,  durch  die  Erobe- 
rung desselben  den  Rücken  zu  sichern,  ehe  er  dem  Feinde  in  Europa  die  Stirn  böte.  Er  sammelte  daher  die  zu  Aidindschik 
(Cycikus)  und  Kallipolis  befindlichen  Schiffe,  trug  ihnen  die  Hut  des  Meeres  auf,  und  legte  sich  belagernd  vor  Bighar.  Indessen 
war  in  Europa  das  Heer  der  Verbündeten  mit  Eilmärschen,  bis  an  die  Mirazza,  zwei  Tagreisen  ober  Adrianopel,  herbeigerückt. 
Lalaschahin,  an  dem  Siege  ob  der  Übermacht  des  Feindes  verzweifelnd,  sandte  den  Hadsehi  Ilbeki  „diesen  ersten 
Renner  der  Rennbahn  der  Tapferkeit,  diesen  Löwen  der  Schlacht  und  Kämpfer  der  Glaubensmacht",  wie  ihn  der  Geschichts- 
schreiber Seaddeddin  nennt,  auf  Kundschaft  und  Fehde  aus.  Hadsehi  Ilbeki,  der  das  nur  aus  zehntausend  Mann  bestehende 
romanische  Heer  nicht  wider  die  doppelt  grössere  Zahl  der  Feinde  in  offener  Schlacht  bei  Tag  auf  das  Spiel  des  KriegsglUckes 
zu  setzen  sich  getraute,  wagte  es  auf  einen  nächtlichen  Überfall  des  in  Sorglosigkeit  und  Trunkenheit  versunkenen  feindlichen 
Lagers.  Das  Getöse  der  türkischen  Trommeln  und  Pfeifen ,  das  Schlachtgeschrei  „Allah,  Allah",  tüUte  die  Luft  und  die  Herzen 
der  Christen  mit  Schrecken,  denselben  vermehrte  die  Finsterniss  der  Nacht;  „die  Feinde  ergriffen"  sind  Seadeddins  Worte, 
„■nie  wilde  Thiere  aus  ihrem  Nachtlager  aufgeschreckt  eiligst  die  Flucht,  strömten  gegen  die  Marizza  hin,  schnell  wie  der 
Wind  hergeht  vor  der  Gluth  und  sanken  unter  in  die  Fluth  (766)  1363."  sDa  das  Jahr  766  erst  im  September  136+  beginnt,  so 
fällt  die  im  Sommer  vorgefallene  Schlacht  ins  Jahr  1363.) 

Diese  Schlacht  ist  die  erste,  in  welcher  die  Ungarn  gegen  die  Osmanen  fochten;  die  Rettung  des  Lebens  aus  derselben 
als  Sieg  betrachtend,  hatte  König  Ludwig  dem  Maricnbilde,  das  er  mit  sieh  fiilirte  und  dem  er  diese  wunderthätige  Rettung 
zuschrieb,  eine  Kirche  gelobt.  Er  löste  sein  Wort  durch  die  Erbauung  Maria  Zolls,  des  österreichischen  Loietto,  von  dessen 
grossen  Wundersagen  die  erste,  welche  diese  Niederlage  der  verbündeten  christlichen  Heere  in  einen  vollständigen  Sieg  über 
die  türkischen  verwandelt,  zugleich  die  historisch  merkwürdigste  ist. 

Merkwürdig  ist  auch  die  genaue  Übereinstimmung  der  türkischen  Geschichte  und  der  steiermärkischen  Legende,  in  der 
Zahl  von  Ludwigs  Heer,  welches  die  eine  und  die  andere  auf  20.000  Mann  angibt,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  diese  Zahl 
in  der  Sage  als  die  doppelt  grössere  der  türkischen  Heeresmacht  e'"scheint;  merkwürdig  endlich  ist  diese  Schlacht  durch  das 
tragische  Loos  des  Feldherm,  der  sie  gewann,  des  eben  so  tapfern  als  staatsklugen  Hadsehi  Ilbeki,  welchen  Lalaschahin  der 
Beglerbeg  ans  Eifersucht  über  die  ihm  geraubte  Ehre  des  Sieges  vergiftete.  So  verewigte  diese  bisher  von  den  Legendeii- 
schreibem  als  der  grösste  Sieg  gepriesene,  von  steiermärkischen  und  ungarischen  Geschichtsforschern  aber  als  wirkliche  Bege- 
benheit bezweifelte  Niederlage  der  Serbier  ihr  Andenken  durch  die  bleibende  Benennung  des  Schlachtfeldes  an  der  Marizza, 
und  im  steiermärkischen  Hochgebirge  durch  die  .Stiftung  Maria  Zell's. 

Während  König  Ludwig  als  Dank  für  die  Rettung  aus  der  Niederlage  die  Kirche  zu  Maria  Zell  gebaut,  baute  Murad, 
wiewohl  aus  einem  andern  Grunde  als  dem  des  Dankes,  für  den  an  der  Marizza  erfochtenen  Sieg  und  die  in  Asien  fast 
gleichzeitig  erfolgte  Eroberung  Bighas,  Moscheen,  Klöster,  Schulen  und  Bäder;  zu  Biledschik  eine  Moschee,  zu  Jenitcher  ein 
Kloster  für  den  frommen  Derwisch  Postinpuich. 


Die  Wallfahrtskirche  zu  Maria-Zell  in  Steiermark.  io 

1363  oder  1365  stattgefunden  hat,  ist  hier  nicht  wesentlich,  sondern  nur  das  Factum  hat  Be- 
deutung, dass  König'  Ludwig  eine  Kirche  in  Maria -Zell  nach  der  erwähnten  Schlacht  erbauen 
Hess,  imd  zum  Andenken  sowohl  das  Gnadenbild  als  auch  Schwert  und  Pferde,  Ausrüstung  und 
die  Prunkkleider,  nebst  Hemden,  welche  er  und  seine  Gemahlin  getragen  haben,  und  die  unter 
dem  Namen  Brautkleider  noch  heute  in  der  Schatzkammer  aufbewahrt  werden,  dahin  zum  Ge- 
schenke gemacht  habe.  Noch  wird  erwähnt,  dass  Ludwig  auch  kostbare  Kirchengeräthe  gespen- 
det hätte;  leider  sind  dieselben  nicht  mehr  vorhanden. 

Im  Tympanon  des  gothischen  Hauptpoi-tals  besagt  eine  Insclu-ift:  .,Ludwig,  der  König-  der 
Ungarn,  hat  durch  die  Mutter  der  Barmherzigkeit  einen  herrlichen  Sieg  über  die  Türken  erfochten". 

Nähere  Daten  über  den  Beginn  und  den  Ausbau  der  Kirche  sind  leider  nicht  zu  finden, 
allein  die  Stylistik  des  Baues  gehört  in  das  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  und  lässt  die  Vermu- 
thung  zu,  dass  dieser  Bau  im  Anfang  des  XV.  Jalii'hunderts  beendet  worden  sei. 

Von  den  Fürsten  des  habsburgischen  Regentenstammes  war  es  schon  Rudolph  L,  welcher 
1275  von  Wien  einen  Verbotsbrief  gegen  die  Einmischung  des  Burggrafen  von  Graslupa  in  die 
Angeleg-enheiteu  des  Stiftes  erlassen. 

Albrecht  IL  zeigte  sich  sehr  wohlwollend,  bestätigte  mehrere  für  Zell  günstige  Verträge 
und  stiftete  einen  Altar  in  der  Kirche  ''. 

Rudolph  sein  Sohn  stiftete  für  sich  und  seine  nächsten  Nachkommen  ein  heil.  Mess- 
opfer (1364). 

Albrecht  III.  bestätigte  selbe  1371. 

Wilhelm  L,  Sohn  Leopold  des  III.  befreite  1401  die  dem  Stifte  St.  Lambrecht  zu  Lutten- 
berg in  Untersteier  gehörigen  Weingärten  vom  Zehent  und  verordnete,  dass  der  desshalb  ausfal- 
lende Gewinn  auf  Opfer  in  der  Kirche  zu  Zell  verwendet  werde. 

Albrecht  IV.  erlaubte  1402  den  Bürgern  zu  Zell  und  Hotznberg  einen  Fahrweg  über  den 
sogenannten  Töttenhengst  zu  ihrem  gemeinschaftlichen  Nutzen  zu  errichten. 

Ernst  der  Eiserne  schmückte  das  Schatzkammerbild  und  gab  1414  den  Befehl,  dass 
seiner  und  seines  Bruders  wie  dessen  Gemahlin  öffentlich  gedacht  werde. 

Abt  Heinrich  H.,  genannt  der  Mährer,  erbat  sich  von  Kaiser  Sigismund  einen  freien  Ge- 
leitsbrief, da  die  nach  Zell  wallenden  Pilger  in  dieser  Zeit  mancher  Unbill  und  sogar  Überfällen 
ausgesetzt  wai-eu '.  Diese  Urkunde  wurde  dann  durch  eine  zweite  dtto.  Insbruck  1434,  bestätigt. 

"  „Wür  Albrecht  von  Gottes  Gnaden,  Herzog  zu  Österreich,  zu  Steuer,  zu  Kärnthen,  Herr  zu  Wien,  auf  der  Markh  und 
zu  Portenon  thun  kund,  dass  Wür  gegeben  hatten  zu  einer  Ergözung,  und  Gott  und  unser  Frau  und  Sand  Lambrecht  zu 
Lob  und  zu  Ehren,  Unseres  Seel,  und  aller  Ünsern  vordem  Seel  und  Unsern  Nachkommen  Seel  zu  Hülf  und  zu  Trost.  Des 
ersten  dass  aigen  heisset  Lünsehitz,  gelegen  in  dem  Afiflenz  Thall  das  Unser  Lehen  gewesen  ist  von  dem  Gotteshaus  zu 
Sand  Lambrecht,  dass  wür  Uns  derselben  Lehenschaft  daran  gänzlich  verziehen,  und  geben  es  auch  mit  allem  dem  Nutzen  und 
Rechten,  alss  Wür  es  ihn  gehabt  haben,  auf  unser  Altar  da  zu  Cell  der  geweiht  soll  werden  in  dem  Ehren  unser  Frau  und 
Sand  Johannes  Evangelisten  und  Sand  Johannes  Baptisten,  und  soU  auch  das  Vogtrecht  von  Celle,  von  Veitsch  von  Afflenz 
Thall  fürbass  ewiglich  dienen  und  warten  dem  Gottes  Haus  Unser  Frauen  zu  Cell,  als  welchen  wür  im  zu  Vogt  dahin  geben, 
nach  ihrer  Vordenmg,  dass  der  keine  Vogtrecht  darvor  nemben,  noch  fordern  soll,  den  was  sie  ihm  williglich  gern  geben, 
auch  bestätigen  wür  Ihn  Ihre  Recht  an  ihren  Gerichten,  die  sie  haben  zu  Cell,  zu  Veitsch,  zu  Afflenz  Thall,  dass  sie  die 
habent  suUen,  als  sie  ihn  vor  Alter  herbracht  halient,  und  als  sie  sen  heunt  zu  Tage  ein  Nutz  und  Gewerb  habent.  Auch  thuen 
wür  die  Gnadt  mehi-,  dass  Wür  Ihn  geben  und  erlauben  auf  ihren  Urb.är  im  Markh  zu  stüfften  dazu  Zelle,  oder  auf  dem  Terze, 
und  geben  Ihm  dahin  alle  Jlarkh  Recht  voUiglichen  dazu,  so  nehmen  Wir  auch  das  Gotts  haus  Sand  Lambrecht  und  alles  dass 
dass  darzu  gehöret  Leut  und  Guath  in  unsern  besondern  Gnadt  und  Schirm,  und  bestättigen  auch  Ihn,  auch  alle  die  Recht, 
und  alle  ihre  Gewerk,  die  sie  an  ihrem  Stifter  und  an  unsern  Vater  habent,  und  alss  sie  das  hergebracht  in  Nutzen  und  in 
Gewehr  und  dass  sie  ihn,  und  denselben  ihren  Gotts  haus  Sand  Lambrecht,  diese  Gnad  und  Sache  als  vorgeschrieben  ist, 
von  Uns  und  von  Unseren  Nachkommen  fürbass  ewiglichen  also  statt,  und  uuzerbrochen  bleibt,  darüber  so  geben  wir  Ihn  diesen 
Brieff  zu  einer  wahren  sichtigen  Urkund  dieser  Sachen  besiegleten  Unsern  anhängten  Insigl.  Der  geben  ist  zu  Wien,  am  Sand 
Mateustag  des  Evangelisten  nach  Christi  Geburt  dreizehnhundert  Jahr,  darnach  in  den  zwei  und  vierzigsten  Jahr". 

'  „Wür  Sigismund  von  Gots  Gnaden  Römischer  Kunig  zu  allen  Zeiten  Merer  des  Reichs  und  ze  Hungarn  und  ze  Beham, 
Dalmatien,  Croatien  etc.  etc.  Kunig  bekhenuen  und  thun  chund  öffentlichen  mit  dem  Brief  allen,  dass  Uns  mer  willig,  tleissig  und 


74  Hans  1'etscunig. 

Auch  erg-ing  das  Verbot  unter  Aiulrolunig  dos  Kirflieubaimes  an  alle  Chrisrgläiiliigen.  den 
nach  Zell  Wallfahrtenden  ein  llinderniss  in  den  Weg  zu  legen  (1  iii). 

Ferner  wurde  dem  Abte  Heinrich  gestattet  (\Yien,  ii.  Juli  1443)  auf  dem  Kreuzberge  in 
der  Pfarre  Zell,  zu  Ehren  der  heil,  ilaria  und  des  heil.  Sigismund  eine  Capelle  zu  bauen. 

Kaiser  Friedrich  III.  bestätigte  1454  den  früher  erwähnten  Geleitsbrief  und  erklärte 
14.j5  das  Gebiet  von  Zell  frei  von  allen  Anlagen. 

Ein  Brief  von  ihm  empfiehlt  dem  damaligen  Prälaten  Johann  Schachner,  den  küniglichen 
Pilger  Ladislaus  König  von  Ungarn  mit  ausgezeichneter  Ehrenbezeigung  zu  empfangen'.  Ferner 
bewilligte  Friedrich  dtto.  Neustadt  am  Dienstag  nach  dem  Sonntage  Misericordiae  1454  ein  Schloss 
auf  dem  Kreuzberge,  welchem  man  von  der  dort  gelegenen  Sigmundscapelle  den  Namen  gab.  zu 
erbauen,  und  beiläufig  sieben  Meilen  von  Maria- Zell  beim  Eingange  des  sogenannten  Thöil- 
Grabens  zu  Schachenstein  ebenfalls  ein  befestigtes  Schloss  zur  Sicherheit  der  Kiiclie  und  des 
reichen  Kirchenschatzes  anzulegen.  Ersteres  blieb  nur  eine  mit  Mauer  umgebene  Capelle,  welche 
von  den  Soldaten  Mathias'  Corvinus  zerstört  wurde;  aber  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts  baute 
Abt  Johann  Sachs  dieselbe  wieder  auf,  so  wie  das  Kirchlein  heute  noch  steht.  Von  letzterem  sind 
nur  noch  Ruinen  vorhanden,  welche  sich  mit  ihren  Erkern  und  Pechnasen  höchst  mahleriscli  und 
romantisch  ausnehmen. 

Von  Unglücksfällen  Avar  Maria-Zeil  öfter  heimgesucht.  Am  25.  Mai  1474  brach  eine  «-rosse 

t'  C:  O 

Feuersbrunst  aus,  die  den  ganzen  Markt,  die  Kirche  und  den  Kirchenschatz  zerstörte,  inn*  drei 
Häuser  blieben  verschont;  auch  drangen  türkische  Horden  um  den  Jahreswechsel  von  152!l  und 
15oU  in  diesen  Ort.  Sechsunddreissig  Jahre  später,  als  Elrzherzog  Mathias  (später  Kaiser)  mit  der 
Erzherzogin  Elisabeth  sich  in  Zell  befand,  entstand  am  Bartholomäustage  15G6  plötzlich  Feuer 
lind  wüthete  derart,  dass  37  Häuser  in  Asche  gelegt  wurden,  selbst  die  Kirche  war  in  äusserste 

sorgsam  gebiiret,  aller  Cluster  und  geistlichen  Personen,  die  nu  der  Welt  Uppichait  zeruck  geworfen  hant,  und  (hm  alhiii-ibtigi-n 
Got  in  einen  geistliehen  Leben  dienen,  und  in  solchen  Leben  mit  Unsern  sunderlichen  Gnaden  ze  bedenkhen,  gnediglich  ze  handt- 
haben,  ze  bewahren  und  ze  beschirmen  und  .luch  in  Friede  und  Gemache  ze  schaffen,  dass  sy  Christum  Unsern  Herrn  des 
Frides  Liebhaber  in  fridlichen  und  bedribten  Wesen  dester  bas  gedienen,  sicklicher  ehren  und  anbeten  mögen.  Wann  nu  die 
Ersammen  Geistliche  Heinrich  Abbt  und  sein  Convent  des  Klosters  und  Gotshaus  zu  Sand  Lambrecht  in  Kernten  .Sand  Bene- 
dicteu  Ordnen,  Salzburger  Pistum  gelegen,  Unsern  Lieben,  Andächtigen  eins  ordentlichen  Lebens  sind,  und  ir  Zeite  in  Gotes 
dienste  mit  Singen  und  Lesen  redlich,  und  ersamlich  verzehren,  und  die  Kirche  unser  lieben  Frauen  zu  Zell  in  demselben 
Pistumb  zu  Salzburg  gelegen  demselben  Closter  zugehört,  dahin  gross  nienig  Christen  Volks  in  Pilgrems  Weiss  uudi  (Jnad 
zu  erwerben,  und  Selichait,  ir  Seel  täglich  zeucht,  und  die  Gott,  und  seiner  .Mutter  Jlaria  zu  Ehren  besuchent,  und  wan  Uns 
nu  fürbracht  ist,  dass  die  Leute  und  Pilgrem,  die  als  durch  Gnaden  Willen  gen  Zell  ziehen  oft  und  vil  uff  dem  Wege,  uff 
den  Strassen,  und  auch  in  den  Herbergen  hin  und  wieder  betrüebet,  gehindert,  und  beraubet,  gefangen  und  gesehlagen  werden, 
von  untugendlichen  Leuten,  die  Gotsfurcht  zu  ruck  schlagen,  und  ir  selbs  Er,  uud  Selichaid  muetwilliglieh  hingebeu  und  ver- 
gessen haben.  Und  davon  habent  Uns  die  vorgenannten  Abbt  uud  Convent  dimitiglich  gebetten,  und  angerut'eu  als  einen 
römischen  Kaiser  und  Kunig,  uud  Übristen  Vogt,  und  Beschirmer  der  Kirchen,  sy  gnediglich  darinnen  ze  bedenkhen,  zu 
beschirmen,  und  vierzesehen,  und  sy  in  Unser,  und  des  Kelches  sondern  Schutz  und  Schirme  zu  nemmen,  dass  die  Pilgrem 
die  Gott  und  unser  lieben  Frauen  ze  Ehren  gen  Zell  und  wieder  von  danen  anheym  ungehindert  sicher  Leibs  und  Guts 
ziehen  mögen. 

Darumb  mit  wohlbedachten  .Mueth,  giithen  Käthe  haben  Wür  die  vorgenannten  Abbt,  Convent  und  Kloster  ze  Sand  Lam- 
brecht, und  die  Kirchen  mit  sambt  dem  Markth  ze  Zell  in  Unser  und  des  heil.  Kelchs  sunderlichen  Schutz,  Huet  und  Schirme 
gnediglich  genommen  und  wellen,  dass  sy  soliches  Gelaits,  Schirms  und  Freiheit  uf  den  Wegen,  Strassen,  Herbergen  und 
überall  gebruchen,  und  geniessen  sollen  und  mügen,  und  dass  die  Strassen  daselbst  hin  und  wieder  sicher  und  frei  seyn  sullen 
von  allenneniglich  ungehindert.  Geben  zu  Pressburg  an  Montag  vor  Sand  Laurenzen  Tag,  nach  Christi  Geburt  vierzeheiihun- 
dert,  und  daraach  in  den  neun  und  zwanzigsten  Jahr.  Unsers  Keichs  des  hungerischen  in  dem  drei  und  vierzigsten,  des  Köuil- 
schen  in  dem  neunzehnten,  und  des  böhmischen  in  den  zehenten  Jahren."^ 

*  „Ehrsamer,  geistlicher.  Lieber,  Andächtiger.  Uns  ist  angelangt,  wie  Unser  Vetter  König  Lasla  sich  seines  Gewerths  jetzt 
von  Baden  hinein  gegen  Zell  zu  fügen  maine.  Begehren  wir  an  dich  mit  ganzen  Fleiss,  dass  du  darob  seyst,  und  bestellest, 
damit  er  mit  dem  heiligthume  empfangen,  und  gen  ihm  mit  der  Procession  entgegen  gangen,  auch  als  langer  daselbst  zu  Zell 
sei,  ihm  wohl  erbotten,  und  von  Zehrung  wegen  von  ihm  und  sein  Hof  Gesind  nichts  genommen,  noch  gegeben  werde,  durch 
Unsern  Willen  und  Uns  zu  Ehren.  Daran  tliust  du  Uns  sunder  Dank  nenunen  gut  gefallen,  dass  Wir  gegen  Dir  und  deinen 
Gotshaus  gneiliglich  wollen  erkennen.  Geben  zu  der  Neustadt  am  S.  Aegidien  Tag  etc.  etc.  etc. 

»  Eine  ausführliche  Beschreibung  dieser  Capelle  findet  sich  in  den  .Mitth.  IV.  Band,   p.  282. 


Die  Wallfahrtskikchk  zu  Makia-Zell  in  Steiermark.  <5 

Gefahr  gekommen,  aber  auf  Befehl  der  kais.  Hoheiten  legte  die  zahlreiche  Dienerschaft  Hand  an 
zur  Rettung  der  Kirche,  und  unter  der  umsichtigen  und  energischen  Leitung  des  Oberstallmeisters 
( )ctavius  Laureanus  wurde  dieses  Unglück  auch  rechtzeitig  abgewendet. 

1601  liatte  Erzherzog  Mathias  bei  Stuhlweissenburg  die  Schlacht  gegen  die  Türken  behaup- 
tet, zur  Erinnerung  daran  brachte  er  1602  eine  aus  Gold  verfertigte  Krone  für  die  Statue  der  heil. 
Maria,  in  deren  innerm  Rande  folgende  Inschrift  in  lateinischer  Sprache  eingravirt  wurde: 
^Mathias,  Erzherzog  von  Osten-eich,  Herzog  von  Burgund,  Steier,  Kärnten  etc.  etc.  Graf  zu 
Halbsbiu-g  und  Tirol  etc.  etc.,  Vice-König  (Pro  rex)  von  Hungarn  und  Osterreich  etc.  etc., 
Oberster  Anführer  der  Truppen  fsupremus  et  generalis  exercitus  dux),  Sieger  in  der  heftigen 
Schlacht  gegen  die  Türken  bei  Stuhlweissenbiirg  am  13.  und  15.  October,  stattet  hiermit  sein 
Gelübde  ab,  nachdem  Gott  durch  die  Fürbitte  Mariens  seine  Bitte  erhört  hat,  und  bringt  dankbar 
diese  Krone  und  ein  heil.  Messgewand,  als  Zeichen  des  gemachten  Gelübdes  dar.  Im  Jahre  des 
menschlichen  Heils  1602,  den  8.  September''. 

So  wurde  der  Gnadenort  Maria-Zeil  mit  besonderer  Vorliebe  von  dem  allerhöchsten  Regen- 
tenhaus besucht  und  von  selben  viele  Stiftungen  an  die  Kirche  und  Kirchenschatz  gemacht,  bis 
in  die  allerneueste  Zeit. 

Wichtig  für  die  spätere  Bauperiode  ist  Ferdinand  III.  römischer  König,  welcher  den  damaligen 
Abt  Benedict  ermunterte,  die  Kirche  vergrössern  zu  lassen  und  Beiträge  hiezu  zu  liefern  versprach. 

Der  erwähnte  Prälat  wurde  sresren  die  herkömmliche  Gewohnheit  nicht  im  Stifte  Lambrecht, 
sondern  in  Zell  selbst,  wo  er  Prior  war,  zum  Prälaten  erwählt,  und  vom  Kaiser  bestätigt. 
Pabst  Urban  VIII.  erkannte  ihn  als  rechtmässig-en  Nachfolger  seines  verstorbenen  Vorfahrers 
Johann  Heinrich  Stattfeld  in  der  Urkunde  17.  Kai.  Augusti  16-40. 

Am  6.  Mai  161:4  wurde  unter  Abt  Benedict  der  Grundstein  zur  heutigen  Kirche  respective 
Vei-grösserung  und  Umbau  gelegt.  Der  Kaiser  besuchte  den  Neubau  1615,  1652,  1655,  ein 
Beweis  des  regen  Interesses  für  das  begonnene  Werk.  Der  unter  Abt  Benedict  begonnene  Bau 
wurde  von  seinem  ebenfalls  in  Zell  17.  September  1700  gewählten  Nachfolger  Abt  Franz  Kalten- 
hauser  beendet  und  31.  August  1704  feierlichst  eingeweiht. 

Anno  1683  als  die  türkische  Armee  vor  Wien  stand,  wurde  die  Statue  der  heil.  Maria  von 
Zell  weg  nach  dem  Stifte  St.  Lambrecht  in  Sicherheit  gebracht,  jedoch  nach  dem  Abzüge  der 
Türken  vor  Wien  wieder  in  feierlicher  Procession  nach  Zell  zurückgeführt. 

1757  wurde  das  so  bedeutende  Jubeljahr  zur  Feier  des  sechshundertjährigen  Bestandes  der 
Kirche  in  grossartiger  Weise  begangen. 

In  Folge  dieses  Jubeljahres  liess  die  Kaiserin  Maria  Theresia  ein  schweres  silbernes  Gitter 
in  damaligem  Rococcostyl  anfertigen,  jedoch  erst  im  nächsten  Jahre  aufstellen,  aus  Vorsicht,  damit 
bei  dem  grossen  Andränge  der  Wallfahrer  diesem  werthvollen  Geschenke  keine  Beschädigung 
zugefügt  werden  könne. 

Im  Jahre  1769  stiftete  die  fromme  Kaiserin  Maria  Theresia  ein  kostbares  Antipendium  zum 
Gnadenaltar.  Es  war  aus  massiven  Silber,  durch  Balthasar  Ferdinand  Moll,  einem  Schüler  Raph. 
Donner's  angefertigt,  wurde  jedoch  in  den  napoleon'schen  Kriegen  eingeschmolzen  und  durch  eine 
minder  werthvolle  Copie  ersetzt'". 

Im  Jahre  1805  brachen  die  Franzosen  im  Aftlenzthale  ein,  und  kamen  bis  Maria-Zell,  je- 
doch wurde  der  Kirchenschatz,  so  wie  die  Gnadenstatue  schon  früher  verborgen.  In  der  Kirclie 
wurden  die  Gefangenen  untergebracht  und  Wachtfeuer  angezündet.  Sie  machten  sich  schon  daran, 
die  Kirchenbänke  und  Beichtstühle  zu  zertrümmen  um  Brennholz  zu  erhalten,  und  hielten  erst 
inne,  als  man  ihnen  hinlänglich  viel  Holz  brachte. 

10  S.  Berg-uiann's  Nachrichten  über  die  Bililhauertainilie  Moll.  Mitth.  XIII,  p.  CVII. 
XVI.  11 


76  Mass  PKTsf  iiNif,.   Du:  Wallfaiirtskiuchf.  7X  Makia-Zei.l  in  Stkikkm  \i;k. 

Der  Kirchenscliatz  hatte  bei  dieser  Gelegenheit  eine  merkwünlijre  Reise  gemaclit.  Da 
man  die  Annäherung  der  Feinde  bis  Maria -Zell  wohl  für  möglich  aber  niclit  für  wahrscheinlich 
hielt,  so  wurde  der  Kirchenschatz  eingepackt,  aber  erst  2 — 3  Stunden  vor  Ankunft  der  Feinde 
nach  Grätz  gesandt,  von  da  kam  er  ohne  Aufenthalt  nach  St.  Gotthardt  in  Ungarn,  von  da  weiter 
nach  Türgge  und  endlich  bis  zum  Plattensee  nach  Tihany,  von  wo  er  erst  nach  vier  Monaten 
wieder  nach  Zell  zurückgebracht  wurde.  Im  Jahre  1809  als  die  Franzosen  das  zweite  Mal  in  Zell 
eindi-angen,  wurde  der  Kirchenschatz  nach  Temesvär  abgeführt,  wo  er  über  zehn  Monate  verblieb. 

Der  letzte  füi-chterliche  Zerstörnngsact  trat  im  Jahre  1827  ein,  es  war  dies  der  sechste 
Brand,  alier  keiner  trat  für  Kirche  und  Ort  mit  einer  Verheerung  auf,  als  dieser.  Es  war  in  der 
Allerheiligen-Nacht  des  genannten  Jalires,  als  das  Heulen  des  Sturmes  von  einem  Prasseln  und 
Brausen  übertönt  wurde,  welches  die  im  Schlafe  befangenen  Bewohner  erweckte  und  sie  mit 
Entsetzen  erfüllte.  Es  schien  als  habe  ein  Flammenmeer  sich  über  den  unglücklichen  Ort  ergos- 
sen. Entsetzt  und  rathlos  starrten  die  Bewohner  wie  gelähmt  in  das  entfesselte  Element.  An 
Rettimg  war  nicht  zu  denken;  von  111  Häusern  blieben  nur  20  übrig.  Die  Dächer  der  Thürme 
und  Kirche  waren  verkohlt,  und  geschmolzen  lagen  die  Glocken  auf  den  Gewölben.  Die  Wieder- 
herstellung der  Kirche  begann  1828  unter  der  Leitung  der  Grätzer  Baudirection  und  wurde  1830 
vollendet.  Das  vergoldete  Kreuz  setzte  man  am  21.  Mai  desselben  Jahres  unter  grosser  Feier- 
lichkeit auf  dem  Mittelthurm  auf. 

Die  letzte  Restauration  fand  im  Jahre  1862  bis  1865  statt  und  zwar  unter  der  Leitung  des 
Baimieisters  Cletus  Zearo  von  Judenburg;  bei  dieser  wurde  hauptsächlich  der  gothische  Thurm 
restaurirt  und  das  mittlere  Fenster  dm-ch  ein  gothisches  ersetzt,  auch  wurde  die  ganze  Aussen- 
seite  ausgebessert  und  erhielt  einen  frischen  gleichmässigen  Anstrich. 

Nachdem  der  historische  Theil  über  die  Entstehung  der  Kirche  und  deren  Baugeschichte 
bis  in  die  neueste  Zeit  vorausgeschickt  worden  ist,  wollen  wir  nunmehr  zur  Beschreibung  des 
Gebäudes  selbst  schreiten.  Zugleich  wollen  wir  unsern  archäologischen  Standpunkt  erörtern  und 
mit  Hilfe  der  vorhandenen  Bauformen  dürfte  es  möglich  sein,  manche  Annahmen,  welche  in  den 
Schriften  und  Büchern  über  Maria-Zeil  als  fest  angenommen  und  S2;)äter  immer  wiederholt  worden 
sind,  zu  berichtigen.  Nicht  minder  wollen  wir  auch  dem  im  engsten  Sinne  des  Wortes  reichen 
Votivschatze  einige  Aufmerksamkeit  widmen  tmd  das  wenige  von  archäologisclier  Bedeutung  Vor- 
handene näher  betrachten. 


Die  Wallfahrtskirche  zu  Maria-Zell  ix  Steiermark. 


77 


n 


..- 

r 

l  ^'    ' 

Archäologischer  Theil. 

(Mit  28  HolEschniUen  und  einer  Tafel.) 

(Fortsetzung.) 

Wie  ein  Blick  auf  den  in  Fig.  1  beigege- 
benen Grundriss  der  Kirche,  der  jedoch  nicht 
das  ganze  Kirchengebäude,  sondern  nur  das 
Laughaus  darstellet,  uns  belehrt,  besteht  dasselbe 
aus  drei  Schiffen,  deren  jedes  in  fünf  Gewölbe- 
joche zerfällt;  ausserdem  sehen  wir  den  mäch- 
tigen Vorbau,  über  dem  die  drei  Thürnie  sich  er- 
heben. In  Mitte  des  fünften  Travees  des  Mittel- 
schiffes steht  die  sogenannte  GnadencapeUe. 
Man  bezeichnet  die  GnadencapeUe  gern  als  einen 
Bau  aus  sehr  früher  christlicher  Zeit,  allein  wie 
schon  vorher  ei-wähnt,  ist  aus  der  Zeit  Heinrich's 
des  Markgrafen  von  Mähren  ,  welche  in  das 
XIII. ,  nach  mehrseitiger  Annahme  sogar  in  das 
XII.  Jahrhundert  fallen  soll,  nichts  mehr  vorhan- 
den. Wir  müssen  eine  derlei  Angabe  als  vollständig 
unrichtig  zurückweisen.  Hiezu  geben  uns  sowohl 
die  Anlage  als  auch  die  Detailbildung  vollkom- 
men Gewissheit.  Betrachten  wir  dieses  in  späte- 
rer Zeit  durch  Verstümmlung  und  mancherlei 
Zuthaten  beinahe  unkenntlich  gewordene  Werk 
genauer,  so  erhalten  wir  die  Überzeugung,  dass 
es  ein  gothischer  Ciborien- Altar  ^  ist,  in  welchem 
man  die  Gnadenstatue  aufgestellt  hatte,  und  den 
man  später  mit  Gussmauerwerk  nach  drei  Seiten 
hin  ausgefüllt  hat. 

Es  ist  nicht  nur  möglich,  sondern  sogar 
wahrscheinlich  ,  dass  Markgraf  Heinrich  nach 
seiner  Genesung  über  die  geheiligte  Celle  eine 
Kirche  bauen  Hess,  da  es  heisst,  er  habe  Bauleute  nach  Zell  entsendet,  und  dass  deren  Anfang 
vielleicht  schon  1200,  wie  die  Inschrift  am  Hauptportale  zeigt,  begonnen  worden  ist.  Indess 
Bauformen  romanischer  Art,  wie  selbe  in  dieser  Zeit  in  der  Architektur  geherrscht  haben,  existiren 
daran  leider  nirgends,  nicht  einmal  in  Bruchstücken,  wie  solche  häufig  an  solchen  Stätten  einzeln 
vorkommen,  wenigstens  ist  in  dieser  Richtung  bis  jetzt  nichts  vorzufinden  gewesen.  Gewiss  ist  es 
aber,  dass  die  jetzige  GnadencapeUe  hinsichtlich  des  Baustyles  mit  dem  Bau  der  Kirche,  welchen 
Ludwig  König  von  LTngarn  ausführen  Hess,  zusammenfällt,  und  dass  derselbe  Steinmetz,  der  das 
Hauptportal  gemeisselt,  auch  an  dem  Ciborien- Altar  gearbeitet  hat. 

Diese  GnadencapeUe,  wie  wir  selbe  der  allgemeinen  Übung  gemäss  nennen  müssen,  hat 
ein  Trapez  zum  Grundriss,  was  vielleicht  seinen  Grund  darin  hat,  dass  die  Kirche  Ludwig's  hier 

•  Die  Ciborien- Altiire  haben  sich  von  der  altchristlichen  Zeit  bis  in  das  späteste  Mittelalter  erhalten ;  so  stehen  im  Dome 
zu  St.  Stephan  drei  Ciborien-Altäre  apiitgothischer  Architektur. 

XIV.  12 


Fig    1. 


78 


Hans  Petschsig. 


Fis 


Fiff.  i. 


ins  Achteck  übergesranoren  ist, 
uud  die  beiden  Seitenschiffe 
vuu  das  Mittelschiff  getiihrt 
worden  sind,  eine  Anordnung, 
die  sich  häufig  in  dieser  Zeit- 
periode findet. 

Vorn  ist  die  Capelle  mit 
einem  Kundbogen  geschlos- 
sen, welcher  ein  birnfürmiges 
Profil  hat  und  auf  polygonon 
Diensten  mit  profilirten  Capi- 
tälen  aufsitzt.  Zwei  Capitäle 
(Fig.  2  und  3)  mit  stvlisirtem 
Blattwerk  wai-en  zur  Aufnahme  von  Statuen  bestimmt,  ober  denselben  Baldachine  mit  Giebeln 
und  Fialen.  Von  den  Baldachinen  schwingt  sich  ein  geschweift  -  spitzbogiger  Wimberg  auf.  In 
der  stark  vertieften  Hohlkehle  (Fig.  4)  ist  ein  schön  stylisirtes  Ornament  angebracht,  mehrblättrige 

Blüthen  uud  langgezogenes  Blattwerk  mit  Beeren  auf 
einem  Stängel,  der  sich  wellenförmig  in  die  Hohlkehle 
hineinlegt.  Der  geschweifte  Wimberg,  welcher  fiülier 
sicher  oben  mit  einer  Kreuzblume  geschlossen  war,  wurde 
in  der  Höhe  abgebrochen ,  um  einem  plumpen  stark 
ausladenden  Renaissancegesimse  Platz  zu  machen  ;  auf 
schweren  Postamenten  stehen  daselbst  die  Glorie  des  heil.  Joseph  und  Engelsgestalten. 

Zwischen  den  Baldachinen  und  dem  Wimberge  sind  noch  zwei  Köpfe  angebracht,  welche 
ihrer  Behandlung  nach  derselben  Zeit  angehören.  Es  ist  zu  vermuthen,  dass  dieser  Bau  oben  mit 
einer  dm-chbrochenen  Balustrade  geschlossen  war  und  der  Wimberg  mit  seinen  Kreuzblumen  über 
selben  hinausgeragt  hat.    Zwischen  Rundbogen  und  Wimberg  sieht  man  zwei  Brustbilder  (Fig.  5) 

mit  ornamentirten  Kronen,  welche  mit 
Blattornamenten  in  gleicher  Weise  wie 
die  Hohlkehle  umrankt  werden.  Diese 
Brustbilder  bezeichnen  die  Chronisten 
als  den  Markgraf  Heinrich  und  seine 
Gemahlin  Agnes,  eine  Annahme,  der 
man  natürlich  nicht  beipflichten  kann, 
wenn  man  das  Ende  des  XIV.  und  An- 
fang des  XV.  Jahrhunderts  präcis  auf- 
gestellten KronenfoiTnen  entgegen  hält. 
Kach  diesen  haben  nur  Könige  und  Königinnen  Kronen,  wälu-end  den  Markgrafen  niemals  dieses 
heraldische  Svmbol  \-indicirt  wurde.  Es  ist  demnach  viel  wahrscheinlicher,  dass  diese  beiden 
Brustbilder  den  Könis:  Ludwig-  und  seine  Gemahlin  vorstellen. 

Im  Innern  ist  diese  Capelle  mit  einem  Kreuzgewölbe  geschlossen,  welches  Rippen  mit 
Bimprofil  hat,  jedoch  ohne  Schlussstein.  An  der  Rückseite  der  Capelle  ist  eine  Mensa  von  b  Fuss 
10  Zoll  Länge  erhalten,  deren  Fläche  einfach  mit  Relief-Masswerk  in  Form  einer  Balustrade 
belebt  ist.  Ober  selbem  sieht  man  Nase  und  M«und  eines  eingemauerten  Kopfes  hervorragen, 
möglich  von  einer  Figur,  welche  aus  derselben  Bauzeit  stammt.  Es  ist  .sicher  anzunehmen,  dass 
*  Diese  Form  kummc  schon  gegen  Ende  des  XIV.  JabrLunderts  vor.  uuil  wird  namontlicb  bei  kleinen  Objecten  beliebt. 


Fis 


Die  Wallfahrtskirche  zv  Maria-Zell  in  Steiermark. 


79 


Fiff.  6. 


diese  Capelle  auf  vier  Pfeilern  gestanden  hat,    und  nach  allen  Seiten  nach  Art  der  Ciborien- 
Altäre  offen,  ehemals  blos  mit  Vorhängen  abgeschlossen  wurde. 

Ob  nun  diese  Mensa  einmal  vorn  gestanden  hat  oder  ob  hier  ein  Doppelaltar  angebracht 
■nar,  der  auch  nach  der  Rückseite  einen  Altartisch  hatte,  ist  durch  den  blossen  Anblick  des  heu- 
tigen Zustandes  nicht  zu  bestimmen  ^ 

Grosses  Interesse  knüpft  sich  natürlich  an  die  Statue  der  Gnaden-Mut- 
tergottes (Fig.  6).  Sie  ist  gewöhnlich  mit  den  gespendeten  Kirchengewän- 
dern bekleidet,  grosse  Kronen  sitzen  auf  den  Häuptern  der  heil.  Jungfrau 
und  des  Kindes  und  lassen  so  für  gewöhnlich  die  eigentlichen  Formen  nicht 
sehen.  Nur  der  besonderen  Güte  der  dortigen  ehrwürdigen  Geistlichkeit 
habe  ich  es  zu  verdanken,  dass  ich  dieselbe  näher  besichtigen  konnte.  Die 
Gnaden-Statue  ist  aus  einem  Stück  Lindenholz  geschnitzt,  18  Zoll  hoch. 
Sie  zeigt  die  Mutter  Gottes  auf  einem  Stuhl  sitzend;  doch  scheinen  die 
Hände  später  nachgemacht  zu  sein ,  denn  auf  dem  rechten  Arme  des  Chri- 
stuskindes ist  das  Einsetzen  deutlich  und  sogar  der  Holznagel  zur  Befesti- 
gung zu  sehen. 

Obwohl  die  Arbeit  in  der  Behandlung  einen  primitiven  Charakter 
an  sich  trägt,  so  ist  namentlich  die  Draperie  des  Kleides  stylistisch  und 
mit  Verständniss  behandelt.  Der  Kopf,  Oberleib  und  die  Hände  der  heil. 
Maria  sind  etwas  ausser  Verhältniss,  wie  es  die  Sculpturen  der  romanischen 
Zeit  häufig  aufweisen.  Diese  Statue  ist  auf  Goldgrund  polychromirt.  Das 
Christkind  hat  goldenes  Haar,  und  ein  weisses  Hemd  mit  goldener  Einsäu- 
mung, das  Kleid  Mariens  ist  blau,  roth  gefüttert  mit  goldenem  Saume,  das  Kopftuch  weiss.  Die 
Mutter  reicht  dem  Kinde ,  das  sie  auf  dem  rechten  Arme  trägt,  einen  Apfel,  nach  welchem  der 
Knabe  greift,  obschon  er  einen  solchen  in  den  Händen  hat.  Es  ist  kein  Zweifel,  dass  wir  hier 
ein  polychromirtes  Original  aus  der  romanischen  Periode  vor  uns  haben,  in  archäologischer 
Beziehung  von  hoher  Bedeutung.  Die  Vernuitlmng  liegt  nahe,  dass  es  das  Werk  eines  fi-ommen 
Priesters  ist,  der,  wie  es  in  der  altchristlichen  und  romanischen  Periode  so  häufig  der  Fall  war, 
sich  mit  der  kirchlichen  Kunst  beschäftigt  hat;  ob  es  indess  jener  Priester  war,  der  zuerst 
nach  Zell  entsendet  worden,  oder  ob  er  das  Bild  im  Kloster  vorgefunden  hat,  ja  in  wie  weit 
der  fi-ommen  Sage  Wahrheit  zu  Grunde  liegt,  entzieht  sich  begreiflicher  Weise  jeder  Unter- 
suchung. 

Indem  wir  unsere  Betrachtung  über  die  Gnaden-Capelle  hiermit  beschliessen,  wenden  wir 
nun  unsere  archäologische  Forschung  dem  von  Ludwig  dem  Grossen  ausgeführten  gothischen 
Bau  zu.  In  dieser  Beziehung  sind  die  älteren  Angaben  in  der  Regel  alle  mehr  oder  weniger  unrich- 
tig, und  es  kommen  die  sonderbarsten  Behauptungen  vor.  Freilich  wohl  gehört  das  Studium  der 
mittelalterlichen  Kunstformen  der  neuen  Zeit  an,  und  nur  durch  die  Beobachtung  und  Verglei- 
chung  derselben  ist  man  im  Stande,  auch  dort  die  Zeit  annähernd  zu  bestimmen,  wo  Urkunden 
und  Jahreszahlen  fehlen  oder  trügen,  oder  wo  Traditionen  älteren  Datums  auf  spätere  Werke  über- 
tragen werden,  wie  es  der  Fall  bei  der  Gnadencapelle  war  und  auch  bei  dem  Kirchengebäude  ist. 

Nach  allen  Nachrichten  und  Beschreibungen  wurde  immer  die  Behauptung  aufgestellt  und 
festgehalten,  dass  nur  der  Thm-m  von  der  alten  gothischen  Kirche  übrig  geblieben  ist  und  dass 
dieselbe  einschiffig  und  zwar  von  der  Ausdehnung  des  jetzigen  Mittelschiffes  gewesen  wäre*. 

3  Wie  ^vidersinnig  man  mit  den  alten  gothischen  Bauformen  in  der  Eenaissancezeit,  als  man  den  Bau  vergrösserte,  umge- 
gangen ist,  beweiset  der  Umstand,  dass  die  gothischen  Baldachine  jetzt  als  Postamente  für  die  Engelsfigurcn  dienen. 

1  So  schreibt  Marian  Sterz  in  seinem  Grundriss  einer  Geschichte  von  Maria-Zell  1819  „der  Grundstein  zur  jetzigen 
Kirche  (nämlich  dem  neuen  Baui  wurde   1644   den   ti.  Mai   gelegt,  sie  selbst  ist  im  gothischen  Style  erbaut.  Ihr  Gewölbe,  das 

12* 


80  Hans  Petschsig. 

Dem  gegenüber  mu?s  ich  gestützt  auf  meine  archäologischen  Studien  eine  ganz  andere 
Behauptung  aufstellen  und  habe  dieselbe  dadurch  deutlich  zu  machen  gesucht,  dass  im  Grundriss 
Fig.  1  die  alte  gothische  Kirche  des  Königs  Ludwig  schwarz  eingezeichnet  worden  ist. 

Es  ist  dies  nicht  der  einzige  Fall,  dass  schlanke  gothische  Pfeiler  in  spätem  Jahrhunderten, 
wo  die  Renaissance  die  mittelalterliche  Architektur  verdrängt  hat,  mit  Mauerwerk  umkleidet 
worden  sind,  um  in  Übereinstimmung  mit  der  damaligen  Kunstrichtung  Pilaster  zu  bekonmien, 
welche  den,  namentlich  von  italienischen  xVrcliitekten  aufgestellten  Verliältnissen  entsprachen; 
denn  die  gothischen  fein  gegliederten  Pfeiler  waren  zu  schlank,  zu  kühn  war  ihre  Construc- 
tionsfurm  *. 

Dieser  Fall  liegt  hier  klar  vor  den  Augen  jedes  mit  der  Bauform  des  Mittelalters  vertrauten 
Fachmannes.  Beim  Anblick  der  Aussenseite  dringt  sich  dem  Beschauer  allerdings  die  Meinung 
auf,  hier  einen  modernen  Bau  vor  sich  zu  haben,  der  vom  Grund  aus  in  der  Renaissance-Zeit 
aufo-eführt  worden  ist,  und  die  Ansicht,  als  sei  nur  der  mächtige  alte  gothische  Thurm  in  der 
Mitte  vom  fi-üheren  Bau  übrig,  scheint  begründet.  Noch  mehr  macht  sich  im  ersten  Moment  diese 
Überzeugung  geltend,  wenn  man  durch  das  tief  gothische  reichproiilirte  Portal  in  das  Innere  der 
Kirche  schreitet.  Die  stai-ken  Pfeiler  mit  den  weit  ausladenden  korinthischen  Capitälen,  der  durch- 
o-eführte  Rmidbogen,  die  wuchtigen  Stuckornamente,  mit  welchen  die  Decke  überladen  ist,  der 
Capellenanbau  mit  den  darüber  geführten  Emporen,  alles  macht  sich  derartig  geltend,  dass  man 
jedes  weitere  Eingehen  in  das  Studium  des  Baues  für  überflüssig  hält. 

Nm-  das  ausgesprochene  Kreuzgewölbe,  welches  nicht  zu  beseitigen  war,  führt  den  Fach- 
mann dahin,  sich  näher  mit  der  Construction  dieser  Decke  zu  beschäftigen.  Bald  sieht  das  geübte 
Aufe  die  alte  Kirche  trotz  der  starken  Renaissance- Verkleidung,  denn  ganz  todt  hat  man  den 
o-üthischen  Bau  nicht  machen  können,  obgleich  man  es  gewollt,  und  mit  den  stärksten  Mitteln 
versucht  hat. 

Von  den  Emporen  aus,  wo  man  der  Decke  näher  steht,  sind  die  feinen  Linien  der  birn- 
förmig  profilirten  Rippen  leicht  zu  erkennen,  und  zwischen  den  sie  umwuchernden  Ornamenten 
kann  mau  dieselben  bis  zu  ihrem  Beginn  verfolgen.  Ober  den  breiten  Capitälen  laufen  die  Dia- 
o-oualrippen  mit  den  Gurtrippen  nahe  zusammen,  imd  es  sieht  höchst  sonderbar  aus,  wie  sich  hier 
die  Capitäle  ausladen,  während  die  Rippen  darüber  schmal  zusammenlaufen.  Diese  profilirten 
Rippen  wölben  sich  nicht  nur  im  Mittelschiffe,  sondern  auch  in  den  Seitenschiffen  bis  an  den 
Capellenanbau. 

Noch  deutlicher  zeigt  sich  dies  in  der  Empore,  die  durch  den  Thurm  führt;  hier  hat  man 
es  unterlassen  das  Kreuzgewölbe,  gleichwie  in  der  Kirehenhalle  mit  Ornamenten  zu  überkleistern, 
nicht  nur  die  Rippen  treten  klar  hervor,  sondern  die  alten  Schlussteine  sind  auch  noch  uube- 
rührt,  während  im  Kirchenschiff  um  dieselbe  so  massenhafter  Stucco  angebracht  ist,  dass  die- 

ganz  Stiikatiirarbeit  ist,  ruht  bis  zur  Gnadencapelle  auf  aclit  Säulen,  die  Mher  bei  der  von  König  Ludwig  erbauten  Kirche 
die  Gräiizf  der  Seitenwände  ausmaeliten''. 

In  Dr.  Muchar's  historisch-topographischer  Darstellung  von  Maria-Zeil  heisst  es: 

„Die  Kirche  ist  Ins  auf  den  gothischen  Mittelthiinn .  welcher  noch  von  der  alten,  durch  König  Ludwig  erbauten  Kirche 
stehen  blieb  und  blos  durch  ein  niociernes  Mittclfenster  über  dem  Haupteingange  entstellt  wurde,  ganz  in  getalligein  moderneni 
Style  aufgeführt".  In  der  Anmerkung  wird  bemerkt;  „nicht  im  gothischen  Style,  wie  es  fa^t  in  allen  Beschreibungen  der 
Kirche  von  Maria-Zeil  zn  lesen  ist". 

»  Die  Ken.'iissance,  welche  die  römische  Kunstform  wieder  in  Aufnahme  brachte,  hielt  die  stärkeren  Verhältnisse  der 
Arcliitrav-Architektur  fest,  da  eigentlich  die  griechische  Architektur  die  Grundlage  der  römischen  ist,  und  die  horizontale 
Architrav- Architektur  trotz  des  übemll  angewendeten  Bogen»  doch  den  Kern  der  Dceoration  bildet.  Diese  Architrav- 
Anliitektur  verlangt  aber  stärkere  Stützen;  währeml  die  Gothik  als  eminent  constnictiv  selbständig  in  kühner  Weise  nur  ein- 
zelne Punkte  durch  Strebepfeiler  verstärkte,  und  dadurch  im  Stande  war,  die  stützenden  Pfeiler  mit  Hücksicht  auf  die  Güte 
des  zu  Gebote  stehenden  Materials  so  schlank  als  möglich  zu  machen,  um  das  Aufstreben,  welches  den  Gegensatz  zur 
llorizoutallinie  der  Antike  bildet,  völlig  zum  Ausdrucke  zu  bringen. 


Die  Wallfahrtskirche  zu  Maria-Zell  in  Steiermark. 


81 


selben  in  den  sie  umgebenden  Renaisanee-Rosetten  ganz  verschwinden.  Um  jedoch  den  Gegensatz 
der  alten  echten  Construction  und  der  darüber  angebrachten  Decorations-Architektur  zu  betonen, 
muss  ich  noch  anführen,  dass  die  Capitäle  aus  Holz  gemacht  und  mit  Stucco  überkleidet  sind; 
diese  meine  Vermuthung  wurde  mir  auch  von  einem  Gewerbsmann  bestätigt,  der  behufs  einer 
einmal  beabsichtigten  Vergoldung  der  Capitäle  Gelegenheit  gehabt  hatte,  dieselben  in  der  unmit- 
telbaren Nähe  zu  untersuchen. 

Diese  archäologische  Forschung  stellt  nun  unzweifelhaft  fest  ,  dass  nicht  nur  der  alte 
gothische  Thurm,  sondern  die  ganze  von  König  Ludwig  erbaute  gothische  Kirche,  in  den 
Renaissancebau  eingeschachtelt  ist. 

Die  alte  noch  vorhandene  gothische  Kirche  hört  bei  der  Gnadencapelle  auf,  und  wahr- 
scheinlich hat  bei  derselben  der  achteckige  Abschluss  begonnen,  möglich  auch,  dass  die  Chor- 
partie in  anderer  Weise  geendet  hat,  aber  bis  zu  der  Gnadencapelle  reicht  noch  heutzutage  der 
alte  Bau,  der  übrigens  gar  keinen  Anhaltspunkt  für  Beantwortung  der  Frage  über  die  Gestaltung 
des  Chorschlusses  gibt.  Ob  nun  die  Profilirung  des  Innenpfeilers  genau  so  ist,  wie  selbe  in 
Fig.  1  gezeichnet  ist,  kann  natürlich  nicht  behauptet  werden,  da  die  spätere  Umhüllung  ganz  nach 
selbstständigem  dem  Architekten  passenden  Querschnitt  gemacht  worden  ist;  es  sollte  nur  der 
Beweis  geliefert  werden,  dass  in  dem  Querschnitt  der  jetzigen  Pfeiler  die  gegliederten  Joche  des 
alten  Baues  sattsam  Platz  gefunden  haben. 

Die  Kirche  des  ungarischen  Königs  Ludwig  war  somit  ein  dreischiffiger  Bau  mit  einem 
Mittelthurm,  welcher  sich  in  die  Westfronte  eingebaut  hat,  und  eine  Vorhalle  bildete.  Zu  dieser 
letzten  Annahme  berechtigen  die  ober  dem  Orgelchor  befindlichen  Kreuzgewölbe  mit  den  profi- 
lirten  Rippen  und  den  alten  Schlusssteinen,  unten  aber  das  noch  fortlaufende  abgefaßte  gothische 
Sockelprotil.  Die  Aussenwände  der  beiden  Nebenschifie  wm-den  bei  der  Erweiterung  ausgebro- 
chen, an  die  Strebepfeiler  die  Capellen  und  darüber  die  Empore  angebaut,  und  dann  der  Bau 
jenseits  der  Gnadencapelle  ostwärts  ganz  neu  ausgeführt. 

Bei  diesen  grossen  Bauveränderungen  hatte  man  die  gothischen  Joche  mit  Gussmauerwerk 
umkleidet,  um  selben  das  Ansehen  von  Renaissance-Pfeilern  zu  geben.   Ein  italienischer  Architekt 
Domenico  Sciaffia  hatte  diese  ver- 
schönende   Umstaltung    und    Ver-  ^  -gj^'^"^  ^^W 
grösserung  geschaflfen  und  im  Jahre 
1646    beendet.    Da    dieser    nichts 
weniger  als  zierliche  Neubau  nicht 
mehi-  in  das  Bereich  der  archäolo- 
gischen   Besprechung    einbezogen 
werden   kann ,    so   kehren   wir   zu 
dem  für  uns  interessanten  Bautheile, 
namentlich    zur    Vorderfronte'    der 
Kirche  zurück.  (Fig.  1.) 

Es  dürfte  nicht  leicht  irgend- 
wo eine  Kirche  geben,  deren  West- 
fronte einen  so  merkwürdigen  Con- 
trast  der  Bauformen  bilden  würde, 
wie  Maria- Zell.  Li  der  Mitte  den 
mächtig  aufstrebenden  Tln;rm  von 
gothischer  Form  mit  seinen  Strebe- 
pfeilern, Strebebögen,  Baldachinen 


Fig. 


82  IIass  Petschnig. 

uud  Wimbcro-en.  mit  Fialen  und  Krabben,  darunter  das  mäclitio-e  Purtal.  und  die  zwei,  in  nücb- 
ternster  Architektur  aus^etuhrteu  Tliürnie  mit  hässlielien  Zwiebeldäcliern  an  diesen  Mittelbau  bei- 
derseitig-  angebaut. 

Diese  nüchterne  blos  durch  Lisenen  belebte  Architektur  gibt  namentlich  in  der  Seitenfronte 
dem  Gebäude  eher  den  Charakter  einer  zweistückigen  Kaserne  als  den  einer  Kirche.  Der  Architekt 
scheint  die  Absiciit  gehabt  zu  haben  durch  Contraste  zu  wirken ;  so  nüchtern  er  aussen  vorge- 
o-ano-en  ist.  so  überladen  und  schwulstisr  ist  er  dann  im  Innern  geworden.  Nichts  desto  weniger 
kann  man  dem  vom  Fundament  neu  aufgeführten  Theil,  zumal  dem  Kuppelbau  seine  xVnerkeniiung 
nicht  versagen,  denn  er  ist  mit  grossem  Verständniss  durchgeführt  und  hat  sehr  glückliche  Ver- 
hältnisse, ist  auch  in  decorativer  Beziehung  viel  massvoller,  als  der  vordere  Theil,  wo  es  die 
Aufo'abe  war,  den  alten  gothischen  Tlieil  ganz  zu  verbergen  und  unsichtbar  zu  machen.  Dieser 
italienische  Architekt  hat  indess  durch  die  Verwendung  rothen  Marmors  für  die  Sockel,  Simse, 
Lisenen,  Fenster  imd  Thürstöcke  einige  Abwechslung  in  den  Aussenbau  zu  bringen  gesucht  und 
mit  oder  ohne  Bewusstsein,  Materialfarben  mit  Verständniss  benützt.  Bei  der  letzten  Restauration 
scheint  man  aber  von  einem  solchen  demokratischen  Gleichheitsgefühl  überfallen  worden  zu  sein, 
dass  selbst  diese  Abwechslung,  die  die  Markirung  der  belebenden  Theile  in  rothem  Marmor 
hervorgebracht  hat,  als  viel  zu  auffallend  und  beunruhigend  erkannt  wurde.  Die  Tünchquaste 
wurde  hastig  in  Tirolergrün  getaucht  und  damit  alles  vom  Sockel  aufwärts  angestrichen ,  all  der 
Marmor  verschwand  unter  dem  egalen  Blassgrün  und  nur  -ein  Paar  Seitenportale  blieben  unbe- 
rührt stehen  und  zeigen,  dass  der  Italiener  ein  sehr  schönes  Material,  das  mit  vorzüglichem  Fleisse 
gemeisselt  war,  fiü-  seinen  Bau  zu  verwenden  gewusst  hat. 

Was  den  gothischen  Thurm  anbetrifft,  so  ist  derselbe  quadratisch  angelegt,  und  geht  ober 
der  zweiten  Hälfte  ins  Achteck  über.  Aus  den  Eckpfeilern  entwickelt  sich  eine  oben  mit  Zinnen 
S'eschlossene  Fiale,  sie  steigt  bis  zum  Achteck  hinan  und  wird  hier  durch  zwei  geschwungene 
Strebebögen  mit  ie  zwei  Seiten  des  Achtecks  verbunden.  Giebel  ki-önen  das  Achteck,  auf  welches 
sich  fi-üher  ein  Helm  aus  Stein  mit  Kantenblumen  geziert  aufgesetzt  hat;  gegenwärtig  ist  der 
knorrige  Helm  mit  Metallblech  bekleidet. 

Der  Wasserschlag,  welcher  beim  Schluss  des  Vierecks  sich  in  das  Achteck  hinaufzieht, 
ist  steil  und  tief,  die  profilirten  Achtecksseiten  markiren  auf  dieser  schiefen  Fläche  scharf  ihi-e 
Gliederungen.  Sehr  zierlich  ist  die  Verbindung  der  ersten  Fensterpartie  im  Achteck  unterein- 
ander* es  setzen  sich  nämlich  zwischen  den  mit  geschweiften  Wimbergen  geschmückten  Spitz- 
bogenfenstern kleine  Baldachine  ein,  und  kleine  Säulchen  mit  starkvorspringenden  blattumkränzten 
Capitälen  unter  den  Baldachinen  sind  zur  Aufnahme  von  Statuen  bestimmt.  Das  obere  Fenster 
im  Viereck  hat  zierliche  Masswerkblenden®,  welche  den  Raum  zwischen  Fenster  und  Strebe- 
pfeiler beleben.  Die  Strebepfeiler  selbst  schliessen  beim  Abschlussgesimse  des  Thurmvierecks  mit 
starken  Fialen,  deren  Helm  und  Giebel  mit  Kantenblumen  besetzt  sind. 

Die  zu  beiden  Seiten  des  Portals  emporstrebenden  Pfeiler  sind  mehrmals  abgestuft,  und 
durch  Giebel  unterbrochen,  über  welche  der  Pfeiler,  jedoch  über  Eck  gestellt,  sich  bis  zu  den 
früher  erwähnten  Fialen  fortsetzt,  wo  dann  dieser  dreieckige  Vorsprung  ebenfalls  mit  Giebeln 
abschliesst.  Über  dem  Hauptgesimse  der  an  den  Thurm  stossenden  Abschlussmauer  der  Seiten- 
schiffe erheben  sich  ebenfalls  Strebepfeiler.  Die  schiefe  Linie  des  Abschlussgesimses  am  Thurm- 
viereck  zur  Seite  des  Kirchendaches  scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  das  Dach  der  Seiten  der 
Seitenschiffe  weit  hinauf  geragt  haben  mag. 

Im  Ganzen  ist  der  Thurm,  namentlich  im  Achteck  etwas  zu  kurz  gehalten,  dafür  hat  das 
Portal  (Fig.  8)  eine  energisch  aufstrebende  Gestaltung.   Vor  der  letzten  Restauration  waren  die 
6  Diese  Decoration  scheint  ursprünp;lich  anders  gewesen  zu  sein. 


Die  Wallfahrtskikchk  zu  Maria-Zell  in  Steikumai{k. 


83 


Fig.  8. 

Steilen  Giebelschenkel  noch  vorhanden ,  welche  im  Zusammenhalt  mit  den  hoch  aufstrebenden 
Fialen,  gewissermassen  die  Bedeutung  des  Portals  betonen  sollten.  Mit  Rücksicht  auf  die 
krönende  Giebelblume  mit  dem  Knauf  kommt  man  zur  Vermuthung,  dass  ober  dem  Portale  der 
Giebel  fi-ei  in  das  darüber  befindliche  Fenster  geragt  habe,  möglich  auch,  dass  dort  ein  Rad- 
fenster angebracht  war. 

Das  P'eld  zwischen  den  Giebelschenkeln  war  vor  der  letzten  Restauration  mit  einem 
Gemälde  aus  später  Zeit,  welches  die  heil.  Maria  in  der  Zelle  darstellte,  zu  welcher  die  Hirten  in 
ti-ommer  Begeisterung  eilen,  ausgefüllt,  ein  Werk  italienischer  Hand,  wie  es  namentlich  aus  der 
Behandlung  der  idealen  Landschaft  ersichtlich  ist. 

Das  Portal  an  sich  verdient  eine  eingehende  Betrachtung.  Die  Profilirung  ist  reich  und  tief 
(Fig.  9  u.  10).  Die  flankirenden  Fialen  haben  bei  Beginn  des  Giebels  ein  horizontales  Gesims,  unter 
welcher  sich  die  Laibung  mit  Masswerksblumen  fortsetzt,  und  so  bilden  sie  unten  selb.ständige 
vorspringende  Pfeiler,  welche  dm'ch  Masswerksblenden  mit  den  Strebepfeilern  des  Thurmes  ver- 
bunden sind.  Eine  reiche  Gliederung  von  Rundstäben  und  Hohlkehlen  zieht  sich  längs  der  Schräge 
des  Portals  hin;  und  zierlich  gearbeitete  Blattcapitäle  bilden  den  Ansatz  für  die  Gewölbeglieder. 
Oben  setzen  sich  die  grossen  Rundstäbe  im  Birnprofil  fort,  und  bilden  zwei  Hohlkehlen  zur  Auf- 
nahme von  Baldachinen,  welche  zugleich  die  Postamentform  haben.  14  Statuen  waren  ursprüng- 
lich bestimmt,    das  reich   angelegte   Portal   zu   schmücken,  jedoch  theilt  auch  dieses  Werk   das 


84 


Has»  Petschsig. 


Schicksal  so  \neler  anderer,  dass  der  Schmuck  der  Statuen  einer 
bessern  Zeit  vorbehalten  wurde,  die  bis  jetzt  für  diesen  Bau  noch 
nicht  eingetreten  zu  sein  scheint.  Datür  hat  man  aber  ein  einJache- 
res  und  billigeres  Mittel  gefunden  die  Statuen  zu  ersetzen,  es  siud 
nämlich  an  die  Stelle  derselben  Inschriften  gesetzt  worden,  die  auf 
die  Fürbitte  Mariens,  auf'  die  Gründung  der  Gnaden-CapeUe  und  der 
ersten  Kirche  Bezug  haben.  Die  Baldachine  sind  ebenso  schön  als 
zierlich  gehalten,  und  zeigen  so  wie  die  Capitäle  eine  sichere  Hand. 
Nicht  zu  übersehen  sind  die  Consolen  Fig.  9,   10.   11.   12.   13.   14. 

welche  innerhalb  der  Mas>werksblenden 
zwischen  Pfeilern  und  Fialen  angebracht 
sind,  und  ebenfalls  zurAuftiahme  von  Sta- 
tuen bestimmt  waren.  Diese  mit  s\Tnboli- 
sehen  Thiertiguren  und  omamentalen  Ki>- 
pfen  geschmückten  Consolen  sind  vornehm- 
lich auch  deshalb  beachtungswerth,  weil  der 
gleiche  Charakter  in  Bezug  auf  das  Blatt- 
werk mit  den  Capitälen  an  der  Gnadencapelle  sich  schlagend  herausstellt,  und  man  ganz  gut  die 
Behauptung  aufteilen  kann,  dass  ein  und  dieselbe  Hand  an  diesen  wie  an  jenen  gearbeitet  hat. 

Höchst  interessant  ist  aber  vor  allem  das  Tvmpa- 
—    non.  In  ganz  abweichender  Weise  ist  das  Tvmpanon  in 

der  ^Mitte  durch  einen  horizontalen  Balken  getheilt ;  der 

obere  Theil   zeigt  Christus  am  Kreuze  mit  den  beiden 

Schachern.  Es  ist  der  letzte  Lebens -Moment  des  Sohnes 
Gottes,  der  Kriegsmann  reicht  dem  Erlöser  den  Schwamm 
mit  Essijr.  Während  die  Figur  des  rechten  Schachers 
ruhig  am  Kreuze  hängt,  die  Arme  über  den  Querbalken 
gebunden,  windet  sich  der  Körper  des  linken  Schachers 
und  sein  Gesicht  ist  verzerrt.  Eine  reiche  Figurengruppe. 

29  an  der  Zahl,  umgibt  die  drei  Kreuze;  Fähnleins,  Lanzen,  Hellebarden,  Streitäxte  ragen  zahlreich 
aus  der  Gruppe  heraus.  Links  eine  Gruppe  Juden  mit  der  im  Mittelalter  für  selbe  als  charakteri- 
stisch angewendeten  spitzen  Kopt'bedeckung,  hinter  selben  Krieger  mit  ausdrucksvollen  Gesichtern 
tmd  Bewegungen,  rechts  Johannes  und  Maria  mit  den  Frauen,  wovon  eine  ein  Kind  am  Arme  trägt. 
Magdalena  kniend  neben  Johannes,  dann  die  Pharisäer  gleichsam  als  Illustration  des  biblischen 

Textes:  _Wenn  du  Gottes  Sohn  bist,  so  hilf" 
dir  selbst".  Diese  Sculptur  wird  unten  durch 
einfaches  Gesims  begränzt ,  welches  auf 
einem  starken  Steinbalken  aufsitzt. 

Unter  diesem  Steinbalken  ist  ein 
zweites  weit  grösseres  Relief  angebracht, 
welches  auf  zwei  senkrecht  aneinander 
gefügte  Steinplatten  gemeisselt  ist:  diese 
beiden  Steinplatten  ragen  bis  unter  das 
Abtheilunorsgresims  in  der  Weise,  dass  diese 
selbst  noch  einen  Theil  des  Abtheilungs- 
balkens bilden. 


>> 


Fi?.  10. 


Fig.  u. 


Tis.  12. 


Dit  Wallfaih; isKiiiriiE  zc  Üauia-Zell   in  Steieumark. 


85 


liiT.     13. 


14. 


¥\S.    Ir. 


Etwas  nach  rechts  aus  dem  Mittel  gerückt  erblickt 
man  die  Himmel.skünig-in  mit  einer  ornamentirten  Biigol- 
krone,  im  rechten  Arme  das  segnende  Christuskind.  Ein 
faltenreiches  Gewand  mit  streng  stylistischer  Anordnung 
umgibt  die  majestätische  Gestalt.  Zu  beiden  Seiten  Che- 
rubine mit  hochgeschwungenen  flatternden  Spruchbän- 
dern. An  die  Himmelskönigin  drängen  sich  kniend  die 
Pilgrime,  charakterisirt  durch  Stab  und  Pilgerhut,  darun- 
ter auch  ein  gekröntes  Haupt.  Weiter  nach  rechts  kniet 
das  Genesung  suchende  markgräfliche  Paar  Heinricli  und 
Agnes,  hinter  welchen  der  heil.  Wenceslaus  führend  und 
schützend  steht ,  in  der  Rechten  ein  Fähnlein  mit  dem 
böhmischen  Löwen  haltend;  ober  demselben  ein  hori- 
zontal schwebender  Engel,  der  mit  der  Linken  nach  der 
Hinmielskönigin  deutet,  und  mit  der  Rechten  das  Fähn- 
lein des  heil.  Wenzeslaus  leitet,  gleichsam  als  himmli- 
scher Wegweiser  für  die  Gruppe.  Hinter  diesen  kniet 
betend  der  infulirte  Abt',  unter  welchem  dieser  Bau  ein- 
geweiht wurde;  leider  ist  kein  Wappenschild  oder  Mono- 
gramm aufzufinden,  wodurch  man  erfahren  könnte,  unter  Avelchem  Abte  das  Relief  aufgestellt 
wurde.  Links  bringt  König  Ludwig  das  Schatzkammerbild,  welches  jedoch  sehr  frei  aufgefasst  ist, 
zum  Opfer.  Hier  scheidet  die  Fuge  die  beiden  Steine.  Die  Figuren  sind  nun  durchweg  kleiner 
und  gedrängter.  Es  ist  eine  Schlacht  dargestellt.  Über  das  Getümmel  der  Kämpfenden  ragt  das 
Banner  mit  dem  ungarischen  Doppelkreuz  und  Wappenschild,  auch  ein  kleines  Banner  mit  dem 
einfachen  Kreuze  zeigt  sich  im  Hintergrunde  neben  Lanzen  und  Hellebarden.  Ein  Ritter  mit 
geschwxingenem  Schwerte,  mit  einer  Zinnenkrone  am  Helme,  den  reichen  Gürtel  um  die  Hüften, 
scheint  den  König  darzustellen;  sein  Pferd  tritt  auf  einen  gefallenen  Feind,  der  sammt  dem  Pferde 
am  Boden  liegt,  neben  ihm  fallt  ein  Kriegsmann  mit  gewaltiger  Lanze  aus  und  durchbohrt  den 
Feind  in  sehr  anschaulicher  Weise,  da  selbem  der  Lanzenspitz  schon  rückwärts  aus  dem  Leibe 
herausragt;  diesei-,  ebenfalls  mit  einer  zackigen  Krone  auf  der  spitzen  Koptbedeckung-,  hat  ein 
kurzes  am  Ende  breiteres  und  schief  abgehacktes  Schwert,  am  Boden  liegen  Pferde  und  getödtete 
Krieger  '.  In  naivster  Weise  schliesst  sich  an  dieses  kämpfende  Kriegsgetümmel  ein  Ordens- 
priester im  langen  faltigen  Gewand,  das  der  Styhsirung  des  ganzen  Sculpturwerkes  entsprechend 
weit  über  die  Füsse  reicht,  an;  er  sitzt  auf  einem  Stuhl,  dessen  Lehne  seitwärts  sichtbar  wird,  hält 
in  der  Linken  die  Bibel  und  erhebt  die  Rechte.  Vor  ihm  windet  sich  ein  Weib  mit  nach  oben 
gekehrtem  Kopfe,  aus  dessen  Mund  ein  höchst  pittoresker  Teufel  mit  radartig  aufgespannte)! 
Fledermausflügeln  entweicht.  Zu  den  Füssen  des  Weibes  liegt  der  nackte  Rumpf  eines  Kindes, 
der  abgeschnittene  Kopf  nebst  einem  Messer  in  nächster  Nähe.  Es  ist  off"enb:ir  die  Darstellung 
einer  Teufelaustreibung.  Ober  dieser  Gruppe  sieht  man  noch  eine  Schaar  Teufel,  welche  jedocli 
von  einem  schwebenden  Engel  mit  dem  Schwerte  zurückgetrieben  werden.  Diese  Reliefdarstei- 
lungen  stehen  auf  einem  horizontalen  Querbalken  ähnlieh  dem  obern.  Der  Querbalken  trägt  latei- 
nische Inschriften  und  in  der  Mitte  ober  dem  Gesimse  drei  Schilder,  unten  halbrund  gesclilossen. 


'  Schon  um  das  Jahr  1245  wurde  dem  Abte  die  Erlaubniss  ertheilt.  die  Inful  zu  tnigen. 

'  Nach  allem  soll  diese  Darstellung  die  Schlacht  Ludwig'«  gegen  die  Türken  darstellen;  im  Costiime  erscheinen  hier  die 
Ungarn  mit  dem  deutsciien  Waffenrock,  wahrend  die  Türken  das  Co^tüm  der  L'ng:irn  tragen;  derlei  Costüms-L'nricjli.tigkeiten. 
kernen  jedoch  im  Mittelalter  hautig  vor. 

xiu.  la 


^v(>  Hans  Petschsig. 

In  der  Mitte  die  Flüsse  Unfranis  und  die  Lilien  der  Anjou.  rechts  der  österreichische  Binden- 
schild, links  das  uncrarisclie  I>.>ppelkrenz  |s.  beiirefrel)ene  TatV-1  Fv^.  a). 

Sowohl  auf  dem  beide  Reliefs  theilenden  Steinbalken,  wie  am  Rande  des  unteren  Reliefs  be- 
finden sieh  Inschriften.  Die  obere  lautet:  ^Sanctus  Wenceslaus  Marchionem  Moraviae  ejusque  uxo- 
rem  ;i  paralvsi  aegritudine  diu  fatigatos  indicat  liberandos  ....  (ein  zartes  Ornament)  „Ludovicus 
Rex  Hungariae  per  Matrem  misericordiae  victoriam  Turcorum  gloriose  obtinuit  —  (Abtiieilungs- 
ornanient  und  etliche  unlesbare  Worte)  ....  ac  obsessa  pie  hie  liberatur-^.  Die  untere  Inschrift 
lautet:  ^Regina  coeli-  etc.  sodann  die  zur  üsterlichen  Zeit  gewöhnliche  Antiphoua,  darauf:  „Sancta 
M:»ria  succurre  nriseris,  juva  pusillanimes ,  refove  flebiles,  ora  pro  populo,  interveni  pro  clero, 
iutercede  pro  devoto  foeminio  sexu,  audi  nos,  nam  te  lilius  nihil  negans,  honorat.  Salva  nos  Jesu, 
pro  quibus  Virgo  Mater  te  orat.   Anno  Domini  1200  inchoata  est  haec  ecclesia  gloriosae  Mariae.  " 

Auf  den  Spruchbändern,  welche  die  Engel  zu  beiden  Seiten  der  Mutter  Gottes  halten, 
lauten  die  Inschriften  rechts:  „In  te  coeli  mundique  fabrica  gloriatur,  links:  Chori  gaudent  angelo- 
rum.  chori  gloriosae  Virginis". 

Diese  beiden  höchst  interessanten  Reliefs  scheinen  nicht  gleichzeitig  angefertigt  zu  sein. 
Es  ist  sogar  möglich,  dass  das  obere  Relief  ursprünglich  für  ein  kleineres  Tympanon  bestimmt 
war  und  dann  hier  seine  Verwendung  gefunden  hat.  Es  erinnert  in  der  Behandlung  der  Figuren 
und  der  Falten  an  das  Relief  der  Wiener  Minoritenkirche  und  dürfte  denvEnde  des  XIV.  Jahrhun- 
derts angehören.  Das  untere  Relief  mag  indess  etwas  später  angefertigt  worden  sein.  Die  Krone 
mit  den  hohen  Bügeln  auf  dem  Haupte  der  Maria,  die  halbrunden  Schilde,  sowie  die  starkgerollten 
Spruchbänder,  ferner  die  Behandlung  der  Flügel  und  Draperie  im  untern  Relief  deuten  auf  den 
Beginn  des  XV.  Jahrhunderts.  Es  dürfte  daher  später  und  zwar  unter  einem  österreichischen 
Fürsten  gestiftet  worden  sein,  denn  nur  dann  ist  die  Anbringung  des  österreichischen  Binden- 
schildes erklärlich. 

Bei  dem  Umstände,  dass  im  Mittelalter  der  Bau  von  grösseren  Kirchen  nicht  so  rasch  von 
Statten  gegangen  ist,  als  heut  zu  Tage,  dass  ferner  die  fortwährenden  Kämpfe  Ursache  von  oft 
Jahre  langen  Unterbrechungen  waren,  ist  es  anzunehmen,  dass,  wenn  auch  der  Bau  dieser  Kirche 
\'6Gi  oder  13ü5  begonnen  worden  ist,  derselbe  doch  längere  Zeit  gebraucht  hat,  um  vollendet 
zu  werden,  namentlich  sieht  man  an  dem  Ausbau  des  Thm-mes,  dass  dieser  Theil  gewiss  erst  im 
XV.  Jahrhundert  vollendet  worden  ist,  in  welcher  Periode  das  Tympanon  eingesetzt  worden  sein 
dürfte.  Klar  über  die  Bauzeit  würde  man  erst  sehen,  wenn  man  die  Untersuchung  der  Kirche 
rationell  unternehmen  und  wenigstens  einen  Pfeiler  von  der  Renaissance- L'mkleidung  bioslegen 
könnte.  Capital  und  Sockel  sowie  die  Gliederung  der  Profile  an  den  Scheidebögen  möchten  wohl 
alles  deutlich  zeigen,  ebenso  könnte  eine  nähere  Untersuchung  der  GnadenCapelle  auch  zu  posi- 
tiven Resultaten  führen*. 

3  Es  wäre  eine  schöne  Aufpibe  und  unserer  Zeit  ganz  würdifr.  die  alte,  nicht  nur  ehrwürdige,  sondern  auch  künstlerisch 
schöne  gothische  Kirche  von  dem  Vandalismus  einer  spätem  Bauzeit  zu  befreien,  und  so  den  alten  Bau.  wenigstens  so  weit  er 
noch  existirt,  in  seiner  Reinheit  wieder  zu  Ehren  zu  bringen;  eine  Aufgabe,  die  nicht  einmal  besonderen  technischen  Schwierig- 
keiten unterworfen  wäre;  gewiss  würde  der  schlanke  gothische  Bau  auf  die  Gläubigen  einen  grösseren  Eindruck  in  seiner  Einfach- 
heit machen,  als  der  gegenwärtige  plumpe  und  überladene  Theaterpomp.  Der  Übergang  des  gothischen  Baues  in  den  Neubau 
würde  zwar  vom  äbthetischeu  .Standpunkt  nicht  gar  so  leicht  zu  vermitteln  sein ;  allein  er  wäre  möglich,  und  der  Factor,  der  hier 
die  Vermittlung  bewirken  könnte,  wäre  die  Malerei.  Wie  ganz  anders  sehen  die  zwei  Capellen  aus,  deren  eine  der  Primas  von 
Ungarn  C'ardinal  Szitofski.  die  andere  aber  die  Kirchen- Vorstehung  in  .Alaria-Zell  iSöG  wieder  ausmalen  Hess,  als  die  übrigen 
lilos  mit  Kalk  getünchten  Capellen  und  Emporen.  Auf  die  farbige  Ausstattung  war  es  offenbar  abgesehen,  dies  zeigt  schon 
die  Ornamentik,  welche  ohne  besondere  Detaildurchführung  mehr  in  der  Masse  angelegt  ist,  da  durch  die  Farbe  und  Gold  die 
Details  ohnedem  betont  worden  wären.  Auch  die  ursprüngliche  Herstellung  der  Gnadencapelle  würde  der  Würde  dieses  Bau- 
thcils  mehr  entsprechen,  als  der  jetzige  Zustand,  wo  die  feinere  gothische  Anlage  durch  die  schweren  Renaissauceformen 
gelitten  hat  und  sie  kein  einheitliches  Gepräge  mehr  aufweiset. 


Die    Wali.faiirtskikche  zu  Maria-Zelt,   in  Steieumauk. 


87 


Kirchenschatz. 


Der  interessanteste  Geg'en- 
stand  der  Scluitzkanuiier  ist  das 
Gnadenbild  (Fig.  17)  König 
Lndwig's.  Dieses  Bild,  49  Ctm. 
hoch  und  41  Ctm.  breit,  dürfte 
das  Mittelstück  eines  Hausaltars 
gewesen  sein ,  welchen  König 
Ludwig  auch  in  den  Krieg  mit 
sich  führte,  und  soll  sich,  wie 
die  Sage  erzählt,  in  der  Nacht 
vor  der  Schlacht  mit  den  Tür- 
ken 1363  auf  seiner  Brust  be- 
funden und  dem  Könige  frischen 
Muth  gegeben  haben.  Das  Bild 
ist  in  Tempera  auf  Vergolder- 
grund gemalt  und  erinnert  in  der 
Behandlung  an  die  altitalieni- 
sche Schule  des  Giotto.  Der 
Kopf  der  Maria  sowie  der  des 
Christuskindes  sind  mit  grosser 
Empfindung  in  einfacher  Weise 
mehr  flach  behandelt  und  die 
Hände  haben  jene  langen,  vorn 
zugespitzten  Finder,  wie  es  die 
altitalienischen  Maler  in  Ge- 
brauch hatten ;  auch  das  Zusam- 
menlaufen der  Augen  im  Winkel, 
und  das  Markiren  der  Augen- 
brauen  in  feinen  Contnren  sind  v 
gemustert,  und  zwar  der  ]\[antt  1 


Fi-     17. 


in  charakteristisches  Zeichen  jener  Zeit.    Die  Gewandstücke  sind 
der  Maria  mit  feinen  Goldornamenten  auf  blauem  Grunde,   das 


Gegen  ilie  letzte  liest  luiMtion,  welche  im  J:ihi-c  13G2  begonnen,  nnd  vom  Baumeister  Claudius  Ze.iro  .■ms  Judenburg  1S65 
vollendet  wurde,  liisst  sieh  auch  vieles  einwenden.  So  wurden  die  Giebelschenkol  des  alten  Baues  ober  dem  Portale  frischweg 
aligeuieisselt,  und  eine  an  den  .Spitzbogen  hinaufl.ait'ende  geschweifte  'Wimberge  an  die  Stelle  gesetzt,  das  ■rcithische  Fenster 
in  einer  Weise  ausgeführt,  welches  von  jedem  AB( '-.Schüler  der  Gothik  beanständet  werden 
muss.  Auch  die  di'corativen  Wasserspeier  von  ('erneut  am  Thurm  nach  aufwärts  gebogen, 
zeigen,  dass  der  Bildhauer  für  diese  Form  kein  Verständniss  hatte,  und  noch  anderes 
mehr.  Die  Kestauratiou  eines  mittelalterlichen  Baues  verlangt  eingehende  Studien  der 
Archäologie,  und  diese  kann  man  von  einem  Baumeister  nicht  fordern:  nur  ein  Archi 
tekt,  der  mit  den  Stylformen  vollkommen  vertraut  ist,  kann  eine  solche  Aufgabe  richtig, 
und  der  Würde  des  Bauwerkes  angemessen  losen. 

An  der  Südostseite  der  Kirche  zieht  der  Karner  (Fig.  ISi  die  Aufmeiksamkeit 
auf  sich,  er  ist  ein  kleiner  gothischer  Bau,  wie  es  schon  aus  der  achteckigen  Anlage, 
nochinehr  aber  den  KippenproHlen  hervorgeht.  Der  Unterbau  ist  ebenfalls  achteckig 
mit  einem  achteckigen  l'teiler  in  der  Mitte,  hat  Gewölbe  ohne  Bippen  und  dient  als 
Beinhaus.  Keine  Form  deutet  auf  eine  romanische  Bauperiode,  im  Gegentheil  das  Stern- 
gewölbe, sowie  die  Dienste  ohne  Capitäle  sind  aus  sehr  später  Zeit;  möglieh,  dass 
die  Grundmauern  der  romanischen  Periode  angehören,  und  d;is  erste  Bauwerk  an  dieser 
Stelle  waren. 


88 


Hans   Petschnig. 


"•elbe  Unterkleid  liat  ein  zartes  Webdessein,  Das  Unterkleid  des  Christuskindes  schmückt  ein 
o-anz  eisrenthümliches  Muster,  welches  an  die  Panzerhemden  erinnert.  Dieses  Bild  wurde,  wie  es 
scheint,  später  mit  Metall  und  Email  bekleidet;  so  wie  es  die  Chronisten  erzählen,  soll  Maximilian 
Ernest  Erzherzog  von  Österreich  das  Bildniss  auszuschmücken  angefang-en  haben. 

Der  Heilisenschein  der  heil.  Maria  träfet  hoch  eing^efasste  Edelsteine  und  Perlen,  während 
am  Schein  des  Christuskindes  in  höchst  eigenthümlicher  Weise  Wappenschilder  angebracht  sind, 
leider  theilweise  schon  abgebrochen. 

Den  Grund  des  Gemäldes  bildet  eine  l>lane  Emailplatte  mit  güldenen  Lilien  und  zwar  ist 
die  Platte  aus  vier  Stücken  zusammengesetzt,  welche  in  wenig  sorgsamer  Weise  aneinander  gefügt 
und  mit  kleinen  Stiften  befestigt  sind,  sogar  das  Liliennuister  trägt  nicht  die  gleiche  Grösse.  Es  ist 
kaum  anzunehmen,  dass  diese  Emailplatten  eigens  für  dieses  Bild  angefertigt  worden  sind,  sondern 
dass  sie  früher  irgend  eine  andere  Bestimmung  gehabt  haben  uiui  für  dies  Bild,  so  gut  als  es  eben 
eehen  wollte  ,  verwendet  wiu'den.  Ein  sehr  schönes  Stück  Edelmetall-Arbeit  ist  der  Rahmen  aus 
Silber  mit  Email.  Ein  Perlenstab  begränzt  innen  die  flache  Hohlkehle,  an  diese  schliesst  sich  eine 
flache  Umrahmung  an.  Zur  Ausschmückung  dienen  emaillirte  Wappen,  welche  mit  zierlich  gear- 
beiteten plastischen  Ornamenten  abwechseln;  die  einzelnen  Theile  sind  einfach  angestiftelt  und 
mit  dem  Perlenstab  eingefasst.  Die  Wappen,  ein  für  die  zweite  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  sehr 
charakterisirendes  Ornament,  enthalten  das  ungarische  Doppelkreuz,  die  vier  Flüsse  mit  den 
Anjou'schen  Lilien,  den  Strauss,  im  Schnabel  ein  Hufeisen  tragend,  auf  grünem  Feld;  es  ist  dies 
die  Helmzier  des  Wappens  der  Anjou:  den  Adler  im  rothen  Feld,  das  Wappen  von  Polen,  da 
Ludwig  auch  König  von  Polen  war.  Diese  Wappenschilder  wechseln  untereinander  ab,  und 
zwischen  je  zwei  Wappenfeldern  ist  ein  gleichartiges  Ornament  eingefügt,  w'elches  seiner  Gleicli- 
mässiffkeit  wesfen  aus  einer  Stanze  hervorg-eo-anffen  sein  muss,  an  und  für  sich  aber  sehr  hübsch 
stvlisirt  ist.   Rahmen  wie  Emailplatten  dürften  der  Zeit  Ludwigs  angehören. 

Ausser  diesem  Bildniss  sollen  auch  Reitzeug  und  Waffen  sowie  Gewänder  von  König  Lud- 
witr  herrühren,  wie  es  in  den  Büchern  über  Maria-Zeil  und  im  Kataloge  steht.  Die  Waffenkunde 
widerspricht  leider  diesen  Angaben.  So  zeigt  das  Schwert  (Fig.  1 9)  die  Form  eines  Lanzknecht- 
Schwertes  aus  dem  XVL  Jahrhundert,  wie  dieselben  es  vorn  hängen  hatten;  diese  Form  kommt 
früher  nie  vor,  erst  im  XVL  Jahrhundert  und  zwar  beim  Fussvolk.  Die  Sporen  (Fig.  20)  gehen  in 
dieser  Form  nur  bis  in  das  zweite  Viertel  des  XV.  Jahrhunderts,  wo  die  Ritter  di;rch  die  volle 
Bewappnung  und  die  Armirung  der  Pferde  genöthigt  waren,  die  Sporenhälse  so  stark  zu  verlän- 
gern, zugleich  bilden  sie  die  Deckung  der  Fersen,  welche  keine  Ab- 
sätze hatten;  sie  verschwinden  ganz  in  der  Mitte  des  X\l.  Jahrhun- 
derts. Ähnlich  den  Sporen  und  mit  ihnen  gleiclizeitig  sind  die  Steig- 
bügel (Fig.  21  u.  22). 

Sehr  interessant  sind  hingegen  die  Gewänder.  Unter  dem  Namen 
Brauthemd  des  Königs  Ludwig  wird  ein  leinenes  Gewandstück  aufbe- 
wahrt, der  Besatz  am  Hals  (Fig.  23),  an  den  Achseln  (Fig.  24),  und  an 


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•'Cl-*^iti'F'Jitjti*t. 


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Druclaus  4erTt  k.Hof-u  Staatsdxuckerei . 


Die   ^\  ALLi-Aiii;isKii;ciuj  zi;   Mauia-Zeli,   in    STriEitMAitK. 


89 


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den  Ärmeln  (Fig.  25),  ist  mit  geometrischen  Mustern  geschmückt,  welche  auf  der 
soro-fältig  und  kunstvoll  gefalteten  Leinwand  gestickt  sind.  Die  Muster  tragen 
den  Charakter  einer  byzantinischen  Kunstweise,  wie  sie  noch  heut  zu  Tage  in 
Serbien  und  von  den  Walachen  in  Ungai-n  traditionell  gepflegt  wird.  Das  Braut- 
hemd der  Königin  Elisabeth,  ebenfalls  aus  Leinwand,  ist  jedoch  mit  reicher 
ornamentaler  Stickerei  (Fig.  2(J)  ausgestattet,  welche  den  Charakter  der  deut- 
schen Kunstarbeiten  des  XIV.  Jahrhunderts  aufweiset.  Es  ist  stylisirtes  Blattwerk 
mit  Knospen  und  gebundenen  Stengeln.  Die  Conturen  sind  mit  Goldschnüren 
markirt  und  im  Blattstich  mit  Goldfäden  ausgefüllt,  theilweise  auch  mit  färbiger 
Seide  und  Goldfiinserln.  Höchst  interessant  und  ganz  eigenthümlich  in  der 
Technik  ist  das  Gewand  {Vig.  27)  des  Königs  Ludwig.  Es  ist  ein  schwerer 
o-elber  Seidenstoff,  aufweichen  die  Ornamente  violett  eingewebt  wurden;  theil- 
weise sind  diese  mit  fein  gewundenem  Gölddraht  übernäht.  Das  Ornament  selbst 
ist  der  Mohnpflanze  entnommen  und  hat  fünfblättrige  rosenartige  Blüthen.  Dieses 
könio-liche  Gewand  ist,  was  die  Behandlung  betrifft,  ein  höchst  seltenes  Miister, 
mit  einer  ganz  eigenthümlichen  Technik  ausgeführt.  Das  goldbrokatne  Kleid  der 
Königin,  grün  mit  Blattwerkmuster  und  kronenähnlichen  Bildungen;  der  Stoff 
träert  die  Stvlistik  des  XIV.  Jahrhunderts. 

An  diese  Gewänder  anschliessend ,  wären  noch  einige  höchst  beachtungs- 
werthe  alte  Messgewänder  anzuführen,  ^'or  allen  eine  prachtvolle  Casel  von  aus- 
gezeichnetem Stoff  und  höchst  werthvoUen  Stickereien.  Der  Stoff  hat  das  sehr 
delicat  und  zierlich  stvlisirte  Muster  mit  dem  damals  beliebten  Granatäpfel- 
Ornament  in  Gold  auf  rothein  Grund,  darauf  ist  in  Form  eines  Kreuzes  eine 
seltene  und  schöne  Stickerei  angewendet.  In  der  Mitte  oben  die  heil.  Maria  mit 
dem  Kinde:  das  Oberkleid  Goldstoft' mit  Perlen  in  reiclister  Weise,  der  Hinter- 
grund gemusterter  Goldbrokat,  Sockel  und  Ralimen  grün  mit  Goldornanienten 
aus  Flinserln.  Gesicht  und  Hände  im  Plattstich  aus  Seide,  die  Ivi'one  aus  Perlen,  sowie  der  Schein 
des  Jesuskindes.  Die  Conturen  sowie  das  Masswerk  mit  Perlen  besetzt.  Mit  grosser  Correcthcit 
sind  die  Krabben  und  Kreuzblumen  aus  Perlen  angefertigt.  Rechts  das  Brustbild  der  heil.  Katha- 
rina, das  Schwert  in  Goldblech  ausgeführt.  Links  die  heil.  Ursula  mit  dem  goldenen  Pfeil.  Unter 
der  heil.  Maria  die  h.  Barbara  in  g-auzer  Fiarur  mit  dem  Thurme 
aus  Goldblech.  Als  letzte  Figur  ganz  unten  die  heil.  Dorothea 
mit  dem  Kinde.  Bei  letzterer  Figur  ist  besonders  das  Gewand 
höchst  interessant,  da  das  Muster  des  Desseins  aus  grösseren 
und  kleineren  Perlen  mit  einer  wirklich  bewiinderungswerthen 
Geschicklichkeit  ausgeführt  ist.  Ober  ieder  dieser  Fio-uren  ist 
ein  reicher  vorspringender  Baldachin  aus  Goldfäden  der  Art 
aufgebaut,  dass  von  der  Innern  Seite  die  Kreuzgewölbe  mit  den 
Rippen  plastisch  zur  Geltung  kommen.  Das  ganze  Kreuzfeld  ist 
mit  grün-  und  goldgestickten  Stäben  eingefasst,  um  welche  sich 
Ornamente  aus  kleinen  echten  Perlen  winden.  Es  ist  dies  ein 
seltenes  Meisterwerk  der  Stickerei  und  eine  g-^nz  vorzüo-liche 
Anwendung  der  Perlen.  Wenn  man  auch  principiell  die  Relief- 
Stickerei  als  eine  Ausschreitung  dieser  Kunst  betrachten  muss, 
so  ist  hier  die  eminente  Technik  ebenso  zu  bewundt'rn,  als  die 
Zeichnung  der  Figuren  eine   gelungene  g-enannt  werden  kaini. 


Q^ 


Fi" 


^^n^m^?^s^^w 


FiK.  23. 


90  Hans  Petschnio. 


~      Der  Stylistik  imd  Behandliinfr  nach  Ist  man  versucht, 
\  /'S'Y'^,  ^      diese  Arbeit  als  ein  Werk  aus  der  Mitte  des  XV.  Jahr- 

hunderts zu  betrachten,  (s.  Fig.  b  der  beig-eg.  Tafel.) 
_X  Eine   schöne  Stickerei  zeigt  das   Messgewand, 

I  "'  •       welches  ebenfalls  als  ein  Geschenk  Ludwig's  angeführt 
•^''''^*^^^    wird,  indess  gehört  es  entschieden  einer  späteren  Zeit 
f^  f  ,'r^''y^/^^\2r^^'''ß^       ^"-  Schon  die  Darstellung  der  naturalistischen  Wolken 

zeigt  die  Auti'assung  der  Renaissance,  wenn  auch  noch 
°"  '"''■  in  den  Figuren   ein  Zug   der  fi-ühern  Manier   durch- 

leuchtet. Das  Werk  gehört  sicher  in  das  XVI.  Jalir- 
hundert,  kann  also  unmöglich  dem  Köniof  Ludwijj 
zugeschrieben  werden.  Die  Stickerei  der  Rückseite 
zeigt  uns  Maria  imraaculata  von  vier  schwebenden 
Cherubims  umgeben  ,  die  zwei  obersten  lialten  die 
Krone  mit  Edelsteinen  geziert  ober  dem  Haupte  der 
heil.  Maria.  Ein  Strahleukianz  in  gerader  und  tiammen- 
artiger  Form  umgibt  die  Figur  und  aus  den  Wolken 
blicken  noch  Engelsköpfe  mir  kleinen  Flügehi ;  die 
Arbeit  ist  sehr  hautrelief  und  steht  künstlerisch  bei 
weitem  nicht  so  hoch  als  die  vorbeschriebene  Stickerei. 
Ebenso  zeigt  der  Stoif  ein  späteres  Muster,  (s.  Fig.  c.) 
Ferner  ist  ein  Casel ,  von  Mathias  Corvinus 
gestiftet,  sehr  beachtungswerth  und  in  einer  höchst 
seltenen  Technik  durchgeführt.  Es  ist  ein  Goldstoff,  aufweichen  eigenthümliche,  in  geschwun- 
genen Linien  ausgeschnittene  Ornamente  aus  grau  violettem  Leder  mit  Silberschnüren  aufgenäht 
sind.  Besonders  ist  der  Besatz  eine  zIerHche,  aber  höchst  mühsame  Arbeit,  und  gewiss  dadurch 
merkwürdig,  dass  Leder  die  Vei-zlerung  des  Goldstoffes  bildet. 

Noch  ein  Messgewand  von  rothem  Atlas  mit  vorzüglicher  Goldstickerei  sowohl  in  dem  Besatz 
als  auch  im  Fond  ist  zu  bemerken,  und  dürfte  auch  In  die  Zeit  des  Mathias  Corvinus  fallen. 

Die  neuen  Gewändei",  so  reich  und  prunkhaft  dieselben  aussehen  mögen,  erreichen  docli  In 
keiner  Weise  den  Werth  dieser  alten  Arbeiten,  trotzdem  selbe  schon  durch  die  Jahrhunderte  au 
Frische  verloren  haben  und  abgebleicht  sind;  allein  sowohl  die  Technik  als  auch  die  ganze  Con- 
ceptlon  gibt  ihnen  einen  bedeutenden  \'orrang  vor  den  Arbeiten  der  jüngeren  Zeit,  unsere  mit- 
gerechnet '". 

Der  übrige  Kirchenschatz  besteht  aus  einem  Pele-mele  der  heterogensten  Sachen,  da  shul 
Kirchengefässe ,  Bracelets,  werthvoUe  Rosenkränze,  Perlen,  Schnüre,  kleine  Altäre  ans  Metall, 
Elfenbein  und  Marmor,  daneben  Colliers,  Becher,  kurz  eine  Masse  von  Gegenständen,  und  wie  der 
Katalog  nachweiset,  finden  sich  als  Stifter  die  erlauchtesten  Namen  des  Kaiserhauses  und  die 
ältesten  Geschlechter  des  Adels,  neben  diesen  auch  manche  bürgerliche,  sogar  bäuerliche  Spender. 
Trotz  dieser  vielen  Gegenstände  hält  die  Archäolog-ie  o^erinofe  Ausbeute. 

">  Ich  kann  nicht  schliessen,  ohne  den  Wunsch  auszusprechen,  es  niö^en  die  alten  Gewander  besser  aiifl)e\vahrt  werden, 
denn  solche  Kunstwerke  sind  sehr  selten  und  kostbar,  daher  .Sorjjialt  und  Schonung  gewiss  am  Platze  wäre.  Konnte  man  diese 
fJewänder  nicht  ausgebreitet  in  einem  eigenen  Glaskasten,  wie  es  mit  den  burgnndischen  Gewamlerii  In  clor  k.  k.  .Scli.it/,k;iiiiiner 
der  Fall  ist,  aufliewahrenV  Es  wäre  dies  das  geeignetste  Mittel  zur  Conservirung  und  gäbe  zuglelcli  (Jelegcnlicit,  die  kwnstvolle 
Arbeit  mit  Müsse  betrachten  zu  können.  Auch  in  Bezug  auf  den  übrigen  Schatz  wäre  eine  Sichtung  angezeigt.  So  könnton 
die  kirchlichen  Gegenstände  chronologisch  geordnet  werden,  während  die  übrigen  Schmucksachen  in  analoger  Nebeneinaniler- 
stellung  viel  übersichtlicher  für  den  Beschauer  wären,  als  in  der  jetzigen  Aufstellung:  als  Schatzmeister  freilich  niüsste  ein 
C'leriker  bestellt  werden,  der  Verständuiss  und  Liebe  für  die  Sache  hätte  und  entgegenkommend  gegen  ?'achniänncr  wate. 


Die  Wallfahrtskircue  zu  Maria- Zell  in  Steiermakk. 


91 


Zu  erwähnen  ist  nur  ein  Diptychon  4  Zoll  breit  67.,  Zoll  hoch  aus  Elfenbein,  Maria  mit 
dem  Kinde  in  der  Linken,  in  der  Rechten  den  Scepter,  auf  dem  Haupte  eine  ornamentirte  Krone, 
zu  beiden  Seiten  Eno^el  mit  Leuchtern,  darüber  wölbt  sich  ein  stumpfer  Spitzbogen  auf  Consolen 
mit  einem  flachen  Giebel.  In  den  oberen  Zwickeln  zwei  knieende  Engel  mit  Rauchgefässen.  Die 
Draperieen  sind  einfach  in  langen  Linien  abfallend,  das  Blattwerk  der  Kantenblumen  sehr  correct, 
das  Werk  stammt  aus  der  guten  Zeit  des  XIV.  Jahrhunderts  (Fig.  28). 

Ein  reizend  g'earbeitetes  Emailgehäng'e,  italie- 
nische  Arbeit,  wird  dem  Mathias  Corvinus  zugeschrie- 
ben. Es  ist  eine  Wasserjungfer  aus  Gold;  Gesicht  und 
Hände,  kurz  das  Fleisch  ist  von  vorzüglichem  Email 
in  sehr  reicher  Form  ausgeführt,  der  geschuppte  Fisch- 
schweif grün.  In  der  Rechten  hält  sie  einen  Spiegel, 
der  aus  einem  Edelstein  gebildet  ist,  die  Linke  umfasst 
das  Ende  des  Fischschweifes.  Zwischen  dem  Fiscli- 
schweif  und  Oberkörper  ist  eine  grosse  seltene  Perle 
eingefügt,  Rubinen  und  Diamanten  sowie  an  Kettchen 
hängende  Perlen  erhöhen  den  Reiz  dieses  kleinen 
Schmuckstückes. 

Die  übrigen  Gegenstände  gehen  nicht  über  die 
Hälfte  des  XVII.  Jahrhunderts,  gehören  daher  einer 
Periode  an,  wo  man  die  zierlich  schöne  Form  ver 
lassen  hat;  übersäet  mit  Edelsteinen  und  überwuchert 
von  Ornamenten  haben  dieselben  wenig  künstleri- 
schen Werth. 

Zum  Schlüsse  muss  ich  noch  zweier  Statuen 
erwähnen,  welche  sich  durch  correcte  Stylistik  aus- 
zeichnen. Es  ist  dies  die  Marien-Statue  in  der  Vierung 
hinter  der  Gnadencapelle ,  und  jene  bei  der  Brun- 
nencapelle.  Beide  sind  schöne  Werke  mittelalterlicher  Plastik,  es  ist  nur  zu  bedauern,  dass  jene 
am  Brunnen  durch  den  Einfluss  der  Feuchtigkeit  an  dem  untern  Theil  bedeutend  angemodert  und 
so  dem  Verderben  preisgegeben  ist. 

NB.  Die  Zeichnungen  zu  diesem  Aufsätze  wurden  theils  nach  den  Original-Aufnahmen  Petschnig's,  theils  nach  Piioto- 
graphien  durch  H.  Kiewel  angefertigt,  die  Schnitte  theils  in  Waldheim's  xylographischem  Institut  theils  durch  Herrn  Schmidl 
besorgt. 


3R 


92 


Die  romaiilsehen  Üeekeiigeinälde  in  der  Stiftskirehe  zu 

Lainbaeh. 


\'0N     Di:.     K.     FRKIHEItUN     V.     SaCKKN. 


(Mit  einer  Tafel.; 

X/er  romanische  Baustyl  bot  mit  seinen  grossen  Wandflächen,  namentlich  im  Mittelschiffe  der 
Kirchen  über  den  Arcadenbögen ,  reiche  Gelegenheit  zu  malerischer  Ausschmückung.  Scheu 
während  des  IX.  und  X.  Jahrhunderts  wurde  die  Kunst  der  Wandmalerei  durch  die  Thätigkeit 
der  Mönche  in  ganz  Deutschland  in  grossartigem  Massstabe  geübt  und  grosse  Kirchen,  wie  im 
Kloster  St.  Gallen,  zu  Petershausen  bei  Constanz,  Fulda,  Hildesheim,  wurden  in  allen  oder  docli 
den  Haupträumen  mit  reichem  Bilderschmuck  versehen  '.  In  den  folgenden  Jahrhunderten  gewann 
diese  Sitte  so  an  Ausbreitung,  dass  kaum  eine  grössere  Kirche  dieses  für  das  Gemüth  und  die  Be- 
lehrimg  der  Andächtigen  so  wichtigen  Schmuckes  entbehrte.  Aus  der  romanischen  Periode  ist  al)er 
in  allen  deutschen  Ländern  nur  mehr  sehr  wenig  erhalten,  besonders  ist  Osterreich  an  romanischen 
Wandmalereien  sehr  arm,  daher  jeder  neue  Fund  dieser  Art  mit  grosser  Freude  begrüsst  werden 
muss,  als  ein  Beitrag  zu  unserer  sehr  mangelhaften  Kenntniss  der  Malerei  jener  Zeit,  der  zeigen 
kann,  in  welchem  Verhältnisse  sie  bei  uns  zu  der  anderer  Länder  stand,  welcher  Kichtung  sie 
sich  anschloss,  zu  welcher  Stufe  der  Ausbildung  sie  gelangte. 

Eine  Avahre  Sensation  verursachte  daher  unter  den  Alterthumsfreunden  die  Nachricht  von 
neuerlich  aufgefundenen  Fresken  in  der  Stiftskirche  zu  Lambach,  von  denen  der  gelehrte  Stifts- 
Archivar  P.  Pius  Schmieder  in  diesen  Blättern  eine  Beschreibung  lieferte^.  Wir  geben  nun 
auf  der  beiliegenden  Tafel  eine  Abbildung  der  Hauptgruppe  und  einer  anderen  interessanten 
Diirstellung,  welche  die  am  besten  erhaltenen  Theile  der  Deckengemälde  bilden  und  wollen 
einige  Bemerkungen  beifügen,  um  die  Bilder  nach  ihrer  kunstgeschichtlichen  Stellung  und  Bedeu- 
tung charakterisiren  und  hieraus  einen  Schluss  auf  das  Alter  derselben  ziehen  zu  können. 

Das  Läuthaus ,  in  dem  sie  sich  befinden ,  bildet  die  Gewölbe  der  Thürme  und  die  sie 
verbindende  Zwischenhalle;  hier  sind  sie  auf  den  flachen  Kuppelgewölben  angebracht,  die  zwischen 
die  starken  Gurten,  welche  die  Mittelhalle  von  den  Thurmgewölben  trennen,  und  in  letzteren 
selbst  eingespannt  sind.  Dieser  Raum  war  ursprünglich  in  die  Kirche  mit  einbezogen  als  Anfang 
des  Langhauses  der  einschiffigen  Stiftskirche  in   ähnlicher  Anlage,  wie  sie  noch  jetzt  die  Lieb- 

■  Fiorillo,  Gesch.  d.  zeichn.  Küuste  in  Deutschlauil  I,  47  u.  ff.  Kugler,  (JeHcli.  il.  Maltn.'i,  2.   Aufl.  I,  126  ff. 
2  Bd.  XIII  (1868J,  S.  LX.XXVI. 


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Die  ko.maxischcx  Üi;ckenui;.mäli>e  i.\  der  Stiftskirche  zu  La,mj;auii.  Jo 

fraiienkirche  zu  Wiener-Neustadt  zeigt,  wo  auch  die  Tliürme  an  der  Westseite  in  die  Kirche  ein- 
bezogen sind  und  eine  Art  Bühne  oder  Orgelchor  eingebai;t  ist,  über  welchem  sich  die  Thurni- 
srewölbe  in  Bögen  gegen  das  Schifi"  öffnen  ^. 

Die  alte,  i.  J.  1089  von  Bischof  Altniann  von  Passau  und  dem  seligen  Adalbero  eingeweihte 
Stiftskirche  ^  besass  bis  in  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  zwei  Chöre  nämlich  an  der  Ost-  und  an 
der  Westseite.  Wahrscheinlich  schloss  sich  an  den  erwähnten  Theil  mit  den  Thürmen  der  Westchor 
an,  den  also  diese  flankirten.  Die  Darstelkingen  der  Bilder  lassen  vennuthen,  dass  sie  zu  einem  grös- 
seren Cvclus  gehörten,  wie  man  sie  der  allgemeinen  Belehrung  wegen  als  eine  heilige  Schrift  in 
Bildern  an  den  Decken  mid  Wänden  der  Kirche  anzubringen  liebte;  denn  es  ist  hier  eine  einzelne 
Begebenlieit,  die  Anbetung  der  Weisen  mit  Aiisführliclikeit  und  in  den  verschiedenen  Momenten 
des  Ereignisses  dargestellt,  was  wohl  nicht  der  Fall  wäre,  wenn  die  Gemälde  ohne  Zusammenhang 
mit  anderen  vereinzelt  dagestanden  hätten.  In  diesem  Falle  wären  olme  Zweifel  mehrere  der 
Hauptmomente  aus  dem  Leben  des  Heilands  zusammeixgefasst  und  zur  Darstellung  gebracht 
worden ,  wie  dies  gewöhnlich  geschah,  nicht  ein  einzelner  in  allen  seinen  Theilen,  wie  es  hier 
der  Fall  ist;  letzteres  findet  nur  bei  grösseren  Cyclen  statt.  Es  ist  daher  Grund  anzunehmen,  dass 
der  Westchor  den  Anfang  der  Heilsdarstellungen,  die  Verkündigung  und  Geburt  Christi  enthielt, 
das  erste  Travee  oder  Feld  der  Kirchendecke,  Avelches  wir  noch  erhalten  sehen,  gibt  die  Anbetung 
der  Weisen  in  allen  verschiedenen  Momenten  der  Begebenheit,  hierauf  setzten  sich  die  Scenen 
aus  dem  Leben  Jesu  fort  bis  sie  im  Ostchor  mit  der  Kreuzigung  und  Auferstehung  endigten.  Ob 
die  ganze  Kirche  gewölbt  war,  oder  blos  der  Theil  in  und  zwischen  den  Thürmen,  ist  zweifel- 
haft; ja  es  drängt  sich  die  Vermutluing  auf,  dass  ersteres  nicht  der  Fall  war,  wenn  man  die 
Beschreibung  des  furchtbaren  Brandes  liest,  der  beim  Einfall  des  Herzogs  Otto  von  Bayern  im  Jahre 
12  33  Kirche  und  Kloster  zur  Ruine  machte,  der  Art,  dass,  wie  es  im  Ablassbriefe  desBischofes  Rüdi- 
ger von  Passau  heis st,  die  Brüder  „nonhabeantlocumorandinecdomumpariter  commorandi".  Von 
dem  Altare  des  heil.  Stephan  in  der  Gruft  wird  erzählt,  dass  er  verschont  blieb,  weil  diese  gewölbt 
(testudine  tuta)  war;  es  scheint  sonach,  dass  die  Kirche  keine  solchen,  dem  Feuer  widerstehenden 
Gewölbe  besass  *. 

Das  Gewölbe  zwischen  den  Thiü-men,  also  der  mittlere  Theil  des  Schiffes  bildet  eine  flache 
Kuppel,  in  welcher,  von  der  Mitte  der  gegen  die  Kirche  gewendeten  Seite  beginnend,  so  dass  der 
unten  stehende  Beschauer  bei  der  Betrachtung  sich  nach  rechts  drehen  muss,  di-ei  Scenen  aus 
der  Dreikönigsbegebenheit  dargestellt  sind,  nämlich  1.  wie  sie  den  Stern  erblicken  und  sich  dar- 
über berathen,  2.  die  Darbringung-  ihrer  Gaben  (s.  die  Tafel),  3.  wie  sie  von  einem  Engel  im 
Schlafe  gewarnt  werden  zu  Herodes  zurückzukehren  (Matth.  2,  12).  Die  Thurmgewölbe,  die  zum 
Theil  durch  eingezogene  Verstärkungsbögen  verbaut  sind,  gehören  demselben  Cyclus  an,  in  dem 
nördlichen  sind  die  Weisen  bei  Herodes  dargestellt,  in  dem  südlichen  dieselben  in  Jerusalem 
einreitend.  Die  Bilder  haben  stark  gelitten,  manche  Theile  waren  schon  in  alter  Zeit  schadhaft 
und  vielleicht  desshalb  wurden  sie  übertüncht,  was  sie  aber  vor  dem  Schicksale  so  vieler  anderer, 
nämlich  in  späterer  Zeit  gänzlich  abgeschlagen  zu  werden,  bew'ahrte.  Der  Jahrhunderte  lang 
darüber  liegende  Kalk  veränderte  viele  Farben,  besonders  die  der  Gesichter,  und  so  sind  jetzt 
manche  Figm'en  bis  zur  Unkenntlichkeit  verwischt,  andere  nur  mühsam  und  nach  längerer  Beti-ach- 
tuns"  zvi  erkennen.  So  sieht  man  an  der  Ostseite  des  nördlichen  Thurma'ewölbes  einzelne  Theile 
von  Fiffuren,  in  welchen  Schmieder  eine  Darstelluno-  der  Verkündio-uno'  zu  erkennen  fflaubt,  es 

3  Kimstdenkmale  des  Miftelalteis  im  österr.  Kaiserstaate  11. 
■1  Mittheil,  der  k.  k.  Central-Comm.  XI,  17. 

*  Dass  niclit  ein  totaler  Neubau  stattfand,  sondern  nur  eine  Instandsetznn;,'  der  alten  Kirelie,  gellt  auch  aus  dem  Umstände 
hervor,  dass  einer  neuen  Einweihung  in  der  Schrittchronik  keine  Erwähnung  geschieht  iSc, li miede r,  a.  a.  0./. 
XIV  U 


94  I^i"   E-   Fkeihekr  V.   Sacken. 

sind  aber  Spuren  von  drei  Figruren  vorhanden,  daher  auch  dieses  Gemälde  wahrscheinlich  dem 
Cvclus  der  übrio'en  anirehürte.  denn  schon  seiner  Stellung-  nach  ist  kaum  anzunehmen,  dass  hier 
die  Verkündiouno-  daro-tstellt  war,  weil  zwischen  dieser  und  der  so  ausführlich  behandelten  Bege- 
benheit der  Weisen  gewiss  die  Geburt  mit  der  Anbetung  der  Hirten  zur  Darstellung  gekom- 
men wäre. 

Fassen  wir  nun  die  Bilder  näher  ins  Auge,  so  fällt  zunächst  auf,  dass  die  drei  zur  Anbe- 
tuno- des  o-öttlichcn  Kindes  herbeigfekommenen  Männer  nicht  das  gewöhnliche  Abzeichen  der 
künifflichen  Würde,  die  Krone  haben,  denn  sie  tragen  hohe  Mützen  von  verschiedener  Farbe, 
deren  Spitzen  etwas  nach  vorn  gebogen  sind'";  sie  erscheinen  sonach  dem  Wortlaute  des  Evan- 
o-eliums  (Matth.  2,  1)  gemäss  als  Weise  oder  Magier,  nicht  als  Könige,  eine  Vorstellung,  die  sich 
wohl  in  altchristlichen  Bildwerken,  den  Malereien  der  römischen  Katakomben  und  Reliefs  der 
Sarkophage,  später  aber  nur  sehr  selten  (wie  z.  B.  auf  den  Wandgemälden  zu  S.  Urbano  aus  dem 
XI.  Jaln-hundert ')  findet.  Die  Idee,  dass  die  von  Gott  auserwählten  Repräsentanten  der  fern- 
sten Völker  der  Welt  Könige  waren,  die  kamen,  um  dem  König  aller  Könige  zu  huldigen  mid 
die  Schätze  der  Erde  zu  Füssen  zu  legen,  bildete  sich  schon  früh  aus'*;  so  sehen  wir  sie  schon 
auf  den  zwischen  536  und  569  ausgeführten  herrlichen  Mosaiken  in  S.  ApoUinare  zu  Ravenna 
mit  Kronen  auf  dem  Haupte,  und  sehr  alte  byzantinische  Bildwerke  zeigen  sie  ebenfalls  mit  hohen 
Kronen.  Vom  X.  Jahrhundert  an  blieb  diese  Darstelluugsweise  mit  wenigen  Ausnahmen  constant''. 
Gewöhnlich  hat  bei  der  Anbetung  der  erste,  bisweilen  auch  der  zweite  die  Krone  abgelegt  zum 
Zeichen  der  Unterordnung  unter  den  grösseren  Herrscher  und  mächtigeren  Fürsten.  Durch  die 
phrvgische  Mütze  wurde  in  der  römisch-altchristlichen  Ki;nst  die  orientalische  Herkunft  bezeichnet: 
die  Tiara  war  bei  den  Orientalen  das  Zeichen  hoher  Würde. 

Ebenso  taucht  die  Vorstellung,  dass  die  Weisen  aus  dem  Morgenlande  die  drei  Altersstufen: 
Jüngling,  Mann  und  Greis  repräsentiren,  schon  in  früher  Zeit  auf  und  wir  treffen  sie  schon  in 
dieser  Weise  im  Mosaik  zu  8.  ApoUinare  und  auf  altchristlichen  Sarkophagen,  obwohl  sie  hier 
gewöhnlich  nach  römischer  Sitte  rasirt  sind,  daher  das  Criterium  für  die  Altersbestimnumg  fehlt '". 
Seit  dem  XL  Jahrhundert  zeigen  weitaus  die  meisten  Bildwerke  die  drei  Lebensalter;  in  der 
späteren  Zeit,  als  die  realistischere  Auffassungsweise  Portraits  zu  Grunde  legte,  finden  sich  öfter 
Ausnahmen,  wie  in  dem  Gemälde  des  Taddeo  Gaddi  zu  St.  Croce  in  Florenz,  oder  dem  Bilde  des 
Rog-ier  van  der  Wevden  in  der  Pinakothek  zu  München. 

Die  gewöhnliche  Reihenfolge  ist  die,  dass  der  Greis,  dem  schon  wegen  des  Alters  der 
Vortritt  gebührt,  vorangeht,  ihm  folgt  der  3Iann.  der  Jüngling  konnnt  zuletzt,  nur  ausnahmsweise 
ist  diese  Anordnung  verändert;  so  auch  in  den  Lambacher  Fresken,  wo  immer  der  Alte  mit 
weissem  Barte  in  der  Mitte  steht,  der  jüngere  mit  dunklem  Bart  vorangeht,  der  jüngste  folgt.  In 
Zusammenhang  mit  der  Altersverschiedenheit  steht  die  ungleiche  Leibesgrösse ;  wäln-end  auf  alt- 
christlichen Sarkophagen  alle  drei  gleich  gross  sind,  ist  in  den  mittelalterlichen  Darstellungen,  wie 
auch  in  unseren  Bildern  der  Greis  der  kleinste,  der  Jüngling  der  grösste  und  von  schlankem  Wüchse. 

«  Die  Ottoueii  .trugen  eine  oben  spitze,  vorgebogene  Mütze,  rückwärts  den  Nacken  bedeckend,  mit  einem  goldenen 
Reif  umgeben. 

^  Agincourt  V,  95. 

8  Zufolge  Isaias  C.  60:  -im  Glänze  deiner  Geburt  werden  Könige  einhergelu-n'-  und  Psalm  71:  „die  Könige  von  Tharses 
und  die  Inseln  werden  Geschenke  bringen,  die  Könige  der  Araber  und  von  .Saba  werden  Geschenke  lu-rbeifüluen."  Audi 
Claudianus  und  andere  Väter  bezeichnen  sie  als  Könige,  obwohl  diese  Vorstellung  in  .Schriften  erst  im  XIII.  Jahrluuulert 
allgemein  wird  fZappert,  Epiphania,  in  den  Sitzungsber.  d.  k.  Akad.  d.  Wiss.   XXI,  320j. 

9  So  auch  die  Bronzethüren  von  Ilildesheim  von  1015  und  andere  IJildwerke  des  XI.  Jahrhunderts.  In  einer  Münchener 
Handschrift  des  IX.  .Jahrhunderts  tragen  die  drei  Magier  [jhrygische  Jlützen  < Hefner,  Trachten  I,  96i.  Später  kommen  solche 
selten  vor,  wie  in  einem  Codex  des  XI.  .Jahrhunderts  'c1)enda  :>'   und  in  einer  Handschrift  des  Gedichtes  vom  Pfaft'en  Conrad  lebd.    l.'ij. 

1«  Das  Malerbuch  vom  Berge  Atlios  schri'ibt  auch  die   drei  Altersstuten  vor  (Didron,  Manuel  d'ieonogr.  p.   l.J9j. 


Die  homaxischex  Deckengemälde  in  der  Stiftskircue  zu  Lambach.  Oo 

Die  weitere  Eiitwickkiug  der  Idee,  dass  die  Weisen  als  Repräsentanten  der  gesammten  zum 
Christenthum  berufenen  jMenschheit  aufzufassen  seien ,  fand  ihren  künstlerischen  Ausdruck  in 
der  Kleidung,  durch  welche  man  sie  als  Angehörige  der  drei  Welttheile  oder  der  verschiedenen 
Zonen  des  Erdkreises  bezeichnete,  indem  man  dem  Greise  ein  Pelzkleid,  dem  Manne  ein  dem 
mittleren  Clima  entsprechendes  Gewand,  dem  Jüngling,  der  seit  dem  XV.  Jahrhundert  gewöhnlich 
als  Neger  dargestellt  wurde,  ein  leichtes  Kleid  aus  dünnem  Stoffe  gab.  Hiervon  findet  sich  auf 
den  Lambacher  Gemälden  keine  Spur;  alle  drei  erscheinen  in  einer  dem  Schnitte  nach  gleichen 
Kleidung,  nämlich  in  kurzer,  nicht  bis  an  die  Knie  reichender  Tunica,  die  beim  ersten  gelb  ist 
mit  grüner  Verbrämung  an  Ober-  und  Unterarmen,  beim  zweiten  violett  mit  weissem  Mittelstreifen 
der  Länge  nach  und  gelber  Verbrämung,  beim  cb'itten  weiss  mit  gelber  geknüpfter  Binde  und 
rotliL'U  Säumen.  Über  diesem  eno-en  kurzen  Unterkleide  trao-en  sie  kleine,  auf  der  rechten 
Schulter  mit  einer  Ag-rafie  befestigte  Mäntel;  der  des  ersten  ist  purpurn,  der  des  zweiten  gelblich 
weiss,  der  des  dritten  violett.  Nur  die  Tunica  und  der  Mantel  des  ersten  (nicht  des  Greises)  sind 
etwas  länger  als  die  der  beiden  anderen.  Die  Beine  beim  ersten  und  zweiten  sind  nackt  mit  stark 
angedeuteter  Musculatur,  der  dritte  trägt  ganz  enge  rothe  Beinkleider;  der  erste  violette  Strümpfe, 
die  beiden  anderen  haben  über  weissen  Strümpfen  die  Unterschenkel  bis  zur  Hälfte  mit  kreuz- 
weise gebundenen  Bändern  umwickelt.  Die  spitzen  Scliuhe  ohne  eigentliche  Schnäbel  sind  bei 
allen  di-eien  roth.  Die  Farben  der  Gewänder  sind  nicht  bedeutungslos,  sondern  drücken  besondere 
Beziehungen  symbolisch  aus.  So  bedeutet  das  gelbe  Kleid  mit  roth  Licht  und  Freude,  oder,  nach 
der  Deutung  von  Agnelli  (c.  842),  der  ein  Mosaik  mit  der  Anbetung  der  Magier  bei  St.  Martin  in 
Ravenna  beschreibt:  -Balthasar,  qui  tus  obtulit,  in  vestimento  flavo  et  in  ipso  vestimento  virgini- 
tatem  signiticat  —  —  purpurato  sago  indutus  et  per  eundem  significat  ipsum  regem  natum  et 
passum".  Die  violette  Tunica  bezieht  sich  auf  die  geistliche  Würde  und  bezeichnet  Demuth  und 
Busse,  nach  Agnelli:  „Gaspar,  qui  aurum  obtulit,  in  vestimento  hyacinthino,  et  in  ipso  vestimento 
conjugium  significatur''.  Das  weisse  Gewand  ist  das  Bild  der  Reinheit  und  Barmherzigkeit:  .,Qui 
vero  in  candido  munus  obtulit,  significat  Christum  post  resurrectionem  in  claritate  esse  divina-  ". 
Das  antikisirende  Costüme  der  Magier  entspricht  der  vor  dem  XII.  Jahrhundert  üblichen  Tracht. 
Die  so  kurze  Tunica  finden  wir  besonders  bei  den  Longobarden  ^-  und  noch  in  der  karolingischen 
Zeit.  Ebenso  ist  der  kurze,  auf  der  rechten  Schulter  befestigte  Reisemantel,  die  Chlamys  oder 
das  Sagum  der  Römer,  altfi-änkisch.  Vom  XII.  Jahrhundert  an  wii'd  die  Tunica  länger,  der  auf 
der  Brust  zusammengehaltene  Mantel  grösser'^.  Besonders  aufiallend  sind  die  Ki'euzbinden  an 
den  Unterschenkeln,  die  bei  den  Longobarden  charakteristisch  sind"  und  sich  kaiun  über  das 
XL  Jahrhundert  hinaus  erhielten. 

Die  Scenen  beginnen  zur  Rechten  des  von  der  Westseite  kommenden  Beschauers  und  zwar 
mit  der  Gruppe  der  di'ei  Weisen,  welche  den  Stern,  der,  wie  noch  die  Spuren  einiger  Strahlen 
bezeugen,  in  der  Mitte  des  Gewölbes  gemalt  war,  beti'achten.  Die  beiden  älteren,  bärtigen  wenden 
ihm  das  Angesicht  zu,  alle  di-ei  deuten  nach  oben.  Hieran  schliesst  sich-  sogleich  die  Hauptdar- 
stellung-,  nämlich  die  Anbetung  des  Kindes,  während  die  der  Chronologie  nach  folgende,  nämlich 
die  Weisen  bei  Herodes,  dem  Gewölbe  des  südlichen  Thurmes  zugewiesen  wurde.  In  diesem  gross- 
artigen bedeutungsvollen  Bilde  sehen  wir  Maria  mit  dem  Kinde  thronend,  entsprechend  dem 
strengeren  kii-chlichen  Style,  der  die  heil.  Jungfrau  bei  dieser  Scene  nicht  wie  die  spätere  realisti- 

"  Vit.i  punt.  apuil  Miinitori  S.  E.  Ital.  2,   114  b.  Zappert,  a.  a.  0.  S.  338. 

1-  Weiss,  Costümekunde  III,  496. 

13  Vgl.  die  Könige  im  Hortus  delieiaruiii  der  Äbtissin  Ilerrad  von  Landsperg'.   Engelhard t.  Tat'.  III. 

i-i  Solche  Schuhe  nach  Art  der  römischen  Halbstiefel  in  den  Leges  Longobard.  im  Kloster  S.  Triuita  della  Cava  zu 
Salerno  (Hefner,  Trachten  des  Mittelalters  I,  Taf.  19),  aus  dem  Anfang  des  XI.  Jahrhunderts  in  einem  Bamberger  Codex 
vHefner,  Taf.  43,  Weiss  a.  a.  0.,  S.  534). 

14* 


9b  Dr.  E.  Freiherr  y.  Sackes. 

schere  Kunst  in  einem  Stalle  oder  einer  Ruine  sitzend  darstellte,  sondern  in  feierlicher  Würde 
auf  einem  Throne,  der  gewöhnlich,  wie  auch  hier  als  eine  Art  Gerüste,  auf  dessen  Sitz  ein  Kissen 
gelegt  ist,  gebildet  wurde.  Die  tiefere  Auffassungsweise,  welcher  es  nicht  um  die  Schilderung  der 
Einzelbegebenheit  in  genremässiger  Treue  zu  thun  wai-,  sondern  die  den  Kern  derselben,  die  Hul- 
digung, welche  das  gesammte  Heidenthum  dem  Könige  des  Himmels  und  der  Erde  darbrin"-t.  zur 
Anschauung  bringen  wollte,  behielt  immer  diese  allgemeinere  ideale  Fassung  bei*\ 

Die  Madonna  ist  eine  in  ihrer  Symmetrie  man  könnte  sagen  architektonisch  aufgebaute 
Gestalt,  in  Haltung  und  Angesicht  von  byzantinischem  Charakter.  Bei  den  Mai-iengestalten. 
namentlich  den  feierlich  thi-onenden,  ist  dieser  besonders  bemerkbar  und  behauptete  sich  lange. 
weil  sie  durch  die  Mosaiken  ilu-e  typische  Ausbildung  erhielten.  Als  Kleidung  erscheint  ein 
weiter  rother  Mantel .  der  auch  über  den  Kopf  gezogen  ist  und  denselben  gleichmässig  einhidlt. 
über  einem  weissen  Unterkleide  (yon  einem  ehemaligen  Blau  ist  keine  Spur  zu  erkennen),  yon 
dem  nur  die  engen  Ärmel  und  der  den  rechten  Fuss  bedeckende  Theil  sichtbar  sind. 

Es  entspricht  dem  Ernste  und  der  Feierlichkeit  der  i'omanischen  Kinist.  das  Kind  nicht  als 
Säugling  darzustellen,  sondern  als  den  Welterlöser  in  seiner  Macht  und  Herrlichkeit,  nur  als  Knaben, 
gleichsam  in  kleinerem  Massstabe,  daher  es  auch  hier,  wie  gewöhnlich,  bekleidet  auf  dem  Schooss 
der  Mutter  sitzt,  die  Rechte  segnend  erhoben  und  dadm-ch  seine  Gewalt  und  Übei'legenheit  über 
die  anbetenden  irdischen  Herrscher  bekimdend.  in  der  Linken  andeutungsweise  die  Schriftrolle. 
Diese  ebenfalls  im  Byzantinischen  fussende  Auffassung-sweise,  welche  schon  dem  dreizehntäorio-en 
Kinde  die  göttliche  Majestät  beilegt,  die  es  kraft  seiner  Machtvollkommenheit  angenommen,  erhöht 
den  Eindruck  imponirender  Erhabenheit,  den  die  romanische  Kunst  stets  ansti-ebt.  Später,  vom 
XIII.  Jahrhunderte  an,  besonders  als  mehr  genremässige  Elemente  in  die  Kunst  eindrangen,  im 
X\  .  Jahrhundert  wurde  der  jugendliche  Welterlöser  in  naiv-realistischer  Weise  als  kleines  nacktes 
Knäblein  von  kindlichem  Charakter  dargestellt.  Hier  ist  es  mit  einer  weissen  Tunica  mit  langen 
Armein  bekleidet  und  einem  gelben,  über  die  linke  Schulter  gezogenen,  die  rechte  ft-eilassenden 
Mantel.   Der  nimbirte  Kopf  ist  haarlos. 

Hinter  dem  Throne  erscheinen  zur  Erhöhung  der  Feierlichkeit  der  Scene  zwei  ebenfalls 
nimbirte  Engel,  svmmeti-isch  zu  beiden  Seiten  der  Gottesmutter  angeordnet,  von  denen  blos  die 
Büsten  über  die  Tlu-oulehne  hei*voiTagen ;  Flügel  sind  an  ihnen  nicht  sichtbar.  Maria  ist,  an  dem 
Ereignisse,  welches  nur  das  göttliche  Kind  beti-ifi^.  keinen  Antheil  habend,  nach  vorwärts,  gegen 
den  Beschauer  gewendet,  denselben  gleichsam  ebenfalls  zur  Anbetung  auffordernd,  das  Haupt 
nicht,  wie  in  späteren  Darstellungen,  jungfräulich  demuthsvoU  geneigt.  Dies  vermehrt  noch  den 
abgeschlossenen  Charakter  dieser  Gestalt. 

Die  drei  AVeisen  in  ihrer  antikisii-enden  Tracht  kommen  nun  zur  Anbetung  herbei,  und  zwar 
der  erste  eilends,  mit  gebogenen  Knieen  (wie  die  Hirten  nach  Matth.  2,  lU  und  Lucas  16),  der 
zweite  gehend  in  vom  Alter  gebückter  Haltung  (bei  diesem  sind  stets  in  seltsamer  Weise  die  Beine 
gekreuzt),  der  dritte  steht  noch  ruhig;  sie  blicken  alle  auf  das  Kind  und  tragen  in  den  vorge- 
streckten Händen,  deren  Linke  bei  allen  den  leichten  Mantel  mitzieht,  ihre  Gaben,  mit  einer 
gewissen  Hast.  Welche  die  Gefühlsinnigkeit  ausdrücken  soll,  dieselben  darbringend.  Sie  stehen, 
wie  gewöhnlich  im  hüheren  Mittelalter,  zur  Rechten  der  tlu-onenden  ]\Iaria.  Die  Hintereinander- 
stellung  erinnert  an  die  Reliefbilder  mit  den  Opterzügen  der  Alten.  In  den  älteren  Dai-stelluugen 
bis  zum  XI.  Jahrhundert  erscheinen  sie  fast  immer  im  Momente  des  Herbeikommens,  erst  von  da 
ab  wird  es  allgemeiner,  dass  einer  derselben  bereits  kniet:  au(  li  im  XI.  und  XII.  Jahrhundert 
wurde  die  aufrechte  Stellung  der  auf  gleicher  Fusslinie  stehenden  Opferbringer  beibehalten.   Die 

'^  So  .tuch  .-iuf  den  Bronzethüron  zii  Hildesheim  und  in  dem  Frescobilde  der  Rundcapeile  zu  Müdliug  (Mittli.  III    iSön  . 
Taf.  Xr. 


Die  romanischen-  Deckengemälde  in  der  Stiftskiuche  zu  La.mbach.  97 

beiden  Vorderen  bringen  ihre  Gaben  (Gold  nnd  Weihraucli)  in  einfachen  viereckigen  Büchsen,  in 
der  des  ersten  sieht  man  aufgehänft  gelbe  Scheibchen,  die  wolil  Gohbnünzen  darstellen  sollen; 
der  dritte  hält  eine  rnnde  Schale.  Die  an  die  antiken  acerrae  erinnernden  Weihrauchkästchen  nnd 
die  Schüssel  kommen  in  älteren  Darstellungen  gewöhnlich  vor,  während  spätere  die  Nachahmung 
der  kunstvollen  Kirchengeräthe  aus  der  Zeit  des  Künstlers  liebten. 

Bemerkenswerth  ist,  dass  den  Weisen  ein  Engel  voranschreitet,  der,  sich  umsehend,  sie 
auffordernd  anblickt,  während  er  mit  der  rechten  Hand  auf  das  anzubetende  Kind  deiitet.  Er  trägt 
ein  weisses  Kleid  mit  eng-en  Ärmeln  und  über  die  Hüften  einen  o-rünen  Überwurf  Er  ist  unge- 
flügelt  und  bloss  durch  den  Nimbus  und  die  jugendliche  Gestalt  als  Engel  gekennzeichnet  und 
erscheint  hier  offenbar  als  Wegweiser  der  Magier,  denen  er  nun  den  lang  gesuchten  und  ersehnten 
Heiland  weist.  Nach  verschiedenen  mystischen  Schriftstellern  sollte  der  Stern  ein  Engel  gewesen 
sein,  der  den  Weg-  zeigte  ""'.  Diese  Auffassung'  findet  sich  in  Bildwerken  selten.  Der  voranschrei- 
tende  Engel  kommt  im  Menolog-ium  des  K.  Basilius  aus  dem  X.  Jahrhundert  und  an  der  Kanzel 
von  S.  Giovanni  Evangelista  zu  Pistoja  (aus  dem  XHI.  Jahrhundert)  vor'';  in  dem  grossartigen, 
wohl  auf  byzantinischer  Grundlage  beruhenden,  aber  von  frischem  selbständigen  Geist  durch- 
wehten Mosaik  in  S.  Maria  maggiore  zu  Rom  schwebt  der  Engel  über  den  Magiern  '^  im  Relief  der 
goldenen  Pforte  zu  Freiberg  steht  er  hinter  Maria. 

Auf  der  anderen  Seite  des  Thrones,  symmetrisch  mit  dem  Engel,  steht  eine  Frau,  keine 
Heilige,  wie  der  Mangel  des  Nimbus  anzeigt.  Sie  blickt  gegen  das  Kind,  das  Haupt  demuths- 
voll  g-eneigt,  die  rechte  Hand  vor  der  Brust  aufg-ehoben ,  die  Handtläche  nach  aussen  gekehrt, 
wie  es  die  alte  Sitte  beim  Gebete  war,  die  Linke  hält  einen  nicht  mehr  erkennbaren  Gegenstand. 
Sie  ist  wie  gegen  den  Thron  hinschreitend  dargestellt,  mit  einem  langen  weissen  Unter-  und 
einem  violetten  Oberkleid  mit  weiten  Ärmeln  angethan.  Letzteres,  rechts  offen,  zieht  sich  durch 
die  Bewegung'  über  den  linken  Fuss  und  lässt  auf  der  rechten  Seite  das  Ende  einer  breiten 
grünen  Binde  sehen,  mit  der  wahrscheinlich  die  Tunica  gegürtet  ist;  ein  weisses  Kopftuch  hüllt 
Haupt  und  Schultern  ein,  an  den  Füssen  trägt  sie  rothe  Schuhe.  Diese  Frau  kann  keine  bib- 
lische Figur  sein,  sie  gehört  nicht  zur  Begebenheit,  wir  werden  sie  daher  wohl  als  die  fromme 
Stifterin  des  Gemäldes  zu  betrachten  haben,  welcher  der  Künstler  diesen  Platz  gleichsam  als 
Zuseherin  anwies".  Zu  einer  Deutung  als  allegorische  Figur,  etwa  die  anbetende  und  theilneh- 
mende  Seele,  fehlen  bestimmte  Anhaltspunkte  und  ist  die  Gestalt  zu  individuell  in  Geberde  und 
Kleidung  gehalten. 

Besonders  gut  und  charakteristisch,  aber  leider  von  geringer  Erhaltung  ist  die  dritte  Gruppe 
des  Mittelgewölbes,  die  schlafenden  Weisen  vom  Engel  gewarnt.  Sie  liegen  im  Bette,  der  Jüngste 
in  anmnthig  natürlicher  Stellung,  den  Kopf  auf  die  rechte  Hand  gestützt,  den  violetten  Mantel 
um  Brust  und  Hüften  geschlagen,  etwas  höher  oben  der  Greis,  in  der  Mitte  zwischen  ihren  Füssen 
der  dritte  rechts  gewendet.  Über  dem  letzteren  schwebt  der  Engel  mit  ausgebreiteten  Flügeln  in 
weisser  Tunica  und  grünem  Mantel  (wie  der  Avegweisende  Engel).  Um  auszudrücken,  wie  durch 
das  Schweben  der  Luftzug  die  Kleider  an  den  Leib  anlegt,  sind  die  Falten  parallel  gezogen, 
während  die  Körperformen  stark  durchscheinen.  Er  hält  die  rechte  Hand  zur  Begleitung  der  Rede 
erhoben,  mit  der  linken  berührt  er  den  unten  liegenden  Schläfer.   Diese  nur  bei  ausftihrlichen 

i<^  Zappert,  a.  a.  0.  .S.  316.  Durand,  Rat.  off.  VI,  16  führt  es  als  Meinung  Einiger  an,  der  Stern  wäre  der  heil. 
Geist,  als  die  Anderer,  es  wäre  der  Engel  derselbe  gewesen,  der  den  Hirten  erschienen  v'ar. 

I'   Cicoguora,  Stör,  della  scult.  I,  Tav.  39. 

'S  Guten  söhn  und  Knapp,  Basiliken  des  christl.  Roms  T.  47. 

13  Auf  dem  Gemälde  in  der  Apsis  des  Karners  zu  Mödling  stehen  ebenfalls  zur  Seite  des  Thrones  zwei  Profanfiguren, 
ohne  Zweifel  die  Stifter,  vermuthlich  Herzog  Heinrich  III.  von  Mödling  und  seine  Gemahlin  Richsa  von  Böhmen.  [Mitthl. 
in,  S.  -267). 


98  Dk.   E.   Freihebe  v.  Sackex. 

Cvclen  vorkommende  Darstellung  findet  sich  auch  in  einer  Evangelienhandsclmtt  von  c.  l<>Oi»  zu 
Gotha  und  in  dem  Evangeliarium  von  Aschafienburg  (e.  1190j  ^. 

Der  Hintergrund  ist  in  der  Mittelknppel  bis  zur  Kopfhühe  blaugrün,  den  Fussboden  bildet 
ein  herumlaufender  dreitlirbiger  Streiten,  roth.  braun  und  gelb.  Wir  wenden  uns  nun  zu  der  Dai*- 
stellung  im  Gewölbe  des  südlichen  Thunues,  welches  von  dem  mittleren  durch  einen  ornamen- 
tirten  Boeen  sreschieden  ist.   i  S.  die  Tatel.  i 

Hier  sehen  wir  Herodes  auf  einem,  mit  einem  Kissen  bedeckten  Thronstuhle  ohne  Lehne 
sitzend,  die  niedrige,  beiderseits  mit  Knüpfen  verzierte  Krone  auf  dem  Kopfe;  er  trägt  eine  lange 
grüne  Tunica  mit  engen,  an  den  Oberarmen  und  Handgelenken  rothverbrämten  Anneln,  darüber 
einen  weiten,  auf  der  rechten  Schlüter  befestigten  rothen  Mantel.  Der  linke  Arm  ist  gebogen  und 
erhoben,  es  scheint,  dass  er  ein  Scepter  mit  der  Hand  hält,  deren  Zeigefinger  eniporgesti'eckt  ist; 
mit  der  rechten  Hand  deutet  er  auf  die  vor  ihm  stehenden  Könige.  Er  wendet  den  Kopf  zui-ück 
nach  dem  hinter  ihm  aufgeschlagenen  Buche  und  nach  den  Schrift^gelehrteu,  die  aus  einem  Thure 
heraustreten;  es  sind  deren  sieben,  von  denen  die  drei  vordersten  Bücher  tragen,  einer  wendet 
sich  gegen  die  Nachfolgenden  um.  die  Linke  wie  belehrend  erhoben,  von  einem  vierten  ist  bloss 
das  Gesicht,  von  den  di-ei  übrigen  nur  der  Obeitheil  der  Köpfe  zu  sehen.  Diese  Figm-eu  tragen 
MänteL  wie  es  scheint,  mit  Kapuzen.  Eigenthümlich  ist  die  Stellung  der  Magier.  Vor  Herodes, 
aber  etwas  tiefer,  so  dass  dieser  auf  einem  erhobenen  Throne  erscheint,  steht  der  erste  (im  Mannes- 
alter), oder  vielmehi-  er  schreitet  weg  und  wendet  sich  nach  ihm  um.  die  Linke  wie  in  afi'ect- 
voller  Rede  hoch  erhoben:  er  ist  niu"  bis  etwas  unter  die  Knie  sichtbai*.  eine  gerade  Figm*  von 
energischer  Haltung.  Die  sehr  knrze  Tunica,  eigenthümlich  um  die  Lenden  geschlungen,  ist  mit 
dem  weissen,  geknüpften  Tuche  hoch  gegüitet.  die  rothe  Chlamys  lallt  nach  antiker  Weise  über 
den  Rücken  herab,  Brust  und  Arme  fi-ei  lassend.  Dicht  hinter  ihm  steht  der  Greis,  den  Kopf  parallel 
mit  dem  ersten  gegen  Herodes  erhoben,  wähi-end  der  Jüngling  im  weissen  Kleide  und  rothen 
Tricots,  die  Unterschenkel  wieder  ki-euzweise  umwickelt,  theilnahmslos  fortzugehen  im  Begrifi'e 
ist.  den  Blick  zu  Boden  gerichtet,  den  Kopf  wie  um  zuzuhören  zurückgewendet. 

Die  Scene  geht  in  der  Stadt  Jerusalem  vor;  diese  ist  durch  eine  crenneline  Mauer  und  zahl- 
reiche, wohl  den  Palast  des  Königs  bezeichnende  Gebäudetheile  vor  Herodes.  hinter  den  Magiern 
ano-edeutet.  Auf  hohen  Mauern  mit  rundbog-itren  Fenstern  stehen  niediige  Thiü-me  mit  halbkreis- 
förmig  bedeckten  Thoren.  dreieckig  bedacht.  Ein  ganzes  System  von  übereinander  gebauten 
Mauern  und  Thüi-men  mit  niediigen  Pyramiden-Dächern,  auf  deren  Spitzen  runde  Knäufe  ange- 
bracht sind,  flach  und  mit  Kuppeln  bedeckte  Gebäude,  aber  dm-chaus  im  rein  romanischen  Style 
mit  Rundbogenfeustern  nehmen  eine  Hälfte  des  Gewölbes  ein.  Auf  der  Mauer  des  Palastes 
unmittelbar  vor  Herodes  ist  auf  dem  ausladenden  Kranzgesimse  ein  kleines,  nacktes,  geflügeltes, 
dunkel  gemaltes  Figüixhen  sichtbar,  welches  sich  gegen  den  König  hinabzustürzen  oder  ihm 
zuzufliegen  scheint.  Von  dieser  Gestalt,  die  nm-  eine  symbolische  Bedeutung  haben  kann,  ist  es 
schwer  eine  sichere  Erklärmig  zu  geben;  es  mag  wohl  der  böse  Dämon  der  Lüge  und  Falschheit 
sein,  der  in  Herodes  fähit.  ihm  die  bekannten  bösen  Rathschläge  eingiebt  und  ihn  zu  grausamer 
That  vei-fühit.  Die  Kleidung  des  Königs  ist  die  gewöhnliche  königliche  Tracht  des  XL  und 
XH.  Jahrhunderts,  die  wir  auf  den  Kaisersiegeln,  bist«  .risclK-n  und  idealen  Bildern  von  Herrscliern 
dieser  Zeit  sehen  -\ 

Die  Gemälde  im  Gewölbe  des  nördlichen  Thurmes  sind  so  beschädigt,  dass  nur  mehr 
wenig  von  ihnen  zu  erkenüen  ist.  Im  westlichen  Theile  sind  die  Magier  zu  Pferde  dai-gestellt  (es 
sind  nur  zwei  Pferde  und  die  Füsse  der  Reiter  sichtbai-)  dabei  die  Stadt;  im  östlichen  Theile  sieht 

-«  Waagen,  Künstler  und  Kunstwerke  in  Deutschland  I.  376. 

-'  Weiss.  III.  532.  533.  —  En?elhardt  a.  a.  0.  Tat".  I.  IV,  XI.  —  Hetner  I,  45. 


Die  romanischen  Deckence.aiälije  in  der  Stiftskirche  zu  Lambach.  99 

man  den  Leib  einer  Figur  mit  rechter  Hand  und  die  rechte  Hälfte  des  nimbirten  Kopfes,  ferner 
den  Leib  einer  kleineren  Figur  mit  ausgestreckter  Hand  und  einem  Fusse  in  gehobener  Stellung, 
endlich  den  Obertheil  einer  dritten  Figur  in  gebückter  Haltung,  im  Hintergrunde  ein  mit  Bögen 
durchbrochenes  Gebäude.  Nach  diesen  wenig-en  Überresten  lässt  sich  kaimi  eine  Deutuno-  dieses 
Bildes  geben. 

Sculptur  und  Malerei  des  romanischen  Styles  standen  bekanntlich  im  innigsten  Zusammen- 
hange mit  der  Architektur,  waren  ihr  so  zu  sagen  dienstbar,  indem  sie  noch  nicht  den  Höhepunkt 
erreicht  hatten,  auf  dem  Wege  des  Studiums  des  Lebens  in  individueller  Freiheit  einen  selbstän- 
digen Entwicklungsgang  zu  nehmen,  und  bewegten  sich  daher  in  gebundener,  streng  stylistischer 
Form,  in  traditionellen  Typen  befangen,  die  vollständig  abzustreifen  erst  dem  grossen  Aufschwung 
des  XV.  Jahrhunderts,  bei  dem  das  malerische  Princip  zum  Durchbruch  kam,  gelang.  In  dieser 
stylistischen  Abhängigkeit  erscheinen  auch  unsere  Wandgemälde.  In  der  Auffassung  und  Anord- 
nung ist  manches,  was  an  die  ältesten  christlichen  Gemälde  in  den  Katakomben  Roms  und 
an  die  altchristlichen  Sarkophage  erinnert.  Die  Zeichnung  ist  weniger  incorrect  als  conventioneil; 
den  Gestalten  fehlt  die  lebendige  naturgemässe  Einheit,  namentlich  stehen  die  Köpfe  oft  ausser 
Zusammenhang  mit  den  Körperbewegungen  und  sitzen  daher  etwas  verdreht  auf  denselben.  Den- 
noch bekundet  sich,  obwohl  in  schematischer  Umhüllung,  eine  grossartige  Energie  der  Empfindung, 
die  in  den  heftigen  und  ausdrucksvollen  Bewegungen  der  Figuren  bedeutsam  hervortritt  und  mitunter 
an  das  Werk  erinnert,  in  dem  diese  geistige  Thätigkeit,  dieses  grosse  Streben  sich  entschiedener 
als  vielleicht  in  irgend  einem  andern  dieser  Periode  geltend  macht,  nämlich  den  herrlichen  Email- 
altar zu  Klosterneuburg  von  1181.  Während  die  Charakteristik  der  Bewegungen  in  den  Beinen 
oft  eckig  und  gezwungen  erscheint,  ist  sie  in  den  Armen  gemildert  und  weich,  ebenso  in  den  wie 
knochenlosen  Händen  mit  sehr  gestreckten  Fingern.  Die  Gestalten  haben  überhaupt  etwas  zartes, 
weiches,  fast  ätherisches.  Am  abgeschlossensten  zeigt  sich  der  herkömmlich  festgestellte  kirch- 
liche Styl  in  der,  wie  erwähnt,  dem  byzantinischen  Mosaikentypus  folgenden  Gestalt  der  Mutter 
Gottes  mit  dem  Kinde,  freier  konnte  sich  der  Künstler  in  den  übrigen  Figuren  bewegen  und 
diese  müssen  daher  für  seine  Bedeutung  als  massgebend  angesehen  werden.  Die  Handlung  uiid 
künstlerische  Intention  zu  deren  Darstellung  sind  mit  grosser  Klarheit  zum  Ausdruck  gebracht, 
die  Motive  durchgehends  verständlich  und  der  Situation  angemessen.  Von  unbeholfener  Rohheit 
ist  nirgends  eine  Spur,  im  Gegentheile  macht  sich  eine  gewisse  Feinheit,  die  zum  Theil  sogar  in 
gesuchte  Zierlichkeit  übergeht,  geltend;  für  manches  genügt  die  blosse  Andeutung,  so  in  den 
höchst  einfachen  Gewandmotiven.  Malerische  Behandlung  ist  in  dieser  Zeit  nicht  zu  erwarten:  die 
roth  contourirte  Zeichnung  ist  mit  einfachen  Farben  ausgefüllt,  schwarz  kommt  gar  nicht  vor,  von 
eigentlicher  Schattirung  finden  sich  nur  Versuche.  Die  Farben  sind  eintönig,  aber  nicht  ohne 
Gefühl  für  Harmonie  im  gegenseitigen  Zusamruenwirken.  Die  Technik  ist  die  gewöhnliche 
dieser  Periode,  nämlich  mit  Wasserfarben  auf  trockenem  Grunde,  da  die  Malerei  al  fresco  noch 
unbekannt  war. 

Die  Köpfe  erheben  sich  noch  nicht  zum  seelischen  Ausdrucke,  sie  sind  durchaus  conventio- 
neil, mit  mandelförmigen  blicklosen  Augen,  gleichförmigen  länglichen  Nasen,  sehr  kleinem  Munde. 
Die  bedeutende  Beschädigung  der  meisten  und  die  Veränderung'  der  Farbe,  die  jetzt  grünlich 
erscheint,  verhindern  übrigens  ein  näheres  Urtheil. 

Der  Styl  der  Zeichnung  und  die  Technik  entsprechen  vollständig  den  Miniaturen  des  XII. 
Jahrhunderts,  deren  wdr  so  viele  kennen.  Wie  oben  gezeigt  wurde,  weisen  Auffassung,  Anordnung 
und  Tracht  anf  eine  noch  fi-ühere  Zeit,  wenigstens  das  XL  Jahrhimdert  hin.  Sonach  wird  sich 
das  Urtheil  dahin  zusammen  fassen  lassen,  dass  diese  in  ihrer  Art  bedeutenden  Wandmalereien 
dem  XII.  Jahrhunderte  angehören,  jedoch  auf  älteren  Traditionen  beruhen.  Es  muss  in  Anschlag 


lUU  Dk.  E.  Fk.  V.  Sacken.  Die  komamsches  Deckesgemälde  ix  der  Stutskiuche  zi  Lambach. 

gebracht  werden,  dass  sich  abseits  einer  grösseren  Kunstübung  die  alten  Typen  lange  erhielten, 
daher  sich  in  schulmässigen  Arbeiten  noch  oft  archaistische  Reminiscenzen  vorfinden.  Die  Lam- 
bacher  Bilder  haben  jedenfalls  ein  höheres  Alter  als  die  des  Nonnenchores  im  Dome  von  Gurk  in 
Kärnten,  die  erst  im  XIII.  Jahrhundert  entstanden  und  schon  vielfach  !.a>thische  Motive  zeigen  '"' 
und  das  ebentalls  dem  Anlange  dieses  Jahrhunderts  angehörige  Bild  in  der  Apsis  der  Rotunde  von 
]ilödliug;  sie  dürften  sonach  nebst  den  Malereien  in  der  Vorhalle  der  Kirche  am  Nonnberge  zu 
Salzburg  "  die  ältesten  in  den  cisleithanischen  Ländern  des  Kaiserstaates  sein.  Sie  können  eine  um 
so  grössere  Aufmerksamkeit  beanspruchen,  als  von  Wandgemälden  dieser  frühen  Epoche  wenig  mehr 
existirt  ■*  und  auch  in  Deutschland  solche  selten  sind.  Bedeutendere  finden  sich  nur  in  der  Kirche 
zu  iSchwarz-Rheindorf  (um  115.:>)-^.  im  Capitelsaale  der  Abtei  Brau  weiler  ""^  und  zu  Soe  s  t 
in  Westphalen -'.  Schon  etwas  jünger  sind:  die  Decke  der  St.  Michaelskirche  zu  Hildes  he  im 
(erste  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts),  die  Gemälde  in  der  Taufcapelle  von  St.  Gereon  in  Köln 
(um  1230)"*,  in  der  Liebfi-auenkirche  zu  Halberstadt  ■",  die  sehr  umfangreichen  im  Dome  von 
Braunschweig  (1220 — 1270)^^  in  der  Schlosscapellc  zu  Forchheim  (c.  1250)  u.  A.  Ob  der 
Künstler,  was  wahrscheinlich  ist.  aus  Bayern,  wo  im  ganzen  Mittelalter  eine  rege  Kunsthätigkeit 
herrschte,  herüber  gekommen  Avar.  lässt  sich  nicht  erweisen.  Für  die  Erhaltung  dieser  kunst- 
geschichtlich so  merkwürdigen  Bilder  bürgt  das  feine  Verständniss  und  der  Kunstsinn  des  hochw. 
Herrn  Prälaten  des  Stiftes  Lambach  Theodorich  Hagn  und  der  pietätvolle,  warme  Eifer  des 
gelehrten  Stiftsai'chivars  F.  Pius  Schmieder,  der  sich  um  die  Aufdeckung  derselben  ein  so 
grosses  Verdienst  erwarb  und  ilu-e  Bedeutung  vollkommen  zu  würdigen  weiss,  wie  aus  seiner 
Anzeige  in  diesen  Blättern  erhellt.  Nach  Beseitigung  des  gewaltigen  Orgelgebläses,  welches  fast 
den  o-anzen  Raum  des  Läuthauses  gerade  unter  dem  Mittelgewülbe  einnimmt,  durch  Ersatz  mit 
einem  neuartig  construirten.  weit  compendiöseren,  werden  die  Deckengemälde  auch  der  Betrach- 
tung zuoränglicher  sein. 

"  Mittheil.  iSö",  S.  294.  —  Ha.is  in  den  Kunstdenkmalen  des  üsterr.  Kiiiscrstaates  II,  lfi6. 
23  Heider  im  Jahrbuch  der  k.  k.  Central-Corom.  IL  S.  IS,  Taf.  I,  II. 

-*  So  sind  die  Gemälde  des  Mittelschiffes   der  Kirche   zu  .St.  Paul   in  K:irnthen  und  im  Lang^hause  des  Gurker  Domes 
bis  auf  Spuren  verschwunden. 

2ä  Simons,  Doppelcapelle  zu  Schw.-Rheind.  Taf.  -2,  10  f. 
26  Keichensperger,  Verm.  Seh.  .S.  7-2,  Taf.  I,  II. 
2'  Lnbke,  Mittelalterl.  Kunst  in  Westphalen,  S.  3-22. 

28  Schnaase.  Gesch.  d.  bild.  Künste,  V.  660. 

29  Quast  im  Tübinger  Kunstblatt  1845,  m. 

30  Schiller,  Mittelalterl.  Archit.  Braunscbweigs,  S.  26  ff. 


101 


Der  Grabstein  der  Kaiserin  Eleonore. 


VoK  De.   Kaul  Lind. 


(Mit  1  Holzsclmitt.) 


X!iS  ist  eigenthümlich,  dass  in  den  älteren  Zeiten  so  wenig  Mitglieder  des  Hauses  Habsburg  in  den 
österreichischen  Erblanden  ihre  Ruhestätte  landen.  Freilich  wohl  liegt  die  Ursache  vornehmlicli 
darin,  dass  ein  grosser  Theil  derselben  als  seine  Beerdigungsstätte  die  eine  oder  die  andere  jener 
frommen  Stiftungen  bezeichnete,  die  von  ihnen  selbst  oder  ihren  Vorfahren  in  den  alten  Stamm- 
landen  gemacht  wui-den.  Aber  selbst  an  diesen  wenigen  im  Inlande  befindlichen  fürstlichen  Ruhe- 
stätten ging  im  Laufe  der  Zeiten  das  dazu  gehörige  Denkmal  verloren,  was  wohl  darin  seinen  Grund 
finden  mag,  dass  diese  fürstlichen  Personen  auch  hier  für  ihre  Ruhestätten  Kirchen,  meistens 
Klosterkirchen  wählten,  von  denen  viele  theils  bereits  ihrer  Bestimmung  ganz  entzogen  wurden, 
theils  wenigstens,  durch  Entfernung  der  zu  diesen  Kirchen  berufenen  geistlichen  Orden ,  die 
diese  Denkmale  schützende  Hand  und  Obsorge  verloren  haben.  Gai-  manches  hat  das  letzte 
Jahrhundert  an  derlei  Denkmalen  verschuldet,  vieles  wurde  zerstört  und  entfernt,  vieles  wurde 
verunglimpft  und  verunstaltet.  Ich  erinnere  nur  an  die  Grabstätten  des  schönen  Friedriclis 
(t  1330)  in  Mauerbach;  Albert  des  Lahmen  (f  1358)  und  seiner  Gattin  Johanna  von  Pfyrt  in 
(t  1351)  Gaming;  Otto  des  Fröhlichen  (f  1339)  in  Neuberg;  Blanca's  von  Franki-eich  (f  1305J 
und  Isabella's  von  Arragonien  (f  1330)  in  der  Wiener  Minoritenkirche ,  etc. 

Zu  den  wenigen  erhaltenen  gehört  vornehmlich  jenes  im  Frauenchor  der  St.  Stephans- 
kirche zu  Wien,  welches  bisher  fast  allgemein  dem  Herzoge  Rudolph  IV.  (f  1365)  und  seiner 
Gemahlin  Katharina  von  Böhmen  (f  1395)  '  zugeschrieben  wird,  ferner  jenes  des  Herzogs  Ernst 
des  Eisernen  zu  Rein  in  Steiermark  (f  1424),  des  Kaisers  Friedrich  IV.  im  Wiener  Dome  (f  1493) 
und  endlich  das  herrliche  Denkmal,  das  sich  links  zunächst  des  schönen  Flügelaltars  im  Chor 
der  von  diesem  Kaiser  gestifteten  Cistercienser-Abtei  Neukloster  in  Wiener  Neustadt  befindet. 

Es  ruhen  dort  Donna  Leonor's  von  Portugal,  der  Gemahlin  Kaiser  Friedrich's  IV.  sterbliche 
Überreste.  Donna  Leonor  ^  geboren  am  18.  September  1434  zu  Torres  vedras,  Tochter  des 
Königs  Duarte   und  seiner  Gemahlin  Donna   Leonor,   Tochter   des    Königs  Ferdinand  I.    von 

1  Feil  hatte  in  seinen  kritischen  Beiträgen  zur  Geschichte  und  Beschreibung:  der  St.  Stephanskirche  in  Wien  den 
Nachweis  versucht,  dass  dieses  Grabmal  dem  Herzog  Albrecht  III.  f  1395  und  seiner  Gattin  angehöre. 

2  Der  nachfolgende  kurze  Lebensabriss  dieser  hohen  Frau  ist  entnommen  dem  Vortrage  des  k.  k.  Regierungsrathes 
und  Custos  iu  der  Hofbibliothek,  Mitgliedes  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften,  Dr.  Ernst  Birk,  welchen  derselbe  in  iter 
feierlichen  Sitzung  dieser  k.  Akademie  am  31.  Mai  1858  gehalten  hat.  (,S.  feierliche  Sitzung  v.  J.  1858:  D.  Leonor  von  Portugal, 
Gemahlin  Kaiser  Friedrich's  IU.  1434—1467,  pag.  167  — I92j. 

XIV.  15 


102  I'er   Gi:abstein  deü  Kaiserin   Eleonore. 

Arraffonien,  wurde  am  1.  Aug-ust  1451  zu  Lissabon  mit  Jacob  Moiz .  des  römischen  Künio'S 
Hofcaplan  und  Beichtvater,  der  die  Stelle  seines  Herrn,  des  königlichen  Bräutig-ams  veitrat, 
o-etraut.  Am  1"2.  November  desselben  Jalu-es  trat  die  könieliche  Frau  von  Lissabon  aus  die 
Seereise  an.  um  in  Italien  mit  ihrem  Gemahl  zusammen  zu  treffen;  am  2.  Februar  14.j2  erreichte 
das  Geschwader  den  Hafen  von  Livorno  und  am  25.  Februar  hatten  sich  beide  Gatten  zu  Siena 
zum  erstenmal  gesehen.  Von  dort  zog  das  königliche  Paar  nach  Rom.  woselbst  am  16.  Miüz 
eine  nochmalige  feierliche  Trauung  im  Dome  zu  St.  Peter  stattfand  und  drei  Tage  später  König 
Friedrich  und  seine  Gattin  die  deutsche  Kaiserkrone  empfingen.  Wenige  Tage  darauf  fand  sich 
der  heilige  Vater  wohl  aut  Friedrichs  Ansuchen  bewogen,  den  Taufnamen  seiner  Gattin,  als 
damals  in  den  deutsclien  Ländern  ungebräuchlich  in  jenei:i  Helenen's  umzuwandeln.  Es  ist 
iedoch  keine  Spiu-  vorhanden,  dass  die  Kaiserin  von  dieser  Begün.^tigung  jemals  Gebrauch 
gemacht  hätte.  Bald  nach  der  Krönung  verliess  der  Kaiser  sammt  seiner  Gattin  die  ewige 
Stadt  und  zog  zu  König  Alphons  nach  Neapel,  von  wo  dann  das  kaiserliche  Paar  über  Venedig 
nach  der  für  die  Kaiserin  neuen  Heimath  reiste.  Erst  im  Juni  14.')2  betrat  der  kaiserliche  Zuff 
Kärntens  Grenze,  und  langte  in  Folge  der  durch  Unruhen  in  Österreich  nothwendig  gewordenen 
Reisebeschleuniguug  am  19.  Juni  schon  in  Wiener-Neustadt  unter  dem  Jubel  der  Bevölkerung 
an.  Kaiserin  Leonor  nahm  in  der  dortigen  Bm'g  ihren  Wohnsitz,  woselbst  fast  ununterbrochen 
ihr  weiterer  Aufenthaltsort  blieb,  obwohl  die  Zeiten  der  Bedrängniss  ihres  Gatten  sie  zu  wieder- 
liolten  Malen  nöthisrten,  zeitweise  in  der  benachbarten  Steienuark  oder  in  der  Burg-  zu  Wien 
(1461)  Schutz  zu  suchen,  welche  Stadt  sie  durch  ihre  muthvoUe  Hingebung,  ur  Mch  selbst  an 
der  Leitung  der  Vertheidigung  betheiligend,  dem  Kaiser  erhielt. 

Am  16.  Nov.  1455  wui-de  die  Kaiserin  zum  erstenmal  Mutter,  ^uch  schon  im  nächsten 
Jahre  starb  die  Hoffnung  und  Freude  der  Ehern.  Erst  mehrere  Jahre  später  (1459  1  gebar  sie 
ihr  zweites  Kind,  das  in  der  Taufe  den  Namen  Maximilian  erhielt.  1460  beschenkte  die  Kaiserin 
ihren  Gemahl  mit  einer  Tochter,  Helene  genannt  (f  146 Ij.  Hai-te  Tage  voll  Gefahren  und  Ent- 
behrungen verlebte  die  Kaiseiin.  als  sie  im  Jahre  1462  wieder  die  Wiener  Burg  bewohnte  und 
vom  5.  October  durch  zwei  Monate  eine  harte  Belagerung  freiwillisf  mitmachte,  nachdem  sie 
männlichen  Muthes  den  Antrag  der  Rebellen,  ihr  und  ihrem  Sohne  freien  Abzug  zu  gewähren, 
verworfen  hatte.  Erst  als  der  Frieden  gesichert  war.  verliess  sie  mit  ihrem  Sohne,  verhöhnt  von 
der  Hefe  des  Volkes.  Wien,  um  es  nie  mehr  zu  betreten. 

Am  16.  März  1465  gebar  die  Kaiserin  noch  eine  Tochter  Kunigunde  und  1466  einen  Sohn 
Johannes,  doch  sollte  es  der  hohen  P'rau  nicht  gegönnt  sein,  das  Erblühen  ihrer  Kinder  zu  sehen. 
Freilich  wohl  fand  ihre  Gesundheit  in  Badens  Heilquellen  einige  Stärkung,  allein  die  Schmach, 
auf  ihrem  Rückwege  von  Heiligenkeuz  von  Weg-gelasrerem  aus  der  Burg  Rauhenstein  überfallen 
zu  werden,  das  schwindende  Ansehen  ihres  Gatten,  die  unglückhche  Lage  des  Landes,  der  Tod 
ihres  Sohnes  Johannes  (j  1467).  dies  waren  Wunden,  die  Leonor s  Ki-äfte  aufzehrten.  Leonors 
Lebenstage  waren  gezählt,  und  wie  sie  gelebt,  eben  so  fromm  starb  sie  nach  kurzem  Todes- 
kampfe am  3.  September  1467  im  32.  Lebensjahre.  Sie  war  ein  Vorbild  weiblicher  Schönheit 
und  Annmth,  geziert  mit  den  seltensten  Gaben  des  Geistes  und  Herzens.  Dort,  wo  ihre  drei  im 
Tode  vorausgegangenen  Kinder  ruhten,  und  wo  auch  ihr  kaiserlicher  Gemahl  seine  Ruhestätte 
wählen  wollte,  fand'  ihre  entseelte  Hülle  ihre  letzte  Aufnahme.  Die  Kaiserin  hatte  selbst  im 
Jahre  1465  diesen  Platz  ausgewählt. 

Ein  prachtvolles  Marmordenkmal  erhält  das  Andenken  an  diese  Grabesstelle.  Es  ist  eine 
rothmarmorne  starkgeaderte  Platte,  die  nun  in  der  Wand  aufrechtstehend  befestigt  ist. 

Die  vertiefte  Mitte  des  durch  kunstreiche  Reliefarbeit  ausgezeichneten  Denkmals  nimmt  die 
lebensgrosse  Jigur  der  Kaiserin  ein.  Ilire  Stellung  ist  nicht  klar,  denn  einerseits  lässt  der  ihrem 


Du.  Karl  Lind. 


103 


Haupte  unterlegte  Polster  vermu- 
then,  dass  der  Künstler  sie  liegend 
darstellen  wollte,  anderseits  deutet 
alles  Ubrig-e  darauf,  dass  die  Figur 
aufrecht  stehe.  Es  ist  dies  jene 
unklare  Darstellungsweise ,  die 
man  bei  sehr  vielen  derartigen 
Grabmalen  des  Mittelalters  findet. 
Das  Antlitz  ist  schön,  voll  edlem 
Ausdruck  und  von  gewinnender 
Anmuth,  die  aufgelösten  Haare 
wallen  zu  beiden  Seiten  in  reicht!" 
Fülle  über  die  Schultern  herab  bis 
an  die  Füsse,  das  Haupt  ist  mit 
einer  hohen  Krone  von  der  Form, 
wie  sie  eben  zu  Friedrich's  Zeit 
üblich  war,  bedeckt.  Sie  ist  in  ein 
Prachtgewand  gehüllt,  ein  falten- 
reiches Kleid  ohne  Gürtel,  dar- 
über ein  reichbebrämter  Mantel, 
der  auf  der  Brust  durch  eine  kost- 
bare Spange  zusammengehalten 
wird;  in  der  rechten  hält  sie  den 
Reichsapfel,  in  der  linken  das 
Scepter  (beide  Insignien  sind  schon 
etwas  beschädigt).  Ein  einfacher 
fast  nach  orientalischer  Art  gebil- 
deter Baldachin  mit  reichem  Fran- 
senbesatz überdeckt  die  Figur,  die 
beiden  Vorhänge  sind  anseinan- 
dergeschlagen  und  füllen  in  reicher 
Drapirung  die  Seiten  des  Mit- 
telbildes. Als  Abgränzung  des- 
selben erscheint  ein  einfacher 
Rundstabrahmen,  der  zu  Füssen 
der  Figur  auf  kleinen  Sockelchen 
aufliegt;  Den  breiten  Aussenrand 
der  Platte  bedeckt  die  nach  innen 
gerichtete  Inschrift.  Sie  lautet: 
Divi  ■  Friderici  •  Caesaris  •  Au  | 

gusti  •  Conthoralis  •  Leonora  •  Augusta  ■  Rege  •  Portugaliae  •  Ge  |  nita  •  Augustalem  •  Regia 
Hac  •  Urna  •  Commutavit  HI.  Non.  Septembr  1467.  Die  Ecken  an  der  Kopfseite  sind  mit 
Wappen  des  deutschen  Reichs  und  von  Portugal,  die  zu  Füssen  mit  Österreichs  Binden- 
Steiermarks  Pantherschild  geschmückt  \ 


m  • 
den 
und 


'  Im  Jahre  1668  wurde  das  Grab  auf  Befehl  Kaiser  Leopold  I.  geöffnet,  man  fand  daselbst  noch  einige  Gebeine,    dann 
Überreste  von  dem  rothseidenen  Kleide,  in  welches  der  Leichnam  gehüllt  war.  S.  Herrgott:  Monum.  aug.  dorn,  austr.  T.  W.  L 

15* 


104  Dß-   Karl  Lind.   Der  Grabstein  der  Kaiserin  Eleonore. 

Glücklicherweise  kennen  wir  den  Namen  jenes  Künstlers,  der  mit  der  Ausführung  dieses 
Denkmals  betraut  wurde.  Es  war  Nicolaus  Lerch  aus  Leyden,  welchen  der  Kaiser  kurz  vor 
dem  Tode  seiner  Gemahlin  von  der  Bauhütte  zu  Strassburg^,  wo  er  eingebürgert  war,  hieher 
berief,  mu  einen  Grabstein  anzufertigen.  Ob  es  schon  damals  des  Kaisers  Absicht  war,  für  sich 
den  Grabstein  anfertigen  zu  lassen,  oder  ob  Lerch  nach  Neustadt  berufen  wurde,  um  jenen  der 
Kaiserin  in  Angriff  zu  nehmen,  ist  nicht  sicher.  Lerch,  dessen  künstlerisches  Wirken  in  Oster- 
reich noch  gar  nicht  gewürdigt  wurde,  stai-b  zu  Neustadt  1493,  doch  ist  sein  am  Friedhofe 
nächst  der  Frauenkirche  befindlich  gewesenes  Grab  und  der  Grabstein  verschwunden  und  nur 
die  Inschrift  bekannt  geblieben;  sie  lautete:  „Anno  Dom.  MCCCCLXXXXIII  am  tag  for  St.  Jaiiat. 
hinr.  starb  der  kunstreich  Meister  Niclas  Lerch,  der  Chayser  Friedrich  Grabstein  gehauen  hat 
vnd  erhelt.  Werichraaister  detz  grossen  baus  zu  Straspurg  und  daselbs  Purger-'.  Der  Grabstein  soll 
erst  in  den  ersten  Decennien  dieses  Jahrhunderts  verschwunden  und  zuletzt  als  Ofenpostament  in 
der  Sacristei  der  Frauenkirche  verwendet  gewesen  sein  *. 

pag.  261   und   iu  Qormayr's  Denkwürdigkeiten   Wiens  I.   1,   83.   Kirchliche  Topographie   XIII.  144.    S.   Brunner's  Wiener- 
Neustadt  p.  71  etc. 

*  Feil  in  .Schmidl's  „Kunst  und  Alterthum  in  Österreich."  Wien.  1S46  1.  1.  2.  6.  D  uellius:  Dissertatio  de  fundationc 
templi  Cathedralis  Aust.  Neapol.,  Nürnberg.  1833.  p.  32.  Wenker's  Apparatus  et  instructus  Archivorum  ex  usu  nostri  tem- 
poris.  4.  Strassb..  1713.  pag.  iS.  Anm.,  woselbst  ein  boshafter  Streich  besprochen  wird,  den  Lerch  zu  Strassburg  dem  Grafen 
Jacob  von  Liechtenberg  spielte. 

NB.  Die  Zeichnung  des  Grabsteines  von  Jobst.  nach  Aufnahme  von  W.  Boeheim.  der  Schnitt  aus  Waldheim's  Atelier. 


lOS 


Studien  über  Befestig-ung-sbaiiten  des  Mittelalters. 

Von  Schulc'z  Ferencz,  Akchitkkt. 
(Mit  35  Holzschnitten.) 

(Fortsetzung.) 

IL  In  Deutschland. 

V\  ir  haben  im  XIII.  Bande  der  Mittlieiluno-en  der  Central-Conimission  unsere  Studien  über  die 
architektonische  oder  besser  jj'esagt  ästhetische  Seite  mittelalterlicher  Befestijj'inifJS-sliauteTi  damit 
beg-onnen,  dass  wir  zu  diesem  Eehufe  in  der  Schweiz  und  zwar  vorneinlich  in  dortig-en  Städten 
Umschau  hielten.  Wir  wollen  nun  zum  Zwecke  desselben  Thema's  eine  Anzahl  deutscher  Städte 
mid  Burgen  in  gleiche  Betrachtuiiü-  ziehen. 

Auf  Deutschlands  Boden  schuf  <lie  Befestigungsbaukunst  des  Mittelalters  gar  herrliche 
Kunstwerke,  welche  gleich  den  Bauten  kirchlicher  und  profaner  Bestimmung  dieses  Landes  in 
ihren  Formen  den  Stempel  deutsclien  Geistes  unverkennbar  an  sich  tragen,  und  diesen  weit  über 
des  lieiligen  römischen  Reiches  Grenzen  hinaus  verbreiteten,  wie  nach  Polen,  Ungarn.  Ja  selbst  in 
Itahen  linden  wir  fortiticatorische  Bauten,  die  unzweifelhaft  von  deutschen  Meistern  herrühren. 

Das  bewegte  Leben  im  deutschen  Reiche  während  des  ganzen  Mittelalters  war  aber  auch 
ganz  dazu  angethan ,  diesem  Zweig  der  Architektur  fortwälnende  Anwendung  und  Vervollkomm- 
nung zu  verschaffen.  Das  alhnälige  Erblühen  deutscher  Städte  mit  ihren  reichen,  angesehenen 
Bürgern  und  Kaufherren  und  den  oft  nur  zu  hoffärtigen  Bürgergeschlechtern ,  der  fortdauernde 
und  durch  die  widerwärtigen  Zeitläufte  stärker  angefachte  Trotz  des  in  seinen  Vorrechten  bedroh- 
ten Adels,  der  fortwährende  Kampf  der  Städte  mit  Fürst  und  Ritter,  die  Fehden  dieser  unter  ein- 
ander und  als  Leheiiträger  mit  ihren  geistlichen  und  weltlichen  Lehensherren  und  mit  dem  Reiclis- 
haupte,  die  häutigen  Bedrängnisse  der  Reichsgrenzen  vom  äusseren  Feinde,  und  die  Bedrolunig 
der  wohlhabenden  Orte  durch  Schnaphähne  und  Ritter  vom  Stegreif,  die  Religionskämpfe  und 
Bürgerkriege;  dies  alles  nöthigte  hinreichend  jedermann,  Ritter  und  Bürger,  sein  Besitzthnm  in 
wehrbaren  Stand  zu  setzen.  So  wie  die  jungen  Bürgerstädte  an  Schutz  für  Haus  und  Hof  denken 
mussten  und  keine  Gelegenheit  vorübergehen  lassen  durften,  die  Bollwerke  ihrer  Stadt  zu  ver- 
bessern und  zu  vermehren,  ebenso  mussten  die  Ritter  die  Wehrkraft  ihrer  vom  Bürger  und  Bauer 
oft  arg  bedrängten  Burg,  des  einzigen  Schutzes  für  ihr  Hab  und  Gut  und  des  Hortes  des  Adels- 
stammes, ängstlich  bewahren  und  erhöiien. 

XIV  16 


I'M)  5^<H[•I(■/     FkIIINI'/. 

Wie  schon  erwälint.  wnllen  wir  nur  auf  das  honufUi  .  auf  <lic  küiisflcrisclie  Seite  dieser 
Haudeiikmale  Rücksicht  iiehnien.  luul  das.  was  den  Kniirszwctk  Itetritl^t.  niö<jlichst  überj^flien. 
Audi  liejrt  es  weder  in  unserer  ÄFöijliclikeit,  nocli  jiestattet  es  der  Raum,  all  das  Schöne  und 
Wichtio-e,  was  Deiitsfjüand  an  sedchen  Werken  in  so  reichem  blasse  besitzt,  zu  bieten  und  zu 
besprechen,  da  wir  vornehmUch  nur  Selbsttresehenes  und  Sellistu-ezeichnetes  zu  brinjien  die 
Absicht  liaben.  Wir  w<dlen  mit  diesem  Beiti'atr  zur  Festunofsbaukunst  inn-  bisherifi-  Manjjelhaftes 
erifänzen  und  auf  die  so  hmjje  unberücksichtijrteii  l-Jauwerke  dieser  Art  aut'merksani  uiailuii. 
Denn,  ubfrleich  dieser  Zweig  der  Architektur  bis  in  unsere  Tage  als  t  in  unentbehrliches  Binde- 
glied der  allgemeinen  Baukunst  din-ch  alle  Stvlarten  hindurch  anerkannt  ist,  und  aucli  in  der 
neueren  Kunstgeschichte  nicht  unberücksichtigt  blieb,  denn  sonst  würde  eine  bedauerliche  Lücke 
darin  entstanden  sein,  welche  gar  manche  räthselharte  Erscheimnig  in  der  Arcliitektur  unerklärlich 
und  unlösbar  gemacht  hätte,  so  hat  man  doch  bisher  mit  ganz  wenigen  Ausnahmen  unterlassen, 
in  eine  nähere  Würdigung  derai-tiger  Bauten  einzugehen. 

Noch  ein  weiterer  Umstand  verdient  volle  Beachtung.  Die  Festungsbaukunst  beschränkte 
sich  nicht  auf  sich  allein,  sie  griff  mit  ihrin  Formen  während  der  meisten  Kunstepochen  auch 
auf  das  Gebiet  der  kirchlichen  und  profanen  Architektur  hinüber,  so  wie  sie  häufig  und  gern 
aus  diesen  beiden  schöpfte.  Es  geschah  dies  aus  zwei  Gründen :  der  erste  war,  weil  häufig  kirch- 
liche und  profane  Gebäude  mit  fortificatorischen  in  Verbindung  gebraclit  werden  mussten,  wie  bei 
deji  eigentlichen  Burgen  mit  ihren  Capelleu,  bei  befestigten  Schlössern  in  ilen  Städten,  wo  dann 
iliese  in  den  Kreis  der  Vertheidigungswerke  einbezogen  und  demgemäss  eingerichtet  wurden, 
und  l)ei  den  eiyentlichen  Vertheidig'unffskirchen.  Au.f  diese  Weise  schlichen  sich  Zinnen.  Lujj- 
Krker.  Pechnasen  in  die  Profan-  und  kirchliche  Ai-chitektur  ein.  Der  zweite  Grund  war  die  Sucht, 
den  Gebäuden  von  anderer  Bestimmung  das  trotzige  und  Ehrfurcht  gebietende  Äussere  mäch- 
tiger Vertheidigungswerke  zu  geben,  ohne  dass  man  an  eine  Vertheidigung  von  derlei  Gebäuden 
gedacht  hätte. 

Der  künstlerische  Werth  an  foi-tificatorischen  Bauten  ist  in  vielen  Phallen  ein  grosser.  Es 
gibt  Befestigungs-Objecte.  welche  in  ihrer  Art  künstlerisch  ebenso  wertliv(dl  und  durchgebildet 
sind,  als  wie  mancher  ehrwürdige  und  lieachtenswerthe  Münster.  Die  Franzosen  haben  den  hohen 
kunsthistorischen  und  künstlerischen  Werth  dieser  Bauten  längst  begriffen  und  die  Reste,  welclie 
ihr  Land  von  solchen  ^lonumenten  noch  bewahrt,  mit  rührender  Sorgfalt  gesammelt.  Deutschland 
Ijesitzt  dieser  Bauten  eine  so  grosse  Anzahl  und  noch  in  so  wohl  erhaltenen  Exemplaren,  dass, 
wenn  dieselben  erst  übersichtlich  zusammengestellt  und  das  noch  beinahe  gänzlich  Unbekannte 
ans  Licht  gefördert  sein  wird ,  Frankreich  weitaus  überboten  werden  dürfte. 

So  wie  seit  der  Ei-findung  des  Schiesspulvers  und  der  in  deren  Folge  nothwendigen  princi- 
piellen  Umänderung  der  Fortification  vorzüglich  P'ranzosen  und  Italiener  die  Meister  der  Befesti- 
guno-skunst  wurden  und  in  ihrem  Fache  die  Welt  durchreisten,  eben  so  lieferte  während  der 
früheren  Zeit  Deutscliland  und  vornemlich  Friesland  für  viele  Länder  Festungsbaumeister  in 
grosser  Zahl.  Derlei  Baimieister  zogen  herum,  traten  in  den  Sold  von  Fürsten  und  Städten,  die 
sodann  fast  ausschliesslich  deren  Talent  ausnützten;  höchstens  wurden  sie  befi-eundeten  Städten 
oder  Fürsten  ausgeliehen.  Es  wäre  aber  sehr  gewagt ,  von  diesen  wandernden  Meistern  darauf 
zu  schliessen,  dass  die  Festungsbaukunst  sich  niclit  in  nationaler  Weise  ausgebildet  hätte,  denn 
gerade  diese  eingewanderten  Meister,  wenn  sie  auch  manches  Eigenthümliche  und  Hergebrachte 
beibehielten,  eio-neten  sich  in  Folge  des  längeren  Aufenthalts  an  den  einzelnen  Orten  Vieles  der 
im  Lande  herrschenden  Form  an.  Übrigens  waren  diese  Männer  eigentlich  lücht  Baumeister, 
srmdern  Ingenieurs,  welche  blos  die  Anlage,  den  fortificatorischen  Plan  besorgten,  die  weitere 
Ausführung  der  Baulichkeiten  und  die  Ausschmückung  den  eiiduiiuischen  Meistern  überlassend. 


StITHEN    l'iuKK   BßFRSTIfiUNfiSBAlITKN    DKS   MiTTKL ALTERS.  1(17 

Zum  Beweis  aber,  dass  nicht  immer  eigentliche  Festungsbaumeister  derlei  Trutzbauten 
schufen,  sei  Albrecht  Dürer  genannt,  welcher  es  nicht  verschmähte,  sein  hohes  Talent  aucli 
diesem  Fache  zuzuwenden  und  die  schönen  Thürme  Nürnberg's  baute. 

Einen  wesentlichen  Unterschied  im  Charakter  der  Befestigungsbauten  bewirkt  das  dazu 
verwendete  Material,  nämlich  Stein  oder  Backstein.  Wir  wollen  auch  mit  Rücksicht  auf 
diesen  Umstand  nachfolgende  Betrachtung  gruppiren.  Der  Steinbau  gehört  dem  westlichen  und 
südlichen,  der  Backsteinbau  dem  östlichen  und  nördlichen  Deutschland  grösstentheils,  jedocli 
nicht  ausnahmslos  an.  In  jenen  Gegenden,  wo  Stein  nur  spärlich  zu  finden  war,  baute  man 
die  Befestigungswerke  aus  Backstein  und  es  übte  dies  Material  einen  sehr  grossen  Einfluss  auf 
die  Formenentwicklung  dieser  Bauten  aus.  Die  Erfordernisse  des  Festungsbaues,  wie  Zinnen,  Mord- 
gänge etc.  blieben  zwar  auch  hier  dieselben,  doch  die  äussere  Erscheinung  wird  durch  den 
Backstein,  man  könnte  sagen,  gemassregelt;  denn  man  machte  eben  nur  Formen,  welche  sich  im 
Thorniaterial  leicht  darstellen  Hessen.  Da  sich  aber  Friese  und  ähnlicher  architektonischer 
Schmuck  in  Thon  mit  viel  weniger  Mühe  herstellen  lässt,  so  sind  diese  Bauten  in  den  meisten 
Fällen  reicher  verziert,  als  die  Befestigungsbauten  aus  Stein. 

Die  Befestigungsbauten  aus  Backstein  kann  man  in  zwei  Partien  unterscheiden,  nämlich 
in  solche,  wo  die  Backstein-Technik  noch  roh  und  unausgebildet  war,  daher  diese  Bauten  blos  durch 
geschickte  Combination  der  gewöhnlichen  Mauerziegel  einigen  Scinnuck  erhielten,  und  in  solche, 
wo  die  Backstein-Technik  vollendet,  Gesimse,  Friese,  Masswerke,  Krabben  und  Kreuzblumen  aus 
Thon  gefertigt  wurden.  In  die  erste  Abtheilung  gehören  die  meisten  Backstein-Festungswerke 
Bayerns,  in  die  zweite  aber  die  norddeutschen  Befestigungsbauten,  in  Brandenburg,  Lübeck, 
Danzig  etc.  Gleichwie  sich  die  kirchliche  Baukunst  am  herrlichsten  an  den  Ufern  des  ehrwürdi- 
gen Rheinstromes  entfaltete,  dessgleichen  dürften  die  bedeutendsten  Steinbauten  des  die  Auf- 
gabe unserer  Betrachtung  bildenden  Arcliitekturzweiges  dort  zu  suchen  sein ,  woselbst  der 
Einfluss  der  rheinischen  Bauhütten  sich  im  Gesammtgebiete  der  Baukunst  geltend  machte. 
Dies  vorausgesendet,  wollen  wir  nun  unsere  Aufmerksamkeit  einigen  deutschen  Burgen  und 
Städten  widmen.  Noch  ist  zu  bemerken,  dass  die  fortiticatorischen  Bauten  sich  abtheilen  in 
eigentliche  Gebäude  zu  diesem  Zwecke,  wie  Burgen  für  sich  allein  oder  in  Städten,  Thürme, 
Tliorbauten,  Mauern,  und  in  fortificatorische  Zuthaten  zu  Gebäuden,  wie  Erker,  Pechnasen. 
Zinnen  etc.,  darauf  wir  unser  Augenmerk  nunmehr  richten  und  diese  einzelnen  Abtheilungen 
nacheinander  unter  Hinweisung  auf  bedeutendere  derartige  Beispiele  in  Betrachtung  zielien 
wollen. 

Die  wichtigsten  Profanbauten  des  Mittelalters,  die  fortificatorisch  ausgestattet  waren,  waren 
die  Burgen,  meist  einzeln  stehende  Wohnsitze  einzelner  Adelsfamilien.  Bei  diesen  Bauten 
finden  wir  blos  den  Zweck  der  Bewohnbarkeit  des  Baues  und  jenen,  diese  Wohnung  gegen 
jeglichen  Eindringling  zu  schützen,  im  Auge  behalten;  das  ästhetische  Element  wurde  wenijj 
beachtet.  Vor  allem  musste  freilich  die  Natur  dem  Gebäude  Schutz  gewähren,  daher  man  gewöhn- 
lich für  solche  Gebäude  einen  möglichst  schwierig  zugänglichen  Punkt  wälilte,  insbesonders 
wenn  diese  Gebäude  noch  eine  zweite  Bestimmung  hatten,  wie  als  Thal-  oder  Flusssperre  etc. 
Allein  manches  musste  noch  die  Kunst  hinzufügen  und  wir  finden  daher  diese  Gebäude  mit  ludien 
Mauern  des  Wohnhauses,  wenig  Aussenfenstern,  mit  mächtigen  Ringmauern  sammt  Zinnen  und 
Erkern  darauf  und  Gräben  davor,  mit  wenigen  und  wohl  vertheidigbaren  Thoren,  mit  einem 
oder  mehreren  mächtigen  Thürmen  u.  s.  f.  ausgestattet.  Freilich  wohl  boten  diese  Bauten  im 
grossen  Ganzen  wenig  Gelegenheit,  Symmetrie,  Schmuck  und  zierliche  Formen  anzubringen  und 
dennoch  hat  der  menschliche  Kunstsinn  keine  Gelegenheit  vorübergehen  lassen,  aucli  dort  seine 
Wirksamkeit  zur  Geltung  zu  bringen.  Dies  war  hauptsächlich   bei  jenen  Burgen  der  Fall,   die  auf 

16* 


\{)S 


ScHii.rz    FkueNcz. 


*    fiiuni    Terrain    anoelewt    wiir'ltii.    ilas    (iurcli    seine 

(iruniltorni  und  seine  Hölien-IHrt'erenzen  ilit-  sdiöne 

:±  ulfifhniässig^e  Aiisfiilirunor  des  Baues  wesentlich  be- 

v:   einrriiclitijrte.    wie   z.   B.    bei   auf  Felsenkiijjjien    und 

;   Bergliölien  erbauten  Bui-iren.    In   derlei   Källen  hörte 

Jj  jede  Symmetrie  auf  und  man  ersetzte  bisweilen  ijern 

^  diesen  Mang-el  dadurch,  dass  man  der  Kunst  behufs 

J  der  Verschönerunjjf  des  Baues  unbeschadet  des  Haiiitt- 

z|  Zweckes  hie  und  da   freii-  Hand  Hess.    Wie  nun  trotz 

5   des  unijünstitren  Terrains   dennoch  eine   iriosse  und 

3  niäclitiir  erirreifende  Wirkuno-  für  das  Au^e  bei  derlei 

5   Bauten   erreicht   werden   konnte ,    mögen   die    beijre- 

-=  ^ebenen  Ansichten    der  Burg  Dietz    im  Lahnthale 

^^  (Fig.    1)   und  eines  Theiles  der   Marlnni;-    Fig.  i)  ' 

veranschaulichen. 

Beide  Bauten  wurden  nach   strategischen  Ge- 

^ setzen    zurecht   üeleyt    luid    man   beirnüiite   sich    die 

nöthigen  Zinnen.  Erker,  Fenster  und  besonders  das 
Dachwerk  zu  schmücken.  Es  tragen  die  zahlreichen 
vielförmigen  Thurmdächer  und  Spitzthürmchen  nicht 
wenig  zu  dem  malerischen  Ansehen  der  beiden 
Burgen  bei.  Sie  beleben  die  Silhouette  und  geben 
areziert  mit  Wim])el  und  Wetterfahnen  dem  Ganzen  einen  kecken,  kühnen  Charakter. 

Erwähnung  verdient  auch  die  Burg  Trausnitz  in  Bayern.  An  den  vielen  liöchst  abenteuer- 
lichen Zinnenformen  und  derartigen  Aufl>nuten  an  den  Giebeln  dieser  Burg  konmit   das  Spieleu 

mit  dem  gewöhnlichen  Backstein   zum   klaren   Aus- 
druck und   sind  diese  Gebilde  nicht   ohne  architek 
/f\;5«K?*  ;  tonischen    Werth ,    wenn    auch    hart    und    roh ;    wir 

werden  im  Verlaufe  dieser  Abhandlung  noch   Gele- 
genheit finden.  Einzelnes  dieser  Burir  zu  V)es])rechen. 


Fi^'.   I     l)ii-tz 


/. 


t/y  .O  c/t-'4.C*  if^ 


Fi",'.  2    .Miirtiurg  . 


tifc.  o  c Andfrnacli 


1  Wir  }?eben  nur  den   wcni^fr  bekannten  Theil    der   .-icliüiicii  Marliurg.    Diese   Barjj|)arde  li:in;fi  mit  dem   H;mi(tjr''liaudti 
durch  einen  Schwibbogen  zusammen.  Besonders  zierlieh  ist  das  Dachwerk  an  diesem  Gebäudeflügel. 


SirUlEN    i'KKU   BEFBSTIGrNGSBAÜTEN    DES   M ITTKL  ALTKKS. 


im> 


w    ^_^-fi;  iiTH    Ihm 


In  den  deutschen  Stiidten  konnnt  es  nicht  selten  vor,  dass 
einzehie  Adelsfamilien  daselbst  l)efestio-te  Gebäude  besassen; 
dieselben  waren  meistens  etwas  abseits  gelegen,  häufig  aber 
innerhalb  der  Stadtrin^mauer  und  bildeten  zur  Zeit  der  Be- 
drängniss  das  Castell  der  Stadt,  obgleich  es  auch  vorkommt, 
dass  die  Bewohner  der  Stadt  mit  dem  Schlossherrn  in  Kampf 
und  Fehde  lebten. 

Eine  solche  ganz  interessante  Burg  befindet  sich  zu  An- 
dernach, einer  am  linken  Rheinufer  gelegenen  Stadt,  die  noeli 
jetzt  einige  mittelalterliche  Befestigungsbauten  besitzt,  \velclie 
wegen  ihrer  hohen  künstlerisclien  Vollendung  aufim  rksanif 
Beachtung  verdienen. 

Die  am  C'oblenzer  Tlior  gelegene  Burg  ist  freilich  bis  auf 
den  grossen  Viereckthuriii  eine  völlige  Ruine,  doch  erkennt  man 
iu)ch  aus  den  Mauerresten  die  Mächtigkeit  des  früheren  Gebäu- 
des. Den  Grundriss  dieser  Burg  gibt  uns  Fig.  3.  Ein  breiter 
Graben  zieht  sich  um  die  Aussenmauer  der  Burg  und  eine 
zweite,  die  ganze  Stadt  sammt  Burs:  umsäumende  Mauer  bildet 
die  äusserste  Vertheidigungslinie.  Ein  dieser  Mauer  angehöriger 
Thorthurm  liegt  der  Burg  und  zwar  dem  mächtigen  noch  beste- 
henden Hauptthurme  gegenüber  und  wird  nur  durch  den  Burg- 
graben davon  geschieden.  Dieser  Thorbau  ist  ein  niederer 
Bau,  welcher  mit  Zinnen  schliesst.  In  den  kleinen  Thorhof,  den 
die  vier  Wände  des  Thorbaues  umschliessen,  laufen  den  Zinnen 
entlang  Mordgänge.   Der  Eingang  ist  dreimal  zu  verschliessen, 

und  zwar  durch  ein  Fallg-itter,  und  ein  Thor  an  der  äusseren,  und  danii  noch  durch  ein  zweites  Thor 
an  der  Stadtseite.  Die  Thorbogen  haben  2  Klafter  Spannweite  und  sind  sehr  schön  und  kräftig 
protilirt,  die  Laibung  des  Profils  beträgt  eine  Klafter.  Knapp  am  erwähnten  Burgthurm  wird  der 
Graben  mit  einer  massiven  schönen  steinernen  Brücke  überspannt,  daran  der  letzte  Bogen  fehlt. 
der  durch  eine  Zugbrücke  ersetzt  wird.  Von  dieser  Brücke  gelangt  man  durch  ein  Thor  (Fig.  i) 
in  einen  Gang,  welcher  unter  dem  im  ersten  Stockwerke  befindlich  gewesenen  Saalbau  hinweg 
zu  dem  inneren  Burghof  fülu-t.  Der  Saalbau  nahm  die  ganze  Länge  der  Vorderfront  zwischen 
dem  quadratischen  und  dem  grossen  runden  Thurm  ein.  Die  FaQade  des  Saalbaues  würde,  wenn 
dieselbe  nicht  mit  dem  weit  ausa'ekrag-ten  Bogenfi'ies  versehen  wäre,  welcher  mit  Wm'tlöchern 
versehen  ist,  ganz  den  Eindruck  einer  Palast-Fa^ade  des  Mittelalters  machen,  denn  die  grossen 
mit  Steinkreuzen  solid  construirten  Fenster  sind  ganz  so,  wie  sie  am  Rhein  an  vielen  Bauten 
profanen  Zweckes  vorkommen:  nur  werden  sie  von  oben  eben  durch  die  Wurflöcher  des  Bogen- 
fi'ieses  geschützt. 

Über  die  Brücke  schreitend  gelangt  man  ungefähr  in  der  halben  Länge  derselben  zu  einer 
kanzeiförmigen  grossen  Auskragung,  welche  dadurch  ermöglicht  wird,  dass  sich  an  den  einen 
Brückenpfeiler  ein  gewaltiges  Stein-Profil  ansetzt;  von  diesem  erkerartigen  Vorsprung  kann  man 
die  ganze  Brücke  nach  unten  übersehen  und  bestreichen. 

Die  Pforte,  welche  an  der  Brücke  in  den  Saalljau  führt,  ist  als  Muster  einer  Zugbrücken- 
pforte zu  betrachten.  Die  7'  breite  spitzbogige  Thür  ist  in  einen  viereckigen  Rahmen  gefasst,  in 
welchen  die  Brücke  einschlägt.  Oben  rechts  und  links  vom  Spitzbogen  sind  Scharten,  hinter 
welchen  sicli  die  Zugräder  betindeii  und  durch  welche  die  Zugketten  uehen;  unten  aber  sind  die 


IIU 


Schi 


'  EUEN(.Z. 


Fig.  5  (Andernach;. 


Allgelsteine  der  Zujr'ji"ücke.  Über  dem  Thor  ist  eine 
mit  Seg-ment-Boo^eii  i^f  .-jchlossene  Nische ,  in  welclier 
wahrscheinlich  ein  Heiliireiibild  angfebracht  war.  Die 
Zu<rbriicke  oder  respective  der  Eingang  durch  diese 
Pforte  wird  ausgiebig  durch  einen  grossen  WurtVrker 
geschützt,  welcher  darüber,  hoch  oben  auf  dem  Haupt- 
gesimse angebracht  war  und  wovon  noch  die  Krag- 
steine vorhanden  sind. 

L)er  dsuan  st«jssende  viereckige  Thurm  von 
f>  Klatter  Durchmesser  ist  die  Hauptzierde  der  An- 
lage; derselbe  erhebt  sich  auf  hohem  Sockel  aus  dem 
Graben,  geht  ungegliedert  in  wuchtiger  quadratischer 
Masse  bis  hoch  übers  Hauptgesims  des  Saalbaues, 
und  schliesst  oben  mit  reizenden  Seitenerkern  und 
Dachwerk;  die  senkrecht  über  einander  angelegten 
Fenster  sind  durch  einen  darüber  angebrachten  Wurf- 
erker zu  bestreichen  und  zu  schützen. 
Die  zwei  Eckerker  haben  reizendes  Detail  und  sind  in  höchst  sonderbarer  picanter.  nur 
am  Rhein  vorkommender  Weise  ausgekragt  (Fig.  5).  Rechts  und  links  von  dem  Wui-ferker  sind 
je  zwei  gi'osse  und  zwei  kleine  Fenster  angebracht,  und  wir  glauben,  dass  bei  Angriffen  die  grossen 
Fenster  ven-ammelt  wurden,  hingegen  die  kleinen  als  Scliiessscharten  dienten.  Auf  der  Rückseite 
liat  der  Tluirm  keinen  Erker,  dort  ist  nur  die  Thurmtreppe  angebracht'. 

,  Ein  Befestigungsbau  par  excellence  und  von  ganz 

besonderer  architektonischer  Wirkung  ist  die  ilarien- 
burg  bei  Danzig.  Leider  hat  diese  schöne  Burg 
durch  unverständige  Restauration  stark  gelitten  ^ 

Ein  schönes  Beispiel  einer  kleinen  Ritterburg 
in  einer  Stadt  bietet  Boppart  in  dem  Hause  Schwal- 
bach (Fig.  6).  Es  ist  dies  ein  viereckiges  Gebäude 
von  massigen  Dimensionen.  Nach  einer  Seite  schliesst 
sich  an  diesen  Baukörper  die  Burg-Capelle,  nach  der 
anderen  Seite  aber  ein  Treppenthurm  an.  Das  Gebäude 
ist  zwei  Stock  hoch,  hat  gute  mit  Steinrahmen  und 
Steinkreuzen  versehene  Fenster  und  Bogenfries  am 
Gesimse  des  Hauptbaues  und  der  Capelle.  Der  Hof- 
raum  ist  mit  Zinnenmauena  umschlossen  und  der  Bau 
gegen  den  Rhein  mit  einem  Wurferker  und  zwei  Eck- 
erkern versehen  *. 

Übersehend  zu  den  einzelnen  Arten  der  selb- 
ständigen  und  vom  Wohngebäude  getrennten  \  er- 
theidigungsbauten  der  Burgen  und  befestigten  Städte. 


<.-i^ 


Fijf.  6  (Boppart,  Schwalbach  i 


-  Bei  dieser  Gelegenheit  wollen  wir  noch  des  durtigen  und  in  Fig.  3  sichtbaren  colossalen  runden  Thurmes  erwähni-n. 
wi.-lcher  einst  gewiss  mit  schönem  Dachwerk  versehen,  viel  zur  Schönheit  der  Burg  beigetragen  haben  mag;  jetzt  ist  dersellte 
Knine  und  nur  noch  bis  etwas  über  das  Hauptgesims  des  Saalbaues  erhalten. 

3  Das  Werk  von  Fritsch,   welches   noch   vor   der  Restauration   erschien,    gibt   zw.ir   nicht   genügende,    aber  doch  an 
nähernde  Auskunft  über  diesen  Musterbau. 

*  Diese  kleine  Burg,  deren  Dachwerk  abgebrannt  war,  wurde  jüngst  so  gelungen  restaurirt,  ilass  man  mit  vieler  tirwis-s- 
heit  annehmen  kann,  der  Bau  habe  früher  ähnlich  ausgesehen. 


Stiiiien  i'hku  Bekestigungsbaiten  HKS  Mittelalters. 


11 


iPflllfTn^lf 


FiK- 


■  iTnuisuitz  . 


g-lauben  wir  zuerst  die  Ring- mauern  erwähnen  zu 
•sollen.  Die  Ringmauern  waren  meistens  einfache  Mauern. 
oben  theils  horizontal  abgeschlossen ;  tlieils  und  zwar 
öfters  war  ihr  oberer  Abschluss  zu  einer  nachdrück- 
licheren Vertheidigung  eingerichtet  und  desshalb  mit 
Zinnenreihen  versehen,  die  häufig  auf  Mauerauskra- 
gungen ruhten.  Diese  ausladenden  Werke  haben  einer- 
seits den  Zweck,  die  Kronenbreite  der  Mauern  zu  ver- 
breitern .  um  mehr  Raum  zu  gewinnen ,  anderseits  sind 
zwischen  den  die  Auskragung-  vermittelnden  Consolen 
Öffnungen  angebracht,  um  daraus  senkrecht  auf  die 
uinnittelbar  an  die  Mauer  gelangenden  Belagerer  Steine 
zu  werfen  oder  siedendes  Wasser ,  brennendes  Pech 
herab  zu  giessen. 

Die  Zinnen  hatten  die  Bestinnnung,  den  dahinter  stehenden  Mann  zu  decken  und  ihm 
in  ihrem  Zwischenräume  Gelegenheit  zu  geben ,  nicht  nur  die  vom  Feinde  am  Fusse  der  Mauer 
gegen  selbe  unternommenen  Arbeiten  von  oben  herab  beobachten ,  sondern  auch  dagegen  wirken 
zu  können,  indem  er  gedeckt  sein  Geschoss  gegen  den  Feind  schleudert.  Es  bestanden  daher 
hinter  den  Zinnen  gewissermassen  Gänge,  die  entweder  durch  die  Mauerbreite  selbst  gegelien 
waren,  oder  wenn  die  Mauer  nicht  ausgekragt  war,  durch  eine  innen  an  die  Mauer  anschlies- 
sende hölzerne  Galerie  ersetzt  wurden.  Solche  hölzerne  Mordgänge  finden  wir  noch  an  vielen 
Stellen  in  der  Burg  Trausnitz  erhalten,  wovon  wir  in  Fig.  7  eine  Abbildung  geben.  Diese 
Galerie  führt  längs  der  Innenseite  der  äussersten  niedrigen  Burgmauer  herum.  Sowohl  die 
Zinnen  wie  auch  der  Mauerkörper  sind  mit  Schussscharten  durchbrochen,  und  ist  der  hölzerne 
Laufgang  in  der  Art  construirt,  dass  er  theils  auf  senkrecht  auf  der  Mauer  gestützten,  theils 
auch  auf  schiefgestellten  Tragbalken  ruhet.  Der  Laufgang  ist,  wie  dies  in  vielen  Fällen  geschah, 
durch  Dachwerk  geschützt.  Den  ersten  Anlass  zur  Entstehung  der  vorgekragten  Galerien  dürften 
jene  hölzernen  Werke  gegeben  haben,  die  man  schon  im  XII.  Jahrhundert  am  Rande  der  Ver- 
theidigungsmauern  errichtete.  Allein  die  Feuergefährlichkeit  dieser  hölzernen  Werke ,  die  der 
Belagerer  anzuzünden  strelite,  so  wie  die  Möglichkeit,  sie  durch  herangeschobene  Thürme  leicht 
vernichten  zu  können,  machte  die  Herstellung  von  Steinbauten  wünschenswert!!  und  so  sehen 
wir  im  XH'.  und  XV.  Jahrhundeit  selir  liäufig  die  Mauern  mit  eben  den  ausladenden  Zinnen- 
kränzen umgeben. 

Bei  Steinbauten  gaben  die  Zinnen  wenig  Gelegenheit,  an  denselben  architektonischen 
Schnuick  anzubringen.  Anders  ist  es  bei  Backsteinbauten,  hier  haben  die  Zinnen  sogar  eine 
etwas  geänderte  Form.  Das  was  man  bei  Steinbauten  des  Bedürfiiisses  wegen  schaffte,  das  stei- 
gerte sich  in  manchen  Fällen   an   den  Backsteinbauten   durch  Gestaltung   der  Details  und  dui-cli 

reiche  Gliederung  zu  reichem  Selnnucke. 
Nicht  allein  an  ilen  Ringmauern  finden  wir 
Zinnenanlagen ,  auch  an  Thürmen ,  über 
Thoren  und  an  den  Wohngebäuden  selbst; 
sie  dienten  da  entweder,  um  die  Wider- 
standsfähigkeit der  ersteren  noch  zu  erhö- 
hen, oder  bei  den  letzteren,  um,  wenn  der 
Feind  schon  die  Ringmauern  überwältigt 
hatte  ,     einen     weiteren    Widerstand    und  Fig.  a  iM^irieubiii-;. 


2^3 


Fix-.  •-*    Pr>.'u  zlaii). 


Ii: 


ScHii.cz  Fekencz. 


Fijf.   11'  ^Mariciiliurfr/. 


iiaiiu'iitlich  eine  Vertlieidig'un^  des  Buro-g-ebäudes 
noch  niöfrlich  zu  niaclun.  Bei  ThUrnien  linden  sicli 
niclit  blüs  am  oberen  Rande  solche  Zinnen<>alerien, 
manche  haben  sie  auch  in  halber  Höhe,  wenn  sich 
der  Thurmkörper  abstuft.  Diese  vorgekrag;ten  Gale- 
rien brachte  mau  auch  dann  gerne  an,  wenn  es  sich 
um  eine  Verbindung  der  an  den  Thurm  anstossenden 
zwei  Mauern  handelte  und  diese  Verbindunj^  nicht 
durch  den  Thurm  selbst  gehen  sollte. 

Wir  erwähnen  beispielsweise  der  Zinnen    am 
Stadtthore  zu  Prenzlau.   Dieselben  haben  oben  ein 
Backstein-Protil  und  sind  darüber  nach  innen  geneigt 
mit  Holzziegeln  abgedeckt.    Jede  dieser  Zinnen   ist 
nach    aussen    mit    einem    Wappenschild    versehen, 
dessen     vertiefter     Grund     heraldisch    bemalen    ist 
(Fig.  8).  An  den  Zinnen  der  Marienburg  ist  Back- 
stein und  Stein  combinirt  und  zwar  ist  der  Körper  der 
Zinnen  aus  Ziegeln,  während  das  eingesetzte  Masswerk 
aus  Stein   ausgeführt  ist   (Fig.  9).    Ganz  zierlich  ist  der 
stark  ausgekragte  Zinnenkranz  an  den  Eckpfeilern  jenes 
dem  XIV.   Jahrhundert   angehörigeu   Theiles ,    der    den 
Remter   enthält    (Fig.    10).    Die    mächtige    Wirkung   ent- 
springt daraus,    dass   durch  verschiedene   hohe  und  weit 
ausgekragte  Consolen  ein  Achteck  über  dem  viereckigen 
Pfeiler  gebildet  wird.   Der  Verscliiedenheit  der  Consolen 
entsprechend,  sind  sie  in  mehrere  Absätze  getheilt,  keh- 
lenförmig  gegliedert,  auf  Bogen  mit  einander  verbunden, 
mit  decorativen  Friesen  und  Masswerk  geschmückt  und 
trageji     ähnlich    geschmückte    Zinnen.     Bemerkenswcrth 
sind  die  Zinnenkränze  an  den 
Thüi-men   der  Rheinseite  der 
Stadt  Cöln;  sie  sind  zit)lich 
gegliedert   und   wenig  auslatlend;   :mf  der  Ausladung'  rnlut  l)lns  dii- 

Schutzwehrc,    die   nncli   nuten  kli'iiie   Guss- 
h'iclier  hat  (Fig.   1  1 ). 

Gar  liäufig  sank  die  Bestimnning  «Kr 
Zinnen  ziu'  einfachen  Zier  herab  (Zierzin- 
ncnj.  Solche  tin/len  wir  an  vielen  Rathhäu- 
sein  und  Kii'cli(n.  wie  z.  B.  an  der  Marien- 
kirche zu  Danzig  (Fig.  12).  Sie  sind  meist 
von  i-iesigen  Dimensionen,  fast  giebelfianiig, 
oder  ganz  klein  und  krönen  das  llaupt- 
gesimse  des  ganzen  Gebäudes  oder  doch  der 


Fig.   11  (C'iiln). 


I 


3»«B*>>>»«waSe?S«K^ 


Fig.  12  (Danzig). 


Fa<;aile,  oft  nui   die  Portal-x\iisl);niteii 


*  Wir  geben  hier  aucii  lieiapielswei^e  imcliträtflicli 
zieren  (Fig.  13^ 


Fig.   13  I Basel). 
MiliildiMcL'  ilir  klciiifii  Striii/.liiiicii ,  die  (lau  Katiiliaus  zu  Hasel 


PtI'DIKN    VHKI:   BEFESTIGUNGSBArTEX   DKS   MiTTKI.Ar.Tr.RS. 


113 


Fisr.   1.')  ffoblenz) 


WUff 


Flg.   Ib  (Aachen). 

Einen  wesentlichen  Verstärkungsbau  nicht  nur  der  Zinnenmauern,  sondern  auch  der  Büro- 
gebäude selbst  bilden  die  Erker,  d.  i.  auf  consolartige  Unterlagen  gestützte,  aus  dem  Mauer- 
körper frei  hervortretende  Ausbauten.  Man  brachte  sie  gerne  dort  an,  wo  es  nothwendig  schien, 
langgedehnte  Mauerstrecken  zu  bestreichen,  dessgleichen  an  Mauerecken  u.  s.  w.  Da  sie  einen 
vorzüglichen  Standpunkt  für  die  Vertheidigung  boten,  so  wendete  man  sie  auch  über  den  Thoren, 
an  Thürmen  etc.  an.  Sie  waren  tlieils  mit  Fensteröffnungen  theils  mir  Falllöchern  theils  mit 
beiden  versehen,  je  nachdem  nämlich  ihre  Bestimmung  es  forderte.  Wir  werden  in  dem  Verlaufe 
unserer  Betrachtungen  wiederholt  Gelegenheit  haben,  auf  solche  Erker  und  zwar  von  verschie- 
denen Grössen  aufmerksam  zu  machen,  und  wollen  uns  hier  mit  der  Abbildung  eines  solclien 
thurmartigen  Erkers,  der  sich  beim  Holzthore  in  Mainz  betindet,  begnügen  (Fip-.  14). 

Wir  haben  schon  früher  erwähnt,    wie  gern  die  Profan baukunst  gewisse  Formen  und  ganze 
constructive  Pax'tien  aus  der  Befestigungsbaukunst  übernahm.   Sehr  beliebt  waren  in  dieser  Be- 
ziehung die  Erker.    So  sehen  wir   am   Rathhause  zu  C  ob  lenz   hoch  üben  am  Hauptgesimse   der 
Ostfronte  Lug-Erker  von  zierlicher  Gestalt  angebracht.   Es  sind  achteckige  Ausbauten  von    lU 
Durchmesser,  die  mit  dem  Dachwerke  in  Verbindung  stehen  (Fig.  15). 

Nicht  minder  zierlich  ist  der  zur  Vertheidigung  mit  Schusswaffen  eingerichtete  Erker  an 
einem  Hause  zu  Düren  bei  Aachen  (Fig.  16)  und  ist  bei  demselben  der  Zweck  durch  die  hohe 
Brüstung  und  die  kleinen  Fenster  noch  mehr  charakterisirt.   Dieser  5'  breite  sechseckige  Erker 
sitzt  an  der  Ecke  des  Gebäudes  und  currespondirt  mit  dessen  erstem  Stockwerke. 
XIV. 


17 


114 


SOHTLCZ    FeREKZ. 


Alle  diese  Erker,  die  erst  beim  Gesimse  der  Ge- 
bäude anfangen  und  ein  oder  zwei  Stockwirke  hoch  sind, 
haben  einen  defensiven  Zweck ;  sie  sind  Elemente  der 
Kriegsljaukunst,  die  in  die  bürgerliche  Ai'cliitektur  ül)er- 
tragen  wurden,  gleich  den  Zinnen,  welche  die  Gebäude 
krönen.  Veitheidigung  der  Gebäude  war  bei  ilinr  ursprüng- 
lichen Anlage  der  Grundgedanke,  aber  die  Anlage  dersel- 
ben hatte  sich  so  in  die  Augen  der  Mensclien  eingelebt, 
dass  man  sie  auch  da  aidegte,  wo  es  sicli  nicht  um  eim- 
Veitheidigung  handelt,  sondern  wo  blos  ästhetische  Gründe 
massgebend  waren,  da  man  in  ihnen  das  geeignetste  Mittel 
fand,  den  bürgerlichen  Trutz  im  Gt-l)iiude  zu  charakteri- 
.siren.  Hübsche  Erkerbauten  sehen  wir  auch  am  Rathhaus 
zu  Bremen  (Fig.  17). 


!■  ig.   1 7    lirciiK-n  . 


Fig.   18  ( Aachen,. 

P]ine  der  wichtigsten  Bauten  bei 
Burgen  und  befestigten  Orten  waren 
die  Thure.  Sie  waren  eben  die  Ver- 
mittler des  Verkelirs ,  mussten  daher 
aucli  bei  lierannahcnder  Gefahr  mög- 
lichst lang  offen  gehalten,  aber  audi, 
falls  sie  verschlossen  wunUn .  hinrei- 
chend verrammelbar  und  ausgiebig 
vertheidigbar ,  so  wie  nach  Bedarf 
schnellstens  wieder  eröffenbar  sein. 
Wir  kennen  iii;iiinigfaltige  Formen 
der  Thore;  entweder  waren  sie  ein- 
fache Bdgeiiöffiumgen  in  den  Mauern, 
in  welchem  Falle  sie  durch  Erkerbau- 
tiu  meistens  durch  einen,  oder  was 
seltener  vorkommt  .  durch  mehrere 
Thürme  an  (hii  Seiten  <rescliützt 
wurden,  oder  es  rulite  auf  dem  Bogen 


Studien  über  Befestigi-ngsbauten  des  Mittelalters. 


ii;> 


der  Vertheidigungsthurm  selbst ,  die  gewöhnlichste  Form.  Eine  besonders  seltene  Art  der  Thore 
bildet  sich ,  wenn  die  beiden  Thorthürme  durch  einen  Bosren  oben  zu  einem  Ganzen  vereint  und 
dann  mit  einem  gemeinschaftlichen  Dache  überdeckt  wurden.  Da  der  Graben  eine  mit  dem  Thore 
in  inniger  Verbindung  stehende  Vertheidigungseinrichtung  bildete,  so  führte  über  denselben 
dann  eine  Brücke,  die  in  ihrer  letzten  Abtheilung  als  Zugbrücke  eingerichtet  war.  Häufig  kommt 
es  auch  vor,  dass  das  Thor  mit  einem  kleinen  Hofe  (einer  Ai-t  Vorhof)  versehen  war,  aus  welchem 
erst  durch  ein  weiteres  Thor  der  Eintritt  in  den  befestigten  Platz  raöo-lich  wurde. 

Das  befestigte  Thor  zu  Aachen  (Fig.  18),  das  mit  dem  Wienerthor  zu  Hainburg  eine  sehr 
auffallende  Ähnlichkeit  hat,  besitzt  einen  solchen  Vorhof  gegen  die  Stadtseite.  Auf  der  Aussenseite 
präsentiren  sich  zwei  runde  Tliürme,  welche  ganz  oben  dm-ch  einen  halbkreisförmigen  Quader- 
bogen verbunden  sind.  In  die  hiedurch  gebildete  Halle  eintretend,  sehen  wir  rechts  und  links 
grosse  Nischen,  vor  uns  aber  den  rundbogigen  Thorbogen  mit  seinem  Mordgang  und  der 
Zinnenbrüstung,  hinter  welchem  sich  ein  weiterer  niederer  Bogen  befindet,  an  dem  der  Fall- 
rechen angebracht  ist,  der  zwischen  dem  Mauerwerk  herabfiel.  Der  erwähnte  Mordgang  ist  von 
beiden  Seiten  des  Thorbaues  zugänglich.  Über  dem  niedrigen  innersten  Thorbogen  steht  in  einer 
Nische  auf  einer  Console  die  Figur  des  Schutzpatrons  und  zu  beiden  Seiten  sehen  wir  durch 
die  Mauer  laufende  Schlitzen,  welche  wir  als  füi-  die  Zugketteu  bestimmt  annehmen  wollen,  indem 
wahrscheinlich  bis  zu  dieser  inneren  Pforte  der  Graben  sich  ausbreitete  und  erst  dort  die  Zuj;- 
brücke  herabklappte. 

Ein  ganz  interessanter  Bau  ist  das  Rheinthor  zu  Andernach,  das  sich  im  Norden  der 
Stadt  befindet  und  unmittelbar  an  den  Rhein  führt.  Wie  der  Grundriss  (Fig.  19)  zeigt,  hat  es  eine 
doppelte  Hofanlage  und  wird  der  Eingang  durch  den  sich  über  ihm  erhebenden  Bau  geschützt. 
Leider  hat  das  ganze  Gebäude  dadurch  wesentlich  an  Charakter  verloren,  dass  in  der  Renaissance- 
zeit das  Dach  umgestaltet  wurde.  Die  Rheinseite  (Fig.  20)  des  Baues  ist  die  weitaus  reichere. 
Auf  einem  mit  Bossenquadern  aufgerichteten  Unterbau,  in  dessen  Mitte  zurücktretend  sich  der 
hnll)ki-eisförmige  Thorbogen  öffnet,  sitzen  an  den  zwei  Ecken  in  geistreicher  Weise  ausladende, 
aus  dem  Achteck  construirte  Erker.  Die  Consolen  werden  durch  einen  über  die  Mitte  laufenden 
rundbogigen  Consolenfries  verbunden.  Die  Stadtseite  des  Baues  (Fig.  21),  welche  in  ihren  ein- 
faclien  regelmässigen  Formen,  trotz  des  verwahrlosten  Zustandes,  ein  höchst  malerisches  Bild 
gibt,  lässt  beinahe  einen  älteren  Ursprung  vermuthen.  Es  ist  möglich,  dass  dieses  Thor  in  roma- 
nischer Zeit    erbaut,    in  gothischer  Periode    blos    theilweise    umgestaltet  wurde.    Zunächst  der 


Fig.  SQ  (Andernach). 


Y'vi,.  19  (Aiideniiicli). 


Fig.  -Jl  (Andernach). 
17* 


ScHlLCZ     Fr.KESCZ. 


|||-.; 


1 


iiiufien  6tite  des  Thores  sehen  wir  einen  achteckifien  Tliurm 
;uifrebaut.  in  dessen  Innerem  die  Stie<re  in  die  oberen  Räume 
lies  Tliores  und  auf  die  Mauer  tiihrt.  Ganz  in  der  Xälie  dieses 
Tljores  befindet  sich  ein  DopjieUhor  (Fig.  22;  mit  ausge- 
sprochenem Befestigungscliarakter. 

Von  den  aus  Backstein  aufgeführten  Thoren  zu  Tan- 
srermündc*  bringen  wir  in  Fig.  23  eines  der  interessan- 
testen. Leider  steht  nur  mehr  der  äussere  Tliorbogen  und 
der  Thurm.  der  das  Thor  schützte,  der  Thorhof  ist  ab^'e- 
brochen.  Noch  erkennt  man  an  der  einen  Seite  des  Thurmes 
den  Anlauf  des  zweiten  Tliorbogens.  so  dass  der  Thurm  die 
Aufgabe  hatte,  die  beiderseitigen  Thore  zu  schützen.  Der 
Thunn  selbst,  im  unteren  Grundriss  quadratisch,  geht  in 
der  Höhe  der  Stadtmauer  ins  Achteck  über,  und  sind  diese 
Felder  mit  blinden  Masswerkfenstern  versehen.  Üben  schliesst 
der  Bau  mit  einer  horizontalen  Zinnenterrasse.  Als  beson- 
deres Vertheidigungswerk  besitzt  dieser  Bau  unterm  obersten 
Gesimse  vier  reizende  Erker,  jeder  mit  zwei  Schiessscharten  versehen.  Das  Detail  der  Erker,  Giebel 
und  Krabben,  so  wie  das  Masswerk  der  Fensternischen  ist  in  gebranntem  Thon  ausgeführt. 

Das  Piritzerthor  zu  Stargard  (Fig.  24}  kann  man  hinsichtlich  seiner  architektonischen 
Gestaltung  als  eine  Ausnahme  von  der  gewöhnlich  üblichen  Thoiformation  nennen.  Es  ist  wie 
ein  Haus  ausgeführt  und  enthält  in  sich  den  gedeckten  Hof  als  grosse  Thurhalle.  Der  Bau  ist 
viereckig,  misst  6  Klafter  pr.  Seite,  und  ist  mit  einem  hohen  Satteldach  überdeckt,  welches  gegen 
die  Feindes-  und  Stadtseite  mit  einem  hohen  abgetreppten  Giebel  versehen  ist.  Zu  oherst  des 
Daches  erhebt  sich  ein  der  neueren  Zeit  angehöriges  Thürm-  ^ 
chen  mit  der  Sturmglocke  darinnen.  Betrachtet  man  den  Bau  ^ 
von  der  Feindesseite,  so  findet  man,  dass  er  sich  als  vier- 
eckiger ungegliederter  hoch  aufsteigender  Körper  bis  zu 
seinem  Hauptgesimse  erhebt.  Man  könnte  sagen,  das  Gebäude 

habe  nach  dieser  Richtung 
zwei  Wände  knapp  hinterein- 
ander. Die  erste  derselben  ist 
durch  einen  sehr  hoch  oben 
angebrachten  Spitzbogen  ge- 
öftiiet,  und  erst  die  zweite 
Wand  enthält  den  eigentlichen 
Thorbogen,  welcher  kaum  die 
hallte  Höhe  des  ersten  Bo- 
gens  erreicht.  Die  senkrechten 
Schenkel  des  ersten  Bogens 
haben  an  ihren  Ecken  tiefe 
Einschnitte,  in  welche  sich  die 
aufgeklappte  Zugbrücke  legte. 


Fig.  23  i/l'augeiuiunde^. 


:>4  (Starganl  . 


«  Wir  können  dieses  Thor,  so  wie  die  Thürme  and  Thore  zn  Stendnl  zn    dem  Edelsten  rechnen,  das  die  Befestigiings- 
liaukonst  in  Backstein  geschaffen  hat.    S.  Adler's  Backsteinbauten  der  Mark  Brandenburg. 


Studien  über  REFESTiGUNGSUArTKN  des  Mittelalters. 


1i 


Fifi 


(Mariciil)urg'). 


für  die  Ketten  sind  Scdditzen  in  der  zweiten  Wand  rechts  und  links 
über  den  Thorbooen,  für  die  Räder  Nischen  daselbst  angebracht. 
Zwischen  den  zwei  Spitzbogen  befinden  sich  über  dem  Thor  bogen 
zwei  sehr  gestreckte  Blindfenster,  in  welchen  vier  Scliiessscharten 
zum  directen  Schutz  der  Brücke  angebracht  sind;  die  eigentliclie 
Fa9adenwand  ist  unterm  Hauptgesimse  mit  sechs  Schiessscharten 
oder  besser  gesagt  mir  Schussfenstern  versehen;  über  dem  Haupt- 
gesimse erhebt  sicli  ein  reicher  Giebel  mit  sogenanntem  Katzen- 
steig geziert.  Es  ist  dieser  Giebel  in  11  Zinnen  ausgezackt,  unter  je 
einer  Zinne  befindet  sich  ein  in  den  Mauergrund  vertiefter  Schild. 
Die  Fläclie  des  GieV)els  ist  in  eine  Anzahl  spitzbogig  geschlossener 
langgestreckter  BlcTidnischen  getheilt;  sowohl  die  Schilder  als 
auch  die  geputzten  Hintergründe  dieser  Nischen  waren  früher  bemalt.  Durch  den  Thorbogen 
eintretend  gelangt  man  in  die  geräumige  Thorhalle,  und  von  da  durch  einen  weiten  Thorbogen 
in  die  Stadt.  Der  ganze  Bau  ist  jetzt  leider  verputzt  und  getüncht,  wodurch  er  unendlicli  an 
seinem  Ansehen  verloren  hat. 

Als  eines  schönen  Thorbaues  wollen  wir  der  Marienburg  wieder  erwähnen.  Es  ist  dies 
jenes  malerische  Thor  (Fig.  25),  welches  aus  einem  Burghof  in  den  andern  führt.  Der  unterbau 
und  der  Constructionsbogen  dieses  Thores  sind  aus  Granitquadern,  der  Fries  um  den  Spitzbogen 
aber  aus  Backstein ,  das  Masswerk  ist  glasirt. 

Wenn  wir  uns  bei  Besprechung  der  Befestigungsbauten  der  Schweiz  mit  Bedauern  äus- 
serten, in  welch  barbarischer  Weise  dort  viele  Kunstwerke  dieser  Art  zerstört  wurden,  so  können 
wir  dagegen  in  Deutschland  mehrere  Fälle  anführen,  wo  solche  Baudenkmale  geschont,  ja  mit 
grossem  Kostenaufwand  restaurirt  worden  sind.  Dieses  glückliche  Schicksal  hatte  auch  das 
Holstenthor  in  Lübeck.  Es  herrsclit  in  der  Architektur  dieses  mächtigen  Baudenkmales  eine 
erhabene  Ruhe,  ein  Vorherrschen  der  horizontalen  Linie,  wie  es  sonst  in  Deutschland  selten 
vorkömmt.  Dabei  ist  dies  Thor  von  ganz  riesigen  Dimensionen.  Der  Thorbau  war  früher  mit 
einem  Vorhof  versehen,  doch  wurde  derselbe  bei  der  Anlage  des  Bahnhofes  zerstört.  Diese  Zer- 
störung hat  insofern  geringere  Bedeutung,  da  der  Vorhof  in  späterer  Zeit  angebaut  war.  Das 
jetzt  noch  bestehende  eigentliche  Thorgebäude  wurde  1477  erbaut.  Das  Thor  besteht  aus  zwei 
runden  mächtigen  Thürmen ,  welche  um  die  Weite  der  Thorhalle  von  einander  entfernt  stehen. 
Die  zwei  Kreise,  welche  diese  runden  Thüi'me  im  Grundriss  bilden,  sind  durch  zwei  tangirende 
W^ände  zu  einem  Ganzen  vereinigt.  Der  Bau  hat  drei  Etagen,  welche  sich,  da  dieselben  nieder 
und  der  Bau  von  grosser  Länge  ist.  als  ebenso  viele  Fiüese  oder  Bänder  um  den  colossalen  Bau- 
körper schlingen. 

Der  Ebenerd  ist  schmucklos  und  als  Sockel  behandelt.  Es  öffnet  sich  hier  in  der  Mitte  des 
Baues  mit  einem  Rundbogen  die  Thorhalle.  Zwischen  dem  Erdgeschoss  und  dem  ersten  Stockwerke 
ist  ein  zierlicher  Fries  angebracht,  der  die  ganze  Parapet-Höhe  einnimt.  Das  erste  Stockwerk  ist  unter 
den  drei  Stockwerken  das  höchste,  mit  Spitzbogennischen  geschmückt,  welche  abwechselnd  Blenden 
und  Fenster  sind.  Darüber  kömmt  abermals  ein  Fries.  Das  zweite  Stockwerk,  welches  von  dem 
dritten  nur  durch  ein  einfaches  Ziegelgesimse  geschieden  wird,  bietet  eine  ähnliche  Nischen- Archi- 
tektur wie  das  erste  Stockwerk;  nur  nimmt  die  Höhe  der  Stockwerke  nach  oben  bedeutend  ab.  Über 
dem  dritten  Stockwerk  legt  sich  das  einfach  horizontale  Hauptgesimse  um  den  Bau.  Erst  überm 
Hauptoesimse  theilt  sich  der  ruhige  Horizontalbau  in  drei  Partien,  und  ist  derselbe  über  der  Por- 
taihalle  mit  schönem  Giebel  gekrönt,  die  ThUrme  aber  sind  mit  spitzigen  Dachhelmen  aus  Holz 
geschlossen.   Der  ganze  Bau  hat  arge  Setzungen  erlitten,   auch  ist  der  Giebel  stark  beschädigt. 


118 


ScHiLiz  Fekencz. 


"^~n 


l' 


_L 


26  I  Lübeck). 


Wie  schon  envälint.  fanden  die  Backsteinbauten  jener  Länder- 
sti-idie,  wo  auso-tbildete  Backstein-Technik  war,  reicldichen  architek- 
tonischen Schmuck  in  den  Friesen,  Gesimsen,  Medaillons,  Masswerk 
und  Glasuren,  mit  denen  sie  freifrebig:  ausg-estattet  wurden.  Gerade 
ifK^y.^^  1  ^^\y  das  Holstenthor  ist  ein  solches,  an  dem  solcher  Schmuck  sich  reich- 
er i>ü^^_-4^,=:_^^  lieh  vorhndet.  Figur  26  zeigt  den  schönsten  und  grössten  Back- 
steintries, so  an  deutschem  Backsteinbau  überhaupt  vorkommen  mag. 
Derselbe  befindet  sich  als  ein  breites  Band  zwischen  Ebenerd  und 
erster,  dann  zwischen  erster  und  zweiter  Etage  dieses  Thores.  Dieser 
1 — 6'  hohe  Fries  ist  zwischen  zwei  Ziegelgesimsen  eingeschlossen 
und  besteht  jede  quadratische  Figur  aus  vier  kleineren  quadratischen 
Lilien,  in  deren  Centrum  ein  stark  hautrelief  behandelter  Früchten- 
kopf sich  erhebt. 

Friese  in  solcher  basrelief-artiger  Bildung  kommen  in  Deutsch- 
land selten  vor,  und  sind  uns  solche  nur  noch  an  den  Thoren  von 
Stendal  und  Tangermünde  und  in  Lüneburg  bekannt.  Häufig  sind 
Friese  in  der  Ai't  von  Figur  27,  blos  aus  aufgelegten,  meistens  gla- 
sirten  Ziegeln  bestehend;  nur  sind  diese  Friese  auch  meistens  zwi- 
schen zwei  Gesimse  gelegt  und  ist  an  Bauwerk  für  den  Fries  eine 
dreizöllige  Vertiefung"  in  der  Mauer  ausgespart.  Häufig  kam  es  bei 
armen  Bauten  vor,  dass  man  die  wirklichen  Backsteinfi-iese  durch 
Malerei  ersetzte,  und  man  malte  dann  in  den  meisten  Fällen,  statt 
zwischen  die  zwei  Gesimse  den  plastischen  Fries  einzuschieben,  aus 
Sparsamkeit  auf  den  geputzten  Hintergi'und  ein  braunes  Masswerk- 
ornament in  dicken  Linien  und  erzielte  damit  beiläufig  dieselbe  Wir- 
kung. Leider  sind  die  Farben  schnell  vei-blichen .  und  man  begnügte 
sich  später,  diese  Friese  schön  anzuweissen,  es  wurden  dadurch  selbst  viele  Fachmänner  zu  dem 
Glauben  veranlasst,  dass  diese  Friese  immer  so  gewesen  seien.  Auch  begegnet  man  in  seltenen 
Fällen  einer  Art  Sgratitto.  Es  wurde  nämlich  die  verputzte  Friesfläche  grünblau  bemalt  und  dann 
die  Zeichnung  herausgekratzt,  so  dass  die  Zeichnung  mit  der  Farbe  des  Mörtels  auf  blauem 
Hintergrund  erscheint.  Genaue  Forschungen  an  den  Backsteinbauten  von  Danzig,  Lüneburg, 
Lübeck  und  Stendal  haben  mich  zu  dem  sicheren  Schhtss  gebracht,  dass  alle  horizontalen  und 
verticalen  fi-iesartigen  Sti'eifen  oder  Bänder,  so  an  Backsteinbauten  angebraclit  und  niclit  mit 
plastischem  Zierwerk  versehen  sind,  in  allen  Fällen  bemalt  waren;  besonders  lehrreich  ist  in 
dieser  Beziehung  die  Katliarinenkirche  in  Danzig  und  ein  Profangebäude  nächst  der  Marienkirche 
derselben  Stadt. 

Unsere  Abschweifung  schliessend,  wollen  wir  wieder  zu  den  befestigten  Thoren  zm-ück- 
kehren.  AVahrscheinlich  das  schönste  Werk  mittelalterlicher  Befestig-ung-skunst  in  Backstein  sind 
die  Ihore  von  Stendal.  Daselbst  gibt  es  deren  zwei  von  ganz  besonderem  Werth,  das  eine  noch 
ganz  erhalten,  das  andere  etwas  verfallen.  Diese  Tiiore  sind  sowohl  in  ihrer  künstlerischen  Aufi'as- 
sung  piäclitig  als  auch  in  ihrer  technischen  Ausfülirung  das  vollendetste  und  raffinirteste  was 
dieser  Kuii.->tzweig  hervorgebracht  hat*^'.  Noch  sei  erwähnt,  dass  auch  an  dem  Nenglingertlior  in 
Stendal,  und  zwar  unter  dem  Basrelief  Back.steinfi-ies  sich  ein  schmaler  geputzter  Fries  hinzieht, 
an  welchem  noch  deutlich  die  Bemalunsr  erkennbar  ist. 


hijr.  27  i  Stendal  I. 


« '  Diese  Thore  sowohl ,  als  jene  Tangennünde's  sind  in  dem  Werke  des  Professors  Adler  i  Backsteinbauten  der  Mark 
Brandenburg;  veröffentlicht. 


RtTDIEN    ÜUEl;    BeFKSTIGUNGSHAUTEN    des  MiTTEI.ALTEliS. 


fID 


Pasewrtlk.  eine  kleine  Stadt  in 
der  Ukermark  mit  noch  vielen  Thoren  fr 
und  Tliürmen,  besitzt  als  einen  ganz  be-  -=^^ 
sonderen  Ban  ein  Stadtthor,  freilich  schon  W^^=t=fl^^ 
oTösstentheils  Ruine.  Der  Thorban bestellt 
aus  einem  Thurm  von  quadratischer 
Grundform.  Die  Thorhalle  ist  mittelst 
zweier  aus  Quadern  construirter  spitz- 
boo'is'er  Thorbo^en  yeöffnet,  über  der 
Thorhalle  scheidet  ein  breiter  Fries  das 
erste  Stockwerk  vom  unteren  Bau.  Diesen 
Fries  bilden  über  Eck  gestellte  Back- 
steine ,  die  Fa9ade  des  hohen  ersten 
Stockes  ist  in  viele  schmale  Wandnischen 
aufgelöst  ,  welche  mit  Spitzbogen  ge- 
schlossen sind.  Darüber  ist  die  mit  Zinnen 
gekrönte  Galerie  und  ein  achteckiger 
prismatischer  Thurm  von  massiger  Höhe, 
der  abermals  mit  einer  Zinnengalerie  ge- 
schlossen war.  Der  ganze  Bau  schliesst 
mit  einem  gemauerten  Helm,  aus  welchem 
ein  Austrittserker  auf  die  letzte  Galei-ie 
führt.  Sowohl  in  die  erste  Etage  des 
Thurmes,  wie  auch  auf  den  Mordgang 
gelangt  man  über  eine  Treppe ,  welche 
auf  einem  Viertelkreisbogen  ruht  und  auf 
einen  geschützten  Ruheplatz  mündet,  der 
gleichsam  die  \^orhalle  des  ersten  Thurm- 
o-eschosses  bildet  und  in  seiner  Architek- 


Fig    28  (Pasewilk) 

tur  dem  ganzen  Bau  ähnlich  behandelt  ist  (Fig.  28). 

Interessant  ist  ein  Thurm  der  Stadtmauer  zu  Pasewalk.  Derselbe  ist  als  Cylinder  bis  an  die 
hochliegende  einzige  Ziunengalerie  emporgeführt,  unter  der  Galerie  ist  ein  breiter  Friesstreifen, 
welcher,  früher  entweder  bemalt  oder  mit  einem  Backsteinmuster  plastisch  geziert  war;  über  die 
massig  ausladende  Galerie  erhebt  sich  eine  achteckige  Pyramide,  auf  deren  Schluss  heute  ein 
Storchennest  thront. 

Nach  den  Thoren  sind  die  wichtigsten  Vertheidigungsbauten  die  Thürme.  Ihre  Aufgabe  ist 
die  Widerstandsfähigkeit  der  Ring-  oder  Burgmauern  an  einzelnen,  leichter  zugänglichen  Stellen 
zu  erhöhen  und  überhaupt  an  gewissen  einzelnen  Punkten  eine  ausgiebigere  Vertheidigung 
möglich  zu  machen. 

Die  Thürme  haben  mannigfaltige  Gestalten,  manche  sind  viereckig,  selten  dreieckig,  auch 
rund,  oft  sehr  hoch,  bisweilen  von  besonders  grossem  Durchmesser,  manche  verjüngen  sich  nach 
oljen,  manclie  schliessen  oben  mit  einer  Zinnenbekrönung  ab  u.  s.  f.,  aber  fast  an  der  Mehr- 
zalil  derselben  hat  die  Kunst  Gelegenheit  gefunden,  in  ein  oder  der  anderen  Weise  zur  Aus- 
schmückung beizutragen. 

In  den  Festungswerken  der  Stadt  Quedlinburg  haben  sich  viele  Thürme  erhalten.  Sie 
sind   noch  so   vollkommen   mit  allem   Dachwerk ,    Ivnäufen   und   Wimpeln,    dass   man   sich   Ijeim 


i20 


SciULCZ     FeRENCZ. 


Quedlinburg  . 


Anblick  mancher  Tlicile  Quedlin- 
burjrs  o-anz  ins  Mittelalter  znrück- 
versetzt  wähnt.  Der  Thurni  Fig.  29 
hat  quadratischen  Grundriss,  ist 
ebenerdig  und  im  ersten  Stocke  mit 
einem  Spitzbogen  gegen  die  Stadt- 
seite geötiuet.  Beiderseits  schliesst 
sich  die  Stadtmauer  mit  ihrem  Mord- 
gang an  denselben  an.  Der  Jlord- 
gang  ist  zum  Theil  auf  einem  ein- 
fachen Prolil  der  Mauer  aiissrekraot, 
zum  andern  Theil  ruht  derselbe 
aut  ^\  jindbogen  an  der  Innenseite 
der  Mauer .  und  führen  in  das 
erste  Stockwerk  vom  Mordgang 
aus  Tliürt  n.  Das  zweite  Stockwerk 
empfängt  Licht  durch  die  doppelten 
Schlitzenfenster .  welche  oben  einfaches  Masswerk 
haben;  auch  sind  an  diesem  Stockwerk  Wurferker 
angebracht,  um  die  Einsänge  in  den  Thurm  zu 
decken.  Diese  Etage  schliesst  mit  horizontalem  Ge- 
simse, darüber  erhebt  sich  der  aus  einem  Quadrat 
ins  Achteck  übergehende  spitzige  Helm,  welcher  mit 
schönem  Knopf  und  Wimpel  endigt;  mit  dexa  vier 
Seiten  des  quadratischen  Grundrisses  parallel  sind 
auf  dem  Helm  gleich  überm  Hauptgesimse  grosse 
Dacherker  angebracht,  welche  Avie  auch  der  ganze 
Helm  mit  Schiefer  gedeckt  sind.  Von  dieser  Thurni- 
form  blos  in  der  Dachbildung  abweichend  ist  Fig.  oU 
und  besteht  der  Unterschied  darin ,  dass  bei  diesem 
Ihurm  der  Helm  gleich  übenn  Gesimse  achteckig 
wird  und  auf  ilen  frei  bleibenden  vier  Ecken  fialenartige  Aufbauten  angebracht  sind.  Diese  zwei 
Thurmarten  wechseln  der  ffanzen  Stadtmauer  entlangr  miti  inander  und  oeben  der  Stadt  eine 
höchst  bewegte  schöne  Contur  '. 

Ein  sehr  bedeutender  Befestigimgsbau  ist  der  rutide  Tluu-m  zu  Andern  ach.  Colossal  in 
seinen  Dimensionen  ist  derselbe  künstlerisch  vollkommen  gelöst  und  sucht  seines  Gleichen.  Der 
Thurm  machte  ein  für  sich  fortificatorisch  abgeschlossenes  Werk,  er  konnte  sich  noch  lange  nach 
der  Einnahme  der  Stadt  mit  Erfolg-  vertheidisen.  Ein  Eckstück  der  Mauer  bildend,  erhebt  er  sich 


Fi;^.  2'J    Quedlinburg 


'  Über  die  Mittel,  aus  denen  diese  ausgiebige  Stadtbefestigung  bestritten  wurde,  hat  sich  eine  ganz  nette  Tradition 
erbalten.  In  der  Vorhalle  des  Rathhauses  von  Quedlinburg  steht  ein  iius  starken  Bohlen  ^-eziramerter  Kasten,  welcher  mit  einem 
kleinen  vergitterten  Fenster  und  einer  niederen  Schluiittliiir  versehen  halb  einer  Hühnersteige  halb  einir  grossen  Hundshiitte 
gleicht.  In  diesem  Behälter  sass  ums  Jahr  1336  der  Graf  Albert  von  Weinstein  zum  ISpott  der  täglich  vorübergehenden  Kaths- 
herm  gefangen.  Im  Museum  des  Rathh..uses  sind  noch  die  Effecten  des  Grafen,  welche  ihm  bei  seiner  Gefangeunahrae  abge- 
nommen wurden,  aufbewahrt;  dieselben  bestehen  aus  zwei  eisernen  Ringin.  an  welche  Schnappsäcke  angenäht  sind;  diese 
Säcke  waren  zur  Aufbewahrung  der  geraubten  Gegenstände  rechts  un<l  links  am  Sattel  angebracht;  weil  nun  der  Graf  oft 
die  Bürger  Quedlinburgs  beraubte  und  befehdete,  so  legte  man  ihm  einen  Hinterhalt;  endlich  gefangen  sass  er  zum  Kinderspott 
20  Monate  in  oben  erwähnter  Hundshütte,  und  wurde  erst  nach  Zahlung  eines  iiohen  Lösegeldes  freigelassen,  wovon  dii; 
Stadtmauer  mit  Thürmen  und  Thoren  erbaut  worden  sein  soll. 


St(  DIEN    ÜUEU    BEFESTKilNOSBAUTEN    DES    M  ITTEl.A  T.TIC 


121 


Fig.   31  (Bacharach) 


ungegliedert  als  ruii 

der    Bau    mit    4 6 Vi  ^^ 

Fuss  im  Durchmes-   g 

ser  bis  weit  über  die   g"^^^^^'^^^ 

Stadtmauer,  die  sich   ^p-=%"^"'^' 

mit  ihren  Zinnen  an   F 

denselben   unuiittel 

bar   anschliesst.     In  ei 

einer  Höhe  von  circa  1 

16     Klaftern     kragt  ^^^zi 

die  Vertheidigungs- 

Galerie  auf  schönen   ^ 

von  Masswerk -Con-  ^S 

solen        getragenen 

Bogenfries  aus,  zwi-  ^^^~. 

-^chen  welchem  Wurf-   ^ 

locher      angebracht  fc, 

sind.      Darüber     er-  ^a 

heben    sich   als  Ab 

schluss   des   Gebäu 

des     hohe      einmal  ISi-i'^''^ 

durchlöcherte  Zin- 
nen (Fig.  30).  Aus  der  Mitte  dieses  Rund- 
])aues,  steigt  nun  bedeutend  verjüngt  in 
zwei  Stockwerken  ein  achteckiger  Thurm 
empor,  der  mit  einem  ähnlichen  Bogenfries 
abschliesst,  worauf  der  steinerne,  mit  nach 
den  acht  Seiten  gerichteten  Spitzgiebeln  ge-  1^% 
zierte  Helm  ruht.  Sowohl  die  Helmspitze,  so 
wie  die  Giebel  sind  mit  doppelten  Kreuz- 
blumen o-eziert.  Sehr  interessant  war  auch 
die  noch  vor  kurzem  bestandene  eiserne  Ver- 
ankerung der  Thurmspitze,  die  nun  mit  derselben  entfernt  ist.  Sie  reichte  von  oben  weit  herab 
in  die  Helmflächen ,  theilte  sich  unten  in  zwei  Pratzen  und  war  äusserlich  sichtbar  ano-ebracht. 
Ganz  interessant  ist  die  besondere  Schutzbaute,  die  der  Treppe  gewidmet  wurde;  es  ist  ein 
kleines  erkerartiges  Häuschen  in  der  Galeriehöhe  des  Rundbaues  gegen  die  Stadt.  An  diesem  ist 
sowohl  ein  Wurferker  zum  Scluitze  des  Thurmeinganges,  als  auch  ein  ausladender  Balken  mit 
Klobenrad  zum  Aufziehen  von  Kriegsbedarf  angebracht.  In  der  Höhe  der  zweiten  Etasfe  des 
Polygontlmrmes  ist  wieder  ein  Wurferker  angebracht  zum  Schutze  der  darunter  befindlichen 
Eingangspforte  in  diesen  Thurm. 

Erwähnenswerth  sind  auch  die  Thürme  der  Stadtmauer  zu  Bacharach,  in  Sonderheit  davon 
jener  eine,  welcher  gegen  die  Stadt  zu  offen  ist,  also  statt  vier  nur  drei  Mauern  hat.  Es  ist  ein  mas- 
siver Steinbau  mit  Holzetagen  untertheilt  und  mit  einer  sechsseitigen  schieferbedeckten  Holzspitze 
überdacht.  Auf  der  Seite  gegen  die  Stadt,  so  wie  auch  auf  der  Feindesseite  sind  grosse,  weit  aus- 
ladende Wurferker  im  Dachwerk  angebracht,  welche  ebenfalls  mit  spitzigen  pyramidalen  Dächern 
abschliessen.  (Fig.  Sl.) 

XIV.  18 


Fiii 


30  (Andernach). 


\T> 


iScHii.c/.  Fkulscz. 


Je  ig.  ö2  ^Irausnitz). 


tig.  .J.J  (Stargard  . 


<  HiLiwesel  besitzt  nebst  dem  herrlichen  Ochsenthiirm  einen 
Kundbau  ähnlich  dem  runden  Thurm  in  Andernach,  nur  mit  dem 
Unterschied,  dass  hier  auch  der  achteckige  Körper  mit  Zinnen 
schliesst,  und  das  Dachwerk  abgebrannt  ist.  Ausserdem  sind  :ni 
der  sich  an  der  lierglehne  liinziehenden  Stadtmauer  noch  mehrere 
Tliünue  erhalten,  welche  denen  in  Bacharach  ähidich  sind. 

Die  Burg  Trausnitz  in  Bavern,  fast  ganz  Backsteinbau. 
hat  noch  gegenwärtig  mehrere  Thüi-me .  die  der  fortificatorischen 
Anlage  der  Burg  ein  ganz  stattliches  Aussehen  geben.  Wir  W(dleii 
nur  einen  davon  näher  beti-achten.  Er  ist  von  quadratischer  Grund- 
torm,  erhebt  sich  bis  ans  Hanptgesimse  über  das  zweite  Stockwerk 
ids  viereckige  Masse,  ist  darüber  mit  vier  Giebeln  und  einer  nicht 
allzuleichten  über  Eck  gesetzten  viereckigen,  mit  Hohlziegel  fie- 
deckten, Pyramide  beki-önt.  (Fig.  32.) 

Der  Johanni-ThuiTU  (Fig.  33)  in  Stargard"  ist  ein  Back- 
steinthurm  der   zierlichsten  Art;  mit   den    ganz   einfachen  Ziegel- 
farben ist  an  diesem  Bau  ein  herrlicher  Effect  erreicht.  Der  Thurm 
erhebt  sich  aid"  beinahe  kubischem,  28'  zur  Seite  messendem  Unter- 
bau, der  Zinnenkranz  dieses   Unterbaues  correspondirt  mit 
Zinnen    der    Stadtmauer,    von    deren   Mordgang    man    auf 
die  beiden  Seiten  der  Galerie  gelangt.  Auf  diesem  Unterbau 
^^    erhebt  sich  ein  cylindrischer  Baukörper,   welcher  mit  aus- 
ladender Zinnengalerie  geschlossen  einen  weiteren  Baukör- 
per von  achteckigem  Querschnitt  trägt.   Diese  zweite  Ver- 
^B     jüngung-.  ebenfalls  mit  einer  Zinnengalerie  gekrönt,  schliesst 
ssQ^    als  achteckige  Pvramide.  Der  Helm  ist  mit  eiuem,  mit  Gie- 
bei  geschlossenen  Austi-ittsei-ker  versehen,   durch  welchen 
M    man  auf  die  oberste  Galerie  gelangt,   auch   zieren   diesen 
gemauerten  Helm  vier    Dachex'ker.    welche    ebenfalls    aus 
g-ewöhnlichen   Zieg-eln    in   zierlicher  Form    gebildet    sind; 
unter  der  letzten  Gallerie  sind  in  viereckigen  Kahmen  acht 
runde   Schusslöcher  angebracht.   Sowohl  der  cylindrische 
als  auch  der  achteckige  prismatische  Baukörjier  sind  durch 
mannigfaltige  Zeichnungen  aus  glasirten  Ziegeln  verziert. 
Der  sranze  Bau  selbst  ist    aus    rothem   Backstein  von   der 
gewöhnlichen  Form  aufgefülut. 

Von  g-anz  eigenthuinlicher  Auffassung-  sind  die  \  er- 
theidigung-sthürme  in  der  Stadtmauer  zu  Prenzlau.  Diese 
Thürme  von  rechteckiger  Grundforui  sind  durch  einen 
hoch  oben  angebrachten  S]utzbogen,  welcher  die  ganze 
innere  Lichte  des  Thurmes  zur  Weite  hat,  gegen  die  Stadt 


"  .Starjfiird,  die  Hauptstadt  Uinterpommem's,  hat  seine  .Stadtmauer  beinahe  vollkoiunieii  bewahrt  und  bieten  die  Thürme 
und  Thore  viel  des  Interessanten.  Wohl  das  bedeutendste  Objeet  der  Befestigungsbauten  dieser  .Stadt  ist  die  Fiusssperre 
Sie  ist  von  jener  zu  Basi-l  <  Mittheil.  XIII.  pag.  i2Si  bedeutend  abweichend  und  wird  durch  je  einen  achteckigen,  mit  Zinnen 
•md  Helm  gekrönten  Thurm  auf  jeder  Flussseite  gebildet,  dazwischen  wölbt  sich  tief  unten  der  Bogen  über  das  Flussbett, 
darauf  Arcadenwand  steht.  Leider  ist  dieser  sehr  interessante  Bau  in  neuerer  Zeit  stark  restaurirt  worden  und  es  ist  schwer, 
sich  denselben  in  seiner  früheren  Gestalt  klar  vorzustellen. 


StTDIEN    ÜBKR    IjEFIOSTIGirNGSnAUTEX   DES   MlTTELALTEKS. 


123 


Fig.  3+  (Prenzku). 


ZU  geöffnet,  so  dass  der  Grundriss  dieser  Tliürmc  statt  vier  nur  drei 
Mauern  aufweist;  in  der  Höhe  des  Mordganges  der  Stadtmauer  ist  ein 
Stockwerk  und  darüber  noch  ein  zweites  eingeschaltet;  sowohl  das 
erste  als  auch  das  zweite  Stockwerk  haben  gegen  die  Feindseite  je 
drei  tiefe  Nischen  mit  Schiessscharten.  In  der  Seitenansicht  sind  diese 
Tiiürme  mit  vier  Zinnen  versehen,  welche  gegen  die  Stadtseite  katzen- 
steigartig  abfallen.  Die  Abtheilungsböden  sämmtlicher  Etagen  sowohl, 
als  auch  die  ebenfalls  aus  Holz  gezimmerten  Treppen  fehlen.  Diese 
Thürme  verleihen  der  Stadtmauer  durch  ihre  harte  ausgezackte  Form 
schroff'es  trotziges  Aussehen. 

Der  Pulverthurm  oder  Mittelthurm  ist  ein  Befestigungsbau  von 
ganz  besonders  graziöser  Form.  Dieser  Thurm  war  ursprünglich  ein 
Tliorthurm,  und  es  war  das  Thor  rechts  an  den  Thurm  angebaut.  Dies 
Gebäude  ist  ausser  seiner  schönen  Hauptform  auch  wegen  der  ver- 
schiedenartigen Anwendung  glasirter  Backsteine  an  demselben  liuchst 
merkwürdig.  Der  Sockel  des  Thurmes  ist  sowohl  hier  als  bei  den 
meisten  Bauten  dieser  Gegend  aus  grossen  Granitquadern  gebaut, 
welche  Granitmassen  als  Findling-e  in  der  Mark  Brandenburg,  der 
rkermark  und  in  Pommern  aufgelesen  werden. 

Der  Grundriss  des  Ebenevdgeschosses  ist  quadi-atiscli  und  misst 
'lo'  6"  ziir  Seite,  in  der  ersten  Etage  bildet  sich  durch  Abfa9ung  der 
Ecken  ein  unregelmässiges  Acliteck  von  je  vier  gleichen  Seiten,  der 
Übergang  des  Viereckprisma  in  den  Achteckkörper  ist  durch  Abbö- 
schung  des  Vierecks  erzielt.  Um  den  achteckigen  prismatischen  Körper  der  ersten  Etao-e  leo-t  sich 
nun  ein  auf  riesigen  Stein-Consolen  weit  ausladender  Mordgang  von  sehr  mässisjer  Höhe.  Die  durch 
Segmentbogen  geschlossenen  Consolen  tragen  eine  Mauer,  welche,  mit  dem  cylindrischen  Körpei- 
des  zweiten  Stockwerkes  durch  ein  Dach  verbunden,  einen  geschlossenen  o-edeckten  aber  etwas  n'w- 
drigen  Mordgang  vorstellt.  Derselbe  hat  zwischen  den  Consolen  Wurflöcher  und  in  den  Wänden 
über  jedem  Segmentbogen  je  ein  rundes  Schussloch.  Über  dem  Dacli  dieses  unreo-elmässio-  acht- 
eckigen  Mordganges  schiesst  der  cylindrische  Körper  der  zweiten  Thurmetage  heraus,  ist  mit  einer 
Zinnengalerie  gekrönt  und  endet  mit  zierlichem  runden  gemauerten  Backsteinhelm.  Der  g-anze  Bau 
ist  aus  rothem  Backstein,  doch  ist  an  demselben  durch  Glasuren  eine  seltene  Farbenpracht  zur 
Schau  gelegt;  so  sind  die  Böschungsflächen  der  vier  Ecken  schwarz  glasirt.  Der  Fries  sowohl  am 
Übergang  vom  Viereck  ins  Achteck  als  auch  darunter  war  entweder  mit  plastischen  oder  genial- 
ten  Verzierungen  versehen.  Sämmtliche  Gesimse  des  Baues  sind  aus  abwechselnd  rothen  um! 
scliwarz  glasirten  Backsteinen  gebildet,  die  Abböschungen  der  Zinnen  sowohl  als  deren  Scharten 
ebenfalls  glasirt.  Besonders  reich  aber  ist  der  konisch  gebildete  Helm  bedacht,  welcher  aus  braun 
und  schwarz  wechselnden  Schaaren  glasierter  Ziegel  besteht.  Die  Spitze  des  Helmes  ist  mit  einem 
aus  Kupfer  getriebenen  Vogel  geschmückt,  indem  aus  der  Blechkapsel,  welche  den  Helm  schliesst. 
eine  Helmstange  hervorragt,  welche  einen  aus  zwei  kupfernen  Schalen  bestehenden  Knopf,  und 
hoch  oben  in  einer  Gabel  den  kupfernen  Raben  trägt.  Der  Rabe  ist  fliegend  mit  einem  Ring  im 
Sclmnbel  dargestellt,  ist  für  die  grosse  Höhe  berechnet  und  mit  vielem  Verständniss  getrieben. 

An  den  Wimpeln  und  Wetterfahnen  und  ähnliclien  Gebilden  wie  dieser  Rabe,  war  dei- 
Fliantasie  dvv  Sehmiede  des  Mittelalters  grosser  Spielraum  gewährt,  und  man  flndet  hundert  ver- 
schiedene Formen  dieser  Art;  viel  au  ähnlichen  Arbeiten  gibt  es  in  Lübeck.  Lüneburg,  Danzig 
und  in  Krakau.   Leider  waren   diese  Wimpel  und   Wetterfahnen  von  jeher   die   Zielscheiben   der 


IH' 


i24 


ScHCLCZ  Fkre.scz.  Stidies  Cbek  Befestigcsgsbauten  des  Mittelalters. 


/: 


Sonntag-sschützen,  und  so  sind  denn  auch  mehrere  ähnliche  Kabeu. 
welche  an  andern  Thürmen  Prenzlau's  angebracht  sind,  durch 
Schüsse  bedauerlicher  Weise  bis  zur  Unkenntlichkeit  verstümnieh. 
Zum  Schlüsse  sei  noch  die  Bf  merkung  gestattet,  dass 
man  gerne  den  Kirchthürmen  den  Charakter  fortiticatorischer 
Thurnihauten  gab.  Beispiele  mögen  die  befestigten  Tiiürme  <ier 
Plarrkirclie  zu  Bacharach,  Oberwesel  und  jener  Kirchthurni 
geben,  welcher  unter  der  Marburg  am  Fusse  des  Berges  steht 
und  dessen  Fialen  selbst  mit  Zinnen  gekrönt  sind. 

Der  Thurm  zu  Oberwesel  ist  ein  mächtio^es  Bauwerk,  liat 
einen  quaih-atischen  Grundriss  und  baut  sich  in  dieser  Grundform, 
an  den  Ecken  mit  rechteckigen  Strebepfeilern  versehen,  bis  zur 
Firsthuhe  der  Kirche  hinauf,  scldiesst  daselbst  mit  einer  auf  einem 
Spitzbogenfries  ausladenden  Zinnengalerie  und  ist  an  den  Ecken 
von  Achteck-Thürmchen  flankiit,  welche  auf  den  Eck-Strebepfei- 

— ^~- ^^----^^■— .^  ^y    lern  sitzen  und  ebenfalls  mit  Zinnen  (Zierzinnen,  d.  i.  nicht  zur 

"■  .  W^''^  ^c^tr^.m^:,    Veitheidigmig  dienlichen)  gekrönt  sind.   Daiüber  ragt  noch    ein 

Flg.  d..  lOberweseli.  achteckiger  Thumikörper  in  zwei  Etagen  empor  und  bildet  das 

mit  spitzbogigen  Ötfnuugen  versehene  Glockenhaus,  das  mit  modernem  Dachwerk  gekrönt  i.st. 
Ähnlich  wie  der  befestigte  Kirchthui-m  in  Oljerwesel  ist  auch  der  Thurm  der  Pfarrkirche  in 
Bacharach;  auch  dieser  ist  quadi-atisch  emporgeführt,  jedoch  um  eine  Etage  höher,  und  ist  über 
der  mit  achteckigen  Erkern  flankiiten  Zinnengalerie  immittelbar  der  eine  Spitze  bildende  acht- 
eckige Helm  aufgesetzt. 

Wir  könnten  noch  eine  Reihe  von  solchen  Beispielen  anfülu-eu  und  jeder  unserer  Leser, 
der  nur  einige  Gegenden  Deutschlands  bereist  hat,  wird  Gelegenlieit  gehabt  haben,  derartige 
Bauten  in  zahlreicher  Menge  zu  bemerken. 

Mögen  diese  Bauten  noch  viele  zum  Studium  der  Kunstformen  auöordern,  denn  sie  sind 
offene  Bücher,  in  denen  der  des  Lesens  Kundige  nur  zu  lesen  braucht,  Bücher,  die  leider  nur 
mehr  kurze  Zeit  den  Lesern  offen  bleiben  werden,  da  unser  nüchternes  Zeitalter  im  vollen  Miss- 
verstehen das  Alterthümliche  überall  umgestaltet,  abträgt  und  entfernt,  und  dabei  nur  zu  häutig 
auch  dort  nicht  schont,  wo  Schonung  möglich,  ja  geboten  ist. 


über  ein  l)ei  Kiisleiidje  gefundenes  röniisehes  Militärdiploin. 


Von  Dr.  Fr.  Kenner. 

-tlerr  Dr.  Cullen,  Arzt  in  Küsten dje,  hatte  die  Güte,  mir  von  der  Auffindung  der  vorderen 
Tafel  eines  römischen  Militärdiploms  Mittheilung  zu  machen,  welche  im  December  1867  südöst- 
lich von  Kusteudje  am  Fusse  des  Hügels  auf  welchem  die  Stadt  liegt,  aus  dem  Sand  der  Meeres- 
küste ausgegraben  imd  späterhin  von  ihm  erworben  worden  ist.  Auf  mein  Ansuchen  gestattete 
mir  HeiT  Dr.  Cullen  den  Text  der  Tafel  zu  veröffentlichen  und  überschickte  zu  diesem  Zwecke 
einen  Papierabdi-uck  der  Inschrift.  Bevor  ich  daran  gehe  dieselbe  mitzutheilen ,  erlaube  ich  mir, 
dem  genannten  Herrn  für  seine  grosse  Gefälligkeit  meinen  verbindlichsten  Dank  zu  sagen. 

Die  in  Rede  stehende  Bronzetafel  ist  16-5  Cent,  hoch,  13-5  Cent,  breit  und  zeigt  innerhalb 
eines  seichtgekehlten  Rahmens  eine  Inschrift  von  21  Zeilen  in  eng  gedrängten  aber  gut  leserli- 
chen Charakteren.  Sie  enthält  auf  der  vorderen  Seite,  wie  dies  gewöhnlich  ist,  den  ganzen 
Inhalt  des  Diplomes  in  sorgfältiger  Abschrift,  während  über  die  Rückseite  der  ersten  und  die 
Vorderseite  der  zweiten  (noch  nicht  gefundenen)  Tafel,  welche  zusammen  die  beiden  Innenseiten 
des  ganzen  Diplomes  bilden ,  derselbe  Text  in  grösseren  und  flüchtigeren  Charakteren  quer  hin- 
geschrieben war.  Die  Rückseite  der  zweiten  Tafel,  welche  zugleich  die  rückwärtige  Aussenseite 
des  ganzen  Diplomes  bildete,  enthielt  die  Namen  der  Zeugen. 

Wenn  also  auch  die  zweite  Tafel  bis  jetzt  noch  nicht  gefunden  wurde,  so  ist  dies  für  die 
wissenschaftliche  Bedeutung  des  Denkmals  insofern  von  keinem  erheblichen  Nachtheil,  als  durch 
den  aufgefundenen  Theil  der  gesammte  Inhalt  mit  Ausschluss  der  Zeugennamen  gerettet  ist. 

Unser  Diplom  gilt  nicht  einem  Legionär '  oder  einem  Soldaten  der  Bundestruppen,  sondern 
einem  Soldaten  der  sechsten  praetorischen  Cohorte,  ist  also  ein  Praetorianer-Diplom  und 
gehört  mithin  zu  jenen  Urkunden,  welche  unter  den  inschriftlichen  Denkmälern  noch  immer 
sehr  spärlich  vertreten  und  daher  als  grosse  Seltenheiten  zu  betrachten  sind.   Cardinali'"  hat 

1  Von  der  Begel,  dass  Militiirdiplome  nur  an  Soldaten  der  Bnndesvölker,  nicht  an  Legionäre  ertheilt  wurden,  weil  letztere 
aus  römischen  Bürgern  bestanden,  also  das  Bürgerrecht  und  das  jus  conubii  schon  als  solche  besassen,  machen  die  Soldaten, 
welche  in  der  legio  I.  und  II.  adjutrix  zur  Zeit  ihrer  Errichtung  dienten,  eine  Ausnahme;  denn  diese  wurden  aus  Flotten- 
soldaten zusammengestellt,  welche  aus  den  Provinzen  stammten  und  mithin  das  Bürgerrecht  noch  nicht  besassen.  Cardin  ali 
Diplomi,  Vorrede  p.  II.  —  Henzen  in  den  Annali  dell'  Istituto  di  corr.  archeol.  1857,  p.  8,  Note  1.  —  2  Diplomi  imperiali  di 
privilegj  aecordati  ai  militari.  Velletri  1835. 

Aus  d.  Mitth.  d.  k.  k.  Ceat.  Comm.  f.  Erh.  d.  Baudenkmale,  Bd.  XIV.  ig 


1 26  Dr.  Fr.  Kenner. 

in  seinem  Werke  über  die  Militärdiplome  niir  \ner  solche  aufgeführt'  und  wir  wüssten  einen 
weiteren  Zuwachs  nicht  namhaft  zu  machen.  Dagegen  sind  von  jenen  Diplomen,  welche  Legionäre 
und  zumeist  Auxiliarier  betreflen,  nicht  blos  schon  in  älterer  Zeit  mehrere  bekannt  geworden, 
sondern  es  mehrte  sich  seit  der  Publication  von  J.  Arneth's  wichtigem  Werke*  ihre  Zahl  in 
ansehnlicher  Weise*.  Auch  stammen  die  bekannten  Praetorianer-Diplome  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  II.  und  der  ersten  des  III.  Jahrhunderts,  während  unseres  dem  Jahre  76  angehört,  und  eben 
wegen  des  grossen  Zeitabstandes  neue  Vergleichungspunkte  bietet,  aus  denen  die  Organisirung 
der  praetorischen  und  städtischen  Cohorten  in  einigen  Details  bestimmter  erkannt  werden  kann. 

Diese  Umstände  zeichnen  hinlänglich  die  grosse  Wichtigkeit  des  Diploms  von  Kustendje 
und  es  dürfte  darnach  gerechtfertisrt  erscheinen,  dass  wir  die  Mittheilun»-  desselben  an  das  arelelirte 
Publicum  zu  beschleunigen  suchten,  ohne  die  mögliche  Auffindung  des  noch  fehlenden  Theiles 
abzuwarten,  von  welchem  HeiT  CuUen  eventuell  gleichfalls  Abdrücke  zu  versprechen  die  Güte 
hatte.   Der  Text  der  Tafel  lautet: 

DIP  CAESAR  VESPASIANVS  AVGV8TVS  (Xoch) 

POXTIFEX  MAXDIVS  TRIBVNIC  POTESTAT 
vm  DIP  xvm  PP  CENSOR  COS  vTi  DESIGN  vffi 
NOMINA  SPEC^XATORVM  QVI  IN  PRAETORIO 
5  MEO  MILITAVERVNT  ITEM  MIL1T\:M  QVI 

IN  COH(  »RTIBVS  NOVEM  PRAETORIIS  ET  QVA 

TVOR  VRBANIS  SVBIECI  QVIBVS  FORTITER 

ET  PIE  MILITIA  FVNCTIS  H'S  TRIBVO  C0N'\' 

BI  •  DVMTAXAT  CVM  SINGVLIS  ET  PRIMIS 

10  VXORIBVS  VT  ETIAMSI  PEREGRINI  IV 

RLS  FEMINAS  MATRDIONIO  SVO  R'NXE 

(Loch)  (Loch) 

RINT  PROINDE  LIBEROS  TOLLANT  ACSI  EX 

DVOBVS  CIVIBVS  ROMANIS  NATOS 

A  D  im  NON  DECEMBR 

15  G ALEONE  TETTLENO  PETRONL\NO 

M  FVLVIO  GILLONE         ^'^^ 

COH  •  n  PR 
L  EXXIO  L  F  TRO  FEROCI  AQVIS  STATELLIS 
DESCRIPTVM  ET  RECOGNTT^'iI  EX  TABVLA 
-20  AENEA  QVAE  FIXA  EST  ROMAE  IN  CAPITOLIO 

IN  BASI  lOVIS  AFRICI  (Lochj 

»  Sie  stammen:  aj  von  K.  M.  Aurel.  J.  161,  p.  XXXXI,  tav.  XXI.  Fundort  unbekannt;  —  hj  von  K  Septimius  Severns, 
J.  208.  gefunden  im  Mantuanischen,  p.  XXXXIV.  tav.  XXIV;  —  cj  von  K.  Gordianus,  J.  243.  gefunden  zu  Lyon.  p.  XXXXV. 
tav.  XXV:  -  dj  von  K.  Philippns  J.  248,  gefunden  zu  Manttia,  p.  XXXXVII.  tav.  XXVII.  Von  einem  fünften  zu  Papen- 
heim  gefundenen,  welches  nur  in  einem  kleinen  den  Schlnss  enthaltenden  Fragmente  besteht,  vermuthet  J.  v.  Heffner 
Komisches  Bayern  .S.  U2.,  dass  es  einer  praetorischen  Cohorte  gegolten  habe,  und  schliesst  dies  aus  dem  Reste  eines  auf 
RIAN  endenden  Wortes,  das  er  mit  cohors  praetoKlAXa  ergänzt.  Allein  in  allen  Praetorianer-Iiiplomcn  ;"ilterer  und  jüngerer 
Zeit  lautet  das  Beiwort  nicht  „praetoriana"  sondern  .praetoria"  cohors,  wesshalb  das  Diplom  wohl  auf  einen  Auxiliarier  wird 
bezogen  werden  müssen.  —  *  XII  Rom.  Militärdiplome,  beschrieben  von  J.  Arneth,  auf  Stein  gezeichnet  von  Albert  Came- 
sina.  Wien  1843.  —  *  Wir  nennen  darunter  jenes  von  Geiselbrechting.  von  K.  Nero.  J.  6t.  Literatur  bei  Heffner  Köm. 
B.iyem  S.  140.  —  Enyed  in  Siebenb.  von  K.  Domitian,  J.  86,  Henzen  im  Jahrb.  des  Vi-reins  von  Altenhuuisä-eunden  in  den 
P.heinlanden.  1848,  S.  26,  104  —  Weissenburg  v.  K.  Trajan.  J.  104.  W.  Christ  Bericht  d.  k.  bayr.  Akad.  lS6S.  —  Wiesbaden 
von  K.  Trajan,  J.  116.  Dr.  Rössel  Rom  Wiesbaden  1858.  —  Petronell  von  K.  Trajan.  J.  114,  Frh.  v.  Sacken  Stzgsbr.  XI.  343. 
—  Zsuppa  bei  Karansebes.  K.  Ant.  Pins,  J.  157,  Ackner-Müller.  Rom.  Inschrift  in  Dacien  Nr  50;  —  Papenheim  Fragment, 
Heffner  Köm.  Bayern  S.  142.  —  Bukarest  von  K.  Hadrian,  J.  134.  Henzen  in  den  Annali  dell'  Ist.  d.  corr.  arch.   l»57.  j  f. 


Über  ein  bei  Kustenuje  gefundenes  römisches  Militärdiplom.  127  • 

Imp(erator)  Caesar  Vespasiaiins  Aug'ustus,  ^pontifex  maximus,  tribunic(iae)  potestat(is) 
'ootavuni,  imp(erator)  duodevicesimum,  p(ater)  p(atriae),  censor  co(]i)s(nl)  septimum  desi^- 
n(atiis)  octavum.  ^Nomina  speculatoruni,  qui  in  praetorio  ^meo  militaverunt,  item  militura,  qui  ^'m 
cohortibus  novem  praetoriis  et  qua'tuor  urbanis  (seil,  militaverunt),  subjeci,  quibus  fortiter  *et 
pie  militia  functis,  jus  tribuo  conii'bi(i)  dumtaxat  cum  singulis  et  primis  ^"uxoribus,  ut,  etiams'i 
pereg-rini  ju"ris  feminas  matrimonio  suo  jxmxe'^rint,  proinde  liberos  tollant,  acsi  ex  'Muobus  civi- 
bus  Romanis  natos.  '*Ante  d(iem)  quartum  Non(as)  Decembr(es) ,  '^Galeone  Tcttieno  Petroniano, 
""'M.  Fulvio  Gillone  co(n)s(ulibus}.  ''Coli(ortis)  sextae  pr(aetoriae)  (scilicet  militi)  '*L.  Ennio 
L.  f(ilio},  Tro(mentina  tribu)  Feroci  Aquis  Statellis.  ''Descriptum  et  recognitum  ex  tabula  -"aenea, 
quae  fixa  est  Romae  in  Capitolio  "'in  basi  Jovis  Africi. 

Die  Rückseite  zeigt  denselben  Text  in  12  Zeilen  mit  den  gleichen  Abkürzungen  bis  ein- 
schliesslich zu  dem  Worte  FEMINAS  in  der  11.  Zeile  der  Vorderseite.  Die  Querstriche  in  den 
Buchstaben  I  E  F  L  T  sind  durchweg  sehr  kurz,  dick  und  am  Ende  etwas  aufuäits  geschwungen^ 
letzteres  zumal  im  T.  Wo  die  Buchstaben  gedrängter  stehen  wie  am  Ende  der  längeren  Zeilen,  da 
sind  die  Querstriche  so  klein ,  dass  nur  mit  Mühe  die  E  F  L  T  von  einander  und  von  I  unter- 
schieden werden  können.  Übrigens  sind  die  Buchstaben  von  gleicher  Höhe,  nur  jene  der  17.  und 
18.  Zeile  sind  etwas  grösser,  als  die  der  übrigen;  dagegen  ist  das  Wort  STATELLIS  am  Ende 
der  18.  Zeile  etwas  kleiner  als  AQVIS  geschrieben,  wahrscheinlich  um  den  Namen  noch  auf  die- 
selbe Zeile  zu  bringen.  Punkte  als  Zeichen  der  Abkürzung  oder  Trennung  sind  nur  zwei  in  der 
9.  und  17.  Zeile  angegeben. 

Wir  führen  nun  nach  der  Folge  der  einzelnen  Zeilen  jene  Stellen  des  Textes  an,  welche 
uns  die  wichtigeren  scheinen. 

Zeile  1 — 3.  Unter  den  Titeln  des  Kaisers  werden  zuerst  die  tribunicische  Gewalt,  dann  das 
Imperium,  der  Beiname  Vater  des  Vaterlandes,  hierauf  die  Censur,  endlich  der  Consulat  genannt, 
welch'  letztere  Würde  für  die  Bestimmung  des  Jahres  entscheidend  ist,  da  der  Kaiser  die  Consuls- 
würde  neunmal  annahmt  Der  siebente  Consulat  fällt  in  das  Jahr  76;  näher  bezeichnet  ist  das 
Datum  in  Zeile  14,  wonach  die  Urkunde  quarto  nonas  Decembres,  d.  h.  am  2.  December  ausge- 
stellt worden  ist.  Damit  stimmt  überein,  dass  dem  „COS  •  VII"  das  „DESIGN  •  VIII"  beigefügt 
wurde,  indem  die  im  Herbst  76  geschehene  Entschliessung  des  Kaisers  den  Consulat  auch  für 
das  folgende  Jahr  (77)  anzunehmen  in  dessen  Titeln  sofort  durch  die  Bezeichnung  DESIGN  • 
Vin  dargestellt  wurde.  In  das  gleiche  Jahr  76  fällt  die  siebente  tribunicia  potestas,  wie  dies  die 
officielle  Inschrift  in  Herculaneum  bestätigt,  welche  die  Restauration  des  dortigen  durch  ein  Erd- 
beben zerstörten  Tempels  der  grossen  Mutter  durch  den  Kaiser  betrifft'.  Auch  eine  neapolitani- 
sche Inschrift  verbindet  den  siebenten  Tribuniciat  mit  der  Bezeichnung  COS  •  VII  •  DES  •  VHP. 
Beide  Inschriften  müssen  um  weniges  älter  sein  als  unser  Diplom,  nämlich  aus  der  Zeit  datiren, 
in  welcher  zwar  die  Designation  zum  achten  Consulat  schon  erfolgt,  aber  der  siebente  Tribuniciat 
noch  nicht  zu  Ende  war.  Dagegen  zur  Zeit,  in  welcher  unser  Diplom  abgefasst  wurde,  war  letzte- 
res schon  geschehen  und  die  tribunicische  Gewalt  schon  zum  achten  Male  vom  Kaiser  übernom- 
men worden.  Dieser  Umstand  gibt  einen  neuen  Anhaltspunkt  für  die  Bestimmung  des  Zeitpunk- 
tes, von  welchem  an  die  Regierung  des  Kaisers  Vespasian  gerechnet  wurde.  Es  bestehen  darüber 
bekanntlich  zwei  Ansichten.  Nach  Tacitus  und  Suetonius  feierte  man  den  1.  Juli  als  Tag  des 
Regierungsantrittes  des  Kaisers,  weil  an  diesem  die  in  Alexandrien  befindlichen  Legionen  auf 
seine  Seite  übergetreten  sind  und  dadurch  sein  Übergewicht  gegen  seine  Nebenbuhler  entschieden 
haben*.    Andere  dagegen  behaupten,   dass  dies  nicht  der  officiell  geltende  Tag  gewesen  sei, 

5  Zum  ersten  Male,  bevor  er  Kaiser  wurde  im  J.  51,  die  folgenden  acht  Male  als  Kaiser.  Vgl.  Eckhel  D.  N.  V.  VI,  p.  342. 
'  Orelli-Henzen  744,  6122.  —  s  Momm.sen  J.R.  N.  2G08.   —  9  Tac.  Hiät.  II,  79.  —  Suet.  Vesp.  c.  6.  Hist.  IV,  3.  Dio  Cass.  66,  18. 

19* 


12b  Dr.    Fr.   Exnner. 

indem  nach  Tacitus'^  der  römische  Senat  dem  Vespasian  erst  nach  dem  20.  December,  an  wclclitm 
Tage  Vitellius  starb,  die  gewöhnlich  den  Kaisem  zuerkannten  Würden  (cuncta  principibus  solita) 
ertheilt  habe. 

Nach  den  Einen  hätte  also  der  erste  Tribuniciat  mit  dem  1.  Juli,  nach  den  Andern  mit  dem 
21.  December  69  oder,  was  fast  dasselbe  ist,  mit  1.  Jänner  70  begonnen.  Eckhel  "  findet  die 
letztere  Vermuthuug  selir  wahrscheinlich,  indem  er  voraussetzt,  dass  Vespasianus  sich  anfänglich 
mit  den  Titeln  Imperator,  Caesar,  Augustus  begnügt  habe,  welche  ihm  das  Heer  verlieh,  ohne  nach 
der  tribunicia  potestas  zu  streben,  weil  der  Senat,  der  sie  zu  verleihen  gehabt  hätte,  dies  nicht 
\"or  dem  Tode  des  Vitellius  habe  thun  können.  Übidgens  entscheidet  sich  Eckhel  nicht  mit  völli- 
ger Bestimmtheit,  sondern  verweist  dabei  auf  die  möglicher  Weise  in  der  Zukunft  auftauchenden 
Monumente,  die  darüber  Licht  geben  würden  (sed  haec  tranquille  permittamus  tempori). 

Ein  solches  Monmnent  ist  nun  unser  Diplom.  Am  2.  December  76  hatte,  wie  wir  aus  ihm 
ersehen,  der  achte  Tribuniciat  schon  begonnen,  er  konnte  also  nicht  von  Jänner  zu  Jänner 
gelaufen  sein,  sondern  von  Juli  zu  Juli;  sofort  zurückgerechnet,  mnss  der  erste  Tribuniciat  that- 
sächlich  am  1.  Juli  69  begonnen  haben.  Da  unser  Diplom  ein  ofticielles  Document  ist,  so  fällt 
für  die  obige  Streitfi-age  jeder  Zweifel  hinweg;  der  1.  Juli  muss  als  der  Tag  des  Regierungs- 
antrittes auch  officiell  angenommen  gewesen  sein.  Wahrscheinlich  hat  der  römische  Senat  dem 
Kaiser  den  Tribuniciat  erst  am  20.  December  69  ertheilt,  dieser  aber  die  Ertheilung  als  eine  rück- 
wirkende Bestätigung  der  schon  fi-üher  in  Anspruch  genommenen  Gewalt  betrachtet '-. 

Aus  diesem  Umstände  folgt  weiter,  dass  alle  jene  Inschriften,  welche  mit  der  Bezeichnung 
COS  •  Vn  •  DES  •  VIII  noch  die  siebente  potestas  tribunicia  verbinden ,  in  das  erste  Semester 
des  Jahres  76  gehören,  wie  die  beiden  oben  angefühx-ten  neapolitanischen  Steine. 

Das  achtzehnte  Imperium  muss  ziemlich  um  dieselbe  Zeit  wie  der  siebente  Tribuniciat  sein 
Ende  erreicht  haben,  indem  mit  letzterem  das  17.  Imperium'^,  dagegen  mit  dem  achten  Tribuniciat 
in  der  Regel  das  18.  Imperium  verbunden  wird  '\ 

Zeile  4 — 7.  Die  Speculatores  werden  getrennt  und  vor  den  praetorischen  Cohorten  auf- 
gefühit:  sie  bildeten  sehr  wahrscheinlich  nicht  für  sich  eine  eigene  Schaai-.  sondern  waren  den 
praetorischen  Cohorten  je  in  bestimmter  Anzahl  beigegeben.  Dies  erhellt  auch  aus  den  Stellen  bei 
Tacitus,  der  die  speculatores  einerseits  zu  den  praetorischen  Cohorten  rechnet,  welche  die  Wache 
im  kaiserlichen  Palast  hatten,  sie  andererseits  aber  von  den  Praetorianern  unterscheidet  z.  B.  in 
Hist.  I  31:  dilapsis  speculatoribus  cetera  cohors  non  aspernata  u.  s.  w.  und  in  HisL  I  24  macht 
er  den  speculator  Coccejus  Proculus  als  einen  Soldaten  der  im  k.  Palaste  wachehaltenden  Co- 
horte  namhaft,  wobei  es  des  Zusatzes  speculator  nicht  bedurft  härte,  wenn  seine  Stellung  dieselbe 
wie  die  der  andern  Praetoriauer  gewesen  wäre,  die  einfach  milites  hiessen.  Nach  der  Beschaftenheit 
ihrer  Obliegenheiten  sind  sie  als  Ordonnanzsoldaten  zu  betrachten,  die  aus  den  übrigen  Praetoria- 
nern ausgewählt  wurden,  also  durch  ihre  Fähigkeiten,  sowie  durch  ihre  Verlässlichkeit  ausge- 
zeichnet und  zu  den  verschiedensten  Dienstleistungen  tauglich  waren.  Sie  gehörten  zur  nächsten 
Umgebung  des  Kaisers  namentlich,  wenn  er  ins  Feld  zog.  In  diesem  Falle  mögen  sie  auch  zusam- 
men eine  für  sich  bestehende  Abtheilung  und  den  nächsten  Schutz  des  Kaisers  gebildet  haben, 
wesshalb  Tacitus  (Hist.  11  llj  von  der  Begleitung  des  K.  Otlio  sagt:  ,,ipsum  Othouem  comita- 
bantur  speculatorum  lecta  Corpora  cum  ceteris  praetoriis  cohortibus  u.  s.  w. '•. 

'•  Hist.  Xr.  3.  —  "  D.  N.  V.  Vin,  409.  Vgl.  darüber  auch  Cardinali  diplomi  mil.  p.  70.  -  Borghesi  Annal.  dell'  Istit. 
d.  corr.  .A.rch.  X\111  (1846^  p.  330.  —  Aschbach  über  die  in  dem  Vespasian.  31ilitärdiplom  'J.  74)  vorkommenden  Alen  u.  8.  w. 
.S.  39  f.  —  12  Aschbach  a.  a.  0.  pag.  39.  —  '^  Vgl.  die  Inschriften  bei  Orelli  744  und  Mommsen  J.  R.  N.  2608.  — 
'*  Orelli  nr.  745.  Mommsen  6247.  Die  Inschriften  Orelli  746,  welche  mit  der  TR  •  P  •  Villi  das  IMP  •  XVII  und  COS  • 
VII  •  DE.S  VUI  verbindet,  sovrie  Orelli  2364.  welche  TR  •  P  •  VTU  mit  IUP  ■  XXVll  und  COS  VUI  DES  •  VIIU  zusam- 
menstellt, scheinen  fehlerhaft  abgeschrieben  zn  sein. 


Über  ein  bei  Kustendje  gefundenes  römisches  Militärdiplom.  l-cy 

Was  die  letzteren  betrifft,  so  \v;ii'  ilire  Anzahl  ursprünglich  ncun'^;  Vitollius  errichtete  sieben 
andere,  so  dass  unter  ihm  die  Zahl  auf  sechzehn  stieg'";  dies  geschah  aber  nur  vorübergehend, 
indem,  wie  unser  Diplom  lehrt,  zu  Vespasian's  Zeit  die  alte  Anzahl  wieder  hergestellt  wurde. 
Erst  in  späterer  Zeit  bestanden  zelm  praetorische  Cohorten ,  worauf  des  Dio  Cassius ''  Angabe 
zu  beziehen  ist.  Wer  die  zehnte  errichtet  hat,  ist  ungewiss.  Von  den  Militärdiplomen,  welche  die 
Zehnzahl  bestätigen,  datirt  das  älteste  aus  dem  J.  161,  aus  dem  Beginne  der  Regierung  des  K. 
Marc  Aurel'*:  dagegen  nach  einem  Inschriftsteine  bei  Orelli-Henzen  (0862),  welcher  die  zehnte 
Cohorte  nennt,  bestand  diese  schon  im  Jahre  112,  also  in  Trajans  Zeit.  Der  Cohortes  urbanae 
bestanden  ursprünglich  drei  ",  dazu  fügte  Vitellius  eine  vierte  '"°,  welche  unserem  Diplome  zu 
Folge  auch  K.  Vespasian  beibehielt.   Unter  Marc  Aurel  erscheinen  ihrer  fünf  *\ 

Die  Numern  der  einzelnen  Cohorten  werden  in  unserer  Urkunde  nicht  aufgeführt,  wohl 
aber  geschieht  dies  in  den  jüngeren  Pi'aetorianer-Diplomen ,  wo  nach  den  Bezeichnungen  der 
Cohorten  deren  Numern  folgen  von  I  bis  X  bei  den  praetorischen  und  von  X  bis  XIIII  bei 
den  städtischen'-',  eine  Neuerung,  deren  Zweckmässigkeit  sich  nicht  einsehen  lässt,  und  gegen 
welche  die  Einfachheit  im  Texte  unseres  Diploms  vortheilhaft  absticht. 

Zeile  7.  Der  Ausdruck  nomina  militum  subjeci,  quibus  • —  tribuo,  der  auch  im  Praetorianer- 
diplom  vom  J.  161  ähnlich  wiederkehrt  (nomina  subjecimus),  ist  eine  nur  solchen  Diplomen  eigen- 
thümliche  Wendung,  an  welcher  hervorgehoben  zu  werden  verdient,  dass  „nomina  subjeci"  der 
einzige  Hauptsatz  des  Textes  ist,  an  welchen  sich  der  übrige  Inhalt  in  Form  eines  Relativsatzes 
anschliesst.  Gerade  umgekehrt  werden  die  Diplome  für  Auxiliarier  stylisirt,  wo  der  auf  die  Namen 
bezügliche  Passvis  als  Relativsatz  eingeschaltet  wird,  wie:  Imperator  NN  peditibus  et  equitibus 
oder  militibus,  —  quorum  nomina  subscripta  sunt,  civitatem  dedit  et  conubium.  Offenbar  ist 
dieser  Unterschied  in  der  Textirung  ein  absichtlicher,  um  die  Sonderstellung  der  Praetorianer 
gegen  die  Auxiliarier  auch  der  Form  nach  kenntlich  zu  machen.  In  den  jüngeren  Diplomen 
ändert  sich  auch  darin  einiges  "^. 

Bedeutungsvoller  ist  ein  anderes  Unterscheidungsmerkmal.  In  den  Diplomen  für  Auxiliarier 
wird  von  dem  Kaiser  in  der  dritten  Person  der  Einzahl  gesprochen,  dagegen  in  jenen  für  Prae- 
torianer wird  die  erste  Person  gebraucht.  Der  Kaiser  selbst  wird  redend  eingeführt,  gewisser- 
massen  als  verkündigre  er  in  eigener  Person  den  Inhalt  der  Urkunde.  Man  wird  dies  nicht  daraus 
ei-klären  können,  dass  die  Praetorianer  in  Rom  anwesend,  die  Auxiliarier  aber,  weil  in  die  Pro- 
vinzen vertheilt,  abwesend  gewesen  wären;  denn  in  diesem  Falle  müsste  doch  in  den  legalisirten 
Abschriften  der  Diplome  für  letztere  der  Kaiser  redend  eingeführt  worden  sein,  was  bekanntlich 
niclit  der  Fall  ist.  Es  muss  also  auch  dieser  Unterschied  mit  der  verschiedenen  Stellung  der 
Garden  und  der  übrigen  Soldaten  zum  Kaiser  verbunden  und  der  Gebrauch  der  ersten  Person  als 
eine  Auszeichnung  für  die  ersteren  anoresehen  werden.  Der  Unterschied  ist  der  Tendenz  nach  der- 
selbe ,  welcher  heutzutage  in  der  Veröffentlichung  der  Ernennungen  eines  Souverains  gemacht 
wird,  indem  derselbe,  freilich  nur  an  höchstgestellte  Persönlichkeiten,  Handschreiben  erlässt,  in 
denen    er    also   in    der    ersten    Person    spricht,    während    die    Ex'nennung    geringer    Gestellter 

15  Tacitus  ann.  IV.  5.  zum  J.  23.  —  '«  Tacitus  Bist.  11,  93.  —  i'  LV,  24.  —  is  Cardinali  p.  XXXXI,  tav.  XXI.  vgl.  Kel- 
lerraann  vig.  123.  —  i»  Tac.  Annal.  IV  5.  —  ^  Tao.  Eist.  II  93.—  21  C'aidinali  Diplomi  p.  XXXXI,  tav.  XXI.  —  2^  Bei  dieser 
Numerirung  der  städtischen  Cohorten  sind  letztere  gewissermassen  als  eine  Fortsetzung  der  praetorischen  gedacht,  deren  Zahl 
ursprünglich  neun  war,  daher  ihre  Numern  von  I — IX  liefen  und  die  städtischen  Cohorten  in  die  Ziifernfolge  eintraten  X— XII, 
so  lange  deren  drei,  X— XIII,  solange  ihrer  vier,  und  X — XIIII  seit  ihrer  fünf  waren.  Nach  Errichtung  der  X.  praetorischen 
Cohorte  erhielt  diese  zwar  die  Numer  X,  demungeachtet  bUeb  der  ersten  städtischen  Cohorte  auch  die  Numer  X.  Doch  scheint 
diese  Nuinerirung  nur  in  den  Diplomen  geübt  worden  zu  sein,  während  auf  Inschriftsteinen  die  Ziffern  I — V  vorkommen.  — 
23  Die  Coustruction  „quibus  fortiter  et  pie  militia  functis  jus  tribuimus  conubii"  erscheint  späterhin  aufgelöst:  qui-functi  sunt, 
fiis)  tribuimus;  da  zugleich  das  Zeitwort  subjecimus  späterhin  wegfällt  und  der  alte  mit  nomina  beginnende  Satz  dadurch  ver- 
stümmelt wird,  gewinnt  jener  Passus,  der  die  Hauptsache  enthält,  auch  die  Geltung  des  Hauptsatzes  im  Texte  der  Urkunde. 


130  Dr.    Fr.   Kenner. 

in  der  Form  einer  amtlichen  Mitrheilunü'.  welche  vom  Souverain  in  der  dritten  Person  spricht, 
angezeig-t  wird. 

Der  Singular  „subjeci'*  in  Zeile  7  und  „tribuo"  in  Zeile  9  kommt  nur  in  unserem  Diplom  vor: 
die  jüngeren  von  Cardinali  a.  a.  O.  mitgetheilten  haben  dafür  durchaus  den  Plural:  subjeciiniLs. 
tribuimus;  sie  stammen  aus  der  Zeit  der  K.  Marc  Aurel,  Septimius  Severus,  Gordianus  und  Phili])- 
pus.  Insofern  ist  unser  Diplom  ein  Reweis  dalür.  dass  zur  Zt  it  des  K.  Vespasian  der  pluralis 
majestatis  noch  nicht  angewendet  wurde. 

Zeile  8 — 13.  Die  folgenden  Bestimmungen  der  Urkunde  berühren  nicht  die  Form,  wie  die 
bisher  angeführten,  sondern  das  Wesen  der  verschiedenen  Stellung  der  Praetorianer  und  Auxi- 
liarier.  Es  darf  als  bekannt  vorausgesetzt  werden ,  dass  die  Diplome  für  gewöhnliche  Solda- 
ten zwei  Bewilligungen  enthalten,  die  Ertheilung  der  civitas,  des  Bürgerrechtes  für  diejenigen, 
welche  solches  noch  nicht  besitzen,  und  des  jus  conubii,  d.  i.  die  gesetzliche  Anerkennung 
der  schon  geschlossenen  oder  noch  zu  schliesseuden  Ehen,  jedoch  nur  mit  je  einer  Frau.  Die 
Bedingungen,  welche  bei  diesen  Bewilligungen  als  schon  erfüllt  vorausgesetzt  werden,  sind  die 
Vollendung  von  mindestens  zwanzig  Dienstjahren  und  die  eln-envolle  Entlassung  aus  dem  Sol- 
datenstande. 

Die  Praetorianer  waren  dagegen  schon  als  solche  römische  Bürger;  anfänglich  nur  ans 
Italien  aussrehoben  war  der  Besitz  des  Btirg-errechtes  bei  ihnen  selbstverständlich.  Damit  entfallt 
der  erste  der  Puncte,  die  eben  angeführt  wui'den,  in  den  für  sie  ausgestellten  Diplomen  von  selbst. 
Auch  die  Bedingung  der  Ertheilung  des  jus  conubii  ist  für  sie  eine  andere;  sie  lautet  allgemein 
.militia  fortiter  et  pie  functis"  und  setzt  also  nicht  die  VoUendungder Dienstjahre,  sondern  den  im 
Dienste  bezeigten  Muth  und  Eifer  voraus.  Daher  bemerkte  Cardin ali'*  ganz  richtig,  dass  die 
Bezeichnung  tabula  honestae  missionis,  die  man  gewöhnlich  für  Militärdiplome  anwendet,  nur  für 
jene  gelten  könne,  welche  gewöhnliche  Soldaten  betreffen,  nicht  aber  für  jene  der  Praetorianer, 
die  das  jus  conubii  nicht  erst  beim  Austritt  aus  dem  Dienste,  sondern  schon  früher  erlangen 
konnten.  Thatsäehlich  ist  in  keinem  der  sie  betreffenden  Diplome  von  dem  elu-envollen  Abschiede 
(honesta  missio)  die  Rede:  sie  blieben  auch  nach  Empfang  des  jus  conubii  im  Dienste. 

Gleich  ist  in  beiderlei  Diplomen  nur  die  Ertheilung  des  jus  conubii  selbst.  Allein  auch  diese 
geschieht  bei  den  Praetorianern  mit  Ausdrücken,  welche  in  das  Detail  der  Sache  näher  eingehen. 

Es  scheint  nämlich  der  Fall  gewesen  zu  sein,  nicht  blos  dass  Praetorianer  mit  einer  JVau 
in  Ehe  lebten,  sondern  auch  hintereinander  mit  verschiedenen  Frauen.  Für  solche  Fälle  nun  wird 
die  gesetzliche  Anerkennung  der  Ehe  auf  die  erste  Frau  beschränkt,  so  dass  nur  die  von  dieser 
geborenen  Kinder  das  Bürgerrecht  erhielten ;  waren  ausser  solchen  noch  von  einer  zweiten  und 
dritten  Frau  Kinder  vorhanden,  so  erhielten  diese  das  Bürgerrecht  nicht,  ebenso  wenig  als  das 
Verhältniss  ihres  Vaters  zu  ihrer  Mutter  gesetzlich  als  Ehe  anerkannt  wurde. 

Wichtig  ist  ferner  die  ausdrückliche  Hervorhebung  der  Bestimmung,  dass  in  dem  Falle,  als 
die  erste  Frau  nicht  das  römische  Bürgerrecht  besass,  sondern  femina  juris  peregi-ini  war,  durch 
das  jus  conubii  zwar  nicht  sie  selbst  die  Civität  erhielt,  wohl  aber  ihi-e  Kinder  so  angesehen 
werden  sollten,  als  ob  beide  Eltern  römische  Vollbürg-er  wären.  Es  la«-  eben  im  Wesen  des 
„matrimonium",  dass  die  aus  solchem  hervorgehenden  Kinder  nicht  in  der  Gewalt  des  Vaters 
standen,  sondern  dem  Stande  der  Mutter  folgten,  wogegen  das  „conubium"  dem  Vater  die  volle 
Gewalt  über  die  Kinder  gewährte;  daher  der  Ausdruck  „ut  —  proinde  liberos  tollant"  etc. 

Vergleichen  wir  mit  der  betreffenden  Formel  jene  der  I)iplome  für  gewöhnliche  Soldaten. 
Diese  lautet:  „ipsis  liberis  posterisque  eorum  civitatem  dedit  et  conubium  cum  tixoribus  quas  tiinc 
habuissent,  cum  est  civitas  iis  data,  aut  si  qui  caelibes  essent,  cum  iis,  (pias  postea  duxissent, 
'^*  A.  a.  0.  prefazione  p.   III  und   im   Text  p.  234,  III. 


Über  EIN  BEI   Kustendje  gefundenes  römisches  Militäruiplom.  131 

duQitaxat  singulis  singulas".  Im  Wesen  sind  die  Bestimmungen  auch  hier  ähnlich  jenen,  die  für 
die  Praetorianer  getroffen  wurden.  Allein  einerseits  wird  der  Fall,  dass  die  Frau  peregrini  juris 
sei,  nicht  speciell  erwähnt,  andererseits  gilt  die  Bewilligung  auch  für  die  in  Zukunft  zu  schlies- 
senden  Ehen  lediger  Soldaten,  was  in  den  Praetorianer-Diplomen  fehlt,  indem  hier  nur  von  schon 
geschlossenen  Ehen  die  Rede  ist. 

Auch  ist  bezeichnend,  dass  das  Zusammenleben  der  Soldaten  mit  einer  Frau  vor  Erlansrune 
des  jus  conubii  „matrimonium"  genannt  wird,  den  Soldaten  also  die  Schliessung  einer  förmlichen 
Ehe  nicht  geradezu  i;ntersagt  war,  wohl  aber  ohne  die  civilrechtlichen  Folgen  für  die  Kinder 
blieb,  die  an  das  jus  conubii  geknüpft  sind,  so  dass  die  Kinder  erst  nach  Ertheilung  des  letzteren 
„justi  liberi  et  heredes"  wurden.  In  späterer  Zeit  taucht  für  matrimonium  ein  das  Verhältniss 
anders  bezeichnender  Ausdruck  ,.consuetudo  concessa"  "^  auf,  dm-ch  welchen  das  Zusammen- 
leben von  Mann  und  Frau  klar  als  ein  blos  geduldetes  und  als  ein  solches  bezeichnet  wurde, 
das  erst  durch  Ertheilung  des  jus  conubii  in  eine  vollgiltige  gesetzlich  anerkannte  Ehe  überging. 

Endlich  liefern  uns  die  Militärdiplome  beider  Arten  den  Beweis  dafür,  dass  das  Bürger- 
recht der  Soldaten  ein  beschränktes  war,  welches  das  jus  conubii  nicht  in  sich  fasste.  Wäre 
dies  nicht  der  Fall  gewesen,  so  würde  die  Textirung  der  Prätorianer-Diplome  keinen  Sinn  haben. 
da  sie  eben  die  Ertheilung  des  conubium  zum  Inhalte  hat  und  da  die  Praetorianer,  die  als  solche 
das  Bürgerrecht  besassen,  schon  vermöge  des  letzteren  eine  gesetzlich  vollgiltige  Ehe  hätten 
schliessen  können.  Auch  in  den  Diplomen  für  Auxiliarier  wird  das  jus  conubii  ausdrücklich  von 
der  civitas  getrennt  und  gesondert  ertheilt,  was  wieder  nur  denkbar  ist  unter  der  Voraussetzung, 
dass  jene  Beschränkung  der  Civität  für  Soldaten  systemmässig  war. 

Wie  die  späteren  Militärdiplome  der  K.  Gordianus  und  Philippus  lehren,  hat  sich  darin 
auch  in  der  Folge  nichts  geändert.  Es  kann  also  das  von  Septimius  Severus  den  Soldaten  ge- 
machte Zugeständnisse",  heirathen  zn  dürfen,  nur  als  eine  vorübergehende  Massregel  aufgefasst 
werden,  die  späterhin  wieder  aufgehoben  wurde.  Auch  die  von  K.  Caracalla  verfügte  Ausdeh- 
nung des  Bürgerrechtes  auf  alle  Provincialen  ^'  muss  später  hin  auf  die  nicht  im  Militärverbande 
stehenden  Unterthanen  des  Reiches  beschränkt  worden  sein,  da  sonst  mit  den  nach  jener  Zeit 
ausgestellten  Militärdiplomen  nur  das  jus  conubii,  nicht  aber  daneben  auch  die  civitas  ertheilt 
worden  wäre,  was  bekanntlich  nicht  der  Fall  ist. 

Zeile  14 — 17.  Die  folgenden  Zeilen  enthalten  in  der  bei  allen  Diplomen  üblichen  Zusam- 
menstellung und  Fassung:  das  Datum  und  die  Adresse  der  Urkunde,  sowie  die  Beglaubigung  der 
Abschrift  derselben. 

Die  Consulen  Galeo  Tettienus  Petronianus  und  M.  Fulvius  Gillo  erscheinen  auf  vniserem 
Diplom  zum  ersten  Male  genannt;  sie  waren  im  December  des  Jahres  76  thätig,  also  nur  Con- 
sules  sufi'ecti,  welche  im  zweiten  Semester  des  Jahres  fungirten,  während  in  den  ersten  sechs 
Monaten  die  consules  ordinarii  amtirten  -*.  Als  solche  werden  für  das  Jahr  7ü  in  den  fasti  Con- 
sulares  der  Kaiser  selbst  und  sein  Sohn  Titus  genannt;  dagegen  vom  ersten  Juli  ab  nennen  sie 
als  Consulen  den  zweiten  Sohn  des  Kaisers  Domitian,  der  damals  zum  fünften,  und  den  T.  Plau- 
tius  Silvanus  Aelianus,  der  zum  zweiten  Male  Consnl  wurde '^  Wahrscheinlich  haben  diese  beiden 
in  dem  Trimester  Juli,  August  und  September  fungirt,  worauf  die  in  unserem  Diplome  genann- 
ten  Galeo  Tettienus  Petronianus  und  M.    Fulvius  Gillo  für   das  nächste  Vierteljahr  (October, 

^^  —  —  ipsis  üliisque  eorum,  quos  susceperint  ex  mulieribus  qiias  secum  ex  concessa  consuetudine  vixisse  pio- 
bat(a)e  sint,  civitatem  Romanam  dederunt.  Cardinali  dipl.  p.  XXXXVI,  tav.  XXVI.  Militärdiplom  des  K.  Philippus  und  seiiic-s 
Sohnes  für  Seesoldaten  bei  der  Flotte  zu  Misenum,  jetzt  in  Neapel.  Dieselbe  Formel  begegnet  auf  dem  Diplom  für  Soldaten 
der  Eavennatischen  Flotte  (vom  K.  Decius  Trajanus  J.  219)  Borghesi  oeuvres  completes  Paris  1865  T.  II  'Epigraphiques) 
p.  277  f.  —  -^  Herodiau  III,  8.  —  -'  Dio  C'assiiis  77,  9,  10,  17.  —  =8  Annali  dell'  Ist.  d.  eorr.  Arcb.  1859,  pag.  8,  note.  — 
-9  Ausgabe  von  Cicero's  Werken  von  Orelli.  Bd.  Vlll  (Onomasticon  TuUianum  pars  III,  Anhang  v.  Georg  Baiter  p.  LXXIV). 


132  Dk.  Fr.   Kes-vek. 

November.  Decemberj  eingetreten  sein  dürften;  wenigstens  galt  unter  Vespasian  noch  die  drei- 
monatliche Frist  für  die  Consulate  und  erst  unter  Titus  und  Domitian  kam  die  Sitte  auf,  dass  ein 
Consul  nur  zwei  Monate  thätig  war. 

An  der  Schreibung  der  Namen  der  Consulen  kann  nicht  wohl  gezweifelt  werden.  Allerding« 
ist  der  Name  GALEONE  des  erstgenannten  Consuls  weniger  gut  erhalten,  als  die  andern  Namen, 
aber  er  ist  doch  gut  zu  lesen.  Im  Beinamen  des  zweiten  Consuls  ist  das  G  sehr  deutlich  ausgedrückt. 

Zellf  18.  Der  Adressat,  für  welchen  unser  Diplom  nach  der  Original-Urkunde  copirt 
wurde,  war  ein  Soldat  der  cohors  sexta  praetoria  mit  Namen  L.  Ennius  Ferox,  dessen  Vater 
gleichfalls  Lucius  mit  Vornamen  geheissen  hatte.  Er  stammte  aus  Aquae  Statiellae,  oder  wie  es 
im  Diplom  geschrieben  wird,  Statellae  ^  einem  renommirten  Badeorte  in  Ligurien  in  der  Richtung 
der  Linie,  die  man  sich  zwischen  Genua  und  Turin  gezogen  denken  mag,  und  beiläufig  in  der 
halben  Entfernung  zwischen  beiden  Städten;  es  ist  das  heutige  Acqui  in  Piemont".  Der  Ort 
gehörte  zur  Tribus  Tromentina,  die  in  unserem  Diplom,  sowie  in  einer  Inschrift  bei  Orelli 
(4927),  in  letzterer  mit  dem  gleichen  Ortsnamen  genannt  wird,  so  dass  über  die  Lesung  der 
18.  Zeile  kein  Zweifel  sein  kann. 

Zeile  19 — 21.  Die  Beglaubigungsfoi-mel  endlich  ist  die  bei  allen  Militärdiplomen  gebräuch- 
liche; sie  bezeichnet  als  Ort,  wo  die  Original-Urkunde  öffentlich  angeschlagen  war,  die  _Ba,sis 
des  Jupiter  Africus  auf  dem  Capitol-.  In  der  nächsten  Umgebung  des  Tempels  des  Jupiter  Capi- 
tülinus  standen  mehi-ere  kleinere  Heiligthümer,  wie  der  Tempel  der  Fides  Populi  Romani,  femer 
die  ara  gentis  Juliae,  wo,  als  auf  dem  belebtesten  Platze  des  alten  Rom.  die  internationalen  Acten- 
stücke  und  Gesetze,  zu  denen  eben  auch  die  Militärdiplome  gehören,  affichirt  waren  ^-.  Auch  mehrere 
Jupiterstatuen  waren  dort,  darunter  jene  des  Jupiter  Africus  ".  Letztere  wird  auch  in  dem  Pester 
Militärdiplom  von  K.  Domitian  erwähnt  mit  den  Worten:  _in  capitolio  in  basi  columnae  parte 
posteriore  quae  est  secundum  Jovem  Africum^^.  In  der  zweiten  Hälfte  der  Regiening  Domitian's 
(n.  86),  wahrscheinlich  in  Folge  des  Brandes  auf  dem  Capitol**  «Tirden  derlei  Bronzetafeln  am 
Tempel  des  Divus  Augustus  ad  Minervam  auf  dem  Palatin  angeschlagen.  Unser  Diplom  gibt 
den  alten  Aftichirungsplatz  an,  weil  es  vor  Domitian  erlassen  ward,  dagegen  von  den  durch 
Cardinali  mitgetheilten  Praetorianer-Diplomen  nennen  die  drei  aus  den  Jahren  161,  243  und 
248  stammenden  schon  den  Tempel  des  vergötterten  Augustus  als  Ort  des  Anschlages;  in  dem 
vierten  ist  der  beti-effende  Passus  nicht  mehr  erbalten.  — 

30  Die  Lesung  des  Namens  unterliegt  keinem  Zweifel ;  obwohl  die  Buchstaben  am  Ende  der  ziemlich  langen  Zeile  etwas 
zusammengedrängt  erscheinen,  nimmt  man  doch  bei  dem  zweiten  Zeichen  der  zweiten  Silbe  TEL  die  Querstriche  gut  aus. 
Anianglich  war  ich  versucht  zu  lesen  STATIELIS,  allein  bei  genauer  Vergleichung  unter  sehr  hellem  .Sonnenhchte  zeigte  sich  die 
zweite  .Silbe  als  TEL.  womit  der  Name  der  Tab.  Peut.  sTATELLAE  übereinstimmt.  Plinius  aus  der  Zeit  Vespasians)  schreibt 
Aquae  Staticilorum  m,  5,"  7)  und  Aquae  Statiellae  31.  -2.  2  ,  eine  Inschrift  bei  Orelli  49-27  AQMS  STATIELLIS:  es  scheint 
daher,  dass  nebeneinander  beide  Schreibungen  STATELLIS  und  STATIELLIS  gebräuchlich  waren,  jenachdem  man  das  e 
der  zweiten  Silbe  in  der  Aussprache  schleifte  oder  nicht.  —  3i  piinius  31,  2,  2.  —  Cicero  ad  Div.  XI,  11.  —  Strabo  V,  p.  217 
'Ax-j-jju  ÜTaTiä) "/ at  .  —  Irin.  Ant.  —  3-  Mommsen  Stadtrechte  von  Salpensa  und  Malaca.  Abhdlg.  d.  S.  Ges.  d.  W.  S.  392  und  in 
den  Annali  dell'  Istituto  di  corr.  arch.  1855,  p.  29.  1858,  202  f.  Vgl.  Sueton  Vcsp.  c.  8.  „'Capitoliumj  quo  continebantur  privi- 
legia  cuicumqne  concessa"  —  ^  Preller  Römische  Mythologie  S.  209.  —  ^  Arneth,  XII  römische  MiliiärUiplome  p.  21.  — 
^•'  Heuzen  Aniuili   isö7.  p.   11. 


133 


Über  Darstellungen  der  Passion  Jesu  Christi,  insbesondere 
auf  einem  noeh  unbekannten  Bilde  von  Lucas  Kranaeh. 


Von  Dk.  Messmer. 


(Mit  2  Holzschnitten.) 


Die  Passion  des  Heilandes  gehört  nicht  zu  den  in  der  frühchristlichen  Kunst  gewöhnlichen 
Darstellungen,  wenn  man  von  den  symbolischen  und  typischen  absieht,  die  freilich  schon  im 
III.  Jahrhundert  die  Erlösung  durch  Christi  Opfertod  zum  Gegenstande  haben  und  in  der  patri- 
stichen  Literatur  noch  weiter  zurückgehen,  wie  von  Hefele  S.  1(35  in  der  Tübinger  Theologi- 
schen Quartalschrift  1868  1,  nachgewiesen  wird.  Von  den  wirklichen  Darstellungen  kommen  der 
Einzug  des  Herrn,  die  Fusswaschung,  das  Ab-endmahl,  Pilatus'  Urtheilsspruch,  Petrus  verleugnet 
den  Herrn,  Christus  von  Soldaten  geführt ,  mit  der  Krone  (Rosen  und  Blätter)  gekrönt  und  mit 
dem  Kreuz  belastet,  seit  dem  IV.  Jahrhundert  (die  einen  vielleicht  schon  Anfangs,  die  andern 
erst  am  Schlüsse  dieses  Jahi-hunderts)  auf  christlichen  Denkmälern  vor.  Für  die  Darstellung  des 
gekreuzigten  Heilands  kennt  man  noch  kein  früheres  Datum,  als  das  Ende  des  VI.  Jahrhunderts, 
welches  Hefele'  mit  gutem  Rechte  auch  dem  in  den  Kaiserpalästen  zu  Rom  entdeckten  soge- 
nannten Spottcrucifix  gegenüber  aufrecht  hält  und  neuere  Schriftsteller  '^  über  das  Kreuz 
vollkommen  acceptiren.  Die  ausgezeichnete  Abhandlung  A.  Zestermann's  über  die  Kreuzigung 
hat  leider  die  Erörterung  dieses  Punktes  als  von  dem  nächsten  Thema  zu  weit  abliegend,  auf 
ein  künftiges  Programm  verschieben  müssen.  Gewiss  wird  dieser  Forscher  oder  einer  der  citirteii 
Gelehrten  von  den  Stellen  Notiz  nehmen,  welche  P.  Garrucci  in  seiner  (Makarius'  resp.  d'Heii- 
reux)  Hagioglypta  p.  o-i  für  ein  früheres  Datum,  nämlich  das  III.  Jahrhundert,  beibringt,  hiebei 
auf  Pitra  gestützt,  der  in  seinem  Spicilegium  Solesm.  I.  400  u.  500  ff.  dieses  Punktes  gedenkt. 
Diese  Stellen  beweisen  nach  genauem  Vergleiche  der  Urtexte  keineswegs  dies  frühe  Datum  der 
Darstellung  des  geki-euzigten  Christus.  Die  schöne ,  in  des  Nicephorus  Antirrhetica  aus  dem 
VIH.  Jahrhundert  enthaltene  Ausführung  des  dem  III.  Jahrhundert  angehörenden  S.  Gregor 
Illuminator  wird,  so  verstanden,  bis  zur  unbedeutenden  Rede  abgeschwäclit.  Indem  er  den  Heiden 
vorstellt,  „wie  sie  bisher  das  Menschenbild  durch  der  Arbeiter  Hände  in  Holz  hergestellt  verehrt 
hätten,  jetzt  aber  durch   die  Annahme  der  wirklichen  Menschengestalt  durch  Christus  und  die 

>  Beiträge  zur  Kirchengeschichte,  Archäologie  und  Liturgik  II,  269.  —  ^  p.  T.  Münz.  Archäol.  Bemerkungen  über  da.s 
Kreuz  etc.  1866.  Seitdem  hat  F.  Kraus  I.  B.  Beiträge  zur  Trier'schen  Archäologie  1868  den  nämlichen  Gegenstand  kritisch 
behandelt  und  dabei  besonders  die  älteren  Bearbeitungen  sorgfältig  berücksichtigt.  In  den  Jahrbüchern  des  Vereins  von  Alter- 
thumsfrcunden  im  Rheinlande  186S  haben  H.  Otte  und  E.  G.  Weerth  p.  19.5  ff.  eingehende  Studien  dieses  Themas  publicirt. 
Über  das  s.  g.  .'^pottcrucifix  s.  Mitth.  d.  f'ent.  C'onim.  Bd.  XIII. 

XIV.  20 


Io4  Dk-  Messmer. 

Auflichtung  iles  Kreuzliolzos  in  Mitten  des  Erdkreises  mit  dem  wirklichen  MenschenbiUle  des 
Erlösers  zin-  berechtioten  Anl)etung  des  (Ki-euz-)  Holzes  und  des  daran  befindlichen  Menschen- 
bildts  o-erufeu  seien-,  kann  er  nur  die  geistige  Autiassung  seiner  Rede,  den  dogmatischen  Zusam- 
nunhano-  vor  Augen  orehabt  haben,  ähnlich  dem  heil.  Paulus  (Galat.  3,  1  und  Hebr.  0,  11  und 
](i.  IH).  In  anderem  Verstände  enthält  diese  Ausführung  statt  ihrer  Grossartigkeit  und  Univer- 
salität eine  unerträgliche  Plattheit.  Das  von  Pitra  urgirte  sixiüv  des  Schlusses  der  Rede  wii-d  hier 
in  keinem  anderen  Sinne  genommen,  als  die  Gegenüberstellung  erfordert:  Anbetung  des  fingirten 
Menschenbildes  :=  Götzendienst  oder  Heidenrhnm;  —  Anbetung  des  am  Kreuzholze  aufgerichte- 
ten die  menschliche  EbL-nbildlichkeit  in  Wahrheit  an  sich  tragenden  Christus  =  Gottesdienst, 
Cliristenthmn. 

Bei  dem  Bilderstreite  bildete  ja  diese  dogmatische  Frage  nach  der  wirklichen  ^lenschen- 
natur  den  Hintergrund  und  Nicephorns  fügt  desshalb  diese  Stelle  von  Gregor  ein.  Dies  sixiö-; 
des  Schlusses  der  Rede  wird  am  Anfange  derselben  als  Menschennatiur  oder  wirklicher  Jlensch 
von  Christus  gebraucht.  _Er  wurde  selbst  wahrhaftes  Bild  des  Menschen,  nm  die  Bildanbeter  .  .  . 
dem  eioentlichen  Bilde  der  Gottheit  zu  unterwerfen-.  Wer  kann  hier  eine  Beziehung  auf  die 
Abbildung  C'hristi  finden?  Der  heil.  Ambrosius  sagt  Adam  und  Christus  vergleichend:  Ille  ad 
iniao-inem  Dei,  hie  imago  Dei  —  wo  unter  imago  Dei,  wie  bei  T.  Hilarius  als  j,facies  Dei"  mehr  als 
das  Bild,  nämlich  als  der  Abglanz  des  Vaters  verstanden  ist.  Ebenso  hier  siziuv.  nur  mit  Betonung 
der  Menschheit  Christi,  dort  der  Gottheit.  Die  andere  dafür,  selbst  von  Pitra  angerufene  Stelle 
lässt  ihr  Alter  und  ihre  unerwiesene  Authenticität  vorausgesetzt,  bei  günstigster  Auslegung  ein 
Bild  Christi  und  der  Apostel,  nicht  aber  des  Gekreuzigten  zu,  wie  wir  jenes  auf  fi-ühchristlichen 
Denkmälern  treÖ'en,  ohne  dass  die  blos  symbolische  Darstellung  durch  diese  Stelle  ausgeschlos- 
sen wäre.  Diese  Stelle  enthält  der  angeblich  apostolische  Canon  des  Märtvrers  Paniphilus  in  des 
Orifrenes  Bibliothek  aufbewahrt.  Die  Wichtigkeit  der  genannten  Beweisstellen  wird  meine  Aus- 
führlichkeit entschuldigen  und  die  genannten  Forscher  vielleicht  zu  einer  gelegentlichen  Äusse- 
runs:  hierüber  vermögen. 

Die  Passion  nun  wieder  aufgreifend,  finde  ich,  dass  im  XI.  Jahrhundert,  nm  das  Jahr  lOOO 
in  runder  Zahl,  folgende  Leidensscenen  zu  den  erwähnten  in  Kunstdarstellungen  hinzutreten: 
die  Geisslunsr,  des  Judas  Verrath  und  Christi  Gefangennehmung,  Christus  vor  dem  Hohenprie- 
ster. Ecce  homo,  die  Kreuztragung  und  die  Abnahme  vom  Ka-euze  mit  dem  Begräbnisse  des 
Heri'en.  All'  diese  Scenen  beruhen  auf  der  heil.  Schrift  selbst,  welche  man  hierin  nicht  verliess. 
Im  XII.  Jahrhundert  reiht  sich  das  Gebet  Clu-isti  am  Ölberg  an  die  genannten  Darstellungen 
und  die  Andeutung  der  Passion  durch  die  im  Hintergrunde  des  verherrlichten  Erlösers  (Maje- 
stas  DominH  wahrnehmbaren  Leidenswerkzeuge,  die  noch  bei  Hubert  van  Eyck  auf  dessen 
berühmtem  Genter  Altarbild  von  Engeln  geführt  das  Lamm  Gottes  umgeben.  Die  sieben  Sta- 
tionen des  eio-entlichen  Kreiizweges,  dessen  Ursprung^  und  Vorgänger  der  von  Gethsemani 
nach  Zion  und  Calvaria  führende  Weg  ,,GalIläa-  in  Jerusalem  im  XII.  und  XIII.  Jahrhundert 
"•ewesen,    finde   ich  zuerst*    bei  dem  von  Martin   Kötzel    angelegten  und   in    den    neunziger 

3  Mittheil.  d.  k.  k.  Cent.  Comm.  ISCI.  6.  104.  Das  Abbild  dieses  „Galiläa'^  hiess  im  Abendlande  ebenso.  Ich  habe  seither 
noch  viele  Stellen  dafür  gefunden.  Merkwürdig  ist  auch  liiefür  bei  C.  Ludwig  Sacrac  antiquit.  Monumnta  17-2:>  fol.  173  und 
1«2  mit  der  scharfsinnigen  Anmerkung.  —  *  Einzelne  bcenen,  aber  nicht  in  der  gleichbleibenden  Folge  sieht  man  in  den  kleinen 
Keliefs  der  S.  Laurentius-,  und  noch  conseqnenter  der  St.  Sebalduskirche  zu  Nürnberg  an  den  Strebepfeilern  eingefügt.  Diese 
datir.n  noch  aus  dem  XIV.  Jahrliundert  und  besinnen  mit  dem  Einzug  Christi.  An  der  Kirche  zn  Biburg  in  Bayern  befanden 
sich  ähnliche,  die  noch  älteren  Charakters  schienen.  Der  jetzige,  aus  14  .Stationen,  beginneaid  mii  Christi  Verurtlioilung,  beste- 
hende eigentliche  Gang  Christi  mit  dem  Kreuze  wurde  wahr.-icheinlich  durch  die  Franciscaner  nach  l.j61  angeordnet,  war 
aber  im  Abendl.inde  1699  noch  nicht  sehr  eingeführt.  Ich  habe  eiu  unbekanntes  Büchelchen  vor  mir  aus  diesem  Jahre,  das  der 
Jesuit  Adrien  Par\illiers  1654  als  apostolischer  Missionär  des  heil.  Landes  verfertigt  und  mit  oberhirtlicher  Approbation  zu 
Kouen  in  Kleinottav  ,La  devotion  des  Predestinez  ou  les  Station*  de  la  Passion  etc.''  herausgegeben  hat.  wo  das  Abendmahl 


Über  Daustellungen  der  Passion  Jesu  Christi  etc.  loo 

Jahren  des  XV.  Jalirliundcrts  von  Adum  Kraft  zn  Nürnberg-  so  meisterhuft  ansoeführten  Wege 
nach  dem  Johannisku-chhofe,  wobei  der  Fall  Christi  unter  dem  schweren  Kreuze  zum  ersten- 
male  bildnerisch  dargestellt  ist.  Diese  ergreifende  Vorstellung  ist  nicht  biblisch,  und  ihr  kaiui 
man  die  Scenen  der  Passion  anreihen,  welche  aus  der  Betrachtung  des  Leidens  Christi  mit  mehr 
oder  minder  traditioneller  Unterlage  in  den  Apokryphen  und  alten  Legenden  hervorgegangen 
und  füglich  „Betrachtungsbilder  der  Passion"  genannt  werden  können.  Dahin  zähle  ich  die  Vor- 
stellung, dass  Christus  vor  seinem  Leidensg-ange  gerastet  habe,  wovon  ich  in  dieser  Zeitschrift 
1861,  p.  217,  eing-ehend  gehandelt  habe. 

Was  ist's  ferner  mit  der  s.  g.  „Misericordia  oder  Barmherzigkeit".  Diese  Bezeichnung  enthiUt 
der  Bestandbrief  ^  über  das  Sacramentshaus  zu  Bopfingen  vom  Jahre  1408,  worin  der  Meister 
Hans  Böblinger  sich  verpflichtet,  ausser  dem  Sacramentshaus  noch  zu  fertigen:  „Ein  Barm- 
herzigkeit mit  zweien  Engeln".  Damit  wird  die  in  zwei  Esslinger  Urkunden  ''  von  1104  und 
1463  erwähnte  „Erbärmde  Unseres  Herren"  synonym  sein.  Unter  den  im  Jahre  1484  an  der 
Nürnberger  Sebalduskirche  '  restaurirten  Steinbildern  wird  auch  „an  dem  Pfeiler  neben  der 
Taufthüre"  ausser  St.  Christoph  und  Maria  die  „Barmherzigkeit"  genannt.  Nun  fand  ich  bei 
sorgfaltiger  Besichtigung  der  Sculpturen  von  St.  Sebald  neben  der  westlichen  ThUre  der  Nord- 
seite eine  Christus-Statue  mit  einem  Mantel  über  dem  nackten  Körper  auf  seine  Seitenwunde 
zeigend,  welche  Figur  im  Inneren  dieser  Kirche,  dann  am  Ausseren  der  St.  Lorenzkirche  und 
zu  St.  Jacob  wiederkehi't  und  noch  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  datiren  mag.  Die  kleinere  Re- 
liefdarstellung an  einer  Thurmstrebe  derselben  Nordseite ,  Christus  von  Engeln  gehalten  im 
Grabe  stehend,  dürfte  in  dieser  urkundlichen  Stelle  nicht  gemeint  sein.  Ich  nehme  also  die 
nirgends  bezeichnete  Taufthüre  an  dieser  Nordseite  westlich  an  und  halte  den  mit  den  Wund- 
malen dargestellten  Erlöser  für  die  genannte  Barmherzigkeit.  In  Reliefdarstellungen  und  Gemäl- 
den fügten  sich  selbstverständlich  noch  begleitende  Einzelheiten  an,  insbesonders  Engel  oder 
Maria  und  Johannes ,  ferner  die  Leidenswerkzeuge  an  oder  neben  dem  Kreuze ,  selbst  das 
Grabmal  des  Herrn  als  viereckiger  Behälter,  dem  in  halber  Figur  Christus  entsteigt,  aber  nicht 
mit  der  Auferstehungsfahne,  sondern  die  Wunden  zeigend.  Ich  fasse  also  den  Begriff  weiter,  als 
jene  Statue  darthut.  Selbst  der  auf  einem  Steine  sitzende,  rastende  Heiland  kann  als  „Barmlier- 
zigkeit"  aufgefasst  sein,  wenn  Leidenswerkzeuge  dabei  angebracht  und  die  Betrachtung  der  Wund- 
male betont  erscheint  *.  Die  Berechtigung-  dazu  bieten  zwei  Denkmäler,  deren  Beischriften  keinen 
Zweifel  übrig  lassen.  Das  eine  ist  ein  grosses,  künstlerisch  unbedeutendes  Gemälde  in  der  Ge- 
mälde-Sammlung hiesiger  Universität  aus  dem  XVI.  Jahrhundert  und  waln-scheinlich  von  einem 
Landshuter  Maler  gefertigt.  Hier  sieht  man  in  einer  Früh-Renaissance-Kirche  Christus  unter  dem 
Kreuze  mit  den  Leidenswerkzeugen  auf  einer  Erhöhung  sitzen,  nackt  ausser  den  Lenden,  dorn- 
gekrönt und  aus  den  Wimden  blutend;  darüber  die  Taube  des  heil.  Geistes  und  seitwärts  den 
betenden  Stifter  knieen,  zu  dessen  Füssen  auf  einem  Täfelchen  die  Anfangsw^oi'te  des  88.  Psalms 
geschrieben  stehen:  Misericordias  Donilni  in  aeternum  cantabo.  Dieselben  Worte  begleiten  auf 
einem  Spruchbande  die  Gestalt  des  leidenden  Heilands  in  sitzender  Stellung  gleich  dem  erwähn- 

den  Allfang  macht  und  die  letzte.  18.  Station  die  Himmelt'alirt  Christi  bildet.  Bei  f'liiistianiis  Adriehomius  theatntin  terrae 
sanctae. . .  Colon.  1590  sind  schon  drei  Fälle  und  bis  zur  Grablegung  10  .Stationen  verzeichnet.  Langen,  Letzte  Lebenstage 
Jesu  p.  -29.  Cap.  Note  -2  führt  dieselben  ausführlich  an. 

^  Verhandl.  des  Vereines  für  Knnst  und  Alterth.  in  Ulm  ISö.i.  p.  .32  des  9.  u.  10.  Berichtes.  —  ^  Mittelalt.  Baudenkinaie 
aus  Sehwaben  L  Supplem.  v.  C.  Beisbarth.  —  '  Baader,  Beiträge  zu  Nürnbergs  Kunstgesch.  I,  0-2.  —  s  Otte  sagt  in 
seinem  Handbuche  S.  906,  der  Ecce  homo  werde  auch  Miserere  genannt.  Geschieht  dies  auf  Grund  urkundlichen  Zeugnisses? 
Im  Nat.  Mus,  ist  ein  Bild  dieses  Ciegenstandes,  wo  der  betende  Stifter  „Miserere  mei"  im  Spruchbande  führt.  An  der  hiesigen 
Peterskirche  sieht  man  das  Eenaissance-Epitaph  des  betenden  Barth.  Kosenbusch  v.  14SI,  wo  jene  Worte,  deutsch  geschrie- 
ben sind.  Womit  mag  Bock  beweisen  können,  dass  Christus  als  Weltricbter  wegen  der  fürbittenden  Madonna  und  Johannes 
diesen  Namen  führe?  Mittheil.  d.  k.  k.  Cent.  Comm.  18ü9,  I,  p.   10. 

20* 


I3G 


ÜR.  Messuek. 


Fis 


ten  Bilde  autciiam  gestickten  AiitipencUum 
des  XV.  Jalirhunderts  im  künig-l.  National- 
Museum  zu  München  — woraus  sich  ergibt, 
dass  die  .Barmherzio-keit"'  Gottes  im  nach 
•liücklichsten Sinne,  der  leidende  Erlöser  in 
seiner  tiefsten  Erniediüirunor  versreerenwär- 
tigt ,  ja  dieselbe  in  eigener  Person  ist. 
Das  oben  genannte  Wort  ^Erbärmde-  hat 
gleichfalls  nur  die  active  Bedeutung,  wie 
Barmherzigkeit,  die  Bedeutung  von  Er- 
barmung, sich  erbarmen,  nicht  aber  von 
„erbärmlich,  mitleiderweckend".  Über  letz- 
teren Sachverhalt  der  W'^ortbedeutung  war 
Professor  Dr.  Konrad  Hofmaun  dahier  so 
gütig,  mir  aus  der  bezüglichen  Literatur 
Aufschluss  zu  geben.  Die  in  der  Kirche  zu 
Bartfeld  in  Ober-Ungarn  ^  auf  einem  Flü- 
gelaltare in  ganz  erhabener  iVibeit  aus- 
geführte Heilaudsfigur  wh-d  von  dem  Ver- 
fasser Herrn  J.  a-.  Lepkowski,  vielleicht 
auf  Grund  einer  Urkunde  oder  Überliefe- 
rung .der  barmherzige  Heiland"  genannt,  eine  Bezeichnung,  der  ich  sonst  in  wissenschaftlichen 
Abhandlungen  nicht  begegnet  bin.  Es  würde  mich  freuen,  wenn  der  Herr  Verfasser  jenes  Auf- 
satzes meine  Darlegung  gerechtfertigt  fände.  In  Italien  hat  Fiesole  diese  Darstellung  zuerst 
versucht.  Ausser  Mantegna  nenne  ich  noch  das  schöne  Marmorrelief'"  von  Fratello  Majono 
vom  Jahre  1496,  woselbst  der  leidende  Heiland  in  halber  Figur  mit  !Maria  und  Johannes  ver- 
sinnlicht  ist.  In  derselben  Weise  findet  sich  dieser  Gegenstand  behandelt  auf  einem  Holztafel- 
gemälde von  Lucas  Kr  an  ach  dem  Alteren,  das  bisher  der  Kunsthistorie  unbekannt  geblieben 
und  sich  hier  im  Privatbesitz  befindet  (Fig.  1).  Dasselbe  stammt  aus  dem  Bassenheim'schen 
Schlosse  Leutstetten,  wo  es  seit  Menschengedenken  bewahrt  war.  Dasselbe  ist  vortrefflich  erhal- 
ten und  misst  gegen  4  Fuss  in  der  Länge  und  2  Fuss  in  der  Höhe.  Auch  hier  bildet  der  lei- 
dende, nackte  Heiland  in  halber  Figur  die  Mitte.  Das  qualvoll  gedi-ückte  Haupt  ist  mit  Dornen 
gekrönt;  Augen  und  Mund  mit  der  vorgequollenen  Zunge  zwischen  den  sichtbaren  Zähnen,  die 
emporgezogene  rechte  Schulter  und  die  übrige  Haltung  dilicken  Schmerz  und  menschliches  Elend 
aus.  Wie  sehr  auch  die  Züge  mn  Lippen  und  Augen  körperlich  dem  Leiden  Ausdruck  verschaffen, 
die  edle  Bildung  des  Angesichtes  bricht  dennoch  hervor  und  bewii-kt  dadurch  einen  um  so 
.stärkeren  Eindi-uck,  ohne  dass  Blutsti-opfen,  wie  so  oft  auf  Kranach's  Bildern  das  Gesicht 
bedecken  ".  Rechts  davon  die  weinende  Madonna  in  hellblauem  Gewände  mit  weissem  Kopf- 
tuche, gegenüber  der  roth  gekleidete  jugendliche  Johannes  mit  krausen  blonden  Locken,  die 
Hände  vor  Herzenleid  zusammenlegend,  wähi-end  Maria  den  Heiland  zu  unterstützen  sucht.  Von 
dem  schwai-zen  Grunde  heben  sich  das  etwas  blasse  steinerne  Carnat  des  Heilandes  und  die 
genannten  Farben  mit  grosser  Kraft  ab  und  ist  von  Umrisslinien  fast  keine  Spur  wahrzunehmen. 
Der  Farbenauftrag  ist  dünn  und  wie  gegossen,  allein  schon  emen  Meister  verkündend.    Solche 

'  Mittheil.  d.  k.  k.  Cent.  Comm.  1858.  Nr.  10  p.  257.  —  ><>  C'h.  C.  Perkins  tuscan  Sculptors.  London  1864.  —  "  Beifolgende 
Abbildung  bat  Herr  Bayersdorfer  Adolph  mit  grosser  Genauigkeit  vor  dem  Bilde  gefertigt  und  mir  zn  überlassen  die  Güte 
gehabt,  wofür  ich  ihm  hiemit  meinen  Dank  ausspreche.  Der  gegenwärtige  .Schnitt  wurde  vom  Herrn  Schmidi  ausgeführt 


Über  Darstellung    dek  Passion  Jesu  Chiusti  etc.  137 

Bestimmtheit  der  Töne  mid  solch  leuchtende  Stärke  dersel- 
ben trifft  man  nm-  bei  grossen  Malern  des  Mittelalters.  Trotz 
des  ero-reifenden  Schmerzes,  der  nicht  ohne  Heftig-keit  in  der 
Gestalt  Christi  wiedergegeben  und  das  Ganze  beherrscht, 
geht  gleichwohl  dm-ch  das  Bild  ein  Zug  der  Ruhe  und  Er- 
gebenheit. Der  mit  der  Farbe  des  Grundes  bemalte  Rundstab 
des  Holzrahuiens  zeiget  in  Gold  aufo-emalte  Thierfigürchen  und 
feine  Blümchen  ohne  Verbindung  neljen  einander  (Fig.  2  a), 
die  reizend  behandelt  und  von  dem  Meister  des  Bildes  mit 
der  Pinselspitze  mit  leichter,  aber  sicherer  Hand  hingezaubert  sind.  Eine  gleiche,  aber  noch  feiner 
behandelte  Thierfigur  trat  nach  einer  Säuberung  des  Bildes  über  dem  Haupte  der  Madonna,  eine 
geflügelte  Schlange  mit  dem  Ringe  hervor,  welche  das  bekannte  Handzeichen  des  Meisters  bildet. 
Von  den  bei  Chr.  Schuchardt  ofeg-ebeneu  Facsimile's  dieses  Handzeichens  des  L.  Kr  an  ach  d.  A. 
(Fig.  2  b)  stinunen  Nr.  1  und  -i  zunächst  mit  dem  hier  genannten  überein,  nur  dass  dort  der  Flügel 
gerade  steht  und  der  Windungen  eine  mehr  zu  sehen,  indess  hier  der  Flügel  liegt  und  ausser  der 
mittleren  Windung  keine  gleich  bedeutende  wahrzunehmen  ist.  L.  Krau  ach  hat  diesen  Gegenstand 
öfters  daro-estellt,  wenio-stens  werden  unter  seinem  Namen  Bilder  dieser  Scene  genannt  und  zwar 
in  der  k.  Galerie  zu  Augsburg  mit  gefälschten  Zeichen,  darauf  Engel  in  Wolken  und  unten  Gebüsch 
und  Stadt;  ferner  in  Dresden  bei  Frau  Professor  Förster,  welches  Bild  aber  die  Wundmale  blutend 
und  Geissei  nebst  Ruthe  auf  dem  Schooss  des  Heilands  zeigt;  zu  Innsbruck  in  älmhcher  Auffas- 
sung, ebenfalls  durch  viele  Blutstropfen  unangenehm  wirkend,  endlich  zu  Meissen  mit  der  Jahres- 
zahl 1534;  hier  sind  Maria  und  Johannes,  wie  auf  unserem  Bilde,  ebenfalls  in  halber  Figur  zu 
Seiten  des  Herren  angeordnet;  die  Marterwerkzeuge  fehlen  wie  auf  den  genannten  Bildern  auch  hier 
nicht,  indem  sie  von  Engeln  in  der  Höhe  gehalten  werden.  Schuchardt,  dem  diese  Daten  ent- 
nommen, hält  diese  Tafel  für  echt,  wälu-end  er  die  dazu  gehörigen  Flügelbilder  bezweifelt.  An 
Grossartigkeit  der  Auffassung,  an  Reinheit  der  Durchführung  und  Einfachheit  der  Anordnung, 
endlich  an  Kraft  der  Wii-kung  ohne  andere  Behelfe,  als  jene,  die  in  der  Auffassung  vind  Meisterschaft 
der  Malerei  liegen,  steht  unser  Bild  weit  über  den  citirten  und  zählt  überhaupt  zu  den  schönsten 
und  bedeutendsten  des  Lucas  Kranach.  Die  Thierfiguren  endlich  beweisen  auch  in  dieser  geist- 
reichen Behandlung  den  Meister,  der  in  der  Handhabung  der  Ai-abeske  mit  ähnlichen  leichten 
Figuren  aus  den  Randzeichnungen  zu  Kaiser  Maximilian's  Gebetbuch  vom  Jahre  151.5  bekannt 
ist.  Dieselben  enthalten  sogar  neben  zwei  kämpfenden  Hirschen  den  leidenden  Heiland  mit  den 
Mai'terwerkzeugen. 

Dass  Krauach  diese  begleitenden  Thier-Zeichnungen  und  Blumen  hier  bei  unserem  Bilde 
auf  den  Rahmen  verwiesen  und  überhaupt,  wie  gezeigt,  alles  den  grossen  Eindruck  störende 
Beiwerk  unterlassen,  erhöht  nicht  nur  den  Werth  dieses  Denkmals,  sondern  erhöht  die  Bedeu- 
tung des  Meisters ,  der  diesmal  seiner  Phantasie  Zügel  angelegt  und  nach  Einfachheit  und 
Totalwirkung  gestrebt  hat.  Wenn  Schuchardt  in  der  Vindicirung-  eines  Bildes  durch  den  Namen 
Kr  an  ach  d.  Ä.  äusserst  streng  und  kritisch  bedachtsam  ist,  so  hatte  er  aus  den  ächten  Werken 
dieses  Meisters  die  Gründe  dafür  geschöpft.  Wenn  ich  dagegen  das  Holztafelgemälde  mit  jenem 
Bilde  vergleiche,  das  Christum  am  Kreuz  zwischen  den  beiden  Schachern  und  dem  Centurio  zu 
Ross  im  Costüme  des  XVI.  Jahrhunderts  vorstellt  und  welches  im  königl.  bayerischen  National- 
Museum  (I.  Saal  der  Renaissance)  aufbewahrt  ist,  so  finde  ich  zwar,  zumal  das  Bild  durch  die 
Restauration  nicht  gewonnen,  keine  genügenden  Gründe,  dasselbe  dem  Meister  abzuspx-echen. 
aber  ästhetisch  und  künstlerisch  will  es  gegen  das  oben  geschilderte  nicht  Bestand  halten,  sondern 
mit  Ausnahme  des  bezeichneten  Centurio,  der  Porträt  zu  sein  scheint  und  vortrefflich  gehalten, 


1 38  De.  Messmee.  Ubeb  Dabstellunges  deb  Passion  Jesu  Cheisti  et  c. 

wie  o-enialt  ist,  bis  zur  Unbedeutendheit  herabsinken.  Es  ist  schwer  zu  glauben,  dass  beide  Werke 
dieselbe  Hand  hervorgebracht. 

Diese  Tafel  hat  2'  bayer.  Höhe  und  1  2"  Breite,  ist  mit  der  Jahreszahl  1510  und  dem 
Zeichen  und  zwei  Inschriften  versehen,  von  welchen  die  eine  über  dem  Gekreuzigten  „Vater 
in  dein  Hent  Betil  ich  mein  Gaist",  die  andere  neben  dem  Centurio  „warlich  diser  Mensch 
ist  Gotts  sun  gewesen-  lautet  und  in  lateinischen  Majuskeln  geschrieben  ist.  Das  ganze  Bild 
verräth  tüchtige  Bildung  im  Technischen  imd  in  der  Behandlung  des  Nebensächlichen,  aber  in 
der  Auffassung  und  Charakterisirung  keinen  Meister,  wenigstens  im  Vergleiche  zu  dem  obigen 
grossen  Bilde.  Das  Zeichen  und  die  Jahi-eszahl  will  ich  niclit  als  gefälscht  erklären,  aber  zweifel- 
los sind  sie  niclir.  Ein  Specialkenner  mag  diesen  Punkt  seinerzeit  erledigen.  Mir  seluint  dies 
Bild  zu  den  vielen  zu  zählen,  die,  ohne  vom  Meister  gemalt  zu  sein,  doch  aus  seiner  Werkstatt 
hervorgingen  und  das  Zeichen  des  Meisters  erhielten  ohne  zum  Ruhme  des  Meisters  beif'etrasren 
zu  haben.  Da  Schuchardt  aber  solche  beigesetzte  Zeichen  als  nachträg-lich  aufgemalt  und  keines- 
wegs  von  dem  Meister  selbst  heiTührend  erklärt,  so  wird  dieser  Sachverhalt  auch  bei  dem  letz- 
teren Bilde  anzunehmen  sein.  Dass  hingegen  jenes  Werk  in  die  Blüthezeit  des  Meisters  fällt 
und  seinen  Höhepunkt  bezeichnet,  lehrt  der  Anblick  und  Vergleich  mit  anderen  Ai-beiten  dieses 
Malers. 

Auf  die  Darstellung  zurückkommend,  sei  erwähnt,  dass  man  es  liebte,  die  Passion  entweder 
zu  vergegenwärtigen,  dass  Christus  vord  m  Kreuze  mit  den  Passionswerkzeugen  aufrecht  steht, 
die  Hände  übereinandergelegt,  wiee  z.  B.n  Müblhausen  inschriftlich  von  138.5  auf  dem  Flügel- 
dtai-e  des  Stifters  Reinhard  von  Mühlhausen  '^,  dann  auf  der  Aussenseite  des  Flügelaltars  von  Pähl 
im  hiesigen  k.  National-Museum  wahrscheinlich  aus  derselben  Zeit  '^  oder  dass  Christus  im  Grabe 
d.  h.  Sarkophage  steht,  womit  die  Messe  des  heil.  Gregor  verbunden  wird,  eine  Lieblingsscene 
mittelalterlicher  Sculptur  und  Malerei,  und  endlich  in  der  Form  der  sogenannten  Kelter  —  wofür 
das  genannte  National-Museum  eine  Reihe  von  Belegen  bietet.  Wie  verbreitet  im  XV.  Jahrhundert 
diese  und  ähnliche  Darstellungen  gewesen,  beweisen  die  Wandgemälde  in  den  Kirchen  zu  Grenna 
und  Torpa  in  Schweden  '*,  abgesehen  von  den  vielen  mittels  des  Druckes  vervieltaltigten  Blättern 
der  Passion.  Dass  der  grosse  Albrecht  Dürer  diesem  Gegenstande  ebenfalls  seine  Meisterhand 
gewidmet,  ist  bekannt.  Arbeiten  von  Gesellen  und  untergeordneten  Meistern  aus  Ober-  und  Nieder- 
Deutschland,  Italien,  Spanien  und  Frankreich  sind  in  Kirchen  und  Sammlungen  in  diesem  Zweige 
reich  vertreten.  Überblickt  man  die  zunächst  einschläffioren  Producte  des  XV.  und  XVI.  Jahr- 
hunderts,  so  haben  im  allgemeinen  die  italienischen  und  flandi-ischen  Maler  solche  Gegenstände 
seltener  behandelt  und  wtü-diger  gehalten,  dabei  mehr  nach  Einfachheit  und  Schönheit  gestrebt 
im  Vergleiche  mit  den  Oberdeutschen,  welche  in  der  Erfindung  unerschöpflich,  in  der  Charidi- 
terisirung  aber,  zumal  der  Widersacher,  sowie  in  der  Beimischung  von  Nebensächlichem  oft  über 
die  Grenze  des  Erlaubten  gegangen  sind.  Dass  diese  Erscheinungen  mit  den  beliebten  Passions- 
spielen zusammenhängen,  hat  schon  Kugler"  bemerkt  und  Springer'*  wiederholt  hervor- 
gehoben. Wie  Meister  höheren  Ranges  dieses  Thema  zu  behandeln  vemioehten,  lehrt  ausser 
manchem  Mustergebilde  der  Sculptur  das  eben  besprochene  Werk  von  Lucas  Kr  an  ach,  dem  ich 
in  dieser  Gattung  der  Kunstproduction  kein  zweites  an  die  Seite  zu  setzen  weiss. 

'2  Mittelalt.  Kunst  in  Schwaben  p.  38  d.  Suppl.  —  "  Vgl  Mittlicil.  d.  k.  k.  Cent.  Comm.  1S62,  p.  2.il.  -  '*  M.nndel- 
f.'ren,  Monuments  scandin.  etc.  Paris  1859.  Vgl.  Mittheil.  d.  k.  k.  Cent.  Comm.  1861,  p.  77.  —  '^  llcutsches  Kunstblatt  18.i6, 
p.  233.  —  IC  Ikonograph.  Studien  1860,  2  ff.  in  Mittheil,  der  k.  k.  Cent.  Comm.  Springer  fuhrt  daselbst  fiir  die  ältere  Sculptur 
die  orientalischen  Teppich-Muster  als  Biklmotive  an.  S.  De  Caumont  ABC  p.  25  und  p.  77. 


139 


Genesis  der  Kathedrale  von  Fünfkirehen  in  Unofarn. 


Von  Dr.  E.  Henszlmann. 


(Mit  6  Holzschnitten.) 


j\ian  wird  die  folgende  Erörterung  nicht  mit  Unrecht  als  vergleichende  architektonische 
Anatomie  betrachten  können,  da  ich  in  ihr  durch  Zergliederung  und  Nebeneinanderstellung  der 
Formen  und  Verhältnisse  verschiedener  Kirchen  einen  Sehluss  auf  die  genetische  Verwandtschaft 
derselben  ziehe,  und  in  Zahlen  zugleich  den  Fortschritt  in  der  Construction  nachweise.  Die  An- 
schauung ist  in  mehreren  ihrer  Theile  durchaus  neu,  indem  sie  sich  auf  die  von  mir  wiederent- 
deckte Methode  der  Verhältnissbestimmung  gründet ,  deren  sich  die  Baukünstler  der  Vorzeit 
bedienten.  Die  antike,  bereits  den  Ägyptern  bekannte  Methode  habe  ich  in  meinem  französischen 
Werke  „Theorie  des  proportions  appliquös  dans  l'architecture  depuis  la  XIP  dynastie  des  rois 
egyptiens  &c.  Paris  1860",  die  mittelalterliche,  von  der  antiken  etwas  abweichende  Methode,  in 
meinem,  die  Resultate  der  Ausgrabung  der  Stuhlweissenburger  Staatskirche  behandelnden  unga- 
rischen Werke  „A  szekes-felierväri  äsatäsok  eredmenye.  Pesten  1864"  entwickelt.  Im  Sinne  der 
letzten  Entwicklung  werde  ich  nun  im  Folgenden  die  Fünfkircher  Kathedrale  mit  dem  Dome  zu 
Gurk\  mit  der  Krypte  der  Marcuskirche  von  Venedig-  und  mit  der  Kirche  des  heil.  Benignus  zu 
Dijon^  vergleichen. 

Wie  einfach  die  Methode  der  Alten  war,  ffeht  schon  daraus  hervor,  dass  man  bei  ihrer 
Darstellung  mit  dem  Quadratwurzelzeichen  ausreicht,  und  dass  wir  auch  dieses  niu-  in  abstrahirter 
Weise  anzuwenden  haben,  denn  die  Alten  bedienten  sich  blos  des  graphischen  Vorgangs;  der 
grosse  Maassstab  ihrer  Projectzeichnung  aber  befähigt  uns  aus  diesen,  wie  aus  ihren  mit  Präcision 
ausgeführten  Werken,  das  Verfahren  bei  der  Verhältnissbestimmung  auch  algebraisch  und  arith- 
metisch darzustellen. 

Auf  den  ersten  vergleichenden  Blick,  mit  welchem  wir  den  Gurker  Dom  und  die  Kathedrale 
von  Fünfkirchen  betrachten,  wird  das  zwischen  beiden  bestehende  genetische  Verhältniss  ersicht- 
lich, lind  da  ersterer  um  einige  Jahrzehende  älter  ist  als  letztere,  müssen  wir  jenen  als  nächstes 
Vorbild  inid  Muster  für  diese  betrachten. 

1  S.  „Mittelalt.  Kunstdenkmale  d.  österr.  Kaiserstaates  von  Heider  und  Eitelberger"  II  Th. 

2  S.   in   den    „Mittheil,   der    k.    k.    Central  C'ommission   XI.   Jahrg.    1866    den   Artikel    „Die  Krypte  der  Mareiiskirche  in 
Venedig"  von  König  und  fSchwengb erger. 

3  S.  in  den  „Mittheil,  der  k.  k.  C'entral-C'ouimission  XIII.  Jahrg.  1868    den  Artikel  „Die   alte  Kirche  des   heil.   Benignus 
zu  Dijon"  von  Henszlmann. 


40 


Du.  E.   Hexszlmasx. 


Untersuchen  wir  nun  die  Verhältnisse  der  Kr\-pta  des 
Gurker  Domes  und  jene  der  Unterkirche  von  S.  Marco,  wird 
auch  hier  ein  ähnliches  genetisches  Verhältniss  um  so  mehr 
auÖallig,  als  in  Gurk  die  Übereinstimmung'  der  Anlage 
nicht  diirch  die  Übereinstimmung  der  Umstände  bedingt 
war,  daher  eine  einfache  Nachahmung  auf  der  Hand  liegt, 
weil  sie  nicht  aus  der  ähnlichen  Lösung  zweier  ähnlicher 
Aufgaben  erklärt  werden  kann. 

Endlich  weicht  die  Unterkirche  von  Fünflcirchen 
wesentlich  von  beiden  eben  genannten  Unterkirchen  ab  und 
schliesst  sich,  besonders  in  den  Verhältnissen  iln-er  Säulen, 
jenen  der  alten  Dijoner  Kirche  an,  und  zwar  ganz  abgesehen 
von  meiner  in  diesen  Blättern  gegebenen  Restauration,  bloss 
jene  sicheren  Maasse  in  Betracht  gezogen,  die  sich  theils  aus 
der  Schrift  des  ungenannten  Dijoner  Mönches,  theils  aus 
den  in  neuester  Zeit  daselbst  ausgegrabenen  Baugliedern 
ergeben,  die  sich  in  Taylors  und  Sargots  Prachtwerke 
„Dijon,  ses  monumens&c."  Paris  1859  dargestellt  und  cotirt 
finden. 

Gemeinsam  haben  oder  hatten  die  Oberkirche  des 
Gurker  Domes  (Fig.  1)  und  die  Fünfkirchner  Kathedrale: 

das  längliche  von  zwei  Pfeilerreihen  in  drei  Schiffe 
getheilte  Pai-allelogranmi, 

ohne  eigentliches  Querschi i't\  und  ohne  a u s g e- 
bildeten  L  a  n  g  c  h  o  r, 

die  unmittelbar  sich  an  die  drei  Schiffe  des  Lang- 
hauses anschliessenden  drei  Apsiden, 

eine  westliche  Quer-Empore,  die  zwar  in  Fünfkirchen 
nicht  mehr  die  ursprüngliche  ist,  doch  ist  die  neuere  an 
die  Stelle  einer  ursprünglich  verhandenen  getreten,  wie 
dies  noch  die  verschiedenen  Höhenabtheilungen  des  letzten 
Pfeilerpaares  darthun, 
den  Doppelthurm  an  der  Westfi-onte, 

das  alle  drei  Schiffe  durchziehende  erhöhte  Sanctuarinhu, 

die  beiden  Treppen  im  Seitenschiffe,  welche  in  die  unter  diesem  Sanctuariuui  l)efindliche 
Lnterkirche  in  Gurk  noch  heute  führen,  in  Fünfkirchen  aber  ursprünglich  führten, 

die  sehr  einfache  vierseitige  Form  der  Mehrzahl  der  die  Schiffe  von  einander  trennen- 
den Pfeiler, 

das  über  den  Verbindungs-Rundbogen  dieser  Pfeiler  höher  aufgeführte  Mittelschiff,  das 
ursprünglich  in  Gurk  und  in  Fünfkirchen  bloss  mit  einer  flachen  Holzdecke  bedeckt  war, 
oder,  in  Ermangelung  auch  dieser,  unmittelbar  bis  zum  Satteldache  emporstieg,   endlich 

die  Einzelthür  an  der  Westfronte,  und  je  eine  Thür  an  jeder  Langseite. 

Li  Bezug  auf  die  Höhenmaasse  haben  die  beiden  Kirchen  gemeinsam  : 

eine  verhältnissmässig  gleiche  Haupthöhe,  nämlich  die  der  Las^e  d(  s  Kian/gesinises 
über  dem  Mittelschiffe, 

und  ebenso  der  Pfeiler  des  Mittelschiffes, 


tig-  1- 


Genesis  der  Kathedeale  von  Fünfkiuchen  in  Ungarn.  141 

während  die  Höhe  der  niedersten  Pfeiler  in  Fünfkirchen  —  jener  im  hohen  Chore  — 
gerade  die  halbe  Höhe  des  Vierungspfeilers  von  Gurk  niisst. 

Dasres'en  weichen  die  beiden  Gotteshäuser  in  mehreren  Momenten  der  Construction,  Ver- 
zierung  und  Anordnung  sichtlich  von  einander  ab,  jedoch  auch  hier  der  Art,  dass  sich  nicht 
nur  das  verwandtschaftliche  Verhältniss,  sondern  auch  jenes  der  Priorität  des  Gurker  Domes  klar 
nachweisen  lässt. 

Bezüglich  der  Abweichungen  in  der  Anordnung  ist  hervorzuheben  dass: 

wir  im  Gurker  Dome  wenigstens  das  eine  Merkmal  des  Querschiffes  haben,  nämlich 
dessen  Erhöhung  über  die  Seitenschilfe  bis  zum  Kranzgesimse  des  Mittelschiffes,  wenn  auch 
anderseits  der  Vorsprung  über  das  Langhaus  fehlt;  in  Fünfkirchen  findet  sich  dagegen  weder 
Aussprung  noch  grössere  Höhe,  d.  h.  es  ist  ein  Querschiff  nicht  vorhanden,  ja  nicht  einmal  ange- 
deutet. Diese  gänzliche  Abwesenheit  des  Querschiffes,  das  Festhalten  an  der  ältesten  Anordnung 
der  Basilica,  ist  ein  Mangel,  der  sich  überhaupt  in  den  mittelalterlichen  Kirchen  Ungarns  zeigt, 
und  zwar  häufiger  noch  als  im  südwestlichen  Deutschland,  wo  ein  ausgebildetes  Querschiff'  in  den 
altern  Kirchen  sich  gleichfalls  selten  findet. 

In  Gurk  haben  wir  bloss  zwei  Thürme  an  der  Westfronte,  die  sich  an  die  Enden  der 
Seitenschiffe  gesetzt,  als  gewöhnliche  Zwillingsthürme  erweisen;  dagegen  stehen  in  Füufkirchen, 
ausser  den  beiden  Thürmen  im  Westen,  auch  noch  zwei  im  Osten  und  zwar  der  Art,  dass  wir  sie 
nicht  in  das  System  der  bekannten  vierthürmigen  Kirchen  des  Auslandes  einreihen  können,  son- 
dern sie  als  eigenthümliche  Vertheidigungthürme  betrachten  müssen ,  was  ein  anderes  Mal  nach- 
zuweisen unsere  Aufgabe  sein  wird. 

Die  Decoration  des  Gurker  Domes  ist  im  Ganzen  weit  reicher  als  jene  der  Fünfkirchner 
Kathedrale.  In  beiden  Kirchen  beschränkt  sie  sich  jedoch  auf  das  Äussere  und  einige  Haupt- 
Bauglieder,  während  das  Innere  ziemlich  ärmlich  ausgestattet  ist,  wenn  hier  nicht  etwa  Wand- 
gemälde, die  nicht  mehr  existiren,  den  Mangel  der  architektonischen  Verzierung  ersetzten. 

Eine  solche  malerische  Decoration,  die  ausnahmsweise  hier  auch  durch  die  architektonische 
gehoben  wird,  zeigt  sich  an  der  prachtvollen  Quer  empöre,  dem  sogenannten  Nonnenchore 
in  Gurk.  In  wie  ferne  sich  die  ursprüngliche  Querempore  zu  Füufkirchen  dem  Nonnenchore  in 
Gurk  näherte,  ist  gegenwärtig,  seit  jene  neugebaut  wurde,  nicht  mehr  zu  ermitteln. 

Die  Schiffspfeiler  zeigen  in  beiden  Kirchen  das  einfachste  vierseitige  Parallelepiped 
mit,  von  quadratischem  nicht  allzuweit  entferntem,  länglichem  Grundrisse.  Zwei  Pfeilerpaare 
weichen  jedoch  in  Fünfkirchen  von  dieser  Form  ab,  indem  sie  eine  Kreuzform  mit  an  die  Arme 
angesetzten  starken  Säulencylindern  darstellen.  Das  östliche  Pfeilerpaar,  welches  an  der  Grenze 
zwischen  Chor  und  Langhaus  steht,  ist  gegen  Osten  noch  unentwickelt,  das  westliche  dagegen, 
welches  die  ursprüngliche  Querempore  trug  ^),  zeigt  bereits  das  vollständig  entwickelte  System, 
indem  hier  zwischen  die  Kreuzarme  auch  schon  je  zwei  rechtwinkelige  Abstufungsaussprünge 
eintreten.  In  Gurk  kommen  bloss  einzelne  Cylinderansätze  vor,  nämlich  an  zwei  Pfeilerpaaren 
im  Chore  und  an  den  Pfeilern  der  Empore,  jedoch  in  keinem  der  beiden  Fälle  gleich  ausgebil- 
det wie  in  Fünfkirchen.  Der  Baumeister  der  Kathedrale  hat  demnach  "seine  Form  anders  woher 
geholt,  und  zwar  wahi-scheinlich  aus  Frankreich,  wo  sie  am  ersten  auftrat  und  am  weitesten 
verbreitet  war. 

Die  Beleuchtung  des  Innenraumes  wurde  in  beiden  Kirchen  durch  die  sehr  ähnlich 
gestalteten  Fenster  des  Haupt-  und  der  Nebenschiffe  vermittelt,  doch  scheint  sie  in  Fünfkirchen 
wegen  der  bedeutenderen  Grösse  der  Fenster  vollständiger  gewesen  zu  sein.  Es  fehlen  wohl  hier 
die  ursprünglichen  Fenster;  doch  lassen  sich  jene  des  Mittelschiffes  nach  einigen  unter  dem  Dache 

3  S.  Fig.  14  in  meinem  Aufsatze  über  die  Fünfkircher  Kathedrale  XIII.  Jaiirg.  d.  Mittheil.  pag.  30. 
XVI.  21 


142  Dr.  E.  Henszlmass. 

noch  vorliamknen  Resten  mit  Bestimmtheit  restauriren\  und  ich  glaube  in  diesen  hohen  Fenstern 
auch  das  Vurbihl  für  jene  der  Seitenschitfe  gefunden  zu  haben,  wenn  sie  nicht  etwa,  wie  es  die 
Gurker  sind,   kleiner  und  enger  anzunehmen  wären. 

In  Gurk  befinden  sich  nicht  nur  die  in  die  Unterkirche  hinab,  sondern  aucli  die  zum  hohen 
Chore  emporführenden  Treppen  in  den  Seitenschiffen,  während  in  Fünfkirchen  der  Platz  für  die 
letzteren  im  Mittelschiffe  anzunehmen  ist.  Die  Gurker  Anordnung  hat  zwar  den  Vortheil,  dass 
sich  der  Chor  im  Mittelschifl'e  in  seiner  vollen  Breitenausdehnnng  ununterbrochen  darstellt;  jedoch 
konnte  andererseits,  wegen  nicht  zulangender  Breite  der  Seiteuschifle  neben  den  Unterkircheu- 
treppen  hier  keine  bequeme  Treppe  zum  Chore  angelegt  werden,  im  Mittelschiffe  aber  war  dies, 
besonders  in  Fünfkirclien  thunlich,  wo  in  der  Mitte  der  beiden  seitlieh  angelegten  bequemen 
Treppen,  noch  immer  Raum  genug  für  den  sogenannten  ,.aditus  ad  confessionem",  und  über 
diesem  der  hohe  Chor  noch  in  ziemlicher  Breitenausdehnung  sichtbar  bleiben  konnte. 

Auch  die  Beleuchtung  des  hohen  Chores  war  in  Fünfkirchen  entschieden  stärker  als 
in  Gurk,  denn  sie  wurde  dort  durch  drei  in  die  Apsidenmauer  gebrochene  Fenster  vermittelt, 
während  iher  bloss  ein  einziges  vorhanden  ist,  das,  wenn  auch  grösser,  dennoch  nicht  gleichviel 
Lichtstrahlen  als  dies  bei  di-eien  der  Fall  ist,  durchlassen  konnte. 

Wenn  wir  uns  nun  nach  aussen  wenden,  finden  wir  zuerst  in  Gurk  das  wenig  bedeu- 
tende Portal  der  Vorhalle,  dagegen  ein  Prachtportal,  welches  aus  dieser  in  das  Langhaus 
führt.  Mit  diesem  kann  sicli  nun  das  schlichte  und  im  Verhältnisse  zur  Fagade  viel  zu  klein 
o-erathene  Fünfkirchner  Portal  durchaus  nicht  messen ,  die  Kathedrale  ist  hier  offenbar  im 
Xachtheil. 

Dasselbe  ist  der  Fall  an  der  Ostfronte,  wo  der  Reichthum  der  Gurker  Apsidenver- 
zierung und  die  Fenstereinfassung  mit  Halbsäulen  nichts  ähnliches  in  Fünfkirchen  hervorrief. 
Daf^egen  lässt  sich  niclit  läugnen,  dass  die  weit  grösseren  Massen  der  Kathedrale  einen  imposan- 
teren Anblick  gewähren,  wozu  noch  besonders  die  den  Schluss  des  Langhauses  bildenden  Thürme 
beitrao-en.  Auch  stehen  diese  Thürme  mit  ihrer  Decoration  in  weit  besserer  Harmonie  zur  Kirche 
als  in  Gurk,  wo  die  Zwillingsthürme  bloss  rohes,  kaum  hie  und  da  von  kleinen  Fensterchen  unter- 
bi'ochenes  Mauerwerk  zeigen;  im  Gegensatze  finden  wir  in  Fünfkirchen  zierliche  Gesimse  zwischen 
den  Stockwerken,  und  oben  grosse  Doppelfenster  mit  mittleren  Säulen.  Sind  auch  diese  nun  nicht 
mehr  ursprünglich,  hat  doch  der  moderne  Restaurator  die  gleiclien,  hie  und  da  noch  im  Hofe 
hei-umliegenden  ursprünglichen  Bauglieder  ziemlich  treu  nachgeahmt. 

Bezüglich  der  übrigen  Restauration  und  zwar  der  Haupt-  und  Seitenfa^aden  Ist  der 
Giirker  Dom  glücklicher  gewesen,  indem  die  Erneuerungen  hier  im  Wesentlichen  nicht  über  die 
Zeit  des  Spitzbogenstyles  hinausgehen,  während  die  letzte,  sehr  umfangreiche  Restauration  der 
Kathedrale  bereits  in  unserem  Jahrhunderte  vorgenommen  wiu-de. 

Ich  o-laube  im  Vorangeschickten  den  Gurker  Dom  als  Vorbild  der  Fünfkircher  Kathedrale 
unzweifelhaft  nachgewiesen  zu  haben;  dass  ihn  der  Bischof  Calanus  kannte,  der  wiederholt  von 
Fünfkirchen  nach  Italien,  besonders  nach  Venedig,  wo  er  den  Friedensschluss  zu  Stande  biachte, 
reisen  musste,  ist  mehr  als  walu-scheinlich,  ebenso,  dass  der  Dom  zu  jener  Zeit,  sowohl  seiner 
Grösse  als  seiner  prachtvollen  äusseren  Decoration  wegen  eines  bedeutenden  Rufes  in  der  Um- 
gegend geniessen  musste. 

Wenn  jedoch  die  beiden  Oberkirchen  einander  auffallend  ähnllcli  sind,  können  wir  nicht 
umhin,  trotz  der  grossen  Ähnlichkeit  der  Hauptform,  den  principiellen  Unterschied  zu  bemerken, 
welcher  zwischen  den  Unterkirchen  des  Domes  und  der  Kathedrale  stattfindet 

1  S.  Fijc.  2"  in  meinem  Aufsatze  über  die  Kathedrale  zu  Fünfkirclien,  XIII.  Jahrgang  der  Mittheilungen  der  k.  k.  Tcnt. 
Comm.  pag.  39. 


Genesis  der  Kathedrale  von  FCnfkiuciien  in  Ungarn. 


143 


In  grundsätzlicher  Hinsicht  steht  die  Unterkirche  des 
Gurker  Domes  (Fig.  2)  jener  der  Kirche  von  San  Marco  ^  näher 
als  der  von  Fünfkirchen,  da  in  beiden  nicht  das  Prineip  der 
Schiffe,  sondern  jenes  der  Säulengänge  angewandt  ist;  indem 
man  Bedenken  trug,  den  hohen  Chor  und  eine  grössere,  etwa 
hier  zusammenströmende  Menschenmnsse  auf  breiteren  freien 
Räumen  stehen  zu  lassen  und  Kreuzgewölbe  von  grösserer 
Spannweite  anzulegen.  Es  wurde  demnach  hier  ein  Mittelschiff 
mit  beiderseitigen  Nebenschiffen  eher  bloss  angedeutet,  und 
zwar  in  Venedig  durch  Verlängerung  der  Apsidenmauer  in 
Form  von  Schenkehnauern,  welche  weit  in  die  Unterkirclie 
hineintreten,  und  diese  in  drei  Schiffe  theilen;  in  Gurk  durch 
Aufstellung  von  jederseits  drei  sehr  starken  Pfeilern ,  welche 
entsprechenden  in  der  Oberkirche  zur  Unterlage  dienen;  wobei 
zu  bemerken,  dass  über  dem  östlichsten  der  ünterkirche  sich 
geo'enwärtig  kein  entsprechender  der  Oberkirche  erhebt,  jedoch  ursprünglich  sicher'"  ein  solcher 
beantragt  war.  Ausserhalb  der  starken  Pfeiler  und  z\\ischen  denselben  wird  nun,  in  Gurk  wie  in 
Venedig,  jedes  Seitenschiff  durch  zwei  Säulenreihen  in  drei  Säulengänge,  das  Mittelschiff  durch 
vier  Säulenreihen  in  fünf  Säulengänge  g-etheilt,  und  so  der  eigentliche  Lichtenraum  auffalliger 
Weise  enge  und  unbequem  gestaltet.  In  Fünfkirchen  hielt  man  sich  nun  an  das  Gurker  Vorbild 
bloss  in  der  Art,  dass  im  Mittelschiffe  nicht  vier',  sondern  bloss  zwei  Säulenreihen  aufgestellt, 
die  Seitenschiffe  aber  ohne  weitere  Unterabtheilung  gelassen  wurden ,  wodurcli  man  genügenden 
Raum  für  die  dem  unterkirchlichen  Gottesdienste  beiwohnende  Gemeinde  erhielt,  was  jedenfalls 
als  sehr  bedeutender  Fortschritt  in  der  Anordnung  betrachtet  Avcrden  muss. 

Für  einen  gleichen  Fortschritt  zeugt  dann  auch  die  grössere  Liehtenhöhe  der  Krypta 
unserer  Kathedrale.  In  Venedig  Hess  es  der  Meeresspiegel  nicht  zu,  den  Fussboden  der  Unter- 
kirche in  gehörige  Tiefe  zu  legen,  damit  letztere  die  gehörige  Höhe  erhalten  könne:  ja  es  dran»- 
das  Meerwasser  dennoch  der  Art  in  den  Raum,  dass  die  Unterkirche  von  San  Marco  aus  diesem 
Grunde  Jahrhunderte  lang  nicht  mehr  betreten  wurde  und  gleichsam  verschollen  war.  Ein  solcher 
Umstand  fand  bei  der  Gurker  Unterkirche  nicht  statt,  und  doch  hat  diese  wegfen  tillzu  g-erinffer 
Höhenentwickelung  dasselbe  gedrückte  Aiissehen,  welches  den  in  die  Krypta  von  San  Marco  Ein- 
tretenden beengen  muss.  Es  ist  demnach  in  Gurk,  weil  hier,  wie  bereits  bemerkt,  die  Umstände 
nicht  gleich  ja  nicht  einmal  ähnlich  sind,  eine  bloss  einfaclie,  um  niclit  zu  sagen,  gedankenlose 
Nachahmung  des  venetianischen  ]\Iusters,  zum  grossen  Nachtheile  des  Nachgebildeten  anzunehmen, 

5  S.  Mittheilungen  der  k.  k.  Cent.  C'omm.  XI.  Jahrgang  Taf.  IV. 

6  Es  hat  sich  in  Bezug  auf  die  Frage,  ob  das  erste  (östliche)  Travee  des  Gurker  Domes,  über  welchem  sich  gegen- 
wärtig ein  grosser,  später  eingezogener  Sjutzbogen  erhebt,  ursprünglich  als  ungetheiltes  gedacht  war,  oder  in  zwei  Travöcs 
getheilt  werden  sollte;  es  hat  sich,  sagen  wir,  über  diese  Frage  ein  Streit  zwischen  Karl  Haas  (vgl.  S.  158  d.  II.  Bandes  der 
„Mittelalt.  Kunstdenkmale  von  Heider  und  Eitelbergeri  und  Qu.ist  erhoben,  in  welchem  ich  entschieden  auf  Quast's 
Seite  treten  muss,  indem  ich  zu  seinen  Gründen  noch  hinzufüge,  dass  die  Breite  des  gegenwärtigen  Travees  um  ein  Be- 
trächtliches grösser  ist,  als  die  Breite  des  Mittelschiffes,  was  meines  Wissens  sonst  nirgends  vorkommt.  Nun  könnte  zwar 
behauptet  werden,  dass  dieses  grosse  Travee  nicht  als  solches,  sondern  als  Länge  des  unvollkommenen  Querschiffes  zu  be- 
trachten sei,  dagegen  aber  lässt  sich  bemerken,  einmal,  dass  eine  grössere  Länge,  als  die  Breite  des  Mittelschiffes,  im  Querschiffe 
unter  die  grossen  Seltenheiten  gehört,  andererseits  aber,  dass  sich  für  diese  ganz  abnorme  Breite  kein  methodisches  Maass  finden 
lässt,  während  dies  doch  der  Fall  bei  zwei  Travees  wäre,  die  aus  einer  Pfeilerstellung  über  dem  östHchsteu  Pfeiler  der  Unter- 
kirche hervorgingen.  Endlich  spricht  für  zwei  Tr.ivees  auch  der  Umstand,  dem  gemäss  der  Gurker  Dom  nicht  nur  Kathedrale, 
sondern  zugleich  auch  Kii-che  eines  Nonnen-  und  Männerklosters  war;  die  weltliche  Geistlichkeit  hatte  nun,  wie  gebräuch- 
lich, ihren  Platz  im  hohen  Chore,  ebenerdig;  der  Chor  der  Nonnen  war  über  der  westlichen  Empore  aufgebaut,  und  so  bliebe 
bloss  eine  über  den  beiden  östlichsten  Tiavecs  erhobene  Doppellangempore  für  die  Beiiedietiiienuünche  übrig.  Falls  demnach 
auch  diese  allenfalls  nicht  ausgeführt  wurde,  muss  man  sie  doch  als  dem  ersten  Anoidnungsgedanken  gemäss  annehmen. 

2L* 


144  Dr.  E.  Hesszlmann. 

Hievon  liielt  sich  der  Fünf  kirchner  Architekt  fern,  indem  er  seinen  zweckmässigeren  Breiten  ent- 
!«prechend  auch  höhere  Räume  hersteUte.  WiQirend  demnach  die  Höhe  vom  Fussboden  bis  zum 
Schlusssteine  in  Gurk  kaum  10'  beträgt,  hat  sie  in  Fünfkirchen  9.08'  -f-  6.17'  =  15.25  zum 
iLiasse;  jedenfalls  um  die  Hälfte  mehr'.  Endlich  ist  auch  die  innere  Gestaltung  der  Apsiden- 
und  Apsidiolen-Mauern  weit  vorzüglicher  in  FüntTilrchen  als  in  Gurk,  und  ebenso  die  Beleuch- 
tung eine  weit  stärkere  als  in  der  Kathedrale,  vorzüglich  wenn  man  bedenkt,  dass  die,  gegen- 
wärtig durch  die  späteren  Langaiibaue  nutzlos  gewordenen  Seitenfenster,  ursprünglich  der  Unter- 
kirche das  Licht  in  noch  ausgiebigerem  Maasse  zufühi-en  mussten. 

Alles  wohlerwogen  steht  die  FünfkircherUnterkirche  au  feiner  viel  höheren 
Stufe  der  Entwickelung,  als  jene  des  Gurker  Domes,  und  hat  auch  noch  durch  die  Ver- 
bindung mit  den  Capellenräumen  unter  den  anstossenden  östlichen  Thürmen  eine  viel  grössere 
Ausdehnung.  Ich  habe  nun  den  Beweis  der  oben  aufgestellten  Angaben  in  Zahlen  durchzufüli- 
ren;  wobei  ich  jedoch  den  Leser  bitten  muss,  mh-  naclirechnend  zu  folgen,  indem  derlei  Erläute- 
rungen, ohne  Stlbsfthätigkeit  meistens  resultatlos  zu  sein  pflegen,  weil  hier  nicht  Vertrauen  oder 
^listrauen  in  des  Verfassers  Berechnung,  sondern  bloss  die  Überzeugung  der  Richtigkeit  der- 
selben entscheidend  ist. 

Das  Grundmaass,  aus  welchem  die  anderen,  ob  kleiner  oder  grösser,  entwickelt  werden,  die 
soo^enannte  Einheit,  ist  nach  Sties-litz's  richticj-er  Bemerkun2'  die  Breite  des  Mittelsclüifes,  von 
Pfeileraxe  zu  Pfeileraxe  gemessen,  und  zwar  wurde  diese  Einheit  im  ilittelalter  wie  Boisser^e 
sehi-  richtig  bemerkt,  nach  altrömischen  Fuss  berechnet  ^  jedoch  nicht  nach  zehn,  —  wie  Bois- 
seree  meint,  sondern  nach  zwölfeöUigem  Fuss.  Bloss  in  diesem  Fussmaasse  lassen  sich  die  vor- 
handenen Einheiten,  entweder  zu  ganzen,  oder  über  diese  hinaus  in  übersichtlicheren  Brüchen 
zu  y„  '/j,  oder  y^,  ''/^  und  ^/^  Fussmassen  messen. 

Wir  haben  in  unseren  vier  Kirchenbeispieien  zweierlei  Art  von  Fuss;  den  altfranzösischen 
und  den  Wiener  Fuss,  das  Verhältniss  derselben  zum  altrömischen  ist: 

altfranzösischer  Fuss     .    .    .     IJr.iOU  Wiener  Fuss 14.011 

altrömischer  Fuss 13.090 

Die  Einheit  der  alten  Kirche  von  Dijon  war  vorläufig  angenommen,  d.  h.  gemessen  (vgl. 
Mittheil.  V.  J.  1868,  S.  LXX)  27.75'  alth-anzösisch,  und  daher 

13.09'  :  27-75    =  U.iO'  :  x.    s  =  30.527'  .  .  .  altrömisch. 

Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  das  eigentliche  Maass  zu  30yj  altrömische  Fuss  angenommen 
werden  muss,  was  27.72'  .  .  .  oder  kürzer  27.70'  altfranzösisch  ergibt. 

Die  Einheit  der  Unterkirche  von  San  Marco  zu  Venedior,  d.  h.  die  fünf  mittleren  Säu- 
leno-äuge  haben,  vorläufig  angenommen,  eine  Breite  von  40.50  Wr.  F.;  dies  ergäbe: 
13.09U  :  14.011  =  40.5    :  X,    x  =  43.349  ..  .  altrömische  Fuss. 

Da  wir  jedoch  hier  43y3  alti'ömische  Fuss  anzunehmen  haben,  wird  die  Einheit  der  Unter- 
kirche bloss  40.48'  beti-agen. 

Die  Einheit  des  Gurker  Domes*  misst,  vorläufig  angenommen,  2S.95  Wr.  F.;  dies 
ero-ibt:  13.090  :  14.011  =  28.95'  :  x,  x  ^  30.98  .  .  .  altrömische  Fuss;  um  also  letztere  bis  zu 
31  voll  zu  machen,  werden  wir  der  Gurker  Einheit  28.96'  Wiener  Maass  geben  müssen. 

'  S.  Fünfkirchen  1.  c.  Fig.  2. 

*  Der  anonyme  Mönch  von  Dijon  gebraucht  zwar  die  Elle,  da  aber  diese,  wie  D.  Plancher  bemerkt,  einen  und  einen 
halben  altrömischen  Fuss  misst,  ist  auch  hier  keine  wesentliche  Abweichung  vom  allgemeinen  Gebrauch  zu   finden. 

9  Der  :ingefuhrten  Abhandlung  über  den  Gurker  Dom  in  den  .Knnstdenk.  d.  osterr.  Kaiserstaates"  sind  bloss  riustni- 
tionen  im  kleinen  Maassst.ibe  beigegeben;  ich  hätte  daher  auf  diese  fussend  keine  richtigen  Berechnungen  machen  können, 
hätte  nicht  Architekt  Lippert,  welcher  die  Aufnahme  für  dies  Werk  besorgte,  mir  seine  toten  gettilligst  mitgetheilt:  indem 
ich  nun  die  sehr  genauen  Maassangaben  benutzte,  statte  ich  ihm  meinen  Dank  tor  seine  Gefälligkeit  ab. 


Genesis  dee  Kathedrale  von  Fünfkirchen  in  Ungarn.  145 

Die  Einheit  der  Kathedrale  von  Fünfkirchen  misst,  vorläufig  angenommen,  37.33' 
Wiener  Maass ;  dies  ergibt:  13.090  :  14.011  =  37.33'  :  x,  x  =  39.956  altrömisch;  es  ist  nun 
offenbar,  dass  hier  40  altrömische  Fuss  voll  genommen  wurden,  was  als  Einheit  37.37  Wiener 
Fuss  gibt. 

Das  in  der  mittelalterlichen  Architektur  gebrauchte  Maass  war  demnach,  wie  aus  diesen 
Beispielen  hervorgeht,  der  altrömische  Fuss  und  ein  leicht  übersichtlicher  Bruch  desselben;  die 
Einheit  aber  wurde  auf  dem  Wege  der  Analogie,  d.  h.  in  der  Nachbildung  nach  einem  Vorbilde 
bestimmt.  Dies  lässt  sich  nicht  überall  nachweisen ;  in  Venedig  wurde  die  Krypteneinheit  sicher 
durch  die  der  älteren,  im  Brand  theilweise  zu  Grunde  gegangenen  Basilika  bestimmt,  mög- 
licherweise nahm  auch  der  Dijoner  Meister  seine  Einheit  aus  dem  älteren  Gebäude  herüber, 
von  dem  er  ja  einzelne  Theile  stehen  liess. 

Die  Gurker  Einheit  kann  jedoch  von  jener  der  Unterkirche  von  S.  Marco 
leicht  abgeleitet  werden,  da  sie  sich  zu  dieser  annähernd  wie  1  :  |/2  verhält;  dividiren  wir 
nämlich  die  Einheit  der  Marcuskrypte  mit  1/2  d.  h.  40.48'  mit  1.414,  so  erhalten  wir  28.62', 
demnach  bloss  um  Vs  Fuss  weniger  als  die  Gurker  Einheit  von  28.96';  dass  nun  hier  dieses  '/j 
zum  methodischen  Maass  von  28.62'  hinzugegeben  wurde,  ist  daraus  zu  erklären,  dass  man  in 
der  Einheit  ein  volles  römisches  Fussmass  haben  wollte. 

Natürlicherweise  ist  der  Gurker  Architekt  hiebei  nicht  wie  wir,  d.  h.  nicht  arithmetisch 
verfalircn,  sondern  er  hat  das  Maass  der  Einheit  von  Venedig,  als  Diagonale,  auf  einen 
rechten  Winkel  gelegt,  und  so  lange  verschoben,  bis  dessen  Enden  die  Schenkel  des  rechten 
Winkels  erreichten;  nachdem  er  aber  fand,  dass  er  nun  durch  diese  Operation  eine  Einheit 
von  30y3  altrömische  Fuss  erhalten,  hat  er  noch  Yä  Fuss  dazu  gegeben,  um  31  Fuss  voll 
zu  machen. 

Da,  wie  wir  oben  gesehen,  die  Fünfkirchner  Kathedrale  unstreitig  eine  Tochter  des  Gurker 
Domes  ist,  muss  es  auffallen,  dass  ihre  Einheit  auf  principiellem  Wege  von  der  Einheit  ihres 
Vorbildes  nicht  abgeleitet  werden  kann,  denn  diese  Einheit  stammt  von  jener  der  ahen 
Dijoner  Kirche  und  zwar  auf  einem  mehi*  complicirten  Wege  als  die  Ableitung  der  Gurker  von  der 
Einheit  der  St.  Marcus-Unterkirche: 

Wenn  wir  nämlich  die  Einheit  der  Dijoner  Kirche  mit  1/2  —  1  multipliciren,  erhalten  wir 

27.70    X    0.414   =   11.467'  .  .  . 

wenn  wir  ferner  die  erlialtene  Summe  mit  I/V3  multipliciren,  erhalten  wir 

11.467'    X   0.816   =  9.35'  .  .  . 

wenn  wir  endlich  die  erhaltene  Summe  viermal  nehmen,  erhalten  wir  37.40'  demnach  bloss 
*/ioo  Fuss  mehr  als  die  Fünfkirchner  Einheit  von  37.37'  ^''. 

Hiebei  ist  zu  bemerken,  dass  auf  graphischem  Wege  diese  complicirt  scheinende  Ableitung 
der  Fünfkirchner  Einheit  von  der  Dijoner  ebenso  leicht  zu  bewerkstelligen  ist,  als  jene  der 
Gurker  von  der  Venezianischen  (vgl.  das  IL  Cap.  meiner  Szekes-Feherväri  äsatAsok  eredmenye), 
indem  das  viermal  zu  nehmende  Maass  in  der  allgemeinen  schematischen  Figur  vollständig 
gegeben  ist- 

Wollten  wir  aber  die  Einheit  in  Fünfkirchen  von  jener  des  Vorbildes  zu  Gurk  herleiten, 
bliebe  nichts  übrig  als  zu  den' 31  Fuss  der  letzteren  willkürlich  noch  9  hinzuzufügen,    um  auf 

10  Der  altfranzösische  Fuss  „pied  du  roi"  ist  zwar  etwas  grösser  als  der  Wiener  (14.400  :  14.011);  doch  ist  der  Unter- 
schied nicht  so  bedeutend,  dass  er,  besonders  bei  kleineren  von  der  Einheit  abgeleiteten  Maassen  ,  sehr  auffallend  wäre.  Dem 
früher  angegebenen  Verhältnisse  gemäss  müsste  die  iu  unserer  Art  von  der  Dijoner  abgeleitete  Einheit  in  Fünfkirehen  sich 
verhalten  wie  41.16...  zu  31V2  altrömische  Fuss,  während  wir  für  erstere  bloss  40'  gefunden  haben.  Es  tritt  hier  dasselbe 
Verhältniss  ein,  wie  bei  Kupferstichabdrüeken  von  einer  und  derselben  Platte,  die  häufig  um  Vm  ihrer  Breiten  oder  Längen- 
maasse  von  einander  abweichen,  je  nachdem  das  Papier  mehr  oder  weniger  genetzt  oder  gestreckt  wurde. 


1 46  Dr.  E.  Henszlmasn. 

40  altrömiscbe  =  37.37  Wiener  Fuss  zu  kommen,  ein  Vei-fahren,   welches  man  im  Mittelalter 
kaum  befolgte. 

Die  Längeneintheilung'  iles  Gurker  Domes  und  der  Fünfkircher  Kathedrale  (vgl.  unseren 
Holzschnitt  Xr.  S)  ist  folgende : 

Gurker  Dom:  Wiener  Fuss       Kathedrale  von  FUnfkirehen:  Wiener  Fuss 

a)  Radius  der  Apside 10.65  a)  Radius  der  Apside 15.50 

hj  zum  Bednu  der  ersten  Travees  .    .    .      2.50         ^)  erstes  Travee 26.66 

cj  erstes  und  zweites  Travee 32.50         7)  zweites     „        27.07 

dj  halbe  Pfeilerläuge 1 .50         o)  drittes       „        28.02 

^^  drittes  Travee 17.15  ä)  viertes       „        27.90 

fj  viertes      „        16.49  i)  liiultes      „        27.91 

g)  fünftes      _        17.41  r,)  sechstes  „        29. .50 

hj  sechstes  „        16.75         c-)  siebentes  „        24..3I 


ly  siebentes  _        16.75  Gesammte  Lichteniänge  =  2o6.87' 

kj  achtes      „        16.75 

Ij  neuntes     „        17.. '33 

mj  Travee  der  Empore 6.50 

nj  Gewände  des  Innenportales    ....       6.50 

oj  Lichte  der  Vorhalle 22.58 


Gesammte  Lichteniänge  =  201.36 


ö^ 


Wenn  wir  die  Gurker  Einheit  zu  "25^.96'  mit  7  multipliciren ,  erhalten  wir  "202.02  ;  es  ist 
demnach  die  Lichtenlängfe  des  Domes  =  201.36'  zu  sieben  Einheiten  ang-etraffen. 

Wenn  wir  die  Fünfkirchner  Einheit  zu  37.37'  fünf  und  einhalbmal  nehmen,  erhalten  wir 
205,48';  es  ist  demnach  die  Lichtenlänge  der  Kathedi-ale  ^  20G.S7'  zu  fünf  einhalb  Einheiten 


angetragen. 


Die  Kathedrale  ist  somit ,  obwohl  absolut  läiig-er ,  relativ  dennoch  viel  kürzer  als 
der  Dom. 

Schlagen  wir  jedoch  n)  ■\-  o)  ^=  29.08',  d.  h.  eine  Einheit,  für  die  Vorhallenlänge  und  das 
Portalgewände  ab,  werden  wir  für  die  eigentliche  Lichtenlänge  des  Domes  bloss  sechs  Einheiten, 
mithin  nur  eine  halbe  Einheit  mehr  als  in  Fünfkirchen  haben;  und  auch  dies  ist  noch  immer 
beträchtlich,  da  gleichzeitige  Kirchen  in  Deutschland  gewöhnlich  nur  bis  fünf  Einheiten  gehen, 
die  meisten  aber  selbst  dai-unter  bleiben;  letzteres  ist  auch  bei  ungrarischen  Kirchen  aus  dieser 
Zeit  der  Fall. 

Ihrer  Ausfülu'ung  nach  steht  sowohl  der  Dom  als  die  Kathedrale  nicht  in  der  Reihe  der 
präcisen  Kirchen  des  Mittelalters;  man  sieht  dies  auf  den  ersten  Anblick  der  von  einander  ver- 
schiedenen Traveelängen ;  nichts  destoweniger  lässt  sich  jedoch  auch  hier  ein  methodisches 
Maass  finden,  wenn  man  den  Durchschnitt  gleichnamiger  (d.  h.  Chor-  oder  Langhaus-)  Trav6es 
berechnet. 

So  haben  wir  als  Durchschnittsläiige  der  sieben  Gurker  Joche  cJ,  f),  g),  h).  i),  k)  und  l) 
16.81  Wiener  Fuss  oder  die  methodische  Zahl  von  16.96',  welche  gleich  ist  2  (|/2 — 1)  j/'/o  d.  h. 
wenn  wir  die  Gui-ker  Einheit  zuerst  mit  0.2929  multipliciren  und  dann  das  Resultat  zweimal 
nehmen,  erhalten  wir  obige  16.96  Wr.  F.  als  mittlere  Zahl  eines  der  sieben  Gurker  Lang- 
haustravees.  So  complicirt  nun  auch  diese  Bestimmung  erscheint,  ist  sie  doch  äusserst  einfach, 
weil  wir  das  graphische  Resultat  von  ( 1/2 — 1)  ^/y^  in  einer  einzigen  Linie  im  Gmker  Schema 
gegeben  finden. 

Auf  gleiche  Weise  haben  wir  nun  auch,  in  Hinsicht  der  ebenfalls  nicht  präcis  ausgeführten 
Füutkiichner  Kathedrale  zu  verfahren,  d.  h.  wir  müssen  die  Durchschnittsläuge  der  fünf  ersten 


Genesis  der  Kathedrale  von  Fünfkiechen  in  Ungarn.  147 

Travees  ß),  y),  8),  e)  und  C)  suchen,  die  wir  in  27.50'  finden,  was  einer  methodischen  Zahl  von 
27.51'  entspricht.  Für  die  Richtig-keit  dieser  Annahme  spricht  auch  anderseits  der  Umstand, 
dass  sich  die  Länge  der  Füufkirchner  Travees  zur  Länge  der  Gurker  Travees  annähernd  verhält 
wie   1  :  V5. 

Die  Fünfkirchner  Einheit  ist  37.37',  Vö  <ier  Gurker  Einheit  23.16',  ein  Gurker  Trav6e 
16.96'.  Es  folgt  hieraus  die  Äquation: 

23.16'  :    37.37'   =   16.96'  :  x 
wobei  X  gleich  ist  27.36'  d.  h.  bloss  annähernd  der  27.51'  gleichen  methodischen  Trav^elänge 
von  Fünfkirchen. 

Die  Verwandtschaft,  in  welcher  der  Gurker  Dom  zur  Unterkirche  von  San  Marco  steht, 
macht,  dass  auch  die  Fünfkirchner  aus  dem  Gurker  Dome  hervorgegangene  Kathedrale  ver- 
wandte Verhältnisse  mit  der  Krypte  der  Lagunenstadt  aufzuweisen  hat. 

Die  Breite  eines  der  Travees  der  Unterkirche  von  San  Marco  misst  5.27'  und  vier  solche 
Travees  machen  die  Breite  eines  Seitenschiffes  dieser  Unterkirche,  welche  sich  zu  einem  Fünf- 
kirchner Oberkirchenti-av^e  verhält  wie  1  :  |/2- 

\/2  der  Einheit  von  Fünfkirchen  ist  gleich  52.8-4',  die  Einheit  der  Krypte  von  San  Marco 
40.48'  die  Breite  eines  ihrer  SeitenschiflPe  5.27'  X  -1  ^  21.08';  wir  werden  also  haben: 

40.48'  :   52.84'   =   21.08'  :  x 
und  x  =  27.51',  d.  h.  der  Länge  eines  Travees  in  Fünfkirchen. 

Ich  habe  diese  Verhältnisse  benützt,  um  auf  dieselben  fussend  die  Länge  eines  Travdes  in 
Dijon  zu  finden,  und  zwar  indem  ich  letztere  zur  doppelten  Grösse  eines  Venezianer  Travees 
angenommen. 

Die  Einheit  der  Unterkirche  von  Venedig  ist  40.48',  die  Einheit  in  Dijon  war  27.70',  die 
doppelte  Einheit  demnach  55.40',  das  Maass  eines  Travees  in  Venedig  5.27',  woraus 

40.48'  :   55.40'   =   5.27'  :  x,  x   =   7.21'. 

Wie  aber  diese  Grösse  mit  der  ganzen  Anordnung  und  den  Angaben  der  Schriftsteller 
richtig  stimme,  davon  kann  sich  der  Leser  überzeugen,  wenn  er  das  IV.  Heft  des  Jahrg.  1868 
der  „Mittheilungen"  zur  Hand  nimmt,  wo  er  die  Zeichnungen  und  Maassangaben  der  alten Dijoner 
Kirche  finden  wird. 

Die  angenommene  Traveelänge  von  Dijon  würde  sich  demnach  zu  jener  von  Gurk  verhal- 
ten haben  wie  Vg  :  1.  Die  Einheit  von  Gurk  ist  28.96',  das  Trav^e  in  Gurk  misst  16.96'  und  y^ 
der  Dijoner  Einheit  zu  27.70'  sind  gleich  12.32'  demnach 

28.96'  :   16.96'   =    12.32'  :  x 
X  aber  ist  gleich  7.21'  d.  h.  der  oben  gefundenen  Länge  eines  Dijoner  Travees. 

Es  ist  früher  gesagt  worden,  dass  die  Pfeiler,  welche  die  Langhaustravees  bilden,  in  Gurk 
und  in  Fünfkirchen  dieselbe  verhältnissmässige  Höhe  haben,  und  zwar  in  Fünfkirchen  die  metho- 
dische von  28.43'  (gemessen  28.61'),  in  Gurk  von  22.03';  woraus  die  Äquation 

28.96'  :   37.37'   =   22.03'  :  x 
und  X  =  28.43'  d.  h.  der  Gesammthöhe  des  Langhauspfeilers  vom  Fussboden  bis  an  die  oberste 
Linie  seines  Kämpfers. 

Es  ist  nun  bei  verhältnissmässig  gleicher  Höhe  der  Langhauspfeiler  ein  grosser  Fortschritt 
in  der  Kühnheit  der  Construction,  dass  die  Travees  in  Fünfkirchen,  wie  wir  oben  gesehen,  um  '/^ 
grösser  sind  als  jene  von  Gurk,  doch  mussten,  um  dieses  Resultat  erlangen  zu  können,  erstere 
auch  stärker  gemacht  werden. 

In  Gurk  haben  die  Pfeiler  einen  quadratischen  Grundriss,  welcher  3'  (methodisch  3.07) 
zur  Seite  hat,  in  Fünfkirchen  aber  bildet  der  Grundriss  ein  längliches  Rechteck,  dessen  läne-ere. 


148  Dr.   E.   Henszlmakm. 

von  Ost  nach  West  stehende  Seite  5.61  ,  die  kürzere,  von  Nord  nach  Süd  stehende  5.08'  (metho- 
disch 4.99  )  niisst. 

Das  Verh.Hltniss  der  Gurker  Länjrc  und  Breite  des  Pfeilc'r<rrundrisses  zur  Läno^e  der  Fünf- 
kirchner  ist  nun   1  :  |  2. 

Die  Gurker  Einheit  ist  2S.96',  |/2  der  FüutTiirchner  Einheit  52.84  und  die  Seite  eines 
Gurker  LanghausplVilers  3.U7  ,  daher: 

28.96'  :   52.84'  =    3.07'   :  x 
X  aber  ist  gleich  5.61'  d.  h.  der  Länge  des  Fünfkirchner  Langhauspfeilers. 

Das  Verhältniss  der  Gurker  Langhauspfeilerbreite  =  3.07'  zur  Breite  des  Fünfkirchner 
Langliauspfeilers  =  4.99'  aber  ist  annähernd  V5  :  Yj,  d.  h.  dasselbe,  welches  wir  oben  als  Ver- 
hältniss der  Länge  der  Travees  gefunden  haben. 

Vs  der  Gurker  Einheit  sind  gleich  23.16',  die  Einheit  von  Fünfkirchen  37.37',  die  Seite 
eines  Gurker  Pfeilers  im  Langhause  3.07',  daher: 

23.16'  :   37.37'   =    3.07'  :  x 
und  X  ist  gleich  4.95    d.  h.  annähernd  der  Breite  des  Langhauspfeilers  in  Fünfkirchen. 

Wie  die  meisten  Pfeiler  der  beiden  Kirchen  eine  verhältnissmässio-  g-leiclie  Höhe  haben, 
ist  dies  auch  bei  der  Gesammthöhe  der  beiden  Gebäude,  vom  Boden  bis  an  das  Dach  der  Fall, 
denn  beide  sind  zwei  Einheiten  hoch,  und  zwar*  das  von  Gurk  28.90'  X  2  =  57.92'  und  jene 
von  Fünfkirchen  37.37'  X  2  =  74.74'. 

Diese  verhältnissmässige  Gleichheit  wird  noch  auffallender,  weil  sie  nicht,  wie  bei  den 
meisten  anderen  mittelalterlichen  Gebäuden,  von  einer  bestimmten  Sockellinie  unten,  sondern 
vom  Erdboden  beginnt,  was  allerdings,  wegen  gewöhnlicher  Erhöhung  des  Erdreiches  im  Laufe 
der  Zeit,  nicht  gehörig  bestimmt  erscheinen  kann;  nun  tritt  aber  in  beiden  Kirchen  der  Umstand 
ein,  dass  eine  grössere  Bodenerhöhung  durch  die  Zeit,  wenigstens  an  der  Ostfi-onte ,  nicht  gestat- 
tet werden  konnte,  weil  die  Unterkirchenfenster  bis  an  die  Bodenlinie  hinabreichen;  das  Ausser- 
gewöhnliche  findet  daher  hierin  seine  Entschuldigung,  zugleich  aber  bestätigt  es  die  Herkunft 
der  Kathedrale  vom  Dome,  eben  desshalb,  weil  es,  obwohl  aussergewöhnlich,  am  jüngeren  Gebäude 
so  gut  als  am  älteren  vorkömmt. 

Wenn  wir  die  Höhen  der  Hauptapsiden  von  Fünfkirchen  und  Gurk  untereinander  ver- 
gleichen, werden  wir  ein  annäherndes  Verhältniss  der  ersteren  zur  letzteren  von  %  zu  7$  finden. 

Ich  habe  in  Fünfkirchen  zwischen  der  höchsten  Linie  des  Obersockels  und  dem  ursprüng- 
lichen Dache,  dessen  Anfang  durch  ein  Stück  des  noch  vorhandenen  Endes  vom  alten  Kranz- 
gesimse bestimmt  wird,  gefunden  39'  8"  Wiener  Maass,  was  der  methodischen  Zahl  von  dreiviertel 
der  Wm-ztl  aus  Zwei  der  Fünfkirchner  Einheit  entspricht,  d.  i.  V^  von  52.84'  =39.63'.  In  Gm-k 
messe  ich  dieselbe  Höhe  des  Körpers  jedoch  vom  unteren  Sockel  bis  zum  Dachanfang  nach  Lippert's 
Angaben  annähernd  zu  33.90',  was  (^2 — 1)  j/y,  viermal  genorumen  entspricht,  indem  dies  gleich 
ist  28.96'  X  0.2928  =  8.479'  und  dies  viermal  genommen  33.91'  gibt. 

Nun  haben  wir  für  Vs  der  Gurker  Einheit  32.58',  die  Fünfkirchner  Einheit  zu  37.37'  und 
die  Höhe  der  Giuker  Hauptapside  vom  Untersockel  bis  zum  Dache  zu  33.91',  daher  die  Äquation: 

32.58'  :  37.37'  =  33.91'  :  x 
X  ist  gleich  38,89'  demnach  bloss  annähernd  der  Höhe  von  39.63'  der  Fünfkirchner  Apside. 

Ich  habe  nun  zu  bemerken,  dass  ich  die  Cote  der  Gurker  Höhe  nicht  genau  kenne,  sie 
demnach  bloss  auf  der  Kupfertafel  (XXIX.  Bd.  11  der  „Mittelalt.  Kunstdenkmale ■*)  gemessen 
habe  und  dass  derlei  Messungen  sehr  unzuversichtlich  sind,  da,  je  nachdem,  wie  bereits  bemerkt, 
das  Druckpapier  melir  oder  weniger  beim  Drucke  genetzt  und  gedehnt  wird,  ein  Fehler  von  '/« 
und  mehr,  demnach  hier  von  beinahezu  einem  ganzen  Fuss  leicht  vorkommen  kann. 


Genesis  der  Kathedrale  von  Fünfkiechen  in  Ungarn.  14" 

Auch  von  den  Gurker  Apsidialhülien  habe  ich  keine  Cotenliöhe,  demnach  ich  dieselben  mit 
jenen  der  Kathedrale  in  Fünfkirchen  nicht  vergleichen  kann. 

Eine  bemerkenswerthe  Thatsache  ist  aber  die,  welche  mehr  noch  als  die  bisher  angeführten 
für  die  steigende  Kühnheit  in  der  Construction  spricht,  und  welcher  gemäss  zwischen  den  Mauer- 
stärken der  beiden  Gebäude  das  Verliältniss  von  V3  in  Fünfkirchen  zu  V3  in  Gurk  eintritt;  indem 
die  Mauerstärke  der  Kathedrale  bloss  3.05',  jene  des  Domes  aber  3.53'  misst. 

Die  Gurker  Einheit  ist  28.90',  V3  der  Fünfkirchner  Einlieit  geben  2i.90',  die  Dicke  der 
Langhansmanern  im  Seitenschiffe  von  Gurk  misst  3.53',  wir  haben  demnach: 

28.96'  :  24.90'  =  3.53'  :  x 
und  X  ist  gleich  3.0-i'  d.  h.  der  Dicke  der  Langhausmauern  im  Seitenschiffe  der  Kathedrale  von 
Fünfkirchen. 

Diese  erörterten  Verhältnisse  haben  die  genetisclien  Beziehungen  der  Oberkirche  von  Gurk 
zu  jener  von  Fünfkirchen  ausser  Zweifel  gesetzt;  Ein  anderes  ist  es  mit  der  Unterkirche,  da 
die  von  Gurk  der  Anlage  der  Fünfkirchner  bloss  im  Allgemeinen  zum  Vorbild  diente,  die  Haupt- 
verhältnisse aber,  jene  der  Säulen,  anderswoher  als  aus  Gurk  herzuleiten  sind. 

Die  Gurker  Unterkirche  hat  eine  etwas  grössere  Länge  und  Breite  als  jene  von  Fünfkirchen; 
das  Abwechseln  von  sehr  starken  Pfeilern  mit  schwachen  Säulen  ist  beiden  gemeinsam;  da  wir 
aber  in  Fünfkirchen  bloss  zwei  Pfeilerpaare  gegen  drei  in  Gurk  haben,  findet  sich  auch  an  ersterem 
Orte  ein  Travee  weniger. 

Zuvörderst  stehen  die  Fünfkirchner  Unterkirchenpfeiler  in  einem  weit  besseren  Verliältnisse 
zu  den  von  ihnen  getragenen  Pfeilern  der  Oberkirche  als  in  Gurk  und  sind  verhältnissmässig 
viel  schwächer;  da  übrigens  die  methodischen  Grössen  der  Fünfkirclmer  Unterkirchenpfeiler  zu 
jenen  der  Gurker  Unterkirche  nicht  leicht  darstellbar  sind,  lassen  sich  diese  Verhältnisse  kaum 
von  den  Gurkern  herleiten. 

Bezüglich  der  beiden  Trav6elängen  in  Fünfkirchen  (siehe  ß  und  7  auf  S.  146),  die  östliche 
zu  26.29',  die  westliche  zu  27.00'  angegeben,  glaube  ich,  dass  letztere  die  oben  für  die 
Langhaustravöes  gefundene  methodische  Grösse  von  27.51'  haben  sollte;  in  Gurk  aber  ist  die 
Verschiedenheit  der  grossen  Kryptentrav^es  noch  bedeutender,  da  wir  hier  14.04',  16.88', 
17.25'  und  14.20'  haben. 

Ebenso  wenig  ist  in  Gurk  die  Breite  der  Seitenschiffe  methodisch  bestimmt,  während  sie  in 
Fünfkirchen  gemessen  15.58'  beträgt,  was  der  methodischen  Grösse  von  ]/2 — 1  =  15.47' 
entspricht,  denn  37.37'  X  0.414'  gibt  15.47'. 

Gleich  verschieden  von  einander  sind  die  kleinen,  d.  h.  die  Sävilentravöes  in  Gurk,  worin 
sie  den  untereinander  ebenfalls  ungleichen  Säulentravöes  der  Marcus-Krypte  ähneln,  während  in 
Fünfkirchen  die  Säulentravöe«  ziemlich  gleiche  Länge  und  Breite  haben.  Der  Durchschnitt  der 
Längen  ist  13.32',  der  Breiten  bei  allen  gleichmässig  12.45'  d.  h.  Va  c^er  Einlieit,  denn  drei 
solcher  Travöes  nehmen  die  Mittelschiffbreite  der  Unterkirche  ein.  Zwei  Säulentravöes  befinden 
sich  in  einem  grossen  Pfeilertrav^e  der  Kirchenlänge  nach.  Ist  min  meine  Vermuthung  begründet, 
der  gemäss  der  Projectant  die  Länge  des  letzteren  zu  27.51'  angenommen  liätte,  wäre  in  der  Hälfte 
dieser  Grösse  =  13.75'  ein  Mass  vorhanden,  welches  sich  zum  Dijoner  Säulentravee  verhielte  wie 
1/2  :  1 ,  was  oben  bcAviesen  wurde.  Wir  könnten  hier  also  die  alte  Dijoner  Kirche  als  Vorbild 
annehmen,  oder  aber  von  der  Fünfkirclmer  Nachahmung  auf  die  Richtigkeit  meiner  Annahme  der 
Grössen  der  Dijoner  Travöes  zurückschliessen.  In  Bezug  auf  die  Unterkirchen-Säulentravees  von 
San  Marco  tritt  zwischen  diesen  und  jenen  in  Fünfkirchen  ein  Verliältniss  ein  von  1  :  2  ]/2. 

Diese  schon  ausführlich  dargethane  Verwandtschaft  zwischen  den  methodischen  Maassen 
von  Dijoii  und  Fünfkirchen  wird  aber  noch  auffälliger,  wenn  wir  die  Säulen  der  beiden  den  Ge- 
XIV.  22 


löO 


Dr.  E.  Hbnszlmakk. 


ffenstand  unserer  Betrachtung  bildenden  Unterkirclien  untereinander  und  dann  auch  mit  jenen 
von  San  Marco  und  Gurk  vergleichen ,  wobei  die  der  ersten  und  zweiten  Kirche  und  dann  die 
der  dritten  und  \-ierten  einander  näher,  1  und  2  aber  von  3  und  4  entfernter  stehen. 

Der  nähere  Beweis  ist  folgender: 

Verschiedene  Durchmesser. 

Venedig  i  Fig.  3) 

■i  Breite  der  Abacustafel ?  — 

?  Oberer  Säulendurchniesser V  — 

S  Unterer  ^  0.66  — 

-?  Breite  der  Plinthe 1.30'         — 


oMS 


Gurk  (Fig.  4V 

1.25 

0.58 

0.62 

1.21 


t-  1.50'  ^    f 


Fig.  3. 


Fig.  4. 


Das  Maass  der  Breite  der  Abacustafel  und  des  oberen  Durch- 
messers der  Kr>-ptensäule  von  San  Marco  ist  mir  nicht  bekannt; 
der  untere  Säulendurchmesser  hat  0.66',  jener  von  Gui-k  aber  0.62 
zum  Maasse, 

es  tritt  nun  hier  das  Verhältniss  vom  Gurker  zum  venetia- 
nischen  wie  ^/^  zu  Vs  ein. 

Vs  der  Gm-ker  Einheit  geben  .38.61'.  die  Einheit  in  S.  Marco 
ist  40.48',  der  untere  Durchmesser  der  Giu-ker  Säule  0.62  ,  wir 
haben  also: 

38.61'  :   40.48'   =  0.62'  :  x 
und  X  =  0.65'  d.  h.  dem  Durchmesser  in  San  Marco. 

Ein  bestimmtes  Verhältniss  tritt  auch  zwischen  den  beiden  Plinthentafelseiten  ein;   denn 
wenn  man  die  unteren  Säulendurchmesser  doppelt  nimmt,  hat  man  in  \'enedig  0.65'  X  2  =  1.30' 

in  Gurk  0.62'  X  -'  =  1-24  . 

Höhen   der   Säulen. 

Venedig. 

Höhe  des  Kämpfers 

,.       _     Capitäls 


..     Schaftes 
_     Fusses 
der  Plinthe 


1.22 

3.54' 

0.97' 


Gesammthühe 


5.73 


Gurk. 

0.62 

0.S8 

3.64 

0.74 

0.24' 

6.12 


Im  Ganzen  verhält  sich  nun  die  Höhe  in  San  Marco  zur  Höhe  in  Gurk  wie  Vs  zu  Vs- 

Wir  haben  Vs  der  Einheit  der  Krj'pte  in  Venedig  zu  26.98',  die  Einheit  in  Gurk  zu  28.96' 

und  die  Höhe  der  Säule  in  San  Marco  zu  5.73',  daher: 

26.98'  :   28.96'   =   5.73'  :  x 

und  X  =  6.15'  oder  der  Säulenhöhe  der  Gurker  Unterkirche. 

Man  kann  jedoch  die  Ableitung  auch  noch  weiter  verfolgen;  so  verhält  sich: 

die  Kämpfer-  und  Capitälhöhe  in  San  Marco  zusammen   zur  Kämpferhöhe  in  Gurk  wie 

|/2  :  1 ,  und  umgekehrt 

die  Schafthöhe  in  San  Marco  zur  Schafthöhe  in  Gm-k  wie  1  :  |/2,  endlicli 

die  Höhe  des  Fusses  und  der  Plinthe  zusammengenommen  in  San  Marco  zur  Höhe  der 

Plinthe  allein  in  Gurk  wie  \/i  :  Vs- 

Nachdem  dies  vollkommen  genügen  kann,  die  Ableitung  der  Kryptensäule  in  Gurk  von 

jener  der  San  Marco-Unterkirche  zu  constatiren ,  gehen  wir  zu  einer  Vergleichung  der  Säule  in 

Fünfkirchen  mit  jener  von  Dijon  über,  wie  letztere,  nach  den  neuesten  Ausgrabungen,  in  Sargots 

angeführtem  Werke  und  dessen  Zahlenangaben  bekannt  wurde. 


Genesis  der  Kathedrale  von  FünfkirOhen  in  Ungarn. 


151 


Breite  der  Abacustafel  .  . 
Oberer  Säulendurchmesser 
Unterer  „ 

Seite  der  Plinthe    .    .    .    . 


Verchiedene  Durchmesser. 

Dijou  (Fig.  5).  Fünfkirchen  (Fig.  6). 

?  —         2.00' 

1.53  ■?         -         1.08' 

1.60'  —         1.24' 

?  —         1.7.Ö' 


Es  verhält  sich  nun  der  untere  Durchmesser  der  Säule 
in  Fünfkirchen  zii  jenem  der  in  Dijon  ausgegrabenen  Säule 
wie  1  :  |/3. 

y^  der  Dijoner  Einheit  ist  27.70'  X  1.732  =  47.93', 
die  Einheit  von  Fünfkirchen  37.37',  der  untere  Durchmesser 
in  Dijon  aber  l.GO',  demnach:  47.93'  :  37.37'  =  1.60'  :  x 
und  X  =  1.24  d.  h.  dem  unteren  Durchmesser  in  Fünf- 
kirchen; ferner  hat  der  obere  Durchmesser  in  Fünfkirchen 
genau  die  verhältnissmässige  Hälfte  des  unteren  in  Dijon 
zum  Maasse. 

Die  Dijoner  Einheit  ist  27.70',  die  halbe  Fünfkirchner 
Einheit    18.68',    der    untere   Durchmesser   in   Dijon    1.60', 


Fig.  5. 


Fig.  6. 


daher:  27.70    :  18.68'  =  1.60'  :  x,   x  =  1.07'  oder  dem  oberen  Durchmesser  in  Fünfkirchen. 


Höhen   der   Säulen. 


Höhe  des  Kämpfers 
Capitäls  . 
Schaftes  . 
Fusses     . 


der  Plinthe 


Gesammthöhe 


Dijon. 

2.43 ' 

5.88' 
0.94' 
0.31' 


9.56'     —     9.09' 


Fünfkirchen. 

—  0.88' 

—  0.64' 

—  6.25' 

—  0.98' 

—  0.34' 


So  tritt  hier  in  der  Gesammthöhe  das  sein-  einfache  Verhältniss  von  |/2  :  1  ein. 

]/2  der  Dijoner  Einheit  ist  39.16',  die  Fünfkirchner  Einheit  37.37',  die  Gesammthöhe  der 
Dijoner  Säule  misst  9.56',  daher:  39.16'  :  37.37'  =  9.56'  :  x,  x  =  9.12'  oder  der  Gesammthöhe 
in  Fünfkirchen. 

Die  beiderseitigen  Detailhöhen  können  wir  nicht  ebenso,  wie  in  den  Säulen  von  Venedig 
und  Gurk  von  einander  ableiten,  was  daher  kömmt,  dass  in  Fünfkirchen  eine  ganz  andere  For- 
mation des  Capitäls  und  des  Fusses  eintritt,  die  sich  wieder  mehr  an  die  Bildung  der  gleich- 
namigen Glieder  in  Gurk  und  Venedig  anschliesst,  ohne  zugleich  deren  Maassverhältnisse  zum 
Muster  zu  nehmen. 

Obschon  nun ,  wie  oben  angegeben  wurde,  das  Grössenverhältniss  zwischen  der  Gurker 
und  der  San  Marco-Säule  ein  näher  verwandtes  ist,  als  zwischen  jener  von  Dijon  und  San  Marco, 
lässt  sich  der  Einfluss  des  Dijoner  Baues  auf  die  Unterkirche  von  San  Marco  dennoch  in  Folgen- 
dem nachweisen. 

Ein  Travee  der  ünterkirche  von  San  Marco  gibt  die  verhältnissmässige  Hälfte  eines  Trav^es 
der  Dijoner  Kirche; 

ferner  wurde  die  sehr-  bedeutende  Höhe  des  Dijoner  Säulencapitäls  zur  Höhenbestimmung 
des  Schaftes  der  niederen  Säule  in  der  Krypte  von  San  Marco  gebraucht: 

27.70'  :  40.48'  =  2.43'  :  x 
X  =  3.55'  oder  der  Schafthöhe  von  3.54'  in  der  Krypte  von  San  Marco; 

22* 


152  Dt-  E-  Henszlmann.  Gexesis  der  Kathedrale  von  Fi-nfkirchen  in  Incaus. 

endlich  verhält  sich  die  Höhe  des  Säiilenfusses  in  Dijoii  zur  Höhe  des  Fusses  und  der 
Plinthe  zusmumengenounuen  in  S.  Marco  wie  |/2  :  1. 

|/2 — 1  der  Dijoner  Einheit  ist  39.16',  die  Einheit  der  Krypte  von  San  Marco  40.48',  die 
Höhe  des  Säulenfusses  in  Dijon  0.94',  demnach:  39.16'  :  40.48'  =  0.94  :  x  und  x  =  0.96  oder 
der  Summe  des  Fusses  und  der  Plinthe  einer  Ki-j^jtensäule  von  San  Marco. 

Es  geht  hieraus  hervor,  dass  sich  eine  Kette  der  Verwandtschaft  von  der  alten  Dijoner- 
kirche  durch  die  Zwischenglieder  von  San  Marco  und  Gurk  nacli  Fünfkirchen  zieht;  dass  jedoch 
in  der  Unterkirche  der  Kathedrale  die  Mittelglieder  von  Gurk  und  Venedig  übersprungen  werden, 
um  zur  Quelle  zurückzukehren  und  aus  dieser  die  weit  angemesseneren  gewünschten  Grössenver- 
hältnisse  zu  schöpfen,  wesshalb  es  nicht  unwahrscheinlich  ist,  dass  der  Erzbischof  von  Fünfkirchen, 
Calanus,  sich  eines  Dijoner  Benedictiners  zum  Entwerfen  seiner  Kathedrale  bediente.  Wir  wissen, 
dass  Calanus,  ein  Dalmatiner  von  Geburt,  häutig  als  diplomatischer  Unterhändler  mit  Venedig 
gebraucht  wiirde ;  auf  einer  seiner  Reisen  daliin  mag  er  nun  auch  Gefallen  am  neuerbauten 
Gurker  Dome  gefunden  haben,  welcher  sowohl  seiner  Grösse  und  reichen  Decoration,  als  auch 
seines  für  den  Osten  ziemlich  neuen  Styles  wegen  zuversichtlich  grosses  Aufsehen  zu  jener  Zeit 
erregte.  Hieraus  ist  erklärlich,  dass  man  sicli  in  Fünfkirchens  Oberkirche  strenger  an  das  Vorbild 
der  Gurker  Oberkirche  hielt,  dagegen  musste  man  in  der  Unterkirche  von  diesem  Vorbilde  ab- 
weichen, wollte  man  einen  zweckmässigeren  Bau  herstellen;  da  nun  aber  der  Bau  sich  hier  den 
bekannten  Verhältnissen  der  alten  Dijoner  Kirche  anschliesst,  und  zwar  in  allen  wesentlichen  Ver- 
hältnissen der  Säule ,  kann  man  diese  Übereinstimmung  durchaus  nicht  als  zufällig  betrachten, 
sondern  mnss  nothgedrungen  eine  Bekanntschaft  mit  dem  Dijoner  Gebäude  bei  dem  Projectanten 
von  Fünfkirchen  voraussetzen  und  diese  lässt  sich  nicht  leichter  erklären,  als  wenn  man  in  ihm 
einen  Dijoner  Mönch  vermuthet,  da  ja  um  jene  Zeit  sehr  häufig  französische  Benedictiner  nach 
Ungarn  kamen,  so  dass  sogar  die  Privilegien  dieses  Ordens  und  der  Cisterciten  nach  den  Privi- 
legien, welche  diese  Orden  in  Frankreich  genossen,  abgcfasst  wurden. 

Ich  darf  ferner  behaupten,  dass  sich  der  aufmerksame  Leser  aus  den  angeführten  Form- 
und numerischen  Beweisen  auch  noch  von  der  Wahrheit  folgender  Sätze  überzeugen  konnte: 

1.  Dass  die  von  mir  wiederaufgefundene  Verhältnissbestimmungsmethode  (vgl.  das  zweite 
Capitel  meiner  Feh6rväri  äsatäsok)  wirklich  im  Mittelalter  angewandt  wurde. 

2.  Dass  diese  Methode  Jahrhunderte  hindurch  im  Gebrauche  war;  denn  ich  habe  hier  deren 
Anwendung  in  Kirchen,  deren  Gründung  zwei  Jahrhunderte  auseinanderliegt,  nachgewiesen. 

3.  Dass  die  Architekten  des  Mittelalters,  obschon  sie  sich  einer  bestimmten  Methode 
bedienten,  dennoch  innerhalb  derselben  ein  sehr  weites  Feld  zur  Wahl  ihrer  Verhältnisse  hatten; 
es  ist  also  ein  ganz  ungegründeter  Vorwurf,  wenn  man  behaupten  will,  dass  dieses  System  den 
Bamneister  zur  blossen  Rechenmaschine  mache. 

4.  Dass  die  Wahl  leichterer  Verhältnisse  einen  chronologischen  Fortschritt  in  der  Con- 
structionsart  beweist. 

5.  Dass  im  Mittelalter  der  Verkelu-  zwischen  den  entferntesten  Ländern  ein  weit  lebhafterer 
war,  als  wir  heutzutage  vermuthen  und  dass  diesem  Verkehre  nicht  nur  die  Verbreitung  der  Bau- 
kunst, sondern  auch  Verwandtschaften  zu  verdanken  seien,  die  man,  aus  Unkenntniss  der  alten 
Methode,  bisher  für  bloss  zufällige  zu  halten  gewohnt  war. 

6.  Dass  die  hier  befolgte  üntersuchungsart,  welche  ich  richtig  eine  verglei  chende  archi- 
tektonische Anatomie  zu  nennen  glaube,  kritisch  angewandt  auch  zur  Förderung  der  Bau- 
chronologie höchst  bedeutend  beitragen  könne;  wenn  man  dabei  nnr  die  Mühe  und  Arbeit  nicht 
scheuen  will,  welche  wirklich  sehr  bedeutend  ist. 


Tnent. 


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MIVNIO  5lLANO'Q^VlnCIO'CAMEMNOCo5 

IdIBVS'  MARTIs  '  BAl^-lNTKAITORIO  LDICTVM 

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CV>AADHIBltlS-rKOCVR.AtOMBV5'RElS'QyiSQ>/EINALIA 
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SUKIT'ETCOGNOVEMT- CETERA  QyrBE?vV-VT'MlHl'D£?A.ONS 
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KVMTEKTlNETayoaViW?APa£M-DEEXTOR.ADTR.lBVTAAVTMüE>i 
tlNlsTAKTEM'NE^DTK^BVTA^^'a:ylDE^\•AKGVrSSE'DtCttV^ 
T\A\tTSlAMlMADVEKTO-NoNN\AVlVM.FtRMAM.'lDGE^W^'HOM.l 
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TV.V.CVM.TRlDEKTlNlSVtDlDVC[AB'lSSINE-GKAVrSPlENDlN\VNlCirI 
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^LE^lSQyE•EXEOGENE^£•H0MINV^\HTrAM.M[UTARElN•PflAET0R10 
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NON'NVLLlcOLLECTllNDHCVRlAS-P^OlViAE-RESlVDlCAKE 
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i 


i44i^iff/t«'iimidn  irtitürnzr  timm.  IHict  des  KaUtrt  (XoudUu-  Xd  kkBct'a  St.yaudrucktrfi 


1S3 


Ein  Edict  des  Kaisers  Claudius. 


Von  Dr.  Fr.  Kenner. 


(Mit  einer  Tafel). 


J_/as  wichtigste  der  epigraphischen  Denkmälei',  welche  in  der  jüngsten  Zeit  diesseits  der  Alpen 
gefimden  worden  sind,  ist  eine  Bronzetafel,  auf  die  man  am  29.  April  1869  in  den  sogenannten 
„schwarzen  Feldern"  (campi  neri)  an  der  "Westseite  von  Cles,  dem  Hanptorte  des  Nonsberges, 
nördlich  von  Trient,  bei  einer  zufälligen  Grabung  auf  dem  Grunde  des  Herrn  Jakob  Moggio 
zwei  Schuh  unter  der  Oberfläche  gerieth  und  welche  in  den  Besitz  der  Stadt  Trient  überging. 

Die  „Voce  cattolica"  vom  1.  Mai  d.  J.  brachte  die  erste  Notiz  davon;  darauf  theilte  „il 
Trentino"  vom  3  Mai  (Nr.  99)  den  Inhalt  der  Inschrift  mit,  welche  die  Tafel  enthält.  Überdies 
ging  der  k.  k.  Central-Commission  ein  genauer  und  sorgfältiger  Bericht  des  Conservators,  Herrn 
Prof.  J.  G.  Sulz  er  in  Trient  zu,  welcher  von  einem  lithographirten  Facsimile  der  Inschrift  be- 
gleitet war\   Der  letztere  bildet  die  Grundlage  für  die  nachfolgende  Besprechung  des  Denkmals. 

Die  Tafel  ist  18  Zoll  10  Linien  (50  Cm.)  hoch,  157,,  Zoll  (38  Cm.)  breit,  %  Zoll  (7  Mm.) 
dick  und  13  Wiener  Pfund  schwer;  sie  besteht  aus  feiner  Bronze  von  aschgrauer  Farbe  und  ist 
trefflich  erhalten.  Auf  der  Schriftseite  zeigt  sich  eine  seichte  Vertiefung,  die  nur  zwei  Zoll  breit 
ist  und  durch  den  Druck  eines  liarten  Gegenstandes  hervorgerufen  zu  sein  scheint,  etwa  eines 
Steines,  auf  den  die  Tafel  mit  der  Schriftseite  zu  liegen  kam;  als  man  sie  fand,  war  diese  nach 
abwärts  gekehrt. 

Die  aus  37  Zeilen  bestehende  Inschrift  ist  mit  einem  einfachen  seichtgekehlten  Rahmen 
von  der  Breite  eines  halben  Zolles  (13  Mm.)  umgeben,  der  in  den  vier  Ecken  Löcher  zeigt;  die 
Tafel  war  also  mit  Nieten  an  einer  Wandfläche  befestigt. 

Wir  geben  nun  zunächst  den  Wortlaut  der  Inschrift,  knüpfen  daran  Bemerkungen  über  ein- 
zelne Stellen  derselben  und  zum  Schlüsse  über  die  Schreibweise  luid  die  Fundstelle. 

1.  Die  Inschrift-  der  Tafel  lautet: 

iM(arco)  Juiiio  Silaiio,  Q(uinto)  Snliiicio  Canierino  co(n)s(ulibus  j  ^idibus  iMartiis  Baus  in  praetorio  edic- 
tum  I   iTii^berii)  Claudii  Caesaris  Augnsti  Germanici  pi-opositum  fuit,  id  |  ^quod  iiifra  scriptum  est. 

5Ti(berius)  Claudius  Caesar  Augustus  Gerraanicus  pout(ifex)  |  «maximus  Irib(unicia)  potest(ate)  sextum 
Imperator  undeeimum  p(ater)  p(atriae)  co(n)s(ul)  designatus  quartnm  dicit: 

1  Kurz  vor  dem  Beginne  der  Drucklegung  der  folgenden  Zeilen  erhielt  ich  durch  die  Güte  des  Herrn  Prof.  Theodor 
Mommsen  in  Berlin  einen  Abdruck  seiner  Erläuterungen  desselben  Gegenstandes,  welche  im  Hermes  Bd.  IV,  Heft  I, 
S.  99—131  enthalten  sind;  auf  diese  beziehen  sich  die  mit  dem  Namen  des  berühmten  Forschers  bezeichneten  Hinweisungen 
im  Texte  des  hier  folgenden  Aufsatzes.  —  -  Wo  in  der  Abschrift  Trennungspunkte  nicht  angegeben  sind,  da  fehlen  sie  auch 
im  Original.  Vgl.  die  Abbildung  .auf  der  beiliegenden  Tafel,  welche  nach  der  in  Trient  bei  Scottoni  und  Villi  angefertigten 
Lithographie  reducirt  ist. 


1S4  Dk.   Fk.   Kenxkk. 

'Cum  ex.  veteribus  controversiis  petentibus  (sie)  aliquanidiii  etiaiii  steinpoiibiis  Ti(berii)  Caesaris  patrui 
inei,  ad  qnas  ordinandas  »Pinarinui  Apolliiiaiem  iniseiat,  quae  tantuni  modo  "«inter  Comenses  cssent 
(quantiim  memoria  refero)  et  «"Bertcaleos,  isquo  i)riiimm  ajisentia  (sie)  jipitinaci  iiafrui  mei  '=deinde  eliam 
Gaii  principatu  (quod  ab  eo  non  uxigebatur)  isrcferre  iion  stalte  qnideni  iie^lexserit  et  posteae  (sie)  •  <*detu- 
lerit  Camurins  Statutus  ad  me  agros  plerosque  «set  saltiis  mei  iuris  esse:  in  rem  i)iaesentem  misi  i'Plantam 
Juiium  amioum  et  comitem  meum,  qui  «"cum,  adhibitis  procüratoril)us  meis  (|uisque  (sie)  in  alia  "^retrione, 
quique  in  vieiuia  erant,  summa  cura  inqui  '»sierit  et  cognoverit,  cetera  (|iiidcni  ut  mihi  demons  2"trata  eom- 
nientario  facto  ab  ipso  sunt,  statuat  pronun  2'tietque  ipsi  ])ermitto. 

ä^Quod  ad  eondieionem  Anaunoium  et  Tuliiassium  et  Sinduno  "rum  pertinct  quorum  parteni  delator 
attributam  Triden  -*tinis  partem  ne  adtiibutani  (|nidcm  aiiiuisst'  dicitur,  =M:ini  et  si  animadverto  non  nimiuin 
tirmam  id  genus  homii-^num  habere  civitatis  Konianae  orii^ineni:  tarnen,  cum  longa  ^nisurpationc  in  i)ossessio- 
nem  (sie)  eius  fuisse  dicatur  et  ita  permixiastum  cum  'J'ridentinis,  ut  diduci  ab  iis  sine  gravi  splendi(di) 
municipii  =9iniuriä  non  possit,  patior  eos  in  eo  iure  in  quo  esse  se  existima!s»verunt  permancre  beneficio 
meo,  eo  quidem  libentius,  quod  s'plerisque  (sie)  ex  eo  genere  bominum  etiam  militarc  in  praetorio  |  s^meö 
dicuntur,  (|uidam  vero  ordines  (|Uo(|ue  duxisse   I   ssnonnuUi  collecti  in  decurias  Eomae  res  judicare  |. 

=*Quod  beueficium  iis  ita  tribuo  ut  quaecumque  tanquam  '.  35cives  Komani  gesserunt  egeruntque  aut 
inter  se  aut  cum  ^sTridentinis  aliisve  ratam  (sie)  esse  iubeat  (sie,  jubcanri  nominaque  ea  5"(|iiac  liabue- 
ruut  antea  tanquam  cives  Komani,  ita  habere  iis  permittam. 

Der  Inhalt  der  Inschrift  Ist  in  fünf  Alinea  eingetheilt,  welche  äu.sscrlicli  kennljnr  sin«!  durch 
das  Vortreten  der  zwei  ersten  Buchstaben  des  ersten  Wortes  jedes  Alinea  über  die  Cohunne  in 
der  die  Anfangsbuchstaben  der  übrigen  Zeilen  stehen.  Das  erste  Alinea  (Zeile  1 — 4)  enthält  die 
auf  die  Registrirung  bezüglichen  Angaben:  Datum,  Ort  der  Ausstellung  und  die 
Gattung,  in  welche  das  Actenstück  gehört.  Wie  wir  noch  sehen  werden,  ist  es  ein  am  15  März  46 
(n.  Chr.)  erlassenes  Ediet  des  Kaisers  Claudius,  also  eine  proprio  motu  vom  Kaiser  getroffene 
Verfügung^,  welche  im  Praetorium  zu  Baiae  öffentlich  ausgestellt  wurde  (propositum  fuit). 

Das  zweite  Alinea  (Zeile  5  und  6)  enthält  den  Eingang  des  Actenstückes,  Namen  und 
Titel  des  Kaisers  mit  dem  charakteristischen  Zeitworte  dicit  (verordnet),  an  welches  sich  der 
Inhalt  der  Verordnung  knüpft. 

Dieser  selbst  besteht  aus  zwei  Theilen,  von  welchen  der  eine  im  dritten  Alinea  (Zeile  7  — 
21j,  der  andere  im  vierten  (Zeile  22  —  33)  und  im  fünften  (Zeile  3-4 — 37)  behandelt  wird. 

Der  erste  Tlieil  betrifft  die  Streitiofkeiten  über  das  Eicjenthumsrecht  auf  gewisse  Grund- 
Stücke,  zu  deren  Verständniss  wir  die  folgenden  Bemerkungen  vorausschicken.  Wie  bei  allen  P^robe- 
rungen  der  Römer,  so  wurde  auch  bei  jener  des  südlichen  Theiles  von  Raetien  Grund  und  Boden 
als  Eigenthum  des  römischen  Staates  eingezogen  und  der  in  Cultur  befindliche  Theil  zur  Anlage 
einer  römischen  Ansiedlung  benützt,  der  übrige  Theil  aber  verkauft  oder  gegen  Grundzins  ver- 
pachtet*. Die  alten  Einwohner  verloren  das  Grundrecht,  ihre  frühere  staatliche  Eintheilung  wurde 
zerrissen  und  in  veränderter  Weise  (als  pagi  und  rcgiones)  neu  gebildet;  in  dieser  Form  wurden 
sie  theils  den  neuentstehenden  Stadtgemeinden  mit  römischer  Verfassung  zugetheilt'',  theils 
blieben  ihre  pagi  iind  regiones  direct  dem  Statthalter  unterstellt.  Die  ersteren  waren  an  die 
betreffende  Gemeinde  steuerpflichtig,  ohne  activen  Antheil  an  ihrer  Verwaltung  zu  haben.  Solches 
geschah  auch  mit  den  raetischen  Stämmen;  die  Bergalei  waren  den  Einwohnern  von  Comum  zuge- 
theilt wordeii.  Einige  von  ihnen  mögen  sich,  statt  für  Unterthanen,  für  Bürger  von  Comum  gehalten 
und  nun  Äcker  und  Weiden,  welche  vom  Staate  der  letzteren  Stadt  geschenkt  worden  waren,  als 
ihr  Eigenthum  betrachtet  haben.   Daraus  entstand  ein  Besitzstreit,  zu  dessen  Beilegung  Tiberius 

^  Als  solche  steht  formell  das  edictum  eines  Kaisers  der  lex  und  dem  Senatns  Consiiltum  gegenüber,  hat  aber  dieselbe 
bindende  Kraft,  wie  die  Ijeiden  letzteren.  Walter,  Komische  Heclitsgusrhichte  2öj.  Den  kaiserlichen  Kescripten  können  die Edicte 
insofern  entgegengesetzt  werden,  als  die  ersteren  auf  eine  Eingabe,  ein  Bittgesuch  erfolgen,  letztere  aber,  wie  oben  bemerkt, 
jiroprio  motu  ergehen,  also  eine  Eingabe  nicht  voraussetzen.  Zell,  llandb.  d.  röm.  Epigraphik  II,  S.  281.  —  '  Becker- 
Jlarquardt  III  i,  S.  314  f.  —  ^  A.  a.  0.  S.  242. 


Ein  Edict  des  Kaisers  Claudius.  1S5 

den  Pinarius  ApolHnaris  .ibsendete.  Allein  dieser  iinterliess  darüber  Bericht  zu  erstatten,  ohne 
an  dieser  Versämnniss  Schuld  zu  tragen,  indem  einerseits  Tiberius  durch  die  letzten  zehn  Jahre 
seiner  Regierung  von  Rom  abwesend  war  (apsentia  pertinaci)  und  sich  um  die  Regieriings- 
geschäfte,  zumal  wenn  sie  untergeordneter  Art  waren,  nicht  kümmerte,  andererseits  weil  der 
folgende  Kaiser  Gaius(Caligula  3  7 — 41)  den  Bericht  nicht  abverlangte.  Die  Sache  schlief  daher  ein 
nnd  wurde  erst  dadurch  wieder  angeregt,  dass  der  Angeber  Camurius  Statutus  dem  Kaiser 
Claudius  einen  analogen  Fall  zur  Anzeige  brachte.  Auch  zwischen  dem  Municipium  Tridentum 
und  den  drei  Nachbarstämmen  der  Anauni,  Tuliasses  und  Sinduni  war  nämlich  ein  die  Ländereien 
des  Municipium  betreuender  Streit  ausgebrochen,  obwohl,  wie  der  Angeber  bemerkte,  ein  Theil 
dieser  Stämme  dem  Municipium  gar  nicht  zugetheilt,  also  eine  Streitfrage  eigentlich  gar  nicht 
möglich  war.  Darauf  ordnete  der  Kaiser  den  amicus  und  comes  Julius  Planta  als  Commissär  ab. 
Dieser  hatte  mit  Zuziehung  der  in  der  Nähe  und  der  in  anderen  (entfernteren)  Gegenden  befind- 
lichen kaiserlichen  Procuratoren  die  Streitfrage  mit  grüsster  Sorgfalt  untersuchen  müssen.  Nach- 
dem das  Ergebniss  dem  Kaiser  vorgelegt  ist,  entscheidet  nun  dieser  im  ersten  Theile  des  Edictes 
dahin,  dass  Julius  Planta  ermächtigt  sein  solle,  die  im  Sinne  seines  motivirten  Berichtes  nöthigen 
Verfügungen  zu  treffen  und  bekannt  zu  machen  (Zeile  19 — 21)". 

Zugleich  hatte  er  aber,  wohl  auch  auf  eine  Anzeige  des  Camurius  Statutus  hin,  das  römische 
Bürgerrecht  der  drei  Stämme  aus  der  Umgebung  von  Tridentum  zu  untersuchen  und  auch  dar- 
über zu  berichten.  Das  Ergebniss  war,  dass  allerdings  die  meisten  Angehörigen  der  drei  Stämme 
ihr  Bürgerrecht  nicht  allzu  bündig  nachzuweisen  vermochten;  dass  aber  andererseits  die  Angele- 
genheiten der  drei  Stämme  schon  zu  sehr  mit  denen  des  löblichen  (splendidi)  Municipium 
Tridentinum  verwachsen  waren,  als  dass  man  sie  ohne  zu  grossen  Schaden  des  letzteren  aus- 
scheiden konnte.  Auch  hatte  bei  vielen  aus  den  genannten  drei  Stämmen  eine  indirecte  Anerken- 
nung ihres  Bürgerrechtes  von  Seiten  des  Staates  stattgefunden,  indem  einige  von  ihnen  noch  eben 
damals  in  der  Garde  des  Kaisers  dienten,  andere  schon  früher  Hauptleute  gewesen  waren  (Zeile 
31,  32),  wieder  andere  aber,  in  dieRichter-Collegien  zu  Rom  aufgenommen,  dort  (als  Geschworne) 
Recht  sprachen.  Beides  konnte  nun  nur  geschehen  in  der  Voraussetzung,  dass  sie  römische  Voll- 
bürger seien,  Avas  ihnen  ein  factisches  Anrecht  auf  die  Civität  gab;  solchen  Leuten  konnte  man 
das  Bürgerrecht  doch  nicht  mehr  nehmen.  Aus  diesen  Gründen  wohl  empfahl  Julius  Planta  dem 
Kaiser,  die  drei  Stämme  auf  dem  Gnadenwege  in  dem  Besitze  des  Bürgerrechtes  zu  bestätigen. 

Diese  Entscheidung  nimmt  den  zweiten  Theil  des  Edictes  ein,  in  welchem  das  vierte  Alinea 
die  Verhältnisse  der  Stämme  bezüglich  des  Bürgerrechtes,  die  Bestätigung  desselben  auf  dem 
Gnadenwege  und  die  Fälle  indirecter  Anerkennvmg  als  deren  specielle  Motive  nennt;  im  fünften 
Alinea  werden  die  mit  dieser  Gnade  des  Kaisers  verbundenen  Befugnisse  erwähnt,  sie  bestehen 
in  der  rückwirkenden  kaiserlichen  Genehmigung  aller  Rechtsgeschäfte,  welche  die  drei  Stämme 
mit  den  Tridentinern,  untereinander  und  mit  Dritten  gehabt  hätten,  dann  in  der  Erlaubniss,  jene 
Namen  fortzuführen,  die  sie  früher  in  der  Meinung  römische  Bürg-er  zu  sein  geführt  hatten. 

Soviel  im  allgemeinen  über  den  Inhalt  des  Edictes;  wir  gehen  nun  zu  den  Bemei'kungen 
über  wichtige  Einzelheiten  über,  deren  die  Inschrift  mehrere  enthält. 

Zeile  1.  Die  Namen  der  beiden  Consulen  führen  uns  zwei  sehr  alte  und  hochangesehene 
römische  Adelsfamilien  vor,  erinnern  uns  aber  zugdeich  an  die  traurige  Zeit,  in  welcher  Claudius 
Messalina,.  Agrippina  und  Nero  die  unerhörtesten  Gewaltthaten  blutiger  Tyrannei  ausübten. 

M.  Junius  Silanus  gehörte  einer  Familie  an,  die  an  mehreren  ihrer  Glieder  eine  sehr  nahe 
Beziehung  zum  julischen  Kaiserhause  eben  so  sehr  zu  rühmen  als  zu  verwünschen  hatte.   Unser 

^  Mommsen  classiticiert   den   Streit  als  einen   Fisealprocess,  der  nach   den  Kategorien  der  Gromatiker  unter   die   cou- 
troTcrsia  de  locis  publicis  sive  Populi  Romani  sive  colonianim  raunicipiorumve  fällt.  S.  109. 


i3(5  ü'"  Fk.  Kensek. 

Silanus  ist  der  Sohn  jenes  Appius  Junius  Silanus.  Consuls  vom  J.  2S'  luid  Stiefvaters  der 
Kaiserin  Messalina.  welche  jenem  schändHehe  Anträge  machte  niul  als  sie  zurückgewiesen  wurde, 
im  J.  42  den  Tod  durch  eine  Intrigue  bereitete,  die  wenn  sie  nicht  übereinstimmend  von  Mehreren 
berichtet  würde,  kaum  glaublich  wäre*.  Sein  Sohn  Lucius  Silanus,  also  ein  Bruder  unseres 
Consuls  und  Stiefbruder  der  Messalina,  war  der  von  Kaiser  Claudius  hochbegünstigte  Verlobte 
von  des  letztern  Tochter  Octavia',  was  ihm  gleichfalls  den  Tod  brachte,  indem  die  nachmalige 
(zweite)  Gemahlin  des  Kaisers,  Agrippina,  eine  Verbindung  ihres  Sohnes  Neio  mit  der.selben  Octavia 
anstrebte  und  den  Lucius  durch  Ränke  aus  der  Gunst  des  Kaisers  zu  verdrängen  wusste;  am 
Tao-e  der  Vermählung  des  Claudius  mit  Agrippina  (1.  Jänner  48)  musste  L.  Silanus  sterben"'. 

Der  andere  Consul  Quintus  Sulpicius  Camerinus  konnte  gleichnamige  Vorfahren  aus  den 
ersten  Zeiten  der  Republik  aufweisen.  Man  leitet  den  Beinamen  her  von  Servius  Sulpicius 
Cornutus ;  da  nicht  lange  vor  dessen  Consulate  (500  v.  Chr.)  die  latinische  Stadt  Camei'ia 
erobert  worden  war*',  vermuthet  man,  dass  er  dai-an  Theil  genommen  und  davon  Cameri- 
nus genannt  worden  sei*-.  Der  Beiname  ging  auf  seine  Nachkommen  über;  wir  finden  einen 
Q.  Sulpicius  Camerinus,  der  490  v.  Chi-,  den  Consulat  versehen,  488  an  der  Gesandtschaft  an 
Coriolan  Theil  genommen  hat'^.  Ein  anderer  mit  dem  Beinamen  Praetextatus  war  434  Consul'*, 
wieder  ein  anderer  (Cornutus)  Consulartribuu  im  J.  402 '^  Der  letzte  Consul  dieses  Namens 
erscheint  345  v.  Chi-. '®,  worauf  das  Geschlecht  sich  verliert,  bis  im  J.  9  nach  Chr.  abermals  ein 
Consul  Q.  Sulpicius  Quinti  filius  Quinti  nepos  auftaucht;  dieser  war  wold  der  Grossvater  unseres 
Q.  Sulpicius  und  letzterer  derselbe,  der  von  K.  Nero  im  J.  58  n.  Chr.  in  einem  Repetunden- 
process frei  gesprochen"',  abersammt  seinem  Sohne  als  Opfer  des  k.  fi-eigelassenen  Helios  im  J.  07 
o-etödtet  wurde.  Er  wird  als  einer  der  ersten  Männer  Roms  in  damalioer  Zeit  bezeichnet '*. 

Zeile  2,  Beide  Consuln  versahen  ihr  Amt,  wie  aus  der  Datirung  des  Edictes  vom  15.  März 
hervorgeht,  bereits  in  diesem  Monate.  In  den  Fasten  werden  nun  für  das  Jahr  5G  als  Consuln 
"•enanut  Valerius  Asiaticus,  der  damals  den  Consulat  zum  .zweiten  Male  bekleidete  und  das  ganze 
Jalu-  behalten  sollte  '*  und  M.  Junius  Silanus,  beide  als  ordinarii  '■'.  Von  ihnen  war  nach  unserer 
Tafel  am  15.  März  uiir  mehr  Silanus  in  Thätigkeit,  was  sich  trefflich  aus  Dio  Cassius"'  erklärt, 
welcher  erzählt,  dass  der  letztere  durch  das  ganze  ihm  bestimmte  Semester  (Jänner  bis  Juni) 
Consul  geblieben  sei,  Valerius  dagegen  das  Amt  vor  Ablauf  des  Semesters  freiwillig  niedergelegt 
habe,  um  durch  die  seltene  Auszeichnung  zweimal  Consul  zu  sein  —  er  war  ein  homo  novus  aus 
Vienna  in  Gallien  —  und  durch  seinen  grossen  Reichthum  den  Neid  der  Zeitgenossen  nicht  allzu- 
sehr anzuliegen. 

Es  gelang  ihm  dies  aber  nicht,  indem  er  schon  im  folgenden  Jahre  durch  die  Ränke  der 
Messalina  des  Strebens  nach  dem  Throne  angeklagt  und,  obwohl  seine  Unschuld  erwiesen  wai-, 
zum  Tode  durch  fi-eie  Wahl  verurtheilt  wurde". 

Da  nun  unsere  Tafel,  die  vom  15.  März  46  datht ,  ihn  nicht  mehr  unter  den  Consuln 
nennt,  muss  seine  Abdankung  in  den  beiden  ersten  Monaten  dieses  Jahres  stattgefunden  haben, 
und  an  seine  Stelle  Camerinus  eingetreten  sein^^. 

^  Plin.  H.  N.  MII  40,  61.  Vgl.  Lehmann  Claudius  und  Nero  I  260  und  Beil.  III.  —  »  Sueton.  Claud.  c.  37.  —  Dio 
Cass.  60,  14.  —  Vgl.  Tac-.  Ann.  XI  29.  —  ^  djo  Cass.  60,  5  spricht  von  vollzogener  Vermählung;  vgl.  60,  31.  —  i"  Sueton. 
Claud.  c.  29;  vgl.  24.  u.  Tac.  Ann.  XII  3,  4.  —  "  Livius  II  19.  —  i-  Pauly  K.  E.  v.  Sulpicius.  —  i3  Dionys.  VIII  ■>2.  — 
1*  Liv.  IV  23.  Diodor.  XII  53.  —  J*  Fast!  ad  ann.  352  urbis.  —  ic  Liv.  VII  2S.  —  "•  Tac.  aun.  XIII  52.  —  i«  Dio  Cass.  63,  18. 
Plin.  epist.  I  5.  —  '^  Lehmann  Claudius  und  Nero  I  254.  —  '■">  Onomastieon  Tullianum  i^Bayterj  p.  LXVIII.  —  ^i  60,  27.  — 
--  Tac.  ann.  XI  1—3.  Dio  Cassius  60,  29.  Die  Ursache  des  Hasses,  den  Messalina  auf  ihn  warf,  waren  die  berühmten  Gärten 
des  Lucullus,  welche  Valerius,  ihr  damaliger  Eigonthümer  mit  grosser  Pracht  verschönert  hatte.  Messalina  wünschte  in  ihren 
Besitz  zu  kommen  und  räumte  Valerius  aus  dem  Wege.  Dio  Nemesis  ereilte  sie  aber  schon  im  folgenden  Jahre  in  denselben 
Gärten,  indem  sie  daselbst  von  den  Henkern,  die  Narcissus  abgeschickt  hatte,  getödtet  wurde.  —  '-3  Er  blieb  ordnungsmässig 
Consul  des  ersten  Semesters,  worauf  ihm,  wie  Mommsen  (S.  105;  darlegt,  Vellaeus  Tutor  folgte,  der  im  vellaeanischen  SC. 
als  Collega  des  M.  Silanus  erscheint. 


EiK  Edict  des  Kaisers  Claudius.  IST 

Balis  in  praetorio  bezeichnet  den  kaiserliclien  Somnierpalast  in  dem  ebenso  berühmten 
als  berüchtigten  Badeorte  Baiae  am  neapolitanischen  Golfe,  an  dem  sich  nocli  mehrere  grössere 
Villen  der  kaiserlichen  so  wie  anderer  hoher  nnd  reicher  Familien  befanden.  Anch  diese  hiessen 
nach  damaligem  Sprachgebrauche  praetoria'*;  doch  ist  dies  nicht  die  vorzüglichere  Bedeutung 
des  Wortes  an  unserer  Stelle,  da  in  dem  Edicte  als  einem  officielhn  Actenstücke  vielmehr  der 
ursprüngliche  Sinn  desselben  hervortritt,  nach  welchem  praetorium  jeden  Aufenthaltsort  des 
Kaisers  als  des  Inhabers  des  iniperium  bezeichnet'-^,  avo  er  seines  hohen  Amtes  handelt,  wo  sich 
also  auch  seine  Cabinetsbeamten  befinden.  Diesem  Begi-iffe  entspricht  das  deutsche  „Hoflager" ; 
für  den  Ort  Baiae  treffen  aber  beide  Bedeutungen  des  Wortes  praetorium  zufällig  zusammen,  da 
die  Stätte,  wo  hier  der  Kaiser  Hof  hielt,  zugleich  ein  kaiserlicher  Sommerpalast  war. 

Zeile  5 — 6.  Die  Titelfolge  des  Kaisers  biethet  nichts  neues  dar.  Der  Beiname  Germanicus 
ist  nicht  als  Triumphaltitel  zu  nehmen,  sondern  als  einfacher  Beinamen,  der  dem  Claudius  bei 
Gelegenheit  der  Adoption  seines  Bruders  (Germanicus)  in  die  Julische  Familie  ertheilt  wurde-''. 
Die  tribunicia  potestas  nahm  der  Kaiser  zum  erstenmal  an,  sobald  er  nach  Cahgula's  Tode  pro- 
clamirt  worden  war,  d.  i.  am  :^4.  Jänner  41  n.  Cln-. -';  sie  wurde  alljährlich  ;ui  dem  gleichen  Tage 
erneuert,  so  dass  mit  dem  24.  Jänner  46  die  sechste  tribunicia  potestas  begann,  also  am  1.  Jänner 
desselben  Jahres  noch  die  fünfte  lief.  Damit  stimmt  es  überein,  dass  in  den  Fasten  zum  J.  46 
d.  i.  zum  1.  Jänner  in  dem  Titel  des  Kaisers  noch  die  fünfte,  dagegen  in  unserem  Edict  d.  h.  am 
15.  März  schon  die  sechste  tribunicia  potestas  angegeben  wnrd. 

Imperator  XL  Es  ist  aus  Dio  Cassius-*  bekannt,  dass  dem  Kaiser  Claudius  der  Feldzug 
nach  Britannien  (43,  44)  wiederholt  den  Imperatortitel  (V — IX)  eingetragen  habe,  gegen  die 
Gewohnheit  der  Römer,  da  man  während  eines  und  desselben  Krieges  nur  einmal  denselben 
anzunehmen  pflegte.  Dies  wird  durch  Münzen  und  Inschriftsteine  bestätigt.  Das  X.  und  XL  Impe- 
rium nahm  er  wahrscheinlich  in  Folge  der  Siege  an,  welche  im  J.  45  Suetonius  Panlinus  in  Afi-ica 
und  Didius  Gallus  gegen  die  Sarmaten  in  Moesien  errangen'"''. 

Cos.  designatus  IUI.  Den  vierten  Consulat  bekleidete  Claudius  im  J.  47,  in  welchem 
die  ludi  saeculares  gefeiert  wurden.  Die  Designation  hiezu  erfolgte  aber  schon  im  J.  45;  daher 
wird  auf  den  zwischen  45  inid  47  gearbeiteten  Münzen  und  Inschriften  nicht  ein  Consulat,  son- 
dern nur  die  Designation  zum  vierten  Consulat  namhaft  gemacht^". 

Zeile  7.  petentibus.  Ohne  Zweifel  hat  der  Graveur  des  Edictes  in  der  Schreibung  dieses 
Wortes  sich  einen  Fehler  zu  Schulden  kommen  lassen,  indem  es  in  dem  Concepte  sicher  „pen- 
dentibus"  gelautet  hat;  derselbe  Ausdruck  wiederholt  sich  in  einem  Rescript  aiis  Vespasians 
Zeit,  das  sich  auf  einer  im  nördlichen  Corsica  gefundenen  ErztafeF'  erhalten  hat;  dort  heisst  es 
unter  anderem :  „de  controversia,  quamhabetis  cumMarianis,  p  end  ent  i  ex  Ins  agris"  ;  es  soll  damit 
eine  schwebende  noch  nicht  entschiedene  Streitsache  bezeichnet  werden. 

Zeile  8.  aliquamdiü  etiam  temporibus  Ti.  Caesaris  patrui  mei.  Die  Streitsache  war 
schon  unter  Tiberius  einige  Zeit  lang  in  der  Schwebe.   Das  aliquamdiü  lässt  sich  aus  den  Nach- 

^i  Suet.  Aug.  c.  72.  —  Tib.  c.  39.  —  Juvenalis  I  75  „criminibus  debent  hüitos  piiietoria  meusas"  u.  A.  m.  —  -ä  Prae- 
torium ist  das  Feldherrnzelt  im  Lager,  also  der  Ort,  wo  der  mit  dem  imperium  ausgestattete  Heerführer  sich  befand,  der 
in  der  älteren  Zeit  praetor  genannt  wurde.  In  demselben  wurde  auch  der  Kriegsrath  gehalten .  daher  auch  dieser  praetorium 
genannt  ward  iLiv.  37,  5;  45,  7).  Sonach  benannte  man  auch  in  den  Standlagern  das  dnrch  schönereu  Bau  ausgezeichnete 
Commandantengebäude  praetorium.  Folgerichtig  überging  dieser  Name  sowohl  auf  die  Wohnungen  der  Statthalter  in  den  Pro- 
vinzen als  auch  auf  den  Theil  des  kaiserlichen  Palastes  in  Rom,  welchen  der  Kaiser  bewohnte.  „In  praetorio  meo"  ist  ein 
stehender  Ausdruck  für  den  kaiserlichen  Palast  in  den  Militär-Diplomen  für  Praetorianer,  wie  in  dem  jüngst  publicirten,  das  in 
Kustendje  gefunden  wurde.  —  -«  Suet.  Claud.  c.  2.  —  2t  Seine  Proclamation  erfolgte  am  Todestage  des  Caligula.  Sueton. 
Claud.  c.  11.  —  2S  60,  21.  —  -'9  Vgl.  Orelli-Henzen  703,  708,  5-100,  5098  (wo  XII  wahrscheinlich  für  XI  verschrieben 
ist,  da  Claudius  das  XI.  imperium  noch  im  Jahre  47,  bis  Ende  Jänner  sicher  führte,  wie  die  Inschrift  Orelli  648  bezeugt. 
Vgl.  über  die  imperia  Lehmann.  Chnidius  und  Nero  I,  227,  255,  259.  —  ^o  Eckhel  D.  N.  V.  VI  pag.  249.  —  si  OreUi- 
Henzen  4031. 

XIV.  23 


richten  von  Tacitus  und  Suetoniiis  btstimnien,  indem  nach  erstereni  der  Kaiser  durch  einzehie 
Vorfälle,  die  ihn  verstimmten^-,  durch  das  Zureden  des  Sejanns,  zumeist  aber  durch  den  eigenen 
Wunsch  in  Zurückgezogenheit  seinen  Leidenschaften  fröhnen  zu  künnen,  bewogen  wurde  llom 
zu  verlassen.  Daher  zog  er  sich  im  Jahre  2ü  nach  Campanien^^  im  J.  27  aber  völlig  und  bleibend 
nach  Capreae  (Insel  Capri)  zurück  ^^,  ohne  sich  um  die  Regierungsgescliäfte  weiter  zu  küunueru  ■^'. 
als  insofern  sie  Bluturtheile  gegen  A'erhasste  und  verdächtige  Personen  der  eigenen  Verwandt- 
schaft und  der  höheren  Stände  betrafen.  Die  Streitigkeiten  zwischen  Comensern  und  Bergaleern 
müssen  also  schon  vor  dem  J.  iii  entstanden  sein  und  blieben  bis  zu  ihrer  Entscheidung  durch 
unser  Edict  zwanzig  Jahre  lang  unerledigt. 

Zeile  9.  Pinarius  Apollinaris,  der  sonst  niclit  weiter  genannt  wird,  gehörte  wohl  zum 
Gefolge  des  Tiberius,  wie  der  später  genannte  Planta  Julius  zu  dem  des  Kaisers  Claudius.  Sehr 
walirscheinlich  war  unser  Pinarius  verwandt  mit  jenem  Pinarius  Natta,  einem  Clienten  des  damals 
allvermögenden  Sejanus,  welclier  im  J.  25  n.  Chr.  als  Ankläger  des  Cremutius  Cordus  auftrat'"^. 
Aus  der  Protection  des  Sejanus  Hesse  sich  sehr  wohl  erklären,  dass  Pinarius  Apollinaris  mit  einer 
vertraulichen  Sendung  zu  der  Entscheidung  der  Streitfrage  bedacht  winde. 

Zeile  !0  und  II.  (([uae)  inter  Comenses  essent  .  .  .  et  Bergaleos.  Die  beiden  streiten- 
den Theile  sind  die  Comenses  und  Bergalei;  die  ersteren  sind  wohl  die  Einwohner  von  Comum, 
die  auch  anderweitig  inscliriftlich  vorkommen  ^'.  Dagegen  lassen  sich  die  Bergalei  nicht  nälier 
bestimmen;  wahrscheinlich  sind  sie  in  der  Umgegend  von  Bergamo  zu  suchen ^^ 

quautum  memoria  refero  giebt  uns  einen  eigenthümlichen  Begriff  von  der  Art  und 
"Weise  wie  der  Kaiser  in  Betreff  des  schwebenden  Processes  instruirt  war,  wenngleich  es  nichts 
auffallendes  hat,  dass  man  in  einer  Angelegenheit,  die  durch  mindestens  zwanzig  Jahre  verschleppt 
worden  war,  nicht  mehr  genau  wusste,  wer  eigentlich  die  streitenden  Theile  gewesen  seien.  Aber 
es  mnthet  uns  naiv  an,  in  einem  kaiserlichen  Edicte  einen  Aixsdruck  zu  finden,  welcher  statt  die 
Verschleppung  zu  bemänteln,  vielmehr  auf  sie  aufmerksam  macht. 

Zeile  13.  Gaii  principatu,  quod  ab  eo  non  exigebatur.  Der  Inbegriff  aller  Würden, 
die  Augustus  im  J.  27  v.  Chr.  und  späterhin  seinen  Nachfolgern  traditionell  übertragen  wurden 
und  die  ihnen  die  Stellung  absoluter  Regenten  gaben .  wird  mit  dem  Worte  principatus  bezeich- 
net (vgl.  Walter  röm.  Rechtsgeschichte  254,  255);  dieses  entspricht  dahci-  im  abstracten  Sinne 
dem  Ausdrucke  „Kaiserwürde",  im  coucreten  Falle  dem  Ausdrucke  ».Regierung  oder  Regierungs- 
epoche'-.  ,.Abeo"  muss  wieder  Zusammenhang  lehrt  auf  den  Kaiser  Gaiiis  bezogen  werden,  welcher 
von  der  schwebenden  Streitfrage  Avalirscheinlich  gar  nichts  wusste  und  von  Apollinaris  den 
Bericht  auch  nicht  verlangte. 

Zeile  13.  non  stulte  quidem  neglexserit  enthält  die  ausdrückliche  Anei-kennung  der 

Schuldlosigkeit  des  Berichterstatters  an  der  Verschleppung  des  Processes;  indem  der  Kaiser  sie 

im  Edict  öffentlich  ausspricht,  wird  das  correcte  Vorgehen  des  Pinarius  hervorgehoben  und  bleiljt 

damit  sein  Ansehen  als  einer  officiellen  Persönlichkeit  gegenüber  den  Untertlianen  gewahrt.  Eben 

dadurch  wird  das  Odium  der  \'ersclileppung  auf  die  Kaiser  Tiberius  und  Caligula  zurückgeworfen, 

was  aus  dem  Munde  ihres  Nachfolgers  seltsam  klingt;  unter  einer  anderen  Regierung  würde  man 

ohne  Zweifel  die  Schuld  auf  irgend  einen  der  Beamten  geschoben,  oder  doch  andere  Gründe  der 

32  Tac.  anu.  IV  42.  —  a.;  a.  a.  0.  IV  57.  —  äi  A.  a.  0.  IV  C7.  —  sj  .Sclioii  in  Campanien  Hess  er  sicli  die  Städte 
bewoliner,  die  Anliegen  an  ihn  hatten,  durch  Soldaten  vom  Leibe  iiaiten.  Nur  nacli  dem  Einsturz  des  Ampliitheaters  in  Fidenae 
Hess  er  wieder  Leute  vor  sich,  aber  aucli  nur  auf  kurze  Zeit.  In  ('ajireae  vernachlässigte  er  die  .Staatsgeschäfte  so  sehr,  dass 
er  selbst  die  Ritterdeeurien  nicht  mehr  ergänzte,  auch  Statthalterposten  und  Oflficicr.stellen  niclit  besetzte.  Suet.  Tib.  41.  — 
86  Tac.  ann.  IV  34.  —  "•■  Orelli-Henzen  3898,  öOOG.  5517.  —  •'*'  Giovanelli  in  der  Abhandlung  über  den  Saturnusdieust 
in  den  tridentinischen  Alpen  (aus  dem  Italienischen  des  Grafen  G.  übersetzt  von  A.  v.  !{.;  S.  59  macht  als  Localgott  von 
Riva  einen  Bergimns  namhaft,  in  welchem  Worte  die  Stammsilbe  Berg,  die  auch  unserem  Volksnamen  zu  Grunde  liegt,  wohl 
zu  beachten  ist.  Vgl.  die  Steine  von  Verona  bei  Fabretti  p.  650,  488  und  von  Brescia,  ebenda  p.  580.  .)33— 535. 


Ein  Edict  des  Kaisers   Claudius.  1o9 

Verschleppung-  angeführt  haben,  um  vor  den  Unterthanen  Jas  Anselien  der  verstorbenen  Kaiser 
nicht  zu  compromittieren.  Insofern  liegt  auch  in  dieser  Stelle  ein  charakteristischer  Zug  naiver 
Aufrichtigkeit,  welche  Mommsen  mit  der  analogen  Ausdrucksweise  in  einem  andern  Edicte  des 
Kaisers  Claudius^"  vergleicht  vmd  als  einen  der  Gründe  für  seine  Ansicht  geltend  macht,  dass  der 
erste,  übrigens  auch  durcli  verwickelte  Satx.bildung  ausgezeiclmete  Theil  unseres  Edictes  vom 
Kaiser  selbst  verfasst  sei  (S.  107). 

Zeile  14  lliid  15.  Nicht  minder  naiv  dünkt  mis  <Uis  im  Edict  öft'entlich  vor  der  Gemeinde 
abgelegte  Geständniss  des  Motives,  welches  den  Kaiser  bewog-,  den  Process,  der  durcli  so  lange 
Zeit  geruht  hatte,  w'ieder  aufzunehmen;  es  bestand  nicht  darin,  dass  die  betreifenden  Stämme  darum 
angesucht  hätten,  wie  dies  schon  aus  dem  Wesen  eines  kaiserlichen  Edictes  erfolgt,  welches  sich 
eben  dadurch  kennzeichnet,  dass  es  ohne  vorhergehendes  Bittgesuch  oder  ohne  eine  Eingabe 
erlassen  wird.  Die  Ursache  war  vielmehr  die  Anzeige  eines  Angebers,  dass  die  meisten  Acker  im d 
Weiden,  um  welche  es  sich  handelte,  rechtliches  Eigentlunn  des  Staates  wären,  d.  h.  zu  den  diesem 
seit  Eroberung  des  Landes  eigenthümlichen  liegenden  Gründen  gehörten ,  welche  bis  dahin  noch 
nicht  anderweitig  dm-ch  Verkauf  oder  Pacht  vergeben  waren. 

Mei  iuris  darf  nicht  auf  ein  Privat-Eigenthum  des  Kaisers  gedeutet  werden;  wenn  gleich 
die  kaiserlichen  Privat-Güter  zu  Ende  des  ersten  Jahrhunderts  in  der  Provinz  nicht  unbedeu- 
tend waren,  so  waren  sie  doch  in  Italien  selbst  und  zumal  in  den  ersten  Jahrzehenten  unserer 
Zeitrechnung  sehr  spärlich,  wie  dies  von  Tiberius  ausdrücklich  bezeugt  ist  ^'^  und  für  Kaiser  Clau- 
dius aus  manchen  Nachrichten  ofeschlossen  werden  kann^^  Auch  überg-inoen  in  der  Kaiserzeit  die 
Staatsländereien  in  agri  fiscales  ^'" ,  über  welche  der  Kaiser,  wahrscheinlich  vermöge  der  censoria 
potestas,  zu  verfügen  das  Recht  hatte**,  sodass  auch  dem  Claudius  nicht  als  Privatperson,  son- 
dern als  Kaiser,  speciell  als  Censor,  das  alleinige  Recht  auf  die  streitigen  Gründe  zustand,  inso- 
fern  nämlich   diese  noch  nicht  an  die  Städte  oder  sonst  wie  verschenkt  waren. 

detulerit  Camurius  Statutus  ad  me  agros  plerosque  et  saltus  mei  iuris  esse. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  der  Angeber  mit  den  Verhältnissen  der  Stadtgemein- 
den und  der  Stämme  vertraut  sein  musste,  wenn  gleich  gerade  von  den  Delatoren  des  Kaisers 
Claudius  bekannt  ist,  dass  sie  meist  nachlässig  waren  und  oft  das  Gegentheil  des  wirklichen  Sach- 
verhaltes angaben*'.  Für  unseren  Fall  lässt  sich  Avenigstens  vermnthen,  dass  der  Angeber  in 
Ober-Italien  einheimisch  g-ewesen  sei,  da  sein  Name  auf  Inschriften  aus  dem  Gebiete  von  Brescia 
im  ilailändischen  und  in  Piacenza  sehr  häufig  vorkommt*";  er  konn.te  daher  sehr  wohl  unter- 
richtet sein  und  war  dies  auch  insofern,  als  der  Staat  zwar  nicht  mehr  der  Eigenthümer  jener 
streitigen  Grundstücke  war,  die  er  den  Stadtgemeinden-  Comum  und  Tridentum  zugewiesen  hatte, 
wohl  aber  jener,  bei  denen  solches  nicht  der  F^all  war.  Was  die  ersteren  betrifft,  so  war  es  über- 
dies Sache  des  Staates,  die  Gemeinden  gegen  die  Angriffe,  die  ihr  Eigenthum  erfuhr,  zu  schützen, 
und  insofern  die  Anzeige  des  Delators  berechtigt*". 

39  Jos.  Flav.  Antiq.  XIX  5,  2.  —  ^'^  Tac.  Ann.  IV  7.  —  ^i  Dio  Cassius  60,  9.  —  Suetou.  Claiul.  c.  6.  —  ■•^  yighe  ilar- 
nbor  Beckei-Maiquardt  III  2,  S.  198,  Note  lOSl.  —  «  A.  a.  0.  S.  198.  —  "  .Suet.  Cland.  c.  16.  —  ^'^  Ein  L.  Caimirius, 
L.  libertus  Pandaius  erscheint  als  sevir  Augustalis  in  Brixia  (Brescia)  bei  Gruter384,  8  und  Jluratori  appendix  85,  6;  ein 
anderer  L.  Caraurius  L.  f.  gleichfalls  als  Priester  ebenda,  Muratori  62,  8;  ein  Camurius  ohne  Beinamen  auf  einem  Steine  im 
Gebiete  von  Mailand  Gruter  864,  2;  zwei  Camurii  iTacunus  und  Heimesj  werden  als  Freigelassene  auf  einem  Steine  in  Verona 
genannt,  Muratori  473,  5;  ein  Q.  Camurius  in  Piacenza  Gruter  935,  5,  Muratori  1560,  1.  Aus  Oberitalien  stammt  wohl  auch 
der  in  einer  Inschrift  zu  Sassoferrato  genannte  L.  Camurius  Segovinus  Mus.  Veron.  361,  7  und  C.  Camurius  C.  f.  Clemens  auf 
einem  Steine  zu  Attigio  (ümbrien),  der  seine  Laufbahn  als  praefectus  der  cohors  VII.  Raetorum  begann,  was  wohl  als  ein  Finger- 
zeig betrachtet  werden  kann,  dass  er  eben  auch  aus  Raetien  oder  dessen  Nähe  abstammte,  .Muratori  686,  6  und  1096,  1;  cf. 
Bulletino  45,  128,9.  Endlich  kommt  der  Name  auch  in  Picenum  einheimisch  vor  (Ann.  44,  lOOj,  und  auf  Töpferstämpeln  in  der 
Umgebung  von  Modena,  Bulletino  1837,  p.  13  und  106,  1838  p.  130.  —  <«  Mommsen  S.  114,  115.  Der  Delator  musste  nach 
den  bestehenden  Regeln  wohl  auch  den  Beweis  für  seine  Angaben  tühren  und  erhielt,  wenn  ihm  dies  gelang,  eine  Geldbeloh- 
nung; im  entgegengesetzten  Falle  wenigstens  unter  gewissen  Voraussetzungen  verfiel  er  in  Strafe  S.  109. 

23* 


1()0  Dr..   Fu.   Kknner. 

Zeile  16.  fmisi)  Plantani  Juliuni  ainiciuii  vt  oomiteni  niL-uiu.  Es  ist  sclbstverstäiKllidi, 
dass  die  Worte  amicus  et  comes  nicht  als  allgeiueine  t'aiviiliäre  Bezeiclinungeu.  sondern  als  technische 
Ausdrücke  tiir  die  ofticielle  Stellung  gewisser  Persönlichkeiten  am  Hole  des  Kaisers  zu  nehmen 
sind.  Wir  fülnon  darüber  des  Ergebniss  der  Untersuchung  an,  welche  M  o  m  m  s  e  n  in  dem  der 
genannten  Abhandlung  beigefügten  Excurs  (S.  120  f.)  angestellt  hat. 

Darnach  bezeichnet  ..amici"  jene  Personen,  welche  die  lieutige  Holamtsprache  imter  dum 
Ausdruck  -grosser"  und  ,.klehier  Zutritt"  begreift;  sie  waren  mit  Beziehung  auf  die  Zulassung 
zum  Morgenbesuche  und  die  Beiziehung  zur  kaiserlichen  Tafel  je  nach  ihrem  Ansehen  in  Classen 
o-etheilt  (amici  primae  et  secuudae  et  tertiae  admissionis),  ihre  Namen  wurden  in  Register  einge- 
schrieben und  wahrscheinlich  hatte  das  Hofamt  ,.cura  amicorum-  die  darauf  bezüglichen  Oblie- 
genheiten zu  versehen. 

Sowie  das  Institut  der  amici,  ebenso  geht  jenes  der  comites  in  die  re])ublicanische  Zeit 
ziu'ück.  Diese  waren  meist  jüngere  Personen  von  Stand  (Ritter),  welche  die  Rechtsstudien  eben 
vollendet  hatten;  sie  wurden  von  den  Procousvden,  wenn  diese  in  die  Provinz  gingen,  aus  dem 
Ki'eise  ihrer  Bekannten  aiisgewählt  i\nd  mitgenommen,  um  sich  iluer  Assistenz  in  den  Geschäften, 
namentlich  bezüglich  der  Rechtspflege  zu  bedienen.  Meist  war  dies  der  Anfang  des  prakti- 
schen Dienstes  in  den  amtlichen  Laufbahnen.  Über  ihre  Zahl,  über  die  Beamten,  welche  solche 
comites  mit  sich  nehmen  durften ,  über  die  Bestreitung  der  daraus  erwachsenen  Kosten  von 
Seiten  des  Staates  und  über  die  Ausdehnung  der  Verantwortlichkeit  des  Statthalters  auf  seine 
comites  sind  walu-scheinlich  noch  in  den  Zeiten  der  Repviblik  Bestinunungen  getroffen  worden. 
In  der  Kaiserzeit  empfingen  sie  eine  bestimmte  Besoldung  und  begleiteten  den  Kaiser  nur  wenn  er 
als  Proconsul  reipublicae  causae  von  Italien  abwesend  war,  nicht  aber  so  lang  er  daselbst  ver- 
weilte. Sie  wurden  für  jede  einzelne  Reise,  nicht  für  immer  ernannt,  obwohl  dies  ausnahmsweise 
geschah;  auch  wurde  ihre  Competenz  nicht  im  Einzelnen  normirt;  wenn  sie  gleich  bei  Feldzügen, 
vielleicht  als  legati  ohne  Commando,  militärische  Dienste  versahen,  so  bildete  doch  im  allge- 
meinen Rechtspflege  und  Verwaltung  und  insofern  der  Beisitz  im  Rathe  des  Kaisers  die  Summe 
ihrer  Oblisenheiten.  Das  Rangverhältniss  der  comites  war  verschieden  nach  dem  Stande,  dem 
sie  angehörten  (senatorii  oder  equites);  die  comites  Augusti  haben  wahrseluinlicli  senatorischen 
Rang  gehabt. 

Es  folgt  daraus,  dass  aucli  vmser  Julius  Planta,  dessen  Name  nicht  weiter  auf  Inschriften 
genannt  wird,  zur  ersteren  C'lasse  gehörte.  Wahrscheinlich  hatte  er  den  Kaiser  auf  dem  Feldzuge 
nach  Britavmien  begleitet  und  war  von  ihm  bei  der  Rückkehr  durch  Oberitalien  mit  der  Unter- 
suchung der  Sti'citfragen  beauftragt,  die  in  unserem  Eldicte  besprochen  wurden. 

Zeile  17  und  18.  adhibitis  procüratoribus  meis  quique  in  alia  regione,  (iui(iue  in 
vicinia  erant.  Von  den  mannigfachen  Bedeutungen  des  Wortes  procm-ator  kommen  hier  nur 
zwei  in  Betracht,  deren  Anwendung  aber  zweifelhaft  bleibt.  Es  kömien  damit  nämlich  Verwalter 
der  Staatsgüter  gemeint  sein,  deren  es  in  Oberitalien  mehrere  sowohl  in  nächster  Nähe  von  Comum 
und  Tridentum  als  auch  in  grösserer  Entfernung  geben  moclite,  sei  es  in  Italien  selbst  oder  in 
der  nördlichen  Umo-ebuntr  der  g-enannten  Orte.  Die  betreft'ende  Stelle  würde  dann  kein  besonderes 
Interesse  für  sich  haben,  da  solcher  Art  Procuratoren  ja  vielfach  genannt  werden. 

Es  können  aber  damit  auch  die  kaiserlichen  Procuratoren  (Statthalter)  von  Raetien  und 
Noricum  gemeint  sein,  die,  wie  man  vermuthet,  Kaiser  Claudius  eingeführt  hat,  sicher  unter  ihm 
zum  erstenmal  erscheinen'';    es  würde  dann  unter  „quique  in  vicinia-'  jener  von  Raetien.  unter 

*•  Vgl.  Tac.  Hist.  I,  11.  Für  Noricum  wird  A.  Baebius  Atticua  auf  der  luschri  t  in  Cividale  Henzeu  6938  aus  Claudius' 
Zeit  gen.innt  Raetien  verwaltete  friiherhin  ein  Praefectus  ,  der  wohl  im  Grunde  aucli  nichts  anderes  war.  als  ein  proeurator. 
Vgl.  die  In.scbrift  von  San-Valentino  im  Neapolitanischen.  Moniuisen  IKX.  6330  und  Henzen  C939. 


Ein  Edict  vv.s  Kaisers  f'i.AiDus.  1()  I 

„quique  in  alia  regione"  jener  von  Noricnm  zn  verstehen  sein  nnd  die  Zeit  der  Einführung  der 
Procuratur  in  beiden  Ländern  aus  unserem  Edict  insofern  bestimmt  werden  können,  als  sie  schon 
um  40  vollzogen  gewesen,  also  in  den  ersten  fünf  Regierinigsjahren  des  Kaiser  Claudius  (il^Ki) 
geschehen  sein  müsste. 

Für  beide  Ansichten  lassen  sich  Gründe  anfüliren;  für  die  erstere  spricht  insbesondere,  dass 
die  Namen  der  Länder  nicht  genannt  werden,  was  man  doch  erwarten  sollte,  wenn  mit  procura- 
toribus  Statthalter  gemeint  wären;  es  wäre  ja  doch  kürzer  und  für  eine  ofticielle  Kundgebung,  wie 
ein  Edict  ist,  passender  gewesen  zu  sagen:  adhibitis  procuratoribus  meis  in  Raetia  et  in  Norico 
oder  Raetiae  et  Norici.  Dagegen  konnte  man  im  Edict  ganz  gut  die  unbestinnnten  Ausdrücke  in 
vicinia  und  in  alia  regione  anwenden,  wenn  es  sicli  nur  um  die  Verwalter  von  Staatsdomänen 
handelte,  deren  nähere  Bezeichnung  nichts  zur  Sache  tliat. 

Andererseits  liegt  es  nahe,  wenn  in  Claudius'  Zeit  und  aus  der  Umgebung  von  Ober-Italien 
von  Beamten  mit  dem  Titel  procuratores  die  Rede  ist,  diese  auf  die  Statthalter  von  Raetien  und 
Noricum  zu  beziehen,  deren  vorwiegende  Aufgabe  ja  darin  bestand,  die  natürlichen  Reichthümer 
der  beiden  Länder  in  einer  für  die  Krone  vortheilhaften  Weise  zu  verwalten.  Es  lässt  sicli  sein- 
gut  denken,  dass  sie  zur  Untersuchung  einer  Streitfrage  herbeigezogen  Avurden,  die  über  das 
Besitzrecht  des  Staates  auf  gewisse  Gründe  entstanden  war. 

Es  sind  die  Anhaltspunkte  zu  schwankend,  zu  wenig  prägnant,  um  sich  für  die  eine  oder 
andere  Deutung  des  "Wortes  procuratoribus  aus  dem  Texte  des  Edictes  zu  entscheiden.  Gleichwohl 
würden  wir  uns  für  die  erstere  Ansicht  aussprechen,  da  wir  glauben,  dass  die  Umwandlung  der  Ver- 
fassung von  Noricum  aus  einem  verbündeten  Lande  in  eine  Procuratur  zusammenhängt  mit  den 
Bewegungen  der  Germanen  im  J.  50  n.  Chr.,  durch  welche  der  Quadenkönig  Vanniiis,  ein  Schützling 
der  Römer,  gestürzt  wurde  'l  Darnach  würde  die  Einführung  der  Procuratur  in  Noricum  nicht  vor 
50  verfügt  worden  und  im  J.  46  noch  von  keinem  norischen  Procurator  die  Rede  sein  können^''. 

Zeile  19 — 21.  (summa  cura  inqui)sierit  et  cognoverit  cetera  quidem  ut  mihi 
demonstrata  commentario  facto  ab  ipso  sunt,  statuat  pronuntietque,  ipsi  per- 
mitto.  Die  Vorlage,  welche  Planta,  nachdem  die  Untersuchung  geschlossen  war,  an  den  Kaiser 
i-ichtete,  bestand  aus  zwei  Theilen,  aus  der  Darlegung  des  Thatbestandes  (demonstrare)  und  aus 
den  nöthigen  Erläuterungen  (connnentarius),  sie  war  also  das,  was  die  heutige  Amtssprache  einen 
motivirten  Bericht  nennt.  Ohne  Zweifel  waren  der  ersteren  die  Anträoe  auf  die  nöthio-en  Vertu- 
gungen  beigegeben,  da  der  Kaiser  ja  dem  Planta  überträgt,  so  zu  verfügen,  wie  es  in  seiner  Dar- 
legung vorgeschlagen  sei.  Der  Lilialt  dieser  Verfügungen  wird  aus  dem  Grunde  nicht  genannt, 
weil  sie  eben  an  Planta  übertragen  wurden,  formell  also  dieser  der  Verfügende  und  auch,  wie  aus- 
drücklich angemerkt  ist,  der  Promulgierende  sein  musste.  Wir  können  uns  aber  den  Ausgang  des 
Processes  leicht  vorstellen;  g'(-genül)er  den  an  Stadtgemeinden  zugetheilten  Angehörigen  der  ver- 
schiedenen Stämme  musste  das  Eigenthumsrecht  der  ersteren  gewahrt  bleiben;  gegenüber  jenen, 
die  nicht  zug-etheilt  waren,  war  der  Staat  Eigenthiuiier  von  Grund  und  Boden  und  nnisste  als 
solcher  anerkannt  werden.  Sämmtliche  Peregrinen  werden  also  mit  ihren  Ansprüchen  zurückge- 
wiesen worden  sein  ""■'. 

Das  cetera  quidem  bereitet  uns  auf  den  zweiten  Theil  des  Edictes  vor,  indem  es  anzeig-t,  dass 
die  an  Planta  übertragenen  Verfügungen  nicht  alle  Punkte  seines  Berichtes  erschöpfen,  sondern 

■IS  Wi,.  werden  diese  Ansicht  an  einem  andern  Orte  zu  begründen  versuchen.  —  ^''  Mommscn  vermuthet  a.  a.  0.  S.  108 
unter  dem  Ausdruck  „in  vicinia"  eine  Bozieliung  auf  den  Procurator  von  Eaetien,  unter  jenen  „in  alia  reg-ione"  aber  eine  Bezie- 
hung auf  die  Ivaiseiiichen  Domiinenverwalter  in  benaclibarten  Stadtgebieten.  —  ''O  Ein  Zeichen  dafür  scheint  uns  in  der  Ver- 
sicherung zu  liegen,  dass  der  Process  summa  cura  geführt  worden  sei;  man  mochte  erwartet  haben,  dass  die  Entscheidung- 
einige  Unruhe  bei  den  Stämmen  verursachen  würde  und  hob  daher  im  Edicte  die  Sorgfalt,  die  auf  die  Untersuchung  verwendet 
wurde,  besonders  heraus. 


"*'  Hl!.  Tu.  Kes.nkk. 

nur  den  übrigen  Tluil  LiLkii.  .lass  also  ausser  jenem  Proctsse  iioeli  eine  andere  Angelegeulieit 
auszutragen  war,  was  denn  aucli  im  t'olgonden  geschieht. 

ZHh'  n.  Q  n  o  d  a  d  e  o  n  d  i  c  i  o  n  e  m  &c.  Condicio  bezeichnet  das  Reohtsverhähniss,  in  welchem 
irgend  eine  juristische  Person,  sei  es  ein  einzelner  Mensch  oder  eine  Gesamnitheit  von  :denschen,  ein 
ganzer  Vulksstamm  zu  Rom  sich  befindet.  Am  angesehensten  war  unter  den  verschiedenen  Arten 
desselben  der  Besitz  der  ( 'ivität  (civitas  Romana),  des  vollen  Bürgerrechtes,  welches  als  Inbegriff 
verschiedener  Rechte  und  Hefugnisse,  wie  des  jus  snffragii,  honorum.  conubii,  commercii  u.  J!  w. 
zu  betrachten  ist.  Die  beiden  ersten  Rechte,  das  Stimmrecht  uiid  die  Befähigung  zu  höheren 
Ämtern  (honore.s)  kommen  in  unserem  Falle  nicht  in  Betraelit.  da  jenes  in  der  Kaiserzeit  durch 
Aufhebung  der  Volksversannnlungen  illusorisch  wurde,  dieses  nur  für  iviclie  in  Rom  selbst  lebende 
Bürger  und  durch  Protection  zur  Ausübung  kam.  Wichtiger  sind  die  beiden  andern  Bestandtheile. 
das  jus  conubii  und  jus  conmiercii.  Auf  ersterem  beruhte  die  Möglichkeit  eine  legitiuie  Ehe  zu 
schliessen,  woran  sich  die  wichtigsten  Rechtsverhältnisse  knüpften,  wie  die  väterliche  Gewalt 
über  die  Kinder,  die  Erbfähigkeit  derselben,  die  Gewalt  des  Mannes  über  die  Frau  (manus),  die 
Bildnng  der  Familien,  die  Rechte  der  Agnation  und  Gentilität;  wurde  das  Conulnum  verwirkt  z.  B. 
durch  den  Verlust  des  Bürgerrechtes  oder  Nichtanerkennung  einer  angemassten  C'ivität,  so  ging 
die  strengrechtliche  Ehe  in  eine  laxe  oder  freie,  in  ein  blosses  matr  i  inon  i  um  über, 
welche  aller  jener  rechtlichen  Folgen  entbehrte.  Das  Commercium  bildete  die  Grund- 
lage des  gesanmiten  civilrechtlichen  Verkehres,  indem  alle  Formen  der  Eigenthumserwerbung: 
Kauf,  Verjährung,  Abtretung,  Tausch,  Vererbung,  ferner  das  Vertragswesen  (Darlehens-  und 
Kaufverträge),  die  Eigenthnmsklage  u.  s.  w.  nur  dann  völlig  giltig  geübt  werden  konnten,  wenn 
die  betreffenden  Theile  das  jus  commercii  liatten. 

Eine  andere  weit  unvollkommenere  Art  des  Rechtsverhältnisses  war  das  jus  Latii.  nach 
welchem  die  damit  bewidmeten  Gemeinden  eine  selbständige,  jedoch  auf  die  Civilgerichtsbarkeit 
beschränkte  Jurisdiction,  dagegen  kein  Conubium  und  nur  ein  beschränktes  Conmiercium  hatten^'; 
doch  erlangten  die  Glieder  einer  solchen  Gemeinde,  wenn  sie  in  derselben  ein  Ehrenamt  verwaltet 
hatten,  nach  Ablauf  des  Amtsjahres  das  römische  Bürgerreclit '-,  nicht  minder  jene,  welche  in  einem 
Repetundenprocess  die  Anklage  durchführten. 

Es  ist  nun  klar,  dass  es  für  eine  Colonie  oder  ein  Munieipium  nicht  gleichgiltii;-  war.  ob  die 
ihnen  zugetheilten  Stämme  das  Conubium  und  Connnercium  rechtlich  besassen  oder  es  unrecht- 
mässig ausübten,  sei  es  durch  Anmassung  oder  doch  im  Glauben,  es  zu  besitzen.  War  ersteres 
der  Fall,  so  konnten  Kauf,  Tausch,  Abtretungen  von  Grundstücken,  Schliessung  von  Ehen  u.  s.  w. 
rechtskräftig  zwischen  den  Bürgern  der  Colonien  und  Municipien  x\m\  den  mit  dem  Bürgerrecht 
beschenkten  Individuen  der  unterworfenen  Stännne  geschlossen  werden.  Zeigte  sich  aber  hinter- 
drein, dass  von  Seite  der  letzteren  Conulnnni  und  Commercium  nur  angemasst  waren,  so  wurden 
alle  mit  ihnen  als  rechtskräftig  geschlossenen  Verträge  nngiltig  und  es  mussten  die  Angelegen- 
heiten einer  römischen  Gemeinde,  in  der  solch'  ein  unklarer  Zustand  längere  Zeit  Jiindnrch  ange- 
dauert hatte,  völlig  zerrüttet  werden. 

In  einem  solchen  Falle  waren  nun  auch  die  Tridentiner  gegenüber  den  Stiinnuen  der 
Anauni  Tuliasses  und  Sinduni.  Die  Anauni,  welcJie  mit  Recht  für  die  alten  P.cwohner  des 
Non.sberges  und  des  Val  di  Xon  gehalten  werden,  nennt  scli..n  Ptolemaeos^l  Den  l)eiden  andern 
Stämmen  ihre  Wohnsitze  anzuweisen,  dürfte  ebenso  schwierig-  nU  nutzlos  sein,  so  lano-  keine 
bestimmten  Anhaltspunkte   dafür  vorliegen;   ob   sich    in    den    heutigen   Namen   kleiner   Terrain- 

*'  Walter,  ROinische  Uechtsgeschichte -230.  Vgl.  Becker-.M  aiqiiiiidt  HI,  l  .S.  -ll,  4>.  —  '-  U  eckui-Ma  rq  uaidi. 
.1.  a.  0.  —  ^3  in  1.  'Avavvtov,  in  einem  C•o(le.^c  auch  ' A-j'Jynoj.  Der  Ort  lag  westlich  von  den  Venctern  im  Gebiet  Bc/ojvö.v 
welche  Giovanelli  ^Satiirniisdienst  .S.  04;  mit  Wahrscheinlichkeit  nm  den  Berg  Beta  oberhalb  Drö  in  der  (Jegeml  von  Arco  am 
Gardasee  verlegt. 


Ei.\  EiiiCT  DES  Kaisers  Clavdius.  163 

stellen  und  Orte  Hinweisiingen  auf  diese  alten  Volksnamen  finden,  müssen  wir  jenen  zu  ent- 
scheiden überlassen,  denen  eine  genauere  Ortskenntniss  als  uns  zu  Gebote  steht''*.  Fest  steht  nach 
unserem  Edict  nur  so  viel,  dass  beide  Stämme  nicht  allzuferne  von  Trient  zu  suchen  sind. 

Was  die  Tridentiner  selbst  betriftt,  so  sind  sie  ein  raeto-etruskischer,  kein  keltischer  Stamm, 
dessen  Gebiet  sehr  wahrscheinlich  nicht  erst  im  J.  15  v.  Gh.,  als  ganz  Raetien  erobert  wurde, 
sondern  schon  früher  in  den  Besitz  der  Römer  gekommen  war;  sie  erscheinen  auch  in  der  von 
Plinius'^^  dem  Texte  nach  aufgeführten  Inschrift  des  Alpentropaeum  aus  dem  J.  7  v.  Chr.  nicht, 
in  welcher  die  Avährend  des  Augustus  Regierung  bis  dahin  unterworfenen  raetischen  Völker  auf- 
gezählt werden;  ferner  hat  sclion  L.  Munatius  Plauens  im  J.  43  ex  Raetis  triumpliirt*^  also  waln- 
scheinlich  auch  einen  Theil  raetischen  Gebietes  besetzt,  zu  dem  vielleicht  die  Tridentiner  gehörten, 
bei  deren  Stadt  späterliin  ein  Castell  (Veruca)  erbaut  wurde  ^'.  Zweifelhaft  aber  ist,  ob  Trident 
damals  zum  erstenmal  unter  römische  Herrschaft  gekommen,  oder  ob  solclies  nicht  schon  früher 
der  Fall  gewesen  sei,  und  der  Feldzug  des  Plauens  nicht  etwa  nur  den  Nachbarstämmen  gegolten 
habe.  Giovanelli  hat  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  die  Tridentiner  schon  zur  Zeit  des 
Marius  und  Sulla  unter  römische  Herrschaft  gekommen  sein  ^". 

Wie  nun  dem  auch  sein  mag,  so  ist  das  Gebiet  derselben  wahrscheinlich  sclion  bei  der 
ersten  Occupation  zu  Gallia  transpadana  gerechnet  worden,  da  es  nicht  dL-nkbar  ist,  dass  man 
den  südlichen  Theil  des  Alpenlandes  für  sich  als  eine  eigene  Provinz  eingerichtet  habe.  War  aber 
Tridentum  ein  Theil  von  Gallia  transpadana,  so  wurde  es  ohne  Zweifel  mit  diesem  im  J.  43  v. 
Chr.  zu  Italien  gezogen,  d.  h.  die  Provincialverfassung  wurde  wie  für  das  übrige  Gallia  trans- 
padana so  auch  für  das  Gebiet  von  Tridentum  aufgelöst  und  die  Stadt  erhielt  für  Civilrechtsfalle 
unter  15000  Sesterzen  die  eigene  Jurisdiction  in  Folge  der  lex  Rubria''". 

Die  drei  Nachbarstärame  blieben  sowie  früher  den  Trideirtinern  unterthan'"';  wahrscheinlich 
haben  damals  oder  doch  in  der  nächst  folg-enden  Zeit  glänze  Stämme  in  Oberitalien  das  latini- 
sehe  Recht  erhalten  wie  die  Euganei"';  wir  dürfen  solches  vielleicht  auch  bei  unsern  Stämmen  vor- 
aussetzen, so  dass  sie  ein  beschränktes  jus  commercii  gehabt  hätten.  Es  war  demungeachtet  eine 
Schädigung  des  municipium  Tridentinum  durch  Nichtanerkennung  des  Bürgerrechtes  der  drei 
Stämme  zu  fürchten,  da  alsdann  die  Ehen  zwischen  ihren  Angehörigen  und  jenen  der  Stadt 
ungiltig  geworden  '^'-  und  auch  sonst  in  civilrechtlicher  Beziehung  Störungen  eingetreten  sein 
würden. 

Zeile  36 — 39.  tamen  cum  longa  usurpatione  in  possessionem  eins  fuisse  dica- 
tur  et  ita  permixta  cum  Tridentinis  ut  diduci  ab  iis  sine  gravi  splendi(di)  niuni- 
cipii  iniuria  non  possit.  Die  Motive,  welche  den  Kaiser  bewogen  das  Bürgerrecht  den  drei 
Stämmen  aus  Gnade  zu  belassen,  sind  doppelter  Art;  wir  können  sie  allgemeine  und  Ijeson- 
dere  nennen.  Jene  werden  vorangestellt,  und  betreffen  die  langjährige  ungestörte  Ausübung  des 
Bürgerrechtes,  also  die  Verjährung  des  Besitzes  desselben,  dann  die  Rücksicht  auf  die  Bürger- 

54  Derlei  Stämme  gab  es  gerade  iu  den  Alpen  und  deren  Ausläufern  eine  bedeutende  Anzahl,  welche  die  Erhaltung  ihrer 
Namen  und  vielleicht  eigenthümlieher  Sitten  und  CTebriiuche  der  Absonderung  und  Einschliessung  durch  die  Gebirge  zu  ver- 
danken haben  mögen,  iu  deren  TliUlern  sie  wohnten.  Inschriftlich  sind  noch  andere  Namen  bewahrt,  wie  die  civitates  Vardaea- 
tensium  et  Dipriuatium  (Inschrift  in  Breseia  mus.  Veron.  p.  201 1,  die  Tublinates  auf  einem  Steine  im  Schlosse  Dublino,  in  dessen 
Gegend  sie  auch  gelebt  haben  mögen  (^Gio  vane  11  i,  Saturnusdienst  S.  113j,  die  C'astellani  und  Vervassi;  letzterer  Name  erinnert 
im  Ausgange  an  unsere  Tuliassi  und  an  das  Alpenvolk  der  Salassi  bei  Plinius  III  20,  24  (134).  —  ^ö  h.  N.  III  20,  24  (136).  — 
5ß  Orelli  590,  Inschrift  in  Gaeta  vgl.  Pauly  Realencyclopaedie  V,  20G.  —  57  Giovanelli,  Discuso  sopra  iin  iscrizione  Tren- 
tina  p.  75.  Die  von  Giovanelli  mitgetheilte  Inschrift  ist  zwar  nur  durch  Angabe  des  XI.  t'onsulates  des  Augustus  auf  die 
Jahre  2.") — G  v.  Chr.  dfttirt ;  offenbar  hängt  ilir  Inhalt  der  Zeit  nach  zusammen  mit  der  Unterjochung  der  Alpenvölker,  deren 
das  tropaeum  Alpium  gedenkt.  —  "'S  ^  ^  q  g.  73.  —  59  Becker-Marquardt  III  1,  S.  50,  51.  —  '^'^  War  die  Stadt  schon 
im  J.  89  römisch,  so  bezog  sich  auch  auf  sie  die  lex  Pompeia  von  diesem  Jahre,  mit  welcher  die  Alpenbewohner  den  latini- 
schen Städten  und  Municipien  von  Gallia  transpadana  zugetheilt  wurden.  Becker  III  1,  S.  258.  —  ''i  Plinius  H.  N.  III  3.  4. 
IV,  35,  22.  —  ''■'-  Moinmsen  S.   HG  bezieht  die  injuria  raunicipii  zunächst  auf  diese  Heiraten. 


n)4  1*1!.   Fi:.   Kensek. 

sremeinde  von  Trideiituin.  welche  durch  Ausscheidung  der  ilrei  Stämme  aus  ihrem  Geuieindever- 
bande,  mithin  durch  Xiclitanerkennung  ihres  Bürgerrechtes  und  durch  die  damit  rechtHcli  verbun- 
denen Folgen,  die  eben  dargestellt  wurden,  einen  schweren  Schaden  erlitten  haben  würde,  l'nser 
Edict  ist  das  erste  inschriftliche  Document,  aus  welchem  wir  ersehen,  dass  Tridentum  schon  zur 
Zeit  des  Kaisers  Claudius  ein  Municipium  gewesen  sei;  bisher  kannte  man  es  als  Municipium  aus 
einem  spätem  Inschrittsteine ''■'  und  als  eine  Colonie  ans  einem  solchen,  der  zwiselien  Hetzen  und 
Trieut  gefunden  wurde  und  der  ungefähr  aus  der  Epoche  M.  Aureis  datirt*^.  Zugleich  erhellt  aus 
dieser  Stelle,  dass  die  Municipien  den  Titel  splendidum  (etwa  in  inisirer  heutigen  Amtssprache 
-löblich")  geführt  haben,  wie  die  Colonien  den  Titel  splendidissima.  wovon  häurige  Beispiele 
auf  römischen  Inschriften  vorkommen. 

Zelle  30 — 33.  Der  besondere  Grund,  welcher  bei  der  Entschliessung  des  Kaisers  den  Aus- 
schlag gab  lio  (piidem  libentius),  ist  in  einer  von  tlem  letzgenannten  Passus  getreiniteii  Stelle 
aufgeführt,  inid  besteht  in  dem  Umstände,  dass  die  meisten  aus  jenen  Stämmen  damals  Dienste 
versahen  oder  schon  versehen  hatten,  mit  denen  der  Besitz  des  Bürgerrechtes  verbunden  ist.  So 
wurden  nur  ^'olll)ürger,  die  in  Italien  wohnten,  in  die  Leibwache  atifgenommen  **,  während  in 
die  Legionen  die  Vollbürger  aus  den  Provinzen  eingetheilt  waren.  Wenn  n\ui  ..plerique  ex 
eo  genere  hominum  etiam  militare  in  praetorio  meö  dicuntur"*,  so  muss  man  bei  ihrer 
Autiiahme  in  die  Garde  vermuthet  haben,  dass  sie  das  Bürgerrecht  besassen ;  man  muss  also  schon 
damals  entweder  den  Ursprung  des  Bürgerrechtes  nicht  genauer  untersucht  oder  die  von  den 
Einzutheilenden  beigebrachten  Beweise  für  genügend  angesehen  haben.  Auch  für  jene  war  dies 
der  Fall,  von  denen  das  Edict  sagt:  quidam  ordines  quoque  duxisse  (dicunturj.  Die 
kleineren  Abtheilungen  von  Soldaten  (centm-iae)  heissen  ordiues;  davon  wird  die  Charge  selbst 
ductor  ordinis  imd  abgekiü-zt  ordo  genannt,  womit  also  der  Centurio  bezeichnet  wird  ''^.  Es  kann 
nun  mit  diesem  Ausdruck  an  unserer  Stolle  ein  Centurio  in  einer  der  praetorisolien  Cohorten  oder 
in  einer  solchen  bei  ü-gend  einer  Legion  gemeint  sein.  Beides  hat  einiges  für  sich.  Der  Zusam- 
menhang lässt  aber  auf  einen  Centurio  einer  praetorischcn  Cohorte  schlicssen,  deren  Veteranen 
nur  in  Italien  angesiedelt  wurden,  so  dass  die  bleibende  Anwesenheit  der  im  Edicte  genannten 
ehemaligen  Ha\q)tleute  in  der  Gegend  von  Trieut  eiklärlicli  würde;  auch  die  Fügung  mit  vero 
und  quoque  scheint  uns  darauf  hinzudeuten,  indem  das  vero  den  Ausdruck  ordines  duxisse  dem 
einfachen  militare  entgegenstellt,  durch  das  quoque  aber  beide  Ausdrücke  ;nif  „in  praiturio 
meo-'  bezogen  werden. 

Andere  Individuen  unserer  Stämme  versahen  als  Geschworne  das  Richteramt  zu  Ivom. 
Zu  den  von  Augustus  für  die  Rechtspflege  gebildeten  vier  Decurien  fügte  Caligula  eine  fünfte 
Decurie  aus  Bürgern  von  wahrscheinlich  sehr  geringem  Vermögen  "^  Die  zu  Rom  weilenden  Ange- 
hörigen unserer  drei  Stämme  wurden  nun,  wenn  sie  die  gesetzlichen  Eigenschaften  hatten,  für 
einzelne  Gerichtsliöfe  ausgeloost  und  beeidigt  fjuratij;  wahrscheinlich  gehörten  sie  nur  der  vierten 
und  fünften  Decurie  an  und  hatten  auch  nur  über  geringere  Streitfälle  zu  urtheilen,  mussten 
aber  jedenfalls  rrmiische  Vollbürger  sein.  Auch  bei  AufVialnne  von  Leuten  unserer  Stämme  in 
diese  Decurien  muss  deren  civitas  als  vollkommen  giltig  angenommen  worden  sein,  weshalb  das 
.jUonnulli  collecti  in  decurias  Romae  res  judicare"  ein  triftiger  Grund  war,  ihnen  das  Bürgerrecht 
zu  bestätigen'''.   Der  Ausdruck  collecti  in  decurias   ist  übrigens   sehr   ungewöhnlich  und  walir- 

"•-  tiiovanclli  «liscorso  sopra  una  iscr.  Trentina  1S24,  p.  S2.  CT.  Spon.  \>.  Hi.  S.  VII.  G.  Wenn  der  dort  genannte 
C.  Veranius  oder  Vcranus  identisch  ist  mit  jenem  der  auf  dem  interessanten  römischen  Inscliril'tsteine  bei  Orelli-Henzen 
863  vorkommt,  so  kann  die  Zeit  des  ersteren  auf  c.  117  —  134  bestimmt  werden.  —  '»  OrclIi-Hi-nzen  2183,  3905.  Ziiiiipt. 
Comm.  p.  402.  —  c«  .Mommsen  handelt  darüber  .■<.  117  austulirlich.  —  '•■'  Bccker-Marrjuard t,  Handbuch  d.  rüm.  Alter- 
thiimer  Ili  2.  280.  —  •'■'•  Vgl.  über  die  Decurien  Walthers  Kechtsgeschichte  237,  698,  797.  —  '=•  Auch  die  Function  als 
Oeschworner  war   durch   das  Domicil  in  Italien  bedingt  und  Mommsen  knüpft  (S.  117)   sowohl  daran  als  an   den  Dienst  im 


Ein  Edict  des  Kaisers  Claudius.  1G5 

scheinlich  verschrieben  für  allecti  (so  liest  auch  Mommsen),  welches  der  technische  Ausdruck 
ist  für  die  Ergänzung  der  Mitgliederzahl  einer  öffentlichen  Körperschaft '^'. 

Zeile  34 — 37.  Quud  beneficium  iis  ita  tribuo  etc.  Die  einfache  Ertheilung  des  Bür- 
gerrechtes an  die  drei  Stämme  würde  die  Giltigkeit  nur  jener  Rechtsgeschäfte  zur  Folge  gehabt 
hal)en,  welclie  sie  vom  15.  März  46,  dem  Datum  des  Edictes  an  abgeschlossen  haben  würden 
nicht  aber  auch  die  Giltigkeit  der  in  früherer  Zeit  zu  Ende  gebrachten;  gerade  darum  handelte 
es  sich  aber  vorzüglich,  wenn  das  Municipium  Tridentinum  vor  Schaden  bcAvahrt  werden  und 
die  alten  Ansprüche  einzelner  Glieder  jener  Stämme  Anerkennung  finden  sollten.  Es  war  daher 
nothwendig,  dass  die  Verfügung  des  Kaisers  als  rückwirkend  erlassen  und  dass  dies  ausdi-ück- 
lich  angegeben  werde.  Dies  geschieht  nun  im  letzten  Alinea ;  der  Kaiser  will  die  den  drei  Stämmen 

ertheilte  Gnade  so  verstanden  wissen  (beneficium  ita  tribuo),  dass  er  alle  ihre  früher mit  wem 

immer  —  abgeschlossenen  Rechtsgeschäfte  genehm  halte  '^^  —  Mit  Empfang  des  Bürgerrechtes 
nahm  der  damit  Bewidmete  einen  römischen  Vornamen  und  Beinamen  an,  zwischen  welclien  der 
Name  den  er  als  Peregrine  geführt  hatte  und  jener  der  Tribus,  in  welche  er  nunmehr  als  römi- 
scher Bürger  aufgenommen  ward,  gesetzt  wurde.  Solches  hatten  nun  aucli  die  Ano-ehörio-en  der 
drei  Stämme  in  der  Meinung  das  Bürgerrecht  zu  besitzen,  schon  früher  gethan  und  sich  beim 
Abschluss  ihrer  Geschäfte  derselbeia  bedient.  Da  ihnen  aber  erst  mit  dem  vorlieo-enden  Edicte 
das  Bürgerrecht  ertheilt  wurde ,  so  bezog  sich  das  Recht  römische  Namen  zu  führen  nur  auf 
die  in  Zukunft  abzuschliessenden  Geschäfte;  es  musste  daher  auch  für  diesen  Punkt  die  rückwir- 
kende Kraft  des  Edictes  ausdrücklich  erwähnt  w^erden,  was  in  dem  letzten  Satze  o-eschieht.  

Es  war  schon  oben  davon  die  Rede,  dass  Julius  Planta  auch  über  das  Rechtsverhältniss,  in 
welchem  die  drei  Stämme  zu  Rom  sich  befanden,  Bericht  abzustatten  gehabt  habe;  die  Verfüo-ung 
aber  ist  ihm  für  diesen  Theil  seiner  Aufgabe  nicht  übertragen  worden.  Kaiser  Claudius  trifft 
persönlich  über  das  Büi'gerrecht  die  Entscheidung  und  verkündigt  selbst  die  Ertheiluno-  des- 
selben an  die  drei  Stämme.  Es  hängt  dies  mit  der  Rechtsanschauung  der  Römer  zusam.men.  Die 
Ertheilung  des  Bürgerrechts  gehörte  in  der  älteren  Zeit  zu  den  Prärogativen  des  souveränen 
Volkes  und  ward  immer  in  Form  eines  Gesetzes  von  der  Volksversammlung  geübt.  Dieses  Recht 
ward  auch  dem  Inhaber  des  Imperium,  dem  Imperator  übertragen,  und  nur  als  solcher  übte  es 
der  Kaiser  im  Namen  des  Volkes  "^  Daher  konnte  er  die  Ertheilung  eines  Bürgerrechtes  auch 
keinem  anderen  übertragen,  sondern  musste  sie  selbst  vollziehen. 

3.  Die  Stylisirung  ist  ungleich;  im  ersten  Theile  ist  die  Satzfügung  sehr  verwickelt  und 
schwer  verständlicli '',  während  von  Zeile  15  und  namentlich  im  4.  und  5.  Alinea  der  prägnante 
römische  Curialstyl  sich  geltend  macht.  Die  Alndichkeit  der  Stylart  in  den  ersteren  Zeilen  mit 
jener  in  den  Tafeln  von  Lyon'"  in  Verbindung  mit  der  schon  oben  zu  Zeile  13  hervorgehobenen 
naiven  Rücksichtslosigkeit  gegen  die  früheren  Regierungen  veranlassten  Mommsen  zu  der  tref- 
fenden Bemerkung,  dass  der  erste  die  Exposition  enthaltende  Passus  vom  Kaiser  selbst  herrühre, 
während  der  übrige  Theil  von  seinen  Secretären  verfasst  sein  mag.  —  Die  Ortliographie  weist 
manche  Unrichtigkeiten  auf.   Sicher  kommen  auf  Rechnung  des  Graveurs  die  grammaticalischen 

Praetorium  die  Bemerkung-,  dass,  da  die  in  Italien  wohnenden  Bürger  damals  noch  eine  bevorzugte  Classe  unter  der  römi- 
schen Bürgerschaft  gebildet  hätten ,  die  Stellung  der  drei  Stämme  vor  Erlass  des  Edictes  eine  besondere  gewesen  sei,  indem 
das  von  ihnen  angemasste  und  theilweise  vom  Staate  anerkannte  Bürgerrecht  die  vollkommenste  Stufe  desselben  darstellte. 

"ä  Collecti  würde  bezeichnen,  dass  die  betreifenden  Decurien  nur  aus  Angehörigen  jener  drei  Stämme  bestanden,  während 
der  Nachdruck  gerade  darin  liegt,  dass  nur  einige  von  ihnen  als  römische  Bürger  und  durchs  Loos  in  die  Decurien  gelangten.  — 
•59  Wie  aus  den  Nachweisungen  von  Mommsen  (S.  Hö)  hervorgeht,  erscheinen  auf  den  Inschriften  des  Nonthales  sowohl 
einheimische  Gentilnamen,  als  auch  römischen  mit  römischen  Vor- und  Zunamen;  die  letzteren  gehören  aber  durchaus  der  Zeit 
nach  Claudius  an  —  '"  Mommsen,  Stadtr.echte  S.  394  f.  —  'i  Nach  Mommsen  (p.  107)  sollte  dieser  Passus  lauten  „Cum 
Ti.  Caesar  ad  veteres  controversias. .. .  pendentes  aliquamdiu  ordinandas  Pinarium  miserit  isque  referre  neglexerit".  —  '-  P.  ois- 
sieu  Inscr.  antiques  de  Lyon  p.  136.  Sie  enthalten  Fragmente  einer  Rede  des  Kaisers. 

XIV.  24 


I(i6  Dit.  Fk.  Kesker.   Eis  Edict  des  Kaisers  Ci.Artnis. 

Felller,  wie  Zeile  27  in  possessionem  fuisse,  Zeile  31  plerisque  (statt  plerique),  Zeile  3l)  ratam  esse 
jubeat  (statt  rata  esse  jubeam).  Auch  das  schon  besprochene  petentibiis  (statt  pendentibus  Zeile  7) 
und  quisque  (statt  quique  Zeile  17),  endlich  die  Anwendung  von  ni  und  n  vor  q,  wie  Zeile  34 
quaecumque  neben  tanquam,  das  auch  in  Zeile  37  wiederkehrt,  g-ehüren  hieher '^  —  Charakteri- 
stisch für  die  Zeit  ist  die  wenn  auch  spärliche  Anwendung  des  Accents,  der  zur  Bezeichnung  der 
langen  Vocale  a  e  o  u  dient,  wie  in  Zeile  7  aliquumdiii,  Zeile  10  juris,  Zeile  17  proci'iratoribus, 
Zeile  29  quo,  Zeile  32  meö,  ördines,  Zeile  35  egerunt '*.  Dagegen  erscheint  das  lange  i,  sowie  das 
doppelte  durch  Verlängerung  über  die  Zeile  hinaus  angedeutet.  Eine  Unregelmässigkeit  zeigt  sich 
nui"  darin,  dass  cives  in  Zeile  35  mit  dem  langen,  in  Zeile  37  mit  dem  kurzen  i  geschrieben 
wird;  ebenso  ist  in  dem  Worte  Tridentinis  in  Zeile  23 — 24  das  lange  i  unrichtig  in  der  letzten, 
dagegen  in  Zeile  28  und  35  richtig  in  der  vorletzten  Sylbe  angewendet. 

Die  Trennungspunkte  sind  von  cb'eieckiger  Form  und  erscheinen  regelmässig  zwischen  je 
zwei  Worten,  selbst  zwischen  den  einzelnen  Bestandtheilen  zusammengesetzter  Worte  "".  Zwischen 
kurzen  und  einsylbigen  Worten,  meist  Praepositionen  und  den  dazu  gehörigen  Haupt-  und  Für- 
wörtern sind  sie  bald  gesetzt'"',  bald  weggelassen''.  Daneben  ei-scheinen  auch  in  dieser  Rich- 
tung Verstösse  ".  Die  Ligatur  von  a  und  m  in  der  letzten  Sylbe  des  Schlusswurtes  tindet  ihre 
Erkläruner  nur  darin,  dass  der  Raum  für  beide  Buchstaben  nicht  mehr  ausreichte. 

4.  Über  die  Fiuidstelle  haben  sowohl  die  Voce  cattolica  als  auch  das  Ai-ciiivio  giuridico  '" 
Anmerkungen  mitgetheilt,  die  auch  Mommsen  in  seine  Erläuterungen  aufnahm"'.  Treffliches 
enthält  hierüber  die  Abhandlung  des  Gf.  Giovannelli  über  den  Saturnusdienst  in  den  Triden- 
tinischen  Alpen.  Die  dort  in  früherer  Zeit  und  auch  jüngst  wieder  gefundenen  Inschriftsteine 
bestätigen  die  Ansicht  des  letzteren,  dass  auf  den  schwarzen  Feldern  oder  doch  in  ihrer  nächsten 
Xähe  ein  TL-mpel  des  Saturnus  gestanden  habe. 

Dafür  spricht  nun  auch  die  Auffindung  unserer  Tafel  an  jener  Stelle.  Saturnus  ist  nach  der 
römischen  Sage  der  Gott  allgemeinen  Wohlstandes,  da  unter  seiner  Regierung  das  goldene  Zeit- 
alter hen'schte";  er  ist  der  Beschützer  der  Gesetze,  er  selbst  hat  die  ersten  Gesetze  gegeben. 
Darum  wurde  in  einem  Theile  seines  Tempels  der  Staatsschatz  und  das  Reichsarchiv  der  Römer, 
das  aerariimi  und  tabnlarium,  letzteres  in  den  Jahren  S4 — 78  v.  Chr.  erbaut*'.  Ohne  Zweifel 
bildete  ebenso  für  Trideutum  der  Saturnustempel  in  einem  seiner  Räume  Schatzhaus  und 
Archiv  der  Gemeinde,  in  welchem  aucli  unser  Edict  angeheftet  war. 

'3  Die  ungewöhnliche  Verbindung  des  Encliticum  ce  mit  ea  in  posteac  Z.  13  kann  nach  Mommsen  eine  grammatische 
Grille  des  K.  Claudius  sein.  ti.  104,  Anmerk.  2.  Vielleicht  ist  das  E  ein  Schreibfehler  für  H  und  sollte  das  Wort  POSTHAC 
lauten?  —  ''*  In  dem  Worte  jure  Z.  29  fehlt  es;  für  injuria  gibt  Mommsen,  welchem  ein  Abdruck  vorlag,  den  Apex  an;  das 
lithographirte  Facsimile  aus  Trient  zeigt  keinen  solchen.  —  ^ä  So  Z.  25  tarn  •  et  •  si,  Z.  33  non  •  nuUi.  —  '"  So  Z.  2  in  •  prae- 
torio,  —  Z.  7  ex  ■  veteribus,  —  Z.  12  ab  •  eo,  —  Z.  15  in  •  rem,  —  Z.  18  in  ■  vicinia,  —  Z.  27  in  •  possessionem,  —  Z.  28 
cum  •  Tridentinis,  —  sine  •  gravi,  —  Z.  31  es  •  eo.  —  ''''  So  Z.  S  ad  quas,  ■ —  Z.  10  inter  Comenses,  —  Z.  14  ad  me,  —  Z.  20 
ab  ipso,  —  Z.  22  ad  concionem,  —  Z.  25  id  genus,  —  Z.  29  in  eo,  injuria  non  possit,  —  Z.  35  inter  se.  —  -^^  So  Z.  18 
sum  •  ma,  Z.  36  nom  •  inaque.  —  ^9  Bologna  1869  S.  360  f.  —  »o  S.  99  f.  —  ^i  Preller,  Römische  Mythologie  S.  412.  — 
82  Orelli   3267.  Becker  Alterth.  1  317.  Pauly  R.  E.  VI  2,  S.  1563. 


167 


Ein  Antiplioiiariuiii  im  Stifte  St.  Peter  zu  Salzburg. 

Von  Dr.  Karl  Lind. 

I.  Einleitung. 

_CiS  ist  für  das  Wesen  der  cliristlichen  Kunst  bezeichnend,  dass  sie  schon  in  ihren  frühesten 
Anfängen  vorzugsweise  die  Malerei  in  das  Bereich  ihrer  Wirksamkeit  zog  und  damit  in  ihren 
ersten  Zeiten  schon  relativ  grosse  Erfolge  und  glänzende  Leistungen  aufzuweisen  vermochte.  Es 
ist  dies  um  so  merkwürdiger,  weil  die  Hindernisse,  die  gerade  damals  der  Übernahme  dieser  Kunst 
aus  dem  Heidenthume  entgegenstanden,  nicht  unbedeutend  Avaren,  indem  die  christliche  Kirche 
der  ersten  Jahrhunderte  wiederholt  das  künstlerische  Schaffen  überhaupt,  als  gerade  verdammens- 
würdig  von  sich  wies.  Allein  der  Modus  des  Überganges  fand  sich  damit,  dass,  obgleich  die 
römischen  Malereien  vor  den  Augen  der  Christen  standen,  sie  für  dieselben  nicht  die  gewöhnliche, 
bisherige  Bedeutung  hatten  und  auch  nicht  in  solcher  Absicht  nachgeahmt  wurden,  sondern  dass 
man  nm-  die  Form  beachtete,  den  Geist  jedoch  verwarf,  dafür  einen  neuen,  einen  christlichen 
Gehalt  hineinlegte,  sie  mit  den  höchsten  Ideen  erfüllte  und  bedeutungsvoll  machte,  ohne  dass  sie  in 
technischer  Beziehung  sich  auszeichneten.  Wir  wollen  absehen  von  der  künstlerischen  Ausstattung 
der  heil.  Stätten  durch  Wandmalereien,  absehen  von  den  Fresken,  mit  denen  zahlreiche  Räume 
der  ausgedehnten  Katakomben  Roms  ausgeschmückt  waren,  absehen  von  dem  jedenfalls  auch  in 
der  Zeit  der  altchristlichen  Kunst  angewendeten  Mosaikschmuck,  und  unsere  Aufmerksamkeit  nui* 
jenen  Pergamenthandschriften  zuwenden,  deren  Miniaturen  uns  Zeugniss  geben,  dass  die  Malerei 
sich  schon  damals,  d.  i.  in  der  unmittelbaren  Fortsetzung  der  antiken  Kunst,  nicht  darauf 
beschränkte  in  mehr  oder  minder  grossen  und  rohen  Zeiclniungen  bunte  Darstellungen  an  den 
Wänden  anzubringen,  sondern,  dass  sie  sich  schon  frühzeitig  in  jenen  kleinen  Bildern  versuchte, 
die  eine  weit  erhöhtere  Genauigkeit  der  Zeichnung  und  Farben  und  künstlerisches  Streben  ver- 
langen. 

Die  Miniaturen \  welche  in  die  ersten  Jahrhunderte  des  Christenthums  fallen,  behandeln 
tlieils  Gegenstände  der  Antike,  die  sie  in  der  früher  üblichen  Behandlungs-  und  Darstellungsweise 
wiedergeben,  wenn  auch  mit  augenfällig  minderen  Kräften,  theils  Themata  der  heil.  Schrift  und 

I  Ausführliches  über  die  Geschichte  der  Malerei  und  insbesondere  der  Miniatur-Malerei  und  über  die  noch  erhaltenen 
Denkmale  dieses  Kunstzweiges  finden  die  Leser  bei  Kugler  (kleine  Schriften  I,  t — 95,  und  in  dessen  Handbuch  der  Kunst- 
geschichte), Waagen  (Kunstwerke  undKünstler),  Görling  (Geschichte  der  Malerei),  Dursch  (Asthethik  der  christlich-bildenden 
Kunst  im  Mittelalter),  Schnaase  (Geschichte  der  bildenden  Kunst  im  Mittelalter)  etc.,  auf  welche  Schriften  wir  mit  dem 
Bemerken  verweisen,  dass  dieselben  auch  für  unsere  Einleitung  massgebend  waren. 

24* 


1(38  Dk.  Kart-   Lind. 

zwar  mit  Vorliebe  des  alten  Testaments.  Dabei  finden  wir  eine  doppelte  Auffassung:  entweder 
wird  der  Maler  vom  Bestreben  geleitet,  Symbole  darzustellen,  oder  er  liefert  einfache  liistorisclie 
Darstellungen,  die,  wenn  auch  selbständig,  sich  in  so  engen  Grenzen  bewegen,  dass  sie  mit 
Zuliilfenahme  von  Allegorien  den  Symbolen  ziemlich  nahe  kommen.  In  diese  letztere  Gattung 
o-ehören  die  Bilder  jener  Bücher,  die  man  schon  in  den  ersten  christlichen  Zeiten  beim  Altardienst 
brauchte,  und  die  man  desslialb  mit  Vorliebe  prächtig  ausstattete. 

Mit  Malereien  geschmückte  Schriftdenkmale  aus  den  ersten  fünf  Jahrhunderten  des  Christen- 
thums  sind  jetzt  wohl  höchst  selten,  und  wir  wollen  uns  begnügen  nur  etlidic  davon  zu  erwähnen, 
wie  die  Bilderhandschriften  mit  den  Homer'schen  Dichtungen  in  der  ambrosianischen  Bil)liothek 
zu  Mailand  und  die  mit  den  Dichtungen  des  Virgil  in  der  vatikanischen  Bibliothek  (beide  dem  IV. 
oder  V.  Jahrhundert  angehörig),  so  wie  eine  orientaHsche  Bihlerhandschrift  der  Genesis  in  der 
Wiener  Hofljibliothek  und  einige  Bruchstücke  einer  solchen  im  brittischen  Museum.  Doch  mögen 
damals  derlei  Handschriften  nicht  wenig  gewesen  sein,  denn  die  noch  vorhandenen  Copien 
umfangreicher  Werke  lassen  mit  Bestimmtheit  auf  verlorengegangene  Originale  aus  dieser  Früh- 
Epoche  der  christlichen  Malerkunst  schliessen.  Dahin  gehören  namentlich  eine  grosse  Pergament- 
rolle der  vaticanischen  Bibliothek  mit  Darstellungen  der  Geschichte  Josua's  und  die  bilderreiche 
ebendort  befindliche  Handschrift  des  Octateuch.  Beide  diese  Denkmale  lassen  mit  Rücksicht  auf 
den  Geist  der  Erfindung,  auf  das  Leben  in  der  Composition  und  in  jeder  einzelnen  Figm-  und 
auf  die  ganze  Auffassung  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  sie  Copien  von  Darstellungen  sind,  die 
einer  der  antiken  Kunst  noch  sehr  nahestehenden  Zeit  angehören,  während  der  Schriftcharakter 
und  die  äussere  künstlerische  Behandlung  des  ersteren  der  beiden  Denkmale  selbst  auf  das  VII. 
oder  VIII..  des  anderen  auf  das  XI.  oder  XII.  Jahrhundert  als  Anfertigungszeit  dieser  Copien 
schliessen  lassen. 

Wir-  wollen  nun  von  Italien  imd  dem  byzantinischen  Reiche  absehen,  woselbst  die  Kunst 
eine  eigenthümliche  Richtung  nahm  und  den  byzantinischen  Styl  schuf.  Die  Miniatur-Arbeiten 
desselben  zeigen  sorgfältige  Zeichnung,  doch  ist  das  Verständniss  der  Gliederführung  theilweise 
abhanden  gekommen,  die  Stellung  ist  wohl  natürlich,  doch  fast  ohne  Bewegung,  steif  und  starr, 
dabei  herrscht  Mansrel  an  Gesichtsausdruck.  Ausserhalb  Italien,  vornehmlich  am  Rhein  und  im 
Westen  Em-opas  gelangte  die  Miniaturmalerei  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  ersten  Jahrtausends 
zu  einiger  Bedeutung;  denn  da  es  am  Kunstgeschiuacke  für  Wandmalei-eien  und  Mosaike  fast  fehlte, 
so  wie  auch  an  den  erforderlichen  Geldmitteln  und  Materialien  dazu,  so  wandte  man  sich  mit 
Vorliebe  zu  diesem  besonderen  Zweig  der  Malerei,  der  weniger  derlei  Vorbediugimgen  verlangte, 
dabei  dem  Streben  nach  Pracht  auch  genügte,  und  benützte  ihn,  um  gleich  wie  in  Byzanz  und 
Rom  heilige  Bücher  und  merkwürdige  Schinften  theils  behufs  ihrer  besseren  Erklärung,  theils  zur 
Erhöhung  der  Kostbarkeit  derselben  damit  auszustatten. 

Besonders  in  den  letzten  drei  Jahrhunderten  des  ersten  Jahrtausends  finden  wir  diesseits  der 
Alpen  ziemlich  vermehrte  Denkmale  dieses  Kuustzweiges ,  was  auf  das  Bestehen  einer  erhöhten 
Kunstpflege  schliessen  lässt.  Namentlich  war  es  Karl  der  Grosse  (768 — 814),  welcher  auf  dem 
Felde  der  Kunst  als  gewaltiger  Bahnbrecher  erscheint,  auf  dessen  Geheiss  viele  heilige  Bücher 
angefertigt  ^^'urden  und  der  den  Mönchen  deren  Vervielfältigung  als  eine  ihrer  Hauptpflichten 
einschäi-fte,  daher  wir  derlei  kostbare  Bücher  im  Besitze  der  Kirchen,  Klöster  und  ihrer  mächtigen 
Gönner  finden.  Der  Regierung  Karls  des  Grossen  gehören  mehrere  Pi'achthandschriften  an,  die 
sich  in  den  Bibliotheken  zu  Paris  (les  heures  de  Charlemagne),  London,  Wien  (Evangelistarium 
Karl  des  Grossen),  Kremsmünster  (Codex  millenarius),  Trier  (Codex  aureus)  etc.  befinden.  Die  aus 
dieser  Zeit  stammenden  Handschriften  des  Evangeliums,  der  Psalmen  oder  auch  die  ganze  Bibel 
enthaltend,  ermangeln  oft  der  historischen  Bilder,  aber  die  symbolischen  Darstellungen  Christi  und 


Ein  Antiphonariim  im  Stifte  St.  Peteij  zv  Salzbukg.  161) 

der  Evangelisten,  so  wie  die  Bilder  einzelner  Heiligen  fehlen  fast  nirgends  und  finden  sich  an  der 
Stelle,  wo  sie  hingehören.  Die  Handschriften  von  Karl  des  Grossen  Zeit  an  haben  oft  ein  Dedica- 
tionsblatt,  auf  welchem  der  Kaiser  oder  König  dargestellt  ist,  wie  derselbe  das  Werk  vom  Ab- 
schreiber oder  Künstler  empfängt.  Auch  findet  sich  gewöhnlich  in  jeder  dieser  Schriften  zu  Anfang 
ein  Kalender,  der  mit  Säulen,  Bögen  und  Heiligenbildern  eingefasst  ist.  Reicher  ausgestattete 
Manuscripte,  haben  mitunter  purpurfarbige  Pergamentblätter,  auf  jeder  Schriftseite  eine  Randein- 
fassung, auch  sind  die  Anfangsbuchstaben  jedes  Buches  oder  einzelnen  Abschnittes  zierlich  aus- 
gestattet. Ausführliche  Darstellungen  nehmen  eine  Seite  ausschliesslich  ein  oder  doch  einen 
grossen  Theil  derselben  und  .sind  dann  vom  Texte  umgeben.  Die  Bilder  meist  prächtig  und,  wenn 
sie  klein  sind,  auch  zart  ausgeführt,  zeigen  ein  beachtenswerthes  Aufraffen  im  Sinne  der  antiken 
Kirnst,  eine  gewisse  Grösse  und  jugendliche  Frische,  grössere  Lebhaftigkeit  in  der  Bewegung, 
die  sich  von  der  damals  nur  geringen  Einfluss  auf  das  Äusserliche  behauptenden  Schrofilieit  des 
byzantinischen  Styles  möglichst  freihält. 

Ungleich  höher  als  die  Figurenzeichnung  in  den  karolingischen  Miniaturen  steht  die  orna- 
mentale Arbeit,  jene  wahrhaft  merkwürdige  und  mühsame  Verzierung  der  Blattränder,  einzelner 
Blattpartien  und  der  bisweilen  damit  in  Verbindung  gebrachten  Initialen.  Das  antike  Ornament 
blieb  zwar  immer  zur  Grundlage,  allein  es  zeigen  sich  hier  schon  allmählig  abweichende  Formen, 
mit  schönem  Styl  in  Zeichnung,  mit  Geschmak  in  den  Fai'ben  und  kräftigem  Wirken  damit,  wir 
erkennen  Sinn  für  Schönheit  der  Linien,  für  Massen  und  Vertheilung,  auch  tritt  in  den  Arabesken 
eine  Verbindung  von  Linien  mit  vegetabilischer  Bildung  (Thier-  und  Menschengestalten)  hervor. 
Eine  besondere  Art  des  Ornaments  war  dm-ch  die  aus  irischen  Klöstern  nach  den  Continent 
gelangten  christlichen  Sendboten  S.  Columban,  Kilian,  Willibord,  Gallus  in  Aufnahme  gekommen, 
nachdem  die  Miniatur-ÄIalerei,  noch  bevor  sie  im  Frankenlande  in  Blüthe  stand,  sich  dort  in 
ziemlich  barbarischer  Weise  aber  fast  unabhängig  von  den  Traditionen  der  Antike  und  frei 
von  jedem  byzantinischen  Einflüsse  aus  sich  selbst  herausgebildet  hatte.  Diese  irische  Ornirung 
bestand  in  dem  freiesten  Spiel  mit  Linienführung  und  Bandornamenten  und  Formenverbindung, 
für  welche  die  Naturwelt  kaum  irgend  ein  Vorbild  hat.  Li  künstlich  ausgesuchtester  Weise 
verschlingen  sich  Bänder,  Riemen  und  Ranken;  Schnörkel  aller  Art  drehen  sich  mit  langen 
Schwingen  und  unendlichen  Schlingen  in  den  phantastischen  Windungen  durcheinander,  besonders 
an  den  Blatt-Rändern  und  bei  den  grossen  Buchstaben.  Diese  Verzierungsweise  bemächtigte  sich 
auch  der  Figuren,  welche  in  monströser  Art  mit  Schnörkeleien  in  Verbindung  kamen,  ja  hinein- 
gezwängt wurden,  so  dass  oft  kaum  die  Grundlinien  der  Menschengestalt  zu  erkennen  sind.  Die 
Glieder  nehmen  den  Schwung  graphisch  verschlungener  Linien  an,  die  Menschen  sehen  wie  Buch- 
staben aus,  ohne  dass  gerade  eine  Carricatur  aus  diesen  barbarischen  Verunstaltungen  folgen 
würde.  Es  liegt  ein  tiefer  grauenhafter  Ernst  in  diesen  Bildern,  bei  denen  die  Köpfe  und  Hände 
u.  s.  f.,  wo  sie  einigermassen  der  menschlichen  Natur  ähnlich  werden,  oft  vom  Körper  so  getrennt 
dargestellt  werden,  dass  man  unwillkührlich  an  eine  Richtstätte  erinnert  wird,  die  mit  abgehaue- 
nen Gliedmassen  bedeckt  ist.  Und  doch  herrscht  in  dieser  irischen  Ornamentik  trotz  aller  schein- 
baren Willkür  ein  Gesetz. 

Von  den  Iren  nahmen  die  Angelsachsen  diese  phantastischen  Ornamentirungen  an,  hielten  aber 
für  die  figürlichen  Darstellungen  die  aus  Italien  herüberkommenden  Typen  fest.  Es  scheint,  dass 
die  innerste  Natur  derselben  sich  gegen  diese  Verzerrung  der  menschlichen  Gestalt  bald  gesträubt 
hat,  da  sie  zu  viel  an  Fetische,  an  die  widernatürlich  verzerrten  Götzen  der  heidnischen  Slaven 
erinnert. 

Obschon  die  irische  Art  der  Manuscript- Verzierung  immer  mehr  Eingang  fand  und  die  Menge 
der  auf  so  barbarische  Weise  verzierten  Manuscripte  immer  zahlreicher  wurde,  so  sank  dennoch 


170  Dr.   Karl  Lind. 

deren  Kunstweitli.  Der  unter  Karl  dem  Grossen  gewonnene  Aufschwung  war  noch  nicht  von 
Dauer,  es  war  noch  kein  tieferer  Lebensgehalt  gewonnen,  denn  nur  zu  bald  folgte  Verwilderung 
und  zunehmend  rohes  Wesen,  wie  dies  die  Wessobrunner  Handschrift  (814)  zu  München  und  die 
immerhin  noch  prächtigen  Werke  aus  Kai'l  des  Kahlen  ('847)  und  Kaisers  Lothar  L  (840 — 855, 
dessen  Evangeliarium )  Zeit  bezeugen,  daher  das  IX.  Jalnhunderl  nodi  als  eine  Periode  der  Blüthe 
betrachtet  werden  kann,  gegen  die  unmittelbar  darauf  folgende  Zeit.  Bald  verdunkelte  sich  der 
künstlerische  Gewinn  der  christlichen  Frühzeit  und  es  trat  allgemein  die  Barbarisirung  ein ,  aus 
der  nur  Einzelnes  eine  höhere  Kraft  und  geistvolle  Erneuerung  des  Alten  zeigt.  Man  bemerkt  wohl 
noch  einen  massgebenden  Einfluss  griechischer  und  römischer  Vorbilder.  Christus  und  die  Heiligen 
erscheinen  oft  in  steifer  Gestalt  und  Würde,  wie  auf  den  Mosaiken,  aber  oft  auch  jugendlich  und 
heiter,  wie  auf  iliren  Vorbildern  in  den  Katakomben.  Es  finden  .^ich  die  antiken  Personirtcationen, 
Sonne  und  Moiui  erscheinen  als  Apollo  und  Diana  auf  zweispännigen  Wagen,  ferner  Flussgötter, 
Allegorien  etc.  Ebenso  erkennt  man  daneben  Spuren  des  sich  allmählig  zur  Selbständigkeit  erhe- 
benden fränkischen  Geistes  in  der  Gestaltung  des  menschlichen  Leibes,  in  der  Anwendung  der 
fränkischen  Tracht,  in  der  Wahl  der  Gegenstände  und  in  der  Erfindung.  Ferner  erkennt  man 
den  nach  Freilieit  und  Selbständigkeit  in  der  Kunst  ringenden  deutschen  Geist  dadurch,  dass 
man  sich  an  historisch-svmbolische  Darstellungen  im  epischen  Zusammenhange  wagte,  luid  Gegen- 
.stände  künstlerisch  behandelt  werden,  welche  in  Italien  und  in  Constantinopel  von  der  maleri- 
schen Behandlung  ausgeschlossen  waren,  denn  wir  sehen  z.  B.  Gott  Vater  in  der  Schöpfungs- 
geschichte dai'gestellt.  Allein  ungeachtet  dieses  unzweifelhaften  Fortschrittes,  tritt  docli  Rohheit 
in  der  Ausfiihrung  zu  Tage,  die  Darstellungsmittel  werden  immer  gröber  und  dürftiger,  die  Ab- 
nahme der  künstlerischen  Leistungen  im  Ganzen  ist  unverkennbar. 

Kurz  zusammengefasst  folgen  die  Franken  des  IX.  Jalirlunulerts  spät-römisch-byzan- 
tinischen Einflüssen,  nehmen  Untergeordnetes  von  den  Briten  an,  durchdringen  das  typisch  Über- 
nommene mit  einem  naturwidrigen  Element,  welches  sich  mehr  durch  Verwendung-  der  Figuren 
wie  durch  besondere  Fonngebung  kundgibt.  Es  ist  ein  Ringen  zwischen  den  bestehenden  äusseren 
Einflüssen  und  dem  erwachenden  germanischen  Geiste. 

Noch  grösserer  Verfall  zeigt  sich  in  den  Arbeiten  der  Epoche  Kai-1  des  Dicken  (Ende  des 
IX.  Jalu'hunderts),  davon  ein  bedeutendes  Denkmal  die  Hand>;clnift  der  Vulgata  in  der  Calixtus- 
kirche  zu  Rom  ist. 

Während  des  X.  Jahrb.,  der  Vorstufe  des  unter  den  Kaisern  aus  den  sächsischen,  fi-änkischen 
und  schwäbischen  Häusern  blühenden  romanischen  Styles,  begann  Deutschland  im  allgemeinen 
durch  seine  künstlerischen  Leistungen  einen  hervorragenden  Platz  einzunehmen.  Jsun  der  durch 
die  Zeitereignisse  und  Culturverhältnisse  herbeigeführte  Stillstand  ein  Ende  hatte,  erwachte  in  allen 
Kunstgebieten  ein  neues  Leben,  frische  Kräfte  wurden  thätig  tnid  über  alle  Erzeugnisse  sehen  wir. 
wie  mit  einem  Schlage  den  vollen  Reichthum  der  Gebilde  ausgegossen.  Freilich  wohl  nahm  an 
diesem  Aufschwünge  die  Miniaturmalerei  nur  gerin^ren  Antheil.  Denn  da  das  künstlerische  Bestre- 
ben noch  der  Gemeinsamkeit  entbehrte,  so  blieb  auch  der  Werth  der  Producte  sehr  verschieden 
und  das  Bedeutende  nur  vereinzelt.  Im  allgemeinen  und  Ganzen  gleicht  der  Kunstcharakter  der 
Arbeiten  hoch  jenem  des  karolingischen  Zeitalters  imd  zeigt  unverkennbar  den  Kampf  der  byzan- 
tinischen Studien  inid  der  fränkischen  Tradition  um  den  Einfluss.  dabei  auch  noch  das  Bemühen 
in  Nachbildung  und  die  Geltung  der  älteren  Formen  und  Kunstweisen,  doch  kommen  schon  häuflg 
mancherlei  mit  erneuerter  Frische  aufgefasste  Combinationen,  starke  Einzelmotive  und  durch- 
gebildeter Farbensinn  vor.  Die  gegen  fi-üher  zahlreicheren  Producte  des  X.  Jalirliunderts,  gleich 
wie  früher  Schöpfungen  der  Klosterschulen,  behandeln  in  Übereinstimmung  mit  dem  allerorts 
kräftie  auflebenden  christlichen  Sinne  meistens  Per.sönlichkeiten  und  Scenen  des  f^vangeliums. 


Ein"  Antipiionarilm  i5i  Stifte  St.  Petlr  zu  Salzburg.  171 

Als  das  mit  Angst  und  Bangen  erwartete  Jahr  Eintausend  um  war,  begann  allerorts  in 
Deutschland  eine  rege  Thätigkeit,  um  die  in  der  Furcht  vor  dem  bevorstehenden  Weltunter- 
gang und  zu  dessen  Abwendung  gemachten  Gelübde  rasch  zu  erfüllen.  Freilich  war  es  wieder 
die  Architektur,  die  dabei  am  meisten  Beschäftigung  und  Entwicklung  fand,  allein  auch  die 
Bedeutung  von  Sculptur  und  Malerei  war  im  Zunehmen,  wie  diess  die  sich  steigernde  Anzahl  ihrer 
noch  vorhandenen  Producte  beweist,  ohne  das.s  sich  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Charakter  des 
früheren  Jahrhunderts  geändert  hätte.  Dabei  sehen  wir  in  manchen  Bildern  schon  eine  gewisse 
schlichte  Strenge,  einen  einfach  typischen  Charakter  heraustreten,  wie  er  einer  solchen  Epoche 
künstlerischer  Anlange  wühl  ansteht.  Anderseits  ist  gewiss,  dass  in  vielen  Miniaturmalereien  des 
XI.  Jahrhunderts,  und  eines  grossen  Theiles  des  nächsten,  gleich  wie  in  den  letzten  Decennien  des 
früheren  einerseits  das  byzantinische  Element  noch  in  einer  eigenthümlichen  Mischung  mit  dem 
deutschen  durch  Nachahmung  byzantinischer  Typen,  so  wie  auch  das  lebhafte  Colorit  und  eine 
bedeutendere  Verwendung  des  Goldes  verblieb,  doch  hebt  sich  auch  im  Gegensatze  das  deutsche 
Element  durch  das  Streben  nach  geschmackvollem  Vortrag  und  nach  Beseitigung  des  Steifen  und 
Starren  der  byzantinischen  Vorbilder,  durch  lebhafte  und  bewegte  Gruppen  immer  mehr  her- 
vor. Freilich  wohl  werden  dadurch  die  Zeichnungen  manierirt,  verschroben  und  verzerrt,  ja  krüp- 
pelhaft, allein  es  ist  ein  Fingerzeig,  dass  die  deutsche  Kunst  bald  ihren  eigenen  Weg  wandeln 
werde.  In  den  Bibliotheken  von  St.  Gallen,  Trier  (Evangelium  des  Erzbischof  Egbert  978 — 993) 
München  (die  Bamberger  Prachthandschriften,  das  Evangelium  von  Tegernsee  1017 — 1074), 
Aachen  (Evangeliarium  Kaisers  Otto  III.),  Würzburg,  Bamberg,  Prag,  Gotha  (Evangelium  Otto  II. 
c.  973),  Bremen,  Paris,  Klosterneuburg  (Psalterium  des  S.  Leopold)  haben  sich  namhafte  Beispiele 
von  Miniatm--Malereien  vom  X.  bis  Mitte  des  XII.  Jahrhunderts  erhalten. 

Doch  hatte  diese  mehrseitig  auftretende  Reform  in  Sculptur  und  Malerei  noch  nicht  feste 
Wurzel  gefasst  und  so  blieb  es  für  damals  nur  beim  Anlauf  zur  Besserung,  weil  sie  nur  von  der 
Gunst  und  Geschmacksrichtung  einzelner  Personen ,  geistlicher  und  weltlicher  Fürsten  abhing 
und  verschwand  im  allgemeinen  bald  wieder,  daher  das  XII.  Jahrhundert  vorwiegend  das  frühere 
anspruchslose  strenge  Gepräge,  das  Typische  und  Schematische  beibehielt,  wie  uns  die  bekannte 
Handschrift  der  Herrarde  von  Landsberg  (hortus  deliciarium  1195)  und  eine  zu  München  befind- 
liche Evangelienhandschrift  aus  dem  Stifte  Niedermünster  zeigen. 

Gegen  Ende  des  XII.  Jahrhunderts  und  zu  Beginn  des  nächstfolgenden,  als  der  romanische 
Styl  seinem  Abschlüsse  entgegenging  und  im  allgemeinen  eine  grössere  Pflege  der  bildenden  Kunst 
Platz  griff,  nahm  auch  die  Miniatur-Malerei  einen  grösseren  Aufschwung.  Ein  bedeutender  Hebel 
dafür  lag  darin,  dass  nun  auch  die  nationale  Poesie  anfing  der  Miniaturmalerei  Stoffe  zur  künst- 
lerischen Darstellung  zu  liefern.  Alan  kann  annehmen,  dass  von  da  an  die  Zeit  gekommen  war, 
wo  die  Dichtkunst  mit  der  Malerei  Hand  in  Hand  sich  verband  und  eine  nicht  blos  äusserliche 
sondern  von  dieser  geistigen  Macht  getragene  und  fortentwickelte  Einigung  begann.  Die  Malerei 
wurde  dadurch  veranlasst  sich  an  das  Leben  und  dessen  mannigfaltig  wechselnde  Verhältnisse 
anzuschliessen,  wenn  sie  der  dichterischen  Stimmung  ordentlich  entsprechen  wollte.  Es  wird  auch 
die  Annahme  nicht  zu  gewagt  erscheinen,  dass,  so  wie  im  allgemeinen  bereits  im  XL  Jaln-hundert 
der  Laienstand  an  den  Kunstübungen  sich  zu  betheiligen  begann,  auch  die  Miniatur-Malerei  nicht 
mehr  ausschliesslich  in  den  Händen  der  Geistlichkeit  blieb  und  blos  in  den  Klöstern  getrieben 
wurde.  Es  entwickelten  sich  aus  den  typischen  Vorbildern  der  früheren  Jahre  und  dem  noch 
bestehenden  Einflüsse  byzantinischer  Studien  zwei  Hauptrichtungen,  die  sich  jede  in  charakteri- 
stischen Eigenthümlichkeiten  ausprägen  und  den  Keim  für  weitere  Entwicklung  in  sich  tragen. 

Die  eine  Hauptrichtung  war  die  ausgebildete  Malerei  mit  Deckfarben,  die  vorzugsweise  an  den 
älteren  Stylmotiven  festhält  und  auf  decorative  Wirkung  abzielt.    Feine  Behandlung  der  Farbe, 


1*2  Db.  Kakl  Lind.  Ein  Astiphonabilm  im  SnrrE  St.  Petek  zc  Sälzblrg. 

scharf  ffezeiclmete  Umi-isse,  Goldgrund,  phantastische  Randoraamentatioii  und  Anfangsbuch- 
stabenbilduno-  charakterisben  diese  Richtung,  die  dmch  idealistisches  Aufstreben  und  inner- 
liche Empfindung  die  überlieferten  Formen  trotz  ilu-er  Sti'enge  veredelt  und  verfeinert.  In  ihr 
bildet  sich  der  entschiedene  Gegensatz  zur  byzantinischen  Darstelluugsweise,  indem  ihre  Figu- 
ren in  einer  feineren  Würde  erscheinen,  ihre  Gedanken  sicli  klarer  hervorheben  und  sie  den  Affect 
ero-reifend  und  wahrscheinlich  werden  lässt.  In  München  (Mannscript  mit  biblischem  Text  aus 
Salzburg),  Hamburg.  Aschatfenburg  (Evangeliarium  aus  Mainz),  Bamberg  und  Stuttgai-t  (der  soge- 
nannten Wartburo--Psalter  1193 — 1216  mit  Bildnissen  fürstlicher  Personen)  finden  sich  derai-tige 
ausgestattete  Handschiiften. 

Die  andere  Richtung  ist  zwar  minder  gefällig  und  gliinzend,  aber  für  die  Geschichte  der 
deutschen  Malerei  von  nicht  minderer  Bedeutung.  Man  bestrebte  sich  nämlich  die  Figuren  und 
Gestalten  in  einfachen ,  aber  scharfen  farbigen  (meistens  schwarz  und  roth)  Umrissen  auf  tarbi- 
o-en  Gründen  oder  auch  ohne  solche  zu  zeichnen,  sie  decorativ  und  ornamental  zu  behandeln  und 
sie  besonders  bei  Ausstattung  grosser  Anfangsbuchstaben  in  kühn  phantastischer  Weise  mit  dem 
Ornament  zu  verflechten,  ein  fast  märchenhaftes  Spiel  poetischen  Zug  bekundend.  Diese  Darstel- 
lungsart scheint  besonders  in  den  bah-ischen  Ländern  gepflegt  worden  zu  sein  und  diente  in 
überwiegender  Weise  zur  Illustration  von  Dichtungen. 

Die  Zeichnungen  sind  schlicht  und  einfach,  die  Bewegungen  lebhaft,  der  Ausdruck  wirk- 
sam, dabei  ist  die  technische  Ausführung  wenig  hindernd  und  gestattet  dem  Künstler  mehr  Freiheit 
und  eine  gewisse  Leichtigkeit,  es  entwickelt  sich  ein  lebendig  dramatischer  Vortrag,  dabei  kommen 
wohl  auch  bai-barisch  rohe  Gestaltungen  und  Fehler  gegen  den  körperlichen  Organismus  vor. 
Es  kann  eine  Fülle  von  Lebensbeziehungen  und  dessen  wechselnde  Verhältnisse  zur  Anschauung 
gebracht  werden,  was  bei  einer  mehr  durchgebildeten  Form  nicht  leicht  möglich  gewesen  wäre. 
Dieses  Streben  war  der  Beginn  einer  weiteren  Entwicklung,  weil  nicht  nur  eine  sichere  Darstellung 
sondern  auch  eine  grössere  Aufmerksamkeit  für  Natm-wahrheit  nothwendig  wurde.  Obgleich  diese 
Darstellung  anfänglich  viel  Ähnlichkeit  mit  der  byzantinischen  hatte,  denn  sie  war  mehr  sche- 
matisch als  malerisch ,  so  zeigt  sie  doch  grössere  Lebendigkeit  der  Geberdeu,  das  Streben  nach 
höherer  Vollendung  und  wirklichen  Aufschwung  und  entfernte  sich  bald  so  sehr  von  ihr,  dass 
sie  zu  ihi-em  Gegensatz  wm-de.  Beispiele  dieser  Richtung  finden  sich  zu  Stuttgart  3  Passionalia, 
zu  München  (die  heil.  Geschichte  von  Conrad  von  Scheyeru),  zu  Berlin  (die  Eneis  des  Heinrich 
von  Waldeck  1200,  das  Leben  Mariens  aus  Tegernsee  11S7),  zu  Heidelberg  (das  Rolandslied)  etc. 
So  wären  wir  bei  jenem  Zeitpunkte  angelangt,  wo  das  den  Gegenstand  unserer  Betiachtung 
bildende  Antiphonarium ,  in  dem  an  so  vielen  Kunstdenkmalen  des  Mittelalters  reichen  Stifte 
St.  Peter  zu  Salzbm-g  aufbewahrt,  entstanden  sein  mag. 


Stift  Sl  PETER  in  SALZBURG 


TAF.  1. 


Slift  St  PETER  in  SALZBURG 


TAF.II 


Stift  St. PETER  mSALZBURG 


TAF.III. 


AVoert  Cainesma  feo    1865 


:ift  St, PETER 
iSALZBURG 


TAF.IV. 


Ürucka  Gl  KLcUot-Ti  ÖtaatsctTiLckere''. 


.-,. Stift  Üt  PETER  in  SALZBURG 


t€¥^Yt¥v^;:^tV^V;,-¥^^y.-s^t^t'i^;:;^^^¥-w^ 


Wx  fMA*J.M*^^A.^^^ß^SM^.AlA^J,a;k!:.AMdM 


i'T.Lt  fTi  t    uetnieäji.T 


Stift  St  PETER  in  SALZBURG 


TAF.Vl. 


■:r._::;:j    l  r;  V.  Hüf-a  oxaats  dru-ckerr 


Stift  St  PETER  inSALlBURG.. 


TAF.VII. 


■khii  Ick  Hut -i  : 


ia*tsciTucKerei 


Siifi  St. PETER  In  SALZBURG 


TAF.VIll. 


Druck a  ä  klc.Hof-u  otaaU::clTu.ckerei 


AlteTi  Camesina  fec    1868 


;ift  St  PETER 
[SALZBURG 


LiZTAF.  IX. 


Trxicka  ä  K-tBol-ii.  Staatsdinckarei 


AVoeirt  Cauiesina  tec   iHi 


f4 


TAF.X. 


Stift  St. PETER  in  SALZBURG.. 


TAF.  XI. 


Dru-cka  d  klcEof-ii  Staats  drucke 


5iift  St. PETER  inSALZBURG 


TAF.XI 


AU.-, 


Stift  St. PETER  in  SALZBURG 


TAF.XI 


Stift  St. PETER  rnSALZBURG 


TAF.XIV. 


X' 


^■i    •><^ 


^\j^:mMmmmmmm 


mmmmmmmmmm^ ©  s 


^x 


mmmm^m^m^mm^mmmm^M 


u.  Staats  druclc&r  ei . 


1868 


Stift  St.PETER  in  SALZBURG. 


TAF.XV. 


Stift  St. PETER  in  SALZBURG.. 


TAF.XVI. 


Siift  St. PETER  In  SALZBURG.. 


TAF.XVII. 


»atsdriiCKerei. 


Siift  M  PETER  mSALZBURG 


TAF.  XVIII. 


Siift  5t  PETER  inSALZBURG 


TAF.  XIX. 


Bruclta  d  klcHof-u  Staa:;  iruckerei 


JlLbsTt  oamesiiiÄ  tec    libÜ  . 


Slift  St. PETER  fn  SALZBURG 


TAF.  XX 


SiiftSi. PETER  In  SALZBURG.. 


TAF.XXl. 


tavJ-It  ^<.L  u-C  Kcttii 


_Äi.t..er-    Larnesmc. 


Slift  St. PETER  in  SALZBURG.. 


TAF.XXII. 


E3 


e3|ap)a^I^iaiaiaic3iaiaic3iaic3iaiE:3iaiaiaia|a 


n 


c3iaiaiaiaiC3iaic]|QiG3|Ej|c]  gjIej  dies  e3  □  EiMfMa 


□ 


r:  Kof-\i  Staatsdrackeih , 


'..Äi-ii-i^^iifia    lec     i'OOO 


Siift  St. PETER  in  SALZBURG.. 


TAF. XXIII. 


i  otaai^arucric 


imesma  tec    löbß 


itift  Sl. PETER  in  SALZBURG. 


TAF.XXIV. 


irucka  ä  klc  n^ 


Sc.  K^dbcrcuf. 


.iieit  Caraesins 


STIFT  St.PETERin  SALZBURG        C>::; 


TA  F.  XXV 


m'^mmmmm^ 


PholhoUlhogr  n  Driic^v.OscW.igsl.Wien. 


STIFT  St  PETKRin  SALZBURG 


TA  F.  XXVI 


Das  Antiphon AinvM  rm  Stifte  St.  Peter  zu  Salzburg.  17d 

IL   Beschreibung. 

(Mit  20  Tafeln  und  1   Holzschnitt.) 

Das  in  Rede  stehende  Antiplionarium,  jedenfalls  der  kostbarste  Codex  unter  jenen,  die  sich 
in  dem  an  derlei  werthvollcn  Schriftdenknialen  des  Mittelalters  reichen  Stifte  St.  Peter  in  Salzburg, 
dessen  Kunstdenkmale  schon  wiederholt  diesen  Blättern  Anlass  zu  Besprechungen  gaben,  befin- 
den, enthält  zuerst  die  sogenannte  Brevier- Antiphone  und  sodann  in  seiner  grösseren  Hälfte  die 
Mess-Antiphone  und  zwischen  beiden  auf  14  Seiten  das  Kalendarium.  Das  Format  des  Codex  ist 
Klein-Folio,' und  umfasst  423  Pergament -Blätter,  die  im  XVI.  oder  XVII.  Jahrhundert  paginirt 
worden  sein  mögen'. 

Der  ganze  Codex  ist  in  lateinischer,  ziemlich  grosser  und  stehender  Schrift  geschrieben, 
dieselbe  zeigt  einfache  Buchstaben  mit  festem  Zvige,  ist  fleissig  und  klar  ausgeführt  itnd  leicht 
lesbar.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  sich  vier  Schreiber  mit  dem  Codex  beschäftigten,  indem  von 
Seite  467  an  die  Schrift  etwas  kleiner  und  zarter  wird  und  überhaupt  einen  etwas  anderen  Charakter 
bekommt;  mit  Seite  473  kehrt  die  erste  Schrift  wieder  zurück;  789  tritt  Avieder  der  zweite  Schrift- 
charakter ein,  der  Seite  810  einem  dritten  weicht,  welcher  nun  bis  zu  Ende  bleibt.  Die  kleinen 
Buchstaben  wurden  alle  in  schwarzer  Farbe  geschrieben,  nur  die  g-ewöhnlichen  Initialen  sind 
grösstentheils  roth,  selten  schwarz,  noch  seltener  blau.  Auf  jeder  Seite  sind  beiläufig  18  bis 
24  Zeilen  geschrieben,  und  zwischen  den  Zeilen  sieht  man  die  alten  Choralnoten,  mn  den 
Schrifttext  singend  vortragen  zu  können.  Aus  der  Hand  eines  vierten  Schreibers  mag  das  Kalen- 
darium stammen. 

Den  Hauptschmuck  des  Codex  bildet  seine  reiche  Ausstattung  durch  Illustrationen,  diesel- 
ben sind  von  zweierlei  Art,  nämlich  eigenthümliche  auf  den  Inhalt  des  Buches  bezügliche  Bilder 
und  viele  Initialen.  Die  ersteren  so  wie  auch  die  letzteren  sind  in  doppelter  Weise  ausgeführt, 
nämlich  entweder  bloss  mit  der  Feder  gezeiclmete  schwarze  und  rotlie  Linien  als  Contouren  der 
unbemalten  Figuren  auf  gemaltem  Grunde,  oder  mit  Deckfarben  und  Gold  auf  farbigem  oder  Gold- 
Grunde,  welche  beide  Malerei-Arten  wir  schon  in  unserer  Einleitung  kurz  berührten.  Die  Gemälde 
mögen  höchstens  drei  verschiedenen  Malern  angehören,  da  die  Blätter  mit  Deckmalerei,  so  wie 
jene  in  der  Contouren-Malerei  und  die  farbenreiche  Ausstattung  des  Kalendariums  einigermassen 
verschiedene  Charaktere  in  Farbenführung  mid  Zeichnung  zeigen. 

Die  eine  Art  der  Initialen- Bemalung,  nämlich  die,  bei  welcher  der  Buchstabe  nur  durch 
farbige  Anfangslinien  dargestellt  wird,  ist  die  am  meisten  angewendete,  und  dürften  sich  so  aus- 
gestattete Anfangsbuchstaben  über  300  im  Codex  vorfinden.  Sie  sind  von  sehr  verschiedener  Grösse; 
während  die  einen  bisweilen  fast  die  ganze  Blattseite  bedecken,  sind  die  anderen  nur  unerheblich 
grösser  als  die  Anfanofsbuchstaben  der  gewölmlich  im  Codex  angewendeten  Scin-ift.  Die  meisten 
der  Initialien  dieser  Art  werden  aus  ungleich  breiten,  mit  ungemeiner  Zierlichkeit  und  Leichtigkeit 
geschwungenen  und  sich  verästenden  unbemalten  und  nur  von  rothen  Linien  eingeränderten  Bändern 
gebildet,  denen  als  Verzierung  der  Intervalle  dreilappige  bunte  Blätter  beigegeben  sind.  Mitunter 
sind  sie  auch  mit  Darstellungen  von  wirklichen  oder  idealisirten  Thieren  geziert,  die  sich  alsdann 
in  den  phantasiereichsten  Verschlingungen  mit  dem  Gcäste  des  Buchstabens  verbinden.  Am  öftesten 
verwendete  der  Maler  Vögelfiguren,  indem  er  sehr  häufig  Geier,  Tauben,  oder  gar  vogelähnliche 
mit  einem  langen  Rollschweife  verseliene  Drachen,   und  zwar  nicht  bloss  in  einfacher,   sondern 

'  Die  Pag-ininmg  ist  tlieilweise   unrichtig,   indem  die  .Seiten  55 — 59  und  77  fehlen ,    ohne  dass  dieser  Fehler  durch    das 
ganze  Werk  ginge,  denn  mit  pag.  185  beginnt  die  richtige  Paginirung. 

XIV.  25 


1  (  4  Dr.   Kakl  Lind. 

auch  bi?  in  tiiiiftachtr  Zahl  dvn  BiK-hstalKU  unter  den  wundt-rliehsten  Gnippiruno^en  und  Mündunircn, 
mitunter  auch  einander  bekäuiptend,  beifügte.  Dahingehört  (Fig.  1.  Tat.  X.WTj  die  Initiak-  V  auf 
Seite  632  des  Codex,  die  uns  zwei  mit  den  Schweifen  in  einander  versclilungene  und  mit  den  Köpfen 
von  einander  abgewendete  Drachen  zeigt,  ferner  Initiale  J.  auf  Seite  2Ui  (Fig.  2  derselben  Tafel), 
wu  die  beiden  Drachen  mit  einander  um  einen  Zweig  zu  kämpfen  scheinen.  Doch  finden  wir  auch 
Buchstaben,  die  mit  Löwen,  Bären,  Hunden,  Hasen,  Fuchsen  ausgestattet  sind.  Meistens  erscheinen 
diese  Thicre  in  ruhiger  oder  schreitender  Stellung,  wie  in  der  Initiale  A  von  Seite  84  (siehe  Fig.  3 
derselben  Tafelj,  bisweilen  auch  einander  bedrohend  oder  gar  käm})fend  ,  wie  die  Initiale  S  von 
Seite  539  ("Fig  4  derselben  Tafel)  zeigt,  wo  Bär  und  Drache  auf  einander  grimmig  losgehen. 

Schliesslich  geben  wir  noch  zwei  Beispiele  von  einfachen  Initialen,  die  sich  durch  den  ge- 
schmackvollen Rithmus  in  der  Bandverschliugung  auszeichnen.  Es  ist  dies  (Fig.  5  dieser  Tafel) 
die  Initiale  J  und  (Fig  6)  die  Initiale  0  von  Seite  46,  wovon  die  erste  in  der  architektonischen 
Anordnung  ihrer  Linien  fast  ausschliesslich  massgebend  ist  für  ähnliche  Buchstaben,  so  wie  auch 
die  zweite  nach  den  Fensterrosetten  für  die  Buchstal)en  C.  D.  E  und  G  die  Grundlaae  bildet.  Wie 
schon  erwähnt,  wird  jeder  grosse  Buchstabe  sammt  den  ornamentalen  Zuthaten  durch  rothe  zarte 
Umfassungslinien  gebildet,  die  an  einigen  wenigen  Stellen  etwas  kräftiger  werden.  Den  Grund  des 
Buchstabens  bildet  in  der  Überzahl  blaue  Deckfarbe  mit  eing-emengteu  grünen  Stellen,  doch 
kommen  einige  wenige  Initialen  wie  auch  Gemälde  vor,  die  keinen  gemalten  Hintergrund  haben. 

Von  den  in  Deckfarben  ausgeführten  Initialen  werden  wir  bei  Gelegenheit  der  Beschrei- 
bung der  Gemälde,  mit  denen  dieser  Codex  so  reich  ausgestattet  ist,  sprechen. 

Wie  bereits  bemerkt,  zeigen  die  Gemälde  eine  doppelte  Art  in  der  Behandlung  der  Malerei. 
Ein  Theil .  und  zwar  der  bei  weitem  geringere  (sechs  theils  einfache,  theils  Doppelbilder  und 
zehn  Initialen)  ist  mit  Deckfarben  auf  Goldgrund  ausgeführt,  der  andere  und  zahlreichere  Theil 
(15  Bilder)  zeigt  uns  die  Figuren  in  Contouren  durch  Linien  ausgeführt  auf  farbigem  Unter- 
grunde. Für  die  Contourlinien  ist  immer  Schwarz,  niu-  bei  Gewändern,  Waffen,  Sceptern.  Kronen 
und  derlei  Zuthaten  Roth  verwendet.  Der  Giund  des  allemal  viereckigen,  mehr  breiten  als  hohen 
Bildes  ist  gewöhnlich  im  Mittelvierecke  blau  und  gegen  den  äusseren  Rahmen  hin  grün.  Doch 
kommen  davon  auch  in  so  ferne  Ausnahmen  vor,  als  die  Vertheilung  dieser  beiden  Farben  am 
Hintergrunde  in  Entsprechung  gewisser  Darstellungen,  wie  Thore,  Mandorlen  u.  s.  w.  geord- 
net wiu'de.  Alle  Bilder,  sie  mögen  mit  Deckfarben  geraalt  oder  nur  in  Linien  ausgeführt  sein, 
haben  eine  schmale  Umrahmung- .  die  die  verschiedenartigsten  Zeichnungen  zeigt;  man  kann 
sagen,  es  stehe  keine  der  anderen  an  Zierlichkeit  und  Geschmack  nach.  Die  Bilder  selbst  sind  bis- 
iveilen  einzeln  angel)raclit  und  nehmen  dann  nur  beiläufig  die  halbe  Seite  ein,  bisweilen  sind  zwei 
unter  einander  gestellt,  haben  aber  gemeinschaftlichen  Rahmen,  und  füllen  dann  eine  Seite  aus. 

Wir  wollen  nun  den  Codex  von  Anfang  an  durchgehen,  und  die  einzelnen  Bilder,  so  wie 
auch  die  grösseren  Initialen  einer  aufmerksamen  Betrachtung  unterziehen  und  den  \  ersuch  machen, 
sie  zu  erklären. 

Seite  3.  Hier  finden  wir  die  Initiale  J;  sie  ist  in  Contouren  ohne  Untergrund  ausgeführt.  Zu 
oberst  des  Buclistabens  sehen  wir  in  einem  auf  die  Spitze  gestellten  Vierecke  das  Brustbild  des 
segnenden  Heilands,  im  langen  Mittelstücke  des  Buchstabens  zwei  Engel  mit  Lanzen  einen  zu 
ihren  Füssen  liegenden  Drachen  bekämpfend,  nach  aussen  auf  jeder  Seite  einen  Löwen.  Den  unte- 
ren Abschluss  des  Buchstabens  bildet  in  einem  ebenfalls  auf  die  Spitze  gestellten  viereckigen  Rah- 
men das  Bildniss  des  Täufers  Christi. 

Seite  9.  Initiale  .P,  dargestellt  durch  die  Figur  eines  Propheten,  die  Zeichnung  nur  in  den 
Umrisslinien,  theils  schwarz  und  blau  in  der  Figur,  theils  roth  und  lichtblau  an  dem  Obcrkleide. 
-  Die  Initialen  sind  den,  nacli  dem  Originale  durch  Petzolt  ausgeführten  Zeichnungen  nachgebildet. 


Ein  Antiphonarium  im   Stifte  St.  Peter  zu  Salzburg. 


175 


Seite  155.  Mit  dieser  Pagiiia  beginnt  das  Kalendariuni.  Dasselbe  ist  besonders  schön  und 
mit  Vorliebe  durch  Malereien  ausgestattet.  Die  Gemälde  sind  in  Deckfarben  ausgeführt,  reich 
vergoldet,  und  zeigen,  gleichwie  die  hier  vorkommende  Schrift,  einen  ganz  anderen  Charakter, 
als  der  im  übrigen  Buche  vorherrschende  ist.  Den  Kopf  jedes  Blattes  schmückt  eine  romanische 
dreitheilige  Arcatur  mit  dazwischen  eingesetzten  phantastischen  Blumen  auf  grünlichem  Grunde. 
Unter  dem  ersten  Bogen  betindet  sich  eine  Initiale  von  Gold  mit  rothen  Linien  eingerahmt  auf 
dunkelblauem  Grunde,  unter  dem  zweiten  und  dritten  je  eine  Heiligengestalt,  meistens  ohne  Attri- 
but, doch  fehlt  nirgends  der  beigelegte  Name. 

So  sehen  wir  für  Jänner:  St.  Agnes  virgo  und  Paulus  apostulus,  für  Februar:  Maria  virgo 
(Fig.  1)  und  St.  Mathias,  für  März:  St.  Gregor  und  Benedict,  für  April:  St.  Marcus  und  St.  Georg, 
(dargestelltals  Jüngling  mit  einer  Kerze),  für  Mai:  St.  Philipp  und  Jacobus,  für  Juni:  den  Apostel 
St.  Peter  und  Johannes  den  Täufer,  für  Juli :  Maria  Magdalena  und  Jacobus,  für  August:  St.  Lau- 
renz imd  Bartholomäus,  für  September:  St.  Matthäus  und  Rupertus,  für  October:  St.  Dionysius 
und  St.  Amandus,  für  November:  St.  Martin  und  Andreas  imd  für  December:  St.  Thomas  und 
Johannes.  Ferner  ist  jedem  Monat  in  einem  Medaillon  das  Bild  des  demselben  entsprechenden 
Zeichens  des  Thierkreises  auf  blauem  oder  grünem  Grunde  in  bunter  Zeichnung  beigegeben.  Bei 
jedem  Monat  sind  fromme  Sprüche,  die  Anzahl  der  Tage,  die  Tag-  und  Nachtlänge,  Notizen  über 
Witterung,  die  Reihe  der  kirchlichen  Festtage  und  die  Festtage  einzelner  Heiligen,  besonders  der 
auf  den  Benetictiner-Orden  sich  beziehenden,  beigesetzt^. 

Nach  den  zwölf  Monatstabellen  folgt  ein  Blatt  mit  der  Berechnung  des  Zeiteintrittes  des 
Osterfestes,  als  der  Basis  der  beweglichen  Festtage,  ausgerechnet  zuerst  für  das  Jahr  luü-i,  dann 
1092  u.  s.  f.  bis  1867;  den  Schluss  des  Kalendariums  macht,  der  früheren  Tabelle  als  Ergänzung 
dienend,  eine  Tafel  mit  der  Zusammenstellung  und  Berechnung  der  beweglichen  Festtage  des 
Jahres.  Die  zierliche  Ausstattung  dieses  Blattes  können  wir  nicht  unerwähnt  lassen;  denn  die 
reich  geschmückten  Rundbogen,  unter  denen  die  fünf  Rubriken  eingetheilt  sind,  kann  man  als 
ganz  geschmackvolle  architektonische  Zeichnungen  hervorheben. 

3  Im  Monat  März  finden  wir  auf  den  2:j.  das  Fest  der  Auferstehung  eingetragen,  jenes  Fest,  das,  nun  nicht  mehr  üblich, 
ohne  Rücksicht  auf  die  Ostern  gefeiert  und  zu  den  unbeweglichen  Festtagen  gerechnet  wurde. 

25* 


*"*'  Dr.   Kakl   Lind. 

•Seile  166.  Hier  befindet  ..ich  das  Dedicatiousblart  des  Codex,  leider  nur  ein  Bild  und 
keine  die  Zeit  der  Antertigung  näher  bezeiclmendea  Worte  dabei.  Innerhalb  eines  bunten  Rahmens 
sind  zwei  herrliche  Darstellungen  auf  Goldgrund  in  Deckfarben  angebracht:  die  obere  zeiot  in  der 
Mitte  auf  einem  reichgeschmückten  Stuhle  sitzend  den  heil.  Petrus  in  bischöflicher  Klei.Uing  nn 
Haupte  die  niedrige  M.tia  mit  doppelter  Aurifrisia.  mit  dem  Pallium  beklei<:let,  in  der  Linken  ein 
kostbar  gebundenes  Buch  und  h.  der  Rechten  den  Schlüssel  haltend;  die  Glocken-Casula  ist  von 
rüthhcher  Farbe., die  Dalmatica  grünlich,  das  Unterkleid  weiss  und  die  Fussbeo-k-ituno-  röthlich 
In  gleicher  V.  eise  sind  die  beiden  an  der  Seife  des  heil.  Petrus  stehenden  Bischöfe"  vielleicht 
b.  Rupert  und  S.  Woltk^nigj  behandelt,  nur  tragen  sie  einfache  Krummstäbe  und  ii.re  Mitra  ziert 
bloss  eine  emfache  Aurifrisia.  Auch  sie  tragen  das  Pallium  und  gleiche  bläuliche  roth  oemusterte 
Caseln  über  hellrothen  Dalmatiken.  "^ 

Unter  dieser  Haupt-Gruppe  sieht  man  eine  zweite,  die  aber  aus  bei  weitem  kleineren  Fiouren 
gebildet  ist.  Sie  stellt  die  Widmung  des  Antiphonars  an  den  Patron  der  Abtei  den  heil  Petrus 
dm-ch  den  Klosterabt  vor.  Derselbe  kniet,  das  Antlitz  gegen  St.  Peter  gewendet,  stützt  sich  mit  der 
linken  Hand  auf  einen  eint\ichen  Krummstab,  während  er  in  der  rechten  den  umfanoreichen  Codex 
mit  reichem  Einbände  und  mittelst  zweier  Schliessen  geschlossen  empoi  hält.  Der  Abt  uäo-t  die  «-rosse 
Tonsur  und  ist  über  dem  Ordeiiskleide  mit  einer  rothen  Casel  bekleidet.  An  der  Seltne  des  Abtes 
sehen  wir  in  sehr  bewegter  Stellung  zwei  mit  grünen  Gewändern  angethane  Diakonen  stehen. 

>eite  167.  Ganz  interessant  ist  hier  die  sehr  grosse  Initiale  A.  Innerhalb  eines  viereckio-en 
oben  rundbogig  ausbrechenden  und  mit  roth  und  blauem  abwechselnden  Blattmuster  o-ezierten 
Rahmens  stellt  sich  uns  auf  lichtblauem,  theilweise  grünem  Grunde  der  aus  herrlichen  Verschlin- 
gungen eines  Goldbandes  sich  bildende  Buchstabe  dar,  dessen  kleine  Blattäste  nur  stark  roth  geran- 
det,  weiss  geblieben  sind  und  mit  grossen  bunten  (blau,  roth  und  gelbe)  Blumen  endio-en  Zu  unterst 
des  Buchstabens  stehen  zwei  Tauben,  deren  Körper  gelb,  Kupf  und  Flügel  weiss?  In  der  Mitte 
des  Buchstabens  ist  sitzend  der  heil.  Gregorius  dargestellt;  er  schreibt  in  einem  offenen  Buche 
und  eine  nimbirte  Taube  fliegt  ihm  am  Ohre.  Eine  Darstellung,  entsprechend  der  Leo-ende  der 
zufolge  ihn  der  heil.  Geist  bei  Verfassung  seiner  kirchlichen  Schriften  belehrte.  Der  Heilicre  ist 
nimbirt.  trägt  eine  niedrige  weisse  Mitra  mit  breiter  Aurifrisia,  weisses  Unterkleid,  darüber  eine 
grüne  goldverbrämte  Dalmatica.  rothe  geschlossene  Casel  und  endlich  das  Pallium.  Der  äus- 
sere Rand  des  Bildfeldes  ist  pm-purtaibig  bemalt,  doch  hat  die  Farbe  kein  Leben  und  ist  zu 
viel  bläulich*,  oben  in  den  Ecken  des  Buchstabens  sehen  wir  den  harfenspieleuden  David  und  eine 
andere  ebenfalls  nimbirte  Figur  eine  Stange  mit  Glöcklein  tragend  und  darauf  mit  einem  Stäbchen 
schlagend.^  Au  der  Seite  rechts  sieht  man  die  Buchstaben  D  und  TE  (verschlungen^  und  unten 
L  E  \  AVI  (ad  te  levavi)  kleingeschrieben  und  bunt  ausgestattet. 

Seite  182.  Die  Geburt  Christi  (Taf.  V)  \  Wir  sehen  hier  drei  Vorstellungen  auf  einem 
mit  buntem  Ralmien  eingefassten  Bilde,  dessen  Grund  goldfarbig  ist.  In  der  Mitte  liegt  die  Mutter 
Gottes  auf  einem  mit  einer  blau  gemusterten  gelblichen  Decke  belegten  Bette,  das  auf  einem  wie  im 
Rundbogen  gespannten  Teppich  steht.  Die  heil.  Maria  trägt  ein  blaues  Unter-  und  ein  rothes  Über- 
kleid.  Ihr  zu  Häupten  sitzt  sinnend  der  heil.  Joseph.  An  der  linken  Seite  des  Bettes  der  Gottes- 
gebärerin  steht  auf  einer  mauerarfigen.  von  drei  grossen  Rundbögen  durchbrochenen  Unterlaoe 
das  Bettchen,  in  dem  das  gefaschte  Jesukindleiii  liegt,  dabei  der  Ochs  und  Esel,  in  dasselbe 
hineinblickend. 

'  Eine  Nachahmung  der  berühmten  Purpur-Codices  der  Wiener  Hoftibliothek.  und  an  anderen  Orten 

mit  be,.nL'""i-^""7"-''r'V'  ''"'^'"'  f '''»'^""=«"  ^•''^''^'-  Bilder  und  einer  Initiale  des  Antiphonariums  enthaltend,  wurden 
m.t  besonderer  künstlerischer  Treue  dem  Originale  durch   Albert  Ritter  von  Camesina   nachgebildet.   Camesina   w.r  der 

er  auf  ;!l/7    /i"  .     '  ?'^'!^  erkennend,  die  öffentliche  Aufmerksamkeit  in  Wien  auf  denselben  lenkte  und  bewirkte,  dass 
er  auf  einige  Zeit  hieber  gebracht  wurde. 


Ein  Antiphonarivm  im  Stifte  St.  Peter  zu  Salzburg.  W  < 

Der  obere  Rand  des  Bilde.s  ist  mit  Wolken  bedeckt,  ans  denen  zwei  Enoel  lierabschwebeu, 
den  zn  Füssen  des  Kindes  stehenden  beiden  Hirten,  die  eine  Heerde  von  Lämmern  und  Ziegen 
bewachen,  die  Geburt  des  Heilandes  verkündend;  der  eine  Hirt  trägt  einen  Mantel  von  Schaf- 
pelz, aber  grUnfarIjig.  Endlich  befindet  sich  in  einem  durch  Wolken  gebildeten  Rundbogen  zu 
Unterst  die  dritte  Vorstellung,  nämlich  das  Christkindlein  (nackt  und  segnend),  wie  es  eben  in 
eine  Badeschale  gesetzt  wird.  Eine  weibHche  Person  hält  das  Kind,  die  andere  giesst  Wasser  zu 
aus  einem  Kruge ^  Das  ganze  Bild  ist  mit  Deckfarbe  gemalt,  die  Markirungen  und  Schattirun- 
gen  sind  entweder  durch  weisse  oder  schwarze  Linien  bezeichnet. 

Seite  184.  Initiale  P  (puer  natus  et  nobilis)  innerhalb  eines  grossen  viereckigen  Rahmens 
aus  bandartigen  goldfarbigen  Windungen  gebildet  und  geschmückt  mit  stylisirten  Blättern  in  sehr 
geschmackvoller  Weise.  Der  Grund  des  mit  Deckfarben  bemalten  Blattes  purpurfarbig  und  tlieil- 
weise  lichter  geschacht",  der  Grund  des  Buchstabens  selbst  blau  und  grün. 

Seite  180.  Die  Steinigung  des  heil.  Stephan.  Der  Heilige,  bekleidet  mit  dem  Leviten- 
kleide, kniet,  die  Arme  mit  Ergebung  ausbreitend  und  wird  von  einem  linksstehenden  Volks- 
haufen  mit  Steinen  beworfen.  Das  Haupt  des  Märtyrers  ist  bereits  getroffen  und  Blut  entfiiesst 
der  klaffenden  Wunde.  Rückwärts  sieht  man  im  Regenbogen  den  segnenden  Heiland  im  Brust- 
bilde. Rechts  steht  eine  reichgekleidete  Person,  auf  dem  Haupte  eine  Spitzmütze,  und  ein  Krieo-er, 
wahrscheinlich  wird  damit  der  spätere  Apostel  Paulus  bezeichnet,  der  der  Legende  nach  bei 
der  Hinrichtung  St.  Stephans  zugegen  war.  Zunächst  dieser  Figur  liegen  am  Boden  einige  Klei- 
dungsstücke. Die  Figuren  dieses  Bildes,  das  nur  die  Hälfte  einer  Seite  einnimmt,  sind  bloss  in 
den  Contouren  mit  schwarz  und  rothen  Linien  dargestellt,  der  Grund  ist  in  der  Mitte  blau,  nach 
aussen  grün._ 

Seite  192.  Der  Tod  Johannis  des  Evangelisten.  Gemälde  in  Contouren,  auf  blauem 
und  grünem  Grunde,  die  halbe  Seite  ausfüllend.  Der  Legende  nach  soll  Apostel  Johannes  das 
Ende  seiner  Tage  gewusst  haben.  Er  ging  mit  etlichen  Priestern  vor  die  Stadt  Ephesus ,  leo'te 
sich  selbst  ins  Grab,  befahl  den  Priestern  dasselbe  nach  seinem  Tode  zuzuscharren  und  seinen 
Leib  ruhen  zu  lassen.  Dies  stellt  uns  das  Bild  vor.  Der  Heilige  liegt  als  Bischof  bekleidet  in 
einer  nicht  hohen  Tumbe  and  zwei  Engel  tragen  das  Seelchen  auf  einem  kostbaren  Tuche  in  den 
offenen  Himmel.  Um  den  Stein  stehen  mehrere  Personen.  Beim  Haupte  zwei  Priester,  deren  einer 
seine  Thränen  trocknet,  der  andere  in  einem  Buche  liest  und  den  Leichnam  aus  einem  thuri- 
bulum  beräuchert,  zwei  Priester  nebst  Volk  stehen  am  Fussende  der  Tumbe,  ein  Priester  träo-t  ein 
einfaches  rothgemaltes  Vortragekreuz,  der  andere  ein  Weihwasserbecken. 

Seite  192.  Der  K i n d e r m o r  d  zu  B  e  t h  1  e h e m ,  Zeichnung  in  Contouren  auf  blauem  und 
grünem  Grunde  (Taf.  VHI  oben).  An  der  rechten  Seite  des  Bildes  sitzt  Herodes  auf  einem  gepol- 
sterten Thronsitze,  die  Rechte  mit  befehlender  Geberde  erhoben,  in  der  Linken  einen  Lilien- 
scepter  haltend,  auf  dem  Haupte  eine  Zackenkrone.  Der  König  trägt  ein  langes  Unterkleid,  ein 
Überkleid  mit  breitem  und  reichem  Besätze,  der  Mantel  ist  auf  der  rechten  Schulter  mittelst  eines 
Knopfes  festgehalten.  Hinter  ihm  ein  Knappe ,  auf  dem  Haupte  ein  Basinet  mit  vorwärts  geboge- 
ner Spitze,  das  mit  ([em  Tragbande  umwundene  Schwert  haltend.  Die  Mitte  und  linke  Seite  des 
Bildes  füllt  die  eigentliche  Darstellung  des  Kindermordes  aus.  Wir  sehen  einen  Krieger  ein  Kind 
mit  dem  Schwerte,  einen  zweiten  ein  anderes  Kind  mit  der  Lanze  durchbohrend;  hier  eine 
von  Schmerz  überwältigte  Mutter  zu  Boden  gestürzt  und  den  Verlust  ihres  Kindes  bejammernd, 
dort  ein  Weib,  die  ihr  Kind  zu  retten  sucht  und  ihm  zur  Vermeidung  des  aufmerksam  machenden 
Lärmens  den  Mund  mit  der  Hand  verhallt.  Am  Boden  sieht  man  abgeschlagene  Köpfe,  Kindes- 
Leichen  und  sterbende  Kinder. 

«  Die  gleiche  Vorstellung  findet  sieh  auf  den  Bronzethüren  zu  St.  Paul  extra  muros  in  Rom. 


17b  Dr.   Karl  Lind. 

Seite  iyj>.  Ein  Üujjpelbild  mit  Deckfarben  aut'  Güldp-iiiul  <i-enialt  inuerlialb  eines  pracht- 
vollen Rahmens.  Oben:  Die  Anbetung  durch  die  heil,  drei  Könige.  (Tafel  VI.) 

Unter  einem  an  ein  mehrstöckiges  Haus  angebauten  und  vun  romanischen  Säulen  gestütz- 
ten Rundbogen  sitzt  in  dreiviertel  Wendung  gegen  links  auf  einer  mit  leichem  blauen  Stoffe  über- 
zogenen Sella  ohne  Lehne  die  Gottes-Mutter,  ganz  in  reichfaltiges  Gewand  (das  untere  blau,  das 
obere  roth)  gehüllt;  das  das  nimbirte  Haupt  bedeckende  und  auf  die  linke  Schulter  herabwallende 
rothe  Tuch  ist  mit  einem  kleinen  Kreuze  über  der  Stirne  geziert.  Maria  hält  mit  der  rechten  Hand 
das  auf  ihrem  Schoss  sitzende  Jesuskind.  Die  linke  Hand  ist  geöffnet  nach  vorn  gewendet.  Das 
Jesuskind  mit  dem  Kreuznimbus  geschmückt,  hält  mit  der  linken  Hand  die  rechte  seiner  Mutter, 
die  rechte  ist  mit  segnender  Geberde  erhoben.  Die  Könige  (ohne  Nimbus),  welclie  in  flaclien 
Schalen  ihre  Geschenke  tragen,  sind  so  gruppirt,  dass  einer  vorne  kniet,  und  die  beiden  anderen 
in  vorgebeugter  Stellung  ihm  zur  rechten  stehen.  Der  erste  ist  alt,  reicligekleidet,  der  zweite 
jünger  mit  wenig  Bart,  beide  tragen  mit  einem  Reif  besetzte  spitze  Mützen,  der  dritte  ist  jung, 
bartlos,  seine  Krone  ist  der  römischen  Mauerkrone  älmlich.  Die  in  neuerer  Zeit  übliche  Darstel- 
lung des  dritten  Königs  als  Mohren  konnnt  hier  noch  nicht  vor.  Die  Kleidung  von  allen  dreien 
ist  gleichartig,  aber  nicht  gleich  kostbar,  am  reichsten  jene  des  ersten;  die  Tuniken  kurz,  die 
Beinkleider  eng  anliegend,  ohne  besondere  Schuhe,  die  Mäntel  bunt  und  ebenfalls  kurz,  etwas 
fliegend  und  mit  Spangen  über  die  Schulter  festgehalten. 

Das  untere  Bild  zeigt  uns  die  Taufe  Christi.  Fast  in  der  Mitte  des  Bildes  (Tafel  VI)  steht 
Christus  ganz  entblösst  im  Wasser,  etwas  gegen  links  gewendet,  den  linken  Arm  abwärts  gericli- 
tet,  die  rechte  Hand  etwas  erhoben.  Rechts  neben  Christus  steht  Johannes  mit  einem  bis  unter 
die  Knie  reichenden  regenbogenfarbigen  Felle  bekleidet  und  das  Haupt  Christi  mit  den  Fingern 
der  rechten  Hand  berührend.  Das  Wasser  des  Jordans  thürmt  sicli  um  Christum,  bis  zu  seinen 
Schultern  in  leichten  Wellen  den  ganzen  Köi-per  einhüllend,  empor.  In  den  Fluthen  spielen 
Delphine.  Über  dem  Haupte  Christi  schwebt  der  heil.  Geist  in  Taubengestalt  herab,  aus  dem 
Schnabel  erreichen  Strahlen  das  Haupt  Christi.  An  der  linken  Seite  sieht  mau  in  halber  Figur 
einen  Engel,  das  zum  Abtrocknen  des  Heilands  bestimmte  Tuch  haltend.  Christus,  Johannes  und 
die  Engel  sind  nimbirt.  Der  Nimbus  des  heil.  Geistes  ist  roth.  Am  rechten  Ufer  steht  eine  Gruppe 
von  Menschen. 

Seite  199.  Initiale  E  (cce)  mit  Deckfarben,  der  Buchstabe  selbst  golden,  auf  blau  und 
»■rünem  Grunde. 

Seite  212.  Darstellung  der  Aufopferung  Christi  im  Tempel,  gemalt  mit  Deck- 
farben auf  Goldgrund.  Das  Bild  nimmt  das  untere  Drittheil  einer  Seite  ein.  Unter  einem  Rund- 
bogen, der  von  zwei  Säulen  getragen  wird,  steht  auf  einer  Art  Mensa  das  Christkindlein  mit 
rothem  Untergewande  und  grünem  Obergewande  bekleidet,  gehalten  von  seiner  j\Iutter  und  die 
Hand  gegen  den  greisen  Simeon  erhebend,  der  auf  dasselbe  zutritt.  Hinter  diesem  eine  Frau, 
hinter  Marien  der  heil.  Joseph,  zwei  Tauben  in  einem  Tuche  tragend. 

Seite  213.  Initiale  S  (uscepimus)  in  der  gewöhnliclien,  prächtigen  Weise'  ausgeführt,  wie 
das  schon  erwähnte  A.  Nur  schmücken  diesen  Buclistaben  mehr  lumte  Blumen  und  zwei  adler- 
ähnliche Thiere. 

Seite  220.  Verkündigung  Mariens.  (Taf.  III.  oben).  Maria,  innerhalb  eines  romanischen 
Bogens  und  auf  dem  Fussbrette  eines  neben  ihr  befindlichen  gepolsterten  Stuhles  stehend,  und 
die  Hände  halb  erhoben,  erhält  die  himmlische  Botschaft,  die  ihr  der  Erzengel  bringt.  Maria  trägt 
ein  faltenreiches  Unterkleid,  an  den  Ärmeln  verbrämt,  auch  das  Oberkleid  mit  einer  Borte  geziert. 
Das  Kopftuch  reicht  bis  zur  Stirne  und  ist  daselbst  mit  einem  Kreuze  versehen  ,  das  Haupt  nim- 
birt.   Der  Gottesmutter  rechts    gegenüber  steht  der  nimbirte  Himmelsbote  mit  langem  Kleide 


Ein  ANTiniONARiuM  im  Stifte  St.  Peter  zu  Salzburg.  179 


aiig'ethau  ,  mit  der  rfclitcu  liaud  «egueud,  in  dw  liuiien  (.-iuen  langen  mit  Kieeblattbesatz  an  der 
Spitze  gezierten  Stal)  lialtend.  Die  Fiscuren  sind  nur  in  den  Umrissen  gezeichnet,  die  Linien  schwarz, 
an  den  Kküdern  rotii;  dir  Hintergrund  )»eini  Engel  ist  innerhalb  des  viereckigen  Rahmens  blau, 
ausserhalb  desselben  grün,  bei  Maria  ist  der  Fond  des  Bogen.s  blau,  das  übrige  grün. 

Seite  2ß4.  Initiale  L  (etare  Jerusalem)  Taf.  XXV.  DiQsell)e  ist  ganz  besonders  zierlich. 
Von  dem  dureh  eingesetzte  kleine  gelbliche  Quadrate  kreuzförmig  genuisterten  dunkelrothen 
Grunde  hebt  sich  der  in  den  zierlichsten  Windungen  ausgeführte  Buchstabe  auf  blauer  Unterlage 
klar  und  deutlich  ab.  Der  Buchstabe  ist  mit  verschiedenerlei  Gethier  (Adler,  Hase,  Bär,  Schlange 
etc.)  geziert,  das  sich  durch  seine  Verschlingungcn  durchwindet,  und  zu  oberst  sehen  wir  die 
sitzende  Gestalt  eines  Propheten  ". 

Sehe  .280.  Einzug  des  Herrn  in  Jerusalem.  (Taf.  XI.)  Der  Heiland  sitzt  segnend  und 
in  ungezwungener  Haltung  auf  einem  Esel,  hinter  ihm  zwei  nimbirte  männliche  Gestalten,  deren 
eine  ein  Buch  trägt.  Auf  der  linken  Seite  des  Bildes  eine  hohe  idealisirte  PHanze  (Palme),  darauf 
eine  Figur  einen  Zweig  herabreichend,  unten  kniet  ein  Jüngling  den  Mantel  ausbreitend,  ferner 
sieht  man  noch  vier  Figuren  gegen  den  Bildesrand  iiin,  den  ein'ziehenden  König  von  Jerusalem 
begrüssend.  Im  Hintergrunde  ein  Gebäude  mit  nach.  Art  eines  Thores  offenen  rundbogigen  Dop- 
pelbogen, in  welchen  Christus  liinein  zu  reiten  seheint.  Der  Fond  dieses  Bildes,  dessen  Figuren 
nur  in  den  Umrisslinien  gezeichnet  sind,  ist  grün,  nur  jener  innerhalb  des  Thores  blau. 

Seite  298.  Die  Fusswaschung.  (Taf.  X.  unten.)  Christus  kniet  mit  einem  Tuche  umgüi-- 
tet  vor  Petrus  und  zeigt  mit  der  einen  Hand  auf  dessen  rechten  Fuss,  der  in  einem  schalen- 
förmigen Gefäss  steht.  Petrus  von  der  Demuth  Christi  ergriffen,  erhebt  die  rechte  Hand  gegen  sein 
Haupt.  Die  übrigen  zehn  Apostel  sitzen  mit  Petrus  gemeinschaftlich  auf  einer  Bank  und  sind  im 
Halbkreise  gruppirt.  Ein  Theil  ist  eben  beschäftigt  sich  die  Sandalen  zu  lösen,  der  andere  Theil  ist 
im  Gespräche  begriffen.  Dieses  Bild  gehört  in  der  Zeichnung  zu  den  besten  des  Codex;  die  Köpfe 
haben  einen  besonderen  Ausdruck.  Die  Figuren  sind  in  Umrissen  g-ezeichnet,  der  Hintergrund 
ist  in  der  Mitte  lilau,  aussen  grün. 

Seite  308.  Die  Kreuzigung.  (Taf.  XIV.)  Christus  ist  bereits  am  Kreuze  verschieden, 
schon  klafft  die  Wunde  an  der  linken  Seite  und  das  mit  rothem  Kreuznimbus  gezierte  Haupt  ist 
auf  die  Schulter  gesunken.  Der  Heiland  ist  mit  einem  bis  zu  den  Knien  reichenden  Schamtuche 
bekleidet,  die  Füsse  sind  neben  einander  gestellt  und  jeder  Fuss  mit  einem  besonderen  Nagel 
angeheftet,  die  Arme  fast  horizontal  gestreckt.  Rechts  steht  zu  äusserst  Maria,  links  Johannes, 
am  Fusse  des  Kreuzes  rechts  eine  gekrönte,  nimbirte  und  reichgekleidete  Frauengestalt  in  einem 
Kelche  das  Blut  des  Heilandes  auffangend,  die  christliche  Kirche,  links  eine  verschleierte  Figur 
ein  Joch  haltend ,  das  für  die  Lehre  Christi  blinde  Judenthum  vorstellend.  Ober  dem  Kreuze 
seitwärts  Sonne  und  Mond,  darinnen  das  Brustbild  einer  männlichen  und  einer  weiblichen  Gestalt 
(Apollo  und  Diana).  Der  Hintergrund  des  Bildes  ist  l)lau,  an  der  äusseren  Parthie  grün,  die 
Figuren  sind  weiss  und  nur  mit  etlichen  farbigen  Linien  markirt. 

Seite  310.  Christus  betritt  die  Vorhölle.  (Taf.  XV.)  Christus,  in  der  linken  Hand 
eine  aus  langen  Stoffstreifen  gebildete,  flatternde  und  zweilappige  Fahne  haltend,  tritt  gegen  den 
offenen  Eingang  der  Vorhölle  hin  und  ergreift  mit  der  rechten  Hand  den  Adam,  hinter  welchem 
Eva  steht.  Oben  und  in  der  Ecke  schweben  über  Christus  zwei  Engel.  Die  eisenbeschlagenen 
Pfortenflügel  der  durch  ein  romanisches  Portal  versinnbildlichten  Vorhölle  stürzen  mit  lieraus- 
fallendem  Schlüssel  und  Schubriegel  zu  Boden  und  gestatten  einen  Blick  in  das  Innere.  Wir 
sehen   da,   wie  schon  erwähnt,  das  erste  Menschenpaar  nackt   aus    den   Flammen  heraustretend, 

7  Die  hier  beigegebene  Abbildung  musste  des  Fonnats  der  Mittheilungen  wegen,  gegenüber  dem  Originale   etwas  ver- 
kleinert werden. 


180  Dr.   Kaui.  Lim.. 

ferner  in  demselben  viele  Köpfe  und  zusammenkanernde  Gestalten  und  vorn  die  ijeknebelte  Fratze 
des  Teufels.  Der  Hintergrund  dieses  Bildes,  das  hinsichtlich  der  Fio^uren  gleich  dem  früheren  be- 
handelt ist,  ist  bei  Christus  blau  und  aussen  grün,  ebenso  innerhalb  des  geöffneten  HöUenthores. 

Seite  314.  Die  heil.  Frauen  beim  Grabe  Christi  und  Christus  in  Emaus.  r)iese 
beiden  Vorstellungen  betinden  sich  innerhalb  eines  gemeinschaftliolitn  Rahmens  uud  nimmt  das 
mit  Deckfarben  auf  Goldgrund  gemalte  liild  die  ganze  Seite  ein. 

Oben  sehen  wir  die  heiligen  Frauen  beim  Grabe  des  Herrn,  dasselbe  ist  offen  und  her  und 
Linnenstücke  hängen  aus  demselben  heraus.  Der  Deckel  lehnt  bei  Seite  und  auf  diui  Sarkophag 
sitzt  ein  weissgekleideter  Engel  (das  Übergewand  roth),  einen  Lilienscepter  haltend  in  einer  eine 
Ansprache  begleitenden  Geberde.  Die  vorderste  der  Fraueu  trägt  eine  runde  Büchse  und  ein 
Räucherfass.  Am  Grabe  liesren  schlafend  zwei  Krieger  o-auz  in  Panzerzeug-  onehüllt  mit  ofrossen 
Spitzschilden  und  konischen  Helmen,  deren  Spitze  etwas  nach  vorn  übergebogen. 

Das  untere  Bild  zeigt  uns  Christi  Begegnung  bei  Emaus.  Die  beiden  Jünger  treten  durch 
ein  offenes  Thor  und  weisen  auf  ein  gegenüber  stehendes  Haus.  Christus  trägt  ein  blaues  Unter- 
kleid, darüber  ein  rothes  Kleid  und  einen  rothen  Mantel.    Er  hat  keine  Wundenmale. 

Seite  315.  Die  Initiale  R  (esurexi)  gehört  zu  den  schönsten  Zeichnungen  im  ganzen  Codex; 
sie  ist  in  der  gewöhnliclien  Weise  ausgeführt,  nur  ist  der  Grund  ganz  eigenthümlich  behandelt, 
denn  er  zeigt  zierliche  Muster  viereckiger  Sternchen  aus  gelblich  und  rothen  Füllungen. 

Seite  33S.  Die  Auffindung  des  heil.  Kreuzes.  Es  ist  dies  ein  von  der  in  diesem  Codex 
herrschenden  Bemaluugsweise  ganz  abweichend  ausgeführtes  Bild.  Das  nach  griechischer  Weise 
mit  Suppedaneum  geformte  Kreuz  halten  die  heil.  Helena  und  Kaiser  Constantin  (nirabirt).  Auch 
in  der  Ausführung  macht  dieses  Bild  eine  Ausnahme,  indem  es  keinen  ferbigen  Hintergrund  hat, 
was  aber  schon  ursprünglich  so  beabsichtigt  gewesen  zu  sein  scheint,  da  die  Scluift  ualie  an 
die  Zeichnuns'  reiclit  und  keinen  Platz  für  einen  Fond  übrio"  lässt. 

Seite  343.  Die  Himmelfahrt  Christi.  (Taf.  XIX.)  Christus  steht  segnend  und  die  l-"aline 
haltend  in  einer  blau  und  gegen  aussen  grün  fondirten  Älandorla,  die  mit  iln-er  oberen  Spitze 
in  die  Wolken  reicht  und  von  vier  Engeingetragen  wird.  Unten  stehen  die  Apostel  (IX  Figuren) 
und  die  heil.  Maria  nach  oben  sehend,  die  Arme  voll  des  Erstaunens  dahin  LTlubend.  Die  Figu- 
ren sind  nur  in  den  Contouren  dargestellt,  der  Hintergrund  ist  blau,  gegen  aussen  grün. 

Seite  344.  Die  Initiale  V  und  die  übrigen  Buchstaben  der  Worte  viri  galilei,  aber  kleiner 
und  jeder  für  sich  allein,  in  Gold,  mit  farbigen  Blüthen  ausgeführt  auf  grün  und  blauem  Grunde. 
Diese  Worte  nehmen  die  halbe  Seite  ein. 

Seite  348.  Die  Ausgiessung  des  heil.  Geistes.  Grosses  Bild  in  Deckfarben  auf  Gold- 
grund gemalt.  Der  heil.  Geist  in  Gestalt  einer  weissen  Taube,  schwebt  lierab  auf  die  beisammen 
sitzenden  eilf  Apostel;  von  der  Taube  gehen  neun  feurige  Strahlen  herab  auf  die  Häupter  der 
Apostel,  woselbst  kleine  Flämmehen  leuchten.  Die  Apostel  sind  in  bunte  Kleider  gehüllt.  Petrus, 
als  Greis  dargestellt,  sitzt  in  der  Mitte,  ihm  zunächst  zwei  junge  Männer,  die  übrigen  sind  im 
kräftigen  Mannesalter  dargestellt.  Die  ganze  Handlung  geht  innerhalb  eines  grossen  Rundbogens 
und  zweier  dahinein  gebauten  kleineren  Rundbogen  vor,  und  stellt  diese  architektonische  Bei- 
gabe den  Saal  vor,  in  dem  jenes  grosse  Ereigniss  gescliali. 

Seite  349.  Die  Initiale  S  (piritus  domini)  ist  aus  goldfarbigen  Bändern  und  Astwerk  gebil- 
det; auf  der  unteren  Schlinge  sitzt  ein  Vogel;  die  übrigen  Buchstaben  sind  innerlialb  des  Rahmens 
auf  der  linken  Seite  unter  einander  geordnet.  Der  Grund  des  grossen  Buchstabens  ist  abwechselnd 
blau  und  grün,  der  Fond  für  ihn  und  für  die  übrigen  Buchstaben  purpurfarbig. 

Seite  3.'»9.  Die  Verkündigung  der  Geburt  Johannes.  (Taf.  III  untLii.)  In  der  Mitte 
des  Bildes  sieht  man  die  Bundeslade  mit  kostbarem    Stoffe  überdeckt  und  unter  einem  auf  vier 


Ein  Antiphonarium  im  Stifte  St.  Petee  in  Salzburg.  181 

Säulen  ruhenden  kuppeiförmigen  Gebäude  stehend.  Zacharias,  im  Begriffe  mittelst  eines  Thuri- 
bulums  die  Bundeslade  zu  beräuchern  ,  empfängt  die  himmlische  Botschaft  der  Geburt  seines 
Sohnes ,  die  ihm  durch  den  Engel  gebracht  wird.  Gegen  den  rechtseitigen  Rand  des  Bildes  sieht 
man  ein  Gebäude ,  oben  mit  einem  grossen  offenen  Rundbogen  und  eine  dahinfüln-ende  gedeckte 
Rampe.  Die  Figuren  sind  bloss  mit  einigen  farbigen  Linien  gezeichnet,  der  Hintergrund  ist  grün 
mit  drei  blauen  Feldern  für  den  Tempel  und  die  beiden  Figuren. 

Seite  3H1.  Zacharias  gibt  seinem  Sohne  den  Namen  Johannes.  (Taf.  IL)  In 
einer  aus  drei  Rundbogen  gebildeten  Arcade  sieht  man  vorn  rechts  Elisabeth  im  Bette.  Eine 
weibliche  Gestalt  trägt  in  Mitten  des  Bildes  das  mit  Linnen  bekleidete  nimbirte  Kind,  dem 
gegenüber  Zacharias  steht,  mittelst  eines  Griffels  auf  einer  Tafel,  die  er  in  der  linken  Hand 
hält,  den  Namen  schreibend.  Zunächst  des  Bettes  sieht  man  noch  zwei  Figuren,  eine  jugendlich 
männliche  unbedeckten  Haiiptes  und  eine  männliche  mit  dem  üblichen  Spitzhute.  Der  Hinter- 
grund des  Bildes  ist  blau,  gegen  aussen  grün,  die  Figuren  sind  bloss  in  farbigen  Umrissen 
dargestellt. 

Seite  366.  Der  Martertod  des  heil.  Petrus.  Gemälde  mit  Deckfarben,  ausgeführt  auf 
Goldgrund,  eine  halbe  Blattseite  einnehmend.  In  der  Mitte  der  h.  Petrus  an  das  umgestürtzte  Kreuz 
geschlagen;  er  ist  mit  Ausnahme  der  Füsse  ganz  bekleidet,  die  linke  Hand  ist  bereits  angenagelt, 
mit  dem  Annageln  der  rechten  beschäftigt  sich  so  eben  ein  Krieger,  neben  demselben  stehen  noch 
zwei  Personen,  die  jedoch  vom  Bildrahmen  grösstentheils  gedeckt  sind.  Ein  Mann  steht  auf  einer 
an  das  Kreuz  gelehnten  Leiter  und  schlägt  die  Nägel  durch  die  neben  einander  gestellten  Füsse 
des  Heiligen.  Rechts  des  Bildes  sitzt  der  König  in  reicher  Kleidung,  einen  schlüsseiförmigen 
Scepter  haltend,  vor  ihm  steht  ein  Jüngling  unbedeckten  Hauptes  ein  Schwert  tragend. 

Seite  368.  Tod  des  heil.  Paulus.  (Taf  XXIII.)  Wir  sehen  auf  einem  Bilde  zwei  Scenen. 
Auf  der  rechten  Bildseite  ist  dargestellt,  wie  die  Schülerin  Plautilla  des  Apostels  Paulus  aus  dem 
Hause  heraustritt  und  dem  Apostel  ihren  Schleier  gibt,  damit  er  sich  vor  der  Entliauptung  die 
Augen  verbinde.  Zur  linken  sieht  man,  wie  der  eifrige  Bekenn  er  der  Lehre  Christi,  dem  die 
Augen  verbvmden  sind,  bereits  vom  tödtlichen  Streiche  im  Halse  getroffen  zusammenfällt. 
Hinter  ihm  steht  der  jugendliche  Henker  das  Schwert  schwingend  und  eine  Gruppe  Volkes.  Das 
Bild  hat  theils  blauen,  theils  grünen  Hintergrund ,  die  Figuren  sind  bloss  durch  Umriss-Linien 
dargestellt. 

Seite  376.  Der  Martertod  des  heil.  Laurenz.  Derselbe  lieg't  auf  einem  länsr- 
liehen  Roste,  und  ist  an  demselben  festgebunden.  Ausserdem  wird  der  Körper  von  zwei 
Personen  mit  an  langen  Stöcken  befindlichen  Gabeln  festgehalten.  Unter  dem  Roste  brennt 
ein  mächtiges  Feuer,  und  züngeln  bereits  an  einzelnen  Stellen  des  Körpers  kleine  Flämmchen 
heraus.  Ein  kniender  Mann  ist  im  Begriffe  mittelst  eines  grossen  Blasebalges  das  Feuer  anzu- 
fachen. An  der  rechten  Bildseite  sieht  man  den  sitzenden  land  in  der  üblichen  Weise  dargestellten 
König,  den  Martertod  des  Heiligen  befehlend.  Hinter  ihm  ein  Knappe  mit  dem  Schwerte.  Ober 
dem  Heiligen  schwebt  ein  Engel  aus  den  Wolken,  demselben  mit  einem  Tuche  zufächelnd.  Das 
Bild  ist  in  derselben  Art  wie  das  vorhergehende  behandelt. 

Seite  379.  Tod  Marien s.  Gemälde  auf  Goldgrund  in  Deckfarben  ausgeführt.  Innerhalb 
eines  bunten  Rahmens  und  die  obere  Hälfte  von  dessen  Innenraum  einnehmend,  sieht  man  die 
heil.  Mutter  Christi  im  Sterben.  Die  Heilige  liegt  auf  einem  mit  einem  kostbaren  Stoffe  über- 
deckten Bette.  Ihr  nimbirtes  Haupt  ruht  auf  einem  Kissen;  sie  trägt  ein  blaues  Kleid,  rothes 
Uberkleid  und  dunkelrothes  Kopftuch.  Um  das  Bett  herum  stehen  fünf  Apostel  vom  Schmerze 
ergriffen,  zu  Häupten  S.  Petrus  und  in  der  Mitte  Christus,  der  das  Seelchen  mit  seinem  grünen 
Mantel  gegen  den  offenen  Himmel  hält. 

XIV.  26 


182  Dr-   Kakl   Lind. 

In  der  unteren  Hälfte  des  Rahmens  befindet  sich  die  prachtvolle  Initiale  V  auf  Purpurgrund. 
Mit  derselben  beginnen  die  "Worte  .Vultum  tuum-  etc. 

Sfite  3S3.  Stammbaum  Christi.  (Taf.  IV  oben.)  Wir  sehen  in  zwei  Reihen  sechs  Figuren 
daro-estellt.  und  zwar  die  drei  oberen  in  ganzer  Gestalt,  die  unteren  nur  im  Brustbilde.  In  der 
Mitte  der  unteren  Reihe  ist  Abraham,  aus  dessen  Leib  ein  Zweig  emporsteigt,  der  sich  oben 
herzförmig  theilt  und  mit  einem  reichen  Blattornament  abschliesst.  worauf  eine  o-ekrünte  weib- 
liche Figur  in  reicher  Kleidung  steht:  sie  trägt  in  jeder  Hand  ein  Scepter,  deren  eines  mit  einem 
dreitheiligen  Blume  (Lilienscepter),  das  andere  mit  einem  Zweiglein  von  drei  dreilappigen  Blät- 
tern besetzt  ist.  Die  Figur  stellt  die  heil.  Maria  als  Tochter  des  Stammes  Davids  vor.  Die 
übrio-en  Fio-uren  sind  rechts  unten  Moses,  darüber  König  David,  links  Aion  als  hoher  Priester 
mit  Miti-a  und  Pallium  geschmückt,  den  blühenden  Zweig  haltend,  darüber  König  Salomon.  Die 
Könige  sind  beide  gleich  und  in  der  in  diesem  Codex  üblichen  Weise  dargestellt.  Die  Figuren 
sind  niu-  in  Umrissen  mittelst  farbiger  Linien  augegeben,  der  Hintergrund  ist  blau,  aussen  grün. 

Seite  386.  Der  Erzengel  Michael.  Die  geflügelte  Gestalt  des  Erzengels  ist  mit  einem 
lano-en  Kleide  ano-ethan.  daniber  eine  Dalmatica  aus  Panzerwerk,  auf  dem  Haupte  ein  zuge- 
spitzter  Helm.  Ein  langes,  schmales,  bindenartiges  Tuch  ist  um  den  Leib  gewunden  und  liängt 
von  der  rechten  Achsel  herab.  In  der  rechten  Hand  hält  der  Erzengel  die  Lanze,  am  linken 
Arm  träol  er  einen  grossen  in  eine  Spitze  auslaufenden  Schild;  zu  beiden  Seiten  des  Erzengels 
je  ein  Engel,  davon  der  rechts  kopfabwärts  herabfliegend,  beide  in  langen  Kleidern  und  mit 
den  Lanzen  ebenfalls  nach  dem  in  feurigen  Wellen  schwimmenden  Drachen  stechend,  auf  dem 
der  Erzengel  und  der  linksseitige  Engel  stehen.  Die  Art  der  Ausführung  des  Bildes  gleicht  der 
früheren. 

Seite  391.  Aller  Heiligen.  (Taf.  XX.)  Innerhalb  eines  breiten  Rahmens  befindet  sich  ein 
kleines  Mittelbild.  Dasselbe  zeigt  den  Erlöser  als  Weltenrichter  innerhalb  einer  von  -sner  Engeln 
o-etrao-enen  Mandorla  mit  blauem  Grund  auf  einem  Resenbogen  sitzend  und  auf  einem  zweiten  die 
Füsse  stützend.  Die  rechte  Hand  ist  erhoben,  in  der  linken  hält  er  ein  oftenes  Buch.  Der  äussere 
Theil  des  Bildes  hat  grünen  Grund. 

Der  Zwischem-aum  zwischen  dem  Bilde  und  dem  Aussenrahmen  ist  in  kleine  Felder  getheilt, 
so  zwar  dass  an  den  beiden  Seiten  je  zwei  Felder  in  6  Reihen  unter  einander,  unten  eine  Reihe 
von  8  Feldern  und  oben  von  7  Feldern,  zusammen  31  Felder  erscheinen.  In  jedem  dieser  Felder, 
die  nach  oben  mit  einem  Rundbogen  eingefasst  sind,  findet  sich  das  Brustbild  eines  nimbirten  Hei- 
ligen. Doch  lässt  sich  die  Vorstellung  nicht  erkennen,  da  weder  der  Name  noch  mit  geringer 
Ausnahme  irgend  ein  charakterisirendes  Attribut  beigesetzt  ist.  Die  Rundbogen  der  obersten 
Reihe  sind  reicher  ausgestattet.  Auch  stehen  die  drei  Mittelfelder,  die  überhaupt  grösser  sind, 
nicht  in  derselben  Linie,  wie  die  übrigen  4  Felder,  sondern  etwas  höher,  sind  durch  enge  Säul- 
chen von  einander  geti-ennt  und  zeigen  Johannes  den  Täufer,  das  Osterlamm  und  die  heil.  Maria. 
Der  Bogen  des  Mittelfeldes  ragt  über  den  Rahmen  hinaus,  was  der  ganzen  Gruppirung  mehr 
Schwung  und  Zierlichkeit  verleiht.  \'ermuthlich  sollen  die  Brustbilder  in  den  oberen  drei  Reihen 
beiderseits  die  Apostel  vorstellen.  In  der  vierten  Reihe  sehen  wir  Heilige  mit  Mitren.  Die  der 
.5.  und  6.  Reihe  dürften  dem  Priesterstande  angehören.  Die  Zeichnung  des  Bildes  ist  nur  in 
bunten  Linien  dm-chgeführt,  der  Hintergrund  der  kleinen  Bilder  blau,  der  Raum  ober  den  Bögen 
grün;  die  Anlage  des  ganzen  Bildes  grossartig. 

Seite  393.  Der  heil.  Martin  am  Todtenbette.  Ein  heil.  Bisehof  in  voller  kirchhcher 
Kleidung  mit  Mitra  und  Pallium  liegt  in  einer  ofl^enen  Tumba  und  ein  Engel  trägt  seine  Seele 
gegen  Himmel.  Beim  Haupte  des  Sterbenden  steht  ein  heil.  Bischof  das  Pedum  tragend  und 
begleitet  von  mehreren  Priestern,  ferner  ein  Chorknabe  mit  offenem  Buche:  am  P'ussende  stehen 


Ein  Antiphonaeium  im  Stifte  St.  Peter  zu  Salzburg.  183 

einiffe  Mönche,   wahrscheinlich  Benedictiner.    In   der  Ecke  sieht  man  einen  kleinen  hässlichen 
Teufel  entfliehen.  Die  Ausführung  des  Bildes  nach  in  der  Mehrzahl  üblichen  Weise. 

Seite  394.  Trxl  des  heil.  Andreas.  (Taf.  XXUI  unten.)  St.  Andreas  ist  an  das  gewöhn- 
liche Kreuz  mittelst  um  den  ganzen  Körper  wiederholt  gewundenen  Strickes  gebunden.  Die 
Strick-Enden  hält  zu  beiden  Seiten  je  ein  Henkersknecht,  rechts  steht  ein  Mann  mit  einer  Spitz- 
mütze, dem  ein  Teufelchen  die  bösen  Gedanken  eingebend  ins  Ohr  spricht.  Links  eine  Volks- 
gruppe. Ausführung  gleich  der  vorigen. 

Seite  395.  Der  Traum  Jacobs.  Jacob  liegt  schlafend  unter  einem  stylisirten  Baum  auf 
schräg  ansteigendem  Rasen.  Hinter  der  Figur  sieht  man  eine  Leiter,  darauf  ein  Engel  hinauf 
und  ein  zweiter  kopfabwärts  herabsteigt.  Oben  im  Regenbogen  das  Brustbild  Gott  Vaters  mit 
Kreuznimbus  und  mit  beiden  Händen  die  Leiter  haltend.  Auf  selbem  Blatte  sieht  man  links 
eine  zweite  Darstellung,  nämlich  wie  Jacob  nach  seinem  Erwachen  einen  Opferaltar  baut  und 
darauf  durch  Ausgiessen  von  Flüssigkeit  aus  einem  Hörne  opfert.  Die  Ausführung  des  Bildes 
wie  bei  früheren,  der  Hintergrund  in  der  Mitte  und  innerhalb  des  Halbkreises  bei  Christus  blau, 
sonst  grün. 

Seite  468.  Initiale  E  (cce  dies  venient),  der  Buchstabe  selbst  goldfarbig,  der  mit  zwei 
grossen  und  bunten  Prachtblumen  besetzt  ist,  und  auf  blau-grünem  Grunde  ruht.  Daneben  und 
viel  kleiner  die  übrigen  Buchstaben  der  drei  Worte  bloss  in  rother  und  schwarzer  Contourlinie 
ohne  Hintergrund. 

Seite  4Ö9.  Die  Initiale  A  (spiciens)  gehört  zu  den  bedeutenderen  Zeichnungen  im  Codex. 
Sie  belindet  sich  innerhalb  eines  oben  halbrund  ansgebogenen  Rahmens ,  ist  aus  verschiede- 
nen breiten  und  sich  mannigfaltig  verästenden  Goldbändern  gebildet,  mit  vielen  dreilappigen 
Blättern  mid  bunten  Blumen  geziert  und  ruht  auf  blauem  abwechselnd  grünem  Grunde.  In  der 
Mitte  des  Buchstabens  sieht  man  die  Gestalt  eines  Propheten,  darüber  das  segnende  Brustbild 
Christi.  In  den  oberen  Ecken  schweben  Engel  in  den  Wolken.  Der  äussere  Theil  des  Fondes 
ist  purpurfarbig. 

Seite  495.  Der  Traum  des  heil.  Joseph.  (Taf  VIII  unten.)  Auf  einem  mit  einer  gemu- 
sterten Decke  überdeckten  und  auf  vier  Füssen  gestellten  Bette  liegt  ausgestreckt  schlafend  Joseph, 
das  nimbirte  Haupt  auf  einen  Polster  gelegt,  die  Beine  gekreuzt  und  mit  einem  langen  falten- 
reichen Kleide  angethan.  Die  rechte  Hand  ist  etwas  in  die  Höhe  gehoben,  wie  zur  Empfangnahme 
eines  Befehles  gegen  den  im  Brustbilde  aus  den  Wolken  herabschwebenden  ebenfalls  nimbirten 
Engel  des  Herrn,  der  ihm  beflehlt,  dass  er  seine  schwangere  Gattin  die  heil.  Maria  nicht  ver- 
lasse (Matth.  I,  18).  Doch  ist  es  auch  möglich,  dass  der  Maler  eine  andere  Voi-stellung  beab- 
sichtigt hatte,  nämlich  wie  der  Engel  des  Herrn  Josepli  im  Traume  erscheint  und  ilmi  befiehlt 
(Matth.  V,  13)  in  das  Egyptenland  zu  fliehen  und  dort  bis  auf  weiteren  Befehl  Gottes  zu  bleiben. 
Die  Behandlung  des  Bildes  wie  bei  den  früheren,  nur  ist  der  Hintergrund  in  der  oberen  Hälfte 
blau,  in  der  unteren  grün. 

Seite  497.  Die  Mutter  Gottes  in  der  Glorie.  (Taf  VII.)  Die  heil.  Maria  sitzt  nach 
vorwärts  gerichtet  auf  einem  mit  einem  Polster  überlegten  Stuhle  und  hält  das  bekleidete  Christus- 
Kindlein  im  Schosse  sitzend.  Dasselbe  segnet  mit  der  rechten  Hand  und  hält  in  der  linken  eine 
Schriftrolle.  Rechts  und  links  der  Gruppe  schwebende  Engel  in  Anbetung.  Ein  vorzügliches  Bild, 
nach  der  gewöhnlichen  Weise  in  Umrisslinien  behandelt. 

Seite  504.  Die  Bestattung  des  heil.  Stephan.  Zwei  Personen,  davon  eine  nimbirt, 
legen  den  mit  dem  Diakonenkleide  angethanen  Leichnam  des  Heiligen  in  eine  offene  Tumba,  links 
stehen  drei  nimbirte  männliche  Figuren,  und  ein  Engel  schwebt  über  dem  Leichnam.  Die  Behand- 
lungsweise  des  Bildes  gleich  der  früheren. 

20* 


184  I)k.   Karl   Lind. 

Seite  509.  Jesus  nimmt  die  Jünger  auf.  (T.af.  IV  unten.)  Jesus  eine  Sclirit'troUe  traoend 
und  gefolg-t  von  zwei  Jüngern  (Simon  und  Andreas)  begegnet  dem  Jacobus  und  Johannes  und 
beruft  sie  zum  Lehramte.    Die  Behandlung  des  Bildes  wie  am  früheren. 

Seite  515.  Das  Fest  der  Unschuldigen  (Innocentes).  Auf  einem  Flammen -Hügel  steht 
das  Lamm  Gottes,  nimbirt  und  mit  dem  rechten  Vorderfusse  ein  rothes  Kreuzlein  haltend.  Aus  den 
Flammen  sieht  man  bis  zu  den  Hüften  herausreichende  Kindergestalten,  l)ittend  die  Hände  erlio- 
ben;  drei  jugendliche  Heilige  in  Diaconengewäuder,  mit  Palmzweigen  umschweben  den  Flammen- 
liügel.  Diese  Vorstellung  bezieht  sich  laut  des  beigegebenen  Textes  auf  das  Cap.  XIV,  Vers  I 
imd  Cap.  XXH,  Vers  XIV  der  Offenbarung  Johannis,  wo  es  heisst:  ,,beati  sunt,  qui  lavant  stolas 
suas  in  sanguine  agni  ut  sit  potestas  eorum  in  ligno  vitae, ''  —  „ecce  agnus  stabat  supra  montem 
Sien'-.  Die  Behandlung  des  Gemäldes  ist  die  gewöhnliche. 

Seite  519.  Beschneidung  Christi.  (Taf.  IX  oben.)  Maria  hält  mit  beiden  Armen  das 
Kindlein  in  die  Höhe ,  und  ist  dessen  Hemd  etwas  emporgeschlagen.  Hinter  Maria  steht  der  heil. 
Joseph  mit  ängstlicher  Geberde.  Rechts  nalit  sich  der  die  Beschneidung  vornelnnende  Priester 
mit  dem  Messer  in  der  rechten  Hand,  hinter  ihm  noch  eine  Figur,  etwa  ein  Diener  oder  Gehilfe 
des  Priesters  (s.  Evang.  Lucas  II,  21).   Die  Behandlung  des  Bildes  wie-  die  des  vorigen. 

Seite  .5.23.  Die  Hochzeit  zu  Cana.  (Taf.  X  oben.)  Christus  sitzt  zwischen  Johannes 
und  Maria  an  der  mit  verschieden  geformten  Broten  und  mit  Fischen  besetzten  Tafel.  Zu  äusserst 
rechts  noch  ein  Apostel  (Petrus),  links  der  Speisemeister  eine  Spitzmütze  auf  dem  Haupte,  voll  der 
Verwunderung  über  das  grescheliene  Wunder  jene  Schale  erhebend,  über  die  Christus  eben  den 
Segen  spendet.  Der  Ausdruck  Mariens  und  der  Ijeiden  Apostel  zeigt  grosses  Erstaunen  wegen 
der  voUzogfeneu  Verwandlung-  des  Wassers  in  Wein.  Im  Vordergründe  sechs  irdene  Gefässe,  aus 
deren  einem  ein  Jüngling-  Flüssigkeit  in  ein  anderes  überg-iesst,  ein  zweiter  Jüng-ling  hält  eine 
ganz  volle  Schale  (s.  Evang.  Joannes  II,  9).  Die  Behandlung  des  Bildes  der  früheren  gleich. 

Seite  546.  Bekehrung  des  heil.  Paulus.  Wir  sehen  den  heil.  Paulus  eine  offene  Schrift- 
rolle haltend  von  einem  Engel  geleitet  auf  eine  geschlossene  rundbogige  Pforte  zugehend;  über 
der  Pforte  des  Hauses  ist  ein  rundbogiges  Fenster  angebracht,  daraus  Christus  herausblickt.  Der 
Hintergrund  des  Gemäldes  ist  theils  blau,  theils  grün,  der  Fensterfond  blau. 

Seite  .561.  Tod  des  heil.  Benedict.  Der  Heilige,  der  wie  die  Legende  erzählt,  seinen 
Tod  vorher  wusste  und  sein  Grab  noch  bei  Zeiten  zurecht  machen  Hess,  liegt  bereits  in  dem- 
selben, woraus  eine  helle  von  Engeln  getragene  Strasse  sich  zum  offenen  Himmel  hebt,  auf  der 
das  Seelchen  eben  hinaufwandert.  Trauernde  Benedictier-Mönche  umstehen  betroffen  das  offene 
Grab  ihres  Ordensstifters.  Behandlung  des  Bildes  gleich  dem  vorigen. 

Seite  565.  Weissagung  Isaias.  (Isaias  VII,  14,  s.  Taf.  IV  unten.)  In  der  Mitte  steht  der 
Prophet  Isaias  vor  dem  König  Ahas;  er  hält  zwei  Spruchbänder,  davon  eines  leer  ist,  am  andern 
.stehen  die  Worte:  Ecce  virgo  concipiet.  Dvr  König  ist  sitzend  dargestellt  in  reicher  Bekleidung. 
Rückwärts  steht  gleichsam  als  Versinnlichung  der  Msion  des  Propheten  die  heil.  Maria,  gegen 
deren  Haupt  der  heilige  Geist  in  Taubengestalt  aus  den  Wolken  herabschwebt.  Das  Gemälde, 
an  dessen  Rande  die  Worte  stehen:  Signum  completur,  dum  pneomate  virgo  completur,  ist  in 
der  gewöhnlichen  Weise  behandelt. 

Seite  570.  Zwei  Sc enen  aus  dem  Leben  des  heil.  Rupertus.  (Taf.  XXIV.)  Dieses 
Blatt  enthält  innerhalb  eines  gemeinschaftlichen  Rahmens  zwei  Illustrationen,  die  sich  auf  diesen 
Heiligen  beziehen.  Das  obere  Bild  zeigt  uns,  wie  St.  Rupertus  die  Heiden  durcli  Immersion 
tauft.  Ein  entkleideter  Mann  steht  bis  über  die  Hüfte  in  einer  mit  Wasser  vollgefüllten  Kufe, 
hinter  ihm  ein  Diener  dessen  Kleider  haltend.  Ein  zweiter  Heide  entkleidet  sich  so  eben,  um 
die   heil.    Taufe    zu    empfangen.    St.    Rupert   steht    bei   der   Taufkufe    im    vollen    bischöHicheu 


Ein  Antiphonarium  im  Stifte  St.  Peter  zv  Salzburg.  loa 

Ornate,  ein  geblümtes  Tuch  als  der  Schürze  vorgebunden  und  ist  im  Begriffe  den  Täufling  unter- 
zutauchen, hinter  ihm  zwei  Priester,  einer  in  der  Dalmatik  ein  Bucli  haltend,  der  andere  das 
Pedum  tragend. 

Das  untere  Bild  stellt  das  Begräbniss  dieses  Heiligen  vor.  Der  Leichnam  des  Salzburger 
Apostels  liegt  im  bischöflichen  Schmuck  in  einer  hohen  Tumba.  Zu  Häupten  steht  ein  Priester 
im  Pluviale,  das  Weihrauchfass  über  den  Todten  schwingend,  unten  drei  Priester,  davon  einer 
aus  einem  offenen  Buche  betend.  In  der  Mitte  des  Bildes  schwebt  im  Brustbilde  ein  Engel,  die 
Seele  des  Heiligen  in  Gestalt  eines  Kindes,  auf  einem  Tuche  gegen  den  Himmel  tragend.  Beide 
Bilder  sind  nur  in  Contouren  ausgeführt  und  haben  grünen  und  blauen  Grund. 

Seite  629.  In  einem  gemeinschaftlichen  Rahmen  befinden  sich  auf  blauem,  grün  eingerahm- 
tem Gnnide  zwei  Darstellungen  in  der  gewöhnlichen  Weise  ausgeführt. 

Der  Verrath  des  Jiidas.  (Taf  XII  oben.)  Der  in  der  Mitte  stehende  Heiland  wird  von 
Judas  umarmt  und  geküsst,  rechts  eine  Gruppe  Bewaffneter,  davon  einer  Christum  bei  der  rechten 
Hand  nimmt.  Im  Hintergrunde  links  ebenfalls  eine  Menschengruppe ,  vor  derselben  Petrus  mit 
gezogenem  Schwerte,  einen  Jungen  bei  den  Haaren  von  Christum  wegziehend  und  auf  die  Erde 
drückend  um  ihm  das  Ohr  abzuhauen.  Zu  beachten  ist  die  Kleidung  eines  Kriegers,  den  Leib 
deckt  ein  Scluippenj^anzer,  die  Füsse  Panzerzeug,  in  der  Hand  hält  er  einen  kleinen  runden  Schild 
(s.  Evang.  Mattli.  XXVI,  47,  Joan.  XXIII.  3  und  Lucas  XXII,  47). 

Das  untere  Bild  zeigt  Christum  vor  Annas.  (Taf.  XH  unten.)  Derselbe  sitzt  avif  einem 
Faltstiihle,  trägt  ein  reichbesetztes  Oberkleid  mit  weitem  auf  der  Achsel  befestigten  Mantel,  am 
Kopfe  eine  runde  niedrige  Mütze  und  in  der  rechten  Hand  ein  kurzes  Lilienscepter.  Vor  ihm  steht 
Chi'istus,  dem  ein  Kriegsknecht  einen  Backenstreich  gibt,  weiter  zur  Seite  Bewaffnete,  darunter 
wieder  ein  wie  oben  beschrieben  gekleideter  Krieger,  Volk  inid  vorne  ein  Priester  (s.  Evang. 
Joan.  XVIII,  2-2). 

Seite  630.  Wieder  ein  Doppelbild  mit  gemeinschaftlichem  Rahmen  und  in  gewöhnlicher  Weise 
behandelt.  Die  Geis  seiung  Christi.  (Taf.  XIII  oben.)  Christus  bis  zu  den  Lenden  entblösst, 
ist  mit  den  Armen  an  einen  Pfahl  gebunden,  zwei  Kriegsknechte  schlagen  ihn  mit  Ruthen,  der 
Oberleib  ist  mit  Wunden  bedeckt.  An  der  Seite  eine  Gruppe  Juden  (s.  Evang.  Joan.  XIX,  1, 
Matth.  XXVII,  27,  Marc.  XV,  15). 

Das  untere  Bild  enthält  die  Kreuzabnahme.  Der  mit  einem  Nimbus  ausgezeichnete 
Joseph  von  Arimathäa  steht  auf  dem  breiten  Subpedaneum  des  Kreuzes  und  hält  den  Leichnam 
Christi  in  der  Mitte  des  Leibes  umfangen  und  reicht  ihn  hinunter.  Maria  steht  unten  rechts, 
Johannes  links  und  nehmen  den  Leichnam  bei  dessen  Händen  in  Empfang.  Nicodemus  zieht 
kniend  mittelst  einer  Zange  die  Nägel  aus  den  Füssen  des  Herrn.  An  der  Seite  eine  weinende 
Person  (s.  Evang.  Lucas  XXIII,  54,  Matth.  XXVII,  57,  Marc.  XV,  43,  Joan.  XIX,  38). 

Seite  631.  Innerhalb  eines  gemeinschaftlichen  Rahmens  neuerdings  zwei  Bilder. 

Das  obige  zeigt  uns  die  Grablegung  des  Herrn.  (Taf.  XVI  oben.)  Zwei  nimbirte  Männer, 
Joseph  V.  A.  und  Johannes,  von  welchen  einer  den  Obertheil,  der  andere  das  Fussende  des  mittelst 
eines  Sterbetuches  g-ehobeneu  Leichnams  Christi  hält,  sind  mit  Beihilfe  einer  weiblichen  Gestalt 
(heil.  Maria),  die  das  Tuch  ebenfalls  ergreift,  im  Begriffe  denselben  in  das  offene  Steingrab  zu 
legen.  Dasselbe  ist  sarkophagähnlich  geformt  und  mit  einem  ornamentirten  Rand  versehen.  Der 
heil.  Leichnam  ist  nur  mit  einem  Schamtuche  bekleidet,  das  Haupt  ziert  der  Kreuznimbus.  Aus- 
serdem befinden  sich  noch  beim  Grabe  zwei  nimbirte  weibliche  und  zwei  männliche  Gestalten, 
von  welchen  letzteren  jedoch  nur  eine  (ein  Apostel)  nimbirt  ist,  die  andere  (Nicodemus)  trägt  eine 
rothe  Spitzmütze,  wie  auf  dem  Bilde  der  Abnahme  vom  Kreuze  (s.  Evang.  Joan.  XIX,  39,  Marc. 
XV,  46  etc.). 


1 66  Db.   Kakl  Lind. 

Das  untere  Bild  stellt  Christum  als  Gärtner  dar.  (Taf.  XVI  unten.)  Christus,  eine  drei- 
lappige Fahne  tragend,  mit  den  Wundenmalen  an  Händen  und  Füssen,  steht  vor  Magdalena,  die 
in  freudiger  Empfindung  ihm  zu  Füssen  sinkt  und  ihn  zu  berühren  sucht.  Magdalena  ist  mit 
dem  Nimbus  geziert  und  mit  faltenreichem  Gewände  angethan.  In  der  Mitte  stvlisirte  Bäume,  die 
Behandlung  beider  Bilder  ist  die  gewühnliclie  (^s.  Evang.  Marc.  XVI.  9,  Joan.  XX.  15). 

Seite  662.  Doppelbild  in  Contouren  auf  blau-grünem  Grunde  ausgefülirt. 

Der  auferstandene  Heiland  unter  seinen  Jüngern.  (Taf.  XVIII  oben.)  Wir  sehen 
im  oberen  Bilde  Christum  in  Kreise  der  versannnelten  Apostel  und  Jünger  Avic  er  ihnen  seine 
Wundmale  zeigt  und  mit  ihnen  Brod  und  Fische  isst.  Christus  steht  in  der  Mitte  des  Bildes,  an 
beiden  Seiten  die  Apostel.  Der  Heiland  hält  Brod,  das  er  dem  Johannes  gibt;  zu  den  Füssen  der 
Apostel  Unks  sieht  man  einen  Fisch  im  Netze  (s.  Evang.  Joan.  XXI,  13). 

Auf  dem  unteren  Bilde  sehen  wir,  wie  der  Heiland  den  Aposteln  in  Galiläa 
am  Berge  erscheint  und  ihnen  das  Lehramt  überträgt.  Christus  steht,  die  Oster- 
f;\hne  haltend,    in  der  Mitte,    auf  beiden  Seiten   in  gebückter  Stellung  die  Apostel  (s.  Matth. 

xxvin  16).  3VK. 

Seite  668.  Petrus  predigt  die  Lehre  Christi.  (Taf.  XXI.)  Wir  sehen  auf  dem  Gemälde 
jenen  Moment  dai-gestellt .  wie  Petrus  nach  Empfang  des  heil.  Geistes  in  Begleitung  der  Ajjostel 
zu  dem  Volke  hintritt  und  Busse  predigt.  Es  schreiten  die  eilf  nimbirten  Apostel  in  voller 
Gruppe  von  links  gegen  rechts  theils  geschlossene  theils  offene  Büclier  haltend,  ihnen  gegenüber 
eine  Gruppe  des  jüdischen  Volkes,  das  sie  mit  Staunen  empfängt.  Das  Bild  ist  in  der  gewöhnli- 
chen Weise  ausgeführt  (s.  Apostlg.  H,  1-i). 

Seite  6S3.  Petrus  heilt  den  Lahmgebornen.  (Taf.  XXII.)  Wir  sehen  Petrus  und  Johan- 
nes an  die  Pforten  des  Tempels  ti-eten,  woselbst  ein  Lahmer  sitzt,  den  man  des  Almosens  wegen 
alltäglich  dahin  brachte.  Petrus  ergreift  den  Unglücklichen,  der  im  vollsten  Vertrauen  ihn 
anblickt,  bei  der  Hand  und  richtet  ihn  auf.  Die  Pforten  des  Tempels  bilden  zwei  Kundijogen, 
deren  innerer  grünen,  der  äussere  blauen  Fond  hat.  Die  Beliandluug  des  Bildes  ist  die  gewöhn- 
liche (s.  Apostlg.  in,  2). 

Seite  685.  Wir  sehen  die  Initiale  S  als  Anfang  des  Wortes  Salomon.  Dieselbe  ist  in  der 
o-ewöhnlichen  Weise  gezeichnet,  das  Band  naturfarbig,  dessen  Contoiu-  roth.  blau  und  gi-üu 
der  Fond;  die  weiteren  Buchstaben  dieses  Wortes  sind  etwas  kleiner,  schwarz  gerändert  im 
rothen  Fond. 

Seite  713.  Die  Geburt  Johannes.  (Taf.  I.)  Die  heil.  Elisabeth  sitzt  angezogen  auf  einem 
reich  drapirten  Bette,  mit  bis  zum  Oberleibe  heraufgezogener  Decke,  über  dem  Bette  eine 
Art  Vorhang.  Zunächst  dem  Bette  steht  eine  Dienerin  eine  Schale  bringend,  im  Hintergnmd 
zwei  Frauen,  das  mit  dem  Heiligenscheine  geschmückte  und  gefaschte  Kind  Johannes  tragend. 
Das  Bild  in  der  gewöhnlichen  Weise  ausgeführt  (s,  Evang.  Lucas  I,  57  i. 

Seite  724.  Christus  als  Weltenrichter.  (Taf.  XXI.)  Christus  sitzt  in  Glorie  nach  vorn 
"•(-wendet  auf  dem  Resrenbojren.  die  Füsse  auf  einen  zweiten  kleineren  stützend,  mit  der  Rechten 
seo-nend,  in  der  linken  ein  Tuch  haltend.  Rechts  und  links  je  ein  Heiliger  (S.  Cosmas  und  Da- 
mian)  von  einem  Engel  gehalten.  Ein  Bild  von  ganz  besonders  erbauendem  Eindrucke ,  in  der 
gewöhnlichen  Contourmanier  ausgeführt,  mit  blauem  und  grünem  Fond,  doch  ist  der  Raum  inner 
dem  kleinen  Regenbogen  blau,  der  zwischen  diesem  und  dem  grösseren  grün  angelegt. 

Seite  739.  Die  Messe  des  heil.  Martin.  Der  heil.  Bischof,  hinter  dessen  Haupt  ein  mäch- 
tiger Flammennimbus  angebracht  ist,  steht  bei  einem  Altare,  der  mit  einem  Kreuze  geziert  ist 
und  liest  die  Messe,  indem  er  den  Kelch  erhebt;  die  Patena  mit  dem  heiligen  Brode  und  ein 
Tüchlein  liegt  auf  der  Mensa,  die  mit  einem  kostbaren  Stoffe  überzogen  ist.  Hinter  dem  Pontifi- 


Ein-  Antiphonarilm  im  Stifte  St.  Peter  zu  Salzburg.  187 

canten  ein  Diakon  und  Volk.  Diese  Darstellung  ist  der  Legende  dieses  Heiligen,  welcher  Bischof 
von  Tours  war,  entnommen'.  Die  Behandlung  des  Bildes  ist  die  gewöhnliche. 

Seite  800.  Ein  Doppelbild  in  der  gewöhnlichen  Weise  ausgefülirt. 

Samuel  salbt  den  David  das  erste  Mal  zum  König.  Samuel  begiesst  David's  Haupt 
mit  Ol  aus  einem  Hörne,  zur  Seite  stehen  seine  sieben  Brüder,  die  Söhne  Isaias  (s.  I.  Sam. 
XVI,  13). 

Unten  D  a  v  i  d  a  1  s  K  ö  n  i  g.  Er  sitzt  in  voller  königlicher  Pracht  auf  einem  kostbaren 
und  gepolsterten  Stuhle,  auf  dem  Haupte  die  Krone,  und  in  der  Rechten  den  Scepter  hal- 
tend. Auf  jeder  Seite  stehen  sechs  Personen,  davon  eine  bedeckten  Hauptes  und  eine  ein 
Schwert  haltend. 

Seite  801.  Initial  D  (eus  omnium),  eine  schöne  Arbeit  in  gewöhnlicher  Ausführung.  Inner- 
halb des  Rahmens  auf  rothem,  purpurfarbig  gegitterten  Grunde  befindet  sich  der  Buchstabe  selbst 
in  Gold  ausgeführt  und  mit  farbigen  Blüthen  auf  blauem  und  grünem  Grunde. 

Seite  805.  Salomon  wird  zum  König  gesalbt.  Der  Priester  Zadok  träufelt  aus  einem 
Hörne  Öl  auf  sein  Haupt,  der  Prophet  Nathan  hält  die  di-eizackige  Krone.  An  den  Seiten 
jubelndes  ^'olk  und  ein  Krieger  in  das  Hörn  stossend.  Behandlung  des  Bildes  wie  früher  (s.  Buch 
der  Könige  I,  3-4). 

Seite  809.  Verspottung  des  armen  Iliob  durch  seine  Frau.  Innerhalb  eines  Rund- 
bogens sitzt  auf  der  Erde  der  vom  Schicksale  heimgesuchte  Hiob ,  nur  mit  einem  Schamtuche 
angethan.  den  Körper  mit  Wunden  bedeckt,  doch  das  Haupt  mit  einem  Heiligenschein  geziert. 
Vor  ihm  steht  eine  reich  gekleidete  Frau  mit  verspottender  Geberde.  Die  Ausführung  des  Bildes 
die  gewöhnliche,  nur  hat  jede  Figur  einen  besonderen  blauen  oder  grünen  Rahmen  (s.  Hiob  II,  9). 

Seite  814.  Heilung  des  blinden  Tobias.  Dei-selbe  sitzt  bekleidet  auf  einem  gepolsterten 
Stuhl,  sein  Sohn  salbt  ihm  das  Auge,  daneben  ein  Engel,  zur  Seite  Tobias  Frau.  Behandlung 
des  Bildes  wie  die  früheren. 

Überblicken  wir  schliesslich  alle  Bilder,  so  sehen  wir  auf  allen  übereinstimmend  die  Figu- 
ren lansr  und  liag-er  darg'estellt .  die  Kleider  eng^e,  mit  langen  nach  abwärts  gezogenen  Falten. 
Hände  und  Füsse  ausser  dem  Verhältniss  gross,  das  Antlitz,  weil  meistens  nur  mit  wenigen 
Strichen  gegeben,  rund  und  ohne  besonderen  Ausdruck.  Die  Stellung  der  Figuren  ist  würdig, 
lebhaft,  bisweilen  aber  unmöglich,  die  Handbewegungen  meistens  als  wie  ein  Gespräch  beglei- 
tend, aber  etwas  hölzern.  Der  Gesammteindruck  jedes  Bildes  ist  jedoch  ein  günstiger,  ein  erbauen- 
der, ja  mitunter  ergreifender. 

Eigenthümlich  ist  die  Verwendung  des  Nimbus  bei  den  einzelnen  Figuren.  So  sehen  wir 
auf  Tafel  I  den  Johannes  als  Kind  nimbirt,  während  seine  Mutter  Elisabeth  dieser  heiligen 
Zierde  entbehrt.  Auf  Taf.  II  haben  bereits  beide  Eltern  den  Heiligenschein ,  ebenso  auf  Taf  III, 
wo  Zacharias  die  Botschaft  des  Herrn  wegen  der  Geburt  seines  Sohnes  bezweifelt.  Die  heil. 
Maria  hat  einfachen  Nimbus,  nur  auf  den  Darstellungen  der  Verkündigung  und  der  Geburt  Christi 
ist  ihre  Stirn  mit  dem  Kreuzzeichen  geschmückt.  Johann  der  Täufer,  die  Apostel,  die  frommen 
Frauen,  der  heil.  Joseph,  Joseph  von  Arimathäa  und  die  Heiligen  Stephan,  Laurenz,  Benedict, 
Rupertus  etc.  tragen  den  Scheiben-Nimbus.  Ebenso  die  christliche  Kirche  auf  dem  Bilde  des 
Kreuzestodes  (Taf  XIV).  Nicodemus  und  die  heil,  drei  Könige  haben  diese  Auszeichnung  nicht. 
Die  Engel,  die  immer  geflügelt  erscheinen,  haben  gewöhnlich  nur  djn  Scheiben-Nimbus,  doch 
finden  sich  auch  Darstellungen,  wie  auf  Tafel  III,  VII,  VIII,  XX  und  XXI,  wo  der  Nimbus  mit 
einem  besonderen  Perlenreife  geziert  ist,   dessgleichen  ist  der  Nimbus  des  Apostel  Johannes  auf 

'  GewöhnUch  wird  dci'selbe  ;ils  Ritter  zu  Pferde  dargestellt,  wie  er  seinen  Mantel  zertheilt.  um  damit  die  Blossen  eines 
Bettlers  zu  bedecken. 


188  Dr.   Karl  Lind. 

Seite  X  iiiul  XIX  in  dieser  Weise  ausgezeielinet.  Der  Nimbus  des  heil.  Geistes  ist  abwechselnd 
mit  dem  Kreuze  geziert.  Christus  trägt  meistens  den  Kreuz-Nimbus,  nur  bei  seiner  Geburt  (Tat.  IX), 
Taute  (Taf.  VI) ,  am  Schoose  seiner  Mutter  (Taf.  VII)  und  als  Weltrichter  (Taf.  XIX)  ist  sein 
Nimbus  von  der  gewöhnlichen  Form.  Der  Teufel,  wenn  er  die  bösen  Gedanken  des  Menschen 
vorstellen  soll,  wie  beim  Martertode  des  heil.  Andreas,  beim  Tode  des  heil.  Martin  u.  s.  f.  ist 
als  kleines  viertiissiges  Tliier  mit  t'ratzeuhat'teni  Kopf  dargestellt. 

VonEigenthündichkeiten  in  den  Trachten  haben  wir  zu  erwälmen  die  übliclien  Spitzmützen 
bei  den  Juden  (s.  Taf.  II,  XII,  XIII,  XVII  etc),  die  plu-ygisclien  Mützen  an  zweien  der  drei  heil. 
Könige,  an  den  Schildknappen  der  heidnischen  Könige,  des  Annas,  an  einem  Gaste  der  Hochzeit 
von  Cana,  bei  der  Benennung  des  heil.  Johannes,  bei  der  Gefangennehmung  des  Herrn,  bei 
dessen  Geisselung,  bei  der  ersten  Predigt  der  Apostel  etc.,  die  Prachtkleidungen  aller  vorkom- 
menden geki-önten  Personen,  ferner  die  keineswegs  römischen  Schergen  entsprechenden  Rüstun- 
gen der  Krieger  bei  der  Gefangennehnmng  Christi,  bei  seinem  Verhöre  durch  Pilatus  inid  am 
Grabe  des  Herrn;  nicht  minder  erwähnenswerth  sind  die  Kronen,  deren  ^'inige  nach  Art  der 
Mauerkronen,  ^vie  eines  der  heil,  drei  Könige,  oder  nach  Art  der  Bügelkronen  oder  der  Zinken- 
kronen gezeichnet  sind  u.  s.  w.  Schliesslich  dürfen  wir  nicht  mit  Stillschweigen  übergehen,  dass 
alle  Gebäulichkeiten,  die  auf  den  Bildern  erscheinen,  nur  durch  einen  oder  mehrere  rundbogige 
Arcaturen  angezeigt  sind. 

Beachtenswert!!  ist  ferner  die  einfache  Gestalt  des  Altars,  an  dem  der  heil.  Martin  die 
Messe  liest,  so  wie  auch  die  runde  Form  der  Rauchfässer  und  die  ganz  einfache  Gestaltung 
des  bischöflichen  Hirtenstabes. 

Nun,  nachdem  wir  die  Besprechung  der  einzelnen  Bilder  und  Zeichnungen  des  Codex,  so 
wie  auch  die  gewissen  charakteristischen  Einzelheiten  beendet  haben,  erübrigt  uns  noch  die  Frage 
der  Zeitbestimmung  hinsichtlich  der  Entstehung  des  Codex ,  von  dem  die  Tradition  des  Stiftes 
bloss  berichtet,  dass  er  im  Stifte  und  für  dasselbe  angefertigt  wurde,  wie  auch  das  Dedications- 
blatt  darthut,  und  dass  er  ununterbrochen  in  dessen  Besitz  geblieben  ist. 

Wenn  man  den  Codex  aufschlägt,  so  zeigen  sich  auf  der  ersten  Pergamentseite  bloss  fol- 
gende in  Schriftzügen  des  XV.  Jahrhunderts  geschriebene  Worte: 

Anno  partus  virginei  m°  hie  liber  se  scriptum  esse  refert,  dabei  steht  ein- 
geklammert und  von  anderer  jüngerer  Hand  geschrieben:  (106-i). 

Dass  die  erstere  Zeitbezeichnung,  nämlich  die,  dass  der  Codex  im  Jaln-e  1000  entstanden  sei, 
unzulässig  ist,  das  wird  niemand  bezweifeln,  der  sich  einigermassen  mit  Werken  derlei  Art  und 
von  einem  derlei  Alter  vertraut  gemacht  hat.  Anders  ist  es  mit  der  zweiten  Jaln-eszahl ;  ob  diese 
für  den  Beginn  der  Arbeit  an  dem  Codex  wirklich  massgebend  ist,  soll  nachfolgende  Betrach- 
tung lehren. 

Ziehen  wir  zuerst  die  Architekturen  und  die  Formen  der  dem  architektonischen  Principe 
gemäss  gestalteten  Einrichtungsgegenstände,  wie  die  grossen  Lehnstühle,  Betten,  die  Bundeslade 
u.  s.  f.  in  Betracht,  so  sehen  wir  überall  den  ungegliederten  Halbkreisbogen  sowohl  an  Fenstern 
und  Portalen,  wie  auch  an  Arcaden  und  Wölbungen  verwendet;  wir  seilen  die  schlanke  Säule  mit 
dem  bisweilen  gemusterten  Schafte  und  mit  weit  ausladenden  antikisirenden  Capitälen,  Eigen- 
thümlichkeiten ,  die  als  die  Wiederaufnahme  des  Classischen  in  der  Architektur  ohne  byzanti- 
nisirenden  Einschluss,  als  die  Blüthezeit  des  romanischen  Styles  die  Zeit  des  XI.  und  theilweise 
Xn.  Jahrhunderts  charakterisiren.  Nicht  minder  auf  diese  Zeit  hin  deuten  die  Zeichnungen  der 
Figuren  und  Initialen,  die  Trachten,  wie  die  Bekleidung  imd  Insignien  der  Könige  und  der 
Weisen  aus  dem  Morgenlande  *,   die  Mitren ,   die  am  unteren  Rande  mit  einem  reichverzierten 

*  S.  Freiherr  v.  Sacken  über  die  Fresken  zu  Lambach.  Mittheil.  d.  Cent.-Comm.  XIV    99. 


Ein  Antiphonarium  im  Stikte  St.  Peter  zu  Salzbung.  1  89 

Phiygium  verziert  sind  und  nach  beiden  Seiten  angeschwellte  runde  Ausladungen  haben,  die 
einfachen  ungeschmückten  Curvaturen  der  Krummstäbe,  die  bandförmigen  um  die  Schultern 
geschlungenen  Pallien^  und  endlicli  die  Bewaffnung  und  Bekleidung  der  Krieger.  Wir  sehen 
bei  letzteren  noch  in  etlichen  Beispielen  den  vom  X.  Jahrhundert  an  allmählig  aus  dem  Gebrauch 
tretenden  Schuppenharnisch,  ferner  häufiger  das  erst  im  XIII.  Jahrhundert  abkommende  Ring- 
hemd, den  Halsbcrg  und  Beinberg  aus  Panzerzeug,  den  über  die  Panzer-Kapuze  getragenen 
konischen  Helm  bisweilen  mit  einer  nach  vorn  gekrümmten  Spitze,  welche  Form  in  Mitte  des 
XII.  Jahrhunderts  ausgebildet  war,  ferner  noch  in  zweimaliger  Verwendung  den  im  X.  und  An- 
fang des  XL  Jahrhunderts  üblichen  kleinen  runden  stark  gewölbten  Schild,  so  wie  ai;cli  mehrmals 
jenen  grossen  und  langen  Schild,  oben  abgerundet  und  unten  spitz,  der  während  des  XII.  Jahr- 
hunderts üblich  war  und  im  XIII.  schon  in  seinem  Umfange  abnaluu.  Alle  diese  Umstände  deuten 
darauf  hin,  dass  das  Antiphonar  in  der  Zeit  des  XL  und  XII.  Jahrhunderts  entstanden  ist. 

Die  ausg'iebio-ste  Bestärkunof  in  der  Annahme  dieser  Entstehuno-szeit  bietet  aber  das  Kaien- 
darium  mit  seinen  Heiligen,  deren  Heiligsprechung  höchstens  den  Schluss  des  XL  Jahrhun- 
derts angehört  und  insbesonders  die  XIII.  Tafel  des  Kalendariums ,  auf  welcher  der  jährliche 
Eintritt  des  Osterfestes  berechnet  ist  und  welche  Berechnung  mit  dem  Jahre  1064  beginnt. 
Was  hätte  der  Schreiber  wohl  für  einen  Grund  gehabt,  die  Berechnung  des  Osterfestes  für  schon 
verflossene  Jahre  in  seine  Zusammenstellung  aufzunehmen?  Wir  nehmen  im  Hinblick  auf  die 
schon  erwähnten  Eigfenthündichkeiten  in  den  Zeichnuns^en  und  auf  diesen  Umstand  keinen 
Anstand  dieses  Jahr  als  das  des  Beginnes  der  Anfertigung  des  Codex  zu  bezeichnen  und  geben 
gerne  zu,  dass  seine  Vollendung  in  Schrift  und  Bild,  eine  lange  Reihe  von  Jahren  in  Anspruch 
nehmend,  erst  zu  Anfang  des  XII.  Jahi-hunderts  eintrat,  was  auch  die  gegen  den  Schluss  erschei- 
nenden Schriftzüge,  welche  eine  Änderung  in  der  Person  des  Schreibers  vermuthen  lassen,  bestä- 
tigen. Jedenfalls  ist  dieser  Codex  hinsichtlich  seiner  Bilder  ein  würdiger  Vorgänger  des  etwa  ein 
halbes  Jahrhundert  jüngeren  Email-Altars  zu  Klosterneuburg,  dessen  Figuren  in  ihrer  Zeichnung 
einigermassen  an  jene  erinnern. 

9  Nicht  unerwälnit  darf  jene  Mitra  bleiben,   die  der  heil.  Johannes  bei  seinem  Begräbniss  trägt,   sie  ist  jener  ähnlich, 
die  in  der  Katakumbe  Platonia  gemalt  ist  (Bocli:  Geschichte  der  liturgischen  Gewänder  II,  157). 


XIV.  27 


iOO 


Naehlrägliclies  zum  Militärdiploiii  von  Kiisteiidje. 


Von  De.  Fr.   Kenner. 

J_Jer  Text  des  im  IV.  Hefte  dieser  Mittheilung-en  S.  125  besprochenen  Prätorianerdiplomes  wurde 
nach  einem  Papierabdi-ucke  mitgetheilt,  den  Herr  Dr.  CuUen  mir  freundlichst  zugesendet  luitte. 
Inz^Yischen  ist  das  Denkmal  für  das  k.  k.  Antiken- Cabinet  erworben  und  dadurch  eine  Ver- 
gleichung  mit  dem  Originale  möglich  gemacht  worden,  deren  Ergebniss  im  folgenden  anzu- 
zeigen ich  nicht  unterlassen  will. 

Die  Tafel,  in  welche  die  Inschi-ift  eingegraben  ist,  besteht  aus  gewöhnlicher  Bronze  und 
ist  reichlich  1  Linie  (27;  Mm.)  dick,  an  Grösse  und  Stäi-ke  ganz  ähnlich  dem  im  k.  k.  Cabinete 
bereits  befindlichen  Auxiliar- Diplome  ^  des  Kaisers  Nero  vom  J.  60.  Sie  ist  leider  geputzt  und 
dadurch  die  sehr  harte  graue  Patina  bis  auf  wenige  Stellen  zerstört  worden.  Die  Buchstaben  sind 
demungeachtet  noch  sehr  scharf  und  zeigen  an  den  Rändern  namentlich  der  breiteren  Stellen, 
an  welchen  der  Griffel  beim  Graviren  abgehoben  wurde  ,  jene  gratartig  erhabenen  Stellen, 
wie  sie  durch  das  plötzlich  unterbrochene  Ausheben  des  Metalles  entstanden  sind.  Die  Beschaf- 
fenheit der  Patina  weist  daraufhin,  dass  die  Tafel,  wenn  nicht  direct  dem  Feuer,  so  doch  einer 
starken  Hitze,  etwa  bei  dem  Brande  des  Gebäudes,  in  dem  sie  sich  befand,  ausgesetzt  war.  Zwar 
hat  sie  sich  dabei  nicht  geworfen,  sie  bildet  eine  gleiche  Ebene,  doch  scheint  der  Hitzegrad  so 
gross  gewesen  zu  sein,  dass  an  einzelnen,  namentlich  den  vertieften  Stellen,  das  Zinn  hervortrat 
und  mit  Asche  oder  Staub  vermischt  zu  einer  compacten  von  aussen  schwärzlichgrau  aussehen- 
den Masse  wurde,  welche  die  vertieften  Stellen,  wie  die  Punkte  und  Theile  einzelner  Buchstaben, 
ausfüllte.  Bei  dem  Versuche,  diese  Füllung  mit  einem  scharfen  Instrumente  zu  entfernen,  löste 
sich  der  Staub  oder  die  Asche  ab;  hie  und  da  zeigten  sich  darunter  kleine,  weissglänzende 
Punkte,  die  eben  auf  die  Vermuthung  fuhren,  dass  das  Zinn,  freilich  nur  in  sehr  kleinen  Tlicilchen, 
ausgetreten  sei. 

Diese  Füllung  war  nun  die  Ursache,  dass  der  Papierabdruck  nicht  in  alle  feineren  Ver- 
tiefungen einzudi-ingen  vermochte  und  daher  nicht  scharf  genug  wurde.  Allerdings  reichte  er  hin, 
den  Text  festzustellen  und  erwies  sich  die  publicirte  Abschrift  im  Vergleiche  mit  dem  Originale 
als  richtig.  Doch  haben  sich  namentlich  bezüglich  der  Trennungspunkte  Abweichungen  ergeben, 
deren  Mittheilung  bei  der  Wichtigkeit  des  Denkmales  nicht  überflüssig  erscheinen  dürfte. 

'  J.  Arncth,  zwölf  römische  Militärdiplome  S.  27,  Taf.  I.  —  freih.  v.  Saclien  u.  K.  die  Saraiuliingen  des  k.  k.  Münz- 
11.  Ant.-Cab.  S.  114. 


Nachträgliches  zim  5Iilitäi:dipi.om  von  Kustendje.  191 

Da  mir  von  der  Inschrift  der  Rückseite  ein  Papierabdruck  früher  nicht  zur  Hand  war,  gebe 
ich  zunächst  die  Abschrift  derselben  an  dieser  Stelle,  um  die  Art  der  Abtheilunff  der  Zeilen 
ersichthch  zu  machen;  sie  lautet: 

DIP  •  CAESAR  •  VESPASIANVS  •  AYGVSTVS  •  POXTIFEX 

MAXIM VS  •  TRIBVNICIA  •  POTESTAT  ■  vm  •  IMP. 

xvm  •  P  •  P  •  CENSOR  •  COS° -'vn  •  DESIGN  •  vüi 

NOMINA  •  SPECVLATORVM  •  QVI  •  IN  •  PRAETO 

5  RIO  •  MEO  •  :\1ILITAYERYNT  •  ITEM  •  MILITVM 

QVI  •  IN  •  COHORTIBVS  •  NOVEM  •  PRAETO 
RIIS  •  ET  •  QVATTVOR  •  VRBANIS  •  SVBIECT 
QVIBVS  •  FORTITER  •  ET  •  PIE   MILITIA  •  EVNC  (sie) 
TIS  •  rV^S  ■  TRIBVO  •  CONVBI  •  DVMTAXAT 
10  CVM  •  SINGVLIS  •  ET  PRIMIS  •  VXORIBVS 

VT  •  ETIA  •  MSI  PEREGRINI  IVRIS  •  FEMINAS 

(Bruch) 

Die  Orthographie  ist  dieselbe,  wie  sie  in  der  Copie  sich  zeigt.  Nur  das  Wort  quattuor 
erscheint  im  Originale  nicht  mit  einem,  sondern  zwei  T  geschrieben.  Auf  der  Vorderseite,  deren 
Abdruck  mir,  wie  gesagt,  allein  vorlag,  ist  dieses  Wort  zwischen  der  6.  und  7.  Zeile  getheilt,  so 
dass  die  erste  Silbe  an  das  Ende  der  6.,  die  zweite  an  den  Anfang  der  7.  Zeile  zu  stehen  kommt. 
Für  die  6.  Zeile  reichte  der  Platz  nicht  mehr  vollständig  aus,  so  dass  das  T  in  die  Kehlung  des  Rah- 
mens gravirt  werden  musste,  wesshalb  es  im  Papierabdrucke  nicht  deutlich  zum  Vorschein  kam.  Auf 
der  Rückseite  dag-eg-en  erscheint  das  Wort  in  der  Mitte  der  7.  Zeile  deutlich  mit  TT  g-eschrieben. 

Ferner  zeigt  das  Original  regelmässig  zwischen  je  zwei  Worten  kleine  dreieckige  mit  der 
oben  beschriebenen  Masse  ausgefüllte  Punkte,  von  welchen  im  Abdrucke  nur  der  eine  oder 
andere  zu  erkennen  war  und  die  in  der  Abschrift  zu  ergänzen  sind.  Unreg'elmässig'keiten  zeigen 
sich  auch  hiebei;  so  ist  der  Punkt  an  einzelnen  Stellen  weggelassen,  wie  zwischen  den  Worten 
quibus  und  fortiter  in  Zeile  7,  zwischen  duobus  und  civibus  in  Zeile  13,  zwischen  Aquis  und 
Statellis  in  Zeile  18  der  Vorderseite,  ferner  zwischen  pie  und  militia  in  der  8.,  zwischen  etiamsi 
und  peregrini  und  juris  in  der  11.  Zeile  der  Rückseite.  Auch  finden  sich  ausnahmsweise  am  Ende 
der  5.,  1-1.,  15.,  16.  und  21.  Zeile  der  Vorderseite  und  der  2.  Zeile  der  Rückseite  Punkte,  während 
solche  am  Ende  der  übrigen  Zeilen  hinweggelassen  sind.  Dagegen  ist  der  Punkt  ungleich  in  den 
zusammengesetzten  Worten  etiamsi  und  acsi  angewendet,  jenes  wird  in  Zeile  10  der  Vorderseite 
ETIAM  •  SI,  in  Zeile  11  der  Rückseite  gar  ETIA  •  MSI,  dieses  in  Zeile  13  AG  •  SI  geschrieben. 
Sonst  zeigen  sich  keinerlei  Unregelmässigkeiten;  dass  in  dem  Worte  tollant  der  12.  Zeile  der 
Vorderseite  an  dem  ersten  L  und  an  dem  T  die  Querstriche  weggelassen  sind  (das  Original  hat 
deutlich  TOILANI)  und  dass  functis  in  Zeile  8  der  Rückseite  EVNCTIS  geschrieben  ist,  das 
geschah  offenbar  nur  in  der  Eile  des  Schreibens. 

Die  Richtung  der  Zeilen  der  Rückseite  steht  senkrecht  auf  jener  der  Zeilen  der  Vorderseite 
und  zwar  so ,  dass  die  Stelle  des  den  Text  beginnenden  Wortes  IMP  auf  der  einen  Seite  genau 
mit  der  Stelle  sich  deckt,  die  dasselbe  Wort  auf  der  Rückseite  einnimmt;  die  erste  Zeile  der 
Vorderseite  liegt  daher  in  derselben  Linie,  in  welcher,  wenn  man  die  Tafel  wendet,  die  senk- 
rechte Columne  der  Anfangsbuchstaben  aller  Zeilen  der  Rückseite  sich  bewegt.  Der  Charakter 
der  Schrift  ist  der  bekannte  iener  Zeit,  die  Ausführung  aber  nicht  so  sorgfältig  und  gleichmässig-, 

27* 


192  Dr.  Fe.  Kenner.  Nachteägliches  zum  Militärdiplom  vox  Kustedje. 

wie  in  dem  Diplome  von  Kaiser  Nero,  dessen  von  A.  Camesina  gezeichnetes  Facsimile  in 
Arneth's  Werk  (Taf.  I)  sich  findet.  Die  Buchstaben  auf  der  Rückseite  sind  grösser  und  kräftiger 
und  eher  schöner  zu  nennen  als  jene  der  Vorderseite. 

Endlich  muss  noch  nachträglich  bemerkt  werden,  dass  die  Anfangsbuchstaben  nicht  bei 
allen  Zeilen  in  der  gleichen  Columne  liegen,  sondern  in  der  1.  (imp.),  4.  (nomina),  15.  (Galeone) 
und  18.  Zeile  (L.  Ennio)  um  das  halbe  Spatium  eines  Buchstaben  vortreten,  so  dass  deutlich 
markirte  Absätze  entstehen,  die  unsern  modemtn  Alinea  verglichen  werden  können.  Denselben 
Zweck  hat  die  in  die  Augen  fallende  Kürze  der  Zeilen  1-4  und  17,  sowie  der  Raum  zwischen 
Zeile  IS  und  19,  so  dass  im  Ganzen  fünf  Absätze  entstehen,  welche  den  fünf  Theilen  entspre- 
chen, in  die  der  Inhalt  der  Urkunde  getheilt  werden  kann;  diese  sind:  a)  Name  und  Titel  des 
Kaisers  als  Kopf  der  Urkunde  (ZeUe  1 — 3),  h)  die  Ertheilung  des  Conubiums  als  vorzüglicher 
Bestandtheil  dts  Inhaltes  (4 — 13),  c)  die  Dath-ung  (Zeile  14,  15),  d)  die  Adresse,  e)  Angabe 
der  Stelle  in  Rom,  wo  sich  die  Original-Urkunde  angeschlagen  findet. 


103 


Die  Siegel  der  östeiTeiehischen  Regenten. 

Von  Karl  von  Sava. 
(Mit  6  Holzschnitten.) 

V.  ABT  HEILUNG. 

Die  Siegel  der  österreichischen  Fürsten  aus  dem  Hause  Habsburg. 

(Fortsetzung.) 

Jjadislaus  Posthumus,  Sohn  Albert  V.   und  der  Elisabeth,  Tochter  Kaiser  Sigismund's.  Geboren 
li-iÜ,  gestorben  1-157. 

I.  Porträtsiegel  für  Österreich. 
Vorderseite. 

S.  lilajestatis  Ladislai  .  Dei  .  Gracia  .  Hungarie  .  Bohemie  .  Dalmacie  .  Croacie  .  Rame  . 
Servie  .  Gallicie  .  Ludomerie  .  Camanie  (2.  Zeile)  Bulgarieq  Regis  .  Ducis  .  Austrie  .  stirie  . 
lucembge  .  carinthie  .  niarchionis  .  mo(raviä).  Minuskel,  die  Anfangsbuchstaben  bis  einschltissig 
des  Wortes  „Austrie"  übergangs-Lapidar,  zwischen  drei  Kreislinien,  deren  innere  schief  ablau- 
fende Seiten  je  mit  einer  Reihe  von  Sternchen  besetzt  sind,  das  o  am  Schlüsse  der  Umschrift  ist 
zur  Hälfte  durch  das  Gewand  des  Euo-els  verdeckt,  welcher  den  unaarischeu  Schild  träo-t.  Der 
Konig  sitzt  auf  einem  reich  und  prachtvoll  geschnitzten  Tlu'onstulil  mit  Nischen ,  welche  oben 
theils  in  Rund-  theils  in  Spitzbogen  enden.  Die  Rücklehne  reicht,  die  Umschrift  unterbrechend, 
bis  an  die  äusserste  Randlinie  des  Siegels,  sie  ist  mit  einem  verbrämten  Stoffe  behangen,  und  am 
oberen  Rande  mit  architektonischen  Blimien  verziert;  zu  beiden  Seiten  erheben  sich  Spitzsäulen. 
Die  Kleidung-  des  Königs  besteht  in  einer  langen  faltenreichen  Tunik  mit  Blumen  gestickt,  sie 
endet  am  Halse  in  einen  kurzen  stehenden  Kragen  und  ist  vorn  bis  zur  Brust  aufgeschlitzt,  so 
dass  man  das  Unterkleid  sehen  kann.  Ein  Gürtel  umschlingt  die  Mitte  des  Leibes,  und  über  der 
Brust  ist  eine  breite  gestickte  Stola  gekreuzt.  Ein  weiter  ebenfalls  reich  gestickter  Mantel  wird 
über  der  Tunik  getragen,  und  vorn  an  der  Brust  durch  eine  zierlich  gearbeitete  Spange  festgehal- 
ten, die  Säitme  sind  mit  breiten  sternbesäeten  Borten  eingefasst.  Auf  dem  Haupte  trägt  der  König 
eine  hohe  Bügelkrone  mit  einem  Kreuze;  das  Haar  ist  zu  beiden  Seiten  des  jugendlichen  Gesichtes 
in  dicht  gekräuselte  Locken  gelegt.  In  der  Rechten  hält  er  das  Scepter  mit  einem  aus  Blätter- 
knorren gebildeten  gothischem  Doppelki-euze,  in  der  Linken  den  Reichsapfel.  Seine  Füsse  ruhen 
auf  einem  Löwen,  der  auf  dem  Thronschemel  liegt,  zu  jeder  Seite  desselben  steht  in  Nischen  des 


104 


Kahl  von  Sava. 


Throiistubles  je  ein  Ritter,  barhaupt,  die  Haare  zu  beiden  Seiten  des  Gesichtes  wulstig  gekräuselt, 
mit  dem  Schwerte  umgürtet  im  Schienenharnisch  mit  hohl  geschliffenen  Bruststücken  und  gescho- 
benen Schössen,  an  den  Achseln  und  Ellbogen  mit  grossen  Scheiben.  Ausserhalb  des  Thronstuhles 
befinden  sich  zu  beiden  Seiten  Wappenschilde  pt'ahlartig  übereinander  gestellt,  und  zwar  rechts 
Alt-Ungarn  von  einem  Engel  gehalten,  darunter  ti-ägt  ein  Ritter,  in  Rüstung  und  Haarputz  den 
bereits  erwähnten  ähnlich,  das  Wappen  von  Dalmatien ,  und  hierauf  ein  Engel  jenes  von  Öster- 
reich; links  in  symmetrischer  Anordnung  von  gleichen  Schildhaltern  getragen  das  böhmische,  luxem- 
burgische und  steierische  Wappen.  Rechts  über  dem  ungarischen  Schilde  schwebt  ein  Engel  mit 


Fig.  1. 

einem  Scliriftban de,  worauf  die  Jahreszahl:  1X4>1,  links  über  dem  böhmischen  Wappen  ein  gleicher, 
auf  dessen  Schriftbande  die  Buchstaben :  A.  D.  C.  J.  P.  In  gleicher  Höhe  mit  diesen  Engeln  zu 
Seiten  der  Thronlehne  die  Buchstaben :  L.  —  L.  (Ladislaus).  Vorn  an  der  Thronstufe ,  die 
innere  Zeile  der  Umschrift  unterbrechend,  sitzt  e'in  P^ngel,  der  die  Wappenschilde  von  Luxemburg 
und  ilälu-en  hält.  (Fig.  1.) 

Kehrseite. 
S.  majestatis.  ladislai.  dei.  gra.  hungarie.  bohemie.  dalmacie.  croacie.  rame.  seruie.  gallicie. 
lodomerie.  camanie.  bulgarieq  i[^.  regis.  ducis  austr.  stirie.  lucenbgie  karinthie  ^.  (2.  Zeile)  caniole. 
marchiois,  moauie.  bgouie.  dni.  machie.  sclavoie.  z  portus  naois.  coitis.  habspgn.  tirolis,  ferretis 
t  kiljge.  ne.  no.  lantgui.  alf.  Nach  Aufl.isuncr  der  Abkürzansren  lautet  die  zweite  Zeile:  carniolc. 
marchionis  moravie,  burgovie.  domini  marchie  sclavonice  et  portiis  naonis.  comitis.  habspurge, 
tirolis,  ferretis  et  Kyburge  nee  non  lantgravii  alsacie.   Der  erste  Buchstabe  Übergangs-Lai)idar, 


Die     SiEUEl.    DEl!     ÖSTEIIUETCHISCHEN    I>i:OENTEN. 


lo: 


die  übrige  Schrift  deutsche  Mimiskel,  zwischen  drei  Kreislinien,  deren  innere  schief  absteigende 
Fläche  mit  Sternchen  belegt  ist.  Das  Siegelbild  zeigt  uns  eine  Wappengruppc,  über  welcher  eine 
Rügelkrone  schwebt,  die,  beide  Zeilen  der  Umschrift  unterbrechend,  bis  zum  äusseren  Siegelrande 
reicht  LUid  von  zwei  Engeln  in  faltigen  Gewändern  je  mit  einer  Hand  getragen  wird;  mit  der  ande- 
ren Hand  hält  jeder  den  ihm  zunächst  stehenden  Schild,  nämlich  rechts  den  ungarischen,  links  den 
l)ühniisclien.  Aus  der  Krone  gehen  zwei  Ketten  hervor,  an  wel(;hen  die  nachfolgenden  Wappen 
befestigt,  und  von  der  Rechten  zur  Linken  in  einen  Kreis  gereilit  sind:  Alt-Ungarn,  Steiermark, 
jMähren,  Oberöaterreich,  Luxemburg  und  Böhmen.   Die  einander  gegenüber  stehenden  Schilde  von 


Fifi 


Steiermark  und  Luxemburg  sind  jeder  von  einer  Figur  in  langer  Gewandung  gehalten,  zwischen 
dem  mährischen  und  oberösterreichischen  Schild  sitzt  ein  Engel,  welcher  ein  Schriftband  mit  der 
Jahreszahl  1X4X  hält.  In  Mitte  dieser  Wappengruppe  trägt  ein  Löwe  den  österreichischen  Schild 
mit  damascirtem  Felde  und  gcrauteter  Binde  vor  sich,  er  hat  dabei  die  Kette,  an  welcher  der 
steierische  und  luxemburgische  Schild  befestigt  sind,  mit  den  Vorderpranken  erfasst,  und  stützt 
die  Hintcrfüsse  auf  die  Scliilde  von  Mähren  und  Oberöstereich.  Die  ganze  Wappengruppe  wird 
von  einem  Rosenornamente  aus  sechs  Bogenabschnitten  umgeben,  mit  Blätterknorren  an  den 
Spitzen;  die  inneren  schief  aufsteigenden  Flächen  sind  mit  Sternchen  belegt,  und  die  Aussen- 
wdnkel,  in  welchen  sich  von  der  Linken  zur  Rechten  die  Buchstaben  A.  D.  C.  J.  P.  befinden,  mit 
Masswerk  verziert.  (Fig.  2.)/ 

Dieses   in  Zeichnung  und  Ausführung  vortreffliche  Siegel  verräth  in  jeder  Beziehung  eine 
Meisterhand.  Eine  alte  Aufschreibung  sagt  aus  von  diesem,  so  wie  von  dem  kaiserlichen  Majestät;-- 


ifl6 


Karl  von   Sava. 


sieo-el,  dann  von  jenem  ftir  die  österreichipchen  Länder  mit  der  Jahreszahl  1-159  (Nr.  13G  und  137} 
Kaiser  Friedrichs  III:  „Maister  Neidliart  Goldschmidt  hat  sie  in  Silber  jrrabcn-  '. 
Eund.  Durchmesser  4'/,  Zoll. 

II.  Wappensiegel. 

S.  seremi  ladislai  vnga'Ie  boeie.  reg^.  zc.  supmi.  capitaei  f  pfector.  dvcat.  austrie.  j  (Sigil- 
lum  Serenissimi  Ladislai  Ungariae  Bohemiae  regis  etc.  supremi  capitanei  praefectorum  ducatus 
Austriae).  Gefällige  deutsche  Minuskel,  der  erste  Buchstabe  Majuskel,  zwischen  zwei  stufenförmig 
erhobenen  Kreislinien.  Auf  einem  mit  Masswerk  verzierten,  diu-chbrochenen  verzierten  Kreuze, 
von  dem  das  obere  Ende  des  Pfahles  und  die  beiden  Endtheile  des  Querbalkens  zu  sehen  sind, 
liegt  ein  grosser  gevierter  Schild  mit  einem  Mittelschilde,  in  letzterem  das  österreichische  Wappen. 
Das  erste  Feld  des  Hauptschildes  ist  achtmal  in  Roth  und  Silber  quer  getheilt  (Alt-Ungarn),  das 
zweite  zeigt  den  böhmischen  Löwen,  das  dritte  den  mährischen  Adler,  und  das  vierte  das  ober- 
österreichische Wappen.  Rund,  Durchmesser  l'/g  Zoll. 

Ulrich  Eizinger  obrister  Hauptmann  und  die  Verweser  des 
Landes  in  Osterreich  geben  im  Namen  des  Königs  Ladislaus  der 
Stadt  Zwettel  das  Umgeld,  das  Stadt-  und  Landgericht  und  den 
Zoll  auf  zwei  Jalii-e  in  Bestand  gegen  jährliche  150  Pfund  Pfen- 
nige. Wien,  Montag  nach  Reminiscere  (6.  Mäi-z)  1452.  Besiegelt 
„mit  dem  Land  Insigel,  das  wir  in  dem  Fürstentumb 
Österreich  gebrauchen''.  Daran  das  vorbeschriebene  Siegel 
in  rothem  Wachs  auf  weisser  Schale.  (Fig.  3.) 

III.  t  Ladislai.  dei.  gra.  hungarie.  bohemie  zc.  regis.  nee 

non.    ducis.    austrie.    et.    marchionis   mora.    Die   beiden   ersten 

Buchstaben  Ubergangs-Lapidar,  die  übrigen  deutsche  Minuskel 

zwischen  zwei  Kreislinien.   Ein  Engel  hält  den  österreichisclien 

'■  Schild,  dessen  Feld  damascirt,  die  Binde  dagegen  blank  ist,  um 

ihn  gereiht,  befinden  sich  rechts  Alt-Ungai-n  und  Mähren,  links  Böhmen  und  Oberösterreich,  die 

beiden  letzteren  mit  dem  Hauptfelde  durch  Kette  und  Schloss  verbunden.  Der  Engel  hat  einen 

Stirnreif  mit  einem  Kreuze,  und  über  seinem  Haupte  schwebt  eine 
Sonne,  deren  Strahlen  den  ganzen  Untergrund  des  Mittelfeldes  be- 
decken. Diese  Gruppe  w  ird  von  einem  Ornamente  aus  vier  Bogenthei- 
kn  umrahmt,  welche  theils  durch  Knorren,  theils  durch  angesetzte 
Spitzwhikel  mit  einander  verbunden  sind,  im  unteren  Randfelde  eine 
kleine  Sonne.  Rund,  Durchmesser  2'/^  Zoll.  Das  Original  in  rothem 
Wachs  auf  ungefärbter  Schale  hängt  an  weissen,  rothen  und  grünen 
Seidenfäden  im  Stiftsarchive  von  Melk  an  der  bei  Hu  eher  1.  c.  126, 
Nr.  4  gedruckten  Urkunde,  nur  soll  nach  Smittmer's  Angabe  das 
Datum  bei  Hu  eher:  _an  sand  Urbanstag  1453"'  irrig  sein,  während 
es  in  der  Original- Urkunde  heisst  „am  Freitag  nach  dem  heil,  phings- 
tag-.  (25.  Mai)-.   Abbildung:  Herrgott  1.  c.  Taf  9,  Fig.  3  ann.  1453.  (Fig.  4.) 

IV.  ForträUiegel  für  Böhmen. 
Vorderseite. 
Ladislavs  Dei  Gracia  Hvngarie  .  Bohemie  .  Dalmacie  .  Croacie  zc  Rcx  .  Avstrie  .  Styrie  et 
Lvcembvrgen  (2.  Zeile)  Dvx  Ac  Moravie  Marchio  1X4G.   Übergangs-Lapidar  zwischen  Kreislinien 

'  Tschischka'8  .'^kizze  einer  Kunstgeschichte  Wiens,  in  Frankl's  Sonntagsblättern  1S43.  Xr.  2S,  S.  6C6. 
■-'  Auch  der  .Sanct  Urbanst:ig  fallt  auf  den  -2;.  .Mai. 


Fii 


Die  Sieget,  der  östeureichischen  Regenten.  197 

auf  Scliriftbändern.  Ein  reicher  gotliischer  Baldachin  von  Säulen  getragen  mit  Giebeln  und  Spitz- 
säulen verziert,  überwölbt  eine  Haupt-  und  zwei  Seitennischen.  In  der  Hauptnische,  deren  Rück- 
wand mit  einem  von  zwei  Engeln  gehaltenen  Teppich  behängt  ist,  sitzt  der  König  zu  Throne, 
das  reich  gelockte  jugendliche  Haupt  mit  einer  offenen  Laubkrone  bedeckt,  in  der  Rechten  hält 
er  das  Scepter,  mit  der  Linken  den  auf  dem  Schenkel  aufruhenden  Reichsapfel.  Das  Unterkleid 
ist  gegürtet  und  über  der  Brust  die  gekreuzte  Stola  sichtbar,  die  Ärmel  desselben  sind  verbrämt. 
Darüber  wird  ein  weiter  an  den  Säumen  mit  Borten  besetzter  Mantel  getragen,  den  eine  zierlich 
gearbeitete  Spange  vorn  an  der  Brust  zusammen  hält,  die  Schuhe  sind  gestickt.  An  der  mit 
Schnitzwerk  verzierten  Thronstufe  ist  vorn  das  Wappen  von  Luxemburg  angebracht.  In  jeder 
Seitennische  steht  auf  einem  Pilaster  ein  Engel  mit  ausgebreiteten  Flügeln ,  welche  hinter  den 
äusseren  Säulen  in  das  Siegelfeld  hinausragen.  Diese  Engel  in  langen  Tuniken  und  weiten  ver- 
brämten Mänteln  haben  die  Haare  gekrullt,  und  tragen  Reife  mit  einem  Kreuze  verziert  auf  den 
Häuptern.  Jener  rechts  hält  mit  der  linken  Hand  den  gekrönten  alt-ungarischen  Schild  über  sich, 
zu  seinen  Füssen  lehnt  der  österreichische  Schild  mit  damascirtem  Felde  und  blanken  Quer- 
balken; jener  links  hält  mit  der  rechten  Hand  den  gekrönten  böhmischen  Schild  empor,  zu  seinen 
Füssen  ruht  der  mährische  Schild  mit  dem  gekrönten  und  geschachten  Adler.  An  der  Aussenseite 
der  Architectur  jederseits  auf  Pilastern  unter  Baldachinen  eine  langgewandete  Figur  mit  einem 
Schriftbande. 

Kehrseite. 

f  Ladislavs  .  Dei  .  Gracia  .  Hvngarie  .  Bohemie  .  Dalmacie  .  Croacie  .  Rame  .  Servie  . 
Lodomerie  .  Gallecie  .  Cumanie  .  Bulgarie  Que  .  Rex  (2.  Zeile)  Austrie  *  Luxemburgensis  * 
Stirie  *  Karinthie  ^  Carniole  *  Dux  *  Moravie  *  Et  *  Lusacie  *  Marchio  *  1856.  Überg-ang-s- 
Lapidar  zwischen  drei  Kreisen,  jener  welcher  den  Rand  bildet  eine  Perlenlinie.  —  In  der  ersten 
Zeile  nach  jedem  Worte  ein  Punkt,  in  der  zweiten  eine  Rose.  An  die  innere  Schriftlinie  schliesst 
sich  ein  Siebenpass  an,  dessen  Spitzen  mit  Blumenknorren  besetzt  sind.  Blätterwerk  füllt  die 
Aussenwinkel.  In  der  Mitte  hält  ein  Engel  den  gekrönten  böhmischen  Schild  an  den  beiden  Ecken 
vor  sich  hin,  während  zu  jeder  Seite  ein  Engel  denselben  stützt.  Sie  sind  in  lange  gegürtete 
Gewänder  gekleidet,  mit  gekreuzten  Stolen  über  der  Brust,  und  reichem  gekrallten  Haupthaar. 
Diese  Gruppe  umgeben,  in  den  Krümmungen  des  Siebenpasses  angebracht,  von  der  Rechten  zur 
Linken  folgende  Wappenschilde:  Mälii-en,  Schlesien,  Niederlausitz,  Oberlausitz,  Görlitz,  Schweid- 
nitz,  Luxemburg.  Rund,  Durchmesser  5  Zoll,  1  Linie.  Die  Vorderseite  dieses  Siegels  ist  abge- 
bildet bei:  Manni  Osservazioni  Istorichi  sopra  i  Sigilli  Antichi  de'  secoli  bassi,  VI.  Nr.  1. 

V.  Majestätssiegel  für  Ungarn. 
Vorderseite. 

S.  majestatis.  ladislai.  dei.  gra.  hungarie.  bohemie.  dalmacie.  croacie.  rame.  servie.  gallicie. 
lodomerie.  comanie.  bulgarieq.  regis.  Der  erste  Buchstabe  Übergangs-Lapidar,  das  übrige  deutsche 
Minuskel  auf  einem  Schriftbande  zwischen  zwei  Linien.  Dieses  Siegel,  minder  prächtig  als  die 
beiden  vorhergehenden,  zeigt  den  König  in  einer  Nische,  welche  oben  mit  einem  Rundbogen 
schliesst,  zu  Throne  sitzend.  Stabbündel,  Giebel  und  Spitzsäiilen,  alles  aber  in  einem  kleinlichen 
Massstabe  zieren  die  Aussenseiten,  während  der  Hintergrund  der  Nische  mit  einem  reich  gestickten 
Teppich  behangen  ist,  der  sich  über  die  Sitzfläche  des  Thrones  ausbreitet,  und  von  da  bis  zu 
dem  Thronschemel  hinab  reicht.  Krone,  Scepter,  Reichsapfel  und  Bekleidung  des  Fürsten  sind 
wie  auf  dem  österreichischen  Majestätssiegel,  nur  fehlt  die  Stickerei  auf  Tunik  und  Mantel,  der 
letztere  wird  vorne  durch  ein  breites  Band  und  zwei  Spangen  festgehalten;  der  Haarschmuck 
besteht  in  kleineu  dicht  gekräuselten  Locken,  die  zu  beiden  Seiten  des  Hauptes  einen  Wulst 
XIV.  28 


198  Kj 


ARL   VOS    S>AVA. 


bilden.  Der  Kopf  ist  in  einem  bedeutenden  Relief  gehalten,  daher  das  Gesicht  als  der  höchste 
Punkt  des  Siegels  gewöhnlich  abgeplattet  vorkommt.  Die  Füsse  ruhen  auf  dem  mit  Teppich 
belegten  Thronschemel.  Ausserhalb  des  Portals  befinden  sich  durch  Verzierungen,  die  aus  der 
inneren  Schriftlinie  hervorragen,  gestützt,  rechts  die  Wappenschilde  von  Neu-UngLrn,  Böhmen. 
Luxemburg  und  der  österreichische  Bindenschild  pfahlweise  gestellt,  der  letztere  wird  von  einer 
kleinen  Thiei-figur  getragen,  links  in  gleicher  Weise:  Alt-Ungani.  Dalmatien,  der  Schild  mit  den 
füuf  Adlern,  und  Mähren. 


Kehrseite. 


S.  majestatis.  ladislai.  dei.  gra.  hungarie.  bohemie.  dalmacie.  croacie.  rame.  servie.  gallicie. 
lodomerie.  comanie.  bulgarieq.  regis.  ducis.  austrie.  stirie.  lucenbgn.  karinthie.  et.  car  (2.  Zeile) 
niole.  marchionis.  morauie.  bgouie.  (burgovie)  dni.  marchie.  sclauonic.  et  portus  naonis.  comitis. 
habspurge.  tirolis.  pherretis.  et.  kibvrge.  nee.  non.  lantgravy.  alsacie.  etc.  Der  erste  Buchstabe 
Übergangs-Lapidar,  die  übrige  Schi-ift  deutsche  Minuskel  zwischen  drei  Kreislinien.  Die  zierlich 
gearbeitete  Kehrseite  zeigt  in  der  Mitte  einen  Engel,  der  mit  ausgebreiteten  Flügeln  hinter  dem 
Schilde,  in  welchem  sich  das  ungaiüsche  Patriai-chenkreuz  auf  drei  Hügeln  befindet,  bis  über  die 
Brust  emporragt,  und  mit  der  Rechten  den  altungarischen,  mit  der  Linken  den  böhmischen  Schild 
hält,  an  welche  sich  rechts  Dalmatien  und  Luxemburg,  links  Österreich  und  Mähi-en  anreihen, 
alle  gegen  den  Mittelschild  geneigt.  Auf  den  Schilden  von  Luxemburg  und  Mähren  sitzen  kleine 
Figuren.  Waldmänner,  deren  jede  eine  Stange  hält,  an  welche  der  mittlere  Schild  mittelst  Ringen 
befestigt  ist.  Das  mit  Sternchen  besäete  Siegelfeld  umschliessen  sechs  Bogenabschnitte  an  den 
Spitzen  mit  Blätterknorren  verziert,  an  die  Concavseiten  derselben  lehnen  sich  kleine  Blumen- 
bogen  an,  in  den  Aussenwinkeln  sind  geflügelte  Drachen  angebracht.  Rund,  Durchmesser 
47«  Zoll.  Das  Original  in  weissem  Wachs  an  einem  Wapi^enbriefe  für  Hanns  Kaustorfer,  Kam- 
mergrafen der  Münze,  gegeben  zu  Ofen  am  22.  März  1456;  im  kaiseriichen  Hausarchive. 

VI.  Majestatssiegel  für  das  Herzogthnm  Schweidnitr. 

Ladislaus.  dei.  gracia.  bohemie.  rex.  et.  dux.  swidnitzensis  et  iawrensis.  Deutsclie  Minuskel 
mit  Ausnahme  des  ersten  Buchstaben,  zwischen  Perienliuien.  Der  zu  Throne  sitzende  König  ist 
mit  einer  gegürteten  Tunik  bekleidet,  welche  am  Halse  geschlitzt  und  bis  zum  Gürtel  mit  Tiner 
Reihe  von  Knöpfen  besetzt  ist.  Eine  Spange  hält  vorn  an  der  Brust  den  Mantel  zusammen,  der 
in  kümmeriichen  Falten  über  dem  Schooss  liegt.  Eine  Laubkrone  deckt  das  Haupt,  dessen  Haare 
an  beiden  Seiten  dicht  gekräuselt  sind.  In  der  Linken  hält  der  Fürst  ein  mit  Knorren  verziertes 
Scepter.  und  in  der  erhobenen  Rechten  den  Reichsapfel.  Im  rankenerfüllten  Siegelfelde  schwebt 
zu  Seiten  des  Thrones  rechts  der  böhmische  Wappenschild ,  links  jener  von  Schweidnitz.  In 
künstlerischer  Ausführung  steht  dieses  Siegel  gegen  die  übrigen  Porträtsiegel  dieses  Königs  weit 
zurück.  Rund,  Durchmesser  3  Zoll,  2  Linien. 

\II.  Sigillum  Ladislai  Dei  Gracia  .  Hungarie  .  bohemie  zc.  Regis  Ducis  Austrie  et  Mar- 
chionis Moravie  zc.  Deutsche  Minuskel,  die  Anfangsbuchstaben  Majuskel,  die  Randlinie  an  der 
inneren  Seite  mit  Sternchen  verziert,  dm-ch  eine  Stufenlinie  vom  Siegelfelde  geschieden.  Die  das 
Siegelbild  umrahmende  innere  Schriftlinie  schliesst  sich  oben  nicht  ganz,  sondern  die  mit  Knorren 
verzierten  Endpunkte  stehen  neun  Linien  von  einander  ab.  Von  ihnen  senken  sich  vier  Linien 
lange  Stäbe  herab,  an  welche  sich  ein  Ornament  aus  fünf  Bogentheilen  anschliesst,  deren  innere 
Fläche  mit  Sternchen,  die  Spitzen  aber  mit  Knorren  verziert  sind.  Löwenköpfe  füllen  die  beiden 
obersten,  und  Masswerk  die  übrigen  Aussenwinkel  aus.  In  den  Bogenkrümmungen  sind  die 
^^  appen  von  Ungarn,  Luxemburg,  Oberösterreich,  Mähren  und  Böhmen  angebracht.  Die  einan- 
der gegenüber  stehenden  Schilde  von  Ungarn  und  Böhmen  werden  von  Engeln,  und  jene  von 


Die  Siegel  der  ösTEnREicHisciiEX  ÜECEJiTEN. 


i99 


Fig.  5. 


Luxemburg  und  Mähren  von  geharnischten  Männern 

gehalten.  In  der  Mitte  des  Siegelbildes  hat  ein  Löwe 

den  österreichischen  Schild  mit  gerauteter  Binde  vor 

sich,    er  stützt  sich   mit  den  Hinterfüssen  auf  den 

Luxemburgischen  und  Mährischen  Schild ,  mit  den 

Vorderpranken  hält  er  jene  von  Ungarn  und  Böhmen. 

Über  seinem  Kopfe  schwebt  ein  Schriftband  mit  den 

Majuskeln:  A.  D.  C.  J.  P.   und  über  diesen  eine  Bü- 
gelkrone, deren  Kreuz  zwischen  den  Worten  Sigil- 

lum  t  Ladislai  in  die  Umschrift  hineinragt.   Unter 

dem  österreichischen  Schilde  auf  einem  Schriftbande 

die  Jahreszahl  l>*>-t>2..  Rund,    Durchmesser  2  Zoll, 

11  Linien,  Li  rothem  Wachs  auf  ungefärbter  Schale 

hängt  dieses  Sietjel  an  dem  Schutzbrief  des  Königs 

Ladislaus  für  das  St.  Clarenkloster  in  Wien.    „Des 

zu  Urkund  den  Brief  versigelt  mit  unserm  kunigh- 

lichen  anhangenden  Lisigel".   Wien  am  Mitichen  vor 

dem  heil.   Pfingsttag  (21.  Mai)  1455.    In  dem  Bestätigungsbriefe  über  die  Stiftsprivilegien  von 

ZwetteP,  an  welchem  ebenfalls  dieses  Siegel  hängt,  heisst  es  „cum  sigillo  quali  in  Aus  tri  a 

ipse  uti  solet".  Auch  in  der  Urkunde  über  die  Mauthfreiheit  des  Stiftes  Osterhofen,  Wien  am 
„treitag  nach  sand  Johanns  tag  zu  sunnen  wenten"  1456  (25.  Juni)*  wird  dieses  Siegel  als  das- 
jenige bezeichnet,  „das  wir  in  unserm  fürstentumb  O  sterr  eich  gebrauchen".  Abbil- 
dungen: Hanthaler  1.  c.  Taf.  20,  Fig.  3,  ann.  1455,  ganz  unbrauchbar,  wegen  der  fehlerhaften 
Umschrift.  Auch  die  Krone  ist  verfehlt,  die  Schriftbänder  sind  weggelassen,  die  Engel  und  gehar- 
nischten Männer  als  Schildhalter  mangeln  ebenfalls,  der  luxemburgische  Löwe  ist  in  den  steieri- 
schen Panther  umgebildet  u.  s.  w.  —  Mon.  boic.  XII.  Taf  2,  Fig.  6,  ist  nicht  so  unrichtig  als 
die  vorige,  aber  nach  einem  verstümmelten  Originale  gefertigt,  auch  auf  ihr  fehlen  die  Engel  und 
Ritter  als  Schildhalter  (Fig.  5). 

VIIL  t  S.  ladislai.  dei.  gracia.  hungarie.  bohemie.  dalmacie.  croacie.  regis.  ducis.  anstrie. 
et.  mai-chionis.  mora.  Deutsche  Minuskel  zwischen  zwei  Kreislinien.  Ein  quadrirter  Schild  von 
Strahlen  umgeben,  im  ersten  Felde  das  altungarische,  im  zweiten  das  böhmische,  im  dritten  das 
österreichische,  im  vierten  das  mährische  Wappen.  Rund,  Durchmesser  2y2  Zoll.  —  Nach  der 
Abbildung  bei  Pray  1.  c.  Taf  12,  Fig.  2  vom  Jahre  1454. 

IX.  Von  einem  Stufem-ande  umschlossen,  oben  die  Buchstaben:  L.  K.  V.  (Ladislaus  Kral 
Uhersky).  Zu  jeder  Seite  der  Buchstaben  senkt  sich  eine  ungeföhr  einen  Viertelzoll  lange  Stab- 
linie herab,  an  welche  sich  eine  aus  drei  Halbrundbogen  gebildete  kleeförmige  Verzierung 
anschliesst,  deren  Spitzen  mit  Blätterknorren  besetzt  sind,  in  den  zwei  grösseren  Aussenwinkeln 
dieses  Ornamentes  befindet  sich  je  die  Büste  eines  Engels  mit  ausgebreiteten  Flügeln.  Das  Siegel- 
bild zeigt  in  der  Mitte  den  österreichischen  Schild  von  einem  Engel  mit  ausgebreiteten  Flügeln 
gehalten,  er  ist  mit  einer  langen  gegüi-teten  Tunik  bekleidet  und  hat  auf  dem  vom  Strahlennimbus 
umgebenen  Haupte  einen  Reif,  von  welchem  sich  ein  Ki-euz  erhebt.  In  den  Bogenkrümmungen 
befinden  sich  rechts  der  altuno^arische,  links  der  böhmische,  und  unterhalb  des  österreichischen 
Wappens  der  mährische  Schild;  letzterer  wird  von  zwei  Engeln  gehalten,  deren  Flügel  zugleich 
den  ungarischen  und  den  böhmischen  Schild  stützen.   Rund,  Durchmesser  1  Zoll,   8  Linien.    In 


3  Link  Annal.  11.  119.  b. 
*  Mon.  boic.  XII.  494. 


2(MI 


Kabl  von  Sava.  Die  Siegel  per  österkeichisches  Regesten. 


rothcni  Wachs  auf  iingefiirbter  Schale  häng-t  dieses  Siegel  im  kaiserliehen  Haiisarcliive  an  der 
Urkunde,  durch  welche  Ladislaus  Posthuuius  an  Herzog  Ludwig  von  Baiern  ein  Kreuz  und  Edel- 
steine ura  30.000  ungarische  Gulden  verpfändet,  am  8.  Jänner  145-t.  Die  Abbildung  in  den  Font, 
rer.  Austriacar.  ü,  Nr.  VII  kann  weder  schön  noch  gut  genannt  werden. 

X.  (1)  Ladislaus  :  dni  (2)  :  gi-acia  :  lninga(3)rie  :  et :  hohe 
(4)raie  :  zc  :  rex  :  x  :  Der  erste  Buchstabe  Übergangs-Lapidar, 
die  anderen  deutsche  Minuskel,  zwischen  zwei  Kreislinien. 
Im  Siegelfelde  durch  schräg  geki-euzte  Streifen  gegittert,  darin 
je  ein  Stern  —  befindet  sich  ein  gekrönter  Schild,  senkrecht 
gespalten,  im  rechten  Feld  das  Wappen  Alt-Ungarns,  die  Sil- 
berstreifen damascirt,  im  linken  Felde  der  böhmische  Löwe- 
Zwei  vom  Schilde  abgekehrte  Raben  mit  zurückgewendeten 
Köpfen  bilden  die  Schildhalter.  Den  Mittelschild  umgeben 
viir  kleine  Schilde,  der  oben  mit  dem  österreichischen,  unten 
mit  dem  luxemburgischen,  rechts  dem  schlesischen  und  links 
mit  dem  mährischen  Wappen.  Smittmer  fand  dieses  Siegel 
in  rothem  Wachs  auf  ungefärbter  Schale  an  der  Urkunde 
hängen,  durch  welche  Ladislaus  den  Johannitern  erlaubt,  ihr 
in  Böhmen  gelegenes  Gut  Bytozewcs  zu  verkaufen.  Wien,  am  25.  October  1455.  Im  llausarchive 
befindet  sich  dasselbe  an  der  Urkunde  _de  jure  siio  in  Lyczkow  Wenceslab  Wlizek  de  Minü-z 
collato.  19.  Jänner  1454.  Rund.  Durclmiesser  2'/«  Zoll  (Fig.  C). 


Fiir.  C. 


Kleinere  Beiträge  und  Besprecliungen. 


Die  Marienkirche  in  der  Vill,  näclist  Neumarkt  in 
Tyrol. 

(Mit  3  Holzschnitten.) 

Eine  Viertelstmule  nöidlif-h  von  Neumarkt  durch- 
zieht die  Landstrasse  den  Weiler  Vill  (viila),  wohl  an 
der  Stelle  eines  uralten  Meierhofes  der  nahen  römischen 
Station  Endide.  Wider  Erwarten  findet  man  da  eine 
gothische  Kirche,  welche  nicht  nur  allein  mit  anderen 
Bauten  des  Landes  verglichen  Beachtung-,  sondern  auch 
an  und  für  sich  alle  Aufmerksamkeit  verdient.  Sie 
zeichnet  sich  durch  schöne  Verbältnisse  und  reich  l)e- 
handelte  Einzeltheile  aus. 

f.  Derbeigegebeue  Grundriss  (Fig.  1)  zeigt  ein  gleich- 
seitiges Viereck  von  ungefähr  06  Fuss  lichter  Weite,  als 
Laienraum,  an  weiches  gegen  Osten  ein  entsprechend 
geräumiger  Chor ,  gegen  Westen  der  Glockenthurm 
angeschlossen  ist.  Vergleicht  man  den  Chor  mit  dem 
dreitheiligen  Schilfe,  so  lässt  sich  aus  dem  Baue  der 
Fenster  und  der  Anlage  der  Strebepfeiler  gleich  deutlich 
erkennen,  dass  jenes  älter  ist.  Wir  fassen  zuerst  die 
Aussenseite  näher  ins  Auge,  so  wie  sich  die  Lage  der 
Kirche  dem  Beobachter  darbietet. 

Der  Glockenthurm  zeigt  einen  einfachen,  aber  kräf- 
tigen Sockel  und  bildet  in  seinem  untersten  Geschosse 
über  den  Kircheneingang  eine  gefällige  Halle,  welche  mit 
einem  sternartigen  Rippengewölbe  versehen  ist.  Höher 
hinauf  theilen  ihn  mehrere  Gesimse  in  Stockwerke  ab, 
und  eine  stumpfe  vierseitige  Pyramide,  mit  Hohlzie- 
geln gedeckt,  ersclieiut  als  Abscliluss  des  Ganzen.  Die 
Schallfenster  bestehen  aus  einfachen  spitzbogigen  Öff- 
nungen ohne  weitere  reichere  Behandlung.  Selbst  das 
Masswerk  fehlt  jetzt,  kann  aber  ursprünglich  vorhan- 
den gewesen  sein.  Die  Abseiten  des  Schilfes  der  Kirche 
schliessen  geradlinig  ab,  und  sind  durch  einen  Sockel 
und  durch  das  hart  unter  der  Sohlbank  der  Fenster  hin- 
laufende Kalfgesims  und  durch  Strebepfeiler  belebt. 
In  Hinsicht  der  Form  des  Strebepfeilers  bemerkt  man, 
dass  jene  am  Schiffe  schwach  hervortreten  und  bereits 
dreieckig  erscheinen,  während  die  am  Chore  und  an 
der  Facade  noch  in  länglicher  Vierecksform  mit  einma- 
liger stärkerer  Verjüngung  und  zierlichem  giebelförmi- 
gem  Abschlüsse  gebaut  wurden.  Der  Chor  als  der 
Haupttheil  des  Gotteshauses  ist  überdies  noch  in 
anderer  Weise  ausgezeichnet.  Zu  diesem  Zwecke  über- 
kleidete man  ihn  mit  schön  gehauenen   Werkstücken 

XIV. 


und  brachte  an  den  Gewänden  der  Fenster  eine  rei- 
cliere  Gliederung  an.  Der  Theilungspfosten  löst  sich 
noch  in  gefällige,  streng  geometrische  Formen  des  Vier- 
passes und  des  Vierblattes  auf.  Eigenthümlicher  Weise 
gab  man  einem  Vierpasse  eine  schiefe  Lage.  Im  Schiffe 
sind  die  Fenstergewände  einfach  glatt ;  das  Masswerk 
besteht  schon  aus  Fischblasen.  Diese  Fenster  sind 
bedeutend  l)reiter  als  jene  des  Chores,  sind  daher  auch 
mit  zwei  Theilungspfosten  versehen. 


Fi-    1. 


n 


Fi;,'. 


Einjrang  hat  diese 
Kirche  nur  einen,  weicher, 
wie  bereits  bemerkt  wurde, 
mitten  an  der  Westseite 
unter  derThurnihalie  liegt. 
Er  ist  durch  reiciie  und 
kräftig  gehaltene  Gliede- 
rung von  Stäben  und  Hohl- 
kehlen ausgezeichnet.  Aus- 
serdem sehen  wir  vierCon- 
solen  mit  Baldachinen  für 
Figuren,  doch  fehlen  diese 
letzteren. 

Noch    mehr    als    die 
Aussenseite,  befriedigt  das 
Innere  dieses  dreisciiifl'igen 
Hallenbaues.    Vier   Rund- 
pfeiler   tragen    mit   ihren 
entsprechenden  Wand-  und 
Eckenpfeilern  ein  reich  ver- 
schlungenes Netzgewölbe. 
An  den  Wandpfeilem  be- 
merkt man   eine  hübsche 
Gliederung,  welche  durch 
einen    kräftigen  Rundstab 
in    Verbindung  mit  Plätt- 
chen und  Hohlkehlen  ge- 
bildet wird.  Jene,  welche 
an  der  Ost-  und  Westwand 
den    Rundpfeilern    gegen- 
überstehen ,    zeigen    noch 
über  genanntes   Profil  die 
Spitze     eines    Dreieckes. 
An  den  Wänden  der  Ne- 
benschiffe    kreuzen     sich 
bereits  die  Rippenbündel, 
])evor  sie  sich  über  ihren 
Fusspunkten    weiter    ver- 
zweigen.       Entsprechend 
dem    Kaftgesims     an    der 
Aussenseite,  läuft  ein  zar- 
tes   Gesims     auch    innen 
unter      der     Fensterbank 
herum  hin  und  macht  auf 
die   Wand    eine    gefällige 
Wirkung.  Bemerkenswerth 
erscheint  uns   auch,    dass 
der     Fussboden     in     den 
Nebenschiffen   höher  liegt 
als  im  Hauptraum.  In  Tyrol 
findet  man  diese  Erschei- 
nung nur  noch  in  der  Hof- 
kirche zu  Innsbruck,  einem 
Bau  aus  dem  16.  Jahrhun- 
dert.  Reichere  Gliederung 
zeigt   sich    dann  auch  am 
-.-  Triumphbogen.     Ungefähr 
in  der  halben  Höhe  seines 
seukrechtlaufunden  Unter- 
baues   trägt    er    an    den 
beiden  Flächen  der  Innen- 
seiten zwei  Consolen;  auf 
der  einen  von  diesen  steht 
noch  die  Statue  des  Erz- 


Fig.  3. 

engeis  Gabriel.  Es  war  also  ohne  Zweifel  der  engli- 
sche Gruss  dargestellt  gewesen.  Höher  darüber,  wo  die 
Fusspunkte  des  Sitzbogens  beginnen,  erscheinen  in  den 
Hohlkehlen  der  Aussen-  und  Innenseite  andere  kleine 
Consolen,  welche  mit  Köpfen  geschmückt  sind  und  so 
ein  Unteybrechungsglied  der  langgestreckten  Linie,  eine 
Art  Capital  bilden,  wie  man  das  auch  an  den  älteren 
Chören  der  nahe  gelegenen  Orte  Neuniarkt  und  Tramin 
noch  deutlicher  ausgedrückt  findet.  Die  Verästunic  der 
Rippenbündel  des  Chores  ist  einfacher  gehalten  als  in 
den  Schiffen,  aber  die  Gliederung  der  Träger  ist  reicher. 
Es  sind  dies  durchaus  Bündel  von  zarten  Stäben, 
welche  von  einem  gemeinsamen  Sockel  sich  erheben 
und  in  einem  zierlichen  mit  figuralen  Darstellungen 
geschmückten  Capital  abschliessen.  Wir  bemerken  im 
dreiseitigen  Abschluss  die  vier  Sinnbilder  der  Evange- 
listen, an  den  zwei  anderen  Stellen  Engel  mit  Spruch- 
bändern, dabei  auch  ein  paar  Steinmetzzeichen. 

In  die  Ecke  zwischen  dem  Abschluss  des  nörd- 
lichen Nebenschiffes  und  dem  Chore  ist  die  Sacristei 
hineingebaut.  Aussen  bemerkt  man  an  derselben  ein 
kräftiges  Dachgesims,  innen  im  Chore  den  Eingang  in 
der  Form  des  glatten  Kleeblattbogens,  an  dessen  nach 
einwärts  schauenden  Spitzen  zwei  kleine  Köpfe  aus- 
gemeisselt  sind. 

Von  den  drei  folgenden  Gegenständen,  dem 
Saeramentsh ansehen,  der  diesem  gegenüberlie- 
genden Wandnische  und  dem  Kanzel -Unterbau 
ist  ersteres  besonders  merkwürdig.  Das  Sacraments- 
häuschen  (Fig.  2  und  3 ),  wie  gewöhnlich  auf  der  Evan- 
gelienseite des  Chores,  ist  ganz  aus  grauem  Sandstein 
gebaut,  mit  drei  Seiten  frei  und  steigt  in  mehreren 
Stockwerken  zierlieh  und  schlank  hoch  empor.  Auf 
einem  säulenartigen  Fasse,  welcher  mehrere  reichere 
Gliederungen  an  sich  trägt,  erhebt  sich  der  eigent- 
liche Schrank  zum  Verschluss  des  Ailerheiligsten.  Sein 
Schmuck  besteht  aus  kräftigen  Gesimsen  und  Säul- 
chen, welche  in  den  Ecken  eingesetzt  sind,  nnd  über 
das  Ganze  ist  eine  weit  vorragende  baldachinartige 
Anlage  angebracht.  An  den  einzelnen  Gliederungen  um 
die  zierlichen  Tiiürclicn  auf  den  drei  freistehenden 
Seiten  bemerkt  man  Spuren  von  einstiger  Polychromi- 
rung  in  Roth  und  Blau.  Die  darüber  emporwachsenden 
Stockwerke  sind  durchbrochen  und  setzen  sich  aus 
Säulchen  in  Verbindung  mit  Wimbergen,  Fialen  und 
Strebepfeilern  zu  einem  sehr  gefälligen  Aufbau  zusam- 


III 


men.  Den  Abschluss  bildet  eine  heimartige  Spitze, 
welche,  durch  Krabben  reich  belebt,  in  eine  Kreuzblume 
ausläuft.  Zwei  oflcne  Stockwerke  waren  für  Rundtiguren 
bestimmt;  die  eine  davon,  Christus  die  Wundeuniale 
zeigend,  ist  noch  vorhanden.  Bei  dieser  so  zarten  An- 
lage konnten  wenigstens  Einzeltheile  in  Folge  der  vielen 
Unbilden  seit  neuester  Zeit,  wo  die  Kirche  als  Bretter- 
niederlage diente ,  nicht  unverletzt  bleiben.  Mehrere 
Fialen  und  andere  zartere  Theile  sind  zertrümmert. 

Die  gegenüberliegende  Wandnische  schliesst  in 
Form  eines  leicht  gesehweiften  Spitzbogens  ab.  Das 
Ganze  macht  eine  herrliche  Wirkung  für  den  Chor.  Es 
ensteht  nun  die  Frage,  wozu  diese  Nische  gedient  haben 
mag?  Die  Alten  brachten  nicht  selten  an  diese  Stelle 
eine  Nische  mit  einer  Bank  an,  worauf  zur  Zeit  ihres 
Gebrauches  Sitzpolster  gelegt  wurden,  um  den  Dienst 
unserer  beutigen  Sedilien  zu  leisten.  Weil  man  hier 
sogar  ein  Sacramentshäuschen,  und  zwar  ein  so  reich 
behandeltes  findet,  so  muss  diese  Kirche  einst  in  gros- 
sem Ansehen  gestanden  sein.  Es  mögen  daher  wohl 
auch  Sedilien  bisweilen  nothwen  dig  gewesen  sein.  Wahr- 
scheinlicher jedoch  haben  wir  hier  einen  jener  Wand- 
schränke zu  suchen,  welche  zur  Aufbewahrung  heiliger 
Gefässe,  Reliquiarien  und  dergleichen  dienten. 

Die  Kanzel  stand  am  zweiten  Gewölbepfeiler  (vom 
Eingang  aus  gerechnet)  auf  der  Südseile  des  Schiftes. 
Sie  war  aus  Sandstein,  welcher  überhaupt  zu  allen 
Gliederungen  der  Kirche  in  Verwendung  kam.  Leider 
hat  sich  aber  von  ihr  nur  mehr  der  Fuss  und  die  um 
den  Pfeiler  sich  windende  Stiege  erhalten.  Ersterer  hat 
die  Form  eines  einfachen  polygonen  Pfeilers,  an  dem 
sich  Stäbe  in  der  Richtung  einer  leichten  Schnecken- 
windung hinaufziehen. 

Durch  den  unermüdlichen  ürkundensammler  und 
Geschichtsforscher  P.  Justinian  Ladurner  kamen  wir 
auch  in  den  Besitz  einer  treuen  Copie  jener  Urkunden 
aus  dem  Pfarrarchiv  von  Neumarkt,  welche  sehr  inter- 
essante Aufschlüsse  über  die  Bauführung  dieses  merk- 
würdigen Denkmals  mittelalterlicher  Kunst  in  Tyrol 
enthalten.  Daraus  erhellt,  dass  im  Jahre  1412  „Matheys 
Sün  vlrichs  am  tempel  auss  der  vill  chirchnprast  zu 
vnser  liebu  frawn  daselbs  in  der  vill  bey  newenmarkgt 
mit  gunst  willen  vnd  wort  der  nachpawrschafft  in  der 
vill  da  entgegen,  was  vlrich  sein  Vater,  seine  prüder 
u.  a.  nachgebawen  hingelassen  vnd  verdinget  haben 
ainen  Chor  vnd  ainen  sagraer  zu  machen  zu 
der  lieben  vnser  frawen  chirchen  in  der  Vill  mit  sollichen 
besundern  gedinge  alz  hernach  geschriben  stet  Mais  t  er 
Chunrattn  den  Stainmezn  zu  dem  obgenantn  newen- 
markgt''.—  Wir  lernen  hier  die  Erbauer,  den  Baumeister 
und  zugleich  die  Bauzeit  des  schönen  Chores  kennen. 
Lohn,  heisst  es  weiter,  soll  der  genannte  Baumeister 
soviel  erhalten  „alzo  man  demselben  geyt  von  dem  werich 
zuSandnyclausen  zu  neumarkgt".  Also  auch  der  ähnlich 
schöne  Chor  der  St.  Nicolaus -Pfarrkirche  im  nahe 
gelegenen  Neumarkt  rührt  von  diesem  Meister  her. 
Der  Steinbruch  war  in  Vorrn  (dem  heutigen  Dorfe 
Auer?).  Im  weiteren  Texte  der  Urkunde  wird  dann 
weitläufiger  der  Lohn  und  andere  Gaben  für  den  Bau- 
meister und  seine  Gesellen  beschrieben,  sowie  die  Zeit 
angegeben,  wann  er  die  Arbeit  unterbrechen  darf,  wann 
nicht.  —  Mit  dem  Steinmetzen  Äleisfer  Chunratt  scheint 
aber  nur  wegen  des  Aufbaues  des  Chores  ein  Vertrag 
abgeschlossen  worden  zu  sein,    denn  im  Jahre   1473 


unterhandelten  „kirchbräbst  Balthasar  Winkler  und  An- 
dere mit  dem  f  ü  r  s  i  c  h  t  i  g  e  n  M  a  i^  t  e  r  P  e  t  e  r  n  S  t  a  i  n- 
metzen  von  vrft  wesenlichen  zu  Tramonn 
(Tramin?),  das  der  benannt  maister  Peter  abseiften 
so  weiland  maister  fewr  angefangen  auf  demselben 
Form  vnd  vizirung  ganz  volbriugen  sol  bis  vudters  dach 
vnd  desgleichen  auch  dan  pfeiler  mit  dem  Gestain  so 
maister  Hans  fewr  nach  Im  maister  Andre  Hof  er 
habent  gehawt  auf  Ir  hoch  volkomenlich  versetzen  vnd 
soll  er  auch  die  andern  abseittn  nach  dem  vnd  noch 
mit  ratt  fürgenomen  wirdet  gar  in  den  grünt  oder  in  die 
alt  mawr  gleicher  weis  der  ersten  abseitten  vnders  dach 
mawrnvnd  volstreckchenn  vnd  in  das  paw  allennthalbea 
keinen  weteraysigen  Stain  noch  fauls  gestain  ver- 
setzen".—  Nun  folgen  die  weiteren  Vertragsbestimmun- 
gen. Gegen  Ende  der  Urkunde  heisst  es:  „Aber  der 
kirchbräbst  ist  nicht  schuldig  vorhin  icht  hinaus  zu 
geben  vnd  so  der  paw  vnd  arbait  wie  oben  bemelt  ganntz 
volstreckcht  vnd  volpracht  ist  will  man  dann  weitter 
pawen  ge weihen  oder  anders  Stugen  dann  die  nach- 
paurschaft  vnd  der  maister  aber  desselbigen  paws 
überain  werden".  —  Also  dieEinwölbung  wurde  vorder- 
hand letztgenanntem  Meister  nicht  ül^ertragen.  Es  ist 
dies  ein  neuer  Beweis,  wie  bedächtig  die  Alten  bei 
einem  Kirchenbau  vorgingen,  um  auch  mit  beschränk- 
teren Älitteln  doch  am  Ende  ein  schönes  Gotteshaus 
herstellen  zu  können.  Sie  stellten  einen  schönen  Grund- 
plan fest,  und  diesen,  wenn  auch  stückweise  auszuführen, 
war  stets  dankbar. 

Die  Einwölbung  des  Schiffes  scheint  nach  den 
bereits  sich  durchschneidenden  Rippen ,  wie  oben 
bemerkt  ward,  zu  schliessen,  erst  in  den  ersten  Jahren 
des  16.  Jahrhunderts  statt  gefunden  zu  haben.  Diese 
eben  beschriebene  Kirche  befindet  sich  gegenwärtig  in 
einem  Zustande,  in  welchen  sie  nur  Barbarismus  und 
völlige  Gleichgiltigkeit  bringen  konnte.  Aber  trotz  aller 
Unbilden,  welche  sie  als  gemeines  Bretter-  und  Wagen- 
magazin erlitten  hatte,  wäre  doch  noch  ohne  grosse 
Kosten  eine  ihrem  Kunstwerthe  würdige  Herstellung 
möglich,  und  dies  hotten  wir  auch,  weil  sich  ein  bes- 
serer, das  Alterthum  gebührend  ehrender  Geschmack 
täglich  mehr  Bahn  bricht.  Karl  Atz. 


Ülier  die  verscMedenen  Formen  des  G-ebäckes  in 
Wien. 

(Mit  7   Holzschnitten.) 

Wir  sind  so  sehr  daran  gewöhnt,  unser  Brot,  unsere 
Kipfel  und  Semmel  vor  uns  zu  sehen,  dass  wir  gar 
nicht  mehr  auf  sie  achten.  Wir  wissen,  dass  man  in 
der  Fastenzeit  B  r  e  t  z  e  n,  zu  Ostern  die  0  s  t  e  r  f  1  ecken 
und  zu  Allerheiligen  die  Heiligenstritzel  zu  kau- 
fen bekommt;  aber  es  fällt  eben  wieder  aus  Gewohn- 
heit Niemanden  ein,  darüber  nachzudenken,  warum 
man  dem  Teig  bald  diese,  bald  jene  ganz  eigenthümliche 
Form  gebe,  am  wenigsten  wissen  es  die  Bäcker  selbst, 
und  der  geistreiche  Lichtenberg  hat  hier  wieder  voll- 
kommen recht,  wenn  er  sagt:  „Leute  von  Metier  verste- 
hen oft  das  Beste  nicht."  Indessen  ist  die  Frage  über 
die  verschiedenen  Gestaltungen  des  Wiener  Gebäckes 
eine  an  und  für  sich  höchst  interessante,  und  gehört, 
wie  man  aus  den  folgenden  Zeilen  erfahren  wird,  voll- 
kommen in  das  Gebiet  der  Altertluunskunde,  indem 

a* 


!V 


luau  zu  ibrer  Lösung  bis  in  die  germanische  Vorzeit 
hinaufsteigen  ninss. 

Diese  Kiplel  nnd  Semmeln,  diese  Wecken  uiul 
Siritzel,  die  man  nirgends  von  solcher  Güte  findet  wie 
in  Wien,  sind  nämlich  keinesweges  durch  die  erfinde- 
rische Laune  irgend  eines  Bäckers  entstanden,  sondern 
danken  ihr  Dasein  alten  mythischen  Ansichten  und  Ge- 
bräuchen, und  wenn  sie  sich  bis  auf  unsere  Tage  fort- 
erbten und  erhielten,  so  kam  es  nebst  der  oben  ange- 
deuteten ^.Gewohnheit- —  der  conservativsten  aller  Be- 
weggründe und  der  eigentliehen  vis  inertiae  —  haujit- 
säihlich  auch  daher,  weil  die  ersten  chrisilichenl'riester 
weise  genug  waren,  an  gewissen  alten  Gewohnheiten 
nicht  zu  rütteln,  nnd  weil  sie  wieder  so  vielen  praktischen 
Sinn  hatten,  das  vorhandene  Alte  in  ein  christliches 
Kleid  KU  hüllen,  wodurch  sie  demselben  einen  neuen 
Keiz  verliehen,  der  ihren  eigenen  Zweiken  obendrein 
noch  forderlich  war. 

Dies  trifft  sich  min  ganz  ausge- 
zeichnet beiden  Osterflecken  (^Osfer- 
fladen")  Fig.  1,  welche  noch  von  frühe- 
ren Autoren,  die  noch  alle  Gebräuche 
aus  dem  Judenthnm  abzuleiten  suchten, 
mit  den  ungesäuerten  Broten  des  Pa- 
schah- Festes  verglichen  wurden  ".  Aber 
der  erste  klare  Blick  auf  dieses  Brot, 
mit  seiner  vom  Mittelpunkt  ausgehenden 
strahlenförmigen  Verzierung  weist  unmittelbar  und  un- 
zweideutig auf  die  Sonne  hin,  und  erinnert  an  das 
Siinnenrad  der  Germanen.  Welche  andere  Deutung 
könnten  auch  die  Rundfonii  dieses  Gebäckes  und  die  auf 
demselben  angebrachten  Strahlen  zulassen?  Um  aber 
unsere  Jleinung  zu  begründen,  müssen  wir  einiges  über 
Ostern  selbst  beibringen. 

Ostern  ist  für  uns  ein  hohes  kirchliches  Fest,  denn 
es  ist  das  Andenken  an  die  Wiederauferstehung  Christi, 
welches  auch  die  ganze,  aufs  neue  erwachende  Natur 
mit  uns  feiert.  Bei  den  Germanen  hingegen,  wie  bei 
vielen  anderen  l'r-  oder  Naturvölkern,  war  es  das  Fest 
der  nach  dem  langen  düsteren  Winter  wiederkehrenden 
Sonne,  das  Wiederkommen  des  Lithtes  und  der  Wärme 
und  der  freudigen  Erwartung  auf  das  Emporblühen  des 
Getreides  und  das  Reifen  der  Früchte.  0  star  bezeich- 
net die  Richtung  gegen  Morgen,  wie  das  heutige  Osten, 
und  die  Osiara  war  die  weibliche  Gottheit  des  aufstei- 
genden Lichtes,  welche  in  den  Tagen  der  Sonnenwie- 
derkehr auf  der  Erde  herumfuhr  und  die  Menschen, 
besonders  aber  die  Liebenden  beschenkte  =.  Wie  tief 
dieses  Osterfest  in  das  Leben  der  Menschen  eindrang, 
geht  aus  einer  Jlenge  von  Gebräuchen  lunvor,  von 
denen  wir  selbst  noch  viele  kennen  und  mitmachten, 
wenn  sie  auch  in  den  neuesten  Zeiten,  „wo  der  Dampf 
so  vieles  verdrängt",  mehr  in  Abstrich  kommen. 

Was  ist  das  ,.Fest  der  bemalten  Eier-  anders  als 
eine  Erinnerung  an  die  Wiederkehr  der  Sonne  V  Das  Ei, 
mit  dem  bildenden  Keime  und  dem  nährenden  kugel- 
runden Dotter,  war  von  jeher  ein  Sj-mbol  der  Welt,  und 
zu  Ostern  färbt  man  es  mit  Roth,  der  Farbe  des  Lichtes 
und  der  Freude,  um  das  Festkleid  anzudeuten,  in  wel- 
ches sich  nun  die  Natur  zu  hüllen  beginnt.  Oster- 
spiele wurden  aufgeführt:  man  steckte  das  Oster- 
b  1  ü  m  c  h  e  n,  welches  mit  seinen  strahlenförmigen  BlUthen 

■  Heu  manu.  Oputc.  p.  326.   n.  A. 

=  üia  »ird  hier  au  Schillerj  ,SUdchen  aus  der  Fremde-'  erinnerL 


an  das  Bild  der  Sonne  erinnert  (Bellis  i)erennis.Maasslieb), 
auf  die  Kuchen,  man  reini::tc  die  Häuser  und  weisste 
die  Wände,  und  sparte  im  Winter,  um  zu  Ostern  in 
neuen  Kleidern  umhergehen  zu  können,  man  /.Undete 
auf  den  Anhöhen  Osterfeuer  und  in  den  Zinnnern 
Osterlichter  an.  der  Herr  Pfarrer  bekam  tür  das 
Weihen  der  Ostereier  und  Osterfladen  einen  beson- 
deren Ostergrosehen,  dafür  niussie  er  aber  auch  in 
früheren  harmlosen  Zeiten  eine  besondere  Oster])re- 
digt  halten,  und  in  dieser  l'rediüt  mnsste  ein  Oster- 
schwank-  vorkommen,  worauf  dann  ptliclitinässig  das 
Ost  ergo  lacht  er  erscholl,  und  Alles  vergnüirt"  und 
zufrieden  nach  Hause  ging,  um  seinen  wackeren  und  bie- 
deren Ostertrunk  zu  thun,  dessen  sieh  schon  die 
heidnischen  Vorfahrer  eifrig  beflissen  hatten. 

Auch  Hess  man  in  trüberen  Tagen  das  Jahr  mit 
Ostern  beginnen,  und  in  dem  Hochstifte  Münster  war 
dies  noch  sogar  bis  zum  Jahre  1313  im  Gebrauch*, 
während  unter  Karl  dem  Grossen  (um  d.  J.  801)  das 
Jahr  von  der  „Gotfe.sgeburt-,  nänili'h  von  den  „Wihi- 
nächteiii  Weihenächten)  begann  ;  denn  <lie  Geburt  Christi 
wurde  schon  im  sechsten  Jahrhundert  auf  die  zwölf 
Nächte  der  Juelzeit  verlegt. 

Zu  Ostern  machte  sogar  die  aufgehende  Sonne  drei 
Freudensprünge  wegen  der  glorreichen  Auferstehung 
des  Herrn,  und  noch  tragen  viele  Orter  und  Gegenden 
den  Namen  von  Ostern,  z.  B.  Osterwald,  Osterborn, 
Osterbeck,  Osterwiese,  Osterode,  Osterkirche  u.  s.  f. 
Der  ehrwürdige  Beda  ^  schrieb  beiläufig  hundert  Jahre 
nach  der  Bekehrung  der  Sachsen: 

„Mein  Volk  (die  Angelsachsen)  nannte  in  seinem 
Heidenthume  den  Monat  .\pril  den  Estnrmonat,  von  sei- 
ner Göttin  Eostra,  weil  sie  um  diese  Zeit  ihr  Fest 
feierten,  jetzt  heisst  er  Ostermonat  und  das  Fest  Ostei- 
fest.  Weil  beide  in  eine  und  dieselbe  Zeit  fallen,  so 
ist  der  ehemalige  gewohnte  Name  beibehalten 
worden.-^ « 

Bei  dem  Bereiten  der  Osterflecken  mnsste  auch 
mit  besonderer  Sorgfalt  vorgegangen  werden :  Ort,  Was- 
ser und  Zeit  waren  wichtig,  denn  es  war  das  gesündeste 
aller  Gebäcke,  und  die  Wohlhabenderen  theilten  den 
Armeren  Osterflecken  aus,  denn  wer  keinen  hatte  oder 
bekommen  konnte,  dem  drohte  ein  Missgeschick  oder  gar 
ein  Unglück,  er  befürchtete  das  ganze  Jahr  in  Fin.«-terniss 
zu  wandeln,  da  ihm  das  ..Wibibrod-,  das  Sinnbild  des 
Lichtes  und  der  Wärme,  fehlte. 

Die  Rundiorm  der  Osterflecken  erinnert  noch  an 
mancherlei  Gebräuche,  die  vom  germanischen  Sonnen- 
dienste abstammen,  so  z.  B.  an  die  F  c  u  e  r  s  c  h  e  i  b  e  n  und 
an  das^\'epelra d.  Noch  s]);it  herein  war  es  in  Schwa- 
ben und  Graubündten  Gebrauch,  an  dem  ersten  Sonntag 
nach  demAschemiittwoeh,  dem  sogenannten  „Scheiben- 
sonntag-*  Abends  Feuer  auf  den  Bergen  anzuzünden  und 
brennende  Scheiben  zu  werfen.  Diese  waren  aus 
dünnem  trockenen  Holz  gefertigt,  hatten  sechs  bis  zehn 
Zoll  im  Durchmesser  und  besassen  in  der  Mitte  ein 
Loch,  durch  welches  man  einen  Stab  steckte.  An  die- 
sem hielt  man  die  Scheibe  in  das  Feuer  und  schleu- 
derte sie,  wenn  sie  in  vollen  Flammen  war,  in  einem 

*  Ein  Hauptlhema  dieses  Osierschwankes  oder  Oslerm'ahrleins  war,  wie 
der  heilige  Peirus  den  schelmischen  Wirlh  .vtra^ie,  der  ihn  prellen  wollte, 
oder  wie  *  bristus  der  Herr  bei  beiner  Fahrt  in  die  Vorhölle,  einem  vor- 
witzigen Teufel  die  Nase  abbrach  u.  s.  w    —   Wahrhaft  kindliche  Zeiten!    — 

*  Kindlinger.  Slüosterischc    Kciirüge  etc.  II.  S.  3Ü9. 

*  Ein  Priester  in  England  geb.  C72  und  gest.  735. 
'  Üentham.  Engl.  Kircheo^ilaat.  29.  §.  §  iv. 


;/ 


Fig.  2. 

der  Osternaclit 

man    leete    es 


grossen  Bogen  diircli  die  Luft.  Sie  sollten  die  lench- 
tende,  auf-  und  niedersteigende  Sonne  anzeigen.  In  den 
früheren  Tagen  mochte  man  jeder  dieser  Scheiben  einer 
be.sonderen  Gottheit  gewidmet  haben,  späterhin  aber 
widmete  man  die  erste  Scheibe  der  heil.  Dreifaltigkeit, 
die  zweite  der  heil.  Jlaria,  die  dritte  dem  König,  die 
folgenden  dem  Bürgermeister,  dem  Pfarrer,  der  Braut 
u.  s.  w. 

Das  Wepelrad  oder  Weiifel- 
rad  iFig.  2)  w\irde  aus  Weiden- 
ruthen geflochten,  jedoch  der  Art, 
dass  die  Sjieichen  als  verlängerte 
Spitzen  hervortreten.  In  die  Mitte 
legte  man  ein  Stück  goldfarbenes 
Blech  oder  im^iothfalle  Goldpapier, 
an  die  Spitzen,  welche  die  Sonnen- 
strahlen bedeuten  sollten,  steckte 
man  aber  Apfel  oder  andere  feinere 
Früclue  und  befestigte  dieses  Bad  in 
au  dem  Fenster  der  Geliebten  oder 
ihr  ,.auf  die  Diele".  Auch  dem  Bürgermeister  oder  dem 
Pfarrer,  wenn  sie  besonders  geachtet  waren,  widmete 
man  derlei  Wepel-  oder  Sonnenräder.  Dessgleichen 
liess  man  wirkliche  Bäder,  nachdem  man  sie  in  Flam- 
men gehüllt  hatte,  über  Bergabhänge  herunter  rollen. 
Es  wäre  noch  viel  über  den  Sonnendienst  anzuführen, 
besonders  wenn  mau  andere  alte  IMythen  beizöge,  wie 
z.  B.  den  Adonis-  und  Hercules- Cultus,  sowie  ander- 
seits den  der  Astarte,  deren  Namen  mit  dem  der  Ostara 
ziemlieh  zusammen  klingt.  Endlich  sei  noch  bemerkt, 
dass  auf  dem  regelmässigen  Üstei-fleckeu  neun  Strah- 
len augegeben  sein  müssen,  und  zwar  zur  Erinnerung 
an  die  neun  grösseren  Götter  der  germanischen  Urvöl- 
ker:  Udhin,  Thor,  Bragi,  Heimdali,  Tyr,  Loky,  Freyr, 
Freja  und  Hei. 

Ein  anderes  auf  das  Sonnenrad 
hindeutendes  Gebäcke  ist  die  Bretze 
Fig.  3  (anderwärts:  das  Bretzel)  mit 
ihrem  Ring  und  den  vier  Speiehen, 
deren  Name  von  brihtan  =  leuchten  (Be- 
ratha  =^  die  Leuchtende  u.  s.  w.)  ab- 
geleitet werden  kann,  da  kein  anderes 
Urwort  dazu  aufgefunden  wird,  und 
dieses  Leuchten  aber  wieder  auf  die 
Sonne  hindeutet.  Der  althochdeutsche  Name  davon  ist 
brezila,  ]n'etze,  jn-etzitella  '. 

In  früherer  Zeit  leitete  man  das  Wort  Bretze  von 
dem  lat.  brachiie  oder  brachiale  ab  *;  man  vergass  aber 
dass  ein  Armband  keine  vier  Speieheu  haben  könne.  An- 
dere sahen  daran  das  Kreuz  von  einem  Bing  umgei)en «. 
Die  heiterste  Al)leitung  bringt  aber  Hilscher'»,  indem 
er  sagt,  dass  die  „Praeceptores"  am  Georgsfest,  an 
welchem  die  Schüler  ihr  Schulgeld  entrichteten,  diesen 
Bretzeln  schenkten.  Endlich  glaubt  Höfer  •',  dass  die- 
ses Backwerk  eine  Erinneruug  an  das  Leiden  des  Hei- 
landes gewesen  sei,  ,,da  er  mit  Strickeu  gebunden 
wurde."'  So  irrig  diese  Deutungen  sind,  so  gewahrt  man 
doch,  wie  sich  die  Gelehrten  für  die  Form  der  Brelzen 
interessirten,  welche  das  eigentliche  Juel-brod  war,  das 
in   den  Wibinächten  gegessen   wurde.    Juel   bedeutete 

•  Graff.  Diut.   II.  317. 

'  Wächter.  Gloss.  germ.  212. 

*  Koch.  Dissert.  de  Spiris  pistomm,  p.  22. 
">  Österlicher  .-Aberglaube,  p.  20- 

"  Elymol.  "Wörterbuch  I,   p.  llö. 


(wie  noch  jetzt  im  Friesischen)  ein  Rad,  und  Jula-ualt 
hiess  das  mit  Speichen  versehene  Radlirot,  welches 
auch  nach  dem  Juelfcste  autbewahrt  wurde,  das  man 
im  Hause  aufhängte,  damit  es  gegen  Krankheiten  und 
Hexerei  schütze,  das  man  bis  zur  Saatzeit  aufhob,  wo 
es  dann  klein  gestossen  und  unter  das  zu  säende  Ge- 
treide gemengt  wurde.  Auch  der  Ackersmann  und  die 
vor  den  Pflug  gespannten  Pferde  oder  Ochsen  bekamen 
von  diesen  Brotsamen  zu  essen,  denn  das  sollte  eine 
gesegnete  Ernte  bringen  12,  und  wer  am  Gründonnerstag 
Bretzen  ass,  bekam  das  ganze  Jahr  kein  Fieber. 

Auch  Herrad  von  Landslierg  bildete  in  ihrem 
,,Hortns  deliciarum",  den  sie  um  das  Jahr  11 9ü  vcrfasste, 
die  Bretzen  ab,  und  zwar  auf  dem  Bilde,  wo  Esther  und 
Mardochai  an  der  Tafel  sitzen  12.  (F\g.  3  b.  c.) 

Hans  Sachs  (I.  543)  erwähnt  „Aierpretzen"  und 
AVeekherlin  singt: 

,,Die  Schwäbelein  die  so  gar  gern  schwätzen, 

Frässen  ein  Rad  für  eine  Bretzen." 
Im  Gargantna  (1232)  heisst  es: 

„ein  thüringisch  Pflugrädlein  für  ein  pretsell  ansehen", 
in  welchen  beiden  Fällen  die  Bretze  ganz  richtig  mit 
dem  Rade  verglichen  wird.  Zu  München  bück  man  am 
ersten  Mai  die  sogenannten  Wallerbretzen  und  Morgens, 
um  fünf  Uhr  ritt  ein  Mann  auf  einem  Schimmel  aus  uud 
rief  auf  den  Strassen:  „Geht's  zum  heiligen  Geist,  wo 
man  die  Wallerbretzen  ausgeit."  '* — ganz  gewiss  zur 
Erinnerung  an  dasSouneurad,  dessen  erstes  und  ältestes 
Zeichen  aus  zwei  schräge  gelegten  Stäben  bestand  X 
welche  Aufgang  und  Niedergang  anzeigen.  Später  kam 
ein  senkrechter  Strich,  gewissermassen  als  Axe  hinzu 
und  so  enstand  jenes  Zeichen,  welches  man  auf  ptolo- 
mäischen  Münzen  findet;^ dem  das  Zeichen  ^  (-/oi^ro;) 
sehr  nahe  liegt,  bei  welchem  der  Ring  anstatt  ringsum, 
nur  an  dem  senkrechten  Strich  angebracht  ist. 

Aber  noch  eine  Frage,  warum  sind  die  Bretzen  so 
stark  gesalzen'?  Einlach  darum,  weil  Scd  nnd  Sal  in 
der  nächsten  Verbindung  sind,  weil  der  j\Iensch  ohne 
Salz  eben  so  wenig  bestehen  kann,  als  ohne  die  Sonne. 
Das  Salz  bedeutete  das  geistige  Princij)  i-\  Das  Salz 
ist  ülierall  beleliend  nnd  ernährend,  es  diente  allent- 
halben als  Bild  der  geistigen  Nahrung  und  Kraft,  und 
die  Kelten,  Hermunduren,  Burigunden  uud  Alemanen 
stritten  desshalb  um  die  heiligen  Salzquellen  "i.  Christus 
sagt  in  seiner  Bergpredigt  zu  den  Jüngern:  „Ihr  seid 
das  Salz  der  Erde"  '". 

Hierher  gehören  auch  Redensarten :  wie  „cum  grano 
salis",  oder  „et  in  sole  et  in  sale  ommia  salus",  oder 
„non  bene  mensa  tibi  pouitur  absque  sale"  u.  s.  f.  Das 
Salz  hat  in  fast  allen  europäischen  Sprachen  den  glei- 
chen Namen  (sal,  sale,  sei,  sa!t,  von  dem  Griechischen  äXj, 
selbst  im  Althochdeutschen  heisst  es  hal  (halhus  =  die 
Saline,  halgrave  der  Salzvogt);  kurz,  es  scheint  in  den 
älteren  Tagen  noch  eine  weit  tiefere  Bedeutung  und 
grössere  Wichtigkeit  gehabt  zu  haben,  als  in  unseren 
encykloiiädischen  Zeiten. 

Ist  nun  die  Bretze  sehr  stark  gesalzen,  so  wird 
hingegen  das  Beugel  (anderwärts  Kringel),  Fig.  4, 
von    beinahe    ganz    ungesäuertem   Teige    geformt.   — 

*'  Berlepsch.  Chronik  der  Gewerke  VI.  p.  70. 
"  S.  Engelhard.  Herr.    v.  I.andsb.    Tab.  IV. 

»*  Schmell.  II.  273.  Dieser  Schimmelreiter  deutet,  nach  allen  deutschen 
Mythologen  auf  Odin  oder  Wodan.  S.  Simrock.  S.  Älyih.  G3.  54Ü.  567. 
'ä  Simrock.  Deutsch.  Mjth.  S.  131. 
«8  Tacitus  Germ  20.  Amm.  Nr.  28.  5. 
"  Matth.  V.    13.  Lucas  XIV.  34. 


VI 


Es  wurde  nach  Ostern  gebacken  und  deutet  ganz  ein- 
fach auf  den  Sonnenring.    Popovitsch  <"  gibt   an,  dass 
diese  Bengel  zu  seiner  Zeit  von  den  Bäckerjungen  in  den 
Strassen  Wiens  herumgetragen  wurden.  Diese  Burschen 
hatten  ein  sogenanntes  Wiidrufiifeifchen ,  mit  dem  man 
den  Ruf  der  Kibitze  und  anderer  Vögel  nachahmt,  und 
boten  ihre  Waare  nur  dadurch  aus,  dass  sie  auf  diesem 
Wildruf  pfiffen;  eine  Eigcnthünilichkcit,   die   sich   seit 
beiläufig  5U  Jahren  gänzlich  verlor.  In  Frankreich  wurde 
im  J.  1711  ein  Stein  mit  einem  roh  gearbeiteten  Brust- 
bild eines  bärrigen  ^[annes  ausgegraben ,  der  auf  dem 
Kopf  zwei  Hirschgeweihe  hat.   Der  Hirsch  war  nämlich 
ebenfoUs  ein  Sj.Tnbol  der  Sonne  (der  Sonnenhirsch  Eik- 
thymir).  An  jedem  derGeweihe  jenes  Kopfes,  in  welchem 
Keysler  '«  ein  Abbild  des  Gottes  Cernunnos  sah,  hängt 
ein  Ring,  der  ebenfalls  auf  das  Ringelrad  oder  Radbrot 
des  Jnel-Festes  gedeutet  wird. 

,.Kipfel  heisst  zuWien,-'  sagt Popoviehso^ ein Brod 
von  Semmelteig,  so  die  Gestalt  des  Neumondes  (wohl 
richtiger  des  Halbmondes)  hat.  es  ist  in  der  Mitte  dicker, 
an  den  Enden  dünner  und  durch  Querschnitte  in  Glieder 
abgesetzt.-  —Fast  alle  Völker  stellten  den  sich  erneu- 
erten, sichelftirmigen  Mond  durch  irgend  ein  Gebäck 
dar.  Bei  den  Griechen  war  das  sichelförmige  Gebäck 
sehr  gewöhnlich  und  biess  lii.vjr,,  ni\r,-j=:,  aoc-irsc  und 
Episelenion.  Dem  Apollo,  der  Artemis,  der  Hekate  und 
dem  Monde  wurden  gehörnte  Kuchen  als  ein  Siihnopfer 
dargebracht,  und  auch  in  der  Bibel  ist  die  Rede  von 
Mondknchen.  so  z.B.  beijeremias,  VH.  18:  ,.Die  Weiber 
kneteten  den  Teig,  dass  sie  der  Melecheth  (der  Mond- 
göttin)  als  Himmelskuchen  backen.'' 

Die  Volkssage  gibt  an,  dass  die  Kipfel  zuerst  im 
J.  168.3  in  Wien  gebacken  wurden,  und  zwar  als  eine 
Darstellung  des  Halbmondes  der  Türken,  die  iu  jenem 
Jahre  die  bekannte  furchtbare  Niederlage  erlitten; 
allein  das  ist  eben  nur  Sage,  indem  man  schon  im  drei- 
zehnten Jahrhundert  Kipfel  bück.  Eunenchel  sagt  näm- 
lich in  seinem  Fürstenbuch  (U5): 

,.do  brächten  im  (Leopold  dem  Glorreichen)  di  pecken 
chipfen  und  weize  flecken, 
weizer  dann  ein  hermelein. -^ 

Mag  nun  das  Kipfel  immerhin  mit  dem  Halbmond 
in  Beziehung  gebracht  werden,  als  Darstellung  eines 
Hernes  —  und  _Hörndl-'  wird  es  noch  an  vielen  Orten 
genannt  —  hat  es  noch  eine  ganz  andere  Bedeutung. 
Jupiter  Ammon  hat  Widderhörner,  Bacchus,  Silen,  Fan 
und  die  Satyre  haben  Hörner,  auch  Alexander  der 
Grosse  Hess  sich,  als  er  sich  schon  bei  seinen  Lebzeiten 
vergöttert  wissen  wollte,  mit  Hörnern  abbilden ;  ebenso 
sieht  man  Osiris  und  Moses  mit  Hörnern.  Alle  diese 
Hörner  deuten  wieder  auf  die  Sonne  oder  mindestens 
auf  den  Sonnenstrahl,  und  so  wie  das  Füllhorn  der  Ziege 
Amalthea  ('der  Nährenden)  auf  die  reifende  Kraft  des 
Sonnenstrahles  wies,  so  galten  auch  die  Trinkhörner 
vom  Ur  bei  den  Germanen  als  Zeichen  der  Macht  des 
Lichtes;  selbst  der  heil.  Blasius  rief  seine  Mr.nche  noch 
durch  ein  Hom  zusammen;  und  wie  von  Ostern,  so 
führen  auch  vom  Hörn,  Städte,  Schlösser,  ganze  Gauen 
und  alte  Familien   den  Namen  ",   wie  denn  auch  der 

"  l"  seiner  Handschrift  über  die  österr.   Mnndart  in  der  Hofbibl.  lU 

Wien,  T.  I    Fol.  4C  b. 

"  Antiquit.  select.  septmbr.,  p.  66,  wo  dieser  Stein    auch   abgebildet  iit, 

=•  A.  a.  O.  I.  Fol.    218. 

"  Hom  in  Nordholland,  in  der  Grafschan  Lippe,  in  Schwaben,  in  Öster- 
reich o.  8.  f.,  dann  die  Grafen  von  Hoom  in  Niederland  und  jene  in  Sch»cden, 
die  Herrn  Ton  Hörn  in  Pommern  o.  8.  w. 


Fig.  4. 


Monat  Februarius  im  Deutschen  ,.Hornung-'  seuannt 
wird,  und  in  alten  Kalendern  findet  man  in '^diesem 
Monate  die  wiederkehrende  Sonne  mit  einem  Hörn  be- 
zeichnet. 

Das  Kipfel  wird  aber  (siehe  Fig.  4  h)   auch  aus 
einem  dreieckigen  Teigtleck  gerollt,  und  dass  das  Trigon 
bis  in  die  neueste  Zeil  eine  gewisse  Bedeutung  behidt 
namentlich  als  Zeichen  der  h.  Dreifaltigkeit,  ist  jeder- 
mann bekannt. 

Entsteht  das  Kipfel  aus  dem  Trigon,  so  wird  die 
Semmel  mit  ihren  fünf  Zipfeln  oder  Lappen  aus  dem 
Pentagon  gebildet  (siehe  Fig.  5  Ä),  welches  seinerseits 
die  nächste  Ähnlichkeit  mit  der  Legung  der  Riemen  bei 
den  Sandalen  oder  Schuhen  der  Druiden  hat,  wesshalb 
das  Pentagon  noch  heute  im  Volke  der  ,.Drudenfuss'' 
genannt  und  häufig  an  die  Thüren  der  Viehställe  ge- 
zeichnet wird,  damit  nichts  Unsauberes  aus-  und  ein- 
gehe ". 

Die  Semmel  gehört  ebenfalls  den  ältesten  Zeiten 
an.  Sie  wurde  aus  Weizenmehl  gebacken  und  hiess 
simenellus  oder  pauis  similaceus.  Galenus  weist  ihr  in 
seinem  ,.liber  I,  de  alimentis''  unter  den  gesundesten 
Broten  die  zweite  Stelle  an.  Auch  Plinius  18.  lu.  2U 
kennt  similago  oder  similia,  das  feinste  Weizenmehl. 

Im  Althochdeutschen  findet  man:  semala,  simi- 
lago, semile,  semele  —  semalmelo"^  und  Du  Gange 
führt  im  VL  Bande,  Seite  169  und  258  viele  Stellen 
übersemella  und  similia  an,  die  man  dort  nach  Gefal- 
len naciilesen  mag;  nur  eine  sei  hier  angeführt,  und 
zwar  aus  dem  „Iter  Camerarii  Scotici",  cap.  9,  §.  5,  de 
pistoiibus : 

„Non  faciunt  quodlibet  panis,  nt  lex  burgi  inquirit, 
videlicet  quachelnm,  siminellum  vastellum,  panem 
azymum.  purum  jjanem,  panem  mixtum.'' 

Auch  Karl  der  Grosse  ordnet  in  seinem  Capitulare 
de  villis,  §.  XLV  an:  „Volumus  ut  unusquisque  judex 
in  suo  ministerio  bonos  habeat  artifices,  id  est  t^abros 
ferrarios  et  aurifices  etc.,  et  pistores  qui  similiam  ad 
opus  nostram  faciant-.  Das  Alter  der  Semmel  dürfte 
somit  zur  Genüge  belegt  sein. 

Hatten  mr  es  bisher  mit  dem  Sonnendienst  und 
der  Götterverehrung  zu  thun,  so  begegnen  wir  in  den 
noch  folgenden  Arten  des  Gebäckes  das  sexuale  Element. 
Wir  betrachten  es  als  unserer  Bildung  gemäss,  über 
alles  Sexuale  hinweg  zu  schlüpfen;  in  den  Wissen- 
schaften aber  darf  das  Bild  zu  Sais  wohl  entschleiert 
werden;  wären  ja  wir  doch  alle  nicht,  läge  jenes  Ele- 
ment nicht  tief  in  der  Natur  begründet !  <  )hne  dasselbe 
gäbe  es  kein  Streben,  keine  Kunst,  keine  Wissenschaft, 
keinen  Mythus,  ja  selbst  keinen  Staat.  Wir  dürfen  uns 
daher  auch  nicht  wundern,  wenn  es  bei  roheren  Völkern 
in  den  Vordergrund  tritt,  besonders,  wenn  wir  uns  an 

~  Desshalb  sagt  auch  Mephisto  in  Gölhe's  Faust  il.  Act.): 

—  —  ^Oass  ich  hinaus  ^pazire 

Verbietet  mir  ein  kleines  Hinderniss- 

Der  iJrudenfuss  auf  eurer  Schwelle.** 
Worauf  F.-.usl  erwidert; 

.Da*  Pcntagramma  macht  dir  Pein'  fu    8    f  1 
='  Graff  Diutisca.  VJ.  ii  3.  \   ■    ■    ■> 


VII 


Fis 


Fig.  6. 


den  Plinllnsdienst  der  Griechen  und  Römer  erinnern, 
die  doch  zu  den  gebildetsten  Völkern  des  Alterthums 
zählen. 

Der  Wecken  (Fig.  6  a)  ist  demnach  seiner  ganzen 
Form  zufolge  der  Cuncus,  der  Keil,  welcher  eindringt 
oder  der  Phallus,  und  die  Schrots emmel  (Fig.  6  b), 
wie  sich  gleichfalls  auf  den  ersten  Blick  zeigt,  nichts 
als  die  vulva  oder  mandorla.  Der  erstere  ist  der  genitor 
oder  Urheber  und  die  zweite  das  Sinnbild  der  genitrix, 
der  Hervorbringenden. 

Solleu  wir  hier,  wo  die  Formen  so  deutlich  sprechen, 
auch  noch  mit  Worterklärungen  kommen  ?  Wohlan,  wir 
können  es,  denn  das  Wort  Wecken  steht  in  nächster 
Beziehung  zu  dem  Zeitwort  wecken,  erwecken  (quikan, 
erquicken,  Queksilber  =  das  lebendige  bewegte  Silber), 
und  Schroten  heisst  schneiden,  einschneiden  (daher  die 
Schrotsäge,  Jlontserrat  =  der  geschrotene  Berg,  der 
Schröter,  ein  Käfer  mit  eingesägtem  Geweih). 

Endlich  haben  wir  noch  des  Hei  ligenstritzels 
zu  erwähnen,  welcher  zu  Allerheiligen  gemacht  und 
verkauft  oder  verschenkt  wird  =*  (Fig.  7).  Dieses  zopf- 
artig geschlungene  Gebäck  wird  verfertigt,  indem  zwei 
lauge  Stücke  Teig  (Fig.  7  b)  mit  einander  mehrfach  ver- 
flochten werden.  Diese  beiden  Stücke  erinnern  an  den 
Caducaeus  des  Merkur,  bei  dem  sich  zwei  Schlangen 
(wie  in  der  Sage  von  Tiresias),  nämlich  eine  männliche 
und  eine  weibliche  verschlingen.  Der  Caducaeus  be- 
zeichnet die  Vermittlung  alles  Getrennten,  daher  auch 
seine  Bezeichnung  zu  allem  Mantischen  und  Magischen, 
daher  auch  seine  einschläfernde  Kraft,  daher  wirkt  er 
noch  auf  die  Seelen  ein,  die  Jlereur  als  „Psychopom- 
pos"  vereint  iu  die  Unterwelt  führt.  Auch  Eros  stellt  die 
paarende  Kraft  dar,  aber  selbst  er  kann  nicht  vollständig 
wirken,  wenn  ihm  nicht  Anteros  eine  zweite  Kraft  ent- 
gegenführt ,  durch  deren  genaue  Verschlingung  mit  der 
ersteren  dann  die  Neugestaltung  beginnt.  Das  Zopfge- 
bäck deutet  also  auf  eine  innige  Vereinbarung.  Es 
dürfte  bei  den  Festen  der  Frigga  gebraucht,  und  dann 


Fig.  7. 

•^  „Festum    omnium   sanctorum    esigit   apud  Austriacos  heil.  Strizol" 
He  um  a DD.  Opuscula.  S.  3i6. 


bei  der  Einführung  des  Christenthumes  auf  den  Tag.\ller- 
heiligcn  verlegt  worden  sein.  Popovich  in  seiner  schon 
erwähnten  Handschrift  25^  erwähnt  noch  einer  anderen 
Art  von  Heiligenstritzeln,  die  nun  aber  fast  verschwunden 
sind  und  ihrer  Form  nach  gleichfalls  auf  die  Vereinigung 
der  Geschlechter  deuteten.  Es  waren  (Fig.  H)  zwei  läng- 
liche Stücke  Teig,  die  iu  der  Mitte  aneinander  stiessen, 
und  von  den  Kindern  „Hosen''  genannt  wurden. 

Der  Zopf  hatte  überhaupt  auch  eine  bindende 
Kraft,  denn  im  Mittelalter  wurden  die  Eide  und  Verträge 
der  Frauen  mit  dem  Zopf  bestätigt.  Grätin  Veronica  von 
Zollern  verkaufte  im  J.  14()3  eines  ihrer  Güter,  dabei 
wickelte  sie  ihren  Zopf  um  die  linke  Hand  und  schlug 
mit  dieser  so  umwickelten  Hand  in  die  Hand  des  Käufers 
ein  2«.  In  gewissen  Fällen,  z.  B.  nach  dem  Stadtrechte 
von  Wien  vom  J.  1351  musste  die  Frau  sogar  auf  zwei 
Zöpfe  schwören,  und  es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  über 
den  Zopforden,  welchen  Herzog  Albrecht  (cum  trica) 
stiftete,  so  wenig  bekannt  ist,  denn  gewiss  hatte  dieser 
Orden  eine  ganz  andere  Bedeutung  als  dass  man  blos 
den  Zopf  der  Geliebten  um  den  Hals  getragen  oder  sich 
iu  den  Nacken  angehängt  hätte. 

Dass  in  den  Vorzeiten  bei  den  Germanen,  sowie 
bei  allen  alten  Völkern  nur  die  Frauen  die  Brote  berei- 
teten, ist  selbstverständlich,  da  es  mit  der  Würde  des 
Mannes  nicht  vereinbar  war,  sich  mit  derlei  Gegenstän- 
den zu  befassen.  Auch  iu  der  Bibel  finden  sich  viele 
Stellen,  in  welchen  angeführt  wird,  dass  die  Weiber 
die  Kuchen  bücken.  Dieses  Geschäft  kam  erst  dann  auf 
Männer,  als  die  Leibeigenschaft  eingeführt  wurde,  wo 
dann  einer  der  Knechte,  den  Backofen  des  Hauses  zu 
übernehmen  hatte.  „Zum  Backen  gehört  keine  Kunst", 
daher  die  Bäcker,  als  sie  gleich  anderen  Handwerkern 
zu  einer  Zunft  zusammentraten,  auch  kein  eigentliches 
Meisterstück  zu  verfertigen  hatten.  Der  Bäckerjunge 
musste  nur  zwei  Jahre  lernen,  zwei  Jahre  wandern,  und 
endlich  zwölf  Gulden  Meistergeld  zahlen,  worauf  ihm 
von  sechs  Meistern  das  Backen  erlaubt  wurde,  voraus- 
gesetzt, dass  er  das  nöthige  Geld  besass,  denn  ohne 
Geld  —  kein  Bäcker.  Der  Sohn  eines  Meisters,  oder 
der  Geselle  der  eines  Meisters  Tochter  oder  dessen  Witwe 
heirathete,  kam  leichter  an  das  Geschäft,  in  anderen 
Fällen  musste  er,  wie  der  Wirth  ein  Haus,  einen  Back- 
ofen an  sich  gebracht  haben.  Übrigens  waren  die  Bäcker 
bei  ihrer  geringen  Kunst  uud  dem  leichten  Erwerb  stets 
etwas  protzig,  und  zu  Wien  wurden  sie  vom  Herzog 
Albrecht  H.  um  das  J.  1340  wegen  ihres  Übermuthes 
sogar  ihrer  Innung  verlustig  erklärt  und  jedermann  zu 
backen  erlaubt  ='.  A.  li.  v.  P. 


Die  Statue  des  heiligen  Blasius  in  der  dem  gleich- 
namigen Heiligen  gewidmeten  Kirche  zu  Ragusa. 

(Mit  2  Holzschnitten.) 

Viele  Meilen  trennen  die  Hauptstadt  der  alten 
Republik  Ragusa  von  unserer  Metropole;  sie  selbst  hat 
auf  anderen  Wegen  und  lange  vor  deutscher  Entwick- 
lung griechische,  römische  und  italienische  Cultur  an  sich 
gezogen;  eine  jedenfalls  bedeutendere,  als  die  spätere 
wurde  unter  den  Wogen  der  Völkerkriege  begraben. 
An  der  Grenze  des  Orients  und  Occidents  gelegen,  haben 

»  Vol.  I.  Fol.  11.  a. 

»  Sattler.   Gesch.   v.  Wiirtemberg  p.  388.  §.  2. 

"  Jura  municipalia  ab  Alberto  II.,  in  Rauch.  Script,  rer.  Austr.  III.  54. 


vm 


siili  liier  die  Eiffentbümlichkeitcn  beider  Weltilieilc  hart 
begeiTiu't,  und  die  Einflüsse  der.sellien  iiaben  vorzüglieb 
in  den  Kunstresten  Spuren  zurückirehissen .  die  von 
fremder,  uns.  die  wir  unsere  Cultur  auf  anderen  Wegen 
iibielten.  mehr  oder  minder  ferner  liegender  Auffasung 
zeigen,  und  es  ist  jedenfalls  erkennbar,  dass  die  römi- 
sclie  Cultur  bier  ni'cbt  jene  Gemütlistiefc,  jene  Innerlich- 
keit vorgefunden  hat,  welche  zu  ihrer  reineren  Auf- 
fassung in  Deutschland  so  viel  geholfen  hat. 

Diese  fremde  und  nur  durch  offenbar  slavische 
Einwirkung  in  etwas  gemilderte  realistische  .Auffassung 
der  Kunst  in  diesen  Landen  hat  in  mir  anfänglich  das 
Bedeukeu  erregt,  bei  dem  Versuche,  einzelne  bemer- 
kenswerfhe  Kunstdcnkmiiler  Dalniatiens  zum  Gegen- 
stande einer  detaillirten  Al)bandlung  zu  machen,  im  Ken- 
nerkreise nur  ein  theilweiscs  Interesse  vorzntinden. 

Doch  Professor  K.  Eitel berger's  Werk  über  die 
Kunstdenkmale  Dalniatiens  '.  diese  für  jeden  Freund 
der  Kunstgeschich'c  und  Archäologie  böchst  wertbvol- 
len.  ja  unentbehrlichen  Beiträge  gaben  mir  den  Anstoss 
zur  Änderung  meiner  bisherigen  Meinung:  es  wurde 
mir  klar,  wehhen  entschiedenen  Werth  die  verglei- 
chende Darstellung  der  Knustentwicklung  in  den  selbst 
entferntesten  Knotenpunkten  für  jeden  Kunstkenner 
und  .Archäologen  haben  müsse ,  welch  immerhin 
n'crkbarev,  eine  Gemeinsamkeit  der  Interessen  aller 
Cuiturviijker  anzeigender  Contact  sich  in  den  Stylauf- 


\K 


mim 


Fig.    1. 


>  Die  mittelalterlichen  Kunstdenkmalc  I  ».ilmatifiis  in  Arbe,  Zara,  Traii, 
Spalato  lind  Ra^a^a.  —  Auf;;enommen  und  dargestellt  Tom  Architekten  W- 
Ziminermann.  Beschrieben  vom  Professor  Rudolf  K  it  el  b  c  r  ^er  von  Edel- 
berg   im   b.    Bande  der  Jahrbücher  der  Centr.  Comm.  Wien,  liHA. 


fassnngen  selbst  der  entferntesten  Punkte  ausspricht, 
und  welche  Wichtigkeit  der  Erforschung  des  graduellen 
Vordringens  der  Cultur  im  allgemeinen,  der  Kunst  im 
besonderen,   beizumessen  sei. 

Obwohl  ich,  weit  enttcint.  mich  nicht  zu  Jenen 
zählen  kann,  an  welche  dnrcii  den  gelehrten  Verfasser 
des  oberwähnteii  Werkes  die  k.  k.  Centr.  Contniission 
die  .Viifforderung  richtet,  den  dalinatiniselien  Küsten- 
Strich  einer  gründlichen  gediegenen  Durchforschung 
auf  archäologischem  Gebiete  zu  unterziehen,  so  wird 
man  es  mir  nicht  als  Vermessenbeit  anrechnen ,  wenn 
ich  zu  diesem  Zwecke  gewisserniassen  Gebilfendienst 
verrichte.  Steine  trage  für  künftigen  tüchtigen  Bau,  die 
Arbeit  dem  Berufeneu  erleichternd.  Xach  dieser  voraus- 
gesendeten Erklärung  wird  es  den  Lesern  anheimge- 
stellt, meine  Bemühung  nachsiehtsvoU  zu  beurtheilen ; 
denn  ich  bin  es  überzeugt,  dass  einem  mimiereu  Inter- 
esse für  das  Gebotene  nur  eine  mangelhafte  Bearbei- 
tung im  obigem  Sinne  im  ^^'ege  stehen  kann. 

Vor  allem  fiel  meine  Aufmerksamkeit  auf  eine  Figur 
des  heil.  Blasius,  des  Patrons  der  Stadt  IJagusa,  die 
sich  im  dortigen  Dom  aufgestellt  iiiidet.  Die  Statue  des 
heiligen  Blasius  (Fig.  1)  besteht  aus  einem  auf  Stanzen 
getriebenen  dünneu  gntvergoldeten  Stücke  Silberblech. 
Sie  stellt  uns  blos  den  vorderen  Theil  eines  alten 
Jlannes  im  bischöflichen  Gewände  dar.  Ein  Kücktheil 
ist  nicht  vorbanden,  und  scheint  aueh  nach  dem  .Augen- 
scheine nie  vorhanden  gewesen  zu  sein.  Der  innere 
hohle  Raum  ist  durch  ein  entsprechend  geschnitztes 
Stück  Holz  ausgefüllt.  Das  Blech  ist  an  diesen  Klotz 
an  verschiedenen  Stellen,  und  zwar  ziemlich  roh,  derart 
angenietet,  dass  der  letztere  als  Träger  des  Ganzen 
dient.  Die  Höhe  der  Figur  ohue  Jlitra  (welche  ein  weit 
späteres  Erzeugniss  ist)  beträgt  21-5  Wiener  Zolle  oder 
56-5  Centim. ;  bis  zur  Spitze  der  Mitra  gerechnet  26 
Wiener  Zolle. 

Von  den  einzelnen  Theilen  der  Figur  besteht  jedoch 
nicht  alles  aus  getriebenem  iletalie;  so  sind  die  beiden 
Hände,  die  Figuren  am  Pluviale  und  an  der  Dalmatica, 
der  obere  ebenfalls  jüngere  Theil  des  Pastorales,  end- 
lich der  Inhalt  der  linken  Hand,  in  welchem  wir,  wie 
später  erörtert  wird,  die  Abbildung  der  Stadt  Kagusa 
vor  dem  Erdtieben  1067  erblicken,  aus  gegossenem 
und  vergoldetem  Silber.  Die  Figur  zeigt  viele  Beschä- 
digungen, vorzüglich  an  der  rechten  Seite,  Brüche  im 
Blech,  welche  sogar  das  Erkennen  der  Zeichnung  des 
Gewandes  erschweren.  Es  ist  ferner  augenscheinlich, 
dass  in  verschiedeneu  Zeiträumen  eingehende  Repara- 
turen vorgenommen  wurden.  Wiederholtes  Neueinlügen 
der  massiven  Hände,  ^Viedereinbiegen  verbogener  Hiecli- 
theile  der  Figur.  \'eniietungen  und  andere  Reparaturen 
aus  späterer  Zeit  sind  deutlich  erkennbar. 

Einen  nicht  geringen  Einfluss  auf  die  Beschädi- 
gung der  Statue  hat  erkennbar  die  Hitze  genommen. 
Die  Büge  des  Bleches  der  Gewandung,  die  verbogenen 
Thürme  an  der  .\l)l)iidiiiig  der  Stadt  lassen  verniuthen, 
dass  es  vorzüglich  die  Brände  von  1547  und  17ii(i 
waren,  die  diesem  Werke  die  gefährlichsten  Wunden 
geschlagen. 

Nach  dieser  vorausgesendeten  Angabe  des  jetzigen 
Zustnndes  der  Statue  gehe  ich  in  eine  detaiilirtu  Beschrei- 
bung ihrer  Form  selbst  ein: 

Die  Figur  zeigt  einen  Mann  im  bischöflichen 
Gewände  mit  einem  Chorhonido.  der  Stola,  der  Didma- 


IX 


tica  und  Casula  aniietliaii.  Der  Kopf  zeigt  einen  alten 
Mann  mit  langem  wallenden,  in  zwei  Spitzen  endigenden 
Barte.  Da  der  Rücktbeil  fehlt,  so  sind  nur  einige  gerin- 
gere Partien  der  Kopthaare  angedeutet.  Der  Ausdruck 
des  Gesichtes  ist  hart  und  geradezu  geistlos,  die  einzel- 
nen Theile  desselben  sind  derb  und  scharf  geschnitten, 
die  Augenbraunen  hoch  hinaufgezogen,  die  Augen  fast 
übergross,  die  Nase  scharf  und  fast  zu  lang,  die  sicht- 
bare Unterlippe  ist  wulstig.  Zwei  tiefe  Furchen  reichen 
von  den  Nasentlügeln  zur  Wange  herab.  Der  Bart  ist, 
wie  alle  Haarpartien,  wellenförmig  modellirt,  und  die 
einzelnen  Haare  sind  ohne  Berücksichtigung  der  plasti- 
schen Form  aber  mit  grossem  Fleiss  und  mit  Aceura- 
tesse  mittelst  des  Grabstichels  angedeutet. 

Hart  von  dem  Kopfe,  daher  die  Figur  sehr  kurz- 
halsig  erscheint,  fallen  die  Schultern  in  zwei  Bogen- 
linien  ohne  Motivirung  der  darunter  befindlichen  Kör- 
pertheile  herab.  Viel  zu  tief  für  die  Proportion  des 
Körpers  sind  die  Hände  angesetzt,  welch  letztere  ich 
jedoch  für  jünger  halte,  als  die  Statue  selbst.  Die  rechte 
Hand  hält  das  Pastorale,  welches  an  seiner  oberen 
Krümmung  in  Renaissance-Ansätzen  das  Lamm  Gottes 
zeigt.  Die  linke  etwas  erhobene  Hand  hält  die  Stadt 
Ragusa  in  der  Vogelperspective  gesehen. 

Die  Gewandung  ist  mit  sichtlicher  Vorliebe  und 
minutiösem  Fleisse  gearbeitet.  Die  Casula  ist  mit  einem 
erhabenen,  nach  Art  der  Weberei  bebandelten  Kreuze 
geziert.  Die  Details  der  Ornamente  derselben  sind  streng 
motivirt,  die  darin  sichtbar  erhabenen  Figuren  zeigen 
Bewegung  und  Handlung  und  stellen  nimbirte  Heilige 
und  zwei  kuieende  Engel  vor,  welche  Rauchfässer 
schwingen.  Die  Anordnung  der  Ornamente  besitzt  den 
spätromanischen  Charakter.  Im  der  Länge  herablaufen- 
den Mittelfelde  sind  vier  Figuren  im  hohen  Relief  gear- 
beitet sichtbar.  Die  oberste  stellt  unverkennbar  Christum 
vor,  wie  der  kreuzförmige  Nimbus  andeutet,  die  übrigen 
haben  bezüglich  ihrer  Idendität  selbst  in  competenten 
Kreisen  keinen  Erklärer  gefunden,  da  der  Künstler, 
Attribute  zur  Erkennung  nur  an  einer  einzigen  Figur 
angebracht  hat.  Ich  halte  sie  für  Petrus,  Paulus  und  Jo- 
hannes; jedenfalls  deutet  der  Zweite  auf  Paulus,  wel- 
cher der  Kraft  seiner  Rede  halber  mit  einer  Zunge  in 
der  Hand  dargestellt  ist.  Das  merkwürdigste  bei  die- 
sen figuralischen  Darstellungen  ist  der  Contrast,  wel- 
cher zwischen  der  ausdruckslosen  Behandlung  derStatue 
und  der  mannigfachen  Bewegung  dieser  kleinen  Figuren 
sich  ausspricht.  Sie  sind  besser  proportionirt  und  er- 
mangeln auch  nicht  einer  guten  Durchbildung  der  Theile 
und  einer  gewissen  Eleganz.  Verkürzungen  sind  noch 
keine  angewendet  und  die  Füsse  reichen  bis  zu  den 
Zehen  gerade  herab. 

Die  Dalmatica  zeigt  ein  etwas  geändertes  Muster. 
Die  Mitte  derselben  schmückt  ein  im  Viereck  gehalte- 
nes, zweigetheiltes  bildförmiges  Blatt,  in  weichemim 
Relief,  ähnlich  der  Casula,  zwei  Heilige  im  Brustbilde 
dargestellt  sind.  Der  rechts  befindliche  Heilige  im  Kahl- 
kopfe, langem  Barte,  mit  einem  Bogen  und  einer  Glocke 
in  den  Händen  deutet  auf  Petrus  den  Einsiedler;  die 
zweite  Figur  mit  einem  Buche  in  der  einen  Hand,  die 
andere  segnend  erhebend,  entbehrt  genügender  Anzei- 
chen für  ihre  Erklärung. 

Alle  hier  erklärten  Figuren  sind  von  einer  mit  dem 
Haupttheile  differenten  Arbeit,  gegossen  und  eingefügt. 
Es  scheinen  diese  auch  jüngeren  Datums  zu  sein. 
XIV. 


Noch  mehr  contrastirt  das  Ganze  zu  den  Theilen  in 
dem  Faltenwurfe  der  Casula,  welcher  wiewohl  nicht 
zu  dem  Leibe  motivirt,  dennoch  an  Weichheit  der  Be- 
handlung und  technischer  Richtigkeit  nichts  zu  wünschen 
übrig  lässt.  Die  massigere  Behandlung  des  schweren 
Stoffes  des  Oberkleides  gegen  jenen  der  Albe  ist 
deutlich  erkennbar.  Der  Anwendung  tiefer  Falten,  wie 
sie  sich  zunächst  den  Händen  hätten  bilden  müssen, 
ist  der  Künstler  vielleicht  aus  dem  Grunde  aus 
dem  Wege  gegangen ,  weil  die  Art  der  technischen 
Bearbeitung  einer  solchen  Reliefdarstellung  ungünstig 
ist.  Von  nicht  geringem  Interesse  ist  der  ornamentale 
Dessin  des  Oberkleides.  Er  besteht  aus  herz-  und 
akanthförmigen  dreimal  übereinander  gelagerten  Blät- 
tern, die  der  Künstler  nur  dadurch  zu  unterscheiden 
vermochte,  dass  er  die  verschiedenen  Blattlagen  mit  an- 
deren Dessin-Mustern  versah:  so  imterscheidet  er  Blät- 
ter mit  Querstrichzeichnung  =  =  =  in  sehr  genauer 
Grabstichelarbeit  oder  mit  Bogenstrichen  wie:  "^"^X^ 

^^^      \_/      V.^/       • 

Zwischen  diesen  etwas  rusticalen  Blattzeichnungen  fin- 
det man  hie  und  da  in  freierer  Anwendung  Stengelfor- 
men sogar  mit  rohen  schneckenartigen  Verschlingungen 
um  grössere  Stengel,  endlich  die  Form  der  Trauben- 
oder Pinienfrucht  im  gewürfelten  Dessin. 

Was  diesem  Kunstwerke  auch  einen  besonderen 
Werth  verleiht,  ist  die  Abbildung  der  als  Zeichen  des 
Schutzes  von  dem  Heiligen  getragenen  Stadt,  bei  deren 
Anblicke  ich  unschwer  eine  sehr  getreue  Abbildung  der 
Stadt  Ragusa  aus  dem  15.  Jahrhunderte  und  noch  vor 
ihrer  Zerstörung  durch  das  Erdbeben  1667  erkannte. 
Sie  ist  meines  Wissens  die  älteste  authentische  Abbil- 
dung der  Stadt,  und  ich  habe  darum  für  nötliig  gefunden, 
nebst  jener  der  Statue  auch  die  Abbildung  der  Stadt 
separirt  und  in  der  natürlichen  Grösse  zu  zeichnen 
Fig.  2  3. 

Der  Hauptcharakter  der  Stadt  hat  sich  bis  heute  nicht, 
die  einzelnen  (,)bjecte  haben  sich  nur  im  Baustyle  durch 
die  Umbauten  nach  dem  Erdbeben  geändert.  Ich  füge 
zum  Verständnisse  für  den  mit  der  Situation  nicht  ver- 
trauten Leser  eine  Beschreibung  der  vorzüglichsten 
Punkte  der  Stadt  auch  aus  dem  Gruude  bei,  um  mich 
bei  späteren  Arbeiten  darauf  berufen  zu  können. 

Sowohl  Eitelberge r,  noch  mehr  aber  die  von  ihm 
citirten  Schriftsteller  geben  die  deuthchsten  Nachrichten 
über  die  Entstehung  und  die  Schicksale  der  Stadt,  so- 
weit die  bisherige  Forschung  i'eicht;  ich  kann  daher 
eine  allgemeine  historische  Einleitung  um  so  eher  über- 
gehen, als  es  mir  hier  nur  um  Details  zur  Richtigstel- 
lung der  allgemeinen  Geschichte  zu  thun  ist.  Indem  ich 
die  einzelnen  wichtigen  Theile  der  Stadt  beschreibe, 
gebe  ich  auch  bei  jedem  Objecte  an,  ob  es  noch  beute 
vorhanden  ist. 

2  Auf  einem  in  der  Dominicanerkirche  reclits  des  Hauptaltars  befindli- 
chen im  liyzanlinischen  Style  gehaltenen  Altarbilde  trägt  ein  St.  Blasius  zwar 
ebenfalls  die  Abbildung  der  Stadt  Ragusa,  vom  lileinen  Hafen  aus  dargestellt, 
in  den  Händen,  allein  diese  ist  Tiel,  vielleicht  ein  Säculum  jünger.  Diese 
Abbildung  der  Stadt  zeigt  nebst  anderen  deutlichen  Merkmalen  ihres  jugend- 
lichen Alters  den  den  Hafen  abschliessenden  Querdamm,  welcher,  wie  eine 
Gedenktafel  derselben  Kirche  besagt,  erst  im  Jahre  1485  von  Pasquale  Micheli 
erbaut  wurde;  vorher  war  der  Hafen,  wie  dies  in  unserer  viel  älteren  Ansicht 
dargestellt  ist,  mit  einer  Kette  gesperrt.  Es  scheint  im  XV.  und  XVI.  Jahr- 
hundert und  auch  noch  später  die  byzantinische  Darstellungsweise  hier  eine 
beliebte  gewesen  zu  sein,  ja  in  solcher  Art  gemalte  Madonnen  finden  noch 
heute  auch  unter  Katholiken  dieser  Küste  allenthalben  Liebhaber.  Viele 
Nichtkeuner  glauben  byzantinische  Originale  vor  sich  zu  habeu,  es  bedarf 
jedoch  nicht  allein  dieses  historischen  Lapsus,  um  die  Unechtheit  leicht  fest- 
zustellen. 


pTTTf 

4 


¥^ 


Fig 

1.  (Siehe  die  entsprechende  Nummer  der  Abbil- 
dung in  Fig.  2.>  DerThurm  Mincetta  führt  seinen 
Namen  von  der  Familie  Menze,  sla%isch  Mineetic, 
welche  ihn  im  14.  Jahrhunderte  erbauen  Hess;  er  war 
^-iel  kleiner  und  anders  gestaltet,  wie  der  gegenwärtig 
dargestellte.  Der  Senat  ordnete  1461  (Reform.  7.  Juni 
und  25.  August")  dessen  Vergrösserung  nach  der  Art  an, 
wie  Meister  Michelocci  dieses  in  einem  Holzmodell  dar- 
gesteUt  hatte.  Die  Erbauung  selbst  fällt  in  das  Jahr  1463 
und  14ü4  durch  den  Baumeister  Giorgio  Matajevic 
(Rogat.  19.  Juli  1464).  Dieser  Meister  Giorgio  war  aus 
Sebenico.  und  man  nennt  ihn  auch  als  den  Erbauer  der 
prachtvollen  Kathedrale  von  Sebenico.  Er  stand  zu  der 
erwähnten  Zeit  im  Dienste  der  Republik,  welche  ihm 
auch  im  seLen  Jahre  (Rogat.  5.  Juni  1464)  den  Umbau 
des  1435  von  den  Flammen  thcilweise  zerstörten  Recto- 
ren-Palastes  f  jetzt  Palast  des  Kreisamtes  j,  von  welchem 
in  Nr.  14  die  Rede  ist,  übertrug. 

2.  Die  Kirche  derFranciscaner,  erbaut  und 
dem  Gründer  des  Ordens  gewidmet  im  Jahre  1317.  Die 
Franciscaner  bezeichnen  das  Jahr  1235  als  das  ihrer 
Ankunft  in  Ragusa,  und  schon  1250  erbauten  sie  sich 
Kirche  und  Kloster  vor  der  Stadt.  Beide  sind  nunmehr 
verschwunden;   der  Punkt,  wo  selbe  gestanden,  hiess 


trüber  Jamine,  jetzt  ist  er  ein  Exercierplatz .  den  die 
Franzosen  errichteten.  Er  heisst  noch  heute  im  Volke 
nach  seinem  Erbauer,  dem  bekannten  französischen  Ge- 
neral, Piazza  Clauzel. 

Der  Künstler,  welcher  bei  gewissen  henorragenden 
Objecten  mit  gewissenhafter  Treue  in  der  Nachbildung 
vorgegangen  ist,  war  hier  nicht  im  Stande,  das  hinter 
der  Kirche  befindliche  Kloster  darzustellen;  er  machte 
jedoch  den  anstossenden  Garten  durch  einige  Bäume 
kenntlich,  Eigenthümlich  ist  die  Darstellung  des  Kircb- 
thurmes. 

3.  Antike  Kirche  der  Nonnen  des  Klosters 
vom  heiligen  Thomas  von  Aquino.  Sie  wurde 
durch  das  Erdbeben  1667  zerstört  und  nicht  wieder  auf- 
gebaut. 

4.  Kirche  der  heiligen  Clara,  des  Klosters  der 
Clarisser-Nonnen,  eriiaut  1290  und,  so  viel  es  scheint, 
später  wieder  renovirt.  Während  der  Uccupation  der 
Franzosen  diente  Kirche  und  Kloster  als  Caserne,  jetzt 
ist  es  Artillerie- Arsenal. 

5.  Das  Hauptbassin  der  Wasserleitung, 
errichtet  1438.  Die  Stadt  leidet  besonders  in  den  Som- 
mermonaten an  empfindlichem  Wassermangel,  da  es 
hier  keine  Brunnen  in  unserem  Sinne  gibt;  sie  ist  ausser 


XI 


ileni  Wasser  der  Cisternen  nur  auf  das  der  Wasserlei- 
tiiuj;-  angewiesen,  welche  das  Wasser  aus  dem  Gyon- 
ketto-Tliale  aus  einer  Entfernung  von  7  ]\Iigiien  rings- 
um den  Monte  San  Sergio,  Gravosa  ijeriilirend,  in  die 
Stadt  führt.  Der  Baumeister  dieses  Werkes  nennt  sich 
auf  einer  Inschrift  am  Bassin  Onofrio  Onosifero;  er  war 
ein  Nenpolitaner. 

6.  Kirclie  der  heil.  Maria,  der  Benedictiner- 
Nonncn,  seit  sehr  alter  Zeit  bestehend  und  eines  der 
ältesten  Rauweike  Ragusas.  Die  Franzosen  benützten 
Kirche  lind  Kloster  für  militärische  Zwecke,  welchen  sie 
noch  heute  dienen. 

7.  Kirche  der  heiligen  P  e t r u  s ,  L  o  r  e n  z  und 
Andreas,  der  later.  Brüder,  in  ihrer  Abkürzung  Chiesa 
Petrilovrenze  genannt.  Schon  im  11.  Jahrhunderte  soll 
an  demselben  Orte  =  die  Galeere  mit  den  Reliquien  der 
erwähnten  Heiligen  gelandet  sein.  Die  hier  dargestellte 
Kirche  wurde  jedoch  erst  1251  erbaut,  1667  durch  das 
Erdbeben  zerstört  und  nicht  wieder  aufgebaut.  Aus  dem 
Erlöse  des  Verkaufes  der  Reste  dieser  Kirche  stiftete 
die  Gemeinde  einen  Altar  der  gegenwärtigen  Kathedrale. 
Die  Reliquien  dieser  Heiligen  befinden  sich  jetzt  in  der 
Schatzkammer  des  Domes. 

8.  Der  Rolandstein.  Auf  dem  von  der  Kirche 
des  heil.  Blasius  (10)  gelegenen  Platze  stand  früher  ein 
etwa  12  Schuh  hoher,  rinnenförniig  ausgehöhlter,  oben 
mit  einem  eisernen  Geländer  versehener  Stein;  derselbe 
diente  zur  Aufrechthaltung  des  Banners  mit  dem  Bild- 
nisse des  heil.  Blasius,  wie  es  die  Ansicht  zeigt.  (Zu 
ähnlichem  Zwecke  wie  die  Fussgestelle  Lombardis  aus 
dem  Jahre  1.Ö05  zu  Venedig.) 

Im  Volke  hiess  dieser  Stein  Orlando  oder  Roland, 
wahrscheinlich  nach  einem  Hautrelief  auf  selbem,  das 
einen  geharnischten  Mann  darstellte. 

An  diesem  Steine  wurden  früher  die  Verbrecher 
ausgepeitscht  und  solchen  zur  Schande  der  Bart  abge- 
brannt, welche  wegen  Theilnahme  an  Verbrechen  ver- 
urtheilt  wurden.  Auf  ihm  war  das  Mass  der  Ragusäer 
Elle  (51  Centim.~l  bezeichnet,  und  wurde  Leinwand,  so 
wie  anderes  verkauftes  Gewebe  daran  gemessen.  Die 
Zeit  der  Errichtung  dieses  Steines  schwankt  zwischen 
den  Jahren  1418  und  142.!. 

Am  6.  Jänner  1825  warf  ein  Orcan  dieses  Denkmal 
der  Herrschaft  zu  Boden,  und  heute  liegt  es  verlassen 
mit  der  wichtigsten  Reliefseite  knapp  einer  Mauer  zuge- 
kehrt unter  dem  Bogengänge  des  Hofes  des  alten  Recto- 
ren-Palastes.  Sollte  es  mir  gelingen,  die  Erlaubniss  zur 
nöthigen  Bewegung  des  Steines  zu  erhalten  ,  um  das 
Relief  zu  erkennen,  so  werde  ich  dasselbe  zeichnen  und 
einige  gesammelte  nähere  Daten  über  seinen  Ursprung 
mittheilen. 

9.  Die  Fahne  des  heiligen  Blasius. 

10.  Die  Kirche  des  h.  Blasius,  in  welcher  die 
hier  beschriebene  Statue  am  Hochaltare  sich  befindet. 
Ihre  Erbauung  wurde  auf  der  Stelle  einer  älteren,  diesem 
Heiligen  gewidmet  gewesenen  Kirche  vom  Senate  1.348 
(Reform.  26.  Febr.)  deeretirt  und  am  2.3.  Mai  1349  der 
Grundstein  gelegt.  Drei  Jahre  später  wurde  sie  dem 
Gottesdienste  geöffnet.  1356  (Reform.  28.  Mai)  wurde 
über  Befehl  des  Senates  an  der  Ostseite  eine  Althane 
errichtet,  welche  in  der  Zeichnung  angedeutet  ist.  Der 
ganze  Bau  kostete  die  Summe  von  40.000  Dukati. 


•   Die   in   der  Abliitdan::   brcit"r   «fhaltent- 
war  früher  ein  Caiial  des  Mt-t-rc-. 


Strasse  .    Srradonf 


Diese  im  romanischen  Style  erbaute  Kirche  erlitt  viele 
herbe  Schicksale.  Im  Jahre  1547  verzehrte  eine  Feuers- 
brunst einen  Theil  der  Kirche;  mau  berechnete  den 
Schaden  auf  200  Scudi;  im  Jahre  1667  litt  sie  bedeu- 
tenden Schaden  durch  das  Erdbeben  vorzüglich  an  der 
Apsis.  Sie  wurde  jedoch  mit  Mühe  renovirt  und  diente 
während  des  Neubaues  der  jetzigen  Kathedrale  als  sol- 
che. Ein  neues  Unglück  zerstörte  diese  Kirche  aber 
vollends.  Am  24.  Mai  1706  wurde  der  ganze  Bau  durch 
eine  Feuersbrunst  so  vollständig  zerstört,  dass  an  eine 
Reparatur  derselben  nicht  mehr  gedacht  werden  konnte. 
Nichts  blieb  von  den  wüthendcn  Flammen  verschont, 
als  die  gegenwärtige  Statue,  welche,  wie  man  sagt, 
unversehrt  aus  den  verkohlten  Trümmern  hervorgezogen 
wurde. 

Die  gegenwärtige  im  Spät-Renaissancestyle  gebaute 
Kirche  wurde  in  den  Jahren  1707  bis  1715  gebaut. 

11.  Die  üomkirche  Ragusas,  der  Sage  nach 
durch  König  Richard  Löwenherz  erbaut,  war  eines  der 
prächtigsten  Bauwerke  romanischen  Styles.  Der  Haupt- 
altar war  gegen  Morgen  gerichtet,  und  vor  dem  Haupt- 
thore  stand  das  Baptisterium  (nach  Anderer  Ansicht  die 
Grundfesten  eines  nicht  ausgebauten  Glockenthurmes) 
in  achteckiger  Form.  Auch  diese  BasiHka  fiel  dem  Erd- 
beben 1667  zum  Opfer,  und  auf  ihren  Grundfesten  wurde 
die  gegenwärtige  im  späten  Renaissaneestyle ,  nicht 
unedel  in  der  Form  gehaltene  Dom  von  Angelo  Bianchi 
erbaut  und  1713  eröffnet. 

12.  Alte  Kirche,  dem  h.  Apostel  Jacobus  geweiht. 

13.  Der  Uhrthurm,  nach  dem  Berichte  des  Chro- 
nisten Giacomo  Luccari,  „Ristretto  copioso  della  storia 
Ragusea  1605,  um  das  Jahr  1480  erbaut. 

14.  Der  Rectoreu  -  Palast;  seine  Erbauung 
begann  1412  und  war  1424  vollendet.  Er  kostete  der 
Republik  40.000  Zechinen.  Durch  einen  Brand  im  Jahre 
1435  theilweise  beschädigt,  wurde  derselbe  von  Meister 
Georg  Matajovic  aus  Sebenico  restaurirt.  Vor  dem  Erd- 
beben hatte  derselbe  zwei  Stockwerke. 

15.  Der  Hafen  der  Stadt,  in  welchem  man  ver- 
schiedene undeutlich  dargestellte  Barken  erkennen  kann. 
(Der  eigentliche  grosse  Hafen  der  Stadt  ist  etwa  1/2 
Wegstunde  entfernt  von  Gravosa.) 

16.  Die  Kirche  der  Dominicaner,  geweiht  dem 
h.  Dominicus,  erbaut  1304,  sammt  dem  Kloster  vollendet 
1474.  Eines  der  interessantesten  Bauwerke  des  Mittel- 
alters. Die  Dominicaner  kamen  1225  nach  Ragusa. 

17.  In  den  früheren  Epochen  bis  zum  Jahre  1485 
wurde  der  kleine  Hafen  mittelst  einer  Kette  gesperrt, 
um  feindlichen  Schiffen  den  Eintritt  zu  hindern.  In  dem 
Relief  ist  die  Kette  ersichtlich  gemacht. 

18.  Fort  San  Giovanni  in  seiner  alten  Gestalt, 
ehe  es  durch  Micheli  1485  umgebaut  wurde,  jetzt  heisst 
es  Fort  Jtolo. 

Aus  der  detailirten  Untersuchung  der  einzelnen 
dargestellten  Objecto  des  Reliefs  erhellte  sich  mir  kein 
anderes  Resultat,  als  die  bestimmte  Überzeugung,  dass 
die  Statue  mit  allen  ihren  Theilen  und  nur  mit  Ausnahme 
der  Hände  und  der  Mitra  bedeutend  älter  als  die 
Darstellung  der  Stadt  ist,  und  dass  letztere  nicht  viel 
früher  und  nicht  später,  als  zwischen  den  Jahren  J480 
und  1485  verfertigt  sein  konnte. 

Die  Anzeichen,  welche  mich  zu  diesem  bestimmten 
Ausspruch  ermächtigen,  sind  einfach  und  klar.  Das  jüng- 
ste Bauwerk  des  Reliefs  ist  der  Uhrthurm,  circa  aus  dem 

b* 


XTI 


Jahre  1480.  Ep  kann  aber  nicht  nach  1485  verfertigt 
sein .  weil  sonst  Fort  Raveliino  und  Fort  San  Giovanni 
in  ihrer  der  jetzigen  ganz  ähnlichen  P'orm  darauf  sicher 
dargestellt  und  statt  der  Hatenspt-rrkette  der  den  Hafen 
al)schliessende  Querdanim  zu  sehen  wäre. 

Es  lässt  sich  also  verniutlieu,  dass  die  gleichzeitio-e 
Abbildung  der  Stadt  um  jene  Epoche  entweder  von 
einem  Privaten,  oder  vom  Sonate  selbst  der  viel  älteren 
Statue  beigefügt  wurde.  Für  diesen  Umstand  spricht 
auch  die  schlechte,  lockere  Einfügung  und  Befesti'-un" 
an  dem  Theile  der  Figur  und  die  auch  unterhalb'' des 
Reliefs  in  gleicher  Genauigkeit  fortgesetzte  Zeichnung 
des  Dessins  am  Uberkleide. 

Es  ist  ferner  leicht  zu  erkennen,  dass  alle  aus 
gegossenem  Sill)er  verfertigten  Partikel  mit  dem  aus 
Blech  getriebenen  Theile  im  Coutraste  stehen,  wenn 
auch  bei  weitem  weniger  Technik,  doch  eine  "-eist- 
vollere  Auffassung  und  mehr  Mache  bezüglich'  des 
künstlerischen  Eindru(  kes  verrathen. 

Die  gestörte  Proportion,  der  fast  todtenähnliche 
Ausdruck  des  Gesichtes,  die  gleichmässige  Stellung  der 
Füsse,  die  geringe  Motivirung  der  Kürperpartien, "end- 
lich die  minutiöse  und  theihveise  unverstandene  Hehand- 
lung  des  Details  auf  Kosten  des  Ganzen  neigt  mich  zu 
der  Ansicht,  in  den  Grundpartikeln  eine  Arbtjit  spät- 
romanischen Styles  vor  uns  zu  haben,  welche  jedoch 
noch  vor  das  Ende  des  13.  Jahrhundertes  hinauf  zu 
datiren  ist.  Unzweifelhaft  trug  diese  Figur  ursprünglich 
ebenfalls  vielleicht  die  Ansicht  der  damaligen  Stadt, 
und  das  Pastorale  war  ähnlich  wie  jetzt. 

Zur  Zeit  des  Neubaues   der  Kirche  1356   scheint 
diese  Statue,   welche  vielleicht  schon   damals   als   ein 
Kleinod  galt,  ausgeschmückt  und  restaurirt  worden  zu 
sein,  und  aus  dieser  Zeit  mögen  auch  das  Pastorale, 
die  Figuren  an  der  Casula  und  der  Dalmatica  als  Ersatz 
für  andere  vielleicht  weggebrochene  oder  beschädigte 
datiren.    Dass    mit   diesem   Baue    eine   kostbare  Aus- 
schmückung des    Inneren  in    Verbindung  war,    sa^-en 
übereinstimmende    Aussagen    der     Schriftsteller.     Sie 
sprechen   besonders   von    einer  Pala  aus   gediegenem 
Silber  über  dem  Hochaltare  und  einem  Tabernakel  aus 
demselben  Metalle,  ja  man  kennt  sogar  noch  die  ein- 
zelnen Altäre,  so  jenen  der  linken  Seite  des  h.  Ambro- 
sius,  von  der  Familie  Sforza  gestiftet,  jenen  der  rechten 
Seite  des  h.  Kreuzes,  ferner  den  der  h.  Margaretha  etc. 
Es  erlaubt  mir  aber  auch  die  Art  der  Kunsttechnik 
einen  weiteren,  wenn  auch  minder  bestimmten  Schluss 
auf  das  Alter  des  Werkes  zu  ziehen.  Getriebene  Arbeit 
in  solchem  ausgebildeten  Grade,  so  eminente,  fast  pein- 
liehe Mithilfe  zur  Ausschmückung  durch  den  Grabstichel, 
diese  Technik  ist  ein  Kind    der  orientalischen  Kunst- 
epoche, und  es  bediente  sich  derselben  auch  und  vor- 
züglich an  den  Grenzmarken  hie  und   da  der  romani- 
sche Styl. 

Ich  muss  es  gestehen,  dass  ich  beim  ersten  Anblicke 
dieser  Statue  unwillkürlich  an  die  prunkenden  Werke 
byzantinischer  Kunst,  jene  überreichen  Ausschmückun- 
gen der  Tempel  in  getriebener  Arbeit  gedacht  habe. 
Wir  haben  aber  hier  jedenfalls  ein  Kunstwerk  aus  jenem 
Zeiträume  vor  uns,  in  welchem  ans  verschiedenen  Ursa- 
chen romanischer  und  byzantinischer  Styl,  jener  einer 
kraftvollen  äusseren  Einwirkung  wich,  dieser  in  eine  todt- 
ähnliche  Erstarrung  verfiel.  Je  weniger  Reste  wir  aus 
dieser  Zeit  der  Kunsttechnik  in  getriebener  Arbeit  aufzu- 


weisen haben,  desto  mehr  Aufmersamkeit  beansprucht 
eme  solche  Rcli.iuie,  wenn  auch  aus  der  spätesten  Zeit 
Ich  habe  wiederholte  Versuche  gemacht,  zu  er-'rüu- 
den,    welche  äussere  Veranlassung  in    der  Geschichte 
Kagnsas  es  gewesen  sein  konnte ,  die  den  Senat  oder 
einen  Privaten  bestimmte,   die  Ansicht  der  damaligen 
Stadt  dem  Heiligen  in  die  Arme  zu  legen,  oder  besser 
gesagt,  durch  ein  sichtbares  Zeichen  die  Stadt  erneuert 
unter  den  Schutz  des  Heiligen   zu   stellen,   und   habe 
nichts  weiteres  zu  finden  vermocht,  als  die  Furcht  vor 
der  sich    riesig    ausbreitenden   Macht    des    türkischen 
Reiches    Diese  Furcht  vor  Unterjochung  mochte   sieh 
14S0_]4»o  aus  der  Thatsache  erzeugt  hal)eii,  dass  die 
lurken  bedeutende  Streitkräfte  in  Hosnien  uud  Nord- 
Albanien  concentrirten,  um  das  erst  jüii-st  (147U)  er- 
oberte Bosnien  zu  behaupten.  Man  koniUe  diesem  Er- 
oberervolke mit  vielem  Rechte  die  Absicht   zumuthen 
es  bei  der  Eroberung  des  Binnenlandes  nicht  bewenden 
zu  lassen  und  über  die  Köpfe  der  Republikaner  weg  an 
die  wichtige  Küste  vorzudringen. 

Die  Ausführung  des  Reliefs  zeigt  einen  typischen 
thaiakter  in  den  hervorragenden  Objecten.  Die  Ansicht 
ist  einestheils,  was  die  allgemeine  Anlaee  der  Stadt  wie 
die  vorzüglichen  Gebäude  derselben  betriflt.  mit  grosser 
Genauigkeit  gearbeitet,  anderseits  aber  etwas  zusam- 
mengezogen, denn  es  fehlen  drei  den  Stradone  durch- 
ziehende kleine  Querstrassen,  welche  schon  damals 
existirten.  Die  Anzahl  der  Befestigunirsthürnie  ist  rich- 
tig und  noch  heute  mit  Leichtigkeit  nachzuweisen  Die 
Feuersbruust  1547  scheint  diese  Statue  zwar  sehr  be- 
schädigt zu  haben,  es  deutet  jedoch  nichts  auf  ein  Neu- 
hinzutugen  von  Theilen  in  jener  Periode. 

Die  Mitra  des  Heiligen  ist  das  Werk  eines  minderen 
Kunstlers  des  vorigen  Jahrhunderts,  eine  Reparatur  der 
Beschädigung  von  dem  Brande  des  Jahres  17U6  und 
ist  ohne  jeden  Werth.  Wend.  Boeheim, 

k.  k.  Hauptmann. 

Neuester  Fund  keltischer  Münzen  in  der  Pfarre 
Trifail  zu  Doberna-Retje. 

Heschrieben  von  Dr.  Kichard  Knabl,  kaiserlichem  Ka>he  un,i  Stadtpfirrer 
zu  St.  Andrä  in  (irätz. 

(Mit  einer  Tafel  ) 

Zur  Zeit  des   Bestehens  der  römischen   Republik 
besasseu  deren   nördliche  Nachbaren ,  die  Barbaren,  so 
lauge  sie  noch  im  freien  Zustande  waren,  eine  eigene 
Mfinze.  Aber  auch  dann  noch,  als  sie  schon  unter  rö- 
mische Herrschaft  kamen,  nahmen  sie  das  früher  aus- 
geübte Recht  hie  und  da  für  einige  Zeit  in  Anspruch. 
Daher  finden  wir  in  dem  ersten  christlichen  Jahrhun- 
derte sowohl  Gold-  und  Silber-  als  Bronzeniünzen  mit 
dem  Namen  barbarischer  Häuptlinge  in  Gallien  neben 
der  gesetzlichen  römischen  Münze  im  Umlaufe,  bis  die 
Romanisirung  unter  diesen  Völkern  durchgritf,   und  die 
römische  Münze  die  keltische  verdrängte.   Von  da  an 
findet  man  diese  Münzen  zum  grössten  Theile  nur  spo- 
radisch zerstreut,  wohl  aber  auch,  wiewohl  in  selteneren 
Fällen,  in  grösseren  Mengen  angesammelt   unter  dem 
Erdboden.  Dieses  kam  wahrscheinlich  daher,  dass  die 
an   ihre   eigene  Münze  gewohnten   Barbaren  dieselbe, 
zumal  wenn  sie  aus  edlen  Metallen  geprägt  war,  nicht 
gern  einschmelzen  Hessen,  sondern  als  einen  werthen 
Hausschatz  lieber  aufbewahren  wollten.  Vorzugsweise 


-v^ 


■^^^^ 


KELTISCHE  MÜNZEN 


ZU  DOBERNA-RE.T'EIN  TTFIERMARK 

Au.-  d  . 


XIII 


ergibt  sich  diese  Wahrnehmung  bei  „schriftlosen"  kelti- 
schen Münzen,  welche  (noch  in  die  Druiden/.eit  bis  auf 
K.  Claudius,  der  Ihre  Wirksamkeit  und  ihren  Einfluss 
einstellte,  gehörig)  in  grösseren  Quantitäten  dem 
Schoose  der  Erde  übergeben  wurden.  So  der  grosse 
Münzeufund  zu  Podmokl  in  Böhmen  Junius  1771  »; 
der  ansehnliche  MUnzcnfund  zu  Gagers  in  Bayern 
17512;  der  Münzenfund  zu  Lemberg  bei  Neuhaus 
1829  in  Steiermark  3;  der  Münzenfund  zu  Vohburg 
in  Bayern  1838*;  der  Müuzenfund  zu  Deutsch-Jan- 
d  0  r  f  oder  Jährende  r  f  zwischen  K a  r  1  b  u  r  g  und  ü  n- 
garisch  -  Altenburg  1855  s;  der  Münzenfund  zu 
Eis  s  bei  V  ö  1  k  e  r  m  a  r  kt  in  Kärnten  vom  Jahre 
1858  6  und  endlich  der  neueste  Fund  keltischer  Münzen 

*  Im  Junius  1771,  nahe  bei  dem  Dorfe  Podmokl,  nicht  weit  von  dem 
in  den  Moldau- Pluss  mündenden  Flüsschen  Beraun  (Mies)  in  der  Herrschaft  Pü  rg- 
litz,  fanden  einige  Bauern  am  Rande  eines  Baches  zerstreute  Goldstücke; 
als  sie  weiter  suchten,  ganz  seicht  einen  ganzen  Kessel  voll  derselben.  Beim 
Aufheben  des  Kessels  blieb  ihnen  bloss  der  Reif  mit  dem  Bogen  in  den  Hän- 
den, der  Kessel  selbst,  beiläufig  12  Zoll  tief,  war  vom  Ro>te  verzehrt.  In 
demselben  befanden  sich  einige  tausend  Goldmünzen  von  viererlei  Grösse. 
Der  bekaunt  gewordene  Fund  beträgt  80  niederÖsterreichische  Pfunde ;  die 
einzelnen  Stücke  V:»  'A  "^^  ^Z*   I'ukaten. 

Die^e  Münzen  waren  sammtlich  „Regenbogen  Schüsselchen"  (Scutella 
Iridis).  Stanche  darunter  fand  man  an  der  einen  Seite  convex,  und  an  der 
andern  concav.  An  den  convexen  Seilen  hatten  einige  keine  Abbildung,  wuhl 
aber  au  der  concaveu  bald  das  Hild  des  unter  den  Sonnenstrahlen  «achsenden 
Mondes,  bald  das  Bild  eines  Herzt-ns  aus  dem  Stiele  hervorragen,  bald  das 
Bild  eineö  ge^vöhnli^.■heu  Kreuzes,  bald  das  eines  sugenannton  Andreaskreuzes 
zwischen  zwei  Punkten,  bald  ein  Triquetrum  (Dreieck)  aus  den  Strahlen  her- 
vorgehen, woneben  sich  sechs  Punkte  befinden  ,  ähnlich  nach  christlicher 
Symbolik  dem  Auge  Gottes  oder  der  Vorsicht,  bald  einen  behelmten  Kopf 
oder  einen  Reiter  zu  Pferde,  bald  ist  auch  die  convexe  Seite  mit  einem  Herz, 
einer  gezackten  Fläche,  einem  Sterne,  oder  der  Vorstellung  des  wachsenden 
Mondes  ausgestattet,  so  dass  es  zuweilen  schwer  hält,  die  convexe  oder  die 
concave  Seite  für  die  Vorder-  oder  Rückseite  zu  halten.  Gleichzeitig  und  wohl 
auch  etwas  früher  wurden  in  Böhmen  Münzen  dieser  Gattung  in  „Silber" 
gefunden.  (Adauct  Voigt,  a.  S.  Germano,  Pr.  d.  fr.  Schulen.  Schreiben  an 
einen  Freund.  Prag  bei  Höchenberg  und  Comp.  1771,  40  S.,  sammi  einer 
Kupfertafel.) 

-Am  22.  Junius  1751  sind  zu  „Gagers"  in  Bayern  13— H  hundert 
gleicher  Goldmünzen  wie  die  Poiimokler  in  einem  kupft-rnen  Kessel  gefunden 
worden,  was  mitunter  die  Ubersiedluiii^  der  Bojer  aus  dem  hercynisciien 
Walde  nach  Bayern  beweisen  dürfte.  {Nachricht  von  den  bayerischen  Münzen 
von  dem  geheimen  Rathe  Obermayer,   1763,  S.  31.) 

*  Der  Lemberger  Fund  im  vorigen  Cillier  Kreise  Steiermarks  is  allge- 
mein auf  500  Stücke  in  Gold,  Silber  und  Kupfermünzen  veranschlagt  worden. 
Auch  die  Landleute  dortiger  Gegend  neigen  sich  für  diese  Anzahl.  Nach  einem 
Amtsberirhte  des  k.  k.  Münz-  und  Antiken-Kabinetes  vom  3.  Sfptember  1829 
scheint  aber  diese  Summe  etwas  zu  hoch  gegriffen;  denn  da  wird  der  Hergang 
des  Fuudes  so  beschrieben:  Lorenz  Jauernigg  von  Goritza,  Untertlian 
der  Herrschaft  Lemberg  im  Cillier-Kreise  hatte  bei  Umgrabuog  seines  au 
der  nach  Neuhaus  führenden  Bezirksstrasse  gelegenen  Grundes  an  der 
Nordseite  seines  Hauses  unter  einem  Baurastamme  in  einer  seichten 
Grube ,  mit  einigen  Hafenscherben  bedeckt  ,  am  20.  Mai  1829,  11  Gold- 
und  315  Silbermünzen  aufgefunden;  aber  durch  die  Herrschaft  Lemberg 
mittelst  des  k.  k.  Kreisamtes  und  des  steierm.  Giiberniums  sind  in  Allem  nur 
7  Gold-  und  an  Silber-  und  Kupfermünzen  288  Stücke  eingeliefert  worden, 
indem  Herr  Gla^fabriksinhabe^  Franz  Novak  einige  derselben  dem  Erztier- 
zoge  Johann  einsandte,  und  der  pensionirte  Capitänlieulenant ,  Joh.  Nep. 
Lenz  einige  zurückbehielt.  Nach  diesem  Bericht  müssen  also  die  beiden  vor- 
erwähnten 4  Gold-  und  27  Silbermünzen  abgegeben  worden  sein,  um  die 
ursprüngliche  Zahl  zu    ergänzen. 

Nimmt  man  nun  zu  den  11  Gold-  und  315  Silberstücken  die  nachträglich 
bekannt  gewordenen  Jlünzen,  die  sich  a  in  dem  Besitze  Herrn  Ulrichs  in 
Tüffer,  des  Schwagers  des  nachmaligen  Lemberger  Herrschaft.sinhabers  Langer 
befinden  und  mit  13  Stücken  beziffern,  ferner  b  die  bei  der  Guisiutiabung  zu 
Lemberg  noch  vorhandenen  3  Gold-  und  5  Silbermünzen,  r  die  in  meinem 
Besitze  gewesenen  4  Stücke,  d  die  im  Besitze  des  Lederermeisters  zu  Lem- 
berg Herrn  Krischan  befindlichen  3  Stücke,  endlich  e  die  von  Herrn 
Volpi  zu  Hohenmauthen  aus  diesem  Funde  erhandelten  3  Stücke;  so 
stellt  sich  der  bekannt  gewordenL-  Fund  im  Ganzen  nur  auf  357  Stücke  heraus. 
Da  aber  eine  ziemliche  Anzahl  sich  noch  in  uubekannteu  Händen  befinilen 
dürfte,  viele  Münzen  dieses  Fundes  aber,  wie  mir  bekannt  geworden,  in  die 
Schweiz  nach  Bern  und  auch  anderswohin  gewandert  sind,  so  möchte  sich 
der  ganze  Lembergerfund  wohl  über  4ü0 — 450  Stücke  belaufen,  was 
immer  noch  eine  bedeutende  Menge  ausmacht,  die  an  einem  und  demselben 
Orte  der    steierischen  Erde  entrungen  worden  ist. 

*  Der  Fuud  zu  Vohburg  {Irsching  in  Bayern)  im  Jahre  1838  hat  sich 
auf  mehr  als  lOuo  Stucke  keltischer  Münzen  belaufen.  (Repertorium  der  steir. 
Münzkunde,  von  Dr.  Friedrich  Pichler,   1.   B.   Graz   18*55,  S,   133.) 

^  Der  Schullehrer  von  Deuts  c  h -Jah  rn  d  o  r  f  zwischen  Karlburg 
und  Ungari  s  c  h  -  A  1 1  e  n  b  urg  brachte  im  Monate  Mai  1855  ein  hundert  ein 
Stück  Silbermünzen  im  Gewichte  von  98  Lorh  und  26  Stück  Goldmünzen 
30  #  schwer  zu  einem  Goldarbeiter  in  Pressburg,  dem  er  sie  zum  Verkaufe 
anbot.  Über  Befragen  sagte  der  Schullehrer  aus:  Der  Jahrndorfer  Klein- 
häusler Paul  E  de  r  habe  als  Taglöhner  für  die  Ungarisch-  Altenburger 
Herrschaft  einen  Graben  ausgeworfen,  wobei  er  auf  ein  irdenes  Gefäss  ge- 
kommen wäre,  dessen  Inhalt  diese  Münzen  waren.  Das  Gefäss  hat  er  leider 
zertrümmei't.  Von  den  Silbermünzen ,  welche  alle  so  ziemlich  von  gleicher 
Grösse  sind,  (wie  beiläufig  ein  Zweikreuzerstück  in  CM.,  nur  etwas  dicker), 
haben  alle  ein  zur  römisch-christlichen  Zeit  gewöhnliches  Gepräge.  VierFünf- 
Iheile  von  der  ganzen  Anzahl  sind  sich  ähnlich  in  der  Darstellung.  Auf  der 
Vorderseite  ein  odei-  zwei  Köpfe,  auf  i1er  Rückseite  ein  Pferd,  oder  ein  Reiter 
zu  Pferde.  l)ie  Vorderseite  ist  ohne  Um.schrifi,  wie  bei  allen  Barbarenmünzon  ; 
auf  der  Kehrseite  stehen,  auf  denen    mit    einem    Kopfe    die    Namen    NONOS 


ZU   Doberna-Retje  in  Steiermark  vom  Jahre  1868; 
dem  diese  Zeilen  gewidmet  sind.  Zwar  ist  davon  schon 


eine 


kurze  Anzeige  in  der   Laibacher  Novice  unterm 


8.  Juli  und  unterm  18.  Juli  1.  J.  in  der  Grät/er  Tagespost 
Nr.  1(33  aus  Cilli  gemacht  worden,  jedoch  lohnt  es 
sich  der  Mühe,  diesen  ansehnlichen  Fund  ausführlicher 
zu  beschreiben j  weil  er  der  zweite  in  Steiermark 
gemachte  ist.  Ich  schreite  demnach  zur  Sache  selbst. 

Es  war  in  den  ersten  Tagen  des  Monats  Julius  1.  J., 
als  mir  Herr  Joseph  Häsnik,  Pfarrer  zu  Trifail,  dieser 
warme  Freund  des  Altertliums,  eine  Silbcniiün/e  zur 
Beurtheilung  nach  Grätz  einsandte,  die,  wie  er  mir 
schrieb,  einer  grösseren  Anzahl  ähnlicher  von  ihm  an- 
gekaufter Münzen  angehörte  und  die  zu  besehen  er 
mich  einlud.  Ich  reiste  demgemäss  am  8.  Juli  1868  nach 
Trifail  an  der  Save  hart  an  der  krainischen  Gränze 
ab,  besah  und  musterte  die  Münzen  und  besichtigte  so- 
gleich die  Fundstelle  selbst,  wobei  ich  folgendes  in 
Erfahrung  brachte. 

In  einer  von  Bäumen  freien  Waldstrecke  nel)en  dem 
Dorfe  Doberna  y^  Wegstunden  von  dem  Pfarrorte  Tri- 
fail imd  Vi  Stunde  von  der  dahin  gehörigen  Filialkirche 
Heil.  Kreuz  in  Retje  südöstlich  von  Trifail  entfernt, 
war  ein  grosser  Steinhaufe  von  Bruchsteinen  aufge- 
schichtet, der  einen  etwa  26°  langen  und  breiten  Boden- 
raumeinnahm. Diesen  Bodenraum  wollte  ein  Bergknappe 
des  M  a  u  r  e  r '  sehen  Steinkohlengewerkes  benützen , 
um,  nach  Hinwegräumung  der  Bruchsteine,  Rübsamen 
anzubauen.  Nachdem  er  hiezu  die  Erlaubniss  des  der- 
maligen Grundbesitzers  Meke,  vorhin  Tschamer  ein 
geholt  hatte,  kam  er  nach  Hinwegräumung  der  Bruch 
steine  bei  Auflockerung  der  Grundfläche  am  20.  Jum 
1868   in  unbedeutender  Tiefe  auf  eine  grosse  Menge 

kleinen  Bruch- 


Silbermünzen,  welche  in  der  Richtung  von  Osten  gegen 


irdenen  Vase  ziemlich   ge- 


Westen  gelagert,    nur   vermischt  mit 
stücken  einer  bräunlichen 
drängt  aneinander  lagen.  Es  war  ein  glücklicher  Zufall 
dass    der  erwähnte   Herr   Pfarrer  Häsnik  alsogleich 
Kunde  davon  erhielt,  und  den  grössten  Theil  des  Fuudes 
käuflich  an  sich  brachte,  denn  sonst  wären  diese  Münzen 
an   einzelne  Leute  verkauft  und   in  kurzer  Zeit  keine 
Spur  von  dem  bedeutenden  Münzenfunde  zur  Kenntuiss 
des  wissenschaftlichen   Publicums  gekommen.   Bereits 
hatte  ein  durchziehender  Jude  53  Stücke  an   sich  ge- 
bracht und  sie  für  theures  Geld  in  Grätz  verwerthet. 
Ausser  dieser  letzteren,  deren  ich  später  einige  zu  Ge- 
sichte bekam,  kauften  auch  andere  Personen  aus  der 
Nachbarschaft  eine  ziemliche  Anzahl    dieser   Münzen, 
welche  aber  von   denen,    welche  der  Herr  Pfarrer  an 
sich  brachte,  in  ihrer  äusseren  Gestalt  und  im  Silber- 
gehalte nicht  verschieden  waren. 

Somit  betrug  die  Zahl  sämmtlicher  Münzen  etwas 
über  sechsthalbhundert  Stück,  u.  z.  gelangten  an 
den  Herrn  Pfarrer     .......  320 

in  den  Besitz  einer  Privatperson  ...  70 
au  den  Grundbesitzer  Michael  Meke  .  60 
an  eine  andere  dortige  Person 5 

oder  SONNON  ,  auf  den  übrigen  mit  zwei  Köpfen  BIATEC.  Die  Goldstücke 
sind  alle  schüssolartig;  auf  der  concaven  Seite  ist  ein  Viertelmond  und  die 
Sonne,  die  convexen  Seiten  sind  meistens  verwischt.  (Grazer  Zeitung  Nr.  241, 
vom  26,  Mai  1855.) 

6  Zu  Eiss  bei  Völkermarkt  in  Kärnten  sind  im  Jahre  1858 
keltische  Münzen  beisammenÜGgend  ausgegraben  worden,  wiewohl  nur  wenige, 
in  der  Gesammtzahl  nämlich  22  Stücke,  wnvon  an  das  k.  k.  Münz-  und  Anti- 
kenkabinet  12  Stücke  {zwei  Didrachmen  und  10  kleinere)  dann  10  Siücke  in 
Privathände  kamen,  u.  z.  zwei  Didraclimen  dann  acht  kleinere  (Repertorium 
der  steir.  Münzkunde,   1.  B.,  v.  Dr.  Friedrich  Pichler.  Graz  1765,  S.  1-47— 14S.) 


XIV 


aD  eine  Fraa 4 

an  andere  benachbarte  Liebhaber  des  Al- 

terthums 50 

an  ein  Mädchen .   •       1 

an  den  ersten  F'inder 10 

an  den  oberwähnten  Juden 33 

Zusammen  also  .  553  Stücke. 

Der  innere  Gehalt  dieser  Münzen  zeigt  am  Probier- 
steine etwas  weniger  als  151öthiges  Silber,  welches  nur 
einen  geringen  Zusatz  von  Zink  nachweist.  Die  Grösse 
der  Münzen  beträgt  je  nach  dem  Grade  der  Abnützung 
nach  dem  Münzmesser  Appel's  zwischen  15—16  Linien 
im  senkrechten  Durchmesser,  nach  dem  Münzmesser 
Mionnet's  zwischen  7  bis  8  Linien  und  nach  dem  Münz- 
messer Wellenheim's  zwischen  11  — 12  Linien.  Das 
specitische  Gewicht  dieser  Münzen  beträgt  durchschnitt- 
lich je  nach  dem  Grade  der  Abgegriffenheit  zwischen 
lU-24.   10-53  und  10-54  Grammes. 

Unter  den  kleineu,  theilweise  mit  den  Münzen  rer- 
niengten  bräunlichen  Bruchstücken  einer  irdenen  Vase, 
befand  sich  glücklirher  Weise  ein  Theil,  welcher  ihrem 
oberen  Rande  angehörte,  und  die  Möglichkeit  bot,  den 
Durchmesser  des  oberen  Randes  zu  bestimmen,  indem 
dieser  Theil  an  den  Zirkel  angelegt,  die  Spurweite  des 
Kreises  anzeigte,  welchen  er  beschrieb,  und  daher  den 
Durchmesser  des  oberen  Randes  der  Vase  mit  7=4  Zoll 
anzeigte,  woraus  selbstverständlich  hervorgeht,  dass 
der  Bauchdurchraesser  der  Vase  um  ein  Bedeutendes 
grösser  gewesen  sein  niusste. 

Unter  allen  oben  aufgezählten  Münzen  kamen  nur 
einige  vor,  welche  sowohl  an  der  Vorderseite  unterhalb 
des  Kopfes  als  an  der  Rückseite  oberhalb  des  Pferdes 
ein  Monogramm  mit  lateinischen  Buchstaben  enthalten, 
während  alle  übrigen  .schriftlos-  sind,  und  in  die  vor- 
christliche Zeit  zu  reichen  scheinen. 

Die  Köpfe  an  den  Vorderseiten  sind  theils  links, 
theils  rechts,  nur  an  einer  Sorte  dem  Beschauer  zuge- 
wendet. Auf  den  Rückseiten  aller  Münzen  sind  die 
Pferde  ohne  Reiter,  und  sämratlich  zur  linken  Haud 
schreitend  ausgeprägt.  Namentlich  ist 

1.  auf  14  MUnzstücken  der  ganzen  Summe  der 
Kopf  der  Vorderseite  gegen  den  Beschauer  zugewendet 
und  kleiner  als  das  darüber  befindliche  Perlendiadein, 
über  welches,  so  wie  an  den  Seitentheilen  des  Kopfes, 
schlangenartige  Haartheile  sich  befinden,  die  auch  ober- 
halb des  Diadems  heiTorragen,  dass  man  fast  versucht 
wäre,  die  ganze  Vorstellung  für  ein  nach  keltischem 
Geschmacke  ausgestattetes  Medusenhaupt  zu  halten. 
Auf  der  Rü>-kseite  hat  das  ledige  zur  linken  Hand  schrei- 
tende Pferd  oberhalb  seines  Rückens  ein  spiralförmiges 
Ornament,  das  geheimnissvolie  Zeichen.  (^Fig.  1.) 

2.  Bei  21  Stücken  der  Vorderseite  erscheint  der 
Kopf  mit  zugespitzter  Nase  und  geziert  mit  einem  von 
einer  Agraffe  seitwärts  herabwallenden  dreischnürigen 
Perlendiademe  und  mit  einer  steifen  Halsbinde,  nach 
rechts  zugewendet,  und  auf  der  Rückseite  oberhalb 
des  links  schreitenden  Pferdes  das  sechsspeichige  Rad, 
unterdes  Pferdes  Bauch  aber  das  Zeichen  TL  (Tig.  2.) 

3.  Bei  79  Stücken  ist  die  Vorder-  und  Rückseite 
gestaltet  wie  Fig.  2,  nnr  mit  dem  Unterschiede,  dass 
an  der  Rückseite  ober-  und  unterhalb  des  Pferdes  das 
Rad  und  die  Zeichen  TI  fehlen,  i  Fig.  3.) 

4.  Bei  12  Stücken  ziut  die  Vorderseite  den  Kopf 
mit  einer  tief  in  die  Stirne  reichenden.  rü(  kwärts  mit 


einer  Masche  gebundenen  vierschnürigen  Perlendiademe 
nach  links  gewendet,  und  die  Rückseite  das  ledige 
liuksschreitende  Pi'erd  ohne  Zeichen.  i^Fig.  4.) 

5.  Die  Vorderseite  von  11  Stücken  zeigt  den 
stumpfnasigen  Kopf  mit  einem  fünfschnürigen  Perlen- 
diadeiue  geziert,  rechts  gewendet,  und  die  Rückseite, 
das  ledige  links  schreitende  Pferd ,  ohne  Zeichen. 
(Fig.  5.) 

6.  Während  alle  vorbenannten  schriftlos  sind,  zeigen 
einige  Münzen  den  links  gewendeten  Kopf  mit  einem 
dreischnürigen  Perlendiadem  geziert,  unterhalb  des- 
selben das  Monogramm  mit  den  lateinischen  Buchstaben 
O.T.Cuudan  der  Rückseite  oberhalb  des  links  schreiten- 
den Pferdes  das  Monogramm  MC  gleichfalls  mit  lateini- 
schen Buchstaben,  i  Fig.  6. ) 

Diese  sechs  Silbermünzen  sind  die  einzigen  Varie- 
täten in  den  Darstellungen  der  Vorder-  und  Rückseiten, 
an  welche  sich  alle  übrigen  anreihen,  selbst  die,  welche 
wegen  Abnützung  mehr  oder  minder  unkcnubar  sind, 
und  den  blossen  Silberwerth  haben,  aber  zur  Aufstellung 
sich  nicht  eignen.  Ihre  Zahl  ist  142. 

Wenn  man  sich  nun  die  Frage  stellt,  wie  alle  diese 
553  .Stücke  keltischer  .Silbermünzen  unter  den  Bruch- 
steinhaufen gekommen  sein  dürften,  so  genügt  keine 
andere  Erklärung,  als  dass  sie  unter  den  Trümmern 
eines  eingestürzten  Hauses  begraben  worden  sind, 
weil  man  an  den  zu  unterst  gelegenen  Bruchsteinen 
noch  Spuren  anklebenden  Mörtels  gefunden  hat ,  mag 
nun  der  Einsturz  etwas  früher  als  zur  Zeit  der  Völ- 
kerwanderung oder  nach  derselben  statt  gefunden 
haben. 

Ein  Räthsel  «ürde  es  imraeihin  bleiben,  wie  ein  so 
grosser  Haufe  von  Bruchsteinen  bis  in  die  neueste  Zeit 
unberührt  bleiben  konnte,  wenn  man  nicht  in  Erwägung 
zöge,  dass  dieser  Steinhaufe  ganz  nahe  an  den  von  Nor- 
den nach  Süden  in  der  Ausdehnung  einer  hali»en  .Stunde 
bis  zur  Filialkirche  Heil.  Kreuz  in  Retje  streichenden 
Korallenkalk -Flütz  sich  befindet,  daher  es  wohl  nicht 
leicht  jemand  beifallen  konnte,  die  Hand  an  einen  .Stein- 
haufen in  einer  Gegend  zu  legen ,  die  ohnehin  so  stein- 
reich ist.  Nähme  man  aber  auch  an,  dass  die  Bruch- 
steine dieses  Haufens  absichtlich  zusammengelegt  und 
aufgeschichtet  worden  wären,  so  nützte  diese  Bemü- 
hung nicht  dem  Zusammenträger,  weil  der  Münzschatz 
etwas  tiefer  unter  der  Erde  lag,  sondern  dem  Aliträger 
des  Steinhaufens,  der  den  Bodenraum  aufgelockert 
hat. 

Mag  man  aber  über  das  Gerathen  dieser  keltischen 
Münzen  unter  den  .Steinhaufen  denken,  wie  man  will, 
jedenfalls  spricht  die  Lage  derselben,  wie  sie  bei  Auf- 
lockerung der  Grundfläche  ansichtig  ward,  für  die 
erstere  Erklärungsweise. 

Eine  weitere  Frage  endlich  könnte  gestellt  werden, 
welcher  Nationalität  derjenige  war,  der  den  Schatz 
vergrub?  Allein  diese  beantwortet  sich  von  selbst,  wenn 
man  weiss,  dass  die  Bewohner  in  der  Nähe  des  Fundes 
noch  in  den  ersten  christlichen  Jahrhunderten  ,.Kelten-' 
waren,  wie  eine  am  J5.  Mai  1867  entdeckte  und  in  der 
Filialkirche  Heil.  Kreuz  in  Retje  eingemauerte  .In- 
schrift bezeugt  ,  welche  die  Namen  :  Diastuamar. 
Ibliend,  Coma,  Chilo  unJ  Solimara  nennt.  Sie  ward 
photographisch  genau  abgenommen ,  und  ist  lithogra- 
phirt  int  16.  Hefte  der  Mit;lieilungen  des  historischen 
Vereines  für  Steiermark  zu  selten. 


XV 


Johann  Karl  von  Röselfeld ,  Maler  aus  Tyrol,  gest. 
im  Stute  &arsten  1735. 

Johann  Karl  von  Röselfeld,  wie  er  sich  auf 
seinen  Bildern  in  dem  am  1.  Mai  1787  aufgehobenen 
Benedictinerstifte  Garsten  (bei  der  Stadt  Steyer  im 
Lande  ob  der  Enns)  nannte,  hiess  nach  einem  alten 
Manuscripte  Johann  Karl  R  ü  s  s  I.  Er  warin  Tyrol,  unbe- 
kannt in  welchem  Orte,  um  das  Jahr  1658  geboren,  und 
kam  sehr  jung  nach  Steyer.  Der  Freiherr  von  Riesen- 
fels schickte  ihn  nach  Italien,  wo  er  sich  durch  vier 
Jahre  in  der  Schule  des  berühmten  Karl  von  Loth  zu 
Venedig  ausbildete.  Er  kam  im  Jalire  1684  zurück  narh 
Garsten,  um  die  Kirche  und  das  Stift,  welche  der  Abt 
Roman  Rauscher  i  (f  1683)  aus  Hall  in  Tyrol  schon 
1677  zu  bauen  angefangen  und  sein  Nachfolger  Abt 
Anselm  Angerer  vollendet  hatte,  mit  seinen  Kunstwerken 
zu  schmücken. 

Röselfeld  genoss  im  Stifte  ein  jährliches  Stipendium 
von  20U  Gulden,  wurde  dann  unter  die  Ofticialen  aufge- 
nommen, und  lebte  51  Jahre  daselbst,  thätig  und  ge- 
achtet von  Allen.  Durch  drei  Monate  des  Jahres  malte 
er  für  das  Kloster,  die  übrige  Zeit  konnte  er  nach  Be- 
lieben zur  Ausübung  seiner  Kunst  verwenden.  Er  starb 
am  15.  Jänner  1735  zu  Garsten,  und  wurde  unter  dem 
Kunigunden-Altare  begraben. 

Im  Stifte  Garsten  malte  er  1686  beim  Berthold-Al- 
tare  das  Bildniss  des  ersten  Abtes,  des  heil.  Berthold, 
aus  dem  Geschlechte  der  Grafen  von  Würtemberg 
(t  26.  Juli  1142),  und  oberhalb  den  Sarg  desselben, 
wie  er  nach  der  Legende  auf  den  Schultern  der  Engel 
zu  Grabe  getragen  wird;  ferner  in  der  vom  Architekten 
Carlone  neu  erbauten  St.  Sebastiancapelle,  der  alten 
Gruft  der  1692  erloschenen  Grafen  von  Losenstein  und 
der  Starhemberg,  welche  beide  von  den  Markgrafen  von 
Steyer  abstammen,  das  Altarbild  des  heil.  Sebastian. 
Seine  Hand  verschönerte  den  prachtvollen  Saal,  ehedem 
einen  der  schönsten  in  Oberösterreich.  Über  dem  Ein- 
gange und  dem  grossen  Aufgange  prangte  dessen  Mei- 
sterstück, der  Pegasus  in  drei  künstlichen  Wendungen. 
Dieser  Pegasus  ist  noch  zu  sehen,  aber  der  Saal  ruinirt; 
man  arbeitet  wohl  an  dessen  Wiederherstellung,  aber 
der  schöne  Plafond  und  Röselfeld's  Gemälde  sind  für 
immer  dahin.  Kur  eine  C'opie  und  die  Bilder  au  den 
Wänden,  auf  Leinwand  gemalt,  aber  in  schlechtem  Zu- 
■  Stande,  sind  übrig.  Im  Speisesaal  mit  sieben  Musik- 
chören und  in  der  Vorhalle  desselben  erschöpfte  sich 
beinahe  der  Künstler,  dort  sind  die  Belagerung  Belgrads 
unter  dem  Prinzen  Eugen,  die  Anmärsche  der  Ungarn 
von  Peterwardein  herauf,  mythologische  Vorstellungen, 
sämmtliche  Kaiser  aus  dem  Hause  Habsburg  bis  auf 
Karl  VI.  und  dessen  schöne  Gemahlin  Elisabetha  von 
Braunschweig,  die  Bildnisse  Ottokars  V.  (III.)  und  seiner 
Gemahlin,  die  dieses  Kloster  1082  gründeten. 

Ausserdem  malte  er  meines  Wissens  fiir  die  Kirche 
zu  Aschach  bei  Steyer  das  18  Schuh  hohe  Hochnltar- 
blatt,  welches  die  Himmelfahrt  Jferkjis  vorstellt:  und 
oben  den  heil.  ]\Iartin,  für  die  geschmackvolle  Kirche 
zum  Christkindel  bei  Steyer,  die  Abt  Anselm  1708  nach 
dem  Modelle  von  Maria  Rotonda  in  Rom  bauen  Hess, 

'  Roman  Rauscher,  imj.  1603  zu  Hall  in  Tyro]  geboren,  und  seit 
1642  Abt,  legte  nach  der  Medaille  {s.  Appel's  Repertorium  Bd.  I.,  S.  2'J9)  am 
5.  October  1677  den  Grund>tein  zur  neuen  Stiftskirche,  feierte  am  -,^7.  Juli 
1677  (s.  Medaille  bei  Madcri  Nr-  5744)  sein  priesteriiches  Jubelfest  und  starb 
am  12.   October  1683. 


die  Geburt  des  heil.  Kindes  am  Seitenaltare.  Das  Hoch- 
altarbild zu  Ternberg,  wie  auch  neue  Gemälde  in  der 
Kirche  zu  Grossraming;  in  der  Kirche  zu  St.  Magdalena 
wurden  \on  Röselfeld  renovirte  Bilder  aus  der  alten 
Garstnerkirche  aufgestellt.  In  der  lichten  Kirche  zu 
Anzfelden  ist  von  seiner  Hand  das  Bild  des  Kirchen- 
patrons, des  heil.  Valentin;  zu  Kremsmünster  ein  Bild  , 
an  einem  Seitenaltare;  zu  Altmünster  in  der  westlichen 
Bucht  des  Traunsees  im  Jahre  1697  ein  Epistel-Seiten- 
altar; im  Cistercienserstifte  Schlierbach  an  einem  der 
Seitenaltäre  der  heil.  Julian,  dessen  Leib  im  Jahre  1697 
von  Rom  nach  Linz,  und  von  da  am  22.  September 
feierlich  nach  dieser  Kirche  gebracht  wurde.  In  der 
Stadtpfarrkirche  zu  Linz  1696  das  Blatt  des  Ibichaltars, 
welches  die  Himmelfahrt  und  Krönung  der  heil.  Maria 
vorstellt. 

In  der  Kirche  der  Karmeliter  zu  Linz  befinden  sich 
von  unserem  Jleister  der  heil.  Johannes  vom  Kreuze  auf 
dem  sogenannten  C'hristkindcl-Altare,  oben  die  Worte : 
in  cruce  triumphat  ainor;  das  Bild  des  heil.  Liboritis  auf 
dem  Altare  des  heil.  Felix;  der  Skapulieraltar  im  Jahre 
1713;  endlich  ist  auch  höchst  wahrscheinlich  von  ihm 
das  schöne  Madonnenbild  im  Winterchore  daselbst. 

Joseph  Ritter  v.  Bergmann. 

Denksäulen. 

(Mit  4  Holzschnitten.) 

Es  war  eine  fromme  Sitte  unserer  Vorfahren,  dass 
sie  an  solche  Stellen,  wo  entweder  für  den  einen  oder 
anderen  eine  glückliche  Begebenheit  geschah,  wo  man 
von  einem  schweren  Unglücke  heimgesucht  wurde,  wo 
die  schützende  Hand  Gottes  den  Menschen  vor  einem 
harten  Schlage  bewahrte,  an  Stellen,  wo  denkwürdige 
Ereignisse  vor  sich  gingen,  oder  an  Stellen  des  Wie- 
dersehens, des  Abschiedes,  dass  sie  dort  aus  Frömmig- 
keit und  in  dankbarer  Erinnerung  ein  Denkmal  errich- 
teten. Auch  die  Neuzeit  setzt  noch  Denksäulen,  doch 
hat  sie  sich  bei  ihrer  verminderten  Frömmigkeit  von 
den  bisherigen  christlichen  Motiven  abgewendet,  und 
stellt  gern  in  Würdigung  grosser  historischer  Momente 
ihre  Denksteine  auf  Schlachtfelder  und  ähnliche  Orte. 
Solche  mittelalterliche  Gedächtnissbauten  sind  meistens 
in  den  älteren  christlichen  Zeiten  Kirchen  und  Capellen 
gewesen,  in  jüngeren  Zeiten  beschränkte  man  sich  auf 
die  Errichtung  von  Säulen,  die  nach  dem  Vermögen  und 
dem  Grade  der  Frömmigkeit  des  einzelnen  Stifters  oder 
der  stiftenden  Corporationen  meistens  ganz  einfach  bis- 
weilen aber  auch  höchst  prachtvoll  ausgeführt  waren. 
Derlei  Denksteine  stehen  häutig  vereinzelt  ausseihalb 
dem  Orte,  an  Seiten  wegen,  an  Stellen,  wo  sich  die 
Strassen  theilen  oder  kreuzen,  an  gefährlichen  Stellen  der 
Landstrasse  u.  s.  f.  Sie  mögen  einstens  recht  zahlreich 
gewesen  sein,  doch  gegenwärtig  ist  ihre  Anzahl  sehr 
geschwunden,  und  das  noch  Bestehende  ist  bedauerli- 
cher Weise  in  den  meisten  Fällen  in  einem  höchst  ver- 
fallenen Zustande.  Diese  kleinen  Denkmale  theilen  das 
Schicksal  der  grossen.  Viele  derselben  gingen  bei  der 
geringen  Pietät,  die  unsere  Vorfahren  besonders  im 
XVIII.  und  XIX.  Jahrhundert  für  Erhaltung  älterer  Denk- 
male, seien  es  grosse  Bauten  oder  auch  nur  kleinere 
Werke,  hatten,  ganz  zu  Grunde  oder  erlitten  im  Laufe 
der  Zeiten  arge  Schäden  und  muthwillige  Verletzungen 
und  blieben  dann  in  ihrer  oft  das  Gespötte  und  Arger- 


XVI 


niss  hen-orrufenden  Verwahrlosung  so  lange  stelu-n,  bis 
die  allniählig  fortschreitende  Zerstörung  ihr  Werk  vol- 
lendet hatte  und  ein  Trümmerhaufen  oder  am  Boden 
zerstreute  schön  gemcisselte  Steine  vielleicht  wieder  für 
ein  kommendes  Jahrhundert  ein  neuerliches  Denkmal 
an  die  früher  hier  bestandene  Gedächtnisssäule  bilden. 
In  gar  seltenen  Fällen  hatten  die  Stifter  solcher  Weg- 
kreuze für  deren  Erhaltung  besondere  Vorsorge  getrol'- 
fen,  und  wie  viel  haben  derlei  Stiftungen  dnrch  die  Ent- 
werthung  an  Capital  und  Verminderung  des  Erträ-nis^es 
eingebüsst!  "^ 

Für  den  Freund  mittelalterlicher  Kunst  haben  diese 
Säulen,  über  deren  Gründung  sich  oft  die  reizendsten 
Sagen  im  Volksmunde,  aber  in  den  wcniirsten  Fällen 
verlässliche    urkundliche   Nachrichten   erhalten   haben 
em  erhöhtes  Interesse,  da  sie  doch  häutig  das  Gepräge 
einer  eigenlhümlichen  Formenentwicklung  und  auch  einer 
Ott  sehr  geübten,   oft  höchst  primitiven  Kunsttechnik 
tragen.  Schon  in  den  früheren  Bänden  unserer  Mitthei- 
lungen wurde  die  Aufmerksamkeit  der  Leser  auf  solche 
Denksäulen  geleitet,  so  imzwciten  Bande  (320)  auf  drei 
steinerne  Denksäulen  bei  Ödeuburg.  von  denen  die  eine 
der  zweiten  Hälfte  des  XIII.,  die  andere  dem  beginnenden 
und  die  dritte  dem  endenden  X\'.  Jahrhundert  angehö- 
ren mögen,  ferner  auf  eine  ebenfalls  aus  dem  XV  Jahr- 
hundert  stammemle   Itei    Mattersdorf  in    Ungarn    und 
endlich  im  eiiften  Bande  (LXXIX)  auf  eine  zu  Anfang 
des  XVI.  Jahrhunderts  errichtete  Denksäule  bei  Leoben. 

Wir  wollen  nunmehr  in 
diesem  Aufsatze  eine  Keihe 
von  kleineren  Wegkreuzen,  so 
wie  die  grossen  Deuksäulen 
bei  Brunn,  Wiener -Neustadt 
und  Wien  einer  eingehenderen 
Würdigung  unterziehen. 

In  Wien  selbst,  wo,  wie 
wir  urkundlich  wissen,  zahl- 
reiche Denksäulen  standen, 
sind  mit  wenigen  unbedeuten- 
den Ausnahmen  keine  alten 
Säulen  erhalten. 

Eine  sehr  einfache  Säule 
ist  das  sogenannte  Bäcker- 
kreuz (Fig.  1),  welches  ehemals 
vor  dem  Eingange  in  das  Ver- 
sorgungshaus in  der  Währin- 
gergasse  auf  der  Strasse  .stand, 
nunmehr  seit  beiläufig  achtzig 
Jahren  dicht  an  der  Kirchen- 
mauer  im  Hofe  der  Anstalt  auf- 
gestellt ist.  Über  einen  vier- 
eckigen, niedrigen,  ziemlich 
breiten  Sockel  erhebt  sich  der 
ebenfalls  viereckige,  an  den 
Kanten  abgeplattete  Schaft, 
darauf  etwas  hervortretend  der 
würfelförmige  Aufsatz  ruhet, 
--^^_;_^^^^^  der  an  den  vier  Aussenseiten 

["^"^^i^^H  spitzbogig  übergiebelt  i.st  und 

i  .;|''"'/  .'^^^^^     mit  einer  niedrigen  Spitze  ab- 
8chlies.st.  Zwei  der  vier  Seiten- 
felder enthalten  noch  Vorstel- 
lungen   in    Relief    ausgeführt, 
F'g-  1-  zwei  sind  leer.  Die  eine  dieser 


Darstellungen ,  die  beide  bereits  arg  von  der  Verwitte- 
rung mitgenommen  sind,  zeigt  den  scsrnenden  Eriöser 
die  andere  auf  der  rechten  Seite  bclindli(  he  die  .Mutter 
Gottes,  wie  sie  mit  geötfiietem  Mantel  mehrere  knieende 
Gestalten  umfängt.  Auf  einem  kleinen  Bande  unterhalb 
des  Würfels  sehen  wir  die  Jahreszahl  l.")ns.  .sieheriich 
das  Gründungsjahr,  eingemeisselt.  Ein  unterhalb  einer 
am  Schafte  ausgehauenen  Bretze  befindliches  nach 
abwärts  entrolltes  S|)ruchband  nennt  uns  in  schwer  zu 
entzifi'erndcr  Schrift  den  Namen  des  Stifters  dieser  alten 
Steinsäule;  sie  lautet:  Paul  Lundler  Bück  Z.  Mr.  (Zech- 
nieister)  de  Got  genadt  amen  i. 

Eine  einfache,  aber 
trotzdem  ganz  hübsche 
Säule  steht  auf  dem 
^Vege,  der  von  der  Stadt 
Enns  nach  deren  frühe- 
rer Pfarrkirche  zu  L  0  r  c  h 
(Fig.  2)  führt. 

Auf    einem    runden 
Sockel ,    der    auf   einer 
viereckigen  Platte  steht, 
ruhet      der     achtseitige 
Schaft,  der  in  schwacher 
Windung  aufsteigend  eine 
kleine  vierseitige,    aber 
nur  an  drei  Seiten  offene 
Capeile   trägt.  Die  Fen- 
sterchen sind  nach  oben 
zugespitzt     und    giebel- 
ähnlich   überdeckt;    ein 
später         hinzugefügtes 
Kreuz ,      schliesst     das 
Ganze    ab.     Die    Säule 
mag  noch  dem  XV.  Jahr- 
hundert   angehören.    Es 
ist   sehr    wahrscheinlich, 
das  dieses   oft'ene  Häus- 
chen   dazu   diente,     um 
bei     gewissen      Jahres- 
zeiten   eine     brennende 
Lampe     (Todtenleuchte) 
zu   stellen. 

Bei  weitem  zierli- 
cher ,  aber  eben  so 
schlecht  erhalten  und 
schon  für  die  nächste 
Zeit  vom  Zugrundegehen 
bedroht,  sind  zwei  Denk- 
säulen, die  sich  in  der 
Nähe  Wiens  befinden. 
Sie  tragen  entschieden 
gothischen  Charakter  an 
sich,  und  können  als 
bessere  Arbeiten  in 
dieser  Richtung  bezeich- 
net werden. 

Die  eine  steht  im 
Kahlenberg  erdorf 
am  Wege,   der  aus  dem 


Fig.  2. 

In  neuerer  Zeit  -.vurden   inr  Erinnerung  »   die  Einnahme    von  Ua«l, 
n  Seh  an  o   nttt   f/\}imn/ii.n  Wn^tr.   ^^~..i L..t»__*-,..     >         


noch  am  .Schafte  die  folgenden  Worte  angebracht:  Sag  Goii  dem  Herrn  d^unch 
chnmnicn    in  der  Christen  hanndt    den    '-'9.   Marzii   ]:,98.    Über 


dasfi  Raab  ist  gec.   

diese  Säule  s.  ilittheil.  d-  Alterih.-Vcreiiie  VIII 
AlserTorstadt,   Wien   I86l,   130— I3J. 


,  ber 
und   Karl   Hofbauer'»- 


XVII 


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1  ■  ;. 

Fi?.  3. 


Tis.  4. 


Gebirge  zur  Donau  führt,  nahe  bei  der  Kirche.  (Fig.  3.) 
Sie  ist  hoch  bis  über  den  Sockel  Terscliüttet  und  hat 
sich  nur  eines  der  früher  daselbst  angebrachten  Reliefs, 
Christum  am  Kreuze  vorstellend,  erhalten.  Sie  mag  frühe- 
stens zu  Ende  des  XR'.  Jahrhunderts  entstanden  sein. 
Die  andere  der  in  Eede  stehenden  Denksäulen 
befindet  sich  in  Mitten  des  kleinen  Dorfes  Gersthof. 
Sie  ist  iu  der  Form  der  eben  besprochenen  ähnlich, 
doch  minder  reich  ausgestattet.  Leider  steht  sie  nur 
mit  einer  Seite  fi-ei,  die  andern  drei  sind  in  die  Mauer 
eines  Wohnhauses  eingelassen.  (Fig.  4.)  Das  auf  der  Vor- 
derseite befindliche  Relief  zeigt  die  Kreuzigung  Christi. 
Darunter  ist  einem  Schilde  ein  Steinmetzzeichen  und 
die  Jahreszahl  angebracht,  wovon  jedoch  nur  mehr  die 
beiden  ersten  Ziffern  14  sich  erhalten  haben.  Gleich^vie 
den  früher  erwähnten  Denkstein  die  Unbilden  der  Wit- 
terung bereits  arg  beschädigten,  eben  so  arg  leidet 
dieser  unter  niissverstandener  Fürsorge  der  Gegen- 
wart, die  ihn  von  Zeit  zu  Zeit  mit  frischer,  dicker  Kalk- 
tünche schonungslos  überzieht. 

(Fortsetzung  im  nächsten  Hefte.) 


Karl  ihrem  Wunsche  gemäss  im  Dom  zu  Basel  bei- 
gesetzt. Es  war  nämlich  ihr  eigener  Ausspruch,  dort  ihre 
Ruhestätte  zu  finden,  um  den  Dom,  den  ihr  Gemal 
hart  mitgenommen  hatte,  dadurch  zu  entschädigen. 
Das  Grabmal,  welches  die  sterblichen  Überreste  dieser 
Stammmutter  des  habsburgisch  -  österreichischen  Hauses 
und  ihres  Söhnleins  Karl ,  der  geboren  zu  Rheiufelden 
1276  wenige  Monate  darauf  starb,  bis  zum  Jahre  1770  ' 
deckte,  ist  im  Chorumgang  des  Domes  an  der  Evauge- 
lieuseite  in  einer  Fensternische  aufgestellt. 

Die  beigegebenen  Abbildungen  zeigen  dieses  inte- 
ressante Denkmal  in  der  Daraufsicht  des  Deckels,  die 
Läugenansicht  und  die  Ansicht  des  Fussendes,  durch 
welch  letztere  sich  als  unzweifelhaft  herausstellt,  dass  die 


/'Vm' ■/'/////■■  y//  /yy^'^^y. 


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-/,-  /'  '•  '■■ 


WA 


G-rabmal  der  Kaiserin  Anna  im  Dom  zu  Basel. 


(Mit  3  Holzschnitten.) 


Fis-.   1. 


Kaiserin  Anna,   Gemahlin  Rudolfs    von  Habsburg,  ■  im  Jahre  ITTO  wurden    die  Leichname   der    habsburgischen  Familien- 

starb  zu  Wien  1281  und  wurde  sammt  ihrem  Söhnchen     imtchwa^waiTTe'J-efnt^"'''"'""''"'  '"  *"  °^""'  '^"'""■s'^'"'  ""^  *'■  '*"'"''" 
XIV. 


xvnr 


Fig.  2. 

gegenwärtige  Stellung  die  nrsiirüngliche  ist  und  dass 
der  Künstler  in  der  ganzen  Anordnung  diesem  Um- 
Stande Eechnung  geti-agen  hat. 

Das  zum  Grabmal  verwendete  Material  ist  röth- 
lieher  Sandstein.  Zur  Erklärung  der  Zeichnungen  fol- 
gendes: 

üie  architektonische  Theilung  des  Deckels  (Fig.  1) 
gibt  zwei  ungleich  breite  Felder.  In  dem  linken,  grös- 
seren sehen  wir  die  liegende  Gestalt  der  Kaiserin,  die 
Krone  auf  dem  Haupte,  die  Fiisse  auf  eine  mit  Blatt- 
werk verzierte  Console  stützend,  der  Kopf  ruht  auf 
zwei  Polstern,  davon  der  obere  über  Eck  liegt,  so  dass 
die  ganze  Gestalt,  von  drei  Seiten  frei,  aus  der  Fläche 
herausragt.  Im  schmäleren  Felde  ruhet  auf  einem  Polster, 
die  Füsse  auf  einen  Löwen  gestützt,  das  Bild  des  Söhu- 
leins.  Der  Löwe  ist  zum  Theil  durch  ein  Wappenschild 
gedeckt,  welches  den  habsburgischen  Löwen  zeigt.  Die 
eapitäl  gezierten  Eundstäbe,  welche  das  Ganze  einrah- 
men und  die  Bildwerke  trennen,  tragen  Fialen  und  sind 
durch  zwei  in  eine  Blätterspitze  auslaufende,  geschweift 
spitzbogise  Wimberge  verbunden,  zwischen  denen  das 
deutsche  Kaisenvappen  mit  dem  einküptigeu  Adler  au- 
gebracht ist.  Das  obere  Gesims  ist  mit  schön  gearbei- 
teten Blättern  geschmückt,  wie  auch  die  C'ai)itälchen 
mit  Epheulaub  von  schönster  Ornamental -Bildhauerei 
ausgestattet  sind. 

Der  erwähnten  Schönheit  der  Einrahmung  und  des 
Ornamentes  entspricht  auch  der  edle  Styl  der  beiden 
Bildwerke.  Ruhiger  Einst  lagert  auf  ihnen,  die  Hände 
sind  gefaltet,  dein  Orte  und  dem  Zwecke  der  Darstel- 
lung entsprechend.  Die  grosse  Autfassuug  des  Gegen- 
standes von  Seite  des  Bildhauers  bürgt  auch  für  die  Treue 
in  den  Zügen,  wenigstens  was  die  Kaisenn  betnftt, 
und  für  die  Treue  in  der  Kleidung.  Wenngleich  aus 
dem  schon  ausgebildeten  gothiscbeu  Style  mit  Eecht 
gefolgert  wird,  dass  das  Denkmal  nicht  sogleich  nach 
dem  Tode  der  Kaiserin,  sondern  erst  im  beginnenden 
XIV.  Jahrhundert  angefertigt  wurde,  so  ist  doch  die  Be- 
kleidung der  Figur  getreu  der  damaligen  Wirklichkeit 
gegeben,  wie  wir  sie  aus  Beschreibungen  und  gleich- 
zeitigen Bildwerken  kennen  gelernt  haben.  Die  Kaiserin 
trägt  ein  weites  Gewand  mit  Gürtel,  der  schön  gefaltete 
Mantel  ist  durch  eine  Schnur  mit  einer  Agraffe  über  der 
Brust  zusammengehalten,  die  rechte  Vorderseite  des 
Mantels  ist  über  den  Unterleib  der  Figur  gebreitet  und 
etwas  in  die  Höhe  gezogen.  Der  Kopf  istvoneiuemTucbe 


Fiff.  3. 


^  bedeckt.  Die  Krone' 
darüber  durch  Bän- 
der   befestigt.     Die 
^  Stirne  schmückt  ein 
^  herum    get>uudenes 
Band. 

Früher  war  das 
11  Monument  polychro- 
mirt,  doch  sind  da- 
von nur  mehr  Spu- 
ren erkennbar.  Am 
sichersten  ist  die 
Bemalung  der  Pol- 
ster anzugeben, 
kleine  Quadrate  mit 
Diagonallinien  in 
Dunkelroth  und 
Dunkelgrün,  sowie 
am  Umschlage  des  Mantels  eine  Goldlinie  sicdi  auch 
noch  erkennen  lässt.  Am  Gesichte,  sowie  im  Übrigen 
ist  nicht  zu  sehen,  ob  die  Bemalung  sich  auch  hierauf 
erstreckte. 

Die  freistehenden  Seitenwände  der  Tumbe  sind 
glatt  und  mit  Wappen  geschmückt.  Jene  drei  an  der 
Langseite  (Fig.  2)  zeigen  den  Bindenschild,  den  steiri- 
schen  Panther  und  nochmals  den  deutschen  Eeichsadler, 
jenes  an  der  Kopfseite  das  habsburgische  Hauswappen 
jenes  an  der  Fusseite  (Fig.  3)  ist  horizontal  getheilt. 
Sämmtliche  Wappen  sind  in  neuerer  Zeit  übermalt  wor- 
den und  zwar  theihveise  heraldisch  unrichtig. 

Zum  Schlüsse  noch  die  Bemerkung,  dass  das  ganze 
Denkmal  keine  Inschrift  oder  Jahreszahl  zeigt,  auch 
habe  ich  kein  Steinmetzzeichen  daran  gesehen. 

A.  Wielemans. 


Ein  Todtentanzgemälde  in  Krakau. 

Das  Bernhardinerkloster  zu  Krakau  besitzt  ein  auf 
Leinwand  gemachtes  Ölgemälde,  als  die  im  XVIII.  Jahr- 
hundert entstandene  Copie  eines  älteren  Gemäldes,  auf 
welchem  die  im  XIV.  Jahrhundert  noch  seltene,  aber  im 
XV.  und  XVI.  öfter  auftretende  Composition  eines  Todten- 
tanzes  <  ausgeführt  ist  a.  Das  Gemälde  ist  ziemlieh  gut 
erhalten  und  braucht  nur  eine  geringe  Restauration,  um 
wieder  in  völlig  guten  Stand  zu  gelangen.  Hinsichtlich 
der  Zeichnung  und  der  Ausführung  in  den  Farben  ver- 
dient es  keine  besondere  Beobachtung;  etwas  anderes 
ist  es  mit  der  Anordnung  der  Gruppen,  mit  der  Vorstel- 
lung der  einzelnen  Paare  und  damit,  dass  wir  ein  in 
Polen  entstandenes  Werk  vor  uns  haben,  in  dem  nicht 
allein  die  in  Polen  bestandenen  weltlichen  Würdenträger 
sich  in  landesüblicher  Tracht  am  Tanze  betheiligen, 
sondern  auch  fast  jedem  Paare  einige  in  polnischer 
Sprache  geschriebene«  Verse  '  beigesetzt  sind. 

-  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  bemerkt,  dass  an  der  Krone  die  Zinken 
felilen,  in  der  beigegebenen  Zeichnung  find  sie  durch  Lilien  ergänzt.  Dies 
ist  aber  die  einzige  Kr^änzung,  welche  meine  Aufnahme  des  Grabmales  zeigt, 
die  einzige,  die  überiiaupt  nothwendig  gewesen,  da  das  Monument  Torzüglich 
erhalten  ist. 

>  AVir  Terwi-isen  behuTs  der  Geschichte  der  Todientänze  aur  S  ch  naas  e's 
Auf^atz  in  den  Mittheilungen   VI,  p.  221. 

-  üas  Gemälde  befindet  sich  gegenwärtig  iu  Wien,  da  von  demselben 
verkleinerte  Copien  in  Farbendruck  zum  Zwecke  der  Uestaurirung  der  Ordens- 
kirche herausgegeben  werden.  Mit  der  Anfertigung  dieser  letzteren  ist  die 
k.  k.  Staatsdruckerei  betraut,  welche  in  ganz  vorzüglicher  Weise  sich  dieses 
.\uftrages  entledigte. 

•  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Verse  aus  dem  Deutschen  übersetzt 
sind,  da  in  der  polnischen  Sprache  der  'J'od  weiblichen  Geschlechtes  ist,  und 
dessenungeachtet  in  den  Versen  der  Tod  als  männlich  angeführt  wird. 


XIX 


Bevor  wir  zur  Besclircibung  dieses  Gemäldes,  das 
eiue  Höhe  von  98  Zoll  und  eine  Breite  von  80  Zoll  hat. 
und  aus  dem  endenden  XVI.  oder  beginnenden  XVII. 
Jahrhundert  stammen  mag,  übergeben,  sei  bemerkt,  dass 
das  ganze  Talileau  aus  einem  grossen  quadratischen 
Hau]itgemälde  in  der  Mitte  und  aus  zwölf  kleineren 
kreisförmigen  Gemälden  besteht,  welche  das  Hauptbild 
symmetrisch,  je  vier  gegen  jede  Seite  hin,  umgeben. 
In  der  Jiitte  zwischen  den  oberen  Medaillons  sehen  wir 
den  Todtenscbädel  mit  den  gekreuzten  Beineu,  die  ab- 
gelaufene Sanduhr  und  ein  Uiirblatt,  die  zwölfte  Stunde 
zeigend;  in  der  Mitte  der  unteren  lieihe  den  Todten- 
kopf  mit  der  erlöschenden  Lampe  und  eine  leere  Sehale. 
Die  Mitte  zwischen  den  I\Iedaillons  an  den  Seiten  nimmt 
je  ein  kleines  viereckiges  Bildchen  ein,  womit  die 
Zahl  der  Bilder  des  Kahmens  auf  ^-ierzehn  erhöht  wird. 
Sänmitliehe  Eahmenbilder  zeigen,  wie  männliche  Per- 
sonen vom  Tode  heimgeholt  werden,  das  grosse  Mittel- 
bild zeigt  uns  blos  Personen  weiblichen  Geschlechts  in 
dieser  traurigen  Lage.  Bei  den  Bildern  mit  weiblichen  Per- 
sonen ist  die  fast  allgemein  übliche  paarweise  Ordnung 
beibehalten  (^wir  finden  9  Paare);  nicht  so  ist  es  bei  denen 
mit  männlichen  Figuren ,  indem  da  der  Tod  bisweilen 
zwei  Personen  zugleich  zum  Tanze  bittet,  oder  auf 
einem  Bilde  mehrere  männliche  Figuren  und  Skelette 
dargestellt  sind. 

Auf  einem  in  der  Mitte  angebrachten  Spruchbande 
lesen  wir  folgende  für  die  ganze  Darstellung  massge- 
bende Worte: 

Roznych  Stanow  piekne  grono 

G(;sta  Smiercia  przepleciono 

Zyiac  wszystko  taiicuierny 

Aze  obok  Smierc  niewiemy. 
Verschiedener  Stände  schöne  A'ersammlnng ,    von  häufi- 
gem Tode  durcliflochten,  lebend  thun  wir  alle  tanzen  und  wissen 
nicht,  dass  neben  uns  der  Tod  weilet. 

1.  Medaillon  (heraldisch  oben  rechts),  darinnen  der 
Papst,  wie  ihm  der  Tod  grüssend  entgegentritt;  im  Hin- 
tergründe eine  Stadt,  darunter  die  Worte: 

Trzem  Koronom  nie  wybaczysz 

W  Taniec  z  soba  prosic  raczysz  : 

Musze  L  toba  ehoc  nie  mite 

Zazyc  takiej-  Krotofil  e. 
Drei  Kronen  tlmst   du  nicht  schonen,  geruhest   sie   mit 
dir  zum  Tanz  zu  bitten,  wie  ungern  auch,  sie  müssen  mit  dir. 
eine  solche  Kurzweil  geniessen. 

2.  Medaillon  (links  vom  ersten),  der  Kaiser  wird 
vom  Tod,  der  einen  grossen  mit  weissen  Federn  ge- 
schmückten schwarzen  Hut  trägt,  an  der  rechten  Hand 
geführt.  Im  Hintergrund  ein  Kirchengebäude,  dabei  die 
Worte: 

T  laz  to  nie  zwycieiony 

Stoba  mam  bye  ziednoczony 

Wszystka  moc  Cesarska  moia 

Schnie  gdj-  sie  tknie  reka  twoia. 
Auch  ich ,  du  Unbesiegter,  soll  mit  dir  vereint  werden. 
AU"  meine  kaiserliche  Macht  w  elkt  hin,  wenn  deine  Hand  mich 
lierührt. 

3.  Medaillon :  Tanzend  ergreift  der  Tod  den  König, 
dessen  Krone  und  Scepter  ihm  entfallen.  Inschrift: 

Dalbym  Berlo  y  z  Korona 

By  mie  s  tahca  uwolniono 

0 !  nader  przykre  niesiety 

Ktore  smierc  skacze  Ballety. 
Hingeben  wollte   ich  Scepter  sammt  Krone,   wurde   ich 
vom  Tanze  befreit.  0!  leider  unendlich  widrig  sind  die  Ballete, 
die  der  Tod  springt. 


4.  Die  Darstellung  im  letzten  Medaillon  oben  ist 
einem  Cardinal  gewidmet,  auch  ihn  entfuhrt  der  Tod. 

Kardynalskie  Kiipelusze 

Chocbym  niechcial  rzucac  uiusze 

Strasznyz  to  skok  gdzie  muzyka 

Ze  umrzec  trzeba  wykrzyka. 
Die  Cardinalhüte,  wenn  ich  auch  nicht  wollte,  muss  ich 
abwerfen,   ein  schrecklicher  Sprung  das,  wo  die  Musik,  dass 
man  sterben  müsse,  aufschreiet. 

5.  Medaillon  links  herab  unter  dem  vierten.  Wir 
sehen  hier  den  Bischof,  wie  ihn  der  hüpfende  Tod  ans 
seiner  Kirche  zerrt. 

Postradales  Pastorala 

Gdyc  Smierc  w  Taniec  isc  kazala 

Infutac  nie  nie  pomoze 

Musisz  skoczyc  wgiöb  nieboze. 
Eingebüsst  hast  du  den  Bischofstab,    als    der   Tod  dir 
zum  Tanze  zu  kommen  befahl,  die  Intel  thut  dir  nichts  nützen, 
in's  Grab  springen  musst  du,  armer  Wicht. 

Viereckiges  Zwischenbild  links:  Es  bittet  der  Tod 
den  Schüler  Loyola's,  den  Dominicaner,  den  Capuciuer, 
den  Carthäuser  und  Bernhardiner  zum  Tanze  aus,  rück- 
wärts eine  kleine  Kirche,  auf  einer  kleinen  Anhöhe 
tanzen  der  Domherr  und  Pfarrer  mit  dem  Tode.  Darun- 
ter die  Verse: 

Wszak  Kanony  zakazu  % 

niechay  Xieza  nie  tancuia 
A  wyscie  Swieci  Kaplani 

gwaltem  wten  Taniec  z.abrani. 
Verbieten  doch  die  Canones,  dass  Priester  nicht  tanzen 
sollen,  und  ihr,  geweihte  Männer,  seid  mit  Gewalt  in  den  Tanz 
hineingezogen. 

6.  Medaillon.  Wir  sehen  den  mit  einem  mit  Herme- 
lin verbrämten  Purpur  bekleideten  polnischen  Fürsten 
den  Reigen  mit  dem  Tode  tanzen. 

Niebadz  chociaz  Xiaze  hardy 

Z  smierciac  te  skaczesz  Galardy 

Bo  wnet  Jasnie  Oswiecony 

Tytiü  twoy  bedzie  zacmiony. 
Sei  doch,  Fürst,  nicht  zu  stolz,  dass  du  mit  dem  Tode 
die  GaiUarde  tanzen   thust,    denn   gar  bald   wird    dein   durch- 
lauchtigster Titel  verdunkelt  werden. 

7.  Medaillon.  Der  mit  einer  Pelzkrause  angetbane 
Tod  zieht  den  alten  polnischen  Grafen  vom  Armsessel 
empor.  Darunter: 

Darmo  sie  w  spierasz  pod  boki 

Gdy  wte  z  Smierci^  idziesz  skoki 

Rusz  sie  s  krzesla  choz  nie  raczysz 

Gdy  te  skoezke  w  Oczach  baszysz. 
Umsonst  stemmst  du  die  Hände  in  die  Seiten,  wenn  du 
mit   dem   Tode   zu   springen   anhebst.    Hebe  dich  von  deinem 
Armstuhl,   so  es  dir  auch  nicht  bchagt,   wenn  du  die  Tänzerin 
Aug  in  Aug  erblickst. 

8.  Medaillon  (links,  untere  Reihe),  es  filhrt  der  Tod 
den  Edelmann  zum  Tanze,  im  Hintergrunde  eine  Land- 
schaft, dabei : 

Jako  sie  twe  suche  Kosci 

Targnely  na  me  wolnosci 

Nie  pozwalam  wt.aniec  z  toba 

Ty  mie  przecie  ciagniesz  z  soba. 
So  deine  dürren  Knochen  zu  zerren  an  meiner  Freiheit 
anfingen,   und   ich  nicht   in   den  Tanz    mit  dir  mag,    thust  du 
mich  doch  mit  dir  hinweg  ziehen. 

9.  Medaillon.  Hüjifend  führt  der  Tod  den  Kaufmann 
davon,  im  Hintergründe  ein  persischer  Bazar;  dabei: 

Pros  mie  raczey  oblawaty 
Bo  cie  widze  zes  bez  szaty 
Nagas  a  mnie,  Odzianego 
Prowadzisz  do  Tanca  swego. 


c* 


XX 


Bin  mich  lieber  um  Seiden zeusre,  Jenn  ich  sehe  doch, 
dass  du  ohne  Kleider  bist,  du  bist  nackt  und  h;»st  mich  be- 
kleideten in  deinen  Tanz  hinoingetÜhrt. 

lU.  Medaillon.  Mit  beiden  Händen  ergrreift  der 
tanzende  Tod  den  Bauern,  im  Ilintcrirrunde  ein  Gehöft. 

y  Ty  Kmiiitku  Spracowany 

W  smiertelues  sie  wybral  tany 

Niepysina  D.ama  z  Uraozem 

Tak  taüczy  iako  z  Bujraczem. 
Auch    du,    arbeitsuiüdes    Bäuerlein.    h^st    dich   auf   die 
Tanzbahn  begeben,   die  stolzlose  Dame  tanzt  mit  dem  Ackers- 
mann, so  wie  mit  dem  reichen  Herrn. 

11.  Medaillon.  Der  Tod.  einen  Dejren  am  breiten 
Wehrjcehäuge  tragend,  fordert  den  Soldaten  und  den 
Rettier  zum  Tanze  auf.  Der  Hintergrand  ohne  Zeichnung, 
darunter: 

Czemuz  to  Werdo  nie  pytasz 

Kiedy  sie  z  ta  Dama  witasz 

Xa  obu  was  dekret  srogi 

Zoldat  umrze  y  ITbogi. 
Warum   rufst   du   nicht    ,wer  da-,   wenn   du    die   Dame 
grüssest.  auf  beide  auch  kommt  der  strenge  Befehl,  der  Soldat 
stirbt  wie  der  Bettler. 

Viereckiges  Feld  rechts.  Eine  bunte  Gruppe,  mit 
dem  Tode  tanzende  Türken,  Perser  und  Tartaren,  voran 
links  ein  Jude,  ebenfalls  mit  dem  Tode  tanzend:  der 
Tod  trägt  ein  schwarzes  Käppchen.  Im  Hintergrund 
bergige  Gegend;  dabei: 

.Sprosni  Turcy.  brzydcy  zydzi 

Jak  sie  wami  Smierc  nie  liydzi 

Ka  zydowskie  niedba  ^^mrody 

Z  dzikiemi  skacze  Narody. 
Einfältige  Türken,  schmutzige  Juden,  wie  mit  euch  der 
Tod  ohne   Ekel   umgeht,  er  achtet  nicht  jüdischer  Gestänke,  er 
tanzt  mit  wilden  Völkern. 

12.  und  letztes  Medaillon:  Der  Tod  tanzt  mit  einem 
weissgekleideten  Kinde  und  mit  dem  Narren : 

Twe  y  tego  Dziecka  zarty 
Zapieniadz  teraz  nie  warty 
Tu  to  !jek  sie  wydvrorowac 
^eby  z  Smierci^  nie  taücowac. 

Deine  und  des  Kindes  Scherze  sind  jetzt  keinen  Heller 
werth,  da  ist  es  schwer  sich  heraus  zu  eskaraotiren  ,  um  mit  dem 
Tode  nicht  tanzen  za  müssen. 

Werfen  wir  noch  schliesslich  einen  Blick  auf  sämmt- 
liche  hier  besprochene  Gruppen,  so  sehen  wir  den  Tod 
fast  immer  tanzend  und  nur  selten  zum  Tanze  auffor- 
dernd, die  anderen  Figuren  aber  immer  in  einer  Situation, 
die  ein  Widerstreben,  ja  bisweilen  ein  Ringen  zeigt.  Der 
Tod  ist  durchwegs  als  Knochenmann  dargestellt  und 
tiägt  mitunter  einen  oder  den  anderen  Gegenstand,  der 
der  anderen  Figur  gehört,  so  den  Degen  des  Kriegers, 
die  Kappe  des  Xarren  etc.  Die  Gegentiguren  sind  im 
NationalcostUme  oder  in  der  Kleidung  ihres  Ranges, 
immer  unbedeckten  Hauptes  dargestellt,  die  Kopfbe- 
deckung und  bisweilen  noch  ein  anderes  Abzeichen  der 
AVürde  Hegt  am  Boden,  wie  die  Tiara  und  das  dreifache 
Kreuz ,  die  Kaiser-  und  Königskrone,  Sccpter,  Reichs- 
apfel, Cardinalshut  und  Krummstab,  der  Fürstenhut, 
beim  Kinde  die  Haube  und  das  Steckenpferd  etc.  Auf 
jedem  der  medaillouformigen  Bilder  sehen  wir  im  Hin- 
tergrunde ein  höllisches  Ungethüm  die  Musik  meistens 
auf  einer  Fidel  oder  einer  Clarinette  zum  letzten  Tanze 
aufspielen. 

Das  grosse  Mittelhild  zeigt  neun  auf  einer  Wiese 
einen  Ringtanz  ausführende  Paare.  Sie  sind  im  Kreise 
aufgestellt  und  es  besteht  jedes   Paar  aus  dem  Kno- 


chenmann und  einer  weiblichen  Person.  Die  Frauen - 
gestalten  repräsentiren  die  Kaiserin,  Königin.  Fürstin, 
die  Grätin  und  Kdelfrau,  die  Bürgersfrau,  die  Bäuerin, 
das  Mädchen  und  den  weiblichen  Narren.  Sehr  inte- 
ressant sind  diese  Figuren  durch  ihre  Tracht,  sie  zeigen 
ganz  deutlich  das  Costume  zu  Ende  des  XVI.  oder  zu 
Anfang  des  XVII.  Jahrhunderts  >.  Die  Adeligen  mit 
bunten  engen  I'nterkleidern  und  einer  Schleppe  darüber, 
die  jedoch  nur  bei  der  Kaiserin  und  Königin  herab- 
hängt, bei  den  anderen  ist  sie  hinaufgeschlagen.  Die 
Kaiserin  und  Königin  tragen  Kronen,  die  Fürsten  einen 
Fürstenhut.  die  Gräfin  und  die  eben  erwähnten  auch 
lange  Schleier.  Als  Spielleute  sehen  wir  am  unteren 
Rande  des  Bildes  einen  Fiedler,  ihm  zur  ."^eite  der  Tod 
mit  einer  Sanduhr  (?)  den  Takt  schlagend,  und  eine 
sitzende  Figur,  bei  einer  Art  Cla^-ier,  ihm  zur  Seite  ein 
Gerippe,  die  Noten  haltend.  In  den  Ecken  des  Bildes 
ist  rechts  unten  der  Sündenfall,  oben  die  Kreuzigung, 
dabei  zwei  kniende  weibliche  Gestalten .  links  oben  der 
offene  Himmel  mit  Gott  Vater  und  ihm  zur  Rechten 
Christus  im  Kreise  der  Gerechten,  und  unten  links  der 
geöffnete  Höllenrachen,  so  eben  einige  Gerichtete  in 
seinen  Flammenpfuhl  aufnehmend. 

Die  Bedeutung  dieses  Bildes,  erklären  folgende 
Worte  : 

Szezesliwy  kto  z  tego  Taücu 

Odpocznie  w  Siebieskim  Szaiica 

Nieszczesny  kto  z  tego  Kola 

W  pieklo  wpadlszy  biada  wola. 
Glücklich,  der  von  dem  Tanze  ausruhet  auf  des  Himmels 
Schanze,  unglücklich,  der,  aus  dem  Reigen  in  die  Hölle  gefallen, 
„welie  I"  rufet.  ...?//... 

Der  Taufstein  in  der  Stephanskirche  zu  Wien. 

(Mit  1  Holzschnitt.) 

Derselbe  steht  gegenwärtig  in  jener  der  heiligen 
Katharina  geweihten  Capelle,  die  sich  rechts  vom  süd- 
lichen Eingang  unter  dem  grossen  Thurai  befindet.  Der 
Taufstein  befand  sich  einstens  in  INIitte  der  Kirche  hinter 
dem  Marcusaltare,  dann  war  er  in  der  Blasius-  lEligius-i 
Capelle  aufgestellt.  Er  ist  aus  blassrothem  starkgeäder- 
ten Mai-mor  angefertigt  und  ein  höchst  beachtenswerthes 
Werk  aus  der  Zeit  der  Spätgothik.  Er  hat  eine  Höhe 
von  3  Fuss  und  erreicht  am  Schalenrande  einen  Durch- 
messer von  2  Fuss  9  Zoll.  Der  Fuss  ist  achtseitig  und 
an  vier  Seiten  mit  je  einer  zwischen  vorspringenden 
Ecken  frei  sitzenden  Figur,  die  Evangelisten  vorstel- 
lend, geziert. 

Auf  dem  Fusse  ruhet  ein  ganz  niedriger  runder,  mit 
einem  ringförmigen  Stabe  gezierter  Schaft,  aus  dem  sich 
heraus  die  grosse  und  hohe  Wasserschale  entwickelt. 
Die  Schale  ist  nach  aussen  vierzehnseitig  und  in  den 
Feldern  reich  mit  Figuren  geschmückt.  Jede  Figur  steht 
in  einem  viereckigen  Rahmen,  innerhalb  welchem  wir 
noch  ein  besonderes  Ornament,  wie  einen  gemusterten 
Hintergrund,  oder  einen  geschweiften  Spitzbogen,  einen 
Kleeblattbogen  etc.  sehen.  Die  stehend  ausgeführten 
Figuren  in  Halbrelief  stellen  vor  :  den  Heiland  ,  die 
Apostel,  und  zwar  zunächst  Christum.  Petrus  mit  dem 
Schlüssel  rechts  und  Johannes  mit  dem  Kelche  links, 
neben  Petrus  sehen  vnr  Andreas  mit  dem  Kreuze  etc. 


^  Aach  nacli  der  Beschaffenheit  der  Sprache  ond  Onhographie  dürfte 
der  polnische  Todtenunz  ftUB  dem  Ende  des  XVI.  and  Anfang  des  iLVII.  Jahr- 
hunderta  herrühren. 


XXI 


In  ihrer  Zeichnung  erinnern 
sie  lebhaft  .in  den  Apostel- 
cyclus  von  Lucas  Kranach. 

Am  oberen  nach  aussen 
abg'eschräj;ten  Rande  be- 
findet sich  folgende  In- 
schrift : 

Ite  in  Orbem  Univer- 
sum, et  praedicate  Evan- 
gelium onuii  creatnrae,  qui 
crediderit  et  baptizatus  fue- 
rit,  salvus  erit,  qui  vero 
non  crediderit,  condnnna- 
bitur.  Marci  ult.  cap.  Coni- 
pletumest  lapidis  opus  an 
Dni  MCCCCLXXXI. 


Dr.  Zahn's  Jahrbücher 
für  Kunstwissenschaft. 

(Leipzig,   Seemanu.J 

Mit  dem  jüngst  ausge- 
gebenen 4.  Hefte  wurde 
der  erste  Jahrgang  der 
Jahrbücher  für  Kunst- 
wissenschaft geschlossen. 
Nachdem  wir  uns  vorge- 
nommen haben,  in  unseren 
Mittheiluugen  auf  die  be- 
deutenderen Werke  für 
Archäologie    und    Kunstwissenschaft 


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aufmerksam  zu 
machen,  so  erfüllen  Mir  bei  diesem  Buche,  das  wir  schon 
in  voraus  als  ein  ganz  gediegenes  bezeichnen,  gerne 
diese  unsere  Verpflichtung  und  wollen  dasselbe  einer 
näheren  Würdigung  unterziehen.  Die  Jahrbücher  für 
Kunstwissenschaft,  eine  Ergänzung  der  Zeitschrift  für 
bildende  Kunst,  auf  die  wir  uns  vorbehalten  in  einem 
folgenden  Hefte  zurückzukommen,  sollen  wissenschaft- 
liche Forschungen  und  Materialien  vorwiegend  für  die 
mittlere  und  neuere  Geschichte  der  bildenden  Kunst 
enthalten.  Der  erste  Band  bietet  uns  in  dieser  Hinsicht 
eine  Reihe  sehr  interessanter  Aufsätze.  So  finden  wir 
aus  der  Feder  des  Herausgebers  eine  Besprechung  der 
Dürer-Handschriften  im  britischen  Museum.  Es  sind  dies 
vier  Bände ,  die  wahrscheinlich  einer  niederländischen 
Sammlung  entstammen,  davon  der  erste  von  Dürer  selbst 
paginirt  ist,  die  übrigen  Bände  sind  erst  später  entstan- 
den, und  enthalten  ohne  jegliche  Ordnung  zusammen 
gebundene  Blätter  verschiedenen  Inhalts  und  Formats. 
Es  war  offenbar  eine  pietätvolle  Hand,  die  auch  das 
kleinste  Stück  aus  dem  Nachlasse  des  grossen  Meisters 
erhalten  wissen  wollte. 

Prof.  Lübke  bespricht  die  Schweizer  Glasmalerei 
und  zw^ar  jene  Art  derselben,  in  welcher  die  Schweiz 
alle  anderen  Kunstgebiete  übertrifft.  Es  sind  dies  die 
Werke  der  jüngeren  Epoche,  in  welcher  von  Anfang  des 
XVI.  bis  tief  in  das  XVII.  Jahrhundert  reichend,  die  bis 
dahin  fast  nur  grossartige  Bilder  vorführende  Glas- 
malerei zur  Kabinetsmalerei  wird  und,  überwiegend 
weltlich  gesinnt ,  die  Säle  der  Raths-  und  Schützen- 
häuser, die  Versammlungsstuben  der  Zünfte,  das  trau- 
liche Wohngemach  des  reichen  Patriziers  und  des  wohl- 
habenden Büri;ers  durch  kleine  und   feiu   ausgeführte 


Bildchen  ausschmückte.  Die  ersten  Meister  deutscher 
Kunst,  Hans  Holbein  an  der  Spitze,  verschmähten  es 
nicht,  für  diese  Fenster  unter  Anwendung  der  Renais- 
sance die  lieblichsten  Bilder  zu  componiren.  Den  Haupt- 
gegenstand der  Lübke'scheu  Betrachtung  bildet  eine 
Reihe  trefflicher  Scheiben  aus  dem  Anfang  des  XVI. 
Jahrhunderts,  die  sich  im  Saale  des  grossen  Raths  zu  Basel 
und  offenbar  schon  ursprünglich  dahin  bestimmt  befinden 
und  unter  denen  gar  manches  dem  Hans  Holbein,  dem  Urs 
Graf  und  Nicolaus  Manuel  zugeschrieben  werden  kann. 
Indem  wir  die  nicht  weniger  werthvollen  Aufsätze  von 
Waagen  über  in  Spanien  vorhandene  Gemälde,  über  das 
Testament  des  Vincenzo  Catena  von  Crowe,  über  ein 
Ölgemälde  des  Michael  Angelo  von  Grimm,  über  ein 
Au"tograph  Albrecht  Dürer's  von  Hausmann  und  über  den 
Nürnberger  Kartenmaler  Micliael  Winterberger  u.  s.  w. 
übergehen,  wollen  wir  aus  den  weiteren  Heften  dieses 
empfehlenswerthen Buches  nur  noch  auf  Rahn's  Besuch 
in  Ravenna  aufmerksam  machen,  welcher  Aufsatz  mit 
reichhaltigen  Illustrationen  ausgestattet  ist ,  die  mit 
künstlerischem  Verständuiss  und  wabrheitstreu  aus- 
geführt sind. 

Ravenna  gehört  zu  jengn  Punkten  Italiens,  die  selten 
von  einzelnen  und  nienmls  vom  grossen  Strom^  der 
Reisenden  berührt  werden.  In  ihr  bat  das  V.  bis  VII. 
Jahrhundert  eine  namhafte  Anzahl  von  Schöpfungen 
aus  allen  Gebieten  der  bildenden  Künste  hinterlassen; 
während  die  gleichzeitigen  Denkmale  zu  Rom  unter- 
i^ingen  odei'  durch  die  Neuerungssucht  der  Gegen- 
wart ihren  Charakter  verloren  haben ,  hat  sich  dort  in 
vier  wohlerhaltcnen  Monumentalgrnppen  das  Bild  der 
Kunst  während  der  erwähnten  drei  Jahrhunderte 
rein  und  ungeschmälert  erhalten.  Dr.  Rahn  widmet  der 


XXII 


Entstehung  dieser  Stadt  eine  kurze  Betrachtung;  er 
erwähnt,  dass  Bischof  Ursus  um  das  Jahr  4U0  daselbst 
eine  Kirche  gründete,  wahrscheinlich  eine  flinfschitüge 
Basilika,  die  jedoch  zu  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts 
einer  grossen  Kuppelkirche  im  tüchtigen  Barokstyle 
Platz  machen  niusste :  nur  der  hohe  runde  Glockenthurui 
und  eine  kürzlich  entdeckte  Krypta  sind  als  ältere 
Theile  übrig  geblieben.  Bischof  Neo  errichtete  426  bis 
430  die  geräumige  und  dem  heiligen  Petrus  geweihte 
Kirche,  die  noch  heute  mit  dem  Titel  des  heiligen  Fran  • 
ciscus  theilweisc  umgebaut  fortbesteht. 

Wichtiger  ist  ein  zweiter  Bau  desselben  Bischofs, 
die  noch  erhaltene  Taufkirche  nächst  dem  Dome.  Eine 
Fülle  von  Mosaiken,  vielleicht  das  Beste  aus  altchrist- 
licher Zeit,  schmücken  Wände  und  Gewölbe  von  einer 


Farbenpracht  gleich  den  pompejanischen  Wandge- 
mälden. Die  Hauptvorstellung  ist  natürlich  die  Taufe 
Christi. 

Weiters  finden  wir  zu  Ravenna  die  Grabkirche  San 
Nuzaro.  sie  ist  völlig  erhalten  und  eines  der  schnmck- 
vollsteii  Jlonumeute  altchristlicher  Zeit.  Das  Innere  ist 
bei  völligem  Mangel  an  architektonischer  Gliederung  von 
unvergleichlicher  Wirkung,  indem  der  ganze  Schmuck 
nur  in  prachtvollen  Mosaiken  besteht. 

Leider  gestattet  uns  der  enge  Raum  in  unserem 
Blatte  nicht  noch  weiter  auf  diese  .Schrift  einzugehen 
und  wirmUssen  uns  damit  begnügen,  über  diesen  Aufsatz 
so  wie  über  das  ganze  Buch  jedem  Freunde  der  Kunst- 
geschichte unsere  volle  Anerkennung  auszusprechen. 

.  . .  »i ; .  . 


N  0  l  i  z  e  n. 


Das  Ministerium  des  Unterrichts  hat  über  Vorschlag 
der  k.  k.  Central-Commission  unterm  17.  October  d.  J. 
den  Troppauer  Gymnasial-Professor  Anton  Peter  zum 
k.  k.  Conservator  für  den  ehemaligen  Troppauer-Kreis 
ernannt. 

Bei  der  am  6.  November  abgehaltenen  General- 
Versammlung  des  Alterthums-Vereines  zu  Wien  wurde 
in  Folge  des  Rucktrittes  des  bisherigen  Präsidenten 
Sr.  Excellenz  Dr.  Jos.  Alex.  Freiherrn  von  H  eifert, 
Se.  Excellenz  Graf  Con.stantin  Mathias  von  Wicken- 
burg zum  Vereinspräsidenten  erwählt.  Auch  sechs 
Ausschussstellen  wurden  neu  besetzt  uud  es  wurden 
erwählt  Dr.  Karl  Lind,  Sr.  Excellenz  Graf  Franz  C  r  e- 
neville,  k.  k.  Oberstkämmerer,  Se.  Excellenz  Karl 
Freiherr  von  Ransonnet,  Dr.  Eduard  Freiherr  von 
Sacken,  Prof  Jos.  Asehbach  und  kais.  Rath  Albert 
C'amesina.  Bei  der  am  selben  Abende  abgehaltenen 
Abendversaminlung  hielt  Dombaumeister  Schmidt 
einen  Vortrag  über  die  Burg  Vajda-Hunyad.  Am  4.  De- 
cember  fand  der  zweite  Vereinsabend  statt.  Zuerst 
sprach  Dr.  Haupt:  Über  den  getreuen  Eckart  und  die 
Frau  Venus  nach  der  Vilcina-Sage,  wo  Eckarts  Gema- 
lin  Bolfria  heisst,  sodann  Prof.  y.  Perger:  Über  die 
ehemaligen  Wielands-Säulen  in  Osterreich. 


Theodor  S  z  a j  n  o  k,  Photograph  in  Lemberg  hat  zum 
Andenken  an  die  Feier  der  Einweihung  der  von  Bild- 
hauer P.  Filippi  und  Maler  J.  Cholewicz  restaurirten 
Grabdenkmale  in  der  Kirche  zu  Zolkiew  ein  photographi- 
sches Album  herausgegeben.  Die  sechs  Blätter  des  ersten 
Heftes  enthalten  die  äussere  Ansicht  dieser  Kirche,  erbaut 
in  der  ersten  Hälfte  des  XVII.  Jahrhunderts,  die  Ansicht 
des  dortigen  Grabmais  für  die  beiden  Zolkiewski,  des 
Stanislaus  (t  1620)  und  seines  Sohnes  Johann  [j  1623), 
femer  des  iDenkmals  der  Regina  Zolkiewska,  der  Ge- 
mahlin des  Stanislaus,  der  beiden  Seiten  des  Hauptein- 
gangs in  das  Schloss  und  endlich  eine  Totalansicht  die- 
ses grösstentheils  zerfallenen  Schlosses.  Mit  dem  zwei- 
ten ebenfalls  sechs  Blätter  enthaltenden  Hefte  wird  die 
Ausgabe  dieses  Albums,  das  den  Titel  führt:  zabvtki 
zolkiewski,  und  dem  ein  kurzer  beschreibender  und  die 
Schicksale  der  Gegenstände  erzählender  Text  aus  der 
Feder  des  Dr.  St.  Kunaziewicz  beigegeben  wird,  ge- 
schlossen. Ausser  dem  eigentlichen  Zwecke,  Verbreitung 


der  Kenntniss  der  historischen  und  Kunst-Denkmale  Ga- 
liziens,  ist  mit  dem  Unternehmen  noch  ein  weiterer  sehr 
l()blicher  Zweck  verbunden.  Es  wird  nämlich  ein  Theil 
der  Reineinnahme  zur  Wiederherstellung  von  sechs 
Grabmalen  verwendet,  die.  in  der  Gruft  der  Dominicaner- 
kirche zu  Lemberg  befindlich ,  ausser  geschichtlicher 
Bedeutung,  auch  einigen  künstlerischen  Wertb  haben. 


Anlässlich  einer  jüngst  vorgenommenen  Restauration 
der  den  Thurm  tragenden  Vorhalle  der  St.  Peterskirche 
in  Salzburg,  fand  man  au  den  beiden  Seitenmauern 
schöne  romanische  Doppelfenster.  Doch  unferliess  man 
es,  die  Restauration  auf  diese  durch  die  im  XVII.  Jahr- 
hundert ausgeführte  äusserliche  Umgestaltung  bis  zur 
Gegenwart  verdeckt  gebliebenen  Partien  der  alten 
romanischen  Kirche  auszudehnen,  sondern  ver-  und 
Ubermauerte  bedauerUcher  Weise  dieselben  neuerdings. 


Nachdem  von  mehreren  Seiten  die  Anfrage  gestellt 
wurde,  wann  die  von  Kaiser  Joseph  L  gestiftete  grosse 
Glocke,  welche  sich  auf  dem  grossen  Thurme  der 
St.  Stephanskirche  befindet,  und  seit  dem  Beginne  des 
Neubaues  des  Thunnhelmes  nicht  mehr  geläutet  wurde, 
wieder  über  Wien  erschalleu  werde  ,  nahm  Dombau- 
meister Schnridt  im  n.  ö.  Gewerbeverein  lam  27.  Xov.) 
Gelegenheit,  hierüber  seine  Ansichten  bekannt  zu  geben. 
Redner  erklärt,  dass  der  Thurm  in  seiner  Anlage  nie  auf 
eine  so  wuclitige  400  Ceutncr  wiegende  Glocke  berechnet 
war  und  früher  nur  mehrere  bedeutend  geringer  wiegende 
Glocken  barg,  die  in  der  Nähe  der  jetzigen  Tliurm- 
wächterwohnung  hingen.  Der  josepliinischen  Glocke  sei 
nebst  andern  Ursachen  ein  nicht  geringer  Aniheil  an 
der  Zerstörung  des  Thunnhelmes  zuzuschreiben,  indem 
die  durch  das  Läuten  und  insbesondere  durch  das  erste 
Anschlagen  derselben  entstehenden  Schwankungen  ganz 
beträchtlich  waren  und  namentlich  zur  Lockerung  des 
Gebäudes  viel  beitrugen. 

So  lange  daher  nicht  mit  Wahrscheinlichkeit  ange- 
nommen werden  könne,  dass  das  Bauniateriale  seine 
volle  Fähigkeit  und  Verbindung  erlangt  hat,  dürfe  von 
neuerlichem  Läuten  dieser  nach  deutschem  System  laut- 
baren Riesenglocke  keine  Rede  sein,  wohl  aber  hofft  der 
kunstreiche  Meister  des  Restaurationsbaues,  dass  diese 
Glocke  aus  ihrem  ehernen  Jlunde  die  Gläubigen  zum 
nächsten  Weihnachtsleste  rufen  werde. 


nr.   Kul    Lind. 


Druck  der  k.  k.    Hof-  und  8txals,irsck«T«i  in    Wien 


XXIII 


Zwei  alte  Wehrthürme  zu  Mals  in  Tyrol. 

Dieses  Gebirgslaud  war  einst  mit  Webrbauten  wie 
Übersäet,  aber  sowolil  der  Zahn  der  Zeit  als  auch  der 
Leiclitsinu  und  die  Verkehrtheit  der  neueren  Geschmack- 
losij;keit  rütteln  an  deren  Überresten  so  f;ewaltig,  dass 
CS  gar  sehr  noth  thnt,  darüber  noch  in  letzter  Stunde 
vor  ihrem  Untergange  zu  berichten,  damit  diese  mit- 
unter sehr  merkwürdigen  Baudenkmale  nicht  gänzlich 
vergessen  werden.  Wir  wenden  diesmal  unser  Augen- 
merk auf  den  Marktflecken  Mals  in  Viutschgau,  ,.Mals 
war  die  älteste  Düngstättc  in  Vintschgau,  im  Jlittelalter 
wegen  der  vielen  Capellen  und  Kirchen  Septiianum  ge- 
nannt und  wie  ein  auf  den  Malserfeldern  ausgegrabener 
Inschriftenstein,  allenthalben  aufgefundene  Jlünzcn  und 
ein  noch  tlicihveise  aufrechtstehender  antiker  Thurm, 
„der  Fröhlichsthurm" ,  andeuten,  einst  eine  römi- 
sche Ansiedelung.  Dieser  Thurm  steht  fast  mitten  im 
Markte,  seine  schwarzbraune  Farbe  lässt  ihn  von  weitem 
erkennen.  Er  bildet  ein  Quadrat ,  dessen  eine  Seite 
48  Fuss  misst  und  ist  von  Quadcrsteineu,  welche  die 
Rustica  zeigen,  erbaut;  er  erreicht  eine  Höbe  von 
50  Fuss.  Man  kann,  wenn  die  Höhe  der  Eingangspforte 
als  Jlassstab  angenommen  wird,  behaupten,  dass  ein 
Drittheil  dieses  Haudenkmales  in  Folge  einer  Uber- 
schütiung  unter  dem  Boden  sich  befinde.  Der  Eingang, 
4  Fuss  breit  und  7  Fuss  hoch,  im  Halbkreis  überwölbt, 
befindet  sich  ungefähr  14  Fuss  über  dem  Boden  auf  der 
Südseite.  Man  unterscheidet  drei  Stockwerke  durch 
Br^tterbödcn  geschieden;  da  aber  dessen  oberer  Tlieil 
fehlt,  so  lässt  sich  nicht  mehr  beurtheilen,  ob  seine  Platt- 
form auf  einem  halbkreisförmigen  Gewölbe  geruht  habe. 
In  jedem  Stockwerke  befinden  sich  Schlitze  zur  Durch- 
lassung des  Lichtes.  Von  den  7  Fuss  dicken  Mauern 
stehen  noch  drei  aufrecht,  die  innere  Füllung  derselben 
ist  Gusswerk. 

In  der  Nähe  des  genannten  steht  ein  anderer  runder 
Thurm,  inmitten  weitläufiger  Räume  eines  alten  Ge- 
bäudes, der  einstigen  Jfalsburg,  nun  Fröhlichs- 
burg  genannt.  Ob  seit  dem  Brande  v.  J.  1499  oder  aus 
noch  früherer  Zeit  Ruine,  ist  ungewiss.  Eine  Urkunde 
V.  J.  1310  lässt  letzteres  vermuthen:  Otto  carinthiae 
ducis,  Tirolis  et  Goritiae  comitis  etc.  propfer  magna 
Servitia  de  Henrico  de  Taiver  (Täufers  ex  familia  Rei- 
chenberg) facultatem  concedit  construendi  castrum  unum 
in  valle  venosta  in  monticulo  vel  juxta  castrum  suum 
dictum  Malsperch,  quod  ex  insperato  casu  corruit  et 
diritum  est  etc.  quod  feuduni  esse  debet.  Der  Grundriss 
bildet  einen  regelmässigen  Kreis.  Die  acht  Fuss  dicken 
Mauern  nmschliessen  im  Erdgeschoss  ein  Gemach,  wel- 
ches nun  als  Stall  oder  Scheuer  dient  und  wozu  der 
Eingang  in  neuerer  Zeit  ausgebrochen  wurde.  Er  hat 
zur  Zeit  noch  eine  Höhe  von  126  Fuss  und  einen  Durch- 
messer von  32  Fuss,  um  2  weniger  als  der  gleichfalls 
runde  Rümerthurm  in  Castello  vecchio  in  Trient.  Er  ist 
aus  Bruchsteinen  erbaut,  denen  mittelst  des  Hammers 
eine  cubische  Gestalt  gegeben  wurde.  Sie  ruhen  in 
wagrechten  Lagerungen  übereinander,  durch  reichlieben 
Mörtel  verbunden,  mit  dem  nöthigen  Wechsel  der  Stock- 
fugen. In  etwas  mehr  als  halber  Höhe  ist  die  äussere 
Mauerflächc  durch  24  gleich  hohe,  länglich  viereckige, 
oben  hallirund  überwölbte  Öffnungen  unterbrochen, 
welche  sich  um  den  ganzen  Umfang  in  gleichen  Zwi- 
schenräumen herumziehen.  Übrigens  ist  weder  ein  Gc- 

XIV. 


simse  noch  Fries  bemerkbar;  hie  und  da  finden  sieh  in 
den  einzelnen  Stockwerken  längliche  Schlitze  zur  Ein- 
lassung des  Lichtes  sowie  zur  Aussicht.  Auf  seiner 
ganzen  gegen  Südost  gekehrten  Seite  zeigt  er  einen 
Spalt,  der  von  oben  bis  zur  Hälfte  seiner  Höhe  herab- 
reicht. Da  das  Innere  in  seinen  oberen  Theilen  unzu- 
gänglich ist,  so  kann  nicht  angegeben  werden,  ob  seine 
Plattform  auf  einem  Gewölbe  ruht.  Bei  guter  Beleuch- 
tung lässt  sich  jedoch  erkennen,  dass  dieselbe  eine  Zin- 
nenbekrönung  trug.  Nach  dem  Berichte  Bosch  m  a  n  n'  s 
fand  man  an  dieser  Stelle  Ziegel,  in  welche  das  Zeichen 
XCI  eingedrückt  war  und  von  welchen  Ritter  v.  Arneth, 
Direetcu'  des  kais.  Münz-  und  Antikeu-Cabinets  in  Wien 
vermufhete,  dass  es  vielleicht  Legionsziegel  der  LEGX 
(Gemina  Pia?)  bezeichne!.  Überhaupt  ist  es  auffallend, 
dass  solche  runde  Thürme  eben  an  Örtlichkeiten  vor- 
kommen, deren  Ursprung  aus  der  Zeit  der  römischen 
Herrschaft  abgeleitet  wird,  wie  z.  B.  in  der  verfallenen 
Feste  Rotund  ob  Taufers  im  Münsterthal  undinderBurg- 
ruine  von  Tschengels,  mit  welch  beiden  der  vorerwähnte 
von  Mals  ein  Rechteck  bildet.  Dann  der  sogenannte  ge- 
scheibte  Thurm  bei  Bozen,  bei  Jlarter  in  Valsugan,  in 
Trient,  oberhalb  des  Schlosses  Trossburg,  im  Scbloss 
Klamm  in  Oberinnthal  und  bei  Matzen  in  Ünterinnthal. 

Schliesslich  ist  noch  zu  bemerken,  dass  im  Mauer- 
werk des  oben  gedachten  Trossthurms  ein  noch  ganz  gut 
erhaltener  Balken  von  Lerchenholz  eingemauert  sich 
findet,  dessen  Ende  ans  der  Mauer  hervorragt.  Dies 
erinnert  an  die  Bauart  gallischer  Mauern,  wie  sie  Julius 
Cäsar  in  seinen  Jlemoiren  über  den  gallischen  Krieg 
VII,  23  beschreibt. 

Einen  von  den  beiden  Thürmen  in  Mals  scheinen 
die  Vögte  daselbst  besessen  zu  haben,  da  in  ihrer  Klage 
gegen  das  Bisthum  Chur  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  vor- 
kommt: Item  so  sind  mir  ein  Bruch  geschehen  an  meinem 
Haus  und  dem  Turren  zu  Mails,  daz  ich  Hansen  meinen 
Richter  glichen  han  und  mein  ist  und  wirs  ctlich  die 
vor  ze  Lehen  han  gehabt  s.  Th.  Keeb. 


Der  Purgstall  von  Mösendorf. 

(Mit  4  Holzschnitten.) 

Es  ist  in  den  ..Mittheilungen"  schon  einmal  jener 
Meilenstein  besprochen  worden,  welcher  zu  Mösen- 
dorf bei  Vocklamarkt  in  Ober- Österreich  im  September 
des  Jahres  1865  gefunden  wurde  i.  Nachträglich  sind 
von  dem  Jlaler  Herrn  Bin  mau  er  in  Vocklabruck  Er- 
hebungen über  diesen  Fund  gemacht  worden,  die  zur 
Kenntniss  nicht  unwichtiger  Details  über  die  Fundstätte 
selbst  führten.  Selbe  weiteren  Kreisen  mitzutheilen,  ist 
der  Zweck  dieser  Zeilen;  es  sind  dabei  die  Berichte 
des  genannten  Herrn,  welche  von  anschaulichen  Zeich- 
nungen begleitet  waren,  benützt  worden. 

"in  der  Nähe  von  Mösendorf  findet  sich  die  Parcelle 
Nr.  5262,  „Purgstall"  genannt,  ein  Hügelgruud,  der  im 
Eigenthum  der^Gemeinde  steht  und  dessen  vorzügliche 
Humuserde  von  den  Bauern  zur  Verbesserung  ihrer 
Felder  weggeführt  zu  werden  pflegte;  nach  längerer 
BenützungderErdschichtekam  man  schliesslich  an  einer 
Stelle,  die  nahezu   15 'A  Klafter  gegen  Norden  von  der 

<  Sitzungsberichte  d.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien,  40.  Hd., 
S.  32ä. 

=  Iloffa:  das  nündnerische  Jlünsterthal.  Cur  lSC-4  C.  D.  S.  öS. 

•  S.  Schmieder  in  den  „Jlilth."  18r;0,  p.  IX.  Vgl.  Fundchronilt, 
IX.  Fortsetzung  Nr.  3i  Im  .\rchiv  d.  k.  Akad.  d.  W    Bd.  3S. 

d 


XXIV 


Fig.  1. 

nach  Salzburg  führenden  Poststi-asse  [Fig.  1  t)  und  11 
Klafter  gegen  Nordwesten  von  dem  Hause  Nr.  63  in 
Mösendorf  y/  abliegt,  anf  Kalkmörtel  und  Bruchsteine, 
welche  gleichfalls  von  den  Bauern  zu  Reparaturen  an 
Haus  und  Stall  verwendet  wurden. 

Die  Verwüstung  dauerte  ziemlich  lange  fort,  so 
dass  man  nicht  mehr  im  Stande  ist  anzugeben,  wie  das 
Äussere  der  Bauüberreste  ausgesehen  haben  mag.  Erst 
die  Aufgrabuug  des  Meilensteines  erregte  Aufmerksam- 
keit in  weiteren  Kreisen. 

Nunmehr  sind  nur  noch  die  Grundmauern  übrig, 
deren  Configuration  aus  dem  Grundrisse  Fig.  1  zu 
ersehen  ist,  welcher  nach  Vollendung  der  Abgrabungen 
entworfen  wurde;  die  nordwestliche  Ecke  ist  noch  nicht 
völlig  aufgegraben.  Der  Grundriss  zeigt  zwei  Vierecke, 
ein  äusseres  und  ein  von  diesem  umschlossenes  inneres, 
beide  von  fast  gleicher  Mauerstärke,  indem  die  Grund- 
mauer des  äusseren  faaanj  sechs,  jene  des  inneren  (ccj 
fast  fünf  Fuss  mächtig  ist.  Das  äussere  Viereck  hat 
eine  rechteckige  Gestalt  von  15'',  Klafter  Breite  und 
19  Klafter  Länge:  das  innere  eine  quadratische  von  je 
9  Klafter  in  die  Länge  und  Breite,  so  dass  die  äussere 
Mauer  im  Lichten  einen  Flächenraum  von  221  Klafter 
t'ihj  umfasst.  von  welchem  ein  Quadrat  von  etwas  über 
49  Klafter  Flächenraum  im  Lichten  durch  die  innere 
Mauer  abgeschlossen  ist.  Beide  Fundameutmauern  be- 
stehen ans  meist  zubehauenen  Bruchsteinen  von  grobem 
Sandstein  und  schünem  Tulf.stein.  verbunden  mit  einem 
Mörtel,  welcher  zwar  keine  Marmorstückchen,  wohl  aber 
hie  und  da  Ziegelstücke  eingemengt  enthält. 

Innerhalb  und  ausserhalb  der  Mauer  aaa  fand 
man  an  verschiedenen  Stellen  /'eeej  Thierknochen  und 
römische  Münzen,  von  denen  einige  von  Kaiser  Clau- 
dius L  (t  54 ),  andere  von  M.  Aurelius  (t  180)  herrühren, 
endlich  viele  Hufeisen. 

Innerhalb  der  Mauern  cc  stiess  man  bei  d  auf  den 
genannten  Meilenstein.  DerText  desselben  darf  nach 
den  mehrfachen  Veroftentlichungen  als  bekannt  voraus- 
gesetzt werden  ^  und  es  genügt  zu  bemerken,  dass  er 

-  Zo  bemerken  ist  nur.  dafs  nach  der  sehr  genauen  und  schonen  Zeich- 
noDg  dej  Herrn  blumauerinZetIe6  auf  T  ,  der  Name  AntooJDUS  nicht  AN- 
TOMn-VS  sondern  ANTO.M-XVS  abietneilt  ist;  t^i  .\ug»be  der  Schritlezahl 
»tebt  In  der  That  nicht  das  gebräuchliche  M.  P  XXXI,  tondera  nur  MXXXI 


unter  K.  Septimius  Sevenis  und  Caracalla  —  der  Name 
Geta's  ist  ausgetilgt  —  im  J.  194  errichtet  wurde,  unter 
Oberleitung  des  Lcgatus  pro  praetore  Marcus  Juventius 
Öurus  Proculus;  von  Jnvavum  bis  zum  Aufstellungsort 
gibt  er  eine  Entfernnog  von  31  Tausend  römischen 
Schritten  (6'  j  deutsche  Meilen'i  an.  Den  Namen  der  Stadt 
schreibt  er  Juvao  1 1  WAO),  wahrscheinlich  ein  Versehen 
des  Steinmetzen,  der  die  beiden  V  nnrichtig  nebenein- 
ander stellte,  so  dass  IVVAO  statt  IVAVU  entstand. 
Unter  der  letzteren  Form  t^IVAVO")  erscheint  der  Name 
auch  auf  der  Tabula  =. 

Endlich  fanden  sich  neben  dem  Fundort  des  Meilen- 
steines, etwa  in  der  Mitte  der  nördlichen  Wand  des 
inneren  Viereckes  eine  Cisterne  'fj  und  in  derselben 
noch  folgende  Gegenstände,  welche  absichtlich  in  die- 
selbe geworfen  worden  sein  müssen,  ein  Umstand,  der 
auf  eine  völlige  Zerstörung  des  Werkes  durch  Barbaren- 
hand hindeutet ». 

1.  Inschrifttafel  von  Sandstein,  2'  lang,  die 
Höhe  unbestimmt,  in  mehre  Theilc  zerbrochen.  Die  In- 
schrift in  3'/,  ■  hohen,  sehr  schönen,  gut  erhaltenen 
Lettern  aus  der  zweiten  Hälfte  des  II.  oder  der  ersten 
des  ni.  Jahrhunderts  lautet,  soweit  sie  erhalten  ist: 

SVMELI  (Bruch)  EDILI 

COBKVV  ,.  fehlt 
\\V 
Aus  Eotenmann  in  Steiermark  bringt  Gruter  (851,7) 
den  von  Lazius  schon  mitgetheilten  Test  einer  Grab- 
schrift, in  welcher  ein  Sumelonius  Secundinus  genannt 
wird;  ohne  Zweifel  gehört  der  Name  Snmelius  auf 
unserem  Steine  dem  Ursprünge  nach  in  eine  Reihe  mit 
Sumelonius  und  ist  als  norischer  oder  als  keltischer  an- 
zuseilen. Auch  der  Anfang  der  zweiten  Zeile  ist  ohne 
Zweifel  von  einem  Namen  gebildet  worden,  der  keltisch 
anklingt :  Cobruv  .  .  .  Leider  ist  der  Stein  gebrochen, 
so  dass  die  Fortsetzung  nicht  erhalten  blieb.  Es  läge 
am  nächsten,  den  keltischen  Namen  mit  Cobruvoniar 
(Cobrvvomar)  zu  ergänzen,  da  rersonennainon  mit  der 
Endung  -mar  häufig  in  den  innerösterreichischen  Län- 
dern vorkommen,  wie:  Assedomar,  Atemar,  AuL-tomar, 
Brogimar,  Condomar,  Covidoniiar,  Jantumar,  Lcucimara, 
Mogimar,  Nertomar,  Nuomar,  Uesiniar ,  Trogimar 
u.  s.  w.  '.  Wie  dem  aber  auch  sei,  mit  einiger  Sicherheit 
lässt  sich  nur  folgern,  dass  der  Name  Snmelius  und  das 
Bruchstück  des  Wortes  am  Ende  der  ersten  Zeile  (ai  edilis 
zusammen  gehören ,  ein  Resultat ,  welches  bezeugt, 
dass  schon  in  verhältnissniässig  so  früher  Zeit  ein  No- 
riker  zur  Adilität  gelangte.  Freilich  fehlt  jeder  Anhalts- 
punkt zur  Beurtheilung,  ob  er  diese  Stufe  in  einem  Ge- 
meindewesen oder  blos  in  irgend  einer  Körperschaft 
verwaltet  habe,  wie  z.  B.  ein  Inschriftstein  aus  dem 
alten  Laureacum  einen  Ädil  des  coilcgiuni  juvenum 
nennt «.  Die  Bedeutung  der  Adilität  ist  je  nach  dem 
Ressort  der  Amtsgeschäfte  selbstverständlich  sehr  ver- 
schieden gewesen  und  würde  im  ersteren  Falle  um 
vieles  grösser  als  im  letzteren  sein. 

2.  Bruchstück  eines  sehr  verwitterten  Steines  von 
20 '  Länge  und  19    Breite  mit  einem  Relief,  von  wel- 

'  Die  Herleitung  des  Xamena  s.  bei  J.  Bergmann.  3Iittb.  der  k.  k. 
Cent.-Corara.  VIII  (l.««3)  S.  79. 

*  .\uch  bei  Klein-Schwechat  nächst  Wien  fand  man  in  den  J.  1S4.3  und 
]M4  fünf  römische  Meilenstein«  in  einem  ausgemauerten  Brunnen.  J.  G.  Se  id  1. 
Chronik  der  archaeol.  Funde  in  Schmidl's  Blattern  f.  Lii.  u.  Kunst.  Srparal- 
abdr.  S    7. 

'  Fr.  Piehler,  Kepertor.  d.  steierischen  Münzkunde  I    iH   t. 

*  Gaisbcrgerim  Aiusealbericht  dia  Francisco-Caroliuum  VIII.  S.  9  f. 


XXV 


ri^^  2. 


clieni  der  Oberleib  einer  unbekleideten  weiblielien  Figur 
iNyniplie?'),  Fig.  2,  von  vorn  gesellen,  ivcnntlich  ist;  sie 
liiilt  den  rechten  Arm  (?)  vor  sicTi;   zu   iin'er  Linken 

erscheint  nur  mehr 
der  linke  Arm  einer 
zweiten  ihr  zugewen- 
deten Figur,  welche 
ihre  rechte  Hand  in 
jene  der  ersteren  zu 
legen  seheint.  Der 
Stein  ist  obenhin  von 
einem  Rundstab  bc- 
siiunit,  so  dass  der 
obere  Contour  das 
Ansehen  eines  um- 
gestülpten Get'äss- 
randes  hat.  Auch  ist 
der  Stein  ziemlich 
dünn  und  nach  nnteu  hin  ausgebaucht,  wie  das 
Wandstück  eines  grossen  Getasses,  das  uiit  Reliefs  ge- 
schmückt gewesen  wäre;  ohne  Zweifel  hat  er  als  Brun- 
neneinfassung gedient.  Das  Vorhandene  aber  reicht  nicht 
aus,  um  den  Sinn  der  bildlichen  Darstellung  und  die  Be- 
schaffenheit der  Arbeit  zu  beurtheilen. 

ij.  Fragment  eines  rohen  Steines  mit  einem  Ge- 
simse, das  aus  einem  doppelten  Rnndstab  besteht  und 
möglicher  Weise,  wie  es  nach  der  Zeichnung  scheint, 
aucli  zu  der  Brunneneinfassung  gehörte. 

4.  Würfel  aus  Stein,  einen  Fuss  lang,  breit  und 
hoch  mit  einer  kreisrunden  Vertiefung,  die  etwa  einen 
halben  Fuss  im  Durchmesser  hält  und  sieben  Zoll  tief 
ist.  Er  wurde  von  einem  Bauer  derart  in  die  Wand 
seines  Ochsenstalles  eingemauert,  dass  die  l\Iündung 
gegen  vorn  gekehrt  ist,  um  als  Nische  zur  Aufnahme 
einer  Lampe  zu  dienen. 

Ausser  diesen  Objecteu  fand  sich  noch  ein  Fen- 
sterstock  aus  Stein  mit  eisernen  Spitzen  in  die  Steine 
der  Jlauer  versenkt  und  mit  Re- 
sten eines  eisernen  Fenster- 
kreuzes; endlich  kamen  ausser- 
halb der  Cisterne  an  verschie- 
denen Stellen  der  Fundstelle 
viele  i'innenförmige  Ziegel  und 
verschiedene  Gesimsstücke  aus 
gebranntem  Thon  zu  Tage 
{F\g.  .3"),  dergleichen  wahrschein- 
lich zu  aichitcktonischer  Form- 
gebung benutzt  waren.  Dagegen 
zeigten    sieh   Ziegel    mit    dem 


Stämpel  einer  Legion  oder  einer 
Truii])enabtheilung  nicht;  nur 
anf  einem  offenbar  mittelalterlichen  Ziegel  erkannte  man 
ein  erhaben  ausgepresstes  Ilandwerkszeichen  (Fig.  4). 

In  der  Umgebung  der  Fundstätte  hat  man 

(yi  1        verschiedene   Objecte   aus  Bronze,   namentlich 

-I  P      Fibeln  ausgegraben,  deren  eine  ziemlich  grosse 

[jj  [>|\   vor  einigen  Jahren  in  einem  Thongefässe  ge- 

j  p  PI  /    fanden  wurde,  welches  bei  der  Aufgrabung  zu 

[}\j\S  Gnmde  ging. 

Dies   ist   bisher   die  Ausbeute   an   Fund- 
"     ■    objecten  im  ,,Purgstall-'  gewesen;  sie  ist  keines- 
wegs entsprechend  den  Erwartungen,  die  man  an  die 
Aufgrabung  knüpfen  dni-fte.  Doch  wird  dies  nicht  be- 
fremden, wenn  man  bedenkt,  wie  lange  im  Stillen  die 


Zerstörung 'thätig  war,  ja  es  ist  noch  als  ein  günstiger 
Zufall  zu  betrachten,  dass  die  letzten  Spuren  vor  ihrem 
gänzlichen  Verschwinden  der  Beobachtung  und  Auf- 
zeichnung nicht  entgangen  sind. 

Es  lässt  sich  leicht  erkennen,  dass  die  Fundstelle 
auch  im  Mittelalter  noch  zu  irgend  einem  Zwecke  benützt 
worden  sei;  namentlich  müssen  der  Ziegel  mit  dem 
gothischen  Ilandwerkszeichen  und  der  Fensterstock 
als  Beweis  dafür  angesehen  werden.  Von  den  übrigen 
in  der  That  römischen  Fundobjecten  können  nur  die 
Grundmauern  ,  der  Meilenstein  und  die  Cisterne  als 
Fingerzeige  für  die  Beurtheilung  des  Zweckes,  welchem 
das  hier  errichtete  Gebäude  gedient  haben  mag,  benützt 
werden. 

Was  die  ersteren  betrifft,  sodeutensic  ohne  Zweifel 
auf  einen  kleineren  römischen  Befestigungsbau  hin. 
Dieser  bestand  aus  einem  quadratischen  Hauptbau  mit 
fünf  Fuss  starken  ]\[auern,  der  von  einer  äusseren  Um- 
fassungsmauer von  sechs  Fuss  Stärke  umgeben  war; 
um  letztere  hat  sich  der  Graben  herumgezogen.  Eine 
Unterbrechung  der  ^lauern,  aus  welcher  auf  eine  Thür- 
Öffnung  geschlnssen  werden  könnte,  hat  sich  nirgends 
gezeigt.  Auch  über  die  Höhe  der  Mauern  lässt  sieh  eine 
Vermuthung  nicht  aufstellen  ;  denn  die  Angabe  dass 
viele  Bruchsteine  von  den  Bauern  zur  Restauration  ihrer 
Häuser  und  Ställe  benützt  worden  seien,  ist  zu  unbe- 
stimmt, um  einen  Schluss  aus  ihr  ziehen  zu  können. 
Das  ^'orhandensein  der  Cisterne  gibt  einen  Fingerzeig 
dafür ,  dass  der  Bau  eingerichtet  war ,  eine  länger 
dauernde  Belagerung  auszuhalten  ,  ohne  des  Trink- 
wassers zu  entliehren. 

Ebenso  haben  sich  im  Odenwalde  zwei  Castelle 
bei  Wirzberg  und  zwischen  Litzelbacli  und  Seckmauern 
gefunden",  die  freilich  grösser  als  der  Purgstall  von 
Mösendorf  sind,  in  deren  jedem  sich  aber  gleichfalls  ein 
Ziehbrunnen  fand ,  bei  ersterem  in  der  Glitte,  bei  letz- 
terem fast  in  der  l\Iitte.  Sowie  bei  diesen  die  grössere 
Entfernunji'  eines  lebendigen  Wassers,  welches  hätte  be- 
nützt werden  können,  der  Grund  zur  Anlage  der  Cisterne 
im  Innern  gewesen  ist,  so  war  ähnliches  auch  bei  unse- 
rem Castelle  der  Fall;  die  Veckla  steht  zu  weit  gegen 
^'orden  von  dem  Purgstall  ab,  um  ihn  mit  dem  nöthigen 
Wasser  zu  versehen. 

Die  eigenthümlichste  Erscheinung  ist  das  Vorhan- 
densein eines  Jleilenstcines  im  Innern  des  Hau]itbaues. 
Es  ist  völlig  unwahrscheinlich,  dass  er  in  späterer  Zeit, 
etwa  im  Mittelalter  von  einer  anderen  Stelle  hierher 
versetzt  worden  sei.  Da  man  für  jene  Zeit  ein  wissen- 
schaftliches Interesse  nicht  als  Motiv  annehmen  kann, 
das  in  diesem  Falle  den  Transport  bewirkt  haben 
könnte,  so  hätte  irgend  eine  Benützung  zu  baulichen 
Zwecken  die  Ursache  davon  sein  müssen.  Allein  der 
Stein  trägt  hievon  keine  Spur:  die  Inschrift  ist  nur  im 
Anfange  beschädigt,  sonst  vollkommen  gut  erhalten;  das 
Denkmal  selbst,  nur  am  oberen  Theile  unregelmässig 
gebrochen ,  zeigt  keinerlei  Verletzung  der  Oberfläche, 
die  doch  erkennbar  sein  müsste,  wenn  der  Stein  später- 
hin irgend  eine  bauliche  Function  zu  verrichten  gehabt 
hätte  s.  Dagegen  enthält  die  Distanzangabe,  welche  von 
Juvavum  (Salzburg)  aus  gerechnet,  auf  31  millia  pas- 

'  Knapp.  Römische  Denkmale  fies  Odenwaldes.  S.  44  und  61. 

^  Ein  Jleilenstein ,  der  in  der  Xüchbarscliaft  von  Mösendorf,  tei  Sen- 
walclien,  nahe  am  .\ttersee  gefunden  und  in  einer  Papiermühle  zu  Schondorf 
als  Stütze  ver«endet  wurde,  hat  die  Inschrift  ganz  eiaijebüsst.  Gaisberger, 
Liuzer  Muscalljcricht  1Sj3,  S.  27  (nr.    16.) 

(I* 


XXVI 


snnm  angegeben  wird,  eine  merkliche  Differenz  gegen 
die  Angaben  der  Tabula  und  des  Itinerars.  Nach  erste- 
rcr  beträgt  die  Entfernung  zwischen  Juva\Tim  und  La- 
ciacuni  (Frankenmarkt)  27,  nach  dem  Itiuerarium  Auio- 
nini  28  millia.  So  sehreihen  die  meisten  Codices  des 
letzteren  an  drei  Stellen  i^Wess.  ji.  235.  256,  258);  nur 
drei  Codices  bringen  die  Zahl  XXVIIII ».  Da  der  Fund- 
ort Möscndorf  zwei  millia  p.  von  Frankenmarkt  (^Lacia- 
cum)  östlich  abliegt,  so  beträgt  seine  Eutferuung  von 
Juvnvum  nach  dem  Wegmass  der  Tabula  •Ji'.  nach  jenem 
des  Itinerars  :iO  millia.  Die  Differenz  der  ebengenanuteu 
Angaben  und  jener  des  Meilensteines  beträgt  also  im 
erstercn  Falle  zwei ,  im  letzteren  eine  römische  Meile. 
Doch  ist  CS  nicht  schwer  zu  beurtheilen,  welche  dieser 
Angaben  die  richtigere  ist,  da  von  der  Strecke  Juvavum- 
Laciacum  t^Salzburg-Frankeumarkt)  noch  ein  zweiter 
gleichfalls  unter  Kaiser  Septimius  Severus  (^im  J.  195) 
errichteter  Meilenstein  bekannt  ist.  der  zn  Altentann  bei 
Hühendorf  (Henndort'i  in  der  Xähe  des  Walchersees  ge- 
funden wurde  und  die  Entfernung  von  Juvavum  auf 
XI  millia  angibt. 

Misst  man  nun  sorgfältig  die  übrigen  Distanzen 
von  Höhendorf  bis  Fraukeumarkt  in  der  Kichtuug  der 
Reichsstrasse  ab,  so  liegt  Strasswalchen  von  Höheudorf 
acht  römische  (1=  i  deutsche)  Meilen,  dieses  wieder  von 
Frankenmarkt  zehn  römische  (2  deutsche)  Meilen  ent- 
fernt: die  Distanz  zwisthen  Salzburg  und  i  rankenmarkt 
beträgt  also:  11  +  8  -f  10,  d.  i.  29  römische  Meilen; 
dazu  kommt  noch  die  Entfernung  des  Fundortes  unseres 
Meilensteines  von  Frankenmarkt  (zwei  römische  MeUen), 
so  dass  die  Gesammtsumme  von  31  Meilen,  welche  der 
Meilenstein  angibt,  als  die  richtige  gelten  muss.  Im 
Itinerarinm  Antonini,  das  um  211  —  217  der  Hauptsache 
nach  entstanden  ist,  wird  demnach  die  Lesung,  welche 
einige  Codices  bewahrt  haben:  XXVIIU  statt  XXMII, 
vorgezogen  werden  müssen,  während  iu  der  tabula  ein 
Fehler  unterlauft.  Da  nun  die  Distanzangabe  derselbeu 
von  32  millia  zwischen  Üvilia  -  Tergolape-Laciacis 
(^*els-Schwannenstadt- Frankenmarkt)  mit  der  au  drei 
Stellen  in  allen  Codices  des  Itiuerariums  überlieferten 
Angabe  völlig  übereinstimmt,  so  kann  der  Fehler  nicht 
wohl  auf  dieser  Strecke  gesucht  werden,  sondern  nmss 
thatsächlich  in  einer  der  beiden  Distanzen  Laciacis- 
Tarnantone  oder  Tarnantone-Jvavo  enthalten  sein:  es 
müsste  also  an  der  ersteren  entweder  statt  XIIII,  XVI 
oder  in  der  letzteren  statt  XIII,  XV  stehen,  wenn  nnr 
eine  der  beiden  Angaben  gefehh  ist;  sind  beide 
unrichtig,  so  müsste  die  erstere  statt  XIIII,  XV,  die 
letztere  statt  XIII,  XIIII  lauten. 

Vi'ie  dem  aber  auch  sei,  wir  gewinnen  aus  der  Ver- 
gleichung  der  Entfernungen  das  Kesultat,  dass  die  An- 
gabe des  Meilenstemes  i^XXXI  m.  p.j  mit  der  thatsäch- 
licheu  Entfernung  seines  Fundortes  von  Juvavum  genau 
übereinstimmt  und  können  daraus  wieder  folgern,  dass 
das  Denkmal  an  dem  ursprünglichen  Aufstellungsorte, 
oder  doch  nur  in  sehr  geringer  Entfernung  von  dem- 
selben aufgefunden  wurde. 

Die  Aufstellung  eines  Meilensteines  innerhalb  der 
Mauern  eines  Befestigungsbaues  ist,  wie  gesagt,  durch- 
aus eigeuihümlich,  und  soviel  wir  wissen,  etwas  neues, 
wozu  es  keine  analogen  Fälle  gibt;  alleraings  lässt  sich 
denken,  dass  man  bei  Auftinduug  von  Meilensteinen  in 
älterer  Zeit  die  nähere  Umgebung  der  Fundstelle  nicht 


'  Itiae.-ir.  v.  Pinhey  und  Pinder  tu  Wess.  p.  233,   4  und  p.  2J6, 


erforscht  habe,  oder  dass  analoge  Symptome  schon  so 
zerstört  waren,  dass  man  sie  nicht  ünehr  wahrnehmen 
konnte ;  jedenfalls  wird  der  Versuch,  diese  Erscheinung 
iu  uuserem  Falle  zu  erklären,  die  Grenzen  einer  Ver- 
muthung  nicüt  überschreiten. 

Es  hat  also  als  eine  solche  zu  gelten,  wenn  wir 
die  Ansicht  aussprechen,  dass  das  Vorhandensein  des 
Meilensteines  in  dem  ,.Purgstall-  auf  eine  nähere  Be- 
ziehung des  letzteren  zur  Keichsstra^se  hindeute  und 
dass  derselbe  eine  befestigte  mu tat io  gewesen  sei, 
eine  Haltestelle  der  römischen  Reichspost ,  in  welcher 
die  Pferde  gewechselt  wurden,  womit,  wenn  man  gerade 
ein  Gewicht  darauf  legen  will,  auch  die  AufHndnug 
vieler  Hufeisen  verbunden  werden  kann. 

Allerdings  scheint  dagegen  der  Umstand  zu  spre- 
chen, dass  üer  Fundort  nur  zwei  millia  passuum  von 
Frankenmarkt  entfernt  sei,  welches  als  Laciaco  oder 
Laciacis  im  Itinerar  und  auf  der  Tabula  genannt  \vird, 
mithin  als  eine  mansio  oder  mutatio  zu  gelten  hat;  dem- 
nach war  es  nicht  wahrscheinlich,  dass  man  zwei  millia 
davon  entfernt  (48  Minuten  Weges!  abemials  eine 
mutatio  eingerichtet  habe.  Allein  gerade  diese  geringe 
Entfernung  spricht  für  unsere  Ansicht:  nicht  als  eine 
selbstäudige  Foststation,  sondern  als  die  zu  Laciacum 
gehörige  Station  für  den  Pferdewechsel  muss  der  Purg- 
stall  aufgclasst  werden,  sowie  er  in  strategischem  Sinne 
als  ein  \  orwerk  des  Castelles  von  Laciacum  zu  gelten 
hat.  Die  Gründe  dafür  sind  folgende : 

Die  Tabula,  welche  die  Distanzen  des  Itinerarium, 
mit  denen  sie  im  Ganzen  übereinstimmt,  detaillirt.  lässt 
auf  der  norischen  Route  ein  Mass  von  acht  millia  so 
consequent  wiederkehren,  dass  man  versucht  ist,  anzu- 
nehmen ,  es  sei  dieses  die  Einheit  für  die  Bemessung 
der  Stationen  gewesen  i» ;  je  nach  der  Beschaffenheit 
des  Terrains  verringert  sich  dasselbe  allerdings  auf 
sieben  oder  erhöht  sich  auf  neun,  der  Durchschnitt  aber 
zeigt  das  in  Mehrheit  vorkommende  Mass  von  acht 
millia.  Zwei  solche  Einheiten,  14  bis  16,  höchstens  18  mill. 
(d.  i.  275  bis  31/5  und  3=  5  deutsche  Meilen!  mögen  im 
Sinne  der  heutigen  Bezeichnung  „Posten''  die  Strecken 
darstellen,  au  üereu  Ende  ein  Pferdewechsel  stattfand. 

Zwischen  Laureaeum  und  Ovilaba  beträgt  die  Ent- 
fernung 26  millia,  d.  i.  drei  solche  Einheiten  (1  zu  8, 
2  zu  9  Millia  i;  zwischen  Onlaba  und  Laciacum  zählen 
Itinerar  und  Tabula  32,  d.  i.  vier  Einheiten  zu  acht 
millia,  endlich  zmschen  Laciacum  und  Juvavum,  wie 
wir  gesehen  haben,  29  millia.  Dabei  sind  die  gerade 
bei  Laciacum  zusammentreffenden  Distanzen  sehr  un- 
gleich. Jene  von  Tergolape  (Schwannenstadfi  bis  La- 
ciacum (Frankenmarkt)  beträgt  18  millia,  die  von  hier 
weiter  nach  Taruanto  (bei  Thalheim)  gehende  14.  beide 
zusammen  32  millia.  Genau  in  der  Mitte  liegt  der  Purgstall 
vouMösendorf,  der  von  beiden  Orten  16  millia  entfernt  ist, 
während  Laciacum  um  zwei  millia  näher  gegen  Salzburg 
zu  liegt.  Es  war  daher  eine  Erleichterung  des  Postdieu- 
stes  und  zugleich  übereinstimmend  mit  dem  Normale  der 
Distanzen,  den  Pferdewechsel  zwei  millia  unterhalb  La- 
ciacum anzulegen  und  in  die  kleine  Festung  zu  versetzen, 
ilie  an  der  Stelle  des  Pnrgstalles  stand,  mit  andern  Wor- 

'•  Sie  rechnet  zwischen  Yindobona  und  Cetium  ^Zeiselmauer)  VI  iver- 
^chrieben  »tau  XYlj,  von  Cetium  n.Ach  Comniagcna  VII,  von  liier  nachPirua 
t-r[Ua  VIII.  Ton  hier  nach  Trlgisaiiium  VIU.  von  hier  naoh  Namare  Xi^VI, 
dann  von  Namare  wieder  nach  Arelate  VII,  v,>n  hier  nacn  Pons  Uis  \1H, 
Von  hier  nach  Klegio  XXIII.  vr.u  hier  endlich  nach  „Blaboriciacum"  \1H  mp 
alto  unter  neun  Angaben  sechs  Distlozen,  {eiue  doppelte  zu  Iti.  vier  eiufacl,c 
ZU  acht  und  eine  einfache  zu  bieten  millia, . 


XXVII 


teil,  die  mntatio  L^ciacum  befand  sieh  zwei  millia  ausser- 
lialb  des  Ortes  ".  Ein  jinnz  analoi;er  Fall  tiiulet  sicli  im 
Tullneii'elde.  Ohne  Zweifel  bestand  an  der  Mündung 
des  Perschlingbaehes  ein  römischer  Posten  zur  Ver- 
bindung; von  Coniniagena  (Tulln)  undTrigisanium  (Trais- 
niaucr),  zugleich  zum  Schutze  des  tief  in  das  Gebirge 
zurückreichenden  Perschlingthales.  Da  die  Perschling 
grosse  Krümmungen  macht  und  der  Name  Pirus  tortus 
darauf  hindeutet,  hält  man  mit  Iteeht  diesen  Posten  der 
Tabula  für  ein  an  der  Perschlingmündung  errichtetes 
Castell.  Nun  erscheinen  anf  der  Tabula  die  Distanzen  im 
Tullnerfelde  so  vertheilt,  dass  von  Cetium  (^Zciselmaucr) 
bis  Comma^ena,  von  hier  bis  Pirus  tortus,  von  hier 
wieder  bis  Trigisamum  je  acht  millia  angegeben  werden. 
Der  achte  I\Ieilenstein  von  Commagena  aufwärts  tritft 
aber  nicht  auf  die  Pcrschlingmüudung,  die  nur  fünf 
millia  entfernt  ist,  sondern  auf  das  drei  millia  weiter 
aufwärts  gelegene  Dürrenrohr,  das  aber  in  dem  um- 
liegenden Terrain  gar  kein  Merkmal  darbietet,  um  auch 
nur  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  die  Errichtung  eines 
Casteiles  dort  annehmen  zu  können,  während  im  Oegen- 
theile  an  derMünduug  der  PersehHng  diese  Bedingungen 
vorhanden  waren.  Da  nun,  wie  eben  gesagt,  die  Distan- 
zen im  Tulluerfelde  auf  je  acht  millia  auskommen,  so 
kann  nicht  wohl  daran  gedacht  werden,  dass  die  Meilen- 
zahl bei  „Piro  torto"  entstellt  sei  und  ursprünglich  V 
statt  YIII  gelautet  habe.  Es  muss  also  einerseits  an- 
genommen werden,  dass  die  letztere  Zahl  die  richtige 
sei,  anderseits,  dass  der  Posten  Pirus  tortus  in  der 
That  an  der  Mündung  der  Perschling  gestanden  habe. 
Daraus  folgt  wieder,  dass  Castell  und  mntatio  dieses 
Namens  nicht  an  demselben  Punkte  lagen,  sondern  die 
letztere  in  einem  drei  millia  weiter  aufwärts  errichteten 
kleinen  Vorwerke  angelegt  war.  Etwas  ganz  ähnliches 
scheint  nun  auch  mit  der  nnitatio  von  Laciacuni  der  Fall 
gewesen  zu  sein,  nur  betrug  die  Entfernung  derselben 
vom  Orte  zwei  millia. 

Zum  Schlüsse  muss  noch  bemerkt  werden,  dass 
die  Zählung  der  Schritte  auf  dem  Meilensteine  von 
Jnvavum  ausgeht,  ein  Umstand,  welcher  darauf  hindeutet, 
dass  die  mntatio  von  Laciacum,  und  also  auch  dieser 
Ort  noch  zu  dem  Geriehtsbanne  der  civitas  Juvavum 
gehörte,  natürlich  nur  in  Civil-  nicht  in  Militärangele- 
geuheiten.  Für  letztere  war  der  Legat  von  Oberpauno- 
niendie  massgebende  Persönlichkeit,  da  ihm  als  solchem, 
wie  wir  an  einem  andern  Ort  nachzuweisen  versucht 
haben,  auch  das  norische  Uferland  unterstand.  In  dieser 
Stellung  fungirte  zur  Zeit  der  Errichtung  unseres  Meilen- 
steines M.JuventiusProculusSurus,  der  auch  auf  anderen 
Meilensteinen  in  Oberösterreich,  Kärnthen  n  und  im  Salz- 
burgischen als  Legat  und  als  Leiter  des  Strassenbaues 
erscheint  i=.  Die  Herstellung  der  Strasse  selbst  muss 
noch  zu  den  indirecten  Folgen  der  Markomanuenkriege 
gerechnet  werden;  in  demselben  mag  manche  Strasseu- 
strecke  zerstört  worden,  vielleicht  auch  schon  von  früher 
her,  und  unter  der  Regiei'ung  des  K.  Conimodus  vernach- 
lässigt worden  sein.  K.  Septimius  Severus,  der  seiner 
Zeit  selbst  Legat  in  Pannonieu  gewesen  war  und  den 
Zustand  des  Landes  aus  eigener  Anschauung  gekannt 
haben  mag,  stellte  es,  auf  "den  Thron  gelangt,"  wieder 

"  Diese  Annahme  würde  für  die  ganze  Reise  von  Juvavum  naoh  Ovi- 
laba  das  Resultat  erseljen,  dass  die  muraiiones  in  folgender  Art  angelegt 
waren:  Juvavum.Tanianlo  am  1-1.(15.).  Tarnanto-J.aciacum  am  IC,  Laciacum- 
Tergolape  am  IG.,  Tergulape-Ovilaba  am  14.  Meilenstein;  darnach  «äre  die 
mutaiio  ven  Tarnauto  eine,  jene  von  Laciacum  zwei  millia  ausserhall)  der 
genannten  Orte  gelegen  gewesen. 


in  völligen  Vertheidigungszustand  durch  Erneuerung  der 
Castelle  und  umfassende  Ausbesserung  der  Brücken  und 
Strassen,  wovon  wir  mauuichfachc  Spuren  sowohl  in 
Pannouien  als  Noricum  linden  'a.  Dr.  Kenner. 

Beschreibung  eines  alten  mit  Miniaturen  reich  aus- 
gestatteten (iebetbuches  in  der  Gyranasial-Bibliothek 
zu  Bozen. 

Dieses  Buch  gehört  zu  jenen  AVerken,  welche  der 
k.  k.  Ingenieur  Georg  Eberle  von  Bozen  im  Jahre  1858 
der  genuuuteu  Bibliothek  legatarisch  vermachte.  Es 
hat  gewöhnliches  Duodez-Format,  ist  in  schwarzen 
Sammt  gebunden  und  mit  Goldschnitt  geschmückt.  Die 
zierliche  Schliesse  bietet  einzelne  Formen,  welche  noch 
an  die  gothische  Periode  erinnern.  Öflhet  man  das  Buch, 
das  aus  dem  Ende  des  XVL  Jahrhunderts  staimnen  mag, 
so  erscheint  auf  dem  ersten  Blatte  ein  grösseres  Wappen- 
schild, mit  drei  Figuren,  welche  ILolbmondeu  ähnlich 
sind;  auf  den  vier  Ecken  der  das  Ganze  einfassenden 
Umrahmung,  welche  von  zwei  Sänichen  und  einem  dar- 
über gesiiauuten  gedrückten  Kundbogeu  gebildet  wird, 
sieht  mau  noch  vier  andere  einfache  Wappenschilde  an- 
gebracht. Zwei  von  diesen  haben  denselben  Schmuck 
wie  der  erwähnte  Hauptschild  in  der  Mitte  des  Blattes; 
von  den  übrigen  ist  das  eine  schwai-z  und  weiss,  das 
andere  hat  überdies  noch  grüne  und  silberne  Felder. 

Das  zweite  und  wirlUiche  Titelblatt  zeigt  einen  auf 
einem  Betschemel  knieendeu  und  lesenden  Bischof  in 
schwarzem,  reich  umtiiessendem  Talare,  der  weite  Ärmel 
hat.  Das  Buch  mit  hoehrothem  Einbände  liegt  auf  einem 
himmelblauen  Ivisseu,  das  in  Kreuzesform  abgenäht  ist. 
Die  daran  betindlicheu  (Quasten  sind  blau  und  in  Gold 
gefasst.  Der  Betstuhl  hat  eine  läugÜLh  viereckige  Form 
ohne  eine  weitere  Verzierung  als  dass  an  der  dem 
Beschauer  zugekehrten  Schmalseite  ein  reich  verziertes 
Wappen  mit  zwei  Turnierhelmen  und  einem  Fähnlein 
angeüracht  ist;  der  eigentliche  Schild  dieses  Wappens 
zerfällt  in  vier  Felder,  von  denen  zwei  roth,  zwei  weiss 
mit  Hirtenstäbeu  geziert  sind.  Die  Inful  steht  auf  der 
Mensa  des  vor  dem  Betenden  beündlichen  Altars.  Dieser 
Allartiseh  erhebt  sich  nur  über  einer  Stufe  und  ist  mit 
einem  weissen,  weit  herabHiesseudeu  Tuche  bedeckt. 
Unten  schHesseu  dieses  ringsum  Fransen  ab,  welche 
breiten  netztörmigen  Versehlingungen  einer  Schnur 
entspringen.  Den  Aufbau  über  dem  Akartisch  bildet  ein 
einfacherFlügelaltar,  der  bloss  aus  einer  Nische  mit  Chri- 
stus am  Kreuze  besteht.  Der  Hintergrund  des  Kastens,  so 
wie  der  Innenseite  der  Flügel  ist  einfach  blau  gehaUen.  Den 
bereits  halbkreisförmigen  Abschluss  beleben  zahlreiche 
Krabben.  Die  drei  Leuchter  haben  schon  einen  ziemlich 
hohen  Schaft,  welcher  durch  zwei  Knäufe  unterbrochen 
wird.  Im  llücken  und  zur  Hechten  des  Betenden  befin- 
den sich  Chor-  oder  Lehnstühle  in  höchst  einfachem 
Style  der  Fiüh-Kenaissance.  Das  Ganze  überdeckt  ein 
Gewölbe,  welches  von  leichten  Bündelsäulen  getragen 
wird.  Die  Fenster  theilen  wagrecht  eingesetzte  Balken 
in  mehrere  Felder.  Die  Umrahmung  dieses  zierlichen 
Titelgemäldes  bilden  zwei  Silulen  mit  einem  darüber 
schwebenden  guirlandenartigeu  Bogen. 

Das  zweite  Gemälde  stellt  die  allerheiligste  Drei- 
fahigkeit  dar.  Es  sind  drei  einander  sehr  ähnlieh  ge- 
haltene menschliehe  Gestalten  über  Wolken  auf  einem 

^-  Zeichnung  und  Schnitt  der  beigegebenen  Illustratifinen  von  Schmidt. 


XXVIII 


nml  ilcni-L-lbcn  gepolsterten  Tliione  rulieiul  neben  ein- 
antier  hingemalt.  Selbst  bezUglieh  des  Gesiehts-Ans- 
ilruckes  sind  sie  alle  drei  einander  ziemlieb  äbnlieb.  Sie 
trnjren  stliarlaelirotbe  Mäntel .  an  denen  sowobl  die 
I.ieliter  als  ancli  die  L'nisänniun;.'  mit  Gold  ireniaelit  ist. 
Ilir  Unterkleid  bestellt  ans  einem  violetten  Talare.  Die 
vollen  Bäne  sind  Jeiebt  brann,  fast  blond,  die  äbnlieb 
.irefiirbten  Kopfliaare  lang.  Von  den  scbmalen  Kronen- 
reiten, weklic  sie  tragen,  erbelten  sieh  je  zwei  Bogen 
mit  Krabben  vurziert  nnd  vereinen  sich  dann  in  einem 
stumpfen  spitzen  Winkel.  Die  in  der  Jlitte  befindliehe 
fiestalt.  ohne  Zweifel  Gott  Vater  Torstellend,  sehaut 
::erade  vor  sieh  hin,  die  zwei  anderen  wenden  ihren 
Hliek  anf  jene  bin.  Alle  drei  erbeben  sanft  die  Rechte 
zum  Segnen  und  halten  in  der  Linken  die  Weltkugel  in 
Form  des  deutschen  Reichsapfels.  Vor  ihnen  knien  zur 
Rechten  mehrere  Engel,  die  Hände  zur  Anbetung  ge- 
faltet. Sie  sind  in  Alben  und  langen  mehrfarbigen  Le- 
vitenröeken-  mit  Fransen  gekleidet:  in  den  Wolken 
schweben  Engelköpfe  mit  grünen  Flügeln  und  darüber 
spannt  sich  eine  rechtwinklig  gestellte  Decke  von  blauer 
Farbe  als  schirmender  Baldachin.  Die  Umrahmung  bilden 
zwei  fast  zopfig  nnd   willkürlich  abgegliederte  Säulen. 

Nun  beginnt  der  Text,  dessen  erste  Abtlieilnng  sich 
auf  Gebete  znmaeeessus  et  recessus  altaris  bezieht.  Die 
Anfangsbuchstaben  der  einzelnen  Verse  sind  abwechselnd 
blau  nnd  roth,  bei  den  Gebeten  nnd  in  ungebundener 
Sprache  durchaus  roth. 

Drittes  Gemälde.  Die  zweite  Abtlieilnng  des  Buches 
enthält  die  Busspsalmen  mit  einer  kurzen  eigentbUm- 
lichen  Allerheiligen-Litanei  nnd  mehreren  kleineu  Ge- 
beten. Als  Titell)ild  erscheint  König  Da\id  im  Freien, 
am  Ufer  eines  Sees  oder  Flusses  in  knieender  (beten- 
der"^ Steilling.  Sein  goldenes  mantelartiges  Oberkleid 
bat  weite  Ärmel  und  den  H.als  nmgibt  ein  branner  Pelz, 
über  welchen  eine  goldene  Kette  hängt.  Die  Kopfhaare 
sind  leicht  brann  und  etwas  lang,  der  Bart  von  etwas 
kürzerem  Wachse,  aber  ganz  voll.  Rechts  vor  ihm  liegen 
Harte,  Scepter  und  Krone:  letztere  ist  ein  einfacher 
Reifen  mit  längeren  spitzigen  Zähnen  am  oberen  Rande. 
David  blickt  gegen  Himmel,  wo  Gott  Vater  segnend  nnd 
in  derselben  Gestalt  wie  im  ersten  Gemälde  abgebildet 
ist.  Das  steil  aufsteigende  linke  Ufer  zeigt  Felsen  mit 
dichtem  Graswuchse  und  zu  oberst  ein  Schloss,  das  aus 
einem  grösseren  Gebäude  mit  steilem  Dache,  einem 
niederen  Nebengebände  und  einem  runden  Thurme 
mit  knppelartiger  Bedachung  besteht.  Das  Firmament 
ist  tief  blau  gemalt. 

Die  erste  Seite  des  folgenden  Blattes  bat  wieder 
eine  zierliehe  und  geschmackvolle  Randeinfassung,  dies- 
mal landsehaftartig.  Man  sieht  einen  Flu.ss,  über  den 
links  am  Rande  eine  hölzerne  Brücke  führt,  zu  einem 
hohen  viereckigen  Schlossthurm  aus  Hausteinen  in  Re- 
naissaneeform:  er  ist  durch  Gesimse  in  mehrere  Stock- 
werke abgetheilt.  Ans  einem  der  oberen  Stockwerke 
neigt  sich  David  in  seinem  vollen  königlichen  Ornate, 
mit  der  Krone  auf  dem  Hau]ite.  ziemlich  stark  hervor 
und  spielt  anf  der  Harfe.  Am  untersten  Rande  des 
Bialtes  unter  dem  Text  hin  sind  drei  Personen  darge- 
stellt (zwei  weibliehe  und  eine  männliche),  welche  sich 
die  FUsse  waschen;  ohne  Zweifel  Urias'  Weib  mit  ihrer 
Dienerschaft. 

Das  vierte  Gemälde  enthält  Christum  am  Kreuze 
mit  .Maria  und  Johannes.  Christus  hat  die  .\nnc  beinahe 


wagercchl  ausgestreckt,  vennuthlich  weil  er  als  nocli 
lebend  gedacht  werden  soll;  er  ist  ferner  mit  der  Dor- 
nenkrone, einer  schmalen  Binde  um  die  Lenden  und  mit 
drei  Nägeln  angeheftet  dargestellt.  Das  Hanjit  um;;ilit 
ein  zarter  Heiligenschein  mit  vielen  goldenen  .strahlen. 
Den  Blick  hat  Jesus  zu  seiner  Muiter  hingewendet, 
welche  zu  seiner  Rechten  steht,  in  etwas  gebückter 
Stellung  mit  über  die  Brust  gekreuzten  Händen,  traurig 
vor  sich  gerichteten  Blickes.  Ihr  Mantel  ist  blau,  das 
Unterkleid  golden,  beide  in  leichtem  und  gclalligoni 
Faltenwürfe.  Johannes,  ein  schöner  Jüngling  mit  blonden 
Haaren,  erhebt  seine  Augen  zu  Christus  hinauf  und  trägt 
ein  Buch  in  der  Rechten.  Der  Ausdruck  seines  Gesichtes 
etwas  weichlich,  der  Faltenwurf  an  seinem  rothen  Ober- 
und  Unterkleid  ist  nicht  so  leicht  nnd  ungezwungen  be- 
handelt, wie  bei  Maria,  Den  Fuss  des  Kreuzes  umfasst 
kniend  die  heil.  ^Lngdalena  mit  turbanartiger  Kopfbinde 
von  weisser  Farbe.  Am  Oberarme  sehen  die  Ärmel  ihres 
Kleides  buschig  aus.  Den  Kopf  hält  sie  gerade  und 
schaut  traurig  in  die  Gegend  hinaus.  Den  Hintergrund 
bilden  grüne  Hügel  mit  der  Stadt  Jerusalem,  hinter 
welchem  dann  noch  weiter  bläuliche  Berge  unter  einem 
tiefblauen  Himmel  liegen.  Die  zwei  Säulen  der  Um- 
rahmung, verbunden  durch  einen  gedrückten  Rundbogen, 
sind  Leuchtern  nicht  unähnlich. 

Die  Umrahmung  des  folgenden  Blattes  lüUt  die  Dar- 
stellung von  Abrahams  Opfer  ans ,  wie  dieser  seinen 
Sohn  zu  schlachten  im  Begritfe  steht.  In  einer  anziehen- 
den nnd  reich  in  verschiedener  Weise  geschmückten, 
grünen  Landscbalt  mit  den  Tliürmen  einer  Stadt  (Jeru- 
salem) erblicken  wir  im  Hintergrund  den  Patriarehen  in 
scbarlachrotheni  Unterkleide  (Hosen  nnd  Ärmel  von  der- 
selben Farbe  I,  nnd  in  einem  goldenen,  von  einer  schar- 
lachrothen  Binde  um  die  Mitte  zusanunengclialtenen 
01)crklei(le,  das  nur  sehr  kurze  Ärmel  hat.  Die  Linke 
hält  er  auf  den  Kopf  des  Sohnes,  welcher  mit  gefalteten 
Händen  demütbig  in  gebückter  Stellung  auf  den  Kuieen 
liegt:  er  ist  in  einen  einfach  blauen  Rock  gekleidet.  Die 
Rechte  des  Vaters  schwingt  ülier  ihn  bereits  das  breite 
Schwert,  um  ihm  den  Todesstreich  zu  versetzen.  F.in 
Engel  aber  in  weissem  Gewände  und  mit  bunt  bemalten 
Flügeln  hält  dasselbe  ein.  In  der  Nähe  steht  ein  rundes 
Gelliss  mit  glühenden  Kohlen. 

Fünftes  Gemälde.  Es  ist  der  heil.  Apostel  Pbilippus 
dargestellt,  stehend  mit  dunkelrothem  (.»berkleide  nnd 
braunem  Unterkleide,  in  der  Linken  ein  Buch  haltend, 
mit  der  Rechten  das  krickenartige  Kreuz  umfassend. 
Sein  Gesichtsausdruck  ist  der  eines  Betrachtenden,  fast 
Traurigen.  Der  Hintergrund  lässt  links  auf  einem  be- 
wachsenen Felsenhügel  ein  modernes  schlossartiges 
Gebäude  in  Rnndform  ,  rechts  einen  See  mit  einem 
Schifflein  und  in  weiter  Ferne  ein  Dorf  am  Fusse  blauer 
Berge  erblicken. 

Das  Beililatt  rechts  zeigt  denselben  Heiligen  in 
einem  Walde  am  Kreuze,  mit  einem  lalarartigen  Kleide 
angethan;  unten  am  Fnsse  des  Kreuzes  steht  eine  zahl- 
reiche Gruppe  von  Kriegern  oder  Henkersknechten,  in 
kräftigen  Umrissen  in  Goldton  gezeichnet. 

Sechstes  Gemälde.  Ein  Todkranker  liegt  im  Bette, 
er  seheint  der  Auflösung  nahe  zu  sein.  Das  Kopfpol- 
ster von  weisser  Farbe,  wie  <lie  Bettüeher,  über  welche 
eine  rothe  Decke  gelegt  ist.  Die  Beltstätte  selbst  gleicht 
einer  geöffneten  Truhe  ohne  Deckel:  sie  hat  keine  Füsse 
nnd  die  Seitenwände  sind  durch  SäulenstcUungen  bc- 


XXIX 


lobt.  Cl)er  das  Gauze  spannt  sich  ein  länglicher,  griinev 
Ikildaehin.  An  der  vorderen  Längenseite  der  ßettstätte 
steht  ein  Priester  in  heilvioletteni  Talare,  mit  scharluch- 
lothem  Birete  auf  dem  Haupte;  mit  der  Linken  hält  er 
ein  Crueitix,  die  Rechte  macht  eine  Actinn,  um  ihn  ohne 
Zweifel  im  Gespräche  begriffen  dai-zustellen.  Hinter 
seinem  Rücken  sitzt  eine  Frauengestalt  in  einem  ein- 
fachen Lehnstuhl-,  sie  ist  mit  blauem  Rocke  und  einem 
goldenen  Mieder  (I'rustleibchen)  bekleidet,  dessen  auf- 
rechtstehender Kragen  sich  vorn  auf  der  IJrust  ein  wenig 
auseinander  legt.  Sie  ist  ferner  in  Hemdärniehi  und 
beobachtet,  mit  Stricken  beschäftigt,  die  beiden  Obge- 
nannten,  oder  scheint  vielmehr  auf  die  Worte  des  Prie- 
sters zu  horchen.  Links  vor  ihr  steht  ein  einfacher  Tisch 
und  um  die  Wand  herum  läuft  eine  gleichfalls  einfach 
gebaute  Sitzbank.  Die  Wände  des  Zimmers  scheinen 
unverkleidete  Mauer  zu  sein,  welche  durch  Säulchen  auf 
Kragsteinen  belegt  und  durch  hohe  rundbogige  Fenster 
durchbrochen  wird;  die  Oberdecke  hingegen  ist  aus  Holz 
von  gelblicher  Farbe. 

Das  Nebenblatt  zeigt  Job  in  Nähe  seiner  statt- 
lichen, burgähnlichen,  brennenden  Wohnung,  die  Hände 
betend  vor  sich  hinhaltend,  am  Oberleibe  nackt,  nur  mit 
einem  kurzen,  unten  gefrauseten  Rocke  bekleidet.  Vor 
ihm  steht  sein  Weib  in  langem  Gewände,  die  Haare  in 
Form  dicker  Zöpfen  um  die  Stirn  gebunden;  sie  scheint 
ihn  zu  verspotten  oder  Vorwürfe  zu  machen.  Hinter 
dem  Rücken  Job's  ist  der  Tod  in  menschlicher  Gestalt 
dargestellt,  die  Sense  gegen  ihn  schwingend;  zwei  seiner 
Zähne  stehen  ihm  weit  hervor  und  von  der  ISrust  bis  auf 
die  Oberbeine  hinab  bekleiden  ihn  lange,  dichte  Haare. 

Das  siebeute  Gemälde  führt  uns  den  Apostel  Jakob 
den  jüngeren  vor,  wie  er  in  aufrechter  Stellung  in  die 
Ferne  schaut.  Sein  leicht  gefaltetes  Oberkleid  ist  pur- 
purn, das  talarförmige  Unterkleid  golden.  Vor  der  ßrust 
hält  er  ein  offenes  Buch  in  blauem  Einbände,  in  der 
Rechten  den  Walkerstab  von  der  Form  eines  grossen 
Geigenbogens.  Die  Hügcllandschaft  im  Hintergrund 
bietet  einen  herrlichen  Anblick. 

Das  Nebenblatt  nnifasst  ausnahmsweise  eine  Ver- 
zierung, welche  in  Grau  gehalten  ist  und  zwei  Medaillons 
mit  den  Köpfen  eines  Ritters  und  einer  Frauengestalt 
darstellt.  Von  den  zwei  folgenden  Blättern  sieht  man  in 
Goldton  auf  dem  ersten  (len  heil.  Pliilipiius  auf  den 
Knieen  liegend,  vor  den  Tenipelmauern  und  der  jüdi- 
schen Priesterschaft,  deren  Vorsitzender  eine  Walker- 
stange in  den  Händen  hält,  seinen  Tod  erwartend.  Auf 
dem  zweiten  Blatte  begegnet  uns  eine  Eberjagd,  wo  ein 
Eber,  sitzend,  den  Kopf  aufwärts  gerichtet,  von  den 
Hunden  auf  allen  Seiten  angefallen,  dargestellt  ist. 

Achtes  Gemälde.  Der  heil.  Schutzengel.  Li  einer 
herrlieh  grünenden  Landschaft,  in  welcher  Felsen  mit 
Gebüsch  und  Seen  und  Hügel  mit  Burgen  gefällig  ab- 
wechseln, kniet  aufeiner  Steinplatte  ein  Greis  in  violettem 
Talare,  der  mit  Pelz  umsäumt  ist.  Seinen  rechten  Ober- 
arm berührt  leise  sein  Schutzgeist,  der  mit  der  andern 
Hand  warnend  auf  die  Umgebung  hinweist.  Der  Himmels - 
böte  erscheint  vorwärts  schreitend,  in  der  Albe  mit  gol- 
denem, am  unteren  Rande  befranseten  Oberkleid,  welches 
in  der  Mitte  etwas  bauschig  gegürtet  ist.  Die  Ärmel  sind 
eng  und  haben  am  Ellenbogen,  so  wie  an  der  Achsel 
eine  breite,  bandartige  Verzierung  von  weisser  Farbe. 
Sein  Haar  ist  golden,  lang  und  etwas  fliegend,  die  Flügel 
sind  bunt,  blau,  roth  und  gelb. 


Neuntes  Gemälde.  St.  Christoph  ruht  riesengross 
unter  einem  Felsen  am  Rande  eines  Baches,  barf'uss,  die 
Ärmel  zurückgeschoben;  neben  seiner  Rechten  liegt  ein 
gewaltiger  Baumstannn.  Der  Heilige  blickt  aufmerksam 
über  die  Umgegend  hin,  ob  etwa  Einer  odci'  der  Andere 
hin-  oder  herüber  über  den  reissenden  Wildbach  zu  ge- 
langen wünschet.  Ln  Hintergrunde  steigt  ein  Einsiedler, 
die  Capuze  über  den  Kopf  gezogen ,  mit  Laterne  und 
Stock  versehen,  von  seiner  Zelle  zum  Bache  herab.  Am 
jenseitigen  Ufer  erblickt  man  ein  nacktes  Kindlcin  mit 
einem  fliegenden,  rothen  Mäntelchen,  es  scheint  über  den 
Bach  gelangen  zu  wollen. 

Auf  dem  Nebenblatt  sind  zwei  Reiter  gemalt,  welche 
von  einander  Abschied  nehmen. 

Zehntes  Gemälde.  Der  heil.  Sebastian,  nackt,  in 
ziemlich  anatomisch  richtiger  Zeichnung,  nur  mit  einem 
schmalen  Schamtuche ;  die  Hände  sind  hoch  an  den  Ast 
eines  Baumes  hinaufgebunden,  dass  die  ganze  Figur  fast 
hängend  aussieht.  01)glcich  von  mehreren  Pfeilen  bereits 
getroffen,  so  ist  er  doch  noch  nicht  getödtet  und  daher 
zielt  noch  ein  ]5ogens<diütz  ihm  gerade  nntten  auf  die 
Brust.  Letzterer  erscheint  in  langen,  eng  anliegenden, 
blauen  Hosen,  und  kurzer,  unten  aufgeschlitzter  Jacke. 
Neben  ihm  steht  sein  Gebieter  mit  befehlender  Miene, 
in  rothcm  faltenreiidien  Talare,  gleich  einem  Perser. 

Eilftes  Gemälde.  Der  heil.  Willibald  sitzt  im  bischöf- 
lichen Ornate,  voll  heiligerRuhe  in  einer  Kirche  zwischen 
zwei  Bündelsäulen  auf  einem  einfachen  Throne  vor  einer 
rund  gewöllitcn  Nische,  in  Albe  und  Casel  gekleidet; 
letztere  ist  in  grünem  Tone  gehalten  und  mit  einem 
blauen  Kreuzesstreifen  verziert.  Li  der  Linken  hält  er 
ein  offenes  Buch,  in  der  Rechten  den  Hirtenstab,  in  Re- 
naissanceform,  zu  oberst  einfach  gebogen  und  etwas 
tiefer  mit  einem  weissen,  herabhangenden  Tuche  ge- 
schmückt. 

Zwölftes  Gemälde.  Der  heil. Georg  stürmt  auf  einem 
stark  gebauten  Schimmel,  der  lederartige  Flügel  hat,  als 
gepanzerter  Reiter  mit  gezücktem  Schwerte  gegen  den 
sich  windenden  Drachen.  Ausgenommen  der  Kopf, 
gleicht  dieser  einem  geflügelten,  fusslosen  Krokodile. 
Der  Kampf  geht  in  einer  reizenden  Gegend  vor  sich,  im 
Angesichte  einer  grossartigen,  ans  Mittelalter  noch  erin- 
nernden Burg;  am  Fasse  des  Schlosshügels  kniet  ein 
reich  gekleidetes  Mädchen  mit  zum  Beten  gefalteten 
Händen. 

Auf  dem  Nebenblatte  treten  mehrere  Reiter  mit  lan- 
gen Speei'en  auf;  der  Vorreiter  sitzt  auf  einem  Schimmel 
und  ist  mit  dem  Schwerte  bewaffnet.  Ein  zweites  Blatt 
zeigt  unten  unter  dem  Texte  eine  stille  I^andsehaft,  oben 
naturalistisch  gezeichnete  Veilchen  u.  dgl. 

Das  dreizehnte  Gemälde  stellt  den  heil.  Valentin  als 
Bisehof  dar;  er  trägt  Albe,  Dalmatica  und  einen  golde- 
nen Rauchmantel  mit  einer  befranseten,  einer  einfachen 
Capuze  ähnlichen  Ka])pe  daran  unil  als  Koplliedeckung 
eine  luful,  die  aber  wenig  verziert  ist.  Li  der  Linken 
hält  er  den  Hirtenstab  mit  dem  Schweisstuch  daran;  die 
Rechte  segnet  einen  Manu,  der  in  Folge  eines  Sturzes 
vom  Baume  todt  erscheint.  Dieser  ist  mit  blauen  Hosen 
und  rother  Jacke  bekleidet. 

Vierzehntes  Gemälde.  Auf  diesem  treffen  wir  die 
heil.  Walburga  in  aufrechter  Stellung;  ihr  Gewand  be- 
steht in  einem  weiten  umgürteten  Oberkleide  mit  weiten 
Ärmeln  und  einem  schwarzen  weiss  gefütterten  Schleier 
und  weisser  Halsbinde.  Eine  niedrige  renaissancearlige 


Krone  schmückt  ilir  Haupt:  in  ihrer  Rechten  befindet 
sich  ein  Scepter,  in  der  Linken  ein  Buch  mit  einem 
Kiiischchen  daran!'.  Den  Kopf  hat  sie  etwas  auf  die  Seite 
L-eneij.'t.  der  Bück  ist  betrachtenden  Ausdrucks.  Die 
Heilige  steht  vor  einem  Altartisch,  über  dem  einCiborien- 
lian  sich  erhebt,  unter  der  Fensterbank  der  Capelle 
herum  sind  rothe  Teppiche  autVehiinirt. 

Fünfzehntes  Gemälde.  Die  heil.  Barbara,  in  einem 
rosenrothcn  luterkleide  mit  weiten ,  ijoldumsäumten 
.irmeln,  und  goldenem  Uberkleide,  das  gegürtet  ist  und 
eng  anliegt,  steht  in  einer  heiteren  Gegend,  deren  Mitte 
nimmt  ein  Fluss  ein  und  an  einer  f^telle  tührt  über  ihn 
eine  einfache,  aber  hübseh  gezeichnete  Brücke  von 
Baumstämmen. 

Sechzehntes  Gemälde.  Die  Enthauptung  der  heil. 
Katharina.  Diese  kniet  bereits  auf  der  Ricbtstätte,  in 
dunkclrotliem  Oberkleide,  dessen  enge  Ärmel  nahe  an 
der  Achsel  ausgebaucht  und  zugleich  ausgeschlitzt  sind, 
so  dass  das  weisse  L'uterfutter  hervortritt.  An  dem  fast 
etwas  zn  lang  gehaltenen  Halse  trägt  die  Heilige  viel 
Geschmeide  und  auf  dem  Haupte  eine  Krone.  Hinter  ihr 
schwingt  der  Scharfrichter  mit  beiden  Händen  ein  langes 
Schwert.  Er  ist  in  enge,  gelbe  Hosen  mit  blauem  Unter- 
futter und  eine  goldene  eng  anliegende  Jacke  gekleidet. 
Die  dem  Tode  Geweihte  heftet  aber  ihren  Blick  uner- 
schrocken auf  das  vor  ihr  durch  den  Blitz  zertrümmerte 
und  angezündete  Pvad.  Hinter  das  Gebüsch  der  nächsten 
Fnigebung  ziehen  sich,  wahrscheinlich  vor  .Schrecken 
des  herabgestürzten  Blitzes,  mehrere  Lanzenknechte  in 
Eile  zurück.  Die  ganze  Gegend  ist  etwas  dunkel  ge- 
halten .  ähnlich  wie  es  manchmal  vor  dem  Ausbruche 
eines  Ge\^^tters  aussieht. 

Auf  dem  Nebenblatte  erscheint  eine  Landschaft  mit 
einem  viereckigen  Steine  nahe  am  Wege  und  darüber 
auf  einer  hohen,  bewachsenen  Felsenkuppe  legen  zwei 
Engel  den  Leichnam  der  Heiligen  ins  Grab.  Ein  zweites 
Blatt  ist  mit  ziemlich  naturalistisch  gemalten  Blumen 
geziert  und  unten  stösst  sich  der  Teufel  in  menschlicher 
(Jestalt  aber  mit  Schwanz,  Hörnern  und  Bocksfüssen 
versehen  mit  einem  schwarzen  Bocke. 

Siebenzehntes  Gemälde.  Die  heil.  Apollonia  sitzt 
auf  einem  Steinblocke  in  einer  lieblichen  Gegend  vor 
einem  See,  dessen  jenseitiges  Ufer  eine  Stadt  mit  dahin- 
terliegenden  blauen  Bergen  schmückt.  Hire  Bekleidung 
besteht  in  einem  rothen  Ober-  und  einem  goldenen 
Untcrkleide.  Dieses  hat  denselben  Schnitt,  welcher  sich 
an  unserer  heutigen  Bauerntracht  zeigt.  Am  Halse  siebt 
man  das  weisse  Hemd,  dessen  Kragen  sich  ein  wenig 
zurücklegt.  Die  Hände  sind  über  einander  gelegt  und 
mit  einem  Strick  gebunden  und  ruhen  auf  dt  m  Schosse. 
Der  eine  von  den  grausamen  Henkersknechten  setzt 
mit  der  einen  Hand  einen  starken,  eisernen  Nagel  an  die 
Zähne  der  Heiligen  und  mit  der  anderen  schwingt  er 
hoch  einen  Hanmier,  um  so  gewaltsam  den  Kinnladen 
sammt  den  Zähnen  zu  zersprengen.  Das  aus  dem  Munde 
hcnorfliesseude  Blut  beweist,  dass  er  bereits  wenigstens 
einen  kräftigen  Schlag  gethan  haben  muss.  Ein  zweiter 
Flinkersknecht  hält  die  heil.  Jungfrau  fest  an  den 
.■Schultern  und  an  den  lang  hcrabfliessenden  blonden 
Haaren.  In  der  Nähe  steht  der  bekriinte  Fürst  oder 
liicliter  in  goldenem  mit  Pelz  gefüttertem  Oberkleide, 
einer  Scbmnckkette  um  den  Hals,  in  der  einen  Hand 
einen  Scepter  haltend,  die  andere  leicht  emporge- 
hoben. 


Achtzehntes  Gemälde.  Die  letzten  Blätter  des 
Buches  füllt  das  Todten-Oflicium  aus  und  in  diesen» 
steht  als  seineu  luhah  erklärendes  Bild  die  Einsegnung 
einer  Leiche  voran.  Man  hat  sie  bereits  ins  Grab 
gesenkt  und  mit  einer  Steinplatte  bedeckt.  Die  Einseg- 
nung nehmen  drei  Priester  vor;  sie  sind  in  Alben  ge- 
kleidet und  der  in  der  Mitte  stehende  trägt  auch  eine 
über  die  Brust  kreuzweise  gelegte  Stola,  hält  in  der 
einen  Hand  ein  Buch,  die  andere  lässt  er  sanft  heral)- 
häugeu.  Die  Alben  sind  nur  an  der  Vorderseite  mit 
einer  schmalen  Stickerei  anstatt  der  heute  üiilichen 
Spitzen  versehen,  und  eben  so  ist  die  Stola  au  ihrem 
Ende  nicht  schaufelformig  erweitert.  Von  den  zwei 
anderen  Priestern  hält  einer  das  Kanchfass.  der  andere 
ein  Weihwasserbecken.  Vor  ihnen  stehen  auch  zwei 
Todteugräber,  von  denen  jener  zur  Eechten  nicht  eut- 
blössteu  Hauptes  ist,  sondern  noch  seinen  Hut  auf  dem 
Kojife  sitzen  hat,  auf  die  Seite  schaut  und  den  vorge- 
nommenen Cerenionieu  gegenüber  sich  ganz  theilnahms- 
los  zeigt.  Zur  Kechten  im  Vordergrunde  erblickt  man 
die  Todtenbahre,  welche  oben  eben  ist  und  auf  vier 
Füssen  ruht;  riugsherum  läuft  ein  Geländer.  Das  Bahr- 
tuch ist  von  schwarzer  Grundfarbe  und  der  Länge  nach 
mit  einem  hochroihen  Kreuze  geziert;  es  betindet  sich 
bei  Seite  halb  zusammengelegt.  Der  Boden  des  Fried- 
hofes ist  grün  bewachsen,  das  Eiugaugsthor  im  Piuud- 
bogen  und  an  das  Chor  einer  Kirche  angebaut,  welche 
Strebepfeiler  und  Pvundbogenfeuster  in  zwei  Keihen 
über  einander  zeigt.  Die  kleineren  und  tiefer  liegenden 
Fenster  scheinen  bestimmt  zu  sein,  die  unter  dem  Altare 
liegende  Gruft  zu  beleuchten.  Im  tiefereu  Hintergründe 
sieht  man  ein  Haus  über  die  Friedhofsmauern  mit 
hohem  Giebel  und  langgestrecktem  Kamine  empor- 
ragen. Aa/7  -i^^. 

Das  romanisclie  Portal  zu  Hullein  in  Mähren. 

Mi:  1  UolzsciiQiu  '.} 

Wenn  auch  die  Bauthätigkeit  während  der  roma- 
nischen Stylepoche  in  unserem  Vaterlaude  nie  solche 
Dimensionen  angenommen  hat ,  wie  dies  am  Rhein,  in 
Frankreich  oder  Italien  geschehen,  so  sind  doch  eine 
Reihe  mitunter  ganz  prächtiger  Repräsentanten  dieser 
Zeit  auf  unsere  Tage  gekommen,  welche  beredtes  Zeug- 
niss  "eben  von  dem  grossartigen  gemeinsamen  Strebeu 
und  "^der  sittlichen  Kraft  längst  entschwundener  Ge- 
schlechter. 

Während  meines  Aufeuthaltes  in  Ülmütz,  woselbst 
ich  im  Auftrage  der  k.  k.  Cential-Commission  die 
Reste  der  romanischen  Herzogenburg  aufnahm,  hatte 
der  hochwürdige  Herr  Donulechant  Graf  v.  Lichnowsky, 
k.  k.  Conservator,  die  Güte,  mich  auf  das  Portal  von 
Hullein  aufmerksam  zu  machen. 

DorfHuUein,  beiKremsier  besitzteine  massig  grosse 
Kirche  im  Kenaissancestyl,  und  an  deren  Nordseite 
durch  einen  Aorbau  geschützt,  ein  vorliegendes  roma- 
nisches Portal.  Dieser  Vorbau  ist  nicht  wie  bei  vielen 
romanischen  Portalanlagen  ein  mit  der  Purlahvand  ver- 
bundenes organisches  Gebilde,  sondern  dürfte  erst  bei 
Erbauung  der  Kirche,  d.  i.  gegen  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hundertes  derselben  angefügt  worden  sein.  Die  Imfas- 
sungsmauern  der   Halle   sind  mit  einem   Gewölbe   uin- 

'  Zfichnoiig  Ton  Segens  c  Um  ied,  Schnitt  aus  W»l  dhc  im's  xylogra- 
phisclicr  Aiiatali. 


XXXI 


spannt,  dessen  Bogen  concentriseh  mit  dem  Portalbogeu 
läuft  und  gleich  über  dem  äusseren  verzierten  Wulst  be- 
ginnt, daher  auch  die  halben  äusseren  Säulen  durch  die 
Seitenmauern  der  Halle  ganz  gedeckt  werden.  Dies,  und 
die  ganz  unvermittelte  Ansetzung  von  Mauer  und  Ge- 
wölb beweisen  zur  Genüge,  dass  der  Vorbau  einer 
spätem  Zeit  angehört. 

An  der  ganzen  Kirche  ist,  sowohl  was  Anlage  als  Detail 
betrifft, keine  weitere  Spur  romanischer  Kunst  zu  finden; 
nur  das  Portal,  als  ein  für  sich  bestehendes  Ganze, 
scheint  den  Zerstörungen  der  Zeit  Wiedersfrand  geleistet 
zu  haben.  Das  Material,  aus  dem  vorliegendes  Portal  ge- 
schaffen wurde,  ist  ein  stark  eisenhaltiger  Kalkstein,  von 


D^^s^^m^ 


grosser  Härte,  daher  auch  die  einfache  kräftige  Durch- 
bildung von  Profil  und  Ornamenten  dadurch  zur  Bedin- 
gung wurde. 

Der  Grundriss  des  Portals  zeigt  die  gewöhnliche 
romanische  Anlage,  bildet  drei  zurückspringende  Ecken, 
von  denen  zwei  durch  Säulchen  ausgefüllt  sind. 
XtV. 


Ein  etwas  starkes  Kämpfer-  zugleich  Capitälge- 
simse  trennt  Säulen  und  Bogen,  welch  letztere  entweder 
mit  strickartig  gewundenen  Wülsten  oder  mit  Gliederun- 
gen in  ganz  wirkungsvoller  Weise  belebt  sind. 

Die  Säulchen  sind  achteckig,  gewunden,  je  eine 
Seite  ist  convex,  die  andere  concav;  dadurch  entsteht 
eine  ganz  nette  Licht-  und  Sehattenwirkung,  welche  viel 
dazu  beiträgt,  dass  das  in  ganz  kräftiger  Weise  profi- 
lirte  Portal  im  grossen  Ganzen  einen  reich  belebten 
harmonischen  Eindruck  hervorbringt.  An  jener  Stelle, 
wo  die  concaven  Achtecksseiten  der  Säulchen  an  die 
runden  Capital-  und  Fussplatten  aufstossen,  entsteht 
eine  leere  Fläche,  welche  durch  rundliche  blattartige 
Körper,  ähnlich  den  Schutzblättchen  an  den  Wülsten  der 
Säulenbasen,  ausgefüllt  erscheint. 

Drei  der  etwas  niederen  Capitäle  sind  nach  dem- 
selben Principe  durch  aufwärts  strebende  Blätter  gebil- 
det, das  vierte  ist  mit  der  symbolischen  Eule  geziert, 
freilich  in  etwas  primitiver  Art.  Eines  der  Blättercapitäle 
zeigt  auch  an  den  Ecken  schüchterne  Spuren  von 
Voluten. 

Bis  in  die  neueste  Zeit  waren  die  Basen  dieses 
Portals  durch  einen  Mauerklotz  bedeckt,  welcher  als 
Sitzbank  für  die  Ortsarmen  diente,  doch  war  der  Herr 
Pfarrer  auf  mein  Ansuchen  so  freundlich,  diese  störende 
Umhüllung  beseitigen  zu  lassen.  Die  Basen  zeigten  sich 
nun  in  der  gewöhnlichen  attischen  Form,  die  Wulste 
gehen  über  die  Platten  hinaus,  deren  Ecken  durch 
Schutzbläfter  in  einfacher  Form  gedeckt  sind. 

Die  Thür  selbst  ist  4'  5"  breit,  7'  3"  hoch  und  ganz 
einfach  in  die  glatte  Wand  geschnitten,  ohne  Giebelfeld 
oder  sonstigen  Schmuck.  Die  Ecken  der  Mauerrück- 
sprünge sind  abgefacet  und  laufen  wie  bei  den  Archi- 
volten  in  eine  viertelbogige  Resche  aus. 

Vorliegendes  Portal  dürfte  jener  gesteigerten  Bau- 
periode angehören,  welche  gegen  die  zweite  Hälfte  des 
Xn.  Jahrhunderts  allenthalben  sich  entfaltete,  und  wenn 
es  auch  kein  Baurest  von  ausserordentlicher  Bedeutung 
ist,  so  dürfte  es  doch  so  viel  Interessantes  bieten,  um  an 
dieser  Stelle  ein  Plätzchen  zu  finden. 

F.  X.  Segenschmied, 
Architekt. 

Die  gotliische  Kirche  zu  Katharein. 

(Mit  4  Holzschnitten.) 

Das  kleine  gothische  Kirchlein  von  Katharein  ist 
eine  Filiale  des  Wallfahrtsortes  Wranau,  welches  letztere 
etwas  über  If/j  Meile  von  Brunn  entfernt  ist. 

Man  mag  von  was  immer  für  einer  Seite  kommen, 
so  nimmt  sich  die  Kirche  sehr  gut  aus;  sie  steht  auf 
einem  ziemlich  steilen  Hügel,  nur  auf  der  Ostseite 
steigen  Felsen  schroff  hinan ;  au  dem  Fusse  des  Hügels 
schlängelt  sich  ein  Bach,  und  im  Thale  stehen  die 
Häuser  des  Dorfes  in  einzelnen  Gruppen  zwischen 
Bäumen.  Den  Hintergrund  bildet  eine  hohe ,  sehr 
steile  Berglehne,  die  mit  einem  alten  Nadelwalde  be- 
wachsen ist.  Nach  der  Sage  stand  schon  früher  hier 
eine  Kirche,  deren  Bestand  bis  an  die  Zeit  der  hh.  Cyrill 
und  Method  zurückreichen,  und  die  von  vielen  Wall- 
fahrern besucht  worden  sein  soll. 

Von  aussen  ist  die  Kirche,  die  nach  ihrer  Bauart 
in  die  zweite  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  gehören  mag, 
was  auch  eine  im  Innern  befindliche  Inschrift  „Ao.  Dni. 


XXXII 


Fig.  1. 

MCC'CCLXIX"  bestätigt,  sehr  eintaeh:  au  der  Westseite 
befindet  sich  die  Facade  (Fig.  1),  die  mit  einem  boch- 
ansteigenden  abgetreppten  Giebel,  auf  dessen  Spitze 
ein  steinernes  Kreuz  prangt,  geziert  ist.  Daselbst  ist 
auch  der  Haupteingang  angebracht,  welcher  wag-  und 
senkrecht  mit  einigen  in  den  Ecken  sich  kreuzenden 
Stäbchen  eingefasst  ist.  Zwei  grössere  spitzbogige  Fen- 
ster im  Dachraume  befindlich,  und  ein  kleines  Rund- 
tenster  für  den  Musikchor  beleben  nebst  einer  Gesims- 
und  einer  Suckclleiste  die  Facade.  Einen  eigenthümlichen 
Anbau  derselben  bildet  die  spiralturraige  Musikcliorstiege, 
die  mau  vom  Innern  der  Kirche  betritt.  Da  die  Kirche 
auf  einer  Berglehne  liegt,  so  führen  zum  Haupteingang 
sieben  Stufen.  Ebenso  anspruchslos  sind  die  beiden  Lang- 
seiten und  der  rückwärtige  Thcil  des  Gebäudes.  Einen 
zweiten  Eingang  hat  die  Kirche  auf  der  Südseite  (Fig.  2), 
er  ist  spitzbogig;  an  derselben  Seite  beim  Anfang  des 
Presbyteriunis  ist  der  Thurm  oder  besser  gesagt,  der 
untere  Theil  eines  Thurmes,  da  der  Oberbau  nicht  zur 
AusfübrunL'  kam  .   angebaut.   Nur  bis   zum  Dachrande 

der  Kirche  erhebt  sich 
das  Mauerwerk;  darüber 
wurde  blos  ein  höl- 
zerner Aufsatz,  um  die 
beiden  kleinen  Glocken 
unterzubringen,  mit  nie- 
drigem Dache  aufgesetzt. 
Im  Thurimnauerwcrk  be- 
iludet sich  ein  Fenster 
mit  geradem  Sturze  und 
einigem  Masswcrkan- 
satze.  Die  Gesimsleiste 
der  Fagade  setzt  sich  an 
beiden  Seiten  des  Lang- 
hauses in  Abstufungen 
iiöher  steigend  fort,  dess- 
irleichen  der  Sockel.  Ober 
dem  Seiteneingang  be- 
iludet sich  eine  kleine  mit 
horizontalem  .^turz  und 
nnt  Masswerk  versehene 
P)lende,  die  jedoch  leer 
ist.  Das  ganze  Gebäude, 
wird  durch  Strebepfeiler 
:;cstiitzt,  von  denen  die 


^-K 


Fig.  :j. 


Fig.  2. 

gegen  die  Facade  hin  über  Eck  gestellt,  die  Iteim  ("hör 
einmal  abgestuft  sind.  Langhaus  und  Presbyterium  haben 
jedes  einen  besonderen  Dachstuhl,  dazwischen  sich  eine 
hohe  Abtheilungsmauer  befindet. 

Das  Innere  bestellt  aus  Langhaus  und  Presbyterium. 
(Fig.  3).  Im  Ersteren  wird  das  Gewölbe  durch  zwei  acht- 
eckige Pfeiler  getragen,  welche  dasselbe  in  drei  Schitfe 
theilen.  Die  drei  Sebiffe  sind  nicht  gleich  breit,  das 
mittlere  ist  am  breitesten,  jenes  au  der  linken  Seite  das 
schmälste.  Die  Gewölbe  sind  flach  und  einfach  und 
werden  von  Kreuzrippen  und  Quergurten  getragen.  In 
dem  über  einer  kleinen  Gruft  erbauten  Presbyterium. 
das  breiter  als  di^s  Mittelschiff  ist  und  aus  einem  fast 
viereckigen  Gewölbejoche  nebst  dem  aus  fünf  Seiten 
des  Achtecks  gebildeten  Chorschlusse  besteht,  ist  das 
Gewölbe  regelmässig,  jedoch  mehr  spitzbogig.  Der 
gleichzeitige  Musikchor  wird  von  zwei  kleinen  achtecki- 
gen Säulchen  ohne  Capitäle  getragen;  die  darauf  ruhen- 
den Bögen  sind  stunipfsjdtzbogig. 

Säinmtiiche  Kippen  haben  das  Birnenprofil.  Die  am 
ganz  ungeschmückten  Triumphbogen  angebaute  Kanzel 
ist  sehr  roh,  nur  gemauert;  hingegen  sehen  wir  links  vom 
Altare  ein  hübsch  verziertes  Sacramentshäuschen.  Der 
viereckige  Tabernakel  Ist  mit  in  den  Ecken  gekreuzten 
Stäbchen  eingefasst:  darül)er  erhebt  sich  ein  Caijcllchen, 
das  durch  zwei  geschweifte  Spitzl)ogen  untertlieilt  wird 
(Fig  4).  Ein  zweites  schmales  Capellehcn  steht  dar- 
über mit  einem  Säulcben  darin;  dieses  Capellehcn  ist 
ebenfalls  mit  zwei  Flammenbogcn  überwidlit  und  wird 
durch  einen  Baldachin  überdeckt,  der  nach  oben  in  eine 
das  Ganze  abschliessende  nnt  Krap])en  besetzte  Spitze 
ausläuft.  Das  ganze  sich  rückwärts  au  die  Mauer  an- 
schliessende Häuschen  steht  auf  einem  runden  Halbsäul- 
clien,  welchem  ein  Fuss  in  der  Form  eines  ballien  Sechs- 
eckes zur  Unteilage  dient.  Die  Mitte  der  Säule  ist  mit 
einem  kleinen  strickähnlichcn  Hinge  geschmückt. 

Derlei  Sacramentshäuschen  sind  in  Mäiircn  sehr 
selten.  Es  sind  bis  jetzt  nebst  diesem  nur  mehr  drei 
andere  als  noch  gegenwärtig  bestehend  bekannt,  nändich 
jenes  In  der  Nikolauskirche  in  Znaini,  welches  sehr  hoch 
und  schön  war,  von  welchem  aber  leider  nur  mehr 
einige  Trümmer  vorhanden  sind;  das  zweite  in  Jam- 
nitz,  schön  und  gut  erhalten,  aber  kleiner;  noch  kleiner, 
und  auch  In  gutem  Zustande  ist  jenes  in  der  Kirche  von 
Kakschitz.  einer  Filiale  von  Krumau. 


XXXIII 


i r- , 


Fi" 


Die  übrige  Einrichtung  der 
Kirche  ist  aus  neuerer  Zeit  und 
schlecht;  nur  ein  Votivbild  ver- 
dient erwähnt  zu  werden ;  es  stellt 
die  Enthauptung  der  heil.  Katha- 
rina vor.  Unter  dem  Bilde  ist  der 
Geber  vor  dem  Kreuze  kniend  dar- 
gestellt. Darunter:  Augustin  Polen- 
tarius  1624  tohoto  casu  ufednik  w 
Lomnici  (^Amtmann  in  Lomnitz). 
Dabei  ist  sein  Wappen :  drei  gelbe 
Getreidehalme  auf  grünem  Hügel 
im  blauen  Felde. 

Der  Zugang  zum  Thurme  ist 
vom  Presbyterium  aus,  der  mit 
Stabwerk  verzierte  Eingang  ist 
kleeblattlormig,  demselben  gegen- 
über betindet  sich  der  ganz  ähn- 
liche in  die  Sacristei,  welche  der 
linken  Seite  des  Presbyteriums  an- 
gebaut ist.  Noch  ist  der  Fenster  Er- 
wähnung zu  thun,  sie  sind  alle 
spitzbogig,  mit  etwas  Masswerk 
verschen,  und  zweitheilig,  die  des 
Presl)yteriums  sind  schmal ,  die 
vier  des  Langhauses  etwas  breiter. 
Die  äusseren  sich  erweiternden 
Ausschnitte  der  Fenster  sind  fast 
rundbogig. 

Der  Zustand  der  Kirche  war  bis  noch  vor  kurzem 
sehr  misslich  ,  sie  ging  ihrem  gänzlichen  Verfalle  ent- 
gegen ;  erst  vor  einigen  Jahren  wurde  über  Bemühung  des 
k.  Conservators  Grafen  Sylva-Tarouca  eine  Samm- 
lung in  der  Brüuuer  Diöeese  veranstaltet,  deren  befriedi- 
gendes Ergebniss  eine  Restauriruug  der  Kirche  möglich 
machte. 

Die  Kirche  war  ehedem  durch  eine  Wehrmauer  ge- 
schützt. Auf  der  Ost-  und  Kordseite  war  der  Raum  zwi- 
schen dersellien  und  der  Kirche  nur  einige  Fuss  breit; 
hier  ist  die  Mauer  noch  einige  Fuss  hoch  erhalten;  auf 
der  Südseite  sind  nur  mehr  die  Grundfesten  kennbar; 
auf  dieser  Seite  war  mehr  Raum,  und  gerade  gegenüber 
dem  Seiteneingange  stand  ein  Gebäude,  welches  wie  ein 
starker  viereckiger  Thurm  aus  der  Mauer  vortritt;  die 
Leute  hier  sagen,  es  wäre  ehemals  die  Wohnung  des 
Pfarrers  gewesen.  Auf  der  Westseite  ist  nichts  mein-  zu 
kennen.  fAus  dem  Nachlasse  des  Graf en Sylva-Tarouca.) 

Die  ZeitscMft  für  bildende  Kunst. 

l.Mit   1  Holzschnitt.) 

Seit  dem  Jahre  1866  erseheint  in  Leipzig  diese 
Zeitschrift  unter  der  Redaction  des  Dr.  Karl  v.  Lützo  w, 
Bibliothekar  der  k.  k.  Akademie  der  bildenden  Künste 
in  Wien.  Gegenwärtig  sind  drei  Jahrgänge  vollendet 
und  der  vierte  ist  bereits  über  das  erste  Viertel  hinaus. 
Die  Bestimmung  des  Unternehmens  war  in  erster  Linie 
die  Verzeichnung  alles  Bemerkenswerthen  und  Schönen, 
was  die  Kunst  der  Gegenwart  vornehmlich  in  Deutsch- 
land hervorbringt,  und  die  Verbreitung  der  Kunde  von 
derlei  Producteu  in  die  grösseren  Kreise  des  gebildeten 
Publicums  durch  Bild  und  Wort.  Doch  soll  das  künst- 
lerische Schallen  nicht  die  Grenze  für  den  Inhalt  dieser 
Zeitschrift  bezeichnen,   sondern   es   soll    der    höheren 


Kunstindustrie  gleichwie  den  übrigen  Gebieten  des 
Geisteslebens  und  der  Kunst-  und  Culturgeschichte  da- 
rin genügend  Rechnung  getragen  werden,  während 
das  nur  historisch  oder  antiquarisch  Merkwürdige  nicht 
mehr  in  Betracht  kommen  und  den  betreffenden  Fach- 
organen überlassen  bleiben  soll. 

Leider  ist  es  uns  erst  jetzt  möglich,  in  eine  Betrach- 
tung dieser  Zeitschrift  einzugehen ,  die  aber  um  so 
gedrängter  sein  muss,  als  der  beschränkte  Raum  es 
nicht  gestattet,  den  reichhaltigen  Inhalt  der  inzwischen 
schon  zu  drei  Bänden  und  darüber  angewachsenen  Zeit- 
schrift genügend  zu  würdigen.  Aus  demselben  Grunde 
wird  es  uns  ziemlich  schwierig,  dem  Leser  eine  Übersicht 
des  Gebotenen  zu  verschaffen  und  kann  daher  nur 
Einzelnes  des  vielen  Gediegenen  näher  gewürdigt 
werden. 

Aus  dem  ersten  Bande  heben  wir  hervor  den  Auf- 
satz Wilhelm  Lübke's  über  die  heutige  Kunst  und  die 
Kunstwissenschaft. 

H.  Reinhart  bespricht  das  Asyl  Paolo's  Veronese. 
die  vollständig  aus  dem  XVI.  Jahrhundert  erhaltene  Villa 
Maser  bei  Treviso,  ein  Bau  Palladio's,  welcher,  reich  und 
prächtig,  sowohl  in  Bezug  auf  Anlage  und  Architektur 
als  auf  innere  Ausschmückung  zu  dem  Schönsten  gehört, 
was  in  dieser  Art  geschaften  worden  ist  und  in  seiner 
Gesammtwirkung  ungescheut  mit  der  hochberühmten 
Villa  Farnesina  bei  Rom  sich  messen  kann.  Die  schönen 
Frescomalereien  Paolo's  Veronese  daselbst  kann  man 
naiiezu  als  das  eigentliche  ]Monument  bezeichnen,  das 
der  frische  Geist  des  lebensfrohen  Malers  sich  setzte. 

Sehr  eingehend  wird  der  Ausbau  der  florentiner 
Domfa^ade  und  die  im  Jahre  1865  zu  diesem  Zwecke 
ausgeschriebene  Concurrenz  besprochen  und  sind  diesem 
Aufsatze  das  bezügliche  Schreiben  eines  der  Schieds- 
richter nämlich  Viollet-le-Duc's,  so  wie  Beschreibungen 
der  vier  bedeutendsten  Projecte  nämlich  von  de  Fabris, 
Hasenauer,  Petersen  und  Alvino  angeschlossen. 

Von  grosser  Bedeutung  für  die  kunstgeschichtliche 
Belehrung  ist  Falke's  Studium  über  die  arabische 
Kunst. 

Nicht  unerwähnt  können  wir  lassen  Fechner's 
Arbeit  über  das  Associationsprincip  in  der  Aesthetik, 
Woltmann's  Holbein,  Quentin  Massys  in  Longford 
Castle  und  Thausing's  Schrift  über  Kupferstich  und 
Photographie.  Bevor  wir  unsere  höchst  beschleunigte 
Durchsicht  des  ersten  Bandes  schhessen,  haben  wir  noch 
der  Besprechung  eines  Hauptwerkes  deutscher  Kunst 
auf  französischen  Boden  zu  gedenken. 

Die  französische  Provincial-,  ehemals  freie  deutsche 
Reichsstadt  Kolmar  in  Elsass ,  dem  französischen 
Deutschland  enthält  gar  manch  werthvolle  Proben 
deutscher  Kunst.  Es  sei  hier  nur  Erwähnung  gethan, 
der  schönen,  Künstlern  und  Kunstfreunden  wohl  be- 
kannten Madonna  im  Rosenliag  in  der  Sacristei  des 
dortigen  Münsters,  ferner  zweier  Altartlügel  (jetzt  im  5Iu- 
seum),  weiche  einerseits  Maria  Verkündigung  anderseits 
den  heil.  Anttmius  und  Maria  mit  dem  Kinde  zeigen.  Es 
sind  diese  Werke  sicher  Producte  des  Martin  Schon- 
gauer,  der  zu  Kolmar  gelebt  und  gewirkt  hatte.  Was 
aber  volle  Beachtung  verdient,  das  ist  der  ehemalige 
Hochaltar  des  ehemaligen  Antoniterklosters  zu  Issen- 
heim,  eines  der  reichsten  Stifte  im  Elsass,  das  die  gross- 
artigsten Kunstschätze  besessen  hatte.  Zwar  wurde 
über  dieses  Altarwerk  schon  manches  geschrieben  und 


XXXIV 


gesprochen,  doch  ist  es  in  weiteren  Kreisen  beinahe 
unbekannt  geblieben  und  von  der  Wissenschaft  noch 
nicht  nach  seinem  AVerthe  gewürdigt.  Es  mag  unter  den 
gUiuzeudcn  Fiügelaltiiren,  an  denen  die  deutsche  Kunst 
des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts  so  reich  ist,  nur  \iel- 
leicht  von  den  Altären  zu  Blaubäuern  und  .*>t.  Wolfgang 
iiltertroflfen  werden.  Leider  ist  es  im  Museum  nicht  als 
Aiiar  aufgestellt,  denn  es  feiilt  das  architektonische 
Gerüst,  welches  das  Ganze  getragen  hatte.  Doch  Bild 
und  .Schnitzwerk  sind  noch  vollständig  und  unbeschädigt 
erhalten.  Das  Werk  ist  ein  Wandelaltar,  d.  i.  mit  doppel- 
ten Flügeln:  indem  beim  Uffiien  des  ersten  äusseren 
Paares  das  geschlossene  zweite  l'aar  erscheint,  nach 
dessen  Uffiien  sich  erst  das  Innerste  zeigt.  Bei  geschlos- 
senen Thüren  sehen  wir  anf  der  Anssenseite  das  Leiden 
Christi  dargestellt,  öffnet  sich  das  erste  Flügelpaar,  so 
zeigen  sich  Bilder,  die  sich  auf  das  Leben  der  Mutter 
Gottes  beziehen,  das  Innerste  ist  dem  Kirchenheiligen, 
dem  heil.  Anton  dem  Einsiedler  gewidmet.  Die  Tiefe 
des  Sehreines  mit  seinen  beinahe  runden  Sculptnren 
Hess  an  dessen  Schmalseiten  noch  für  je  ein  Bildfeld 
Kanm.  Hier  befanden  sich  einst  die  beiden  Tafeln  mit 
den  Einzelgestalten  von  zwei  Heiligen,  die  auf  gothi- 
schen  Consolen  stehen:  S.  Sebastian  von  Pfeilen  durch- 
bohrt, frei  vor  der  Martersäule  stehend,  indess  zwei 
Engel  mit  der  Märtyrerkrone  über  ihm  schweben,  und 
endlich  noch  einmal  .S.  Antonius  der  Kirchenpatron, 
damit  man  seiner  auch  vor  der  ErölTnung  des  -Schreines 
ansichtig  werde,  eine  mächtige  Figur,  im  Ausdruck  er- 
haben. Über  ihm  ,  hinter  einem  vergitterten  Fenster 
lauert  ein  Teufelchen.  Diese  Gestalten  gehören  zu  den 
besten  Theilen  des  Werkes.  Eine  gewisse  Abweichung 
von  dem  früheren  Gebrauche  zeigt  sich  an  diesem  dem 
beginnenden  XM.  Jahrhundert  angehörigen  Schrein- 
werke, indem  das  Ganze  nicht  mehr  aus  einer  Anzahl  von 
kleinen  Bildern  besteht,  welche  eine  Reihe  nacheinander 
folgender  Momente  dar.stellt:  sondern  wir  tretfen  hier 
nur  höchst  wenige  Einzeldarstellungen,  aber  dafür  mög- 
lichst grosse  Bildfelder,  ja  es  sind  zu  diesem  Zwecke 
bei  jedem  Flügelpaare  die  aneinanderstossenden  Aus- 
senseiten  als  gemeinsame  Gemäldefläche  benützt.  Hier- 
mit wird  zu  denjenigen  Altären  der  Übergang  gemacht, 
bei  denen  die  Malerei  mit  Ausschluss  der  Plastik  Mittel- 
bild und  Flügelbild  allein  schmückt,  und  welche  ihrer- 
seits den  modernen  Altar  vorbereiten,  der  aus  einer  Bild- 
fläche besteht. 

Nur  im  Sockel  und  in  dem  in  der  Tiefe  des 
Schreines  befindlichen  Mittelbilde  finden  wir  bemaltes 
Schnitzwerk.  Oben  thront  als  Hauptperson  des  Ganzen 
St.  Anton  frei  herausgearbeitet  als  runde  Figur,  ihm  zur 
Seile  stehen  S.  Hieronymus  mit  dem  Löwen  und  S.  Au- 
gustin, daneben  der  kniende  Stifter.  Die  Altarsockel, 
obwohl  nicht  unkünstlerisch,  haben  nicht  diese  beson- 
dere Bedeutung,  Wir  sehen  hier  im  Hochrelief  ausge- 
führt die  Brustbilder  des  segnenden  Heilands  mit  der 
Wehkugel  und  die  Apostel.  Während  keine  Quelle  den 
Künstler  des  oberen  Schreines  nennt,  melden  alte  Nach- 
richten, dass  Meister  Desiderins  Beiehel  die  Sockelbilder 
im  Jahre  1493  anfertigte. 

Geist  und  Behandlung,  wie  sie  bereits  der  yorge- 
schritteneren  deutschen  Kunst  entsprechen,  treten  uns 
auch  aus  den  Malereien  entgegen,  .\ntons  Versuchung 
sehen  ^vir  links  von  der  Mitte  .  auf  dem  Bilde  zur 
Rechten  sind  die  greisen  Einsiedler  Paulus  und  Antonius 


in  der  Wüste  dargestellt.  Schliessen  sich  die  Flügel,  so 
gewähren  sie  einer  grossen  bildlichen  Darstellung  Raum, 
welche  die  ebeu  erwähnten  ganz  tüchtigen  Gemälde  über- 
tritt. Wir  sehen  die  Gottesmutter,  das  Kind  in  den  Armen, 
eine  Wiege,  eine  Badewanne  und  ein  irdenes  Töpfchen 
zur  Seite.  .\ber  trotz  dieses  Hausgeräthes  hat  uns  der 
Künstler  nicht  in  ein  häusliches  Gemach  versetzt,  son- 
dern in  eine  freie  herrliche  Landschat\.  Auf  den  FlUgel- 
bildeni  sieht  man  die  Verkündigung  Mariens  und  die 
Auferstehung  Christi. 

Diesen  drei  trefflichen  Bildern  stehen  jene  der  FlUgel- 
Aussenseiten  eiuigerraassen  nach,  sie  sind  an  Geist  und 
Ausführung  geringer,  ."^chülerarbeiten,  Sie  zeigen  den 
gekreuzigten  Christus ,  umgeben  von  Johannes  dem 
Täufer,  von  Maria  Magdalena,  von  der  im  Schmerze  zu- 
sammenbrechenden Mutter  und  vom  Lieblingsapostel. 
Von  ganz  anderer  Bedeutung  ist  dagegen  das  Staff"elbild, 
die  Beweinung  des  todten  Heilands  vorstellend. 

Keine  Inschrift  gibt  den  Meister  dieser  Bilder  an. 
Vor  Zeiten  pflegte  man  ohne  irgend  einen  Grund  sie 
dem  Albrecht  Dürer  in  die  Schuhe  zu  schieben.  Die 
Neuzeit  nennt  Mathäus  Grunewald,  diesen  berühmten 
Meister  von  Aschafl'enburg,  der  lange  Zeit  ganz  in  Ver- 
gessenheit gerathen  war  und  jetzt  mit  Recht  nächst 
Dürer  und  Holbein  als  der  grösste  deutsche  Maler  jener 
Epoche  bezeichnet  wird.  Woltmann  theilt  jedoch  nicht 
diese  Ansicht.  Die  seltsame  Kühnheit  in  der  Farbe  wie 
in  der  Zeichnung,  welche  sicher  und  edel,  nur  hie  und 
da  in  deu  Handbewegungen  etwas  geziert  ist,  die  Grösse 
und  Noblesse  in  den  Gewandmotiven,  der  Charakter 
der  Köpfe  insbesondere,  der  in  der  Bildung  des  Gesichtes 
und  der  sorgfältigen  Behandlung  des  Haares  unzweifel- 
haft erkennbare  Einfluss  Albrecht  Dürer's  sprechen  auf 
das  bestimmteste  dafür,  dass  nicht  Grunewald,  sondern 
vielmehr  der  Maler  des  Freiburger  Hochaltars  Hans 
Baidung  Grien  der  geniale  Meister  des  Gemäldes  war. 

Übergehend  zum  Inhalt  des  zweiten  Bandes  heben 
wir  unter  dem  vielen  Guten  und  Lehrreichen  hervor, 
Julius  Meyer's  geistreiche  Betrachtungen  über  die  fran- 
zösische Malerei  seit  1 848,  Karl  Schnaase's  Betrachtung 
der  italienischen  Renaissance,  sowie  endlich  Max  Jor- 
dans längeren  Aufsatz  über  Juhns  Schnorr's  Lehr-  und 
Wanderjahre. 

Gleich  wieder  zweite  Band  den  ersten  an  Gediegen- 
heit der  Aufsätze  wesentlich  überragt,  ebenso  zeigt  der 
des  dritten  Bandes  eine  sich  noch  weiter  steigernde 
Ftille  von  sehrwerthvollen  literarischen  Arbeiten.  Höchst 
beachteuswerth  sind  die  Gespräche  des  Cornelius,  sie 
gewähren  uns  einen  wohlthuenden  Blick  in  das  geistige 
Innere  dieses  grossen  Künstlers,  ferner  die  Berichte  Julius 
Meyer's  über  die  Kunstgewerbe  auf  der  Weltausstellung 
vom  Jahre  I8l)7,  die  Kritik  Woltmann  s  über  die  Lei- 
stungen Schinkel's  als  Maler,  Schnaase's  Würdigung 
der  byzantinischen  Kunst,  Jacob  Falke's  Gedanken 
über  die  Weberei  und  Stickerei  bei  den  Alten,  vom 
.•Standpunkte  der  Kunst,  und  endlich  die  eingehende  Be- 
schreibung der  Meisterwerke  der  Braunschweiger  Gal- 
lerte, so  wie  der  Anfang  einer  Reihe  von  Städtebildem, 
die  mit  Danzig  beginnen. 

Einer  Abhandlung  des  dritten  Bandes  wollen  wir 
etwas  ausführlicher  gedenken  und  uns  erlauben,  nicht 
nur  zur  grösseren  Verdeutlichung  des  Nachfolgenden, 
sondern  zugleich  auch  als  Muster  der  den  drei  Bänden 
dieser  Zeitschrift  beigegeben  Illustrationen,  eine  xylo- 


XXXV 


graphische  Abbildung- '  jenes  Objectes  beizugeben, 
welches  der  Custos  des  k.  k.  Museums  für  Kunst  und 
Industrie  Herr  F.  Lippmann  in  höchst  scharfsinniger 
Weise  in  dem  Aufsatze:  „Madonna  von  Albrecht  Dürer" 
besprochen  hat. 

Es  ist  nämlich  bekannt,  dass  Dürer,  wie  er  in  seinen 
eigenhändigen  Aufzeichnungen  erwähnt,  mehrere  „Tücli- 
lein"  mit  kunstvoller  Malerei  ausstattete.  Man  kann 
diese  mit  Wasserfarben  ausgeführten  Gemälde  als  ein  Mit- 
telding zwisclien 
der  blossen  Haud- 
zeiehnung  u.  dem 
ausgeführten  Öl- 
gemälde bezeich- 
nen und  dürfte 
ihnen  nicht  allein, 
weil  sie  ein  Werk 
des  grossen  Mei- 
sters sind, sondern 
auch  ihrer  gegen- 
wärtigen Selten- 
heit wegen ,  da 
Leinwand  und  Ma- 
lerei durch  wie- 
derholte Berüh- 
rung und  den  Ein- 
fluss  der  Feuch- 
tigkeit leicht  zer- 
stört werden,  eine 
besonders  würdi- 
gende Aufmerk- 
samkeit gewid- 
metwerden.  Lipp- 
manu  ist  über- 
zeugt ein  solches 
Tüchlein  in  Wien 
aufgefunden  zu 
haben,  und  führt 
mit   Zuhilfenahme 

mannigfaltiger 
theils  aus  dem  Vor- 
handensein ganz 
ähnlicher  Compo- 
sitionen  Dürer's, 
theils  aus  dem  in 
der  Composition 
und  Ausführung 
des  Gemäldes  un- 
verläugbaren  Cha- 
rakter der  Dürer- 
schen  Arbeiten 
entnommenen  Be- 
gründungen den 
Beweis,  dass  die- 
ses schöne  Ge- 
mälde dem  Pinsel  jenes  grossen  deutschen  Malermeisters 
sicherlich  entstammt.  Freilich  hat  Lippman  anfänglich 
nicht  wenige  und  auch  heftige  Gegner  für  seine  Behaup- 
tung gefunden,  doch  ist  jetzt  der  wissenschaftliche  Streit 
beigelegt  und  zwar  in  einer  den  Autor  und  den  Besitzer 
des  Gemäldes  völlig  befriedigenden  Weise. 

Hören  wir,  was  Lippmann  in  der  Hauptsache  über 
dieses  Gemälde  spricht: 

'   Die  Veröffentlichung  dieter  Abbildung  eesciiielit  mit  ZubtimmunK  der 
Herren   Arraria  und  v.   Liifx'^w. 


ABtc 


In  den  Besitz   des  Wiener  Kunstfreundes,  Herrn 

A  r  t  a  r  i  a  gelangte  einBild,  dessen  Composition  der  neben- 
stehende Holzschnitt  veranschaulicht,  eine  Madonna  in 
weissem,  in  den  Falten  ins  blaue  spielendem  Unterkleide 
und  weitem  rothem  Mantel.  In  einer  durch  vorspringende 
Marmorsäulen  gebildeten  Nische  sitzend,  hält  sie  mit  der 
linken  Hand  das  auf  ihrem  Knie  ruhende,  mit  einem 
Vogel  spielende  Kind,  während  die  rechte  auf  einem  auf 
dem  Sitze  aufgestützten  Buche  aufliegt.  An  dem  Gesimse 

oberhalb  der  Säu- 
len hängt  an  zwei 
dünnen  Bändern 
ein  goldgewirkter 
Teppich ,  in  des- 
sen Einfassung 
die  wiederholten 
Woi-teJESUSMA- 
RIAzu  lesen  sind. 
Jedem ,  der  die 
Dürer'schen  Ku- 
pferstiche kennt, 
wird  sofort  die 
Übereinstimmung 
der  Stellung  der 
Madonna  und  des 
Kindes  mit  jener 
auf  dem  unter  dem 
Namen  die  Ma- 
donna mit  der 
Meerkatze  (dem 
Affen)  bekannten 
Blatte  auffallen  ; 
nun  dieUmgebung 
ist  eine  durchaus 
andere,  dort  eine 
Landschaft  mit 
Wasser  und  wei- 
ter Fernsicht,  hier 
eine  wesentlich 
architektonische  , 
dort  sehen  wir  die 
kauernde  Meer- 
katze, hier  einen 
zierlich  geformten 
Krug  mit  Blumen ; 
überdies  verhält 
sich  die  Stellung 
der  Figuren  auf 
dem  Bilde  zu  jener 
der  Figuren  auf 
dem  Stiche  gegen- 
einander, wie  ein 
Spiegelbild. 

_  Doch  nicht 
dieAhnlichkeitniit 
dem  Kupferstiche,  die  Meisterschaft  der  Behandlung,  die 
unvergleichliche  Sicherheit  der  Strichführung,  die  klare, 
die  Werke  Dürer's  charakterisirende  Bestimmtheit  der 
Formen  ist  es  vor  allem ,  was  den  Beschauer  kräftigst 
überzeuget,  dass  es  sich  hier  um  ein  üiiginalwerk  dieses 
grossen  Meisters  handelt.  Der  Ausdruck  des  Kopfes  der 
Madonna,  der  prachtvolle  Mantel  mit  seinen  im  höchsten 
Verständniss  gelegten  Falten  und  im  hellen  leuchtenden 
Both  ausgefüiirt,  endlich  das  mit  Vorliebe  behandelte 
Detail  im  Vördcruriiiule,  scheinen  Gründe  genug  für  die 


XXXVI 


Echtheit  des  Werkes  zu  sein,  das  mit  keinem  Monogramme 
oder  mit  einer  sonstigen  Bereiihnung  versehen  ist.  Der 
Mangel  einer  solchen  Bezeichnung  ist  aber  keineswegs 
in  einer  dem  Gemälde  ungünstigen  Weise  zu  dcuteu, 
denn  es  ist  kein  Zweifel,  dass  das  Bild  überhauiit  und 
sicherlich  in  der  Richtung  nach  unten  grösser  war  und 
erst  später  wohl  in  Folge  des  Ausfranzens  und  Verder- 
bens am  Rande  beschnitten  worden  war.  Denn  denkt 
man  sich  das  Bild  nach  unten  verlängert,  so  erscheint 
der  Mantel  vollendet,  das  (ianze  besser  formirt  und  an 
diesem  wcggencnuiieuen  Stücke  dürfte  sich  die  Dürer- 
sche  Bezeichnung  befunden  haben. 

Die  Zeitepoche  der  Entstehung  dieses  Tüchleins 
lässt  sich  nur  annähernd  u.  z.  mit  Rücksicht  auf  zwei 
andere  ofl'enbar  damit  in  Verbindung  stehende  ebenfalls 
leider  nicht  daiirtc  Arbeiten,  nämlich:  „Maria  mit  der 
Meerkatze-  und  .Maria  in  einer  reichen  Landschaft"  be- 
stimmen. Etwa  um  1500  werden  diese  Arbeiten  zu 
setzen  sein,  und  dürfte  auch  dieses  Datum  ohne  grossen 
Fehler  für  das  1'  t<  hohe  und  1'  8"breite  Artaria'sche 
Bild  massgebend  werden. — 

In  diesem  Bande  beginnen  auch  die  ganz  interes- 
santen Schiiderungen  ^lax  Lohde's  seiner  italienischen 
Reise,  in  denen  besonders  die  Aufmerksamkeit  des 
Lesers  auf  einige  weniger  bekannte  Kunstwerke  ge- 
lenkt wird.  Der  vornehndiche  Reisezweck  Lohde's  war 
nämlich  diel'ntersuehung  derFa^-adenmalereien,speciell 
der  Sgraftiten  Italien's ,  und  dieser  führte  ihn  öfters  in 
minder  besuchte  Gegenden  der  Halbinsel.  Die  erste 
Stadt,  die  Lohde  besuchte,  war  Udine,  früher  die  Haupt- 
stadt Friauls.  als  solche  noch  viel  bedeutender  deun 
jetzt,  und  im  Besitze  nicht  unbedeutender  Kunstwerke, 
die  sie  sehr  bemerkenswerth  machen.  Der  Einfliiss  Ve- 
nedigs macht  sich  in  allen  dortigen  Bauwerken  merklich. 
Nennenswerth  ist  der  Palazzo  publico  vom  Architekten 
Niccollo  Lionello  im  Jahre  14.t7  erbaut,  der  Dom  von 
Pietro  Paolo  da  Venezia  1.366  erbaut,  ursprünglich  eine 
dreischiffige  breiträumige  Basilica.  Lange  nach  L540 
wurde  er  von  Domenico  Rossi  verrestaurirt.  bekam  tiefe 
Seitencapellen  in  halber  Breite  der  Seitenschiffe  und 
zwar  so,  dass  zwischen  jedem  Pfeiler  noch  ein  zweiter  in 
die  Seitenschiffmaner  eingesetzt  wurde,  um  ihre  Anzahl 
zu  verdoppeln.  Nur  der  Tlieil  von  der  rechtwinkeligen 
Chornische  blieb  in  seinerUrsprünglichkeit  erhalten.  Das 
Mittelschiff  erhielt  ein  Tonnen-,  jedes  Seitenschiff  ein 
Kreuzgewölbe.  In  den  Theil  des  Mittelschiffes  vor  dem 
Chor  kam  eine  aussen  sichll)are  Flachkuppel.  Auch  die 
Fat;ade  wurde  ruinirt.  Sie  hatte  früher  drei  grosse  Kund- 
fenster, dann  eine  Galerie  von  vorgesetzten  Säulcheu 
mit  Spitzbogen  und  polychroinirte  Fensterumrahmungen. 
Nun  sind  die  Rundfen.ster  verbaut,  dafür  ein  hässliches 
Hochfenster  durch  die  Galerie  gebrochen  und  unten 
eine  nicht  minder  hässliche  Thür  hineingesetzt,  natürlich 
auch  seitwärts  für  die  Capelle  die  Fa^ade  noch  erweitert. 
Neben  dem  Dome  stellt  der  Campanile,  1442  von  Chri- 
stoforo  da  Milano  begonnen,  aber  nie  fertig  geworden. 

Nach  Udine  besuchte  Lohde  Conegliano,  das  für 
seinen  Zweck  manches,  iu  anderen  Beziehungen  fast 
nichts  bot.  Sodann  gelangte  er  nach  Treviso.  Dort 
fand  sich  eine  unerwartet  reiche  Fülle  bemalter  Favaden: 
darunter  mehrere  relativ  gut  erhaltene  aus  der  besten 
Zeit  mit  farbigen  mythologischen  Darstellungen  und 
Nachbildungen  von  Antiken,  auf  die  SeitenfaQade  einer 


Kirche  ganz  mit  Sgraffiten  bedeckt.  Noch  erwähnt  Lohde 
der  kleinen  S.  Nicolokirche,  die  sehrviel  Ähnlichkeit  mit 
S.  Giovanni  Paolo  in  Venedig  zeigt. 

Wir  haben  hier  nur  eine  äusserst  gedrängte  Über- 
sicht und  Auswahl  der  zahlreichen  ganz  gediegenen 
grösseren  Aufsätze  gegeben,  und  es  wird  jeder  Leser 
dieser  Zeilen  zugeben,  dass  die  hier  angeführten  Namen 
der  Autoren  für  fachgemässe  kundige  .\bhandlungen 
bürgen,  so  wie  die  Wahl  der  Themas  und  besprochenen 
Gegenstände  ein  Beweis  für  die  Vielseitigkeit  des  Inhalts 
dieserZeitschriftist.  Zahlreiche  Correspondenzen bringen 
uns  Nachrichteu  über  das  Kunstleben  in  und  ausser 
Deutschland,  in  einer  ununterbrochenen  Reihe  von  Re- 
censionen  werden  die  neuesten  Producte  der  Kunst  und 
der  kunsthistorischen  Literatur  facligemäss  besprochen 
und  gerecht  gewürdigt,  endlich  finden  sich  in  einem  be- 
sonderen Beiblatte  kleinere  sehr  wissenswerthe  Mitthei- 
luiigen  überKunstauctioncn.  über  den  Kunsthandel.  Perso- 
nal-Nachrichten und  Nekrologe.  Notizen  über  Kunstver- 
eine. Sammlungen  und  Austeilungen,  Bücheranzeigen  etc. 
Eine  besondere  und  höchst  lobenswerthe  Partie  dieser 
Zeitschrift  bilden  die  consequent  fortgesetzten  Biogra- 
phien berühmter  Künstler  der  Gegenwart  aller  Länder. 
Der  Werth  dieser  Lebensabrisse  wird  noch  erhöht, 
durch  die  beigegebenen  meisterhaft  xylographisch  aus- 
geführten Portraite  dieser  Meister.  In  dieser  Künstler- 
galerie finden  mr  die  Porträte  von  Ferdinand  Wald- 
müller, Karl  Rahl.  August  Löffler.  Louis  E.  Meissonier. 
Antoiue  Wiertz,  Julius  Schnorr.  Hermann  Heidel,  Peter 
von  Cornelius,  Ferd.  Pauwels,  Erastus  Dow  Palmer. 
H.  Schiewelbein.  Karl  v.Enhuber,  Joseph  Führich,  Gustav 
Friedrich  Waagen.  Theodor  Rousseau.  Wir  können  nur 
unserenlebbaften  Wunsch  aussprechen,  dass  diese  Küust- 
ler-Gallerie  in  der  bisherigen  Weise  fortgesetzt  werde. 
Da  wir  nun  bereits  von  den  Illustrationen  dieser 
Zeitschrift  sprechen,  so  müssen  wir  betonen,  dass  die 
mannigfaltig  ausgeführten  und  in  nicht  unbedeutender 
Anzahl  beigegebenen  Illustrationen  nicht  allein  jeder 
billigen  Anforderung  entsprechen,  wie  dies  der  vorge- 
wiesene Holzschnitt  darthut,  sondern  in  den  meisten 
Fällen  grösseren  künstlerischen  Werth  haben.  Wir  wollen 
ausser  den  schon  erwähnten  Porträts  nur  hervorheben, 
von  Holzschnitten:  die  heil.  Familie  von  Giorgione.  die 
Madonna  von  Hubert  van  Eyck,  dieRadirungdes  Preller- 
schen  Bildes  Odysseus  bei  den  Heliosrindern,  die  Ab- 
bildungen der  bedeutendsten  Originale  der  Gallerie  zu 
Braunschweig,  wie :  des  Sündenfalles  von  Palma- Vecchio. 
des  Mädchens  mit  dem  Weinglase  von  Jan  van  der  Mer,  des 
Heirathsccmtracts  von  Jan  Steen,  des  Petrus  im  Hause 
des  Cornelius  von  Fabritius  nebst  vielen  anderen,  die  auf- 
zuzählen der  Raum  unserer  Zeitschrift  nicht  gestattet. 

Wir  glauben  beim  Abschluss  unserer  Besprechung  mit 
Recht  behaupten  zu  können,  dass  diese  Zeitschrift  ihrem 
Programme  bestens  entspricht,  dass  sie  der  .\ufmerk- 
.samkeit  und  eingehenden  Würdigung  jedes  Freundes 
der  Kunst,  sei  es  der  antiken  oder  mittelalterlichen,  oder 
der  modernen  wärmstens  anempfohlen  werden  kann, 
wünschen,  dass  sie  die  mit  so  gläuzeiideni  Erfolge  betre- 
tene Bahu  rüstig  fortwandle,  und  sehen  mit  Befriedi- 
gung bei  flüchtigem  Einblicke  in  die  wenigen  bis  jetzt 
erschienenen  Hefte  des  IV.  Bandes,  dass  auch  deren 
Inhalt  unseren  vollkommeu  verdienten  Lobspriich  bekräf- 


Dr.  Karl  Lind. 


Karl    l.ind.   —    [iraek  der  k    k.    Hof-  und  SuiUdnjctccrci 


XXXVII 


Römische  Inschriften  aus  Mitrovic. 

Der  Correspontlent  und  Reallehrer  in  Jlitrovic  Herr 
Zachariiis  Grnic  hat  an  diek.k.  Ceutral-Commission  über 
ncnordiugs  gemachte  Funde  antiker  Inschril'tsteine  be- 
richtet, deren  Texte  von  so  grosser  Wichtigkeit  sind, 
dass  sie  einem  weiteren  Kreise  mitgetheiit  zu  werden 
verdienen.  Der  genaue  Bericht  des  Herrn  Corresponden- 
ten  mit  trefflichen,  später  durch  den  Augenschein  be- 
stätigten Abschriften  liegt  der  folgenden  Untersuchung 
zu  Grunde. 

1.  Dem  alten  Brauhause  in  Mitrovic  gegenüber 
wurde  in  einem  dem  Baumeister  Herrn  Fuchs  gehörigen 
Garten  im  März  1867  bei  Fundamentgrabungen  ein 
Meilenstein  gefunden,  welcher  sechs  Fuss  unter  der 
Erde  von  Schutt  umgeben  in  der  Richtung  von  Ost  gegen 
West  lag,  die  Inschrift  nach  oben  gekehrt.  Hinter  ihm 
fand  man  die  Reste  einer  Grundmauer,  so  dass  es  den 
Anschein  gewinnt,  er  habe  au  der  Mauer  eines  Gebäudes 
gestanden. 

Der  Stein  ist  6  Fuss  8  Zoll  hoch,  bei  einem  Durch- 
messer von  22  Zoll ,  ist  aber  nicht  sorgfältig  rund  ge- 
meisselt,  sondern  zeigt  hie  und  da  Ecken  und  Erhebun- 
gen. In  der  äusseren  Ausstattung  weicht  er  von  den  ge- 
wöhnlichen Meilensteinen  ab ;  er  ist  aus  weissem  Marmor 
gearbeitet,  oben  mit  einem  aus  zwei  Rundstäben  und 
Hohlkehlen  gebildeten  Gesimse  und  nach  unten  mit  vor- 
tretendem Fusse  versehen.  Überdies  stand  er  ursprüng- 
lich auf  einem  gemauerten  Postamente,  das  auch  in  der 
unmittelbarsten  Nähe  gefunden  wurde  und  in  der  Mitte 
den  Rest  eines  Zapfens  aus  Blei  enthält,  welcher  ohne 
Zweifel  in  das  viereckige  Loch  gesteckt  war,  das  man 
an  der  unteren  Fläche  der  Säule  wahrnimmt  ';  endlich 
ist  auch  die  Inschrift  von  einem  seicht  gekehlten  vier- 
eckigen Rahmen  umgeben  ~. 

Die  Buchstaben  der  Inschrift  sind  nur  1 '/i  Zoll 
(31  Millim.)  hoch,  sehr  mager  und  seicht  gcmeisselt,  die 
Kanten  aber  scharf.  Der  Text  ist  selbst  vollkommen 
erhalten  und  gut  zu  lesen;  er  lautet: 

JI     P     V 

TMP  •  CAES  •  FLAVIV 

CONSTANTIVS  •  PIVS  •  FEL 

AVG  •  VICTOR  ■  MAXDIVS 

5  TRIVMFATOR  •  AETERNVS 

DIM  CONSTAKTINI  OPTIMI 

MAXIMIQVE  PRINCTPIS  •  DIVO 

RVM  MAXIMIANI  •  ET 

CONSTANTI  •  NEPOS  •  DI\^I 

10  CLAVDI •  PRONEPOS  PONTI 

FEX  MAXIMVS  GERMANIC 

sie 

ALAMAMNICVS  MAXIMVS 
GERM  •  MAX  •  GOHTICVS 
MAXIMVS  •  ADIABIN  ■  MAX 
15  TRIBVNICIAE  POTESTATIS 

'  Vgl.  den  Meilenstein  von  Kreuzerhof  zwischen  Völkermarkt  und  Kla- 
genfurt.   Archiv  für  v.ilerländ.   Gesch.  und  Tcpogr.   von  Kärnten  IV,  S.  54. 

=  Vgl.  die  Meilensteine  von  Hütlau,  Tweng,  Mauterndorf.  Von  Hefner 
In   den  llenkschrifteu  d.   k.   Akad.  d.   Wisseascii.   1.  Band,  nr.  20,  21,  22. 

XIV. 


XXXI  IMP  XXX  CONSVLI  VII 

PP  PROCONSVLI  VHS  MVNI 

TIS  PONTIBVS  REFECTIS 

RECVPERATA  REPVBLICA 

2U  QVINARIOS  LAPIDES  PER  IL 

LYRICVM  FECIT 

AB  .  ATRANTE  AD  FLVMEN 

SAVVM  MILIA  PASSVS 

CCCXLVI 

Die  Inschrift  bietet  mehrfaches  Interesse  dar.  Auf 
die  Siglen  der  ersten  Zeile  (MPV),  welche  weiter  unten 
im  Zusammenhange  mit  dem  Ausdruck:  „([uinarios 
lapides"  erklärt  werden,  folgt  zunächst  der  Titel  des 
Kaisers  Constantius,  welcher  von  der  ganzen  24zeiligen 
Inschrift  zwei  Drittel  in  Anspruch  nimmt.  Mit  dem  seit 
dem  HI.  Jahrhunderte  Mode  gewordenen  Schwulst 
werden  die  allgemeinen  Beinamen  aufgeführt:  pius, 
felix,  Victor  maximus,  triumfator  aeternus.  Dann  folgen 
Beinamen  bezüglich  auf  die  Abstammung  von  Kaiser 
Claudius  H.  (f  270),  die  aber  bekanntlich  nur  von 
mütterlicher  Seite  sich  herleitet;  diese  lauten:  „Divi 
Constantini  optimi  maximique  principis  (filius),  divorum 
Maximiani  et  Constanti(i)  nepos,  divi  Claudi(i)  pro- 
nepos-';  endlich  folgen  die  Amts-  und  Triumphaltitel: 
,,pontifex  maximus  ,  Germanicus  ,  Alamamnicus  (sie) 
Maximus,  Germanicus  Maximus  (wiederholt),  Gohticus 
(sie)  Maximus ,  Adiabinicus  (sie)  Maximus  ,  tribuniciae 
potestatis  XXXI,  Imperator  XXX,  consuh  (sie)  VII, 
proconsuli".  Erst  nach  dieser  langen  Titelfolge  kommt 
der  wesentliche  Inhalt  zum  Ausdruck:  viis  munitis,  pon- 
tibus  refectis  recuperata  re  publica  quinarios  lapides 
per  HljTicum  fecit.  Die  Schlussformel  ist  in  gewöhnli- 
cher Art  stylisirt:  „Ab  Atrante  ad  Humen  Savum  milia 
(sie)  passus  CCCXLVI. 

Kaiser  Constantius  IL,  geboren  im  Jahre  31 7,  wurde 
von  seinem  Vater  Constantin  dem  Grossen  im  Jahre  324 
zum  Caesar  ernannt,  erhielt  im  Jahre  335  bei  der  Thei- 
lung  des  Reiches  die  orientalischen  Provinzen  und  be- 
hielt sie  nach  Constantin's  Tode  (337).  Aus  seinem  Feld- 
zuge gegen  die  Perser  ist  von  neun  Schlachten  nur  ein 
entschiedener  Sieg,  jener  bei  Singara  348  bekannt  =. 
Nachdem  seine  Brüder  gestorben  und  die  meisten  seiner 
Verwandten  aus  dem  Wege  geräumt  waren,  zog  er 
gegen  seine  beiden  Nebenbuhler  Vetranio  (350),  dessen 
Heer  bei  Sardica  auf  Constantius'  Seite  übertrat,  und 
Magnentius  (351),  den  er  in  einer  von  Zosimus  (II  54) 
beschriebenen,  sehr  blutigen  Schlacht  bei  Mursa  (Esseg) 
mit  Mühe  besiegte.  Nach  dem  Tode  des  letzteren  353 
vereinigte  Constantius  die  Alleinherrschaft  des  Reiches 
wieder  und  führte  sie  bis  zu  seinem  Tode  (361"). 

In  demselben  Jahre,  in  welchem  unser  Meilenstein 
errichtet  wurde  (354),  zog  der  Kaiser  gegen  die  Häupt- 
linge der  Alemannen  Gundoraad  und  Vadomar,  welche 
häufig  Einfälle  in  die  gallischen  Provinzen  gemacht 
hatten;  das  bei  Chälons  sur  Saone  versammelte  kaiser- 
liche Heer  litt  grossen  Mangel  an  Lebensmitteln  und 
begann  darüber  schwierig  zu  werden.  Zugleich  riethen 
die  Wahrsager  des  Feindes  den  genannten  Häuptlingen 

^  Eutropius  X,  Ut.  —  .\inmianus  XVIII,  5. 


XXXVIII 


von  einer  Schlacht  ab;  diese  suchten  daher  bei  dem 
Kaiser  um  Friedeu  an,  indem  sie  ihm  Ergebung  antrugen. 
Bei  der  eigenen  schwierigen  Lage  nahm  Constautius 
das  Anerbieten  gerne  an  und  gewährte  nach  dem 
Wunsche  des  Heeres,  das  er  in  öfieutlicher  Ansprache 
dafür  gewann,  den  Frieden.  In  dieser  Ansprache  betont 
er,  dass  nicht  blos  der  Feind  für  besiegt  gelten  müsse, 
der  im  Treffen  der  Übermacht  der  Waffen  und  höherer 
Kraft  unterliege,  sondern  weit  sicherer  der.  welcher  sich 
freiwillig  unter  das  Joch  schmiege,  durch  Erfahrung 
belehrt. "dass  es  ,.uns  weder  an  Mutb  gegen  Empörer, 
noch  an  Milde  gegen  Uuterwürtige  fehle-  ».  Aus  dieser 
Anschauung  lässt  sich  wohl  alileiten.  dass  der  Kaiser, 
».bwohl  keine  .Schlacht  vorgefallen  war,  sich  den  Trium- 
phaltitel ,.Alamannicus''  beilegte. 

Soviel  sei  aus  der  Geschichte  dieses  Kaisers  zum 
Verständniss  der  Inschrift  bemerkt,  in  welche  nun  näher 
einzugehen  ist.  Die  allgemeinen  Titel  enthalten  nichts 
Auffallendes.  Pins,  Felix,  Augustus  sind  althergebrachte 
Beinamen  der  römischen  Kaiser.  Die  Ausdrücke  ,. Victor 
maximiis"  und  „Triumfator  aeternus-,  welche  sich  nicht 
blos  auf  die  von  dem  Kaiser  selbst  sondern  überhaupt 
auf  die  unter  seiner  Regierung  erfochtenen  Siege  beziehen, 
kommen  ähnlich  auf  dem  Meilenstein  in  Pesaro  ( Orelli 
1102)  vor  und  sind  noch  bei  weitem  nicht  die  crassesten 
Ausdrücke  offieieller  Schmeichelei ,  wie  ein  anderer 
Inschriftstein  zu  Sebenico  in  Dalm:itien  (Orelli  1098) 
lehrt,  der  den  Constautius  einen  au  Tapferkeit  und 
Glück  alle  Vorgänger  übertreffenden  Fürsten  (^virtute  et 
felicitate  omnes  retro  principes  snpergresso )  nennt.  Die 
auf  die  Abstammung  des  Kaisers  bezügliche  Stelle 
unserer  Inschrift  nennt  Constautin  den  Grossen  als  Vater 
und  da  dieser  ein  Sohn  von  Constautius  t^Chloriis)  war, 
letzteren  als  den  einen  Grossvater;  da  ferner  seine 
Mutter  Fausta,  die  Tochter  des  Kaisers  Maximianus 
Herculeus  war,  bezeichnet  der  Stein  diesen  als  den 
andern  Grossvater,  als  jenen  von  mütterlicher  Seite. 
Seltsam  ist  es  dabei,  dass  der  mütterliche  Grossvater 
an  erster,  der  väterliche  an  zweiter  Stelle  genannt 
wird.  Gewiss  hat  dies  gegen  die  officielle  Gewohnheit 
Verstössen  und  ist  als  ein  Fehler  des  Bildhauers  zu 
betrachten. 

Endlich  erscheint  als  Urgrossvater  der  Kaiser 
Claudius  IL.  auch  nur  indirecter  Weise  hereingezogen, 
indem  die  Mutter  des  Constautius  Chlorus,  Claudia,  nicht 
die  Tochter  des  Claudius  war,  sondern  seine  Kichte, 
eine  Tochter  nämlich  seines  Bruders  Eutropius. 

Getrennt  von  diesen  Bezeichnungen  der  Abstam- 
mung durch  die  Erwähnung  des  Poutiiicates,  die  wir 
füglich  unter  den  Amtstiteln  suchen  sollten,  werden  die 
Triumphaltitel:  Germanicus,  Alamaiinicns,  Gothicus 
Adiabinicus.  Jeder  mit  dem  Beiworte  -Maximus",  aufge- 
führt; sie  beziehen  sich  auf  die  schon  genannten  theil- 
weise  problematischen  Siege  gegen  Perser,  Sarmaten 
nnd  Alamannen;  da  die  Feldzüge,  die  Constautius  als 
Kaiser  gegen  die  Sarmaten  unternahm,  erst  in  die  Jahre 
.357  bis  359,  also  nach  Errichtung  der  in  Rede  stehen- 
den Strassensäule  fallen,  so  können  sich  die  Titel 
Sarmaticus  und  Gothicus  nur  auf  die  Theilnahme  des 
Constautius  an  den  FeldzUgen  Constantins  des  Grossen 
in  dessen  letzten  Lebensjahren  beziehen  (Eutrop.  X,  7). 

Die  nun  folgenden  Amtstitel  weisen  auf  das  Jahr 
354  als  Zeitpunkt  der  Errichtung  des  Denkmales  hin, 

'  AmmitDUi  XIV,  lU. 


indem  der  Kaiser  in  diesem  Jahre  das  siebente  Con- 
sulat  bekleidete ,  gemeinschaftlich  mit  seinem  Neffen 
Constautius  Gallus,  der  damals  dieselbe  Würde  zum 
dritten  und  letzten  Male  iune  hatte,  zum  letzten  Male, 
da  er  in  demselben  Jahre  noch  in  Pola  hingerichtet 
wurde  ^  Was  nun  endlich  die  letzte  Angabe  betrifft, 
die  allein  historischen  Werth  hat.  so  lässt  sich  aus  ihr 
die  Herstellung  der  Strassen  und  Brücken  in  Illyricum, 
d.  h.  nach  damaligem  Begriffe  in  den  Donauländern  vom 
Inn  bis  zum  schwarzen  Meere  (^Xoricum,  Pannonicn,  Mö- 
sien  und  Dalmatieu)  eoustatiren;  sie  bildet,  nachdem  der 
Friede  wieder  hergestellt  ward,  den  Abschluss  der  Thä- 
tigkeit  des  Kaisers  im  Donaugebiete.  Dieses  hatte  bis 
zur  Zeit  der  Errichtung  des  Meilensteines  besonders 
gelitten  durch  den  Krieg  gegen  Magnentius  im  Save- 
lande,  auf  welchen  wir  näher  eingehen  müssen;  denn 
sowohl  der  Ausdruck  „recuperata  republica-  als  auch 
die  Bestimmung  der  Route,  auf  die  sich  unser  Meilen- 
stein bezieht,  lassen  sich  daraus  erklären. 

Von  den  drei  Söhnen  Constantins  des  Grossen  fiel 
der  eine,  Constantin  der  Jüngere  durch  die  Ränke  seines 
Bruders  Constans,  der  hierauf  die  Regierung  im  Abend- 
lande an  sich  riss  und,  wenn  wir  den  Geschichtschrei- 
bern glauben  dürfen,  in  einer  Weise  führte,  welche  die 
allgemeine  Unzufriedenheit  der  Unterthanen  erregte, 
ein  Umstand,  den  Magnentius,  der  Comniandant  zweier 
Legionen,  der  von  Constantin  dem  Grossen  aus  niede- 
rem Stande  emporgehoben  ward,  benützte,  um  sich  des 
Thrones  zu  bemächtigen,  worauf  die  Ermordung  des 
Constans  erfolgte.  Diese  Usurpation  galt  in  den  Augen 
des  Constantins,  des  überlebenden  letzten  Sprossen 
Constantins  des  Grossen,  und  bei  seinem  Anhange,  als 
ein  unerhörter  Eingriff  in  die  Rechte  der  jungen  Erb- 
monarchie, abgesehen  von  der  Verwerflichkeit,  welche 
der  Mord  überhaupt  in  sich  hatte.  Auch  reizte  das 
Beispiel  des  Magnentius  den  Velranio,  der  die  Truppen 
in  Pannonien  befehligte,  zu  einem  ähnlichen  Unterneh- 
men auf,  indem  er  sich  in  Mursa  (Esseg)  zum  Kaiser 
ausrufen  Hess.  So  drohten  die  alten  Zeiten  der  Thron- 
prätendenten aus  dem  Feldherrenstande  wieder  zu 
kommen,  welche  während  der  Regierung  des  Gallienus 
das  Reich  an  den  Rand  der  Auflösung  gebracht  und 
gegen  welche  die  aus  Illyricum  stammenden  Kaiser  — 
die  grossen  Reformatoren  des  Staates,  Claudius,  .Aurelia- 
nus,  Pmbus  und  Diocietianus  —  mit  Energie  und  Erfolg 
angekämpft  hatten.  Die  Abwehr  derTbronanniassungen 
und  die  Behauptung  der  Einheit  des  Reiches  gehörte 
denn  auch  zu  den  Bestrebungen  des  Kaisers  Constan- 
tins; man  kann  daraus  abnehmen,  wie  tief  er  sich 
durch  die  verbrecherische  Unternehmung  des  Magnen- 
tius getroffen  fühlte.  Erwägt  mau  noch,  dass  die  Regie- 
rung des  Prätendenten  die  Unzufriedenheit  im  Abend- 
lande, namentlich  in  Rom,  erregte ,  so  ist  wohl  zu 
erklären,  wenn  sie  auf  einem  nach  seiner  Besiegung 
errichteten  Denkmale  zu  Rom  eine  „pestifera  tyrannis" 
genannt  wird  (Orelli  1101). 

Constantins  begann  denn  auch  ohne  Zögerung  den 
Kampf  mit  Magnentius  und  suchte,  um  in  der  Flanke 
gesichert  zu  sein,  vorläufig  einen  Vergleich  mit  Vetra- 
nio.  Bei  der  Zusammenkunft  mit  ihm  in  Kaissos  gelang 
es  dem  Kaiser  sogar,  durch  Erinnerungen  an  die 
Regierung  Constantin's  des  Grossen  die  Soldaten  des 
Vetranio  zur  Rache  an  Magnentius  zu  entflammen  und 

^  AmiD:aDus  XIX,  11. 


XXXIX 


gänzlich  auf  seine  Seite  zu  bringen,   worauf  Vetranio 
selbst  seinem  ünteruebmen  entsagte. 

Magnentius  war  von  Emona  (Laibach)  aus  Über 
Poetovio  (Pctlaii)  gegen  Pannonien  vorgerückt  und 
suchte  das  feste  Siscia  (Sissek)  zu  nelimeu,  um  den 
Übergang  über  die  Save  zu  bewerkstelligen  und  am 
rechten  Ufer  derselben  vorzurücken.  Allein  er  wurde 
von  der  Besatzung  von  Siscia  zurückgeschlagen.  Doch 
verfolgte  man  von  Constantius' Seite  diesen  Vortheil  nicht 
weiter,  da  der  Kaiser  die  ebenen  Gegenden  der  unteren 
Save  als  Terrain  für  die  Hauptschlacht  vorzog,  wo  er 
seine  Reiterei,  die  jeuer  des  Magnentius  überlegen  war, 
wirksamer  verwenden  konnte.  Er  gestattete  daher  dem 
Feinde  unbeiästigten  Rückzug  und  zog  seine  Truppen 
weiter  unten  bei  Cibala  (Vinkovce)  zusammen.  Kaum 
aber  hatte  Magnentius  in  dieser  Weise  Luft  bekommen, 
so  fiel  er  abermals  über  Siscia  her,  erstürmte  es,  über- 
schwemmte das  ganze  Uferland  an  der  Save,  recrutirte 
dort  und  rückte  weiter  nach  Sirmium  (Mitrovic),  den 
zweiten  strategisch  wichtigenHauptpunkt  desSavelandes, 
vor,  den  er  ohne  Schlacht  einzunehmen  hoffte.  Allein 
die  Besatzung  und  die  Einwohner  vertrieben  ihn  durch 
tapfere  Gegenwehr,  so  dass  er  sich  gegen  Mursa  (Esseg) 
wenden  musste,  um  es  einzunehmen  und  zum  Stützpunkt 
seiner  Operationen  zu  machen.  Es  fehlte  ihm  jedoch  an 
Belagerungsmaschinen ;  er  konnte  auch  hier  nichts 
Erhebliches  ausrichten,  zumal  da  die  Einwohner  seine 
Stürme  tapfer  abschlugen.  Auch  brach  nunmehr  der 
Kaiser  aus  seinem  Lager  bei  Cibala  hervor  und  griff 
Magnentius  an.  Es  folgte  eine  überaus  blutige  Schlacht, 
in  welcher  54.000  Mann  gefallen  sein  sollen.  Der  Sieg 
schwankte  lange,  blieb  aber  endlich  dem  Kaiser,  worauf 
Magnentius  entfloh  (352).  Er  versuchte  in  Oberitaiien 
noch  ein  zweites  Mal  das  Schlachtenglück  ohne  erheb- 
lichen Erfolg  6  und  brachte  sich,  da  ihm  als  dem  Un- 
glücklichen die  Verhältnisse  überall  ungünstig  wurden, 
selbst  ums  Leben  (353"). 

Somit  war  Constantius  wieder  Alleinherrscher,  das 
Reich  ward  wieder  in  seinem  ganzen  Umfange  als  ein- 
heitlicher Staat  hergestellt;  wohl  darauf  geht  der  Aus- 
druck unseres  Steines  „recuperata  republiea",  sowie 
die  Ausdrücke  ähnlichen  Sinnes  auf  anderen  Inschrift- 
Steinen,  z.  B.  ,..4ngustus  toto  Constantius  orbe  receptus" 
(Orelli  38),  „restitutori  urbis  Romae  atque  orbis  et  ex- 
stinctori  pestiferae  tyrannidis"  auf  dem  schon  genann- 
ten Steine  von  Rom  fOrelli  1101),  „conservatori  impcrii 
Roniani"  (Orelli  1102)  n.  s.  w. 

Das  Kriegswetter  in  diesem  Zweikampfe  zog  sich 
vorzüglich  in  der  Gegend  zwischen  der  Dran-  und  Save- 
miindnng  zusanmien ,  in  dem  Dreiecke,  welches  die 
wicliiigen  Punkte  Mursa,  Cibala  und  Sirmium  bilden. 
Die  Haupstrasse  des  Savelandes  verband  diese  Orte, 
sie  mochte  also  auch  dnrcli  den  Krieg  sehr  viel  gelitten 
haben.  Aber  auch  über  Mursa  hinaus  an  der  Drau  auf- 
wärts kann  eine  theiiweise  Zerstörung  der  Strasse  als 
Wirkung  des  Kampfes  angenommen  werden,  aus  fol- 
gendem Grunde.  Es  gab  zwei  Strassenzüge  im  Save- 
lande.  Die  eine  führte  am  rechten  Drauufer  bald  in 
grösserer  bald  in  geringerer  Entfernung  vom  Flusse,  von 
Poetovio  nach  Jlursa  und  verband  in  kürzester  Linie 
Oberitalien  mit  den  unteren  Donauländern.  Daher  wurde 
diese  Route  von  den  Pilgern  ins  heilige  Land  am  meisten 
benutzt,  als  die  Wallfahrten  nach  Jerusalem  begannen; 

'  Victur  epit.  42. 


auch  das  Itinerarium  Hierosolymitanum ,  welches  zum 
Zweck  der  Pilger  die  Reise  von  Bordeaux  in  Frankreich 
nach  Jerusalem  beschreibt  und  um  333,  also  19  Jahre 
vor  der  Schlacht  bei  Mursa,  abgefasst  worden  war', 
führt  auf  dieser  Strasse  an  die  untere  Donau,  indem  sie 
von  Aquileja  über  Emona  (Laibach)  nach  Atrans 
(Adrans,  heute  St.  Oswald  am  Trojanaberge  in  Krain), 
Celeja  (Cilli)  Poetovio  und  Mursa,  und  von  da  über 
Sirmium  und  Singidunum  (^Belgrad)  den  Weg  in  den 
Orient  einsehlägt. 

Die  zweite ,  um  vieles  ältere  und  in  strategischer 
Beziehung  wichtigere  Strasse  ist  jene  an  der  Save;  sie 
lief  von  Emona  aus  gerade  östlich  über  das  h.  Weixel- 
burg  undRudolphswörth  in  Krain,  folgte  dann  dem  Gurk- 
flusse bis  zur  Mündung  in  die  Save  und  weiter  dieser 
bis  nach  Sissek  (Siscia);  von  hier  aus  ging  sie  meist 
am  Südrande  des  Gebirges  über  Neugradisca  und  Brod 
noch  Vincovce  (Cibala)  und  Mitrovic  (Sirmium).  Ihre 
Ausdehnung  ist  grösser  als  jene  der  Draustrasse;  den- 
noch wurde  sie  in  Feldzügen,  die  sich  gegen  den  Orient 
bewegten,  in  der  Regel  eingeschlagen;  denn  es  lag  an 
ihr  das  überaus  wichtige  Siscia,  schon  seit  Tiberius' 
Zeiten  eine  Festung  ersten  Ranges,  welche  im  Vor- 
marsch zur  Rechten  oder  im  Rücken  liegen  zu  lassen 
nicht  räthlich  war.  Darum  wendete  sich  Magnentius 
von  Poetovio  sogleich  gegen  Siscia  und  nahm  es  beim 
zweiten  Versuche  wirklich  ein.  Auch  Julianus  Apostata, 
der  schon  genannte  Neffe  des  Constantius,  Hess,  als  er 
in  der  Folge  (360)  gegen  seinen  Oheim  zu  Felde  zog, 
die  dritte,  südliche  seiner  Heeressäulen  über  Emona 
nach  Siscia  vorgehen  s. 

Vergegenwärtigt  man  sich  nun  die  Stellung  der 
beiden  kämpfenden,  des  Magnentius,  der  nach  der  Ein- 
nahme von  Siscia  gegen  Sirmium  vorrückte,  und  des 
Kaisers  Constantius,  der  in  Cibala  sich  verschanzte,  wo 
die  Drau  und  die  Savestrasse  sich  sehr  nahe  kommen, 
so  erhellt,  wie  gross  die  Gefahr  für  ersteren  war,  in  der 
Flanke  durch  eine  Trnppenabtheilung  bedroht  zu  werden, 
welche  etwa  von  Cibala  aus  nach  der  Draustrasse  aufwärts 
zog  und  durch  eines  der  Seitenthäier,  die  vom  Krapina- 
flusse  und  von  der  Bednja  und  Lonja  gebildet  werden, 
hervorbrechen,  Siscia  überraschen,  einnehmen  und  so 
dem  Magnentius  den  Stützpunkt  seiner  Operationen  ent- 
ziehenkonnte. Es  ist  daher  sehr  wahrscheinlicii  und  war 
ein  Gebot  der  Vorsicht,  dass  Magnentius  auch  die  Drau- 
strasse unwegsam  machte  durch  Abtragung  der  Brücken 
und  durch  Zerstörung  des  Strassenkörpers  selbst.  Kur 
so  lässt  es  sich  erklären,  dass  schon  19  Jahre  nach  Ab- 
fassunff  des  Itinerarium  Hierosolymitanum,  zu  welcher 
Zeit  die  Drau-  oder  die  Pilgerstrasse,  wie  man  sie  auch 
nennen  kann,  in  gutem  Zustande  gewesen  sein  muss, 
ihre  Restauration,  die  unser  Meilenstein  bezeugt,  noth- 
wendig  wurde. 

Dass  aber  eben  diese  Strasse  es  war,  deren  Re- 
stauration unser  Meilenstein  verewigt,  lässt  sich  aus 
seiner  Distanzangabe  (v.  23,  24)  entnehmen;  sie  lautet: 
,,Ab  Atrante  ad  flumen  Savura  milia  passus  CCCXLVI", 
rechnet  also  von  Atrans  zum  Savefluss  346  millia  passus, 
von  denen  fünf  auf  eine  deutsehe  Bleile  geben.  Atrans 
ist  völlig  bestimmt.  Nach  den  Angaben  der  Tabula  und 
des  Itin.  Hierosol.  trifft  es  genau  mit  der  h.  Poststation 

■  Itinerarium  a  Burdigala  Hierusalem  usque  &c.  Aiisg.ibe  vfin  Wese- 
liDg  p.  549,  V.  Parthey  und  Pinder  p.  iCl.  cf.  Bernhardy,  Römisch.  Litlerr.lur- 
gesch.   III,  Bearbeitung  S.  G.iO. 

*  Vgl.  Wietersheim,  Gesch.  d.  Volkerwanderung  III,  291. 


XL 


St  Oswald  bei  Trojana  auf  der  Rcichsstrassc  zwiscbeu 
Cilli  und  Laibacb  nahe  an  der  Grenze  von  Krain  und 
Steiermark  zasanimcn.  Dagegen  ist  nubestimmt.  was 
man  unter  der  Bezeichnung  ,ad  Humen  Savuni-  zu  ver- 
stehen habe,  indem  von  der  ziemlich  laugen  Strecke, 
welche  dieser  Fluss  zurücklegt,  nur  e  i  u  bestimmter 
Punkt  gemeint  sein  kann,  und  zwar  ein  ausgezeichneter 
wichtiger  Punkt,  der  schlechtweg  mit  _ad Humen  Savura- 
bezeichnet  weiden  konnte,  ohne  dass  der  Leser  im 
Zweifel  über  den  Sinn  dieser  Bezeichnung  blieb.  Da 
nun  die  Entfernung  dieses  Punktes  von  Atrans  auf  34ö 
römische  Meilen  angegeben  wird,  so  mnss  er  an  der 
unteren  Save  gesucht  werden.  Hier  gibt  es  aber  nur  zwei 
ausgezeichnete  Stellen,  auf  welche  der  Ausdruck  des 
Meilensteines  bezogen  werden  könnte .  entweder  die 
Steile,  wo  die  Save  die  Stadt  Sirniium  i  Mitrovic )  berührt, 
oder  ein  Ort  nahe  an  ihrer  Mündung  in  die  Donau. 

Um  darüber  entscheiden  zu  können,  muss  zunächst 
bestimmt  werden,  in  welcher  Richtung  die  im  Meilen- 
stein envähnte  Strasse  von  Atrans  aus  zum  SaveHusse 
sieh  bewegte.  Es  gab  dafür  zwei  Eichtungen :  man 
konnte  entweder  über  Celeja  (Cilli).  Poetovio  (Pettau) 
längs  der  Drau,  also  über  Mursa.  nach  Sirniium  gelan- 
gen ;  dieser  Weg  betrug  nach  dem  Itinerariuni  Antonini 
(Wess.  p.  129)  300,  nach  der  Tabula  2i^6,  wobei  offen- 
bar einige  Zahlen  entstellt  sind,  endlich  nach  dem  Itine- 
rarium  Hierosol.  311  njjllia.  Oder  man  konnte  von  Atrans 
über  Emona  i  Laib:ich  i.  Pindolphswörth  durch  das  Thal  der 
Gnrk  und  von  deren  Mündung  in  die  Save  längs  der 
letzteren  nach  Siscia  und  weiter  über  Cibala  i  Vinkovcei 
nach  Sirmium  gelangen,  in  welchem  Falle  der  Weg  nach 
dem  Itinerarium  Antonini  35u  millia  ausmachte.  Schon 
von  vorneherein  gibt  uns  der  Name  Atrans  für  den  Aas- 
gangspunkt der  Eoute.  einen  Wink  über  deren  Piichtung. 
Wer  auf  dem  Wege  über  Aquileja  und  Emona  nach 
Sirmium  einmal  bis  Atrans  gelangt  ist.  wird  doch  wohl 
nicht  wieder  zurück  nach  Emona  gehen  und  von  hier 
aus  die  Reise  wieder  beginnen,  sondern  er  wird  von 
Atrans  weiter  über  Poetono  und  Mursa  direct  nach 
Sirmium  gehen. 

Doch  untersuchen  wir  die  verschiedenen  Richtun- 
gen und  Längen  der  Strassen ,  die  man  möglicherweise 
von  Atrans  aus  nach  Sirmium  verfolgen  kann .  und 
mluiien  wir  zunächst  an,  der  Ausdruck  ,ad  Humen 
Savvum-  sei  auf  Sirmium  zu  beziehen,  wo  die  Save 
die  Stadt  berührt :  dann  könnte  die  erste  der  beiden 
ebenangegebenen  Richtungen  nicht  gelten,  da  der  Mei- 
lenstein 346  millia  von  Atrans  weg  zählte,  während 
Sirmium  300  bis  311  millia  abliegf.  Dagegen  kommt 
der  Weg  über  Emona.  der  nach  "sirmium  350  millia 
sich  erstreckt ,  der  Angabe  des  Meilensteines  so  nahe, 
dass  man  versucht  sein  könnte,  diese  Route  für  die 
im  Meilensteine  gemeinte  zu  halten.  Aber  es  spricht 
dagegen,  wie  gesagt,  der  Umstand,  dass  man  in  diesem 
Falle  von  Atrans  nach  Emona  zurück  gehen  musste  und 
erst  von  hier  ans  gegen  O.sten  vorgehen  konnte,  wobei 
der  Reisende  einen  Imweg  von  50  millia  zu  machen 
hatte,  um  schliesslich  an  denselben  Punkt  zu  gelangen, 
den  er  von  Atrans  ans  geraden  Weges  ü"ber  Mursa  und 
\-iel  schneller  erreichen  konnte. 

Einen  andern  Weg  in  derselben  Zeit,  wie  über 
Mursa.  nach  Sirmium  zu  kommen,  gab  es  nicht:  der  Wc 
von  Atrans  nach  Poetovio  und  von  hier  durch  das  Kra*^ 
pinathal  über  Agram  und  Siscia  nach  Sinuinm  betrug 


371  millia.  kann  also  hier  nicht  in  Betracht  kommen. 
Parallel  zu  dem  Thal  der  Krapina  führen  die  Thäler 
zweier  anderer  kleiner  Wässer.  derBednja.  die  nordwärts 
Hiessend  sich  in  die  Drau,  und  der  Lonja,  die  südwärts 
fliessend  in  die  Save  sich  ergiesst.  Durch  diese  Thäler 
von  der  Drau  an  die  Save  nach  Siscia  ablenkend  betrug 
der  Weg  nach  Sirmium  356  millia,  also  10  millia  mehr 
als  der  Meilenstein  angibt.  Wenn  mau  auch  auf  diese 
Differenz  kein  Gewicht  legen  wollte,  so  könnte  man  doch 
diese  Route  nicht  lur  die  im  Meilenstein  benannte  halten, 
weil  erstlich  alle  Spuren  fehlen,  dass  in  den  Thälem  der 
Bediija  und  Lonja  eine  lieerestrasse  geführt  habe,  und 
weil,  selbst  wenn  eine  solche  vorausgesetzt  würde,  dabei 
ein  Umweg  von  56  millia  gemacht  werden  müsste,  um 
von  Atrans  nach  Sirmium  zu  gelangen,  also  ein  grös- 
serer selbst,  als  im  ersten  Falle  jener  über  Emona 
gewesen  wäre. 

Von  den  angegebenen  Richtungen  stimmt  daher 
keine  zu  der  Meilenzahl  unseres  Denkmals,  wenn  man 
den  Ausdruck  .ad  flumen  Savum-  auf  Sirmium  bezieht. 
Da  aber  eine  andere  Route  zwischen  Atrans  und  Sir- 
niium als  die  eben  verglichenen  von  Natur  aus  nicht 
gegeben,  und  da  die  kürzeste  unter  ihnen  und  mithin  die 
wahrscheinlichste  jene  über  Poetovio  -  Mursa  führende 
ist,  so  mnss  man  folgern,  dass  der  Ausdruck  >ad  Humen 
Savum^  nicht  auf  die  Save  bei  Sirmium  sich  bezieht, 
sondern  einen  unterhalb  Sirmium  betiudlichen  Punkt 
an  diesem  Flusse  bezeichne.  Dies  kann  nach  unserer 
-Ansicht  nur  ein  (Jrt  an  der  Mündung  der.Save  selbst  sein, 
in  nächster  Nähe  von  jenem  Orte,  der  in  der  Tabula 
unter  dem  Namen  Confluentibns  erscheint,  also  in  näch- 
ster Nähe  von  Taurunum  i  Semlin  i  am  linken  und  Singi- 
dnnum  (Belgrad'  am  rechten  Ufer.  Die  Entfernung 
zwischen  Sirmium  und  Singidunum  gibt  das  Itinerarium 
Antonini  ^p.  131 1  anf  ö'J.  das  Itinerarium  Hierosolvuü- 
tannm  auf  50.  die  Tabula,  die  übrigens  an  dieser  Stelle 
sicher  nicht  verlässlich  ist.  auf  38  millia  an.  Die  that- 
sächliche  Entfernung  beträgt,  wenn  man  die  geradeste 
Linie  über  Pecince  und  Ugrinovce  einschlägt,  was  die 
Terrainbildnng  vollkommen  gestattet.  45  bis  46  millia. 

Rechnen  wir  diese  letztere  Distanz  zu  den  Distan- 
zen, welche  die  beiden  Itinerarien  lur  die  Strecke 
Atrans-Poetovio-Mursa-Sirmium  ansetzen,  so  resultiren 
nach  dem  Itinerarium  Antonini :  3(.i0  -|-  45  oder  46,  zu- 
sammen 346.  nach  dem  Itinerarium  Hierosol.  311  -|-  -15 
oder  46.  zusammen  356  bis  357  Meilen,  ^'on  dem  letz- 
teren lässt  sich  aber  nachweisen,  dass  es  die  Entfer- 
nungen häufig  zu  gross  annimmt,  wie  z.  B.  zwischen 
Pultovia  (St.Lorenzeni  und  Poetovio,  die  statt  12  in  der 
Tliat  nnr  7  millia  beträgt,  so  dass  die  Gesammtsumme 
der  Meilen  bis  Sirmium  nicht  311,  sondern  höchstens 
3' ;6.  jene  bis  Singidunum  nicht  356,  sondern  351  be- 
trüge. Auch  sonst  mögen  Krümmungen  des  Weges  zur 
Verlängerung  beigetragen  haben,  die  man  bei  der  Re- 
.«tauration  der  Strassen  unter  Constantins  vermied;  lehrt 
doch  eben  die  Angabe  des  Itinerarium  Antonini,  dass 
man  von  Atrans  aus  nach  Sinnium  nicht  mehr  als  300 
millia  zurückzulegen  nötliig  hatte. 

Stützen  wir  uns  auf  die  letztere  Angabe  und  rechnen 
wir  dazu  die  factische  Entfernung  zwischen  Sirmium 
und  Singidunum  nnterVoraussetzung  einer  völlig  geraden 
Linie,  so  gelangt  man  zu  der  Zahl  345 — 346  als  Summe 
der  Meilen  zwischen  Atrans  und  Singidunum,  womit  die 
Angabe  des  Meilensteines  genau  übereinstimmt.  Übri- 


XLI 


gens  kann  aiu'li  die  Entfernung  zwischen  Sirniium  und 
Singidununi,  ohne  die  geradeste  Linie  zu  wählen,  so  an- 
genommen werden  wie  im  Itinerarium  Hierosol.  (mit  äU) 
oder  im  Itinerarium  Antoniui  (mit  52  millia),  wonach 
dann  der  Funkt  ,.ad  flumen  Savuni"  vier  bis  sechs  Millia 
von  Singidununi  entfernt  gewesen  wäre.  Als  sicher  aber 
darf  uns  gelten,  dass  der  letztere  Ort  in  nächster  Kähe 
der  Savemündung  lag,  ob  vier  oder  sechs  oder  nur  drei 
millia  davon  entfernt  oder  unmittelbar  an  der  Jlündung, 
hart  an  der  einen  oder  anderen  der  beiden  Festungen 
Singidununi  und  Taurunum  (Semlin),  ist  gleiehgiltig. 

Für  unsere  Vermuthuug,  dass  ^ad  üunien  SavuuT' 
nicht  bei  Sirmium ,  sondern  an  der  Mündung  der  Save 
oder  doch  in  ihrer  Nähe  zu  suchen  sei,  spricht  auch  der 
Umstand,  dass  ,,ad  flumen  Savum"  als  Endpunkt  der 
Route  genannt  wird;  wäre  Sirniium  derselbe  gewesen, 
so  hätte  auf  den  Meilenstein  nach  epigraphischer  Ge- 
wohnheit geschrieben  werden  müssen  entweder:  „Ab 
Atrante  Sirmium  m.  p.  CCCXLVI"  oder  einfach:  „Ab 
Atrante  m.  p.  CCCXLVI",  wobei  „Sirminnr"  eine  noth- 
wendig  aus  dem  Aufstellungsorte  sich  ergebende  Er- 
gänzung gewesen  wäre.  Da  aber  ausdrücklich  statt  Sir- 
mium „ad  flumen  Savum-'  geschrieben  ward,  so  muss 
der  letztere  Ort  vom  ersteren  oöenbar  verschieden  ge- 
wesen sein. 

Wohl  kann  man  gegen  diese  Darlegung  den  Ein- 
wand erheben,  dass,  wenn  „ad  flumen  Savum"  nahe  der 
Savemündung  lag,  der  Meilenstein,  daerden  Endpunkt  der 
Koute  erwähnt,  an  letzterer  hätte  aufgestellt  werden 
müssen,  also  eben  nahe  der  Savemündung,  nicht  aber  in 
Sirmium. 

Allein  dieser  Einwand  ist  nicht  stichhältig;  es  ist 
schon  oben  davon  die  Rede  gewesen,  dass  die  äussere 
Ausstattung  unseres  Denkmals  nicht  die  eines  gewöhn- 
lichen Meilensteines,  sondern  eine  reichere  sei,  welche 
es  insbesondere  auszeichnen  und  auffallend  machen 
sollte;  es  hat  in  Folge  dieser  Ausstattung  den  Character 
eines  Strassenbaudenkmales,  nicht  blos  eines 
einfachen  Wegzeigers.  Der  römischen  Sitte  ist  es 
durchaus  gemäss,  ein  friedliches  und  für  den  Verkehr 
bedeutsames  Ereigniss,  wie  die  Herstellung  der  Strassen 
und  Brücken  in  Illyricum  war,  durch  ein  iiischriftliches 
Denkmal  zu  verewigen ;  nicht  minder  wahrscheinlich  ist 
es,  dass  man  ein  solches  nicht  an  einem  entlegenen 
Endpunkte,  sondern  in  der  Hauptstadt  der  Provinz  auf- 
stellte, im  Centruni  des  Verkehres,  wo  sich  auch  ein 
kaiserlicher  Palast  befand ;  dort  hatte  es  als  die  Haupt- 
strassensäule  der  ganzen  Route  seinen  Platz.  —  Das 
Resultat  unserer  Forschung  besteht  also  darin,  dass  die 
in  unserem  Meilensteine  angegebene  Route  keine  andere 
als  die  im  Itinerarium  Hierosol.  angezeigte  sei,  die  von 
Atrans  über  Poetovio,  Mursa  und  Sirmium  an  die  Save- 
mündung führte  und  dass  der  Meilenstein  als  Denkmal 
des  in  den  Jahren  353  und  354  vollzogenen  Neubaues 
der  Strasse  an  dem  Hauptpunkte  derselben,  in  Sirmium, 
aufgestellt  worden  sei. 

Es  bleibt  noch  ein  Ausdruck  zu  erklären ,  der 
unseres  Wissens  zum  ersten  Male  auf  diesem  Denkmal 
erscheint,  der  Ausdruck  „quinarios  lapides"  in  Zeile  20. 
Quinarius  bezeichnet  die  Zusammensetzung  aus  tünf 
Ganzen  oder  fünf  Einheiten.  So  wurden  bei  Wasser- 
leitungen die  Röhren,  welche  einen  Durchmesser  von 
fünf  Quadranten  hatten,  fistulac  quinariae  genannt  (Fron- 
tinus  aquaeduct.  25);  die  kleine  römische  Silbermünze, 


weiche  fünf  Asses  darstellte,  erhielt  davon  den  Namen 
nmiiiinis  quinarius.  Auf  Meilensteine  angewendet  kann 
nun  quinarius  entweder  auf  die  äussere  Beschaffenheit 
derselben  gehen  und  ihre  Höhe  oder  ihre  Dicke  bezeich- 
nen, die  das  Fünffache  Irgend  einer  metrischen  Einheit 
betrugen,  oder  es  kann  sich  der  Ausdruck  auf  den  Sinn 
des  Wortes  „Meilenstein"  beziehen,  indem  dieser  Aus- 
druck auf  eine  von  zwei  Sleilensteiuen  begrenzte 
Strecke  übertragen  wird.  Alsdann  würde  „quinarius 
lapis"  eine  Strecke  Weges  bezeichnen,  die  aus  fünf  Ein- 
heiten des  Wegmasses  d.  h.  für  unsern  Fall  aus  5  millia 
(eine  deutsche  Meile)  bestünde.  „Quinarios  lapides  fecit" 
würde  dann  ausdrücken ,  dass  der  Kaiser  nicht  alle 
tausend  Schritte  sondern  nur  alle  fünftausend  Schritte 
eine  Meilensäule  errichtet  habe. 

Uns  scheint  der  letztere  Sinn  dieses  Ausdruckes  den 
Vorzug  bei  der  Erklärung  zu  verdienen.  Denn  es  wai' 
doch  völlig  gleiehgiltig,  ob  die  Meileusäuleu  fünf  oder 
sechs  Schuh  hoch  oder  dick  waren,  wenn  nur  die  Orts 
namen  und  die  Distanzen  richtig  angegeben  waren.  Es 
widerspriclit  dem  praktischen  Sinne  der  Römer  ganz  und 
gar,  eine  so  nebensächliche  Eigenheit  im  knappen  Text 
der  Inschrift  zu  erwähnen.  Dagegen  gehörte  es  zur 
Sache,  auf  dem  Denkmale  des  Strassenbaues  das  Weg- 
mass  anzudeuten,  das  der  Errichtung  der  Meilensteine 
zu  Grunde  lag.  Auf  den  einzelnen  Meilensteinen  genügte 
eine  kurze  Angabe  des  Systemes,  wie  dies  auch  auf 
unserem  Denkmal  geschehen  ist.  Nicht  anders  lassen 
sich  nämhch  die  Siglen  M  P  V  in  der  ersten  Zeile 
erklären,  denn  als  „millia  passuum  quinque"  d.  h.  der 
Stein  stand  von  dem  letztpassirten  Meilensteine  fünf 
millia  entfernt.  Indem  diese  Siglen  auf  jedem  der  neuen 
Meilensteine  ersichtlich  vraren,  gaben  sie  das  System 
des  Fünfmillia-Masses  völlig  deutlieh  an.  Ebenso  wird 
die  Münze ,  welche  fünf  Asses  hielt,  der  quinarius,  mit 
einem  V  bezeichnet,  wobei  das  Wort  asses  gedacht 
ist.  Auf  den  Steinen  würde  aber  das  einzeln  stehende 
V  zu  Irrungen  Anlass  gegeben  haben,  wesshalb  die 
Siglen  M  P  hinzugefügt  werden  mussten. 

Auffallend  sind  die  mehrfachen  Verstösse  gegen 
die  Orthographie  und  gegen  die  Genauigkeit  in  der 
Redaction  des  Textes  der  Inschrift,  wie:  Alamamnicus, 
Gohticus,  Adiabinicus,  milia,  oder  wie  die  Wiederholung 
von  Germanicus  (Z.  11  und  13),  die  dritten  Endungen 
in  den  Titeln :  consuli  (statt  consul  Z.  16)  proconsuli 
(statt  proconsul  Z.  17),  die  Fügung  milia  passus,  die 
Nennung  des  mütterlichen  vor  dem  väterlichen  Gross- 
vater, die  Aufiuhrung  des  Pontificates  vor  den  Triumph- 
phaltiteln  (Z.  10),  während  man  sie  nach  denselben  erwar- 
ten sollte,  endlich  die  Stellung  des  Titels  p.  p.  (pater  pa- 
triae) zwischen  Consulat  und  Proconsulat,  während  es 
nach  letzterem,  am  Ende  der  Titeln,  stehen  sollte.  Ob 
die  Schreibung  triumfator  (statt  triumpliator)  als  ein 
Verstoss  gegen  die  Orthographie  anzusehen  ist,  oder 
schon  damals  üblich  war,  und  ob  die  Schreibung  Adia- 
binicus auf  einen  griechischen  Bildhauer  gedeutet  wer- 
den könne ,  muss  dahin  gestellt  bleiben  9.  Die  ortho- 
graphischen und  stilistischen  Fehler  deuten  auf  eine 
des  Lateinischen  und  höchst  wahrscheinlich  auch  des 
Griechischen  nicht  sonderlich  kundige  Hand;  die  falsche 
Stellung  der  Beinamen  und  Titel  vcrräth  nicht  minder 
Unsicherheit   und   Mangel    an    Vertrautheit    bei    dera- 

'  In   Adiabeuicus   das    e   mit   dem    griechischen  t,    geschriebea   gedacht 
und  als  *  geleseil,  würde  die  Schreibung  Adiabinicus  erklären. 


XLU 


jenigen,  der  den  Text  rerfasste  und  die  Ausführung  be- 
:iuf>i(biig;e.  Diese  Mängel  wiegen  um  so  schwerer,  als 
das  Denkmiil  ein  otticielles  ist,  sie  geben  ein  vernehm- 
liches Zeugniss  für  den  Yerlall  der  epigraphischen 
Kunst  in  jener  Zeit. 

Das  Denkmal  gewährt  in  seiner  Inschrift  eine 
interessante  Parallele  zu  der  betreffenden  Route  des 
Itinerarium  Hierosolymitannm.  es  enthält  einen  Beweis 
der  uralten  Verbindung  zwischen  Morgen-  und  Abend- 
land sowohl  in  commercieller  Beziehung  als  auch  in 
Folge  der  Wallfahrten  in  das  heilige  Land.  Es  ist  somit 
ein  überaus  schätzbares  Monument  gerade  für  die  Ge- 
schichte der  Donauländer.  Um  so  erfreulicher  ist.  dass 
es  als  ein  Geschenk  des  früheren  Besitzers,  des  k.  k. 
Obersten  des  Peterwardeiner  Grenz-Regimentes,  Herrn 
von  Scharisch,  an  das  k.  k.  Antikencabinet  gelangte  und 
in  der  Sammlung  der  Inschriften  und  Sculpturen  im 
unteren  k.  k.  Belvedere  aufgestellt  werden  konnte.  Mit 
grösster  Liberalität  hat  die  k.  k.  Donau -Dampfschif- 
fahrts-Gesellschaft den  unentgeltlichen  Transport  des 
Steines  von  Mitrovic  bis  zu  den  Kaisermühlen  über- 
nommen. 

2.  Die  Eroberung  von  Dacien  (105  n.  Chr.")  hat  in 
den  altgewohnten  Verhältnissen  des.Savelandes  eine  Än- 
derung hervorgebracht,  indem  auf  längere  Zeit  hinaus 
die  directe  Bedrohung  desselben  von  Seite  der  jenseits 
der  Donau  wohnenden  Barbaren  aufhörte,  also  seine  strate- 
gische Wichtigkeit  mehr  zurück-  und  die  mercantile  mehr 
in  den  Vordergrund  trat.  In  dieser  Beziehung  war  seine 
Lage  von  der  günstigsten  Art,  indem  es  Oberitalien  mit 
Jlösien  und  Thracien,  also  die  abendländischen  mit  den 
morgenländischen  Provinzen  und  überdies  die  süd- 
lichen L&nder  mit  Pannonien  und  Dacien  verknüpfte. 
Die  Folge  des  eben  erwähnten  Umschwunges  war,  dass 
die  uralte  Hauptstadt  des  Landes  Siscia  an  Bedeutung 
verlor,  dagegen  .Sirmium  (Mitrovic)  mächtig  empor- 
blühte;  diese  untere  Savestadt  wurde  der  Brennpunkt, 
in  welchem  die  Verkehrslinien  von  allen  Richtungen 
her  zusammenliefen  und  sich  kreuzten,  von  Thracien. 
also  in  weiterem  Sinne  vom  schwarzen  Meere,  von  der 
Ostküste  des  adriatischen  Meeres,  von  Rom  über  Aqui- 
leja,  vom  biunenläudischen  Xoricum  und  Gallien  über 
Poetovio,  von  Pannonien  über  C'arnuntnm  und  Sabaria, 
welch  letztere  Stadt  den  Verkehr  mit  den  Germanen  Mit- 
tel-Europas und  mit  der  Ostseeküste  versah,  endlich  von 
Dacien  und  den  Ländern  des  südlichen  Rnssland.  Sir- 
mium war  für  das  IL  und  HL  Jahrhundert  das,  was 
Constantinopel  mit  dem  IV.  wurde,  nur  freilich  in  etwas 
beschränkterem  Sinne,  indem  die  letztere  Stadt  durch 
die  Lnge  am  Meere,  welche  Sirmium  fehlte,  ein  Welt- 
platz geworden  ist. 

Aus  dieser  tretfliehen  Lage  der  Stadt  zwischen  Orient 
und  Occident  erklärt  sich  eine  rasche  Zunahme  und  Ver- 
dichtung des  römischen  Lebens  und,  was  damit  innig 
zusammenhängt,  eine  verhäitnissmässig  sehr  frühe  auf- 
kommende Pflege  der  christlichen  Religion,  eine  Er- 
scheinung, die  durch  analoge  Fälle  aus  anderen  C'olonial- 
städten  vielfach  bezeugt  wird;  in  der  That  gehört  die 
Leidensgeschichte  der  Märtyrer  von  Sirmium  zu  den 
ältesten  Legenden.  Auch  hängt  mit  der  Lage  der  Stadt 
zusammen,  dass  hier  neben  der  lateinischen  die  grie- 
chische Sprache  geübt  ward  und  wenn  gleich  nicht  in 
so  reichem  Masse,  als  jene,  auf  Inschriftsteinen  ange- 
wendet erscheint. 


In  dieser  zweifachen  Beziehung,  sowohl  der  sprach- 
lichen als  der  religiousgeschichtlichen.  ist  eine  Insehrift- 
tafel  von  Interesse,  welche  ein  Grenzer  vor  etwa  13  J;ihren 
im  llofraume  des  Hauses  Xr.  73S  zu  Mitrovic  beim  Aus- 
graben eines  Sarkophages  fand.  Späterhin  als  Thür- 
schwelle  benützt,  wurde  sie  von  dem  schon  genannten 
k.  k.  Reallehrer  Herrn  Gruic  irenau  beschrieben  und 
betindet  sich  nunmehr  gleichfalls  als  ein  Geschenk  des 
k.  k.  Obersten  Herrn  v.  Scharich  in  der  Inschriften- 
samndung  des  k.  k.  .Antikencabinetes. 

Das  Denkmal  besteht  in  einer  Tafel  ans  weissem 
Mnnnor  von  28  Zoll  Länge,  20'/,  Zoll  Höhe  und  2  Zoll 
Dicke  und  zeigt  in  schönen,  etwas  schmalen,  gut  erhal- 
tenen Lettern,  von  denen  nur  in  der  untern  rechten  Ecke 
(vom  Beschauer  ans  gerechnet)  einige  fehlen,  lolgenden 
Text : 

Yn.\TeiA  ■  Ta)N  AecnoTcDX 

H.WÜDN'}'     .V\^   •  IO\  A  •  K(DNCT.\NTIO 
Y  ANIKHTOY  C6BACTOY  TOeKAI4>.V.\Y 
KtDNCTA.NTIO^    eni4»A\eCTATOY 
5  KGCAPOC  .A\H.\OC  2.ANAIKOYAKG 


oüOHeic 


A®CÜ 


THN 


MNH.UI    -i  XJ,>  v-v/    ANTA 
AVTHN  BACI.U.W  OCHPA. . . 
TG^THCVIOC 

'l,Tar£!a  rtüv  OcS— orcov  i5,uwv  OXavt'o'J  'lov/tov  Kuv- 
sravris'j  av!xr;rs-j  asßcc'jroO  rs  S  xxi  ^Ix-j  Kwvjravriov  £-'.- 
uavc5rar5-j  KiSasi,  fi.»;v5;  ZavQizsv  oz  £(?)  ('jJs)3-'jiJCT;('?) 
ü's  7r,-j  uv»;a>;v  avr"  a-Jrr,v  ßaot/iav  "Os-Jx  .  .  .  Tiiirr.g  vioj. 
Der  Schluss  fehlt. 

Die  Inschrift  bezieht  sich  also  auf  die  Errichtung 
eines,  wie  wir  glauben,  sepulcralen  Denkmales  am  24. 
Tag  des  Xanthikos  in  dem  Jahre,  in  welchem  „unsere 
Herren-  Flavius  Julius  Coustantius  (ll.i  _der  unbesieg- 
bare Kaiser-  zum  fünften  und  der  durchlauchtige  Caesar 
Constantius  (Gallus)  Cousulen  waren  (352);  es  ward 
zur  Erinnerung  (wessen?  mochte  einst  der  nun  fehlende 
Theil  besagen)  gegenüber  von  dem  kaiserlichen  Palaste 
selbst  errichtet. 

Das  fünfte  Consulat  des  Kaisers  Constantius  II. 
und  das  zweite  des  Caesar  Constantius  G.iUus  fällt  in 
das  Jahr  352  '»,  also  ein  Jahr  vor  dem  Tode  des  Mag- 
nentius  und  zwei  Jahre  vor  Errichtung  des  oben  bespro- 
chenen Meilensteines.  Auch  Monat  und  Tag  sind  be- 
stimmt. Zavc-'.«;  (nicht  ZAXAIKUX.  wie  der  Stein  fälsch- 
lich enthält,  sondern  HA-NöIKOÜi.  ist  bei  den  Macedo- 
niern  und  Gazaeern,  ferner  bei  den  Ephesiern  in  später 
Zeit  der  am  22.  Februar  beginnende  Monat  n.  oz  be- 
zeichnet den  24.  Tag  dieses  Monates  i-. 

Die  folf;enden  Zeilen  beziehen  sich  auf  die  Errich- 
tung eines  Denkmals,  das  nach  den  Siglen  A  .J  (1)  sehr 
wahrscheinlich  ein  sepulcrales  war;  der  Name  und  das 

'•  ReUodi  ftsti  consuUres  p.  367. 

"   P»uly  E.   E.  IV,  p.   18— iS. 

<-  D&55  in  so  später  Zeit  Dicht  mehr  die  arsprüngliehe  griechische 
Zählung  der  Tige  nacli  der  ersten,  zweiten  and  dritten  DekAde  des  Monates 
galt,  S'  ädern  tbeils  eine  fonlaufende  *,  theils  die  römische  nach  Noneu  and 
Idus  lässt  sich  nach  Kioftihrung-  des  Jutianischen  Kalenders  erwarten.  Ein 
Beispiel  gieU:  eine  gleichfalls  sehr  späte  Inschrift  bei  Osann  Sylloge  p.  3ß9 
nr-  ^6 ,  welche  als  Datum  {i-T,-n  'lo'jXto-i  Ö£x3t^  (r^ikii'i)  mit  der  Anzeige  der 
Ii^diccion  Terbindet. 

t*Dt«r  dra  christlicbca  IiuchrifteD  io  Böm  encbeiot  die  ent«  wcicll«  aacb  fort- 
laafeDdni  Tacc°  (die  tjoart«  Dccenbris)  tlhlt,  au  dem  iabr«  303.  SUtmi  la«crpt.  cbciss- 
^ttiM  RuBAc  Dr.  2S. 


XLTII 


Alter  des  Verstorbenen  mögen  in  der  Fortsetzung,  die 
nicht  mehr  erlialleii  ist,  genannt  gewesen  sein.  Es  war 
der  Stein  gegenüber  dem  kaiserlicben  Paläste  aufge- 
stellt (avr'  auTY^v  ßxtJMav);  aus  diesem  Grunde  ist  wobl 
nicht  daran  zu  denken,  dass  an  der  betretfendcn  Stelle 
das  Grab  des  Verstorbenen  selbst  sieh  befunden  habe, 
sondern  nur  eine  Erinnerungstafel  oder,  da  man  voraus- 
setzen kann,  dass  die  Tafel  in  irgend  ein  Postament 
eingelassen  war,  ein  entsprechendes  Bildwerk. 

Da  bei  Ba^dta  der  Zusatz  avT~  aür/jv  erscheint, 
so  lässt  sich  erwarten,  dass  diese  Localität  in  irgend 
einer  Rücksicht  ausgezeichnet  war,  so  dass  zur  Erhö- 
hung des  Nachdruckes  ccjTr,v  (ipso  praetorio  ex  adverso 
ponebatur)  beigesetzt  werden  konnte.  Wir  erhalten 
damit  einen  Wink  über  die  Lage  des  kaiserlicben 
Palastes  in  Sirmium;  ursprünglich  war  derselbe  wohl 
nur  ein  praetorium  im  Standlager,  wurde  aber  späterhin 
als  die  Kriege  mit  den  Sarmaten  permanent  wurden,  in 
eine  bleibende  Residenz  verwandelt,  die  wichtige  histo- 
rische Erinnerungen  für  sich  hat.  Sie  wurde  das  Haupt- 
quartier der  Kaiser  bei  den  Kriegen  gegen  Sarmaten 
und  Gothen,  wie  es  Carnuntum  für  die  Kriege  gegen  die 
Markomannen  war.  Hier  rüstete  Maximinus  (235 — 237) 
den  grossen  Krieg  gegen  die  Sarmaten,  der  aber  nicht 
zur  Ausführung  kam  (Capitolin  c.  13;  Herodiau  VH,  2); 
auch  Constantin  der  Grosse  rüstete  sich  hier  in  der  Zeit 
von  317  bis  324  gegen  Sarmaten  und  gegen  Licinius 
(Wietersheim  HI,  187) ;  seine  Söhne  theilten  in  Sirmium 
im  Jahre  338  das  Reich  unter  sich  und  Constantius  H. 
triuniphirte  hier  (358)  über  die  besiegten  Sarmaten  und 
hielt  sich  in  der  folgenden  Zeit  hier  auf. 

Der  Name  des  Errichtenden  ist  zur  Hälfte  zerstört; 
auch  von  dem  Beisatze  TGVTHC  VIOC  bleibt  es  zweifel- 
haft, ob  Teutes  ein  zweiter  Name  derselben  Person  sei, 
also  zu  OCnPA  .  .  .  gehöre,  oder  ob  „Sohn  der  Teute" 
übersetzt  werden  müsse.  Im  ersteren  Falle  würde  voraus- 
gesetzt werden  müssen,  dass  die  folgenden  (nicht  mehr 
erhaltenen)  Zeilen  den  Sinn  gehabt  haben,  dass  0.spra 
._..  Teutes  als  Sohn  etwa  seinem  Va*er  oder  seinen 
Altern  dies  Denkmal  widme.  Dies  scheint  uns  wahr- 
scheinlicher, als  der  zweite  Fall,  erstlich  weil  alsdann 
TGYTHC  als  Genitiv  nur  auf  einen  weiblichen  Namen 
(T6YTH),  also  auf  die  Mutter  bezogen  werden  kann, 
und  es  undenkbar  ist,  dass  der  Betreffende  seine  Mutter, 
statt  wie  gewöhnlich  geschah  seinen  Vater  genannt 
habe;  dann  weil  die  griechische  Bezeichnung  des  Vaters 
regelmässig  nur  durch  die  Setzung  des  Namens  des  letz- 
teren im  Genitiv  ohne  den  Beisatz  vii^  gebräuchlich  war; 
man  müsste  nur  annehmen,  dass  die  Inschrift  von  einem 
Manne  abgefasst  wurde,  der  nicht  rein  griechisch  sprach 
sondern  lateinische  Ausdrucksweise  im  Griechischen 
beibehielt.  So  unvollständig  nun  auch  das  Denkmal  ist, 
so  enthält  es  doch  sowohl  im  allgemeinen,  als  auch  für 
die  Localgeschichte  mannigfach  Belein-endes.  Es  nennt 
das  fünfte  Consulat  des  Kaisers,  den  Monatsnamen  Xan- 
thikos  und  das  Slonogramm  Christi  mit  den  Buchstaben, 
die  es  regelmässig  begleiten  und  deren  Sinn  ist,  den 
Anfang  und  das  Ende  aller  Dinge  in  dem  Namen  Christi 
zu  begreifen. 

Für  die  locale  Geschichte  ist  es  von  Wichtigkeit 
alsZeugniss  der  Anwendung  der  griechischen  Sprache  's 

"  Die  Schreibung  deutet  eben  auf  die  späte  Zeit,  welcher  die  Inschrift 
ansehört;  z.  B.  Ksjopo;,  EavoixoO  ujpOo,'>7|  statt  ((up)9iijf)Tj;  das  in  Zeile  7  er- 
scheinende dvToi  für  avTi  dürfte  -wohl  so  zu  erklären  sein,  dass  die  Präposition 
apostrophirt  und  das  folgende  Wort  a'j-.'r,-/  darangefügt  weiden  sollte  (dvx' 
aÜTTjvj,  der  Steinmetz  aber  das  a  zweimal  setzte. 


und  als  Denkmal  christlichen  Glaubens,  endlich  wegen 
der  Nennung  des  kaiserlichen  Palastes.  Nach  dem  Be- 
richte des  Herrn  Gruic  fand  sieh  gleichzeitig  noch  eine 
zweite  Tafel  mit  griechischer  Inschrift,  die  vielleicht  zu 
der  unserigen  gehörte;  leider  wurde  sie  verschleppt. 

3.  Ein  drittes  Denkmal,  das  in  Mitrovic  gefunden 
wurde  und  als  Pflasterstein  neben  der  Thorschwelle 
eines  Hau.ses  benutzt  wird,  ist  eine  Ära  aus  feinkörni- 
gem Sandstein  von  29  Zoll  Höhe  und  11  Zoll  Breite; 
eine  nähere  Auskunft  über  den  Fundort  vermochte  mau 
nicht  anzugeben.  Der  Text  lautet: 

sILVAno 

iLLATORi 

SACR 

L  MARCELLus 

5  dEc  CoL  nvk 

VSLM 

Herr  Gruic,  dem  auch  die  Abschrift  dieser  Inschrift 
verdankt  wird,  vermuthete  mit  Recht  die  angegebenen 
Ergänzungen  des  etwas  beschädigten  Textes,  welche  mit- 
hin lautet:  Silvano  Illatori  sacrum  L.  Marcellus  decurio 
coloniae  duumvir(alis?)  votum  solvit  laetus  merito.  Der 
Beiname  der  zweiten  Zeile  ist  zwar  verstümmelt;  nach 
dem  schmalen  Räume  der  Inschrift  kann  aber  nur  je  ein 
Buchstabe  zu  Anfang  und  zu  Ende  fehlen,  so  dass  die 
Ergänzung  mit  conservATORi,  die  am  nächsten  läge, 
nicht  statthaft  und  die  Ergänzung  mit  ILLATORI,  so 
eigenthümlich  sie  uns  anfänglich  dünkt,  wohl  die  beste 
ist.  Herr  Gruic,  dessen  Sorgfalt  im  Copieren  der  In- 
schrift durch  die  Copien  des  Meilensteines  und  der 
griechischen  Inschrifttafel  ausser  Zweifel  steht,  ver- 
sichert auf  das  bestimmteste,  dass  die  beiden  ersten 
noch  erhaltenen  Buchstaben  der  zweiten  Zeile  LL  seien. 
Demnach  erscheint  Silvanus  der  Flurgott  zugleich  als 
Erntegott,  der  das  glückliche  Einbringen  der  Feld- 
früchte  gewährt,  eine  neue,  mit  seinem  sonstigen  mytho- 
logischen Charakter  wohl   vereinbarliche  Eigenschaft. 

Die  in  Zeile  5  erscheinende  Titelbezeichnung  kann 
wohl  nur  decurio  Coloniae  (Sirmii)  duumviralis  gelesen 
werden,  d.  h.  der  Errichtende  sass  nicht  blos  überhaupt 
in  dem  Rathe  der  Colonie  (ordo  decurionum),  sondern 
er  hatte  bereits  in  derselben  auch  die  Stelle  eines  du- 
umvir  versehen  und  führte  seitdem,  obwohl  nach  Ablauf 
seines  Amtsjahres  in  die  Reihe  der  übrigen  decuriones 
zurückgetreten,  den  Beinamen  duumviralis. 

Den  Rang  einer  Colonie  erhielt  Sirmium  von  Kaiser 
Septimius  Severus  (193 — 211),  nachdem  es  schon  viel 
früher  durch  Kaiser  Trajanus  die  „Civität"  mit  dem 
Beinamen  Favium  erhalten  hatte  <*.  Unser  Stein  kann 
daher  nicht  vor  der  Regierung  des  erst  genannten 
Kaisers  errichtet  worden  sein.  Dr.  Kenner. 


Die  Pfarrldrclie  zu  Griöbming  in  Steiermark. 

(Mit  3  Holzschnitten.) 

Der  in  der  Obersteiermark  gelegene  Ort  Gröbming 
ist  sehr  alt.  Schon  frühzeitig  bestand  dort  eine  Pfarr- 
kirche, wie  uns  eine  Urkunde  des  St.  Peterstiftes  in 
Salzburg  aus  dem  Jahre  1160  lehrt,  indem  in  derselben 
dieses  Ortes  gelegentlich  eines  Gottesurtheiles  Erwäh- 

1*  Zumpt.  comm.  Epigraph,  p.  39C,  430. 


XLIV 


;,JJi;|MiM^SJ\iiiÄSMm^M§S&SS^^ 


T" 


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Vis-  1. 


»c«^ 


nuiig  gethan  wird.  Als  im  Jalirc  1210  Erzbischof  Eber- 
liard  das  Archidiaconat  in  Salzburg  vergrösserte,  er- 
scheint unter  den  neu  zugewiesenen  Pfarren  auch  jene 
zu  Griibenig  (Grübiiiiugl. 

Die  gegenwärtige  der  heil.  Jlaria  geweihte  Kirche 
ist  ein  Steinbau,  der  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts 
entstanden  ist,  wie  die  im  Innern  des  Gotteshauses 
befindlichen  Jahreszaj|j.len  1491  und  1500  bedeuten.  Ein 
halbes  Jahrhundert  fjiäterf  1353)  wurde  sie  durch  einen 
I5rand  arg  beschädigt  '.  Wann  die  Kestauration  geschah, 
darüber  schweigen  die  hi.storischen  Quellen. 

.  Die  Kirche  (Fig.  1  und  2)  ist  ein  einschiffiger  Stein- 
bau von  ungewöhnlicher  Breite,  der  gegen  Westen  mit 
einer  geraden  Wand,  gegen  Osten  mit  dem  dem  Lang- 
liause  in  der  Breite  fast  gleichen  Presbyteriinn,  das  mit 
fünf  Seiten  des  Achteckes  endet,  abgeschlossen  ist.  Das 
Langhaus  besteht  aus  vier,  das  Presbyteriura  nebst  dem 
Chorschlusse  aus  drei  Gewölbejochen.  Das  Schiff  hat 
eine  Länge  von  30°,  ist  6°  4'  breit  und  8°  5'  hoch; 
das  Presbvterium  ist  nur  6°  2'  breit,  8°  4'  hoch  und 

o  " 

9  5'  lang.  Zwei  Capellen,  je  eine  gegen  Norden  und 
Süden  des  vierten  Langiiausjoches  angebaut,  geben  der 
Kirche  annähernd  eine  Kreuzesform. 

Das  Gewölbe  des  Sciiiffes  ist  netzförmig  aus  riiom- 
benförmigen  Feldern  zusammengesetzt,  das  Gewölbe  des 
Ciiores  behält  wohl  thcilweise  auch  diese  Figur  der  ein- 
zelnen Felder  bei,  doch  ist  die  C'ombination  keineswegs 
mehr  eine  so  regelmässige.  Die  Rippen  im  Chor  und 
Schiffe  haben  kein  gleiches  Profil.  Diese  zeigen  vier 
Kchiungen  und  einen  staik  abgestumpften  Endansntz, 
jene  bestehen  aus  zwei  Kchiungen  und  dem  zugespitzten 
Mittcltheil.  Die  Langhausrippen  vereinigen  siclije  vier 
über  den  Wandpfeilcrn.  deren  auf  jeder  Seite  drei  ganze 

*  über  Anzeige  der  Zöchpröpste  Ulrich  AVyser  «nd  Jörg  Walch  an  den 
Bischof  Hieronymus  von  Chieuisee  am  21.  Augutit  1553  wegt-n  erfolgtem  Tod 
ihres  Pfarrers  Sebastian  Zottner  beauftragt  selber  den  l'riesler  llenedict 
Marpeuijtner,  den  Zuätand  der  Pfarre  zu  untersuchen  und  über  selbe  Bericht 
zu  erstatten,  was  mit  folgendem  geschali:  .,Un»er  lieben  Frauenpfarrkircbc  ist 
luftig  gewölbt,  hat  fünf  Altäri-  mit  Tafeln  (Klügclaltärej  und  Altartiicheru 
geziert,  aber  der  sechste  Altar  so  uiiaerer  Frauen  und  il"ctialtar  i^t.  ^amrnt 
Glocken,  Kircnciifensier,  Tach,  Uhr  und  Lampen  vormhi'chw.  Sakrament  ist 
Terbrünncn,  an  der  Mauer  und  Geweih  iiab  ich  kein  Schaden  gesehen.  Die 
Kriethofmaner  will  ertlich  abgebn.  Aber  es  Ist  wieder  ein  neu  Schardach  nit 
60  hoch  als  vor  gwcst  über  den  Kircheugowelb  aufgericht.  Auch  die  Glocken 
anders  gössen  worden,  welche  auf  den  Frelthof  in  ein  hölzera  Gerüst  auf- 
gemacht bis  maus  in  Thurm  aufzeucht**. 


und  zwei  halbe  aus  der  Wand  heraustreten.  Nach  ihrer 
Vereinigung  entwickelt  sich  als  Wandpfeiler- Vorlage 
ein  zu  drei  Viertheilen  freistehender cylindrischer  Dienst 
ohne  C'a))itäl,  doch  mit  besonderem  Sockel.  Aimlich 
geordnet  ist  auch  die  Rip]ieiiablagerung  im  Chor,  nnf 
dass  sich  hier  je  drei  Kippen  über  jedem  der  acht 
Wandpfeiler  vereinen  und  dass  der  Dienst  mit  einem 
kleineu  kelchartigen  Cai)itäi  versehen  ist.  Den  spitz- 
bogigen  Triumphbogen  ziert  eine  2'  9"  breite  reich 
gegliederte  Gurte;  die  Bogenöffnung  ist  5°  3    breit. 

Die  an  der  AVestseite  des  Langhauses  eingebaute 
und  mit  der  Kirche  gleichzeitige  Musikempore  ruhet  auf 
vier  achteckigen  und  in  zwei  Reilien  geordneten  Pfei- 
lern, welche  auf  Sockeln  stehen  und  die  drei  Gewölbe 
tragen,  von  denen  das  Jlittlere  netz-,  die  beiden  an 
den  Seiten  rautenförmig  sind.  Der  Aufgang  zum  Chor 
wird  durch  eine  steinenie  Stiege  vermittelt ,  welche 
im  ersten  Joche  zunächst  der  nördlichen  Aussenmauer 
erbaut  ist. 

Die  südliche  Seitencapelle,  der  heil.  Anna  geweiht, 
liegt  im  gleichen  Niveau  mit  dem  Kirchenchor,  zu  dem 
aus  dem  Langhause  eine  Stufe  führt.  Ein  grosser  Spitz- 
bogen vermittelt  den  Eingang  in  die  Capelie,  welche 
mit  einem  flachen,  reich  verschlungenen  Rippcngewöliie 
überdeckt  ist.  Die  Rip])en  verlaufen  sich  flieils  in  den 
Mauern,  tiieils  ruhen  sie  auf  schwachen  Eekdiensten. 
Die  Capelle  an  der  Nordseite  liegt  circa  10  Stufen 
höher  als  das  Presbvterium,  was  sich  dadurch  erklärt, 
weil  unter  ihr  eine  kleine  Gruft  angebracht  ist,  in  die 
jcdocli  der  Eingang  von  der  Aussenseite  der  Kirche 
führt.  Die  gegenwärtige  niedrige  und  schmucklose  Ca- 
])e]le  ist  aus  neuerer  Zeit  und  verdient  keine  besondere 
Beachtung. 

Das  Langhaus  hat  an  der  Südseite  zwei,  an  der 
Nordseite  ein,  die  südliche  ein  S]iitzbogiges  Fenster. 
DasPresbyterium  erhält  sein  Tageslicht  durch  drei  spitz- 
bogige  Fenster  im  Chorschlusse  und  ein  kleines  und 
ein  grösseres  an  der  Südseite.  Sännntliche  Fenstt'r  sind 
mit  Masswork  geschmückt,  das  kleinere  an  der  Südseite 
und  die  an  der  Nordseite  sind  zweitheilig,  die  übrigen 
dreitheilig.  Im  Masswerk  sieht  man  neben  dem  Drci- 
uud  Vierpasse  die  Fischblasenforiu.   Im  Presbyteriutu 


XLV 


H h 


loxrAj 


Fi£ 


sind  die  Pfosten  in  der  Mitte  durch  einen  Kreis  ver- 
bunden. Das  grosse  spitzbogige  Fenster  an  der  West- 
seite ist  vermauert.  Zwei  Ivleine  Fenster  an  den  Seiten 
daselbst  sind  nocli  otfen  geblieben. 

Die  Kirche  hat  drei  Eingänge,  einen  kleinen  spitz- 
bogigen  rechts  im  Presbyterium,  an  der  Südseite  des 
Langhauses  einen  spitzbogigen  etwas  verzierten,  und 
endlich  an  der  Westseite  den  Haupteingang  (Fig.  3), 
vor  dem  sich  gegenwärtig  ein  hölzerner  Vorbau  befin- 
det ,  statt  des  früheren  gothischen  von  Stein ,  von 
welchem  noch  wenige  Eeste  übrig  sind. 

Die  Aussenseite  der  Kirche  ist  höchst  eiufiich.  Wir 
finden  der  inneren  Eintheilung  entsprechend  an  den 
Mauern  die  Strebepfeiler  hervorti-eten ,  welche  an  den 
westlichen  Ecken  über  Eck  gestellt  sind.  Dieselben 
verjüngen  in  ersten  Drittel  der  Gebäudehöhe,  dess- 
gleichen  im  zweiten  Drittel  und  schliessen  mit  einem 
viereckigen  über  Eck  gestellten  Säulchen  fialenartig  ab. 
Dieser  letztere  Schmuck  ist  jedoch  nur  den  Strebe- 
XIV. 


Fiff.   3. 


bauten    des    Laughauses    eigen 


die    ganze 


Das  mn 
Kirche  laufende  Dachgesimse  ist  einfach  profilirt,  dess 
gleichen  der  das  ganze  Gebäude  umfangende  Sockel. 
Als  besonderer  Schmuck  des  Chors  erscheint  eine 
zweite  Gesimsleiste,  welche  in  der  Strebepfeilerhöhe 
angebracht  ist. 

Das  ganze  Gebäude  ist  mit  einem  gemeinschaft- 
lichen hohen  Satteldache  überdeckt. 

Noch  ist  des  Thurmes  Erwähnung  zu  thun,  der 
sich  an  der  Nordseite  neben  der  Capelle  und  sich  an 
die  beiden  ersten  Joche  des  Presbyteriums,  in  das  auch 
die  Mauer  etwas  hineinragt,  anschliessend  befindet.  Er 
ist  aus  Bruchstein  erbaut,  hat  eine  quadratische  Grund- 
form, die  er  bis  zu  seinem  gegenwärtig  durch  eine 
schwerfällige  Kuppel  hergestellten  Abschiuss  beibehält. 
Bis  zum  vorletzten  Geschoss  zeigt  er  einfach  gothischen 
Charakter,  im  uniersten  Stockwerke  befindet  sich  die 
Sacristei,  darülier  die  Schatzkammer,  jetzt  eine  Capelle. 
Den  Aufgang  zum  Thurm  vermittelt  eine  aussen  ange- 
baute Wendeltreppe,  zu  welcher  der  Eingang  vom  Chor 
ausführt.  Über  dem  ersten  Stockwerke  setzt  sich  die 
Stiege  im  Thurme  selbst  fort. 

Das  Äussere  der  Kirche  hat  durch  bisherige  Re- 
staurations-  und  Erhaltungsarbeiten  wohl  mehr  gelitten, 
als  durch  den  Zahn  der  Zeit. 

Es  ist  zu  bedauern,  dass  die  Strebepfeiler  und 
Gesimse  verstümmelt,  die  Portale  beschädigt,  die  Wände 
mit  Verputz  und  Weissigung  verunstaltet  sind.  Das 
Erdreich  hat  sich  im  Laufe  der  Zeiten  rings  um  die 
Kirche  erhöht,  und  es  erscheint  nothwendig  auf  der 
Nordseite  das  an  der  Mauer  aufgehäufte  Erdreich  zu 
beseitigen  und  einen  Graben  zu  ziehen,  damit  Wasser 
und  Schnee  die  Mauer  nicht  beschädigen  können. 
Eine  Eestauration  des  Äussern  so  wie  des  Innern  wäre 
sehr  erwünscht,   müsste   aber  gründlich  vorgenommen 


XLVI 


werden,  insbesondere  müsste  alle  fehlende  Steinmetz- 
arbeit ergänzt  werden. 

Weniger  kostspielig  wäre  die  Kestiiurirung  des 
Innern,  da  kein  eigentlich  constriictiver  Thcil  beschä- 
digt ist.  Die  Pfeiler,  Gewölbe.  OLWölbcrippcn ,  Mass- 
werke der  Fenster  sind  ditrchselmittlich  im  guten  Stand. 

Als  Aufgabe  der  Restauration  im  Innern  muss 
daher  zunächst  bezeichnet  werden:  die  Entlernnng  der 
Kalktünche;  falls  sich  an  den  Wänden  und  Gewölben 
Spuren  ehemaliger  ^lalereien  finden,  sind  diese  Male- 
reien zu  restauriren.  und  zu  ergänzen;  endlich  müssen 
die  drei  Fenster  des  Chorschlusses  reichere  Glasmale- 
reien haben;  die  Fenster  sind  strenge  im  Styl  der 
spätem  Gothik.  sowohl  in  den  figuralen  als  in  den  orna- 
mentalen Theilen  durchzuführen :  die  übrigen  Fenster 
der  Kirche  sind  in  einfacher  Weise  mit  ornamentalen 
Malereien  zu  versehen ;  die  Kanzel  und  die  sämmtlichen 
.Altäre  sind  zu  beseitigen  und  durch  neue  zu  ersetzen. 
nur  ein  älterer  ganz  wcrthvoller  Flügelaltar  wäre  nach 
entsprechender  Wiederherstellung  wieder  zu  verwenden. 

Die  Kirche  verdient,  dass  sie  mit  Hedacht  restau- 
rirt  werde,  indem  auf  diese  Weise  eine  Kirche  geschaf- 
fen wird,  die  nicht  nur  einen  erhebenden  und  erfreu- 
lichen Eindruck  auf  die  Gemeinde  machen  würde,  eine 
Kirche,  die  nicht  nur  an  und  für  sich  den  Aiifordernn- 
gcn  entspricht ,  sondern  wodurch  auch  ein  höherer 
Zweck  erreicht  werden  könnte.  Es  würde  zugleich  ein 
Muster  aufgestellt,  wie  eine  Kirche  eingerichtet,  ins- 
besondere wie  eine  Kirche  des  XV.  Jahrhurderts  restau- 
rirt  werden  soll,  ein  Muster,  das  auf  Hebung  des  Kunst- 
sinns und  der  Kunsibildung  der  Gemeinde,  wie  des 
Clerus,  vom  grös,sten  Einfluss  sein  würde.  Mit  der  Auf- 
gabe der  Restauration  wird  zugleich  die  höhere  Aufgabe 
gelöst  werden,  die  Ausstattung  der  Kirchen  in  jener 
Gegend  überhaupt  in  eine  bessere  Richtung  zu  drängen. 

...d... 

Inschriften  aus  Pola  und  Risano. 

Po  1  a. 

Am  Clivo  di  S.  Ginliana  in  der  Nähe  der  B.  V.  for- 
mosa  zu  Pola  wurde  im  Herbste  1867  eine  Tafel  von 
griechischem  Marmor  gefunden,  welche  21 V4  Zoll  hoch. 
15  Zoll  breit  und  ly,  Zoll  dick  i.st  und  eine  Inschrift 
von  17  Zeilen  enthält.  Ein  der  k.  k.  C'entral-Commission 
zugekommener  Papierabdruck  derselben  zeigt  kleine 
ziemlich  seichte  und  schmale  Buchstaben  von  6 — 7 
Linien  Höhe.  Die  Inschrift  lautet: 

IN  COLOXIA  ■  IVLIA  •  PO 

LA  •  POLLENTIA  •  HERf'VLANEA 

REFEREXTIBVS  P  •  MVTTIENO     PRIS 

.  CO  •  ET     C  ■  MAECIO  ■  HISTRO  •  n     VIR 

5  NON  SEPT  • 

QVod  vERBA  FACTA  SVNT  •  SETTIDIVM 

ABASeaNTVM     PRAETER  PROBITA 

TEM  Vitae  cVM  EA  SOLLICIT\  DINE 

ADQuE  INdustRIA  •  DELEGATVM     SIBI 

10      OFFICIVM  in  INSVLA  MINERVIA     TVERI 

VT  NON  soLVM  CONTENTVS  SIT  •  CVRA  AC 


DILIGentia  rELIGIONI  PVBLICAE  SATISFA 

CERE  VERum  etlAM  QVAEDA3I  l'ROPRIO  SVM 

tV  SVO  AD  EXCOLENDVM  LOCVM  EXCOGITET 

15  atque  in  PENDAT  ET  PROPTER  •  HOC  TALIS  ADFECTI 

onis  merita  ex  PVBLICO  REMVNERANDA 

esse  decretum  est  ab  (?)  ILLIS  POR  PVBLIC  GRAtias 

(Schluss  fehlt). 

Die  Einleitung  der  Inschrift,  welche  die  fünf  ersten 
Zeilen  einnimmt,  lautet  also:  In  colonia  Julia  Pola  Pol- 
lentia  Herculanea  referentibus  Publio  Muttieno  Prisco 
et  Cajo  Maecio  Histro  duoviris,  nonis  Sejitcnibribus. 
Es  folgt  hierauf  der  motivirte  Antrag,  über  welchen  die 
Duoviri  rcferirt  hatten:  quod  vcrba  facta  suut.Settidium 
Abascantum  j)raeter  probitatem  \"itae  cum  ea  sollicitn- 
dine  atque  industria  delegatuui  sibi  officium  in  iusula 
Minervia  tueri,  ut  non  tantum  contentus  sit,  cura  ac 
diligentia  religioni  pubjicae  satisfacere,  verum  etiam 
qnaedani  sumtu  suo  ad  excolendum  locum  excogitet 
atque  impendat,  et  propter  hoc  talis  adfectionis  merita 
ex  publico  remuneranda  esse,  decretum  est  ab  (?)  illis 
pro  (?)  publico  (porro  publice  ?)  gratias  (^agendas  esse  ?) 

Der  Schluss  fehlt  leider:  auch  die  letzte  Zeile  ist 
schwer  zu  ergänzen;  da  ,,illis-*,  wenn  es  ein  selbstän- 
diges Wort  für  sich  ist,  nur  auf  die  Duoviri  gehen  kann, 
so  mnss  eine  Bezeichnung  ihres  Schlussantrages  erwar- 
tet werden;  ob  das  POR,  das  auf  dem  Steine  möglicher- 
weise auch  POP  gelautet  haben  kann,  als  porro  oder 
als  ein  Fehler  (statt  pro),  oder  wie  es  anders  zu  fassen 
ist,  bleibe  dahingestellt.  Ebenso  ist  an  der  linken  Seite 
des  Beschauers  ein  von  der  7,  bis  zur  13,  Zeile  reichen- 
der schmaler  Streifen  beschädigt ,  der  durch  die  in 
f'urrentsclirift  angezeigten  Ergänzungen  bezeichnet  ist. 
Der  Conservator  des  Küstenlandes  Herr  P.  Ritter  von 
Kandier  hat  das  Denkmal  im  zweiten  Jahrgang  der 
Zeitschrift  ,.la  Provincia"  Nr.  4  publicirt;  wir  .-ind  seinen 
Ergänzungen  zum  grössten  Theile  gefolgt ;  nur  in  Zeile  9, 
wo  er  adque  <  impari  pericia  ergänzt,  haben  wir  die 
Ergänzung  adque  industria  aufgenommen,  weil  nach 
dem  Papierabdruck  der  Raum  für  zwei  Wörter  nicht  aus- 
reicjien  dürfte  und  von  dem  zerstörten  Worte  die  End- 
silbe RIA.  welche  auf  industria  schliesseu  lässt,  völlig 
erhalten  blieb.  Zur  letzten  Zeile  hat  er  keinen  Vorschlag 
der  Ergänzung  gemacht. 

Die  Inschrift  gehört  in  die  ziemlich  reiche  Classe 
jener  Deukniälcr  öffentlicher  Anerkennungen,  wie  wir 
sie  auch  aus  anderen  Colonialstädten  erhalten  finden. 
Sie  hat  daher  ein  vorwiegend  locales  Interesse,  in 
welcher  Beziehung  Herr  v.  Kandier  sie  zu  den  wich- 
tigsten ans  Pola  stammenden  zählt,  Settidins  Abascan- 
tus  hatte  wahrscheinlich,  durch  die  Wahl  der  Dccurionen 
berufen,  das  Amt  eines  Viertelmeisters,  wenn  wir  uns 
so  ausdrücken  dürfen ,  in  einem  kleinen  Theile  der 
Stadt  Pola  zu  versehen,  welcher  von  dem  dort  liegen- 
den Minervatemi)el  ,,insula  Minervia"  hiess.  Sein  „offi- 
cium" mag  wesentlich  jidlizeilicher  Art  gewesen  sein, 
indem  er  für  die  Sicherheit  und  für  Erhaltung  des 
Tempels  der  Wege  u,  dgl.  zu  sorgen  hatte.  Er  hat 
aber  nicht  blos  in  dieser  Beziehung  und  in  herkömm- 

'  Es  muss  ftafmcrksam  pcmacbc  werden,  dass  die  Srhrcibung  „adque'* 
statt  atque  auch  in  der  Trie>tluer  Inschrift  ähnlichen  Inhaltes  vorkommt. 
Kandtor,  Indicazjoui  per  ricoooecerc  le  cose  storicbe  del  littorale,  p.  226, 
Nro.  32. 


xr.vir 


lieber  Weise  den  Forderungeu  seiner  öffentlichen  Stel- 
lung gewissenhaft  Genüge  geleistet  (religioni  ptiblicae 
satisfacere),  sondern  ein  Mehreres  gethan,  indem  er 
selbst  Entwürfe  für  die  Verschönerung  des  Platzes, 
(quaedam  ad  excolendum  locum  exeogitet),  machte  und 
sie  auf  eigene  Kosten  ausführte.  Auch  sonst  war  er 
ein  Ehrenmann;  umsomehr  fanden  sich  Bürger,  wahr- 
scheinlich Dccurionen  (Mitglieder  des  Gemeinderathes) 
bewogen,  einen  Antrag  an  den  ordo  decurionum  auf 
eine  öffentliche  Danksagung  zu  stellen.  Darüber  berich- 
teten die  Zweimänner  der  Stadt,  die,  weil  ihre  Namen 
zur  Bezeichnung  des  Jahres  dienten,  mit  vollem  Namen 
genannt  werden,  in  einer  am  .5.  September  (nonis  Sep- 
tembribus)  ihres  Amtsjahres,  das  wir  alier  nicht  bestim- 
men können,  abgehaltenen  Sitzung;  in  derselben  wurde 
der  Antrag  angenommen  und  daraufhin  die  Tafel  auf- 
gestellt. Es  gibt  uns  diese  einen  interessanten  Beleg  für 
die  Behandlungsweise  ötfentlicher  Angelegenheiten  im 
städrisehenRathe,  die  jener  des  römischen  Senates  nach- 
gebildet war;  zugleich  aber  erinnert  sie  uns  an  mehrere 
ähnliche  Gemeindebeschlüsse,  die  ähnliclie  Verdienste 
ehren.  Sehr  selten  kommen  grössere  und  wichtigere  An- 
lässe für  die  Errichtung  von  Gedenktafeln  vor,  was  auch 
bei  der  arg  beschränkten  Autonomie  der  Gemeinden  in 
der  römischen  Kaiserzeit  erklärlich  ist. 

Im  Jahre  546  hat,  wie  Herr  v.  Kandier  hervor- 
hebt, der  heil.  Maximianus,  Erzbischof  von  Ravenua, 
einen  alten  Tempel  zu  Pola  in  eine  Kirche  der  heil. 
Maria  formosa  umgebaut.  Diese  Nachricht  erhält  durch 
den  Fund  unserer  Tafel  eine  überraschende  Bestäti- 
gung, indem  sie  in  der  Nähe  der  genannten  Kirche 
gefunden  ward  und  nicht  mehr  zweifeln  lässt,  dass 
jener  umgebaute  Tempel  der  der  Minerva  war. 

Wichtig  zumal  für  die  Datirnng  der  Inschrift  sind 
die  Beinamen  von  Pola;  Julia  Pollentia  und  Herculanea. 
Der  erste  ist  der  älteste,  er  geht  auf  die  Zeiten  des 
Kaiser  Augustus  zurück.  Der  zweite,  Pollentia,  wird 
von  Herrn  v.  Kandier  auf  die  Mutter  des  Kaisers  Ve- 
spasianus  Polla  zurückgeführt,  welche  daselbst  wohnte; 
es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  der  Kaiser  nach  man- 
nigfachen Änderungen  in  der  Administration  des  Kü- 
stenlandes und  bei  der  der  Stadt  Pola  bewiesenen 
Sorgfalt  ihr  diesen  Beinamen  seiner  JIntter  zu  Ehren 
gegeben  habe.  Den  letzten  endlich,  Herculanea,  deutet 
Herr  v.  Kandier  auf  Kaiser  Commodus  (18U — 192), 
der  den  Beinamen  Hercules  führte;  für  das  Ende  des 
II.  Jahrhunderts  spricht  auch  die  Form  der  Buchsta- 
ben und  die  etwas  weitläufige  Textirung  der  Inschrift. 

R  i  s  a  n  0. 

Bei  der  Umackerung  eines  Grundstückes  in  der 
Nähe  von  Risano  •  am  Golfo  di  Risano  bei  Cattaro  kam 
man  1867  auf  einen  Inschriftenstein,  welcher  2  Fuss 
10'/^  Zoll  hoch,  1  Fuss  10  Zoll  breit  und  11  Zoll  dick 
war.  Der  Text  lautet : 

C     STATIVS     C     F 

SERG  •  CELSVS  • 

EVOC  •  AVG  ■  DONIS  • 

DONATVS  •  BIS  •  CORONA. 

5  AVREA  ■  TORQVIBVS. 

'  Der  Ort  kommt  nntor  dem  Namen  'PiCiov  bei  Polybios,  als  'Pijdvn 
bei  Ptoicniaeus,  als  RiciDium  bei  Pliujus,  als  Rucimum  beim  Ravenn.iteD  vor. 
Korbiger  III,  p.  S42. 


PHALERIS  •  ARMILLIS  • 

OB  TRIVMPHOS  •  BELLI 

DACICI  •  AB  •  IMP  •  CAESA 

RE  •  NERVA  •  TRAIANO  •  AVG 

10  GERM  •  DAG  •  PARTHICO 

OPTIMO  9  LEG  •  W,  ■  GEMKAE  • 

IN  •  HISPANIA  •  T  •  P  •  I  •  ET  EPVLÜ 

DEDICAVIT  Q 

Cajus  Statins  Caji  filius,  (tribu)  Sergia  Celsus, 
evocatus  Augusti  donis  donatus  bis  corona  aurea  tor- 
quibus  phaleris  armillis  ob  triuniphos  belli  Dacici  ab 
imperatore  Caesare  Nerva  Trajano  Augusto  Germanico 
Dacico  Parthico  optimo,  ceuturio  legionis  septimae 
geminae  in  Hispania  titulum  poni  ju.ssit  et  Epulo  dedi- 
cavit. 

Evocati  Augusti  hiessen  jene  Soldaten  ,  welche 
zwar  ihre  Dienstzeit  schon  vollendet  hatten,  aber  bei 
Ausbruch  eines  Krieges  dem  Aufgebot  des  Kaisers, 
wieder  in  den  Heeresdienst  einzutreten  freiwillig  Folge 
leisteten;  es  war  dies  eine  Massregel,  welche  einem 
neugebildeten  Heere  erprobte  Elemente  beimischte  und 
den  Eintretenden  die  nächste  Aussicht  auf  Beförderung 
gab;  aus  Inschriften  sind  zahlreiche  Beispiele  nach- 
zuweisen, welche  scliliessen  lassen,  dass  solche  .A.uf- 
gebote  mit  Freuden  befolgt  wurden. 

Als  solcher  evocatus  Augusti  machte  unser  C.  Sta- 
tins Celsus  die  denkwürdigen  zwei  .dacischen  Feldzüge 
des  Kaisers  Trajan  mit,  welche,  in  der  Zeit  von  lUü  bis 
105  n.  Chr.  unternommen,  zu  der  letzten  Eroberung  der 
Römer,  zu  jener  des  weitausgedehnten  dacischen  Landes 
führten.  Sei  es,  dass  er  schon  damals  Ceuturio  der 
Vn.  Legion  war,  oder  dies  erst  in  Folge  des  Krieges 
wurde,  jedenfalls  bewies  er  grosse  persönliche  Tapferkeit 
und  vollbrachte  glückliche  Thaten,  die  er  freilich  nicht 
allzu  bescheiden  „Triumphe  des  dacischen  Krieges" 
nennt.  Obwol  die  Inschrift  den  Krieg  nur  in  der  Einzahl 
nennt,  dürfen  wir  annehmen,  dass  mit  dem  einen  Krieg 
beide  Feldzüge  gemeint  sind,  da  er  zweimal  decorirt 
wurde.  Die  Auszeichnungen  sind  die  gewöhnlichen; 
am  ersten  Platze  genannt,  auch  die  grösste,  war  die 
Corona  aurea  (vallaris  oder  castrensis)  für  die  Er- 
stürmung eines  feindlichen  Walles,  ein  goldener  Kranz, 
dessen  Bildung  wohl  auch  auf  die  That  anspielte;  ferner 
erhielt  er  die  ,,phalerae",  eine  aus  mehi-eren  metallenen 
mit  Bildwerk  verzierten  Scheiben  bestehende  Decora- 
tion ,  welche  an  sich  kreuzeudem  Riemwerk  auf  der 
Brust  getragen  wurden.  Die  torques  sind  Halsketten 
oder  Halsreife,  die  armillae  Armbänder,  die  man  am 
Oberarm  trug.  Diese  Auszeichnungen  bestanden  aus 
edlem  Metall,  die  meisten  wohl ,  wo  nicht  ausdrücklich 
Gold  genannt  wird,  aus  Silber.  Die  Decorirung  nahm 
ohne  Zweifel  der  Kaiser  selbst  vor,  da  er  in  jenen 
Feldzügen  den  Oberbefehl  persönlich  führte. 

Für  die  Zeitbestimmung  sind  die  in  Zeile  lü  ange- 
führten Trinmphaltitel  des  Kaisers  von  Wichtigkeit, 
da  unter  ihnen  auch  der  Beiname  Parthicus  genannt 
wird.  Denselben  nahm  Kaiser  Trajan  an  im  Jahre  115. 
es  kann  also  unser  Stein  nicht  vor  demselben  gesetzt 
worden  sein.  Ferner  erscheint  der  Name  des  Kaisers 
ohne  den  Zusatz  „a  divo  imperatore  etc."  der,  wenn 

g* 


XLVTII 


von  einem  schon  verstorbenen  Kaiser  die  Rede  ist, 
hiiiznirefiiiTt  wird :  es  ninss  also  Kaiser  Trajan  zur  Zeit 
der  Errichiung  unseres  Denkmales  noch  am  Leben 
gewesen  sein.  Da  er  nun  117  n.  Chr.  starb,  so  miiss 
das  Denkmal  in  der  Zeit  von  115  bis  117  errichtet 
worden  sein. 

Damals  lag  die  siebente  Lejrion  in  .Spanien:  auch 
der  Ceniurio  lebte  dort  und  veranlasste  von  dort  aus  die 
Errichtung  des  Denkmales  in  Kisano  ,  wahrscheinlich 
seinem  Geburtsorte,  wie  denn  auch  der  folgende  lu- 
schriftstein  beweist,  dass  die  Familie  der  Statu  hier  zu 
Hause  war.  Daher  steht  ausdrücklich  „in  Ilispania-  auf 
dem  Steine,  was  nicht  uothwendig  gewesen  wäre,  weun 
Statins  in  Dalmatien  gelebt  hätte.  Die  Siglen  der  zwölf- 
ten Zeile  und  der  folgende  Znsatz  klären  uns  auch 
darüber  auf,  dass  derCentnriodie  Errichtung  des  Steiues 
letztwillig  angeordnet  habe  und  dass  diese  Bestimmung 
von  seinem  Freigelassenen  —  Epnlo  ist  der  Xanie  eines 
Sclaven  —  vollzogen  wurde,  indem  dieser  zugleich  das 
Denkmal  dem  Andenken  seines  Herrn  widmete.  Wäre 
dies  nicht  der  Fall  gewesen  und  hätte  Statius  den 
Stein  noch  bei  seinen  Lebzeiten  errichtet,  so  würde  der 
letzte  Zusatz  völlig  unklar  sein. 

Die  legio  VII.  gemina  lag  seit  Vitellius  in  Spanien; 
ein  beträchtlicher  Theil  derselben  machte  die  dacisehen 
Feldzüge  mit,  wie  mehrere  in  Siebenbürgen  gefundene 
Inschriften  beweisen.  Nach  diesem  Kriege  kam  sie 
wahrscheinlich  bald,  wie  unser  Stein  beweist,  sicher 
zwischen  115  und  117  wieder  nach  Spanien  zurück  und 
blieb  daselbst. 

Aus  demselben  Fundorte Risano  stammt  eine  zweite 
Inschrift,  welche  man  unweit  des  Amtsgebändes  der 
k.  k.  Prätur  auf  dem  Grunde  Do  nur  1  Fuss  4  Zoll 
unter  der  Erde  auffand.  Sie  befindet  sich  in  einem 
Postament  eingelassen  von  ll'/,  Zoll  Länge  und  Breite; 
auf  dem  Postament  erhebt  sich  eine  Säule,  die  nach 
oben  sich  rasch  verjüngt,  aber  gebrochen  ist.  In  einer 
Höhe  von  LS  Zoll  läuft  ein  Band  um  den  Rumpf, 
welches  mit  kleinen  Ornamenten  (Blumenkelchen)  ge- 
schmückt ist.  Die  Schriftfläche,  9'/j  Zoll  im  Quadrat 
gross,  lautet: 

C  •  STATIO  •  C     F  •  SER 

RESTITVTO     AN  •  XV  ■ 
51  •  \1  •  H  •  VI  ■  ET  •  SHC  ■ 
STATIVS  •  VAL  (?)  •  FI     C.E 

5  SIA  •  SEC\'NDA  •  PA 
REXT  ■  HL     POSVER 

.Cajo  Statio  Caji  filio  (tribu)  Sergia  Restituto 
(vixit)  annos  quindecim  menses  sex  horas  sex  =  et 
.Seccius  (jf)  Statius  Valerii  filius,  Caesia  (^V)  Secunda 
parentes  filio  posuerunt.- 

Der  Name  Statius  erscheint  hier  wieder  als  ein  in 
Risano  einheimischer,  an  zwei  Gliedern  einer  Familie; 
der  jüngere  Cajus  Statius  Restitutus  starb  mit  15  Jahren 

6  Monaten  und  6  Stunden.  Die  Altern,  welche  ihm  den 
Stein  setzten,  sind  Seccius  Statius,  Sohn  des  Valerius 

-  Da&  H  der  dritten  Zeile  k&nn  sovohl  „hor&f'^  bedeuten,  wonach  der 
Verstorbene  genaa  15t/x  Jahre  und  6  Stunden  gelebt  haben  miis5te;  f'der  es 
kann  alb  griechisches  H  aafgefasst  und  i^iLt^a^  gelesen  werden  ,  wonach  die 
I.ehensdauer  15'/.  Jalire  und  G  Tage  betragen  hatte.  Die  erste  Auslegung  h.it 
mehr  für  sich,  als  die  letzte  ,  zu  deren  Gunsten  angeführt  werden  könnte, 
dass  auch  in  Zeile  'd  der  Name  Seccitis  nicht  mit  SEC  sondern  SHC  ab- 
gekärzr.  also  griechisch  gedacht  war. 


und  Caesia  (?)  Secunda.  Der  Stein  nennt  letztere  beide 
die  Altern,  den  erstem  den  Sohn:  allein  ein  leiblicher 
Sohn  des  Seccius  Statius  kann  Cajus  nicht  gewesen 
sein,  weil  er  in  Zeile  1  als  rC'iiji  filius-  genannt  wird, 
während  der  in  der  Inschrift  augeführte  Vater  den 
Namen  Seccius  führt.  Daher  wird  wohl  anzunehmen 
sein,  dass  Seccius  und  Caesia  an  C.  Statins,  mit  welchem 
sie  aJlerdings  verwandt  gewesen  sein  mögen.  Altern- 
stelle vertreten  haben.  —  Die  Anwendung  des  H  statt 
E  im  Worte  SHC  in  Zeile  3  deutet  darauf  hin.  dass  der 
Steinmetz  ein  Grieche  war,  was  bei  der  örtlichen  Lage 
des  Ortes  sehr  wahrscheinlich  ist.  F.  Kenner. 


Üter  die  Regeneration  der  Heraldik  und  den  gegen- 
wärtigen Standpunkt  dieser  Wissenschaft. 
I. 

Unter  den  zahlreichen  historischen  Nebenfiicheni , 
welche  der  Geschichtsforscher  ebensowenig  als  der 
Archäologe  übersehen  darf  —  unter  jenen  speziellen 
Wissenszweigen,  welche  für  den  Hauptstamm  dasselbe 
sind,  was  ein  korinthischer  Porticus  für  einen  Tempel: 
Stütze  und  Zierde  zugleich  —  finden  wir  auch  einen 
Gegenstand ,  der  einestheils  einer  alten .  Iäng8t\er- 
gangenen,  doch  farbenreichen  und  biklerliebenden  Zeit 
angehört,  anderestheils  aber  noch  immer  sehr  in  das 
tägliche  Leben  eingreift,  und  an  dem  Kunst  und  Iniln- 
strie,  Luxus  und  Mode  noch  immer  den  regsten  Antheil 
nehmen. 

Ich  meine  die  Wappenkunde,  d.  i.  die  Wissen- 
s  c  h  a  f  t  jener  charakteristischen  S\'mbole,  jener  mitunter 
eigenthümlichen  und  geheimnissvollen  Bilder,  welche  in 
Verbindung  mit  der  Familiengeschichte,  Biographie,  Ge- 
nealogie, Sfragistik  und  Diplomatik  eine  so  mächtige 
und  brauchbare  Hilfe  für  die  Spezialgeschichte  gewor- 
den ist:  ich  meine  aber  auch  die  Kunst  des  Blasen,  mit 
ihren  aparten  und  bizarren  Fonuen,  welche  sich  in  ihrer 
Anlage  und  Entwicklung  organisch  dem  Geschmack  und 
Geist  der  verschiedenen  Jahrhunderte  angepasst  hat. 
lind  als  ein  eigener  Zweig  der  bildenden  Kunst,  nament- 
lich der  zeichnenden  und  der  Ornamentik,  Beachtung 
verdient. 

Die  Heraldik  nun  hat  in  neuester  Zeit  einen  merk- 
^vürdigpn  Umschwung  erfiihren.  eine  Änderung,  welche 
am  besten  zu  vergleichen  ist  mit  jener,  die  der  gelehrte 
Niebuhr  in  der  Geschichtsforschung  hervorgerufen 
hat,  eine  so  gründliche  Läuterung  und  Umgestaltung, 
dass  sie  nunmehr  einen  wesentlich  andern  Standpunkt 
einnimmt  als  früher,  und  dass  sie.  ich  dart'  sagen,  voll- 
berechtigt in  den  Kreis  der  historischen  Wissenschaf- 
ten, beziehungsweise  auch  der  Culturgeschichte  einge- 
treten ist. 

Es  sei  mir  zunächst  gestattet,  einen  flüchtigen  Rück- 
blick auf  die  Behandlung  und  die  Vertreter  der  Heral- 
dik im  17.,  IS.  und  in  der  ersten  Hälfte  des  U».  Jahr- 
hunderts zu  werfen,  hierauf  die  Reorganisation  dieser 
Wissenschaft  etwas  näher  zu  beleuchten .  endlich  den 
heutigen  Stand  der  Wappenkunde  einer  kurzen  Betrach- 
tung zu  unterziehen,  und  zum  Schlüsse  ihre  National- 
charaktcristik  mit  einigen  Zügen  anzudeuten. 

Doch  bevor  ich  hierauf  eiii^^ehc.  kann  ich  es  mir 
nicht  versagen,  einer  .Ansicht  .\usdruck  zu  verleihen, 
welche  vielleicht  nicht  ganz  unzeitgemäss  sein  dürfte. 


XLIX 


leb  habe  wäbrend  meiner  Studien  unrl  Arbeiten  im 
Fache  der  Heraldik  und  Geschlechterkunde  so  häufig 
die  Meinung  anhören  müssen,  dass  derlei  Forschungen 
ganz  und  gar  dem  Zeitgeiste  entgegen,  jedes  prakti- 
schen Wortes  entbehren,  und  tiiglich  heutztuage  unter- 
lassen werden  können  und  sollen.  Derlei  Äusserungen 
musste  ich  mitunter  auch  an  solchen  Stellen  vernehmen, 
bei  welchen  gerade  ein  besonderes  Interesse,  um  nicht 
zu  sagen,  eine  gewisse  Verpflichtung  l'iir  Erhaltung  und 
fachmännische  Benützung  von  heraldischen  und  spezial- 
historischen Objecten  vorauszusetzen  wäre. 

Ich  hingegen  hal)e  von  jeher  der  Auffassung  gehul- 
digt, dass  der  zusammengehörige  Kreis  der  historisch- 
heraldischen Fächer  schon  als  Wisseuschaftsganzes 
einen  gegründeten  Anspruch  auf  Pflege  und  Beachtung 
besitze;  und  überdies  habe  ich  in  unzähligen  Fällen 
Gelegenheit  gehabt  mich  zu  überzeugen,  dass  sich  die 
Vernachlässigung  der  Heraldik,  Genealogie  und  Fami- 
liengeschichte nicht  nur  bei  scientifisclien  Bestrebungen, 
sondern  auch  in  unendlich  vielen  praktischen  Fällen  des 
täglichen  Lebens  sehr  unangenehm  rächt. 

Diejenigen  also,  welche  in  dem  Heraldiker  und 
Genealogen  nur  einen  Vertreter  von  feudalen  Theorien 
«attern ,  welche  ihn  des  Versuches  beschuldigen ,  dem 
Strome  der  Gegenwart  entgegenzuarbeiten,  und  das 
Mittelalter  wieder  in  die  Mode  bringen  zu  wollen  —  die 
irren,  wenn  auch  häufig  mit  Absiebt  und  Vorbedacht. 

Ich  habe  vor  einiger  Zeit  in  diesen  Blättern  '  die 
Behauptung  gewagt,  dass  gerade  diese  Wissenschaften 
ein  noch  tieferes  und  eingehenderes  Studium  erfahren 
würden ,  wenn  weder  Adel  noch  Wappen  im  thatsäch- 
lichen  Gebrauch  sein  würden;  analog  allen  jenen  Wis- 
senschaften, welche  absolut  antik,  sich  einer  giossen 
Beliebtheit  und  eifrigen  Forschung  erfreuen.  —  Um  so 
angenehmer  hat  es  mich  berührt,  dass  der  ausgezeich- 
nete Heraldiker,  Dr.  Otto  Titan  v.  Hefner  in  München, 
im  2.  Bandes  seines  „Adelichen  Antiquarius-  1867,  die- 
selbe Idee,  als  von  einem,  leider  nicht  citirten  ,.nordi- 
sehen  Historiker''  ausgesprochen  anführt,  und  ihr  im 
Ganzen  beistimmt. 

In  so  ferne  aber,  als  der  Wappen-  und  Geschleeh- 
terkundige  seinen  besten  Stoff  und  das  gediegenste 
Material  aus  dem  Mittelalter  schöpft,  gehört  er  und  seine 
Wissenschaft  der  Alterthumsforschung  an  —  und  ich 
glaube,  ich  brauche  es  wohl  nicht  besonders  zu  begrün- 
den, dass  ich  sage :  So  lange  es  c i v i  1  i s i r t e  Men- 
schen gibt,  so  lange  wird  es  auch  Alterthums- 
forscher  geben! 

So  wie  jede  andere  Lehre  ist  nuch  die  Heraldik 
aus  dem  Leben  und  der  Praxis  entstanden ;  allein  indem 
die  Erfindung  und  Anwendung  des  Sehiesspulvers  und 
der  Feuerwaffen  eine  ganz  neue  Epoche  hervorrief  und 
dem  Ritterthum  ein  Ende  machte ;  indem  durch  die 
vollkommen  veränderte  Kriegskunst  die  beiden  Schutz- 
wafleu,  Schild  und  Helm  allmälig  verschwanden,  so  ver- 
schwanden damit  auch  diejenigen  Theile  der  ritter- 
lichen Rüstung,  welche  vor  allen  dazu  bestimmt  waren, 
zugleich  die  Träger  der  Wappenfigureu  und  SchiKlbil- 
der  zu  sein.  Kun  bemerken  wir  aber,  dass  je  weiter 
wir  uns  von  dem  Ritterwesen  entfernen,  und  je  mehr 
wir  in  der  neueren  Zeit  herabrücken,  desto  mehr  ver- 
liert sich  auch  das  Verständuiss  der  alten,  echten  He- 


'  XT.  Jahrgang.  September-Octoberheft  X86G ; 
Ton  Dr.  Otto  Titan  v.  Hefner  in  München.'' 
-  pag.  376. 


„Das  heraldische  Institut 


roldskunst,  und  macht  einer  höchst  willkürlichen  Auf- 
fassung Platz,  der  man  es  auf  den  ersten  Blick  ansiehi. 
dass  ihr  das  eigentliche  Wesen  der  Sache  total  abhan- 
den gekommen  ist.  Wenn  uns  die  Renaissance  im 
A\'appenstyl,  trotz  mancher  1,'nricbtigkciten  und  einer 
gewissen  Mauierirtheit  dennoch  meist  schöne  Formen  — 
im  heraldisch-ornamentalen  Sinn,  und  nicht  selten  einen 
anerkeunenswerthen  Geschmack  zeigt,  so  leidet  hinge- 
gen schon  der  darauffolgende,  vorzüglich  im  vorigen 
Jahrhundert  blühende  Rococostyl  au  taktloser  Über- 
ladung, auBeseitigungderHauptsache und  Begünstigung 
der  Nebendinge,  woraus  deutlich  genug  resultirt,  wie 
unendlich  fremd  der  richtige  Begriff' eines  Wappens  den 
Heraldikern  und  noch  mehr  den  Künstlern  jener  Zeit 
geworden  ist.  —  Wo  möglich  noch  trostloser  sieht  es 
vom  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bis  in  die  ."lOer  Jahre 
des  unsrigen  aus:  all'  der  erborgte  Prunk  und  Flitter 
ist  abgefallen,  die  heraldischen  Missgeburten  repräsen- 
tiren  sich  in  ihrer  ganzen  lächerlichen  Verkehrtheit. 
Waren  zuvor  die  Schilder  gemeiniglich  zu  kleinen 
runden  .Scheiben  zusammengeschrumpft,  welche  von 
schweren  Rahmen,  Leisten,  Guirlanden,  Blumen,  Frucht- 
züpfen,  Muscheln,  Engeln  und  Kindern  förmlich  er- 
drückt wurden,  —  der  Helm,  sein  Kleinod,  und  die 
malerischen  Decken  waren  damals  cassirt  —  so  macht 
sich  hernach  der  Schild  möglichst  geltend,  nimmt 
eifrig  alles  Moderne  auf,  modernisirt  das  Alte,  je  natür- 
licher desto  schöner,  hiess  es,  und  trägt  dann  obenauf 
eine  breite  Rangkrone,  auf  deren  mittelster  Spitze  etwas 
schwankt,  was  sich  unter  der  Lupe  als  ein  seinsollender 
Helm  darstellt. 

Indessen  wäre  es  sehr  irrig,  wenn  man  aus  diesem 
Verfall  der  edlen  Wappenkunst  den  Schluss  machen 
wollte,  die  Gelehrten  hätten  sich  sehr  wenig  mit  ihr  be- 
fasst;  im  Gegentheil  erschien  im  17.  und  18.  Säculum 
eine  Menge  von  Werken  und  Werkchen  über  diesen 
Gegenstand,  und  der  Unterricht  in  der  Heraldik  war  ein 
gleichsam  obligater  Zweig  des  Studiums  für  den  jungen 
Adel,  ein  Umstand,  welchen  schon  der  satyrisch-witzige 
Rabener  auszubeuten  nicht  unterlassen  hat. 

Aus  den  gelehrten  und  überaus  fleissigen  heraldi- 
schen Schriftstellern  des  17.  Jahrhunderts  will  ich  hier 
nur  zwei  hervorheben,  welche  massgebend  für  ihre  Zeit 
gewesen  sind;  das  ist  in  Deutschland  der  protestan- 
tische Geistliche  Dr.  Philipp  Jacob  Spener,  geboren 
1635,  gestorben  1705,  welcher  anno  1690  seinen  be- 
rühmten Folianten  „Insignium  Theoria-'  zu  Frankfurt 
a.  M.  herausgab;  dieses  Buch  erschien  dann  mit  einem 
zweiten,  aber  ursprünglich  früher  geschriebenen  spe- 
ciellen  Theil:  „Historia  Insignium  Illustrium"  Frankfurt 
a.  M.  1680,  einer  Art  Geschlechterkunde,  in  2t er  Aus- 
gabe anno  1717  unter  dem  gemeinsamen  Titel:  „Operis 
heraldici  pars  generalis  et  specialis-'. 

Man  begreift  nicht,  wober  der  Autor,  dem  der 
Ehrentitel  eines  „Vaters  der  Heraldik-  zu  Theil  wurde, 
die  Zeit  und  die  Ausdauer  genommen  hat,  um  dieses 
liisher  noch  immer  umfangreichste  Lehrbuch  der  Wap- 
penkunde zu  schreiben,  wenn  man  bedenkt,  dass  er 
ausserdem  einen  bedeutenden  Ruf  als  theologischer 
Schriftsteller  genoss,  und  dass  seine  Thätigkeit  in  letz- 
terer Richtung  so  hervorragend  war,  dass  man  darüi)er 
seine  heraldisch-historischen  Arbeiten  ganz  vergessen 
zu  haben  scheint,  obschon  diese  vielleicht  die  werthvol- 
leren,  jedenfalls  aber  die  nachhaUigeren  gewesen  sind. 


DasHaiiptverdienst  Spener's  besteht  darin,  dass 
er  mit  aussen Tdeutlicheni  Fleisse  Alles  in  seinem  Werke 
anfirezeichuet  hat,  was  seine  Zeit  an  Kenntnissen  Über 
die  Wajjpenwissensehaft,  hauptsärhlieh  in  Deiitsehland 
und  Frankreich,  besass,   wodurch  die  ,,Theoria  Insig- 
uium-'  zu  einer  Art  heraldischen  Codex  anwuchs,  wel- 
cher in  der  Geschichte  der  Fachliteratur  jedenfalls  einen 
ansehnlichen  Platz   einninnnt,   und  woraus  Viele  nach 
ihm  geschöpft  iiaben.  Was  hinlegenden  Kniwickliini;s- 
gang  unserer  Wissenschaft,  was  das  künstlerische  und 
teohnische  Moment  anlielangt,   so  ist  freilich  nicht  zu 
längnen.  dass  dieser  Tlieil  so  gut  als  gar  nicht  beachtet 
wurde;  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  das  ganze  da- 
malige heraldische  Wissen  ein  rein  theoretisches  war, 
weil  man  keine  Ahnung  davon  hatte,  dass  man  auf  die- 
sem Boden,  um  auf  einer  sicheren  Basis  zu  bauen,  vor 
Allem    Sidide   Grundsteine,    nämlich   Quellenforschung 
brauche,   und  weil   man  consequenter  Massen  in  dem 
Wahne  lebte,   dass  mit  todten  Blasonirnormen  und  hie 
und  da  mit  phantastischen  Annahmen  die  Sache  voll- 
stäudig  erschöpft  sei. 

Der  zweite  Heros  der  Wappenkunde,  der  im  selben 
Säculum.  als  Zeitgenosse  Spener's  lebte,  mit  diesem 
in  wissenschaftlichem  Verkehr  stand,  und  anno  1669 
oder  1670  zu  Leyden  mit  ihm  persönlich  bekannt  wurde, 
war  der  Franzose  Pere  Claude  Francois  Mene 
strier,  geboren  den  9.  März  1631  zu  Lyon,  gestorben 
den  21.  Jänner  170.")  zu  Paris  (im  nämlichen  Jahre  wie 
sein  deutscher  College),  ein  Jesuit,  welcher  in  seiner 
Art  tür  Frankreich  die  gleiche  Bedeutung  hat.  Dasselbe, 
was  ich  zuvor  von  der  rastlosen  Thätig'keit  und  schrift- 
stellerischen Fruchtbarkeit  Spener's  sagte,  gilt  in 
noch  grossartigerem  Massstabe  von  diesem  französi- 
schen Gelehrten.  Auch  er  hat  mehrere  heraldische 
Werke,  18  an  der  Zahl,  geschrieben,  von  denen  das 
bekannteste  und  verbreitetste,  obgleich  das  letzte  in 
der  Reihe,  jenes  ist,  welches  den  Titel  führt:  _Nouvel1e 
Methode  raisounee  du  Blason,''  und  welches  in  vielen 
Auflagen  und  Nachdrucken  erschien.  Die  übrigen  seiner 
Schriften  auf  diesem  Gebiete  befassen  sich  mit  dem  Ur- 
sprung der  Wappen  und  ihrem  Gebrauche,  mit  den  Gra- 
den des  Adels  und  mit  ähnlichen  Dingen,  die  haupt- 
sächlich in  seinen  „Le  veritable  art  du  blasou"  benann- 
ten Büchern  zu  finden  sind. 

Es  war  eine  eigenthümliche  Ersnheinung,  dieser 
Pater  M e  n  e  s  t  r  i  e  r ,  jedenfalls  liochbegabt.  von  grosser 
Leichtigkeit  der  Auffassung  und  Darstellung,  eingenom- 
nien  für  die  historischeu  Studien,  von  tiefem  Verständ- 
niss  für  die  Kunst,  namentlich  für  die  Plastik,  und  vor 
allem  Andern  ein  wahres  Genie  als  Arrangeur  und  Deco- 
rateur  bei  grossariigen  und  prächtigen  Festlichkeiten. 
Er  hinteriiess  im  Ganzen  144  Schriften  von  grösserem 
und  kleinerem  Umfange,  und  überdies  9,  welche  Ma- 
nuscript  geblieben  sind.  Sein  Leben  und  eine  Literar- 
geschichte seiner  Geistesprodncte  erschien  im  Jahre 
18.Ö6  zu  Lyon  von  Paul  Allut,  betitelt:  „Becherches 
sur  la  vie  et  .sur  les  oeuvres  du  P.  Claude  FrauQois 
Menestrier",  ein  ebenso  treffliches  als  schönes  Buch, 
auf  welches  ich  auch  seiner  Zeit  die  Alterthumsfreunde 
und  Bibliographen  in  der  nunmehr  eingegangenen 
-Wochenschrift,"  Beilage  zur  Wiener  Zeitung  =,  auf- 
merksam machte.  Ein  sehr  pikantes  Blatt  ausMene- 

T..       .'  •'»'"«"e  '863.   II   B<1-  Nr.  42,  pag.  494  u.  495;  ,Au8  der  heraldiBcheu 
Literatur  der  fitgenwart." 


strier's  Leben  ist  wohl  der  heraldische  Streit  mit  dem 
gleichfalls  gelehrten   Priester    Le  Lal)oureur.    dem 
Prcvöt  de  l'ile  Barbe,   welcher  auch  als  Autor  in  der 
Wappenwissenschaft  auftrat;  allerdings  ist  es  nicht  er- 
baulich, wenn  wir  sehen,  wie  diese  aus  Nichtigkeiten 
hervorgegangene  Differenz  rasch  in  eine  derart  niass- 
lose.  persönliche  Feindseligkeit  ausartete,  dass  die  bei- 
den Herren  nicht  nur  ihrer  Würde  als  Diener  des  Altars 
verg.tssen,  sondern  sogar  die  Grenzen  des  Schicklichen 
überhaupt   überschritten.     Diese    ganze   Angelegenheit 
wird  um  so  merkwürdiger,  wenn  man  sich  erinnert,  dass 
kurz  zuvor  auch  ähnliche,  obschon  weniger  heftige  Miss- 
helligkeiten zwischen  zwei  sehr  reuonnnirien  Heraldi- 
kern stattfanden,  nämlich  zwischen  dem  tüchtigen  Marc 
Vulson  de  la  ColombiSre  und  dem  Jesuiten  Syl- 
vester ä  Petra  Sancta,   von  denen  jeder  behaup- 
tete, die  Schraffirung,  wodurch  in  den  Wappen  die  Far- 
ben angezeigt   werden,   erfunden   zu  haben;    o])gleich 
schon  anderthalb  Decennien  vor  ihnen  ein  Deutscher, 
Jacob  Francquart,    das  Princip  der  SchratTirung  in 
seinem  Werke  :  Pompa  funeliris  optinii  potentissimi  prin- 
cipis  Alberti   Pii,   aichiducis   Austriac   etc.    Bruxellae, 
1623,  Fol.,  zur  Geltung  brachte. 

Um  aber  auf  Mene  strier's  Wirken  für  unsere 
Wissenschaft  zurückzukommen,  so  kann  man  sagen, 
dass  seine  Verdienste  und  seine  Mängel  ziemlich  die- 
selben sind,  wie  die  des  Dr.  Spener,  nur  dass  der 
Letztere  vielleicht  noch  etwas  mehr  Gelehrsamkeit  auf- 
gewendet hat,  welche  dem  leichtblütigeren  Franzosen 
gar  zu  schwerföllig  geworden  wäre.  Um  es  in  zwei 
Worten  zusammenzufassen,  der  Deutsche  schrieb  tür 
die  Fachgelehrten  in  sauberem  Latein,  der  Gallier  für 
die  adeligen  Herren  seines  Vaterlandes  in  gutem  Fran- 
zösisch. 

Wenden  wir  unsere  Blicke  dem  18.  Jahrhundert 
zu,  so  gewahren  wir  erst  in  dem  letzten  Viertel  dessel- 
ben eine  allgemein  berühmte  heraldische  Grösse,  welche 
über  die  zahlreichen  Collegen  ihres  Säculums  hervor- 
ragt, nämlich  den  famosen  Johann  Christoph  Gatterer, 
Professor  der  Geschichte  und  der  historischen  Hilfs- 
wissenschaften zu  Göttingen. 

Ich  habe  hier  weder  von  seinen  historischen  Ab- 
handlungen, noch  von  seinen  verdienstlichen  Schriften 
über  Numismatik  undDiplomatik,  selbst  nicht  von  seiner 
Histoina  Holzschuherorum  —  die  Holzschuhcr  waren  ein 
berühmtes,   altes  und  reiches   Nürnberger  Patriziergc- 
schlecht  —  zu  sprechen,  sondern  bloss  anzudeuten,  wie 
sich  die  Heraldik  in  seinen  beiden  Lebrl)üchern  „Abriss 
der  Heraldik"  und  ,, Praktische  Heraldik."  die  sich  zu- 
sammen verhalten  wie  l^lieorie  und  lUnspiel,   allniälig 
gestaltet  hat.  Da  sehen  wir  denn  gar  bald,  wie  dieser 
scientifisch  ausgezeichnete  Gelehrte  seinen  Gegenstand 
nicht  etwa  als  Cniturhistorikcr  oder  Künstler,  sondern 
geradezu  als  Matbcniaiiker  behimdelte.   Der  poetische 
Hauch,  welcher,   auch   ohne  Mälirdien  und  fabclhalte 
Wappensagen,  die  Heroldskunst  so  gut  wie  alle  andern 
Künste  durchweht,  ist  ganz  und  gar  daraus  verschwun- 
den, und  ein  abschreckend  trockenes,  in  Abschnitte  und 
Paragraphe  gegliedertes  Skelett  von  geometrischer  Re- 
gclmässigkcit  ist  zurückgeblieben.   Freilich  ist  nicht  zu 
läugncn,  dass  diese  in  deutscher  Sprache  abgefassten 
beiden  Traktate  nach   den    damaligen  Anforderungen 
des  Studiums  sehr  genau   und    präcis  gearbeitet  sind, 
und  ihre  Handsamkcit  als  Lehrbücher  sowohl,  wie  der 


LI 


bedeutende  Ruf  des  Verfassers  als  historischer  Schrift- 
steller und  Hochschullehrer  waren  ohne  Zweifel  die  Ur- 
sache, dass  unsere  Grossväter  und  Väter,  und  zum  Theil 
die  jetzt  noch  lebende  Generation  die  Heraldik  auf  den 
deutscheu  Universitäten  durchwej;'  streng  nach  Profes- 
sor Gatterer  betrieben,  freilieh  fürchte  ich,  weder  mit 
besonderem  VergnUg-en,  noch  allzu  lebhaftem  Interesse. 

Ich  halte  es  nicht  tür  überflüssig,  nebenbei  zu  be- 
merken, dass  es  durchaus  nicht  meme  Absicht  ist,  die 
Verdienste  jener  grossen  Gelehrten  zu  verkleinern, 
welche  sich  einst  im  Wappenfache  hervorgethau  haben; 
Vieles  von  dem,  was  sie  uns  darboten,  benützen  wir 
noch  heute,  und  so  mancher  alte  Foliant  in  Pergament 
oder  Schweinsleder  ist  anziehenderen  Inhaltes  als  irgend 
ein  modernes  Taschenbuch  in  Goldschnitt  und  englischer 
Leinwand.  Allein  Gatter  er 's  heraldische  Arbeiten 
waren  absolut  zu  trocken  und  zu  kahl;  da  sie  aber 
durch  mehrere  Jahrzehnte,  circa  ein  halbes  Jahrhundert 
an  den  Hochschulen  regierten,  so  begreift  sich  sehr 
leicht,  dass  der  Geschmack  an  unserer  Wissenschaft 
zugleich  mit  der  Achtung  vor  derselben  sank;  die  Her- 
ren Studierenden  fanden  es  natürlich  nicht  sehr  lustig, 
sich  auszurechneu,  in  wie  viel  Permutationen  man  einen 
12-  oder  24-feldigen  Schild  ordiniren  könne,  und  sahen 
keinen  besonderen  Nutzen  darin,  blasouiren  zu  können, 
dass  diese  Figur  ein  Sparreu  und  jene  ein  Ständer  sei. 
Das  grosse  J'ublikum  befand  sich  noch  weniger  in  der 
Lage,  der  Lehre  von  den  Wappen  einen  Geschmack 
abzugewinnen,  und  so  war  man  denn  so  ziemlich  allge- 
mein der  Ansicht,  der  Blasen  sei  ein  sehr  trockenes, 
langweiliges  und  unnützes  Studium,  welches  man  höch- 
stens einem  einsamen  Stubengelehrten  verzeihen  könne. 
War  es  doch  auch  damals,  dass  der,  wegen  seiner  beis- 
senden  Satyre  nicht  minder,  als  wegen  seiner  vielsei- 
tigen Kenntnisse  berühmte  Karl  Weber,  der  Verfasser 
des  ,,Lachenden  Demokrif,  in  eben  diesem  Werk  er- 
klärte, die  Heraldiker,  Numismatiker,  Genealogen 
u.  s.  w.  seien  Kleinigkeitskrämer,  Steckenpferdreiter 
und  beschränkte  Köpfe.  Nun,  die  Fachmänner  können 
sich  freilich  über  dieses  Urtheil  sehr  leicht  trösten,  denn 
der  Stand  wäre  erst  zu  crciren,  welchen  Weber  nicht 
in  ähnlicher  Art  kritisirt  hätte,  aber  die  Behandlung  der 
Heraldik  zu  jener  Zeit  war  auch  wirklich  nicht  darnach, 
um  Uneingeweihten  eine  hohe  Meinung  beizubringen. 

Wenn  wir  unsere  Aufmerksamkeit  der  ersten  Hälfte 
unseres  Jahrhunderts  zulenken,  so  treffen  wir  eigentlich 
nur  einen  Mann  in  Deutschland,  der  sich  ein  ganz  be- 
sonderes, und  zwar  originelles  literarisches  Verdienst 
um  die  Wappenkunde  erwarb,  nämlich  den  Bonner  Pro- 
fessor Christian  Samuel  Theodor  Bernd,  welcher  mit 
seinen  4  Theilen  „Allgemeine  Schriftenkunde  der  ge- 
sammien  Wappenwissenscbaft,"  Bonn  183U — 41,  einem 
in  Wahrheit  vorhandenen  Bedürfnisse  Rechnung  trug, 
und  auf  den  Dank  all'  derjenigen  vollberechtigten  An- 
sjiruch  hat,  welche  in  dieser  Richtung  arbeiten. 

Wenngleich  sein  Lehrbuch  der  Heraldik  und  mehr 
noch  sein  Wappenbuch  der  preussischen  Rheinprovinz 
—  vom  Stj-1  der  Zeichnung  abgesehen  —  nicht  ungün- 
stig aufgenommen  ward,  so  ist  es  doch  hauptsächlich 
das  erstgenannte  Werk,  welches  seinem  Namen  die  ge- 
bührende Anerkennung  sichert.  Es  gehört  in  die  Reihe 
jener  Schriften,  welche  dem  Fachmann  geradezu  unent- 
behrlich sind.  Man  hat  Bernd  einen  Vorwurf  daraus 
gemacht,  dass  er  nicht  alle  die  Tausende  von  Büchern 


und  Broschüren,  welche  er  möglichst  genau  aufführt, 
selbst  gesehen  und  untersucht  hat,  und  dass  in  Folge 
dessen  sich  hie  und  da  ein  unwesentlicher  Irrthum  ein- 
schlich. Ich  denke,  es  ist  mir  die  Mühe  erspart,  den 
gelehrten  Professor  desshalb  zu  vertheidigen,  umso- 
mehr,  als  sich  bisher  noch  Niemand  fand,  der  es  besser 
gemacht  hätte,  und  wir  hinsichtlieh  der  gesammten  Li- 
teratur bis  1841  auf  Bernd  allein  angewiesen  sind. 

Mit  diesen  vier,  als  Lehrer  der  Wappenkunde  vor 
die  Öffentlichkeit  tretenden  Persönlichkeiten  ist  unge- 
fähr der  Stand  unserer  Wissenschaft  vor  dem  An- 
bruch der  neuen  Periode  gekennzeichnet.  Doch 
sehr  unvermuthet  sollte  sich  die  Bedeutung  der  Heraldik 
so  zu  sagen  mit  einem  Schlage  ändern. 

Zu  Anfang  des  vorigen  Decenniums  unternahm  der 
schon  damals  durch  verschiedene  heraldische  und  histo- 
rische Arbeiicn  vortheilhalt  bekannte  Münchner  Gelehrte, 
Dr.  Otto  Titan  v.  Hefner,  eine  neue  Edition  des  be- 
rühmten alten  Sieb  mach  er'scheuWappeiibuches,  dem 
ein  entsprechender  Text  beigegeben  werden  soUte. 
Diese  riesige  Aufgabe  wurde  jedoch  nur  theilweise  ge- 
löst, indem  der  Nürnberger  Verleger  während  der  Her- 
ausgabe starb,  und  noch  andere  Hindernisse  sich  der 
Vollendung  des  Werkes  in  den  Weg  stellten.  Allein  im 
Verlaufe  der  Edition,  und  zwar  anno  18.55  erschien 
plötzlich  statt  des  17.  Wappenheftes  eine  mit  Tafeln 
versehene  Schritt  des  Herausgeiters,  unter  dem  Titel: 
„Grundsätze  der  Wappenkunst",  in  welcheu  Herr  von 
Hefner  den  bisher  üblichen  Weg  iu  der  Heraldik  ver- 
lässt  und  ganz  neue  Bahnen  andeutet,  aufweichen  fort- 
geschritten werden  müsse,  um  jene  Wissenschaft  aus 
der  Bedeutungslosigkeit  zu  erheben,  in  welche  sie  all- 
niälig  gerathen  war,  und  um  das  ästhetische  sowohl, 
als  auch  das  nutzbringende  Element,  welches  in  unge- 
ahntem Masse  in  der  Wappenkunde  vorhanden  war. 
ans  Tageslicht  zu  fördern  und  zur  Geltung  zu  bringen. 

Balil  darnach,  im  Jahre  1857,  wurde  in  München 
ein  neues,  umfangreiches  Werk  herausgegeben,  weiches 
in  den  Kreisen  der  Heraldiker  und  Sphragistiker  aller 
deutschen  Lande  eine  enorme  Sensation  erregte,  näm- 
lich das  „Heraldische  ABC-Buch"  des  Dr.  Carl  Ritter 
v.  Mayer.  Eine  durchaus  neue  Aera  war  damit  für  un- 
sere Hülfswissenschaft  angebrochen,  ihre  Geschichte 
und  Literatur  in  die  Sphäre  der  Besprechung  gezogen, 
auf  die  vielfachen  Beziehungen  der  Heraldik  mit  Waffen- 
und  Trachtenkunde,  mit  mittelalterlichen  Gerathen  und 
Utensilien,  mit  alter  Kunst  und  Sitte  im  weiten  Sinne 
hingewiesen,  und  die  Verkehrtheit  und  Unzukömmlich- 
keit  des  bisherigen  Verfahrens  in  äusserst  witziger, 
wenn  auch  rücksichtsloser  und  stellenweise  derber  ]\Ia- 
nier  gegeisselt.  Fügen  wir  noch  hinzu,  dass  der  arti- 
stische Theil  des  ABC-Buches  wahrhaft  unübertrefflich 
vollendet  und  glänzend  ausgeführt  ist,  so  begreift  es 
sich  leicht,  welchen  entschiedenen  Erfolg  Dr.  Mayer 
V.  Mayerfels  errang. 

Ein  paar  Jahre  später,  nämlich  von  1861-  63  Hess 
Dr.  Otto  Titan  v.  Hefner  sein  ebenfalls  höchst  ver- 
dienstliches und  grundgelehrtes  „Handbuch  der  theore- 
tischen und  praktischen  Heraldik"  zu  München  erschei- 
nen, worin  dieselbe  Richtung  eingebalten  ist,  wenn- 
gleich in  milderer  Form  und  mit  vielen  neuen  Ausführun- 
gen bereichert». 

*  Vide  meine    literarische  Besprechung   in   den  Mittheilungen   der  k.  k. 
Central-Commission,  VIlI.  Jahrgang,  1S63,  Decemberhett,  pag    357—60. 


I.II 


Durch  diese  Schriften  nun  wurde  eine  Purification 
der  edlen  Heroldskunst  hervorgerufen.  Und  worauf  ba- 
sirte  denn  eigentlich  dieser  gewallige  Umschwung  in 
der  Heraldik?  Darauf  lässt  sich  mit  einem  Worte  er- 
widern: Auf  der  Einführung  des  Quellenstu- 
diums! Dieses  war  bisher  total  vernachlässigt  worden, 
ja  man  war  gar  nicht  einmal  darüber  im  Klaren,  was 
denn  eigentlich  Alles  zu  den  Quellen  der  Wappenwis- 
sensdiaft  zu  rechnen  sei,  und  man  war  aussenleni  noch 
in  einem  für  dieses  Fach  folgenschweren  Irrthum  befan- 
gen, hinsichtlich  des  Ranges  und  der  Wichtigkeit  der 
einzelnen  anerkannten  Quellen.  Um  deutlicher  zu  spre- 
chen :  5Iau  betrachtete  als  erste  und  vornehmste  Quelle 
der  Wajjpenkenntniss  die  Wappen-  und  Adelsbriefe, 
die  sogenannten  Adelsdiplonie ,  wie  wir  heutzutage 
sagen,  und  schenkte  den  Siegeln,  Grabmälern,  Stamm- 
büchern und  Familienchroniken  erst  in  zweiter  und 
dritter  Linie  Beachtung.  Man  vergass  demnach,  dass 
schon  lange  Adel  und  Wappen  existirteu,  als  noch  Nie- 
mand daran  dachte,  beides  zu  verleihen;  man  über- 
sprang die  ganze  hochwichtige  Periode  des  Uradels, 
jene  Zeit,  in  welcher  der  Begriff  „Adel"  eine  gewisse 
.Ähnlichkeit  mit  dem  modernen  Begriif  „gute  Gesell- 
schaft-' hatte,  nämlich  insofern,  als  nicht  Brief  und  Siegel 
genügten,  um  Jemanden  dem  .Adel  zuzählen  zu  können, 
sondern  einzig  und  allein  ritterliche  Lebensweise, 
durch  Generationen  fortgeführt.  Eben  in  jener  Zeit,  im 
11.  und  hauptsächlich  im  12.  und  13.  Jahrhundert,  bil- 
dete sich  zugleich  das  Wappenwesen  aus,  entwickelten 
sich  in  der  Wirklichkeit  und  Praxis  die  Formen  der 
diversen  Wappeustücke  und  der  Figuren,  mit  denen  sie 
geschmückt  wurden;  und  entsprechend  den  verschiede- 
nen Phasen  des  gothischen,  des  Übergangs-  und  desRe- 
naissancestyls  gestalteten  sich  die  kräftigen  und  lebens- 
vollen, wenngleich  nichts  weniger  als  naturgetreuen 
Bilder,  welche  eifrig  zu  studiren  die  späteren  Heral- 
diker fast  gänzlich  verabsäumten. 

Daher  wurde  weiterhin  auch  der  Styl,  und  die  er- 
forderliche Einheit  und  Harmonie  dessellH'n  ülierseiien, 
und  gar  häufig  die  sonderbarsten  Combinationen  zu 
Tage  gefördert,  ohne  dass  es  irgendwem  beigefallen 
wäre,  dieselben  vom  ästhetischen  Standpunkte  aus  zu 
beanständen.  Die  reiche,  üppige  Blüthen  treibende, 
künstlerische  Symbolik  des  Jlittelalters,  von  so  grossem 
F.influss  auf  heraldischem  Gebiete,  welche  in  jedem 
Eckstein,  an  jedem  Erker,  in  jedem  j\Iissale  und  bei 
tausend  Schöpfungen  ihren  sehr  oft  satyrischen  oder 
komischen  Ausdruck  zu  finden  wusste,  sie  war  ein  un- 
gehobener Schatz  für  die  Wapj)eiikunde,  statt  welchem 
man  sich  begnügte,  in  die  Wajipenfarben  und  in  einige 
heraldische  Figuren  und  Zeichen  eine  ganz  willkürliche 
Bedeutung  hineinzutragen,  und  wieder  andererseits  dort 
etwas  besonderes  zu  suchen,  wo  in  der  Tliat  nichts  zu 
finden  war. 

Niemand  aber  aus  den  massgebenden  heraldischen 
Kreisen  hatte  auch  nur  eine  Ahnung  davon,  dass,  um 
alte  Wappen  richtig  zu  kennen  und  zu  bcnrtlieilen,  so- 
wie um  neue  tadellos  und  echt  heraldisch  zu  entwerfen, 
eine  möglichst  genaue  Kenntniss  mittelalterlicher  Rüstun- 
gen, Waffen,  Trachten  und  Geräthe  unentbehrlich  sei: 
dass  die  sehr  eigenthlimlichen  Rangverhältnisse  des 
Adels  und  der  Wajipengenossen  nicht  minder  wie  die 
ritterlichen  Sitten  und  Gebräuche  im  Mittelalter  wohl 
zu  berücksichtigen  wären,  und  dass  selbst  die  Vertraut- 


heit mit  alten  Bezeichnun,:;en  und  .Ausdrucken,  sowie 
mit  der  Geographie  jener  Tage,  das  Studium  der  guten 
alten  Muster  nicht  selten  wesentlich  erleichtere. 

Was  endlieh  die  Kunstteehnik  der  Wallen  und 
Wappen  anbelangt,  die  doch  so  viel  zum  Vciständniss 
der  Sache  beiträgt  und  vielen  sonst  unausweichliclien 
Irrthümern  vorbeugt,  so  hat  sich  von  allen  Heraldikern 
bis  auf  unsere  Tage,  nämlich  bis  zu  den  Münchnern, 
Niemand  darum  bekümmert. 

War  CS  unter  solchen  .\aspicien  zu  wundern,  wenn 
der  christlich-mittelalterliche,  und  ich  betone  es  beson- 
ders, der  ornamental-plastische  Charakter  der  ganzen 
Wappenkunst  allmälig  vollkommen  verloren  ging,  und 
die  Wissenschaft,  d.  h.  die  Theorie  ihrerseits  selbst 
auch  immer  weiter  von  den  richtigen  Pfaden  ablenkte"? 
Gewiss  war  es  nur  eine  ganz  natürliche  Folge,  welche 
wir  übrigens  nicht  unseren  sehr  fleissigen  älteren  Heral- 
dikern beimessen  dürfen,  da  Genie  in  was  immer  für 
einer  Richtung  eben  nur  eine  Gabe  Gottes  ist.  welche 
sich  nicht  erzwingen  lässt;  und  eines  solchen  bedurfte 
es  jedenfalls,  um  diesen  Zweig  des  Wissens  und  der 
Kunst  zu  regeneriren. 

Mit  dem  berühmten  und  herrlich  ausgestatteten, 
sowie  grüuiilich  durchgreifenden  „Heraldischen  ABC- 
Buch"  des  Ritters  Dr.  v.  Mayer  wurde  endlich,  um 
seine  Sprechweise  zu  gebrauchen,  der  Augiasstall  der 
heraldischen  Irrthümer  wieder  gereinigt,  und  je  mehr 
wir  sein  Werk  studieren,  desto  deutlicher  geht  daraus 
hervor,  dass  nur  fortgesetztes  Quellcnsiudium  und  Auto- 
psie es  ihm  möglieh  machte,  die  richtigen  und  leitenden 
Grundsätze  zu  finden  und  neuerdings  zur  Anerkennung 
zu  bringen. 

Nicht  nnnder  hat  sein  hochgelehrter  Rivale,  gleich- 
zeitig dieselben  Hahnen  verfolgend,  mit  seinen  zahl- 
reichen Werken  der  Wissensciiaft  grosse  Dienste  ge- 
leistet, und  nimmt  Dr.  Otto  Titan  v.  Hefner  als  Schrift- 
steller sowohl,  wie  auch  als  Begründer  seines  bekann- 
ten heraldischen  Institutes,  unter  den  Heraldikern  unserer 
Tage  einen  der  hervorragendsten  Plätze  ein. 

Die  Geschichte  der  Heraldik,  die  Fonnentfaltung 
der  betreffenden  Rüstungsstücke  und  der  Waiipenligu- 
ren,  die  Kunsttechnik,  die  Symbolik,  die  Moden  der 
Blasonirung  und  Urdinirnng,  die  Kunde  der  heraldischen 
Trachten  und  Geräthschaften,  der  Gewohnheiten  und 
Bräuche,  welche  im  Zusammenhange  mit  der  Wissen- 
schaft stehen,  die  Nationalcharakteristik  der  Wappen, 
die  Adelsgeographie  und  noch  vieles  andere  Wissens- 
werthe  haben  jene  beiden  Forscher  in  ihren  Schriften 
aufgenommen,  und  so  der  Heraldik  ganz  neues  Interesse 
und  neuen  Reiz  gegeben.  Freilich  ist  dieses  Studium 
nunmehr  auch  ein  weit  umfassenderes  und  in  mancher 
Beziehung  schwierigeres  geworden,  aber  es  hat  aufge- 
hört, trocken,  todt  und  überflüssig  zu  sein. 

Ich  kann  nicht  undiin,  noch  einen  Gelehrten  hier 
zu  nennen,  der  durch  seine  au.sgezeichneten  Arbeiten 
mehrere,  bis  in  die  allerneucste  Zeit  noch  problema- 
tische Punkte  der  Wappenkunde  aufgeklärt  und  sicher- 
gestellt hat.  Es  ist  dies  der  Sphradstikcr  Friedrich 
Carl  Fürst  zu  Hohen  lohe- Waiden  bürg  in  Würtem- 
berg.  Seinen  vortrefflichen  Monographien  ist  es  zuzu- 
schreiben, dass  die  Identität  des  bekannten  sächsischen 
Rautenkranzes  —  einer  höchst  seltenen  Wapiienfigur  — 

^  Vide   meine   Besprechung    in    diesen    Blättern,    \ll.  Jahrgang,    1867, 
Mürz-Aprilhefi,  pag.   Xlr. 


Liri 


mit  einem  Blätterkranze  endlich  fest  steht  5;  viel  wich- 
tiger aber  ist  seine  letzte  Schrift:  ,,Das  heraldische 
Pelzwerk-',  als  Manuscript  gedruckt,  durch  welche  un- 
umstösslich  bewiesen  wird,  dass  die  heraldischen  soge- 
nannten Eisenhütlein,  französisch  vairs,  die  heraldi- 
schen Wolken  und  zuweilen  auch  die  heraldischen 
Flüsse  nichts  mehr  und  nichts  weniger  als  säunntlich 
heraldisches  Pelzwerk  sind,  oder  doch  ursprünglich  vor- 
stellen sollten.  Wenn  mau  weiss,  wie  viel  über  diesen 
Gegenstand  schon  geschrieben  und  "^  gestritten  wurde, 
und  welch'  grosse  Rolle  derselbe  namentlich  in  franzö- 
sischen und  englischen  Wappen  spielt,  so  begreift  man 
leicht,  dass  die  Beendigung  der  langjährigen  Diseussion 
von  den  Fachmännern  mit  grossem  Beifall  aufgenom- 
men wird.  Interessant  für  uns  Österreicher  ist  speciell 
der  Umstand,  dass  ein  österreichisches,  und  zwar  ein 
Lilienfeldersiegel  dem  hohen  Sphragistiker  einen  der 
allerbesten  und   schhiiiendsten  Beweise   für  seine  Be- 


hauptung abgegeben  hat. 


Franzenshtdd. 


Die  Ausstellung  der  Wiener  Pläne  und  Ansichten 
beim  Wiener  Magistrate. 

Als  zu  Anfang  dieses  Decenniunis  der  Gemeinde- 
rath  der  Stadt  Wien  mittelst  neuer  Wahlen  ergänzt 
wurde,  war  es  eine  seiner  ersten  Schöpfungen,  das 
städtische  Archiv  in  einer  der  Zeit  entsprechenden 
Weise  umzugestalten  und  zu  organisiren.  Vor  allem 
musste  das  Archiv  von  dem  Bleigewichte  der ,  eine 
ganz  andere  Bestimmung  erfüllenden  Registratur 
befreit  und  selbständig  gestellt,  und  einer  dieser  Auf- 
gabe gewachsenen  Persönlichkeit  übergeben  werden. 
Gleichzeitig  beschloss  man  auch,  eine  grössere  Bib- 
liothek anzulegen  ,  die  nicht  blos  die  Bestimmung 
hat ,  die  für  den  Amtsdienst  des  Magistrats  nothwen- 
digen  Hilfsbücher  zu  enthalten  ,  sondern  in  welcher 
der  Geschichte  Wiens  eine  ganz  besondere  Aufmerk- 
samkeit gewidmet  werden  soll.  Bibliothek  und  Archiv 
sollten  einer  gemeinschaftlichen  Leitung  unterstellt 
werden. 

Bald  fand  sich  eine  vertrauenswürdige  Persönlich- 
keit, in  deren  Hände  man  mit  voller  Beruhigung  und 
mit  bester  Zuversicht,  dass  beide  Schöpfungen  dem 
beabsichtigten  Zwecke  völlig  entsprechen  werden,  die 
Leitung  legen  konnte.  Es  war  Herr  Karl  AVeiss,  der 
gewesene  Redacteur  dieser  Mittheilnngen,  unter  dessen 
achtjährigem  Wirken  dieselben  eine  allgemein  lobende 
Anerkennung  erlangten.  Weiss  ging  rüstig  an  die  Neu- 
gestaltung, und  bald  ward  ihm  die  Befiiedigung,  dass 
sein  Bemühen  kein  fruchtloses  blieb.  Die  von  Zeit  zu 
Zeit  veröffentlichten  Verzeichnisse  der  in  der  städti- 
schen Bibliothek  befindlichen  Werke  zeigen  eine  stete 
Zunahme  der  Bücherzahl,  wie  auch  die  Vermehrung  der 
Bibliothek  durch  Aufnahme  werthvoller  und  mitunter 
sehr  seltener  aber  vornehmlich  für  die  Geschichte  Wiens 
wichtiger  Werke. 

Hinsichtlich  der  systematischen  Ordnung  der 
Bücher  und  sonstiger  der  Bibliothek  einverleibter 
Schriften  etc.,  wurden  vier  Hauptgruppen  gewählt, 
nämlich  Viennensia,  Austriaca,  Werke  rechts-  und 
staatswissenschaftlichen  Inhaltes,  und  solche  verschie- 

^  Vide  auch  Paul  AUut,  Becherches   sur   la  vie  et  snr   les  Oeuvres  du 
P.  C.  F.  Menestrier,  pag.  217  n.  f.  sammt  -Abbildung. 

XIV. 


denen  Inhalts.  Einen  wichtigen  Bestandtheil  der  ersten 
Ahtheilung  bildet  die  Sammlung  von  Plänen,  Ansichten, 
Volkstrachten  und  sonstigen  bildlichen  Darstellungen, 
die  sich  auf  die  Stadt  beziehen,  indem  nämlich  für  diese 
Sammlung  als  Programm  festgestellt  wurde,  dass  alle 
auf  Topographie  und  Geschichte,  auf  locale  Ereignisse 
und  Verhältnisse,  auf  das  Volksleben  und  besondere 
Sitten  Bezug  nehmenden  Abbildungen  in  dieselbe  auf- 
zunehmen seien. 

Die  Sammluug  zerfällt  demnach  in: 

1.  Pläne  der  Stadt  und  Vorstädte, 

2.  Pläne  einzelner  Stadttheile  und  Gebäude, 

3.  Ansichten  der  Stadt  und  Vorstädte, 

4.  Ansichten  einzelner  Strassen  und  Gebäude, 

5.  Brücken  und  Denkmale, 

6.  Triumphpforten  und  Trauergerüste, 

7.  denkwürdige  Ereignisse, 

8.  Bürgerwehr  und  Freiwilligencorps, 

9.  Volksscenen  und  Volkstrachten. 

Diese  Sammlung  enthält  gegenwärtig  ungefähr 
2500  Blätter  und  wird  ununterbrochen  dadurch  ver- 
mehrt, dass  über  jede  Veränderung  in  einem  Theile 
der  Stadt,  über  jedes  ältere,  architektonisch  oder  histo- 
risch interessante  Gebäude  (darunterauch  die  ehemaligen 
Stadtthore,  Bastionen  etc.),  welches  zum  Abhruch  be- 
stimmt wird,  Aquarellliilder  angefertigt  werden.  Ausser- 
dem werden  alle  im  Kunsthandel  vorkommenden  geeig- 
neten Blätter  augekauft  und  der  Bibliothek  auch  häufig 
Geschenke  gemacht.  Den  grössten  Zuwachs  erhielt  die 
Sammlung  durch  Ankäufe  aus  dem  Schimmer'schen 
Nachlasse  und  durch  denAnkauf  der  Bergenstamm'- 
schen  Collection. 

Eben  diese  Sammlung  bildete  im  letzten  Monat  des 
vorigen  Jahres  den  Gegenstand  einer  ganz  interessan- 
ten ,  über  Anregung  des  erwähnten  städtischen  Archi- 
vars und  Bibliothekars  ins  Leben  gerufeneu  Ausstellung, 
die  sich  zahlreichen  Besuches  erfreute  und  allseitig  die 
verdiente  Anerkennung  fand.  Wir  sehen  da  den  so 
gern  angezweifelten  Zapp  er  t'schen  Plan  Wiens,  den 
derselbe  im  Jahre  1857  unter  dem  Titel  ,, Wiens  ältester 
Plan"  herausgab,  jenen  Plan  von  Wien  aus  den  letzten 
Jahren  vor  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts,  den  Pro- 
fessor Glax  im  Jahre  1849  in  einer  Privatsammlung 
zu  Bamberg  auffand,  sodann  die  Pläne  von  Wolmuet 
und  Hirschvogel  '  sammt  dem  bekannten  Rundtisch  • 
aus  dem  Jahre  1547=,  das  Meldeman'sche  Rundbild  aus 
dem  Jahre  1529,  die  Vogelperspectiven  von  Fischer 
und  Hufnagel  (1605 — 1613),  die  Pläne  von  Suttinger 
(1684),  von  van  Allen  (1680—1682),  Anguisola  (1706), 
Steinhauser  (1711),  Nagel  (1770)  die  Vogelperspecti- 
ven von  Huber  (1769 — 1776)  und  die  vielen  neueren 
fast  von  Jahr  zu  Jahr  erscheinenden  Pläne,  an  deren 
Hand  man  vom  XVI.  Jahrhundert  an  die  Um-  und  Neu- 
gestaltung der  Stadt  fast  ganz  sicher  und  zweifellos 
studieren  kann. 

Nicht  minder  interessant  war  die  Collection  der 
ausgestellten  Ansichten  von  einzelnen  Thcilen  der  Stadt, 
von  Plätzen,  Strassen,  denkwürdigen  öffentlichen  und 
Privatgel)äuden,  thcils  Kupferstiche,  theils  Holzschnitte, 
Aquarelle  und  Photographien.  Man  fand  da  die  von 
Game si na  trefflich  copirte  älteste  Ansicht  der  Stadt 

'  Herausgegeben  von  Camesina  im  Jahre  1863. 

-  Herausgegeben  Tom  Wiener  Alterthums  -  Vereine  in  den  Jahren  1SÖ7 
und  185S. 

^  Herausgegeben  durch  die  Commune  Wien  im  Jahre  1863. 


LIV 


von  der  Donan  aus  (1483)  *  eutnommen  dem  Staiiim- 
baiime  zuKlosternciiburjr,  die  Ansichten  von  Lautensack 
(I55S)5  und  Suttinger  (1683)  «,  die  vielen  Zeichnungen 
von  Delsenbach,  Kleiner,  Schütz,  Wilder,  die  Aquarelle 
von  Hütter  u.  s.  f.  Wir  können  nur  wünschen,  dass 
diese  in  so  kurzer  Zeit  gebildete  nandiat'ie  Saninihing 
noch  weiter  möglichst  vervcillständigt  werde,  dass  das 
dafür  bestehende  lobenswerthe  Bestreben  nicht  erlahme, 
worüber  uns  wohl  die  Intentionen  des  jetzigen  Ge- 
nieinderathes,  so  wie  auch  des  Hibliotheks-  und  Archiv- 
Vorstandes  beruhigen,  und  dass  die  übrigen  bedeuten- 
deren Städte  des  Reiches  die  gleiche  Bahn  betreten 
mögen.  . .  .m. . . 

Aus  Kärnten. 

Eine  Geschäftsreise  gab  mir  Gelegenheit  manche 
Denkmale  dieses  Landes  wieder  zu  besuchen.  Vor 
allen  zog  mich  Milstadt  in  Ober-Kärnten  mit  seinem 
schönen  Kreuzgang  an.  Derselbe  ist  nun  zwar  vor 
Unliilden  der  Kohheit  und  Unwissenheit  geschützt  und 
wird  einigermasseu  erhalten,  allein  es  gäbe  noch  sehr 
viel  in  diesem  Gotteshause  besser  zu  bewahren  und 
ans  Licht  zu  ziehen.  Das  im  Verfalle  begriffene  Stifts- 
gebäude, die  TJiUrme,  die  Xebencapellen,  das  Portale  und 
anderes  verdienen  wohl  auch  einige  Berücksichtigung. 

Ein  ganz  interessantes  Gebäude  ist  der  Karner 
in  Metnitz,  im  gleichnamigen  Thale  gelegen.  Der- 
selbe bildet  ein  Octogou  und  ist  noch  wohl  erhalten 
bis  auf  das  Dach  ,  welches  übrigens  (wenigstens 
die  Eindeckung)  aus  viel  späterer  Zeit  herrührt.  Das 
gothische  Thor  ist  nördlich,  der  Eingang  in  das  unter- 
irdische Beinhaus  östlich  angebracht ;  ober  letzterem, 
das  einen  Vorsprung  bildet,  scheint  auch  der  Hochaltar 
gewesen  zu  sein,  welchen  zwei  schmale  spitzbogige 
Fenster  beleuchteten,  während  die  ganze  Capelle  sonst 
nur  zwei  runde  Öffnungen  in  der  Höhe  hat.  Das  gothi- 
sche Gewölbe  innen  ist  hoch,  zeigt  aber  gar  keine 
Zierden:  der  Innenraum  ist  über  3  Klafter  hoch  und 
geräumig,  das  Untergeschoss,  wohin  man  auf  mehreren 
Stufen  hinabsteigt,  voll  Todteuschädclu  und  Beinen. 

Am  interessantesten  erschienen  mir  die  Fresken 
auswärts,  welche  im  Osten  und  Süden  noch  gut,  im 
Norden  (geschützt  von  der  Kirche)  auch  noch  leidlich 
erhalten,  im  Westen  aber  beinah  unkenntlich  sind, 
sämmtlich  mit  Inschriften  (gothische  Schriftzüge  aus  ileni 
XV.  Jahrhundert)  versehen,  die  aber  kaum  auf  einer  Seite 
mehr  zu  entziffern  sein  dürften.  Höchst  interessant  sind 
die  Bilder  sellist  auf  den  acht  Fronten,  deren  jede  über 
2  Klafter  misst ;  da  tanzt  der  Tod  (theils  Gerippe, 
theils  als  gräulich  abgemagerte  menschliche  Figur)  mit 
Kriegern,  mit  dem  Bauer,  mit  Königen  und  Fürsten, 
mit  geistlichen  Würdenträgern  aller  Art  (vom  Papste 
bis  zum  Mönche),  mit  der  .Jungfrau  und  dem  Jünglinge, 
mit  dem  Alter  und  ndt  Kindern,  mit  dem  Geizhalse  und 
Lebemann,  mit  Musikern  u.  s.  w.,  welche  gut  dargestellt 
und  aus  den  Emblemen  zu  erkennen  sind,  den  gräu- 
lichen Reigen  und  spielt  (selbst  die  Trompete  ,  Pfeife 
oder  Paucken  in  der  Ilandi  die  Musik  dazu.  Diese 
Bilder  dürften  mit  Bezug  auf  die  Bestimmung  des  Ge- 
bäudes als  Karner  gewählt  worden  sein. 

•  S.  Mittheil.  d.  Allcrtli.  Vereines  v.  Wien  I.  238. 
'  S.  Mittheil.  d.  Altcrth.  Vereines  t.  Wien  I. 

•  S.  Mittheil.  d.  Altcrlh.  Vereines  v.  Wien  VIII. 


Die  dem  heil.  Leonhart  geweihte  Pfarrkirche  selbst 
bietet  wenig  des  Interessanten;  sie  ist  ein  dreischiffi- 
ger,  gewiihnlicher  und  ziemlich  plumper  Bau  aus  dem 
XVI.  Jahrhunderte  und  stützt  sich  das  gothische  Ge- 
wölbe auf  runde  Säulen  von  ungleichem  Durchmesser. 
Die  Cai)elle  unter  dem  Thurmgewölbe  ziert  ein  noch 
ziendich  wohl  erhaltener  Altar  im  gothischeu  .'>i_vle. 

Nichts  erfreuliches  ist  von  dem  schönen  Münster 
zu  Gurk  zu  erzählen;  aber  erwähnt  soll  des  Vandalis- 
mus  werden,  dass  man  in  der  Vorhalle  der  Kiiche 
Xägel  einschlug,  um  Schnitzwerke  autzuhängen,  welche 
auch  nicht  liieher  gehören  und  eben  die  Fresken  ver- 
stellen, welche  ohnedem  durch  die  Zeit  und  Xägcl 
gelitten  haben  ,  statt  dass  man  sie  einer  Renovirun.:: 
unterzogen  hätte.  Die  Schnitzwerke  verdienen  einen 
bessern  Platz  und  die  Fresken  mehr  Rücksicht  als 
ihnen  hinter  jenen  zu  Theil  wird. 

In  der  Pfarrkirche  der  1.  f.  Stadt  St.  Veit  wäre  zu 
wünschen,  dass  den  schönen  Monumenten  jene  Sorg- 
falt geschenkt  würde,  wie  denen  in  Villa  eh.  Diese 
Stadtpfarrkirche  zu  besuchen,  empfehlen  wir  jedem 
Reisenden  und  Altertliumsfreunde  dringend.  Leider  ist 
die  Aufstellung  der  Grabsteine  an  den  Wänden  nicht 
immer  und  überall  thunlich,  aber  wo  es  möglich  wäre, 
sehr  zu  empfehlen.  J.  C.  Hofrickter. 

Über  die  ursprüngliche  Bestimmung  des  sogenannten 
Scliatzkammer-Muttergottes-Bildes  zu  Maria-Zeil. 

(Mit  1  Holzschnitt ) 

Bei  Gelegenheit  der  Besprechung  des  Schatzes  der 
berühmten  Wallfahrtskirche  zu  Maria  -  Zell  (^Mitthei- 
lungen  XIV.  Jahrgang,  pag.  87)  wurde  auch  jenes 
Bild  eingehend  gewürdigt,  das,  ein  unzweifelhaftes 
Werk  des  XIV.  Jahrhunderts,  und  zwar  nach  1370  ent- 
standen, König  Ludwig  der  Grosse  von  Ungarn  und 
Polen ,  jener  von  den  Königen  des  erstgenannten 
Reiches  häufig  und  gern  besuchten,  altehrwürdigen 
Marienkirche  in  der  Steiermark  gespendet  haben  soll. 

Nicht  gering  ist  die  Anzahl  von  Gaben,  die  dieser 
fromme  König  gemäss  der  Sitte  seiner  Zeit  an  ver- 
schiedene Kirchen  innerhalb  und  ausserhalb  der  Gren- 
zen seines  Reiches  machte,  und  manche  davon  .sind 
noch  erhalten.  So  besitzt  die  Schatzkammer  der  Hof- 
burgcapelle  in  Wien  ein  Stehkreuz  mit  doppelten  Bal- 
ken, das  sich  durch  das  darauf  befindliche  Wappen  als 
Geschenk  desselben  Königs  unzweifelhaft  erkennen 
lässt.  Wir  sehen  nämlich  .bleich  wie  am  Rahmen  des  in 
Rede  stehenden  Bildes  zu  Maria-Zeil  am  Fusse  dieses 
Kreuzes  das  Wappenschild  des  Hauses  Anjou  mit  einem 
Theile  des  Wappens  von  Ungarn,  den  vier  Flüssen,  in 
heraldische  Verbindung  gebracht,  während  das  Geräth 
selbst,  die  andere  und  vornehmere  Wappenfigur  Ungarns 
das  Patriarchcukreuz  vorstellt. 

Die  Schatzkammer  des  Münsters  zu  Aachen,  bei 
welchem  jener  König  um  1374  eine  reich  dotirte  Ca- 
pelle stiftete,  zu  dessen  Reliquienfesten  stets  namhafte 
Scliaarcn  von  Andächtigen  pil.irerten,  enthält  dessglei- 
chen  manche  Spende  dieses  Ungarkönigs ,  an  dessen 
Hofe  ein  wahrer  Wetteifer  gegenüber  Karl  V.  von 
Frankreich,  Karl  IV.  von  Deutschland  und  Casimir  dem 
Grossen  von  Polen  in  Glanz,  Luxus  und  Veredlung  der 
Künste  und  Wissenschaften  entstand. 


LV 


Manch  kostbares  Werk  der  Goldschmiudekunst 
mag  damals  in  Ungarn  gescliaften  worden  sein,  damit 
es  der  kunstsinnige  König  in  frommem  Sinne  und  mit 
freigebiger  Hand  auf  dem  Altäre  niederlegen  konnte, 
^icht  unbedeutend  mag  damals  der  Stand  der  bis 
dahin  fast  ganz  vernachlässigten  Kleinkünste  dortselbst 
gewesen  sein,  da  doch  Werke  in  edlem  Metalle,  aus- 
geführt in  schönen  und  reinen  Formen,  ausgestattet  mit 
edlem  CTCstein,  Perlen  und  Farbenschmclz,  von  jeher 
und  daher  auch  dem  Sinne  jener  Zeit  bestens  entspre- 
chend als  am  geeignetsten  zur  Entfaltung  des  Luxus 
erschienen. 

Unter  den  verschiedenartigen  Gescheuken  dieses 
Königs  an  die  ungarische  C'apelle  zu  Aachen,  als  da 
sind  Picliquiengefässe  ,  Leuchter  ,  Kleinodien  u.  s.  w. 
finden  sich  auch  drei  Bilder ,  welche  genau  dersel- 
ben Technik,  derselben  Schule  angehören,  wie  jenes 
Bild  zu  Maria-Zeil,  ja  die  denselben  Händen  entspros- 
sen sein  dürlten.  Ein  lölick  auf  die  hier  beigegebene 
Abbildung  (Fig.  1)  wird  diese  Behauptung  begründen. 
Wir  sehen  den  gleich  geformten  Rahmen,  die  gleiche  Ver- 
zierung in  den  an  einander  gereihten  viereckigen  Feld- 
chen, als  das  vereinigte  Wappen  von  Anjou  und  Ungarn, 
das  Patriarchenkreuz,  den  polnischen  Adler,  den  Strauss 
mit  dem  Hufeisen,  ein  sehr  ähnliches  Blattornament, 
ferner  sehen  wir  als  Hauptgegenstand  ein  Tempera- 
Gemälde,  sicher  ein  Werk  eines  italienischen  Meisters, 
dabei  die  Nimben  mit  reichem  Steinbesatz,  endlich  im 
Tiefgrunde  des  Bildes  Metallplatten,  die  mit  durchsich- 
tigem blauen  Email  überzogen  in  rhombischen  Ein- 
fassungen das  Hauswappen  der  Anjous,  die  goldene 
Lilie,  in  zahlloser  Wiederholung  zeigen. 


In  älteren  Schatzverzeichnissen  werden  diese 
drei  Tafeln  „Tabulae  reliquiarum"  genannt.  Der 
gelehrte  Vorstand  des  germanischen  ^luseums  tritt 
dieser  Ansicht  bei  ',  obgleich  Dr.  Bock  2  die  Ver- 
muthung  ausspricht,  dass  sie  Predellstücke  eines 
Altars  wären.  Schreiber  dieses  glaubt  sich  der 
ersteren  Jleinuug  anschliessen  zu  sollen  und  her- 
vorheben zu  müssen,  dass  der  Reliquiencultus  des 
Mittelalters  gerade  die  Goldschmiedekunst  veran- 
lasste, in  den  allerverschiedensten  Formen  jene 
kostbaren  Gefässe,  die  zur  Aufnahme  der  Reli- 
(juien  bestinnnt  waren,  anzufertigen,  und  dass  Re- 
li(iuientafelu  keineswegs  zur  geringst  verwendeten 
Reliquiarform  gehören.  Solche  Reliquienbehälter, 
in  welche  nur  kleine  Reliquienstücke  eingelegt 
wurden,  stellte  man  bei  festlichen  Anlässen  gerne 
zur  Zierde  des  Altars  auf  demselben  auf.  Es  ist 
noch  fraglich,  ob  man  nicht  bisweilen  von  der 
eigentlichen  Bestimmung  dieser  Tafeln  als  Reli- 
quienbehälter abging  und  sie  blos  als  selbstän- 
dige Bilder  anfertigte,  nicht  minder  fraglich  ist  es, 
ob  nicht  ingendwo  unter  der  Metallhülle  im  Körper 
der  Holztafel  doch  eine  Reliquienpartikel  einge- 
legt war?  Wir  wollen  daher  gern  unsere  Meinung 
dahin  aussprechen,  dass  das  sogenannte  Schatz- 
kammer-Muttergottes -Bild  zu  Maria -Zell  der 
Hauptbestandtheil  eines  Hausaltares  war  und  mög- 
licherweise damit  die  Bestimnuiug  eines  Reliquiars 
verbunden  wurde.  ...»*... 

Die  "VVaffensammlimg  des  österreichischen  Kai- 
serhauses im  k.  L  Artillerie -Arsenal -Museum 
in  Wien. 

Herausgegeben  von  Quirin  Leitner,  I.  Band,   1—6  Heft.  Fol.  Wien. 
(Mit  einer  Tafel.) 

Es  war  im  Jahre  1846,  als  Friedrich  Otto  Edler 
von  Leber  im  zweiten  und  dritten  Theile  seiner  Rück- 
blicke in  die  deutsche  Vorzeit  das  kaiserliche  Zeughaus 
zu  Wien  eingehend  besprach,  und  eine  höchst  fleissig  ge- 
arbeitete historisch-kritische  Beschreibung  der  daselbst 
befindlichen  Waflensammlung,  bekanntlich  einer  der 
grössten  und  reichsten  Europa's,  zur  Belehrung  und 
Freude  der  Alterthumsfreunde  und  Waffenkenner  her- 
ausgab. Viele  sehr  werthvolle  kleinere  Abhandlungen 
naheliegender  Themata  bereicherten  den  lehrreichen 
Inhalt  dieses  Werkes,  dessen  Ausstattung  übrigens  nur 
in  wenigen,  höchst  einfach  ausgeführten  Illustrationen 
bestand.  Die  lebhafteste  Anerkennung  der  Arbeit  wurde 
hierüber  Leber  zu  Theil ,  und  man  konnte  dem- 
selben nur  bestens  danken,  dass  durch  ihn  zum  ersten- 
mal diese  ganz  bedeutende  Collection  zur  Kenntniss 
der  üflentlichkeit  gebracht  wurde,  und  dass  er  mit  mäch- 
tigen Schlägen  ins  wilde  Gestrüjip  verknöcherter  Vor- 
urtheile  hieb,  so  wie  auch  mit  klarem  prüfenden  Auge 
jenen  oft  wahrhaft  lächerlichen  IMärchen  auf  den  Grund 
blickte,  die  sich  an  den  einen  oder  anderen  Gegen- 
stand seit  alten  Zeiten  hefteten.  Mancher  Anlass  des 
von  Leber  mit  Recht  ausgesprochenen  Tadels  ist  seither 
geschwunden. 

Denn  es  war  kaum  mehr  als  ein  .Jahr  seit  der  Her- 
ausgabe dieses  Buches  abgelaufen ,  als  höchst  verwerf- 

■  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  1867,  pag.  302. 
-  .Mittheil.  d.  Cent.  Comm.  1862,  pag.  113. 


LVI 


lieber  Zerstöruugstrieb  sich  au  der  Sammlung  arg  ver- 
sündigte, was  zur  Folge  hatte,  dass  die  ganze  Sammlung 
in  ein  eigens  zu  diesem  Zwecke  im  k.  k.  Artillerie-Arsenal 
aufgefithrtes  l'racbtgebäude  übertragen  und  dort  in 
systematischer,  den  heutigen  Anforderungen  der  Wissen- 
schaft entsprechender  Weise  aufgestellt  wurde,  wobei 
gar  viele  noch  vom  längst  dahingeschiedeneu  Leber  ge- 
gebene Winke  aufmerksam  gewürdigt  wurden.  Schon 
nahezu  vollendet  ist  die  neue  Aufstellung  der  Sammlung, 
die  in  der  neuesten  Zeit  durch  liedeutende  Acquisitionen 
aus  der  manches  seltene  Stück  bergenden  Rüstkammer 
zuLaxenburg  und  aus  der  nicht  minder  Werthvolles  ent- 
haltenden Satlelkammer  der  k.  k.  Stallungen  vermehrt 
wurde.  Manche  bisher  in  ihren  Bestandtheilen  incomidete 
Küstung  wurde  ergänzt  oder  gar  vollständig  gemacht. 

Im  jedoch  eine  solche  Sammlung,  wie  die  nun- 
mehrige des  k.  k.  Arsenais  ist ,  ordentlich  würdigen  zu 
können,  ist  es  nothwendig.  dass  einerseits  in  einer 
Prachtausgabe  die  bedeutendsten  Gegenstände  weiter 
bekannt  gemacht  werden,  und  anderseits,  dass  mau  nach 
der  Art  wie  es  bei  Sammlungen  des  Auslandes  üblich 
ist,  dem  Besuchenden  einen  verlässlichen  Führer  biete 
in  Gestalt  einer  kurzgefassten  Beschreibuug. 

Die  Obhut  der  Schätze,  so  wie  auch  schon  früher 
die  Sichtung  und  neue  Aufstellung  derselben  ist  dem 
gewesenen  k.  k.  Hauiitniann  und  nunmehrigen  Adjune- 
ten  der  k.  k.  Schatzkammer  Herrn  Quiriu  Leitner  an- 
vertraut. Dass  derselbe  den  Werth  und  die  Bedeutung 
dieser  Gegenstände  zu  würdigen  weiss,  llir  seine  Stellung 
die  volle  Fähigkeit  und  entsprechende  Kenntnisse,  so 
wie  fachwissenschaftliche  Bildung  besitzt,  somit  Herr 
seiner  Aufgabe  i.st,  beweist  jenes  in  der  Aufschrift  be- 
nannte Werk,  mit  welchem  derselbe  nunmehr  vor  die 
Oflentlichkeit  tritt,  und  womit  einer  unserer  beiden  eben 
ausgesprochenen  Wünsche  erfüllt  wird.  Es  ist  nicht  ein 
Erstlingswerk  Leitner's,  deuu  schon  die  ,.Gedcuk- 
blätter  aus  der  Geschichte  des  österreichischen  Heeres- 
haben ihm  sowohl  in  den  Kreisen  der  Militär- Wissen- 
schaft wie  auch  in  jenen  der  Kunst  gebührendes  Lob 
und  Anerkennung  eingebracht. 

Das  vorliegende  Werk  wird  in  circa  20  Heften  voll- 
endet sein  und  besteht  aus  circa  100  Tafeln  sammt  ent- 
sprechendem erläuternden  Texte.  Derselbe  ist  kurz  aber 
völlig  genügend ,  blos  beschreibend,  wobei  dem  tech- 
nischen, historischen  und  künstlerischen  Momente  jedes 
Gegenstandes  hinreichend  Rechnung  getragen  wird. 
Gauz  richtig  widmet  der  Verfasser  grössere  Aufmerk- 
samkeit den  Plattnerzeichen,  so  wie  es  uns  als  ganz 
und  gar  nicht  unwichtig  erseheint,  dass  der  Verfasser 
bei  vielen  Gegenständen,  so  weit  es  möglich  ist,  bei- 
setzt, woher  sie  stammen. 

Nun  zu  den  Abbildungen  übergebend,  glauben  wir 
deren  Werth  damit  am  besten  bezeichnen  zu  können, 
wenn  wir  sie  würdig  dieser  Sammlung  und  des  Pracht- 
baues l)ezeichnen,  in  welchem  dieselbe  untergebracht  ist. 
Die  Illustrationen,  theils  Farbendrucke,  theils  Steingravi- 
rungen  werden  in  einem  im  Arsenale  eigens  eingerich- 
teten Atelier  unter  Leitner's  Aufsicht  genau  nach  den 
Originalien  angefertigt  und  es  ist  gewiss,  dass  in  den 
Zeichnungen  die  sehr  schwierige  Aufgabe,  welche. .die 
Wiedergabe  dieser  Meisterwerke  der  Plattnerei,  Atz- 
uud  Tauscbierkunst  stellt,  in  völlig  zufriedenstellender 
Weise  gelöst  ist.  Sämmtliche  bis  jetzt  erschienene 
30  Tafeln  sind  fast  alle  von  ganz  besonderer  VorzUg- 


lichkeit  und  sichern  dem  kostbaren,  aber  auch  kost- 
spieligen Werke  die  Anerkennung  der  ganzen  kunstver- 
ständigen Welt. 

Wir  können  nicht  unbemerkt  lassen,  dass  das  Titel- 
blatt wahrhaft  genial  zusammengestellt  ist,  es  zeigt  nus 
den  Mittellract  des  Watfenmuseums -Gebäudes.  Xach 
Massgabe  der  Gegenstände  enthält  jede  Tafel  die  Dar- 
stellung eines  oder  mehrerer  derselben  Gattuug;  dabei 
ist  als  Eintheilungsprinrip  die  Gruppirung  in  Kriegs-  und 
PrunkwaflFen.  in  Trophäen  und  Turnierzeug  aufgestellt. 
Mit  grossem  Vcrständniss  hat  der  Verfasser  die  werth- 
voUsten  Gegenstände  der  Samndung  ausgewählt,  einer 
Sammlung,  die  in  ihren  Anfängen  I)is  Kaiser  Max  L 
zurückreicht,  unter  Kaiser  Ferdinand  I.  ausgiebig  ver- 
grössert  wurde,  aber  erst  unter  Kaiserin  Maria  Theresia 
ihren  gegenwärtigen  Umfang  und  eigentliche  Bedeutung 
erhielt,  obwohl  zu  Zeiten  der  franzJisischen  Invasion 
manch  schönes  Stück  nach  Paris  wanderte,  um  dort 
noch  heut  zu  Tage  als  eine  für  Osterreich  traurige  Tro- 
phäe die  Sammlung  des  Artillerie-Museums  zu  schmücken, 

Nach  den  dargestellten  Gegenständen  geordnet 
finden  wir  sieben  Tafeln  mit  Rüstungen,  darunter  den 
schönen  Reiterharnisch  des  Kaisers  Max  I.,  den  er  bei 
seinem  Einzüge  in  Luxenburg  trug,  ferner  jene  gegit- 
terte Rüstung  des  unglücklichen  Königs  Ludwig  II. 
von  Ungarn,  die  interessante  Pfeifen-  (Mailänder?) 
Rüstung,  die  lange  Zeit  der  Wlasta  {^.)  zugeschrieben 
wurde,  mehrere  Harnische  des  Kaisers  Ferdinand  I.. 
und  endlich  die  Rüstung  des  bekannlen  Generals  Spork 
t  1679  (^FarbendruckV 

Ferner  sehen  wir  die  berühmte  Sturmhaube  Karl'sV. 
nebst  vier  anderen  Helmen  und  Eisenhüten  des  XV.  und 
XVI.  Jahrhunderts,  den  Kürass  und  eine  kunstreich 
ausgestattete  Sturmhaube  Karl  VI.,  und  endlich  das 
ebenfalls  in  Farbendruck  ausgeführte  Koller  des  Sclnve- 
denköuigs  Gustav  Adolph;  mit  Ausnahme  einzelner 
kunstreicher  Degen-  und  SäbelgrifiFe  (s.  die  beigegebene 
Tafel)  <  ist  immer  eine  grössere  Anzahl  von  gleicharti- 
gen Waffen  auf  einer  Tafel  vereint,  und  wir  zählen 
bereits  sechs  mit  Abbildungen  von  Schwertern,  zwei 
von  Helmbartcu,  zwei  von  Cussen,  eine  von  Streitäxten, 
von  Armbrüsten  und  Partisanen  etc. 

Indem  wir  nun  unsere  Besprechung  schliessen, 
können  wir  nur  unseren  Ausspruch  des  Lobes  über 
die  grosse  Bedeutung  des  Buches,  so  wie  über  den  Ge- 
schmack und  die  Sorgfalt,  die  auf  die  Herausgabe  ver- 
wendet wird,  wiederholen  und  wünschen,  dass  dieses 
Werk  in  keiner  öffentlichen  oder  Privatbibliothek  von 
Bedeutung  fehle.  Wir  sind  überzeugt,  dass  jeder  Freund 
der  Denkmale  des  Mittelalters  uns  zustimmen  wird,  wenn 
wir  sagen,  dass  Herr  Leitner  mit  diesem  Unternehmen 
eine  österreichisch.'  Ehrenschuld  getilgt  hat.  Er  hat  in 

•  Zur  BegrüadUDä  unseres  Lobes  über  die  Ausstattung  dieses  AVerkcs 
bringen  wir  in  der  .Anlage  eine  Tafel  Nr.  34;  desselben.  Wir  sehen  einen  Degen- 
griff aus  dem  letzten  Drittel  des  XVI.  Jahrhunderts.  I.  citner  beschreibt  ihn 
folgeudermassen  : 

.\lle  ornamenlirten  Theile  sind  Ton  grauem  Elsen,  die  Zeichnung  ist  mit 
Gold  ausgeschlagen,  einzelne  Gegenstände  der  Darstilluni^en  sind  Silber  tan. 
sciiiri.  wvfdurch  die  Wirkung  des  Ganzen  wesentlich  erli'  li:  wird.  So  gcschmack- 
Toll  die  Arabesken  auch  componin  und  ausgeführt  sind,  so  lässt  die  Correct- 
heit  der  Zeichnung  bei  den  figürlichen  Darstellungen  noch  manches  zu  wünschen 
übrig;  dies  findet  zum  Theil  aber  seine  Erklärung:  in  d.-r  ausserordentlichen 
Schwierigkeit,  welche  die  aalfcescblagene  Tauschirang  bei  unregeltsässigcn 
Linien  verursacht  und  die  selbst  bei  der  grbssteu  manuellen  Fertigkeit  des 
Meisters  immer  bei  dieser -Arbeit  hervortritt,  deshalb  werden  bei  so  minutiösen 
Darstellungen,  wie  der  abgebildete  Degen  sie  zeigt,  nur  schwer  kleine  Fehler 
zu  vermeiden  sein.  Im  Ganzen  i»l  die  Comp^sition  schwungvoll  und  voll 
N'aivitSi.  Auf  der  vorderen  Seile  des  KüugenverstarkungsstOckes  zunächst 
der  Angel  zeigt  sich  ein  Klingenschmiodc-stcmi'el  eingeschlagen  und  auf  den 
schmalen  Seiten  dieses  Vcrstärkuncsslückes  der  Name  des  Tausehirkunstlers 
Ifamiauu.s  de  Nerve  und  die  Worte  me  fecit  in  Gold  tauschirt- 


DEGEN, 


'-na- 


Museum  in  Wien" 


Heraiisge^eben  von  (tuir  leitner 
Irui:lt.a.U3  d  k.kHoT-u.  Staats druckeTgi 


LVII 


höchst  würdiger  Weise  auf  jene  Denkmale  aufmerksam 
gemacht,  an  denen  zum  grossen  Theile  die  persönlichen 
Erinnerungen  der  mächtigsten  Herrscher,  Feldhcrrn  und 
Staatsmänner  Österreichs  haften ,  auf  wahrhafte  Denk- 
nmle  des  Hauses  Habshurg  und  ihrer  mit  Österreich  so 
innig  verflochtenen  Schicksale.  .  .  .m.  .  . 

Die  Restauration  des  Frauenchors  in  der  St.  Stephans- 
kirche  zu  Wien. 

Es  dürften  nahezu  zehn  Jahre  sein,  dass  der  links- 
seitige Chor  der  St.  Steplianskirche,  gewöhnlich  der 
Frauenchor  genannt,  gesperrt  und  der  Zutritt  dahin  den 
Andächtigen  nicht  mehr  gestattet  wurde,  da  man  densel- 
ben einer  eingebenden  Restanration  unterziehen  wollte. 
Bald  erhoben  sich  Gerüste  bis  zum  Gewölbe  hinan,  die 
Altäre  trug  man  ab,  man  beseitigte  die  zahlreichen  Grab- 
male; und  Hanunerund  Meissel  waren  geschäftig,  die  ans 
Russtünche,  Staub  und  Feuchtigkeit  während  der  Jahr- 
hunderte entstandene  Patina  zu  beseitigen.  So  ging  es 
munter  und  geschäftig  eine  "Weile  fort;  da  wurde  es  im 
versperrten  Räume  allmählig  ruhig  und  immer  stiller, 
und  das  vorwitzige  Auge  eines  durch  die  Risse  der  Vor- 
hänge Blickenden  sah  nur  ein  Bild  der  Verwüstung, 
wie  wenn  die  Arbeit  mitten  im  Schaffen  plötzlich  abge- 
brochen wäre  und  die  Bauleute  nur  auf  Augenblicke  sich 
entfernt  hätten.  Steinabfälle  und  Staub,  altes  Eisen, 
das  zum  Gerüste  bestimmte  aber  nicht  mehr  l)enutzte 
Holzwerk,  neue  Werkstücke  imd  Statuentrümmer  lagen 
umher  und  gestatteten  kaum  einen  Durchgang  durch 
das  unheimliche  Gewirre.  Allein  es  war  dies  mit  nichten 
eine  momentane  Ruhe.  Gar  lang  herrschte  diese  Ode 
im  verlassenen  Räume  und  manchen  übertrieben  Vor- 
sichtigen schien  es  bereits  nöthig,  das  schon  so  lauge 
verwendete  Gerüstholz  auszuwechseln,  da  es  durcli 
die  Länge  der  Zeit  schadhaft  geworden  sein  dürfte  und 
bei  künftiger  Wiederaufnahme  der  Arbeit  die  Arbeiter 
leicht  Schaden  nehmen  konnten. 

Mit  dem  Jahre  1869  wurde  es  anders;  es  kam 
wieder  Leben  in  die  verlassene  Werkstätte,  geschäftig 
stieg  wieder  der  Steinmetz  die  Leitern  hinauf,  lustig 
erklang  im  reinen  Tone  der  Hammerhieb  am  Steine, 
und  allmählig  lichter  wurde  der  Wald  der  Gerüsthölzer. 
Jlit  dem  Chörlein,  das  sich  Bischof  Brenner  baute,  um 
geschützt  gegen  der  Witterung  Unbilden  der  Andacht 
im  Münster  beiwohnen  zu  können,  (wobei  es  aber  den- 
selben nicht  berührte,  dass  dieser  Aufbau  zugleich  eine 
\^erunglimpfung  des  Grabmals  des  Stifters  des  Wiener 
Doms  war),  verschwand  auch  die  Stiege,  die  längs  des 
Chorschlusses  dahinauf  führte,  Werkstücke  füllen  wieder 
die  zum  Tragen  dieser  Stiege  ausgemeisselten  Stellen 
der  flauer  aus  nnd  säuberlich  abgearbeitete  Figuren 
schmücken  unter  den  zierlichen  Baldachinen  die  für 
diese  Zier  bestimmten  Consolen  an  den  Wandpfeilern 
des  nunmehr  bis  zur  blendend  nüchternen  Weisse  aus- 
geputzten Steinbaues. 

Ging  auch  diese  Restauration  regelrecht  vor  sich, 
so  ist  doch  nicht  zu  verkennen,  dass  sie  mit  einer  ge- 
wissen Hast  betrieben  wurde;  denn  man  machte  weder 
Miene,  diesen  Raum  zu  polychromiren,  was  für  Belebung 
derArchitekturdringeud  nöthig  wäre,  noch  stellte  man  an 
etliche  Stellen,  wo  Consolen  sind,  Figuren  —  denn  da 
schon  seit  vielen  Jahren  keine  dort  standen,  hätten  sie 


neu  gemacht  werden  müssen  —  noch  sorgte  man  für 
einen  würdigen  stylgemässen  Altar.  Xicmandeu  wird  es 
jedoch  einfallen,  für  diese  Versäumnisse  die  Donibau- 
leitung  verantwortlich  zu  machen,  die  nie  in  Verlegen- 
heit ist,  die  besten  und  correctesten  Vorschläge  für  die 
Restauration  des  Domes  zu  machen  und  dabei  immer 
Gediegenes  geleistet  hat.  Allein  das  Factum  besteht  und 
es  ist  sicher,  dass  der  Mangel  eines  passenden  Altars 
schon  bei  flüchtiger  Besichtigung  dieser  Abseite  unange- 
nehm berührt.  Es  dürfte  wohl  nicht  sehr  schwierig  sein, 
von  irgend  woher  einen  alten,  kunstreichen  gothischen 
Altar  für  diese  Stelle  zu  acquirireu  '. 

Doch  eines  wurde  bei  dieser  rasch  zu  Ende  geführ- 
ten überstürzten  Restauration  zu  Stande  gebracht,  was 
der  Freund  der  Wiener  Geschichte  nicht  genug  dankend 
anerkennen  kann,  das  ist  die  Wiederaufstellung  der 
beseitigten  Grabmale,  welche  Aufstellung  gleichzeitig 
auch  im  Passionschor  durchgeführt  wurde ,  nachdem 
dieselben  dort  ebenfalls  bei  Gelegenheit  derRestauration 
ans  den  Wänden  herausgenommen  und  entfernt  wurden. 
Nur  ein  Monument  blieb  seinem  Verfalle  überlassen,  es 
ist  jenes  in  der  letzten  Arcade  gegen  den  Hauptchor 
aufgestellte,  über  dessen  Bestimmung  unter  den  heinn- 
schen  Geschichts-  und  Alterthumsforschern  noch  einiger 
Zweifel  herrscht,  da  es  nicht  ausgemacht  ist,  ob  es  in 
Folge  seiner  unbestimmten  Umschrift  auf  Rudolph  IV. 
oder  Albrecht  HI.  bezogen  werden  soll.  Immerhin  wird  es 
aber  einer  Person  zugeschrieben,  die  sich  um  den  Bau 
dieser  Kirche  besondere  Verdienste  erworben  hat,  nnd 
wir  halten  es  als  eine  Ehrenpflicht,  dass  seiner  Zeit, 
wenn  an  die  Restanration  des  Hauptchores  Hand  ange- 
legt wird,  auch  diesem  arg  verfallenen  Denkmale  die 
entsprechende  Fürsorge  und  Aufmerksamkeit  gewidmet 
wird. 

Was  nun  die  wiederaufgestellten  Grabmale  betrifft, 
so  reihen  sich  gegenwärtig  im  Frauenchor  an  der  linken 
Wand  folgende  aneinander: 

1.  des  Prinzen  Karl  Eugen  von  Lothringens, 

2.  des  Cardinais  und  Bischofs  Melchior  Kiesel  =, 

'  Z.  B.  jenen  ehemaligen  Hochaltar  in  der  Cistercienscrlcirclie  zu 
Wiener-Neustadt,  der  fast  dem  Verfalle  preisgegeben  ist. 

-  Eine  rothe  Marmorplatte,  darauf  das  Lothringisclie  Wappen,  welches 
so  wie  die  leistenartige  Einfassung  der  Platte  und  die  Buchstaben  aus  Bronce 
verfertigt  ist.   Die  Inschrift    lautet: 

Carolo  .  Eugenio  a  Lotharingia  .  principi  .  illustrissimae  Lothariugo- 
rum  .  stirpis  .  quae  .  ab.  anno.  MDXTII.  gallia  .  floruit  .  ultimo  superstiti . 
aurei  .  velleris  .  equiti  .  militaris  .  ordinis  .  mariae  .  Theresiae  .  commendatori . 
ordinum  .  christianissimi  .  regis  .  equiti  .  duci .  equitatus  .  generali .  et  .  legionis  . 
equitum  .  cataphractorum  .  proprietario  .  caes.  reg.  turmae  .  praetorianae  . 
primae  .  capitaneo  .  qui  .  XXVIII  septembris  M  .  D  .  CCC  .  XXV  viennae  .  de- 
cessit  .  Imperator  .  caesar  .  francijcus  .  I.  aug.  hoc  monumeotura  .  fieri  .  jussif 
(Dieses  Grabmal  stand  früher  als  fünftes  in  der  Reihe). 

Auf  dem  kleinen  Gruftsteine  inmitten  des  Chors;  Carol.  Eug.  |  Lotha- 
ringiae  1  Princeps. 

3  Dasselbe  zeigt  im^  oberen  Theile  die  Büste  des  hier  Ruhenden;  dar- 
unter das  Wappen,  welches  der  Lange  nach  getlieilt  ist,  und  im  ersten  Felde 
einen  getlügelten  I.öwen,  im  zweiten  drei  schräg  linke  Binden  zeiget. 

Die  Inschrift  lautet: 

Monumentuin  Eminentissimo  &  Reverendissimo  Principi  |  Et  D.  D.  Mel- 
chiori  S.  R.  E.  Tit.  1  S.  Mariae  de  Pace  Presbytero  |  Cardinali  Kleselio  |  Epi- 
scopo  Vien.  et  Neosfadiensi  |  Augustissimi  Tmperatoris  Mathiae  arcanorum  1  con- 
siliorum  Directori  |  Haeresum  persecutori  |  Religionis  catholicae  hie  labantis 
Restauratori  1  Maxim.  P.  P.  P.  et  Imp.  Rom  ob  Excelsas  Ingenii  ac  Naturae  Dotes 
ad  summas  res  adhibito  |  Eloquentia  Consiliis,  legationibus,  et  Ingentibus  factis 
I  per  Orbem  christianum  Clarissimo  qui  utraque  fortuna  domita  |  Exactis  vitae 
Annis  T.XXVH  Episcopatus  Viennensis  XXXVI  |  Coelo  jam  maturus  (  facul- 
tates  suas  Deo  sibi  commissis  Ecclesiis  ]  Corporis  vero  Exuvias  Meritorum 
suorura  deinceps  Gloria  vestieudus  morti  lubens  cessit  Die  XVII  Septbr. 
CIOIOCXXX  Hie  I  ad  Aram  11.  A'.  51.  sepultus  [  Antonius  ejus  in  Episcopatu 
Vienn.  Suceessor  |  Invictissimorum  Caesarum  Ferdinand!  II  et  III  [  Coiisilia- 
rius  Intimus  [  Praesüli  aeterna  memoria  diguissimo  |  Pie  posuit. 

Das  Monument  ist  aus  weissem  Marmor  und  war  früher  mit  vielen  Em- 
blemen des  Todes  verziert.  Klesl's  Herz  wurde  in  Wiener  -  Neustadt  in  der 
Dorakirche  zunächst  des  Hochaltars  beigesetzt. 

Über  den  zu  Wiener-Neustadt  verstorbenen  Bischof  und  Cardinal 
Melchior  Kiesel  s.  Orgesser  1.  c.  221 — 233,  Tschischka's  Geschichte 
Wiens  377  und  396,  Hormayr's  Geschichte  Wiens,  I.  Jahrgang,  4.  Band, 
3.   Heft  GT  — 71. 

In  der  Nähe  des  Monuments  befindet  sich  im  Boden  der  rothmarmorne 
Gruftstein  mit   der  Inschrift: 


LVIII 


3.  des  Erzbischofs  Sijrisninnd  Kolouitscb  *, 

4.  des  Erzbischofs  Johannes  Trautson », 
5. 


des  Bischofs  Georg  Slatkonia  «, 


S«Tereiida$  Pominos  Melchior  Eleselius  VieoncnMs  i  Austriae.  cum  xb 
ItLxictitsimo  Caesare  Kadoipbo  1  Anno  M.  P.  LÜIX  proprio  motu  In  prae- 
positnm  ,  Saactae  Catbedralis  hoJQ»  ecelesiae  puMicar»tur  ejasd«in  pari  b«nl- 
goiraie  in  Episcopum  Anoo  M  .  D  .  XC  -  VUI  .  XXIV  Jaonnarii  die  procla- 
m&inr  losnper  a  Paulo  V.  Sammo  Pontifice  Apo^toHci  Concionaioris  litalo 
iosigoitus  malti»  ac  Tartis  pro  Ecclesia  Dei  &  Cbriftina  RcpublicA  fuecepUs 
laboriba?  confecta^     Deo  animam  reddidii  Anno  M  .  DCXXX. 

*  D&5  Mcnameot  des  Erzbischofs  Sigismand  Grafen  Ton  Kollonitsch. 
Dasf-elbe    ist    aus    weissem    Marmor   ond    bildete    ehemals   eine    Nische^ 

nnerhalb  deren  die  Ton  MoU  gearbeitete  BOate  des  Erzbischofs  angebracht 
ist.  Um  dieselbe  "war  das  PaJIium.  die  Inful,  d&s  Pedum  und  das  Patriarchen- 
krtuz  acgebracht.  Vber  dtm  Monumeni  erschien  die  Gestalt  feiner  Victoria 
in  eine  Tuba  ^to^£t'nd.  Anf  dem  Sai^e,  an  dessen  Seiten  sich  £\rci  trauernde 
Gestalten  bennden,  ist  das  Kollocit:^ch'sche  Wappen  angebracht.  Dasselbe  hat 
sieben  Felder  und  ein  Mittelschiid.  Im  ersten  rothen  Kelde  ist  eine  silberue 
Qaerbinde  mit  einem  Kreuze  daraufstehend,  im  zweiten  und  siebenten  eine 
silberne  5chrii'rr''rhfe  Binde  mit  drtri  KJeeblSttern  nach  oben,  im  dritten  schwar- 
zen ein  drciv  ■  r  Werkstein,  im  rierten  und  fünften  rotben.  ein 
L'jcr.s  niii  hii.  ;.em  Schweife  und  ausgestreckter  Zunge,  und  endlich 
im  >ecii,-ten  r  -  -dene  Fischgräte.  Der  MittelschiJd  i.-t  quadriert  und 
zeigt  im  erste u  -:.i  vierten  »elssen  Felde  einen  springenden  Wolf,  im  zweiten 
und  dritten  rothen  ein  goldenes  Rad. 

Die  Inschrift  lautet: 

I>.  F.  O.  M.  ,  Sta,  qui  nnnquam  non  curis  ad  metam ,  quam  Tiator,  si 
potes  4  refer:  Vel  in  exemplnm  vel  in  admirationem  Posierorum  Memoriae 
Sigisfflundum  Cardinalem  a  Kollonitsch  Arehi-Praesulem  temo  testimonio 
piis^i::.um.  Innocentia  viiae,  Probiiate  Morum,  Eminenlia  virtutum,  Hinc  recie 
Eminentissifflus  Cui  virtutes  solum  eminentes ,  mediocris  nulla.  Tantus  cum 
esset  Viennensls  Ecelesiae  Anti^tes  S.  E.  J- Princeps  creatuä  Anno  MDCCXVI 
episeopali  infala,  quia  digiii>simu5  meruit  ac  debuit  favore  CaroÜ  VI  Impe- 
raioris  Primo  Viennae  Archi-Episcopali  Pallio  exomari  MDCCXXIII  Tl  primus 
&  secundus  eiset.  Ipsi  insictiium  in  Eccle>iam  meritorum  purpur.a  irans- 
mittitur  Anno  MDCCXXVIII  Celebrato  anno  MDCCXLIX  adaras  Sacerdotii 
jnbilaeo  tempus  suae  resolutionis  in^tare  videns  Eeclesiam  suam  noluit  relin- 
quere  vidoam.  Idco  non  came  &  sangine,  sed  releranie  s-uperno  flamine 
sponstun  elegii  Josephum.  quem  in  ipsa  divinae  nativitatis  nocte  Archi-Epis- 
scopum  ecnsecrans  gennit  Succe^sorem  Anno  MDCCL.  Yiiii  Sigismundus  dives 
paaperibus.  sibi  DiTitf  pauper.  ut  etiam  post  fata  esset  munificus,  omnia  sua 
bona  lestamento  reliquit  pauperibus  Orphanis.  Tandem  peracio  senectutis 
Vespere  plenus  diemm  et  Gloriosus  meriiis  Post  mediam  noctem  abdorraivit 
in  Doicino  Anno  MUCCLI  aetatis  I-XXV.  Die  XII  April  Cui  a  maximo  asque 
ad  niinimum  parentant,  aetemam  requiem  omnes  devotissime  precantnr. 

Der  hier  begrabene  Sigismund  Graf  Ton  Kollonitsch  war  der  jüngste 
Sohn  des  Grafen  Johann  sigismund  von  Kollonitsch  und  der  Regina  Elisabeth, 
gebomen  Gräfin  von  Speidl .  wurde  am  30.  Mai  1676  geboren,  nnd  war  der 
letzte  Mannssprosse  seines  Geschlechts.  Zuerst  war  er  Domherr  in  Gran,  Titn- 
lar.Bischof  in  Scutari,  l'OS  Bischof  von  Weitzen,  1TI6  Bischof,  1723  Erzbischof 
Ton  Wien,  1727  wurde  er  Cardinal,  Protector  von  Deutschland  und  Grossinqui- 
sitop  von  Neapel  und  Sicilien.  Über  sein  Leben  s.  Wissgrill  V.  193—194, 
Ogesser  1.  c.  247—251. 

Auf  dem  Gruftsteine,  der  sich  gerade  vor  dem  Monumente  im  Fuss- 
boden  befindet,  ist  folgende  Inschrift: 

Sigismundus  ■  s.  r.  e.  Cardinalis  Presbyter  S.  R.  J.  Princeps  Primus 
Archiepiscopus  Viennensis  et  Comitibus  de  kollonicz  obiit  Die  XII  Aprilis 
MDCCLI.  aetatis  suae  septnagesimo  quint.  ]  Requie^cai  in  pace. 

^  Dasselbe  ist  aus  weissem  und  schwarzem  Marmor,  und  bat  die  Form 
eines  Obelisken,  vor  demselben  ist  ein  Sarg  aogebrachi.  Der  Obelisk  endiget 
in  einen  mit  einer  Schlange  umwundenen  Todienscbadel.  In  der  Mitte  des 
Obelisken  ist  das  durch  das  Wappen  des  Wiener  Erzbistbums  vermehrte 
forstlich  Trautsohn'sche  Wappen  angebracht. 

Am  Sarge  befindet  sich  das  Relief-Bildniss  des  Erzbisrbofs^  umgeben 
von  den  Symbolen  der  Kirche  und  des  Todes,  als:  dem  auf  dem  Evangelium 
ruhenden  Kelche,  der  Urne,  und  zwei  Engeln,  deren  einer  einen  Spiegel,  der 
andere  eine  abgebrochene  Kerze  hiU. 

Die  Inschrift  ist  bereits  grosslentheils  zerstört  und  tautet: 

Josephus  Filius  Joannis  Ler^p.  S-  R-  J-  Principis  a  Trautsohn,  Genere, 
Yirtute,  Doctrina  eonspicuus,  Prima  adolescentia  Canonicus  Satisburgeusis  & 
T*aiaviensis.  Mox  Praepositus  Sexardiensis  Post  Archi-Episcopus  Viennensis 
S.  R.  J.  Princeps.  Deniqne  Cardinalis.  Supremus  liberalium  studionim  Mode- 
rator Multis  brevi  tempore  Rebus  Gestis  pro  chrisiiana  &  civili  Republica 
Plures  &  Majores  Moliens  Morte  Praerentus.  Anno  -lltatis  LIII.  Anno  Domini 
MDCCLVII. 

Der  hier  ruhende  Erzbischof  Johann  Joseph  ist  der  Sohn  des  Fürsten 
Johann  Leopold  Donat  von  Trauisohn  und  der  Maria  Theresia  gebornen 
Gräfin  von  Weissenwolf.  Er  wurde  zuerst  Domhew  zu  Passau.  Breslau  und 
Wien.  Probst  zu  Ardegger  und  Abt  zu  Sexard,  passaueriscber  Official  unter 
der  Enns,  I75ö  C'cadjutor  des  Cardinal  und  Erzbischofs  K'-lloniisch  zu  Wien, 
1751  wurde  er  Erzbi^chcf  Vvn  Wien,  1756  vom  Pap.-ite  Benedict  dem  XIV.  in 
die  Zahl  der  Cardiosle  aufgenommen,  geh.  Kath,  endlich  Hofcaplan  der  Kai- 
serin Elisabeth  Christine  und  starb  175*.  Das  Monument  Hessen  seine  Ver- 
wandten errichten. 

Auf  der  linken  Seite  in  diesem  Chor  ist  seine  Gruft,  und  auf  der 
Deckplatte  zu  lesen:  J.  S.  R.  E.  P.  1  C-  T.  C.  J.  I  F.  A.  E.  V.  ]  S.  R.  J.  P.  l 
A.  1757,  d.  i.  Josepbns  Sanctac  Romanae  Ecelesiae  Presbyter  Cardinalis 
Trautsohn,  Coires  in  Falkenstain,  Arcbi-Episcopus  Viennensis,  Sacri  Romani 
imperii_Princep6  Anno  1757. 

Üt;er  das  Leben  des  Erzbisch-fs  Trautsohn  s.  Ogesser  I.  c.  251- S53. 

•  Eine  durch  Säulen  und  anderen  archiiekronischen  Schmuck  verzierte 
Küche  aus  rothem  Marmor .  in  derselben  die  lebensgro.-sc  Kelieffigur  des 
Bischofs  mit  der  Casula  nach  älterem  Schnitte  angeihan.  auf  dem  Haupte  die 
Mitra,  In  d^r  rechten  Hand  ein  geschlo^^e^es  Buch,  in  der  linken  das  Pedum  mit 
dem  Sudariam.  Im  Tynipa.K-n  siüd  zwei  Wappenschilder  angebracht,  die  auf 
zwei  Bi*chofestSben  ruhen,  uod  mit  einer  Infel  überdeckt  sind.  Das  erste 
Wappen  i^:  das  des  Wierier-Eitthums,  eine  wei^e  Binde  mit  darauf  gestelltem 
■»..i-  .^T  V-,  ,*e  Ina  rothen  Felde,  das  zweite  Wappen  ist  borisonral  in  zwei 
"^  '  in  dem  oberen  kleinen  Felde  ein  Kreuz  zeigend.  Das  untere 
i-'  :reifvldig  und  zwar  zuerst  mit  einer  Binde,  sodann  die  rechte 
Jirt..;.;  •  ;m     Ij'^'ppeladlers  und  endlich  ein  Pferd  darinnen. 

Darunter  die  Inscbrlft  . 

Gerrgiut  a  Slatkonia  Natioz.e  Camiolus  Labacensis  ciTitatis .  hojus 
templi    pontifex    &    Pecinensis    administrator ,    Divi    Maxiroiliani    cae^aris    Au- 


6.  des  Ritters  Adam  Schweikovitz  ". 

7.  des  Propst  Veit  Easnian  n 

8.  des  Cardinais  Alexander  Bisehof  v.  Massovieu», 

9.  des  Fahnenträgers  Leo  Nothhaft»«, 

10.  des  Bischof  Johannes  Kosinus  »», 

11,  des  Stephan  Gundel  »s. 

Der  Burgbruimen  zu  Trausnitz. 

Mi:  1  ll'.-Szschniti.j 

In  seltenen  Fällen  waren  die  Brunnen  in  den  mit- 
telalterlichen Burgen  künstlerisch  ausgestattet;  die  Ab- 
bildung des  eisernen  Brunnens  in  der  Burg  Trausznitz 
zeigt  uns  einen  jener  weniger  hübsch  geschmückten 
Brunnen. 

^stissimi  a  consilio.  Archimnsicusqne.  Vir  pietisslmos  ,  modestlssimus 
integerrimus.  qui  in  ornando  Episcopatu  Viennensi,  omnes  antecessores  suos 
facile  superavit.  Yivens  ni'-nuinenium  sibi  tieri  curavi;.  Anno  saluiis 
M  .  D  .  XXn  sexto  Calendas  Maji  Vixit  annis  LXVI  mense  uno  diebus 
qtünqae. 

Über  das  Leben  des  Bischofs  Georg  Slatkonia  s.  Ogesser  1.  c.  209— 
214,  woselbst  auch  das  Monument,  jedoch  mangelhaft  abgebildet  Ist. 

'  Eine  grosse  tch^'U  gearbeitete  Marmorplatte,  darauf  ist  unter  Laub- 
gewinden das  Wappen  der  Familie  Schweikovitz  angebracht.  Dasselbe  ist 
senkrecht  getheilt  und  zeigt  im  ersten  Felde  das  Wappen  von  Jerusalem  im 
blauen  Grunde,  im  zweiten  Felde  eine  Fahne,  darauf  ein  Kreuz.  Als  Helm- 
zimier  erscheint  auf  dem  ersten  Uelme  ein  wachsender  Löwe  mit  Fahne  wie 
im  zweiten  Felde  und  auf  dem  zweiten  ein  zwolfAtrahliger  Stern. 

In  den  beiden  unteren  Ecken  sind  zwei  kleine  Wappen  angebracht, 
deren  rechtes  nicht  ausgearbeitet,  das  linke  quadriert  ist,  und  im  ersten  und 
vierten  Felde  das  hyerosolimitanische  Kreuz,  im  zweiten  und  dritten  zwei 
gekreuzte  Steinbocknörner  zeigt. 

Die  Umschrift  lautet: 

Hie  ligt  begraben  der  Edl  und  erenfest  Adam  Schwetkowitz,  der  ge- 
storben ist  am  nevnzenbn  Tag  des  monats  nowem  [  her  anno-  1522  u.  Fraa 
katharina  sein  gemahel  starb  am  15  ■    -    •  Tag  .    .    . 

s  Eine  rothe  Marmorplaite,  darauf  unter  einem  gothischen  Baldachin 
die  lebensgrosse  Relieffigur  des  Propstes  Rosman;  im  Priesterge wände  mit 
Mozette  und  Piretum  auf  einem  Löwen  stehend.  Zur  linken  halt  ein  Löwe  ein 
geschlossenes  Buch,  zur  rechten  ein  Wappen,  welches  auf  einem  Hügel  einen 
Mann  zeigt,  welcher  in  jeder  ausgestreckten  Hand  ein  Schilfrohr  hält. 

Die  Umschrift: 

anno  salntis  christianae  1504  prima  die  augusti  ;  viventium  e  medio 
sublatus  est  venerabilis  egregiusque  Dominus  Dominus  |  Vitus  Rosman  Prae- 
positus Zoliensis,  plebanasque  in  Valknstaio  j  hie  sepultus  Cujus  aia  in  Deo 
vivat  amen. 

*  Eine  rothmarraorne  Tafel,  darauf  die  lebensgrosse  Kelieffigur  des  hier 
Ruhendon,  im  langen  faltenreichen  Kleide  mit  Rog«i  und  Mozette.  den  Car- 
dinalshut auf  dem  Haupte,  dessen  Quasten  bis  zu  den  Füssen  reichen,  mit 
der  rechten  Hand  segnend,  mit  der  linken  hält  er  ein  hvhes  Kreuz.  L>as  Haupt 
ruhet  auf  einem  Polster,  und  von  den  Knien  an  smd  auf  beiden  Seiten  je 
zwei  Wappenschilder  angebracht,  deren  oberes  links  und  unteres  rechts,  den 
einköpfigen  ungekrönte  n  deutschen  Reichsadler .  die  beiden  anderen  einen 
ungekrönten,  einköpfigen  Adler  mit  Kleestängeln  auf  den  Flügeln  zeiget.  Die 
Inschrift  lauft  um  den  Rand  der  Platte  und  lautet:  Majuskel)  anno.  dm. 
M  .  CCCCXHV.  Die  scda  mesis.  i  juny.  o.  reverendiss.  i.  xpo.  pr.  4:  Dlmu». 
princeps.  ac  dns  dns  alexander  \  dei  gra.  Cardinalis.  Patriarcha  |  Aquil.  Admi- 
nistrator Eccle.  Trident.  et  Dux  Masoviae  cujus,  aia.   vivat.  i.  deo. 

Alexander  Herzog  von  Massovien  war  der  Milchbruder  K.  Friedrfch's 
des  dritten.  Er  war  Cardinal,  Patriarch  von  Aqnileja,  Administrator  der  Bis- 
tbümer  von  Trienl  und  Chur;  die  hiesige  Propste!  liess  er  durch  einen  Vicarius 
verwalten,  hatte  diese  Würde  jedoch  nur  zwei  Jahre  inne.  S.  Ogesser 
1.  c.   1-S9.) 

'*  Auf  der  rothmarmornen  Platte  beinahe  lebensgross  die  Relieffigur  eines 
mittelalterlich  gekleideten  Fahnenträgers.  In  der  linken  Ecke  ist  ein  kleines 
Wappen  angebracht.  Dasselbe  zeigt  einen  Bindenschild ,  der  Helm  hat  ein 
Bufielhörnerpaar  als  Zimier  von  zweierlei  Tinkturen,  die  zwischen  denselben 
wachsende  Figur  ist  unkennbar. 

Die  jetzt  verschwundene  Inschrift  lautete :  Hie  jacet  in  getico  Leo 
nothliafFc  signifer  |  hoste  nobile,  cui  nomen  mens  generosa  dedit. 

Ogesser  sagt  pag.  S'M.  Leo  Nothhaft,  Fähnrich  zu  Raab  t  Ji66. 

Auch  Fischer  sagt  über  dieses  Monument:  Hie  ligt  begraben  der  Edl 
und  Ernvest  Herr  Leo  Xothh.ift  v.  Weissenstein.  r.  k.  m.  gewester  Hofdiciier 
und  Fähnrich  zu  Raab  in  Ungarn,  welcher  den  8.  Novbr.  151C  alhie  zu  Wien 
in  Gott  verschieden  ist. 

'»  Zwei  Platten  von  weissem  Marmor.  Auf  der  grossem  Oberen  zeigt  sich 
das  plump  gearbeitete  Brustbild  eines  Priester»,  das  Haupt  mit  dem  Piretum, 
und  die  Schultern  mit  der  Mozette  bedeckt.  Mit  beiden  Händen  hält  er  ein 
geschlossenes  Buch.  Auf  der  Seite  zeigt  sich  gegen  die  Ecke  oben  die  Mitra 
und  das  Pedum,  auf  der  anderen  Seite  ein  quadriertes  Wappen,  in  dessen 
erstem  und  viertem  Felde  die  linke  Hälfte  eines  senkrecht  geiheilten  Kreuzes, 
und  ein  senkrechter  Pfahl,  und  im  zweiten  und  dritten  oberen  Felde  ein 
Schwan,  und  im  unteren  drei  Ro^en  sich  befinden.  Auf  der  kleineren  unteren 
Inful  befindet  sich  die  Inschrift,  sie    lautet: 

D.  0.  M.  S.  ;  Joauni  Kosino  Art.  Praeposito  Viennensi  Consiliario  1 
Regio  et  siogtilari  morum  probiiate  graecis  laiinifque  ]  literls  exulto  ac  ingre- 
dibüi  facultate  concionandi  (  praedlio  haercdes  bene  de  litcris.  ac  religione 
chri&tiana  [  merito  hoc  m<^<riuntentum  ;  P.  P.  obiit  18  Noqemb.  1M5. 

Kurze  Andeutungen  Über  das  Leben  dieses  hier  Ruhenden,  welcher 
jedoch  nur  durch  ein  Jahr  die^e  kirchliche  Würde  bekleidete,  s.  Ogesser 
1.  c.  192— ir»3. 

^  Eine  Kehlheimerplatte  mit  folgender  Inschrift: 

Hie  Stephan  Gundel,  Socia  viriuie  Senator  (  Vir  cui  uUa  qulcs  vix  ali- 
quando  futt  j  Virque  cui  sane  sexdenr  s  trcsque  per  annos  i  Indefessa  erat  nocte 
dieque  labor  !  Post  consumatos  tandem  cum  laude  labores  |  Ultima  nunc 
ipsi  est  hicce  Iccafa  quies  Unde  Viator  ei  requiem  die,  quaeso  perennem  . 
HoC  ProLes  LVgeos  et  geMebVoDa  jeilt. 


LIX 


Dieser  eiserne  Brunueu,  welcher  uuter  den  uus 
bekauuten  ähnliclien  Gebilden  wohl  der  schönste  ist, 
erhebt  sich  auf  rundem  3  Ftiss  hohen  steinernen  Brun- 
uenkranz,  an  welchem  ein  grosser  Steineubus  zum 
Aufstellen  der  Eimer  angebaut  ist,  auf  dem  Brunneu- 
kranz  liegt  als  Schutz  des  Steines  dickes  Eisenblech; 
auf  diesem  steinernen  Unterbau  nun  erhebt  sich  die 
dreibeinige  Maschine  des  Hebwerkes.  Die  drei  Beine, 
als  Strebepfeiler  gelöst,  endigen  oben  in  schönen  Blu- 
men, schliessen  sich  mittelst  viertelkreisförmigen  Bligeln 
gegen  das  Centrum,  und  tragen  daselbst  das  Kloben- 
rad; aus  den  drei  Bügeln  wächst  je  ein  Ast,  in  Gestalt 
einer  aus  dickem  Draht  gedrehten  Blume.  In  der  Mitte 
erhebt  sich  die  Wimpelstange,  geziert  mit  einem  hohlen 
vollen  blechernen  Knopf,  darüber  ein  zweiter  Knopf  aus 
Draht  gewunden,  und  oben  au  der  Spitze  eine  Wimpel. 
An  den  drei  Strebepfeilern  sind  ferner  blecherne  AVap- 
pen  angebracht.  Das  eiserne  Klobenrad,  welches  aus 
einem  Ring  von  hohlkehlenartigem  Querschnitt  besteht, 
(in  welche  Hohlkehle  sich  die  Zugkette  legt),  ist  mit 
einer  Führung  versehen,  welche  das  Ausspringen  der 
Kette  verhindert.  In  dieser  Führung  ist  auch  die  Jahres- 
zahl 1525  eingravirt.  Die  innere  otfene  Kreisfläche  des 
Rades  ist  mit  aus  Eisenstäben  gefertigten  Fischblasen- 
Masswerk  verziert. 

Die  ganze  technische  Ausführung  ist  brillant  und 
mau  kann  diese  Schmiedearbeit  ein  Meisterwerk  des  mit- 
telalterlichen Handwerks  nennen.  Die  zwei  alten  Eimer 
aus  Kanonenmetall  haben  Formen  der  Frührenaissance, 
und  stehen  jetzt  ausser  Gebrauch.  Sie  beweisen,  dass, 
während  die  Giesserei  sich  schon  in  den  Formen  der 


Renaissance  bewegte,  die  Schmiede  noch  fest  an  den 
heimischen  gothischen  Formen  hielten  '. 

Schulcz  Ferenz. 

Wunibald  Zürclicr  aus  Bludenz ,  Conventual  in 
Weingarten,  letzter  Abt  zu  Hirschau,  und  dessen 
Grrabstein  zu  Thüringen ,  nebst  einer  lotiz  über  die 
Wanderungen  der  Original- Handschrift  der  Annales 
Hirsaugienses  vom  weitberühmten  Abte  Johannes 
Trithemius. 


Johann  Gtddeni)iick  ,  ein  edler  Zürcher,  verliess 
seines  katholischen  Bekenntnisses  wegen  seine  Vater- 
stadt und  Hess  sich  zu  Bludenz  in  Vorarlberg  nieder, 
wo  er  den  Namen  Zürcher  annahm,  den  seine  Nach- 
kommen, die  nun  erloschen,  fortführten  i.  Mehrere  der- 
selben bekleideten  daselbst  das  Bürgermeisteramt; 
Wunibald  I.  war  Pfarrer  zu  Schnitis  uud  Kammerer  des 
drusianischen  Capitels  d.  i.  des  Walgaus;  Wunibald  IL, 
am  3.  Februar  1605  geiioreu,  widmete  sich  gleichlälls 
dem  geistlichen  Stande  und  trat  frühzeitig  in  die  reichs- 
unmittelbare Reichsabtei  Weingarten  ein. 

Um  seinen  Eiutiitt  in  dieses  Gotteshaus  zu  erklären, 
wollen  wir  einige  Notizen  über  dessen  damaligen  Abt 
hier  einschalten.  Dieser  war  Georg  WegeHu  ausBregenz, 
Sohn  Wolfgang  Wegelin's,  Verwalters  der  österreichi- 
schen Herrschaften  Bregenz  und  Hoheueck,  am  20.  März 
1558  geboren.  In  einem  Alter  von  sechzehn  Jahren  trat 
er  in"s  genannte  Kloster  ein,  ward  1581  Priester,  wegen 
seiner  ausgezeichneten  Eigenschaften  schon  im  folgen- 
den Jahre  Subprior,  und  durch  einhellige  Wahl  seiner 
Mitbrüder  am  10.  November  1586  Abt. 

Am  31.  December  1610  kaufte  er  die  vom  Grafen 
Hugo  von  Montfort  im  Jahre  1218  gestiftete  Malteser- 
ordens -  Commende  zu  St.  Johann  in  Feldkirch  um 
61.000  Gulden,  die  er  1617  zu  einem  Priorate  von 
Weingarten  erhob,  welchem  der  berühmte  Genealog 
P.  Gabriel  Bucelin  (f  1681)  viele  Jahre  vorgestanden, 
dann  am  7.  Februar  1613  von  den  Grafen  von  Sulz  die 
vormals  den  Grafen  Werdenberg-Sargans  zu  Vaduz  ge- 
hörige Reichsherrschaft  Blumenegg  unweit  Bludenz  um 
150.000  Gulden,  eine  Besitzung,  welche  dem  Stifte  mehr- 
mals, namentlich  beim  Vordringen  der  Schweden  im 
dreissigjährigeu  Kriege  als  sichere  Zufluchtsstätte  von 
hohem  Werthe  war.  Am  1.  August  1627  legte  Abt  Georg 
seine  Würde  nieder  und  starb  am  10.  October  desselben 
Jahres.  Mit  Recht  wird  er  von  den  Seinigen  als  der 
zweite  Gründer  dieses  alten  Welfeustiftes  und  von 
seinen  Zeitgenossen  als  die  Perle  der  damaligen  schwä- 
bischen Prälaten  gepriesen  2.  Nun  kehren  wir  zu  unse- 
rem Wunibald  Zürcher,  dem  Jüngern  zurück. 

Von  dem  Rufe  Weingartens  und  seines  in  der  Nach- 
barschaft waltenden  Abtes  augezogen,  ward  Wunibald 
—  wie  gesagt  —  Conventual  in  Weingarten,  legte  am 
24.  August  1621  seine  Gelübde  ab  vmd  brachte  am 
5.  August  1629  dem  Herrn  das  erste  Messopfer  dar. 

Als  das  vom  Grafen  Erlafrid  von  Calw  im  J.  830 
gestiftete  Beuedictiucrkloster   Hirsau  oder  Hirschau  au 

'  Weite  des  Brunnentranzes  4'  4",  Öffnungsweite  3'  4",  Höhe  der 
Bügel,  die  daü  Kad  tragen  1 ' ,  Hötie  des  ganzen  lirunnens  bis  an  die  Wurzel 
■>  o  -» ' 

'  Vgl.  des  Zeitgenossen  P.  Clabriel  Bucelini  Khaetia  Sacra  et  profana. 
Aug.  Yindelic.   IGiJG,   pag.  470. 

-  Catalogus  Abbatum  imperialis  monasterii  Weingarteusis  ä  P.  Gerardo 
Uess.  Aug.  Vindelic.  17S1.  1".  pag.  298—129. 


LX 


derNasrold,  welches  die  rastlose  Thätigkeit  des  berühm- 
ten Abtes  Wilhelm  (1069—1094^  zu  grossem  Rufe 
emporgehoben  hatte,  vom  Herzog  Christoph  von  Würtem- 
berg  im  J.  1558  in  eine  protestantische  Klosierschule 
umgewandelt,  aber  in  Folge  des  Kestitutionsedictes  vom 
6.  Mai  1629  am  6.  September  I63u  von  den  Katholiken 
in  Besitz  genommen  nml  wieder  hergestellt  wurde  ', 
kam  der  fromme  Andreas  Gaist  aus  Eottweil,  Wein- 
gartener Prior  zu  St.  Johann  in  Feldkireh.  erst  als  Ad- 
ministrator dahin,  ward  am  15.  Mai  1635  als  erster  Abt 
consecrirt,  starb  aber  schon  am  28.  April  1637  und 
wurde  zu  den  Füssen  des  seligen  Abtes  Wilhelm  beige- 
setzt i^s.  Hess  p.  407 — 174). 

Ihm  folgte  am  5.  Mai  durch  Wahl  unser  oben  er- 
wähnter Wnnibald  Zürcher  als  Abt,  musste  aber  beim 
Wechsel  des  Kriegsglückes  mit  seinen  Ordensbrüdern 
bald  fliehen  und  nahm  nebst  anderen  Schätzen  auch  die 
Originalhandschrift  der  Hirschauer  Annalen  von  dem  be- 
rühmten Abte  Johannes  Trithemius  (vou  dem  wir 
unsem  Lesern,  denen  das  Leben  desselben  weniger 
bekannt  sein  dürfte,  das  Wesentlichste  in  Kürze  am 
Schlüsse  mittheilen  wollen)  mit  sich  nach  Weingarten, 
und  als  die  Kriegeswogen  wieder  nach  Oberschwaben 
sieh  wälzten,  suchte  er  seine  Zuflucht  im  Kloster  St.  Gal- 
len, wo  vom  Original  eine  Abschrift  genommen  wurde. 

Als  diese  noch  nass  und  kaum  vollendet  war,  über- 
siedelte der  Exabt  Wnnibald,  wahrscheinlich  von  seinem 
Abte  Dominik  Layniann  abberufen,  ins  Schloss  Blu- 
menegg,  wo  Kurfürst  Maximilian  I.  von  Bayern  (tl651) 
auf  seinen  Befehl  und  seine  Kosten  die  meisten  Docu- 
mente  abschreiben  und  die  Abschriften  nach  München 
bringen  Hess.  Bekanntlich  ward  das  Schloss  um  1660 
plötzlich  durch  Brand  zerstört  und  angeblich  auch  dieses 
Jlanuscript  von  den  Flammen  verzehrt  *.  Hiemit  stimmt 
Ildefons  von  Arx  in  seinen  Geschichten  des  Cantons 
St.  Gallen,  Bd.  IIL  274  überein,  wo  er  sagt:  ..Der  ge- 
lehrte Bibliothekar  Hermann  Schenk  '  ist  der  Heraus- 
geber der  Hirsehauer  Chronik  (richtiger  der  Annalen) 
des  Abtes  Trithem,  die  ganz  zu  Grunde  gegangen  wäre, 
wenn  man  zu  .St.  Gallen  nicht  in  Eile  von  dem  hernach 
im  .Schwedenkriege  verbrannten  Originale  eine  Abschrift 
genommen  hätte-. 

Wahrscheinlich  verlebte  Wunibald,  der  letzte  Abt 
von  Hirschau,  den  Best  seiner  Tage  in  Thüringen, 
dem  Haupt-  und  Amtsorte  der  Herrschaft  Blumenegg, 
wo  er  am  18.  October  1664  starb. 

Als  ich  im  Jahre  1849  die  dortige  Pfarrkirche  be- 
suchte, gewahrte  ich  einen  im  Fussboden  eingesenkten 
rothen  Marmorstein  (5'  2"  lang  und  2'  5"  breit),  darauf 
Inful  und  Stab,  Hess  ihn  reinigen  und  las  seine  Inschrift, 
die  ich  abschrieb,  aber  verlor.  Jüngst  erhielt  ich  durch 
die  Güte  des  Herrn  Pfarrers  Jakob  Fink  eine  Abschrift 
der  wahrscheinlich  durch  Schuld  des  Steinmetzen  incor- 
recten  Inschrift,  welche  lautet : 

HIC  .  POSVIT  .  MORTA 

ALES  .  EXVVIAS  .  RND 

MVS«  DN  .  DX  .  WV 

*  ^attler'5  GeÄchichte  des  Herzogthams  Würtcmberg  uoier  der  Ke- 
giemng  der  Herzoge).  1774,  Bd.  VII,  27 

*  So  in  der  Vorrede  zur  /aDonymen)  Ausgabe  von  Joannis  Tritbemä 
SpanbeimeDsis  etc.  Abbaiis  Aonales  Hlrsangieoäes.  IT.  Tom.  in  fol.  SL.  Gallen 
MDCXC. 

*  Scbeok  batte  nacb  t.  .\n  1.  eil.  im  J.  1700  den  Ruf  als  kalserlicner 
Bibliotb^kar  nacb  Wien  erbalten,  lehnte  ibn  aber  auf  Befehl  seines  Abtes  ab 
und  itarb  im  J.  1706. 

'  ReTerendissimui  Dominus  ftc.   —  HrESSAVGI.At:  pro  BIRSAVGIAE. 


VXIBALDVS 
SACRAE  .  HIRS 

SAVGLAE  (!). 

ABBAS  .  OPT"» 

VH'AT  .  DEO 

OBIIT.  XV.  CAL.  XOV. 

MDCLXIV. 

Den  Raum  über  der  Inschrift  füllt  ein  vierfeldiger 
Wappenschild,  auf  dem  ein  kleinerer  gleichfalls  mit  vier 
Feldern  ruht.  Auf  jenem  gewahrt  man  im  ersten  und 
vierten  Felde  je  einen  auf  Hügeln  aufrecht  stehenden 
gekrönten  Löwen,  nach  innen  gekehrt,  im  zweiten  und 
dritten  je  einen  Hirschen,  ebenfalls  nach  innen  gekehrt, 
wegen  des  Klosters  Hirschau  ;  das  Zürcher'sche  Fami- 
lieuwappen  hat  im  ersten  und  vierten  goldenen  Felde 
auf  einem  schwarzen  Querbalken  drei  neben  einander 
und  aufrecht  gestellte  Goldammern  mit  gespreizten 
Flügeln  und  im  zweiten  und  dritten  rothen  Felde  einen 
silbernen,  einwärts  springenden  Löwen,  der  eine  Lilie 
hält  ";  doch  sind  auf  diesem  Grabsteine  die  AVappen  in 
unrichtiger  Stellung  dargestellt,  indem  eigcntHcli  der 
Löwe  (ohne  Lilie i  im  ersten  und  vierten  Felde  und  der 
Querbalken  mit  den  drei  Goldammern  im  zweiten  und 
dritten  Felde  stehen  soll. 

Xun  lassen  wir  den  Abt  Wunibald  im  Frieden 
ruhen  und  wenden  uns  zum  Abte  Johannes  Trithemius 
oder  Trithem.  Dieser,  am  1.  Februar  1462  zu  Triten- 
heim  unweit  Trier  geboren,  verlebte  unter  einem  harten 
Stiefvater  traurige  Knabenjahre,  ward  im  Jänner  1482 
Benedictinermönch  zu  Sponheim  bei  Kreuznach  und, 
wenn  auch  der  jüngste,  schon  am  29.  Juli  1483  zum 
Abte  gewählt,  als  welcher  er  eine  strenge  und  sparsame 
Verwaltung  führte  und  eine  unverwüstliche  Ausdauer  und 
höchst  seltene  Arbeitskraft  entwickelte.  Die  48  Bände 
der  Bibliothek  jvusste  er  bis  zum  Jahre  1505  auf  2000, 
zum  Theile  sehr  kostbare  Bücher  und  Manuseripte  zu 
vermehren. 

Auf  Veranlassung  des  Hirschauer  Abtes  Blasius 
^^von  1484 — 1503)  verfasste  er  das  Chronicon  Hirsau- 
giense,  das  bis  zum  Jahre  1370  herabreicht.  Xachdem 
Trithem  der  Sorgen,  welche  theils  die  \'erwaltung  der 
Abtei  Sponheim  theils  die  Vertblgungssucht  und  der 
schmähliche  Undank  seiner  Mönche  ihm  bereitet 
hatten,  durch  seine  Berufung  als  Abt  des  Schotten- 
klosters St.  Jakob  zu  Würzburg  (wo  er  am  13.  December 
1516  gestorben)  los  geworden  war,  begann  er  1508  in 
freierer  Müsse  auf  Auftbrderung  des  Abtes  Johann  von 
Hirschau  die  völlige  Umarbeitung  dieser  Chronik,  die  er 
bis  1513  fortführte  und  am  31.  December  dieses  Jahres 
mit  dem  Titel  „Annales  Hirsaugicnses'-  in  zweien  unge- 
heueren Bänden  vollendete. 

Dieses  Manuscript,  ein  wahres  Pracht-  und  Riesen- 
werk, ward  als  speciclles  Besitzthum  und  Kleinod  für 
Hirschau  betrachtet,  indem  der  Verfasser  und  Schreiber 
am  Ende  des  I.  Buches  mit  rother  Schrift  schrieb:  „Me 
sola  Hirsaugia  gaudet". 

Das  vorgenannte  Chronicon  Hirsaugiense ,  das 
Trithem  dem  Kurfürsten  von  der  Pfalz  verehrt  haben 
dürfte,  fand  Manpiard  Frehcr  in  Heidelberg,  wusste  aber 
bei  Herausgabe  der  historischen  Werke  Trithems   im 

s.  Gedenkblältcr  der  Familie  Lorioser.  Von  Dr.  Fr.  Wilh.  L  o  r  i  ns  e  r. 
Wien.  S.  57  und  Taf.  IX,  und  Ut.cr  die  Familie  Zürcher  daselbst  S.  3«. 


LXI 


Jahre  16Ul  '  uichtä  von  der  Existenz  der  zweiten  Be- 
arbeitung. Im  Jahre  1606  war  es  ihm  jedoch  vergönnt, 
das  Original  dieser  zweiten  Bearbeitung  (wahrscheinlich 
in  der  Klosterschule  zu  Hirschau)  zu  sehen,  von  wo  es 
Abt  Wunibald  mit  sich  genommen  hat. 

Die  Anuales  Hirsaugienses  sind  Trithem's  vor- 
züglichstes und  werthvoUstes  Werk,  indem  sie  nicht 
blos  die  Geschichte  dieses  Klosters  und  seiner  Abte 
(wiewohl  nicht  inmier  wahrheitsgetreu)  geben,  sondern 
auch  die  wichtigsten  Weltbegebenheiten,  vornehmlich 
in  Deutschland  vor  Augen  fuhren  und  mit  vollem  Recht 
als  historisches  Quelienwerk  zu  beachten  sind. 

Nun  weist  Dr.  Ruland,  Oberbibliothekar  zu  Würz- 
burg, das  Vorhandensein  dieses  verloren  geglaubten 
Originals  in  der  k.  Hof-  und  Staatsbibliothek  zu  Mün- 
chen (Cod.  latin.  Nr.  703  und  704)  im  Serapeum  1855, 
S.  296  ff.  aufs  gründlichste  nach  und  sagt,  dass  dieses 
von  Trithem  eigenhändig  geschriebene  Original-Exem- 
plar nicht  verbrannt,  sondern  zur  Zeit  des  Kurfürsten 
Maximilian  I.,  in  dessen  Bibliothek  nach  München 
gekommen  sei.  Höchst  wahrscheinlich  ist  dieses  Origi- 
nal, die  Quelle  des  St.  Gallener  mitunter  fehlerhaften 
Druckes,  vom  geldbedürftigen  Exabte  Wunibald,  der  es 
als  sein  gerettetes,  kostbares  Eigeuthum  betrachten 
mochte,  vor  dem  Schlossbrande  auf  Blumenegg  an  den 
Kurfürsten  verkauft  worden. 

Wer  mit  der  Bedeutsamkeit  dieses  mit  den  viel- 
seitigen Kenntnissen  ausgestatteten  Mannes,  welcher 
mit  Papst  Julius  H.,  Kaiser  Maximilian  I.,  dem  Kur- 
fürsten Joachim  I.  von  Brandenburg,  dem  Pfalzgrafeu 
am  Rhein,  dem  Herzog  von  Bayern  und  vielen  anderen 
geistlichen  und  weltlichen  Fürsten  und  Herren  Deutsch- 
lands, ja  ganz  Europa's,  theils  in  persönlichem,  theils 
in  brieflichem  Verkehre  stand,  näher  bekannt  werden 
will,  sei  verwiesen  auf  „Johannes  Trithemius,  eine  Mono- 
graphie von  Dr.  .Silbernagel,  Universitäts  -  Professor 
in  München,  Landshut  1868-'.  Eine  mustergiltige  sehr 
lesenswerthe  Arbeit  (vgl.  Augsb.  allg.  Zeitung  1869, 
Beil.  Nr.  36),  in  welcher  S.  235 — 245  ein  Verzeichniss 
von  Trithem's  sämmtlichen,  grösseren  und  kleineren, 
gedruckten  (45)  und  ungedruckten  (33),  wie  auch  neun 
unterschobenen  Schriften  niedergelegt  ist. 

Dr.  Jos.  V.  BogmaiiH. 

Die  Grrabdenkmäler  von  St.  Peter  und  lonnberg  zu 
Salzburg. 

I.  und  II.  AbtheiUin^  mit  4.S    Steindrucktafelu,  Salzburg  IS'j"  und  18G8. 

Schon  zu  wiederholten  Malen  ist  iu  diesen  Mitthei- 
lungen die  Aufmerksamkeit  der  Geschichtsfreuude  und 
jener  der  mittelalterlichen  Kunst  auf  den  Wertli  mittel- 
alterlicher Grabdenkmale,  dieser  verlässlichsten  Hilfs- 
quellen der  Geschichte,  gelenkt  worden,  auch  Director 
Dr.  Joseph  Ritter  von  Bergmann  hatte  in  einer  sehr 
werthvoUen  Schrift  hervorgehoben,  wie  dringend  noth- 
wendig  es  ist,  dass  diesen  Denkmalen  grössere  Sorgfalt 
und  erhöhte  Aufmerksamkeit  gewidmet  werde  '.  Sie 
sind  Producte  verschwundener  Jahrhunderte  und  geben 
uns  als  solche  Beweise  der  gleichzeitigen  Kunst  und 
Technik,  sowie  sie  auch  fast  allenthalben  Inschriften 
enthalten  und  der  Gegenwart  Namen  und  Daten  über 
einzelne  Personen,  über  ihren  Rang  und  ihre  Wirksam- 

8  Marquardi  Freher  opera  historica.  Francof.    HJOI.  Pars  II.    1 — 235. 
'  llitlh.  der  Centr.-Comm.  II.  b.  und  f. 

XIV. 


keit  in  Staat  und  Kirche,  über  ihre  Familie  und  Herkunft 
u.  s.  f.  verkünden ;  Daten,  deren  Kenntniss  auf  einem 
anderen  Wege  uns  nimmermehr  geworden  wäre.  Nicht 
minder  werthvoU  sind  die  artistischen  Beigaben  dieser 
Denkmale,  wie  die  ganzen  oder  halben  Bildnisse  des 
Verstorbeneu,  die  Wappen  und  Ordenszeichen  etc. 
Schon  damals  hatte  Dr.  Bergmann  die  Abfassung 
eines  Corpus  Epithaphiorum  im  allgemeinen  und  ins- 
besondere eines  urbis  Vindobonensis  in  Anregung  ge- 
bracht und  hervorgehoben,  dass  bei  vereinten  Kräften 
der  in  den  einzelnen  Orten  in  grösserer  Menge  noch  vor- 
ftndliche  Stotf  leicht  bewältigt  werden  könne. 

Allein  es  blieb  nur  bei  dem  guten  Gedanken,  die 
Ausführung  folgte  nicht  nach.  Wohl  enthalten  die  Mit- 
theilungen der  k.  k.  Cent.-Comm.  in  allen  ihren  Bänden 
zahlreiche  Aufsätze  über  einzelne  Grabdenkmale ,  die 
nicht  selten  mit  den  entsprechenden  Abbildungen  ver- 
sehen sind;  wohl  finden  wir  in  den  Mittheilungen  des 
Wiener  Alterthums- Vereines  die  Grabdenkmale  der 
St.  Michnelskirche  und  der  ehemaligen  Minoriten-,  Au- 
gustiner- und  Carmeliterkirche,  der  Salvatorcapelle  zu 
Wien,  ferner  jene  der  beiden  Kirchen  zu  Baden,  der 
Frauenkirche  zu  Wiener-Neustadt,  der  Carthause  zu 
Agsbach  u.  s.  w.  eingehend  gewürdigt;  allein  es  sind 
dies  eben  nur  einzelne  Aufsätze  -,  es  besteht  kein  weiterer 
innerer  Zusammenliang  und  gar  manche,  reichhaltiges 
Materiale  an  Grabdenkmalen  enthaltende  Orte  sind  noch 
nicht  berücksichtigt.  Es  sei  nur  beispielweise  erwähnt 
die  Schlosscapelle  zu  Pottendorf,  die  Kreuzgänge  zu 
Klosterneuburg,  Heiligenkreuz  und  Lilienfeld,  das  Stift 
Göttweig,  das  Stift  Rein,  die  Losensteiner-Capelle  zu 
Garsten,  die  Stahremberg  Gräber  iu  Helmonnsöd  etc. 

Erst  die  neueste  Zeit  brachte  ein  Werk  über  dieses 
Thema,  das  wir  in  jeder  Beziehung  als  mustergültig  be- 
zeichnen können.  Es  ist  dies  jene  Arbeit,  die  wir  Ein- 
gangs unserer  Besprechung  benannt  haben  und  in 
Tobenswerther  Intention  von  der  Gesellschaft  für  die 
Landeskunde  Salzburgs  herausgegeben  wird.  Dr.  Walz 
in  Linz  wurde  mit  der  Herausgabe  betraut  und  hat  an 
seiner  Seite  als  vortreffliche  Stützen  den  Consistorialrath 
Doppler  und  Dr.  Chiari. 

Das  Werk  enthält  nicht  nur  eine  Bearbeitung  der 
Grabdenkmale  der  salzburgischen  Stifte  St.  Peter  und 
Nonuberg,  sondern  zieht  in  seinen  Rahmen  auch  alle 
anderweitig  in  Salzburg  befindlichen  Grabdenkmale.  Wir 
finden  bei  jedem  Denksteine  den  Standort,  die  Grössen- 
verhältnisse  nach  Wiener  Mass,  das  Material  und  den 
heutigen  Zustand  angegeben.  Ferner  die  vollständige 
Mittheilung  der  Inschrift  mit  Angabe  der  Schreibweise 
und  Buchstabenformen,  die  Beschreibung  der  Figura- 
tionen  und  speciellen  Formen  und  endlich  Notizen  über 
die  Persönlichkeit  und  ihre  Familie. 

Von  denjenigen  Denkmälern,  welche  für  die  Ge- 
schichte der  Stj'le  und  Ideen  der  Kunst  oder  für  die 
Geschichte  der  Cultur  und  Wissenschaft  besonders  be- 
merkbar erscheinen,  sind  Abbildungen  beigegeben.  Die 
bezüglichen  Zeichnungen  sind  von  Karl  v.  Frei,  die 
Lithographien  von  Herwegen.  Jeder  Kenner  muss  bei 
Betrachtung  dieser  Illustrationen  deren  Gelungenheit 
anerkennen  und  zugeben,  dass  der  Zeichner  nicht  nur 

-  Auch  iu  den  Mittheilungen  des  Vereines  für  n.  ö.  Landeskunde  finden 
wir  den  Epithaphicn  Rechnung  getragen  uud  werden  daselbst  (II.  218}  jene 
der  Franciscanerkirche  veröffentlicht.  Wäre  es  denn  nicht  möglich,  dass 
durch  vereintes  Wirken  des  Alterthums-Vereines  zu  Wieu  und  dieses  Vereines 
jene  von  Dr.  Bergmanu  angeregte  Idee  verwirklicht  würde? 

i 


LXII 


voUktiniiiiene  Kunstfertigkeit  besitzt,  sondern  auch  für 
Wiederirabe  dieser  Gegenstände  das  vollste  Verständ- 
niss  hat"  Diese  Beigaben  bilden  sicher  nicht  den  mindest 
•werthToUeu  Theil  dieses  enipfehlenswerthen  Buches. 

Das  älteste  Grabdenkmal  ist  jenes  aus  der  ersten 
Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts,  der  Äbtissin  Wilbirgis, 
ein  Stein  mit  ganz  kurzer  Inschrift.  Hervorzuheben  ist 
femer  jenes  (fer  Elsbeth.  des  Venedigers  Hansfrau, 
(c.  13uO)  in  der  Kirche  am  Nonuberge,  weil  das  älteste 
mit  dem  Schmucke  eines  Schildes  in  Umrissen  einge- 
zeichnet. Auf  dem  Grabmale  des  Hermann  Gaerrfc.  1300) 
im  St.  Peterskreuzgang  sehen  wir  bereits  ein  vollkomm- 
nes  Wappen  mit  Schild,  Helm  und  Helnidecke.  Das 
eben  dort  befindliche  7  Fuss  hohe  Grabmal  des  Wul- 
fingns  de  Goldek  (1343)  erscheint  beachtenswerth,  weil 
bereits  die  Buchstaben  der  Legende  und  Wap]ienbe- 
standtheile  aus  Bronze  angefertigt  waren ,  die  dann 
in  die  ansgemeisselte  Vertiefung  eingelassen  und  durch 
Blei  befestigt  wurden.  Am  Grabsteine  des  Ulrich  Kal- 
hochsperg  (1348)  ist  das  in  der  Mitte  befindliche  Wap- 
pen bereits  relief  behandelt.  Als  eine  schöne  Arbeit 
kann  man  auch  den  Grabstein  des  Heinrich  Aichaimer 
(1335)  bezeichnen. 

Es  ist  sonderbar  wie  wenig  Grabplatten  mit  ganzen 
Figuren  darauf  sich  in  Salzburg  erhalten  haben;  so 
finden  sich  in  der  Klosterkirche  am  Nounberg  nur  fiinf 
Denkmale  für  Äbtissinen  und  im  St.  Petersstifte  sieben 
für  Äbte,  die  in  dieser  Weise  geziert  sind.  Freilich  wohl 
mag  eine  grosse  Zahl  solcher,  namentlich  denErzbischiifeu 
gewidweter  Denkmale  beim  Umbaue  der  Domkirehe 
verloren  gegangen  sein.  Ein  schönes  Denkmal  ist  jenes 
des  Abtes  Johannes  (1428)  mit  der  knieenden  Figur  des- 
selben. Nicht  übergehen  können  \vir  endlich  die  mit 
dem  vollen  heraldischen  Schmuck  gezierte  Grabplatte 
des  Martin  Rawter  1 1416),  jene  mit  der  Figurengruppe 
der  Kreuzigung  geschmückte  des  Peter  Xusdorffer 
(1424),  so  wie  endlich  jene  des  Virgilius  Überakcber 
(1456),  das  mit  sieben  sehr  schön  ausgeführten  Wappen 
versehen  ist.  .  .  .m.  .  . 

Die  Sammlimgen  des  germanisclien  Museums  zu 
Mmberg. 

Unter  diesem  Titel  erschien  zn  Ende  des  vergan- 
genen Jahres  im  Verlage  des  Museums  ein  123  Seiten 
umfassendes  Buch  in  Grossoctav,  das  die  Bestimmung 
hat,  den  Besuchenden  als  Wegweiser  zu  dienen.  Die 
Leitung  der  Anstalt  glaubt  durch  die  Veranstaltung  der 
neuenimd bedeutend  vermehrten  Auflage  dem  gesteiger- 
ten Interesse  des  Publicums  zu  entsprechen,  das  sich  in 
jüngster  Zeit  zahlreicher  mit  ideellen  oder  praktischen 
Zwecken  den  Denkmälern  heimischer  Kunst  oder  des 
einst  in  hoher  Vollendung  blühenden  Gewerbes  zuwen- 
det. Wir  begrüssen  dieses  Buch  mit  der  Überzeugung, 
dass  in  Folge  seiner  sehr  praktischen  Anlage  einem 
langgefühlten  Bedürfnisse  der  Besucher  dieses  Museums 
bestens  abgeholfen  wird.  Es  ist  ein  wahrer  Führer 
durch  die  zahlreichen,  ausgedehnten  und  mit  Schätzen 
namhaft  gefüllten  Räume  derXümberger  Carthause,  ge- 
widmet nicht  blos  dem  tür  ein  bestimmtes  Fach  sich  inter- 
cssirendeu  Kenner  und  Gelehrten,  somlern  ein  Leiter 
für  jedweden  Besucher,  der  über  die  wichtigsten  Ge- 
genstände Aufklärung  gibt  und  demselben  zugleich  die 


Anordnung  des   Ganzen   und  die  Bedeutung  der  ein- 
zelnen Reihenfolgen  verständlich  macht. 

Xacli  vorausgesendeter  Besuchsordnung  wird  ein 
kurzer  Abriss  des  Entstehens  dieser  .Sammlung  uud  ihrer 
Bedeutung,  so  wie  der  Geschichte  und  der  durch  einen 
Grundriss  erläuterten  Beschreibung  des  Gebäudes ,  in 
welchem  dieselbe  untergebracht  ist,  nämlich  der  vom 
reichen  Handelsherrn  und  Xüruberger  Altbüiger  Mar- 
((uaril  Mendel  um  138u  gegründeten  und  nach  kaum 
anderthalb  Jahrhunderten  wieder  eingegangenen  Cart- 
hause, gegeben. 

Der  Wanderer  betritt  zuerst  die  Sammlung  der 
Grabdenkmale  im  grossen  Kreuzgange,  woselbst  derlei 
Denkmale  theils  laber  in  nur  wenigen  Exemplaren)  Ori- 
ginale, theils  (nnd  zwar  sehr  bedeutende  Werke)  in  guten 
Abgüssen  aufgestellt  sind.  Es  ist  bei  Besprechung  dieses 
Buches  nicht  unsere  Aufgabe,  die  Gegenstände  selbst 
zu  schildern,  sondern  wir  wollen  uns  unserem  Zwecke 
gemäss  nur  darauf  beschränken,  an  der  Hand  dieses 
Führers  die  einzelnen  Räume  zu  durchschreiten.  Auf  die 
Sammlung  der  Grabdenkmale  folgt  jene  von  Bautheilen, 
architektonischen  Ornamenten,  und  nun  den  Kreuzgang 
verlassend  von  figürlichen  .Sculpturen  in  der  ehemaligen 
Kirche.  Die  .Sammlung  kirchlicher  Alterthümer,  als  der 
Werke  der  Goldschmiedeknnst  und  ihrer  Verwandten  in 
unedlem  Metalle,  in  Original  und  Abgüssen ,  der  eigent- 
lichen kirchlichen  ilöbel  und  Geräthe.  Altäre,  Gemälde, 
Taufsteine,  Chorgestühle  etc.,  alle  diese  Gegenstände 
befinden  sich  in  den  Capelleuräumen  an  den  .Seiten  der 
Kirche.  Im  Saale  zunächst  der  Kirche  finden  wir  Gewebe 
und  Stickereien,  Muster  der  Seiden-,  Leinen-  und  Wol- 
lenweberei des  Mittelalters,  der  Bortenschlägerei  etc. 

Xeuerdings  betreten  wir  von  da  den  Kreuzgang,  um 
dort  die  reichhaltige  Waffensammlung  zu  besichtigen, 
und  gelangen  dann  zu  den  Möbeln  undHausgeräthen,  die 
im  ehemaligen  Refectorium  aufgestellt  sind.  Damit  steht 
in  Verbindung  die  Kammer  für  die  Folter-  und  .Strafwerk- 
zeuge, deren  grösster  Theil  aus  den  Gerichtsstätten  des 
Burggrafen  von  Xürnberg  stammt  und  echt  ist. 

Xunmehr  verlassen  wir  das  Erdgeschoss  des  Ge- 
bäudes und  erreichen  die  oberen  .Säle,  die  die  Denk- 
male von  Kunst  und  Wissenschaft  enthalten.  Wir  finden 
da  die  Sammlung  der  Landkarten.  Pläne  und  Prospecte, 
Kalender,  Sonnenuhren,  medicinischer  Apparate,  geo- 
metrischer Instrumente,  die  der  Urkunden  (das  Münz-, 
^ledaillen-  und  Siegelcabinet  treften  wir  in  einer  im 
ersten  Stocke  an  der  Kirche  gelegeneu  Capelle  i,  ferner 
die  bildlich-chronologischen  Darstellungen  der  Entwick- 
lung der  Buchschrift,  des  Buchdruckes,  der  Miniatur- 
malerei, die  Kupferstichsammlung,  die  der  Holzschnitte, 
gestochenen  Platten  und  geschnittenen  Stöcke ,  der 
Handzeichnungen,  der  culturhistorischen  Blätter,  die 
Gemäldegallerie  uud  schliesslich  die  Sammlung  der  Co- 
stüme  und  Schmuckgegenstände. 

Wesentlich  fördernd  den  Zweck  des  Buches  sind 
die  guten  Illustrationen  ,  mit  denen  dasselbe  in  zahl- 
reicher Weise  ausgestattet  ist.  Indem  wir  diesen  Führer 
mit  Befriedigung  zur  Seite  legen,  müssen  wir  gestehen, 
dass  wir  neuerdings  die  Überzeugung  gewonnen  haben, 
dass  die  Schöpfung  des  germanischen  Museums  eine 
gelungene,  seine  Sanuulung  bereits  achtunggebietend  und 
das  Institut  der  warmen  Fürsorge  des  deutschen  Volkes 
würdig  ist.  .  .  .m.  .  . 


BedacUur  :   Dr.   Karl   Lind.   —   Drack  der  ic.  k.    Hof-  ond  SUAt>-lracJC*rei  m    Wien 


LXIII 


Zur  Literatur  der  cliristlichen  Archäologie. 

Bulleliiio  di  Archeologia  criftiana  del  Cav.   Giov.  Halt,  de  Rossi. 

Im  Laufe  dieses  Jahres  (1868)  sind  von  Kossi's 
Hiilletino  wieder  Fortsetzungen  hieher  gelangt,  welche 
zunächst  den  Jahrgang  1866  enthalten  und  für  die  früh- 
christliche Kunst  belangreiche  Aufsätze  bieten.  In  Nr.  1 
beginnt  ein  durch  mehrere  Nunmiern  fortgeführter, 
zunächst  kirchengeschichtliclier  Aufsatz  ül)er  die  von 
Eni.  .Aliller  ]8.")1  herausgegebenen  Philosophumena 
sive  oninium  haeresiuni  refutatio  e  codice  Paris,  woran 
sich  ein  reicher  Kranz  gelehrter  Schriften  Englands, 
Flankreichs,  Italiens  und  Deutschlands  gereiht  hat. 
r>  e  Kossi  stimmt  zumeist  mit  der  beiühmten  Ab- 
handlung Döllinger's  „Ilippolyt  und  Kallistus- 
überein,  ohne  jedoch  die  anderen  Autoren  unberück- 
sichtigt zu  lassen.  Für  die  christliche  Archäologie  ist 
von  den  vielen  interessanten  Pieceu  folgendes  zumeist 
wichtig : 

1.  Eine  aus  Doni  Inscr.  C\.  II.  n.  178  reproducirtc 
Inschrift  aus  der  Zeit  der  Antonine  macht  uns  mit  dem 
Carpophorus  bekannt,  dessen  Name  in  den  Philosoiihn- 
niena  eine  Rolle  spielt.  Derselbe  errichtet  laut  genannter 
Inschrift  für  sich  und  die  Seinigeii  nebst  Nachkommen 
ein  Jluniinentum  sive  Cepotaphium  und  verbietet,  das- 
selbe seinem  Namen  zu  entfremden.  Wie  seinerzeit  auf 
Grund  des  zu  Basel  entdeckten  römischen  Epitaphiums 
dargetlian  wurde,  ist  hier  ein  Monumcntum  mit  der  arca 
oder  dem  hortus  zum  Pi'ivateigenthnm  des  M.  A.  C'ar- 
po])horus  und  der  .^einigen  erklärt,  ein  Verhältniss, 
welches  gerade  im  I.  und  II.  Jahrhundert  den  Christen 
für  ihre  Grabstätten  belangreich  war,  abgesehen  davon, 
dass  dies  Grab  des  Carpophorus  möglicherweise  ein 
solches  gewesen  und  die  Clausel  für  das  christliche 
Bekenntniss  der  in  dies  Grab  Aufzunehmenden  Vc)raus- 
gesetzt  werden  darf. 

2.  Da  dem  Callixtus  die  Obsorge  über  das  Cöme- 
terium  der  Päpste  und  die  Ordnung  (constitutio)  des 
Clerus  nach  Yietor"s  Tode  von  Zephyrinns  übertragen 
worden,  so  sucht  de  Kossi  an  der  Hand  des  Textes 
der  Philosophumena  den  schwierigen  Punkt  über  die 
Eintheilung  der  römischen  Kirche  in  gewisse  Bezirke 
zu  erhellen  und  die  Zeit  zu  tixiren.  Das  den  Christen 
vortheilhafte  Eescript  des  Septimius  Severus,  welches 
die  Collegien  behufs  der  Todleubestattung  privilegirte. 
fällt  gerade  in  diese  Zeit  und  in  diesen  Zusammenhang, 
das  auch  durch  Tertullian  Apolog.  .39  klar  wird.  Es  ist 
der  AVende]ninkt,  wo  die  Grabstätten  der  Christen  aus 
dem  privatrechtlichen  Verhältnisse  der  ersten  Periode 
in  das  mit  solchen  Collegien  verbundene  corporative 
Pechtsverhältniss  übergingen,  d.  h.  wo  die  Cömeterieu 
anfingen,  Eigenthum  der  Ecclesia  zu  weiden.  Der 
Namens  dieser  Corporation  (Collegium  für  die  Todten- 
bestattung)  bei  den  Behörden  handelnde  Syndicus  oder 
Actor  war  der  Archidiacon,  war  Callixtus.  Er  beklei- 
dete das  Vertrauensamt  des  Administrators  der  area 
ecciesiastica,  deren  Tertullian  gedenkt.  Nach  ihm  ward 
jenes  Cömeterium  benannt,  welches  allein  und  zuerst 
auf  Grund  des  erwähilten  Privilegiums  legal  Eigenthum 
der  Ecclesia  als  Körperschaft  geworden  und  oti'iciell 
diesen  Namen  bei  den  Behörden  führte.  So  erklärt  sich, 
warum  dies  Cömeterium  nicht  nach  dem  Papste  (Zephy- 
riuus),  sondern  nach  Callixtus  benannt  wurde,  der  kei- 
neswegs in  demselben  bestattet  ward. 

XIV. 


3.  In  demselben  Nr.  1  wird  (liebst  Abbildung)  eine 
Broncelani]ie  besprochen,  welche  M.  Peignc-Dela- 
court  in  eineniGrab-Hypogaeum  inAfrica  gefunden  hat. 
Die  dabei  belindliclien  Iiischriltcn  sind  ans  dem  V.  Jalir- 
hundert,  dem  auch  die  interessante  Bronzelampe  zuge- 
schrieben werden  kann.  Dieselbe  stellt  eine  Säulen- 
basilica  vor  mit  lialbkreisförmiger,  von  Säulen  gebil- 
deter Apsis,  worin  die  Cathedra  primitiver  Gestalt  wahr- 
zunehmen. Dieselbe  trägt  als  Abscliluss  ein  Kreuz. 
Ein  solches  sieht  man  auch  in  dem  Tympanon  der  Front- 
seite. Ob,  wie  de  Eossi  glaubt,  für  die  Kenntniss  der 
(africanischen)  Basiliken  aus  dieser  Lampe  nichts  zu 
folgern  ist,  lasse  ich  einstweilen  dahingestellt.  Jlir 
scheint  es  nicht  der  Fall  zu  sein. 

4.  In  Nr.  2  wird  ein  Oratorium  geschildert,  wel- 
ches ausserhalb  der  Porta  von  Ostia  auf  der  Vigna  des 
Marchese  Ricci  Paraceiani  im  zerstörten  Zustande  ge- 
funden und  otlenbar  ursprünglich  eine  Familiengrab- 
capelle  in  zwei  Stockwerken  bildete.  Der  dort  gefun- 
dene Sarkophag  war  nie  für  ein  unterirdisches  Grab 
bestimmt,  so  dass  ich  in  diesem  Oratorium  eine  I)  o  p  p  c  1- 
capelle  erblicke,  deren  unterer  Raum  für  die  Depo- 
sition des  Sarkophages  diente,  während  der  obere  mit 
Altar  als  Oratorium  und  für  die  Anniversarien  bestimmt 
war.  Für  die  gerade  in  diesen  Mittheihingen  der  k.  k. 
Central-Commission  wiederholt  besprochenen  Kirchhof- 
oder  Todtencapellen  scheint  mir  dies  Denkmal  bei  Rom 
nicht  ohne  Belang,  zumal  es  laut  Inschrift  im  XIV,  Jahr- 
hundert die  noch  aus  den  Trümmern  erkennbare  letzter 
Gestaltung  erfuhr, 

5.  Nr,  3  bespricht  die  christlichen  Monumente  von 
Porto  und  macht  durch  folgende  Argumentation  die 
Existenz  eines  schon  vor  dem  Jahre  317  daselbst  be- 
tindliehen  Bischofssitzes  wahrscheinlich.  Im  Jahre  l'.tö 
ist  die  Administration  von  Porto  und  Ostia  laut  Inschritt 
Mommsen  Inse,  R,  N.  6803  schon  getrennt,  die  unter 
Antoninus  Pins  noch  für  beide  Communen  gemeinschatt- 
lich  war.  Eine  griechische  Inschrift  nennt  Claudius  und 
den  Vorsteher  der  Synagoge  ■ —  so  dass  unter  Kaiser 
Claudius  hier  eine  Juden-Niederlassung  anzunehmen 
und  damit  die  Wahrscheinlichkeit  einer  frühen  Christen- 
Gemeinde  gegeben  ist.  Bewog  die  Juden  das  Handels- 
interesse diesen  Ort  zu  wählen,  so  bestimmte  die  Chri- 
sten für  diese  Station  die  Liebe  gegen  die  Ankömmlinge 
ihres  Glaubens,  wie  aus  Cyprians  Epistola  20  zu  erse- 
hen. Es  wäre  hier  auf  ein  Verhältniss  wie  zu  Pompeji 
zu  sehlicssen,  gewiss  von  vorneherein  nicht  unzulässig, 
wo  ebenfalls  die  Synagoge  den  Samen  des  Evan- 
geliums vorbereitet,  abgesehen  von  der  Wichtigkeit  des 
Ortes  für  den  Verkehr  der  christlichen  Gemeinden.  Dazu 
kommen  noch  paläographischc  Eigenthümlichkeiten  der 
portuensisehen  Inschriften  im  Vergleich  mit  denen  von 
Ostia,  die  gleichfalls  eine  selbständige  Ecclesia  zu 
Porto  gegen  Ende  des  III.  Jahrhunderts  beurkunden. 
Daran  reiht  sich  eine  Fntcrsuchuug  über  die  christlichen 
Cömeterien  und  Gebäude,  zunächst  über  das  von 
N  i  b  b  y  entdeckte  C  ö m  e  t  e  r  i  u  m  G  e  n  e  r  o  s  a  e  zu  Porto, 
das  sich  als  übereinstinimend  mit  dem  von  Rossi  (Roma 
sott,  I,  Taf.  1,  p.  94)  gegebenen  Modell  herausstellt. 
Hier,  wie  in  Ostia,  erlaubten  die  geologischen  und 
hydraulischen  Verhältnisse  keine  unterirdischen,  aus 
dem  Gestein  geaibeitete  Grabkannnern  wie  in  Rom  und 
Nea|iel.  sondern  blos  sub  divo  angeordnete  Gebäude 
mit  loculis  für  die  Leichen,  die  übereinander,  je  eine 

k 


LXIV 


Leiche  in  einem  Lager,  in  mehreren  Heihen  beipeset/.t 
waren.  Hervorzuheben  ist  das  schöne  Oediciit  auf  die 
Zosinia,  weiches  mit  den  letzten  Worten  der  Martyrin 
„Accipc  me.  dixit.  Domine-^.  .  .  beginnt,  der  Leiden  und 
Verfolgung  in  nur  gelinden,  des  Sieges  und  Triumphes 
bei  Christus  in  beredten  Ausdrücken  gedenkt  und  am 
.^chlus-;e  die  Worte  des  Apostels  Paulus  mit  Nennung 
seines  Namens  ifideni  servari  etc.")  in  rührender  Weise 
wiedergibt:  offenbar  in  der  Zeit  der  Verfolgung  selbst 
noch  verfasst,  wo  die  Hinweisung  auf  den  Triumph  mit 
Christus  die  Schilderung  derQualen  zurückdrängt,  welcli 
letztere  später,  nach  der  Verfolgung,  in  den  Vorder- 
grund tritt.  Zosima  und  die  Genossen  sind  wahrschein- 
lich in  der  kurzen  anrelianischen  Verfolgung  (anno  274) 
gefallen  ^Tillemont  H.  eccl.  4.  362  tf). 

6.  Das  bereits  im  Mai  1865  behandelte  Thema  Über 
das  Schicksal  der  heidnischen  Tempel  in  Rom  unter 
den  christliehen  Kaisern  wird  in  Nr.  4  wieder  berührt 
und  dabei  die  Tafel  mit  den  Acta  der  fratres  Ar- 
vales, im  Tempel  Deae  Diae  gefunden,  mitgetheilt;  ein 
unschätzbares  Denkmal  fiirdic  Alterthumskunde.  Ferner 
wird  der  christliche  Sarkophag  zu  Sa  int- Gilles 
bei  Nimes.  besonders  in  ikonographischer  Hinsicht  be- 
sprochen. 

7.  In  Nr.  5  wird  an  W  e  s  c  h  e  r's  zu  A 1  e x  a  n  d  r  i  e  n 
erzielte  Entdeckungen  angeknüpft  und  durch  mehrere 
Denkmäler  eonstatirt,  dass  die  ägyptischen  Christen 
über  den  Gräbern  von  Märtyrern  Thonlampen  aufzu- 
hängen und  dann  mit  etwaigem  Reste  von  Öl  aufzube- 
wahren pflegten  als  benedictio  oder  Eulogi.  Die  Lampe 
trug  desshalb  gewöhnlich  den  Namen  des  Heiligen,  an 
dessen  Grabe  sie  eine  Zeit  lang  brannte.  Darauf  folgt 
Hencht  über  Phil.  Lanciani's  Studien  zu  Ravenna.  die 
besonders  die  Lage  der  kirchlichen  Gebäude  zum  Gegen- 
stande haben,  über  den  Unterbau  der  Basiiica  S.  Mariae 
Trastev.  und  die  gefundenen  Inschriften  von  Cömeterien, 
speciell  von  dem  des  Callixtus  —  eingemauert  an 
Wänden  und  Pfeilern;  endlich  über  die  von  dem  verstor- 
l)encn  Cavedoni  zu  Modena  gefundene  Area  von  Blei, 
dergleichen  Rossi  in  Rom  nur  ein  Exemplar  entdeckte, 
das  übrigens  keineswegs  mit  dem  Cünicterium  gleich- 
zeitig gewesen  sein  musste,  worin  es  getroffen  worden. 

8.  Nr.  6  ist  wie  mehrere  vorausgehende  der  Ge- 
schichte des  Callixtus  gewidmet,  wobei  die  Constatirung 
eines  Cömeteriums  der  sa  bei  lianischen  Secte  be- 
lehrend ist.  Daran  schliesst  sich  die  schon  in  Nr.  3  be- 
gonnene ausführliche  Darstellung  des  Xenodochium  des 
Panimachius  zu  Porto,  welches  mit  der  Basiiica,  dem 
Atrium  und  den  Anbauten  anschaulich  gemacht  wird, 
ohne  wesentlich  Neues  zu  bieten  in  Bezug  auf  Anlage 
und  Architektur. 

9.  Den  .Jahrgang  1867  eröt^nen  die  Mittheilun- 
gen über  die  Wiederauffindung  des  Cömeteriums  Bal- 
binae ,  nahe  dem  des  Callixtus  zwischen  der  Via  Appia 
und  Ardeatina,  wobei  die  gründlichste  Darle^^ung  der 
Lage  des  Cömeteriums  Callixti,  Prätextati.  Domitillae, 
Judeorum  und  ad  catallumbas  gegeben  und  von  einem 
Specialplan  unterstützt  wird.  Dann  folgt  eine  inter- 
essante Untersuchung  über  die  Beziehungen  des  Apostels 
Paulus  zu  Seneca  gelegentlich  der  Besprechung  der  von 
\Uconti  zu  O.stia  gefundenen  Marniortafel  mit  den 
Namen  M.  Anneus  Paulus  Petrus. 

Eine  Zusammenstelhing  der  am  Palatin  in  Palato 
Cäsaris  gefundenen   Thonlampen    und    deren    Indicieii 


macht  den  Schln>s  dieses  Nr.  l.  Dies  Thema  setzt  sich 
gelegentlich  der  Erörterung  über  die  Genfer  Lampen 
in  Nr.  2  fort,  welches  der  BlUthe  des  Christenthums  in 
dieser  Stadt  eingehend  gedenkt.  Die  Besprechung  der 
Abhandlung  von  Edm.  Le  Blant  „über  die  juristische 
«Grundlage  der  Criminal-Processe  gegen  die  Märtyrer- 
eiithält  nichts  neues  tlir  die  Leser  des  Bulletino,  wo 
dies  Thema  wiederholt  und  gründlich  bearbeitet  worden. 
Dagegen  hebe  ich  die  Notiz  zu  Nr.  1  heiTor.  welche 
eine  griechische  Inschrift  des  Juden-Cömeteriums  an 
der  Via  Appia  mittheilt.  Dieselbe  nennt  die  Synagoge 
Eleas  und  ein  Sarkophag-Titel  den  Archon  Zonatas. 

10.  In  Nr.  3  stellt  de  Rossi  vom  V.  Jahrhundert 
rückwärts  ins  IV.  und  III.  gehend  kritisch  die  histori- 
schen Zeugnisse  über  die  Cathedra  S.  Petri  ap.  zusam- 
men und  eonstatirt,  dass  zweierlei  Cathedrae  S.  Petri  in 
Rom  gewesen  und  verehrt  worden,  womit  sich  auch  zwei 
unterschiedene  Festtage  verbanden.  Die  eine  Cathedra 
ist  die.  welche  von  Ennodius  im  V.  Jahrhundert  sella 
gestatoria  genannt  wird  und  von  Damasus  in  das  von 
ihm  erbaute  Baptisterinm  gebracht,  später  nach  dem  VI. 
Jahrhundert  auf  den  Hochaltar,  dann  in  ein  eigenes 
Oratorium  und  endlich  von  P.  Alexander  VII.  vor  zwei 
Jahrhunderten  in  das  gegenwärtige  Bronee-Monument 
eingeschlossen  worden.  Dies  ist  die  Cathedra  des  Vati- 
cans,  d.  h.  jene,  welche  nach  der  Überlieferung  vom 
Apostel  eingenommen  wurde  bei  seiner  zweiten  Ankunft 
in  Rom,  also  unter  Kaiser  Nero.  Die  andere,  gänzlich 
verschollene  ist  die  im  Cömeterium  Ostrianum  ehedem 
verehrte  Cathedra,  deren  Gedächtniss  am  lt<.  Jänner 
begangen  wurde ,  während  das  Fest  der  Cathedra 
Vaticana  auf  den  22.  Februar  fiel.  Diese  Cathedra 
Ostriana  wird  in  dem  Verzeichnisse  der  Ole  von  Abt 
Johannes  zu  Lebzeiten  Gregor  d.  Gr.  mit  den  Worten 
bezeichnet:  de  sede  ubi  prins  sedit  sctus  Petrus  — 
wodurch  also  ein  posterius  gefordert  wird,  das  eben  die 
vaticanische  Cathedra  bietet.  Somit  knüpft  sich  an  die 
Cathedra  Ostriana  die  Erinnerung  an  des  Apostels  Erste 
Ankunft  in  Rom  unter  Kaiser  Claudius.  Indem  die  Ge- 
lehrten diese  Unterscheidung  nicht  kannten  oder  nicht 
festhielten,  geriethen  sie  in  unlösbare  Schwierigkeiten. 
Im  ältesten  Calendar.  Roman,  bei  Bucher  und  Momm- 
sen  steht  unter  22.  Februar:  Natale  Petri  de  cathedra, 
wozu  von  unkundiger  Hand  im  IX.  Jahrhundert  Antio- 
chiae  gesetzt  wurde,  wie  schon  Mazochi  Calend.  Eccl. 
Neapel,  p.  50  l)emerkt  hat.  Dieser  Beisatz  wird  die 
d'ip])elte  Erwähnung  eines  Festes  der  Cathedra  Petri 
und  zwar  das  eine  Mal  mit  dem  Beifügen  Romae  (sedit ) 
und  die  in  alten  Martyrologien  auf  den  22.  Februar 
treffende  Commemoratio  Galli  martyr.  de  Antiochia  ver- 
anlasst haben.  Da  sich  nur  mit  der  vaticanischen  Ca- 
thedra die  Überlieferung  von  der  Succession  der  römi- 
schen Bischöfe  verknü])fte,  somit  eine  über  Rom  hinaus- 
reichende weltgeschichtliche  Bedeutung  damit  verbun- 
den erschien,  blieb  die  andere  nur  localen  Werthes  ohne 
fernere  Auszeichnung.  Rossi  hatte  Gelegenheit  die  Be- 
sehattenheit  der  vaticanischen  Cathedra  zu  erkunden 
und  schildert  dieselbe  also:  die  eigentliche  Sella  besteht 
aus  Holz;  die  vier  Füsse,  in  Fortn  von  viereckigen  Pila- 
stern,  die  diese  Füsse  verbindenden  Theile  und  die  zwei 
Stangen  der  Rücklehne  sind  von  gelblichem  Eichen- 
holze, von  der  Zeit  corrös  und  von  den  nach  Kcliiiuien 
d.  h.  Splittern  verlangenden  Händen  beschädigt.  In  den 
Pilastern  sind  die  Ringe  angebracht,  um  die  Sella  zur 


XLV 


jrestatoria  zu  machen,  wie  sie  Ennodius  beschreibt.  Diese 
Partien  sind  ohne  Elfenbeinschnuiek,  welcher  sich  an 
der  im  Dreiecke  atisciiliesscnden  Rückleluie  und  an  den 
Vordertheileu  zwischen  den  Pilastern  betindet.  Akazicu- 
hoiz  ist  angewendet  an  der  RUcklehne  und  den  verbin- 
denden Theilen  der  Füsse.  Hier  deutet  auch  die  jetzt 
fast  destrnirte  Hogen-Architckfnr  mit  den  plumpen 
Capitälen,  dessgleichen  an  der  Hückieline,  auf  eine 
ungleich  spätere,  jedenfalls  nicht  mehr  apostolische  Zeit. 
Die  Thierarabesken  hält  de  Rossi  für  jünger  als  das 
V.  Jahrhundert,  während  die  sogenannten  Arbeiten  des 
Herkules  in  Elfenbein-Relief  älteren  Datums,  keines- 
wegs aber  aus  augusteischer  Zeit  sind.  Somit  sind  die 
vier  schmucklosen  corrösen  Füsse,  die  verbindenden 
einfachen  Stangen  desselben  Holzes,  und  die  Ringe  die 
ursprüngliche,  der  apostolischen  Einfachheit  und  Armuth 
würdige  sella  gestatoria,  während  die  nut  Schmuck  ver- 
sehenen, aus  Aka/.ienholz  bestehenden  Theile  später 
hinzugefügt  wurden,  jedenfalls  zu  einer  Zeit,  wo  man 
specitisch  heidnische  Darstellungen  antiker  Kunstwerke 
ungescheut  selbst  auf  Evangelien-Büchern,  Kelchen 
u.  dgl.  zum  Schmucke  anbrachte,  nachdem  nämlich  der 
Kampf  mit  dem  Götzendienste  beendigt  und  irgend 
ein  Missverständniss  zur  Unmöglichkeit  geworden  war. 
Die  tom.  5.  Juni  fol.  457  der  Acta  Sanctorum  gegebene 
und  von  Phoebeus  u.  C.  Wisemann  in  ihren  l)ezüg- 
lichen  Abhandlungen  reproducirte  bildliche  Darstellung 
dieser  Cathedra  wird  als  für  den  Gesanunt-Anblick  ge- 
nügend erklärt,  während  sie  von  der  .Verschiedenheit 
des  Holzes  und  dem  Schmucke  keine  Vorstellung  ge- 
währt. Im  Nachtrag  fügt  Rossi  bei,  dass  in  der  Mitte 
des  dreieckigen  Abschlusses  der  Rücklehne,  im  Tym- 
panou  derselben,  die  Büste  eines  gekrönten  Kaisers  zu 
sehen  ist,  der  in  der  Rechten  das  Sceptcr,  in  der  Linken 
die  Kugel  hält  und  welchem  je  ein  Engel  an  der  Seite 
eine  Krone  entgegenträgt,  während  zwei  andere  in 
gleicher  Anordnung  die  Palme  führen.  Im  Style  findet 
sicli  mit  der  Zeit  des  wiederhergestellten  Kaiserthums 
im  Abendlande  die  grösste  Verwandtschaft,  so  dass 
die  Büste  vielleicht  Karl  den  Grossen  vergegenwärtigt. 
11.  Da  Nr.  4  nicht  nach  München  gelangt  ist,  habe 
ich  noch  die  sorgfältige  Abhandlung  über  die  antiken 
Gebäude  an  der  Kirche  L.  Cosmas  und  Damianus  in 
Nr.  5  kurz  zu  erwähnen.  Der  von  den  deutschen  Archäo- 
logen für  den  Penatentempel  gehaltene  Rundtempel 
am  Eingange  von  L.  Cosmas  und  Damian  wird  durch 
Mittheilungen  aus  Panvinius  Manuscripten- Codex  Vat. 
6780"  als  Bau  aus  Maxentius  Zeit,  und  zwar  dessen 
Sohne  Romulus  dedicirt,  wahrsdieinüch  gemacht,  welcher 
dann,  wie  alle  Werke  des  Maxentius,  dem  Namen  Con- 
stantin  durch  den  Senat  vindicirt  wurde.  Der  auch  von 
Reber  in  seinen  Ruinen  Roms  betonte  Ziegelbau  har- 
monirt  mit  der  nahe  gelegenen  Basilica  des  Maxentius. 
Die  von  Panvinius  gegebenen  Inschrifien  bestätigen 
diesen  Sachverhalt.  Für  die  christliche  Archäologie  ist 
aber  der  Anbau  des  Papstes  Felix  IV.  im  VII.  Jahrhun- 
dert in  sofern  wichtig,  als  die  Apsis  der  genannten 
Kirche,  in  der  Hauptsache  ebenfalls  aus  Constanlin's 
Zeit,  sich  in  drei  Bogen  nach  einem  hinter  ihr  li(  genden 
Räume  öflfnet,  der  den  Standort  der  Matronen  und 
Frauen  bildete,  und  wenn  ich  hierbei  an  die  sub  i^ 
erwähnte  africanische  Broncelam])e  mit  der  durch 
Säulen  und  Bogen  geotfneten  Apsis  erinnere,  so  werde 
ich  einem  begründeten  Einwurfe  schwerlich  begegnen, 


ohne  übrigens  zu  behaupten,  dass  dies  die  normale  An- 
lage gewesen,  indem  mir  die  in  Algerien  aufgefundenen 
christlichen  B:isiliken  hinlänglich  bekannt  sind.  Dass 
hier  bei  S.  Cosmas  vier  Mauei  stücke  die  Öffnung  gestat- 
ten, ist  ebenfalls  zu  bemerken.  Die  von  Rossi  anläss- 
lich dieser  Apsisbildung  gegebene  Erklärung  der  sonst 
dunklen  Stelle  bei  Anastas.  Vit.  Paschalis  I  von  der 
Basilica  Libeiiana  leuchtet  Angesichts  dieser  Anlage 
mit  den  drei  Bogenöffnungen  sofort  ein.  Dass  hier 
der  berühmte  Plan  der  Stadt  Rom  gefunden  wurde,  ist 
bekannt. 

12.  Daran  schliesst  sich  eine  Untersuchung  über 
die  nahe,  den  Aposteln  Petrus  und  Paulus  geweihte 
Kirche,  welche  mit  der  Erzählung  vom  Sturze  des  Zau- 
berers Simon  im  Znsammenhnnge  gezeigt  wird;  hiebei 
ist  die  Ausführung  über  die  alte  Bezeichnung  „in  silice" 
unter  glücklicher  Verwerthung  der  Apokryphen  des 
Pseudo-Linus  und  Pseudo-Marcellus,  so  wie  eines  Sar- 
ko])hages  zu  Marseille,  von  grossem  Interesse,  indem 
die  Altersbestimmung  dieser  Urkunden  daraus  resultirt 
und  die  Aufgrabungen  neuesten  Datums  einen  über- 
raschenden Zusanunenhang  in  diese  sonst  so  räthsel- 
haften  Angaben  bringen.  Die  Notiz  endlich  über  ein  zu 
Neapel  entdecktes  Cuhiculum  im  Cömeterium  S.  Severi 
aus  dem  IV.  Jahrhundert,  ferner  über  einen  von  Vis- 
conti in  Rom  gefundenen  Mithras-Tempel  desselben 
Jahrhunderts,  also  aus  christlicher  Zeit,  bietet  für  die 
Kenntniss  der  damaligen  Verhältnisse  lehrreiche  Daten. 
Mit  diesem  Nr.  b  enden  die  bis  December  1868  hierher 
gekommenen  Bulletinos.  iJr.  Messvier. 


Die  Reliquiensclireine  in  der  Neuklosterkirche 
Wiener-Neustadt. 

(Mit  1   Holzschnitt.) 

Im  Chorschlusse  der  Cistercienser  Kirche  zu  Wie- 
ner-Neustadt befindet  sich  zu  beiden  Seiten  des  Flügel- 
altars in  fast  halber  Wandhöhe  je  ein  grosserReliquien- 
kasten  angebracht,  über  dessen  Gestalt  der  beigege- 
bene Holzschnitt  .\ufscliluss  gibt. 


LXV] 


Kill  ci^entliüiiiliches  .Schicksal  war  diesen  beiden 
üeii.inienkäslen  bcscliieden.  Sie  waren  Iriiher  vereint 
und  biiJeten  beide  Theile  zusammen  einen  grossen 
Selirein,.  der  auf  vier  Füssen  ruhend  (von  denen  noch 
die  Spuren  an  den  Kästen  sichtbar  sind),  in  der  Burgr- 
capclle  zu  Wiener-Neustadt  stand.  Darin  waren  jene 
\ielcn  Kelii|nien  aufliewahrt.  die  Kaiser  Friedricli  IV. 
aus  Koni  mitbrachte.  Bei  Unigrestaltung  der  Burgcapelle 
zur  Kirche  der  Militär- Akademie  unter  der  Kaiserin 
Maria  Theresia  wurde  dieser,  der  Zeit  Kaisers  Fried- 
rich IV.  eutstammende .  umlangreiche  Picliquicnkasten 
aus  der  Capelle  entfernt  und  dem  Cistercieiiserkloster 
Neukloster  gespendet.  Man  war  anfänglich  unschlüssig, 
über  den  Ort.  wo  man  diesen  grossen  Schrein  aufstel- 
len solle,  bis  man  endlich  auf  den  wenig  gelungenen 
Gedanken  verfiel,  denselben  entzwei  zu  schneiden,  die 
Füsse  wegzunehmen  und  lioeli  oben  an  der  Kircheii- 
wand  diese  Fragmente  zu  befestigen.  Der  I\eli(|uieii- 
schatz  wurde  nun  in  die  beiden 
durch  die  Theilung  gewonnenen 
Schränke  gleichmässig  vertheilt. 
Die  Reliquien  liegen  jedes  abge- 
sondert in  einem  irdenen  Geflisse. 
ähnlich  einem  Blumentöpfe,  sind 
mit  verschiedenen  Siotfcn  über- 
zogen und  mit  künstlichem  Bhi- 
menwerk  verziert,  doch  fehlt  die 
Authentik:  dessgleichen  ist  nir- 
gends ein  Xamensverzeichniss 
der  Reliquien  zu  tinden. 

Zurückkehrend  zu  dem  ur- 
sprünglichen grossen  Schrein, 
muss  noch  einer  besonderen 
Zierde  desselben  Erwähnung 
gethan  werden ,  nämlich  einer 
grossen  bemalten  Tafel,  welche 
die  untere  d.  i.  nach  aussen 
gerichtete  Seite  des  Bodensiückes 
des  Schreines  bildete.  Der  Schrein 
stand  nämlich  auf  so  hohen  Füs- 
sen, dass  es  möglich  war,  unter 
demselben  durchzugehen.  Diese 
Tafel  mit  den  Bildnissen  von  28 
verschiedenen  Heiligen  und  dem 
Friedricianischen  Monogramme 
geziert,  war  somit  für  die  unter 
dem  Schreine  Stehenden  sichtbar. 
Wahrscheinlich  sind  die  auf  der 
Tafel  vorgestellten  Heiligen  die 
den  Reliijuien  entsprechenden 
Personen.  Als  der  Schrein  getheilt 
wurde,  verschonte  man  diese  Bil- 
dertafel und  brachte  sie  in  das 
Museum  des  benannten  Cister- 
cicnser-Stiftes.  wo  sie  sich  noch 
iiclindet  •.  Diese  Tafel  entspricht 
in  ihrer  Länge  der  ganzen  Länge 
der  Kästen  und  in  ihrer  Breite 
der  halben  Breite  dersellien. 


Das  apostolische  Kreuz  im  &raner  Domschatze. 

Mit   1    llolMrIiiiin.) 

Im  Sehatze  der  Metropolitankirclie  zn  Oran  wird 
ein  sehr  werthvolles  Kreuz  aufbewahrt,  das.  als  crux 
Stationalis  den  Xamen  „das  apostolische  Kreuz-  führt '. 
Die  Könige  Fugarns  geniessen  nämlich  seit  den  Tagen 
Stephan's  des  Heiligen  das  ^  orrecht.dass  ihnen  in  Folge 
des  gewährten  Ehrentitels  ^rex  aiioslolieus"  bei  der 
Krönung  und  bei  sonstigen  feierlichen  Aufzügen  das 
a|i<istolische  Kreuz  vorgetragen  wird.  Dieses  Kreuz 
hatte  ehedem  ohne  Zweifel,  wie  auch  die  crux  bi])artita 
auf  dem  ungarischen  Reichsapfel,  doppelte  Querarme: 
auch  liegt  es  nahe  anzunehmen,  dass  der  heil.  .Stephau 
ein  solches  apostolisches  Kreuz  für  den  cbcngedachten 
Zweck  vom  Pajiste  zum  Geschenk  erhalten  lial)e.  \\'aiin 
und  bei  welcher  (ielegeuheit  das  ältere,  ehemals  hei 
den  Krönungen  ungarischerKönige  im  Geliramh  belind- 


Wegwcii»er  t,   Nied.  Öslerreirh,    1.  4ti. 


■  S.  auch  .der  Srhalz  der  .Uetrop<>)ii.tDkirclie  /u  tiran  in  t  nct'ii, 
III..  Band  deä  JahrbucneE  der  k.  k.  Central-Comroiifiiou,  äelr«  123 — ti-j.  Aua- 
zng  auf  Bock's  Kleinodien  des  heil.  röm.  Kelchfli:  '     ' 


LXNII 


lielie  I)(iii])clkrcuz  in  Wcii'f'all  gi'koiiiiucu  if>t,  unil  wie 
das  ajKKstiili.sohc  Kren/,  in  älterer  Zeit  bescliaft'eii  j;e- 
wesen  sein  mag,  darüber  fehlen  zur  Stunde  gescliielit- 
liche  Angaben.  Die  lieutige  erux  ajiostolic'a  dürfte  wie 
mit  ziemlielier  Sielieriieit  anzuneinncn  ist,  i'riiiiestens 
gegen  Soliluss  des  XY.  Jaliriinnderts  nnd  offenbar  von 
einem  Künstler  des  nördlichen  Italien  oder  von  einem 
solchen  auf  ungarischem  Hoden  angefertigt  worden  sein, 
der  als  Italiener  nach  Vorbildern  der  liebgewonnenen 
Formen  seiner  Heimat  gearbeitet  hat. 

Dieses  apostolische  Kreuz  von  Ungarn ,  welches 
nun  bei  feierlichen  Gelegenheiten  dem  Kaiser  und 
Könige  vorgetragen  wird,  besteht  aus  zwei  Theilen, 
niindich  dem  älteren  Kreuze  und  der  modernen  Trag- 
stange, die  in  ihren  unschönen  Formen  verräth,  dass 
diese  Canna  erst  in  neuerer  Zeit  auf  ziemlich  unm-- 
gauische  Weise  mit  dem  Kreuz  in  Verbindung  gesetzt 
worden  ist.  Das  eigentliche  Kreuz  misst  in  seiner 
Länge  M.  ü-32  bei  einer  grössten  Ausdehnung  der 
Kreu/.nrme  von  M.  0-26.  Die  Breite  der  Kreuzbalken 
beträgt  M.  0-03  bei  einer  Tiefe  derselben  von  kaum 
M.  0-ü2.  Die  vordere  Hauptfronte  der  crux  apostolica, 
die  wir  beifolgend  unter  Fig.  1  im  verkleinerten  Mass- 
stabe bildlich  wiedergeben,  zeigt  auf  carrirtem  sill)ernen 
Tiefgrnnd  und  zwar  in  den  AusmUudungen  der  Kreuz- 
balken halb  erhaben  aufliegende  figürliche  Darstellungen 
von  Silber,  die  stark  vergoldet  sind.  In  den  Vierpässen 
der  beiden  Querarrue  erblickt  man  als  Reliefs  die  Brust- 
bilder der  Passionsgruppe,  Johannes  und  Ilaria;  ferner 
an  dem  oliern  Balken  den  l'elikan  und  an  dem  untern 
Kieuzbalken  das  Bild  der  Magdalena.  Die  Figur  des 
Heilands  ist  in  Silber  gegossen  und  ciselirt,  die  Krone, 
das  Haupthaar  und  das  Lendeugewand  des  Gekreuzigten 
sind  vergoldet:  dessgleicjien  auch  die  energisch  profi- 
lirten  Einfassungsstreifen,  die  auf  beiden  Seiten  die 
Balken  des  Vortragekreuzes  umgeben.  Koch  sei  be- 
merkt, dass  sämmtliche  Tieffläclien  auf  der  vordem 
Seite  des  Kreuzes  mit  einem  dunkelblauen  Email  aus- 
gefüllt sind,  das,  durchsichtig  gehalten,  eine  gefällige 
Musterung  der  darunter  befindlichen  silbernen  Blatte 
durchblicken  lässt,  welche  au  die  Entwicklung  der  ita- 
lienischen Kenaissance  deutlich  erinnert.  Ein  nicht 
geringeres  Interesse  als  die  vordere  Seite  des  apostoli- 
schen Kreuzes  bietet  auch  die  hintere  Fläche  desselben, 
indem  die  Vierpässe  der  Kreuzarme  hier  mit  den  Brust- 
bildern der  vier  Evangelisten  in  Niello  ausgeführt  sind. 
In  derselben  Schwarzmauier  ist  auch  in  dem  Vierpass, 
der  die  mittlere  Vierung  unseres  Kreuzes  einninnnt,  das 
Brustbild  der  Himmelskönigin  dargestellt,  l'm  die  Ein- 
tönigkeit der  Kreuzbalken  zu  heben,  sind  dieselben  auf 
der  hintern  Fläche  mit  zierlichen  Ornamenten  gemustert, 
die  elien  sowohl  wie  Haltung  und  Ausführung  der  er- 
wähnten Figuren  für  die  italienische  Kunstübung  gegen 
Ausgang  des  Mittelalters  bezeichnend  sind.     .  .  .B.  . . 

Über  die  Regeneration  der  Heraldik  und  den  gegen- 
wärtigen Standpunkt  dieser  Wissenschaft. 
II. 

( Schi  u  SS.) 

Die  erspriessliclien  Folgen  jener  gänzlichen  Ände- 
rung auf  dem  Felde  der  Heraldik  sind  bereits  allenthal- 
ben wahrzunehmen:  iu  allen  Wappenländern  blüht  die- 


ses Studium  wieder  auf,  allcii  vman  Bayern  nndStlnveiz, 
namentlich  das  kunstsinnige',  altcrthumsfreundliclie 
Zürich.  Auch  bei  uns  hat  es  seither  nicht  an  Bestrebun- 
gen gefehlt;  ich  ei'innere  nur  an  die  \  crdienstvolk-n 
Arbeiten  des  verewigten  Vicehofbuchlialters,  Garl  \o\\ 
Sava,  als  Siegelkundiger  rühmlichst  bekannt;  Dr. Fritz 
Pichler  in  Graz,  welcher  sich  gegenwärtig  mit  so  viel 
Erfolg  der  Numismatik  zugewendet  hat,  machte  einen 
sehr  ancrkcnncnswertiien  Versuch  mit  seineu  „Steiri 
sehen  Heroldsfiguren".  Auch  ein  Wiener  Gelehrter, 
dessen  Name  jedem  deutschen  Alterthumsfreund  gar 
wohlbekannt  sein  dürfte,  hat  sich  auf  dem  Boden  unsc 
rer  Wissenschalt  hervorgethau:  Dr.  Eduard  Freiherr 
von  Sack  e  n  mit  dem  trefflich  geschriebenen  „Kate- 
cliisnuis  der  Heraldik",  wodurch  die  neuen  Grundsätze 
auch  einem  grösseren  E^ublicum  zugänglich  gcAvordeu 
sind  '. 

Es  würde  mir  zwar  nicht  an  Stoff  mangeln,  noch 
weiter  darzutliun,  wie  anregend  diese  Umwandlung  der 
Heraldik  gewirkt  hat,  und  wie  gerade  in  den  letzten 
Jahren  bei  uns  und  im  Ausland  sehr  gediegene  Arbeiten 
in  dieser  Sphäre  publicirt  worden  sind;  allein  ich  will 
nur  noch  darauf  hinweisen,  dass  diese  Um-  und  Rück 
kehr  zu  den  echten  alten  heraldischen  Kunstformen 
sich  bereits  allenthalben,  auch  ausser  der  gelehrten 
Welt,  erfreulieh  bemerkbar  macht.  Die  Graveure,  Siegel- 
stecher, Wa-jjpenmaler,  Zeichner  und  Steinmetzen  wissen 
davon  zu  erzählen,  wie  rasch  sich  in  dem  letzten  De- 
cennium  der  Gesclnnack,  den  herakli sehen  Styl  betref- 
fend, geändert  und  verbessert  hat.  Überall  taucht  wieder 
der  Dreieckschild  mit  dem  Kübelhelm,  und  noch  mehr 
die  Tartsche  mit  dem  Stech-  oder  Spangenhelm  auf,  die 
schwindsüchtigen  Theaterhelme  werden  immer  seltener, 
die  Helmdecken  erscheinen  nicht  mehr  als  arnbesken 
artiger  Hintergrund  der  Wappen,  sondern  als  wahre 
Decken,  die  auf  dem  Helm  liegen,  wenn  auch  noch  so 
verschlungen  und  gezackt;  die  Adler,  Löwen  und  all' 
das  andere  Gethier  erhält  nun  wieder  eine  Form,  welche 
den  guten  heraldischen  Kunstepochen  entnommen  ist: 
die  neuen  Wappen  werden  mitunter  doch  wieder  etwas 
einfacher;  auch  die  uralten  Herolds-  oder  sogenannten 
Ehrenstücke,  jene  geometrischen  Figuren,  welche  die 
neue  praktische  Kunst  förmlich  perhorrescirte,  finden 
nun  hie  und  da  ein  Plätzchen;  die  übertriebene  Ängst- 
lichkeit im  Cojiircn  und  Neuordiniren  der  Wappen  gibt 
schon  einer  frischeren  und  freieren  Auflassung  Raum, 
und  man  tiingt  au,  einzusehen,  dass  es  sich  auch  hier, 
wie  überall,  um  den  Geist,  nicht  um  sclavische  Nach- 
ahmung handle.  Man  begreift  jetzt,  dass  zu  dem  Auf- 
reissen  eines  Wappens  oder  zu  der  Vereinigung  meli 
rerer  noch  etwas  mehr  gehört,  als  ein  guter  Figuren- 
zeichner, und  dass  es  geradezu  widersinnig  ist,  mittel 
alterliche  Rüststücke,  wie  Schild  und  Helm,  mit  Revol- 
vern. Locomotiven  und  Leibhusaren  zu  bemalen  und  auf- 
zuputzen. .Man  staunt  lieutzulage  über  die  Blindheit, 
mit  welcher  vor  noch  ganz  kurzer  Zeit  auf  die  Vorder- 
seite eines  Helmes  die  Rückseite  eines  Bären,  oder  auf 
einen  rechtssehenden  Helm  ein  linksgewendetes  Eiidiorn 
gesetzt  wurde,  ähnlich  einem  Mann ,  der  seine  Kai)])c 
mit  dem  Schirm   nach  rückwärts  oder  gegen   das  Ohr 


LXVIII 


bin  i^.'lirt  trä^'t.  Auch  die  all/.uinaleiischeii  Laiid- 
serrTfTün  luit  Hintergrund  kommen  mir  nielir  selten  vor. 
und  man  entseliliesst  sich  lieber,  derlei  Darstellungen 
mü^'lichst  zu  vereinfachen,  z.  H.  aus  einem  landsdiatt- 
lichen  Garten  mit  blauem  Himmel  einen  heraldischen 
mit  seinen  3  oder  4  Bäumen  um/.äunt,  im  blauen  Feld 
zu  machen,  in  Beberzigung  des  Grundsatzes:  der  Schild 
repräsentirt  nur  eine  ebene  Fläche,  auf  welcher  gewisse 
Figuren  oder  Zeichen  aufgemalt  oder  aufgelegt  sind, 
welche  also  durciiaus  keine  Perspective  und  keinen 
Hintergrund  haben  kann,  wie  ein  Gemälde. 

Die  Grundlagen  zum  richtigen  Verständniss  und 
zur  sachgemässen  Anwendung  unserer  Wissenschaft 
sind  demnach  gegeben,  die  Principien  und  Kegeln  nicht 
nur  aufgestellt,  sondern,  worauf  das  Haujjtgewicht  gelegt 
werden  mnss,  auch  als  nothwendig  und  gut  erwiesen; 
allein  es  erübrigt  gleichwol  noch  Einiges,  was  zu 
ergänzen  bliebe. 

Hieher  rechne  ich  die  Intersrnhung  und  Fest- 
stellung der  noch  immer  beträchtlichen  Menge  von  Ge- 
räthen  und  Zeichen  des  Mittelalters,  welche,  häufig  rein 
technischer  Art,  bisher  nicht  zweifellos  erkannt  und 
benannt  wurden:  es  fehlt  ferner  noch  eine  Geschichte 
des  Styls  der  vielen  üblicheren  Wappenfiguren,  in  der 
Weise,  wie  wir  sie  hinsichtlich  der  Darstellung  des 
Löwen  und  Adlers,  in  verschiedenen  Jahrhunderten, 
l)esitzen. 

Dem  Herolds-  undPerseverantenwesen,  .sowie  dem 
merkwürdigen  Verhältniss  zwischen  Dienstmannen  und 
Lehensherren  bezüglich  der  beiderseitigen  Wappen, 
wurde  vorläufig  auch  nur  sehr  nebenbei  Beachtung 
geschenkt.  Dasselbe  gilt  von  den  Wappengenossen  und 
den  ad  personani  Bewappneten.  Es  ist  bekannt,  dass 
nicht  nur  erbgesessene  Bürger,  sondern  auch  die  Ducto- 
ren  aller  Facultäten,  die  Buchführer,  Aufdrucker  und 
sogar  die  Setzer,  welche  einst  den  Gelehrten  gleich 
geachtet  waren,  in  jener  Bilder  und  Symbole  liebendeu 
Zeit  ihre  Wappen  hatten. 

Den  Wappensagen  fängt  man  erst  seit  allerneue- 
stem  Datum  an,  wieder  etwas  Aufmerksamkeit  zuzu- 
wenden: namentlich  ist  es  Herr  Haus  Weininger, 
Secretär  des  historischen  Vereines  zu  Regensburg  und 
der  Oberpfalz,  der  diesen  poetischen  Theilder  Heraldik 
mit  grossem  Geschick  und  ohne  allzuweit  von  der  Sache 
abzuschweifen,  )>tlegt. 

AVie  interessant  und  lohnend  wäre  die  Erforschung 
und  Richtigstellung  der  alten  Wappen  jener  bedeutende 
ren   Geschlechter,    welche   ihre   lieraidischen   Attribute 
aus  ]\FangeI  an  Erkenntniss.  Veischönerungssucht  oder 
Eitelkeit  oft  total  verändert  und  verschlechtert  haben. 

Ein  anderes,  und  nach  meiner  unmassgeblichcn 
Ansicht  vielleicht  das  dankbarste  ¥e\ä  wäre  die  Na- 
tionalcharakteristik  der  Wapiienkunde,  auf  welche  bis 
nun  auch  nicht  viel  mehr  als  hingedeutet  worden  ist. 
Es  sei  mir  erlaubt.  Über  diesen  nicht  unfruchtbaren  Ge- 
genstand zum  Schluss  noch  ein  paar  Worte  zu  sagen. 

Sowie  jede  Nation  in  körperlicher  und  geistiger 
Beziehung,  im  Exterieur  wie  im  Charakter,  Anlagen 
und  Bildung,  in  Sitten,  Tracht,  Sprache  und  in  so  vielen 
anderen  Momenten  ihre  besonderen  Eigenthümlichkei- 
ten  hat,  so  ist  diese  Verschiedenheit  auch  nicht  ohne 
Einfluss  auf  ihre  Heraldik,  und  specicll  auf  ihre  plastisch- 
ornamentale  Darstellungsweise  geblieben.  Wer  jemals 
viel  mit  Siegeln  oder  überhaupt  mit  Wapjien  aus  diver- 


sen Ländern   zu   thun   gehabt    hat,   der   wird   dies    in 
reichem  Maassc  Ijcobaclitct  haben. 

Betrachien  wir  zur  Probe  die  grossen  Wappen- 
nationen. Bei  den  Deutschen  ist  das  Wai)pcnwesen 
zu  seiner  vollkommensten  Ausbildung  gelangt  .  inso- 
fern man  unter  „vollkommen-  vernünftig,  gründlich 
und  einfach  schön  versteht.  Bei  ihnen  zeigen  sich  die 
einzelnen  Bestandtlieile  der  Wappen,  als  da  sind: 
.-Schild,  Helm,  Kleinod  und  Decken  —  nach  Ablauf  der 
Periode,  in  welcher  der  Schild  allein  alles  andere 
vertritt,  in  ihrer  natürlichsten  Zusammenstellung  und 
ästhetischesten  Entwicklung.  Sic  haben  den  BcgritT 
des  geharnischten  Kitters,  eine  Idee,  welche  eigentlich 
hinter  jedem  Wuppen  versteckt  ist,  oder  in  Betreff  der 
Darstellung  sein  soll,  am  reinsten  wiedergegeben  und 
trotz  aller  heraldischen  Verirrungen  verhältnissmässig 
am  längsten  bewahrt.  Die  deutschen  Wappenfiguren 
tragen  den  Stempel  der  schlichten  Einfachheit  und 
Klarheit,  und  wie  in  ihren  Bauten,  so  ist  auch  in  ihren 
Scliildbildern  dergotbische  Stil  zur  grössten  Vollendung 
gediehen.  Bescheidene  Anwendung  der  Tincturen,  sorg- 
fältige Pflege  der  Kleinode,  d.\.  der  Helnizierdcn. 
dieser  schmucken  und  lustigen  Figurenplastik  —  und 
deren  Veränderung  neben  dem  Wechsel  der  Schildfar- 
ben, um  verschiedene  Linien  und  Fannlicn  zu  unter- 
scheiden, zeichnen  sie  aus. 

Die  Franzosen,  allerdings  das  älteste  Wajjpen- 
volk.  lieben  schon  mehr  Buntheit  und  Composition ;  die 
kleinen  aber  in  grösserer  Anzahl  auftretenden  Figuren 
sind  bei  ihnen  zu  Hause,  und  eine  gewisse  Überfeine- 
rung  und  Subtilität  wird  gar  bald  ersichtlich;  die  ge- 
stümmelten  Vögel  (merlettes),  die  fünfstrahligen  Sterne 
(die  deutsche  Heraldik  bedient  sich  der  sechsstrahli- 
gen),  die  Bastardfaden  und  der  Ausbruch  —  eine  Art  Ver- 
stecken dieses  Zeichens  durch  Abkürzung  —  sind  ganz 
speciell  französisch.  Die  Bordüre,  Kreuze  und  Kreuz- 
lein jeder  FaQon,  Schindeln,  der  Turnierkragen,  der 
Delfin  und  der  wilde  Kirschbaum  ('crequier)  werden  von 
Franzosen  gern  geführt.  Die  Lilie  aber,  welche  von 
Laien  häufig  als  Kennzeichen  eines  französischen  Wap- 
pens betrachtet  wird,  kommt  ebenso  häufig  in  deutschen 
Schildern  und  denen  anderer  Nationen  vor. 

Ahnlich  wie  in  Frankreich  sind  die  Wappenbilder  in 
Italien,  Spanien  und  Portugal,  dieser  verwandten 
romanischen  Völker  des  Südens,  wiewohl  es  auch  für 
ihre  Heraldik  zuweilen  Kriterien  gibt,  so  z.  B.  das  Vor- 
kommen von  Schlangen.  Drachen  u.  dgl.  und  vor  allem 
die  eigcntliümlichen  Schild-  und  llelmformen  älterer 
Zeit,  die  gleichwohl  nicht  immer  mu.sterhaft  sind. 

Bei  den  Italienern  sind  die  schräge  Streifung, 
die  phrygische  Mütze,  das  Jerusalemiterkreuz,  und  my- 
thologische Figuren  nicht  selten. 

Ein  vorzüglich  schönes  Beispiel  portugiesi- 
scher Heraldik  ist  das  Wappen  der  alten  Herren 
von  Goes,  von  denen  die  heutigen  Grafen  Goess  in 
Kärnten  abstammen,  wiewcdd  sie  ihr  altes  Stamm- 
wappen längst  nnt  einem  anderen,  durchaus  verschie- 
denen vertauscht  haben.  Die  rechte  und  linke  Seite  des 
blauen  Schildes  ist  mit  je  drei  pfahlweise  untereinander 
gesetzten  silbernen  lunels  belegt.  Diese  Figur  wird  durch 
vier,  in  einen  Vierpass  gestellte  Monde  gebildet,  und 
mitunter  irrig  als  ,.SchnalJe"  blasonirt.  Der  Schild  liängt 
an  grüner  goldbordirter  Schildfessel  mit  dem  Spangen - 
heim  zusammen,  welcher  zwei  Schnallen  zur  Befestigung 


LXTX 


an  Brust  und  Klicken  zeigt.  Der  grüne, 
rothgewaffnete  Kleinod- Drache  mit 
ausgespannten  Flügeln  steht  auf  einem 
silbernblauen  Wulst ,  aus  dem  sich 
die  zierlichen  Decken  cutwickeln.  Das 
Original  befindet  sich  in  dem  Livro  da 
Nobreza,  einem  Wappenbuch  des  Kö- 
nigs Manuel  von  Portugal,  etwa  vom 
Jahre  1600,  welches  in  der  torre  de 
tomba  zu  Lissabon  aufbewahrt  wird. 

Die  Engländer,  welche  in  ihrer 
Sprache  und  in  manchen  andern  Be- 
sonderheiten germanische  und  roma- 
nische Elemente  aufgenommen  haben, 
verläugnen  diesen  Umstand  auch  in 
ihren  Wappen  nicht.  Einfache  Bilder, 
dann  wieder  kleine  Figuren  in  grös- 
serer Zahl  wechseln  bei  ihnen  ab.  Aber 
der  vorzüglich  beliebte  Gebrauch  der 
Freiviertel  und  Orte,  die  häufige  An- 
wendung des  Hermelinpelzwerkes,  das 
höchst  originelle  Gepräge  ihrer  vier- 
füssigen  Thiere  und  Vögel,  und  haupt- 
sächlich die  ihnen  ganz  allein  ange- 
hörige  Manier  der  Beizeichen  für  die 
jüngeren  Linien  und  Söhne  niarkiren 
sie  entsciiieden  genug.  Es  sei  hier 
erwähnt,  dass  gerade  bei  ihnen  der 
Sinn  und  die  Vorliebe  für  den  Blason 
im  gebildeten  Publicum  am  allgemein- 
sten verbreitet  ist. 

Eine  ganz  aparte  Stellung  nimmt 
die  polnische  Heraldik  ein. 
Pfeile ,  Hufeisen ,  Kreuze  ,  schächer- 
kreuzartig  zusanmiengestellte  Arme 
und  Füsse ,  unbekannte  und  sonder- 
bare Instrumente  und  Zeichen  sind 
bei  dieser,  politisch  nicht  mehr  existi- 
renden  Nation  in  Gebrauch.  Ich  erin- 
nere mit  Bezug  auf  die  räthselhaften 
Wappenbilder  an  die  viel  besprochene 
und  zuviel  erklärte,  aber  dennoch  nicht 
ganz  klare  Graf  Sedlnizky'sche 
Schildfigur ;  dieses  Wappen  (Odro- 
wonz)  liest  man  noch  immer  hie  und 
da  als  Wurfeiseu  „mit  einem  unten 
daran  hängenden  silbernen  Knebel- 
barte" blasonirt!  Die  natürlichste  Er- 
klärung dafür  aber  habe  ich  bisher 
noch  nirgends  gefunden,  nämlich,  dass 
dieser  angebliche  Knebelbart,  Mund 
und  weiss  Gott  was  alles,  wenn  er 
schon  überhaupt  etwas  besonderes 
bedeuten  soll ,  nichts  anderes  sein 
könne,  als  die  Andeutung  des  Bogens 
«der  der  Armbrust,  worauf  der  Pfeil 
liegt. 

Der  Umstand,  dass  meistens  meh- 
rere, oft  70 — 100  und  mehr  Familien. 
Ursprung  haben  oder  prätendiren,  sich  desselben  Wap- 
pens, sowie  auch,  Zunamens  bedienen,  vereinfacht  die 
Zahl  der  polnischen  Schildbiidcr  ungemein.  Jedes  pol- 
nische Wappen  aber  hat,  abgesehen  von  seinen  Trägern, 
seinen  fixen  "Namen.  So  heisst  das  zuvor  besprochene 


'^^t,^C^<^\\'i->^-^tn  tTtn-Unn^jmfflfQaro)-iiciii«hrQbrn)oirgon9-hQPri  jtf  ^mQ^/^f•ftfl^/p/f^;'^ 


Fig.  1. 
welche  einerlei      Bild  „Odrowonz".  So  gibt  es  eine  Reihe  (Jeschleclitev 


des  Wappens  „Nalenez"  d.  i.  die  Kopfbinde ;  oder  des 
Wappens  „Brog"  d.  i.  das  Strohdach,  u.  s.  w.  Die  76 
Geschlechter  des  Stammes  Dun  in  führen  sämmtlich 
den  silbernen ,  goldgewatfneten  Schwan  im  rotheu 
Feld,  und  als  Helmzier,  mit  rothsilberuen  Decken.  Der 


LXX 


SilMvan  heisst  polniscli  Labedz  (spricli 
I.abeiidz),  und  die  Dunin  sind  also  all«- 
Labedzi  (^sp.  Labcnd/i)  uder  Scliwanen- 
wappcnträg:er. 

Leii-lit  kenntlicli  sind  dii-  Wappen 
derrnfcaiu.  Das  l'atiiaitlH'ni^reu/,. 
gebarnischte  Arme  mit  Säbein.  an%c- 
spiesste  oder  blutende  Türkensehädei, 
Festungen,  von  Tbieren  etwa  der  Löwe, 
der  pt'eiidurehscbossene  Ilirseli  uml  die 
Taube  mit  dem  Olzweiir  wiederlicden 
sieh  in  allen  erdeukliclieu  Variationen. 
Die  Ungarn  haben  sieh  auf  einen  ziem- 
lieb kleinen  Kreis  von  Wappenbildern 
beschränkt  :  allerdings  trelten  wir  bei 
ilmen  ebeutalls  zuweilen  mehrere  r.-imi- 
lien.  die  sich  des  ganz  gleichen  Wapjjens 
bedienen,  wiewold  ohne  jene  gesctzmäs- 
sige  Zusammengehörigkeit,  wie  bei  den 
Polen. 

Den  polnischen  und  ungarischen 
Wappeneharakter  vereinigen  die  Rus- 
sen, obgleich  sie  als  Slaven  nur  mit  den 
Krsteren  nachweislich  verwandt  sind; 
Übrigens  sind  mir  lici  ihnen  keine  ilirek- 
len  heraldischen  Kennzeichen  bekannt, 
da  ich  in  dieser  kurzen  Ausführung  jene 
Merkmale  übergehe,  welche  in  den  ver- 
schiedenen heraldischen  Fehlern  und 
Missgril^Vn  liegen. 

Von  einer  aussereuropäischen  He- 
raldik kann  begreiflicherweise  keine 
Kede  sein,  und  was  sich  etwa  als  solche 
ircrirt.  mag  allenfalls  in  die  Kategorie 
de.-  Sinnbilder  oder  Wahrzeichen  gerechnet  werden. 

Dr.  Ernst  F.illrr  ;;.   Fraazeushul'l. 

Mittelalterlicher  Brunnen  zu  St,  Wolfgang. 

Mit  i  Unlzaclinilteii- 

Ilart  vor  dem  Haupfeingange  der  als  Wallfahrts- 
ort und  durch  ihren  kunstreichen  Flügelahar  weit  be- 
kannten St.  Wolfgangskirche  am  gleichnamigen  See 
l  »her  Österreichs  steht  ein  ganz  zierlicher  Brunnen,  der 
in  seiner  Hauptform  bereits  der  Ileuaissance  angehürig 
in  seinen  Details  noch  vieles  der  kurz  vor  seiner  Ent- 
stehung entschlummerten  Gothik  zeigt. 

Wie  die  beifolgende  Abbildung  (Fig.  1)  angibt. 
erhebt  sich  auf  einem  hohen  .Sockel  der  Schaft,  anf 
dem  die  v^eite  Wasserschale  ruhet,  in  deren  Mitte  der 
sich  verjüngende  Schaft  weiter  aufwärts  steigt .  bis 
er  in  einer  Höhe  von  7'  3''  flach  abschliesst. 

Der  Sockel  selbst,  der  sowie  überhaupt  der  ganze 
Hrunnen  aus  Blei  gegossen  ist,  vier  Ahstufnngen  bildend 
(Fig.  2),  zeigt  auf  der  Abflächnng  der  obersten  Stufe 
eine  Reihe  von  phantastischen  Kestalten ,  als:  zwei 
nackte  Figuren  an  den  Hälsen  mittelst  eines  Strickes 
miteinander  verbunden  ,  zwei  tanzende  Satyrn  .  ein 
kämpfendes  Hahnenpaar,  eine  weibliche  Gestalt  in 
einem  Gebüsche  schlunnnernd.  zwei  Musikinstrumente, 
spielende  und  zwei  kämpfende  ^^'eiher. 

Der  Schaft  ist  zehnseitig-  und  unten  mit  si)itzbogi- 
gcn  Blenden  geschmückt:  gegen  oben  sehen  wir  dariin 
kleines,  wie  abgebrochen  dargestelltes  .Vstwerk. 


Fig.  3. 

Beachtenswcrlli  ist  die  untere  Seite  der  ö  '2  "  im 
Durchmesser  erreichenden,  ziemlich  flachen,  kreisrun- 
den Wassersehale  (Fig.  3).  Wir  sehen  im  inneren  Theile 
tl.immenartige  Zungen  von  ungleicher  Länge  gegen  den 
Uand  scliicssen  und  dazwischen  ein  hülisch  ]iunktirtes 
(trnament.  Den  Raum  zwischen  diesen  Flannneneiiden 
und  dem  eigentlichen  mit  einem  schönen  Ornament 
besetzten  Anssenrand  füllen  abwechselnd  zwei  Spruch- 
bänder und  zwei  Doppelwa]ipen  aus.  Diese  Dojipel- 
wappen  zeigen  beide  die  gleiche  Vorstellung,  nämlich 
das  Wap])cn  des  Stiftes  Mondsee  (die  Mondessichel 
über  dem  Wasserspiegel)  und  jenes  des  Stifters  (^die 
Buchstaben  A.  M.  A.  D.  im  Viereck  gestellt  und  in  der 
Mitte  ein  ansgebildetes  Monogramm.  Die  Worte  des 
einen  .Spriiclii)andcs  sind: 

„Gott  hab  unss  all  In  seiner  .\clit.  maister  lienliard 
hat  mich  gemacht-. 
Am  andern  ist  zu  lesen : 

„Dorch  maistei-  lienliard  rannaclier.  stat  in-unenmai- 
ster  czu  jiassau-. 
Den  eigentlichen  Aussenrand  ziert  folgende  Inschrift: 
..Icli  pin  zu  den  eren  sannkt  wolfgang  gemacht,  abt 
wclfgang  haberl  zu  mansee  hat  mich  petraeht  zu 
nucz  und  zu  framen  den  armen  ]iilgruml)  dye  nit 
luiben  gelt  umb  wein  dye  sollen  pey  dissen  wasser 
freilich  sein.  Anno  den  lölö  jar  ist  das  werk 
viplpracht  gott  sej'  gelobt-  '. 

'  I»i»-'  Sftge  gibt  dt-m  God^hlt  fincii  mihirren  humaneren  Cnnraklt-r 
Ks  soll  niinilieli  n.-icti  dem  Segen  de»  Al>te&  das  dem  Itruitucn  entquilU  ndc 
Wa5^e^  den    Pil-^i.Tn    t'leie'i    Wein    ge.vrlinieckl    liaben. 


LXXI 


Fig.  2. 

Der  aus  der  Brunnenschale  sich  erhebende  acht- 
seitige Schaft  ist  auf  seinen  Flächen  reich  geschmückt; 
wir  sehen  theils  ein  kleines  Ornament  hinauflaufen, 
theils  lockiges  Gewinde  an  Stäben,  auch  Figürchen  in 
rnndbogigen  Blenden  u.  s.  f.  Im  Drittel  der  Hübe  wird 
die  Oruamentation  des  Schaftes  durch  einen  breiten 
Reifen  unterbrochen,  an  welchem  mit  den  schon  be- 
schriebenen Wappen  abwechselnd  vier  wasserspeiende 
Löwenköpfe  angebracht  sind.  Auf  diesen  Reif  sitzen  in 
geschweiften  Spitzbogen  sich  vereinigende  und  wieder 
lösende  Aste  auf,  die  dann  umgebogenen  Fialen  äbnlich 
werden ,  und  in  dieser  Art  behandeltes  Laubgeflecht, 
das  in  Windungen  am  Schafte  aufwärts  steigt. 

Auf  der  mit  Crenelirungen  umgebenen  Plattform 
des  Schaftabschlusses  steht  eine  etwas  plump  behan- 
delte Statue  des  heil.  Wolfgang.  . .  .m.  . . 

Aus  dem  k.  bayerischen  lational-Museum  ein  roma- 
nisches  Rauchfass. 

(Mit  1  Holzschnitt.) 

Von  den  kirchlichen  Utensilien  pflegt  man  die 
durch  Kunst  oder  das  JMaterial  ausgezeichneten  in  Schrift 
und  Bild  vor  allem  Ijekannt  zu  geben,  während  die 
schmucklosen  und  solche  von  unbedeutendem  Material 
gewöhnlich  unberücksichtigt  bleiben  '.  Und  doch  liilde- 
ten  letztere  selbstverständlich  die  Mehrzahl,  so  dass  es 
für  die  mittelalterliche  Kunst-Archäologie  von  Interesse 
ist,  sie  ebenfalls  kennen  zu  lernen.  Ich  theile  hier  ein 
möglichst  einfaches  und  schmuckloses  eisernes  Rauch- 
fass im  königl.  National-Museum  zu  München  abbildlich 
mit,  welches  als  Muster  für  die  im  gewöhnlichen  Ge- 
brauche stehenden  Geräthe  dieser  Art  dienen  kann,  und 
so  die  Lücke  füllt,  die  in  der  Reihe  der  bekannt  ge- 
machten Utensilien  dieses  Zweckes  in  soferne  noch  vor- 

'  Organ  f.  clir.  Kunst  v.  Eaudri  ISGO.  Nr.  3  gibt  eine  kl.  Abhandlung 
über  das  liauchfass,  vgl.  Schaepkens  in  Corblet's  Revue  de  l'art  ehret. 
1863.  3.  Heft.  —  Fast  diirchgehends  sind  nur  kunstreiche  Muster  erörtert. 

XVI. 


neben   dem 
zu    werden. 


banden  ist,  als  aus  der 
vorgothischen  Periode 
nur  Pracht  -  Exemplare 
zur  Kenntniss  kamen. 
Der  vorgothischen  oder 
romanischen  Kunstpe- 
riode gehört  das  in  Rede 
stehende  Geräthe  an 
wegen  der  Halbkugel- 
form des  Beckens  und 
der  Gestalt  und  Orna- 
mentirung  des  Deckels. 
Vergleicht  man  ein- 
schlägige Denkmäler, 
so  ist  nur  der  Mangel 
eines  kleinen  Ständers 
auifällig,  wodurch  man 
zu  der  Annahme  berech- 
tigt sein  dürfte  ,  dies 
Exemplar  habe  die  Bestimmung  gehabt , 
Altare  aufgehängt,  nicht  aber  getragen 
Dieser  Sorte  von  Rauchfässern  gedenkt  zuerst  Bischof 
Aldhelm  von  Sherburn  in  England,  indem  es  als  von  der 
Höhe  in  die  Kirche  herabhängend,  als  thuribulum  capi- 
tellis  undique  cinctum,  in  einem  Gedichte  geschildert 
wird  ~.  Dieser  Bischof  starb  im  Jahre  709.  Die  neben 
dem  Reliquienschrein  oder  seitwärts  vom  Altare  hän- 
genden Rauchgefässe  dürften  geringere  Dimensionen 
gehabt  haben,  da  diese  in  nächster  Nabe  sich  befanden. 
Das  auf  einem  Steiucapitäl  in  der  Krypta  von  S.  Denis 
aus  dem  Beginne  des  X.  Jahrhunderts  neben  dem  an 
Stangen  getragenen  Reliquienschrein  herabhängende 
Rauchfass  in  Relief  gewährt  hiefür  genügende  Vorstel- 
lung s.  Das  tragbare  liturgische  Rauchfass  findet  sich 
erwähnt  in  dem  V.  Ordo  Roman.  *  aus  dem  IX.  Jahr- 
hundert, wo  die  thuribula  als  von  Clerikern  getragen 
genannt  sind.  Die  beiden  von  Engeln  geführten  Rauch- 
fässer 5  auf  dem  kostbaren  A  des  Schatzes  zu  Conques 
desselben  Jahrhunderts  lassen  auf  das  nämliche  Sach- 
verhältniss  schliessen,  da  dieser  Dienst  der  Engel  im 
Himmel  ein  Abbild  des  kirchlichen  auf  Erden  ist.  Wir 
dürfen  uns  also  bei  dem  Bericht  der  Gesandten  über 
das  ba_yerische  Kloster  Staftelsee  aus  dem  IX.  Jahr- 
hundert unter  dem  angeführten  thuribulum  argenteum 
und  dem  thuribulum  antiquum  aus  Kupfer,  sowie  unter 
den  zwei  thuribula  argentea  caelaturis  insignia  im 
Planctus  b.  Galli  aus  dem  XI.  Jahrhundert  solche  trag- 
bare Geräthe  vorstellen,  und  werden  hierin  von  den 
Miniaturen  zu  dem  Menologium  Gräcum  des  IX.  und  von 
denen  zu  dem  Exnltet  des  XL  Jahrhunderts,  ehedem  in 
d'Agincourt's  Besitz  hinlänglich  unterstützt  6.  Da  die 
Pracht-Exemplare  von  diesem  Utensile  zu  Lille,  Trier. 
Freising,  Menne  bei  Paderborn  u.  s.  w.  kein  Kriterium 
für  das  vorliegende  Gefäss  darbieten,  so  möchten  die 
beiden  auf  dem  Siegel  des  Benedictinerklosters  Seiten- 

=  Bei  Angelo  M  a  j  i.   Classic,  autor.   V.  3S7,  390. 

'  AMollet  le  Duc  Dictionnairc  du  Mobilier  s.  v.  chässe  p.  68. 

*  Mabillon  Museum  Italic.  II.   19  ff. 

^  Didron  Annal.  ISCO  p.  2G4,  vgl.  ibid.  1.  Heft.  Dies  mit  Edelsteinen, 
Filigran  uud  sonst  geschmückte  A  aus  Silber  hing  nebst  dem  ebenso  gearbei- 
teten u)  (Alpha  und  Omega)  vom  Querbalken  des  am  Triumphbogen  in  der 
Kirclie  augebrachten  Kreuzes  herab,  zwei  schon  seit  dem  IV.  Jahrhundert 
(um  i5.55)  das  Monogramm  Christi  und  dann  das  Kreuz  begleitende  Buchstaben 
bekannter  Symbolik.  Die  Sage  jedoch  erklärte  dies  silberne  A  zu  Conques 
daher,  dass  Karl  der  Grosse  so  viele  Kirchen  stiftete,  als  das  Alphabet  Buch- 
staben enthält  und  jeder  dieser  Kirchen  einen  solchen  Buchstaben  zur  Er- 
innerung bestimmte. 

'  S.    d'Agincourt  v.  Quast.  Malerei  Taf.  55.  58  (7)  und  31  (i6). 

1 


LXXIT 


Stätten  in  Österreich  unter  der  Enns  abgebildeten  ',  von 
Engeln  geschwungeneu  Kauehfässer  zunächst  hierlier 
bezogen  werden,  welche  im  Ganzen  die  meiste  Über- 
einstimmung mit  dem  besprochenen  Geräthe  erkennen 
lassen.  Dies  Siegel  datirt,  wenn  nicht  aus  dem  Stiftungs- 
jahre 1116  selbst,  doch  vom  Schlüsse  des  XII.  Jahr- 
hunderts. Hier  nimmt  man  jedoch  ausser  einem  kleinen 
runden  Ständer  auch  ein  Kreuz  über  dem  Deckel  wahr. 
Die  Miniatur  zu  Vita  Afathildis  vom  Jahre  1141  bei 
Fertz  Monum.  Germ.  XIV  und  das  im  Paderborner  Dom- 
schatz aulbewahrte  altare  portatile,  auf  dessen  Umrah- 
mung eine  Bischofsfigur  mit  dem  Rauchfass  eingegra- 
ben, zeigen  dieselbe  pjTamidale  Gestalt  des  Deckels  *, 
welche  das  Miiuchener  Exemplar  aufweist,  so  dass  dies 
Geräthe  dem  XII.  Jahrhundert  zugeschrieben  werden 
kann.  Da  das  Becken  in  der  Mitte  etwas  ))latt  gedrückt 
ist  und  aus  dickem  Eisen  besteht,  das  sich  nicht  zu 
schnell  erhitzt,  so  kann  es  immerhin  auch  zum  gewöhn- 
lichen liturgischen  Dienste  bestimmt  gewesen  sein.  Es 
sind  nämlich  nur  ein  Paar  Augenblicke  ,  welche  das 
Geräthe  auf  der  Ilachen  Hand  des  Dieners  bei  Einlegen 
des  Weihrauches  verweih.  Das  Gefäss  ausserdem  nie- 
derzustellen, ist  liturgisch  ganz  und  gar  nicht  gefordert. 
Das  den  Deckel  aufziebljar  machende  (vierte")  Kettchen 
spricht  ebenfalls  datür.  Da  dies  Geräthe  zwar  aus 
Bayern  stammt,  aber  nicht  als  ehemaliges  Eigenthum 
irgend  einer  Kirche  bewiesen  werden  kann,  so  habe  ich 
einen  Zweifel  über  die  Echtheit,  genaue  Untersuchung 
angestellt  und  dabei  mehrere  Fachmänner  zu  Rathe  ge- 
zogen. Es  Hessen  sich  aber  nur  Merkmale  der  Echtheit 
constatiren.  Das  Becken  ist  von  dickem  Eisen,  zwar 
durch  die  Kohlenglut  stark  mitgenommen,  aber  nirgends 
durchlöchert.  Der  Durchmesser  desselben  beträgt  drei 
Zoll  acht  Linien  bayerisch  Duodecimal- Masses  oder 
U.9  Meter.  Spuren  von  irgend  einem  Ornament  Hessen 
sich  nicht  auffinden.  Die  Kohlen  wurden  in  dasselbe 
direct  gelegt,  was  bei  silbernen  Geräthen  nicht  thunlich 
war.  Die  stärkste  Dichtigkeit  misst  fast  zwei  Linien. 
Am  Rande  sind  drei  starke,  runde  Ose  angeschmiedet, 
denen  solche  des  Deckels  entsprechen.  Dieser  Deckel 
ist  von  Erz,  die  drei  dünnen  Stangen  aber  von  Eisen 
und  die  daran  anschliessenden  Kettchen  von  Messing 
und  misst  die  Höhe  des  Deckels,  ohne  den  Kopf  2 '  «  Zoll 
oder  0.6  Meter.  Die  Ose  des  Deckels  sind  mit  diesem 
aus  einem  Stück  gegossen.  Die  Stangen  und  Kettchen 
enden  in  einem  durchbrochen  gearbeiteten,  fast  runden 
Schüsselcheu,  das  die  eigentHche  Handhabe  bildet.  Der 
Deckel  zeigt  fünf  Reihen  Durchbrechun- 
gen über  einander,  welche  überhöhte 
Halbkreisbögen  bilden.  Vom  Boden  des 
Beckens  bis  zum  erwähnten  Schüssel- 
chen misst  das  Ganze  beinahe  einen 
bayerischen  Fuss  oder  29  Centimeter. 
Da  in  der  Chronik  von  Peterhausen  «, 
die  1156  geschrieben  worden,  von 
einem  prächtigen,  leider  bald  gestoh- 
lenen Rauchfass  berichtet  wird ,  dass 
dasselbe   für  die  höheren  Feste  be- 


stimmt gewesen,  so  wird  das  geschilderte  des  baye- 
rischen Natioual-Museums  für  den  gewöhnlichen  Ge- 
brauch gedient  haben.  Dr.  Messmer. 

Die  St.  Stefans-Capelle  zu  Börzsöny  in  Ungarn. 

Bauwerke  sind  die  steinernen  Urkunden  eines  Vol- 
kes, leider  werden  sie  selten.  Auf  malerischer  Anhöhe 
ragt  zu  Börzsöny  ein  uralt  romanisches  Kirchlein  empor, 
das  als  Zeuge  längst  entschwundener  Zeiträume  wohl 
scbonim  Beginne  des  XL  Jahrhunderts  entstanden,  seine 
Geschichte  an  vergilbte  Pergamente  knüpft ,  die  uns 
doch  nur  dunkle  sagenhafte  Auskunft  geben.  Deutsch 
Pielsen,  ungarisch  Börzsöny.  vor  Zeiten  Bersen  genannt, 
ein  Dorf,  sjjätorhin  Markitlccken ,  war  eine  sächsische 
Colouie,  welche,  von  den  ersten  Königen  Ungarns  ans 
Zipsen  und  Siebenbürgen  berufen ,  noch  lange  vor  der 


'  Jabrbacli  der  k.  k.  Cent.  Comm.  III.  Bd.  241.  ■ 

*  Späteren  Daloms ,  ftber  von  derselben  Form  ist 
MB(  dem  W&ndgemilde  der  Kirche  zu  Bjersiö  iu  Schwe- 
den das  RAachf&s£,  ebenfalls  von  Engeln  gesch^ranges, 
▼gl.  Handelgren  Honnm.  scandinaviqaes  da  roor.-n  age. 
P»rs  1862  pl.  2.  Vergl.  die  Skulptur  bei  Didron  Ann. 
IV.  Buid.  22.  die  »us  dem  SIII.  Jahrhundert  datirt. 

*  Mone  QaellensammtuQg  zur  badiseheo  Landes- 
beschichte  I,  150. 


+H+- 


rTr. 


l'ig.  1. 


Lxxrii 


würdige  Bau  selbst  biethet  sowohl  dem  Laien  als  dem 
Fachmaun  Gelegeuhcit  in  Fülle,  seine  Wissbegierde  zu 
belohnen.  Der  einfache  Grundriss  (Fig.  1)  zeigt  ein 
längliches  Viereck,  woran  sich  als  Chorraum  die  roma- 
nische Apsis  schliesst.  Die  Südseite  des  Schiffes  (Fig.  2) 
wird  von  drei  halbrunden  schmalen  Fenstern  erleuchtet, 
während  die  Nordseite  gar  keine  besitzt.  Im  Chorraum 
sind  zwei  Fenster,  eines  an  der  südlichen  Seitenwand, 
das  andere  in  der  Mitte  der  Apsis  angebracht,  das  Portal 
aber  ist  unter  den  Fenstern  der  Südseite  angeordnet. 

Die  vollkommen  erhaltene  Thurmvorlage  an  der 
Westseite  des  Baues  bekömmt  durch  ihre  unter  der  Be- 
dachung  in    zwei   Etagen  angebrachten    romanischen 

Betriebe  des  Bergbaues  in  Börzsöny,  verlieh  späterhin      säulengetjbeilten    Doppelfenster    einen    graziösen    Ab 

anno  1417  König  Sigismundus  noch  besonders  dem  Erz- 


Reformation, sich  hier  des  Bergbaues  wegen  nieder- 
liess.  Im  Honther  Comitat  (Comitatus  Hontensis),  in 
einem  bewaldeten  Thale ,  von  Gran  zwei  Meilen  gegen 
Nordost  entfernt,  unweit  des  Flusses  Spoly  gelegen, 
wurde  es  als  primatialisches  Gut  schon  von  Stefan, 
Ungarns  erstem  Könige  selbst,  dem  Graner  Erzbisthume 
gewidmet.  Im  Jahre  1293  ward  die  damals  bereits 
ansehnliche  Gemeinde  von  den  Söhnen  des  Grafen 
Pasztoi  faustrechtsmässig  occupirt,  zur  Strafe  für  jene 
Gewaltthat  aber  denselben  von  ihrem  Besitze  die 
Dörfer  Kemencze  und  Kernend  genommen,  welche  dem 
Erzbischofe  Ladomer  (1279 — 1298)  übergeben  bis  jetzt 
noch    dem    Erzbisthume    angehören.    Das    Recht    zum 


bischofe  Johannes  III. 

Das  merkwürdigste  älteste  Bauwerk  daselbst  aber 
ist  die  St.  Stefans-Capelle,  von  welcher  die  Hauschronik 
nach  ältester  Tradition  folgendes  erzählt:  König  Stefan, 
der  gegen  Ende  des  X.  Jahrhunderts  das  Christcnthum 
in  Ungarn  einführte,  wohnte  damals  in  Gran,  von  wo  er 
zur  Jagd  oft  nach  Börzsöny,  seinem  Besitze,  kam  und 
hier  in  frommem  Sinne  jene  Capelle  auf  der  Waldhöhe 
zur  Pflege  stiller  Andacht  für  sich  erbauen  liess.  Zur 
Zeit  Raköczi's  wurde  sie  dann  durch  fünf  Jahre  von  den 
Protestanten  benützt  und  erst  durch  ein  kais.  könig. 
Mandat  den  Katholiken  wieder  zurückgegeben. 

Der  einst  so  reiche  Bergbau,  welcher  selbst  edle 
Metalle  zu  Tage  förderte,  ruht  nun,  die  Stollen  sind 
längst  verlassen,  nur  Weinbau  und  Holzarbeit  beschäf- 
tigen die  Einwohner  des  Ortes,  und  der  Fremde  wird 
hier  vor  allem  durch  den  Anblick  jener  alten  Kirche  ange- 
zogen, deren  dunkles  Gestein  noch  von  keiner  meuch- 
lerischen Tüncherhand  berührt,  sich  harmonisch  an  das 
Waldesgrün  der  Hügelkette  schmiegt;  es  hat  den  Reiz 
des  Mystischen  und  Besonderen  für  sich,  wie  jedes 
Menschenwerk,  das  uns  von  dem  Geiste  vergangener 
Zeiten  spricht  und  den  Schritt  des  Wanderers  in  seine 
Nähe  lockt.  Schon  der  Eintritt  in  die  halbverfallene 
Mauereinfassung,  einst  zum  Schutze  der  Kirche  aufge- 
führt, gewährt  eine  herrliche  Rundschau  und  der  ehr- 


schluss.  Die  Capitäle  jener  Säulen  sind  verschieden  und 
bestehen  aus  Würfeln  mit  theihveise  reicher  an  classi- 
sche  Formen  erinnender  Ornamentik  (Fig.  3,  4,  5).  Ganz 
interessant  sind  auch  die  Sockel  jener  Fenster-Thei- 
lungssäulchen,  davon  wir  in  Fig.  6  eine  Abbildung 
bringen.  Über  den  Capitälen  tritt  ein  in  die  Mauerstärke 


Fiff.  6. 


1* 


LXXIV 


Fifr.  7. 

verlaufender  Kämpfer  als  Träger  der  beiden  Absehluss- 
böjren  hervor,  welche  je  aus  vier  senkrecht  aneinander 
fresteliteii  Steinbögen  zusaniniengesetzt  sind. 

Das  Hauptgesiiuse  hat  eine  einfache,  ü  Zull  aus- 
ladende Hohlkehle,  während  bei  dem  untersten  Do])pel- 
fenster  ein  ziemlich  breiter  Fries  um  den  Thurm  herum- 
läuft, welcher  olien  eine  kleine  Gliedcrunic  und  darunter 
eine  schachbrettartige  Verzierung  trägt.  Das  Portal  ist 
durch  ein  Paar  wenig  vorspringende  Pfeiler  markirt,  die 
sieh  wie  ein  Fries  im  Halbkreise  über  dem  Tympanon  ver- 
einen und  eine  natürliche  Verdachuug  desselben  bilden. 
In  Mitten  der  Bogenfriesverzierung  des  Tympanons  ist 
eine  Kreuzesform  eingemeisselt.  __ 

Den  interessanten  Theil  am  Ausseren  dieser  Kirehe 
bietet  die  Apsis  dem  betrachtenden  Auge,  da  sie  mit 
einem  reichen  Friese  bedacht  ist  und  in  den  einzelnen 
Bögen  desselben,  an  der  Höhe  des  Gesimsprofiles  ange- 
brachte Köpfe  mit  den  fantastischcsten  Gesichtsaus- 
drücken zeigt  (Fig.  7).  Ihre  beiden  Fenster  sind  mit 
Rundstäben  protilirt  und  im  Ganzen  sehr  gut  erhalten. 

Die  Kirche  befindet  sieh  über  3  Fuss  tiefer  in  der 
Erde  als  sie  es  ursprünglich  war,  ein  Theil  des  Sockels 
aber,  durch  Ausgraben  zu  Tage  gefördert,  ist  gut  erhal- 
ten und  besteht  aus  kräftigem  Rundstab  und  Platte. 

über  der  Apsis  an  der  Giebehiianer  des  Schiffes 
springt  eine  Firstnase  vor,  in  welcher  sieh  einst  das 
Dachgebälke  derselben  vereinigte  (Fig.  8). 

Allen  Schmuckes  baar 
erscheint  jetzt  das  Innere 
der  Kirche  ,  die  Apsis  mit 
einem  Tonnengewölbe  ,  der 
Schiffsraum  mit  einer  Balken- 
decke verseilen,  welche  ver- 
schallt und  wie  der  ganze 
Raum  von  innen  verputzt  ist. 
Vom  Niveau  des  äus- 
seren Erdreiches  tritt  man 
drei  Stufen  abwärts  in  die 
Kirche,  und  da  sie  von  aller 
Restauration  bi.s  auf  das  in- 
nere Vertünchen,  was  mehr 
aus  ReinlichkeitsrUcksichten  geschah,  verschont  geblie- 
ben, so  ist  zu  hoffen ,  dass  dieses  Monument  jetzt 
stj'lgerecht  wieder  hergestellt  werde,  indem  der  kunst- 
sinnige Patron  Fürst  Primas  von  Ungarn  den  Primatial- 
Architekten  mit  dem  Auftrage  zur  Anfertigung  der  liiczu 
nöthigen  Pläne  betraut  hat.  J.  Ltppert. 


Fig.  8. 


Üter  die  zu  Ellenbogen  im  Bregenzerwalde  im  Jahre 

1816  geborne  und  zu  Berlin  1848  verstorbene  Bild- 

hauerin  Katharina  Felder. 

ErgäDzuug  der  kurztru    N<'ti^   in  dit.-M--u   Miltheiluu^tn   lSti8.   S.   CVII. 

Des  Bauern  Balthasar  Felder  und  der  Walburga 
Bitselinau  eheliche  Tochter  Katharina,  zu  Ellenbogen 
der  Pfarre  Bezau  am  15.  Jänner  1816  geboren,  zeigte 
schon  zur  Zeit,  als  sie  die  Doiisehule  besuchte,  nnbe- 
zwinglichen  Hang  zum  Schnitzen,  indem  sie  in  den 
Stunden,  in  welchen  sie  sticken  '  sollte,  vorsorglich  ein 
Holz  und  ein  Sehneideisen  in  ihrem  Schosse  verborgen 
hielt,  um  bei  zeitweiliger  Abwesenheit  der  Altern  kleine 
Crueifixe  aus  Buch.sholz  zu  schnitzen. 

Die  Frau  des  Dr.  lierlocher  aus  Rorscliach  bekam 
im  Jahre  1838.  in  weichem  sie  das  nahe  gelegene  Bad 
in  Reute  besuchte,  ein  solches  Schnitzwerk  zu  Gesieht 
und  fasste  den  Gedanken,  ihrem  Manne,  einem  ausge- 
zeichneten Kunstkenner,  ein  derlei  Exem])lar  zum  Ge- 
schenke zu  Miachen.  Nach  seiner  Ankunft  erhielt  er  das 
Geschenk  und  äusserte  den  Wunsch,  das  Mädchen 
kennen  zu  lernen. 

Voll  Theiliiahme  an  diesem  so  sicher  hervortreten- 
den Talente  bahnte  er  der  Naturkünstlerin  den  Weg  za 
ihrer  Ausbildung,  indem  er  sie,  die  schon  zwei  und 
zwanzig  Lebensjahre  zählte,  zur  grossherzoglich  badi- 
schen Hofmalerin  Maria  Ellen  rieder  nach  C'oustanz 
brachte,  welche  sich,  nachdem  die  Felder  einige  Proben 
ihrer  vielversprechenden  Fähigkeiten  abgelegt  hatte, 
geneigt  fand,  sie  als  Lehrling  aufzunehmen  und  in  den 
ersten  Grundlinien  der  Kunst,  im  Zeichnen,  zu  unter- 
richten. Auch  unterliess  sie  nicht,  ihre  strebsame  Schü- 
lerin dem  Zeichnenmeister  Biedenuann  und  dem  Bild- 
hauer Egger,  bei  denen  sie  sehr  vieles  lernen  konnte, 
wohlwollendst  zu  empfehlen. 

Als  nach  einem  Jahre  Fräulein  Elleurieder  nach 
München  sich  begab,  um  eine  grossartige  Arbeit  einzu- 
studiren,  nahm  sie  ihren  Lehrling  mit  der  Au.sserung 
mit,  dass  —  er  in  Constanz  all  das  gelernt  habe,  wozu 
man  ihm  daselbst  Gelegenheit  bieten  könne.  Sehr  lieb- 
reich wurde  unsere  Künstlerin  bei  Herrn  Professor 
Schlotthauer  in  München  aufgenommen,  wo  sie  im  Ge- 
nüsse unzähliger  Wohltbaten  durch  ein  Halbjahr  im 
Zeichnen  und  Modelliren  mit  grosser  Auszeichnung  sich 
übte.  Hierauf  zeichnete  sie  durch  ein  Jahr  auf  der 
Akademie  unter  Anleitung  des  grossen  Peter  Corne- 
lius, und  als  dieser  sich  nach  Beilin  begeben  hatte, 
nahm  Schiotthauer  sich  ihres  Unterrichtes  wieder  an,  bis 
sie  endlieh  ins  Schwanthaler'sehe  Atelier  aufge- 
nonnnen  wurde,  in  deni  sie  unter  Anleitung  des  grossen 
Meisters  arbeitete. 

Ihrer  ausgezeichneten  Fortschritte  wegen  wurde 
sie  nach  Verlauf  eines  Jahres  von  der  Hofmalerin  Ellen- 
rieder  mit  einer  grossartigen  Aufgabe  für  den  Dom  zu 
Con.stanz  betraut,  nämlich  „Glaube,  Hoffnung  und  Liebe" 
aus  Sandstein  auszuarbeiten.  Man  vermutliete,  diese 
Arbeit  »ei  für  das  künftige  Grabmal  des  Fräulens  Ellen- 
rieder  bestinnnt.  Kaum  als  die  erste  Figur  in  Schwan - 
thaler's  Atelier  angefangen  war,  erhielt  sie  einen  zweiten 
Auftrag  von  ihrem  ersten  Gönner  und  Wohlthäter  Dr. 
Berlocher  in  Rorschach,  zwei  Processionsbilder  aus  Hol/. 

>  Die  Brogenzerwäldcrinnen,  Jung  und  alt,  sind  bekanntlich  mit  Sticken 
von  Mussciinätiickcn  für  die  Schweizerfabriken  in  und  um  ßt.  Gallen  und 
Appenzell  -  Auä»errhoden  aufs  lleitiaigste  be&cbäftigt  und  verdieneu  scheue 
Summen  ins  Haus. 


LXXV 


zu  machen.  Alsogleich  begab  sie  sich  aus  schuldiger 
Dankbarkeit  dahin,  und  vermochte  in  Zeit  von  drei  Mo- 
naten ihre  Aufgabe  mit  grosser  Auszeichnung  zu  lösen. 

Mittlerweile  ward  die  Felder  von  Frau  Schinkel 
und  ihren  drei  Töchtern,  mit  denen  sie  früher  in  München 
Hekanntscliaft  gemacht  hatte,  besucht  und  ihr  vorge- 
tragen, mit  nach  Berlin  zu  reisen,  mit  dem  freundlichen 
Anerbieten,  sie  unentgeltlich  mitzunehmen  und  mit  gutem 
Tisch  und  sorgsamer  Pflege  zu  versehen,  wie  auch  ihr 
ein  recht  geräumiges  Arbeitszimmer  einzuräumen,  und 
die  Gelegenheit  zu  verschaffen,  mit  dem  Hofbildhauer 
Professor  Rauch  zu  weiterem  Fortschreiten  in  der  Kunst 
bekannt  zu  werden. 

Bald  nach  ihrer  Ankunft  in  Berlin  wurde  sie  von 
der  Königin  Elisabeth  nach  Hof  gerufen,  wohin  sie  der 
berühmte  Künstler  Rauch  begleitete,  und  kurz  darauf 
von  Ihrer  Majestät  mit  dem  Auftrage  beehrt ,  ihre 
rechte  Hand  zu  modelliren,  und  später  für  den  General 
Knesebeck  die  Statue  des  Ritters  St.  Georg  zu  Pferd 
zu  verfertigen.  Sie  löste  ihre  Aufgaben  mit  so  bewun- 
dernswerther  Schnelligkeit  und  Vortrefflichkeit,  dass  sie 
sich  das  Wohlwollen  des  ganzen  königlichen  Hofes  und 
der  höchsten  Kreise  erwarb. 

Katharina  Felder,  körperlich  zu  schwach  Schlägel 
und  Meissel  zu  führen,  erlag  in  ihrem  Kunstringen  all- 
zufrüh um  grössere,  namhafte  Werke  zu  hinterlassen. 
Sie  starb  in  Berlin  am  13.  Februar  1848  um  drei  Uhr 
Nachmittags,  ihre  irdische  Hülle  ward  am  15.  in  der 
St.  Hedwigskirche  eingesegnet.  Sie  legte  auch  in  der 
Fremde  die  züchtige  und  kleidsame  Jupe  aus  schwarzer 
Glauzleinwand,  das  ehrbare  Häss,  wie  sie  die  Bregen- 
zerwälderinnen,  reiche  und  arme  tragen,  niemals  ab.  Ihre 
Bescheidenheit  wird  von  allen,  die  sie  kannten,  gelobt. 

Was  wäre  aus  diesem  Mädchen  geworden,  wenn 
es  in  seiner  Jugend  einer  sorgsamen  Kunstleitung  sich 
erfreut  hätte  und  durch  einige  Jahre  mit  einem  vStipen- 
dium  zu  seiner  Ausbildung  bejilückt  gewesen  wäre.  Der 
vollste  Dank  gebührt  sowohl  dem  ersten  Gönner  Dr. 
Berlocher,  als  auch  denen,  welche  in  Constanz,  München 
und  Berlin  die  vielversprechende  Künstlerin  unter- 
stützten und  ihr  grosses  Talent  nicht  verkümmern 
Hessen. 

Von  der  Hand  der  Felder  verwahrt  der  Pfarrhof  zu 
Bezau  einen  3'd"  hohen,  aus  Holz  geschnitzten  heil. 
Sebastian,  den  sie  als  eine  Votivarbeit  in  die  St.  Seba- 
stianscapelle  zu  Oberbezau  verfertigt  und  geldbedürftig 
um  23  Gulden  dem  Pfarrer  Martin  Blaser  (f  30.  Dec. 
18ü3)  verkauft  haben  soll ,  der  laut  Zeugenaussage 
willens  war,  das  Schnitzwerk  in  der  erwähnten  Capelle 
aufzustellen.  Dessen  Nachfolger  Joseph  Schneider,  dem 
ich  mehrere  Notizen  über  unsere  Felder  verdanke,  wird 
dasselbe  fassen  und  in  der  Oberbezauer-Capelle,  wohin 
es  ursprünglich  bestimmt  war,  aufstellen  lassen.  Von 
ihrer  Hand  verwahrt  die  Capelle  in  Ellenbogen,  wo  ihr 
väterliches  Haus  steht,  auch  die  Gottesmutter,  wie  sie 
das  Kind  in  der  Wiege  anbetet,  im  Gypsabdruck,  so 
auch  der  Pfarrer  in  Reute  und  zwei  Private  in  Bezau.  In 
München,  Berlin  und  anderwärts  dürften  noch  mehrere 
uns  unbekannte  Arbeiten  von  ihrer  Hand  sich  finden, 
deren  Anzeige  in  irgend  einer  Fachschrift  sehr  erwünscht 
wäre  2.  Dr.  Jon.  V.  Bergmann. 

-  Aus  dem  Geschlechte  der  Felder  ist  der  poetische  Bauer  Frauz 
Michael  Felder,  zu  Schoppenau,  des  Waldes  inuerstein  Doife  ,  am  13.  Wai 
1839  geboren.  Von  diesem  armen  und  einäugigen  Autodidakten  sind:  Nümma- 
müllers   und    das  Schwarzok  ispale-    Ein  Lebensbild    aus    dem  Bregenzerwalde- 


Inschriften  auf  den  Wappenschildern  der  in  den  deut- 
schen Orden  aufgenommenen  Ritter,  in  der  Ordens- 
kirche zu  St,  Kunigunde  am  Lech  in  Grrätz. 

Die  nachfolgenden  Inschriften  befinden  sich  auf 
den  theils  aus  Holz,  theils  aus  Blech  angefertigten  und 
mit  Wappen  geschmückten  Ehrenschilden,  die  an  der 
in  der  Kirche  vorhandenen  Galerie  angebracht  sind. 
Ihrer  Entstehung.szeit  nach  fallen  sie  alle  in  die  Jahre 
zwischen  16.56  und  1716  '. 

I.  „Dem  Wollgebornen  herrn  heirn  Johann  Frid- 
rich,  Herrn  von  Tschernembl  Pannerherrn  aufWund- 
tegg,  Schwerdtperg,  Erbmundschenk  in  Crain  und  der 
windischen  Marh,  der  Kheiniglichen  Maysted  in  hispa- 
nien  bestelter  Obrister  Wachtmeister  16.56"  =. 

Die  folgenden  zehn  Inschriften  enthalten  die  Namen 
der  eingekleideten  Cavaliere  und  der  die  feierliche  Ein- 
kleidung vornehmenden  Ordenscomtlmrne  nebst  dem 
Datum  dieser  Feierlichkeit.  Wir  führen  jene  Inschriften 
nur  auszugsweise  mit  Namen  und  Datum  an,  indem  sie 
mit  Ausnahme  eines  einzigen,  des  waffcnberühmten 
Guidobald  Grafen  und  Herrn  von  Stahremberg  ihre  per- 
sönlichen Namen  nicht  auf  unsere  Zeit  gebracht  haben. 
Diese  sind: 

n.  „Seifrid  von  Saurau  ist  am  (Datum  unleserlich, 
ausgebrochen)  Juli  1656  von  Johann  Jacob  Graf  Dhaun 
Land-Comentor  der  D.  0.  R.  Wol.  Coramende  zu  Gros- 
sen tag  und  am  Lech  zum  Ritter  eingekleidet  und  ge- 
schlagen worden". 

III.  „Anno  1668  ist  der  Hoch  und  wolgeborne  herr 
herr  Christoph  Hartmann  des  H.  R.  R.  Graf  von  Schal- 
lenberg Freyherr  auf  Luftenberg  unter  Ihro  Hochwürden 
und  Gnaden  herr  Graven  von  Lamberg  Landtcomentur, 
in  den  Hoch-löblichen  Ritterlichen  Teutschen  Orden  an- 
und  eingekleiht  worden"  s. 

IV.  „Den  8  September  1672  ist  der  Hoch  undt  wol- 
geborne herr  Heinrich  Graf  von  Herberstein  herr  auf 
Neuberg  u.  Guettenhagg  under  ihro  Hochwürden  undt 
Gnd.  herrn  Christoph  Freyherrn  von  Hinckhen  Landt- 
Comentern  der  0.  baley  hochlöbl.  Ritterlich  Teutschen 
Orden  an-  und  eingekleidet  worden". 

V.  „Anno  Christi  1677  den  17  May  ist  der  Wol- 
geborne Herr  Gotttridt,  Freyherr  von  Stadl  herr  auf 
Khornberg,  Lichtenegg  und  Freyberg,  der  röm.  Kays. 
Mayst.  Bestellter  Hauptmann  in  den  Hochlöbl.  Ritter- 
lichen Teutschen  Orden  eingekleidet  worden". 

VI.  „Den  15  May  1686  ist  durch  den  Hochwürdig 
Hoch-  und  Wohlgebornen  Hr.  Herrn  Christophen  Frey- 
Hr.  Hunekhen  Der  Röm.  kay.  May.  Cammerer  &  0.  Hof- 
krigsrath  lant-Commenthur  der  Balley  Oestereich,  der 
hoch-  und  Wolgeborne  H.  Johann  Christop  graft"  und 
her  von  Schaumberg  in  den  Ritterl.  teutschen  Orden 
eingeklaydet  worden". 

VH.  „Den  26  Feb.  1688  ist  durch  den  HochwUrdig 
Hoch  und  Wohlgebornen  Herrn    Herrn    Seyfriedt    von 

Lindau  1863;  Die  Sonderlinge.  2  Bde.  Leipzig  1S67;  Liebeszeichen.  Eine 
Erzählung  aus  dem  Bregenzerwalde.  In  der  österreichischen  Gaitenlaube  1867, 
Nr.  41 — 44;  ferner  „Grobe  Federzeichnungen"  aus  dem  Kregenzerwalde.  ßeich 
und  Arm.  Leipzig  1868.  Der  arme,  lungenkranke  Mann,  der  unter  .Mühen  und 
Sorgen  die  Jahre  seiner  harten  Jugend  durchkämpfte,  ward  am  7.  April  1869 
vom  Srhlagflusse  getroffen  und  starb  am  26.  S.  „Vorarlberger  Landes-Zeitung'" 
Nr.  65  u.  56  und  besonders  die  „Neue  freie  Presse''  Nr.  1699  im  Feuilleton 
„Bauer  und  Dichter-  von  Dr.   WiUielm  Hauen. 

'  Ein  Theil  der  zu  den  einzelnen  Persönliclikeiten  beigegebenen  bio- 
graphischen Notizen  entstammt   der  Feder  des  k.  k.  Rathes  Jos.  v.  Bergmann. 

-  Vergl.   Hoheneg's  .Stände  von   Österreich  ob  der   Knus  III.   "ibb. 

^  Die  Schilder  sind  von  Holz,  rund,  erhaben  gearbeitet  und  haben 
einen   Durchmesser  von  2'/;  Fuss. 


LXXVI 


Sanrati  Land  Coiunienthern  der  Balley  Oester.  Teutsch. 
Ordens  Rittern,  der  Hoch  und  wolgeborne  herr  herr 
Quidobaldus  Gral'  und  Herr  von  Stabrenberg  der  Rom. 
Kay.  Matt.  Cammerer  und  Obrister  zu  Fuess,  in  den 
hocbiöbl.  Ritter.  Teutschen  Orden  eingekleidet  worden-. 

Guido  bald  Graf  von  Starhemberg,  von  seinen 
Zeitgeno.ssen  Guido  genannt,  am  11.  November  1657 
zu  Grätz  geboren,  ist  einer  der  hervorragend.^ten  Feld- 
herren Österreichs,  .^chon  im  J.  1(563  gab  er  als  Haupt- 
mann zur  Zeit  der  Belagerung  Wiens,  das  sein  Vetter 
Ernst  Rüdiger  aufs  heldenmüthigste  vertheidigte,  be- 
kanntlich Proben  seiner  Geistesgegenwart  und  Uner- 
schrockenheit,  indem  er  dem  Feuer,  weiches  schon  die 
Pulverkammer  zu  ergreifen  drohte,  Einhalt  that.  Später 
führte  er  an  den  Ufern  der  Donau  und  der  Theiss, 
wie  an  jenen  des  Po,  des  Ebro  und  des  Tajo  mit  dem 
grössten  Ruhme  die  WaflFen  seines  Kaisers  und  Herrn. 

Als  Fcldmarschall  und  Landcomthur  der  Bailei 
Osterreich  siarb  er  zu  Wien  am  7.  .März  1737.  ward 
nach  seinem  Hinscheiden  in  den  Habit  des  deutschen 
Ordens  gekleidet  und  in  der  Ordenskirche  daselbst  be- 
stattet, wo  er  sein  Grabmal  hat. 

Wer  diesen  grossen  Mann  näher  kennen  will,  sei 
auf  -das  Leben  des  kaiserlichen  Feldniarschalls  Grafen 
Guido  Starhemberg,  von  Alfred  Arneth,  Wien  1853-, 
ein  umfassendes  und  quellensicheres  Werk,  verwiesen. 

VHL  -Den  26.  Feb.  168S  ist  durch  den  hoch-  und 
Wohlgeljomen  Herr  Herr  Seifriedt  graflfen  von  Saurau 
Erblandmarschall  in  Steyer.  Landt  C'ommenther  der 
Balley  Oesterreich  'S  der  hoch  und  wohlgebohrne  Herr 
Hans  .~>igmund  her  Gayman  Freyherr,  der  Rom.  Kay. 
Matt.  Cammerer  Gnrl  Adjutant  und  Hauptmann  in  Ihr 
Mj.  des  Hoch-  und  Teytsch-meisters  Löbl.  Regiment, 
eingekleidet  worden-  *. 

rX.  ,.Den  6  May  1691  ist  der  Hoch  und  Bolge- 
pohrne  Herr  Qnidowald  max  Graff  von  Saurau,  R.  K: 
M.  C.  und  Obrist  L:  (entnanf)  Erbland  marschall  in 
Steier,  Durch  den  Hoch  und  Bolgepohrnen  Herrn  Herrn 
Seyfriedt  Gräften  von  Saurau  Erblandmarschallen  in 
Steyer,  fi  und  Landt  Comenthurn  der  Balley  Ö.  in  den 
Hochlöbl.  Ritterl.  Teutschen  Orden  Eingekleidet  wor- 
den-. 

X.  ,Den  23  April  1713  ist  der  Hoch-  und  wolge- 
borne Herr  Christian  Herr  von  Stnbenberg  auf  Kappen- 
berg zu  Stubegg,  Muregg  etc.  unter  Ihro  Hochwünlen  und 
Excellenz  Herrn  Hainerich  Teowald  graflen  von  gottstein 
Lanteomentem  der  Ö:  bally  etc.  in  den  Hochl.  Ritt. 
Teutsch:  orden  eingekleidet  worden-. 

XI.  _Den  19  Jenuer  1716  ist  durch  ihre  Excellenz 
den  hochwürdig  hoch  und  wollgebohruen  herrn  heinrich 
Theobald  graften  von  Goltstein  landt  comenthurn  der 
Balley  Oesterreich  Teutsch-Ordeus  Kittern.  der  hoch- 
nnd  wolgebohme  herr  herr  Erasmus  graff"  und  heiT  von 
Stahrenberg.  und  Obrist  leitnant  des  Stahrenberg.  Re- 
giments zu  Fuess.  in  den  hochlöbl.  Ritt.  Teytschen  orden 
Eingekleidt  worden-. 

Er  war  geboren  zu  Linz  1685,  später  kaiserlicher 
Kännuerer.  Comtbur  zu  Gross- Sonntag,  k.  k.  General- 
Fddwachtmeister  und  Inhaber  eines  Infanterie-Regi- 
ments. Er  focht  in  Spanien,  Sicilien  und  Ungarn  mit 
ausgezeichnetem  Heldenmuth  und  nahm  den  Nachruf 
eines  Mannes  von  seltener  Sanftmuth,  Klugheit  und  un- 
erniUdetem  Bestreben  in  allen  wissenschaftlichen  Zwei- 

•  Vergl.  WUbgrill  ,die  Stiode  Ton  Sieder-Österreich  HI.  3J3". 


gen  mehr  und  mehr  fortzuschreiten  mit  sich  in  das  Grab, 
in  das  er  frühzeitig  im  November  1729  sank. 

Dr.  Hönisch. 

ßheinlands  Baudeiilnnale  des  Mittelalters. 

Diesen  Titel  führt  ein  Werk,  das  Dr.  Franz  Boik 
eben  jetzt  in  Lieferungen  herausgibt.  Es  ist  ein  Führer 
zu  den  merkwürdigsten  mittelalterlichen  Bauwerken 
gelegen  am  Rheine  und  seinen  Nebentiüssen. 

Seit  jenen  fernen  Zeiten,  in  denen  die  deutschen 
Könige  und  Kaiser  von  der  Wahlstadt  Frankfurt  dem 
Main  und  Rhein  abwärts  nach  Aachen  zogen,  um  dort 
die  Krone  Karls  des  Grossen  im  heil.  .Münster  zu  er- 
langen, von  dieser  poetischen  Zeit  herab  bis  zu  den  pro- 
saischen Tagen  der  Gegenwart .  wo  auf  und  an  diesen 
Flüssen  jährlich  Tausende  von  Reisenden  die  herrlichen 
Rheinlande  bereisen,  sind  die  Blicke  aller  Wanderer 
mit  Staunen  und  Wissbegierde  auf  jene  mächtigen 
und  ehrwürdigen  Bauwerke  gerichtet,  die,  wie  ernste 
Mahner  an  die  vergangene  ßlüthe  des  deutschen  Reiches, 
die  dortigen  Lande  in  reicher  Anzahl  und  in  vollende- 
ter künstlerischer  Ausführung  zieren. 

Ungeachtet  der  schon  vorhandenen  zahlreichen  Be- 
schreibungen dieser  Kunstdenkmale  hielt  es  Dr.  Bock 
für  nöthig,  neuerdings  dieselben  zum  Gegenstand  einer 
solchen  Schrift  zu  machen.  Wir  glauben  datllr  dem 
gelehrten  und  urii  die  Archäologie  hochverdienten 
Domherrn  des  Aachner  Münsters  zum  Danke  verpHich- 
tet  zu  sein;  denn  wahrlich  nicht  blos  dem  Kunstfreunde 
und  Archäologen,  auch  dem  einfachen  wissbegierigen 
Wanderer  fehlte  dafür  bis  heute  ein  brauchbarer  zeit- 
gemässer  Führer,  welcher  diese  Denkmale  nicht  vor- 
nehmlich vom  archäologischen,  als  vielmehr  vom  popu- 
lär-wissenschaftlichen Standpunkte  aus  beleuchtet  und 
durch  zahlreiche  Abbildungen  sowohl  bei  Besichtigung 
des  5Ionuments  willkommene  Anhaltspunkte  darbietet, 
wie  auch  die  Kuude  jener  Denkmale  in  weitere  Kreise 
bringt. 

Auf  eine  ganz  eigenthümliche  aber  nachahmens- 
werthe  Weise  hat  Dr.  Bock  das  Werk  ins  Leben  geru- 
fen und  es  möglich  gemacht,  einen  sehr  billigen  Ver- 
kaufspreis zu  erreichen  ,  wohl  eine  der  wichtigsten 
Bedingungen  um  ein  poiuilär  geschriebenes  Buch  auch 
populär  zu  machen.  Der  Autor  wnsste  nämlich  die  Mit- 
glieder der  preussischen  Königsfamilie  und  den  rheini- 
schen Adel  dafiir  so  zu  interessiren ,  dass  sich  viele 
Personen  bereit  erklärten,  die  Kosten  für  die  xylogra- 
phische  Ausstattung  der  Bearbeitung  einzelner  Bau- 
werke zu  übernehmen.  So  übernahm  der  Fürst  Karl  von 
Hohenzollern  jene  für  die  Abteikirche  zu  Gladbach,  der 
Erzbischof  von  Köln  die  für  die  St.  Gereonskirche 
daselbst ,  die  Kronpriucessin  die  für  die  Curie  des 
Königs  Richard  von  Cornwallis  zu  Aachen. 

Das  uns  vorliegende  erste  Heft  enthält  die  Be- 
schreibung der  Abtei  Gladbach,  die  im  VHL  Jahrhun- 
dert begründet  worden  sein  soll.  Die  mit  einer  grossen, 
in  Kreuzesform  angelegten  Krypta  versehene  Kirche  ist 
dreischifiig,  der  Chor  bereits  gothisch,  alles  übrige  noch 
romanisch.  Von  den  Einrichtungsgegenständen  wird  ein 
Tanfstein,  aus  der  Sammlung  der  Geräthe  ein  Tragaltar, 
beide  romanisch,  hervorgehoben;  13  sehr  gut  ausge- 
führte Xylographien  zieren  dieses  Heft.  Wir  wünschen 
dem  Unternehmen  bestes  Gedeihen.  . .  .m.  .  . 


LXXVII 


Die  Kirchen  des  Cistercienser-Ordens  in  DeutscMand 
während  des  Mittelalters. 


Von  Dr.  K.  Dohme.   Leipz.    1S69.  8.    150  Seiten  mit  vielen  Holz- 
schnitten. 

(Mit  lu  Holzschoitteu.) 

Schon  wiederholt  beschäftigte  die  archäologischen 
Schriftsteller,  insbesonders  die  Verfasser  grösserer 
archäologischer  Conipendien  und  Leitfäden  über  mit- 
telalterliche Architektur  jener  eigeuthümliche  Charakter, 
den  die  Kirchen  des  Cistercienser-Ordens  allenthalben 
zeigen.  Nicht  dass  sie  eine  der  anderen  ähnlich  seien 
oder  gar  gleichen  würden,  so  haben  sie  dennoch  manche 
Eigenthümlichkeiten  in  ihren  Grundrissen  und  Ausfüh- 
rungen, die  einen  inneren  Zusammenhang  aller  dieser 
Ordensbauten  nicht  verläugnen.  Ändert  sich  auch  im 
Laufe  der  Zeiten  manches  in  den  für  neuzubaueude 
Kirchen  festgestellten  Grundrissen,  so  sind  doch  auch 
diese  Änderungen  nicht  vereinzelt  geblieben,  sondern 
sie  treten  gleichzeitig,  verschiedenartig  und  in  Neben- 
sachen mannigfaltig  modificirt  in  mehreren  Beispielen 
auf.  Insbesondere  wurde  diese  Zusammengehörigkeit 
der  Bauten  in  neuerer  Zeit  von  Schnaase  «,  Otte  = 
und  Felis  mehr  gewürdigt;  allein  ersterer  nimmt  über- 
wiegend Rücksicht  auf  die  gegenwärtig  vorhandenen 
Monumente ,  letzterer  behält  fast  ausschliesslich  die 
Ordensvorschriften  im  Auge,  während  Otte  nur  in  so 
weit  dem  Orden  mehr  Betrachtung  widmet,  als  es  ihm 
zur  Entwicklung  der  mittelalterlichen  Architektur  noth- 
wendig  schien. 

Dieser  ganz  entschieden  gemeinsame  Charakter 
der  Cistercienser- Kirchen  hat  Herrn  Dr.  Dohme  ver- 
anlasst eine  grössere  Arbeit  über  diese  Baudenkmale 
zu  veröffentlichen.  Der  Verfasser  versucht  mit  dieser 
Schrift  nicht  blos  einen  Beitrag  zur  genaueren  Kennt- 
niss  der  deutschen  Bauten  während  des  Mittelalters 
überhaupt,  sondern  auch  eine  Feststellung  und  Schil- 
derung aller  denCistercienser-Ordenskircheu  anhaften- 
den Eigenthümlichkeiten  zu  geben,  wodurch  sich  die- 
selben von  den  übrigen  kirchlichen  Anlagen  Deutseh- 
lands unterscheiden.  Bei  der  Bedeutung,  welche  die 
Cistercienser  in  der  Cultur-  und  Architekturgeschichte 
Deutschlands  überall  eiunehmen,  hat  Dr.  Dohme  ganz 
Kecht,  wenn  er  die  architektonische  Wirksamkeit  dieses 
Ordens  genauer  ins  Auge  fasst  und  der  eingehenden 
Betrachtung  derselben  ein  eigenes  Buch  widmet. 

Wir  wollen  mit  Folgendem  einen  gedrängten  Aus- 
zug dieser  ._ganz  lehrreichen  Schrift  liefern  und  uns 
dabei,  mit  Übergebung  der  ersten  Entwicklung  dieses 
Ordens  in  Frankreich,  hauptsächlich  auf  dasjenige  be- 
schränken, was  sich  auf  den  Bau  der  Ordenskirchen 
unmittelbar  bezieht. 

Das  Auftreten  und  die  erste  Ausbreitung  des  in 
Frankreich  zu  Citeaux  gegen  Ende  des  XL  Jahrhun- 
derts gestifteten  Cistercienser-Ordens  in  Deutschland  fällt 
in  das  erste  Viertel  des  XII.  Jahrhunderts,und  währte 
dessen  Verbreitung  in  lebhafter  Weise  bis  gegen  das 
Ende  des  XIII.  Jabrhundeits,  von  welcher  Zeit  an  der 
Orden  im  Vergleiche  mit  früher  nur  wenig  neue  Stätten 
erwarb.  In  Deutschland  gewann  derselbe  tür  die  Ent- 
wicklung der  kirchlichen  Baukunst  eine  viel  grössere 

'  S.  dessen  Gt-schichte  der  bildenden  Künste  V. 
'  Otte,  Geschictite  der  deutschen  Baukunst  18fil   p.  298. 
'  Heider's    und    E  1 1  e  1  b  erge  i '^    mittelalt.    Kunstdcnkmale    Öster- 
reichs. Die  Cisterrienser-Abtei  Heiligenkreuz,  Baugeschichte  v.  Feil. 


Fig:.  1.  (HeiUgenkreuz). 

Bedeutung  als  in  seiner  Heimath.  Dem  Orden  fällt  hier 
ein  grosser  Antheil  bezüglich  der  Verbreitung  der  um 
die  Mitte  des  XII.  Jahrhunderts  in  Frankreich  schon 
allenthalben  geltenden  Gothik  zu,  so  wie  er  auch  mit 
seinem  Stammlande  in  fortwährender  Verbindung  blei- 
bend die  sonstigen  architektonischen  Vorzüge  dieses  auf 
dem  Gebiete  der  Architektur  gegenüber  Deutschland 
weit  vorausgeeilten  Landes  herüber  verpflanzte.  Freilich 
wohl  ging  es  mit  der  Verpflanzung  der  neuen  Formen 
nicht  zu  rasch,  denn  die  deutschen  Mönche  waren  zu  sehr 
Kinder  ihres  Landes,  als  dass  sie  das  Fremde  und  ins- 
besondere   den   neuen   Styl,  ohne  weiters  als  fertiges 


LXXVIII 


Fig.  2  (Viktriug  . 

Ganzes  hingenommen  hätten.  Sie  modificirten  ihn,  pass- 
ten  ihn  den  baulichen  Traditionen  ihrer  Gegend  an. 
gestatteten  ihm  immer  mehr  Geltendmachung,  bis  endlich 
7.n  Marienstadt  die  erste  gothische  Ordenskirche  dies- 
seits des  Rheines  entstand,  zu  welcher  beiläufig  im 
.Jahre  1227  der  Gmndriss  gelegt  worden  sein  dürfte. 

In  rascher  Folge  entstanden  im  XII.  und  Anfang 
des  Xni.  Jahrhunderts  die  Kirchen  der  Cistercienser. 
Man  kann  diese  Ordenskirchen  in  ihrer  Gesammtheit 
als  Zeugnisse  einer  besonderen  Schule  bezeichnen, 
einer  Schule,  die  nicht  an  einem  bestimmten  Punkte, 
sondern  in  einer  bestimmten  Gesellschaft  haftet,  die 
sich  in  der  Ordenstradition  herausgebildet  und  sich 
von  der  localen  Begrenzung  unabhängig  forterhalten  hat. 
Natürlich  blieben  die  arr  hitektonischen  Besonderheiten 
gewisser  Gegenden  nicht  ohne  Einfluss,  aber  sie  waren 
nicht  mächtiger,  als  das  Bewusstsein  der  Zusammen- 
gehörigkeit des  Ordens.  Die  Folge  dieser  verschie- 
denen Einwirkungen  auf  die  Ordensbanten  war  keines- 
wegs ein  ängstliches  Copiren  der  Vorbilder,  sondern 
es  wurde  blos  manches  Charakteristische  in  freicster 
Bildung  beibehalten,  im  Übrigen  aber  freie  Thätigkeit 


dem  jugendlich  frischen  Geist  ge- 
währt, der  in  Deutschland  den  Orden 
allseitig  durchdrang. 

Obwohl  sich  alle  Vorschriften 
über  die  Kirchenanlage  auf  das  Gebot 
grösster  Einfachheit  beschränkten. 
80  zeichnen  sich  doch  die  Kirchen 
durch  vortrefiliche  Technik,  durch 
ernst  schöne  Verhältnisse,  sehr  häutig 
durch  eine  bestimmte,  in  der  Ordens- 
sitte bedingte  Grundrissform,  durch 
würdige  Entfaltung  des  Inneren  und 
sparsam  angewendetes  Detail  ans. 

Ein  bei  der  Formation  der  Or- 
denskirchen nicht  zu  übersehendes 
Moment  ist,  dass  alljährlich  sämmt- 
liche  Abte  in  Citeaux  zusammen- 
trafen ,  wo  jedenfalls  auch  bauliche 
Unternehmungen  zur  Sprache  kamen. 
Auf  diese  Weise  sahen  die  fremden 
Äbte  die  Mutterkirche,  aber  auch  auf 
ihren  Reisen  manche  neuere  oder 
ältere  Kirche  ihres  Ordens  und  hatten 
Gelegenheit  zum  Sehen  und  Lernen, 
und  ihre  Erfahrung  zu  bereichem. 
Gleiche  Erfolge  hatten  auch  die  häu- 
figen Ordensvisitationen  der  Abte 
der  Mutterklöster  in  ihren  Filialen. 
Zu  den  Neuerungen  gehört  romehui- 
lich  der  Gewölbebau,  zu  dessen  Ver- 
breitung die  Cistercienser ,  seinen 
praktischen  Werth  früh  erkennend 
und  in  Frankreich  kennen  lernend, 
wesentlich  beitrugen  und  ihm  bald 
durch  das  gegebene  Vorbild  allge- 
meine Verbreitung  verschafften.  So 
allein  erklärt  es  sich,  dass  wir  häufig 
in  ganz  entfernten  Punkten  eng  ver- 
•  xK  wandte  Bauten  finden,  bald  als  Ver- 

einfachungen bald  Bereicherungen 
eines  und  desselben  Gedankens. 
Der  Ansicht  des  Verfassers,  dass 
der  Orden  ausnahmslos  seine  Baumeister  selbst  erzog 
und  aus  der  Zahl  der  Mönche  wählte,  kann  man  nicht 
so  unbedingt  beistimmen,  weil  einerseits  sehr  wenig 
diesen  Beweis  liefernde  Namen  der  Baumeister  älterer 
Ordenskirchen  auf  uns  gekommen  sind,  und  es  nicht 
nothwendig  erscheint,  den  Baumeister  aus  dem  Mönch- 
stande zu  wählen,  wenn  gewisse  Bauregein  und  der 
Umfang  der  Kirchenausschniüekung  in  den  Ordens- 
satzungen festgestellt  waren,  worüber  die  Abte  jeder 
einzeln  und  alle  in  ihrer  Vereinigung,  wie  auch  der 
ganze  Convent  zu  wachen  hatten. 

Gerade  dies,  dass  nur  die  Ordensgewohnheiten 
den  Rahmen  bildeten,  in  welchen  hinein  die  Anlage 
einer  Ordenskirche  gefügt  werden  sollte,  dabei  aber 
noch  hinlänglich  Freiheit  dem  Baumeister  in  der  Aus- 
führung seiner  Ideen  blieb,  spricht  mehr  für  unsere 
Ansicht. 

Galt  es  eine  Ordensniederlassung  zu  gründen .  so 
handelte  es  sich  zunächst  um  die  Wahl  eines  geeigne- 
ten Platzes.  Verboten  war  die  Anlage  in  .'^tädten. 
Dört'ern  oder  Schlössern,  gesucht  wurden  dem  Verkehr 
entrückte  Punkte,   stille  versteckte  Thäler.   Ja,  wenn 


T.xxrx 


:  'i    _r  ^ 

Fig.  3  (Lilienfeld). 

dem  Orden  ursprünglich  eine  Ansiedlung  auf  einem 
erhöhten  Punkte  angewiesen  wurde,  so  vertauschte  man 
bald  diesen  Aufenthalt  mit  einer  in  der  Tiefe  gelegenen 
Niederlassung.   Oft  geschah  es,   dass   die  Ansiedlung 


Fig.  4  (Hradist). 

im  Gegensatze  zu  den  geräumigen ,  für  die  Aufnahme 
des  Volkes  berechneten  Benedictinerkircben.  Durch 
Beschluss  des  Generalcapitels  waren  seit  1157  steinerne 
Glockenthürme  verboten,  wcsshalb  der  Orden  die  später 
auch  bei  anderen  Kirchen  beliebten  Dachreiter,  anfäng- 
lich blos  Holzbauten ,  zum  Aufhängen  des  meistens 
nur  aus  zwei  Glocken  bestehenden  Geläutes  wählte. 
DerFussboden  sollte  mit  einfachen  Fliessen  belegt  sein, 


mehrmals  gewechselt  wurde,    bis  man  eine  geeignete      was  jedoch  nicht  zu   strenge   gehalten    wurde.  Selbst 


Stelle  fand.  Eine  Ausnahme  von  dieser  Ordensgewnhn- 
heit  macht  das  Kloster  Hohenfurt,  das  auf  einem  Hügel 
am  Moldau-Ufer,  und  Neukloster,  das  inner  den  Mauern 
von  Wiener-Neustadt  liegt.  Freilich  wurde  Letzteres 
zu  einer  Zeit  gegründet,  wo  die  Ordeusgewohnheiten 
bereits  viel  von  ihrer  scharf  bindenden  Kraft  verloren 
hatten.  So  wie  hinsichtlich  des  Platzes,  ebenso  bestan- 
den auch  hinsichtlich  gewisser  Eigenschaften  der  Kirche 
bestimmte  Vorschriften.  Klein ,  innen  und  aussen  un- 
scheinbar, fast  ausschliesslich  auf  blosse  Structurfor- 
men  beschränkt,  häutig  plump  und  schwerfällig,  standen 
die  ersten  Cistercienserkirchen  da,  und  ist  uns  ein  Theil 
derselben  noch  erhalten.  Man  liebte  es,  im  Widerspruch 
mit  der  sonst  üblichen  Bezeichnung  Ecclesiae,  die  Got- 
teshäuser des  Ordens  Oratoria  zu  nennen ;  man  wollte 
nur  ein  kleines,  für  den  Convent  bestimmtes  Bethaus 
XIV. 


die  Grabsteine,  welche  in  die  Pflasterung  der  Kirchen 
und  Kreuzgänge  eingelassen  wurden,  sollten  ohne  jedes 
Relief  sein.  Weder  reichere  Sculpturen  noch  Malereien, 
nicht  einmal  Tafelbilder  auf  den  Altären,  wurden  in  den 
Ordenskirchen  anfänglich  gestattet.  Dass  man  aber 
auch  hierin,  wie  in  so  vielen  anderen  Fällen,  wo  Strenge 
und  Einfachheit  bezweckt  wurde ,  nicht  durchdrang, 
beweist  unter  anderen  das  Beispiel  des  höhmischen 
Klosters  Königssaal,  dem  sein  Stifter  Wenzel  H.  (1297) 
ein  prächtiges  auf  Holz  gemaltes  Marienbild  schenkte. 
Derselbe  König  verstiess  auch  gegen  ein  anderes 
Ordensgesetz,  indem  er,  oljgleich  goldene  und  silberne 
Kreuze  durchaus  verpönt  waren,  den  Mönchen  dieses 
Klosters  ein  1400  Mark  Silber  wertbes,  kostbares  und 
mit  Edelsteinen  besetztes  Kreuz  schenkte.  Ebenso 
besitzt   das  Kloster  Hohenfurt   ein   höchst   werthvolles 


LXXX 


Fig.  5  (Tisnovicj. 

Patriarchenkreuz  byzantinischer  Arbeit,  das  1412  in  den 
Besitz  des  Klosters  gekommen  ist. 

Ein  weiteres,  die  kirchlicbe  Ausschmückung  betref- 
fendes Verbot  bezog  sich  auf  die  Glasmalereien  in  den 
Kirchenfenstern.  Allein  gerade  diese  Verordnung  stiess 
in  ihrer  Durchführung  auf  die  grössten  Schwierigkei- 
ten und  kam  trotz  öfterer  Erneuerungen  nie  zur  all- 
gemeinen Geltung,  ja  selbst  der  kategorische  Beschluss 
von  1182.  dass  innerhalb  zweier  Jahre  sämmtliche  etwa 
noch  vorhandenen  gemalten  Fenster  aus  den  Kirchen  zu 
entfernen  seien,  und  wenn  dies  nicht  geschehe,  dass 
Abt,  Prior  und  Kellermeister  so  lange  auf  schmale  Kost 
zu  setzen  seien,  bis  diese  Glasbilder  entfernt  wurden, 
scheint  nicht  at»solut  gewirkt  zu  haben.  Man  muss  es 
als  ein  Zeichen  der  allgemeinen  Freude,  die  jene  Zeit 
an  derartiger  Ausschmückung  der  Kirchen  hatte,  an- 
sehen ,  wenn  man  innerhalb  des  Ordens  auf  jegliche 
Weise  von  diesem  Verbot  loszukommen  trachtete, 
Alan  suchte  vorerst  einen  Miftehvei:  zu  linden,  ohne  das 
(iesetz  zu  verletzen.  So  wurden  antlinglich  die  einzel- 
nen zerschnittenen  Glasslückc  durch  Bleignss  verbun- 
den, daraus  Ornamente  gebildet,  so  dass  das  Fenster 
wie  mit  einem  Te[)i)ii'limustpr  übersponnen  schien. 
Dann  ging  man  weiter,  man  begann  (lie  Formen  des 
Bleigusses  durch  Sclnvarzloth  zu  imitiren .  was  zur 
Grisailmalerei  führte.  Diese  etwas  freiere  Behandlung 
trieb  ihre  schönsten  Blüthen  in  den  noch  bestehenden 
Glasgemälden    zu    Heiligeukreuz.    Schon    bald    treten 


Spuren  bunter  Farben  auf,  bis  wir  im  XIV.  Jahrhundert 
die  Kirchenfenster  bereits  vielfältig  mit  grossen  tigUr- 
lichcn  Darstellungen  in  der  ganzen  Farbenglut  der 
mittelalterlichen  Technik  geschmückt  linden. 

Alle  diese  eben  angedeuteten  Bestimmungen  und 
Vorschriften,  die  sich  auf  den  Bau  und  die  Einrichtung 
der  Ordenskirchen  beziehen  und  aus  denen  sich  leicht 
erklärt,  warum  heutzutage  der  .\ufbau  von  derlei  Kir- 
chen sich  noch  immer  gleich  scharf  kennzeichnet,  führt 
der  Veri'asser  weitläufig  aus;  doch  wollen  wir  diese 
Vorschriften  als  theilweise  bekannt  und  für  eine  Be- 
sprechung des  Buches  als  zu  weit  gehend  bei  Seite 
lassen. 

Als  IJaupteigenthümlichkeit  fast  sämmtlicherCister- 
cienserkirchen  kann  man  bezeichnen  die  dreischifllge 
Alllage  mit  in  überwiegender  Muhrzahl  vorkommender 
Basilikenform  und  mit  einer  Queischitiaiilage,  welche 
die  Ordenssitfe  für  so  wichtig  hielt,  dass  sie  deren 
Alllage  selbst  bei  den  einfachsten  Bauten  nie  übersah. 
Minder  allgemein  ist  die  Anwciulniig  eines  geradlini- 
gen Chorschlusses.  Nur  selten  tritt  m  gothischer  Zeit 
die  Hallenform  auf  In  Osterreich  entwickelt  sich  ein 
etwas  exceptioneller  Bautypns  ,  indem  daselbst  eine 
Gruppe  von  Hallenkirchen  besteht,  bei  welchen  auch 
die  Kreuzesform  im  Grundriss  beinahe  ganz  aufgege- 
ben ist. 

Eine  andere  Eigentbümlichkeit  vieler  Cistercieu- 
serkirchcn ,  nämlich  den  Anbau  von  zwei  oder  meh- 
reren meist  niedrigen,  rechtwinkeligen  Capellen  an  der 
O.stseite  des  Querhauses  zu  Seiten  des  Presbyteriums, 
eine  Eigentbümlichkeit,  die  oft  besprochen  und  viel- 
seitig als  ein  Charakterisiicum  der  Cistercienserkirchen 
bezeichnet  wird,  will  Dr.  Dohme  in  dieser  Eigenschaft 
nicht  und  zwar  mit  Recht  nicht  anerkennen,  denn  bei- 
spielsweise fehlen  diese  Anbauten  gerade  vielen  Or- 
denskirchen Österreichs,  wie  Heiligenkreuz,  Lilienfeld, 
Hradisl,  Zwettl,  Neulierg  etc. 

Schon  in  der  einfachsten  Form  einer  Ordensbaute. 
wie  sie  nns  der  Grundriss  von  Fontenay  in  Burgund 
als  erstes  Beispiel  zeigt  und  auf  dessen  Vorbild  sich 
zahlreiche  deutsche  Kirchenaiilagen  dieses  Ordens 
zurückführen  lassen ,  finden  wir  diese  Capellenpaare 
zu  Seiten  des  rechtwinklig  geschlossenen  Altar- 
hauses, wo  sie  aus  der  Ostseite  des  Querhauses  in 
halber  Länge  des  Chores  heraustreten.  Es  ist  aucli 
richtig ,  dass  dieses  Princip  vielen  Plananlagen  zu 
Gründe  gelegt  wurde,  im  Laufe  der  Zeit  eine  reiche 
Entwicklung  empfing  und  verschieden  variirt  in  Deutsch- 
land herrschend  ward:  allein  man  kann  dessen  Vorhan- 
den sein  keineswegs  als  ein  untrügliches  Erkennungs- 
zeichen einer  Cistercienserkirche  annehmen  und  umge- 
kehrt. Nicht  zu  übersehen  ist,  dass  diese  Capellen  der 
Kirche  des  Mutterklosters  zu  Citeaux  fehlen.  In  der 
Baugruppe,  welche  diesem  Vorbilde  folgte,  findet  man 
dafür  die  Entwicklung  des  rechtwinkeligen  Chorschlus- 
ses von  der  einfachsien  bis  znv  durchdachtesten  und 
reichsten  Form  in  seltener  Durchbildung, 

Die  Frage ,  wie  sieh  die  Vorliebe  des  Ordens 
für  diese  besondere  Anlage  rechtfertigt,  beantwortet 
Dr.  Dohme  mit  dem  prakiisch  nüchternen  Sinn  der 
Ordensleute  und  mit  ihrem  Strelicn  nach  Einfachheit. 
Man  hatte  nämlich  bei  diesem  (Mundrisse  nur  gerade 
oder  rechtwinkelig  gebrochene  AVände  aufzuführen 
und  konnte  jeden  mehr   schwierigen  Steinschnitt  ver- 


LXXXI 


meiden.  Zeichnung-  undMaasse  des  Bauwerkes  konnten 
demnach  bei  Kenntniss  der  Tragfähigkeit  des  Materials 
nicht  die  kleinste  Schwierigkeit  hervorrufen. 

Die  zweite  weit  weniger  zahlreiche  Classe  von 
Kirchenanlagen  folgt  dem  Grundrisse  der  französischen 
Kathedralen,  mit  im  Halbkreise  oder  im  Polygon  strah- 
lenförmig um  den  Chor  gestelltem  Capelienkranz.  Die 
Kirche  zu  Heisterbach  (c.  liuO  vollendet)  ist  die  erste 
derartige  auf  deutschen  Boden,  und  blieb  w.ährend  der 
romanischen  Zeit  das  einzige  Beispiel.  Als  aber  mit 
dem  Vordringen  der  Gothik  die  Lust  an  reichen  Grund- 
rissbildungen reger  wurde,  entstanden  mehrere  in  dieses 
System  gehörige  Bauten,  wie  Zwettl,  Sedletz  etc. 

Schliesslich  macht  Dr.  D  o  h  m  e  noch  auf  eine 
Besonderheit  der  Cistercienserkirchen  aufmerksam,  es 
ist  dies  die  ungewöhnliche  Länge  des  Schiftes,  was 
um  so  mehr  aufflillt,  als  diese  Kirchen  nicht  eigentlich 
für  den  Besuch  der  Laien  natürlich  nur  Männer  bestimmt 
waren.  Eine  weitere  Besonderheit  ist  das  Fehlen  der 
Krypta.  Der  Orden  scheint  sich  gleich  anfangs  durch- 
gehends  ablehnend  gegen  diese  bis  tief  in  das  XH. 
Jahrhundert  hinein  so  beliebte  Anlage  verhalten  zu 
haben,  obgleich  sie  ihm  durch  kein  directes  Gesetz 
verboten  wurde.  Es  scheint,  dass  der  doch  erst  spät 
entstandene  Orden  nicht  mehr  in  die  Lage  kam,  den 
Cultus  an  den  Gräbern  der  Heiligen  zu  üben,  und  damit 
entfiel  die  Ursache  zur  Anlage  von  Unterkirchen.  Dass 
die  Cistercienser  zum  Aufgeben  der  Krypten  bei  der 
weiten  Verbreitung  ihres  Ordens  und  bei  dem  Beispiel, 
das  er  in  baulicher  Hinsicht  allenthall)en  gab,  bedeu- 
tend beitrugen,  ist  unzweifelhaft,  um  so  mehr,  da  die- 
selben erst  seit  dem  XHL  Jahrhundert  allgemein  zu  ver- 
schwinden anfangen,  der  Orden  sie  also  schon  volle 
hundert  Jahre  früher  nicht  mehr  errichtete. 

Den  zweiten  Abschnitt  seines  Buches  widmet 
Dr.  Dohme  der  Beschreibung  der  Baueigenthünilich- 
keiteu  der  einzelnen  in  den  Ländern  der  deutschen 
Zunge  noch  bestehenden  Cistei'cienserkirchen ,  und 
versucht  die  einzelnen  Bauten  auf  ihre  Vorbilder  zurück- 
zuführen. Wir  wollen  seinem  Excurs  folgend  dabei  die 
in  Osterreich  gelegenenen  Cistercienserkirchen  näher 
ins  Auge  fassen,  und  diesen  Erläuterungen  eine  Anzahl 
von  bei  der  k.  k.  Cent.  Comm.  vorräthigen,  in  Holz  s;e- 


Abbildungen 


schnittenen 
Kirchen  beigeben. 

Von   Säulenl)asiliken 
innerhalb  des  Ordens  nur 


einzelner  Grundrisse  solcher 


haben  sich  in  Deutschland 
zwei  Beispiele  erhalten;  das 
eine  bildet  die  Kirche  des  Klosters  Heilsbronn  bei 
Nürnberg,  das  andere  jenes  zu  Amelunxborn  bei 
Holzniinden.  Ersteres  Kloster  entstand  um  1132  und 
1150  fand  die  Weihe  der  neuen  Kirche  statt,  die  jedoch 
126;->  bis  ]28u  einen  Umbau  im  Chor  erfuhr.  Damals 
verlor  er  seinen  aus  einer  halbrunden  Apsis  gebildeten, 
und  bekam  dafür  einen  geradlinigen  Schluss ,  wurde 
jedoch  in  spätgothischer  Zeit  noch  einmal  erweitert  und 
aus  fünf  Seiten  des  Achtecks  eonstruirt.  Die  roma- 
nischen Reste  der  Kirche  zu  Amelunxborn 


(P'nde  des 
luse  und  in 
das  übrige 


XH.  Jahrhunderts )  haben  sich  nur  im  Langha 
den  Untermauern  des  Qnerschitfes  erhalten, 
gehört  einem  gothischen  L'mbau  an. 

Das  älteste  Beispiel  einer  Pfeilerbasiliea,  die  zu- 
gleich dem  einfachen  Grundrisse  von  Fontenay  folgt, 
bildet  die  Klosterkirche  von  Marienthal  bei  Helm- 
städt,  deren  Gründung  wahrscheinlich  in  das  Jahr  1138 


Fig.  6  (Hohenfurtj. 

fällt,  die  Bauzeit  aber  bis  in  die  Mitte  des  XH.  Jahrhun- 
derts sich  erstreckt.  Auch  hier  findet  sich  der  quadrate 
Altarraum  und  gleich  wie  zu  Heilsbronn  thront  über  der 
Vierung  ein  Dachreiter.  Damit  eng  verwandt  und  auch 
in  der  Bauzeit  nicht  viel  verschieden  sind  die  Reste  des 
romanischen  Baues  (um  1140  vollendet)  der  Kloster- 
kirche zu  Porta,  soweit  sie  aus  dem  jetzigen  gothisihen 
Bau  sichtbar  werden.  Die  beiden  rechtwinkeligen  Ca- 
pellen  schliessen  sich  zu  beiden  Seiten  des  gleichen 
aber  grösseren  Altarhauses  an  die  Ostseite  des  Quer- 
sehiifes  an. 

In  die  Mitte  des  folgenden  Jahrhunderts  gehört 
die  dreischiff'ige  Kirche  des  in  der  Schweiz  gelegenen 
Klosters  Wettingen  (geweiht  12.56),  dessen  von  je 
zwei  Seitencapellen  begrenzter  Chorraum  vierseitig  ist. 
Nach  einiger  Zeit  verlängerte  man  die  beiden  zunächst 
dem  Altarraume  gelegenen  Capelien  über  denselben  hin- 
aus, schloss  sie  mit  Apsiden  ab  und  verband  dieselben 
hinter  dem  Chor  und  um  denselben  herum  durch  einen 
niedrigen  Umgang. 

Mit  diesem  Baue  in  ihrer  Anlage  sehr  ähnlich  ist 
die,  halb  der  romanischen,  halb  der  Übergangszeit  ange- 
hörige  Kirche  des  um  1188  gestifteten  Klosters  Be- 
benhausen (vollendet  1214). 

Ein  höchst  beachtenswerther  Ordensbau  ist  die 
1 1 78  geweihte  Kirche  des  Klosters  M  a u  1  b  ron  n ;  leider 


Lxxxir 


iü^Jai 


Fig.  7  (Neuborgj. 


erfuhr  sie  zahlreiche  VeräiKierinigcn,  doch  blieb  der 
viereckige  Altarnuim  unverändert.  Eii^euthünilich  ist 
dabei,  dass  das  Querschift'  auf  Kosten  der  C'apellen  fast 
ganz  verkümmerte.  Zum  ersten  ilale  begegnet  man  in 
dieser  Kirche  einem  Ordensbau  mit  reicheren  Formen. 
Gleichfalls  sechs  Capellen  au  der  Ostseite  des  Quer- 
schitfes  hat  die  um  1186  vollendete  Kirche  zu  Eber- 
ach, deren  Grundriss  jenem  zu  Maulbronn  iilinlicli  ist. 

Unmittelbaren  Eintiuss  der  frauzüsisch-ronianischeu 
Kunst  weisen  die  eigentlich  schon  in  den  Übergangs- 
st}1  hineinreichenden  Kirchenbauten  zu  Rroniliach  bei 
Wertheim  auf.  Die  Kirche  dieses  Klosters,  1151  gegrün- 
det, dürfte  gegen  Ende  desselben  Jahrhunderts  v(dien- 
det  worden  sein.  Im  Grundrisse  zeigen  sich  manche 
Abweichungen  der  bisherigen  Gepflogenheit,  so  ist  das 
Altarhaus  halbrund  geschlossen,  die  rechteckigen  Ca 
pellen  der  Ostseite  hai)eu  wenig  Tiefe.  Wie  es  niüglich 
war,  in  der  Construction  und  Mauereintheilunj,'-  franzö- 
sische Vorbilder  nachzuahmen,  lässt  sich  nicht  bestimmt 
nachweisen.  Doch  kann  man  mit  allem  Grund  anneh- 
men, dass  der  Meister  selbst  ein  Deutscher  war,  denn 
deutsch  sind  alle  Details  innen  und  aussen.  Die  Jetzt 
abgebrochene  Klostcrkirclie  zu  T  h  c  n  n  e  n  b  a  c  h  in 
Breisgau  (gegründet  115ti)  zeigt  ähnliche  Eigenschaf- 
ten, hat  jedoch  den  rechtwinkeligen  Altarschluss. 

Interessant  ist,  was  Dr.  Dohnic  über  die  älteste  in 
Osterreich  bestehende  Ordenskinlie,  nändich  jene  zu 
Heiligenkreuz  bemerkt,  von  welclier  wir  den  (Jrund- 
riss  in  Fig.  I  licigeben  ».  Konnte  mau  in  den  bisiier  auf- 
gezählten Beispielen  die  Ausbildung  der  Chorpartie  als 
recht  eigentlich  dem  Orden  zukommend  bezeichnen .  so 
fehlen  Ausnahmen  nicht,  bei  welchen  andere  Einflüsse 
die  PIandis])(jNition  dictircn,  während  Mässigung  und 
.Sparsamkeit  im  Aufbau  und  Detail  überall  die  gemein- 
same Schule  zeigen    Ein  solcher  Einfluss  machte  sich 

's.  Bcid  cr'e  und  K  i  le  I  lie  i  ge  r's  mlllclalt.  KiinMdenkmalG  dit  öbtcrr. 
Kaiterelaatet  I  und  archäol.  Wegnt-iter  durch  Xieder-Ötiei reich  I. 


vornehndicli  iiei  dieser  Kirche  geltend,  zu  deren 
Kloster  Markgraf  Leti])old  der  Heilige  im  Jahre 
1135  die  ersten  Mönche  aus  Morimond  lierief. 
Als  man  den  Hau  begann,  stand  das  .'^ystem 
desselben  völlig  fest  und  wurde  ohne  Ände- 
rung bis  zu  dessen  Vollendung  beibehalten. 
Wir  sehen  in  diesem  gegen  1187  vollendeten 
Baue  eines  der  ersten  Beispiele  des  gebun- 
denen romanischen  Systems  innerhalb  des 
Ordens.  Leider  lässt  dergothische  Umbau  des 
Chores  dessen  ursprüngliche  Gestaltung  nicht 
mehr  erkennen  und  es  gestattet  nur  ein  erhal- 
tenes Glasgemälde  die  Vermuthung,  dass  der 
Chor  so  wie  jedes  Nebenscliifl'  jenseits  des 
Querschitfes  d.  i.  gegen  Osten  mit  einer  halb- 
runden Capelle  geschlossen  war.  Obgleich  das 
Innere  ernst  und  fast  schmucklos  ist,  zeigt  das 
Äussere  all  den  reichen  decorativen  Schmuck, 
^^^■■^  wie  ihn  die  ISaukuust  im  südöstl  chen  Tlieile 
Deutschlands  überhauitt  liebte. 

Weiter  bespricht  Dr.  Dolime  die  Kirche 
znVolkenrode  bei  Mühlhausen  (1 140),  deren 
Trümmer  genau  dieselbe  Choranlage  zeigen, 
wie  sie  bei  Heiligenkreuz  zu  vernuithen  ist. 
Auch  der  romanische  Tlieil  der  gotliisch  über- 
bauten Kirche  zu  Alten  berg  bei  Cölu  (^Mitte 
des  XII.  Jahrb.)  zeigt  eine  an  ein  nahezu  Qua- 
drates Altarhaus  angebaute  halbrunde  Apsis. 

Die  an  der  um  1142  gegründeten  Klosterkirche 
in  Vi kt ring  (Fig.  2|  in  Kärnten  (geweiht  um  1200) 
erhaltenen  romanischen  Baureste  zeigen  Spuren  einer 
dreischiffigen  Pfeilerbasilica  mit  verkümmerter  Querhaus- 
anlage, der  im  linken  Mügel  gegen  Osten  zwei  Capellen 
(gegenwärtig  jüngeren  Ursprungs)  angeschinssen  sind. 
Die  Kirche  hatte  bedeutende  Umgestaltiuigen  erlitten. 
So  wurde  gegen  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  der  aus 
drei  Seiten  des  Achtecks  geschlossene  Chor  im  An- 
schlüsse an  das  romanische  Clmrcpiadrat  erl)aut,  und 
in  neuei-er  Zeit  das  ehemals  Hacli  gedeckte  Langhaus 
um  mehrere  Joche  verkürzt,  weil  niemand  die  Kosten 
für  deren  Heparatur  tragen  wollte  ■. 

Feiner  und  reicher  als  im  romanischen  Styl_  ent- 
faltet si(4i  die  Ordensbaukunst  in  der  Zeit  des  l'ber- 
ganges.  Die  früher  bestehende  ängstliche  Befangenheit 
tiMit  zurück,  und  die  Zahl  iler  entstehenden  Uauwerke 
von  höherer  Bedeutung  ist  im  Zunehmen.  Freilich  wohl 
ging  der  Orden  in  .seinem  Übergangsstyle  anders  zu 
Werke,  hatte  andere  Ziele,  als  die  allgemeinen  Bau- 
schulen. Er  leitete  in  der  Thal  von  seinen  ernsten 
Fiirmen  zur  Gothik,  ohne  erst  eine  Umkehr  von  der 
decorativen  iji)erfülle  zur  strengeren  Weise  der  Früh- 
gothik  nöthig  zu  machen. 

In  die  Grujijie  der  Bauten  während  der  Üi)ergangs- 
zeit  gehört  das  Kloster  Loccum.  dessen  einen  vollkom- 
nien  einheitlichen  Charakter  zeigende  Kirche  um  die 
Zeit  v(in  1240  bis  1277  erbaut  wurde.  Sie  zeigt  im 
Grundrisse  bereits  einige  Abweichungen  von  der  herge- 
brachten Form,  doch  schliesst  sich  an  das  Vierungsfeld 
des  Querschitfes  das  vierseitige  Chorhaus,  und  an  die 
Ostseite  der  Seitenvierungen  des  Querliaues  der  Anbau 
je  eines  Capellenpaaresan,  die  in  di'r  Stärke  der  Mauer 
kleine  Absiden  haben.  Ahnlich  diesem  Baue  ist  der  des 
Chors  und  Querschiffes  an  der  Kirche  zu  Eusserthal 

^  S.   Miliheil.  d.  Cent.-C'onim.   IX.   In:i  n     f. 


Lxxxm 


in  der  Pfalz  (l"2iiü)  und  der  Osttheile  des  schweizeri- 
schcu  Klosters  Kappel.  Hin,i;egen  zeigt  der  Grundriss 
der  mit  dieser  so  ziemlieh  gleichzeitig-en  Klosterkirche 
zu  Zinna  von  aussen  eine  wesentliche  Verschiedenheit. 
Wir  sehen  wohl  den  Chorraiiiii  in  Mitte  der  vier  Capel- 
len ,  allein  diese  sohliessen  innen  halbrund,  aussen  mit 
drei  Seiten,  jener  ebenfalls  innen  halbrund,  aussen  mit 
fünf  Seiten  des  Achtecks. 

Wie    überhaupt  bei   den   Ziegelbauten  gegenüber 
den   Steinbauten  manche   Versidiiedenheiten   in  Folge 
der  Bedingungen  des  Materials  eintraten,  ebenso  ist  es . 
mit  den  aus  solchem  Material  erbauten  Ordenskirchen 
der  Fall. 

So  erkennen  wir  noch  aus  den  Ruinen  der  Kirche 
zu  Lehnin,  dem  ältesten  Beispiele  von  aus  Ziegeln 
gebauten  Cistercienserkirchen,  Abweichungen  in  den 
Capcilenbauten.  Sic  sind  nicht  durch  Scheideniauern 
getrennt,  sondern  bilden  ein  zusammenhängendes  Gan- 
zes, wenn  auch  mit  gesonderten  Eingängen. 

Einen  auffallenden  Fortschritt  in  der  Ausbildung 
des  Grundrisses  mit  möglichster  Beibehaltung  der 
Ordcnstraditioneu  zeigt  die  um  1222  geweihte  Kirche 
des  Klosters  Marienfeld.  Wir  linden  hier  schon  den 
breiten  Umgang  um  das  rechtwinkelige  Altarhaus ,  das 
aus  einem  ganzen  und  halben  Gewölbequadrat  besteht, 
als  Ersatz  der  Ostcapcllen  des  Querhauses.  Ahnlich  ist 
die  Constiuction  der  bereits  zerfallenen  Kirche  zu  Arns- 
burg  (geweiht  um  1222),  nur  legen  sich  da  an  den 
Umgang  selbständige  Capellen  an,  von  denen  die  mitt- 
lere halbrund  geschlossen  ist,  ohne  dass  der  Charakter 
des  geradlinigen  Schlusses  dadurch  vernichtet  würde; 
auch  die  Kreuzarnie  haben  je  eine  runde  Osteapelle, 
ähnlich  Heiligenkreuz. 

In  voller  Ausbildung  und  Klarheit  zeigt  sich  das 
System  der  Chorausbildung  in  der  um  1278  geweihten 
Kirche  zu  R  i  d  d  a  g  s  h  a  u  s  e  n  bei  Braunschweig,  wo  sich 
ein  niedriger  Umgang  um  das  oblonge  Aitarhaus  legt, 
an  den  sich  eine  Reihe  von  14  niedrigen  Capellen  an- 
schliesst.  Genau  dieselbe  Behandlung  zeigt  der  Chor  der 
zu  Anfang  des  XIII.  Jahih.  begonnenen  und  1285  vollen- 
deten Ebracherkirche  bei  Bamberg,  nur  treten  hier 
noch  Capellen  an  die  Ostseite  des  Qiierschift'es,  wodurch 
der  alte  Cistercienser-Kirchentypus  mehr  hervortritt. 

Von  dem  Sy^stem  der  Kirchenanlage  zu  Fontenay 
einigevmassen  durch  das  polygon  geschlossene  Altarhaus 
abweichend,  obgleich  noch  in  der  reichen  Chorausbil- 
dung und  im  geradlinigen  Schlüsse  derNebenräume  des- 
selben dem  Vorbilde  tveubleiljend  zeigen  sich  die  Grund- 
risse der  Kirchen  zu  Lilienfeld  «,  Hradist,  Walken- 
ried etc.  Erstere  Kirclie,  Fig.  3.  neigt  sich  in  Construc- 
tion  und  Detail  auftallend  zurGothik.  Die  edlen  im])osan- 
ten  Verhältnisse  zeigen  schon  den  schlanken  Charakter 
der  neuen  Kunstweise.  An  das  aus  fünf  Seiten  des  Zehn- 
ecks geschlossene  Altarhaus  legt  sich  als  Fortsetzung 
beider  Nebenschiffe  jenseits  des  Querschitfes  gegen  Nor- 
den. Süden  und  Osten  ein  doppelter  Umgang  nach  aussen 
geradlinig  abschliessend.  Diese  Kirche,  deren  Grund- 
stein 1202  gelegt  wurde  und  dessen  P>au  Mönche  aus 
Heiligenkreuz  überwachten,  damit  alles  nach  den  Regeln 
des  Ordens  geschehe,  dürfte  unter  allen  Ordcnskircheu 
die  reichste  sein.  Eine  Fülle  schönen  Blatt-  und  Band- 
werks bedeckt  alle  Details  und  verräth  in  den  Formen  die 
Spuren  der  Frühgothik.  Die  Vollendung  der  Kirche  kann 

•  S    Jahrbutli  d.   Cent.  Comm.  II.   ]u:t. 


¥\g.  8  (Zwettli. 

zwischen  1220  und  1230  angenommen  werden.  Eine 
getreue  Wiederholung,  ja  fast  Copie,  und  in  dieser  Art 
einzig  unter  den  Ordenskirchen,  zeigen  die  Trümmer  der 
Kirche  zu  Hradist  in  Böhmen  (entstanden  1177  bis 
1420)_(Fig.4).  Der  Grundriss  zeigt  bis  auf  das  genaueste 
die  Übereinstimmung  mit  Lilienteld,  selbst  mit  allen 
Mängeln,  zu  denen  Dr.  Dohme  den  Chorschlnss  in  seiner 
unorganischen  Verbindung  mit  dem  Umgang  rechnet  •. 
Ganz  den  Traditionen  des  Ordens  abhold  werden 
in  dieser  Zeit  die  Grundrisse  der  Kirchen  von  Otter- 
berg  (1200  bis  1277)  und  Dobrilugk  (XHL  Jahrb.)' 
indem  die  Kreuzarme  keinen  Cajiellenbau  haben  und  das 
Altarhaus  im  Grijndrisse  iler  ersteren  i)olygon,  in  jenem 
der  anderen  halbrund  geschlossen  ist.  Dessgleichen 
ganz  abnorm  und  eine  Ausnahmsstellung  einnehmend 
erscheint  die  Kirche  oder  eigentlich  die  davon  nur  mehr 
erhaltene  Apsis  zu  Heisterbach  im  Siebengebirge.  Die 
neuen  constructiven  Ideen,  die  an  diesem  Baue  hervor- 
treten, die  sichtbaren  Erfolge  der  (Jothik  in  Kücksicht 
auf  Raumötfnung,  bessere  Beleuchtung  und  im  Anpas- 

'  S.  Mitth.  d.  Cent.  Comm.   IX,  13S. 


LXXXIV 


Fig.  9  ( Sedletz  I. 


seil  der  Verstrebun- 
gen an  (las  alte  Sy- 
stem machen  densel- 
beu  wicbtig.  Diese  um 
12(i2  bis  iL':;!?  entstan- 
dene Kircbe  erkennt 
D  0  h  m  e  als  unläug- 
bar  verwandt  mit  den 
irleiclizeitigen  Bauten 
des  Cölnersprengels, 
wie  mit  der  Gesammt- 
heit  der  deutschen 
Cistercienser  -  Kirchen, 
zeichnet  sich  aber  von 
beiden  durcli  die  inter- 
essante Umdeutuug 
gothischer  Construc- 
tions  -  Gedanken  aus , 
deren  Vorbilder  wir  in 
Deutschland  zu  jener 
■Zeit  vergeblich  suchen 
würden.  So  finden  wir 
im  Querschift'  die  Ost- 
capeilcn.  aber  auch  in 
der  Ausbildung  des 
halbrund  geschlosse- 
nen Chores  mit  Um- 
gang und  Capellen- 
kranz  das  französische 
Kathedrals^stem  in 
seiner  vorgeschrittenen 
Rntwicklung  zum  ersten  Male  auf  deutschem  Boden. 

In  die  Übergangszeit  füllt  auch  der  Bau  der  Kirche 
des  Nonnenklosters  dieses  Ordens  zu  T  i  s  n  o  v  i  c. 
Schon  zu  Anfang  des  XII.  Jahrhunderts  wurde  die  Ge- 
nehmigung zur  Errichtung  von  Nonnenklöstern  auf  die 
Ordensregel  hin  überhaupt  ertheiU,  allein  die  strenge 
Zucht  konnte  hier  nicht  recht  in  Kraft  erhalten  werden, 
daher  es  kam,  dass  der  Orden  das  Entstehen  solcher 
Klöster  nicht  sehr  begünstigte  und  sich  auch  nicht  beson- 
ders kümmerte,  ob  die  Ordensgewohnheiten  hinsichtlich 
des  Baues  der  Klosterkirche  aufmerksam  befolgt  werden. 
Der  Grundriss  der  nm  12o9  vollendeten  Ti-snovicer 
Kirche  (Fig.  5)  zeigt  uns  eine  dreischitfige  Pfeilerbasi- 
lica  mit  grossem  Querschiff,  nach  Osten  weithin  vor- 
ragendem polygonen  Chor,  flankirt  durch  zwei  poly- 
gonale aus  dem  Quersehilfe  hervortretende  Seitenapsi- 
den. Wir  sehen  die  Bangewohnheit  des  Ordens  ein 
Querschift  mit  Seiteneapellen  gegen  Osten  anzulegen, 
doch  annähernd  beibehalten,  im  Übrigen  trägt  die  Kirche 
einen  selbständigen  Charakter,  der  fast  nicht  an  die 
Eigenthümlichkeiten  der  Cistereienserbanteii  erinnert  ^ 
Obgleich  Dr.  Dohme  in  seinem  sehr  lesenswerthen 
Buche  die  Kirchenbauten  der  Nonnenklöster  dieses 
fJrdens  übergeht,  so  glaubten  wir  bei  unserer  Bespre- 
chung die.ser  Ansicht  nicht  folgen  m  sollen ,  schon 
hauptsächlich  de.s.shalb,  weil  wir  damit  versuchen,  ein 
Gesammtbild  der  Kirchenanlagen  dieses  Ordens  im 
Kaiserstaate  nach  Möglichkeit  zu  biethen. 

Zur  Zeit,  als  die  Gothik  sich  zur  allgemeinen  Gel- 
tung gebracht  hatte,  tritt  die  Bedeutung  "des  Ordens  in 
der  Baukunst  mehr  und  mehr  in  den  Hintergrund,  was 
sich  besonders  im  Nachlassen  in  den  bauliehen  Eigen- 

'  S.  Jshrbucb  der  k.  k.  t  ent.-Comm.  III,  p.   iCU  u    S. 


thümliehkeiten  zeigt.  Man  kann  annehmen,  die  kunst- 
historische Aufgabe  der  Cistercienser  habe  tur  Deutseh- 
land darin  bestanden,  der  Gothik  eine  schnellere  Ver- 
breitung zu  ermöglichen.  In  die  Zeit  dieses  Verbreitens 
fallen  fast  alle  Epoche  machenden  Bauwerke  des 
Ordens,  für  deren  Bedeutung  die  Schönheit  und  Be- 
sonderheit die  an  ihnen  zu  Tage  tritt  nicht  weniger 
massgebend  ist,  als  der  Umstand,  dass  sie  in  Hinsicht 
auf  Stylentwicklung  Schöpfungsbauten  sind.  Zur  Zeit 
der  Gothik  bestand  nicht  mehr  das  enge  Verhältniss 
der  Klöster  unter  einander,  auch  die  Ordensregel  verlor 
etwas  von  ihrer  Härte,  es  traten  bei  vielen  Ordensbau- 
ten Meister  aus  dem  Laienstande  auf,  die  Schiffe  ver- 
loren ihre  auffallende  Länge,  die  alten  Chor-  und  Quer- 
schiöanlagen  werden  wesentlich  variirt,  bunte  Glas- 
gemälde zieren  die  Fenster  und  manch  anderer  bisher 
verpönter  Schmuck  macht  sich  am  Gebäude  bemerkbar. 

Das  erste  Auftreten  der  Gothik  geschieht  in  der 
Ordenskirche  zu  Marien  Stadt  in  Nassau,  gegründet 
]2l'1;  der  Bau  lK',i:ann  1227  und  wurde  1 -'24  geweiht. 
Der  Chor  hat  die  Gestalt  eines  aus  sieben  Seiten  des 
Zwölfecks  gebildeten  Polygons,  umgeben  von  sieben 
halbrunden  Capellen,  die  aus  der  Mauer  selbständig  her- 
austreten, das  Querschift"  ist  mit  (»stcapellen  versehen. 
Ein  Bau  von  reinerer  Gothik  ist  die  Kirche  zu  Kloster 
Haina,  zu  Beginn  des  XllL  Jahrhunderts  in  den  For- 
men der  Übergangszeit  nach  dem  Vorbilde  von  Fonte- 
nay,  jedoch  mit  sechs  Ostcapellen,  in  Angriff  genom- 
men, wurde  sie  1228  in  entschieden  gothischen  Formen 
als  Hallenbau  fdrtgesetzt,  bis  in  der  ersten  Hälfte  des 
XIV.  Jahrhunderts  der  Abschluss  ertblgte. 

In  diese  Zeit  der  aufblühenden  Gothik  fällt  auch 
der  Umbau  der  Kirchen  zu  Porta  und  Amelunxboru 
(gew.  l.'!08),  der  Bau  der  Kirche  zu  Ilude  (Fortsetzung 
der  Schifte  über  das  Querhaus  mit  rechtwinkeligem 
Abschluss )  und  zu  Choriu  (ein  frühgothischer  Back- 
steinbau mit  polygonem  Chorschluss). 

Die  entwickelte  Gothik  hat  im  westlichen  Deutsch- 
land nur  einen  vollständigen  Kirchenban  aufzuweisen, 
nämlich  jenen  von  Salmansweiler,  welcher  an  der 
Stelle  der  romanischen  Kirche  1285  begonnen.  1311 
vollendet  wurde.  Der  Grundriss  zeigt  eine  Bereichening 
des  von  Hude  und  Amelunxborn;  wieder  ist  der  Chor 
geradlinig  geschlossen  und  Seitenschifte  begleiten  im 
Norden  und  Süden  das  Altarhaus,  sind  jedoch  durch 
Capellen  erweitert.  Die  meisten  Aufgaben  der  Zeit  der 
entwickelten  Gothik  beschränkten  sieh  bei  Ordens- 
kirchen auf  Zu-  oder  nur  theilweise  Umbauten  älterer 
Kirchen,  oder  höchstens  darauf,  dass  ein  Neubau  be- 
gonnen aber  ni<ht  vollendet  wurde. 

Im  deutschen  Südosten  begegnen  wir  der  österrei- 
chisch-böhmischen Gruppe  der  Hallenkirchen,  eine  Form, 
die  nur  hier  innerhalb  des  Ordens  zu  allgemeiner  Gel- 
tung gelangte,  ohne  dass  diese  Anlage  gerade  der 
Ordensaufgabe  besonders  entsprechen  würde.  Das 
höchste  Alter  dürfte  unter  diesen  Bauten  die  Kirche  zu 
Hohen  fürt  besitzen,  eines  Klosters,  das  vomWilhering 
aus  bevölkert  wurde.  Der  Kirchenbau  dürfte  sehr  lang- 
sam vor  sich  gegangen  sein,  denn  wenn  auch  nach  12.59 
von  einer  Kirdiwcihe  berichtet  wird,  so  kann  diese  nur 
auf  den  östlichen  Theil  bezogen  werden,  der  westliche 
trägt  die  unerträglichen  Merkmale  des  XIV.  Jahrhun- 
derts an  sich  und  dürfte  dessen  Vollendung  in  die  zweite 
Hallte  desselben  fallen.   Der  Grundriss  (Fig.  6)  dieser 


LXXXV 


Hallenkirche  zeigt  die  ausgesprochene  An- 
lage des  Quersehiffes  mit  einem  aus  fünf 
Seiten  des  Achteckes  geschlossenen  Altar- 
liause  und  je  zwei  dem  Querbau  gegen 
Usten  angeschlossene  Capellcn,  davon  nur 
zwei  geradlinig  schliessen. 

In  diese  Gruppe  gehört  der  (s.  Fig.  1 1 
in  blühender  Gothik  erbaute  gerade  Chor- 
schluss  der  Klosterkirche  zu  Heiligen- 
kreuz, der  die  Form  jenes  zu  Amelunx- 
born  hat.  Er  bildet  ein  Rechteck,  durch 
vier  mit  Halbsäulcn  besetzten  Bündelpfei- 
ler in  drei  gleiche  Hallen  gctheilt.  Drei 
l'feilerpaare  ausser  den  Vierungspfeilern 
theilcn  den  Raum  in  dreimal  vier  Felder  '. 

In  die  Späthgothik  gehört  die  Kirche 
des  um  1 327  gestifteten  Klosters  N  e  u  b  e  r g. 
Die  Stiftskirche  wurde  um  1471  erbaut, 
ist  eine  dreischiffige  Hallenkirche ,  mit 
.schwach  angedeutetem  Querschiff ,  die 
Schiffe  gleich  lang  und  ohne  besonderem 
Altarhause  geradlinig  geschlossen  (Fig.  7), 
so  dass  der  ganze  Bau  ein  oblonges  Viereck 
bildet. 

Eine  besondere  Gruppe  bilden  die 
Kirchenbauten  in  den  Klöstern  Zwettl  und 
Öedletz,  in  denen  das  französische  System 
der  Grundrisse  für  Kathedralkirchen  ange- 
nommen erscheint.  An  Stelle  der  alten 
Kirche  zu  Zwettl  begann  1335  der  Neu- 
bau, davon  der  Chor  um  1348  geweiht 
wurde,  ein  Prachtbau  im  wahren  Sinne 
des  Wortes,  der  sich  leider  nur  auf  den 
Chor  und  die  beiden  ersten  Gewölbetra- 
veen  des  Langhauses  beschränkte.  Der 
Grundriss  (Fig.  8)  erinnert  so  schlagend 
an  die  Notredame  in  Paris  ,  dass  kein 
Zweifel  darüber  sein  kann ,  der  Meister 
habe  jenes  Werk  gekannt  und  an  ihm 
studirt.  Dort  finden  sich  die  Vorbilder 
tür  die  rechteckigen  Capellen  und  die  Fort- 
führung derselben  an  den  Seiten  des  Lang- 
hauses. Zugleich  gehört  Zwettl  y.u  einer  der  ältesten 
Kirchen  Deutschlands ,  die  die  Hallenform  mit  dem 
Umgang  verbinden.  Der  Altarraum  ist  fünfseitig,  der 
mit  neun  Capellen  versehene  Umgang  aus  dem  Achteck 
geschlossen  '». 

Die  noch  bestehende  Kirche  des  wohl  nicht  mehr 
existirenden  Stiftes  Sedletz  der  ersten  Cistercienser- 
Ansiedlung  in  Böhmen  wurde  zwischen  1280  und  1320 
vom  Grunde  aus  neu  erbaut,  jedoch  1421  von  den 
Taboriten  niedergebrannt.  Durch  mehr  als  200  Jahre 
blieb  die  Kirche  Ruine,  erst  1693  begann  ihre  Wieder- 
herstellung, wobei  man  alles  Stehengebliebene  schonte 
und  benützte.  Es  ist  sichergestellt,  dass  der  in  Fig.  9 
mitgetheilte  Grundriss  der  Stiftskirche  unverändert  blieb. 
Dies  ist  aber  fast  alles,  was  noch  vom  altem  P)esfande 
Zeugniss  gibt,  denn  die  Wände  hat  das  XVII.  Jahrhun- 
dert in  seiner  damals  belie';ten  Ausschmückung  wahr- 


"  Hei  der,  E  ss  e  n  w  ei  n  und  S  c  h  n  a  a  s  e  lialten  aus  architektonisciien 
Gründen  das  Ende  des  XIY.  Jahrliunderis ,  K  u  g  I  c  r  und  Feil,  letzterer 
gestützt  auf  urkundliche  Xachrichteu,  das  Ende  des  \III.  Jahrhunderts  als  die 
Zeit  dieses  Baues.  S.   Mittheil.   d.  k.   k.   Cent,  Comm.   IV.   3lS  u     VI,   Hl.i. 

'"Ausführlich  bespricht  diesen  Kinhenbau  Freiherr  v.  Sacken  in 
Heider's  und  Eitelberger's  Werke  II. 


Fig.   10  fBiiinn). 

haft  entstellt.  Wir  sehen  an  dieser  Kirche  das  Kathe- 
dralsystem  noch  mehr  entwickelt  und,  weil  der  Bau 
vollendet,  auch  klarer  hervortreten.  Die  Kirche  ist  fünf- 
schiffig,  hat  ein  dreischiffiges  Querschiff,  jenseits  dessen 
sich  die  je  zwei  Seitenschiffe  als  Umgang  um  den  aus 
dem  Achteck  geschlossenen  Chor  vereinen,  und  dabei 
neun  polygon  geschlossene  und  etwas  vorspringende 
Capellen  bilden,  wodurch  der  Umgang  als  eine  Cou- 
struction  aus  einem  Sechzehneck  erscheint.  Die  Kirche 
hat  ülirigens  keinen  Thurm,  nur  einen  Dachreiter  ". 

Der  schliesslich  beigegebene  Grundriss  (Fig.  10), 
der  um  die  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  entstandenen 
Kirche  des  Königinkloster.s  in  Brunn,  das  ursprüng- 
lich Cistercienser  Nonnen  bewohnten  und  gegenwärtig 
Augustiner  inne  haben  ,  beweist ,  wie  wenig  bei  Kir- 
chenbauten für  Nonnen  dieses  Ordens  an  den  Bautradi- 
tionen desselben  gehalten  wurde,  was  schitn  bei  Gele- 
genheit von  Ti.siKivic  erwähnt  wurde  '•. 

Nach  Besprechung  der  Zwettler  Kirche  kehrt 
Dr.    D  o  h  m  c    wieder    in    die    ausserösterreichischen 


"   S.  MittUeil.   d.   k.   k.   Cent.   L'oinm    Vi.   SIG. 
'•  S.  Miltheil.  d.  k.  k.  Cent.  Comm.  VII,  p     11. 


LXXXVI 


Länder  Deutsehlands  zurüik  und  bespricht  noch  die 
Cisteicienserkirehe  zn  K  a  i  s  h  e  i  m  »^ähnlich  der  zu 
Zweiili.  geweiht  1387.  und  die  gothischen  Neubauten 
zu  Alteuberg  und  Dargun. 

Als  dritter  Abschnitt  ist  diesem  tür  das  Studium 
der  kirchlichen  Archäologie  \vichiigen  Buche  eine  Filiu- 
ti.ms- Zusammenstellung  der  deutschen  Cistercienser- 
kh'Ster  beigegeben .  in  welcher  hinsichtlich  der  öster- 
reichischen Kliister  einige  Miingcl  und  Lücken  beste- 
hen ,  die  wir  hiermit  zu  verbessern  und  auszutlilleu 
bereit  sind.  Das  in  Steiermark  betindliche  Stift  Hain  ", 
gestiftet  am  1129.  ist  eine  Filiale  von  Ebrach,  und  sen- 
dete 1154  Mönche  zur  Stiftung  von  Wilhering,  und  erst 
als  diese  Stiftung  einging,  sandte  1 185  Kbrach  eine 
Colonie  nach  Wilhering. "  1  i"J3  wurde  von  Wilhering 
aus  das  Kloster  Engelszell  besetzt.  Auch  Neukloster  ist 
ein  Zweig  des  Stiftes  Rain,  Ton  woher  Kaiser  Friedrieh 
IV.  die  ersten  Mönche  in  seine  im  Jahre  1444  ge- 
machte Stiftung  berief'*.  1620  gingen  von  Kain  Mönche 
nach  Schlierbach  in  Ober-Österreich,  wo  bis  dahin  ein 
Nonnenkloster  dieses  Ordens  bestand.  Von  dem  für  die 
Ausbreitnngdes  Cistercienser-Ordens  so  wichtigen  Hei- 
ligenkreuz, das  Zwettl,  Baumgartenberg  ü,  Lilienfeld, 
Goldenkron  '«  und  Neuberg  als  seine  Töchterstiftungen 
nennt,  zogen  11 42  Mönche  zur  Stiftung  von  Cicador  und 
1 195  von  Marienberg  aus,  die  beide,  in  Ungarn  gelegen, 
1526  eingingen.  Dr.  K.  Lind. 

Der  Alterthums-Yerein  in  Wien. 

Mit  der  Abendversammlnng  am  3.  Mai  1869  wurde 
die  Reihe  der  für  die  vergangene  Wintersaison  bestimm- 
ten Vereiusabende  beschlossen.  Wie  ursprünglich  fest- 
gestellt, wurden  sechs  Vereinsabende  abgehalten,  wovon 
zwei,  nämlich  der  erste  und  letzte,  mit  einer  General- 
Versammlung  in  Verbindung:  gebracht  werden  sollten. 

Es  war  ein  recht  glücklicher  Gedanke,  derlei  Mit- 
glieder-Versammlungen einzuführen  und  sie  jährlich 
fortzusetzen.  Abgesehen  davon,  dass  damit  eine  nähere 
Berührung  der  einzelnen  Vereinsmitglieder  und  dadurch 
ein  regerer  Verkehr  derselben  untereinander  zu  Zwecken 
des  Vereines  möglich  wurde,  wurde  zugleich  oftmalige 
Gelegenheit  geboten,  einzelne  Kunst-  und  archäolo- 
gisch interessante  Gegenstände  zur  Ausstellung  und 
Kenntniss  der  Mitglieder  zu  bringen,  es  wurden  viele 
sehr  belehrende  Vorträge  über  interessante  The- 
mata und  Gegenstände  gehalten  und  das  Leben  des 
Vereines  so  gekräftigt,  dass  das  Aufhören  der  Vereius- 
abende sicherlich  die  Existenz  des  Vereines  in  Frage 
stellen  könnte. 

Die  Aufnahme  der  hoch  interessanten  Burg  Vajda- 
Hunyad  in  .Siebenbürgen,  deren  Restauration  und  Wie- 
derversetzung in  bewohnbaren  Stand  die  ungarische 
Landesvertretung  ans  Landesmitteln  beschlossen  hat, 
und  das  Zusammentreffen  mit   der  Herausgabe  dieser 

"  Die  Stiful^irchc  za  Rain  blieb  bis  ias  XVIII.  jAbrbundert  erhalten, 
wo  lie  dmoD  am<ebaur  wurde.  Kioer  Abbildung  zufolge  war  sie  ein  schmales 
langes  Gebäude  rnii  :;eradem  Cborschlnsse  ohae  Qaer»cbiff  und  mit  Dachreiter. 
S.  Mitlheil.  d    k.  k.  Cenl.  C-imm.   l^M  p.   XL,  a.  is<;5  p     2lIX. 

'*  Die  Dreifaltigkeitakirrhe  sommt  Kluster  war  bis  dahin  dem  Dominicaner- 
Orden  gehörig,  der  beit  I-i25  dort  i^e^Tlftet  war  und  bodann  in  das  St.  Petersklo- 
iter  iu  Wiener-Stustadi  äberttedrlte. 

'•'  Zu  haumgartrDberg  dürfte  die  erste  Stiftskirche  um  1142  entstanden 
sein,  13rj  erhielt  dm  Kirche  Tbitriiie  mit  grossen  Glocken,  lt2<.'  wurde  sie  von 
den  HusBiteu  zentört,  der  Neubau  fällt  in  die  Mitte  des  XV.' Jahrhunderts. 

'*  Die  Kirche  dieses  Siift-  »  wurde  um  lifio  erbaut  und  ist  ;;rösstentheils 
in  ihrer  ursprünglichen  Form  erhalten,  ein  g-ilhischer  dreisfhiffiger  Bau  von 
90  Schritt  L.-ioge  und  -^4  Si-hritt  SL-hiffbreite,  mit  t^uerschiff  uod  aus  dem  Zwölf- 
eck gebildeten  Chorschluss.  S.  Jlitlheil.  d.  Cent.   Comm.   HI,  173. 


Aufnahmen  durch  den  Wiener  Architekten -Verein,  ge- 
nannt die  „BauhUite-  '  gab  am  15.  November  1868  dem 
gefeierieu  Wiener  Dombaumeister  und  Protessor,  Ober- 
liaurath  .Schmidt  Aulass,  einen  kurzen  aber  ganz  inter- 
essanteu  Vortrag  über  dieses  merkwürdige  Bauwerk 
zu  halten.  Professor  .Schmidt  nahm  die  ausgestellten 
Ansichten  zum  Ausgangspunkte  seines  Vortrages.  Er 
erwähnte,  dass  im  Jahre  1867  diese  .Schlossrnine  das 
Ziel  einer  Studienreise  der  Schüler  der  Wiener  Arehi- 
tekturschule  wurde,  nachdem  durch  Mittheilungen  des 
rrofcssors  Aranyi  iu  Pest  Kunde  von  diesem  fern 
abliegenden  .Schlosse  geworden,  von  dem  es  aber  auch 
verlautete,  dass  es  schon  Ruine  sei  und  im  Begriffe 
stehe,  es  noch  mehr  zu  werden. 

Jedem,  der  den  Weg  gegen  Siebenbürgen  schon 
einmal  zurüikgelegt  hat,  wird  aufgefallen  sein,  «ne  von 
.Station  zu  .Station  der  Eindruck  des  Ostens  immer  deut- 
licher wird,  wie  das  Culturleben  des  Westens  mehr  und 
mehr  iu  den  Hintergrund  tritt  und  der  Orient  in  seinem 
Farbenglanze  sowohl  in  der  Natur  als  auch  in  der  äusse- 
ren Erscheinung  der  Bewohner  hervortritt.  Noch  leben- 
diger ist  jedoch  dieser  Eindruck,  wenn  man  die  weite 
unabsehbare  Puszta  verlässt  und  den  herrlichen  Grenz- 
wall .Siebenbürgens  überschreitet.  Da  auf  einmal  findet 
man  sieh  fern  ab  von  den  Gedanken  und  Ideen,  welche 
den  Werten  beleben;  man  befindet  sich  vor  den  Resten 
einer  uralteu  Cultur,  deren  Wurzel  ganz  anderswo, 
nämlich  im  .Süden,  zu  suchen  sind. 

Eigentliümlieh  wie  das  Volk  ist  auch  das  Land, 
beinahe  möchte  man  sagen,  dass  eine  antike  Land- 
schaft auftritt ;  es  ist  nicht  der  antike  .Schwung  des 
deutschen  Waldes,  nicht  der  heroische  Ausdruck  der 
Karpaten,  sondern  des  Terrassengebirges,  \yie  ihn  der 
.Süden  zeigt.  Der  Reisende,  der  diese  Burg  aufsucht, 
Ulli  au  ihr  ein  ehrwürdiges  Bauwerk  der  Vergangenheit 
zu  tindeu,  wild  sich  nicht  enttäuscht  fühlen.  Sehr 
grosse  Erwartungen  werden  übertroffen.  Dem  Forscher 
erschliessl  sich  eine  Herrlichkeit,  die  sich  nicht  mit 
Worten  wiedergeben  lässt. 

Es  ist  ein  eigentliümlieh  Bild,  wenn  man  beachtet, 
dass  das  herrliche  Schloss  von  Hütten  der  Walachen 
umgeben  ,  dass  dort  Holzarchitektur  das  einzige 
.Symptom  von  Architektur  ist,  welches  den  majestäti- 
schen Bau  umgibt,  und  dass  auf  dem  nächsten  Hügel 
eine  walachische  Kirche  steht,  welche  einige  Spuren 
gothisclier  Architektur  zeigt,  innen  aber  ganz  im  grie- 
chischen .Style  ausgeschmückt  ist,  so  dass  man  sagen 
kann,  diese  Kirche  mit  der  .Schlossruine  ist  eine  Kunst- 
Oase  mitten  im  weiten  Umkreise. 

In  jedem  Laude ,  welches  an  und  für  sich  eine 
fortlaufende  Kunstgeschichte  hat,  welches  in  ziemlich 
ununterbrochener  Weise  gleichzeitig  Kunstfonnen  ge- 
schaffen hat ,  gibt  sich  ein  bestimmter  Typus  kund, 
nach  welchem  das  Alter ,  so  wie  die  Entwicklungs- 
geschichte mit  apodyktischer  Gewissheit  benrtheilt 
werden  können.  Anders  verhält  es  sich  mit  Ländern, 
welche  aus  sich  selbst  heraus  eine  selbslämligc  Cultur- 
Geschichte  niemals  entwickelt  haben,  sondern  wo  aus 
anderen  Gegenden  Kunstideen  und  Kuusterzeugnisse 
hineingetragen  worden  sind.  Als  ein  solches  Erzeug- 
niss  ist  dieses  Schloss  zu  betrachten.  Es  wurde  nicht 
von  den  dortigen  Eingebornen  auf  Grund  ihrer  Kunst- 

'  Zahlreiche  Abbildungen  dieser  Burg,  m  der  Ausgabe  der  „Baabütte** 
waren  damals  ausgestellt. 


LXXXVII 


ideen,  sondern  theils  durch  deutsche,  theils  durch  fran- 
ziisischc  und  theils  durch  italienische  Hände  Geschäften. 
Es  ist  das  ein  hochwichtiger  Punkt,  welcher  bei  der 
Beurtheiliins;-  aller  östlich  gelegenen  mittelalterlichen 
Bauwerke  zu  lierUcksichtigeu  ist. 

Nun  ging  Professor  Seh  ni  i  d  t  auf  die  Einzelnheiten 
des  Baues  über.  AVir  heben  daraus  nur  hervor,  dass 
schon  eine  oberflächliche  Betrachtung  darthut,  dass  er 
nicht  aus  einem  Gusse  entstanden  ist.  Es  ist  anzuneh- 
men, dass  der  mächtige  Fürst  Miklos  Hunyad  diese 
Burg  erbaute  und  dass  sein  Sohn,  der  bekannte  Ma- 
thias Corvinus  ihr  erst  die  Ausstattung  gegeben  hat, 
deren  weitere  Vollendung  dem  Könige  Bethlen  (ia- 
bor  zuzuschreiben  ist:  duch  sind  die  urkundlichen  Be- 
helfe über  die  Geschichte  dieser  Burg  sehr  lückenhaft. 

Das  .Schloss  ist  auf  einem  schmalen  Bergrücken 
erbaut,  dessen  äusserste  Spitze  den  Thurm  trägt. 
Schrolfe  Felsabhänge,  künstlich  gebildete  Schluchten 
umgeben  das  Schloss.  Der  Bergrücken  bildet  in  seiner 
Verlängerung  ein  flochplateau,  erhebt  sich  dann  noch- 
mals steil  und  fällt  jenseits  in  ein  reizendes  Thal  ab. 
Das  ursinüngliche  Vertlieidigungssystem  war  auf  dieses 
Terrainverhältniss  gegründet;  die  steilen  Abhänge  und 
Schluchten  machten  die  Ost-,  Süd-  und  Westseite  sturm- 
frei und  der  Haui)tvertheidigungs]iuukt  war  auf  die 
Nordseite  verlegt.  Der  Eingang  der  Burg  hat  sich  früher 
auf  der  entgegengesetzten  Seite  bei  dem  haliimondför- 
migen  Vorbau,  der  aus  späterer  Zeit  herrührt,  befunden. 
Der  jetzige  Haupteiugang  ist  aus  viel  neuerer  Zeit  und 
dürfte  in  Verbindung  mit  der  Brücke  ganz  und  gar  von 
Holz  gebaut  gewesen  sein,  während  beide  unter  König 
Bethlen  Gabor  von  Stein  aufgeführt  wurden. 

Die  ursprüngliche  Form  der  Burg  wurde  erweitert 
höchst  wahrscheinlich  in  der  Zeit  der  Erfindung  des 
Schiess])ulvers,  denn  es  ist  auf  Schussweite  ein  Ver- 
thcidigungsthurm  erbaut  worden,  dermit  dem  vollständig 
massiv  überwölbten  Mordgange  mit  der  Burg  in  Verbin- 
dung steht.  Mit  den  damaligen  Geschossen  war  man  in 
der  Lage,  von  diesem  Thurme  aus  die  Burg  vollständig 
zu  beherrschen. 

Was  die  allgemeine  Bedeutung  der  Burg  in  architek- 
tonischer Beziehung  betrifft,  so  bezeichnet  sie  Professor 
Schmidt  nicht  für  ein  einfaches  Bollwerk,  sondern 
für  einen  grossen  Sammelort,  oder,  wie  man  in  der  Mili- 
tärsprache sagen  würde,  für  ein  verschanztes  Lager,  das 
mit  einer  Menge  kleiner  Burgen  in  den  Nebenthälern  in 
Verbindung  steht.  Das  Ganze  bildet  also  ein  System,  in 
welchem  die  Burg  Hunyad  als  Centralpunkt,  die  übri- 
gen als  vorgeschobene  Posten  erscheinen. 

Sehrbeachtenswürdig  ist  der  prachtvoll  geschmückte 
Saalbau  mit  seinen  ungeheueren  Dimensionen. 

Professor  Schmidt  lenkte  ferner  die  Aufmerksam- 
keit der  Zuhörer  auf  die  fortificatorischeu  Anlagen  des 
Gebäudes,  wie  auf  das  überall  vorkommende  Zurück- 
springen des  Fusses  der  Mauer;  es  ist  das  die  traditio- 
nelle Form  der  „Pechnase",  welche  verhinderte,  dass 
beim  Herabwerfen  der  tödtlichen  Steingeschosse  der 
Fuss  der  Mauer  beschädigt  wurde. 

An  der  Innenseite  des  Ganges  vor  dem  grossen 
Saale  bilden  fortlaufende  Erker  eine  Nischenreihe,  aus 
denen  man  die  prachtvollste  Aussicht  in  die  Ferne  ge- 
niesst  und  es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  die  guten 
Alten,  bei  allem  Feuereifer  für  hohe  Ziele  nicht  auf  die 
Annehndichkeiten  des  Lebens  vergassen.   Namentlich 

XIV. 


kann  ein  schönerer  Baum,  wie  der  grosse  Saal  mit 
seinen  allerdings  nur  mehr  in  Spuren  vorhandenen 
Säulen,  Bögen  und  Wölbungen,  mit  seiner  prachtvollen 
Ausschmückung  nicht  leicht  gefunden  werden. 

Als  Anhaltspunkte,  dass  deutsche,  französische  und 
italienische  Hände  bei  dem  Ausbaue  thätig  waren,  be- 
zeichnete der  Vortragende  vorerst  den  Umstand,  dass 
das  Zeichen  der  Wiener  Bauhütte  mit  dem  Schlüssel 
sich  öfters  findet.  Es  lässt  diess  keinen  Zweifel  übrig, 
weil  nur  die  Wiener  dieses  Zeichen  geführt  haben. 

Der  Grund,  warum  den  Franzosen  ein  Einfluss 
zugewiesen  werden  muss,  ist,  weil  die  Fa^ade  viele 
Formen  zeigt,  die  in  Deutschland  keinen  Anklang  fan- 
den, sondern  rein  französische  Producte  sind.  Es  scheint 
die  Annahme  Berechtigung  zu  haben,  dass  ein  französi- 
scher Architekt  disponirt  gewesen  ist  und  dass  deutsche 
Künstler  den  Bau  ausgeführt  haben,  während  die  ita- 
lienischen Künstler  erst  um  die  Zeit  Bethlen  Gäbor's 
gewirkt  haben  mögen,  denn  es  sind  Theile  in  Renais- 
sance ausgeführt,  die  unzweifelhaft  italienischen  Ur- 
sprunges ist. 

Nebst  dem  grossen  lüttersaale  ist  in  architektoni- 
scher Beziehung  zunächst  die  Capelle  erwähnenswerth. 
Diese  ist  mit  der  Burg  durch  eine  Loggia  verbunden. 

Der  jetzige  Stiegenaufgang  scheint  secundär,  wahr- 
scheinlich aus  der  Gäbor'schen  Zeit  zu  sein.  Auch  der 
verborgene  Gang  zur  Burg  ist  noch  sichtbar,  ahcr  natür- 
lich nicht  mehr  zugänglich.  Höchst  merkwürdig  ist  der 
Capistran-Thurm,  von  dem  behauptet  wird,  dass  Capi- 
stranus  längere  Zeit  in  dieser  Burg  sich  aufgehalten 
habe.  — 

Am  4.  December  186S  (2.  Vereins-Abend)  wurden 
zwei  Vorträge  gehalten.  Zuerst  sprach  Professor  Bitter 
V.  Perger  über  die  ehemaligen  Schmiede-  oder  Wie- 
landsäulen;  es  sind  diess  jene  meistens  hölzernen 
Säulen ,  welche  man  in  früheren  Zeiten  vor  den  Werk- 
stätten der  Schmiede  und  Wagner  aufgestellt  fand.  Der 
Obertheil  war  grösstentheils  schraubenförmig  gewunden 
und  die  Spitze  zierte  der  Kopf  eines  bärtigen  Mannes, 
bedeckt  mit  einer  Krone,  einem  Helme  oder  einer  Haube. 
An  der  Säule  sah  man  ein  Ead  und  verschiedenartige 
eigenthümliche  Ausschnitte  angebracht,  welche  die 
Maasse  zeigten,  nach  welchen  gewisse  Bestandtheile 
eines  Wagens  kunstgemäss  verfertigt  werden  mussten. 
Diese  Säulen  waren  .stets  grün,  oder  grün  und  weiss 
angestrichen  und  befanden  sich  bis  in  die  Dreissiger- 
Jahre  unseres  Jahrhunderts  allenthalben  aufgestellt. 

Professor  Per g er  gibt  diesen  Säulen  eine  weit 
andere  und  wichtigere  als  die  einfach  handwerks- 
mässige  Bedeutung,  und  greift  mit  ihrem  Ursprung  bis 
in  das  heidnische  Alterthum  und  die  Sage  zurück.  Mit 
grossem  Geschick  und  in  geistreicher  Weise  fand  er  in 
ihnen  eine  innige  Beziehung  auf  Wieland  oder  Weland 
den  Schmied,  der  in  der  germanischen  Sage  eine  so 
bedeutende  Rolle  .spielt,  wie  Hephaistos  und  Vulcau 
bei  den  Griechen  und  Römern  und  Tubalkain  bei  den 
Juden. 

Im  Mittelalter  wurden  die  Werkstätten  der  Wafien- 
schmiede  Wielandshäuser  genannt,  das  Bdd  Wieland's 
war  vor  ihnen  aufgestellt  und  allenthalben  findet  man 
in  Deutschland  Schmiedsagen,  die  sich  in  letzter  Quelle 
auf  Wieland  zurückführen  lassen.  Auch  bei  uns  wurden 
Wieland  zu  Ehren  Standsäulen  mit  seinem  Bildnisse 
aufgestellt,  nur  vergass  man  allmälig  die  Tradition  und 


Lxxxvrir 


die  Säule  sauk  zum  Haudwerkszeichen.  Aber  auch  diess 
bestellt  nicht  inelir.  die  Verbreiterung  der  Strassen,  die 
Änderung  im  Gewerbewesen  und  Betriebe,  und  vieles 
andere  unserer  nlichterneu  Zeit  hat  auch  dieses  Denk- 
mal der  Yolkspoesie  beseitigt. 

Sodann  behandelte  Herr  Haupt  die  Sage  vom 
Venusberg  und  dem  Tannhäuscr.  Zuerst  besprach  er 
das  häutige  Vorkommen  der  Frau  Venus,  der  germa- 
nischen Göttin  Fria.  in  den  mittelnlterlicheu  Dichtern 
Deutschlands,  bemerkt,  dass  Fria  in  der  Heldensage  als 
Bolfria  erscheint,  und  des  Kkkehart  treulose  Geraah- 
liu  ist.  wies  nach  das  oftmalige  Vorkommen  des  Wortes 
Venus  bei  geographisch-localer Bezeichnung,  wie  Veuus- 
berg,  Venusdorf  etc.  vornemlich  iu  Sehwaben.  Sodann 
sprach  er  seine  Meinung  ans,  dass  der  in  den  Venus- 
Gedichten  so  oft  vorkommende  getreue  Eckhart  niemand 
anderer  sei,  als  der  in  der  deutschen  Sage  so  hoch 
berühmte  Herzog  Eckehart  der  Pfleger  der  Harlungc, 
und  verlegt  dessen  Sitz  nach  Breisach,  obwohl  noch 
nicht  mit  Gewissheit.  Unter  Tannhauser  versteht  er 
nicht  den  salzburgischen  Minnesänger  am  Hofe  Fried- 
rich des  Streitbaren,  sondern  den  im  Walde  Hausen- 
den, wahrscheinlich  den  Wittich  der  Vilcinasagar  uud 
versucht  dabei  seine  Ansichten  häufig  durch  philolo- 
gische Deduetionen  zu  begründen.  Es  ist  nicht  zu 
leugnen,  dass  Haupt  viel  beachtenswerthes  und  neues 
vorbrachte,  was  von  den  Zuhörern  um  so  mehr  mit  In- 
teresse angehört  wurde,  als  der  Name  Tannhäuser  eben 
jetzt  in  der  ^[usikwelt  grössere  Verbreitung  gefunden 
hatte. 

Am  dritten  Vereinsabende  (15.  Jänner  18G9)  hielt 
Se.  Excellenz  Carl  Freiherr  von  Ransonnet  einen 
Vortrag  über  die  nordischen  Museen  zu  Stockholm, 
Christiania  und  Kopenhagen.  Die  Zuhörer  folgten  mit 
grossem  Interesse  den  Wanderungen  des  Vortragenden 
durch  die  einzelnen  Sannulungen,  von  denen  er  jene  zu 
Stockholm  als  die  bedeutendste  schilderte.  Das  histori- 
sche Museum  daselbst  besteht  aus  den  Abtheilungen 
der  Stein-,  Bronze-  und  Eisenzeit  und  aus  jenen  der 
christlichen  AlterthUmer.  Unerreicht  in  Beziehung  auf 
Zahl  und  Mannigfaltigkeit  sind  daselbst  die  Überreste 
der  vorhi-storischen  Steinzeit,  wo  die  Einwohner  des 
heutigen  Schwedens  den  Gebrauch  der  Metalle  noch 
nicht  kannten  und  statt  derselben  Kiesel  und  Feuerstein 
als  Waffe  und  Werkzeug  benutzten.  Reichhaltig,  wenn- 
gleich nicht  im  selben  Grade,  sind  die  Sammlungen  aus 
der  Bronze- und  Eisenzeit,  jenen  zwei  Culturperioden, 
wo  bekanntlich  auch  schon  Gold  und  Silber  und  zwar 
oft  sehr  zierlich  verarbeitet  wurde.  Begreiflich  fehlt  es 
in  einem  schwedischen  Museum  nicht  an  Inschriften  ndt 
runischen  Schriftzügen.  Die  christlichen  Altcrthünier  des 
Museums  scheinen  im  Ganzen  von  geringerer  Bedeutung 
zu  sein  als  jene  der  vorhistorischen  Heidenzeit  und 
dürfte  noch  vieles  im  Lande  zerstreut  liegen,  wofür 
unter  anderem  auch  der  Umstand  spricht,  dass  das 
protestantische  Schweden  auf  der  letzten  Pariser  Welt- 
ausstellung mehr  und  schönere  mittelalterliche  Mess- 
gewändcr  nach  katholischem  Ritus  zur  Ausstellung 
brachte,  als  irgend  ein  katholischer  Staat. 

Als  ganz  eigenthündiihc  Sannulungsgegenstände 
des  Museums  zu  Christiania  hob  Baron  Ran  sonnet 
hervor  die  daselbst  befindlichen  (Überreste  uralter  nor- 
wegischer Holzkirchen  aus  dem  XI.  und  XII.  .lahr- 
hundert. 


Von  grosser  Wichtigkeit  ist  das  historische  Museum 
in  der  Hauptstadt  Dänemarks,  wo  schon  im  .lahre  1S07 
eineConimission  „förNordiske  Oldsager's  0|)hevarnihg- 
gebildet  wurde.  Die  Samndungen  sind  in  einem  könig- 
lichen Palaste  aufgestellt,  die  zweckmässige  Anordnung 
und  der  schön  illustrirte  Katalog  machen  den  Besuch 
ebenso  lehrreich  als  angenehm,  Sie  umfassen  die 
Periode  von  der  Steinzeit  bis  zur  Mitte  des  XVH.  Jahr- 
hunderts. 

Längcrc  Zeit  und  ausführlicher  bespricht  Baron 
Ran  sonnet  zwei  iu  ihrer  Art  seltene  Arten  von  .\lter- 
thUmern.  Es  sind  diess  die  sogenannten  Küehenreste  und 
die  Moosfunde.  Erstere  sind  Anhäufungen  von  .Vustern 
uud  anderen  Muschelschalen  gemengt  niitTliierknoehen. 
Diese  Anhäufungen  meistens  an  den  Ufern  des  Kattegat 
und  der  beiden  Belte  befindlich,  l)etragen  Millionen  Ku- 
bikscbuhe  und  reicht  deren  Entstehung  weit  iu  die  vor- 
historische Zeit  zurück.  Unter  Moosfnnden  versteht  man 
die  in  den  Torfmooren  auf  Füuen  und  Seeland,  Jütland 
und  Schleswig  gemachten  Funde  von  Waffen,  (Jcräthcn, 
ja  Kleidern  und  Geweben,  die  in  den  unteren  Torf- 
schichten lagern.  Die  Archäologen  wollen  darin  eine 
Kriegsbeute  erkennen,  welche  zu  Ehren  der  Götter,  ins- 
besondere Othin's,  vollständig  vernichtet  in  den  Moor 
versenkt  wurden,  ohne  dass  sich  der  Sieger  irgend 
etwas  davon  zugeeignet  hätte. 

An  demselben  Abende  besprach  Dr,  Lind  einen 
Plan  der  Stadt  Wien,  den  Professor  Glax  im  Jahre 
1849  in  der  Kartensammlung  des  J.  M.  v.  Reider 
zu  Bamberg  gefunden  hatte  und  der  nun  Eigenfhum  des 
Dr.  Georg  Theodor  von  Karajan  ist.  Derselbe  zeigt 
zwar  kein  volles  Bild  von  Wien,  da  die  eigentlichen 
Häusergruppen  uudStrassenzUge  fehlen,  ist  auch  sicher- 
lich nicht  iu  allen  seinen  Angaben  auf  JIcssungen 
basirt.  wird  aber  unstreitig  durch  das,  was  er  zeigt, 
ein  hüchst  werthvolles  Denkmal  von  höchster  Belehrung 
für  das  Studium  der  Entwicklung  der  Siadt  Wien  in 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts.  Ausser  der  Burg  nnd  der 
Universität  ist  kein  Gebäude  darauf  eingezeichnet,  das 
nicht  gottesdienstlichem  Zwecke  gedient  hätte,  daher  wir 
wohl  gegen  20  Kirchen  und  Capellen  inner  nnd  ausser 
der  durch  die  Ringmauer  bezeichneten  Stadt  sehen. 
Aber  gerade  diese  Ringmauer  mit  ihren  Thoren  undTliiir- 
men  ist  eine  der  werthvollsten  Angaben  dieses  Planes. 
Nicht  minder  wichtig  ist,  dass  eine  Menge  von  Gottes- 
häusern in  den  ehemaligen  Vorstädten  angegeben  sind, 
über  deren  Existenz  geschweige  der  Situation  nichts 
oder  weniges  und  unsicheres  bekannt  war.  Auch  dass 
man  auf  diesem  Plan  den  Weg  verfolgen  kann,  den 
einstens  ein  durch  die  Stadt  geleiteter  Arm  des  Alser- 
baches  nahm,  erhöht  seinen  Werth,  da  dadurch  eine 
unter  den  Gelehrten  bisher  unbeantwortet  gewesene 
Frage  völlig  gelöst  wurde. 

Im  Programme  für  den  vierten  Vereinsabend 
(5,  Febr,)  waren  festgesetzt  Vorträge  der  Herren  Baron 
V.  Sacken  und  k,  k.  Rnth  Ritter  v.  Camesiua.  Erste- 
rer  sprach  über  Ansiedlungen  aus  heidnischer  Zeit  in 
Nieder-Osterreich,  uud  hob  hervor,  dass  aus  den  zahl- 
reichen in  der  Gegend  von  Horu  gefundenen  Steinwerk- 
zeugen, von  denen  das  k.  k.  Antikcnkabinet  eine  Aus- 
wahl durch  Geschenk  d€s  H(.'rrn  Grafen  Ernst  v.  Hoyos 
besitzt,  sich  in  Verbindung  mit  den  Ortsverhältnissen 
nele  Ansiedlungspunkte  einer  Völkerschaft  von  primiti- 
ver Culturstufe  im  Kreise  ob  dem  Manhartsberare  fest- 


LXXXIX 


stellen  lassen.  Sodann  berichtet  derselbe  über  seine  im 
Sommer  1868  mit  Unterstützung  Sr.  Excell.  des  Herrn 
Oberstkämmerers  Grafen  v.  Crenueville  unternommenen 
Nacbgrabungen  und  Forseliungen,  wek-lie  bei  Pott- 
schach die  Aufdeckung  eines  Urnengrab fehles,  bei 
Maiersdorf  in  der  neuen  Welt  Funde  von  sehr 
schönen  Schmucksachen  aus  Bronze  und  die  Auffindung 
der  Fundamente  der  runden  Hütten  ergaben ,  welche 
die  Ansiedler  der  Bronzezeit  bewohnten,  endlich  bei 
Kettlach  die  Ausdelniung  des  germanischen  Grabfel- 
des feststellten,  da  man  bestattete  Leichen  mit  Beigaben 
von  Eisen,  Bronze,  zum  Thcil  emaillirt,  Thon  und  Glas 
fand.  Ein  Xiederlassungspunkt  schon  aus  der  Zeit  der 
römischen  Gccupation  ist  bei  Ober-Bergern  durch 
18  Grabhügel  constatirt,  welche  meist  Gefässe  römi- 
scher Technik  bei  Brandresten  enthielten.  Camesina 
las  nach  kurzer  Einleitung  unter  allgemeinem  Interesse 
einige  Bruchstücke  aus  dem  im  XVH.  Jahrhundert  im 
Wiener  Dome  am  Charfreitag  aufgeführten  Passious- 
spiele  vor.  Das  bisher  wenig  beachtete  Mauuscript 
befindet  sich  in  der  Wiener  Hofbihliothek. 

Freitag  den  5.  März  d.  J.  sprach  zuerst  Se.  Excel- 
lenz Freiherr  von  H eifert.  Er  hatte  sich  als  Thema  für 
seinen  mit  allgemeinem  Beifall  aufgenommenen  Vortrag 
die  Stadt  Prachatic  und  den  goldenen  Steig  in  Böhmen 
gewählt.  Beginnend  von  der  uralten  Grenzfestung  Böh- 
mens, die  in  einem  um  das  Land  sich  lieruraziehenden 
dichten  Waldgürtel  bestand ,  wurde  sodann  die  ge- 
schichtliche und  commercielle  Wichtigkeit  des  goldenen 
Steiges  als  des  von  Passau  durch  den  Grenzwald  nach 
Prachatic  führenden  Pfades ,  der  wegen  des  reichen 
bis  über  die  Grenzen  der  historischen  Zeit  hinaus- 
reichenden Waarenverkehrs  den  Beinamen  des  gol- 
denen erhalten  hatte,  so  wie  auch  die  geschichtliche 
Bedeutung  dieser  Stadt  hervorgehoben.  Schliesslich 
berührte  Se.  Excellenz  die  noch  vorhandenen  merkwür- 
digen Bauten  und  architektonischen  Eigenthümlichkei- 
ten  der  Stadt  2. 

Dr.  Kenner  hielt  einen  Vortrag  über  K.  Sep- 
timius  Severus  und  seine  Bedeutung  für  die  österrei- 
chischen Länder.  Von  den  mittleren  und  unteren  Donau- 
länderu  ist  zu  Ende  des  HI.  und  zu  Anfang  des  IV. 
Jahrhunderts  eine  das  gesammte  Reich  tief  ergreifende 
Rückwirkung,  eine  Restauration  des  zerrütteten  Staats- 
wesens ausgegangen,  welche  nach  den  sie  begleiten- 
den Erscheinungen  als  ein  Sieg  der  römisch-barba- 
rischen Mischbildung  über  die  classische  Cultur  der 
Mittehneerländer  und  zugleich  als  ein  Beweis  dafür 
angesehen  werden  kann ,  dass  die  Donauländer  zu 
jener  Zeit  eine  dominirende  Stellung  gegenüber  der 
Hauptstadt  und  den  andern  Provinzen  des  Reiches  ein- 
nahmen. Diese  wichtige  Erscheinung  erklärt  sich  aus 
der  sehr  günstigen  Lage  der  Donauläuder  zwischen 
Morgen-  und  Abendland,  Norden  und  Süden,  deren 
Vortheile  in  strategischer  und  commercicller  Beziehung 
dem  illyrischen  Proviucialgebiete  den  Vorrang  verschaff- 
ten. Die  Bedeutung  der  Regierung  des  K.  S.  Severus 
für  die  österreichischen  Länder  besteht  nun  eben  darin, 
dass  er  jene  günstigen  Bedingungen  erkannte  und  zum 
erstenmal  und  zwar  in  der  glücklichsten  und  erfolg- 
reichsten Weise  zur  Geltung  brachte.  Indem  er  sich 
derselben  bediente  um  auf  den  Kaiserthron  zu  gelan- 

-  Da  wir  den  am  5.  Slärz  gehaltenen  Vorlrag  nach  seinem  vollen  Inhalte 
in  einem  der  nächsten  Hefte  bringen  werden  ,  so  glaubten  wir  uns  über  den- 
selben hier  kürzer  fassen  zu  müssen. 


gen,  sicherte  er  der  illyrischen  Armee  durch  siegreiche 
Kämpfe  mit  den  übrigen  römischen  Armeen  in  Syrien 
und  Gallien,  sowie  durch  die  Aufhebung  der  alten  bei 
allen  Stddateu  verhassten  Prätorianergarde  das  Über- 
gewicht im  römischen  Reiche,  welches  sie  auch  in 
der  Folge,  wenn  gleich  zu  Zeiten  in  den  Hintergrund 
gedrängt,  behauptete.  Die  Donauländer  hob  er  durch 
Neubau  der  Strassen  und  Befestigungen,  namentlich 
aber  durch  Begünstigung  des  Handels;  au  die  Stelle 
des  unter  ihm  zerstörten  Byzanz  trat  die  Stadt  Sirmium 
(Mitrovic),  in  handelsgeschichtlicher  Beziehung  ein  Vor- 
bild von  Constantinopel ;  durch  ihre  Erhebung  zu  einer 
Colonie  schuf  er  sie  zu  dem  vorzüglichsten  Mittelpunkte 
des  Handels  in  Jlitteleuropa  und  der  rasch  aufblühen- 
den Mischbildung.  Sie  spielte  damals  für  so  lange  eine 
grosse  Rolle,  bis  sie  von  Constantinopel  überflügelt 
wurde.  — 

Am  3.  Mai  d.  .1.  hätte  die  General- Versammlung 
für  das  Jahr  1868  abgehalten  werden  sollen,  allein  es 
erschien  nicht  die  hinreichende  Anzahl  von  Vereins- 
Mitgliedern,  daher  dieselbe  auf  den  kommenden  Octo- 
ber  verschoben  und  nur  ein  gewöhnlicher  Vereinsabend 
abgehalten  wurde.  Professor  Ritter  v.  Perger,  der  eine 
besondere  Vorliebe  für  das  Studium  der  vorhistorischen 
Steindenkmale  hegt  und  in  Folge  dessen  im  verflosse- 
nen Jahre  eine  Reihe  von  beiläufig  ;i(J  Zeichnungen  von 
Dohnen,  Menhirs  u.  s.  w.  zur  Ansicht  brachte,  war  durch 
fortgesetzte  Nachforschungen  dahin  geführt  worden, 
näher  auf  die  geographische  Verbreitung  dieser  Stein- 
denkmale in  Europa  einzugehen  und  entwarf  demnach 
eine  Karte,  welche  diese  Verbreitung  graphisch  dar- 
stellt und  einen  raschen  Überblick  gewährt.  Selbe 
Karte  wurde  an  diesem  Abend  vorgewiesen.  Im  Westen 
Spaniens  finden  sich  nur  sehr  wenige  dieser  Denkmale, 
jenseits  der  Pyrenäen  aber,  nämlich  au  der  Westküste 
Frankreichs,  werden  sie  zahlreicher  und  nehmen  in  der 
Richtung  nach  Norden  immer  mehr  zu.  Am  dichtesten 
finden  sie  sich  in  der  Betragne  und  in  der  Normandie, 
wo  sich  die  Pfeileralleen  von  Carnak  und  der  riesige 
Menhir  von  Lockmariaker  befinden.  Eben  so  dicht  sind 
sie  im  Süden  von  England,  namentlich  in  Corn^allis 
und  in  Wales.  Sie  verbreiten  sich  dann  ostwärts  über 
Belgien  au  die  Mündungen  des  Rheins,  der  Elbe  und 
der  Oder  bis  gegen  Esthland. 

Der  zweite  Bezirk,  in  welchem  sie  wieder  in  grosser 
Zahl  vorkommen,  wird  von  den  dänischen  Inseln  und 
der  Südküste  Schwedens  gebildet,  so  dass  die  Ufer 
des  Canals  la  Manche,  wie  jene  des  Kattegat  und  des 
südlichsten  Theiles  der  Ostsee  als  die  eigentlichen 
Centralstellen  der  vorgeschichtlichen  Steindenkmale  zu 
betrachten  sind.  Zugleich  ergibt  sich  aus  der  Betrach- 
tung dieser  Karte,  dass  jenes  Volk,  welches  diese  riesi- 
gen Steindenkmale  setzte,  ein  sehifffahrendes  gewesen 
sei,  das  ziemliche  Strecken  weit  den  Rhein  und  die 
Elbe  hinaufkam  und  auf  der  Oder  bis  in  das  heutige 
Riesengebirge  vordrang. 

Das  östliche  Frankreich,  Italien  und  das  östliche 
Spanien  sind  leer  an  solchen  Denkmalen,  da  sie  überall, 
wo  griechische  Coionien  stattfanden,  hinweggeräumt 
wurden.  An  der  Nordküste  von  Afrika  hingegen  finden  sie 
sich  in  grosser  Anzahl  und  lassen  sich  von  da  über 
das  rotheMeer  hinüber  verfolgen,  bis  nach  Persien  und 
Indien,  von  wo  dieses  vorhistorische  Volk  vermutblich 
seinen  ersten  Ausgang  genommen  haben  mag. 

11  * 


xc 


Den  zweiten  Vortrag  hielt  Dr.  Lind.  Er  besprach 
die  grosse  Jfengre  der  ausgestellten  und  von  Professor 
Klein  angefertigten  P:iusen  jener  Fresken,  die  allent- 
halben das  Kirehengebäude  des  grieehisf-h-nichtiinirten 
Klosters  Suczewiea  in  der  Bukowina  selnniuken,  und 
erging  sieh  dabei  in  einer  kurzen  gesehiehtlichen  Ent- 
wifklung  der  griechischen  Malerei. 

Die  Kirche  liegt  in  der  Mitte  des  grossen,  ein 
Viereck  bildenden  Hofes  und  ist  ein  dem  griechisch- 
orientalischen  Ritus  entsprechendes,  aber  ganz  einfaches 
Gebäude  fast  ohne  alle  architektonische  Ornanienta- 
tion  und  Oliedernng  und  daher,  indem  man  in-  und  aus- 
wendig nur  Hache  glatte  Wände  schuf,  für  den  l)eson- 
deren  Schmuck  der  Malerei  völlig  hergerichtet,  mit  dem 
es  auch  wirklich  allseitig  im  wahren  Sinn  des  Wortes 
überzogen  ist. 

Es  sind  so  \"iele  Bilder  au  den  Ausscnseitcn  ange- 
bracht, dass  das  Auge  des  Beschauers  anfänglich  gar 
nicht  im  Stande  ist,  die  einzelnen  Vorstellungen  zu 
unterscheiden:  dessgleichen  auch  im  Innern.  Man  ist  bei 
dem  Betreten  des  nicht  grossen  inneren  Raumes  auf 
den  ersten  Blick  fast  verblüfft  über  die  daselbst  zusam- 
mengedrängte Bildermasse.  Man  erstaunt  bei  dem  An- 
blicke der  Fülle  von  Figuren,  welche  in  den  verschie- 
densten Grössen  von  6  Fuss  bis  herab  zu  6  Zoll  sich 
längs  der  Mauern  entrollen,  die  sich  um  die  Archivol- 
ten  schwingen,  die  in  die  Wölbungen  des  Baues  hinauf- 
klimmen und  in  den  Kuppeln  sich  fast  dem  Blicke  des 
Beschauers  entziehen ,  die  sich  in  alle  Lagen  und 
Längen  hinein  vertiefen,  von  allen  Höhen  herabsehen, 
an  den  Wänden  der  halbkreistormigen  Apsis  stehen  und 
von  überall  uns  mit  düsterem  Ernst  anblicken. 

Xun  erörterte  Dr.  Lind  in  L'mrissen  das  Wesen 
der  byzantinischen  Malerei  und  hob  hervor,  wie  das 
starre  Festhalten  an  den  einmal  angenommenen  Dar- 
stellungen ein  Merkmal  der  kirchlichen  Malereien  des 
Orientes  ist.  Die  Vorstellungen  bleiben  sieh  zu  allen 
Zeiten  gleich,  sie  mögen  als  Fresken  oder  als  Mosaike 
ausgeführt  worden  sein,  sie  mögen  aus  dem  X.  oder 
aus  dem  XMI.  Jahrhundert  stammen. 

Als  eine  weitere  Eigenthümlichkeit  der  byzantini- 
schen Malerei  bezeichnete  der  Vortragende  die  ilurch 
scharfe  Umrisse  und  durch  die  Farbeukraft  bewirkte 
Vereinigung  des  historischen  und  symbolischen  Ele- 
ments. Für  jedes  Bild  der  Bi])el .  des  Evangeliums  und 
der  Legende  hat  die  griechische  Ikonographie  feste 
und  unveränderliche  Formen  angenommen,  welche  man 
überall  selbst  im  kleinsten  Detail  wiederfindet.  Ausser- 
dem zeichnen  sich  alle  Bilder  durch  absolute  Decenz, 
durch  angemessene  Haltung  der  Figuren .  durch  die 
Ruhe  derConipositionaus.  Die  Personen  werden  als  nicht 
mehr  von  den  mensclilichen  Leidenschaften  berührt, 
dargestellt.  Zeit  und  Ort  haben  fast  gar  keinen  Einfluss 
auf  die  Art  und  Weise  der  Bemalung  der  orientali- 
schen Kirciien  ausgeübt.  Die  Gewandung  der  Figuren 
ist  überall  und  zu  jeder  Zeit  dieselbe  geblieben  und 
zwar  nicht  nur  in  Form  und  Stellung,  auch  in  Zeichnung 


und  Farbe,  ja  selbst  bis  zur  Anzahl  und  Fülle  der 
Falten.  So  wie  alle  die  Darstellungen  sich  bis  zu  den 
untersten  Kleinigkeiten  gleichen ,  ebenso  verhält  es 
sich  mit  der  Vertheilung  und  der  Aufeinanderfolge  der 
Darstellungen. 

Der  Platz,  der  einer  göttlichen ,  himmlischen  oder 
heiligen  Person  angewiesen  ist,  ist  unveränderlich.  Der 
Künstler  wird  .^clave  des  Theologen,  er  ist  der  Tradi- 
tion unterworfen,  die  Erfindung,  die  Idee  gehört  den 
Kirchenvätern.  Der  Maler  ist  bloss  Meister  seiner  Aus- 
führung, nur  das  Tecimische  ist  sein.  Die  Freiheit  des 
Gedankens  und  der  Erfindttng  weder  in  der  Zeichnung 
und  Wahl  der  Figur,  noch  in  der  .Vnordnung  des  Cyclus, 
ist  niemals  von  der  griechischen  Kirche  ihrem  Maier 
gestattet  worden. 

Sodann  wurde  hervorgehoben,  dass  bei  solcher 
l'nveränderlichkeit  es  unverkennbar  ist,  dass  ein  festes 
Princip,  ein  (besetz  besteht,  welches  von  den  Priestern 
dem  Künstler  aufgenöthigt  wird,  ein  Gesetz,  das,  von 
Alters  her  geschatfen,  bis  heute  unverändert  in  Kraft 
geblieben  ist. 

L'her  dieses  für  die  kirchliche  Malerei  der  griecliisch- 
orientalischen  Kirche  giltige  Gesetz  gibt  belehrenden 
Aufschluss  Didron  in  .seinem  Buche  vom  Berge  .\thos. 
Er  erklärt  daselbst,  dass  diese  ]\lalerei  ihren  Anfang 
fand  in  dem  durch  Kaiser  Justinian  geführten  Bau  der 
Sciphienkirche  zu  Constantinopel.  in  welcher  365  Altäre 
zu  Ehren  aller  Heiligen  des  Jahres  aufgestellt  waren. 
Man  machte  von  allen  diesen  Heiligen  eine  Beschrei- 
bung und  vergrösserte  dieselbe  allmählig  durch  Hinzu- 
fügung von  noch  anderen  Heiligen. 

Eben  eine  solche  durch  Zusätze  erweiterte  Schrift 
fand  der  gelehrte  Didron  gelegentlich  seiner  Reisen 
in  Griechenland  in  dem  Jahre  1839  in  vielen  Klöstern 
am  Berge  Athos.  Die.se  Schrift  führt  den  Titel:  „Hand- 
buch der  ^lalerei  vom  Berge  Athos-  =.  Für  die  byzantini- 
sche Malerei  ist  dieses  Werk  von  hoher  Bedeutung.  Es 
ist  im  Orient  allgemein  verbreitet,  entstammt  in  seiner 
erweiterten  L'marbeitung  von  dem  ^lönelie  Dionisos 
dem  5Ialer  des  Klosters  Fourna  bei  Agra])lia  und  umfasst 
das  ganze  System  der  griechischen  Malerei.  Es  wird 
darinnen  alles  gelehrt,  was  sich  auf  die  Ausschmückung 
der  griechischen  Kirchen  durch  Malerei  bezieht. 

Auch  in  Russland  existiren  viele  und  theihveise 
durch  Zusätze  erweiterte  Copien  dieser  Schrift,  die  mit- 
unter auch  mit  Illustrationen  versehen  sind :  doch  sind 
letztere  den  Bildern  einer  russischen  Kirche  nämlich 
der  im  Hauptkloster  zu  Kiew  entnommen. 

Diesen  theilweise  und  nur  in  untergeordneten 
Punkten  von  denen  des  Berges  Athos  abweichenden 
Vorschriften  über  die  Bemalung  der  russischen  Kirchen 
gemäss,  meint  der  Vorti'agende,  mögen  die  Fresken  des 
Klosters  Snczawica  angefertigt  worden  sein. 
(Schluss  folgt.) 

3  Aoi-  dem  handschriftlichen  neugriechischen  Vrtcxt  überseUt  mit  An- 
merkungen vüD  Di  d  ron  d.  A.  und  eigenen  von  Dr.  G  ud  e  h  a  r  d,  Schäfer, 
Trier  1855. 


Notiz. 

Das  oben  Seite  12.5  von  Dr.  Kenner  besprochene  Militärdiplom  von  Kustendje  ist  erfreulicherweise  vor 
wenigen  Tagen  vom  k.  k.  Münz-  und  Antiken-Cabinete  erworben  worden. 


RMlacunr  :   Dr.  Karl  l.ind.   —  Hrnck  der  k.  k.   Hof-  and  SusUdrQckcrci  in  Wien. 


XCI 


Die  Doppelcapelle  in  den  Ruinen  der  Kleinfeste  zu 
Stein  in  Krain. 


(Mit  2  Holzschnitten.) 


Fig.  1  a. 


Fig.  1  b. 


Nur  in  wenigen  Beispielen  haben  sich  bis  hent 
zu  Tage  die  überhaupt  nicht  häufig  bestandenen  Doppel- 
capellen  erhalten.  Meistens  standen  sie  in  Burgen,  und 
liegt  im  Verfalle  dieser  auch  der  Hauptgrund  ihrer  Sel- 
tenheit in  der  Gegenwart.  Eine  der  merkwürdigsten 
solcher  Doppelcapellen  ist  die  im  Nachfolgenden  Be- 
schriebene, da  sie  mehr  als  eine  Doppel-  eigentlich  eine 
dreifache  Capelle  ist. 

Bei  dem  freundlichen  Städt- 
chen Stein  erheben  sich  an  dem 
Auslaufer  einer  gegen  den  Feistritz- 
fluss  fast  senkrecht  abgeschlosse- 
nen Gebirgskette  die  Kuinen  der 
Kleinfeste  als  Ueberreste  eines 
Bollwerkes  vergangener  Zeiten. 
Auf  dem  weit  ausgedehnten  und 
mit  einer  theilweise  verfallenen 
Basteimauer  umschlungenen  Pla- 
teau befindet  sich  das  alte  Schloss- 
gebäude und  die  niedliche  im  ro- 
manischen Style  erbaute  Doppel- 
capelle, welch'  letztere  bis  jetzt 
in  ziemlich  gutem  Bauzustande 
erhalten  wurde.  Wann  diese  Ca- 
pelle erbaut  worden  ist,  darüber 
gibt  kein  Stein,  kein  Denkmal 
einen  Aufschluss.  Nach  der  Er- 
zählung älterer  Schriftsteller  und 
namentlich  nach  Valvasor  soll 
hier  ehemals  ein  Götzentempel  ge- 
wesen sein,  worin  ein  mächtiger 
Abgott  gestanden,  der  viel  ge- 
wahrsagt und  dem  zu  opfern  von 
weitem  die  Leute  hergereist  sind. 

Abgesehen  von  diesen  Remi- 
niscenzen  scheint  die  Erbauung 
der  Doppelcapelle  in  den  Ruinen 
der  Kleinfeste  einem  Zeitalter 
anzugehören,   wo    die   kirchliche 

XIV. 


Baukunst  bereits  eine  hohe  Culturstufe  erreicht  hatte; 
jedenfalls  dürfte  deren  Erbauung  zwischen  das  XII.  und 
XIII.  Jahrhundert  fallen,  wo  in  Rittersciiiössern  derlei 
übereinander  befindliche  Capellen  nicht  selten  aus- 
geführt worden  sind. 

Die  Capelle  liegt  sehr  hoch  und  führt  eine  Stiege 
zur  selben  empor.  Sobald  man  diesen  Stiegenaufgang 
passirt,  gelangt  man  in  eine  22'  breite  und  11'  lange 
Vorhalle,  welche  mit  einer  niedrigen  Holzdecke  ver- 
sehen und  gegen  den  Stiegenaufgang  offen  ist  (Fig.  1  b). 
Diese  Vorhalle  steht  mit  dem  Kirchenschiffe  und  mit  der, 
um  die  Doppelcapelle  herumziehenden,  nach  aussen 
offenen  Galerie  in  unmittelbarer  Verbindung ,  doch 
wurde  dieser  Umgang  um  die  Capelle  durch  die  in 
späterer  Zeit  in  süil- östlicher  Richtung  ausgeführte 
Sacristei  unterbrochen.  Diese  offene  Galerie  deckt  ein 
auf  hölzernen  Siiulchen  ruhendes  Dach,  welches  so 
wie  jenes  der  Vorhalle  kaum  bis  zur  Fussboden- 
ebene  der  oberen  Capelle  reicht.  Bevor  man  von  der 
Vorhalle  in  das  Innere  der  unteren  Capelle  gelangt, 
präsentirt  sich  dem  Beschauer  als  ein  wesentliches 
Merkmal  romanischen  Styles  das  Eingangsportale, 
dessen  profilirter  halbkreisförmiger  Abschluss  durch  je 
zwei  freistehende  vollruude  Säulen  an  den  Seiten 
getragen  wird.  Der  gerade  Sturz  der  Thür  in  der 
Höhe  der  Säulencapitäle  trägt  die,  um  die  Profiliruug 
des  Bogens  zurückgezogene  Ausmauerung  des  halb- 
kreisförmigen Abschlusses,  in  welcher  haut-relief  ein 
Kreuz  mit  zwei  zu  beiden  Seiten  knienden  Engeln 
im  Brustbilde  angebracht  ist.  Doch  ist  dieses  Relief 
schon  bedeutend  beschädigt.  Die  Capitäle  des  vorn  ste- 
henden Säulenpaares  haben  die  Kelchform  und  sind 


ivaq 


TT 


1 r— 

Fig.  2. 


XCII 


mit  Blattwerk  versehen ,  jeue  der  weiter  rückwärts 
betiudlicheu  besitzen  die  WUrfelforui  mit  Deckplatten 
von  irrösserer  Höhe .  deren  Gliederuniren  aus  einem 
Wechsel  von  Rundstäben  und  Hohlkehlen  bestehen. 

Der  innere  Raum  der  unteren  Capelle  (Fig.  2) 
enthält  das  SchiÖ",  den  Chor  und  das  Sanctuarium, 
wovon  ersteres  eine  Länge  von  16'  und  eine  Breite  von 
13  hat;  das  Sanctuarium  hat  hingrciren  8'  Breite  und 
7  •  ■;  Länge.  Der  zwischen  dem  .'^chitl'e  und  dem  Chore 
betiudliche.  portalartig  mit  Halbsäulchen  (dabei  würfel- 
förmig construirte  Capitäle)  verzierte  Triumphbogen  ist 
im  Halbkreise  geschlossen.  Drei  Stufen  führen  in  der 
Mauerdicke  des  Triumphbogens  zum  Chore  mit  seinem 
geraden  .Schlüsse  hinan.  Rechts  vom  Chore  gelangt  man 
in  die  Sacristei,  welche,  wie  gesagt,  später  zugebaut 
wurde,  und  einen  Theil  der  offenen  Galerie  einnimmt. 
Das  Schiff  dieser  unteren  Capelle  ist  tonnenartig  im 
Halbkreis  eingewölbt,  und  mit  zwei  Schildern  in  der 
Richtung  der  Fensterachsen  versehen.  An  der  Gewölbs- 
leibung  sind  neun  aus  Halbkreisen  und  geraden  Linien 
zusammengesetzte  .Schilder  mit  breiten  Bordüren  von 
Perlenschnüren,  Bändeni  und  Stäben  umschlungen  an- 
gebracht, worin  dermal  heilige  Bilder  gemalt  erschei- 
nen. Über  dem  Chore  erhebt  sich  ein  flaches  Kuppel- 
gewölbe. Das  Sthift"  hat  bis  zum  Scheitel  des  Gewölbes 
12  ,  der  Chor  und  das  Sanctuarium  1 1    Höhe. 

Aus  dem  Schiffe  der  unteren  Capelle  ftihrt  an  der 
linken  Seite  eine  2'  breite  Stiege  zu  der  unter  dem  Chore 
hetindliehen  8  '/^  breiten  und  9 '  langen  Krypta ,  deren 
l'mfassungsmanern  gegen  Aussen  eine  Dicke  von  12' 
besitzen.  Die  Krypta  ist  mit  einem  gedrückten  Tonnen- 
gewölbe versehen,  hat  bis  zum  .Scheitel  dieses  Gewölbes 
eine  Höhe  von  8'  ,'  und  wird  durch  ein  in  der  nordöst- 
lichen Richtung  angebrachtes  Fenster  erhellt. 

Vom  Chore  der  unteren  Capelle  gelangt  man  über 
eine  zur  rechten  Seite  in  der  Dicke  der  Umfassungs- 
mauer angebrachte  schmale  Stiege  in  die  obere  Capelle 
(Fig.  1  a),  deren  innerer  Raum  analog  mit  der  unteren  das 
Schiff  und  den  Altarraum  enthält.  Die  Ausdehnung  des 
Schiffes  ist  jener  der  unteren  Capelle  gleich  gehalten; 
der  Aliarraum  hat  aber  12'  Breite  und  lO"';'  Länge. 
Der  Abschluss  zwischen  Chor  und  dem  Schiffe  ist  in 
gleicher  Weise  wie  unten  durchgeführt,  nur  mit  dem 
Unterschiede,  dass  hier  die  mit  Blattwerk  gezierte  Kelch- 
form an  den  Capitälern  herrscht.  Die  Fussbodenebene 
des  Chores  i.st  in  der  oberen  Capelle  blos  um  eine  Stufe 
gegenüber  jener  des  .Schiffes  höher  gestellt.  Über  dem 
Schiffe  der  oberen  Capelle  ist  ein  Sterngewölbe  mit 
einem  über  den  Halbkreis  nur  wenig  erhöhten  Spitz- 
bogen gespannt,  worauf  die  Rippen  nicht  besonders 
markirt  erscheinen.  Die  stumpfen  Gewölbskanten  ent- 
springen aus  den,  in  den  vier  Ecken  angebrachten, 
aufgegliederten  Consolen  ruhenden  Halbsäulchen.  Das 
Gewölbe  des  halbrund  geschlossenen  Chores  ist  tonnen- 
artig im.  Halbkreise  geformt.  Der  innere  Raum  der  obe- 
ren Capelle  ist  bis  zum  Scheitel  des  Gewölbes  im  Schiffe 
13'  und  im  Chore  14'  hoch. 

Was  das  Äussere  der  Doppelcapelle  in  den  Ruinen 
der  Kleinfeste  betrifft,  so  bietet  dasselbe  ausser  dem 
bereits  beschriebenen  Eingangsportale  kein  weiteres 
architektonisches  Interesse  und  es  wird  nur  noch  be- 
merkt, dass  über  der  Bedachung  der  Doppelcapelle  seit- 
wärts des  Dachfirstes  und  ungefähr  in  der  Mitte  der 
Bedachung  das  in  achteckiger  Gestalt  aus  Holz-  und 


Mauerwerk  construirte  Thürmchen  von  b'  innerer  Breite 
emporragt,  welches  mit  einer  hohen  pyramidalen  Beda- 
chung versehen  ist.  Obzwar  dasselbe  der  jüngsten  Ban- 
pcii()de_ angehört,  so  dürfte  mit  Rücksicht  auf  die  sicht- 
baren Überreste  in  frühesten  Zeiten  diese  Capelle  ein 
gemauerter  Thurm  geziert  haben.  //.  Hausner, 

k.  k.  IngeDieur. 


Aus  dem  Berichte  des  k.  k.  Conservators  Mieczyslaw 
Ritter  v.  Potok-PotocM. 

Der  hohe  Landtag  hat  im  verflossenen  Jahre  zur 
Erhaltung  der  Denkmäler  in  Galizion  einen  Betrag  von 
6.'>ijO  fl.  flüssig  gemacht  und  einen  solchen  am  h  für  das 
laufende  Jahr  zu  geben  beschlossen.  Von  dieser  Ge- 
sammtsumme  pr.  13.000  fl.  entfallen  für  den  westlichen 
Theil  Galiziens  7250  fl..  der  Rest  aber  mit  5750  fl. 
wurde  für  den  östlichen  Theil  bestimmt  und  bereits  zur 
Verfügung  des  Herrn  Conservators  gestellt. 

Über  eine  Vorstellung  des  Conservators  an  das 
k.  k.  Oberlandesgericht,  wegen  des  traurigen  Zustande» 
des  in  Leniberg  bestehenden  alten  Grod-Gerichts-.\cten- 
Archivs  hat  das  hohe  k.  k.  Justizministerium  eine  bedeu- 
tende Quote  angewiesen  und  wurde  dieses  Archiv  in 
Folge  dessen  in  einem  Theile  zur  gewünschten  Ordnung 
gebracht. 

Herr  von  Racibovski  erwirkte  beim  Magistrate  die 
Einwilligung  zur  näheren  Untersuchung  des  alten  Grab- 
hügels bei  Przenn-sl,  welcher  nun  im  Beisein  einiger 
Mitglieder  der  Krakauer  k.  k.  Gelehrten -Gesellschaft 
umgegraben  wird.. 

In  der  Stadt  Zolkiew  wurden  die  auf  dem  Ararial- 
Hause  betindlichen  und  im  rothen  Marmor  eingegra- 
benen Inschriften  und  die  schönen  adeligen  Wappen 
der  Familie  Zolkiewski  aus  Privatbeiträgen  gänzlich 
renovirt  und  hergestellt. 

Die  alte,  fast  ganz  zertrümmert  gewesene  auf  den 
Feldern  des  Dorfes  Pieczychwosty  befindliche  und  zum 
Andenken  zweier  Schlachten  mit  Tataren  im  XVI.  und 
mit  Schweden  im  XVIH.  Jahrhund,  errichtete  Denksäule 
ist  durch  Privatsammlungen  vollkommen  und  schön  aus 
den  Trümmern  auferstanden  und  hergestellt  worden. 

Das  schöne,  aus  dem  XVL  Jahrhund,  herstammende 
Grabmal  in  der  Pfarrkirche  des  Ortes  Rymanow  ist  durch 
Vermittlung  des  k.  k.  Conservators  in  West- Galizien 
Ritter  v.  Gorczynski  entsprechend  restaurirt  worden. 

Die  mehreren  Grabhügel  auf  den  Feldern  bei 
Obertyn,  nach  der  blutigen  Schlacht  gegen  die  Wa- 
lachen  im  Jahre  1531  aufgeschüttet,  später  durch  die 
Bauern  beackert,  sind  jetzt  durch  umsichtige  Amts- 
handlung des  ehemaligen  Obertyner  k.  k.  Bezirksamtes 
deutlich  abgegränzt  und  von  einer  weiteren  Beschädi- 
gung somit  gesichert. 

Von  den  alten  aus  Alabasterstein  geschnitzten 
Grabmälern  in  der  Dominicanerkirche  in  Lemberg 
konnten  bis  nun  nur  zwei  restaurirt  werden  und  zwar 
aus  Mangel  der  ertbrderlichen  Mitteln.  Die  einzige  Hilfe 
des  Herrn  Grafen  Vladimir  bzieduszycki  von  300  fl. 
und  des  Herren  k.  k.  Correspondenten  Dr.  Sermak  von 
200  fl.  war  unzureichend,  um  die  ganze  Renovirung 
vornehmen  zu  können.  Erst  jetzt  nach  der  erhaltenen 
Unterstützung  von  Seite  des  hohen  Landtages  werden 
diese  Grabmäler  nach  Möglichkeit  restaurirt  werden. 


XCIII 


Die  schönen  Frescobilder  auf  der  Aussenseite  der 
Christuscapelle  neben  der  lat.  Donikirehe  in  Lemberg 
wurden  auf  Kosten  des  Domcapitels  ganz  und  gut 
renovirt. 

Die  uralte,  halbruinirte,  in  der  Mitte  der  Ruine  des 
einst  festungsartigen  Basilianerklosters  in  Trembowla 
vorfindliche  griechisch  katholische  Kirche  konnte  wegen 
des  bis  nunnichtgeordnetenEigenthumsrechtes  auf  diese 
Ruine  nicht  restaurirt  werden.  Nach  alten  Nachrichten 
soll  dieser  Ort  der  erste  Sitz  morgenläudischer  Mönche 
gewesen  sein,  die  das  Licht  des  Glaubens  in  jener 
Gegend  verbreitet  haben. 

Das  Abtragen  der  abgebrannten  schönen  Basilia- 
ner  Kirche  im  Orte  Wicyn  ist  leider  vor  sieh  gegangen. 

Das  wunderschöne  Rathhaus  in  Buczacz,  welches 
durch  den  Brand  stark  beschädigt  war,  ist  theilweise 
restaurirt  und  obwohl  es  nicht  zu  seinem  ursprüng- 
lichen Glänze  zurückgeführt  worden  ist,  doch  wenig- 
stens im  Ganzen  erhalten. 

Die  alten,  als  unschätzbares  Andenken  erhaltungs- 
würdigen Festungsthore  im  Marktflecken  Okopy  sind 
endlich  in  der  Art  restaurirt  worden,  dass  sie  von  nun 
an  noch  viele  Jahre  festbestehen  werden.  Der  Landes- 
ausschuss  hat  zu  dieser  Restaurirung  einen  Betrag  von 
350  fl.  angewiesen. 

Von  den  Kirchen  in  Galizien  wurde  jene  in  Zolkiew 
mit  einem  Kostenaufwand  von  über  30.000  fl.,  dann  die 
alte  lateinische  Domkirche  in  Przemysl  entsprechend 
restaurirt.  Die  Ausbesserung  der  in  letzterer  inwendig 
vorfindlichen  alten  Denkmäler  wird  in  diesem  Sommer 
vorgenommen.  Ferner  wurde  die  sehr  schöne  Pfarr- 
kirche in  Horodenka  durch  den  Beitrag  des  Religions- 
fondes  sowie  auch  die  aus  dem  XIV.  Jahrhundert 
stammende  Minoritenkirche  in  der  Stadt  Krosno  her- 
gestellt. 

Die  kleine  lateinische  Kirche  sammt  Nebengebäu- 
den in  der  Stadt  Zolkiew  ist  mit  Beibehaltung  ihrer 
ursprünglichen  kuppeiförmigen  Gestalt  gehörig  herge- 
stellt und  die  sehr  schöne  aus  Quaderstein  erbaute 
Pfarrkirche  in  Tarnopol  von  der  Stadtgemeinde  aus- 
gebessert worden. 

Die  uralte  Pfarrkirche  in  Felsztyn  wurde  auf  Un- 
kosten des  Gutsbesitzers  Herrn  Stanislaus  von  Katynski 
umsichtig  und  schön  restaurirt.  Die  darin  befindlichen 
merkwürdigen  schrankartigen  Seitenaltäre  werden  in 
diesem  Sommer  ausgebessert. 

Die  Restaurirung  der  sowohl  durch  ihre  schöne 
Bauart  wie  auch  durch  die  zahlreichen  Wallfnhrten  sich 
auszeichnenden  lateinischen  Pfarrkirche  zu  Milatyn  hat 
schon  begonnen.  Tk.  Bauer. 

Aus  Teschen. 

(Mit  4  Holzschnitten.) 

DerThurm  auf  dem  am  rechten Olsa- Ufer  gelegenen 
Schlossberge  in  Teschen,  von  dem  sich  eine  reizende  Fern- 
sicht in  die  nahe  Karpathenregiou  erööuet,  ist  ein  Über- 
bleibsel des  festen  Schlosses,  welches  an  dieser  Stelle 
stand,  worüber  alte  Chroniken  sprechen  und  Mauerreste, 
die  rings  um  den  Thurm  in  grösserer  Ausdehnung  in  der 
Erde  sich  linden,  Zeugniss  geben.  Auch  die  jetzt  noch 
bestehenden  Mauern  bezeugen,  dass  der  ganze  Schloss- 
berg befestigt  war,  dass  selber  ringförmig  von  drei 
Reihen  solcher  Mauern  umgeben  wurde,  an  dessen  höch- 


sten Punkt  und  in 
deren  Mitte  das 
Schloss  mit  dem 
Thurm  sich  erhob  i. 
Zwischen  einem 
Theil  der  beiden 
untern  Mauern  lief 
ein  Graben,  in  wel- 
chem nach  Art  der 
Casematten ,  Stal- 
lungen etc.  unter- 
gebracht waren , 
von  denen  bei  dem 
Bau  der  Lagerkel- 
ler für  die  nun  am 
Bergabhaug  beste- 
hende Brauerei  ein 
Theil  aufgedeckt 
wurde,  bei  welcher 
Gelegenheit  in  einer 
Tiefe  von  4  Klafter 
unter  dem  jetzigen 
TerrainSporen,Huf- 
eisen ,  Stallrequisi- 
ten und  eine  mäch- 
Schichte  von 
aus- 


tige 

Pferdedünger 
gegraben  wurde. 
DerThurm  Fig.  1 


Fig.  1. 


steht  jetzt  sowie  die 
von  diesem  18  Klft. 

entfernt  stehende  Capelle  ganz  isolirt  auf  dem  in  neue- 
rer Zeit  mit  einer  Parkanlage  versehenen  Schlossberge. 
Die  Schlosscapelle  von  runder  Form,  mit  S'/^  Klft.  Licht- 
weite und  einer  gewölbten  Kuppel  ganz  schmucklos 
von  Bruchsteinen  mit  innerem  Verputz  aufgeführt,  wurde 
vor  dreissig  Jahren  zu  ihrer  ferneren  Erhaltung  um- 
mauert und  im  italienischen  Style  von  aussen  deeorirt. 
Das  Innere  derselben  wurde  erst  im  vorigen  Jahre  re- 
staurirt und  gemalt. 

Die  Capelle  ist  ein  einfacher  Rundbau  von  3'/,  Klft. 
Durchmesser,  mit  5  Fuss  starker  Mauer  ohne  unteren 
Raum  und  Altarausbau,  jedoch  mit  s])ity,bogigem  Portal 
und  solchen  Fenstern,  darinnen  M;iss\veik.  Das  Kup- 
pelgewölbe hat  keine  Rippen,  wie  überhaupt  der  be- 
deutend hohe  Innenraum  jedes 
architektonischen  Schmuckes 
entbehrt.  Sie  dürfte  eine  Tauf 
capelle  gewesen  sein.  Bei  dem 
Abgange  jedweder  urkundli- 
chen Behelfe  ist  die  Zeit  ihres 
Entstehens  schwer  zu  bestim- 
men, da  sich  im  Baue  vieles 
(wie  der  Spitzbogen  und  die 
organische  Verbindung  derar- 
tiger Fenster-  und  Eingangs- 


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u 

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formen)  vereint,  was  auf  des-  [f[ 
sen  Entstehen  im  XTV.  Jahr- 
hundert deutet,   während  der 


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V'"z, 


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<  Wahrscheinlich  wurde  mit  der  1164  in  Teschen  errichteten  Castellatui 
des  Herzogs  Mesko  I.  von  Oppeln  in  Schlesien,  ein  derlei  Wartthurm  erbaul. 
Bei  tlolegenheit  der  Erhebung  der  Castellatur  zum  Herzogthtime  1-90-  viel- 
leicht auch  in  Folge  der  Belehnung  des  Herzog»  C:i»imir  I.  mit  dem  Fürslen- 
thumo  als  Lehen  der  böhmischen  Krone  unter  Konig  .Tohann  (1.327)  mag  eine 
bedeutende  Änderung  mit  dem  Thurme  vor  sich  gegangen,  und  statt  des  alten 
Baues  ein  neuer  entstanden  sein. 


XCIV 


Mangel  von  Strebepfeilern 
und  die  runde  Form  ein 
höheres  Alter  (XII.  Jahr- 
hundert) erwarten  Hessen. 
Nach  Angabe  des 
verstorbenen  erzherzogli- 
chen Cameral-Directors 
Kasperlik  von  Teschen- 
feid,  soll  über  den  Ban  der 
Capelle  im  XIV.  Jahrhun- 
dert in  einer  Chronik  oder 
Urkunde  Erwähnung  ge- 
schehen ,  des  Thurmes 
aber  als  schon  bestehend 
gedacht  werden.  Letzte- 
rer ist  ganz  in  seiner  ur- 
sprünglichen Gestalt  er- 
halten. Er  hat  eine  Höhe 
von  15  Klftr.  2  Fuss  an 
der  Aussenseite.  im  Innern 
ist  noch  eine  Eintiefung 
von  3  Klftr.  dazu  zu  rech- 
nen, die  vier  Seiten  betra- 
gen je  28  Fuss  5  Linien 
(Fig.  2).  Die  in  neuerer 
Zeit  vorgenommenen  Re- 
paraturen beschränkten 
sich  blos  auf  die  Yerzwi- 
ekung  der  bedeutenden 
Sprünge  des  stark  beschä- 
digten Mauerverputzes 
und  auf  die  Eindeckung 
der  Bekrönung  desselben. 
Die  ganze  Gestaltung  und  Bauart  lässt  seinen  mittel- 
alterlichen Ursprung  und  seine  Bestimmung,  als  Wart- 
thnrm  und  zur  Vertheidignng  zu  dienen,  deutlich  erken- 
nen und  war  das  an  der  Südwestseite  des  Thurmes 
angebaute  und  erst  im  Jahre  18.38  abgetragene,  zuletzt 
als  Schüttkasten  benützte  Gebäude,  wie  dessen  massive 
Mauern  erkennen  Hessen,  noch  ein  Überbleibsel  des 
alten  festen  Schlosses. 

Der  Tburm  ist  aus  Sandstein  von  den  nahen  Mistrzo- 
witzer  Brüchen  erbaut  und  zwar  sind  der  Sockel  und 
die  Bekrönung  ^ovrie  die  Verkleidung  der  Ecken  von 
Quadern,  das  übrige  Mauerwerk  von  Bruchsteinen  her- 
gestellt. Der  Thnrm  bildet  sieben  Etagen  (Fig.  3)  und 
nimmt  das  Mauerwerk  mit  der  Höhe  an  Mächtigkeit  ab, 


tliiu!     f     I     1     r 

Hg.  3. 


unten  7',   zu  oberst    4  ),   das 


Fig.  4. 


Zurücktreten  ist  nur 
einmal  ausserhalb 
des  Mauerwerks 
sichtbar  und  durch 
eine  Art  Sockel  ge- 
gliedert. Die  Platt- 
form wird  durch 
eine  in  neuerer  Zeit 
erhöhte  Brustwehr 
geschützt,  und  sind 
die  acht  Erker  mit 
Gusslöchern  verse- 
hen. Die  einzelnen 
Stockwerke  werden 
durch  Fenster  be- 
leuchtet ,  welche 
theils  gerade  Kreuze 


haben,    theils    nind ,    theils   spitzbogig    und   ziemlich 
ungleich  vcrtheilt  sind. 

Der  Thurm  ist  gegen  Nordwest,  an  welcher  Seite 
sich  der  Eingang  befindet,  um  neun  ZoU  überhängend, 
und  ist  das  Holzwerk  der  Böden  und  Dachung,  wahr- 
scheinlich durch  Gewitterschhig  schon  mehrmalen  aus- 
gebrannt, wie  Spuren  an  dem  Mauerwerk  deutlich 
zeigen,  und  woher  auch  die  bedeutenden  Risse  in  dem- 
selben ihren  Ursprung  haben  mögen,  welche,  wie  bereits 
erwähnt,  in  neuerer  Zeit  verkeilt  und  ausgebessert 
wurden  s. 

Xoch  vor  ungefähr  30  Jahren  war  unter  dem  mit 
der  Thürschwelle  im  gleichem  Niveau  liegenden  Fuss- 
boden  die  innere  Sqhle  des  Thurmes  3  Klftr.  tief,  was 
in  letzter  Zeit  nach  und  nach  ausgeschüttet  wurde. 

An  den  vier  Ecken  der  Bekrönung  des  Thurmes 
sind  etwas  vorspringend  schildartige  Sandsteiuplatten 
mittelst  eiserner  Zapfen  in  dem  Mauerwerk  befestigt, 
in  welchem  der  schlesische  Adler  etwas  erhöht  ausge- 
hauen ist,  welche  aber  spätem  Ursprungs  zu  sein 
scheinen.  Die  Form  des  Adlers,  die  in  verschiedenen 
Zeitperioden  gewechselt  hat,  wird  auf  die  Zeit  ihrer  Ent- 
stehung schliessen  lassen,  daher  hier  eine  Zeichnung 
desselben  beigefügt  wird  (Fig.  4)  s. 

Dr.  Gabriel. 

Zur  Kenntniss  der  G-lockenräder. 

iTii:  1  H.jlzschiiiti.) 

Ich  habe  im  Jahrgange  1864  der  Mittheilungen 
der  k.  k.  Centr.-Commiss.  für  Baudenkmale  gelegent- 
lich der  PubHcirnng  und  Beschreibung  eines  aus  dem 
Augsburger-Dom  in  das  k.  bayerische  National- 
Museum  zu  München  ge- 
langten eisernen  Glocken- 
rades (p.  IV.)  die  Hoffnung 
ausgesprochen,  es  möch- 
ten die  noch  sonst  vorhan- 
denen Exemplare  dieses 
merkwürdigen ,  urkund- 
Hch  hinlänglich  bezeug- 
ten Kirchengeräthes  nam- 
haft und  der  Wissenschaft 
mittelalterlicher  Archäo- 
logie zugänglich  gemacht 
werden.  Diese  Hotfnang 
hat  sich  schnell  erfüllt, 
indem  die  Redaction  zu 
besagtem  Artikel  eine 
Note  fügte,  wo  des  kunst- 
reichen Glockenstemes  zu 
Fulda  gedacht  wurde,  und 
Lübke  in  der  neuen  Auf- 
lage seiner  ,, Vorschule'' 
Seite  126  die  Abl)ildung 
des  im  Dom  zu  Gerona 
in  Spanien  befindlichen 
Glockenrades  brachte  '. 


•  Ausser  den  Dothwendigen  All5be»5eningen  wurden  auch  noch  der  obere 
Abschla>ä  des  Tharmes  geändert  and  ein  hoher  Zinnenkranz  aufgesetzt. 

>  Die  Adler  sind  unbekrönt,  also  in  die  Zeit  Ton  1327  gehörig,  indem  in 
diesem  Jahre  da«  Wappen  mit  der  Krone  vermehrt   wurde. 

'  Ein  ganz  ähnlich  conetruirtet  GJ-.ckenrand  befindet  sich  in  der  Dom- 
kirche zu  GrKz,  und  steht  bei  Pontlfical-Ämtem  noch  im  Gebrauche.  Daji  metal- 
lene Gehäuse  mag  aus  dem  XVIII,  Jahrhundert  stammen. 

Die  RedactioD. 


lÜE  Mroiisd]at"j-(rnpfllf  im  lt.  I^ritsbomt  jn  ^M[\. 


MitthcO.  A.  k.  k.  Ccnt-Comm.  I»9. 


Abs  a«T  k.  k.   lief-  and  SUatiJniektr«i 


xcv 


Da  das  ehedem  zu  Fulda  vorhandene  Exemplar 
verschollen  ist,   so  reducirt  sich   die  Zahl  dieser  bis 
jetzt  bekannt  gewordeneu  und  noch  vorhandenen  inter- 
essanten Geräthe   auf  zwei ,    nämlich  das   zu  Gerona 
und  jenes  im  k.   National -Museum   zu  München.   Ich 
bin  nun  so  glücklich,  diesen  zweien  ein  drittes   Exem- 
plar anzureihen  ,   welches   einer  meiner  Schüler,   Herr 
Steigenbcrger  zu  Landsberg  zu  zeichnen  und   mir  zu 
wissenschaitlicher  Erörterung  zu  überlassen  die  Güte 
gehabt    hat.    Das    hier    in    der   Abbildung    gegebene 
Glockenrad  befindet  sich   noch  gut  erhalten  im   Chor 
der  Pfarrkirche   zu  Landsberg  am  Lech  im  bayeri- 
schen Schwaben  und  ist  durch  ein  Gehäuse  von  Holz 
im  Renaissancestyl  ausgezeichnet.  Dies  Gehäuse  misst 
ohne   den   obersten    kleinen   Aufsatz   mit  dem  Kreuze 
30  Zoll  in  der  Höhe,  8  Zoll  in  der  Breite  in  der  Vorder- 
und  11  Zoll  in  der  Breite  in  der  Seitenansicht.  Wie  die 
Inschrift  bekundet,  wurde  das  Gehäuse  im  Jahre  1611 
neu  gefertigt  und  im  Jahre  1775  renovirt.  In  der  Kir- 
chenrechnung vom  Jahre    1611    ist  zu   diesem  Jahre 
folgender  Eintrag  zu  lesen:  „Anfertigung  des  Glocken- 
häuschens im  Chor  mit  12  Glöcklein''.  Die  Mittheilung 
dieser  Rechnung  verdanke  ich  der  zuvorkommenden 
Güte  des  dortigen  Landgerichts-Assessors  Herrn  Hess. 
Diesem    urkundlichen    Datum    entspricht   das    an    der 
Scheibe  angebrachte  Eisen-Ornament  mit  den  flammen- 
artigen Strahlen  vollkommen,  so  dass  dies  Rad  und  die 
Grundform  des  Gehäuses  derselben  Zeit  angehören.  An 
dieser  runden,    eisenbeschlagenen   Scheibe  von  Holz 
sind  9  Glöckchen  angebracht,  deren  ursprünglich  jedoch 
12  waren.  An  der  verlängerten,  in  der  Scheibe  festen 
Achse  ist  eine  Art  Handhabe  angefügt,  woran  sieh  die 
Schnur  befindet,  mittels  welcher  das  Rad  in  Bewegung 
gesetzt  werden  kann.  Dies  Denkmal  zu  Landsberg  aus 
der  Renaissanceperiode  schliesst  stylistisch  die  aller- 
dings noch  kleine  Reihe  der  Glockenräder  ab,  indem 
die  übrigen  noch  dem  gothischen  Style  zugehören.  Es 
ist  zu  beklagen,   dass   das  Münchner  Exemplar  ohne 
Gehäuse  geblieben  ist ,  respective  desselben  im  Laufe 
der  Zeiten  beraubt  worden  sein  mag,  denn  ohne  con- 
formen  Behälter  ist  dasselbe  gewiss  nicht  im  Dom  zu 
Augsburg  errichtet  worden.  Dem  Styl  zufolge  setze  ich 
das  Glockenrad  zu  Gerona  als  das  früheste,  reihe  ihm 
das  jetzt  zu  München  befindliche   aus  Augsburg  und 
diesem  den  Glockenstern  zu  Fulda  an,  woran  sich  dann 
das  in  Rede  stehende  zu  Landsberg  als  bisher  einziges 
Muster  ansderEenaissance  anschiiesst.  Nicht  unerwähnt 
darf  ich  die   dortige  Überlieferung  lassen,   welche  in 
diesen  Glockenrädern  ein  Vorrecht  der  Kathedralkirchen 
erkennt  und  das    zu  Landsberg   vorfindliche   mit  dem 
zeitweiligen  Aufenthalte  des  bischöflichen  Capitels  von 
Augsburg  daselbst  in  Zusammenhang  bringt.  Da  der- 
selbe jedoch  in  Folge  der  Refonnationsstürme  schon  im 
Jahre  1540   stattgefunden,    so  ist  nur   der  Fall    noch 
denkbar,  dass   zum  Andenken   dieser  Übersiedlung 
die  Landsberger  Pfarrkirche  später  mit  diesem  Utensil 
bedacht  wurde.  Die  von  Du  Gange  angeführten  Stellen, 
zu  welchen  ich  im  genannten  Aufsatze  noch  eine  neue 
aus   dem  Necrologium   Lauresham.  fügte,  lassen   dies 
Geräthe  allerdings  nur  in  Kathedral-  und  Abteikirchen 
erwarten,   wie    die    erwähnte   Überlieferung   von    dem 
Glockenrade  zu  Landsberg  voraussetzt.  Gleichwohl  liegt 
darin  noch  kein  entscheidender  Grund,  indem  Urkunden 
von  Pfarrkirchen  bei  derartigen  Sammelwerken   bisher 


noch  viel  zu  wenig  berücksichtigt  worden  sind.  Somit 
bietet  auch  dieses  Moment  für  das  Landsberger  Glocken- 
rad eine  neue  Seite,  welche  bisher  in  der  Archäologie 
unbekannt  oder  doch  unbeachtet  war.  Die  urkundliche, 
oben  mitgetheilte  Nachricht  sagt  nichts  von  der  vorgeb- 
lichen Auszeichnung  der  Pfarrkirche  durch  dies  Geräthe 
und  bemerkt  ebenso  wenig  die  von  der  Überlieferung 
angegebene  historische  Reminiscenz  an  den  zeitweiligen 
Aufenthalt  des  Augsburger  Domcapitels  in  Landsberg 
oder  der  schon  1537  hierher  geflüchteten  Canoniker  von 
S.  Moritz  zu  Augsburg,  es  wird  also  das  genannte  Ge- 
räthe bis  auf  weiteres  das  erste  bisher  bekaimte  Glocken- 
rad einer  Piarrkirche  bleiben.  Dr.  Mesmner. 


Die  Kronschatzcapelle  zu  St.  Veit. 

(Mit  einer  Tafel.) 

Gleichwie  die  deutschen  Reichskleinodien  unter 
Kaiser  Friedrich  I.  in  einer  besonders  von  ihm  erbauten 
prachtvollen  Capelle  des  kaiserlichen  Schlosses  zu  Ha- 
genau  in  Elsass  aufbewahrt  wurden,  wie  ferner  unter 
den  letzten  Hohenstaufen  die  Schlosscapelle  zu  Trifcls 
in  der  Pfalz  der  Hort  der  kaiserlichen  Zierathen  war, 
und  erst  seit  der  Regierung  des  Kaisers  Sigismund  die 
Emporcapelle  über  der  Sacristei  der  heil.  Geistkirche 
zu  Nürnl)erg  der  Aufljewahrungsort  der  deutschen 
Reichskleinodien  wurde,  so  scheint  erst  seit  dem  XVI. 
Jahrhundert  die  Empore  über  der  jetzt  verschlosseneu 
Haupteingangshalle  an  der  Südseite  des  St.  Veits-Domes 
zur  Aufbewahrungsstätte  der  Kleinodien  und  Insigiiien, 
welche  zur  Krönung  der  böhmischen  Könige  verwendet 
wurden,  ausersehen  worden  zu  sein.  Nach  aussen  hin 
ist  das  böhmische  Krongewölbe  nur  an  drei  schmalen 
Spitzbogenfenstern  ersichtlich ,  die  am  Südportale 
unmittelbar  über  der  heute  sehr  erloschenen  musivischeu 
Malerei,  welche  aus  den  Tagen  Karl's  IV.  herrührt,  zum 
Vorschein  treten.  Diese  Mosaikmalerei  ziert  die  Wand- 
fläche unmittelbar  über  der  südlichen  Eingangshalle, 
dort  wo  auch  das  Gusswerk  Karl's  IV.,  die  Bruunen- 
statue  des  heil.  Georg,  sich  befindet.  Die  Grösse  des 
böhmischen  Kronschatz-Gewöibes  stimmt  so  ziemlich 
mit  den  räumlichen  Verhältnissen  der  darunter  befind- 
lichen Vorhalle  überein,  die  am  Südportale  ehemals 
geöffnet  war.  Zu  dieser  oberen  Capelle  gelangt  man 
vermittelst  einer  sehr  schmalen  steinernen  Treppe,  die 
durch  schwere ,  mit  Eisen  beschlagene  Thüren  ver- 
schlossen ist.  Die  erste  Einlassthüre  zu  diesem  Treppen- 
aufgang befindet  sich  in  einer  Ecke  der  westlichen  Seite 
der  reich  mit  Wandmalereien  verzierten  St.  Weuzels- 
capelle.  Die  Empore  selbst ,  weiche  die  böhmischen 
Kroninsignien  birgt,  zeichnet  sich  in  ihrem  Innern,  wie 
das  die  beifolgende  Abbildung  zu  erkennen  gibt,  durch 
edle  Einfachheit  der  Formen  aus.  Über  jedem  der  drei 
Fenster  construirt  sich  ein  Gewölbe,  das  durch  zwei 
Stirnbogen  abgeschlossen  und  durch  zwei  sich  durchkreu- 
zende Gurtbogeu  in  vier  Gewölbka]ipen  getheilt  wird. 
Die  kräftig  profilirten  Gurt  bogen  der  Kreuzgewölbe 
werden  nicht  von  Wandpfcilern  getragen,  sondern  setzen 
in  der  Höhe  der  Fensterbrüstnngeu  ab  und  sind  von 
Ccmsolen  gestützt,  die  als  Fratzenköpfe  humoristische 
und  karrikirte  Gesichter  zeigen. 

Das  Kronschatzgewölbe  entbehrt  aller  Einrichtung. 
Keine  Mobiliarstücke  aus  früherer  Zeit  füllen  die  auf- 
fallende Leere  des  schön  gewölbten  Raumes.  Nur  als 


XCM 


einzigen  Einriehtungsgegenstand  erblickt  man  unter  der 
BrU>tuDgsmaaerdes  Fensters  einen  einfachen  viereckigen 
Tisch,  der  mit  einer  grossen  Decke  von  schwerem,  unge- 
musterten Sammt  in  rother  Farbe,  vielleicht  aus  dem 
XVI.  Jahrhundert  herrührend,  behängt  ist.  Auf  diesem 
Tische  befindet  sich  als  Aufsatz  ein  Kästchen  von  dun- 
kelschwarzem Holz,  das  seiner  Form  nach  dem  vorigen 
Jahrhundert  angehört.  In  demselben  wird  die  böhmische 
Königskrone  Karl's  IV.  in  einer  vielfarbigen  Leder- 
kapsel aufbewahrt.  Auch  das  reich  verzierte  böhmische 
Scepter  ans  den  Tagen  Rudolphs  IL,  und  der  Reichs- 
apfel aus  derselben  Zeit  finden  sich  in  diesem  kleinen 
Schrein.  Ferner  wird  auch  der  böhmische  Krönnngs- 
mantel  in  demselben  autliewahrt.  Älteren,  aus  der  letzten 
Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  herrührenden  Schatzver- 
zeichnissen zufolge  gehörten  die  böhmische  Königs- 
krone Karls  IV.  und  die  übrigen  königlichen  Insignien 
zu  den  kirchlichen  Kunst-  und  Reliquienschätzen  des 
Prager  Domes,  und  befanden  sich  in  jenem  gewölbten 
Räume  über  der  heutigen  Sacristei  von  St.  Veit  aufbe- 
wahrt, wo  auch  jetzt  noch  der  reichhaltige  Reliquien- 
schatz der  gedachten  Metropole  sich  befindet  i. 

Ein  mitt«lalterliclies  ÖMgeföss  im  Stifte  NeuMoster. 

'Mit  1  Holzschnitt.) 

Die  vom  Kaiser  Friedrich  IV.  im  Jahre  1444  ge- 
stiftete Cistercienserabtei  Neukloster,  welcher  das  im 
Jahre  1227  gestiftete  Dominicaner -Klostergebäude  zu 
Wiener-Neustadt  übergeben  wurde,  besitzt  ausser  der 
Stiftskirche  und  einigen  dort  befindlichen  Denkmalen, 

wozu  auch  das  schöne  Grab- 
monument  der  kaiserlichen 
Gemahlin  Eleouora  zu  rech- 
nen ist,  nur  noch  äusserst 
wenige  vom  kaiserlichen 
Stifter  unmittelbar  herrüh- 
rende Gegenstände.  Schon 
das  am  27.  Mai  1586  dem 
Abte  Laurentius  Laimbrod 
von  den  Commissären  des 
k.  k.  Klosterrathes  vorge- 
legte und  übergebeue  In- 
veniarium  erwähnt  nur  noch 
sechs  besonders  namhafte, 
werthvolle  und  vom  Stif- 
ter stammende  Kleinodien. 
Diese  mit  grosser  Pietät 
für  den  erhabenen  Stifter 
aufbewahrten  Gegenstände 
waren  folgende:  1.  Kaiser 
Friedrichs  Chrysam-Pfaidl  < 
mit  rothen  seidenen  ver- 
goldeten „Porten-',  sammt 
einem  seidenen  taffeten 
Hemdel  (Taufkleid  des 
Kaisers),  2.  „das  neue 
Testament  mit  güldenen 
Buchstaben  auf  Pergament 
geschrieben  mit  silbernen 

■  Aas  dem  Pru'htwerke  de»  gelehrteu  C«i>ODicus  Dr.  Frani  Bock:  Die 
Klcioodien  des  heiligen  römischen  Beiches  deuucher  Nation  neUsI  den  Kron- 
inMgniea  Böhmens,  fngivrnt   und  der   l.ombu-die. 

'  ChrTsmm-Pfaidl-,  Pfad  oder  Pfoad  bezeichnet  in  eiaiecn  oberdenucheu 
ProTlnzen  ein  Hemd. 


Beschlägen  und  „übergülth  mit  vier  Löwen-.  .3.  Ein 
„Plattel- Tafel-  (Buchstabier-  und  Lesebuch  aus  der 
Jugendzeit  des  Kaisers,  aus  dem  er  gelernt  haben  soll), 
mit  5U  Blättern.  4.  „Ein  silbervergulter  Kelch-,  mit  den 
vier  Evangelisten  in  Schmelzwerk  und  den  Buchstaben 
A.  E.  L  0.  U.  1437  sammt  Pateue  mit  denselben  Buch- 
staben. 5.  „Item  ein  anderer  silberner  Kelch  und  ver- 
guldet-*  mit  den  nämlichen  Buchstaben  und  der  Jahres- 
zehl  1437.  6.  Endlich  mehre  werthvolle  Messkleider 
von  1444,  ebenfalls  mit  den  bekannten,  vielfach  gedeu- 
teten Buchstaben  des  Kaisers  Friedrich  IV,  bezeichnet. 
Das  Stift  Neukloster  wurde  zu  wiederholten  Malen 
ein  Raub  der  Flammen,  hatte  überaus  zu  leiden  während 
der  Türkeneiufälle  und  —  weil  unmittelbar  an  der 
Grenze  Ungarns  gelegen  —  auch  bedeutende  Opfer 
zu  bringen ,  als  wiederholt  erbitterte  Streitigkeiten 
zwischen  Ungarn  und  den  österreichischen  Regenten 
ausgebrochen  waren. 

Während  alle  die  genannten  Kleinodien  in  den 
Drangsalen,  denen  das  keineswegs  reich  dotirte  Stift 
ausgesetzt  war,  verloren  gingen,  hat  sich  fast  wunder- 
bar ein  an  materiellem  Werthe  freilich  unbedeutendes, 
aber  wegen  des  erlauchten  hohen  Spenders  und  wegen 
der  Zeit,  aus  der  es  stammt,  so  wie  auch  wegen 
der  einfach  schönen  Form  immerhin  beachtenswerthes 
Kleinod  bis  auf  unsere  Zeit  in  dem  gedachten  Stifte 
erhalten.  Es  ist  dies  ein.8  Zoll  hohes  silber-vergoldetes 
Gefäss  für  die  heiligen  Öhle. 

Der  Fuss  dieses  merkwürdigen  Gefässes  hat,  wie 
die  meisten  gothischen  Kelche,  die  Form  einer  sechs- 
blättrigen Rose,  die  auf  einer  einen  glatten  Rand  mit 
einfacher  Profilirung  bildenden  Fussfläche  ruht,  die  im 
Lichten  3  Zoll  im  Durchmesser  hat.  Der  ganze  Fuss 
besteht  aus  einem  Stücke  getriebenen  Silbers;  die  einzel- 
nen Felder  sind  glatt  und  erheben  sich  zum  Nodus  sich 
allmäblig  verjüngend.  Über  dem  sehr  einfachen  Knauf 
setzen  sich  diese  Flächen  so  fort,  dass  sie  sich  aufwärts 
erweitern  und  dann  als  Ständer  die  drei  runden  anein- 
ander gelötheten  Gefasse  ftir  die  heiligen  Üble  tragen. 
Dieselben  sind  li/j  Zoll  tief,  etwa  »/*  Zoll  breit,  so  dass 
behufs  der  Salbungen  der  Daumen  bequem  eingedaucht 
werden  kann.  Alle  drei  Gefässe  sind  von  Silber,  innen 
vergoldet.  Über  ihnen  befindet  sich  ein  ebenfalls  aus 
getriebenem  Silber  gefertigter  mittelst  zwei  Scharnie- 
ren an  die  beiden  rückwärtigen  Gefässe  befestigter 
Deckel,  der  die  drei  Gefässe  gemeinschaftlich  bedeckt 
und  aus  der  Mitte  spitz  zulaufend  zu  einer  einfachen 
Kreuzblume  sich  entwickelt,  an  der  ein  silbernes  7=^4 
Zoll  langes  Kettchen  herabhängt,  das  am  andern  Ende 
einen  das  Gefäss  schliessenden  Riegel  hat.  Der  geöft'- 
nete  Deckel  zeigt  innen  die  den  Inhalt  der  drei  einzel- 
nen Gefässe  bestimmenden  Buchstaben:  I  (Infirmorum 
Oleum)  0  (Ol.  Cath.)  und  C  (Chrysam).  Äusserlicb  sind 
diese  Gefässe  als  für  sich  bestehende  ebenfalls  leicht 
erkennbar,  und  rückwärts  unter  den  beiden  Scharnie- 
ren befindet  sich  die  Jahreszahl  1SS6  (144Gi,  während 
an  der  vorderen  Seite  die  bekannten  Buchstaben  Fried- 
rieh's  IV.  eingravirt  sind,  unter  welchen  ein  ebenfalls 
tief  eingra^^rter  Strich  sich  befindet,  der  ausserhalb  des 
Buch.staben  A  sich  aufwärts  in  vier  Zacken  erhebt  und 
ein  Zeichen  sein  soll,  dass  das  Gefäss  vom  Kaiser  selbst 
und  auf  seine  Kosten  augeschafft  worden  sei. 

B.  Kluge, 
Capitular  zu  Neuklostcr. 


XCVII 


Fundberichte  aus  Steiermark. 

Zu  Wagnitz  nächst  Feldkirchen  unterhalb  Grätz, 
fand  man  gegen  den  Herbst  1868  eine  Goldmünze  von 
von  Valerian  (vortrefflich  erhalten). 

Im  Rittergraben  am  Königsberg,  im  Walde  an 
einem  Kreuzwege,  wurden  Mitte  November  1868  unter 
dem  Rasen  vier  Silbermünzen,  meistens  Groschen  gefun- 
den, die  erheblichste  derselben  ist  ein  Thaler  (Augustus  • 
d:  G.  dux  •  saxo  •  sa  •  roma  ■  imp.  1574.) 

Über  den  Fund  im  St.  Leonharder  Walde 
nächst  dem  Hilmerteich  bei  Grätz  im  Sommer  1868, 
gelegentlich  des  Baues  der  gräflich  Attems'schen  Villa, 
liegen  zusammenfassende  Nachrichten  noch  nicht  vor. 

Zu  Neudorf  oberhalb  Wildon,  nächst  St.  Georgen 
an  der  Stiefing,  wurden  im  Februar  1869  Lanzenspitzen 
und  Knochensplitter  ausgegraben. 

Auch  fand  man  Eisenstücke  und  Pferdeknochen 
im  Münz  graben  zu  Grätz  bei  Canalbautcn. 

In  den  Windischbücheln  unterhalb  Mureck.  und 
zwar  zu  St.  Anna  am  Kriechenberg  in  einem  Wein- 
garten wurden  im  Februar  1869  gefunden  zwei  Thon- 
töpfe,  stärkerer  Structur  als  die  jetzzeitigen,  deren 
Boden  c.  3"  Durchmesser,  obere  Weite  4 — 5",  H()he 
5 — 6",  darin  viele  Münzen,  in  einen  Klumpen  zusam- 
mengerostet. 

Zwischen  P  u  n  t  i  g  a  m  und  F  e  r  n  i  t  z ,  unterhalb 
Grätz  auf  dem  Feldwege  fand  man  den  9.  März  1869 
einen  messingenen  Siegelstempel  mit  Wappen,  der  Helm 
im  Style  des  XV.  Jahrhunderts  tief  gearbeitet ,  mit 
Umschrift:  iorg  •  rit  •  auctortfer. 

Im  Kalksteinbruche  nächst  dem  Harthop  fer- 
grund, Gemeinde  Schattleiten,  oberhalb  der  Wein- 
zettelbrücke nördlich  von  Grätz,  fand  man  in  den  ersten 
Märztagen  1869  eine  römische  Kupfermünze:  hadrianus 
istus. 

Zu  Gamlitz  nächst  Ehrenhausen  stiess  man  in  der 
ersten  Märztagen  1869  beim  Umbaue  des  Schulhauses 
im  Keller  in  der  Tiefe  von  1'  auf  2  Silbermünzen: 

1.  NIIC  . 
Büste. 

2.  Einseitiger  Silberd.  mit  drei  Wappen  1  auf  2,  der 
Reichsaar,  Bargund  und  ?  (Kreuzwa])pen '?)  XVII. 
Jahrh.  (1622).  Gr.  an  0-015  Mtr.  Dritttheil  ausgebro- 
chen. 

In  der  Nähe  des  Klosters  Renn,  fand  ein  Bauer 
einen  messingenen  Siegelstempel,  Wappen  ohne  Be- 
deckung, in  1  und  4  Schenkelkreuz,  in  2  und  3  drei 
Kugeln   1  auf  2.   Randumschrift  Sigillvm  ■  confraterni- 


IDI NSNENAL  im  Ring  um  die  Cs. 


tatis  -  sancti. 


Dr.  Fried.  Fickler. 


Die  Auffindung  der  Überreste  des  Königs  Kasimir 
des  Grrossen  von  Polen  in  der  Domkirche  zu  Krakau. 

Am  24.  Juni  d.  J.  gelangte  an  Se.  Excell.  den  Prä- 
sidenten der  k.  k.  Central-Commission  für  Baudenkmale 
Freiherrn  v.  Helfert  ein  Telegramm  des  Correspon- 
denten  dieser  Cent.-Comm.  Professor  Lepkowski  in 
Krakau,  worin  letzterer  in  Abwesenheit  des  dortige*» 
Conservators  Anzeige  von  der  zufälligen  Auffindung 
der  Überreste  Königs  Kasimir  des  Grossen  von  Polen 
machte.  Auf  das  über  diese  Anzeige  vom  Präsidenten 
der  Cent.-Comm.  diesfalls  gestellte  Ersuchen  erstattete 
Professor  Lepkowski  unterm  29.  v.  M.  weiteren  Bericht 


und  schloss  demselben  vier  auf  die  erwähnte  Auffin- 
dung sich  beziehende  Documente  in  polnischem  Urtexte 
bei,  deren  Übersetzung  der  k.  k.  Ministerialsecretär 
Freih.  v.  Päumann,  seitens  der  Centr.-Comm.  hierum 
angegangen,  in  bereitwilligster  Weise  lieferte. 

Aus  diesen  Actenstücken  ist  zu  entnehmen:  Paul 
Popiel  hatte  sich  am  14.  Juni  Nachmittags  mit  dem 
Steinmetzmeister  Fabian  Hochstim  und  dessen  Gehilfen 
Karl  Fiyc  in  den  Dom  begeben,  um  sieh  zu  überzeugen, 
inwieweit  die  Grundfesten  des  Monuments  Kasimir  des 
Grossen  im  Stande  wären,  die  dazu  gehörigen  Marmor- 
platten zu  tragen,  die  bestimmt  sind,  nach  ihrer  Her- 
stellung an  dem  alten  Ort  wieder  eingefügt  zu  werden. 
Doch  schon  nach  den  ersten  Hammerschlägen,  welche 
gegen  die  östliche  Wand  des  Denkmales  geführt 
wurden,  lösten  sich  einzelne  Steinchen  los,  mit  welchen 
diese  Seite  des  Denkmales  zugemauert  war,  und  es 
zeigte  sich  in  der  Wandung  ein  hohler  Raum ,  bei 
dessen  Beleuchtung  man  Gebeine  entdeckte,  welche 
sich  unzweifelhaft  als  die  irdischen  Überreste  Kasimir 
des  Grossen  darstellten. 

Die  Gebeine,  offenbar  aus  dem  vermoderten  Sarge 
herausgefallen,  waren  von  einem  schweren  Seidenstoffe 
bedeckt.  Popiel  liess  augenblicklich  die  Öffnung  der 
Gruft  auf  das  sorgfältigste  vermauern  und  den  in  der 
Herstellung  begriffenen  Theil  des  Denkmals  mittelst 
eines  Vorhängschlosses  verschliessen,  hierauf  setzte  er 
Herrn  Dr.  T.  Zebrawski,  Leiter  der  Restaurirungs- 
arbeiten  am  Monumente,  und  durch  diesen  das  hochw. 
Krakauer  Domcapitel  in  Kenntniss,  zugleich  verstän- 
digte er  durch  ein  eigenes  Rundschreiben  die  Mitghe- 
der  des  von  der  Krakauer  Gelehrtengesellschaft  zur 
Herstellung  des  Kasimir-Denkmales  delegirten  Comites. 

Am  15.  Juni  hatten  sich  im  Dome  vor  dem  Denk- 
male Kasimir  des  Grossen  die  Herren:  S.  Grzybovvski, 
Krakauer  Dompropst,  Dr.  T.  Zebrawski,  Baumeister, 
Johann  Matejko,  Maler,  ferner  der  erwähnte  Steinmetz- 
meister  mit  seinem  Gehilfen  eingefunden.  Die  Tags 
früher  wieder  aufgemachte  Öffnung  in  der  Wandung 
wurde  erweitert.  Man  sah  darin  in  der  That  die  Gebeine 
Kasimir  des  Grossen,  geziert  mit  der  Krone  und  dem 
Scepter,  gehüllt  in  einen  schweren  Seidenstoff,  der  nur 
wenig  vom  Moder  gelitten  hatte.  Die  Höhlung  des 
Sarkophags,  d.  i.  das  Grabgewölbe,  besteht  aus  drei 
grossen  behauenen  Steinplatten.  Sie  erhebt  sich  3  Fuss 
über  die  Sohle  (des  Seitenschiffes  der  Kirche).  Auf  vier 
Schienen  (Rost)  von  dickem  Eisen  ruhte  der  hölzerne 
Sarg  mit  den  irdischen  Resten  des  Königs.  Der  morsche 
Sarg  war  geborsten  und  die  Gebeine  lagen  daher  auf 
dem  Grunde  der  Gruft  zerstreut;  nur  auf  den  eisernen 
Schienen  waren  hie  und  da  noch  einige  grössere  Ge- 
beine des  Skelets  liegen  geblieben,  welche  herabhän- 
gende Stücke  eines  Überthans  bedeckten. 

Das  nach  Osten  gekehrte  Haupt  des  Königs  war 
noch  mit  der  Krone  bekleidet,  die  aus  einem  Stirn- 
reifen, auf  weichem  sich  5  Lilien  (Zinken)  erhoben, 
bestand.  Die  Krone,  stark  vergoldet,  ist  aus  Kupfer  und 
mit  böhmischen  ungeschliffenen  Edelsteinen  geziert.  In 
der  Richtung  des  rechten  Armes  erblickte  mar!  auf  dem 
Grunde  des  Sarkophags  das  Scepter,  eigentlich  nur 
den  oberen  Theil  desselben  in  der  Länge  von  14  Zoll; 
dasselbe  ist  von  Silber  und  vergoldet  und  trägt  an  der 
Spitze  eine  Kugel  mit  Laubwerk  geziert.  In  der  Fuss- 
gegend  gewahrte  man  grosse  Sporen  von  vergoldetem 


CXVIII 


Kupfer  mit  Schnallen  an  Riemen  befestigt,  die  vom 
Moder  nicht  gelitten  hatten.  Die  eben  erwähnten  Ge- 
genstäude  wurden  vom  Herrn  Job.  Matejko  sogleich 
abgezeichnet.  Mag  sein,  dass  der  Gürtel,  der  untere 
Theil,  d.i.  der  Griff  des  Scepters,  weitere  Schnallen 
und  Schliessen  und  selbst  das  Schwert  wie  auch  andere 
Theile  des  Wehrgehäuges  auf  dem  Grunde  der  Gruft 
unter  dem  Moder  der  Gebeine,  Gewänder  und  Sarg- 
trümmer  verborgen  liegen;  gleichwohl  gebot  die  Scho- 
nung der  nach  50*.'  Jahren  entdeckten  königlichen 
Überreste  weitere  Nachforschungen  einzustellen.  Paul 
Popiel  und  Joh.  Matejko  blieben  ununterbrochen  bei 
der  offenen  Gruft,  um  sicher  zu  sein,  dass  auch  nicht 
das  geringste  Theilchen  der  irdischen  Hülle  und  der 
dabei  vorgefundenen  Gegenstände  beschädigt  würde. 
Professor  Dr.  Lepkowski,  um  3  Uhr  Nachmittags  von 
dieser  Entdeckung  verständigt,  begab  sich  eilends  in 
den  Dom.  besichtigte  sofort  das  Innere  der  Gruft  und 
widmete  sich  der  ihm  übertragenen  Function. 

Um  6  Uhr  Abends  wurden  die  Offnungen  des 
Grabdenkmales  neuerdings  zugemauert ,  mit  Cement 
verstrichen,  mit  Schnüren  versehen  und  versiegelt. 
Der  Conservator  Popiel  verschluss  die  Eingänge  zum 
Monumente. 

Am  21.  Juni  1S69  um  10  Uhr  Vormittags  wurde 
die  westliche  Wand  des  Grabgewölbes  neuerlich  geöffnet, 
der  Inhalt  aus  dem  Innern  des  Grabmales  herausge- 
nommen und  einstweilen  in  einem  Sarge  von  Tannen- 
holz gesammelt:  nun  begannen  die  bei  der  Beisetzung 
einer  Leiche  üblichen  kirchlichen  Functionen,  worauf 
der  Domkanzler  und  Präsident  des  Dombaues  Karl 
Teliga  den  Professor  Joseph  Lepkowski  aufforderte,  das 
Amt  des  Schriftführers  zu  übernehmen,  und  den  gewe- 
senen Universitätsprofessor  der  Anatomie  Dr.  Anton 
Kozubowski,  Alles,  was  sich  in  der  Gruft  vorfinden 
sollte,  herauszunehmen.  Dr.  Kozubowski  betrat  nun  das 
erleuchtete  Gewölbe  nnd  holte  daraus  die  Gebeine, 
welche  von  Joseph  Szujski.  Stanislans  Graf  Tarnowski 
und  Johann  Matejko  der  Picihe  nach  dem  Abte  Grzy- 
bowski  eingehändigt  wurden.  Unter  den  herausgenom- 
menen Überresten  fehlten  60  (sechzig)  kleinere  Knochen, 
deren  Bruchtheile  und  Splitter  zugleich  mit  Moder  und 
Schutt  bedeckt  auf  dem  Grunde  des  Grabmales  Jagen: 
diese  Trümmer  wurden  aufgelesen  und  in  einem  Käst- 
chen yenvahrt,  um  nach  dem  Fehlenden  zu  forschen, 
sobald  die  vornehmlicheren  Überrestein  einem  kupfernen 
Sarge  verwahrt  sein  würden.  Die  Überreste,  genau  in 
derselben  Ordnung,  wie  sie  in  der  Gruft  zum  Vorschein 
kamen,  wurden  sammt  den  vorgefundenen  Bestandthei- 
len  des  Skelets  von  Wlad.  Luszczkiewicz  verzeichnet. 

Ausser  den  Gebeinen  fand  man  eine  Krone  von 
vergoldetem  Kupfer,  ein  kleines  silbernes  Scepter  (und 
zwar  nur  den  oberen  Theil  desselben,  da  der  untere 
Theil  des  Scepters  von  Holz  war  nnd  daher  vermodert 
sein  mochte).  An  der  Spitze  des  Scepters  befanden  sich 
drei  Zinken.  Ferner  fand  man  einen  P.eichsapfel  von 
vergoldetem  Silber  mit  einem  Kreuze  (jedoch  ohne  Edel- 
steine), einen  goldenen  Bing  mit  Amethyst,  Sporen 
von  vergoldetem  Kui)fer,  zehn  Stück  silberne  Knöpfe 
von  einem  Gewände  herrührend,  StoffstUcke  und  Haar- 
büscheln: endlich  fand  man  Sargnägel  und  morsche 
Sargreste,  Theile  eines  eisernen  Kostes  (Gitters),  auf 
welchem  der  Sarg  inmitten  des  Grabgewölbes  gestan- 
den haben  mochte. 


Der  Abt  S.  Grzybowski  nahm  nun  die  Krone,  das 
Scepter,  den  Reichsapfel,  die  Sporen,  den  Ring,  die 
Knö])fe  und  die  einzeln  aufgefundenen  Edelsteine  der 
Krone  in  Verwahrung,  welche  sämmtliche  Gegenstände 
sammt  dem  Sarge  in  die  Wasa-Capelle  übertragen  wur- 
den :  dort  legte  man  diese  Gegenstände  in  den  Sarg 
durchzog  denselben  mit  Schnüren  und  versah  ihn  mit 
dem  Consistorialsiegel  der  Krakauer  Diöcese,  auch 
drückte  Paul  Popiel  sein  Conservatorsiegel  darauf. 

Am  8.  Juli  wurden  alle  diese  Reste  sammt  den 
beigegebenen  Insignien  in  einem  Sarge  hinterlegt  und 
derselbe  in  grosser  Feierlichkeit  an  der  alten  Stelle  im 
Grabmale  versenkt  '.  .  .  .m. . . 


Beiträge  zur  Kunde  der  St.  Stephanskirclie  in  Wien. 

I.  Das  Siegel  der  St.  Morandus-Capelle. 

(Hit  1  Holuchnitt). 

Jene  Capelle,  die  im  gothiscben  Style  zunächst  der 
romanischen  Facade  und  in  Folge  dieser  Stylverschie- 
denheit beim  ersten  Blick  erkennbar  links  von  den  so- 
genannten Heideuthürmen  erbaut  ist,  und  welche  ge- 
wöhnlich die  Kreuz-,  Eugenius-  oder  auch  Tyrua-Capelle 
genannt  wird ,  soll  nach  einer  früher  allgemein  ange- 
nommenen <  Meinung  um  1326  durch  einen  Ritter  Ulrich 
von  Tyrna  erbaut  worden  sein. 

Feil  war  der  erste,  der  in  seiner  umfangreichen 
und  durch  ihren  Inhalt  höchst  werthvollen  Recension  des 
Tschischka'schen  Buches  über  die  St.  Stephanskirche» 
diese  Annahme  bezweifelte.  Seine  Nachforschungen 
über  diese  Tradition  führten  nicht  weiter  als  bis  zu 
dem  unverlässlichen  Laz,  als  den  ersten  der  darüber 
spricht.  Ist  schon  diese  Quelle  tür  die  Wahrscheinlich- 
keit der  Tradition  nur  in  schlimmer  Weise  massgebend, 
so  wird  Lazens  Angabe  überdies  noch  dadurch  ge- 
waltig erschüttert,  dass  es  trotz  sorgfiiltigen  Verfolgens 
jeder  vertranenswerthen  Spur  nicht  gelingen  konnte, 
aus  jener  Zeit  einen  Ulrich  von  Tyrna  nachzuweisen, 
der  um  1326  gelebt  haben  soll,  obwohl  der  ganze  Stamm 
dieses  wahrscheinlich  unter  Otakar  nach  OesteiTeich  ein- 
gewanderten Geschlechtes  sich  mit  ziemlicher  Genauig- 
keit und  fast  vollständig  bis  auf  den  zu  St.  Stephan 
in  der  Tyrnacapelle  ruhenden  Georg  v.  Tyrna,  gestor- 
ben 1478,  als  der  letzte  seines  Geschlechtes,  wie  ihn 
die  Grabsihrift  s  ausdrücklich  benennt,  verfolgen  lässt. 

Die  Betbeiligung  an  der  Stiftung  und  dem  Ausbaue 
der  Capelle  durch  die  angesehene  und  reich  begüterte 
Familie  T}*ma  kann  zwar  nicht  in  Abrede  gestellt, 
keineswegs  aber  für  das  Jahr  1326  nachgewesen  wer- 
den. Dass  die  Capelle  unter  Herzog  Rudolph  IV.  ent- 
standen und  wahrscheinlich  von  ihm  selbst  gestiftet 
worden  ist,  dürfte  hauptsächlich  dadurch  zu  begründen 
sein,  dass  sie  dem  heil.  Morandus  geweiht  wurde,  einem 
Heiligen,  der  hier  zu  Lande  beinahe  ungekanut  war, 
von  dem  es  aber  bekannt  ist,  dass  Rudol|>h  IV.  auf 
seine  Verehrung»  grossen  Werth  legte,  und  dass  er  der 

'  Wir  werden  in  einem  spateren  Hefte  die  Abbildungen  der  bedeuten- 
deren in  diesem  Grabmale  gefundenen  Gegenstände  mit  entsprechender  Be- 
schreibung bringen.  We  Redactiin. 

'  S.  Ogesser's  Beschreibung  der  Metr.-Kirche  tu   Sl.  Stephan  p.   137 

=  S.  Schmidl's  Blauer  für  Literatur  und  Kunst  IS«.  Kr.  SO  a.  f. 

'  Fischer  brev.  nou  Vind.  IV.  107. 

•  Im  k.  k.  Hausarchire  befindet  sich  eine  Urkunde  Tom  Jahre  1365 
(23.  31ärzi,  in  der  es  heissl,  das*  Sand  Morandus  der  des  oftgenannten  unters 
Herrn  'Ilercrog  Kudolfen  des  virden  zu  Österreich)  geschlechtes  gewesen  ist. 
S.  auch  Froh  lieh  dipl.  sacr.  St/r.  II.  37. 


XCIX 


erste  seiner  Familie  war,  der  die  öffentliche  Andacht 
auf  diesen  Heiligen  leitete,  da  der  Legende  5  nach  dieser 
Heilige  dem  Hause  Hahsburg  entstannnte.  Es  ist  demnach 
sehr  wahrscheinlich,  dass,  als  man  mit  dem  Flaue  des 
neuen  Kirchenbaues  des  8t.  Stephansmiinsters  ins  reine 
und  zum  ökonomischen  Entschlüsse  gekommen  war,  die 
alte  Stirnseite  der  Kirche  mit  ihren  beiden  Thünnen 
stehen  zu  lassen,  und  sie  nur  um  das  zu  verbreitern,  was 
beiläufig  durch  die  Anlage  des  dreischiffigen  Langhauses 
nothwendig  wurde,  dass  der  Bau  der  Grundfesten  au  den 
beiderseitigen  Fa^adecapellen  gleichzeitig  mit  dem  Bau 
der  Grundfesten  des  Langhauses  im  Jahre  1359  in  An- 
griff genommen  wurde,  und  ebenso  wie  dieser  während 
Rudolph's  Lebzeiten  energisch  fortgeführt  wurde.  Aber 
schon  nach  6  Jahren  war  der  zweite  Stifter  von  St.  Ste- 
phan nicht  mehr  am  Leben  und  man  kann  annehmen, 
dass  der  während  dieser  Zeit  geführte  Bau  sich  haupt- 
sächlich nur  auf  die  Seite  gegen  den  Bischofhof  ein- 
schliesslich der  Facadencapelle  beschränkte,  aber  selbst 
da  kaum  über  die  Grundfesten  gediehen  sein  mochte. 

Unter  Rudolph's  Bruder  Älbrecht  HL  (f  1395), 
welcher  gleich  nach  des  Herzogs  Tode  überhaupt,  al)er 
seit  1378  fast  ununterbrochen  allein  die  Eegierungsge- 
schäfte  in  Osterreich  leitete,  wurde  die  Kirche  in  ihrem 
grössten  Theile  vollendet.  Obgleich  auch  der  Weiterbau 
derMorandus-Capelle  nicht  unterbrochen  worden,  sicher- 
lich aber  nur  langsam  gegangen  sein  mag,  so  tritt  im 
Jahre  1389  ein  Ereigniss  ein,  das  die  ausgiebige  Re- 
theiligung der  Familie  Tyrna  an  der  Förderung  dieses 
Baues  begreiflich  macht,  ohne  dass  es  desshalb  aus- 
geschlossen wäre,  dass  schon  früher  die  Familie  Tyrna, 
nachdem  Hans  Ritter  von  Tyrna,  der  Bürgermeister  von 
Wien  und  spätere  Münzmeister,  sich  des  Vertrauens 
Herzog  Rudolph's  IV.  erfreute ,  thätigen  Antheil  am 
Kirchenbaue  genommen  habe.  In  den  von  Pez  (scrip- 
tores  rer.  austr.  I.  p.  116,  3.  Bd.l  aus  einem  Codex  der 
Wiener  Dominicaner  abgedruckten  Aufschreibungen, 
welche  in  deutscher  und  lateinischer  Sprache  abwech- 
selnd gemacht  wurden  und  verschiedenen  dem  Laufe 
der  aufgezeichneten  Ereignisse  gleichzeitigen  Händen 
entstammen,  findet  sich  folgende  !\Iittheilung:  ^iPaul  von 
Tyrna  ^  starb  an  unser  Frauenabend  zu  der  Lichtmess, 
den  schlueg  ain  laytter  ze  todt  in  den  tburm  dacz  Sant 
Steffan" . 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  mit  diesem  Unglücks- 
falle die  Veranlassung  gegeben  war,  dass  die  Fandlie 
Tyrna  mit  der  Kirchs,  in  der  eines  ihrer  Mitglieder,  Paul 
von  Tyrna,  unvermuthet  ums  Leben  kam,  respective 
mit  ihrem  Neubau  in  nähere  Beziehung  trat  und  dass 
die  Brüder  des  Verstorbenen,  Rudolph  und  Ludwig  von 
Tyrna  (die  sich  in  einer  Urkunde  vom  J.  1388  Rudolph 
von  Tyrna,  Hubmeistcr  in  Osterreich,  Ludwcig  und  Paul 
von  Tyrna  al  dre.i  Brueder,  Söhne  Hans  von  Tyrna  selig, 
Hubmeister  in  Österreich  nennen)  sich  aufgefordert 
fühlten,  daselbst  eine  fromme  Stiftung  zu  machen.  Ob 
nun  diese  Stiftung  in  der  Vollendung  der  St.  iMorand- 
capelle  bestand,  ist  zwar  nicht  erwiesen,  aber  immerhin 
wahrscheinlich  aus    zwei  Gründen.   Einerseits  ist  uns 

^  Die  acta  sanctornm ,  welche  mehrere  Angaben  über  das  Leben  und 
die  Wunderthaten  des  heil.  Morandus  enthalten,  bestätigen,  dass  noch  spätere 
Herzoge  aus  dem  Hause  Habsburg  diesen  Heiligen  besonders  verehrten,  so 
Friedrich  mit  der  leeren  Tasche,  der  14'2S  dem  Morandenkloster  eine  zwei 
Schuh  hohe  silberne  Statue  dieses  Heiligen  verehrte.  Auch  sein  Sohn  Sigismund 
hat  sich  als  ^grosser  Wohlthater  dieses    Klosters  erwiesen. 

S.  Über  die  Familie  Tyrna  die  Mittheilung  de.s  Dr.  v.  Franzens- 
huld  im  Jahrb.  II.  für  n.  ö.  Landeskunde  p.  331,  welcher  von  Paul  erzählt, 
dass  er   seiner  Familie  dureh  reiche  Ueirath  neuen  Glanz  verschafft  habe. 

XIV. 


nicht  überliefert  worden  ,  in  welchem  der  drei  Thürme 
das  Unglück  geschah;  es  ist  demnach  auch  möglich, 
dass  der  Ort  nicht,  wie  man  bisher  cdine  Begründung 
annahm,  der  damals  im  Bau  begriffene  grosse  Thurm, 
sondern  der  linksseitige  Heidenthurm  war,  daher  die 
Tyrna'sche  Familie  sich  entschlossen  haben  mag,  eben 
die  daran  stossende  bereits  im  Baue  begriffene  Capelle 
zum  Ausbau  zu  übernehmen.  Anderseits  liefert  einen 
nachhaltigen  Beweis  für  die  Mitwirkung  der  Familie 
beim  Baue  das  zweimalige  Vorkommen  des  Wappens 
der  Tyrna  '  an  den  Strebepfeilern  der  nördlichen  Aus- 
senseite  der  Capelle ,  und  zwar  erscheint  dasselbe  aut 
unverhältnissmässig  grösseren  Werkstücken  zwischen 
den  übrigen  kleineren.  Auch  die  Fagadenseite  der  Ca- 
pelle hat  in  dem  in  Stein  ausgemeisselten  Stechhelme 
nnt  den  zwei  Mondsicheln  im  Zimier  ein  auf  diese  Fami- 
lie sich  beziehendes  Ornament.  Sollten  sich  diese  An- 
nahmen bewähren,  so  würde  die  Fortsetzung  des  Baues 
und  die  Vollendung  der  Tyrna-Capelle  bestimmt  in  die 
Jahre  1389  bis  1394  fallen,  denn  in  dem  letzteren 
Jahre  muss  schon  der  Bestand  der  Capelle  angenonmien 
werden,  indem  damals  bereits  ein  eigener  Caplnn  derer 
von  Tyrna,  Namens  Crystan,  urkundlich  erscheint  ».  Im 
Jahre  14ü3  wird  diese  Ca])elle  gelegentlich  einer  Ein- 
tragung in  dem  bei  dem  Wiener  Stadt-Magistrate  befind- 
lichen Buche  der  Käufe  (P.  246)  schon  mit  dem  Namen 
der  Familie  bezeichnet  s.  Ein  Jahr  später  erscheinen  in 
einer  im  städtischen  Archiv  befindlichen  Urkunde  „Jakob 
V.  Newnburkh  xmd  Pilgreim  Meister  Pilgreim's  selig  Son 
zu  den  czeitenpaid  chapplan  und  Verbeser  der  von  Tyrna 
Kappeln  Sand  Bloranden  Stiftt  dacz  Sand  Stephan  ze 
AVienu''  ausdrücklich  benannt. 

Die  Capelle  war  sehr  reich  mit  kirchlichen  Gefässen 
und  Geräthen  dotirt,  wie  dies  uns  ein  im  Jahre  1426 
aufgenommenes  Schatzinventar  ">  mittheilt.  Dasselbe 
lautet : 

„Vermerkcht  das  Heyltum  jn  Sand  Morandcn  Cap- 
pellen  jn  sand  Steffans  kirchen  ze  wycnn  vnd  ist  ver- 
schriben  worden  am  phintztag  vor  Natiuitatis  Marie 
(5.  September)  Anno  domini  Millesimo  quadringente- 
simo  vicesimo  sexto  vnd  dapey  sind  gewesen  Her 
Achatz  von  Tyerna  korher  zu  Passaw ,  Her  Niclas 
pharrer  zu  vtteldorfif,  Her  wentzla  scherler  jn  Kirehperg 
vnd  ander  Erber  lewt  vnd  her  Mertt  von  Wels  dye  zeit 
der  Cappelleu  Capplan  vnd  her  Niclas  HoUeubrunner 
auch  dye  zeyt  Capplan  etc. 
Item,  von  Erst  funfczehen  Manstranczen  vnd  ain  clains 

Monsfraczel  hat  darzue  gebem  her  Mathes  von  Tyerna 

all  silbrein  vnd  vergolt. 
Item,  grozz  chrewez  mit  gestain  silbrein  vnd  vergultt. 
Item,  ain  chlains  chrewtz  on  staiu  silber  vnd  vergultt. 
Item,  ain   silbreins  Tauel  vergult  auff  ainem  hulczein 

fuezz  voller  heyltum  vnd  ist  plab  gesmelczt  an  den 

fingen. 
Itein,  ain  Helfifcnpaines  Tauel. 
Item,   ain   Chrewzzenschär  (sie)  beslagen  mit  Messing 

vnd  darjnne  ain  Agnus  dei. 

'  Auch  im  Tnn«rn  der  Capelle  sind  zwei  W.appenschilde  angebracht,  deren 
eines  das  Tyrna- Wappen,  das  andere  ein  horizontal  gelheiltes  Schild  zeigt. 

'  Satzbuch  A.  Fol.  234, 

3  Die  Stelle  lautet;  Rudolph  und  Ludwig  gebrüder  von  Tyrna  habent 
gemaclit  vnd  gegeben  zu  zwayn  messen  in  ir  kapellen  dacz  sand  Slepiian  ze 
wienn  ...  In  den  ern  des  heiligen  herrn  sand  Jloraut  gestifft  haben  Ir  Haus 
gelegen  In  der  Wollzeil  zenachst  den  Münzhof  etc. 

10  Ich  verdanke  die  Kenntniss  dieser  Mittheilung  dem  k.  Rathe  Albert 
Ritter  von  Camesina.  Das  Original  befindet  sich  im  Wiener  städtischen 
Archiv, 


Item,  czwav  lebel  zu  Ambullen  knpphrein  vnd  verürnldt. 

Jifm,  aiu  alts  ^runs  Tauell  mit  Hevltuem  vnd  ist  last 
hulczein  vnd  jnnen  bekgrt  mit  gold. 

Item,  ain  lidreins  lädel  vberezojrcn  mit  Messein  drättcn 
vnd  ligeut  darjnne  czway  silbreine  krewezel  ver^rolt 
vnd  sand  Achaczen  pain  Saud  Kathrein  Oll  vnd  ain 
irlazz  mit  pysem  vnd  dapey  ain  Zedel  \Tid  ist  als 
verpetscliafft. 

Item,  ain  ledel  vcrsrlast  ansscn  helejrt  mit  gold  auch 
veq)etsthadt  mit  heren  Aehaez  von  Tyeraa  pedschadt 
vnd  ligt  darjnne  vil  heyltum  vngenasst. 

Item,  ain  miehiew  tafel  mit  vnser  frawen  Rundung  vnd 
der  fuezz  verglast  vnd  darjnne  vil  heyltum. 

Item,  Sand  Jörgen  pild  hulzein  vnd  vergolt  mit  seinen 
heyltum  verglast  an  der  prust. 

Item,  Sand  Lndweig  pild  hnlczein  vnd  vergult  an  heyltum. 

Item,  aiu  lad  hiikzein  vnd  vergolt  darjnn  leyt  eiu  gancz 
kindel  de  Innocentibus. 

Item,  Im  Sarich  auflF  dem  alter  sechs  hawbt  der  aindleff 
tawssend  mayd. 

Item,  ain  geweiehts  vergulcz  manudel  (manipulum)  zu 
goczleichnam  in  einer  schachtl. 

Item,  ein  tncheins  beidl  mit  brieffen  verpetschadt  mit 
Herrns  Achaczen  von  Tyema  petschad. 

Item,  ain  ledel  von  hören  vnd  belegt  mit  gold  vnd  nichts 
darjune. 

Item  auff  den  hindren  Altar  ain  tafel  als  ein  tumdel 
verguldt  vnser  frawn  pild  mitten  darjnne  vnd  czway 
vergulte  pild  als  hulczein  vnd  czway  giildeine  fendel. 

Item,  czwen  czynnen  lewchter. 

Item,  ain  Chelich  den  man  zesam  legt. 

Item,  czwen  grozz  kelich  silbrein  vnd  vergult. 

Item,  czwo  Silbrein  Ampullen  mit  ainem  silbremHosiiary. 

Item,  Zehen  Corporal  vnd  funff  taschen  dar  zue. 

Item,  Zwae  Mespuecher. 

Item,  ain  Mettenpueeh  jn  ezwain  pantten. 

Item,  ain  Gradual. 

Item,  czwen  antiphner  jn  pergament. 

Item,  ainer  in  papir  auch  ain  antiphner. 

Item,  ain  Swarcz  püchel  in  pergament  vers  Salue  vnd 
passiones. 

Item,  ain  vesperal  in  perganiento. 

Item,  ain  Cancioual  in  pergamento. 

Item,  Jacobellus  versus  super  Salue  Kegina  jn  per- 
gamento. 

Item,  Brcuiarius  jn  pergamento. 

Item,  ^ier  scyden  Kappen  vnd  ain  guideine. 

Item,  drei  schilt  mit  perlein  gehetft. 

Item,  ain  prawner  Ornat  mit  ezwain  C'orrokchen  geheffit 
mit  perlein  pilden  vnd  drew  vmbrall  perlein  vnd  alle 
andrem  zugehorung. 

Item,  ain  Swarcz  samedems  Mesgewantt  mit  ainen 
perlein  chrewcz  vnd  vnsscr  frawn  pild  mitten  darjune 
auch  perlein  vnd  all  andre  sein  zugehorung. 

Item,  ain  liechtplabs  Samedeins  Mesgewantt  das 
chrencz  dar  auff  perleine  pild  das  vmbral  perlein  vnd 
alle  ander  zugehorung. 

Item,  czway  Satplabe  Mesgewant  Saraedeine  mit 
ezwain  perlein  chrewczen  das  ain  ze  obrist  mit  ainen 
perlein  lebemchopf  das  ander  ze  obrist  ain  perkine 
Rosen  vnd  czway  vmbrall  perlein  vnd  alle  ir  zuge- 
horung da  pey. 

Item,  ain  Sadtplabs  Mesgewant  samedeins  vnd  das 
chrewcz  mit  silbrein  vergnlten  spangen  das  vmbrall 


perleiu  mit  czwaien  Rosen  vnd   czwaicn   krön  mit 

andern  seiner  zugehorung  etc. 
Item,  czwen  Sadtplab  Corrokch  samedein  mit  silbrein 

vergnlten  spangen  hinden  vnd  vor  an  der  prust. 
Item,  ain  sadtplabs  Mesgewantt  ain  guidein  chrewcz 

geuet  mit  seydnen   pilden   das   vmbral   mit  perlein 

puchstaben  vnd  mit  anderer  seiner  zu  gehorung. 
Item,  ain  guldeins  Mesgewantt  das  vmbrall  auch  guidein 

vnd  ander  sein  zugehorung  mit  dem  weyssen  futter. 
Item,  ain  gnldeins  Mesgewant  mit  einen  Rotten  futter 

vnd  das  vmbrall  auch  guidein  vnd  ander  sein  zuge- 
horung. 
Item,    ain    alte    goldeine   gasel    mit    ainen    plabem 

vnderzlig. 
Item,  ain  seydein  Mesgewant  Rot  vnd  grün  das  chre«iz 

mit  silbrein  adlern  vnd  ander  sein  zugehoruugen. 
Item,    ein  Grün  seydenew   gasel    mit    einem    rotten 

chrewcz  mit  liligen  genet. 
Item,  ain  silbreins  Mesgewant  mit  plaber  veldung  mit 

seiner  zugehorung. 
Item,  czwo  plab  scyden  Gasel  tunkchelplab. 
Item,  ain  liechtplabe  gasel  seydein. 
Item,  ain  gasel  zu  der  vasten  Rot  vnd  weyzz. 
Item,  czwae  vbrigen  vmbrall. 
Item,  ain  Ganiseins  (Genefer)  altartüch  mit   seydein 

tollen  an  dem  furhanng. 
Item,  ain  altartüch  mit  ainen  guidein  furhang  vnd  ain 

guldem  portten. 
1 1  e  m ,  ain  altartüch  der  furhang  grün  seydein  mit  gülden 

portten  vnd  die  leisten  auch  guidein. 
Item,  czwae  tagleiche  Altartucher  mit  sambt. 
Item,  anft'  den  hindern  altar  ain  altartüch  mit  einem 

Seydem  furhang  gnklein  porten. 
Item,  ain  Altartüch  der  furhang  Rott  vnd  plab  leinbat 

anff  der  leisten  ain  guldeine  portten. 
Item,  vier  tagleiche  Altartuch  auch,  zu  dem  selbigen 

alter. 
Item,  zway  seydeme  Schulier  Cappel. 
Item,  ain  güts  hawbtuch  vnder  das  Corporal. 
Item,  ain  Rotten  seydein  furhang. 
Item,  drew  seydenew  tucher  jn  der  Cappellen  auff  ze 

haben. 
Item,  ain  guidein  tuch  von  Tamasch  auch  zu  ainem 

furhang. 
Item,  sechs  seydem  pbannen. 
Item,  ain  pulpid  tuch  gut  mit  seyden. 
Item,  sechs  gemalte  vasten  tucher  für  dy  pilder  vnd 

die  Taffellen. 
Item,  ain  gemalez  tuch  mit  Herodes  Kindlen. 
Item,  ain  Tewich  für  den  altar. 
Item,  ain  pankchtüch. 
Item,  ain  Sadtgruns  partuch. 
Item,  drey  altarstain. 
Item,  czwen  vergult  engel  hulczen. 
Item,  czwen  Kerczenstab  hulczein  vnd  vergult. 
Item,  ain  Rotter  Stab  mit  einen  Geniscintuili  iGenue- 

ser)  für  den  alter. 
Item,  czway  fandel. 

Item,  Hanttücher  do  man  dy  hendt  an  wischt. 
Item,  ain  hulczein  grab  vergult. 
Item,  czwae  Rauchfass  Messingen. 
Item,  ain  altartüch  rat  vnd  plab  von  leinbat. 
Item,  czway  knaben  korrokchcl. 
Item,  ain  Jesus  mit  ainen  perlein  chrenczlein. 


CI 


Item,  ain   seydem  Chussel  vud   <ain   Gcniscnstuch  in 

das  grab. 
Item,  drew  uewn  altartnclier  rot  vnd  i;run  von  seydcn 
auft'  den  leisten  guidein  portten  die  her  Wernhart  ber 
zu  hat  pracht. 
Item,  sechs  newn  phanen  vnd  vier  chhiinew. 
Item,  Sand  Niclas   pild  das   dy  schellin   darzu   hat 

geben. 
Item,  ain  Taffei  mit  silber  dy  auch  dy  Schellin  darzu 

bat  geben. 
Item,  zwae  new  vmbral  vou  pcrlein. 
Item,  ain  guldem  chorkappen  gemacht  aus  aim  alten 

rokch. 
Item,  czwae  newe  fände!  auff  den  hindern  altar  grün 

vnd  rott. 
Item,  ain  news  altartuch  auff  den  hindern  altar  auff- 

gedrukcht  mit  pildeu. 
Item,  ain  ratz  news  tuch  zu  dem  pulpild. 
Item,  czwen  new  stäb  zu  den  chertzen  vnd  vergult  etc. 
Nicht  minder  ansehnlich  war  auch  das  Vermögen 
und  Einkommen  der  Capelle,  wie  uns  ein  auf  deren 
Vermögen  bezüglicher  Gerichtsspruch  aus  dem  Jahre 
1486  lehrt,  welcher  im  Originale  sich  im  Archiv  der 
Stadt  Wien  befindet. 

Die  Lehenschaft  über  diese  Capelle  hatte  nach 
dem  Verschwinden  der  Tyrna'schen  Familie  die  Stadt 
Wien,  trat  sie  aber  im  Jahre  1518  mittelst  Urkunde 
dto.  27.  April  sammt  dem  ganzen  Besitz  dem  jeweiligen 
Cantor  der  Kirche  von  St.  Stephan  zur  Aufbesserung 
seines  Einkommens  gegen  dem  ab,  dass  er  die  alten 
Stiftungs-Verpflichtungen  getreu  erfülle. 

Nachdem  die  Capelle  grosses  Grundeigenthum 
hatte,  ist  es  auch  natürlich,  dass  sie  ein  besonderes 
Grundsiegel  führte,  welches  aus  dem  Ende  des  XIV. 
oder  des  beginnenden  XV.  Jahrhunderts  stammen  mag. 
Wie  die  beigegebene  Abbildung  zeigt,  ist  das  Siegel 
von  spitzovaler  Form,  23"  hoch  und  14"'  breit  und  führt 
innerhalb  einer  doppelten  Perlenlinie  die  Umschrift : 
t  S.  fundi  s.  moraudi  capelle,  daneben  Rankenorna- 
ment. Im  Mittelfelde  auf  einer  Console  das  Kniestück 
des  heil.  Morandus,  als  mitrirten  Bischof  in  Glockeu- 
casula,  Stab  und  Buch  haltend  unter  der  Console  das 
Tyrna'sche  Familienwappen,  zwei  nach  aussen  gekehrte 
Mondsicheln  auf  einem  Biuden- 
schilde  liegend  <<. 

In  dieser  Capelle  befand 
sich  ursprünglich  der  Denkstein 
Cuspinian's ,  so  wie  auch  dort 
seine  Ruhestätte  ist.  Als  man 
jedoch  den  alten  Eingang  unter 
der  Empore  verschloss  ,  und 
jenen  gegen  das  Seitenschiff, 
der  noch  heutzutage  besteht, 
durchbrach,  musste  der  Stein 
von  seiner  Stelle  und  wurde  aus- 
serhalb der  Capelle  an  seinem 
jetzigen  Platze  aufgestellt. 

II.  Die  Kathar  inen -Capelle. 

Nunmehr,  da  die  Restauration  der  beiden  Seiten- 
chöre vorläufig  abgeschlossen  ist  (s.  pag.  XVII),  wurde 

"  Dieses  Wappen  scheint  Jans  von  Tyrna  vor  1360  erhalten  zu  haben, 
denn  schon  in  diesem  Jahre  bedienter  sicii  im  Siegel  eines  Helmes,  der  mit 
zwei  Mondsicheln  am  Fluge  geziert  ist.  Die  früheren  Siegel  dieser  Familie 
zeigen  ein  T. 


ein  weiterer  Theil  der  Kirche  einer  eingehenden  Reno- 
virung  unterzogen.  Es  ist  dies  die  unterm  grossen  Thnrm 
befindliche  S.  Kathariiien-Capelle,  in  der  sich  nebst  den 
Grabmalen  des  Bischofs  Anton  Wolfrath  f  1639  und  des 
Erzbischofs  Milde  f  1853  auch  seit  1639  der  Taufstein 
(s.  pag.  XXI)  befindet.  Die  Kosten  der  Restauration 
werden  von  einem  Privaten  getragen,  die  Restauration 
leitet  der  Dombaumeister.  Obwohl  diese  Capelle  schon 
seit  ihrer  Entstehung  den  Namen  der  heil.  Katharina 
trägt,  so  enthält  sie  doch  gegenwärtig  keinen  dieser  Hei- 
ligengeweihten Altar.  Der  bisherige  Altar  ist  '^  seit  1844 
mit  jenem  möglicherweise  noch  aus  dem  XVI.  Jahrhund, 
stammenden  schönen  Kreuze  geschmückt,  das  früher 
beim  Eingang  in  die  Todtenkammer  stand.  Der  darauf 
befindliche  Christus  ist  eine  Bildbauerarbeit  von  hohem 
Kunstwerthe,  und  um  eben  dieses  Werk  zu  schonen, 
wurde  die  Übersetzung  des  Kreuzes  auf  den  Altar  der 
Capelle  beschlossen,  an  die  bisherige  Stelle  des  Origi- 
nals trat  ein  Metallabguss. 

Die  Capelle,  welche  mit  der  Substanz  des  Thurmes 
organisch  verbunden  ist,  und  daher  schon  in  der 
ursprünglichen  Planconception  desselben  lag,  erscheint 
bereits  1396  urkundlich  erwähnt  (s.  Ogesser  129). 
Auch  1404  und  1417  wird  sie  in  Urkunden  als  „gelegen 
auf  Sand  Stephan  Freithoif  unter  dem  neuen  Turn-'  er- 
wähnt (Buch  der  Oblig.  131  und  153).  Sie  besteht  aus 
zwei  Theilen,  aus  dem  zwischen  den  Ostsfreben  des 
Thurmes  gelegenen  achtseitigen  Räume  und  dem  vor 
den  Thurmkörper  hinaustretenden  aus  fünf  Seiten  des 
Achteckes  gebildeten  Altarhause.  Das  Gewölbe  des 
grösseren  Raumes  entspricht  der  achteckigen  Form 
desselben,  doch  sind  die  die  Gewölbefelder  abgrenzen- 
den Rippen  nicht  constructiv  mit  demselben  verbunden, 
sondern  nur  einfach  vorgesetzt. 

Ganz  eigenthümlich  ist  die  Bildung  des  Schluss- 
steines. Derselbe  hängt  nämlich  mehr  als  zwei  Klafter 
vom  Gewölbescheitel  als  Zapfen  herab  und  gehen  von 
ihm  freitragende  Rippen  hinüber  auf  jene  Stelleu  des 
Gewölbes,  wo  sich  die  Kappen  über  den  Fenstern  in 
ein  weiteres  Dreieck  theilen,  diese  Rippen  sind  mit 
schönem  Blattwerk  geziert.  Die  untere  Fläche  des 
Schlusssteines  ziert  das  bemalte  Relietl^rustbild  der 
heil.  Katharina.  Das  Chörlcin  besteht  aus  einem  Kreuz- 
gewölbejoche und  aus  einem  Sterngewölbe  im  Schlüsse. 
In  jedem  der  beiden  Gewölbe  findet  sieh  ein  platter 
Schlussstein  mit  schönem  ebenfalls  polychromirten 
Relief,  das  Lamm  Gottes  und  den  Cliiistuskopf  vorstel- 
lend. Die  Kippen  sitzen  allseitig  auf  kleinen,  aber  ganz 
zierlichen  Blattcapitälen  auf,  mit  denen  die  vom  Fuss- 
boden  an  aufsteigenden  Wandsäulchen  abschliessen.  In 
der  Höhe  von  circa  zwei  Klaftern  umzieht  die  Capelle 
ein  Kaffgesims,  darunter  ein  kleeblattförmig  ausge- 
füllter Rundbügenfries  mit  Lilicnbestatz  an  den  Schen- 
keln. Die  Capelle  hat  sieben  schmale  spitzbogige  Fen- 
ster, davon  fünf  zweitheilige  im  Chürlein  (darinnen  noch 
Masswerk  und  bemalte  Gläser  im  spitzbogigen  Schlüsse) 
und  zwei  dreitheilige  im  Vorräume,  doch  fehlt  daselbst 
Masswerk  und  bnntes  Glas,  auch  sind  diese  Fenster 
nnregelmässig,  indem  sie  nur  zu  zwei  Drittheilen  geöffnet 
im  dritten  Drittheil,  das  schon  zum  Thurmkörper  gehört, 
das  Fenstennasswerk  nur  als  Relief  imitirt  zeigen. 

Nachdem  wir  die  Capelle  in  ihrer  architektonischen 
Beschaffenheit  betrachtet  haben,  erübrigt  uns  noch  ein 

*"   S.   darüber  Mittheit.   d.  Alterthums-Vereines  1869  p.  342.  Anmerk.   lu. 


CII 


Blick  all!  ihren  dermaligen  Zustand  und  die  Aufgrabe 
ihrer  Kcstauration.  Vor  allem  muss  hervorirehobeu  wer- 
den, dass  sie  eonstruetiv,  nämlich  hinsichtlich  der  Be- 
sebatfeuheit  des  Gewölbes,  geradezu  iui  Ar^^en  lie^n.  Es 
ist  demnach  die  erste  und  vorzugsweise  Aufirabe  der 
Restauration,  dass  das  Gewulhe  wieder  «rekrälii^n  werde, 
zu  welchem  Behüte  jener  Tiicil  des  Octo-ou-Gewöll)es, 
der  aus  den  Thurmkörper  hinaustritt,  neu  zu  machen  ist. 
Von  gleicher  Schwache  sind  die  sich  vom  hängenden 
Sehlussteine  abtrennenden  und  frei  schwingenden  Kip- 
pen, die  jetzt,  um  die  Arbeiter  nicht  zu  gefährden,  mit 
Stricken  befestigt  werden  mussten.  Von  nicht  minderem 
Belang  ist  die  arge  Misshandlung,  die  die  Capeile  im 
Laufe  der  Zeiten  durch  die  Tünchquaste  erlitt.  An 
manchen  Stellen  erreicht  die  Tünchkruste  \-ier  Linien, 
überall  aber  ist  sie  wenigstens  zwei  Linien  dick,  zum 
ÜbeiHuss  wurde  die  jüngste  Ubertünchung  mit  einer 
dicken  dunkelgrauen  Farbe  gemacht  und  der  damalige 
Maler,  von  lebhattem  Streben  nach  Gleichheit  der  Farbe 
ergriffen,  verschonte  bei  diesem  Acte  weder  Kippe,  noch 
Schlussstein,  weder  Capital,  noch  Fenstermasswerk; 
alles  erhielt  den  gleichen  schmutzig  grauen  Ton.  Kur 
die  drei  Schlusssteinreliefs  blieben  unversehrt. 

Diese  dunkelgrauen  Kalkmassen,  die  den  Blättern 
im  Capital  und  Schlussstein  die  scharfe  Kante  ganz 
nahmen  und  sie  in  ihrer  wirklich  schönen  Form  wesent- 
lich beeinträchtigten,  mussten  überall  entfernt  wer- 
den, um  zu  sehen,  wie  die  ursprüngliche  Beschaffenheit 
der  Mauer  und  der  Ornamente  war.  Die  Wände  wurden 
gesäubert,  die  Capitäle  und  der  Blätterkrauz  im  hän- 
genden Schlusssteine  wurden  mit  grösster  Schonung 
von  der  Tüuchhülle  befreit  und  es  zeigte  sich,  dass 
alle  Rippen  an  ihrer  Zusammenstossstelle  einfach  blau- 
grün oder  roth,  das  Kranzornament  am  Schlusssteine 
theilweise  vergoldet  und  endlich  das  ganze  Innere  der 
Capeile  mit  einer  dünnen  ockergelben  Farbe  über- 
malt war. 

Dem  Vernehmen  nach  ist  es  die  lobenswerthe  Ab- 
sicht des  die  Restauration  leitenden  Sachverständigen, 
der  Cai)elle  unter  möglichster  Schonung  des  Bestehen- 
den ihr  ursprüngliches  Aussehen  und  ihren  gebührenden 
Schmuck  wiederzugeben,  in  ihr  statt  des  schwerfälligen 
Zopfaltars  einen  dergothischen  Architektur  entsprechen- 
den Altar  zu  erbauen  und  die  Spitzbogenfenster  im  gebüh- 
renden Farbenschmucke  wieder  prangen  zu  lassen.  Da 
diese  Restauration  mit  so  richtigem  Verständniss  und 
in  massvoller  Weise  durchgelührt  wird ,  wünschen 
wir,  dass  sich  noch  allerorts  viele  Wohlthäter  finden 
mögen,  die  sich  für  solche  Acte  von  Pietät  begeistern  und 
die  Bestreitung  von  derlei  Kosten  auf  sich  nehmen,  und 
dass  bei  allen  Restaurationen,  so  wie  hier,  der  rechte 
Mann  getroffen  w^erde,  der  sich  der  Durchführung  der 
Sache  unterzieht,  aber  auch  dafür  das  entsprechende 
Wissen  und  die  beste  Erfahrung  hat. 

III.  Wiederaufgestellte  Grabmale  im  recht- 
seitigen  Chore. 

In  Fortsetzung  der  Mittheilungen  über  die  wieder- 
aufgestellten Grabdenkmale  im  sogenannten  Frauenchor 
der  St.  Stephanskirche  (pag.  LVIj,  wollen  wii;  nun  über 
jene  in  Kürze  eine  Mittheilnng  machen,  die  sich  im 
rechtsseitigen  Chor  (Passionschorj  befinden,  und  nach 
der  Restauration  wieder,  wenn  auch  nicht  alle  auf  ihren 
früheren  Plätzen,   aufgestellt  wurden;   dafür   sind  sie 


sämmtlich  an  der  rechtsseitigen  Mauer  in  einer  das  Lesen 
derliischrilten  betjuem  ermöglichenden  llrdie  angebracht. 

Wenn  wir  vom  Chorschlusse  beginnen,  so  reihen 
sich  die  Gedenksteine  in  folgender  Weise  aneinander: 

I.Grabmal  der  Antonia  Gräfin  von  Mi^azzi  tl773  '^. 

2.  Monument  des  Johann  Gschwind  von  Pöckstein, 
seiner  Frau  Magdalena  Barbara  und  seiner  Tochter 
Maria  Kegina  '*. 

3.  Das  Grabmal  des  durch  seine  Thätigkeit  wäh- 
rend der  zweiten  Türkenbelagerung  Wiens  berühmten 
Arztes  des  Dr.  Paul  v.  Sorbait  f  1691  «s. 

"  Eine  kleine  Tafel  aus  rothcm  S&lzburger  Marmor,  darauf  mii  gravirteD, 
TcrgoIdetOD  Bucti&tabeu  die    lu^chrii't: 

aiitlioniaü  uiicbaelJs  caspari 

comitib  do  migazzi  de  vaal 

cae!>arei  cubicularü 

et  ab  intiiniä  con±iiliie> 

trideuti  et  roboreti  csiiitanei 

et  mariae  dorotbeae  comitis^ac 

ab  arlz  et  vasseg  ßliae  barbara  comitis 

Joanoig  de  5taray  coujux 

sorori    amatis»imae 

mOfStissima  po:]Uit 

Tixit  auQis  XVII  diebus  XXIY 

obiit 

II  Januarii  MDCCLXXIII. 

Das   Wappen  dieses    ans  dem  allen  Veltlin  nacli  TyrnI    cingewanderleu 

Geschlechts,  in  weissem  Marmor  ausgeführt,  i^t  quadrin,  hat  über  den  ganzen 

Schild   eine    echrägrechte    Kinde    mit    drei    Lilien  darauf.   1.    und  4.   Veld  eine 

Sonne,  2.  und  3.   ein  castilischer  Thurm  mit  offeuem  Th><r.    l>a&  Schild  ist  mit 

drei  Helmen  überdeckt,  deren  mittlerer  einen  wachsenden  Greifeukopf  zeigt, 

der  2ur  Hechten  einen  Thurm  und  zur  Trinken  eine  Sonne  aU  Zimier  hat. 

**  Eine  rotbmarmorne  b.iuchichte  Platte  von  quer  ovaler  Korm.  mit  von 
Scalptur  reicbgeschmticktem  Kaud ;  in  der  Mitte  das  Inschriftfeld ,  darauf 
steht: 

Siste  viator  et  inspice. 
Ac  postquam  legisti  n^nni&i  bene  mortuis  apprecando  tibi  ipsi  vero  quo  citiut» 
eo  melius  consulendo  subscribe  monumeuto,  quc-d  optimis  (fama  publica  teste) 
pareniibus  perillustri  domioo  domino  joanni.  Gschwind  a  Paeksiein  equiti 
carintho  sac*  caes.  maj.  Ferd.  III.  consiliario  et  generali  tani  campi  quam 
aulae  bellico  questori,  qui  anno  MDCI.VIII  aet.  LIV.  Necdum  iuiegro  XV. 
maji  Vieunae  obüt  et  conjugi  ipsius  lecti:^simae  Reginae  natae  Schrökingt-rin 
q.  a.  MOCLXII  act.  LI.  nondum  completo  XXII  xbris  pie  pariter  Vienuae 
obdormivit  n.  absque  lacrimis,  ex  testamento  posueruut  illor.  filü  et  tiliae 
Joann.  Martin.  Georg,  ludavicus,  franciscus,  Christoph,  maria  margaretha, 
maria  felicitas  et  huic  gemtua  maria  regiua,  quae  licet  natu  ultima  prima 
nihilominus  a-  MDCLXXVI  act.  XXIV  vix  ante  biduum  adimpleto  XX VII 
augusti  Viennae  etiam  mortis  victima  obtinuit  et  nunc  unacum  Parentlbus 
quibus  hie  consepulta  jacet  veoiturum  in  illa  de  tremcuda  regem  majestatis 
expectat. 

Darunter  auf  einer  kleinen  besonderen  Inschrifttafel :  cum  reneris  domine 
judicare  noli  nos  condemnare. 

Johann  Gschwind  v.  Pöckstein  kärntnerischer  Landstand,  war  von  l*i51 
bis  166S  kais.  Rath,  Hof-  und  Generalkriegszahlmeister  des  Kaiser  Ferdi- 
nand III.  und  starb  1658.  Von  den  sechs  Kindern  führt  Wies  gri  1 1  (Schau- 
platz VI.  43-4  n.  i.  A.)  nur  zwei  an,  nämlich  Joh.  Martin,  späteren  Freiberrn 
von  Gschwind  und  Maria  Margaretha  vermählt  mit  Joh.  Edlen  t.  Fabrizzi. 
M.  Felicitas  surb  am   15-  März   IGSS  und  ruhet  zu  Klagenfuri. 

Das  am  Grabmale  angebrachte  und  bekrönte  Doppelwappen  zeigt  im 
1.  Schilde  einen  wach.senden  Bären  mit  silbernem  Halsband  und  daran  hängen- 
der Kette,  im  2.  eine  sitzende   Heuschrecke. 

i^Eine  Tafel  aus  rotheo  Salzburger  Marmor,  darauf  mit  goldenen  Lettern 
folgende  Inschrift: 

De  stercore  erigens  pauperem  Psalm  112. 

Paulus   de  Sorbeit  in  Belgio  natus  hie  denatus,  musicus,    orator,  pbilo- 
eophus,  miles,  medicus,  professor,  archiater,  rector  magniiicus,  mendicus,  nihil 
musicus  fui,  ut  bonam  viiae  mensuram  servare 
orator,  ut  me  ad  boiium  vitae  epilogum  dirigere 
phik'Sophus,  ut  vitam  contemuere 
miles,  ui  dura  tolkrare 

medicus,  ut  aliis  serviendo  me  consumere 
Professor,  ut  alios  promovendo  me  deprimere 
rector  magniiicus,  ut  prlvilegia  defendere 
aulicus.  ut  aliis  nun  mihi  servire 
discerem  ai  amara  mors 
et  ad  musici  modulationes 
et  ad  oratoris  persuasiones 
et  ad  pbilosopht  argumentaliones 
e  I  ad  militis  comminationes 
et  ad  professoris  lectiones 
et  ad  medici  rccL'ptiones 
et  ad  rectoris  defcneiones 
et  ad  aulici  moriiticationes 

surda  me  rapuit 
nunc  mendicus  sum  et  nihil 
rogo  te,  ora  pro  me 
obiit  iinnn  i»;9l   die  29.  mensls  aphl 
actaiis  LXVII  annorum. 
Über  dem  Monuitiente  ist  das  Wappen  aus  weissem  Marmor  angebmchl, 
selbes  ist  senkrecht  getheilt.  Das  1.  Feld  ist  horizontal  und  unten  neuerdings 
t'Lspalten.  Im  oberen  Felde  sind  zwei  übcreiuanderstehende  Vogel,  im  unteren 
rechts  ein  l^oppeladler,  links  eine'  Lilie  sichtbar,  im  andern  Felde  ein  Baum. 
i'lier  dem  Scliilde  ein  Turnierhclm  mit  einem  Büschel  Straussenfedern.  Unten 
ist  am    Monumente    noch    eine    kleine   Tafel    aus  weissem  Marmor   aiigebrachi, 
dieselbe  stellt  en  relief  den  Verstorbenen  vor  einem  Kreuze  kniend  vor.   I>er 
hier  Ituhende    war    Leibarzt  der  Kaiserin   Eleonore  und  Anführer  des  bewaff- 
neten Studentencorps  während  der   zweiten  TÜrkenbelagerung  liiäü.  (s-  Mittb. 
d-  Alterlhuras-Vereines  Vlil,  pag.  11). 


cm 


4.  Monument  ftlr  den  im  Jahre  1641  verstorbenen 
Jacob  BerthoUl  Freihurru  von  Ungerschütz  »ß. 

5.  Der  Gedächtuissstein    für  den  Hofbuchhalter 
Michael  Kern  f  1667  ". 

6.  Grabstein  des  Dompropsten  Augustin  Zwerger 
t  1648  1^ 

7.  Grabmal  des  Hieronimus  Joseph  Franz  von  Paula 
Grafen  von  Colloredo-Wallsee,  Erzbischofs  und  letzten 


souveränen 
1732  tö. 


Keicbsfürsten    von    Salzburg,    f    1-    Mai 


'ß  Eine  von  zwei  Engeln  gehaltene,  draperieartig  geformte  schwarze 
Marui"rplatte,  auf  roiher  Unterlage,  darüber  zwei  Wappen  aus  Bronce,  deren 
eines  cjuadrirl  im  1.  und  -1.  Felde  einen  einköpligen  gekrönten  Adler,  im  2. 
und  3.  einen  Löwen  unter  einem  doppelten  Sparen  zeigt.  Das  zweite  "Wappen 
i$t  horizontal  getheüt,  und  zeigt  einen  wachsenden  Greifen,  ein  Schwert  in 
der  Tatze,  das  untere  Feld  ist  überdiess  senkrecht  getheiU,  und  hat  im  einen 
Feld  drei  Kogeln  (1 — 2)  im  anderen  zwei  schrägrechte  Binden. 
Die  Inschrift  lautet: 

illustrissimus  d.  d. 
jacobus  bertholdus  1.  b.  ab.  ungerschiiz,  frading  |  pullitz  et  radiiig  dominus 
in  podendorff  augus  |  -tissimorum  imperatorum  Ferdinandi  quondam  se  |  cundi 
et  Ferdinandi  teriü  a  consiliis  camerae  |  inip«?rialis  aulicae  director,  exeelsi 
regiminis  infra  j  aunasuni  cousilianus  justitiae  et  equitatis  ama  |  tor  erat 
cameralis  desperatis  temporibus,  auctor  religionis  catholitae  pluriniis  in  lo  [ 
eis  niaxime  pore  in  austria  buperiore  propagator  |  et  stabiliter  viduarum  et 
pupillorum  in  l  defes^us  adjutor,  pauperum  benefactcr  juris  con  |  -sultus 
praeclarus  omnisque  doctiinarum  |  generis  de  republica  et  fi.de  catbolica  | 
optime  meritUö  subduoeus  se  tandem  mundi  ]  vanitatibus  durius  ut  pluri- 
mum  vacans  mor  |  bo  fatigatus  dileetissimae  conjugi  vale-  |  dulcissimis  liberis 
benedirens  sacramentis  |  omuibus  inviiiatus  |  obdormivit  suaviesime  |  in 
dominum  28  maii  anno  1641  aetatis  50,  |  cujus  exanime  corpus  loculus  hie  ani  | 
ina  vero  sinus  abra  |  hae  per  |  merita  salvatoris  domini  nostri  ]  Jesu  christi  [ 
expectit. 

Neben  diesen  Familienbegräbnisse  befand  sich  der  Leopoldi  -  Altar, 
welcher  von  dieser  Familie  errichtet  worden  ist. 

^'  Ein  Monumtnt  aus  rothem  Marmor  mit  einer  Inschrifttafel  aus  licht- 
grauem Granit ,  darauf  mit  schwarzen ,  gravirten  Buchstaben  folgende 
Inschrift: 

Allhier  ligt  begraben  der 

Wohl-  Edl  und  gestrenge  Ilerr 

Michael   Kern,   der  röm. 

kay  may,  gewester  Rath  und 

Hoflfbuechhalter,  welcher  den  27. 

Julii  anno   1G67  im  6-1.  Jahr 

seines  Alters   gestorben,   denie  Gott  gnädig 

und  barmherzig  sein    woll 

Amen. 

Auf  der  linken  Seite  der  Schrift  ist  das  Bild  der  Sonne,  auf  der  rechten 

das  der  Sanduhr. 

Die   Inschrift  lautet  weiter: 
Volai  hora  sine  mora,  sol  celer  est,    at  sole  tamen    velocior  hora,    hora  stetit 
nunquam,  sol  aliquaudo  stat. 

Schnell  ist  die  Sonn  in  ihren  Lauff 

Noch  schneller  ist  die  Stunde 
Denn  die  lasst  sich  nicht  halten  auff 

Die  Sonn  wohl  aber  stundte 
Es  fliegt  die  Stundt  ganz  ohne  Zill 

Lasst  sich  nicht  widerrueffen 
Der  du  vorbeygehst,  stehe  still 
Hilf  jenen,  so   dir  rueffen 
Über  dem  Monumente  ist  ein  Wappen  aus  weissem  Marmor  angebracht, 
das  von  zwei  Genien  gehalten  wird  j   das  Wappen  zeigt  zwei  springende,  gegen 
einander  gerichtete  gekrönte  Löwen  mit  getheilten  Schweifen,  dieselben  lialten 
eine    Pyramide,    darauf  eine  Lilie.    Als   Helmzier  ist    ein  wachsender  gekrönter 
Löwe  mit   getbeiltem   Schweife   angebracht,    eine  Lilie  haltend.  Unter  der  In- 
schrifttafel ist  eine  Uhr  angebracht,   die  zwölfte  Stunde  zeigend. 

'8  Ein  Monument  aus  dunkelgrauem  Marmor,  in  der  Mitte  die  Kreuzes- 
abnahme en  relief  in  weissem  Marmor  ausgeführt. 

Am  Sockel  des  Monuments  befindet  sich  folgende  Inschrift: 

Joannes  augustinus  zwerger 

i.  V.  p.  sac.  caes.  mitis  consiliarius  decan 

in  kirenberg,  cathed.  eccl.  viennensis 

praepositus 

officialis  et  vicarius  generalis 

nee  non 

celeberrimae  et  anti  — 

quissimae  universit.  ibidem 

cancellarius 

obiit  die   IV  mensis 

sept.   anno   domini 

MDCXLVIII 

aetatis  LX 

Über  dem   Monument  befindet   sich  das   Wappen,   dasselbe  ist  in   vier 

Felder  getheilt,  von   denen  das   1.   und  4.   die  Hälfte  eines  senkrecht  getheilten 

Kreuzes,    das    2.    und    3.  einen    Doppeladler  ohne  Krone  vorstellt.  Der  Schild 

ist  einerseits  mit  der  Infel,    dc-m  Pedum   mit  Sudarium,   anderseits  mit   einem 

geschlossenen    Turnierhelm    überdeckt ,     der   zwischen    dem    Adlerflug    einen 

wachsenden  Ritter  als  Zimier  hat. 

Johannes  Zwerger,  gebürtig  aus  Wien,  war  zuerst  Custos,  sodann  Decan 
an  dieser  Kirche. 

1*  Früher  stand  hier  eine  Pyramide  aus  schwarzem  Stucfcmarmor,  darauf 
oben  en  relief  das  Bildniss  des  hier  Ruhenden  im  bischöflichen  Hauskleide, 
darunter  das  salzburgische  Wappen  mit  dem  colloredo'schen  im  Herzschilde. 
beides  aus  weissem  Marmor.  Das  Wappen  ruhte  auf  Schwert  und  Pedum  und 
ist  mit  dem  Legatenhute  überdeckt.  Zu  unterst  befand  sich  die  Inschrifttafel.  Als 
der  rechte  Seilenchor  restaurirt  wurde,  wurde  auch  dieses  Monument  entfernt, 
und  sind  jetzt  nur  Theile  demselben  aber  nicht  zu  Schaden  des  Ganzen  an  der 
alten  Statte  aufgestellt  worden,  nämlich  das  Wappen  und  das  Portrat.  Eine  neue 
Inschrifttafel  euthält  die  mit  der  früheren  ziemlich  gleichlautende  Inschrift. 


8.  Grabstein  des  Job.  Kaltenmarkter,  passauisehen 
Officials,  t  löU(>=i«. 

y.  Grabmal  des  Alphons  Valdesius,  f  1532 -». 


Eine  Betsäule  bei  Pressburg. 

(Mit   1    H..lz>chnitl.) 

Wir  haben  bereits  Seite  XV  dieses  Bandes  der  Mit- 
theilnng-en  der  Cent.-Coinm.  unsere  Leser  darauf  auf- 
merksam gemacht,  dass  mitteJalterliohe  Denksäulen  und 
Marterkreuze,  da  sie  jetzt  schon  sehr  selten  vorkommen, 
allerorts  eingehender  Beachtung  und  auch  Schonung  be- 
düri'en.  Zugleich  haben  wir  versprochen,  eine  Reihe  von 
Beispielen  solcher  Säulen  zu  bringen.  Indem  wir  hier- 
mit wieder  ein  solches  Denkmal  ^  das  sich  durch  seine 
zierliche  Gestaltung  auszeichnet,  derBesprechung  unter- 
ziehen, müssen  wir  jedoch  die  Mittheilung  beifügen, 
dass  wir  erst  im  nächsten  Bande  dieser  archäologischen 
Schrift  in  der  Lage  sein  werden,  die  versprochenen 
grösseren  Beispiele,  wie  die  Zderad-Säule  bei  Brunn, 
die  sogenannte  Spinnerin  bei  Wien  etc.  in  Abbildungen 
beibringen  und  besprechen  zu  können. 

Diese  hier  in  Bede  stehende  Säule  befindet  sich  im, 
in  neuerer  Zeit  bedeutungsvoll  gewordenen  Blumen- 
thaie bei  Pressburg  am  sogenannten  Schweinplatz,  sie 
steht  öd  und  verlassen  in  einer  Wüste  von  Schmutz  und 
Koth;  arg  durch  die  Zeit  und  menschlichen  Muthwillen 
beschädigt,  ist  sie  der  Restauration  dringend  bedürftig, 
aber  auch  würdig. 

Sie  ist  ganz  aus  Werkstücken  gebaut,  wird  aus 
einem  viereckig  aufsteigenden    Schaft    gebildet,    auf 

D.  M. 

hyeronimi  .  francisci  .  d.  .  Paula, 
archiepiscopi  .  salisburgensis  .  s.   r.  imp.   prineipis 
legati.  s.  sedis.  apostolicae.  nati.  primalis  germaniae 
vindobonae  XXXI  maji  MDCCXXXII  natus 
ex  rudolpho  principe    a  colloredo 
et  gabriella  comitessa  a  starhemberg 
promotus  ad  archiepiscopatum  salisburgensem 
XIV  martii  MDCCLXXII  arduis  pro  bono  religionis 
Übertäte  ecclesiae  germanicae 
et  territorii  salute  praeclarae  perfunctus 
ob  mutatum  sacri  romani  imperii  statum 
in  urbem  patriam  regressus  ad  suos 
adjuvente  caesare 
hunc  sibi  sepuliurae  locum  elegit 
obiit  XX  mai  MDCCCXII 
Ausserdem    gab   die   frühere   Inschrifttafel   noch    bekannt:    „In    gratam 
memoriam  posuit    rudolphus  princeps  a  colloredo-mannsfeld  ex  fratre  nepos'^. 
Der   besagte    Erzbischof    und    Primas    von    Deutschland    (legatue  natus) 
war  der  zweitgeborne  Sohn  des  Rudolf  Grafen  und  nachmaligen  ReichsfÜrsteu 
von    Colloredo,  Grafen   von    W'allsee,  f    1.  Nov.  1788  und  der  Maria   Gabriele 
Gräfin  v.   Stahremberg,  f  8.  Nov.  1793.  Mit  ihm  erlosch  die  Reihe  der  souve- 
ränen Erzbischöfe  von  Salzburg. 

-"  Ein  Slonument  aus  grauem  Marmor,  mit  einem  schönen  Holzschniiz- 
bilde  (?)  in  der  .Mitte.  Dasselbe  stellt  den  Heiland  am  Kreuze  vor.  Vor  demsel- 
ben kniet  auf  der  einen  Seite  der  heil.  Hieronimus  vor  ihm  liegt  ein  rother, 
runder  Hut  und  ein  Löwe,  auf  der  anderen  Seite  ein  Priester  in  rothem  Ornat. 
Hinter  dem  Priester  sind  zwei  Figuren  sichtbar,  von  denen  die  eine  der  heil. 
Johannes  ist. 

Die  Inschrift  ober  dem  Basrelief  lautet: 
clarissimi,  d.  |  io.  kaltamar  |  kt  juriv.  e-  theolgiae  |  doct.  ratisbonn.  patavienn.  | 
ac  viennen.  ecclessiarum  canonici,  infra  1  onasum  officialis    ebitha    ductu   magi- 
stri  I  georgii  Berlar  editum.    Oui   obiit   ultima  april.    auno  MDVI.  |  memoriae 
d.  kaltenmarkt. 

Unter  dem  Basrelief:  S.  O.  M.  S. 

dura  visi  cognovi  hominum  pia  jura,  dumque  me  studiorum  habuit  d-octa 
vienna  pafrem  consilio  assentit  cesar  hie  morte  dirempti  ossa  jacent  animum 
sidera  celsa  fovent.  M.  D.   VI. 

Das  Wappen  zeigt  einen  mit  dem  Cardinalshut  bedeckten  Löwen. 
2'  Eine  kleine  Kehlheimerplatte  : 

alphonso  valdesio  hispano  ex 

generosa  valdesiorum  familia 

viro  doctrina  moribusq. 

ornatissimo  ad  resp. 

gerendas  aptissimo 

caroli  caesari   v. 

secretario  fatorum 

invidia  sublato  mon- 

imentum  temporarium 

Alumni  maiimo  cum  lue» 

tu  posuere  VI  octobria 

MDXXXII. 


CIV 


welchem  die  nach 
drei  Seiten  jreölfiiete 
Capeile  stellt,  deren 
FensterniitMas.swerk 
und  die  sich  darüber 
bildenden  Giebel  mit 
Knorren  und  Kreuz- 
blumen besetzt  sind; 
die  Capellenpteiler 
endigen  in  Fialen. 
Über  der  Capelle 
steigt  die  knorrige 
Spitze  empor.  Doch 
ist  sie  in  Wirklichkeit 
nicht  so  Tollkommen 
aussehend ,  wie  sie 
uns  die  beigegebene 
Abbildung  darstellt; 
denn  schon  mangeln 
viele  Krabben  und 
die  abschliessende 
Kreuzblume,  so  wie 
auch  in  der  Kische 
das  heil.  Vesperbild  i. 
Die  ganze  Säule  hat 
eine  Höhe  vou  23'. 

Über  die  Ge- 
schichte der  Säule, 
die  noch  aus  dem 
XV.  Jahrh.  stammen 
mag,  ist  nichts  be- 
kannt ;  nach  einer 
alten  Überlieferung 
steht  sie  auf  einem 
Platze,  der  einst  dem 
Stifte  Martinsberg  ge- 
hörte •.        ...»(... 

Der 

Alterthums  -  Verein 
in  Wien. 

(Schluss.) 

Nachdem  wir  die 
Thätigkeit  des  Ver- 
eines in  der  einen 
Richtung  geschildert 
haben ,  wollen  wir 
nun  über  sein  weiteres 

'm4 \ 1 \ 1 ''     ^Vi'-ken  berichten. 

'        '        '        '  Gleiclizeitig    nnt 

der  Veröflentlichung 
unserer  Besprechung  ii))er  die  Vi'irksamkeit  dieses  Ver- 
eines wird  das  Schlussheft  des  X.  Bandes  den  Jlitglie- 
deni  übergeben.  Es  ist  schon  lange  her,  dass  dieses  Heft 
hätte  erscheinen  sollen,  allein  der  Umstand,  dass  der 

■  Die  Abbildung  zeigt  ans  den  Resl«or«tion8-Enlwurr  nach  dem  AreU- 
tc-ktcn  Schul  CE  Ferencz. 

=  Dr.  Fiorian  Eomer  bespricht  diese  Säole  in  seiner  Broschüre  „Press- 
burss  archäologische  nenkmale"  p.  330  und  erwähnt,  dass  auf  einem  alten 
kupforstiche  der  Hofbiblioiliek  In  Wien  ohne  Angabe  der  Zelt  und  dis 
Kuiisilirs  die  öetlichc  Ansicht  Ton  Prcssbnrg  dargctlellt  ist  nnd  darauf  im 
V'.rdergrunde  diese  Säole  erscheint.  Korabinsky  («eschreibung  der  k.  ung. 
Hauptstadt  Presi,burgj  erwäl.nt  diese  Säule  p.  10^1,  nennt  sie  eine  alle  Pyramide, 
deren  hohes  Alierthum  erst  vor  einigen  Jahren  durch  frischen  Kalk  verstellet 
Word  en  sei. 


Ausschuss  mit  aller  Energie  sich  vorerst  bestrebte,  den 
VHI.  Band  der  Vereinsschritten  zu  vollenden,  machte 
in  der  Ausgabe  dieses  Heftes  eine  Verzögerung  nöiliig, 
die  eben  durch  ihre  Ursache  eutschuldigbar  wird.  Wir 
glauben,  dass  es  für  die  Zukunft,  um  solche  Zwischen- 
lalle zu  vermeiden,  am  zweckmässigsten  wäre,  wenn  die 
den  Vereinsmitgliederu  bestimmte  jährliche  Gabe  der 
Vereinsberichfe  immer  einen  vollständigen,  wenn  auch 
nicht  so  umfangreichen  Band  bilden  würde;  es  wäre 
damit  vielen  Wünschen  der  Mitglieder  entsprochen  und 
würden  manche  Keclamationcn  und  unuöthige  Antra- 
gen vermieden  werden. 

Was  nun  den  Uobalt  des  Heftes  anbelangt,  so 
zerfällt  derselbe  in  zwei  Gruppen ,  die  eine  Gruppe 
bilden  selbständige  wissenschaftliche  Arbeiten,  die 
andere  die  den  Verein  betretfenden  Berichte.  In  erste- 
rer  finden  wir  die  grössere  Anzahl  der  im  Winter  1868 
auf  1869  gehaltenen  Vorträge,  wie  jenen  schon  bespro- 
chenen des  Dr.  Lind  über  einen  Plan  von  Wien  aus 
der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts,  ferner  die  Vorträge 
Sr.  Excellenz  des  Freiherrn  Karl  von  Ransonnet  über 
die  Museen  zu  Chiistiania,  Stockholm  und  Kopenha- 
gen, des  Herrn  Haupt  über  die  Sage  von  der  Frau 
Venus  und  Ritter  Tauuhäuser  und  des  Prof.  A.  Ritter 
V.  Perger  über  die  Wielandssäulen.  Auch  finden  wir 
den  Text  jenes  Passionsspicls,  das  während  des  XVII. 
und  anfangs  des  XVIII.  Jahrhunderts  am  f'hartreitag 
alljährlich  in  der  St.  Stephauskirche  aufgeführt  wurde. 
Es  wird  dieses  Gedicht  mit  Unrecht  ein  Passionsspiel 
benannt,  denn  es  behandelt  nicht  das  ganze  Leiden 
Christi,  sondern  nur  den  Act  der  Kreuzesabnahme  und 
Grablegung,  und  hatte  den  Zweck,  da  es  am  Char- 
freitag  Vormittag  nach  den  Traucrfeierliclikciten  auf- 
geführt wurde,'  die  Andächtigen  auf  den  kirchlichen 
Act  der  Grablegung  vorzubereiten.  Man  könnte  sagen, 
diese  dramatische  Aufführung  bildete  einen  Bestandtheil 
der  kirchlichen  Feier.  Kachniitfags  wurde  dann  eine 
zweite  Darstellung  gehalten,  die  die  Trauer  der  Frauen 
und  Jünger  beim  heil.  Grabe  vorstellen  sollte. 

Sehr  interessant  sind  die  von  Camesina  diesem 
Passionsspiele  beigegebenen  Erläuterune-en.  Sie  bezie- 
hen sich  theils  überhaupt  auf  einige  kirchliche  Feier- 
lichkeiten im  Wiener  Münster,  (dahin  gehört  der  Zug 
der  Priester  am  Weihnacht.stage  zum  Standbil  de  des 
Engels,  als  Erinnerung  an  die  Verkündigung  der  Geburt 
des  Heilands  an  die  Hirten  und  an  die  Warnung  Josephs 
wegen  des  bevorstehenden  bethlehemitisclieii  Kinder- 
mordes, der  Umzug  mit  dem  Pahnesel  am  Palmsonntage 
und  die  Darstellung  der  Auffahrt  Christi,  indem  eine 
lebensgrosse  Figur  durch  ein  besonders  geschmücktes 
Aufzug.sloch  in  die  Höhe  gezogen,  sodann  von  oben 
auf  das  Volk  heilige  Bilder,  aber  auch  Wasser  ausge- 
gossen wurde),  theils  auf  die  Stephanskirche  selbst, 
ihre  Umgebung  und  Einrichtung.  Wir  erfahren  nämlich, 
dass  die  aus  dem  dreischiffigen  Langhause  gebildete 
s.  g.  untere  Kirche  die  Pfarr-  oder  Laieiikinlieznmheil. 
Stephan  war ,  dass  dort  inmitten  der  Marcusaltar  mit 
dem  Taufsteine  stand,  dass  dort  zu  gewissen  Zeiten 
das  Hungertuch  (Fastentuch),  der  Palmesel,  die  Bühne 
mit  dem  Ühlberge  und  der  Kreuzigung,  wo  auch  das 
Passionsspiel  aufgciülirt  wurde,  seinen  Platz  hatte,  dass 
der  jetzige  Orgelchur  früher  diese  Bestiiiiiiiung  nicht 
hatte,  sondern  die  Emporkirche  hiess,  und  dass  dort 
einige  Altäre  standen ,   die   erst   bei  Aufstellung   der 


cv 


grossen  Orgel  um  1720  entfernt  wurden,  dass  auf  dieser 
Emporkirche  auch  das  Capitelhaus  der  Canoniker  sich 
befand,  dass  jenseits  des  Lettners  der  drcisehiffige 
Chor  die  Kathedrale  bildete  und  zu  Ehren  aller  Heili- 
gen geweiht  war,  dass  ein  Theil  des  Friedhofes  um  die 
Kirche,  nämlich  jener  gegen  Nordosten  an  sie  anstos- 
sende  Theil,  von  der  dort  vorgenommenen  Palmweihe 
der  Palmbübel  hiess  u.  s.  w. 

Ein  Abschnitt  dieses  Heftes  ist  einer  archäologi- 
schen Rundschau  gewidmet.  Die  Redaction  beabsichtiirt 
nämlich,  von  Zeit  zu  Zeit  mit  Illustrationen  ausgestat- 
tete Auszüge  von  in  anderen  neueren  Werken  enthalte- 
nen Beschreibungen  solcher  interessanter  Raudenkmale 
Nieder-Osterreichs-zu  bringen,  die  bisher  in  den  Schrif- 
ten des  Vereines  noch  nicht  besprochen  worden  waren. 
Da  diese  Einführung  die  Erreichung  einer  möglichst  voll- 
ständigen Übersicht  bezweckt,  die  den  Verein  smitgliedcrn 
über  die  Denkmale  Nieder-Osterreichs  auf  diese  Weise 
geboten  werden  soll,  so  kann  man  diesem  Unternehmen 
die  Anerkennnugnichtvcrsagen.  Für  diesmal  bietet  diese 
Rundschau  kurze  aberreich  illustrirte  Beschreibungen: 
der  Karner  zu  Tulln,  Pulkau  und  Zellerndorf,  der  Kirchen 
zu  Krems,  Sievring  und  zu  Maria-Stiegen  in  Wien ;  die 
Original -Aufsätze  befinden  sich  grösstentheils  in  den 
Mittheilungeu  der  k.  k.  Centr.  Comm.,  woher  auch  meh- 
rere Holzschnitte  entlehnt  wurden.  Ganz  passend  wurde 
der  Baubeschreibung  letzterer  Kirche  die  von  dem  ver- 
dienstlichen und  für  die  vaterländische  Geschichte  leider 
zu  früh  verstorbenen  Feil  verfasste  Geschichte  dersel- 
ben vorausgeseudet. 

Nicht  unberührt  können  wir  lassen,  dass  aus  den 
geschäftlichen  Mittheilungen  des  Vereines  eine  ganz 
gute  Cassagebarnng  und  eine  ansehnliche  Vermehrung 
der  Vereinsmitglieder  mit  Befriedigung  ersehen  werden 
kann. 

Schliesslich  haben  wir  noch  heiTorzuheben,  dass 
am  9.  Mai  d.  J.  über  Antrag  des  Freiherrn  v.  Sacken 
der  Versuch  einer  archäologischen  Excursion  der  Ver- 
einsmitglieder gemacht  wurde.  ]\Ian  wählte  die  in  mehr- 
facher Beziehung  interessanten  Orte  Hainburg,  Deutsch- 
Altenburg  und  Petronell.  Fast  40  Personen  nahmen  an 
diesem  Ausfluge  theil,  über  dessen  Erfolg  der  allseitig 
ausgesprochene  Wunsch  einer  recht  baldigen  Wieder- 
holung das  beste  Zeugniss  gibt.  In  Hainburg  wurden 
der  Besichtigung  unterzogen  dessen  mittelalterlich  forti- 
fiea torische  Bauten,  als:  das  in  seinem  unteren  Theile 
mit  Buckelquadern  versehene  mächtige  Ungarthor,  die 
sich  daran  schliessende  Stadtmauer  mit  ihren  vierecki- 
gen über  Eck  gestellten  Thürmen ,  die  in  ihren  unteren 
Theilen  dem  XHI.  Jahrhundert  angehören  mögen ,  der 
schöne  oblonge  Raum,  wahrscheinlich  ehemals  ein  Saal, 
mit  seinen  schimen  romanischen  Doppelfenstern  und  dem 
Ahrenmauerwerk,  ferner  das  merkwürdige  in  die  Zeit 
der  Kreuzzüge  gehörige  Wienerthor  mit  seinen  halb- 
runden Vorbauten  und  den  Relieffiguren  daran.  Auch 
der  Schlossberg  wurde  erstiegen,  und  dort  die  Ruine 
der  ins  XH.  Jahrhundert  zurückreichenden  Burg  mit 
der  romanischen  Capelle  und  dem  grossen  ^^ercckigen 
Thurmemit  seinem  rundbogigen  Portale  und  den  schönen 
romanischen  Fenstern  in  Augenschein  genommen.  So 
versäumte  man  auch  nicht,  der  gothischen  Todtenlenchte, 
dem  romanischen  Karner  und  der  berühmten  im  Rath- 
hause  aufgestellten  ara  heinburgensis  einige  Augen- 
blicke zu  widmen. 


In  Deutsch- Altenburg  besuchte  man  die  Pfarrkirche 
mit  ihrem  romanischen  dreischitfigen  Langhause  und 
dem  im  reinsten  gothischen  Style  erbauten  Chor  und 
natürlich  auch  die  der  Kirche  zunächst  gelegene  Todten- 
capelle,  eine  der  schönsten  in  Nieder-Österreich,  bei  der 
nur  zu  bedauern  ist,  dass  bei  der  im  Jahre  1823  vor- 
geuomnieuen  Restauration  ihr  Eingangsbogen  seinen 
ursprünglichen  Schmuck  nicht  erhalten  hatte. 

Das  letzte  Ziel  der  Excursion  war  Petronell.  An 
der  romanischen  Kirche  vorüber  kam  man  zur  grossen 
Rundcapelle,  die  wahrscheinlich  ursprünglich  ein  Bap- 
tisterium  oder  eine  Pfarrkirche  war  und  gegenwärtig 
restaurirt  wird,  sodann  in  das  gräflich  Trauu'scheSchloss, 
woselbst  in  einem  Gartensaale  eine  Menge  grösserer 
Fundstücke,  alle  dem  verschwundenen  Carnuntum  auge- 
hörig, aufbewahrt  werden,  später  erreichte  man  entlang 
des  Scbüttkastens  und  einer  ausgedehnten  offenen  Nach- 
grabnngsstelle  endlich  das  ausser  Petronell  inmitten 
eines  Ackers  stehende  und  weithin  sichtbare  Heidenthor, 
einen  mächtigen  Bogen,  den  Rest  von  einem  mit  vier 
sich  durchkreuzenden  Eingängen  versehenen  Thore, 
das  dem  Ende  des  III.  oder  Anfang  des  IV.  Jahrhun- 
derts angehören  mag,  der  einzige  von  Zubauten  frei 
gebliebene  römische  Bau  um  Wien.  Mit  der  Besichti- 
gung dieses  Objects  war  die  Reihe  der  Sehenswürdig- 
keiten erschöpft  und  die  Theilnehmer  der  Excursion 
kehrten  befriedigt  nach  Wien  zurück. 

Was  besonders  das  Interesse  an  den  besichtigten 
Gegenständen  hob,  war,  dass  bei  allen  Anlässen  Freiherr 
V.  Sacken  einige  wenige,  aber  das  Object  vollständig 
erläuternde  Worte  sprach. 

Schliesslich  unserer  Besprechung  über  die  Tbätig- 
keit  des  Alterthums-Vereines  haben  wir  noch  zu  erwäh- 
nen, dass  diesem  Bande  ein  Verzeichniss  sämmtlicher 
in  den  zehn  Bänden  der  Vereinsschriften  erschienener 
Aufsätze  beigegeben  ist,  eine  Beigabe,  die,  um  das  bei 
den  14  Bänden  der  Mittheilungen  derCent.-Comm.  schon 
sehr  schwierige  Nachschlagen  zu  erleichtern,  für  eheu 
diese  Publication  auch  sehr  erwünscbenswerth  wäre. 


Das  Jahrbuch  des  Vereines  für  Landeskunde  von 
ffieder-Österreich. 

Vor  kurzer  Zeit  wurde  bereits  der  2.  Band  dieser 
Vereinspublication  ausgegeben.  Der  Zweck  des  Jahr- 
huches  ist  die  Erweiterung  der  Landeskunde  nach 
allen  Richtungen  und  die  Ansammlung  des  nothwendi- 
gen  Stoffes  zu  einer  Topographie  Nieder-Osterreichs. 
Nachdem  aber  zu  diesem  iZwecke  der  Stoff  aus  allen 
Gebieten  des  Wissens  und  der  Erfahrung  geschöpft 
werden  muss,  so  ist  es  nur  ein  geringer  Theil  des 
Inhaltes  der  beiden  Bände  des  Jahrbuches,  der  für  uns 
vom  Standpunkte  der  Archäologie  von  Wichtigkeit  ist; 
doch  können  wir  nicht  unterlassen  beizufügen,  dass 
eine  Geringschätzung  des  übrigen  Inhaltes  uns  fern  liegt. 

Dieses  eben  angegebene  Ziel  im  Auge  behaltend, 
müssen  wir  vor  Allem  des  im  1.  Bande  befindlichen 
Aufsatzes  von  Dr.  A.  v.  Meiller,  dem  verdienstvollen 
Forscher  um  Österreichs  ältere  Geschichte  Erwähnung 
thun.  Dr.  Meiller  hatte  sich  die  schwierige  Autgabe 
gestellt,  ein  Verzeichniss  jener  Örtlichkeiten  im  Lande 
Österreich  unter  der  Enns,  welche  in  den  Urkunden 
des  IX.  bis  XL  Jahrhunderts  vorkommen,  zusammen- 


CVI 


zustellen.  Allein  es  bliel)  nicht  bei  dem  einfachen  Darch- 
forschen  der  eine  Ausbeute  vermuthen  lassenden  Urkun- 
denwerke, auch  eine  sorgfältige  Priit'iinir  des  Vorgefun- 
denen war  nnthwendig.  Diese  Aufg.ibe  wurde  vorzüglich 
gelöst,  und  wir  finden  niit  Erstaunen  eine  namhafte  Zu- 
sammenstellung von  Ürtlichkeiten  i  Orte,  Berge,  Flüsse, 
Bäche  etc.),  deren  Zahl  fast  -tOO  ist.  Eine  grosse  mit 
diesen  Ortlichkeiten  bezeichnete  Karte  erleichtert  das 
Verständniss  und  gibt  eine  klare  Übersicht. 

Im  zweiten  Bande  fesselt  unsere  Aufmerksamkeit 
Dr.  Kenner 's  durch  eine  Karte  erläuterter  Aufsatz 
über  die  Römerorte  in  Nieder-Osterreich. 
Der  Verfasser  hatte  sich  dabei  nicht  auf  jene  Orts- 
namen, die  in  den  alten  Keischandbücheru,  auf  der 
Strassenkarte  und  in  Inschriften  erscheinen,  oder  von 
alten  Historikern  und  Geographen  genannt  werden,  be- 
schränkt, er  hatte  dazu  noch  zweiQclien  benutzt,  nämlich 
die  archäologischen  Funde  und  die  Kritik  der  Orts- 
namen. Zur  Begründung  des  umfangreichen  Verzeich- 
nisses sendet  Dr.  Kenner  demselben  mehrere  Abschnitte 
voraus,  davon  der  erste  eine  Übersicht  der  Entwicklung 
der  römischen  Vertheidigungs- Anstalten  in  Nieder- 
Osterreich,  der  zweite  die  strategische  Bedeutung  der 
Festungen  und  Strassen  behandelt  und  endlich  der 
dritte  uns  ein  Bild  der  römischen  Cultur  in  Nieder-Oster- 
reich gibt.  Sowie  Kenners  Arbeiten  überhaupt  alle 
sich  durch  Gründlichkeit  und  geistreiche  Benützung  der 
Forschungsresultate  auszeichnen ,  so  ist  es  auch  bei 
diesem  Aufsatze  der  Fall.  Wir  sind  überzeugt,  dass  mit 
demselben  die  älteste  Geschichte  Nieder -Österreichs 
eine  höchst  werthvolle  Bereicherung  erhalten  hat. 

Dr.  Ernst  Edler  von  F ranz ensh nid,  ein  ganz 
fleissiger  Schriftsteller  in  Fragen  der  Heraldik,  liefert 
eine  historisch-diplomatische  Skizze  über  das  in  der 
Wiener  Geschichte  vom  XIII.  bis  ins  XV.  Jahrhundert 
eine  mitunter  hervorragende  Eolle  spielende  Bürger- 
iind  Rittergeschlecht  der  Tyrna.  Leider  ist  die  Skizze  so 
kurz,  dass  wir  das  auifalieude  Unerwäiintlassen  einer 
Menge  von  reichen  urkundlichen  Quellen  über  diese 
Familie  nur  aus  dem  Grunde  des  dem  Autor  zu  wenig 
gewährten  Raumes  entschuldigen  wollen  ,  indem  kaum 
anzunelimen  ist,  dass  dieselben  dem  sonst  so  tüchtigen 
Schriftsteller  unbekannt  geblieben  seien. 

SchliessHch  müssen  wir  noch  Erwähnung  thuu  einer 
sehr  schätzenswerthen  Arbeit  des  magistratiscben  Ar- 
chivars Herr  Weiss  über  R  a  p  h  a  e  1  Donner,  jenen 
kunstreichen  Bildner,  von  dem  Wien  so  manches  Denk- 
mal seiner  Kunst  besitzt. 

Weiss  wollte  nicht  die  äussere  Lebensgeschichte 
dieses  Mannes  (geb.  1692,  tl741)  zum  Gegenstand 
seiner  Darstellung  machen,  sondern  vielmehr  das  Ver- 
hältniss  dieses  Künstlers  zu  der  Epoche,  die  ihm  voran- 
ging und  zu  der  Zeit,  in  welcher  er  selbst  wirkte,  schil- 
clern,  nachdem  Schlager  schon  im  J.  1844  die  ersten 
ausführlicheren  Nachrichten  über  Donners  Aufenthalt  in 
Pressburg  und  Wien  und  seinen  Lebenslauf  gebracht 
hatte.  Jlit  grossem  Interesse  verfolgen  wir  die  Be- 
sehreibung der  ganz  nach  italienisch-verkommenem  Ge- 
schmucke  geregelten  Kunstzustände  in  Wien  während 
der  zweiten  Hälfte  des  XVII.  Jahrhunderts  und  lassen 
willig  unsere  Aufmerksamkeit  auf  noch  hier  vorhandene 
plastische  Producte  dieser  Zeit  lenken.  Dahin  gehören 
die  am  Hochaltar  der  St.  Stephanskirche  befindlichen 


vier  -Marmortigureu,  die  nach  Angabe  Ogesser's  Werke 
des  Bildhauers  Joh.  Bock  (164U)  sind,  für  ihre  Zeit  vor- 
zügliche Leistungen,  die  einen  Styl  zeigen,  der  noch 
weit  entfernt  ist  von  der  Aufgedunsenheit  der  Barockzeit. 
Weit  weniger  gelungen  sind  die  Statuen  der  Marieu- 
säule  am  Hof  (1G6S).  Wenn  auch  die  Figur  der  heil. 
Maria  keineswegs  von  ungezwungener  Bewegung  und 
unnatürlichem  Ausdrucke  frei  ist,  so  kann  man  diesen 
Tlieil  der  Denksäule  noch  als  gut  bezeichnen  gegen- 
über jenen  misslungencn  ja  wahrhaft  lächerlichen  Gestal- 
ten der  mit  Drachen  käm]jfenden,  geharnischten  Engel- 
chen. In  der  plumpen  Dreifaltigkeitssäule  am  Graben 
hatte  aber  die  barocke  Wiener  Plastik  ihren  Gipfelpunkt 
erreicht ,  von  welcher  Säule  Weiss. berichtet,  dass  sie 
bisher  fälschlich  dem  Architekten  Buruacini  zuge- 
schrieben wurde ,  während  sie  in  Wirklichkeit  von 
dem  berühmten  Paul  v.  Strudel  stammt,  indem  dieser 
sich  in  seinem  Adelsbrief  als  Schöiifer  dieses  Werks 
bekennt.  Weiss  glaubt  bei  Vergleich  anderer  Werke 
Strudel's  es  wagen  zu  können,  diesem  Manne  zn 
seiner  Ehre  nur  die  erträglich  modellirten  Figuren  zuzu- 
schreiben. Donner's  AVirken  wird  damit  bezeichnet,  dass 
er  als  einer  der  ersten,  wenn  nicht  der  erste  selbst 
erscheint,  welcher  besseren  Anschauungen  Bahn  bre- 
chend mit  den  Überlieferungen  der  entarteten,  geistig 
verkümmerten  italienischen  Schule  abschloss,  einem 
hohlen  von  falschem  Pathos  getragenen  Idealismus  den 
Rücken  kehrte  und  mit  feinem  Gefühle  auf  Wirkungen 
verzichtete,  welche  ausserhalb  der  Aufgabe  und  auch 
ausserhalb  der  Grenzen  plastischer  Darstellung  liegen. 

Dr.  K.  Lind. 

B  e  r  i  c  li  t  i  g  u  n  g 

betreffend  die  Lesung  zweier  Inschriftsteine,  deren  Text 
ich  im  III.  Hefte  dieser  Mittheiluugen  pag.  XLII  und 
XLVIII  veröflentlicht  habe. 

Den  Inschriftstein  von  Mitrovic  hat  Herr  Professor 
Th.  Mommsen  im  Bull,  dell'  Instit.  di  corrisji.  arch. 
(1868)  mitgetheilt  (pag.  14.3),  wovon  ich  erst  nach  dem 
Druck  meines  Aufsatzes  Kenntniss  erhielt.  Er  liest  ohne 
Zweifel  richtiger  die  letzten  Zeilen  (6  f.):  ü<;  Tr,v  jxvn 
lJ.i:/.-j  -(a)-JTr;v  Bact/.tavoc  (-pcc/ixa)  7vjrr,c  jtoc.  Ich  nehme 
daher  die  Deutung  auf  den  kaiserlichen  Palast  zurück, 
dessen  Stelle  nach  wie  vor  unbestimmt  bleibt,  obwohl 
an  dem  Vorhandensein  eines  soleheu  in  Sirndum  nicht 
zu  zweifeln  ist. 

Bezüglich  des  Steines  aus  Risano  jiag.  XLVIII 
hatte  Herr  Prof.  Becker  in  Frankfurt  a.  M.  die  Güte, 
mir  brieflich  seine  Lesung  mitzutheilen,  die  gleichfalls 
richtiger  ist  als  die  meinige  ;  auch  hier  nehme  ich  die 
Folgerungen  zurück,  welche  ich  an  die  Buchstaben  SHC 
in  Zeile  3  geknüpft  habe.  Es  miiss  nämlich  statt  SHC, 
S  •  H  ■  C  und  in  Z.  4  statt  VAL  ■  FI,  VAL  •  ET  auf 
dem  Steine  vorausgesetzt  und  danach  gelesen  werden: 
,.Gaio  Statio  Gai  filio  (tribu)  Sergia  Restituto  annorum 
((uindecim  mcnsium  sex  horarum  sex  et  scrupulorum 
(hiiirum  Gains  Statins  Valerianus  et  C'aesia  Secunda 
parentes  filio  posueruut-'.  Die  Angabe  des  Lebensalters 
auf  Minuten  (scrupulorum)  ist  eine  seltene  Erscheinung 
und  giebt  der  sonst  unbedeutenden  Grabschrift  den 
Wertii  eines  Beispieles  einer  epigraphischen  Beson- 
derheit. l>'-.  Fr.  Kenner. 


RcdACtcur  :   Dr.  Karl  Lind.  —  Drack  der  k.  k.   Hof-  und  Staatjitruckerei  in  Wien. 


CVII 


Üter  Kaiser  Rudolph's  von  Schwaben  G-rabmal  in 
Merseburg. 

Zu   den   werthvollsten   und    ältesten    Denkmälern 
des  Er/.grusses  gehört  in  Deutschland  die  Grabplatte  ' 
Rudolph's     von     Schwaben ,     des     Gegenkönigs     von 
Heinrich  IV.   Er  ward  in  der  Schlacht  bei  'Wolksheini 
an    der  Elster   tödtlich   verwundet    und    nach    Merse- 
burg gebracht,  wo  er  bald  darauf  verschied,  im  Jahre 
1080.  Über  sein  Begräbniss   melden   die   betreifenden 
Quellen,  dass  es  im  Dome  /.u  Merseburg  stattgefunden 
und   zwar  mit  königlichen  Ehren  -.    Nähere   Angaben 
über  den  Platz,  wo  der  Sarg  aufbewahrt  ist,  finden  sich 
bei  den  Chronisten   nicht.    Erst   Brotuff  berichtet    in 
seiner  Chronica,  dass  Rudolph  unter  dem  Chore  in  der 
Kryiita  in  einem  kleinen  besonderen  Gewölblein  begra- 
Ijen  liege,  welches  Sam.  Strauss=  möglicherweise  von 
Bischof  Werner  für  diesen  Zweck  eigens  hergestellt  sein 
lässt,  ohne  jedoch  bestimmt  die  frühere  Existenz  dieses 
Gewölbes  in  Abrede  zu  stellen.  Es  ist  möglich,  dass  im 
Jahre  15.55.  wo  E.  Brotuif  schrieb,  noch  deutliche  Spuren 
eines  so  ehrwürdigen  Begräbnissortes  vorhanden  waren, 
die  Michael   Sidonius   durch  Herstellung  eines  Wein- 
kellers bald  darauf  vernichtet  haben  soll.   Fabricius  * 
wenigstens  beklagt  die  um  das  Jahr  1560  von  dem  ge- 
nannten Bischöfe  geschehene  Veränderung,  welche  zu 
seiner  Zeit  stattgefunden,  wozu  die  von  Puttrich  '  citirte 
spätere  Megalurgia  Martisburgica  in  deutscher  Sprache 
die  Xotiz  fügt,  dass  M.  Sidonius  das  Begräbniss  Ru- 
dolph's mitten  im  Chor  bewerkstelligte  «.   Sam.  Strauss 
findet  es  in  seiner  1745  gedruckten  Abhandlung  über 
den  Gegenkönig  Rudolph  für  nothwendig,  einen  Beweis 
für  Fabricius' Worte  in  der  Richtung  zu  versuchen,  dass 
die  noch  sichtbare,  über  dem  Eingang  in  der  Krypta 
ausgehauene  steinerne  Hand  das  Abbild  der  den  Eid 
der  Tieue  schwörenden  Hand  Rudolph's  sei,  der  seinen 
Eid  dem  Kaiser  gebrochen  und  in  dem  Verluste  seiner 
Hand   die  Strafe  Gottes  erkennend   die   Umstehenden 
zur  Treue  ermahnt  habe.    Diese  in  Stein   ausgeführte 
Hand  bezeichne  desshalb  den  ursprünglichen  Begräb- 
nissort des  Gegenkönigs.  Da  aber  kein  Zweifel  darüber 
waltet,   dass   diese  Hand  mit  dem  Kreuz-Nimbus   die 
segnende  Hand  Gottes  bezeichnet,   so  muss  besagtes 
Argument  auf  seine  Beweiskraft  verzichten,  abgesehen 
davon,  dass   es   denn  doch  eine  wunderliche  Verherr- 
lichung eines  Heimgegangenen  wäre,  dessen  Verbi-echen 
dauernd    im    Denkmal    zu   vergegenwärtigen.    "Würde 
Bischof  "Werner  in   Rudolph's   That    einen  Treubruch 
und  ein  Verbrechen  erblickt  haben,  so  hätte  er  nimmer- 

*  Abgebildet  bei  Dethier  in  „Keue  Mittheilnngeu  histor.  antiquar. 
Forschungen  ].  Bd.,  2.  Heft  und  von  Hefners  Trachten  des  Mittelalt. 
I.   Band.   58.  Puttrich  Sachs.  Dkm.   II.   18.   Otte's  Handbuch  p.   656. 

-  Verglichen  sind  hier  !.  Saxo  Annalista  bei  Kccard.  Corp.  bist.  1.  Fol. 
557  und  daselbst  2.  Chronica  Reg-  S.  Pantaleonis  Fol.  90.S.  3.  Bruno  -Saxon. 
belli  Chr.  bei  Freher  Fol.  150.  4.  Chron.  Magdeburg.  Meibom  II.  Fol.  316. 
5.  Chr.  Oldenburg,  ibid.  135.  6.  Chron.  Stcderburg.  Fol.  452  ibid.  Die 
übrigen  sind  speciell  citirt.  Cuspinianus,  Crusius,  Spaugenberg  und  Ludwig 
Präfatio  in  4.   tom.  der  Keliquiae  Mscptor.  pag.  53  eulhallen  nichts  neues. 

*  Positiones  historicae  de  Rudolphe  Suevico,  Halae  Magdeburgicae  1745 
in  4*.  Vgl.  auch  Gerbert  Martin.  De  Rudolpho  Suevico  etc.  Typis  San- 
Blasianis  1783  in  4"*.  pag.  78,  -wo  auf  die  nähere  Untersuchung  der  Erzählung 
von  S.  Strauss  leider  nicbt  eingegangen  ist.  Die  bis  1722  fortgeführte  Chronik 
der  Bischöfe  von  Merseburg  bei  Ludewig  „Reliquiae  Manuscriptonim"  pag.  494 
des  4.  tom.  gibt  die  Erzählung  wie  Fabricius,  ohne  Ton  der  Verlegung  der 
Grabstätte  oder  der  Krypta  zu  reden. 

'  Bei  S.  Strauss  p.  32.  Fabricius'  Orig.  Saxon.  III.  3G0.  Dies  ist  die 
letzte  Quelle  aller  späteren  Berichte. 

*  Denkmäler  Bd.   II.   16.    Note. 

«  Megalurgia  Martisburgica  das  ist  Fürtretflichkeit  der  Stadt  Märse- 
bnrg  durch  J..h.  Vulpium  anno  1700  in  4°.  pag.  30,  wo  Jac.  Dan.  Ernst 
Altenb.  Confekt-Tafel  P.  3.  p.  316  als  Beleg  angeführt  ist,  die  1698  gedruckt 
ihrerseits  wieder  Fabricius'  Worte  als  Quelle  citirt.  ohne  von  der  Krypta, 
sowie  der  Verlegung  in  den  Chor  ein  Wort  zu  verlieren. 

XIV. 


mehr  für  irgend  ein  ehrenvolles  Begräbniss  und  noch 
weniger  für  ein  auszeichnendes  Denkmal  Sorge  getra- 
gen; denn   darin   stimmen  alle   alten  Quellen  überein, 
dass  Rudolph  in  Ehren,  dass  er  wie  ein  König  bestat- 
tet worden.    Alle  von  Dethier   und  anderen    citirten 
fi-üheren  Quellen  bis  zu  Brotutf  nennen  den  eigentlichen 
Ruheplatz  des  Königs  nur  allgemein  als  im  Dome   zu 
Merseburg  befindlich.  Mir  erscheint  es  zweifellos,  dass  im 
Falle   eine  frühere  Quelle  den   Ruheplatz   des  Königs 
deutlich  bezeichnet,  spätere  Nachrichten  auf  sich  be- 
ruhen müssen.  Zu  meiner  Verwunderung  kennt  selbst 
die  eingehende AbhandlungDethiLTs eine  von  Rudolph's 
Tod  und  Bestattung  erzählende  Urkunde  des  XII.  Jahr- 
hunderts nicht,   die  schou  Ussermann  von  S.  Blasien 
1790  gedruckt  hat '.  Es  ist  die  seitdem  von  F.  J.  Mou  e  » 
in    correctester  Weise   edirte    Chronik  von   Peters- 
hausen, die  im  Jahre  1156  verfasst  und  geschrieben 
ward.  Die  bezügliche  Stelle  lautet :  Ita  rex  Rudolphus 
eadem  die  vitam  tinivit  apud  Elstere,  atque  a  suis  Mer- 
siburch  delatus   ibique  honorifice  sepultus  est  in  ipso 
choro   basilicae  et  imago   ipsius   ex  aere    fusa  atque 
denurata  super  tumulum  ejus  transposita  est.  Da  dies 
königliche  Denkmal  von  Rudolph's  Anhängern  errichtet 
worden,  die  den  Gefallenen  als  wirklich  legitimen  König 
der  Deutschen  anerkannten,  so  ward  für  dasselbe  jener 
Platz  gewählt,   der  die   grösste  Auszeichnung  in  sich 
schloss,  nämlich  der  Chor  der  Kathedrale.   Das  kost- 
sjiielige  Denkmal  selbst  war  als  solches  noch  keines- 
wegs das  Anzeichen  königlicher  Würde  des  betreffen- 
den Grabmales,  sondern  der  Ort,  wo  es  sich  befand. 
Ich  verstehe  die  Worte  Otto's  von  Freising  de  Gestis 
Friderici  Imp.  cap.   7.  „Rudolphus   .  .  .   necatur  et  in 
ecclesia  Merseburg  cultu  regio  sepelitur-'  und  dessel- 
ben Bericht  über  Kaiser  Heinrich  IV.  Besuch  der  Merse- 
burger Kirche  ,,cum  ad  prädictam  ecclesiam  ^Merseburg 
venisset  ibique  präfatum  Rudolphum  velut  regem  huma- 
tum  vidisset.  cuidam  dicenti,  cur  eum,  qui  rex  non  fuerat, 
velut  regali  honore  sepultum  jacere  permitteret,  dixerit: 
Utinam  omnes  inimici  mei  tam  honorifice  jacerent"  vor- 
züglich von  der  auszeichnenden,  nur  Stiftern  undKaisem 
gewährten  Begräbnissstätte  im  Chore  der  Kirche.  Die 
Chronik  von  Petershausen  betont  dies  hinlänglich,  wenn 
sie  sagt:  in  ipso  choro.   Freilich  zeigt  die  Grabplatte 
den  Gegner  Heinrichs  wirklich  in  königlichem  Schmucke, 
so  dass  nichts  mangelte,  die  Grabesstätte  als  die  eines 
Königs  res]).  Kaisers  zu  kennzeichnen.  Jedenfalls  lässt 
das  Wort  ..ipso-'  keinen  Zweifel,  dass  das  Grab  im  Chor 
der  Kirche  selbst  angelegt  war,  nicht  in  der  Krypta. 

Das  aus  dem  beginnenden  XIII.  Jahrhundert  stam- 
mende Chrouicon  Halberstadense  bei  Leibniz  9  sagt 
gleichfalls  von  dem  Gefallenen  ,,in  medio  chori  honorf- 
fice  est  sepultus".  Diese  alten  Quellen  wissen  das  Grab- 
mal somit  an  derselben  Stelle,  wohin  es  erst  unter  Sidonius 
wegen  des  zu  grabenden  Kellers  gebracht  worden  sein 
soll,  im  Chor  der  Kirche  nämlich.  Wenn  Fabricius  nach 
der  Autopsie  berichtet  hat,  so  konnte  er  nicht  sagen: 
Sepulcrum  Rndolphi  ad  nostra  usque  tempora  in  loeo 
templi  subterraneo  magnifice  stetit,  donec  ,  .  .  . 
sondern  er  musste  wenigstens  wie  Brotuif  das  Grabmal 
von  der  Grabesstätte  unterscheiden,  dann  aber  ist  sein 
Ausdruck  „magnifice"  unerklärlich  und  wenn  die  cit. 
Megalurgia  resp.  Dan.  J.  Ernst  den  Sidonius  aus  dem- 

'  Chronicon  Ilernianni  Contracti  Tom.  1.  pag.  33S. 

*  Quellensammlung  z.  badischen  Landesgeschichte  I.  Band.  pag.  138. 

'  Scriptor.   Brunsvic.  illustr.  tom.   2.  Fol.    128. 


cvm 


selben  Grunde  das  Begräbniss  des  Königs  in  den  Chor 
vornehmen  lässt,  so  lässt  sie  nur  1561  erst  «reschehen, 
was  schon  1556  als  geschehen  berichtet  wird.  Ich  will 
diese  Schwierigkeit  durch  eine  Stelle  zu  heben  suchen, 
die  vom  Jahre  1144  herrührt  und  den  berühmten  Abt 
Suger  zum  Verfasser  hat  ">.  Derselbe  meldet  von  der 
Deposition  des  heil.  Dionys  also :  ^.eoUocavitque  post 
altare  in  cripta  tantae  profiinditatis,  ut  usque  ad  genua 
omnino  se  intromittat,  si  quid  inde  voluerit  abstraliere 
alicpiis".  Der  Leiciiiiaiu  lag  also  kaum  zwei  Fuss 
unter  dem  rdaster  des  Clmres,  welche  uniiedeutciide 
Vertiefung  gleichwohl  eine  Krypta  genannt  wird.  Wenn 
Rudolph  in  älinlicher  Weise  im  Pflaster  des  Chors 
deiiouirt  und  darüber  dann  auf  einer  Art  von  Tundja 
die  Erzplatte  niedergelegt  war,  so  erhalten  die  ältesten 
Berichte  das  richtige  Verständniss  und  lirotulfs  Angabe 
kann  möglicherweise  davon  herrühren,  dass  er  irgend- 
wo die  Ruhestätte  des  Kaisers  als  Krypta  bezeichnet 
vorfand.  Auch  haben  die  Aufgrabungen  bei  der  alten 
Wilhadikirche  zu  Bremen  nach  <leni  meisterhaften 
Berichte  im  Brem.  Jahrbuch  "  ein  solches  Saehverhältniss 
hinlänglich  begründet.  Wie  es  mit  der  Verificirnug 
alter  Kaisergräber  beschaffen  ist,  davon  haben  ausser 
den  Kaisergräbern  zu  Speier  die  sorgfältigen  For- 
schungen Quast's  zu  Prün  am  Begräbnissorte  Kaiser 
Lothar's  zureichende  Aufklärung  gebracht,  zureichend, 
um  in  diesen  Dingen  mit  der  grössten  Vorsicht  zu  ver- 
fahren '2. 

Die  niedere  aus  massivem  Stein  bestehende  Tumba 
unter  der  Erzplatte  bat  ähnlich  dem  niederen  Grabmal 
Kaiser  Otto  des  Grossen  im  Chor  des  Doms  zu  Magde- 
burg die  Überreste  Kudolph's  in  der  kleinen  Grabver- 
tiefung umschlossen  und  zwar  von  Anfang  au:  alle 
späteren  Erzählungen  sind  hinfällig,  weil  sich  wider- 
sprechend in  dem  einen  oder  anderen  Punkte.  Werner 
hat  dem  unglücklichen  Helden  diese  grosse  Auszeich- 
nung kaiserlicher  Würde  im  vollen  Masse  wahrscheinlich 
mit  i'beicinstimmung  der  übrigen  Parteigenossen  zu- 
gedacht und  glänzend  gewährt.  Obige  Erzählung  des 
Otto  V.  Freising  gewinnt  im  Hinblicke  auf  die  Stelle  der 
Chronik  von  Petershausen  und  den  aus  ihr  sich  erge- 
benden Sachverhalt  neues  Licht,  indem  Kaiser  Heinrieh 
im  Chor  der  Kirche  selbst  seinen  Gegner  bestattet 
und  zwar  in  königlicher  Auszeichnung  bestattet ,  die 
Tumba  mit  der  kunstvoll  ausgeführten  Metall])latte  und 
darauf  das  Abbild  des  Gefallenen  im  königlichen 
Schmucke  verewigt  fand.  Um  so  grösser  erscheint  Hein- 
rich gegenüber  dieser  herausfunlernden  Pracht  am 
Grabe  seines  Gegners,  weil  unberührt  von  der  Gemein- 
heit seiner  Umgebung.  Schon  daraus  lässt  sich  auf  die 
^eichzeitige  Errichtung  des  Denkmales  schliessen, 
das  dem  Petershauser  Chronisten  genau  bekannt  sein 
musste ,  da  er  allein  von  den  alten  Berichterstattern 
der  Metalljdatte  und  ihrer  Vergoldung  gedenkt,  bis  jetzt 
die  einzige  ältere  Belegstelle  für  dies  königliche  Denk- 
mal. Wie  genau  dieser  Chronist  unterrichtet  war,  lehrt 
ausser  den  angegebeneu  Umständen  auch  ein  Blick  auf 
die  Umschrift  der  Erzplatte,  welche  ausdrücklich  das 
vor  Augen  stehende  Grabmal  als  die  wirkliche  (irabes- 
stätte  bezeichnet,  als  tumulus,  wie  in  der  l'etershauser 
Chronik:  Kex  hoc  Kudolphus  patria  pro  lege  peremtus 

">  Ftlll.lon.  Hisloire  de  l'abbaye  do  S.   D.   Fol.   :66. 
"  Breni.  Jahrbucli   1864,  I.    Bd. 

'-('orrespondeitzblatt  der  Ocbammtvcreino  d.  deutschen  Gettcttichts-  und 
AltcrthB.-Vcreioc  18ü4.   l  ff. 


Plorandus  merito  conditur  in  tumulo  . .  .  Der  exacte 
Ausdruck  für  Grab  im  eigentlichen  Sinne  ist  in  jener 
Zeit  durchaus  tumulus,  wie  unter  vielen  anderen  Stelleu 
aus  dem  Berichte  derseliien  Chronik  ad  ann.  1134 
ül)er  die  Erötfnungsfeierlichkeit  des  Grabes  lit'i)hard's, 
liischofs  von  Constanz  genügend  erbellt.  Dafür  wird 
dann  auch  das  alte  Wort  tumba  "  gebraucht,  und  zwar 
als  eigentliches  Grab,  z.  B.  in  der  Chronik  von  Wimpfen 
im  Thal  vom  Jahre  1270,  ohne  dass  jedoch  tunmius 
ausser  Anwendung  tritt,  was,  um  auch  hier  einen  Beleg 
zu  geben,  das  von  Conrad  von  .Maidenburg  gegen  184U 
verfasste  Ofticium  S.  Erhardi  zu  Regensburg  lehrt,  wo 
..tumulus  ferreis  caneellis  circumdatus"  vom  Grabe  des 
heil.  Erhard  in  Xiedermünster  zu  Hegensburg  gebraucht 
ist.  Es  findet  sich  sogar  ein  urkundlicher  Beweis  dafür, 
dass  man  das  die  Grabesstätte  vertretende  Zeichen,  was 
ein  blosses  Denkmal  ohne  Inhalt  ebenfalls  ist,  bestimmt 
vom  Grabe  selbst  als  memoriale  sepulcri  untersidiieden 
hat.  Hugo  von  Leimen  '*  bestimmt  im  Jahre  1"_'7'.',  dass 
beim  Anniversarium  vor  dem  Hochaltäre  ein  Teppich 
ausgebreitet  und  vier  Leuchter  an  dessen  Ecken  gestellt 
werden  zur  Vergegenwärtigung  des  Grabes  „pro  me- 
nioriali  sepulcri".  Wir  sind  somit  gezwungen,  die  Worte 
tunuihis  in  der  Erzplutte  und  in  dem  Berichte  der  ge- 
nannten Chronik  als  Grab  im  eigentlichen  Sinne  zu 
nehmen  und  Rudolph's  ursprüngliche,  nie  veränderte 
Grabesstätte  's  im  Chor  selbst,  unter  der  Erzplatte  und 
deren  Unterlager,  vielleicht  etwas  in  das  Pflaster  ein- 
gelassen zu  suchen,  alles  übrige  aber  über  angebliche 
Veränderung  dieser  Stätte  als  leere  Erfindung  späterer 
Scriptoren  auf  sich  beruhen  zu  lassen. 

Dr.  Messmer. 

Ufeunkirclien  in  Meder-Österreich. 

i;.Mii   W  nolzscbnitteD.; 

Neunkirchen,  ein  alter  Ort,  der  schon  im  Jahre  1081 
in  einer  Urkunde  des  Bisch(ds  von  Passau  erwähnt 
wird,  hiess  ursprünglich  Neukirchen.  Niuwekirchen. 

Die  landläufige  Ableitung  des  Ortsnamens  von 
nenn  Kirchen  ist  daher  ganz  unrichtig  und  das  Wappen- 
schild am  Rathhaus,  so  wie  jenes  an  den  Kirchenbän- 
ken in  der  Pfarrkirche,  wo  neun  Kirchen  im  grünen 
Feld  '  diese  Ableitung  symbolisiren ,  sind  eine  willkür- 
liche Erfindung  der  Zopfzeit.  Fr.  Schweighard  in 
seiner  ,,Darstellung  des  Erzherzogthums  Österreich 
unter  der  Enns  1831"  führt  zwar  diese  Ableitung  als 
alte  Sage  an;  scheint  sich  jedoch  um  ältere  Uikunden 
nicht  bemüht  zu  haben.  In  diesem  Werke  ist  von  der 
alten  Pfarrkirche  die  Rede,  welche  im  Jahre  892  im 
gothischen  Style  erbaut  wurde,  ein  herrlicher  archäologi- 
scher Schnitzer !  Soll  die  .\bleitung  des  Ortsnamens  richtig 
sein,  so  nntss  sie  auf  eine  neue  Kirche  zurückgeführt 
werden,  und  man  kann  annehmen,  dass  um  selbe  Zeit 
eine  neue  Kirche,  also  eine  romanische,  dagestanden 
habe.  Doch  ist  sie  längst  verschwunden ;  es  befin- 
den sich  zwar  in  dem  Mittelbaue  der  Kirche  einfache 

"  Ist  schon  bei  Prudenlius  und  HIerorymu«  im  jetzigen  Gebrauch. 

"  Mrinc.  Ztschft  f.   Ge.Mh.  d.  Oberrhclne   n.  li.ind,   p.  92. 

'^  Selbütveratandlich  iht  blor  nur  von  dem  Platze  des  Grabes  die 
Kedf,  der  trotz  der  ini  C'horbau  gegen  das  XII 1.  Jahrhundert  vorgenommenen 
Veränderungen  im  A\'esentHchcD  beibehalten  blieb. 

'  Da»  gegenwärtige  Wappen  ist  ao  gestaltet  und  findet  sich  schon  in 
der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  ein  derartiges  Wappensiegel.  Allein 
es  sind  auch  aus  der.selben  Zeit  noch  Siegel  des  Marktes  vorhanden,  darauf 
nur  eine  Kirche  im  Wappenfelde  erscheint.  (Melly's  Beiträge  zur  Slegel- 
Icundc  des  .Mittelalters  p.   40. j 


CIX 


romanische  Bauformen,  allein  dieselben  reichen  nur  ins 
XII.  Jahrhundert  zurück.  Möglich,  dass  die  Kirche  im 
XII.  Jahrhundert  vergrössert  oder  umgebaut  worden 
ist;  altromanische  Formen  sind  nicht  aufzufinden. 

Im  Mittelalter  ist  die  Geschichte  der  Kirche  mit 
jener  der  Orte  meist  so  verschlungen,  dass  mau  mit 
der  Geschichte  des  Kirche  auch  jene  des  Ortes  erzählt ; 
so  auch  hier. 

Schon  unter  dem  fränkischen  Kaiser  Conrad  II. 
wird  1036  berichtet,  dass  der  Kaiser  dem  Grafen  Eck- 
bert dem  älteren  von  Neuburg  und  Pitten  zu  Gefallen 
diesen  Ort  zum  Markte  erhob  und  ihm  das  Münz- 
regale ertheilte. 

Sein  Sohn  Eckbert  schenkte  mit  Bewilligung  seines 
Vetters  Ulrich  im  Jahre  1094  den  Markt  nebst  Pfarre, 
Zehend  und  Müuzgerechtigkeit  dem  bayrischen  Kloster 
Formbach. 

Abt  Ortulph  III.  zu  Formbach  gab  im  Tausche 
Neukirchen  gegen  den  Markt  Herzogenburg  im  V.  0. 
W.  W.  bei  St.  Polten  an  Markgraf  Leopold  IV. 

Neukirchen  war  den  Einfällen  der  Ungarn  stark 
ausgesetzt  und  hat  namentlich  durch  die  Eintiille  Bela's 
im  Jahre  1250  und  1252  sehr  gelitten. 

1379  wurde  dem  Herzoge  Leopold  zu  Osterreich 
Neustadt,  Neukirchen,  Klam,  Schottwien  und  Aspang 
übergeben,  die  man  somit  aus  dem  Verbände  von  Nieder- 
österreich herausriss.  Ein  Theil  dieser  Orte  wurde  noch 
vom  Kaiser  Friedrich  III.  bis  zum  Ausgange  der  Alber- 
tinischen  Linie  besessen. 

1683  bedrängten  die  Türken  den  Ort,  wobei  der 
Tradition  nach  die  zwei  Thürme  der  Kirche  (von  32Klftr. 
Höhe)  zerstört  worden  sein  sollen. 

Nach  einem  vorhandenen  Visitatious  -  Protokoll 
1544  war  der  Landesfürst  Lehensherr  über  die  Pfarre. 

1549  wurde  vom  Kaiser  Rudolph  II.  die  Vogtei 
und  Pfarre  sammt  Beneficien  und  Filialkirchen  dem 
Johann  Baptist  von  Hoyos  und  seinen  männlichen  Nach- 
kommen für  immerwährende  Zeiten  verkauft,  1555  der 
Verkauf  bestätigt  und  die  Herrschaft  StUchsenstein  zur 
Baronie  erhoben. 

1631  berief  Johann  Balthasar  I.  Georg  Graf  von 
Hoyos  zu  dieser  Kirche  Minoriten  und  erwirkte  vom 
Kaiser  und  Erzbischof  von  Salzburg  das  Ffarrrecht. 
Seit  dieser  Zeit  findet  sich  zu  Neunkirchen  ein  Minori- 
tenkloster. 

1752  am  13.  November  fand  ein  grosser  Brand 
statt  und  verwüstete  30  Häuser. 

1828  wurde  der  Thurm  an  der  Südseite  erneuert. 

Wie  es  aus  dem  Vorliegenden  hervorgeht,  sind  die 
Daten  über  Ort  und  Kirche  sehr  mangelhaft,  Kirchen- 
bücher wurden  keine  geführt,  und  die  wenigen  Werke, 
wo  von  diesem  eben  nicht  bedeutsamen  Orte  die  Sprache 
ist,  fertigen  ihn  mit  wenigen  Angaben  ab;  es  bleiben 
daher  nur  hinsichtlich  der  Kirche  die  Bauformen,  welche 
als  bleibendes  Zeugniss  der  verschiedenen  Jahrhunderte 
Anhaltspunkte  geben  zur  Zeitbestimmung  dieses  immer- 
hin interessanten  Bauwerkes. 

Die  Kirche  steht  mitten  im  Orte  zunächst  dem 
Marktplatze,  und  bildet  gewissermassen  den  Mittelpunkt 
einer  Insel,  die  aus  einem  um  sie  herumgebauten  Häuser- 
Complex  von  Wohn-  und  Wirthschaftsgebäuden  besteht. 
Die  thurmartigen  Ausbauten  und  Wallmauern,  welche 
von  einem  Graben  umgeben  sind,  zeigen  den  Charakter 
der  früheren  Befestigung  dieser  Häusergruppe. 


Hill' 


Fig.  I. 

Der  unregelmässige  Raum  zwischen  Kirche  und 
den  zur  Kirche  gehörigen  Gebäuden  gemahnt  sehr  an 
einen  Burghof.  Der  breite  Graben,  früher  mit  Wasser 
gefüllt,  wird  jetzt  als  Gemüse-  und  Obstgarten  benützt. 
Noch  ist  das  alte  Thor  vorhanden  und  die  Vorrichtun- 
gen für  die  Zugbrücke  sind  auch  noch  erkennbar.  Macht 
schon  die  ganze  Anlage  im  ersten  Moment  den  Ein- 
druck des  befestigten  Platzes,  so  wird  dieser  noch 
erhöht  durch  die  ganz  ungewöhnliche  architektoni- 
sche Behandlung  des  Kirchenchores.  Das  alte  wetter- 
gebräunte Gemäuer  sieht  so  trotzig  darein,  die  Aufbau- 
ten ober  dem  Dachsims  geben  dem  Bau  einen  so  kriege- 
rischen Charakter,  dass  man  unwillkürlich  in  die  Zeiten 
der  Faustrechtes  versetzt  wird ;  Zeiten,  wo  Kirchen  nur 
zu  häufig,  als  Citadellen  benutzt,  der  bedrängten  und 
bedrohten  Bevölkerung  Schutz  vor  dem  Anstürmen  der 
barbarischen  Feinde  gewährten. 

Dass  die  Kirche  zu  Neunkirchen  aus  verschiede- 
nen Bauperioden  stammt,  ist  schon  aus  dem  Grundriss 
(Fig.  1)  zu  ersehen.  Der  mittlere  Theil  zwischen  Chor 
und  LangschifF gehört  der  romanischen  Periode  an;  und 
zwar  weisen  die  Formen  in  der  hochliegenden  Empore 
(Fig.  2)  auf  die  zweite  Hälfte  des  XII.  Jahrhunderts. 
Das  Capital  besteht  blos  aus  einer  Platte,   die  durch 

q* 


ex 


Fiff.  2. 


Kiü 


Eiuzicbung  mit  dem  Pfeiler  vermittelt  ist.  Die  Kippen 
siud  flach  und  beginnen  erst  in  einiger  Höhe  ober  dem 
Capitäle. 

Die  starke  Anlage  dieses  Zwischentbeiles  deutet 
auf  uiucn  Centralthurm ,  eine  Anordnung,  welche  in 
jener  Bauperiode  allgemein  beliebt  war.  Es  scheint 
aber,  dass  nach  einem  Brande  oder  sonstiger  Zerstö- 
rung des  Thurmes.  vielleicht  auch  in  späterer  Zeit,  das 
(lewölbe  gelitten  hatte,  und  dass  man  desshalb  eine 
Mittelgurte  spannte,  nachdem  es  ausser  Zweifel  steht. 
dass  diese  Gurte  ursprünglich  nicht  angelegt  war; 
damals  dürfte  auch  der  darauf  ruhende  Thurm  entfernt 
worden  sein. 

Steile  Treppen  führen  aus  den  beiden  Seiten- 
schiffen zu  den  Emporen,  die  in  diesen  Mittcltract  ein- 
gebaut sind  und  von  welcher  man  in  den  nun  rechts  an 
die  Kirche  angebauten  Thurm  gelangt.  Der  untere  Theil 
dieses  Thurmes  hat  derbe  Rippen,  mit  der  Breite  eines 
Schuhes,  und  steht  mit  dem  ältesten  Baue  in  Verbindung, 
obwohl  jetzt  flache  Stuck-Ornamente  am  Scliluss,  zoptige 
Ansätze  an  den  Kippen  und  ein  elliptischer  Bogen  mit 
Feldern  in  Stuck  gegen  das  südliehe  Seitenschiff  die 
völlige  decorative  Umwandlung  dieses  Kaumes  zeigen. 

Der  hohe  Chor,  welches  gegen  Osten  an  den  alten 
Mittelbau  ansehliesst,  ist  sehr  geräumig,  7  Klftr.  lang, 
4  Klftr.  3  Fuss  breit,  überragt  an  Höhe  das  Mittelschifl", 
und  hat  dadurch  ein  schlankes  aufstrebendes  Ansehen. 
Leider  sind  zum  Schaden  der  Gesammtwirkung  die 
Fenster  des  polygonen  Abschlusses  durch  den  zopfigen 
Altar  verdeckt. 

Eigenthümlich  sehen  die  fünf  Schlusssteine  des 
reichen    Netzgewölbes    aus ,     an     denen     im    Chor- 


sehinsse  ein  reich  gegliederter  Baldachin  (Fig.  3^  frei 
herabhängt.  Er  ist  aus  dem  Sechseck  construirt,  mit 
Fialen  und  Wim])ergen  geziert,  zeigt  Spuren  von  alter 
Vergoldung  und  l'olychromie,  und  ist,  wie  ich  es  vom 
Dachboden  aus  untersucht  habe,  aus  Holz  angefertigt 
und  aufgehängt.  Diesem  folgen  zwei  reich  ornanientirte 
Schlusssteine,  dann  zwei  Steine  mit  darauf  frei  geariiei- 
teten  Dreijtässen,  darin  in  einem  ein  Wappenschild,  im 
anderen  ein  Ko\)t'. 

Unter  den  Indien,  vcrhältnissmässig  schmalen  Fen- 
stern lauft  ein  Kaft'sinis  herum,  und  ist  im  driitcu  Zwi- 
schenraum höher  hinauf  gerückt,  wahrscheinlich  um 
dem  Chorstuhl  des  l'ontiflcanten  Kaum  zu  lassen. 

Die  Dienste,  ein  Bündel  von  drei  Säulchen,  durch- 
laufen dasKaft'sinis,  und  sitzen  etwas  tieler  als  dasselbe 
auf  Consolen  mit  sehr  ausdrucksvoll  und  phantastisch 
gebildeten  Köpfen  (Fig.  4,  5,  6);  nur  im  zweiten  Feld 
gehen  die  Dienste  bis  an  den  Fussboden  und  stützen 
sich  auf  jjolygon  gegliederte  Sockeln  (Fig.  7).  Die  Ca- 
piiäie  der  Dienste  siud  mit  Blattwerk  reich  ornamentirt, 
meist  Aht>rn  .  Wciiilaub  und  Ephcu.  Die  Chorstühle 
gehören  dem  XVH.  Jahrhunderte  an. 

An  das  erste  Travee  nächst  dem  Triumphbogen  ist 
an  der  südlichen  Seite  eine  kleine  Capelle  angebaut, 
welclie  sich  gleichzeitig  an  den  Thurm  ansehliesst,  sie 
führt  den  Namen  Frauencapelle.  Bemerkenswerth  sind 
daselbst  die  drei  Schlusssteine  mit  ursprünglicher  I'oly- 
chroniie.  Der  erste  ein  Doppelwappen  vorstellend,  links 
der  steierische  Panther,  rechts  der  österreichische  Bin- 
denschild. Eine  Figur  (Brustbild)  hält  die  beiden  Wap- 
penschilder in  den  Händen.  Auf  der  anderen  ein  weisser 
Doppelzweig  in  grünem  Felde  mit  dem  Spruchbande: 
Karl  playtner  Stifl'ter  diser  Cappeln;  sodann  im  dritten 
ein  Vierjtass,  darin  ein  Wappen,  ein  blauer  Pfahl  mit 
drei  weissen  Blättern  belegt,  rechts  davon  ein  weisses, 
links  ein  schräg  getbeiltes  Feld  mit  roth  und  weiss.  Die 
Rippen  sind  birnfönnig  auf  einfachen  Consolen  ohne 
Ornament.  Die  Capelle  ist  im  halben  Achteck  geschlos- 
sen, das  Fenster  gegenwärtig  ohne  Masswerk. 

Das  Mittelschiff  ist  gegen  die  Seitenschiffe  stark 
überhöht  und  misst  41  Fuss  hebte  Höhe,  bei  5  Klaftur 
Breite.  Starke  Scheidebögen  trennen  die  beiden  Seiten- 
schiffe vom  Mittelschiff.  Die  Dienste  im  halben  Achteck 
gehen  vom  Boden  bis  zum  Anlauf  des  Gewölbes,  wo 
daun  die  Kippen  mit  birnförmigem  Profil  sich  theilen 
und  das  Netzgewöibe  bilden.  Die  Schlusssteine  tragen 
Wappenschilder.  Die  Fenster  selbst  sind  halbkreisför- 


Fi" 


Fig.  5. 


V\s.  6. 


CXI 


mig  geschlossen,  gehören  jedoch  in  dieser  Form  einer 
jüngeren  Zeit  an. 

Das  sitdlielie  Seitensehilf  (2  Klftr.  2  Fnss  breit) 
ohne  Strebepfeiler  scbliesst  sich  an  den  Thurm  an. 
Gleich  im  ersten  Travee  ist  ein  neuerer  Ausban,  eine 
Capelle  mit  Fresken  angefiigt,  ein  alter  einfacher  Tauf- 
stein befindet  sich  daselbst.  Die  beiden  ersten  Travees 
beider  Seitenschiffe  haben  Sterngewölbe ,  die  zwei 
nächsten  jedoch  einfache  Kreuzgewölbe  mit  Rippen.  An 
der  Wand  stehen  Halbpfeilcr,  die  Durchkreuzung  der 
Gewölbsrippen  ist  über  die  Kreuzungspunkte  hinaus- 
geführt, eine  späthgothische  Steinmetzweise.  Das  nörd- 
liche Seitenschiff  ist  um  einen  Schuh  breiter  als  das 
südliche,  und  hat  nach  Aussen  hin  Strebepfeiler. 

Gegen  den  Chor  hin  scliliesst  sich  eine  zopfige 
Sacristei  an,  mit  zwei  Kreuzgewölben  geschlossen. 
Der  Orgelchor  im  Mittelschiff  ist  ein  späterer  Einbau. 
Nach  Westen  zu  schliesst  sich  eine  Thurmanlage  an, 
welche  jetzt  nur  die  Höhe  des  Orgelchcires  erreicht. 
Es  scheint,  dass  zur  Zeit  als  der  Orgelchdr  eingebaut 
wurde,  auch  diese  Thurmanlage  in  Angrifl'  genommen 
worden  ist.  Die  Tradition  sagt  zwar,  dass  die  Türken 
die  zwei  Thürme  an  der  Kirche  zerstört  hatten;  1683 
könnte  ein  solcher  Thurm  möglicher  Weise  schon 
bestanden  haben,  doch  ins  Mittelalter  reicht  diese  An- 
lage für  keinen  Fall. 

Vom  grossen  Interesse  sind  die  geschnitzten  und 
polyehromirten  Wappenschilder  aus  dem  Anfang  des 
XVII.  Jahrhunderts,  welche  unter  der  Brüstung  des 
Oratoriums  aufgehängt  sind.  Die  Inschrift  dabei  lautet: 
Hie  ligt  begraben  der  wohlgeboren  herr  herr  Ludwig 
V.  Hoyos,  Freyh.  von  Stixenstein  und  Gutenstein,  Römm. 
kais.  Maj.  Eath,  niederöst.  Camerpresidänt  (auch  des 
für.  Dur.  Erzherzog  Mathiescn  zur  Ostreich  wirklicher 
Rath)  welcher  in  Gott  seliglich  den  11.  Januarii  a.  1600 
entschlafen. 

Was  das  Äussere  der  Kirche  betrifft,  so  macht,  wie 
schon  früher  erwähnt,  das  hohe  Chor  den  bedeutendsten 
Eindruck  (Fig.  8).  Die  Mauerflächen  besteben  aus  unre- 
gelmässigen Bruchsteinen  ohne  Verputz,  die  Fenster- 
gewänder und  Bögen,  Gesimse,  so  wie  die  doppelten 
Abtreppungen  an  den  Strebepfeilern  und  die  vorderste 
Seite  derselben  sind  aus  gehauenen  Steinen  hergestellt. 
Die  Strebepfeiler  haben  beim  Ausgang  einen  Giebel  mit 
Ansätzen  zu  Kreuzblumen  und  schliessen  sich  in  steiler 
Schräge  an  das  Mauerwerk. 

Ober  jedem  der  fünf  hohen  und  schmalen  Chor- 
fenster ist  ein  in  das  Dach  reichender  Aufbau  ange- 
bracht, oben  mit  einem  steilen  Katzensteig  geschlossen. 
In  diesem  Aufbau  sind  oblonge  Dachfenster  mit  gera- 
dem Sturz  und  einfacher  Abfa^ung  angebracht;  an  den 
Seiten  dieser  Aufbauten  ist  noch  die  alte  Schräge  des 
sehr  steilen  Daches  zu  sehen,  das  später  hergestellte 
wurde  viel  niedriger  ausgeführt. 

Zwischen  den  Strebepfeilern  des  Chores  wurden 
zopfige  Capellen  eingebaut,  was  die  Wirkung  des  auf- 
strebenden Chores  wesentlich  beeinträchtigt. 

Was  den  übrigen  Bau  des  Langschiffes  betrifft,  so 
erkennt  man  die  Einwirkungen  späterer  Zeit.  Kur  der 
Oberbau  der  Seitenschiffe  zeigt  noch  das  alte  braun- 
graue Gemäuer,  obwohl  selbst  hier  die  Fenster  umge- 
ändert wurden.  Analog  mit  den  Pfeilern  des  Mittel- 
schiffes treten  oben  Lisenen  vor,  welche  sich  in  das  ein- 
fach profilirte  Gesims  todt  laufen. 


In  welcher  Weise 
und  auf  welche 
directe  Veranlas- 
sung die  drei- 
schiffige  Kirche 
an  den  alten  Mit- 
telbau angebaut 
worden  ist ,  wii'd 
wohl  kaum  zu 
eruircn  sein,  da 
hierüber  Urkun- 
den fehlen.  Es  sei* 
hier  nur  erwähnt, 
dass  das  Profil  der 
Kirche  mit  dem 
stark  überhöhten 
Mittelschiffe  und 
den  gedrückten 
Seitenschiffen 
einer  früheren  Pe- 
riode entspricht, 
während  die  De- 
tail -  Ausführung 
jene  Steinmetz- 
weise zeiget,  wel- 
che als  Ausläufer 
der  gothischen  Ar- 
chitektur bezeich- 
net wird.  So  die 
Art  des  Netzge- 
wölbes im  Mittel- 
schiff", das  unver- 
mittelte Heraus- 
treten der  Rippen  yig.  s. 
aus   dem   Schafte 

des  Dienstes,  die  Pfeiler  ohne  Capitäle,  ferner  die  Durch- 
kreuzung der  auslaufenden  Rippen  im  den  Seitenschiffen 
etc.;  Fenster  und  Portale  sind  aus  ganz  später  Zeit, 
sowie  das  Orgelchor,  Thunnaufbau  und  Sacristei.  Der 
hohe  Chor  hingegen  muss  als  eine  selbständige  eiuheit- 
hche  Anlage  betrachtet  werden,  und  dürfte  der  Frideri- 
cianischen  Zeit  angehören.  Die  malerische  Anlage,  die 
reiche  Ornamentation  andenCapitälen,  ebenso  die  reiche 
Abwechslung  an  den  Trägern  der  Dienste,  wie  die 
effectvollen  hängenden  Schlusssteine  charakterisiren  das 
XV.  Jahrhundert,  in  welcher  Zeit  in  und  um  Neustadt 
viel  kirchliche  Bauten  entstanden  sind. 

Ungefähr  eine  kleine  Viertelstunde  vom  Orte  Neun- 
kirchen entfernt,  liegt  auf  der  südwestlichen  ziemlich 
steilen  Abdachung  eines  sanften  Hügels  die  Filiale  St. 
Peter.  Nach  dieser  Seite  hin  begrenzen  moosbewach- 
sene groteske  Felsen  den  Hügel,  alte  knorrige  Schwarz- 
föhren strecken  ihre  Kronen  hervor  und  bilden  einen 
wirklich  malerischen  Vordergrund  zu  der  prachtvol- 
len Thalansicht  gegen  Ternitz,  welche  vom  Schnee- 
berg, der  Raxalpe,  dem  Göstritz  etc.  in  wunderbarer 
Weise  begrenzt  wird.  Man  kann  sich  nicht  leicht  einen 
reizenderen  Punkt  denken,  gern  verweilt  jedermann 
daselbst;  es  ist  keine  zu  gewagte  Annahme,  dass  die 
herrliche  Lage  Veranlassung  zum  Baue  der  Kirche  gege- 
ben hat.  Die  Kirche  selbst  ist  nicht  ganz  7  Klafter  lang, 
mit  einer  Breite  von  etwas  über  5  Klafter.  Es  mag  dieser 
Bau  als  ein  äusserster  Ausläufer  des  Mittelalters  zu  be- 
trachten sein,  und  die  Angabe,  die  in  manchen  Geschichts- 


CXII 


Fig.  9. 

werke  vorkommt,  als  stamme  dieser  Bau  mit  der  Mntter- 
kirche  aus  Einer  Periode,  ist  vollkommen  unrichtig.  Es 
ist  eine  Anlage,  in  welcher  man  den  alten  traditionellen 
Pfeiierbau  beibehalten  hat,  aber  doch  die  modernen  Ein- 
flüsse und  zwar  in  nüchternster  Weise  berücksichtigte. 
So  ist  der  Chor  halbkreisartig  angelegt,  hat  aber  doch 
und  zwar  im  Mittel  einen  Pfeiler  (Fig.  9). 

Im  Langschiflf  ist  das  Pfeilersystem  durchgeführt: 
jedoch  die  Wölbung  sowohl  des  Chores  als  Langschit^es 
ist  nicht  mehr  die  mittelalterliehe.  Keine  Rippen,  keine 
.Sehlasssteine,  keine  Dienste  oder  Consolen,  nicht  einmal 
die  Gurten  treten  aus  den  Gewölben  hervor,  sondern 
Tcrlaufen  in  den  Kappen.  So  wurden  auch  die  Fenster- 
masswerke vermieden,  und  der  Rundbogen  an  die  Stelle 
des  Spitzbogens  gesetzt,  wohl  aber  der  Wasserschlag 
und  die  Abschrägung  der  Gewände  beibehalten.  Einen 
ganz  eigenthümlichen  Eindruck  macht  die  Chorseite 
nach  aussen.  Das  Schindeldach  ist  steil  gehalten,  über 
die  Chorpfeiler  nach  Art  eines  Vordaches  hinausgerückt. 
Der  hölzenie  Dachreiter  in  der  Manier  der  wällischen 
Haube  sitzt  nächst  der  Giebelwand  am  Dachtirste.  Es 
ist  kaum  anzunehmen,  dass  die  Kirche  jemals  anders 
ausgesehen  habe.  Das  einzige  wäre  möglich,  dass  man 
den  Aussenbau  mit  dem  Pfeilersystem  angefangen,  und 
durch  irgend  eine  Veranlassung  der  Weiterbau  sistirt, 
dagegen  in  viel  späterer  Zeit  unter  dem  Eintlnsse  der 
inzwischen  geänderten  Kunstübung  den  Bau  vollen- 
det hat.  Ein  Weihwasserbecken  und  eine  steinerne 
•Sammelbüchse  sind  der  Form  nach  mittelalterlich.  Der 
Anblick  dieses  Kirchleins  macht  den  Eindruck  eines 
Mischlings  von  mittelalterlicher  und  moderner  Architek- 
tur und  ist  daher  vom   kunsthistorischen  Standpunkte 


tti+- 


Fig.  10. 


beachtungswerth.  Da  die  Familiengruft  der  Hoyos  sich 
in  dieser  Kirche  betindet,  so  dürfte  damit  der  Finger- 
zeig tur  ihre  Entstehung  gegeben  sein. 

Ebenso  auftauend  und  abnorm  ist  die  kleine  Grab- 
capelle  westlich  der  Kirche  in  unmittelbarer  Xähe,  aber 
etwas  höher  gelegen  (Fig.  10;. 

Ein  kleiner  karg  beleuchteter  Vorraum  führt  durch 
eine  vier  Fuss  hohe  ThUre  in  einen  kleinen  völlig  finste- 
ren Innenranm,  eine  Mensa  an  der  rechten  Seite.  Hier 
soll  seiner  Zeit  das  heilige  Grab  aufgestellt  worden  sein, 
was  seit  Jahren  jedoch  ausser  Gebranch  gekommen  ist. 
Die  Anssenseite  ist  ganz  eigenthUmlich  gestaltet.  Aul 
kurzen  Säulchen,  deren  Capitäle  und  Sockel  aus  Ziegel 
gehauen  sind,  stützt  sich  ein  giebelartiger  Aufbau,  oben 
von  einem  Renaissancegesims  geschlossen,  an  welches 
das  Dach  anschliesst.  Es  macht  das  Ganze  einen  abson- 
derlichen Eindruck,  dass  man  im  ersten  Momente  mit 
einer  Classificirung  in  Verlegenheit  kommt. 

Allein  da  es  unbestritten  als  ein  Bau  aus  der  Re- 
naissancezeit zu  betrachten  ist.  so  kann  man  das  ganze 
Werk  als  eine  Art  Reminiscenz  der  byzantinischen  Archi- 
tektur betrachten.  Eigenthümlich  ist  es,  dass  diese  ver- 
tieften Spitzgiebel  unvermittelt  auf  die  Säulchen  aufge- 
stellt in  der  Vorhalle  des  Klosters  Lorsch  vorkommen, 
und  zwar  in  der  oberen  Galerie  musivisch  durchge- 
führt sind.  Die  Erklärung  dürtte  für  solche  Reminiscen- 
zen  der  orientalischen  .\rehitektur  nicht  so  schwierig  sein, 
indem  seiner  Zeit  von  hohen  weltUehen  und  geistlichen 
Personen  häufig  Reisen  im  Orient  und  in  die  heiligen 
Orte  gemacht  worden  sind,  und  nach  der  Rlickknnft 
das  Bcdürfniss  lebhaft  empfunden  wurde,  Grabcapellen 
im  byzantinischen  Styl  aufzutlihren,  ohne  dass  man  sieh 


CXIII 


jedoch  von  der  herrschenden  Bauweise  ganz  losmachen 
konnte,  was  zur  Folge  hatte,  dass  derlei  abnorme  Bauten 
erstanden  sind;  für  den  Forscher  haben  sie  jedenfalls 
ein  berechtigtes  Interesse.  lla)is  l'etschmg. 

Wocel's  Pravek  zeme  Ceske. 

(Urgeschichte  von  Böhmen.  Prag  1S68.) 

In  der  Forschung  über  die  Entwickelung  der  Archäo- 
logie ist  in  den  letzten  Decennien  eine  solche  Umstal- 
tung  früherer  Ansichten  eingetreten  und  eine  solche 
Bereicherung  des  Stoffes  zugewachsen,  dass  die  wenigen 
zusammenfassenden  Darstellungen,  die  aus  der  jüngsten 
Vergangenheit  noch  in  die  Tage  unserer  Gegenwart 
hineinreichten,  den  gegenwärtigen  Anforderungen  nicht 
genügen  konnten. 

Wocel's  Urgeschichte  Böhmens  ist  ein  eminent 
nationales  Werk,  dessen  Bedeutung  für  das  Volk  und 
dessen  Geschichte  nicht  genug  hervorgehoben  werden 
kann,  da  es  den  Grundstein  für  die  letztere  gewisser- 
massen  gelegt  hat.  Die  erste  im  Jahre  1866  erschie- 
nene Abtheiluug  umfasst  die  Periode  der  Bojer  und 
Markomannen  in  Böhmen. 

Einen  besonderen  Fleiss  hatte  der  Verfasser  auf 
die  Untersuchung  der  in  Böhmen  gefundenen  Bronze- 
Objecte  verwendet.  Um  die  Zeitschichten,   aus   denen 
die  zumeist  in  Gräbern   gefundenen  Gegenstände   von 
Bronze  und  somit  die  bei  denselben  befindlichen  Objecte 
von  Thon,  Glas  und  Eisen  herrühren,  zu  bestimmen,  be- 
dient sich  Wocel  der  regressiven  Methode.  Zur  Gewin- 
unng  eines  sicheren  Anhaltspunktes   werden   von  ihm 
vor  allem  jene  Bronze-Objectc  einer  genauen  Prüfung 
unterzogen,  welche  in  den  Gräbern  der  früheren  christ- 
lichen Periode  gefunden  wurden.  Als  solche  erscheinen 
die  Hand-  uud  Ohrringe  von  messingähnlicher  Legirung 
oder   von    vergoldetem    Kupfer,    deren    Schlussenden 
sehlaugenförmig  in  Gestalt  eines  S  gewunden  sind;  bei 
den  Ringen  dieser  Art  wurden  nicht  selten  Thongefässe, 
deren  Böden    mit    eigenthümlichen   Zeichen    versehen 
sind,  gefunden.  Ahnliche  Ringe  uud  ebenso  bezeichnete 
Gefässe  kommen  aber  auch  in  Gräbern  vor,  die  oft'enbar 
der  spätesten  heidnischen  Periode  angehören,   worauf 
insbesondere  die  mit  der  Asche  der  Verstorbeneu  ge- 
füllten Urnen   hinweisen.   In   solchen   Gräbern  kamen 
aber  auch    massive   Ringe,    Heftnadeln   und    zierliche 
Spangen  vor,  deren  Legirung   aus  Kupfer,  Zinn   und 
Blei  besteht,  bei  denen  aber  auch  immer  sich  Waffen 
und  Werkzeuge  von  Eisen  vorfinden.  Die  Gräber  dieser 
Art  bilden  das  Verbindungsglied  zu  jenen  Grabstätten, 
in  denen  kein  Eisen  mehr  vorkömmt,  sondern  Schwerter, 
Lanzenspitzen,  Gelte  und  Paalstäbe  von  Bronze,  die  aus 
Kupfer  und  Zinn  zusammen  gesetzt  ist,  welches  somit 
die  vorhistorische  Periode  bezeichnet,  und  füglich  der 
ältesten  Bevölkerung  Böhmens ,   den  Bojern  vindicirt 
werden  kann.  Von  l)esonderem  Interesse  ist  die  Unter- 
suchung   der   merkwürdigen    Vogelgestalten,    die    bei 
Svijan  gefunden  wurden,  wobei  der  Verfasser  alles,  was 
in  Deutschland,  England  und  Italien  über  diesen  Gegen- 
stand veröffentlicht  wurde,  in  das  Bereich  seiner  For- 
schung zieht.  Höchst  anziehend  sind  die  bisher  wenig 
beachteten  verschlackten  Wälle  und  die  grossartigen, 
auf  waldigen    Bergen    sich    erhebenden    cyklopischen 
Steinwälle  geschildert ;  der  Ursprung  dieser  vorgeschicht- 
lichen, offenbar  strategischen  Werke  verlegt  der  Ver- 


fasser, auf  Analogien  sich  stützend,  gleichfalls  in  die 
Vorzeit  der  Bojer,  deren  Einwanderung  nach  Wocel's 
ausführlicherem  Berichte  nicht  in  das  IV.  sondern  in 
das  VI.  Jahrhundert  v.  Chr.  fällt.  Eingehend  handelt 
der  Verfasser  in  einem  besonderen  Capitel  über  die 
Regenbogenschüsselchen  uud  über  die  in  Böhmen 
häufig  vorkommenden  keltischen  Silberniünzen  und 
weiset  nach,  dass  die  Letzteren  Nachahnuingen  mace- 
donischer  Münzen  des  III.  Jahrhunderts  v.  Chr.  sind. 

Der  Geschichte  und  den  Alterthumsresten  der  Mar- 
komannen sind  zwei  Capitel  gewidmet ;  als  ein  interes- 
santer Umstand  muss  hier  hervorgehoben  werden,  dass 
die  eigenthünilich  ornamentirten  Spangen,  Schnallen 
und  Heftnadeln,  wie  mau  sie  in  Deutschland,  Frankreich 
und  England  in  Gräbern  der  sogenannten  Merovingischen 
Periode  findet,  in  Böhmen  nicht  vorkommen,  woraus  ge- 
schlossen werden  kann,  dass  Schmucksachen  dieser  Art 
weder  bei  den  Markomannen  (bis  zum  Schlüsse  des  I. 
Jahrhunderts  v.  Chr.)  noch  bei  den  heidnischen  Cechen 
im  Gebrauche  waren.  Die  bei  weitem  wichtigste  Parthie 
des  Werkes  bildet  die  zweite  Abtheilung  derselben, 
welche  von  den  Alterthümern  der  slavisclien  Böhmen 
handelt.  Hier  hatte  Wocel  die  bisher  von  den  Archäo- 
logen wenig  beachteten  Sprachquellen  benützt  und  aus 
denselben  sehr  beachtenswerthe  Resultate  gewonnen. 
Der  Verfasser  weiset  nach,  dass  die  in  böhnnscher,  pol- 
nischer, russischer,  bulgarischer  und  illyrischer  Sprache 
gleichlautenden  Wörter  zugleich  mit  den  Begrifi'en  der- 
selben bereits  in  jeuer  Periode  entstanden  sein  mussten, 
wo  die  Slaven  ihre  gemeinsame  Urheimat,  die  Länder- 
strecken zwischen  dem  baltischen  und  schwarzen  Meere, 
bewohnten,  uud  dass  solche  Wörter  unmöglich  etwa  in 
Folge  eines  gemeinsamen  Einverständnisses  erst  zu 
jener  Zeit  gebildet  werden  konnten,  wo  die  verschiede- 
nen Slavenstämme  die  von  ihnen  gegenwärtig  bewohn- 
ten von  einander  weit  entlegenen  Länder  eingenommen 
hatten.  Diese  durch  zahlreiche  Beispiele  und  Belege 
sichergestellte  Ansicht  führt  zu  Ergebnissen,  deren  Trag- 
weite für  die  Culturgeschichte  nicht  verkannt  werden 
darf  Erwägt  man  z.  B.,  dass,  wie  der  Verfasser  nach- 
weiset, in  allen  slavischen  Sprachen  Pflug,  Pflugschaar, 
Hackenpflug,  Sense,  Sichel  und  Garbe  mit  denselben 
Wörtern  bezeichnet  werden,  und  dass  ferner  die  Be- 
nennungen der  Getreidearten:  Korn,  Weizen,  Gerste, 
Hopfen  in  böhmischer,  polnischer,  russischer,  serbi- 
scher, bulgarischer  Sprache  gleichlauten,  so  wird  man 
nicht  umhin  können  einzuräumen,  dass  diese  Benen- 
nungen sowie  die  durch  sie  bezeichneten  Gegenstände 
den  ackerbauenden  Slaven  bereits  in  ihrer  Urheimat 
bekannt  waren  und  das  gemeinsame  Erbgut  aller 
Slavenvöiker  sind. 

Auf  diese  Weise  führt  Wocel  eine  lange  Reihe  von 
Wörtern,  die  sich  fast  auf  alle  Zweige  des  Culturlebens 
beziehen,  an  und  construirt  sodann  die  GrundzUge  des 
Culturzustandes  in  dem  sich  die  slavischen  Böhmen  zur 
Zeit  des  Heidenthums  befanden.  Als  Gegenprobe  für  die 
Richtigkeit  seiner  Ansicht  führt  der  Verfasser  zahlreiche 
Namen  von  Gegenständen  an,  zu  deren  Kentniss  die 
Slaven  erst  im  Mittelalter  gelangten,  z.  B.  Papier,  Uhr, 
Strassenpflaster,  Maulbeere  u.  s.  w.  und  weiset  nach, 
dass  die  Benennung  solcher  Gegenstände  nicht  mehr 
aus  denselben  Quellen  geflossen  sind ,  sondern  in 
jeder  slavischen  Sprache  anders  lauten.  Was  für  die 
indogermanische  vergleichende  Culturgeschichte  A.Kuhn, 


CXIV 


Pictet,  F.  Spiegel  u.  a.  geleistet,  das  hat  Woeel  in  seinem 
Werke  angestrebt.  Allerdings  war  seine  Aufgabe  ver- 
gleichnngsweise  viel  leichter,  denn  die  slavischeu  Idiome 
sind  wohl  bekannt,  die  Bedeutung  ihrer  Wörter  con- 
statirt,  und  nur  die  kritische  .Dichtung  und  die  Zusam- 
meustellung  der  Gegebenen  war  zur  Gewinnung  der 
eulturhi-storischen  Resultate  ertorderlioh. 

Ebenso  neu  und  interessant  ist  Wocel's  Darstellung 
der  ethnographischen  und  topographischen  Verhältnisse 
Böhmens  in  der  Periode  des  Hcidenthums  der  Ceclien. 
Den  ersten  Anhaltspunkt  gewährt  (leniscll)en  die  klinia- 
matische  und  agronomische  Beschaflfenheit  des  Landes. 
indem  er  annimmt,  dass  die  Slaven  als  ein  ackerbauen- 
des Volk  sich  vorzugsweise  an  den  für  den  Ackerbau 
geeigneten  Landstrichen  niedergelassen  hatten;  es 
werden  daher  die  frnchii>arsten  Bodenstrecken,  sodann 
die  minder  fruditbaren  bezeichnet  und  von  den  rauhen 
zum  Feldbau  weniger  geeigneten  Hochebenen  und  der 
bergigen  Umwallung  des  Landes  unterschieden  und 
abgegrenzt.  Ferner  wird  die  bekannte  Thatsache  ange- 
führt, dass  die  in  der  Vielzahl  gebrauchten  böhmischen 
Ortsnamen,  die  sich  auf  ee  endigen  und  die  nach  dem 
Zeugnisse  von  Urkunden  bis  ins  XIIL  Jahrhundert  auf 
ei  auslauteten,  CoUectivnamen  sind,  welche  ursprüng- 
lich ebenso  wie  bei  andern  ."^lavenstämmen  die  Ansiede- 
lungen der  Geschlechter  und  Familien  bezeichneten. 
Die  in  Böhmen  sehr  häutigen  Ortsnamen  dieser  Art,  an 
welche  sich  überdies  noch  andere  CoUectivnamen  an- 
reihen, sind  unzweifelhaft  zur  Zeit  der  primitiven  An- 
siedlung  der  Czechen  entstanden.  Damit  stimmt  nun  der 
Umstand  vollkommen  überein,  dass  bei  weitem  die 
Mehrzahl  der  pluralen  Ortsnamen  in  Böhmen  in  der 
fruchtbaren  Landschnft  vorkommt,  während  dieselben 
in  den  weniger  fruchtbaren  Gegenden  viel  seltener,  auf 
den  sterilen  Hochebenen  und  auf  den  ehemals  mit  unge- 
heuren Wäldern  eingefassten  Grenzgebieten  gar  nicht 
auftreten.  Auf  diese  Thatsache  gestützt  war  der  Ver- 
fasser in  der  Lage  die  seinem  Buche  beigefügte  Karte 
von  Böhmen  im  VHL  und  IX.  Jahrhundert  zu  entwerfen, 
auf  welcher  die  in  jener  Zeit  im  Lande  angesiedelten 
Hauptstämme,  ferner  die  Richtung  der  durch  den  Grenz- 
wald zu  den  Thoren  des  Landes  führenden  Strassen,  die 
Lage  der  Stein-  und  Erdwälle,  wie  auch  die  zahlreichen 
Fundstätten  heidnischer  Alteithümer  angegeben  erschei- 
nen. Eine  Glanzparthie  in  Wocel's  Werk  bildet  die 
Schilderung  der  bis  jetzt  wenig  beachteten,  zumei.st 
grossartigen  Erdwälle.  Das  die  meisten  jener  riesigen 
Umwallungen  Reste  uralter  Zupen  oder  Gauburgen 
sind,  wird  durch  historische  Belege  nachgewiesen.  Durch 
beigefügte  Pläne  und  Zeichnungen  wird  die  Anlage 
solcher  Befestigungen  veranschaulicht  und  der  Ver- 
fasser benützt  zu  seinem  Zwecke  fast  alles,  was  über 
vorhistorische  Erd wälle  in  Deutschland,  Russland  und 
Polen  geschrieben  wurde. 

Im  letzten  reichhaltigsten  Capitel  seines  Buches  gibt 
er  eine  erschöpfende  Übersicht  aller  bisher  in  Böhmen 
aufgedeckten  Gräber  der  heidnischen  Vorzeit  und  weiset 
nach,  dass  die  heidnischen  Czeciien  ihre  Todten  theils 
beerdigt,  theils  verbrannt  hatten.  Dabei  wird  constatirt, 
dass  derTodtencultusder.Slaven  an  keine  speeielleForm 
des  Grabes  gebunden  war.  indem  sie  die  Leichen  oder 
auch  dieAsehenurnen  bald  in  die  blosse  Erde  beigesetzt, 
bald  in  ein  Steingewölbe  eingeschlossen  und  bald  wieder 
bloss  mit  Steinplatten  umgeben,  und  über  die  Todten- 


reste  bald  Erde  bald  Steinhügel  aufgcfürt  hatten ;  ja  es 
kommen  in  Böhmen  Gräber  vor,  die  von  Balken  einge- 
fasst,  und  andere  die  als  Brunnen  angelegt  waren,  in 
welchen  die  Todtenasehe  in  Gelassen,  die  in  Schichten 
übereinander  standen,  eingeschlossen  war.  Da  nun  in 
allen  diesen  Gräbern,  mochte  ihre  Form  und  Anlage  wie 
immer  gestaltet  sein,  Mctallob.iecte  derselben  Form  und 
Metallmischung,  die  auf  die  späteste  Periode  des  Heiden- 
thums  hinweiset,  wie  auch  Gefässe  gefunden  wurden, 
deren  Böden  dieselben  eigenthümlichen  Zeichen  hatten, 
die  man  an  den  Gelassen  der  früheren  christlichen 
Periode  gewahrt,  so  gelangt  der  Verfasser  zu  dem 
.Schlüsse,  dass  alle  jene  verschiedenartigen  Grabstätten 
von  einem  Volke,  welches  unmittelbar  vor  der  Christi- 
anisirung  Böhmens  dieses  Land  bewohnte,  d.  i.  von  den 
heidnischen  Czechen  herrühren.  Dabei  beschränkt  sich 
Wocel  nicht  auf  die  blosse  Schilderung  der  (Gräber  und 
ihres  Inhaltes,  sondern  wendet  seine  Aufmerksamkeit 
dem  Jlateriale,  aus  dem  die  Alterthumsobjecte  verfertigt 
sind,  der  technischen  .\nsführung  derselben  zu,  und  ge- 
langt mit  Zuhilfenahme  chemischer  und  technischer 
Untersuchungen  zu  Ergebnissen,  welche  geeignet  sind 
die  Grundlage  einer  Geschichte  der  Arbeit  zur  Zeit  des 
Hcidenthums  in  Böhmen  zu  bilden.  Bei  seinen  viclver- 
zweigten  Forschungen,  schöpft  der  Verfasser  aus  allen 
Quellen,  welche  das  dassische  Alterthum.  \vie  auch  die 
Literatur  der  germanischen ,  romanischen  und  slavi- 
scheu Völker  darbieten ,  und  stellt  sich  durch  sein 
Streben,  das  wechselseitige  Verständniss  der  west-  und 
osteuropäischen  Forschung  zu  fördern,  auf  den  Stand- 
punkt, der  dem  böhmischen  Forscher  durch  die  geogra- 
phische Lage  seiner  Heimath  angewiesen  ist.  Nicht  um- 
hin können  wir  aber  zu  bemerken,  dass  Wocel  in  seinen 
Reflexionen  und  historischen  Deutungen  manchmal  die 
Culturverhältnisse  seiner  Vorväter  zu  überschätzen 
scheint  und  damit  zumal  bei  der  herrsehenden  Zeitströ- 
mung auf  Widerspruch  stossen  dürfte.  Dem  Werke 
sind  zwei  Beilagen  beigefügt :  die  erste  enthält  eine  ein- 
gehende Abhandlung  über  antike  Bronz-Objecte  und  ein 
sorgfältig  zusammengestelltes  Verzeichniss  der  meisten 
bisher  bekannten  chemischen  Analysen  derselben,  die 
zweite  eine  Schilderung  der  in  jüngster  Zeit  in  der  Nähe 
der  .Stadt  Strakonic  entdeckten  i^teinwälle  und  der  bei 
denselben  befindlichen  .Steindenkmale,  welche  die  Form 
der  Peulvane  und  Dolmene  weisen.  Der  Text  ist  durch 
194  zumeist  gelungene  Holzschnitte  illustrirt.  Wocel's 
Buch  wurde  auf  Kosten  der  königlich-böhmischen  Ge- 
sellschaft der  Wissenschaften  herausgegeben,  und  ist 
bereits  im  Buchhandel  fast  gänzlich  vergriffen.  Eine 
deutsche  Übersetzung  des  Werkes  wäre  sehr  erwünscht, 
um  den  bedeutsamen  Inhalte  derselben  weitere  Bahnen 
zu  brechen.  C.  F.  J-  Bsch. 


Beiträge  zur  Kunde  der  St.  Stephanskirche  in  Wien. 

IV.  Vorlaufs  Gedenkstein. 

(Mit  3  Holzschnitten.) 

Als  Herzog  Albrecht  IV.  (1404)  starb,  war  sein 
Sohn  Albrecht  V.  erst  sechs  Jahre  alt.  Die  Minderjäh- 
rigkeit des  Erbfolgers  und  der  Tud  seines  Vormunds 
Herzog  Wilhelm  14U6  gab  für  Wien  und  ganz  Öster- 
reich Anlässe  zu  manchen  traurigen  Ereignissen.  Denn 
Albrecht  V.   ältester   Vetter   Herzog  Leopold   IV.,  der 


cxv 


sogleich  die  Vormuiidscliaft  Übernahm,  konnte  es  den 
Wienern  niemals  Recht  machen.  Man  beschuldigte  ihn, 
dass  er  durch  allzu  grosse  Auflagen  die  Uiiterthanen 
aufsauge,  und  statt  des  Vormundes  den  Herrn  spiele. 
Bald  entstand  daher  zu  Wien  eine  Partei,  die  den  bis- 
herigen Vormund  entfernt  und  den  Herzog  Ernst  der 
Steiermark  an  seine  Stelle  gesetzt  wissen  wollte.  Ging 
mit  Herzog  Ernst  der  Rath  und  die  wohlhaliende  Bürger- 
schaft, so  war  doch  auch  Leopold  nicht  ohne  Anhang, 
die  Handwerker  und  der  rohe  Volkshaufe  hielten  zu  ihm. 
So  kam  es  bald  zu  Reibungen,  die  Unzufriedenheit  führte 
zu  Vülksaufständen  und  der  kaum  wenige  Monate  her- 
gestellte Laudfriede  fand  wieder  seinen  Abschluss.  Um 
den  fortwährenden  Tumulten  ein  Ende  zu  machen,  sahen 
sich  Bürgermeister  Konrad  Vorlauf  und  der  Rath  zu 
strengeren  Massregeln  genöthigt,  ja  es  musste  sogar 
zum  äussersten  geschritten  werden  und  wurden  fünf 
Handwerker,  als  die  Rädelsführer  des  Aufstandes,  am 
Hohenmarkte  am  5.  Jänner  1408  enthauptet.  Doch  sollte 
das  ziemlich  voreilig  vergossene  Blut  bald  ausgie- 
big gerächt  werden.  Ungeachtet  der  scharfen  Execu- 
tion  kehrte  die  Ruhe  in  die  Stadt  Wien  nicht  zurück. 
Kleine  Kämpfe,  Morde,  fruchtlose  Ausgleichsversuche 
reihten  sich  fast  ununterbrochen  an  einander.  Beson- 
ders waren  Leopold  und  seine  Partei  gegen  den  Bürger- 
meisterund die  angeseheneren  Bürger  eingenommen,  und 
bald  gelang  es  ihm,  denselben  mit  einigen  der  Räthe  in 
seine  Gewalt  zu  bekommen.  Es  war  nach  dem  erfolg- 
losen Tage  in  St.  Polten.  Zwar  ging  man  friedlich  von 
einander,  aber  bei  Gablitz  überfielen  Leopold's  Gesellen 
unter  Führung  des  Hanns  Laun  von  Krumau  und  Burk- 
hard des  Truchses,  nachdem  sie  schon  früher  Absage- 
briefe denselben  gesendet  hatten,  die  heimziehenden 
Wiener  Abgeordneten.  Nach  tapferer  Gegenwehr  nahm 
man  sie  gefangen  und  führte  sie  nach  Ternberg.  Unter 
den  Gefangenen  beliinden  sich  Konrad  Vorlauf,  der  Bür- 
germeister und  die  Räthe  Rudolph  Angerfelder,  Hanns 
Rock,  Stephan  Poll,  Friedrich  Dorfner,  Wolf  Schad- 
nitzer  und  Niclas  Untermhimmel  '.  Der  Rathsherr  Niclas 
Flusshart,  der  ebenfalls  mitheimzog,  wurde  im  Kampfe 
erschlagen. 

Nachdem  die  Gefangenen  reiches  Lösegeld  zuge- 
sagt hatten,  kehrten  sie  am  20.  Juni  nach  Wien  zurück; 
doch  nicht  von  langer  Dauer  sollte  für  einige  die  eben 
erlangte  Freilassung  sein.  Bald  begann  Herzog  Leopold 
schwere  Forderungen  an  den  Stadtrath  zu  stellen,  die 
dieser  verweigern  musste.  Durch  den  Widerspruch 
gereizt,  bot  dem  Herzoge  Leopold  die  vom  Pöbel,  der 
nun  die  Zeit  gekommen  sah,  die  Hinrichtung  seiner 
Führer  zu  rächen,  ausgehende  Klage ,  dass  der  Rath 
ein  ungerechtes  drückendes  Umgeld  auf  den  Wein 
gelegt  habe,  um  damit  das  versprochene  Lösegeld  auf- 
zubringen, die  erwünschte  Gelegenheit,  die  Häupter  der 
Stadt  neuerdings  gefangen  nehmen  zu  lassen  (7.  Juli 
1408).  Es  waren  dies  Konrad  Vorlauf,  Hanns  Rock, 
Konrad  Rampersdorfer,  Rudolph  Angerfelder,  die  Büger 
Schrul  und  Nichl.  Vergebens  baten  die  bedeutenden 
Bürger  bei  dem  Herzoge  um  die  Freiheit  ihrer  Freunde, 
vergebens  flehten  Frauen  und  Kinder  um  das  Leben 
ihres  Familienhauptes.  Leopold's  Entschluss  war  ge- 
fasst,  und  durfte  keine  Zeit  verloren  werden,  den- 
selben zu  executiren.  Schon  nach  vier  Tagen  wurde  an  den 

*  S.  darüber  Schlager's  Wiener  Skizzen  des  Mittelalters  Y.  93.  101— 
105  und  Fontes  rerum  austiiacarum  von  Feil  13 — 17, 

XIV. 


Gefangenen 


das  Blnturthcil  vollzogen.  Am  Schwein- 
markt (^Ldbkowitzplat/,)  fielen  sie  alsOpfer  eines  ungerech- 
ten aus  Parteihass  entstandenen  Urthcilspruches  zum 
Leidwesen  Herzogs  Ernst,  der  in  einem  Schreiben  ddo. 
27.  Juli  1408  bei  dem  Rathe  der  Stadt  Wien  sich  um 
die  Ursachen  einer  so  schweren  Bestrafung  anfragt  2. 

Als  der  Henker  zuerst  am  Stadtratlie  Rampers- 
dorfer den  Spruch  vollziehen  wollte,  wies  ihn  der  Bür- 
germeister mit  dem  Bemerken  zurecht,  dass  ihm  der 
Vorrang  gebühre,  er  sei  in  der  Treue  für  seinen  recht- 
mässigen Herrn  jederzeit  der  Vorläufer  gewesen,  er 
wolle  es  auch  im  Tode  bleiben.  Die  Leichen  blieben 
bis  Sonnenuntergang  am  Blutgerüste,  wurden  dann  von 
den  Angehörigen  auf  den  Stephansfreithof  gebracht 
und  in  der  Nähe  des  Platzes,  wo  der  dazumal  noch  nicht 
begonnene  und  bisher  uuausgel)aut  gebliebene  Thurm 
steht,  beerdigt  K  Die  Güter  der  Hingerichteten  zog  Herzog 
Leopold  ein.  Die  anderen  Gefangenen,  die  zwar  mit  dem 
Leben  davon  kamen,  mussten  ihre  Freiheit  mit  schweren 
Summen  bezahlen.  Man  erzählt,  es  habe  die  Höhe  des 
Bargeldes  über  einen  am  Throne  sitzenden  Menschen 
gereicht.  Doch  der  Endzweck,  den  der  Herzog  durch 
diesen  Act  der  Grausamkeit  erreichen  wollte,  der  wurde 
nicht  erreicht;  der  Zwist  der  Herzoge  um  die  Vormund- 
schaft wurde  heftiger,  die  Einmischung  des  Auslandes 
nahm  zu  und  erst,  nachdem  das  Land  noch  länger 
schwer  heimgesucht  war,  sprach  ein  Machtsjiruch  des 
Kaisers  Sigismund  die  Vormundschaft  über  Albrecht 
den  V.  beiden  hadernden  Fürsten  für  etliche  Jahre  zu; 
allein  schon  1411  erklärte  er  den  Herzog  Albrecht  als 
volljährig. 

Gegenwärtig  erinnert  an  diese  drei  pflichttreuen 
Wiener  Bürger  eine  Inschrift  von  dreizehn  Zeilen  auf 
einer  grossen  Marmorplatte,  welche  unmittelbar  vor  den 
Stufen,  welche  im  rechten  Seitenschiffe,  dem  sogenannten 
Passionschore,  der  Wiener  Kathedrale  zum  Monumente 
Kaiser  Friedrich  IV.  hinaufführen,  im  Bodenpflaster  ein- 
gelassen ist.  Die  Inschrift  selbst  befindet  sich  auf  einer 
grossen  Messingtafel,  die  in  der  oberen  Hälfte  der  Stein- 
platte angebracht  wurde,  und  ist,  weil  schon  sehr  aus- 
getreten, gegenwärtig  schwer  zu  lesen.  Sie  lautet  folgen- 
dermassen:  Sta,  fle,  plange,  geme  mortalis  homo,  lege, 
disce,  I  Quid  labor,  atque  tides,  quid  mundi  gloria,  quid 
spes|  Prelis,  divitiae,  quid  honor  prosit,  tribuatque! !  Ecce 
brevi  saxotres  cives  cernesepultos:  j  ConradumVorlauff, 
Kunz  Rampersdoröer  et  Hanns  Rock,  |  Jlagnificos  etenim 
cunctis,  hac  urbe  priores,  j  Officiis  celebres,  quos  virtus, 
nomen  honoris,  |  Emeritos  vexit;  fortunae  sed  rota  fallax 
I  Acephalos  feria  dedit  una,  quos  amor  unus  j  Foedere 
civili  conjunxit  sie;  quod  utrinque  hie  prior,  ille  prior 


*  1408.  r>en  erbern,  weisen,  vasern  liebsten  getrewn  dem  Burgerraaister 
dem  Kioliter,  vnd  dem  Itat  ze  Wien. 

Krnst  von  gots  gnaden,  Herczog  ze  Osterreich  etc.  Erbern,  weisen,  vnd 
liebsten  t'Ctrcwn.  Als  Ir  vns  yeczand  ge.schriben  habt,  -wie  die  hendel.  die  an, 
dem  Vorlauff,  dem  RampelsttortTer,  viid  dem  Koggen,  den  Got'gnad,  von 
anrüffung  wegen,  der  ganczen  gemain,  bescheheti  sein;  von  merkleicher  not- 
durft't  wegen.  Empfelhen  wir  e\v,  vnd  begern  ernstleich  ,  daz  Ir  vns  ewrselbs 
verschribne  antwurt,  vnuerczogenleich  wissen  lazzet,  mit  wen,  die  egenant 
fromen  leut,  si-lbe  swere  straffe,  verschuldet  haben,  vnd  ob  das,  mit  ewren 
wissen,  vnd  willen  sey  zugegangen  vnd  ob  jr,  daran,  schuld  habt,  oder  nicht. 
Geben  zu  Gretz,  an  Suntag  nach  .Tacobi  Apostolj  (27.  Julj)  Anno  etc.  viij. 
—  Original  Papier.  Aufgedrucktes  Siegel  W.  Magist. 

•*  Thomas  libendorfer  von  Haselbach,  der  die  ergiebigste  Quelle  für 
diese  VorgHnu-e  bietet  und  den  Konrad  Vorlauf  einen  vir  promptus  et  in  armis 
expertus  nennt,  erzahlt  in  seinem  chronicon  Austriae  (Pez  II.  S35)  darüber; 
Uiidecima  igitur  Julii  VorlaufT  Hamperstorfer  Rockb  praefati  mane  ante  sextara 
ad  forum  porcorum  Viennae  deducti  se  altrin^ecus  deosculantes  capilali  sen- 
tentiae  sunt  addicti.  Quorum  Corpora  libitinis  imposita  cadem  die  (undi-cima 
Julii)  ad  vesperas  in  eodem  tumulo  ad  S.  Stephanum  extra  foras  ecclesiae 
versus  septenirionem  in  loco  ,  quo  jam  altara  turris  fundamenta  -suscepit, 
humata  sunt. 


CXVI 


Fig.  1. 


Yig.  3. 


conteuihint  fleetcre  coUa:  Sustulit  infaustuni  sed  Vor- 
lauft', tunc  prioratum  Anno  domini  3ICCCC  octavo  post 
Margarethae.  Von  besonderer  Zierlichkeit  sind  die 
Ornamente,  die  am  Schlüsse  jeder  Zeile  und  bei  den 
Satzabtheilungen  beigegeben  sind:  sie  sind  verschieden 
gross,  je  nachdem  die  Länge  der  Worte  einen  Ausgleich 
der  Zeilenlänge  fordert,  stellen  Blattrauken,  meistens 
kniende  Engel  u.  s.  w.  vor. 

Eine  weitere  Zierde  des  Steines  bilden  drei  in  einer 
Reihe  befindliche  ebenfalls  in  Messing  ausgeführte  und 
unter  der  Inschrift  befindliche  Wappen.  Das  Wappen 
rechts  zeigt  in  einem  schräg  rechts  getheilten  Felde 
die  vordere  Hälfte  eines  stehenden  Löwen.  Es  ist  dies 
das  Wappen  Konrad  Rampersdorfer's .  welchem  Wap- 
pen wir  auf  dessen  Siegel  wiederholt  im  städtischen  Archiv 
begegnen  *.  Das  zweiteWappen  bezieht  sich  unzweifelhaft 
auf  Hanns  Rock  '\  und  zeigt  drei  Roggenähren  in  einem 
horizontal  getheilten  Felde.  Das  dritte  Wappen  zeigt 
im  oberen  Felde  ein  mit  seinen  Annen  bis  an  den  Feld- 
rand reichendes  Kreuz.  Da  es  nicht  unwahrscheinlich 
ist,  dass  dieses  Wappen  jenes  des  Wiener  Bisthums 
vorstellen  soll,  und  da  die  Heftstücke  einer  grossen, 
darüber  befindlich  gewesenen,  aber  bereits  verloren  ge- 
gangenen Verzierung  die  Vorstellung  der  über  diesem 
Wappen  schwebenden  Mitra  mit  fliegenden  Stolen 
wahrscheinlich  machen,  so  glaubt  Herr  Albert  von  Ca- 
mesiiia  darinnen  einen  Anhaltspunkt  zur  Erklärung 
der  bisher  so  schwierig  zu  enträthselnden  Wappendar- 
stellung gefunden  zu  haben  •. 

Seiner  Ansicht  nach  sei  diese  Marmorplatte  erst 
unter  dem  ersten  Bischof  von  Wien  Leo  von   Spaur 

*  Konrad  Bampersdorfer  dürfte  nach  FeiTs  Meinung  einige  Zeit  Bau* 
meister  an  der  schonen  gotbiscben  Kirche  za  Miriastiegen  in  Wien  g**weten 
sein,  denn  am  22.  December  1403  erscheint  laut  Eintragung  im  stadti:^cben 
Geechäftsbache  (1.  136)  derselbe  Tor  dem  Bargermeister  und  nennt  sich  Bau- 
meister des  neuen  Hauses  an  der  Frauencapelle  an  der  Stetten.  (^tlheil.  der 
Cenl.-Comm.  n  S3}  Sein  Siegel  s.  Fig.  1. 

5  Sein  Testament  lautet: 

An  Eriiag  nach  Tixser  fraven  ug  Nativitatis  (12.  September)  kom  für 
den  Rat  Chunrat  der  Rock  vnd  bracnt  vnd  weist  mit  erbern  Leuten  zu 
rechter  zeit  als  er  zerecht  sei  mit  Herrn  Petrein  den  Schuldenrein  Echter 
daz  Sand  Stephan  ze  wienn  vnd  mit  Hangen  dem  Jochlinger  das  geschefl  So 
sein  Bruder  Hanns  selig  der  Rock  getan  het  als  es  an  einer  zedel  für  den 
ha*,  bracht  ward  die  von  wort  ze  wort  lauttet  als  hernach  geschriben  stet. 
Hie  ist  Termerchkt  das  gescheft  daz  Hanns  der  Rock  geschaA  hat  bey  seinen 
lebentigen  tegen  gegenwnrig  erber  leul  die  dabey  gewesen  sind  Her  Peter 
der  Schulderwein,  Fridreich  Ton  Ratt  zu  den  Zeiten  >larschalk,  Jandel  Jud, 
Hanns  Jochlinger,  Item,  Ton  er.^^t  Teriacb  er  seiner  geltschuld  Tnd  was  der 
gelter  wer  die  sol  man  aufrachten  Tod  daz  man  das  auf  seiner  See)  nicht 
ligen  seit  lassen  durch  gots  willen.  Item  Tnd  Ton  der  geltschult  wegen  da 
»ey  er  Tnderkomen  Ton  seiner  HausfraTt^n  erb  wegen,  Ifem  meldet  er  einen 
gemechtbrief.  Item  er  sach  auch  da  er  sein  Hausfrawn  genomen  biet  da  wer 
er  nicht  mer  »cbuMig  gewesen  denn  dreu  hundert  guidein,  Item  erpat  auch 
gar  flf^issichlicfaen  daz  man  seine  Kinder  nicht  gar  enterbett.  Item  er  sach 
daz  er  seiner  tocbter  der  Trslein  zu  Irm  mann  nichts  geben  biet  denn  nur 
einen  Weingarten  den  biet  er  Ir  anfgezaigt  des  Sey  Sye  r*ye  geweitig  worden 
TBd  bat  fleissicblich  daz  man  die  auch  aufrichtet  als  die  oben  geschriben 
erbem  lent  also  gedenckhen  wir  der  daz  da  geschriben  ist  Tnd  nicht  anders 
da  druchkt  wir  drey  Tiuer  pets<  hat  auf  zu  zeugniess  der  Sach,  als  die  obge- 
nanten  erbem  leut  her  Peter  der  Schulderwein  bey  seiner  brlesterschaft  vnd 
bans  der  Joehlinger  bey  seinen  trewen  an  eides  siat  vor  offem  Rat  haben 
getagt  als  Sy  zerecht  sollen.  Wiener  .\rchiT.  Gescheftbuch  p.  63.  b.  Am  selben 
Tage  wird  auch  das  Testament  der  Frau  des  Rampersdorfer,  Barbara  be- 
kannt r-  T--  \  :.'. 

■.^te    ein   redendes  Wappen,    wie    dies  das  schöne 
Si».  .-weist,   in    welchem  drei  Roggenähren  aus   einem 

^"  .        ;  riessen  (Fig.  2;. 

'  :>.  i;;äucr  för  L^bdeskunde  Ton  Üieder-Österreich  1869  p.  132. 


(t  1479).  der  mit  dem  Bürgermeister  und  Rath  der  Stadt 
Wien  auf  freundschaftlichem  Fasse  stand ",  angefertigt 
und  an  diese  Stelle  nächst  dem  Monumente  Friedrichs, 
dem  Sohne  Herzogs  Ernst,  dessen  Anhänger  Vorlauf 
war,  in  weihevoller  Weise  gelegt  worden.  Auch  die 
Charaktere  der  Buchstaben  gehören  einer  wenigstens 
um  ein  halbes  Jahrhundert  jüngeren  Zeit  an.  Ferner  ist 
es  auch  sehr  wahrscheinlich,  dass  dieser  Stein  kein 
Grabstein  ist,  dass  die  Gebeine  der  Gerichteten  nicht 
darunter  ruhen,  sondern  dass  er  bloss  dem  Gedächt- 
nisse derselben  gewidmet  wurde. 

Auch  die  Eigenthüinlichkeit.  dass  das  Wappen  des 
Vorlauf  feiilt,  versucht  Camesina  damit  zu  erklären, 
dass  Koiirad  Vorlaufs  Geschlecht  mit  ihm  im  Manns- 
stamme erlosch,  während  Rock  und  Rampersdorfer 
m.inuliche  Nachkommen  hinterliessen.  Wenn  uns  auch 
diese  Erklärung  als  nicht  ganz  fest  begründet  vorkommt, 
so  erscheinen  uns  die  übrigen  Ansichten  dieses  um  die 
Wiener  Geschichte  nicht  wenig  verdienten  Forschers  in 
so  weit  richtig,  dass  ^vir  gern  dieselben  acceptiren  und 
es  beruhigt  der  Zukunft  überlassen  wollen,  diese  eine 
Lücke  durch  eine  gründliche  Erklärung  auszufüllen. 

Doch  auch  Vorlauf  der  wahrscheinlich  von  einer 
Familie  ausser  Wien  stammte,  da  ein  solcher  Name  unter 
den  Wiener  Bürger  -  Familien  nicht  vorkommt,  sollte 
nicht  ohne  besonderes  Denkmal  in  der  St.  Stephans- 
kirche bleiben.  Es  befindet  sich  nämlich  im  Langhause 
des  Domes  auf  der  ersten  Säule  (vom  Hauptthore 
gezählt!  gegen  das  rechte  Seitenschiff  hin,  nebst  zwei 
anderen  Statuen  das  Standbild  der  Mutter  Gottes  Maria- 
Schutz,  und  ist  der  .Sockel  dieser  Statue  mit  dem  Wap- 
penschilde des  Konrad  Vorlauf  geziert.  Dasselbe  zeigt 
ähnlich  derHelmzimier  in  dem  hier  beigegebenen  Siegel 
(Fig.  3 1  *  desselben  ein  gezäumtes  laufendes  Pferd.  Es 
ist  mit  Bezug  auf  das  Wajipen  sehr  wahrscheinlich,  dass, 
wie  überhaupt  die  Statuen  an  den  Pfeilern  laut  den 
dabei  angebrachten  Wappen  Votivgaben  einzelner 
Wohlthäter  waren,  Frau  Dorothea  Vorlauf,  die  noch 
um  1419  Hill  Leben  war.  sich  ebenfalls  an  der  Aus- 
schmückung des  Wiener  Domes  betheiligte.  Wir  können 
mit  Rücksicht  auf  diese  Prämisse  es  auch  wagen,  jene 
Figuren,  welche  die  heil.  Maria  mit  ihrem  Mantel  schüt- 
zend umgibt,  in  Bezug  anf  die  Vorlauf  sehe  Familie, 
wie  es  Camesina  thut.  zu  erklären.  Zu  den  Füssen 
Mariens  kniet  rechtsseitig  Konrad  Vorlauf»  mit  einem 
pelzverbrämten  Oberklcide  angethan ,  unbedeckten 
Hauptes,  vor  ihm  liegt  der  runde  Hut.  Hinter  ihm  steht 
sein  Namenspatron  und  ein  gekrönter  Heiliger.  Links 

'  Einen  Beweis  für  das  fretindschaftliche  Verhältoiss  zwischen  der 
Stadt  und  diesem  mag  liefern,  dass  im  Jahre  14GT  die  Stadt  dem  Spawrer 
pbarer  zu  Berchdoldstnrf  zu  seiner  ersten  Hess  geschankbt  hat  1  lag  Rayfal 
XLiiij  ächterin  p.  xxxvi  See.  (facit  Tj  .fcc.  iiij  3  xxiiü  &c.  K»-nmcramts- 
Arch.  d.  Stadt  Wien).  Derlei  Geschenke  finden  sich  nur  in  sehr  wenigen 
Beispielen. 

'  Conrad  Vorlaufs  Testament  wurde  ebenfalls  erst  am  11.  September 
I40S  Teröffentlicht  ond  lautet: 

Desselben  tags  k  <men  auch  für  den  Rat  der  erber  her  llaiurich 
der  Weczz  diezeit  karmaister  daz  sand  Stephan  ze  wienn  vnd  der  erber 
Hanns  der  Jochlinger  Tnd  habent  da  gesagt  der  Torgenante  her  Hainrich  bey 
seiner  priesterschaft  Tnd  derselb  Hanns  Jochlinger  mit  seinen  trewn  an 
ayries  slat  zu  rechter  zeit  als  Sv  zurecht  sollen  rmb  das  gescheft  so  her 
Chonrat  seliger  der  Vorlauf  waillent  Burgermeister  zu  wienn  an  seinen  lesten 
Zeiten  getan  hat.  .\l6o  das  er  geschaft  hat  Ton  aller  seiner  bab  die  gelter  ze 
weren  vnd  ze  bezallen  den  andern  tail  der  vorgenanten  bab  seinen  kindern 
vDd  hat  das>elb  sein  gescheft  enph-.lichen  den  T.^rgenant  Hern  Hainrich  dem 
Wezz'.n  Tnd  Hannsen  dem  JocnJiuger  Tnd  '«ann  Si  also  nach  der  Statreeht 
ze  wienn  darumb  nicht  gesagen  mochten  darjmb  haben  wir  es  von  jn  zu 
vnsem  banden  genomen  vnd  haben  in  da.'  wider  in  jr  irew  ausrzerichten 
enpbolcfaen  in  der  weis  als  vorgescbriben  stet.  Wiener  St.  Aren.  Geschäft- 
bücber  p.  69.  b. 

•  Nicht  ohne  lieferer  Bedeutung  dürfte  Vorlauf  als  Conirasiegel  einen 
geschnittenen  Stein  gewählt  haben,  der  ein  laufendes  Pferd  mit  einem  Palm* 
zweige  zeigt. 


CXVII 


kniet  Dorothea  Vorlauf,  Jakob  des  Süssen  Tochter,  mit 
gefaltetem  Jlantel  bekleidet  und  i;leicli  ilirom  (iemahl 
einen  Rosenkranz  in  den  Händen  haltend,  hinter  ihr  ihre 
beiden  Töchter  und  die  heil.  Dorothea.  Ausserdem  sind 
in  der  Umhüllung  des  Mantels  noch  mehrere  Köpfe 
sichtbar.  ...?«... 

Das  Siegel  des  St.  Johannes-Spitals  am  Siechenais 
zu  Wien. 


(Mit  1 


Holzschnitt.) 

Das  während  des  XIII. 
Jahrhunderts  noch  sehr  be- 
scheidene Wien  hatte,  gleich 
■nie  es  von  jeher  und  bis  zur 
Gegenwart  in  Wohlthätig- 
keitsanstalten  Wesentliches 
geleistet  und  durch  den  mil- 


den Sinn  seiner  Bürger 


sich 


immer  besonders  hervorge- 
tlian  hatte,  schon  damals  eine 
nicht  unbedeutende  Anzahl 
von  Spitälern,  Biirgerversor- 
gungen,  Pilgrim-,  Siechen- 
und  Leprosenhäusern.  Eines 
davon  war  das  Spital  zu 
St.  Johannes  am  Siechenais.  Zwar  ist  es  nicht  möglich 
dessen  Gründungszeit  anzugeben,  doch  dürfte  sie  in  das 
XIII.  Jahrhundert  fallen,  denn,  obgleich  die  Kirche 
schon  im  XII.  Jahrhundert  bestand ,  so  finden  wir 
erst  1298  eines  Amtmannes  '  des  Siechenhauses  von 
S.  Jobann  am  Siechenais  2  Erwähnung  gethan.  Da  es 
nicht  selten  im  Zusammenhange  mit  den  Spitälern  zu 
St.  Lazar  und  am  K 1  a  g  b  a  u  m  aufgeführt  wird  und  auch 
im  XV.  Jalirh.  zur  Unterbringung  von  mit  anstecken- 
den Krankheiten  behafteten  Personen  verwendet  wurde, 
so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  es  gleich  Anfangs  zu 
diesem  Zwecke  gegründet  wurde.  Auch  der  Name  des 
Stifters  ist  verloren  gegangen,  doch  spricht  die  Vermu- 
thung  für  eine  landesfürstliche  Stiftung,  da,  obgleich 
1370  ein  Schatfer  des  Spitals  urkundlich  3  erscheint,  das 
Spital  im  Jahre  1476  vom  Kaiser  Friedrich  IV.  in  die 
Verwaltung  der  Chorherren  von  St.  Dorothea  überging. 
Das  Spital  führte  im  XIV.  Jahrhundert  das  in  der 
Abbildung  beigegebene  Siegel».  Dasselbe  ist  spitzoval 
mit  einem  Höhendurchmesser  von  2".  Innerhalb  des  ge- 
perlten Aussenrandes  und  einer  inneren  Perllinie  be- 
findet sich  die  Lapidar-In Schrift:  f  S(igilluni")  domfus) 
S(ancti)  Joh{ann)is  Bapt(istae)  in  alse.  Im  Mitteiljilde 
zeigt  sich  in  sehr  zierlicher  Zeichnung  auf  einer  Console 
stehend  die  Figur  des  heil.  Johannes,  des  Täufers 
Christi,  das  Haupt  nimbirt,  in  der  Rechten  eine  Scheibe, 
darauf  das  Agnus  dei  haltend.  Er  trägt  ein  langes  Kleid 
und  darüber  ein    Dalmatic   aus  Lanunfell ,    eine  ganz 

*  Der  Sichenals  hat  seinen  Kamen  Ton  dem  trügen  und  langsamen  Laufe 
des  Wassers  im  Alserbache,  dessen  grösseres  Wasseniuanlum  in  einem  Arm 
der  Stadt,  während  nur  wenig  Wasser  im  Hauptbachbette  der  Als  am  Spital 
vorbei  der  Donau  zulief. 

s  Hormayr  Wien,  II.  3.  Ed.   1.  Hft.   t'rlt.  296. 
3  Notizenblati  de     kais.  Akademie  185-i,  Gl. 

*  Dieses  Siegel  befindet  sich  auf  einer  im  Besitze  des  kais.  Rathes 
V.  Camesina  belindlirhen  Urkunde,  mit  welcher  am  Johannis  -  Abend 
der  Sonnenwende  13:^4  Heinrich  Unverzagt  und  seine  Gattin  ("Jertraud  mit 
Zustimmung  des  Grundherrn  Michael  Schönhelfer,  Meister  des  Hauses  dacz 
Sand  Johannes  der  Siechenalse  vor  dem  Schottenthor  L'  Pfd.  W.  Pf.  Bergrecht 
um  20  Pfd.  W.  Pf.  gelegen  auf  ihrem  Haus  am  neuen  Markt  zunächst  Heinrichs 
des  Paders  Haus  verkaufen.  Mehrere  solche  Siegel  finden  sich  im  Archiv  der 
St.idt.  In  etwas  jüngerer  Zeit  finden  sich  auch  Siegel  dieses  Spitals,  auf  denen 
nur  der  Kopf  des  heil.  Johannes  angebracht  ist. 


sinnige  Autfassung  und  Vereinigung  seiner  traditionel- 
len Bekleidungsweise  mit  dem  Gewände  des  christlichen 
Diaconen. 

Zu  Beginn  der  ersten  Türkenbelagerung  verliessen 
die  Chorherren  das  im  Pfarriiofe  untergelirachte  Spital, 
das  sannnt  dem  dabei  bründlichen  Dtirfe  zu  Grunde 
ging.  Wenige  Jahre  später  Hess  die  Wiener  Gemeinde 
daselbst  ein  neues  Spital  errichten,  welches  bei  Aus- 
bruch von  Epidemien  zur  Unterbringung  der  Pestkran- 
ken und  nach  deren  Erlöschen  als  ein  Aushilfsspital 
für  jene  Armen  und  Kranken  vci'wendet  werden  sullie, 
die  im  grossen  Sjntale  bei  St.  Clara  kein  Unterkommen 
fanden.  Das  neue  Spital,  Lazareth  genannt,  mit  der  Jo- 
hauneskirche^,  wofür  1.030  die  (Gemeinde  das  Gruud- 
eigenthuiii  erwarl),  eriiob  sich  auf  den  Überresten  des 
alten  Jolianiiispitals  und  stand  ungefähr  an  der  Stelle 
des  heutigen  Bürgerspitsiis  am  rechten  Ufer  des  Alser- 
baches.  Im  Jahre  1766  verlor  das  Gebäude  seine  bis- 
herige Bestimnmng,  wurde  anderweitig  verwendet  bis 
es  im  Jahre  1858  verschwand  «. 


Die  Krypta  zu  &ÖS3. 

Als  ich  die  in  den  Mittheilungen  der  k.  k.  Central- 
Comm.,  Jahrgang  1866  veröffentlichte  Beschreibung  der 
Kirche  des  ehemaligen  Xonnenstiftes  zu  Göss  verfasste, 
war  ich  genöthigt,  mich  mit  der  Constatirung  des  Vor- 
handenseins einer  Krypta  zu  begnügen,  indem  der  Be- 
such derselben  seit  dem  Jahre  1849  nicht  mehr  ge- 
stattet wurde. 

Im  Laufe  dieses  Sommers  ist  es  mir  gelungen  die 
Erlaubniss  zum  Betreten  dieses  so  lange  verschlos- 
senen Raumes  zu  erlangen,  und  ich  bedaure  es  wahrlich 
nicht,  diesen  unheimlichen  Ort  besucht  zu  haben. 

Die  Krypta  hat  die  Grösse  des  Presbyteriums  inclu- 
sive des  Chorschlusses.  Sie  wird  durch  je  vier  in  zwei 
Reihen  geordnete  Säulen  und  Pfeiler  in  drei  Schiffe  ge- 
theilt.  Hinsichtlich  der  Bauweise  unterscheidet  sich  der 
Raum  charakteristisch  in  zwei  Partien.  Der  unter  den 
beiden  ersten  Gewölbefeldern  des  Presbyteriums  gele- 
gene Theil  gehörtder  romanischen  Zeit,  der  unter  dem 
Chorschlusse  befindliche  der  Gothik  an. 

Der  romanische  Theil,  von  dem  sich  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  annehmen  lässt,  dass  er  noch  ins 
XI.  Jahrhundert  zurückreicht,  charakterisirt  sich  durch 
zwei  Paare  romanischer  Säulen  mit  gewundenen  und 
ornamentirten  Schäften,  Würfelcapitälen  und  zierlichen 
hohen  attischen  Basen,  durch  rundbogige  Gewölbe  ohne 
Rippen  und  Gurten,  der  andere  durch  den  polygonen 
Schluss,  der  jenem  des  Presbyteriums  entspricht.  Dieser 
Theil  hat  ein  einfaches  Tonnengewölbe  und  plumpe 
viereckige  Pfeiler  ohne  jede  Durchbildung. 

Die  Krypta  ist  ziemlieh  gut  beleuchtet  und  ventilirt, 
da  sie  im  Schlüsse  mehrere  Fenster  hat,  die  bei  der 
hohen  Lage  des  Raumes  fast  ganz  über  dem  Xiveau  des 
Klosterhofes  liegen.  Da,  wie  schon  in  der  erwähnten 
Beschreibung  bemerkt,  das  Presbyterium  um  7  Stufen 
höher  als  das  Kirchenschiff"  liegt,  so  war  es  auch  nicht 
nöthig  die  Krypta  tief  unter  die   Erde   zu   legen.  Jene 

^  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  bei  dem  Baue  dieser  Kirche  manche 
noch  den  romanischen  Charakter  an  sich  tragende  Bautheile  der  früheren 
Kirche  ihre  Verwendung  fanden. 

'  S.  Ausführliches  über  dieses  Spital  bei  Karl  Weiss:  Geschichte  der 
Arinenversorgung  in   Wien. 


CXVIII 


Stiege,  welche  sich  vor  den  Stufen  des  Presbyteriams 
befindet,  und  über  welche  ich  in  die  Krypta  gelangrle. 
zählt  nur  10  Stufen.  Übrigens  ist  der  Raum  kaum 
8  Schuh  hoch. 

Eigeuthümiicb  ist  das  Bild,  das  diese  matt  beleuch- 
tete Stätte  mit  ihren  Säulen  und  IJügen  gibt,  in  deren 
drei  Gängen  in  langer  Reihe  nebeneinander  offene  «Särge 
stehen,  worin,  mehr  oder  ininder  der  Verwesung  an- 
heimgefallen, die  Körper  derAlitissinnen  seit  Jahrhunder- 
ten liegen.  Die  Körper  sind  alle  noch  mit  Haut  über- 
zogen .  sehr  eingeschrumpft  und  tbeilweise  weich ,  die 
Kleider  faserig,  ja  bei  vielen  nur  Staub,  doch  decken 
sie  noch  die  ganzen  Leiber. 

An  die  Krypta  schliesscn  sich  noch  Nebenräume 
an.  die  sich  unter  den  Thlimicn  und  der  Sacristei  befin- 
den, allein  in  diese  zu  gelangen  war  mir  nicht  möglich. 
da  sie  mit  Särgen  angefüllt  sind.  Doch  führt  in  jenen 
links  der  bereits  erwähnte  zweite,  gegenwärtig  ver- 
mauerte Eingang  von  der  Sacristei  aus.  der  dem  ins 
Presbyterium  (s.  Fig.  1,  p.  92,  Jahrg.  1866)  entspricht. 

Dr.  K.  Lind. 

Hostienbüclise .  Eigenthmn  der  Decanatürclie  zu 
Melnik. 

(Mit  1  Holzschnitt.) 

Hostienbüehsen,  d.  i.  kleine  Büchsen,  die  den 
Zweck  hatten  darinnen  geweihte  Hostien,  welche  noch 
nicht  unmittelbar  zur  Ansspeisung  an  die  Gläubigen 
bestimmt  sind,  aufzubewahren,  gehören  von  jeher  zu 
den  Ahargeräthen  der  katholischen  Kirche.  Sie  wurden 
je  nach  der  Freigebigkeit  und  dem  Vermögen  des  Bestel- 
lers aus  Holz.  Elfenbein  und  Metall  angefertigt. 

Derlei  kirchliche  Gefässe  haben  sich  aus  dem 
Mittelalter  gar  wenige  erhaben,  und  wir  nehmen  gern 
Gelegenheit  unsere  Leser  hiermit  auf  ein  solches ^luf- 
merksam  zu  machen,  das,  weil  in  edlem  Metalle  angefer- 
tigt, sicherlich  einen  reichen  Spender  hatte. 

Dasselbe  befindet  sich  in  der  Decanalkirche  zu 
Melnik  in  Böhmen,  ist  aus  Silber  angefertigt  und  tbeil- 
weise vergoldet.  Die  Büchse  ist  kreisrund,  hat  eine  Höhe 


(inclusive  der  Fignren)  von  5 '  und  erreicht  im  Durch- 
messer 4«  . '.  Das  Gefäss  ist,  weil  in  ganz  zierlicher 
Weise  ausgestattet,  einiger  Beachtung  in  künstlerischer 
Beziehung  würdig  und  mag  mit  Rücksicht  auf  die  <»rna- 
mentation  aus  dem  ablaufenden  XV.  oder  beginnenden 
XVL  Jahrhundert  stammen. 

Das  Gefäss  ruht  auf  drei  Füssen,  deren  jeder  einen 
knienden  musicireuden  Engel  vorstellt.  Die  Schale  ist 
unten  fiach,  und  hat  senkrechte  Sciteuwandung,  die 
nach  unten  mit  einem  eingeschnittenen  Wulste  nach  oben 
einem  fortlaufenden  gothischen  Lilienoniament  ab- 
schliesst.  Im  die  ganze  Aussenseite  der  Wandung 
schlingt  sich  ein  meisterlich  diirchgefiihrtes  Ornament 
ans  rankenden  Blumen  und  Blättern,  das  selbstständig 
ausgeführt,  auf  den  Flächen  reliefartig  aufliegt.  Der 
ganz  abhebbare  Deckel  ist  nach,  aussen  mit  einem  ge- 
flcH'htenen  Zaun  abgeschlossen .  was  sicherlich  die 
Umzäunung  des  (jlberges  vorstellen  soll.  Inner  demsel- 
ben kniet  Jesus  gegen  einen  Felsen  gewendet,  auf  dem 
ein  Kelch  steht,  l'm  ihn  liegen  schlafend  seine  drei 
Begleiter,  Petrus,  Jacobus  und  Johannes.  Obgleich  die 
einzelnen  Figuren,  namentlich  die  des  Deckels,  an  den 
Köpfen  sehr  mangelhaft  ausgeführt  sind,  so  ist  deren 
Gruppirnng  doch  sehr  lebhaft  und  lässt  das  ganze  Werk 
mit  Rücksicht  auf  Zeichnung  und  Ausführung  als  seinen 
Vert'ertiger  einen  Goldschmied  von  Strebsamkeit  und 
künstlerischer  Begabung  vermuthen,  dem  manche  der 
bedeutenden  Werke  der  Goldschmiedekunst  der  früheren 
Zeit  nicht  unbekannt  geblieben  sind,  wodurch  in  ihm 
eine  gewisse  und  an  dem  Werke  deutlich  merkbare 
Läuterung  des  Geschmackes  bewirkt  wiirde. 


Beiträge  zur  GrescMchte  der  Siebenhirter. 

(Mit  1  Holzsclinitt.; 

Der  Name  dieses  altösterreichischen  Geschlechtes 
kommt  in  den  Formen  Siebenhirter.  Sibenbirter, 
Siebenhüi  ter,  Sübenhierter,  Siebenhirtner, 
Sybenhirt  vor. 

In  Niederösterreich,  im  Viertel  U.  W.  W.  nächst 
Liesing  lieget  das  Dort'  Siebenhirten  am  Peters- 
bach: daselbst  war  eine  adelige  Familie  sesshaft,  wel- 
che im  XV.  Jahrhundert  unter  der  Wiener  Bürgerschaft 
auftaucht.  Möglicherweise  besteht  irgend  ein  Zusam- 
menhang zwischen  diesen  Rittern  und  jenem  Dort"  und 
der  heutigen  Siebenhirtengasse  in  Lerchenfeld 
bei  Wien.  Übrigens  finden  sich  noch  zwei  Orte  die- 
ses Namens  in  Niederösterreich :  im  Viertel  0.  W.  W. 
ein  Dorf  südlich  hinter  Bärsebling  oberhalb  Böheim- 
kirchen.  und  im  Viertel  1'.  M.  B.  ein  ehemals  vicedomi- 
sches  Gut.  der  Herrschaft  Staats  gehörig,  an  der  Zaya, 
zwischen  Hüttendorf  und  Mistelbach  '. 

Der  erstgenannte  Ort  erscheint  schon  im  XII.  Jahr- 
hundert in  dem  Saalbuch  des  Stittes  Klostemeubnrg, 
als  1178  Ulrich  v^n  Falkenstein,  ein  Ministerial  Herzog 
Leopold  VI.,  dem  Stifte  seine  Besitzungen  zu  Mcinharts- 
dort' nächst  Meldung  verkaulte:  unter  den  daselbst  auf- 
geführten Zeugen  lesen  wir  Heinrich  und  Albert 
von  Siebenhirtis. 

Dass  jener  Dietrich  von  G  e  r  u  n  g  von  Sieben- 
hirten, der  1224  als  Zeuge  in  einem  Documente  von 

»  Weis  kern.  Topoprmphf^  Ton  Sieder-Österreieh  H,  186  f. 

=  R  e  m  1  i  5  .  Curiosiciten*  and  HemorftbiMen-LexIkon  tod  Wien  IT.  333  ff. 


CXIX 


Klostevneuburg  erscheint,  hiehergehört,  wie  Weis- 
kern, der  ihn  naeh  Hernh.  Petz  anführt,  glaubt,  niüsste 
erst  noch  erwiesen  werden.  Eher  möchte  jener  Ulrich 
von  Siebenhirten  mit  seiner  Hausfrau  Margareth, 
welche  zu  Sieghartsdort  sassen,  und  anno  1332  am 
8t.  Johannestag  zu  der  Sonnenwende  dem  Kloster  Molk 
ihren  Erbpacht  verkauften,  zu  dieser  Familie  zu  rechnen 
sein,  obgleich  das  bei  Huebers  abgebildete  Siegel  mit 
der  Umschrift : 

t  8  .  VLRICI  .  DE  .  SIBEnhIRTE. 
ein  oberhalbes  Rad  zeigt,  und  also  gar  keine  Ähn- 
lichkeit mit  dem  späteren  Siebenhirter  Wajipen  hat. 

Aus  den  wenigen  Zeilen,  welche  das  Wissgrill'sche 
Manuscript  im  n. -ö.  Landesarchive  über  dieses  Ge- 
schlecht beibringt,  entnehmen  wir  zwei  fernere  Mit- 
glieder desselben : 

pSiebenhürtner  Niclas  war  1361  Zeug  in 
Herrn  Jannsen  v.  Eckendorf  Brief  (Duellii  Excerpta). 
Martin  seu  Märt  Siebenhürtner  hatte  mit  Jörig 
dem  Rodauner  1376  Strittigkeit  wegen  einiger  Grund- 
stückezwischenBruunnndBertoldsdorf  arch:  n.  1992"  *. 

Weitere  Spuren  dieses  Namens  linden  sich  im 
Wiener  Stadtgrundbuch  aus  dem  15.  Säculum,  wo  ein 
^Hanns  bey  dem  Prunn,  den  man  nennet 
Sibenhirter"  erwähnt  wird,  der  jedoch  ein  anderer 
zu  sein  scheint,  als  der  bekannte  Fürst  und  Hochmeister 
des  St.  Georgenordens,  welcher  seinen  Stamm  der  Ver- 
gessenheit entriss,  und  den  P.  Fischer  s  „nobilem  virum" 
und  die  Carinthia«  „einen  Bürger  Wiens-'  nennt. 

Derselbe  Johann  Siebenhirter"  war  Haupt- 
mann der  Schlösser  Eisenstadt  und  Forchtenstein  und 
führte  auch  den  Titel  eines  Küchenmeisters  Kaiser 
Friedrich  des  III.  Anno  1462;  während  der  Belagerung 
der  Wiener  Burg  durch  die  aufständische  Bürgerschaft 
war  Siebenhirter  mit  dem  Kaiser  daselbst  eingeschlos- 
sen und  einer  seiner  Yertheidigers ;  wahrscheinlich  trug 
dieser  Umstand  zu  seiner  nachherigen  Erhebung  wesent- 
lich bei.  Denn  als  Friedrich  den  Ritterorden  des  heil. 
Georg  stiftete,  bestimmte  er  seinen  getreuen  Johann 
Siebenhirter  zum  ersten  Oberhaupte ;  der  Kaiser  reiste 
mit  seinem  Schützling  im  November  1468  nach  Rom, 
stellte  ihn  persönlich  dem  Papste  Paul  II.  vor,  worauf 
dieser  den  Empfohlenen  am  1.  Jänner  1479  zum  Hoch- 
meister des  Sanct  Georgensordens  weihte,  wodurch  ihm 
zugleich  die  fürstliche  Würde  verliehen  ward. 

Am  14.  Mai  desselben  Jahres  nahm  Siebenhirter 
Besitz  von  seiner  Residenz  zu  Millstadt  in  Kärnthen. 
Allein  er  fand  dieselbe  in  einem  höchst  traurigen  Zu- 
stande, und  es  gelang  ihm  nur  mit  grosser  Mühe  die 
Jlittel  aufzuln-ingen ,  um  Millstadt  mit  ^lauern  und 
Thürmen  zum  Schutz  gegen  die  Türken  zu  umgeben. 
Dann  Hess  er  auch  bedeutende  Restaurationen  an  der 
grossen  Kirche  vornehmen,  und  die  Reliquien  des  heil. 
Domitian  in  einer  Nebencapelle  aufstellen. 

Anno  1481  »  übertrug  ihm  Kaiser  Friedrich  ein 
Haus  '0  neben  der  St.  Kikolauscapelle  in  der  Singer- 

'  Hueber,  Austria  es  Archiv.  Mellicens.  iUustr.  p.  GT  lab.  XIV.  !sr.  9. 

*  Wissgrill.  Manuscript.  Schauplatz  des  nieder-österreich.  Adels.  Die 
Berufung  auf  die  augei^ebene  Arcliivnummer  ist  irrig. 

^  Brevis  notit.  urb.    Vindob.    I,  9G. 

«  Carinthia,   1825  Nr.   24  ff. 

"  Vide  die  treffliche  Abhandlung  des  Herrn  Dr.  J.  R.  t.  Bergmann, 
^Dcr  St.  Georgs-Uitierorden  vom  Jahre  I4C9— l.iT'J"  im  Jahrg.  ISGS,  pag.  169 
dieser  Blätter,  mit  den  dazu  gehörigen  Tafeln. 

*  Fugger,  Ehrenspiegel  pag.  G95.  Hieron.  Pez,  Scriptores  rerum 
austriacarum  II.  609   ff. 

9  1'.  Fischer.   1.   c. 

"*  Nach  Weiskern  das  ehemalige  Nonnenkloster. 


Strasse  zu  Wien  als  Residenz  bei  zeitweiligem  Aufent- 
halte in  der  Hauptstadt.  Über  Siebenhirter's  Versuch, 
die  Abtei  Victring  nächst  Klagenfurt  dem  St.  Georgs- 
orden einzuverleiben ,  und  des  Kaisers  Max  Schreiben 
an  ihn  in  dieser  Angelegenheit  ddo.  30.  April  1494  ist 
hier,  als  bloss  die  Ordens-  und  kärnthnerischen  Ver- 
hältnisse berührend,  nicht  der  Ort  zu  sprechen.  Von 
seiner  Grossmuth  aber  ist  es  ein  ehrendes  Zeugniss, 
dass  er  aus  eigenem  Säckel  zweimal  das  Hospital  St. 
Martin  zu  Wien  und  das  Gut  Trautmannsdorf  aus  den 
Händen  eines  Wiener  Fleischers  auslöste,  und  als  die 
Ungarn  im  Kriege  mit  Friedrich  IV.  verwüstend  in  Kärn- 
then einfielen,  für  seine  armen  Unterthanen  Lösegeld 

bezahlte. 

Fürst  Johann  Siebenhirter  starb  nach  39jähriger 
Regierung  im  Alter  von  88  Jahren  am  10.  September 
1508  zu  Millstadt,  ,.ein  herrlicher  Greis,  an  Körperbil- 
duug  seinem  kaiserlichen  Gönner  Max  ähnlich ,  unge- 
beuet  an  Geist,  und  treu  seinem  Wahlspruche:  „Ver- 
giss"  dich  nicht!"  Der  historische  Verein  zu  Klagen- 
furth  besitzt  vier  auf  Johann  Siebenhirter  bezügliche 
Urkunden,  welche  mir  mit  gewohnter  Liberalität  mit- 
getheilt  wurden,  und  wovon  zwei  besonders  interessant 

sind.  . 

Die  eine  ddo.  Neustadt,  St.  Martinstag  14o6  ist 
ein  Schuldbrief  des  Kaisers  Friedrich,  worin  derselbe 
erklärt,  seinem  Küchenmeister  Johann  Sybenhirter  nach 
gepflogener  Verrechnung  2080  Pfund  5  Schilling,  27 
Pfenning  schuldig  zu  sein,  wofür  ihm  die  Einkünfte 
einiü-er  Ämter  angewiesen  wurden.  Diese  guten  Dienste 
mö-Teu  wohl  auch  das  ihrige  dazngcthan  haben,  den 
Mann  zu  so  hohenEhren  zu  bringen.  In  der  andern  Urkunde 
ddo.  Millstadt  Sanct  ....  tag' i  1498  verpfändet  der 
Hochmeister  J.  Sybenhirter  und  das  Capitel  dem  Ordens- 
ritter Herrn  Hans  Gaymann  von  Gailspach'is  für  ein 
Darlehen  von  709  rhein.  Gulden  Schloss  und  Herrschaft 
Trautmaunsdorf  in  Österreich.  Au  diesem  Pfamibrief 
hängen  zwei  Siegel,  wovon  das  eine  in  rothem  Y>  achs 
jene^s  des  Hochmeisters,  das  andere  in  grünem  Wachs 
das  des  Ordenscapitels  ist. 

Das  Erstere,  obstchend  abgebildete,  enthalt  das 
Wappen  des  St.  Georgeuordens  mit  dem  rothen  Kreuz 
in  Silber,  darüber  die  Kaiserkrone,  welche  Friedrich  auf 

'1  Der  N.ame  des  Heiligen  ist  verwischt. 

i:  Dieser  wurde  anno  1511  zweiter  Hochmeister  des  Ordens. 


cxx 


manchen  von  ihm  verliehenen  Wappen  anzubringen 
liebte,  z.  B.  über  dem  Doppeladler  der  Städte  Wien, 
Krems  und  Stein  'i;  als  Scbildhalter  rechts  die  heil.  Maria 
mit  dem  Jesuskind,  links  St.  Georg:  auf  dem  Drachen 
schreitend.  Unterhalb  befinden  sich  die  beiden  (V»  Sie- 
benhirter'schen  Wappenschilde,  zwei  gegeneinander  ge- 
lehnte Tartschen.  von  denen  die  vordere  in  Roth  einen 
aus  einer  blauen  Gugelhanbe  sehenden  Mannskopf  links- 
-ewendet,  die  hintere  blaue  eine  silberne  rechte  Vie- 
rung  zeigt. 

Über  diesen  in  einen  Dreipass  gestellten  Schilden 
erhebt  sich  anf  dem  absonderlich  geformten  Kreuze  der 
Kaiserkrone  das  Banner  des  heil.  Georg,  das  rothe 
Kreuz  auf  silbernem  Grunde  \viederholend  <*. 

Um  das  Ganze  windet  sich  ein  Spruchband  mit  der 
Inschrift : 

„siff  .  . .  iohannis  sibenhirter  ein  erst  hochm  . . . 
sant  iorgen  erden-. 

Der  historische  Verein  zu  Klagenfart  besitzt  aus- 
serdem noch  zwei  messingene  Original-Siegelstöcke  des 
Ordens,  deren  Gravirung  sich  durch  ihre  Schönheit  aus- 
zeichnet. Der  eine  dürfte  um  weniges  älter  sein  als 
der  andere;  beide  weisen  einen  unten  runden  quadrirten 
Schild;  in  1  und  4  drei  Münzen  1  und  2,  wovon  jede 
ein  von  2  Nägeln  (?)  beseitetes  Kreuz  enthält:  in  2  und 
3  das  schwebende  St.  Georgskreuz.  Umschrift  auf  einem 
Spruchband : 

_sigillvni  T  confratemitatis  .  sancti  .  Georgy  t"*- 

Was  nun  aber  das  Wappen  des  Geschlechtes  Sie- 
benhirter  anbelangt,  so  mag  dies  zuerst  ein  oberhalbes 
Rad.  und  später  der  Kopf  mit  derGugel  in  Roth  i^Hirten- 
kopfPi  gewesen  sein,  welcher  auch  auf  dem  Grabmal 
des  Hochmeisters  Johann  zu  Millstadt  rechts,  gegenüber 
dem  Georgsschild  lehnt  '^  Wie  die  zweite  alliirte  blaue 
Tartsche  mit  der  silbernen  Vierung,  welche  sich  eben- 
falls auf  dem  Knopf  des  im  Museum  des  historischen 
Vereins  von  Kärnthen  aufbewahrten  Ceremonienschwer- 
tes  gegenüber  dem  Gugelhaapte  in  Email  präsentirt, 
hinzugt-kommen.  ist  mir  leider  zur  Zeit  noch  nicht  sicher 
bekan^nt.  Das  Wappen  von  Millstadt  (wohl  abzuleiten 
von  Mühlstatt),  welches  in  ofienbarer  Anspielung  auf 
seinen  lateinischen  Namen  Millestatuae  3  Säulen  führt, 
die  als  Capital  einen  Bocks- ,  Stier-  und  Lammskopf 
tragen,  und  neben  dem  Ordens-  und  Geschlechtswappen 
an  dem  Grabmale  des  Hochmeisters  Gaymann  prangt, 
ist  es  nicht.  Das  Wahrscheinlichste  bleibt  immer,  dass 
jener  zweite  Schild  das  Wappen  seiner,  vermuthlich  vor 
1469  verstorbenen  Gemahlin  gewesen  '«. 

"  Vid*  die  Slfgelwfeln  in  Melly's  Beilrigen  zur  Siegelkunde  des  Mit- 
telalter». QDd  die  lUastratioDen  im  .Wappen  der  Stadt  Wien-*  von  Dr.  Lind. 

'^  In  der  Abbildung  auch  niobt  ganz  deutlich  erscheinend. 

t*  Vide  Dr.  U.  t.  Bergmann,  1.  c. 

■*  Vide  über  Slebcnhirter:  Archiv  für  vaterländische  Geschichte  und 
Topographie,  herausgegeben  von  dem  hiftoriscbeo  Verein  ftir  Kärnthen.  Jahrg. 
1,  11  1»  ond  IV,  liö  ff. 


Damals  führte  das  adelige  Geschlecht  der  Kerseh- 
perger  ein  solches  Wappen,  nur  schwarz  statt  blau. 
Marchard  der  Kerschperger  war  1443  und  144i>  Unter- 
Landmarschall  von  Osterreich  und  Stadtanwalt  von 
Wicu-  ''.  Dr.   Ernst  Edler  V.  Framenshuld. 

General -Versammlung  der  historisclien  Vereine 
DeutscMand's  in  Regensburg. 

Die  obbenannte  Versammlung  wurde  in  der  Woche 
vom  2<».  bis  25.  .September  abgehalten.  Es  hatten  sich 
an  derselben  die  Vertreter  der  meisten  historischen 
und  archäologischen  Vereine  Deutschlands  sowie  ausser- 
dem viele  Freunde  der  Geschichte  und  Archäologie  ein- 
gefunden, so  dass  man  nahezu  an  lOU  Theilnehmer 
annehmen  kann.  Leider  können  wir  nicht  dasselbe  aus 
unserem  Kaiserstaate  berichten,  aus  dem  nur  zwei 
Vereine  vertreten  waren.  Der  Empfang  und  die  Auf- 
nahme von  Seite  der  Stadt  Regensburg  war  eine  sehr 
herzliche  und  gastfreundschaftliche  und  das  Local-Pro- 
gramm  bot  reiche  Abwechslung  der  Besichtigungen 
wissenschaftlicher  und  heiterer  Versammlungen. 

Dem  Gästen  wurde  als  Localtuhrer  ein  sehr  schön 
ausgestattetes  Buch:  _Regensburg  in  der  Vergangen- 
heit und  Gegenwart- übergeben,  in  welchem  sich  jeder- 
mann vollkommen  belehrende  Kenntniss  über  Regens- 
burg's  Kunst- Werke  und  Sammlungen  ,  über  seine 
Baudenkmale,  seine  Geschichte  und  Wahrzeichen  u:  s.  w. 
verschaffen  konnte,  indem  man  bei  Besuchen  der  Denk- 
male genügenden  Aufschluss  über  jedes  derselben  fand. 
Dieses  Buch  wird  gewiss  jedermann  ein  freundliches 
Erinnerungszeichen  für  immer  bleiben. 

Natürlich  bildeten  die  St.  Llrichs-  und  St.  Jacobus- 
kirche,  die  Abtei  St.  Emmeran,  und  endlich  der  nun- 
mehr in  höchst  gelungener  Weise  vollendete  und  seine 
ganze  Pracht  entfaltende  Dom  die  Hauptzielpuukte, 
wohin  sich  die  Schritte  der  Gäste  gerne  lenkten.  Ein 
ganz  eigenthümlich,  ja  furchtbar  schönes  Bild  gewährte 
die  Beleuchtung  der  gothischen  Kathedrale  mit  ben- 
galischen Lichte.  Glich  er  bei  blauem  Lichte  einem 
Werke  ans  weissem  Marmor,  so  erschien  er  in  röther 
Beleuchtung  wie  ein  rother  Riese,  der  zum  Himmel  auf- 
steigt um  von  da  herab  die  Allmacht  Gottes  zu  verkünden 
sowie  auch  zur  Bewunderung  der  Leistungen  des  mensch- 
lichen Geistes  aufzufordern. 

Wir  sind  gewiss,  dass  dieses  Bild  sowie  überhaupt 
die  Tage  in  Regensburg  jedem  der  damaligen  Besucher 
unvergesslich  bleiben  werden. 

Die  Fragen ,  welche  Gegen.stand  der  Berathung 
bildeten  und  von  denen  sich  einige  auf  Österreich  bezie- 
hen .  wollen  wir  nächstens  eingehend  besprechen. 

. .  .m.  .  . 

"  Prenenhober,  Anoal.  Styrenses  p.  51  und  Ȋ.  Ho  eher  1.  c.  p.  216, 
Tab.  XXV.  Sr.  10.  Wissgrill  V.  71—73.  Hoheneck  III,  p.  K'9. 


N  e  k  r  0 1 0  2:  e. 


Wir  haben  die  traurige  Pflicht  über  den  Tod  zweier 
Männer  zu  berichten,  die  mit  der  k,  k,  Central-Commis- 
sion  in  reger  Verbindung  standen,  und  deren  Hinschei- 
den für  dieselbe  zum  empfindlichen  Verlust  wurde.  Wir 
meinen  das  Mitglied  der  k.  k.  Central-Commission  Karl 
R  ö  s  n  e  r  und  den  Conservator  für  den  Kreis  Ober- 
Wiener- Wald  in  Niederösterreich  Ignaz  Keiblinger. 


Der  erstere  war  am  19.  Juni  1804  zu  Wien  gebo- 
ren und  der  älteste  der  drei  Söhne,  mit  welchen  seine 
Mutter  Felicitas  ihren  Gemahl  beschenkt  hatte.  Der 
Stand  der  beiden  Eltern  (sie  waren  Mitglieder  des 
damals  vereinten  Hofburg-  und  Kärnthnerth.>r-Thea- 
ters  I  und  die  ausserordentlichen  Erfolge  seines  Oheims 
mütterlicher  Seite,  Hermann  Neefe,   als   Decorations- 


CXXI 


maier  am  Theatci-  an  der  Wien,  mochten  in  dem  jungen 
Manne  gegen  den  Willen  der  Eltern  die  Lust  sich 
dem  Theater  zn  widmen  geweckt  haben.  Die  Nei- 
gung zu  dieser  Laufbahn  verleitete  ihn  sogar,  seine 
Gymuasial-Studien  vor  ihrer  Vollendung  aufzugeben. 
Obgleich  Kösner's  Leistungen  auf  dem  Felde  der  De- 
oorations-  und  Schauspielkunst  gerade  nicht  unbedeu- 
tend waren,  so  bewogen  ihn  dennoch  die  unausgesetzten 
Bitten  seiner  Eltern,  diesem  Lebensplane  zu  entsagen. 
Dieser  Schritt  war  sicherlich  zu  Rösner's  Wohl,  doch 
blieb  ihm  das  Theater  für  sein  ganzes  Leben  ein  Lieb- 
lingsgegenstand. An  einem  schönen  Sonntagsmorgen,  so 
berichtet  der  Kekrologist  der  neuen  freien  Presse 
(S.  17  79 )  '  im  verflossenen  Jahre  hatte  HoflFmanii  im  Circus 
Suhr  eine  Decoration  zur  „Zaubei-flöte"  aufgestellt. 
Rösner  sass  sinnend  davor  und  gedachte  mit  Wehmuth 
der  Zeit,  in  der  er  diesem  Kuustzweige  mit  schwärmeri- 
schem Eifer  ergeben  war. 

Als  neue  Laufbahn  wählte  nun  der  von  künstleri- 
schem Streben  beseelte  Geist  Rösner's  die  Architectur, 
und  oblag  mit  allem  Fieisse  dem  bezüglichen  Fach- 
studium, erlernte  mehrere  Sprachen,  sowie  er  sich 
auch  tüchtiges  Wissen  in  der  Mathematik,  Chemie  und 
Physik  aneignete.  Sein  Talent  trat  bald  zu  Tage,  er 
erlangte  182.5  den  grossen  Preis  für  die  Zöglinge  der 
Architecturschule  und  ging  1830  als  Pensionär  nach 
Rom,  wo  er  in  den  Kreis  der  Koryphäen  Oberl)eek,  Cor- 
nelius, Thorwaldsen  gelangte,  und  an  Steinle  und  ande- 
ren Freunde  fand. 

Schon  1826,  also  noch  vor  der  italienischen  Reise, 
war  Rösner  provisorischer  Corrector  an  der  akademi- 
schen Architecturschule  geworden,  1828  erfolgte  seine 
detinitive  Ernennung.  Seinen  aus  Italien  mitgebrachten 
Studien  und  seiner  unernnideteu  Thätigkeit  in  der 
Architecturschule  verdankte  Rösner  nach  dem  Ableben 
des  Professors  Pein  im  Jahre  l^.'Sö  die  Ernennung  zum 
wirklichen  Professor  mit  der  Weisung  der  Unterriclits- 
Ertheilung  in  der  schönen  Baukunst  und  in  dem  Ürna- 
meuten-Zeichnen  nach  Gypsniodellen.  Im  Jahre  1845 
genehmigte  Kaiser  Ferdinand  Rösner's  Wahl  zum 
ordentlichen  akademischen  Rathe.  Am  18.  Juli  1848 
Murde  Rösner  provisorisch  mit  der  Präsidentschaft  der 
Akademie  betraut,  welchen  Posten  er  neben  seiner 
Professur  mit  Umsicht  bis  zum  30.  September  1852, 
d.  i.  bis  zu  dem  Zeitpunkte  verwaltete,  in  welchem 
Ruhen  das  Directorat  der  in  Orgauisirung  begriftenen 
Akademie  tibernahm.  Nach  erfolgter  Reorganisirung  des 
gesammten  akademischen  Unterrichtes  und  in  Folge 
der  damit  eingeführten  Theilung  des  Lehrstoffes  in  die 
antike  Baukunst  und  Renaissance  einerseits  und  die 
specifisch  christliche  Architectur  anderseits,  und  nach- 
dem diese  beiden  Professuren  durch  Hansen  und 
Schmidt  besetzt  wurden,  blieb  für  R  ö  s  n  e  r  nur  die  Lehre 
der  Perspective,  die  Darstellung  ornamentaler  Gegen- 
stände aus  den  verschiedenen  Styl-Epocheu  und  die 
Techtonik  derGeräthschaftenaus  diesen  Perioden  übrig. 
Nach  der  Pensiouirung  Van  der  Nüll's  supplirte  er  die 
erledigte  Lehrkanzel,  später  auch  die  des  erkrankten 
Siccardsburg.  In  letzterer  Zeit  trug  er  sich  mit  der 
Idee,  Vorträge  über  Theater-Decorationsmalerei  zu  hal- 
ten, eine  Idee,  die  bei  dem  traurigen  Stand  der  heutigen 
Leistungen  in  diesem  Fache,  insbesondere  in  Bezug  auf 
Architecturformen  und  Perspective  als  eine  glückliche 

^  Dem  dort  verüffentiichfen  Nekrologe  sind  wir  theilweise  gefolgt. 


bezeichnet  werden  kann  und  deren  Realisirung  dringend 
nothwendig  ist. 

Nach  dem  Zeugnisse  seiner  Vorstände  hat  sich  Rös- 
ner in  allen  Stadien  seines  Berufes  stets  als  ein  i)flic,ht- 
treuer,  eifriger,  gewissenhafter  Lehrer  seiner  Zöglinge 
und  als  humaner,  uneigennütziger  und  biederer  Cha- 
rakter seinen  Collegen  gegenüber  benommen.  Er  stand 
in  freundschaftlichen  Beziehungen  mit  Kupelwieser, 
Führich,  Böhm,  Endres,  Helfert,  Camesina  und  vielen 
anderen  hervorragenden  Persönlichkeiten. 

Rösner  genoss  ausserordentliches  Vertrauen  bei 
der  Regierung.  Vielfach  wurde  er  von  derselben  zu 
ehrenvollen  Dienstleistungen  berufen.  Schon  1839  war 
ihm  vom  damaligen  Stadthauptmann  v.  Bartenstein  eine 
genaue  Aufnahme  des  baufälligen  und  zur  Abtragung 
bestimmten  Helmes  des  St.  Stephansthurmes  aufge- 
tragen worden.  Im  März  1845  wurde  Rösner  zum 
Hof-Comniissions-Mitglied  für  die  Wiener  Industrie-Aus- 
stellung ernannt,  im  März  1850  in  die  österreichische 
Commission  für  die  Londoner  Industrie-Ausstellung, 
dann  in  die  Preisrichter-Jury  berufen,  und  mit  der  Be- 
i'ichterstattung  über  die  Ausstellung,  endlich  auch  mit 
der  Zusammenstellung  des  Geschenkes  unseres  Kaisers 
an  die  grossbritannische  Majestät,  bestehend  aus  einer 
Sammlung  von  Dichtungen,  Musikstücken  und  Zeich- 
nungen österreichischer  Künstler,  betraut.  Auch  bei  der 
Jlünchener Industrie-Ausstellung  1854  fungirte  R ö  s n  e r 
als  Preisrichterinder  Jury.  In  der  Bank-  und  Börsenbau- 
Frage  so  wie  auch  in  der  bei  dem  Programm-Entwürfe 
für  das  neue  Opernhaus  wurde  Rösner's  Rath  eingeholt. 
Die  Wiener  Stadtgemeinde,  deren  Rath  er  durch  12  Jahre 
angehörte,  ehrte  Rösner  für  seine  Thätigkeit  im  Ge- 
meinde-Interesse ,  insbesondere  für  die  Vertretung  der 
Connuune  in  der  Stadterweiterungs-Comniission  durch 
Verleihung  des  Bürgerrechtes  der  Stadt  ad  personam. 
Im  Wiener  Gewerbevereine  erwarb  sich  Rösner  Ver- 
dienste um  die  Errichtung  der  gewerblichen  Zeichuuugs- 
Unterriclitsanstalt  und  war  bei  seinem  Lebensende 
dessen  Vice-Präsident. 

Rösner's  architectonische  Schöpfungen  sind  von 
sehr  ungleichem  Werthe.  Während  die  Kirche  des 
Klosters  der  Redemptoristinnen  am  Rennwege  eher  als 
missluugeu  bezeichnet  werden  kann,  ferner  die  St.  Jo- 
hanneskirche in  der  Jägerzeile  Wiens,  die  Pfarrkirche 
zu  Meidling,  der  Spitalstract  im  k.  k.  Arsenale  und  die 
Capelle  daselbst  als  ganz  gewöhnliche  Bauten  erschei- 
nen, sichern  die  neueren  Projecte  seiner  Kirchen  roma- 
nischen Styles,  nämlich  die  zu  Carolinenthal  in  Prag 
und  zu  Diakovar  in  Croatien  dem  verstorbeneu  Archi- 
tekten einen  ehrenvollen  Platz  in  der  neueren  Kunst. 
Rösner  war  strenger  Katholik,  gehörte  der  Gruppe  jener 
Künstler  an,  die  ihre  Thätigkeit  mit  Vorliebe  der  Kirche 
widmen,  und  war  in  seinen  letzteren  Werken  entschie- 
den und  mit  gutem  Erfolge  Anhänger  des  romanischen 
Styles. 

Rösner  wurde  im  Jahre  1864  Mitglied  der  Centr.- 
Comm.  Nicht  wenig  leistete  er  für  dieselbe.  Sie  hat  eine 
namhafte  Reihe  von  gründlichen  und  sehr  schätzbares 
Jlaterial  enthaltenden  Gutachten  aufzuweisen,  die  er  über 
Restaurationen,  Adaptirungen  u.  s.  w.  für  des  Erhaltens 
werthe  Baudenkmale  abgab ;  dahin  gehört  auch  das 
grosse  Elaborat  über  die  Restaurirung  des  Schlosses 
Tyrol,  sein  \'otum  über  die  Wiederherstellung  der  pracht- 
voll decorirten  Räume  im  ehemaligen  Prinz  Eugen'schen 


CXXII 


(Ttrbämle.  des  jetzigen  Finanz-Ministerinms  etc.  Schon 
vor  vielen  Jahren  besihiiftigte  ihn  die  Idee  der  Heraus- 
gabe der  burgundischen  Gewänder  der  Schatzkaninier: 
theilweise  war  das  Werk  auch  im  Gange,  doc-h  sditint 
deren  Kostspieligkeit  die  Vollendung  bei  dem  Imstande, 
als  nnr  die  Kräfte  eines  Privatmannes  aufgeboten  wur- 
den und  keine  Subvention  datiir  zu  erlangen  war.  un- 
mfiglich  gemacht  zu  haben.  Die  Idee  zu  diesiin  Unter- 
nehmen, das  weit  über  .-eine  materiellen  Kräfte  ging, 
ist  ans  seinem  Pairiotismus  entstanden,  denn,  da  es  aus- 
ländischen Krätien  gelungen  war,  die  Herausgabe  der 
deutschen  Keiihskleinodien  zu  bewerkstelligen,  so 
wollte  er  die  Herausgabe  dieser  wahrhaft  prachtvollen 
Capelle  nicht  auf  demselben  Wege  durchführen  lassen. 
Allein  Rösners  Plan  blieb  bloss  beim  Versuche. 

R  ö  s  n  e  r  wurde  für  das  Project  der  Arsenal-Capelle 
mit  dem  Ritterkreuze  des  Franz  Joseph -Ordens,  für 
jenes  der  Carolinenthalerkirche  mit  dem  Titel  eines 
Oberbaurathes  ausgezeichnet. 

Der  gegenwärtige  Papst  zeichnete  ihn  für  seineu  im 
katholischen  Gesellenvereiue ertheiltenSonntags-Uuter- 
richtim  gewerblichen  Zeichnen  mit  einer  silbernen  Denk- 
münze und  für  seine  im  Severiuus-Vereine  gehaltenen 
Vorträge  über  christliche  Baukunst  durch  Verleihung  des 
Ritterkreuzes  des  Gregor-Ordens  aus. 

Schon  vor  etlichen  Jahren  zeigte  sich  ein  Nieren- 
leiden, das  wiederholt  bösartig  auftretend  durch  die 
Kunst  der  Arzeneiwissenschaft  zeitweise  gestillt  wurde. 
Allein  mit  der  Zeit  nahm  auch  die  Heftigkeit  der  Anfälle 
zu.  Im  Frühjahre  wurde  das  Übel  drohend  und  es  be- 
durfte diesmal  längerer  Cur,  um  die  Krankheit  theil- 
wcise  zu  bewältigen.  Noch  vor  Eintritt  der  Sommer- 
ferien verliess  Rösner  die  Residenz  und  suchte  sonder- 
barer Weise  Heil  in  den  Jodquellen  zu  Hall.  Scheinbar 
gebessert  machte  Rösner  Ausflüge  nach  den  Örtlich- 
keiten der  Umgegend,  nach  Kremsmünster  am  8.  Juli, 
nach  Steier  am  13.  Juli,  und  dort  war  ihm  das  Ende 
seiner  Lebensbahn  beschieden.  Nur  wenige  Stunden 
dauerte  der  heftige  Anfall  der  Krankheit  und  bald 
erlosch  das  Leben  eines  Künstlers,  eines  allgemein  ge- 
achteten und  beliebten,  eines  schlichten,  gebildeten  und 
liebenswürdigen  Mannes. 

Am  14.  Juli  d.  J.  verbreitete  sich  in  Wien  die 
Tranerkunde,  vier  Tage  später  wurde  die  entseehe 
Hülle  dieses  rechtschaffenen  Mannes  zu  Grabe  getra- 
gen und  am  Matzleinsdorfer  Friedhofe  der  ewigen  Ruhe 
übergeben. 

Ignaz  Keibliuger,  geboren  zu  Wien  im  Jahre 
1797  den  20.  September,  erhielt  bei  der  Taufe  den 
Namen  Franz.  besuchte  das  Gj-mnasinm  zu  Melk,  trat 
in  den  Benedictiner-Orden,  war  Capitular  des  Stiftes 
Melk  und  wurde  1820  zum  Priester  geweiht.  Anfänglich 
in  der  Seelsorge  zu  Ravelsbach  und  Gainfahren  verwen- 


det, wirkte  er  später  am  Stiftsgymnasiura  und  an  der 
theologischen  Hauslelir.instalt  als  Professor,  18.!2  wurde 
er  .*^tiftsbibliothekar.  später  Plarrer  zu  Zwerndorf.  Mcisel- 
dorf  und  MaizKinsdnrf,  dann  wieder  (iymnasial-Profes- 
sor.  Als  im  Jahre  1818  die  kirchliche  Topographie  von 
Osterreich  ins  Leben  gerufen  wurde,  schloss  sich  Keib- 
liuger diesem  vaterländischen  Unternehmen  an  und 
lieferte  dafür  namhafte  literarische  Beiträge:  dessgk-i- 
cheu  tindeu  wir  Arljeiten  Keiljlinger's  im  Archive 
des  Freiherm  V.  Homiayr  (ls22  und  1827).  Von  nun 
blieb  derselbe  seinen  historischen  Forschungen  treu 
und  übergab  von  Zeit  zu  Zeit  einzelne  grössere  Ar- 
beiten der  Öffentlichkeit .  wie  zum  Beispiel  Notizen 
über  Melk,  Kunst  und  Altcrthum  betreffend  (1836) 
in  Tschisehka's  Kunst  und  Alterthum  von  Österreich, 
ferner  die  Geschichte  der  Ruine  .\ggstein  in  den  Mit- 
theilungen des  Alterthum -Vereines  (VII.  Band),  die 
Geschichte  von  Schwallcnbach  (X.  Band)  etc.  Sein 
bedeutendstes  Werk  ist  jedoch  die  Geschichte  seines 
Ordenshauses,  des  Benedictinerstiltes  Melk,  deren 
erster  Band  in  zwei  Auflagen  erschien,  und  deren  zweiter 
die  wirklichen  und  gewesenen  Pfarren  und  Besitzungen 
des  Stiftes  umfassende  Theil  im  Jahre  1869  vollendet 
wurde.  K  ei  b  linger  hatte  die  Absicht,  noch  einen  dritten 
Band  auszuarbeiten,  derselbe  sollte  die  Umgebungen 
von  ^lelknach  den  Grenzen  des  gleichnamigen  Decauats, 
mit  Inbegriff  der  kaiserl.  Güter  dieser  Gegend  und  des 
uralten  Pöchlarn  behandeln.  Alleiu  vor  dem  Zustande- 
kommen dieser  Abtheilung  war  seine  irdische  Laufbahn 
abgeschlossen.  Seine  letzte  historische  Arbeit,  Schloss 
und  Kloster  Schöubühel  an  der  Donau  betreffend,  dürfte 
in  den  Berichten  des  Wiener  Alterthums-Vereines  ver- 
öffentlicht werden,  wofür  sie  auch  den  Verfasser  selbst 
bestimmt  hatte. 

Seit  dem  Jahre  1 854  war  Keibliuger  Conservator 
für  den  Kreis  Ober- Wienerwald,  und  finden  sich  in  den 
Mittheilungen  der  Centr.-Comm.  mehrere  Berichte  aus 
seiner  Feder.  Keibliuger  war  ein  fleissiger  und  ängst- 
lich genauer  Geschichtsforscher,  unermüdet  thätig, 
dabei  anspruchslos,  sehr  zuvorkommend  und  freundlich. 
Se.  Majestät  der  Kaiser  hatte  ihn  mit  dem  Ritterkreuze 
des  Franz  Joseph -Ordens,  die  k.  k.  Akademie  der 
Wissenschaften  durch  Ernennung  zum  correspondiren- 
deu  Mitgliede  ausgezeichnet.  In  den  letzteren  Jahren 
hatte  er  das  Lehramt  aufgegeben,  und  besorgte  nur  mehr 
das  Stiftsarchiv.  Schon  gegen  Ende  des  Jahres  18(38 
war  Keibliuger  leidend,  sein  rastloses  Arbeiten, 
um  baldigst  den  zweiten  Band  seines  Geschichtswerkes 
zum  Abschluss  zu  bringen,  erschöpfte  seine  Kräfte. 
Im  Herbste  desselben  Jahres  gab  er  seinen  Wohnsitz 
in  Wien  auf.  kehrte  ins  Stift  heim,  und  starb  an  Ab- 
nahme der  Kräfte  am  3.  Juli  dieses  Jahres. 

Ein  ehrendes  Andenken  bleibe  beiden  würdigen 
Männern.  Dr.  K.  Lind. 


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