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Charles Bahy 5^
MÜLHAUSEN l. E.
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MÜLHAUSER REVUE
:: in fünf Bildern von ::
A. BRAUNSCHWEIG
:: & W. PAPRZYCKI ::
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„Mi Unkel"
Milhüser Revue in finf Bilder
von
A. Braunschweig und W. Paprzycki
Prolog der Milhusina
1. Bild: An dr Gare
2. Bild: 's Nachtlawe uff'm Neuquartierplatz
3. Bild: E Zwischenakt im Theatr
4. Bild: E Wahlerversammlung
5. Bild: 's Wahlresultat
Erschtuffiehrung dur's Elsasser Theater Milhüse
am 30. Oktober 1908
1908
DRUCK «ON CH.BAHY, MÜLHAUSEN I.E.
Prolog
Bevor zum luschtge Spiel dr Vorhang sich wird hevve
Mecht alle n'eich rächt herzlig ich willkumme heisse
Ihr kenne mich, mr nennt mich d'Stadt Milhüse
Verkerper unsre liewe Vaterstadt.
Doch will mt arnschte Botschaft ich eich jetzt verkinde
Nei, hitte bin i guet uffglegt hit isch's mr nur um's Lache
Un wer vu unsrer heimatlige Kunscht erwartet
E fine, künschtlerische Kost serviert z'bekumme
Wird hinnecht schwarlig sine Rachnung finde.
Mr' siehts jo gli, do bschäue nur mi Kappe
S'isch d'Narrekappe wu n'i ufgstilpt ha
Un do da Spiegel, dr Narrespiegel isch's
E koschtbar Ding, verschafft eim viele luschtige Stunde
Ein gschliffe isch'r doch gar schlimm isch oft si Wase
Un was er uffangt thuet er schonungslos verzerre
Bringt d'tollschte Bilder wu ma sich ka danke
Da wu do dri luegt, isch er schlank o wie ne Tanne
Wird umgformt drinn, wird schief un pucklig
Un wer so dinn isch wie ne Kritzerhölzle
Erschient ganz breitdruckt, dick , uffblose wie ne Frosch
Dr Gegenstand wu me [do drinn losst spiegle
Bliebt zwar dr namlig, nur thuet d'Form changiere
Jed' Ordnung wird zersteert un alles muesst verzerrt sich presentiere.
So folge denne hitte minre guete Luene
Mr wann da Spiegel jetzt vor ganz Milhüse halte
Sieht ein si Bild drinn, danke sisch e Narrespiegel
S'liegt in sim Wase Fratze z'reflektiere
Un wenn o s'scheenschste Gsichtle ineluegt
Die wu n'eich jetzt da Spiegel anehalte
Hann nur dr Zwack verfolgt eich harzlig z'amüsiere.
Ihr kenne vu dr Mass har alle gwiss die Buede
Lachcabinett thuet mr se nenne, gehn'r dert ine
Un thien in dane Spiegel eich erblicke
In eim ganz zammedatscht, im andre ferchterlig in d'Länge zöge
So miehn'r salver lache, d'Häuptsach isch jo
Ass wenn'r üsekumme, d'alte Form sich wieder istellt. —
Grad so sells hinnecht si, mr wann nur heizlich lache
Glingt das mim Spiegel, isch si Zwack ertillt
So hoff i denn nur luschtge Gsichter z'sa do inne
Un in dam Sinn kas Spiel beginne
3 -
I. AKT
Personen -Verzeichnis
Herr Pickel, Bauunternehmer
Frau Pickel, seine Frau
Germaine, beider Tochter
Borax, ein Chemieschüler (im chambre garnie bei
Pickel; heimlicher Liebhaber von Oermaine)
Friedrich, ein sächsischer Maurerpolier
Herr Friedrich Maurer, aus Sachsen, ein Verwandter
von Pickel
I. Streikposten
H. Streikposten
Delegierter der Ligue des Employes
Delegierter des Reisebureaus
I. Italiener
II. Italiener
Ein Bahnhofsportier
Eine Bauersfrau
I. Regierungsbeamter
IL Regierungsbeamter
Tissi ; zwei arbeitsscheue, zu allerlei Streiche bereite
Peter > Personen
L Jäger
IL Jäger
Stadtrat Negre
Direktor Henri
Eine Dame
Ein Schutzmann
Ein Oktroibeamter
Französischer Reisender
Zeitungsträger
Scheller Charles iCostume: weisse Hose, Sammet-
Veston)
Ein Lyoner Employe
Ein dicker Herr
Eine Dame
Ein Heilsarmee-Offizier
Streikposten, Italiener, Reisende, Gepäckträger, Post-
beamte, eine Dame, Jäger, Fischer, viele Passagiere
etc.
I. AKT
Die Bühne stellt den Mülhauser Bahnhof getreu dar. im Hintergrund
das Bahnhofgebäude mit dem Haupteingang.
Der ganze Akt spielt sich im Vorhofe des Bahnhofes ab. Die Haupt-
eingano-stür steht beständig offen und sieht man die Wartehalle. Der
Hintergrund ist weit zurückgestellt. Ein Schutzmann patrouilliert auf und ab.
Gepäckträger gehen aus und ein. Reisende Herren und Damen, kommen an
und fahren fort.
Sittenpolizei Seh. steht auch dort.
I. Streikposten : Ich ha jetz boll genue mit dam do ane
steh dr ganze Tag un z'warte, bis ass wider ein tcunnt!
II. Streikposten: Ich ha grad o gnue; mr sin zwar
bezahlt drfir, awer mr wird miader ass wenn me schaffe thuet.
I. Streikposten : Sali schu, jetz mache mr schu vier Wuche
Greve un mien do ane steh dr ganze Tag un warte, ebb a
Mürer vu uswarts kunnt fir z'schaffe, un do seile mir se z'ruck-
halte und wider furtschicke, fir ass unsere Meischter kei Arweiter
sötte bikumme. Sitter ass mr jetz do ane kumme, han mr
iwerhaüpt noch gar kei Mürer tröffe, un mr froge doch jede
verdachtige Person, ich hatt jetz boll gnue!
II. Streikposten: S' isch jo net, ass mr's ohne schaffe
net mache kännt !
I. Streikposten: Ja, wenn mr am Zahltag doch kannte
geh dr Lohn hole !
II. Streikposten: Jo, mr kännt dich jo noch in's Bad
schicke im Summer un im Winter uf Nice. Ich bi ganz z'friede
wenn ich mi Lohn bikumm, wu-n-i verdient ha .
I. Streikposten : Die vier Wuche g'spire mr doch, un
dr Hüsmeischter un Back wird wider schimpfe. Do heisst's als
nur, mir sin Fülanzer un mr warde doch küm g'frogt, ebb mr
schaffe wann oder nit !
II. Streikposten: Ja, mr sin nimmig Meischter iwer uns!
5 —
I. Streikposten (auf zwei Arbeiter deutent, die aus dem Bahnhofe
kommen und hnks abgehen) : Lüeg do kumme zwei, das kannte
Mürer si, se han d'Hand in de Hose, gang frog se!
II. Streikposten (zu den Arbeitern): He! Kamerade! Sin ihr
ebbe Mürer ?
1. Arbeiter: Nai, Rentier! (Gehen ab).
I. Streikposten: Üs'm Ditsciiland wann se schints Mürer
kumme lo, un mi alter Meischter erwartet iiit e Polier üs Sachse,
so hat me mr hite gsait.
II. Streikposten: Di alter Meischter, dr Pickel? Üss
Sachse? Dam that i o garn ein bringe! ich ha schu bi 'nem
g'schafft, ar hat mr uffkinde, will i sallemol fir dr Büeb g'stimmt
ha. (Auf und ab gehend.) Mr wann se schu empfange, wart du
alter Schlaüfuchs! Mr wann dr dine Mürer schu rekommandiere!
(Während dieser Scene sind fortwährend Reisende angekommen, weiche
in den Bahnhof hereingehen; eine alte Bauersfrau erscheint und fragt einen
Bahnbeamten, welcher unter der Tür steht).
Bauersfrau : Wenn fahrt s' Pfirter Zügle fürt ?
Beamter (Portier) : Welches ?
Bauersfrau : s'Siewenerzügle ?
Beamter: Um 1/2 8.
Bauersfrau: Sage d' ihr, wu nimmt mr d'Billet?
Beamter: Es gibt keine Billets mehr.
Bauersfrau : Eh, was d' ihr nit sage ! Ja was git's denn jetz?
Beamter : Fahrkarten !
Bauersfrau : Merci, merci ! (Geht weiter — kommt nach ein
paar Schritten wieder zurück.) Sage Herr, WU nimmt me die Fahrkarte?
Beamter: Dumme Frage, am Billetschalter natürlich!
Bauersfrau: Ah, am Billetschalter! (Ab durch die Tür).
(Zwei auf deu ersten Blick zu erkennende höhere Beamte sind in-
zwischen von links in den Bahnhofvorplatz gekommen. Der eine trägt eine
grosse Aktenmappe unter dem Arm. Beide bleiben vor dem Gebäude stehen).
I. Beamter : Es wäre wirklich schade, den Bahnhof
niederzureissen, und ich kann die Mülhauser Bevölkerung gar
nicht verstehen, diesen Bahnhof, welcher doch sozusagen ein
historisches Monument ist, absolut durch einen neuen Bahnhof
ersetzt haben zu wollen.
II. Beamter: Ganz meine Meinung, und ich glaube, dass
die Regierung auf unsere Veranlassung den vernünftigen Weg
eingeschlagen hat, indem sie so nach und nach — ich sage, so
nach und nach — eigentlich stückweise, den alten Bahnhof durch
einen neuen ersetzt. So hat sie z. B. jedes Jahr ein neues
Stück angebaut, dann die Vorhalle vergrössert, dann wieder eine
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neue Tür angeschafft, und erst kürzlich hat man den Namen
„Bahnhof" hier oben wieder neu angestrichen und so wird
Mülhausen eines schönen Tages einen ganz neuen Bahnhof
haben, ohne, dass man etwas davon merkt (reden still weiter).
(Verschiedene Jäger kommen zum Bahnhof heraus und bleiben bei-
sammen stehen; Tissi und Peter streichen im Vorhofe herum).
Tissi (zum I. Jäger); Han Ihr ebbes gschosse, Herr Pfaffer?
I. Jäger (barsch); Naj, wurum?
(Währendem hat Peter dem II. Jäger einen Hasen abgehängt und geht
auf den 1. Jäger zu).
Peter: Ich ha ein z'verkaüfe, fir a Thaler kenne ihr ne ha,
ar isch frisch g'schosse.
I. Jäger: Ar isch verkauft! (Gibt ihm einen Taler, nimmt den
Hasen und lacht).
Peter (zum II. Jäger): Un Eich kann 1 dr Leonhardt
empfähle, wenn ihr a scheener Haas kaüfa wann.
II. Jäger (zornig): Mach nit oder i schla dr min um dr
Kopf ume ! (Will nach seinem Hasen greifen und merkt dass er ver-
schwunden ist). Wu isch mi Haas ?
Peter (ausreissend) : Do dr ander Herr hat ne, ich ha jo
g'sajt, ich ha ne frisch g'schosse! (ab).
(Stadtrat Negre erscheint im Frack und weisser Weste, ein grosses
Bouquet in der Hand; ihn begleitet der Herr Direktor Henri im Gehrock
und Zylinder — er hat eine grosse Platte — beide werden auf die noch
immer sprechenden Beamten aufmerksam).
I. Beamter : Überhaupt haben wir dem Mülhauser
Publikum gar nicht so viel Rechnung zu tragen, sie nehmen
eben den Bahnhof so, wie wir ihn herstellen. Ausserdem lassen,
wir ihn vielleicht neu anstreichen und dann ist die Chose wieder
so gut wie neu.
(Während dem ist Stadtrat Negre näher getreten zu beiden
Stadtrat Negre: Da hätten wir doch auch noch ein paar
Worte mit zu sprechen.
II. Beamter: Was fällt ihnen denn ein? Wer sind sie
denn eigentlich?
Stadtrat Negre (zu Direktor Henri): Was, die Herren kennen
mich nicht? Wie ist das möglich?
Direktor Henri: Verzeihen die Herren mein Name ist
Henri, gestatten sie, dass ich Ihnen Herrn Negre vorstelle, einer
unserer bedeutendsten Stadträte.
Stadtrat Negre: Sie kennen mich vielleicht blos vom
Koren sagen?
II. Beamter: Aber meine Herren, das ist ja uns vollständicr
schnuppe, Stadtrat hin oder Stadtrat her, sie werden einfach neu
angestrichen — nicht sie natüHich — sondern die Bahnhofs-
gebäulichkeiten und damit basta ! Mojn ! (Lässt beide stehen und
geht mit seinem Kollegen ab in den Bahnhof).
Stadtrat N^gre (zu Direktor Henry): S'geht doch nit iwer
d'Hefiigkeit! (Während dem haben Tissi und Peter, die wieder erschienen,
aus dem von Negre hinter dem Rücken gehaltenen Bouquet einige Rosen ab
geschnitten und sich angesteckt. Stadtrat Negre und Direktor gehen beide
zum Eingang, wo sie stehen bleiben.) Sage Herr Dirakter, s'isch eigentlig
doch besser, wenn ihr da Bouquet gan un a kleine Ared haUe.
Direktor Henry: Mein lieber Herr Stadtrat, sie sind von
ihrer Vaterstadt ausersehen, die grosse Sarah Bernhardt, die zum
ersten Mal seit 1870 wieder hier auftreten soll, würdig zu em-
pfangen. Wie könnte mann der grossen Tragödin einen besseren
Eindruck von Mülhausen verschaffen, als ihr zum Empfang in
unserer Stadt einen unserer würdigsten Stadtväter zur Bahn zu
senden !
Stadtrat Negre (gibt Direktor Henry die Hand): Liawer Herr
Dirakter! Merci vielmol, fir die paar Worte! Ich bin schu
mangmol verkennt worde, in minere Eigeschaft als Stadtrat, awer
das was ihr do g'sait han, das macht eim wohl! Milhüser!
Noch sin Manner do, wu eich nit fahre lehn!
Tissi: (welcher mit Peter auf die Gruppe zukommt) Nai mr
kenne z'fuess geh!
Peter: Salut Genosse! (Streckt Negre die Hand hin; dieser gibt
ihm seine Hand mit Wiederwillen).
Tissi: Wit a ne Hochzit?
Stadtrat Negre: Bonjour!
Tissi: Müesch jetz nitt welle dr Dick spiele will de a Glesse
un a Stellkragle a hasch! Weisch wu mr di g'wehlt han bisch
nit so nowel g'si un s'hat mangmol a Humpe üseglüegt!
Stadtrat Negre: s'kunnt nit druf a! (Gibt ihm ein Geldstück)
trinke eis uff mi G'sundheit! (Dissi und Peter lachend ab) Wenn
mich d'Sarah Bernhardt mit dane g'sah hat! (Während der letzten
Scene ist ein Zug eingefahren, was man durch die offenstehende Eingangstür
gesehen hat. Verschiedene Personen kommen heraus, auch zwei Dameli in
grossem auffallendem Hut und Staubmantel, kleine Ledertaschen umhängend
treten heraus. Stadtrat Negre stellt sich der ersten entgegen, zieht den Hut ab
Direktor Henri ebenfalls, macht eine linkisehe Verbeugung und streckt ihr
das Bouquet entgegen): Madame ... Ma . . . Ma . . . Madame!
Au nom de la ville de Mulhouse ! (kleine Pause) Voilä .
Direktor Henri (stösst Negre an): Aber das ist sie doch
gar niciit.
Stadtrat Negre (tritt nach hinten aus)
I. Dame: Merci Monsieur, en voilä une reception. (Negre
mid Henri treten zurück. — Zur zweiten): Was meinsch Cecile, wäre
mir empfange siter dane sechs Wuche, wu mr fürt sin vu
Milhüse uff Befort (Beim Abgehen zu Stadtrat Negre) Salut mon
vieux, au revoir et merci ! (leiser) il en a un oeil.
Stadtrat Negre (ganz verstört) Das isch se gläuwi gar nit!
Le beatl Jules kommt zum Bahnhof heraus, zu Negre) Hein,
meinsch han se si g'macht?
Stadtrat Negre: Wer isch denn das?
Le beau Jules: s'Cecile un s'Meianie, wu als im Kind'l
g'serviert han, salut Negre (geht den beiden Damen nach und spricht
sie vor Verlassen der Bühne an und gehen alle drei ab. Ihnen folgt auffällig
auch der Geheimpolizist, bekannte Erscheinung)
Direktor Henri: Aber Herr Negre, so n'e Blamage ohne
Bouquet! Wenn nun die Sarah Bernhardt ankommt, haben sie
gar kein Bouqi;et, was tun wir?
Stadtrat Negre: Ich ha jo glich g'sait Ihr solle rede!
I. Streikposten: (zum zweiten) Gang frog fir a O'spass,
ebb die zwei dert Arwet sueche als Mürer.
H. Streikposten: Erseht noch (geht auf N & H zu) Süeche
ihr villicht Arwet als Mürer?
Stadtrat Negre: Gehn zum Kükük
H. Streikposten: Wart Brüader bis an dr nachschte Wahl!
no sage mir o gang zum Kükük! — Ja wenn se Glesse a han
ka mr nit mit ene rede!
Borax: Bonjour lieb Kind, ich bi schu ganz unrüehig
worde. Ich ha mr nit kenne erklare, wurum ass du mr pletzlig
a Billet in d'Schüel g'schickt hasch, ich sott do ane kumme.
Was isch passiert?
Germaine: Passiert isch grad nit, awer du weisch, ass
dr Pape schu lang soupgon hat uff dich, bsunders siter ass du
di chambre garnie bi uns hasch.
Borax: Ja . . . hat denn di Pape ebbes g'sait derwage?
Germaine: (embarassiert) Eh jo . . . ar hat g'sait, ich sett
mr die Dummheite üss'm Kopf schlage. Du heigsch noch kei
Exame g'macht, tatsch noch nit verdiene . . . un üs was da
lawe wotsch ? Awer du derfsch mr nit bös si. Theo!
Borax: Bös si? O nei, mi Schatzele! Di Pape mag jo
rächt ha, ich ha noch nit verdient, awer d'nachschste Wuche
stieg i ins Exame, drno ka-n-i bi mim Unkel als Chimist itrate
un bi dim Pape um di Hand ahalte.
Germaine: Ja lüeg, liawerTheo, wage dam han-i dr eigentlig
g'schriwa, denn s'isch d'höchschte Zit, ass mr uns riehre, sunscht
kennt is jetz noch a Strich dur d'Raciinung gmacht warde.
Borax: E Strich dur d'Rachnung? Jetz! So ganz pletzlig?
Zeig Schatzela explizier di, s'muess doch ebbes passiert si, ass
du plötzlig a so redtsch !
Germaine: Eh jo, du müesch's jo doch erfahre! — Also,
dr Pape hat üssegfunde, ass si Schwester, wu im Ditschland
mit em a Beamte verhirote isch, a Sühn hat, un hat hinter mim
Ricke mit minere Tante abgmacht, ass mir zwei uns seile hirote,
un jetz seil ar harkumme fir ass mir uns kenne lehre un fianciere
solle. Mi Cousin soll allei do ane kumme un sine Eitere kumme
drno, wenn mir einig sin.
Theo: Eh dass isch jo grossartig, un das alles seisch
du mir erseht hite?
Germaine: Eh wenn hat i dir 's seile sage? Ich weiss die
ganze Oschichte erseht a halb Stund, un wisst's viliicht jetz
noch nit, wenn mr dr Pape nit gsait hett: Leg di a, mr wann
geh di Hochzitter abhole! Kasch dr danka, was i fir a Schracka
biku ha ! Uff das ana hat ar mir drno g'sait, ass da betraffende
Herr Maurer, oder besser, da betraffende Herr Cousin in ere
halb Stund do an dr Gare akumme soll.
Theo: Wie heisst da Cousin?
Germaine: Maurer Friedrich.
Theo: Un wia sieht ar denn üs ?
Germaine: Ja, do hasch mi z'viel g'frogt ! Mr han ne
noch nie g'sah, un d'einzige Photographie wu mr vu n'em han
isch wu n'er sechs Monet alt g'si isch. Ar wird si wohrschinlig
a bitzi verändert ha!
Borax: Wohrschinlig! Awer los Germaine, wie soll das
alles nur o wäre?
Germaine: Oh Theo! Du wirsch doch nit zwifle an
mir ? Ich halt zue dir, mag's ku wia's will ! Du hasch im Pape
eso viel Service g'leischte wahrend dane Wähle ass ar di jetz
nit ka üssestelle, un fir dr Rascht, wird ich da Cousin schu so
behandle, ass ihm d'Luscht, fir mich z'hirote, ganz allei vergeht!
Gang jetz du scheen in d' Ecole de Chimie un wart ab, was
kumme wird. Dr Pape un d'Mamme kumme jede Moment un
se derfe uns doch jetz nit binenander sah :
Borax: Nai Germainc, fürt gang j net! Denn ich will ne
o sah, da Concurant, wu mir mi Schatzela nah will ! Do blieb
ich jetz, un viellicht kasch mi glich brüche.
10
I. Streikposten (zu Germaine): Bonjour Madenioiselle Pickel!
Germaine: Bonjour Monsieur! Awer ich kenn sie nit !
I. Streikposten: Oh hat sie awer a schlaciit Gedächtnis!
Sie wird sich doch wohl noch b'sinne vu mir, ich bi als Mürer-
polier bi eirem Vater g'si, un ihr wisse doch o ganz gnaü ass
mr momentan Greve mache un meh Lohn wann! Awer ich
weiss o, ass eier Vater Mürer un sogar noch e Polier hite üss
Sachse erwartet. Viellicht isch Sie do fir se z'empfange, fir ass
mr nix merke soll. Awer gann acht, mir han d'Aüge uff!
Germaine : Nai, nai ! Do trumpiere ihr eich, mit dam
han ich nix z'thüe, s'Gschaft vu mim Pape geht mich nix a!
(Zum Theo) II faut que je me sauve! Au revoir Theo! Bon
courao"e! (g'bt ihm die Hand dann ab).
I. Streikposten : Adie einewag !
Borax (zum I.Streikposten): Ihr sin schint's nit güet
z'sprache uff dr Herr Pickel ?
I.Streikposten: Nai! Krütverdatschmi nit! Da han'i
uff'm Mage, un wenn ichs ihm emol heimzahle ka, so soll's
an mir nit fahle!
Borax: Eh bien liawer Frind, ich bi o nit güet z'sprache
uff dr Herr Pickel! Ihr han vorig g'sait, es soll a Polier üss
Ditschland fir ne ku ! . . . .
I. Streikposten : Ja, das han mr erfahre ! . . .
Borax (fir sich) : Das isch a grossartige Idee ! (zum Streik-
posten) Eh bien, ich will Eich behilflig si ! Ich weiss, s' isch
wohr, ar soll sogar glich akumme. Dr Herr Pickel hat ihm
g'schriewa, ar seil sage, ar wott zue sim Unkel, wenn ihn
d'Streikposchte ahalte thate, fir ass die nit merke. Glaüwe's ihm
awer nit ! Lehn nur mich mache, ich zeig eich da Polier, un
drno kenne ihr drfir sorge, ass ar nit zuem Herr Pickel geht
geh schaffe! Ich bi allewill uf dr Site vu de Arweiter, wu fir
a Hungerlohn schinde un schaffe mien un die Meischter thien
sich drbi dicke Bich pflanze! (Borax hat das letztere laut gesprochen.
— Darauf stellen sich H. Streikposten, Tissi und Peter dazu).
n. Streikposten: Bravo Kamerad! Das isch gredt!
Borax : S' Harz im üb thüet sich in mir umeüraije,
wenn ich sieh, wie me de arme Arweiter s' Blüet unter de
Fingernägel fire holt ! . . .
Tissi : Bravo ! Dass heiss i gredt !
Borax : Dr Arweiter müess schaffe un ar will schaffe !
Tissi: Oho Kamerad! Nit eso
Schutzmann (langer Mann mit Bart — bekannte Erscheinung) :
Nicht stehen bleiben hier, ich hab sie jetzt schon zweimal
gewarnt ! (Die Gruppe geht auseinander).
(Es fährt wieder ein Zug ein. Oktroibeamte stellen sich bei jedem Zug
an der Ausgangstüre auf, Tissi und Peter auch. Die andern bilden Spalier.
Es kommen viele Leute heraus. Ein typisch französischer Reisender erscheint
und hat eine rot-weiss-blaue Dekoration im Knopfloch — er wird vom
Schutzmann angehalten i.
Schutzmann : Runter mit dem Zeug !
Französischer Reisender: Qu'est-ce qu'il veut celui-lä?
Schutzmann: Hier wird deutsch gesprochen!
Zeitungsträger (ruft): Le Journal, journaux frangais!
(zum Schutzmann) Wissen sie das rot-weiss-blaue Bändchen ist
eine Medaille de Sauvetage — eine Rettungsmedaille (zum Franzose)
Vous savez, il est defendu ä Mulhouse de porter le rouge-
blanc-bleu.
Franz. Reisender: Mais, tas de sauvages . . .
Zeitungsträger (zum Schutzmann): Ach lassen Sie ihn doch
gehen !
Schutzmann (zum Zeitungsträger): Scherren sie sich zum
Teufel, sie verdammter Franzosenkopf !
Zeitungsträger (zum franz. Reisenden): Ah, VOUS savez, il
faut faire attention — vous n'etes pas en France ici.
Franz. Reisender : Fichez moi la paix, espece de tete
carree (geht wieder zurück).
Zeitungträger (verblüfft stehen bleibend) : Do hamer's mir
Elsasser, bi de Schwowe sin mr „Franzosenköpfe" un bi de
Franzose heisse mr „Tete carree". I weiss boll nimmig was i
danke soll — mais quand meme, je prefere ....
Scheller Charles (kommt von links — unterbrechend) : Mach
verdammi, ass de wittersch kunsch mit dine Gimp, zahl ich dl
fir ass du Sprich klopf'sch, oder fir ass du Zitunge verkaüfsch
(beide ab rechts).
(Verschiedene Passagiere kommen noch aus dem Bahnhof). Einer
Dame, die den Matin in der Hand hält, nimmt der Schutzmann die Zeitung
ohne ein Wort zu sagen aus der Hand).
Dame : Ah, par exemple, c'est trop fort !
Oktroibeamter (zu sehr dickem Herrn mit Valise) : Han se
ebbis z'declariere fir dr Octroi — Schnaps, Kaffee, Wi oder
sunscht ebbis ?
Dicker Herr (angeheitert) : Ich ha fimf Liter Wi bi mr,
Wurum ?
Oktroibeamter : Ja do mien ihr Octroi bezahle !
Dicker Herr : Fallt mr jo gar nit i . . .
Oktroibeamter : Ja das schlackt eich kei Geis ewag,
ihr mien eifach zahle.
Dicker Herr : Un ich zahl eifach nit, voila !
Oktroibeamter : Das wa mr sah ! Wu han ihr denn
la Wi ?
Dicker Herr: Im Buch han i na — fimf Liter rot-wiss-
)lauer Wi, wu kei Zoll un kei Octroi zahlt! (Geht lachend ab).
(Ein Reisender, welchem man auf der Bahn ein Plakat , Dames seules"
■n Coupe angehängt hat, kommt vorüber — alles lacht. — Zwei Heilsarmee-
oldaten kommen vorüber)
Peter (zum ersten Heilsarmee) : Was bisch den dü fir a
Boldat ?
Heilsarmeesoldat : Wir sind Soldaten des Himmels !
Tissi : Gottverklemmi, do hasch awer noch witt fir in
d'Kasarne !
(Heilsarmee ab).
(Milchmann mit Handwagen und zwei Kannen aufladend. Polizei-
vachtmeister kommt mit Tasche un kontrolliert die Milch — stumme Scene.
3orax kommt zum Bahnhof raus und spaziert auf und ab. Tissi und Peter
nachen sich auch zu schaffen. Von rechts kommen Herr und Frau Pickel
ind Tochter, bleiben ziemlich weit von der Eingangsture stehen).
Pickel (sieht auf die Uhr) : Ar seil doch scho do si, gang
3ermaine, frog dert ebb dr Zug vu Mihle schu do isch.
Frau Pickel : Ja kunnt er denn iwer Mihle ?
Pickel : Eh, nai, üs Sachse, kunnt er vvohrschinlig iwer
iBefert !
Frau Pickel : Kennt'sch mr o ne astandige Antwort ga,
ich bi net garn fir a Dottel gnu !
Pickel : Germaine : mach was i di ghaisse ha 1
Germaine: Ja Pape, ich gang jo schu (geht ab nach dem
Bahnhofeingang und Borax gleich hintenher).
Pickel (zu seiner Frau) : Lüeg dert steht mi alter Polier.
Das hat mr grad noch g'fahlt, a Greve wahrend de Wähle, ass
mich d' Greviste kenne rächt im Drack ummeschleile, — Kumm
Karlin, ich möcht mi doch net garn sah lo vu ihm ; se sin
sicher wider do, fir d'Arvveiter abz'fange, draih di um.
Frau Pickel : Ja, erwartsch Arweiter ?
Pickel : Eh jo, s'selie üs Ditschland kumme hit oder
morne, awer da kasch net druf zähle, se thien eim jo alle
awagschnappa.
Frau Pickel : S'g'schieht dr o ganz rächt, dü Wasch-
lumpe, dü witt se nur allewill mit Handschick ariehre anstatt
ass dü ne ne zeigsch wer Herr im Hüs isch, — Qie wann kä
Arweiter dure lo, die paar ? ! Ich ha d'beschte Luscht (macht
Miene als ob sie auf die Streikposten los wollte — Pickel hält sie zurück
— sprechen erregt weiter)
(Es treten auf von links : I. Vertreter vom Reisebureau Mülhausen
I. Vertreter der Ligue des Employes de Commerce).
— 13 —
Vertreter der Ligue : Ah, les voila! (aus dem Bahnhof
heraus kommen circa 20 itah'enische Arbeiter mit Handkoffer, Stöcken, Bündeln
etc., rotes Band Schlapphut etc. Die zwei Vertreter machen tiefe Verbeugung).
Delegierter der Ligue (des Employes de Commerce) j
Messieurs, chers confreres I C'est au nom du Commerce et de
l'lndustrie de Mulhouse, que nous venons vous souhaiter la
blenvenue dans notre ancienne cite. Vous, les employes du
commerce de la belle ville de Lyon, vous etiez enfin ä Berlin, ä
Berlin. Nous, vos freres perdus, nous sommes heureux etfiersä la
fois, de voir votre voyage triomphant, couronne par votre entree
en Alsace, chez vos anciens compatriotes. On vous a fetes, on
vous a crie „Vive la France", partout en Allemagne, on vous a
joue la A^arseillaise, nous ne pouvons pas en faire autant , . .
I. Italiener (auf italienisch) : Non capisco, parla francese
parla te . . .
II. Italiener (italienischer Accent) ; Merci Messieurs, auriez
vous la honte de nous recomrnander oun'albergo?
Delegue der Ligue (des Employes de Commerce) : Mais»
Messieurs, il n'y a rien qui presse. Vous nous permettrez de
vous offrir le vin d'honneur? (Die Italiener haben die Koffer hingestellt
und wollen sie wieder aufnehmen.)
Delegue des Reisevereins (schweizerischer Accent) : Mais
Messieurs, laissez nous soigner vos bagages !
Peter u. Tissi (stehen dabei) : Ka mr ebbis verdiene, ihr
Herre ? :
Delegue der Ligue (zu beiden) : Schaffe ne mol das
Gepäck in d'Bourse !
Peter (erstaunt): In d' Bourse ? (Beide mit Gepäck ab).
(Inzwischen sind die wirklichen erwarteten Gäste, aus Lyon, heraus-
gekommen, circa zehn Herren und einige Damen. Die Streikposten halten
dieselben an, werden von denselben als Maurer angesehen).
\. Streikposten (zu l. Lyoner) : Sin ihr Mürer, fir hie ku
schaffa ? No sag ich eich, ass ihr besser mache, wenn ihr glich
wider furtfahre !
\. Lyoner (welcher nicht versteht zum Delegue der Ligue): Pardon,
Monsieur ! Parlez-vous franqais ?
Delegierter : Parfaitement, Monsieur!
I. Lyoner : Voyez, ce Monsieur me cause et je ne puis
pas le comprendre. Nous venons d'arriver de Strasbourg; nous
sommes les Employes de Commerce de Lyon et probablement,
ce Monsieur doit nous recevoir, mais je regrette ne . . .
Delegierter der Ligue: Mais .... comment donc?!
C'est vous les employes de Commerce de Lyon? (zum 1. Italiener)
Mais alors vous netes pas de Lyon?
I. Italiener: Non Monsieur! Moi de Napoli, lui de
Milano, Italic.
Delegierter der Ligue : Alors, allez-vous-en! . . .
I. Italiener : Et mes bagages !
Vertreter des Reisevereins : Oh, Sapristi ! Jetz sin dane
ihre Bagages in dr Bourse !
Delegierter : Attendez, je les ferai chercher ! (zum bei-
stehenden Dienstmann) Geiin in d' Bourse un hole dane Macaroni
ihre Kifferla wider, wu die zwei Manner vorig ane trait han.
(Dienstmann ab).
(Die zwei Delegierten begrüssen die Lyoner und ziehen mit denselben
ab. — Die ItaHener werden von den Streikposten in Empfang genommen;.
I. Streikposten (zu Italiener nach vielen Gesten) : Nai, nai,
Kamerade, do wird nit gschafft, mr han Greve hia un s'kunnt is
kei Mürer ine!
II. Italiener: Perque, Perque ? . . .
I. Streikposten : Do git's nit Herberge, ihr bekumme
höchstens eier Billet bezahlt bis uf Basel un kenne eich dert
Herberge süeche !
IL Italiener: Nous, que vuole. . .
I. Streikposten : Nix geh hole — nous greve — vous
pas travailler, allez
(Die Italiener ziehen sich mit den Streikposten vom Eingang zurück,
wo sie sich zusammen noch unterhalten. — Inzwischen ist wieder ein Zug
eingefahren und Passagiere, meistens in Lodenanzügen, kommen aus dem
Bahnhof).
Pickel (welcher wieder erscheint zu seiner Frau) : Das kennt
dr Zug si.
Germaine (kommt aus dem Bahnhof gesprungen) : Papa, das
isch dr Zug !
Pickel : Mr g'sieht's an de Toilette, ass da Zug net vu
Befert kunnt.
Frau Pickel : Ja wenn de rte jetz numme kenne that'sch.
Das glicht dr wider, ebber abz'hole an dr Gare wu me net kennt!
Borax (kommt langsam vom Bahnhof auf die Gruppe zu): Bonjour,
Messieurs et Dames ! Wann ihr verreise ?
Pickel (verlegen) • Eh jo ! — eh nai ! (für sich) — Da hat
mr jetz grad noch g'fahlt do — (laut) Mr warte uff ebber !
Germaln s Uff dr Cousin üs Sachse !
Pickel (zu Germaine) : Dü hasch s'Mül z'halte !
Frau Pickel (zu Borax) : ja, un s'beschste isch, mr kenne
ne ear nit, mr Wisse rtur ass ar Maurer heisst !
15 —
Borax : Ja do wäre ihr ne schwär finde, gehn doch an
d'Thüre, wu d' Lit üsekumme!
Frau Pickel : Ja mi Mann will nit. Si alter Polier steht
dert als Streikposchte un wage dam traut ar net ane.
Pickel : Traut ar net — ar traut frilig awer ar will net !
Borax : Eh warte ich will lüege, viellicht find ich ne üse,
no bring ich ne do ane.
Pickel: Ja finde ihr ne besser als ich?
Borax: Sie sage ar heisst Mürer. Eh bien ich stell mich
eifach an d'Thüre und rief si Name.
Pickel: Na, prowiere's emol.
Frau Pickel (während Borax zur Eingangsthür geht) : S'isch
doch e ordliger Karle da Borax.
Germaine: ich ha's jo allewil g'sait gall Mamela, seil i
villicht hälfe luege dert?
Pickel: Du blibsch mr do, schla dr nur dine Idee üs'm
Kopf ich kenn se ganz güet !
Germaine: Awer Pape, Du brüch'sch ihn gar nit eso wit
ewag z'keie. Ar leischtet Dir doch jetz eso viel Dienschte fir dia
Wahl. Wer hatt denn die Artikel g'schriewa, wenn nit dr Herr
Borax.
Borax (an der Tür fragt verschiedene Personen, ruft laut): Herr
Maurer . , . Maurer.
Maurer (äusserst linkisch, Londenanzug Handtasche, geht auf Borax
zu, sehr schüchtern, sächsich): Ej verzeihen sie, ich glaube sie haben
mir gerufen. Sind Sie vielleicht ein Herr Pickel?
Borax: Sind Sie nicht Herr Maurer aus Sachsen?
Maurer: Nu äben, un ich möcht sie nämlich zu meinem
Onkel gehen.
Borax: Ja, ja, mr wisse's scho (ruft dem Streikposten). Do
isch da Maurer, wu Ihr uf'ne warte, wu zum Herr Pickel will
(leise) ar sait s'seig si Onkel, was han i g'sait (zu Herr Maurer)
Ja, ja die Herre, warde scho fir eich sorge (die Streikposten nehmen
den Herrn Maurer in die Mitte).
Maurer: Zu Herrn Pickel, zu meinem Onkel
I. Streikposten: Ja, ja, Brueder Nusskueche, mr wann dr
di Onkel istriche.
II. Streikposten: Mir schicke ne gli widder fürt das wird
s'Beschte si.
Borax: B'sorge mr da Mann guet un gan Achtung uf ne
(leise) lehn ne net ÜS de Auge (geht nach dem Eingang)
— 16
I. Streikposten (zum ll. Streikposten): Mr wann z' erseht
dam Streikbrecher a bizi Milhüse kenne lehre, fir ass ar nimme
kummt.
Friedrich (Stiefel Lodenjoppe, Handtasche, kommt zum Bahnhof
raus, wendet sich an Borax): Sie haben vorhin Maurer gerufen, ich
bin Sie nämlich Maurer und soll zu meinem neuen Mester
gehen. Sie können mir vielleicht helfen (nimmt ein Zettel aus der
Tasche und zeigt ihn Borax)
Borax (liest für sich): Tiens das läuft jo wie uff Redla. (Zu Frie-
drich) Ja frielig, das trifft sich jo güet dert steht d'ganze Familie. Awer
uff eis will ich i ufmerksam mache. Dr Herr Pickel isch e Ori-
ginal un s'isch ganz meglig ass ar i fir e Verwandter vu ihm
nimmt. Ihr derfe ihm in dam Fall nit widerspräche. Wenn
ar sait, ihr seige si Brueder, drno sage jo, sait'r ihr seige si
Neveu, drno sage widder jo. D'Hauptsach isch ass ihr ihm nit
widerspräche, ihr warde sah, ass ihr drno in d' Familie uff-
gnumme warde wie ne eigener.
Friedrich : Ah, das kann mir schon recht sein, wenn ich
gleich Familienanschluss finde.
Borax : Also nur nit froge un nit widerspräche ! Wenn'r
ebbis z'froge han so froge mich.
Friedrich : Schon recht, machen wir
Borax : Kumme, ich will i jetz anefiehre. (Beide gehen auf
Gruppe Pickel zu) Voilä, Monsieur Pickel ! Do isch da Herr
Maurer üs Sachse, wu se uff ne warte.
Pickel : Eh guten Tag mein Lieber ! Mir haben schon
gemeint, du kommst nit! Wie geht's?
Frau Pickel (zu ihrem Mann) : Loss ihn doch mir o
Bonjour sage.
Pickel (stellt vor) : Mi Frau, mi Tochter Germaine, das
isch se, was saisch drzüe ? (stösst ihn in die Seite).
Frau Pickel (gibt ihm die Hand und küsst ihn) : BonjOUr,
bonjour! Du bisch a strammer Burscht!
(Borax lacht und hält sich den Bauch).
Germaine (zu Borax leise) : Dü lachsch noch, ich möcht
liewer grine.
Borax (leise) : S' isch jo dr latz, loss mich jetz nur mache!
Mach ass wenn dü nix wisst'sch !
Pickel (Borax vorstellend) : Un das isch dr Herr Borax, a
güeter Frind vu uns.
(Friedrich hat sich bei der ganzen Scene sehr linkisch und erstaunt
benommen).
Pickel : Dü redsch jo gar nix ! ?
17 —
Friedrich : Ei, das ist ja so scheene und ihr empfängt
mich ja so scheene, dass ich gar net wess wo mir der Kopf
steht. So empfangen bin ich noch nie geworden.
Pickel: Ar isch noch a bitzele schich, awer s' wird
schu kumme.
Friedrich (zu Borax) : Das sind aber reizende Leute. Ich
glaube die nehmen mich wirklich für einen Verwandten.
Pickel : Allez Kinder, kumme jetz heim geh z Nacht asse.
(Tissi und Peter kommen mit dem Gepäck und die Italiener stürzen
sich auf dasselbe.
Tissi: Eh, langsam Brieder! Wer vu eich zahlt das Dings?
Maurer (zum Streikposten) : ich will ZU meinem Onkel !
I. Streikposten: Ja, ja, mr wisse's! S'isch di Onkel!
(Alle machen sich bereit die Bühne zu verlassen. Gruppe Pickel nach
rechts, die andern nach links.
Borax (im Abgehen) : B'sorge mr ne güet (ab).
I. Streikposten : Ar isch scho versorgt ! (ab).
Peter : Jetz ha mr schu wider nit verdient, ich sag jo,
Milhüse, wu bisch du aneku ? !
Couplet vom Peter
Ich bi dr Peter vu Milhüse
Un sing eich jetzt ebbes vor
S'stackt mr do un s'muess jetzt üse
Achtung, spitze eier Ohr
Asphaltiert isch alles jetze
Geht mr heim am elfe z'Nacht
Losst eim d'Stadt noch d'Fiess abspreize
Ass me 's Bett nit drackig macht
Un u^enn me d'Schuele bschäut
Wie warde die hit baut
Mr sieht kei Fanschter un kei Türe
D'Saal sin dunkel zum bedüre
Derfir isch wolbedacht
's Dach drei mol grösser gmacht
Doch d' Hauptsach isch für diese Herrn
Der Bau ist stilvoll und modern
(Refrain) Ihr liewe Lit
Wenn bi dar schlachte Zit
E jeder rächt vil Stire zahlt
Fir d' liev.'e Vaterstadt
Ich weiss wenns niene langt
E Mittel in dr Not
Ich nimm d' Gleislose Bahn
Un suech eso mi Tot.
Fir nit wittersch Zit z' verliere
Un a rachter Kunstgnuss z' ha
Thuen ich vor d' Mairie spaziere
Mr meint mr kunnt in Versailles a
Will halt in Italie leider
18 —
Sich kei Keifer g' funde hat
Hann jetzt mir als Grundarvveiter
Kauft als Zierde unsrer Stadt
Uff me verheite Stei
Do steht mit gspreiztem Bei
E blutter Itah'anerbue
Uli hebt vor Scham sich d'Aüge zue
Er hebt rächt elegant
E städtischer Pickel in dr Hand
Jetzt fahle nur noch sisch e Olick
699 Stick
(R e f r a i n \v i e oben.)
Will ich grad dra bi am vezehle
Mues ich alles sage gli
Was eim weh macht in dr Seele
isch unsre Tramwaycompagnie
Fahrt ein im e so ne Wage
Nur vu Pfascht bis zruck in d' Stadt
Derf er misel vu Glick sage
Wenn er d' Seekrankhet nit hat
Un wird erseht repariert
Vielicht a G'leis g' changiert
Wie dado grad am Jungator
Dr liewe Gott b' biet is drvor
's thuet fascht dr Aschin ha
Sie heige laweslangiig dra
Arwet un Tram s'isch einerlei
Langsam gehn vorwärts alle zwei.
(Refrain) Ihr liewe Lit
Doch das macht alles nit
Wenn alles zunderscht z' öwerscht geht
So han ich noch e Trost
Denn d' Freid nur z'ha
Ass ich Milhüser bi
E jeder wu das sage ka
Derf stolz druf si.
(Vo rhang fällt)
— 19 —
II. AKT
Personen -Verzeichnis
Herr Pickel
Frau Pickel
Friedrich
Borax
Maurer
Peter
Tissi
Herr Dertele
Kellner bei Moll
Kellner im Bristol
I. Wackes
II. Mackes
Hochziter
Hochzitre
I. Hochzitsgascht
II. Hochzitsgascht
Dessen Frau
Eine Kellnerin
Eine Dame
Sporn
Scheller
Zeitungsträger
Fischer
Pfälzer
Streikposten
Stadtrat Fuchs
Stadtrat Negre
Stadtrat Dr. Gabriel
Stadtrat Ruri
Pompier
I. Sreikposten
II. Streikposten
I. Schutzmann
II. Schutzmann
Strassenkehrerinnen
Fischer
Wächter der Wach- und
Schliesgesellschaft
Heilsarmeesoldaten
Gäste die in's Bristol gehen
— 21 —
II. AKT
Die Bühne stellt den Neuquartierplatz dar. Man sieht rechts das
Cafe Moll und links Cafe Bristol ; in der Mitte zieht sich die Riedisheimer
Strasse durch. Es ist 2 Uhr nachts. Beim Aufgehen des Vorhanges ist bei
Moll ein Kellner beschäftigt, Stühle auf die Tische zu stellen und abzuräumen.
Nur ein einzelner Gast sitzt noch da eingeschlafen. Ein anderer Kellner
lehnt an einen Pfosten und gähnt und wartet bis der letzte Gast weggeht.
Gast (murmelt unverständliche Worte vor sich hin, plötzlich fällt
er mit grossem Gepolter vom Stuhl und reisst den Tisch mit sich — am
Boden liegend) : Jesses Maria, mine Frau un mine Kinder ! Rette
mi ! Rette mi ! . . . .
Kellner (fahrt auf, springt hinzu) : Jesses ! Was isch denn
passiert, Herr Dertele ?
Gast (erstaunt) : Ja, ja, wu bin i — wu bin i denn ?
Kellner : Eh bi uns, Herr Dertele, in's Moll's !
Gast (fällt dem Kellner um den Hals) : Gott sei Dank, Joseph!
Jetz kumm i wider züe mr.
Kellner : Awer Herr Dertele, was han ihr denn ?
Gast : Eh dank dr, Joseph, ebbis Schreckligs hat mir
traimt. S'hat mr traimt, ich seig mit dr Gleislose Bahn, dr
Rabbarg aweg'fahre !
Kellner (lacht aus vollem Hals) : Eh was danke ihr, Herr
Dertele, die derf jo am Tag net fahre, verschwiege noch z'Nacht!
Gast : Uff da Schracke he, ga mir noch a Humpe !
Kellner : Nai, s'isch Firowe, s'thüet mr Leid !
Gast : Was han i z'zahle ?
Kellner: S' sin 13 Humpe, Herr Dertele.
Gast : Ja drno müess i noch ein trinke, sunscht passiert
mr e Unglick. Durch die Zahl 13 isch's mr vorig fascht schlacht
gange. Nai, mit 13 Humpe gang i net heim.
Kellner: S'isch züe, s'git nit meh !
Gast: No gang i eifach in's Bristol. Guet Nacht, Joseph!
ich zahl i morn !
Kellner: S'isch scho güet, Herr Dertele.
(Dertele geht langsam hinüber zum Bristol. Aus der Tür kommen
eben zwei Wackes heraus).
- 22
I. Wackes (schreit in's Kaffee Bristel hinein) : Will mr kei
Stellkragle a han, wann ihr uns nit serviere !
II. Wackes: Will mr kei Capsule a han, ah das Cafe
isch nur fir d' Fitzer I Isch unser Gald net so rund wie in andre
Ihr's ?! Warte eich wa mr scho ein inedrucke (beide links ab,
weiterschinipfend).
(Zwei Kellnerinnen kommen von rechts, zwei Herren folj<en ihnen a.
distance. Einige Fischer ziehen über den Platz. Die Kellnerinnen gehen
jn's Bristoll.
Kellnerin (zu den Fischern): Wann ihr geh fische?
Fischer : Jo, ihr o?
Kellnerin : Zahlsch nit, Dolfi ? !
Fischer : Allez, kumme Kinder, mr gehn in's Bristol.
Zeitungsträger (geht gleichfalls in's Bristol) : Pickt's! Pickt's!
Fischer : Mach ass d' abkunnsch ! (Alle ab in's Bristol.
Inzwischen geht Dr. Gabriel — von kleiner Gestalt, Schnurr- und Spitzbart,
pince-nez und Hut schief — mit Fuchs über die Scene).
Dr. Gabriel (im Vorübergehen) : Ja, un wurum han se ne
grad nit'm Rücke gege's Omeinhüs uffg'stellt ?
Fuchs: Ja, das isch fir später, we'mr emol nimmig uff'm
Omeinhüs sin !
(Eine Arbeiterhochzeit, ziemlich angeheitert, kommt, den „Böhmerwald"
singend, angezogen. Die Hochzeit — alle schwarz angezogen, Männer mit
Cylinder — besteht aus: Hochzitter mit einem Freund am Arm, I. Gast
mit einer Frau am Arm, H. Gast mit zwei Frauen, Tissi und Peter, welche
in der Mitte die Hochzitere im schwarzen Kleid und weissen Schleier führen,
kommen etwas später als die ersteren).
I. Gast : (zum Hochziter) : Sag Edi, wu hasch di Frau ?
II. Frau: Hasch se versetzt?
Hochziter : Wu isch jetz die ? Ja so — ich ha jo ganz
vergasse, ass mr g'hirote sin !
I. Gast : Du g'fallsch mr jetz ! Verliersch du scho am
Hochzittsowe die Frau!
Hochziter : Die weiss dr Wag allei !
(Inzwischen sind Tissi und Peter mit dr Hochzitere in dr Mitte eben-
falls angelangt und singen: „So leben wir, so leben wir" etc.)
Hochziter : Wo blibsch denn. Philippine ? ich ha scho
g'meint, du bisch verlöre !
Hochzittere : Du machsch jetz a Spektakel ! ich war
scho wider ku, wenn's net hite gsi war, so war's morn gsi.
(Alle lachen).
I. Gast : Allez, a bitzi astandig ! Mr gehn in a Herrekaffee
(Alle hinein).
- 23 -
I
(Während der letzten Scene sind Dr. Gabriel und Negre über die Bühne
gegangen und haben mit einander aufgeregt gesprochen. Dieselben erscheinen
alle fünf Minuten und machen denselben Spaziergang. Tissi und Peter
werden vom Kellner kurz nach Eintreten wieder hinausgewiesen).
Peter (vor der Tür zum Kellner): Kappe! Wage dare Kappe!
Tissi : Das isch doch grossartig, in dr G'nieinrot derf mr
mit re Kappe awer in's Kaffee Bristol net. (Kellner geht wieder hinein).
Peter : Mir han allewii a so Chance. Mr han derfe Zige
si an dare Hochzit, mr han nit biku ; bim Asse hat's net g'langt
fir uns, un jetz, wu mr ebbis z'trinke bikame, derfe mr net emol
ine. S'dumme isch, ass se d'Hochzitere innegio han, sunscht wäre
mr in's Monopol, dert darf mr mangmol inne in ere Kappe.
Hochziter (ruft vom Balkon herunter). Peter ! Tissi ! Wurum
käme-n'ihr net ufe ?
Tissi ? Wurum ! Eh mir derfe nit in das Herrekaffee
will mr Kappe a han.
Hochziter : Wage de Kappe ? Wart i wirf dr mi Gibüs
awe — sä fang ne. (Er wirft zwei Zylinderhüte hinunter. Tissi und
Peter ziehen sie an, nehmen die Mütze ni die Tasche und spazieren stolz
in's Kaffee, man sieht wie der Kellner Knixe macht an der Türe).
Kellner : Guten Abend die Herren ! (zu).
(Die beiden Herren spazieren wieder über die Bühne).
Dr. Gabriel: Nai, ich bi absolut drgege gsi, fir II/2 Millione.
Han mir s' Rächt g'ha ? Un drno, wie isch abgstimmt worde ?
S'isch güet ass is als nieme züeglüegt hat. Ich bi drüss, ich
ha gnüe g'ha (verschwinden).
(Man hört singen hinter der Bühne und es erscheinen circa 15 — 20
Chemiker. Sie laufen im Gänsemarsch um den Laternenpfosten in der Mitte
nachstehender Refrain singend) :
Refrain aus dem Weibermarsch „Lustige Wittwe"
In Milhüse do labt sich's famos,
Denn do isch aliwil ebbis los.
Mir sin luschtig, fidel, s'isch uns eins.
Ob mir Gald han oder keins ;
Fir d'Plaisier sin mr allewiil z'ha,
Un wenn's Krach git, sin mir vornedra;
Anstatt fir Chemie z'studiere,
Thien mir uns hie amüsiere.
Denn fir uns isch Milhüse a Paradies.
Borax (commandiert) : Bataillon, halt ! (Alle halten). Setzt
euch ! (Alle sitzen an den Boden im Halbmond). Wer zahlt jetz
snachschte Tournee ? Mr gehn in's Bristol ! (Niemand antwortet)
— Rede nit alle mit anander ! — Pickel erscheint mit Friedrich am
Arm — Borax geht auf sie zu) Eh ! gse . . . ni racht ? Dr Pape
Pickel mit sim Neveu ! Ja wie kumme denn ihr do ane ? (gibt
Pickel die Hand — zu Friedrich) Guten Abend Herr . . . Herr . . ,
Pickel: Sage n'ihm numme Friedrich! S' isch jo kei
Schand, Friedrich z'heisse. Se han a Frederic le Grand g'ha,
wie mir dr Napoleon le Grand g'ha hann.
Borax : Ganz rächt, un wenn ihr nix drgege han, mir
sin a luschtige Bande, so mache mit uns un ihr wäre eich güet
amüsiere.
Pickel: Mir han namlig a Asse bi uns g'ha, so ne —
wie seil i sage — so ne genre fian^ailles.
Borax : Fiancailles ! Vu wem ?
Pickel: Hä, do Riege n'ihr! Vum Friedrich, awer mit
wem sag i net ! S* isch no net ganz so wit.
Friedrich : Von meiner Seite schon, nur die Braut will
eben noch nicht.
Pickel : Nur kei Angscht, se wird scho noch wella
(zu Borax) Ihr warde lüege, wenn ihr's erfahre.
Borax : ihr am And O ! Also (zu seinen Kameraden) do
isch mi Hüsmeischter un si neveu. Se mache o mit !
Pickel : ja, un vergasse net, ass ich Candidat bi fir in dr
G'meinrot, ass es die Herre net vergasse, wenn se gehn geh
wähle, rauche die Herre villicht ? (offeriert Cigarren. Jeder nimmt so
lang Vorrat reicht).
Borax : Rauche thien se alle, awer wähle derf kein. Die
wu vu hie sin, sin noch z'jung, un d'andere sin Russe, Italianer,
Negre, Spanier, Chinese, un die derfe nit wähle !
Friedrich : Sind das auch Maurer ?
Borax : Nai, no net. ich ha hite in eim a güet Stickla
g'spielt, wage dam si mr eso luschtig, un wenn's grotet, ihr
Herre, no lad ich eich i züe ne re güete Flasche.
Friedrich: Ei, da bin ich aber sehr gespannt, ich wünsch
ihne, dass es gelingt !
Pickel : Ich wünsch's eich o! Gsahn'r, ich wünsch eich
doch nix Böses !
(Vom Bahnhof her sieht man den Streikposten mit Pfälzer und einer
Reihe von Genossen kommen, die Pfälzer am Bahnhof abgeholt haben.
Pickel (den Streikposten erblickend) : Do kunnt bigüt ein VU
mine Arweiter, wu Greve mache. S'isch nit, ass i Angscht ha,
awer s' isch besser, me geht de Handel üs Wag. ich gang nur
in's Cafe (geht allein in's Kaffee).
Borax (zu Pickel) : Mir kumme gli ! Gehn numme !
Streikposten (geht auf BoraK zu und streckt ihm die Hand hin):
Salut Kamerad ! Kenne ihr mich nimmig ?
25
Borax : Ah jetz b'sinn ich mich. Ihr sinn da Mürer, wu
an dr Gare g'stande isch hit z'Owe ! Was han'r mit dam Mürer
g'macht, wu zu sim Onkel hat wella ? Han'r ne versorgt?
Streikposten : Sinn nur rüehig, ar kunnt is net üs de
Klaue ! Mi Kolleg isch rnit'm geh ne Nachtquartier süeche.
Borax : Wu kumme n'r har, noch eso spot ?
Streikposten : Eh do — ich ha miesse vu dr Partei üs,
geh ne Wanderredner abhole an dr Gare. S'isch namlig a grosse
Wählerversammlung morn z' Nacht im Thalia. Kumme-n'ihr o?
Pfälzer : Auch ein Genosse ?
Borax: Natirlig ! Mr sin alles Genosse!
Pfälzer: Freut mich, meine Herren! Pfälzer ist mein
Name, Pfälzer aus Nürnberg. (Begrüssen sich — die andern Chemiker
gesellen sich dazu).
Borax: Ah, do kumme-n'r ku rede morn z' Nacht!
Plälzer : Ja, junger Mann. Wir wollen mal den Mülhauser
Dunkelmännern ordentlich auf die Hosen klopfen. Hoffentlich
kommen sie auch in die Versammlung !
Borax : Eh natirlig kumm i, un do sin mine Kamerade,
die mien alle o kumme !
Pfälzer : So ! Na, das freut mich, dass ich gleich bei
meiner Ankunft, die Mülhauser Jugend, die ja die Hoffnung des
Landes in sich trägt, begrüssen darf.
Borax : Ja kenne-n'ihr eigentlig d' Milhüser Verhältnisse ?
Pfälzer (mit grossem Pathos) : Mein lieber Freund ! Hier
handelt es sich nicht um Verhältnisse, hier handelt es sich um
das Prinzip, die geknechtete Menschheit von dem Joch ihrer
Unterdrücker zu befreien. Ich bin glücklich, gerade hier, wenn
ich so sagen darf, auf altem historischem Boden zu stehen, in
einem Lande, wo die Väter noch mitgeholfen haben, an dem
grossen weltumstürzenden Werke der Befreiung. Auch ihre
Väter haben die grosse französische Revolution noch mitgemacht
und haben ihr Blut vergossen, um uns aus der Knechtschaft
und Unterdrückung dem Lichte und der Befreiung zuzuführen.
(Immer leidenschafthcher) Auch eure Väter haben mitgeholfen, die
Bastille zu stürmen und ihr eigenes Leben eingesetzt, für die
herrlichen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ! ! !
Hat es je ein Volk gegeben, das, wie die Elsässer, mit be-
wunderungswürdiger Tapferkeit, wahre Heldentaten vollbracht
hat, wenn mutige, tatkräftige und besonnene Männer sie angeführt
haben. Folgt auch heute wieder euren Führern, die euch
glücklich an's Ziel führen werden. Und welches ist unser Ziel ?
Wohin wollen wir euch führen ? !
26 —
Peter U. Tissi (die vom Balcon aus den Schluss der Rede angehört,
schreien) : In's Wirtshüs ! ! !
(Alles fällt in den Ruf ein : „In's Wirtshüs!" und zieht zusammen in's
Kaffee. Borax nimmt Friedrich am Arm und bleibt mit ihm zurück.
Friederich : Ach, entschuldigen sie Herr . . . Herr Borax'
Herr Borax, ich möchte sie doch etwas fragen. Ich weiss ja gar
nicht wo mir der Kopf steht. E so a netter Mester, hab ich
meim Lebtag noch nicht gehabt — dutzen muss ich ihn auch
schon. Ich wollte blos mal wegen der Arbeit fragen für morgen,
da hat er mir gesagt, ich wäre verrückt. — Furchtbar nette
Leute ! Die ganze Familie dutzt mich schon. Ich kann's ja
schon machen ohne zu arbeiten. Aber so freindliche nette Leite,
so freindlich. Übrigens es ist so wie sie mir gesagt haben, er
hält mich für einen Verwandten, aber ich habe keine Spur
widersprochen. Na ja, er muss es ja wissen. Er sagt, er wäre
der Bruder von meiner Mutter — ha ha ! ! Dabei habe ich gar
keine Mutter gehabt, blos ne Tante, ja !
Borax : Ihr han meh Glück ass Verstand.
Friedrich : Ja, da haben sie recht. E so a Glück, e so
a Glück I ! Na, wissen sie, unter uns gesagt, der Mann scheint
mir nicht ganz klar zu sein, im Oberstübchen. Nu aber, erst
die Tochter — ha — was ne scheenes Mädchen, wie — wie
heest se doch nur, ich kann den Namen gar nicht behalten.
Barox : Germaine !
Friedrich : Ja, ja Germäne ! Ja denken sie sich, der Alte
will immer, dass ich mich neben sie setze und heute Abend
wollte er, dass ich ihr einen Kuss gebe. Aber da bin ich
scheene angekommen, sie ist vom Tisch weg und hat geweint.
Na ja, das Mädel hat sich äben gegeniert, aber das kommt noch,
hat der Papa gesagt. Un uf'm Weg, da hat er mir erzählt, dass
er mir die Tochter zur Frau geben will und dann dass er mir
dann später sein Geschäft übergeben will. Ach denken sie blos,
so'n Glück, so'n Glück ! ! Der Papa hat mir auch im Vertrauen
erzählt, dass die Germäne einen andern im Kopf hätte, aber den
werde ich schon aus dem Felde schlagen — so'n Schafskop ?
(Während dem Dialogs zwischen Friedrich und Borax, gehen Wächter
der Wach- und Schliessgesellschaft über die Bühne. Tirolergehen in's Bristol.
Heilsarmeeleute mit Kriegsruf).
Borax: Natirlig ! Lüege do isch mi Hand, Friedrich
(Friedrich schlägt ein). Wenn ihr ebber brüche, fir da Schafskopf
üs'm Fald z'schlage, ich hilf Eich, un mir zwei warde scho
Meischter warde !
(Zwei gleichgekleidete Zwillingsbrüder gehen vorüber von links nach
rechts. Die beiden Spaziergänger kommen wieder zurück und grüssen die
Zwillingsbrüder).
— 27 —
Dr. Gabriel : Isch das a-n'Art, a Dokter, wu doch a
gebildeter Mann isch, a so z' empfange. Ar ka jo nix drfir.
Hätte se ne in Hamburg glo !
Friedrich : Hären se, mein Guedester, mein Schwieger-
vater — ich darf ihn doch so nennen ?
Borax : Natirlig !
Friedrich : Er hat g'sagt, er möcht mir a goldene Uhr
kaufen, glauben sie nicht, dass ich mich da revengieren soll. Ich
bin natürlich nur en Arbeiter und habe keine Mittel um teure
Geschenke zu machen, aber ne paar Mark kann ich schon
ausgeben.
Borax : Ä bäh ! Kaufe ne Automobile !
Friedrich : So, glauben Sie ! Aber so'n Ding wird am
End doch zu teuer sein. Ich möcht halt doch nicht mehr wie
zwei bis drei Mark ausgeben.
Borox : Oh ! Um da Pris bekumme ihr scho ne natts !
Friedrich : Ja, wo kauft man denn die ?
Borax : Eh, gehn nur zum Wronker !
Friedrich : Also nix für ungut, Herr Borax. Aber das
bleibt doch unter uns, und wenn ich einen guten Rat brauche,
dann darf ich doch zu ihnen kommen ?
Borax : Awer natirlig ! Ich wir eich scho helfe, ass ihr
d' Germaine bekumme !
(Die beiden Zwillingsbriider gehen wieder vorüber).
Friedrich (schaut ihnen nach und reibt sich die Augen) : Ich
weiss nicht bin ich besoffen, oder sehe ich doppelt. Das ist
doch nur einer der da geht ! ?
Borax: S'sin zwei, awer s'isch doch nur ein! Allez,
d'andra warte uff uns, warte, kumme jetze !
Zeitungsträger (kommt heraus) : Le Journal ! Journaux
francais, Messieurs !
Friedrich : Was quatscht der Kerl da ?
Borax : Das isch a Zitungsverkaifer !
Friedrich (zu letzterem) : Sie, gäben sie mir den Leipziger
Arbeiterfreund.
Zeitungsträger : Mir han kä so Drackblättle !
Friedrich : Was sagt der Kerl ? Der Leipziger Arbeiter-
freund ist en Dreckblatt ! Nun mach aber, dass du weiter
kommst ! Ich geb dir Dreckblatt !
Zeitungsträger (abgehend) : Oh, qu'ils sont grossiers, ces
Allemands ! (ab.)
- 28 —
(Dr. Gabriel und Stadtrat Negre kommen wieder und von der ent-
gegengesetzten Seite kommen noch drei Stadtratsmitglieder. Alle fünf
begriissen sich).
Stadtrat Fuchs : Was mache denn Ihr noch do, um die
Zit ? Ihr sötte scho lang im Bett si !
Ruri (dicker) : Ich wett, se han vum G'meinrot g'redt !
Stadtrat N^gre I Vu was seil mr denn verzähle ?
Dr. Gabriel : Siter ass i nimmig drin be, han i mi gar
nimmig amüsiert !
Fuchs : Das glaub i. Fir was meine ihr, ass mr drin sin?
Mir wann is amüsiere, un — wer weiss ebb mr drin bliewe !
Die kurze Zit, wu mr noch drin sin, wa mr da andre d' Höll
scho heiss mache !
Dr. Gabriel : A propos, wie isch's gange, mit dr Gleis-
lose Bahn?
Negre : Eh, wie wird's geh ! Wenn se net lauft, so verkaufe
mr se im Fripie-haas:
(Dr 100-Kilos-Verein kommt vom Bahnhof. Scheller von der entgegen-
gesetzten Seite).
Scheller: Salut Ihr Herre ! Wu kumme-n'ihr har?
Sporn : Mr sin z' Neieburg gsi, geh d'Spargle versüeche!
Scheller : Han'r güet g'asse ? Was hat's alles gah ?
Sporn : Nix b'sunders. Mr han ebbene drei Zantner
Spargle un 30 Kilos Friture g'ha. Se han jo kä G'flügel do
ane. S'sin küm zwei Hiehnle uff dr Mann kumme. Wenn
nit jeder e Schiefele mitg'numme hat, hätte mr kenne verhungera !
Scheller : Wu geht's jetz ane ?
Sporn : Allez, kumme mit in's Bristol ! Mr wann geh
ne Schinkebrödle asse. (Alle in's Bristol, Sporn ist zu dick und
kommt nicht zur Thüre hinein) : Was isch, mache n'r SCho ZÜe ?
(Kellner kommt und reisst den andern Türflügel auf).
(Pompier-Sergeant kommt von links gegen Kaffee Bristol).
Dertele (der eben herauskommt zum Pompier) : Wu brennt's?
Pompier : Wu wird's brenne ! Niene — ich bi nur an
ere Licht gsi !
Dertele : Jetze, an ere Licht ! ?
Pompier : Nai, hite morge am zehne. Awer mr müess
si doch zeige un morn isch wider a Licht, drno isch's doch
net drwart, ass mr si Pompierplünderla üszieht !
Dertele : Hite morge han'r ein vergrawe, un jetz thien'r
ne ne noch versüffe !
29
(Es kommen von verschiedenen Seiten, Gassen- und Strassenkehrerinnen
mit Besen).
Frau Pickel (die eilig gelaufen kommt und über den Besen einer
Kehrerin fällt, erbost) : Kenne ihr net Achtung gah ! Brüche ihr
dr ganzs Platz do fir Eich, ass d'Lit net dure kenne, un fir mit
enander z'ratsche ! Kä Wunder, ass's niene süfer isch in dr
Stadt, wenn mr eso Lit hat fir d'Strosse z' wische, Do ka mr
sage: v/ie dr Herr, so dr Diener! S' Pack hat afange alle Rächte
un d'ehrlige Lit mien si ducke. Wenn ich z' kommandiere hat,
ich wott scho uffrühme, ihr miesste mr anderscht tanze ! !
(Alle Kelnerinnen erheben drohend den Besen und umkreisen Frau Pickel).
I. Kehrerin : Awer jetz isch's genüe ! Jetz isch's Zit
ass de fürt kunnsch, du alte Hax ! Ah, du findsch o, ass
d'städtische Arweiter Fülanzer sin ! Was bisch denn du fir
eine, ass du z'morge am eins noch uff dr Stross umelaüfsch ?
Mach ass de Üsrisch ! Frau Pickel will sich in's Bristol flüchten. Im
selben Augenblick kommer die Chemiker wieder heraus und sehen die
Kehrerinnen mit erhobenem Besen vor dem Cafe stehen).
Borax: Oho! Was isch denn do los? Wann ihr s'Cafe
belagera ? (bemerkt Frau Pickel) Un sie do, Madame Pickel ? Ja
wie kunnt sie do ane ? !
Frau Pickel : Wu isch mi Mann ? Da Lump ? !
Borax : Ich glaub, ar isch dine (Frau Pickel geht hinein —
zu den Kehrerinnen) Allez, mache kei Dummheite ! (Zu den Chemikern)
Ailez Kamerade ! En place, pour quadrille ! Engagier jeder
si Dame ! (Jeder nimmt eine Kehrerin am Arm und sie führen zusammen
einen Tanz auf).
Tanz
Peter (vom Balcon) : Tissi ! Do unte wird tanzt ! Ailez
Tissi, kumm awe, do mien mr drbi si ! (Beide kommen schnell
herunter, stellen sich dazu und wenn der Tanz beendigt, so stellen sie sich
in die Mitte und tanzen mit komischen Bemerkungen).
Tanz von Tissi und Peter
(Bei Scliluss des Tanzes erscheinen die drei Streikposten und führen den
Herrn Maurer am Arm).
Maurer : Aber lassen sie mich doch gehen, ich muss
doch zu m.einem Onkel !
I. Streikposten : Ja, scho güet I Mr kenne jetz efange
das Liedla vu dam Onkel ! Du bisch do fir z'schaffc bim Herr
Pickel, un jetz wit du uns vorschwatze, s'seig die Onkel !
Maurer : Aber, er ist doch mein Onkel !
II. Streikposten:. Los Kamerad! Dii geh'sch jetz do in
d'Hoffnung geh schlofe un morn v/a mr drno lüege, was mr
mit dr mache !
30 -
Borax (zu sich, die Gruppe bemerkend) : Jetz klinilt da O
noch ! Da hat jetz noch g'fahlt. Wenn'r nur"^ nit mit'm Pickel
z'sammekunnt, sunscht han i mi Spiel verlöre.
(Im selben Augenblick gibt es ein grosses Gepolter hinter der Bühne.
Es fliegt eine Stange, ein l^olster und eine grosse Tafel mit „Uebungswagen"
von links auf die Bühne und gleichzeitig ein Mann in Uniform der
Tramwayschaffner. — Alles stürzt hinzu. Aus dem Cafe kommen alle Leute).
Frau Pickel: Jeses Maria! S'isch a Ardbewe !
Friedrich : Ach, Herr Jemersch ! Ich glaube die Welt
geht unter!
Tissi : Nai, nai ! S'isch je nur d' Gleislose, wu lewungs-
fahrte macht !
Peter : S' isch noch güet gange !
Stadtrat Fuchs (welcher mit den andern herbeigelaufen kommt):
S' macht nit ! Mr sin's jetz hol g' wohnt!
Frau Pickel : Ja, un im Conducteur, hat's nix g'maclit ?
Fuchs : Nai, Nai ! Da ha mr lo üswatiere, s' kat ihm
nix mache!
Pickel : S'jisch bigüt a Schand fir Milhüse, a so ne
Tramway a z'schaffe. Mr müess si jo schäme !
Stadtrat Negre : Ja, s' hat am nöthige Droht g'fahlt,
wage dam ha mr kä G'leis g'macht.
Pickel : Schäme sötte ihr i ! Fir so ebbis wird g'spart,
do han ihr natirlig kei Oald ! Awer wenn's fir d'Arweiter isch,
do isch nix güet genüe, do wird's numme so üsekeit !
II. Streikposten : Ihr han's notwandig, ebbis iwer
d'Arweiter z'sage ! Ihr Litüssüger !
Peter: Ganz rächt! Nur nit g'falle lo ! (und hetzt) gss, gssü
Pickel : Ihr Fülanzer, ass'r sin ! Das sin alles die arme
Arweiter, wu z'morge am zwei noch in de Wirtshiser umefahre!
Hochziter : Schia-n'm doch eins uff's Dach.
Friedrich : Aber nur die Ruhe, gan's machen immer
gemietüch.
I. Hochzeitsgast : Putz doch dam Schwed eine !
Borax : Allez, handle doch nit ! S' isch jo nit bös
g'meint gsi !
Frau Pickel (geht mit erhobenem Schirm los) : So Lunipepack !
Ihr thate liawer dr Hüszins zahle ! (will schlagen — Pickel reisst
sie zurück).
Hochzittere: Was?! Lumpepack?! Wart i gib dr Lumpe-
pack, du alte Hax ! (will auf sie los, ihr Mann hält sie zurüch).
Peter (schreit): Achtung! D' Schucker ! (Zwei Schutzleute
erscheinen, mit Mantel umgehängt, langsamen Schrittes und der eine ergreift
den Hochziter und der andere Pickel am Kragen).
— 31
Hochziter : Lehn mi geh! Se han mit uns ag' fange!
Frau Pickel : Alte Hax, hat se g'sait :
I. Schutzmann (zum Hochziter) : Wollt ihr wohl ruhig |
sein ! Was fällt euch denn ein, mitten in der Nacht so ein *
Skandal zu verführen!
Hochziter : Ihr han mir gar nix z'sage ! Verstände !
I. Schutzmann : Ruhig sage isch, sonst bringen wir sie
zur Wache !
Hochziter : Sal isch bigüscht nit wohr ! (wehrt sich).
I. Schutzmann : Los ! Mit zur Wache ! (führt den sich
"Wehrenden ab — zu seinem Kollegen) : Sie, Kollege, stellen sie mal
die Personalien der andern fest !
Hochziter (im Abgehen) : Das isch mr a natta Hochzitts-
nacht. Adie Philippine I (zu Tissi) Tissi, gib mr acht uff mi Frau!
Tissi : S'wird b' sorgt !
H. Schutzmann (zu Pickel) : Ich muss ihren Namen fest-
stellen. Wie heissen Sie ?
Borax : Aber Herr Schutzmann ! Lassen sie doch den
Herrn
Schutzmann : Halten sie s' Maul ! (zu Pickel) : Wie
heissen sie ?
Pickel : Oh ! Ich brüch mich nit z' schäme. Ich bi dr
Bauunternehmer Pickel, mich kennt jeder. Ich bi Candidat fir in
dr G'meinrot.
Maurer : Ach du guter Himmel, das ist der Herr Pickel,
das ist ja mein Onkel, den ich überall suche ! (in dem Augenblick
wirft Peter dem Schutzmann das Plakat „Übungswagen" an den Kopf.
Maurer will eben auf Pickel zu stürzen und befindet sich hinter dem
Schutzmann).
H. Schutzmann: Zum Donnerwetter! Wer war das?!
Borax (auf Maurer zeigend) : Do, da do isch's gsi !
Schutzmann (stürzt auf Maurer) : Sie unverschämter Lümmel!
Das sollen sie mir Süssen ! Sie sind verhaftet !
Maurer (stammelt) : Aber verzeihen sie, ich . . .
Schutzmann : Maul halten ! (führt in ab).
Borax : Ouf !
n. Streikposten : So jetz brüche mr dr ewe kei Logie
süeche !
(Vorhang fällt)
— 32 —
III. AKT
Personen -Verzeichnis
Herr Pickel,
Frau Pickel
Germaine
Friedrich
Direktor Henri
Stadtrat Fuchs
Stadtrat Negre
Stadtrat Ruri
Stadtrat Kolb
Stadtrat Baumeister
Commissionsmitghed Schrumm
1. Schauspieler
2. Schauspieler
3. Schauspieler
Heldentenor
1. Kapellmeister
1. Theaterarbeiter
Feuerwehrsergant
Regisseur
Sängerin
Theaterdiener
Schauspieler, Schauspielerinnen, Balleteusen, Theater-
arbeiter
Polizeikommissar
33 -
in. AKT
Die Bühne stellt die Theaterbühne von rückwärts gesehen dar. Den
Hintergrund bildet der Vorhang mit Guckloch. Die Dekoration stellt einen
Garten von rückwärts gesehen vor. Beim Hochziehen des Vorhanges, geht
hinten der Vorhang (Hintergrund) herunter. Man sieht in den Zwischenraum
eines Theaters hinein. Kapellmeister Hess am Dirigentenpult wird gesehen.
Auf der Bühne ist ein Schauspieler (Heldentenor), der sich beim Sengen des
Vorhangs (Hintergrund) verbeugt. Sobald der Vorhang drunten ist, gestikuliert
er heftig. Ein Garderobier wirft ihm einen bereitgehaltenen Mantel über.
Man hört starkes Beifallklatschen. Aus den Coulissen hört man den
Regisseur rufen.
Regisseur (hinter den Coulissen) : Vorhang hoch ! Vorhang
hoch !
Heldentenor (aufgeregt) : Auf keinen Fall ! Der Vorhang
muss drunten bleiben ! Ich geh nicht mehr raus !
Direktor (schmeichelnd): Aber, ich bitte, Herr Heldentenor
das Publikum will sie sehen, hören sie doch den Applaus
Vorhang hoch !
Heldentenor : Zum Teufel noch mal, — lassen sie den
Vorhang drunten, sonst verlasse ich die Bühne ! Die Bauern
können mir gestohlen werden ! Was wissen denn die Leute
von Kunst ?
Direktor : Was ist denn schon wieder los ?
Heldentenor : Das sind meine Sachen, Herr Direktor,
und damit basta!
Direktor : Also Schluss ! Bühnenwechel ! Etwas fix !
Regisseur : Schnell, schnell ! Wir haben keine Zeit —
nicht so bummeln ! (Von sämtlichen Theaterarbeitern arbeitet wirklich
nur einer, die andern stehen herum).
(Es kommen von links herein, zwei Stadträte, Mitglieder der Theater-
kommission, bekannte Gesichter. Beide gehen direkt an das Guckloch im
Hintergrund und tuscheln zusammen.
Direktor (geht auf beide zu) : Guten Abend, meine Herren !
Welch' hohe Ehre sie uns erweisen ! (gibt beiden die Hand).
Stadtrat Fuchs (grosser Lockenkopf, schwarzer Schnurrbart,
circa 36 Jahre alt, grosser schwarzer Schlapphut, immer Hände in den
Taschen — blinzelt dem Direktor zu) : Ar iscll do ! (beide gehen wieder
an's Gucklocli und sehen nach der Bürgermeisterloge).
Stadtrat Negre : Isch'r do ?
34 —
Fuchs : Ar isch do, — do kasch ne g'sah !
Schauspieler und Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Statisten sind
herausgekommen und treiben allerlei Unsinn).
Fuchs (zum Direktor) : A propos, Herr Diracter, d' Fräulein
Lieblich hat sich bi mir entschuldigt, se ka net ku hite.
Direktor : Aber das ist doch sehr unangenehm, jetzt im
letzen Augenblick !
Fuchs : Se hat mr's geschtert scho g'sait, awer ich ha's
vergas se !
Direktor : Eigentlich sollen sich die Schauspieler an
mich wenden !
Fuchs: Das isch grad so güet, wenn se's mir sage, fir
was bin i in dr Theaterkommission?
Direktor: Allerdings, Herr Stadtrat! Es war ja nicht so
gemeint !
Regisseur (zu den Theaterarbeitern) : Schnell, schnell ! Was
fällt Euch denn ein ? Ihr seid doch nicht hier zum Faulenzen !
Negre (zum Regisseur) : Herr Regisseur, ihr mien die
Arweiter net so aschreie, se sin so guet vu dr Stadt ag'stellt
ass ihr, un a Arweiter isch o ne Mensch ! (Regisseur rauft sich
die Haare).
Negre (zum I. Stadtarbeiter — gibt ihm die Hand): Ihr brüche-n-i
nit g'falle lo, sage nur mir's (zum II. Theaterarbeiter, ihm ebenfalls die
Hand gebend) Salü Schaki ! Was hat's geschtert z' Nacht neis ga
in dr Fraction !
II. Theaterarbeiter : Net viel, awer de derftigsch o wieder
emol ane ku, bsunders jetz, vor dr Wahl !
Regisseur (aufgeregt zum Direktor) : Wir werden nicht fertig!
(Direktor zuckt die Achseln und geht weg).
Regisseur: Nun, mir soll's recht sein!
(Drei Schauspieler stehen beisammen).
I. Schauspieler : Nee, mein Lieber ! Da bin ich nun gar
nicht verlegen. Ich krieg mit jeder Post Kontrakte zugeschickt.
Momentan stehe ich in Unterhandlung mit München. Die wollen
nich um jeden Preis dort haben. Was ich nach Mülhausen
rage — ich will ja gar nicht hier bleiben. Ich kriege Engagement
n jeder Grosstadt !
II. Schauspieler: Es ist auch ein trauriges Nest, das
Vlülhausen, und ich bin froh, wenn ich mir wieder den Staub
/on den Sohlen schütteln kann !
III. Schauspieler: Na wissen si, hier, und so was von
inem Publikum, nicht ein Vota von Kunstverständnis. Zum
jrossen Glück haben wir eine Theaterkommission !
35 -
I. Schauspieler: Ah pardon! Da sehe ich gerade, dass
mich der Herr DireI<lor wünscht ! (geht auf den Direktor zu, während
die andern zwei weitersprechen — zum Direktor) : Acil Verzeihung,
Herr Direktor ! Dürfte ich mir gestatten, mich wegen dem
Reengagement zu erl<undigen. Ich wäre ihnen wirklich von
ganzem Herzen dankbar, wenn sie mich für die nächste Saison
prolongieren wollten, ich hab mich in Mülhausen jetzt schon
so eingelebt, dass mir Mülhausen zur zweiten Heimat geworden
ist und es wäre ein schwerer Schlag für mich, wenn ich jetzt
wieder von Mülhausen fortmüsste.
Direktor : Meine Unterstützung haben sie, mein Lieber,
aber sie wissen, dass es nicht allein von mir abhängt. Ich kann
ihnen leider keine zu grossen Hoffnungen machen. (I- Schauspieler
verbeugt sich und geht zurück zu den zwei anderen Schauspielern. — Direktor
zu den beiden Stadträten sich wendend) Nun, meine Herren ! Wie hat
ihnen der zweite Akt gefallen ?
Fuchs : S'isch nit b'sunders gsi, das Lied i weiss
nimmig wie ihrs heisse, wu ar un sie mitanandersinge !
Direktor : Ah, sie meinen wohl das Liebesduett ?
Fuchs : Natürlich, das Liebesduett ! Eh bien, sie hat viel
stärker und viel höcher g'sunge wie ar !
Direktor : Ja, das weiss ich. Sie hat eben die Melodie
zu singen und er hat die Begleitung !
Fuchs : Ja, das weiss ich. Ar müess awer doch stärker
singe — wenn mr so güet bezahlt isch wie ar, so derf mr O'
stark singe !
Negre : Un dare dicke Tanzere isch a Wade aweg'rutscht.
Ich will in dr nachschte Commissionssitzung proposiere, ass die
Wade vum a Gmeinrotsmitglied no-g'lüegt warde, vor ebb
d' Vorstellung afangt, ass a so Sache nimmig vorkumme !
Fuchs : Un dr Bariton isch gar net uff d' grosse Zeh
kumme !
Direktor ; Sie meinen doch das hohe C.
Fuchs : Ja, natirlig das höh C !
Direktor : Das war nicht der Bariton, sondern der Tenor.
Fuchs : Das blibt sich doch egal — Bariton oder Tenor!
Direktor : Sie sind ein schlauer ! (geht weg).
I. Schauspieler (zu den Kollegen) : Nee. fällt mir ja gar
nicht ein ! Der Direktor meint, er muss es durchsetzen — er
will mich mit aller Gewalt für die nächste Saison wieder haben.
Er hat mir eben eine höhere Gage angeboten, aber ich habe
ihm gesagt, dass ich unter keinen Umständen mehr bleibe !
- 36
Sängerin (kommt erregt herausgestürzt auf den Direktor zu) : Die
Rolle der Amelia will ich unter allen Umständen spielen, ich
bestehe darauf, das ist mein Fach, dafür bin ich doch engagiert,
ich habe es doch kontrakth'ch ! Wie kommt man dazu, mir die
Rolle einer andern zu geben ?
Direktor : Na ja, sind sie doch blos ruhig !
Fuchs : Eh bien, Herr Dirakter, gan doch dam Maidle
die Rolle, was ka das eich mache, s' isch jo egal wer die
Rolle spielt !
Direktor : Na ja, sie sollen die Rolle haben !
Sängerin : Besten Dank, Herr Stadtrat, für ihre geistige
' Fürsprache.
Fuchs : S'isch garn g'schah ! (spricht weiter mit ihr).
I. Kapellmeister (kommt sehr aufgeregt hereingestürzt, mit Takt-
stock in den Händen, bayrischen Dialekt sprechend) : Des holt i net
aus ! 1 loss ma net von jed'm Schusta in d'Musik einired'n !
(erblickt die beiden Stadträte und den Direkter j Grüess Goot, die Herr'n
Kommissionsmitglieda ! Gut'n Abend, Herr Direkta !
Negre : Ihr schreie jo, ass wenn ihr im Hofbraühüs in
Münche wäre !
I. Kapelmeister : Na ja, s' isch doch a woar, i hob
g'mant da Schlag trifft mi !
Negre: Was fir ein, dr Wertenschlag?
I. Kapellmeister: Na, so hab i mi g'ärgert. Kimmt da
so'n Metzgameista un will ma was verzähl' n üba den
Kontrapunkt !
Negre : Da seil Groschewirschtle verkaufe !
I. Kapellmeister : Kaum is der fürt, so kumm'n zwa
so junge Fratz'n und woll'n m'r vormach'n wia ma den Wagna
dirigiert? Jetz frag i sie, meine Herr'n von der Theatakommission,
sie, die sie doch Kunstverständige san, die sie doch ganz
speziell in die Theatakommission g'wählt word'n san, weil sie
Musik-kenna san — ich frag nun sie, ob ma da eina was vor-
mach'n kann ?
Fuchs : Nai, eich ka keiner nix vormache, se könne eich
höchschtens nomache !
I. Kapellmeister (immer feuriger werdend) : So'n Wagna,
seh'n sie, der v/i',1 nit nur diriigert, sondern der will auch ver-
stände und empfund'n werd'n. (Fängt an zu gestiguHeren.) 1 sag, i
lass mei Leb'n für so'ne Musik, was ma da alTs heraushol'n
kann. Da sprudelt's blos so voll stürmischa Leid'nschaft.
Denk'n sie blos, di schöni Passage aus Siegfried (fängt an das
Lied zu singen und auf seine bekannte Art in der Luft herumzufuchteln).
37 —
Negre : Was inr hitigstags net fir a Wase macht mit dam
Wagner. Was hat ar denn so b'sunders g'macht — — — da
Wagner? Wage dam „Mignon" wu ar g'macht hat, was isch
denn do b'sunders dra ?
I. Kapellmeister : Owa, Mignon hat doch Wagna gar
nit g'macht, das is ja vom Thomas und gar nit vom Wagna !
Negre : Eh jo, do ha mr's jo, net emol Mignon hat ar
mache könne !
I. Kapellmeister ! Heiliga Bimbam ! (läuft wejj, bleibt bei
einer Sängerin stehen. — Während der ganzen Scene war viel Kommen und
Gehen von Schauspielern. Tänzerinnen stehen an den Coulissen. Die beiden
Stadträte sehen den Balleteusen zu, wie dieselben die Beine schwingen.
Feuerwehrsergeant (zu den zwei Stadträten) : Gehn net so
noch, ihr Herre, wie g'schnall könnte ihr Für fange !
Negre : Sin ihr wieder jaloux ?
(Kommissionsrat Schrumm kommt von links herein. Alle machen Knixe,
auch der Direktor.
Fuchs : Ah, lüeg do ! Salut Schrumm !
Schrumm: Salut! Hocke-n-ihr denn scho wieder d'owe ?
N^gre : S'isch fascht so luschtig, ass im G'meinrot !
I. Schauspieler (geht auf Schrumm zu) : Ich habe die Ehre,
Herr Kommissionsrat, ich muss ihnen noch meinen verbindlichsten
Dank abstatten, für das ....
Schrumm (unterbrechend) : S' isch scho güet, mache nur
kei so Manöver !
II. Schauspieler (zu Schrumm) : Das war ausserordentlich
liebenswürdig von ihnen ....
Schrumm : Jo, rede net drvu, s'isch jo net drwart! (geht
auf Negre und Fuchs zu) : A propos, Genosse, was meine Ihr zu
dam Vorschlag, ich will in dr nachschte Commissionssitzung
vorschlage, ass mr dr Benefice wu vum Theater abfallt das Johr
im Pfrundhüs un sunscht in a paar güete Warke losst züekumme.
N^gre : Meinsch do wird's Stücker ga ! (Schrumm, Negre
und Fuciis und Balleteuse bilden eine Gruppe und lachen miteinander.
Direktor, Kapellmeister und Schauspieler bilden eine separate Gruppe).
11. Schauspieler (zum Direktor): Herr Direktor, das kann
ich mir auf keinen Fall gefallen lassen, wie kommt man denn
dazu, mir so ohne weiteres 50 Pfennig .von meiner Gage
abzuziehen ?
Direktor : Ja, ich weiss absolut nicht um was es sich
handelt, ich weiss nur, dass sie gemeldet worden sind.
II. Schauspieler : Ja natürlich, kann mir ja denken,
woher das kommt, aber ich kann sie versichern, dass es dies
- 38
mal nicht so glatt durchgehen wird, ich weiss schon, an wen
ich mich zu wenden habe ! (Geht auf die andere Gruppe zu)
Schrumm (kurzsichtig) : Ah, sahit Genosse ! (sieht ihn
genauer an) Ah, was git's neis ?
II. Schauspieler: Ach, verzeihen die Herren, wenn icii
sie störe ! Kann ich einen Augenblici< Herrn Stadtrat Fuchs
sprechen ? (Stadtrat Fuchs geht mit ihm zur Seite.)
Schrumm (zu den andern) : Was will jetz da Dissi ?
A propos, s'kunnt noch a Visite, dr Ruri un d'andre wann o a
mol ku lüege do hinte, se warde gli kumme.
Fuchs (zum II. Schauspieler): Fufzig Pfennig? S'isch doch
nix drvu g'redt worde in dr Commissionssitzung. Enfin s'wird
rangiert warde. Wenn'r wieder ebbis han, so wände- n-i nur
an mich !
II. Schauspieler: Besten Dank, Herr Stadtrat! (geht zwei
Schritte weg und kommt wieder) Was ich noch sagen wollte (spricht
Iei:e zu Fuchs indem er verschiedene Alale auf seine Schuhe zeigt. Dann
geht er wieder zu seiner Gruppe und Fuchs zu Negre und Schrumm. — Es
kommen von links verschiedene Gememderatsmitglieder.)
Schrumm : Was han-i g'sait, do sin se scho !
Stadtrat Ruri (zu zwei mit ihm gekommenen Stadträten): Lüege
a mol s' Theater jetz a, un wie's friejer g'si isch !
Stadtrat Kolb (älterer Herr mit weissem Haar und starkem weissen
Schnurrbart) : Danke awer o ne mol, was das alles koschte hat !
Ruri: Ach was, mr ka nie genüe mache fir's Volk
z' bilde! S' Theater isch e Bildungsinstitut. Ich verlang absolut,
ass unsere Arweiter o ihre geischtige Nahrung bikumme !
Kolb : Vu eirem Standpunkt, als Wirt, han ihr ganz
rächt, v/enn ihr sage, d'Arweiter seile geischtige Nahrung züe si
namme. ich find, ass se scho z' viel geischtige Nahrung
bekumme, wenn ihr d' Statistik vum Absinthe, Schnaps usw.
alüege, so warde-n'r finde, ass 's de Arweiter an geischtiger
Nahrung net fahle thüet.
Stadtrat Baumeister (Klerikal) : Viellicht hat dr Herr
Ruri geischtlige Nahrung welle sage,
Ruri : Nai, nai, ich mein eifach, ass d'Arweiter meh in's
Theater geh sötte.
Kolb : Arweiter, un allewi! nur d'Arweiter — s' isch jetz
genüe fir d'Arweiter g'macht worde, jetz seil o nemol d'Bourgeoisie
dra kumme !
Ruri : Voilä, do ha-mr's wieder, nix fir d'Arweiter, das
glicht i !
Kolb: Do keit mr a Vermöge in's Theater inne — d'Lit
han friejer o kei Theater g'ha un sin grad so glicklig gsi !
- 39 —
Ruri : S' Theater isch a Kulturfactor. Was verstehn denn
ihr iwerhaup, vu de höchere Volksbedürfnisse ? (geht murmelnd
zu seinen Kollegen Schrumm, Fuchs und Negre und spricht mit ihnen) Eh do,
d' Fawrikante, d' Sparer, was wisse denn die vom Volk bilde?
Schrumm : Reg' dl net uf, Ruri, steck mr's mit dim Volk
bilde a mol uff, vum lüder bilde wird's nur ibilde !
Direktor (auf Kolb und Baumeister zukommend) : Diese Ehre,
meine Herren, es freut mich ungemein, sie hier begrüssen zu
können, und wird es mir ein Vergnügen sein, ihnen jedes
wünschenswerte zu zeigen und die nötige Aufklärung zu geben.
(Eben bringen zwei Arbeiter eine fungierte Marmorbank auf die Bühne.)
Kolb : Wie kommt's, dass sie so taire Bank hier hawe ?
A billigere hätt's auch getan.
Direktor (lacht): Aber Herr Stadtrat, es ist ja eine hölzerne
Bank und der Marmor ist blos gemalt.
Kolb : Immer spare. (Zwei Balleteusen gehen vorüber) Sehen
sie, die Mädels könnte sich auch lange Kleider mache, aber die
spare. (Alle lachen.)
Direktor : Nun ja, die verdienen auch nicht viel.
I. Balleteuse (zur Kollegin) : Du, das war sein Papa !
(Die Theaterarbeiter haben eben eine Statue aufgestellt, die Kolb von
vorne sieht.)
Kolb (erschrickt) : Was, schon wieder ein Monument ?
Baumeister : S' isch jo nur vu Holz I
Kolb: ich wott das uff'm Rothüs war o nur vu Holz!
(auf den Schnürboden zeigend) Und was ist das da droben, WO
dort hängt ?
Direktor : Das sind die Dekorationen, die Hintergründe,
Coulissen usw.
Kolb : So viel Zeig, di haiwi wäre mir auch genug
gewese, da wird Geld hinausgeworfen. Sie müsse mehr spare,
mehr spare, Herr Direktor ! (Inzwischen ist der Heldentenor wieder
auf die Bühne gekommen und spaziert allein umher) Wer ist das ?
Direktor : Das ist der Heldentenor.
Kolb : Sehr schön angezogen. Was verdient er !
Direktor: 12 000 Mark.
Kolb: 12 000 Mark! Ich kenne Leit, die thäte's um's
halwe mache, was der macht ! (Inzwischen kommt Ruri auf die Ver-
senkung zu stehen) Herr Direktor, sie müssen mehr sparen, das ist
alles viel zu hoch ! Sie müssen mehr herunter, mehr herunter !
(Die Versenkung geht mit Ruri herunter)
Ruri (schreit) : Z' hilf !
- 40 —
Direktor (springt herzu und ruft nach dem Keller) : Halt ! Was
macht ihr denn da unten ?
Stimme von unten : Sie haben ja gerufen, herunter !
Direktor : Wieder rauf . . . ! (Versenkung kommt mit Ruri
wieder herauf.)
Ruri : Hasch g'sali, wie mr awekumme ka !
Schrumm : Du bisch halt nit uff dr Höche !
Kolb : Sehen sie, Herr Direktor, das gefällt mir !
Regisseur (schreit) : Seid ihr denn noch nicht fertig ? !
Das dauert ja ne Ewigkeit, so ne Lodderei ! (zu den Umstehenden)
Bitte die Herrschaften etwas zurücktreten zu wollen. (Alles tritt
etwas zurück.)
Tiieaterdiener (kommt herein auf den Direktor zu) : Herr
Dirakter, do sin Lit, wu absolut inne wann. S' isch a Herr drbi,
ar hat ebbis g'redt vu O'meinrotsmitglied oder Candidat un
so Dings.
Direktor : Die haben hier gar nichts zu schaffen ! Wo
sind denn diese Leute ?
(Pickel, Frau Pickel, Germaine und Friedrich kommen hereingelaufen.)
Theaterdiener : Do sin se scho !
Frau Pickel (zu Stadtrat Fuchs) : Sin ihr dr Herr Diracter,
oder sin ihr Meischter do inna ?
Fuchs : Dr Dirakter bin i net, awer . . .
Theaterdiener : Dr Herr Diracter isch dert ! (zeigt mit
dem Finger auf den Direktor. Frau Pickel stürzt auf den Direktor zu.)
Direktor : Was v/ünschen sie ?
Frau Pickel : Eh do ha mr vier Kartle g'numme fir in's
Theater. Ich ha noch exprass dam g'sait, in sin're Kischte an
dr Thire, ar seil is güete Platz ga. Ar hat g'sait, sseige
d'beschte wu se iian, un jetzt sitze mr dert owe im II. Stock
am e Ecke un wisse-n'r was mr sahn, fir unser schöne Gald
— a Drack sah mr. Mr lüege alle viere an d'Müre. Mr han
unser Gald o nit g'stohle. Un grad noch hit, wu mr d' Visite
han, vu unserem züekünftige Tochtermann . . . . !
Direktor (unterbricht): Aber meine Herrschaften, wie können
sie nur ohne Weiteres auf die Bühne kommen ? Das ist sehr
streng verboten !
Frau Pickel : Bah, Bah ! Oan is bessere Platz, oder
s' Gald üse !
Direktor : Sie müssen an der Kasse reklamieren.
Pickel (sich in die Brust werfend) : Herr Direktor, ich mache
sie druf ufmerksam, ass ich Candidat bi fir in dr nachschte
G'meinrot un jedefall in kurzer Zit Stadtrat wird si — Conseiller
municipal — un do dank i, Herr Diracter, ass se ihrem züe-
kinftige Chef mit ebbis meh Rucksicht entgegekumme könnte.
Denn als züekinftig G'meinrotsmitglied bin ich doch so —
quasi — ihr Chef !
Friedrich : Na ja, es ist doch auch wahr, mir hab'n ja
gar nichts gesäh'n !
Frau Pickel : Briale ne numme ne bitzi a !
Direktor : Es is mir ja äusserst peinlich, sie müssen
schon entschuldigen I
Pickel : ich ka natirlig jetz net im Augeblick verlange,
SS ihr da Ecke awag mache seile, awer das ka-n-ich eich sage,
wenn ich emol im O'meinrot bi, do mien die viele Ecke un
Kante wu im Theater sin awag (langsam) un s' wird noch a
mangs do verändert warde! (Während dem hat Friedrich versucht
Gerniaine den Hof zu machen und ist auf heftigen Widerstand gestossen,
indem sie nichts von ihm wissen will.)
Friedrich : Aber Germaine ! Ihr Papa wiil's ja haben.
Warum sind sie denn so spröde?- Wir könnten doch ganz
glücklich werden zusammen !
Germaine : Für sie bin ich erstens noch immer Fräulein
Pickel und dann tun sie m.ir den einzigen Gefallen und lassen
sie mir meine Ruhe, wenn mein Vater sie absolut haben will, so
soll er sie heiraten, ich will sie nicht !
Friedrich : Nun ja, Fräulein Pickel, das wird sich schon
noch machen.
Germaine : Nun ja, wenn sie es nicht eilig haben.
Friedrich : Na, eilig hab ich's nicht, ich kann schon
warten. (Geht zu den Balleteusen und fasst sie an.)
(Poiizeii<ommissar kommt herein, wird vom Direktor begriisst und
spricht leise mit ihm. Plötzlich bemerkt er den Feuerwehrposten, stürzt auf
diesen zu, welcher stramm steht, betrachtet die Knöpfe an dessen Rock, zieht
ein Messer aus der Tasche und schneidet, ohne ein Wort zu sprechen,
sämtliche Knöpfe ab und geht wieder zum Direktor. Pickel und Frau und
Tochter gehen auf der Bühne spazieren und benehmen sich auffallend.)
II. Schauspieler (geht auf Pickel zu und verbeugt sich sehr tief) :
Habe die Ehre, sehr geschmeichelt sie hier begrüssen zu dürfen
und möchte ich mich ergebenst ihrem Wohlwollen empfehlen.
Pickel: Ja, sicher. Rauche ihr Cigarre ? (gibt ihm eine
Zigarre.)
IL Schauspieler: Besten Dank! Ich selbst rauche zwar
nicht, aber, ich weiss die Ehre zu schätzen. Darf ich mich viel-
leicht erkundigen, ob sie der vorgestrigen Vorstellung beigewohnt
haben ? Haben sie mich gesehen als Rinaldini ? War das eine
Prachtleistuno- oder nicht ?
— 42 —
Pickel : Ich ha s nie scheener g'sah ! (für sich) Ich bi
mim Labtag net im Theater g'si (geht weiter).
11. Schauspieler (zum F. Theaterarbeiter) : Wer ist denn
das eigentlich ?
I. Theaterarbeiter : Das isch a Mürermeischter !
II. Schauspieler (enttäuscht) .- Ach so, ich dachte das
wäre ein Theaterkritiker.
Pickel (zu den Theaterarbeitern): Flissig ! FlissJg!?
I. Theaterarbeiter: Ja, ja, a wenig!
Pickel : Was isch, sin ihr z' friede sunscht, verdiene
ihr genüe?
I. Theaterarbeiter: Mr könnt allewil noch meh verdiene.
Pickel ; Eh bien, warte nur bis ich im G'meinrot bin
berschte was ich mach isch, fir eich Theaterarweiter i-z'tratte
un z sorge, ass ihr meh Lohn bikumme. Drumm vergasse net
mich z'wähle, s'isch in eirem Intrasse. — Ihr kenne mich jo !
Theaterarweiter : Ja, ja !
Pickel: Pickel isch mi Name! Raüche-n'r a güete Cigarre'
(offeriert Zigarren) Namme numme !
Frau Pickel : Eine war o genüe !
Friedrich (zur Balleteuse) : Aber bestimmt um 1/2 6 Uhr !
Balleteuse: Ja natüHich ! Wenn ich bis um 10 Uhr
nicht dort bin, dann können sie ruhig nach Hause gehen !
(f^riedrich will sich auf eine gemalte Bank setzen und fällt auf
den Boden.)
I. Theaterarbeiter: Ich ha dam Lappi scho lano-
zueg lüegt! ^
Friedrich : Ich hab sie nämlich gement des ist a Stuhl !
(Gelächter bei allen Anwesenden)
Regisseur (gibt das erste Klingelzeichen) : Meine Herrschaften
wir fangen gleich an, bitte die Bühne zu räumen !
(Stadtrat Fuchs und Negre kommen wieder herein.)
Fuchs (zum Direktor) : Ihr könne afange !
Direktor : Anfangen !
Regisseur (klingelt): Bühne frei ! (Alle stürzen hinter die Coulissen
Der Vorhang - Hintergrund - geht in die Höhe. Man sieht den I. Kapell-
meister und hört Musik. Heldentenor kommt majestätisch auf die Bühne
den Rucken gegen das Publikum gewendet.)
Vorhang fällt
43 —
IV. A K T
Personen -Verzeichnis
Pickel
Frau Pickel
Friedrich
Maurer
Vorsitzender
Polizeikomissar
Genosse Pfälzer
Genosse Roth
Genosse Schrumm
A alter Arweiter
Herr Wurm
Tissi
Peter
Genosse Ruri
Borax
I. Sreikposten
I. Schutzmann
Kellnerin
Zwei Beisitzende des Bureaux
Ein Schutzmann
45
IV. AKT
Die Bühne stellt genau das Innere des Thaliatheaters vor und zwar
folgendermassen :
Es stellt eine Wahlversammlung dar, vom Podium der Bühne aus nach
dem Saal gesehen. Im Vordergrund links, den Rücken halb gegen das
Publikum, nach dem Hintergrund schauend, sitzt an einem Tisch ein Polizei-
kommissar, auf dem Tisch liegt sein Helm. Ihm gegenüber, an einem
andern Tische befindet sich das Bureau aus drei Herren bestehend. Es
spricht nur der Vorsitzende. Im Hintergrunde sitzen dicht gedrängt die der
Versammlung beiwohnenden Wähler und auch einige Frauen. In der Höhe
befindet sich, wie im Thalia, eine Gallerie, die ebenfalls dicht gedrängt besetzt
ist und zwar ausschliesslish mit Arbeitern. Unten, in der ersten Reihe, sitzen
bekannte Personen. Darunter, zusammen an einem Tische, einige sozial-
demokratische Mitglieder des Oemeinderats. An einem anderen Tisciie,
Mitglieder der Gegenpartei. An einem besonderen Tische sitzen Herr und
Frau Pickel, Germaine und Friedrich. Oben auf der Gallerie machen sich
Tissi und Peter bemerkbar. Beim Aufgehen des Vorhanges steht Genosse
Schrumm auf der Bühne, den Rücken halb dem Publikum zugekehrt und
spricht zu den Wählern. Das Publikum sitzt tiefer als der Sprecher und
das Wahlbureau.
Schrumm : Genosse ! (Alles klatscht) Also ihr Arweiter un
Genosse, ich ha n'eich jetz in minre Red bewiese, was ihr eigentlig
vu dare Kuttelmuttelpartei z'erwarte han. Wenn die Herre üse-
kumrne, drno kenne n'r i uf dr Buch schlage, drno kenne n'r
d'ceinture feschter aziege un s' Mül züemache, ass dr Mage
meint, s'seig Nacht ! ! Wenn dr schwarz Fahne wieder seil
uff m G'meinhüs weihe, so kenne ihr o dr schwarz Fahne uff m
Kochhafe uffpflanze ! ! ! Fimf Sitz wann se n' is ga ! Ich
seh . . . ank e ne die fimf Platz ! Also, ihr Wähler, ihr wisse
jetz fir wer ass ihr z'wähle han !
Peter : Nai, fir wer ?
Schrumm : Stimme n'alle fir d'Arweiterkandidate, keiner
seil an dr Urne fahle ! Zeige ass ihr rächte Milhüser sin, wu
s'Milhüserredle uff dr Bruscht un net hinte han wie d'Milhüser
Spretzwage ! Ich will jetz halte, fir wenn viellicht ein vu de
n'andre do war, wu dr Courage hätt, do uffe z'kumme? Viel-
licht isch dr Bonaparte salwer do ? Ich glaübs zwar nit, denn
die Herre traue nur im Central z rede, wu se nieme stört ! ! !
(Langdauernder starker Beifall.)
Vorsitzender : Ich glaub, ass ich im Sinn vu dr ganze
Versammlung redt, wenn ich jetz im Referant dr Dank vu uns
46 —
alle ussprich fir sine üsfiehrlige Üsenandersetzung vu unserem
Programm un d' Vorteil, wu ne jeder hat fir uffs G'meinhüs
z schicke, un erteil jetz s'Wort im Genosse Pfälzer üs Nürnberg.
Pfälzer : Arbeiter und Genossen ! Gestatten sie mir
zunächt, dass ich mich vorstelle! Mein Name ist Pfälzer aus
Nürnberg. — Es wird euch wohl wundern, dass ich nicht von
Mülhausen bin !
Peter (von oben) : Net im G"ringschte !
Pfälzer (fortfahrend) : Ich meine, dass ich nicht von
Mulhausen bin und doch dieser Versammlung beiwohne Das
kommt daher, weil ich von der Partei dazu erwählt wurde der
Morgen hier stattfindenden Gemeinderatswahl, durch meine
Beredtsamkeit, sowie durch meine, in dieser Beziehung reichen
Erfahrungen und Kenntnisse, den Kandidaten unserer Partei zum
Siege zu verhelfen. Es ist wahr, ich bin nicht von Mülhausen,
aber ....
Tissi (unterbrechend, zum Vortitzenden): Excuce, awer ich wott
nur froge, ebb mr bi dam o klatsche müess, wenn ar ferlio-
isch . . . . ? ^
Vorsitzender: Rüehig, un net unterbroche !
Pfälzer (fährt fort) : Aber, ich bin nicht abgeneigt, meinen
standigen Wohnsitz, zum Wohle der hiesigen Arbeitsbevölkerung,
hierher zu verlegen ....
Peter : S'kunnt uff ein meh oder wenig o net a !
Pfälzer (fortfahrend) : Zu der uns bevorstehenden Wahl,
Tissi : Ar sait scho: Uns.
Pfälzer (fortfahrend) : haben wir eine Reihe von hiesigen
Männern, die das Vertrauen unserer Partei geniessen, als Kan-
didaten aufgestellt. Wir müssen Männer haben, deren wir sicher
sind, und die auch einigermassen die Interessen der Stadt
Mulhausen vertreten können. Diese Männer haben wir gefunden
und stehen dieselben auf unserer Liste. Das Programm haben
wir bereits klar und deutlich dargelegt und haben unsere
Kandidaten dasselbe unterschrieben, das heisst, sie werden stets
für die Interessen der Partei, die ja selbstverständlich die Interessen
der Arbeiter sind, eintreten ! Ich werde mir später im Schluss-
wort noch erlauben, ihnen genaue Verhaltungsmassregeln zur
morgigen Wahl zu geben und einstweilen unseren Gegnern
Gelegenheit bieten, das Wort zu ergreifen. Also Arbeiter und
Genossen ! Lasst Euch in letzter Stunde nicht durch irgend ein
Wahlmanöver irre führen und tretet alle, wie ein Mann, an die
Urne, mit der ganzen Liste unserer Partei! (Es folgt Bravo, Bravo,
Händeklatschen, Bravo.)
Peter : Da müess üse !
Tissi : Wu üse ?
Peter : Üs Milliüse !
Tissi : Mi Frind Peter hat's Wort verlangt !
Peter : Ich ? Ich glaub du bisch verruckt, ich ka doch
net reda !
Vorsitzender : Wer isch das ?
Tissi : Dr Peter ! Ar frogt eb ar awe ku sott ?
Vorsitzender : S' wird vu dert o geh, ar sott nur vu
dert owe rede !
Peter : Du bisch jo g'schittelt !
Vorsitzender ! Allez, geht's los ?
Peter : Ich weiss nix z'rede !
Tissi : Ich blos dr's i — stand uf — allez fang a ! (blässt
ihm ein) Genosse !
Peter (wiederholt): Genosse!
Tissi : Wie ihr leider sahn,
Peter (nachsagend) : Wenn ihr heiter sahn,
Tissi : S'sin nit alle G'nosse erschiene,
Peter: S'sin net alle g'schosse do inne!
Tissi : S'isch zwar z'bedüre,
Peter : S'sin zwar kä Bure,
Tissi : Doch soll mr bedanke,
Peter : Doch soll mr se hanke,
Tissi : Ass d'meischte schaffe,
Peter : S'sin meischtens Affe,
Tissi : So ka mr versteh
Peter : So solle se geh,
Tissi : Ass se mied gsi sin-
Peter : Ass se vu Riedese sin. (zum Mathis) Git's noch viel?
Tissi : Awer mien nit verschrecke,
Peter : Awer die dert im Ecke,
Tissi : Mit me frohe Müet,
Peter : Mit me hoche Hüet,
Tissi : Un neier Kraft,
Peter : Wu niene schafft,
Tissi: So ha mr bol s'richtige tröffe.
Peter : So sin mr bol richtig b'soffe.
48 —
Tissi : Mr wann-is alle wehre.
Peter : Mr wann alle z'sammelege.
Tissi : No mache mr se vor dr Entscheidung noch
z' gumpe.
Peter : No trinke mr, vor eb mr scheide, noch a Humpe
(zum Tissi) Ich steck's uff, s' lache mi jo alle üs !
Vorsitzender : S' isch jetz genüe vu dam Unsinn ! Wer
hats Wort verlangt ?
Alter Arbeiter : Ihr Herre !
Mehrere Stimmen : Do git's kei Herre, do git's nur
Genosse !
Alter Arbeiter: Genosse! Ich möcht garn ebbis rede . . .
Ich ha zwar net viel verstände, vu dam wu mr bis jetz g'redt
hat, awer ich bi net so dumm, ich ha glich üseg'funde, ass's
wage dr Wahl isch. Mr hat mr namlig g'sait, s' that hite a
Socialdemokrat a Red halte un will ich noch nie kei SociaU
demokrat g'sah ha, so hat mr mi Frau erlaubt do ane z'kumme.
Ja, ich müess sage, ich be jetz 66 Johr alt un 42 Johr uff 's
Baredracks, un ha noch nie kei Socialdemokrat g'sah. Ich sitz
jetz bol zwei Stund do un weiss allewill no net, well's ass ne
isch, jetz möcht i froge, ebb's da Ditsch isch wu vorig g'redt
hat ? Ich ha mr namlig a so ne Socialdemokrat ganz anderscht
vozg'stellt — da isch jo wie mir o !
Verschiedene Stimmen : Üse ! !
Vorsitzender : Han ihr sunscht noch ebbis z'rede ?
Alter Arbeiter : Ja, will mr grad dra sin — lüege, ich be
jetz 66 Johr alt un 42 Johr uff's Baredracks, un verdien mi
Thaler alle Tag. Isch das net schön ? Die Herre sin noch
allewil ordlig mit mr gsi, un s'letschte Johr ha-n-ich vum Herr
salwer 50 Franke biku. Friejer hat mr nie nit g'hört vu Socialischt,
awer siter ass die Fijlenzia regiert hat, die Sucht, siter sin d'Lit
nimmig z' friede, lüege ich be jetz ....
Peter (unterbricht) : 66 Johr alt !
I Alter Arbeiter : Ja un . . .
Tissi (unterbricht) : 42 Johr uff's Baredracks !
Alter Arbeiter : Ja, wu har wisse ihr das . . . ? Awer
ich be noch allewil z' friede gsi, ja un drno, das teile, ein wu
viel hat, da will net mit mr teile, un ein wu wenig hat, mit dam
will ich net teile. Ich be jetz 66 Johr ....
Vorsitzender (unterbricht): S'isch jetz genüe! Dr Herr
Wurm hat s'Wort. Wann se do uffe ku ?
49 —
Wurm (geht auf's Podium, stottert sehr stark und wirkt hierdurch
komisch): S'isch zwar a g'wogte Sach vu mir, fir allei do wella
klimme geh Opposition mache un ich weiss im Vorüs, ass ich
do drmit wenig Succes ha wird !
Mehrere Stimmen : Bravo !
Wurm : Awer, wenn ich so ne aUer Arweiter rede hör,
wu sich awer net üsdriici<e ka, so bring ich's net iwer's Harz,
fir's Mül z'halte. Ich ka zwar o net güet rede, awer ich ka
mich doch besser üsdrucke !
Peter : Ja, ja, du druck'sch güet dra ume !
Vorsitzender (klingelt): Lehn da Mann drucke — eh —
rede ha-n-i welle sage !
Viele Stimmen : Bravo ! Bravo !
Wurm : Unser nachseht G'meinrot, hat vor allem d'Ufgab
jetz energisch z' bramse. Mr hat scho viel zViel Gald zuem
Fanster üse g" worfe, un wenn se 's net ufstecke, so mache
mr z'Milhüse noch Fallit. Ar müess lüege, ass ar züe Gald
kunnt, fir ass d' Stire wider awe gehn. — Se seile dr bl .
l-)[ bl . . . (blute Mann will ihm nicht über die Zunge).
Tissi (ruft) : Sag Schweissdissi I
Wurm : Dr Schweisstissi verkaufe, wu's Bronze eso tir
isch. Anstatt a Saalbaü z' errichte, seile se d' Concerts un das
Dings in dr Markthalle lo abhalte. Anstatt de städtische Arweiter
vu hie, wu nur allewil meh Lohn wann, seile se Polacke losse
kumme, wu fir 50 Pfennig dr Tag schaffe! (Das Publikum fängt
an zu murren.)
Stimme von oben: Keije ne üse! (Schliesslich fliegen dem
Redner etliche Sachen von der Gallerie an den Kopf worauf er das Podium
verlässt. Der Polizeikomissar steht auf und ergreift den Helm.)
Vorsitzender (läutet und sofort ist es ruhig) : Das derf net
vorku, bi uns derf jeder rede un wenn ihr net wann, ass
d' Versammlung ufg'löst wird, so mien ihr eich rüehig verhalte !
Viele Stimmen : Bravo ! Bravo !
Vorsitzender : Candidat, Genosse Ruri hat s' Wort !
Tissi : Noch a Aügeblick, Herr Genosse, Präsidant, vor
eb mi Colleg afangt, noch a Wort !
Vorsitzender : Awer schnall !
Tissi (schreit): Kattala, lang mr noch a Humpe ! (Gelächter.)
Genosse Ruri : Arweiter und Genosse ! Wenn ich
noch a mol s' Wort verlangt ha, so isch's nur, inn noch ver-
schiedene Punkte vu unserem Programm, wu bis jetz no net
veröffentligt gsi sin. Eich mitz'teile. S'isch im letschte G'meinrot
- 50
scho sehr viel <^'macht worde iin mir warde im iiachschte
G'meinrot noch viel meh verspräche — ah — mache, will i
sage. Mir v^ann drfir sorge, ass d' Electricität net nur z' Nacht
brennt, fir ass die Fitzer uff dr Stross umeziege könne. Nai,
d'Arweiter mien o amol heiter sah z'Milhüse, un wage dam
solle die Bogelampe z'Morge am sechse brenne, wenn d'Arweiter
uff d'Arwet gehn. Drno wa-mr fir giiete Schüele sorge — güete
Schüele isch ein vu de erschte Punkte wu mr im Aüg han. Mr
mien güete Schüele ha, fir ass mir g'scheitere Kinder bikumme,
ass unsere Eltera g'ha han. Mir wann o d'Öffentligkeit vu de
G'meinrotsitzunge. S' derf jeder höre was mir z'sage han, un
s'sell o jeder rede könne was ar will. Mr soll in keim s' Mül
wella stopfe, wenn ar ebbis sage will, un wenn's o net in alle
g'fallt. Mir sin fir d' Meinungsfreiheit, fir d' Pressfreiheit un das
was mir fir uns beanspruche, das wa-mr o in andere züekumme
lo. Un drno im Thiergarte dert owe müess o noch a mang's
g'changiert warde. S'sin jo gar kei wilde Thierer dert owe, kei
Lob, kei Tiger, kei Elephant un nur ei Kameel un ich hoff, ass
mit'm neie G'meinrot noch meh vu dane Thierer dert uffe
kumme warde. (Allgemeiner Beifall.)
Stimme von oben : Bravo ! Bravo !
Friedrich (steht auf) : Weite Anwesende !
Vorsizender (unterbricht ihn) : Ich ha ihne s' Wort net
erteilt !
Friedrich : Aber sähen sie, mein Gutester Herr, ich hab
sie nämlich schon drei mal den Finger in die Höhe gestreckt,
aber sie haben mich nicht gesäh'n ....
Vorsitzender : Aha, sie han s' Wort !
Friedrich : Meine Herren Genossen ! Bei uns in Sachsen,
da sagt man nur immer : Nur immer gemitlich, denn nur die
Ruhe gann's machen. Ich bin sie nämlich aus Sachsen, und bin
erst gestern hier angegommen. Ich gann sie nämlich gar nicht
verstehen, dass die Arbeiter so unzufrieden sind mit den Herrn
Meistern. Sähen sie, meine Herren Genossen, als ich gestern
Abend hier angegommen bin, da ist mein neier Herr Chef mit
der ganzen Familie am Bahnhof gewesen und haben mich
empfangen. Sähen sie, das macht doch einem Vergnügen.
Arbeiten darf ich schon gar nicht, denn mein neier Chef hat
schon rausgefunden, dass er eigentlich mein Onkel ist und da
war doch natürlich eine grosse Fraide. Aber was das beste ist,
er hat sie nämlich eine Tochter, ein feines, hibsches Mädchen,
und die will . . . (Borax wirft ihm in demselben Augenblick einen
faulen Apfel an den Kopf^ so dass er umfällt. — Beim Aufstehen) Immer
gemütlich, ich hör ja schon auf!
Vorzitzender : Was ihr do verzähle, das wird wenig vu
uns interessiere un g'hört net züe dr Wahl. Han ihr sunscht
noch ebbis z'sage ?
Friedrich : Ei, ich hab's ja nicht so eilig, ich gann ja
nachher noch einmal sprechen. (Zu Pickel) Du willst doch auch
mal etwas sagen (sitzt ab).
Vorsitzender: Güet, drno ertheil ich s" Wort im Herr
Pickel, Candidat vu dr Gegnerlischte. Ich möcht d'Awasende
bitte, sich ewe so rüehig wie vorhar z'verhalte, denn s'isch doch
o interessant, z'liöre, was unsere Gegner zVerzähle han.
Pickel (geht auf's Podium): Warte Anwasende ! ich ha
g'meint, wu ich do ane kumme bi, ass ich wirklig ebbis lehre
könnt, awer bis jetz ha ich noch nix anders g'hört, ass a grosse
Schimpferei iwer unsere Partei un iwer d'Fawrikante ! Wenn mr
dane Herre do züelosst, so meint mr, se heige allei s' Monopol
fir iwer d'Arweiterversorgung z'rede !
Maurer (von der Gallerie) : Ach, jetzt erkenn ich ja meinen
Onkel! (Spektakel auf der Gallerie) S'ist mein Onkel! (Unruhe im
Publikum.)
Vorsitzender (klingelt) : Rüehig, dert owe, un net unter-
brache !
Pickel (fortfahrend) : Mr han o vu unserer Partei Manner
im letschte G'meinrot g'ha, wu fir d'Arweiter g'sorgt han. Das
Spöttle, wu ihr do triwe, isch scho vu grössere Geischter triwa
worde, ass do sin. Dr grand Voltaire isch o ne grosser Spöttler
gsi. Ar hat gsait : „Ni Dieu, ni Maitre !" un ar hat doch miesse
starwe. Dr grand Napoleon, hat vor eich scho G'setzer iwer
d'Arweiterversorgung g'macht, un ar isch doch o kei Social-
demokrat gsi, un dr Thiers un dr Gambetta o net, un sin doch
o grosse Lit gsi. Folglich derfe ihr o net giaüwe, warte An-
wasende, ass eier ganze Glück, vu dane Herre Genosse abhangt.
Un wenn eire Partei da blutte Mann uff dr Rothüsplatz hat
stelle lo, so sin mir's gsi, wu dr Ablaüfkanal iwerdeckt han.
Mir sin's o gsi, wu d' Gleislose han errichte lo, un wenn die
jetz no net lauft, so isch's nur, will ihr uns Bangel in d' Räder
g'steckt han. Mir hätte o noch Kleider, un im Winter e
Pardessus, fir da blutte Mann g' votiert, un do traue ihr noch
z'sage, mir sötte spare! Wer hat die Kleider abg'schlage ? Wer?
Nur ihr ! Ja, ihr Herre .... ich be o Candidat fir dr
nachschte G'meinrot, un ihr wisse alle, wer ich be. Ihr kenne
mich alle !
Maurer (von der Gallerie): Ja, ich kenn ihn auch; es ist
mein Onkel ! Du, Onkel, ich such dich schon so lange ! (Grosser
Spektakel von der Gallerie. Verschiedene Fäuste fallen auf iWaurer.)
— 52
Vorsitzender : Ich mahn sie jetz ziieiii zweite mol, dr
Redner net z'störe !
Pickel (fortfahrend) : Wage dam möcht ich eich bitte, alle
dane, wii s' Wohl vu unserem liawa Milhüse am Harze liegt,
alle dane, wu g' vvillt sin, z' rette was noch z' rette isch, ass se
d'Aüge uffmache, un rächt lüege, wer se wähle. Mir isch mi
Vaterstadt wie ne Kind an 's Harz g' wachse. Danke dra, s'git
noch ebbis Höchers iwer uns, un das derf mr nie vergassc, mir
sin aile Brieder, un mr wann zsammehalte, ass wenn a mol da
Tag kunnt, wu mir Rachenschaft ablege mien, iwer unser Handle
uft dare Walt, so danke an mich !
(Peter und Tissi heulen laut und ringen die Taschentücher aus.)
Vorsitzender : Was isch denn do los, do owe ?
Peter : S' isch awer o so trürig !
Pickel : Un wenn ihr eire Stimme abgan, so vergasse
nit, ass ich o Candidat be, un nur s' Wohl vu Milhüse im
Aüg ha !
Tissi : Da güete Mann !
Maurer (kommt herunter, gefolgt von den Streikposten, welche ihn
zurück zu halten suchen) : Es wird mir aber doch zu dumm, ich
will einfach zu meinem Onkel !
Vorsitzender (klingt) : Das isch jo allewil dr namlig, wu
da Spektakel macht !
Viele Stimmen : Keije ne üse ! Üse ! Üse !
''Polizeikommissar winkt den Schutzleuten, welche den Maurer mit
Gewalt aus dem Saal hinaus bringen.)
Publikum : Bravo ! Bravo !
Pickel : So isch's rächt !
I. Streikposten (zu Pickel): Ihr han's noch notwendig,
eier Mül z' verrisse, ihr Halsabschnider, ihr Litüssüger !
Frau Pickel (zu ihrem Mann, heftig gestikulierend) : Ihr seile
ni schäme ! Un du bisch o ne Waschlumpe, losch di do
aschaüze wie ne Schüelerbüe !
I. Streikposten : Ich verlang s' Wort, Herr Vorsitzender.
Vorsitzender : Dr Genosse Greber hat 's Wort !
I. Streikposten : Ich will nur dam süfre Herr un sinre
Madame, wu grad g'redt han, a Antwort ga. Da Mann, wu
grad üsekeit worde isch, hat dr Candidat Pickel, vu dr andere
Lischte, vor zwei Tag salwer kumme lo, üs Sachse. S' isch a
Mürer, wu hat seile geh schaffe bi-n-em. Ihr wisse alle, ass
d'Mürer hie Greve mache, wil se bis jetz Hungerlöhn verdient
han. Fir eich a Idee z'ga, was fir a Fino da Herr isch, ar hat
sim Arweiter g'schriewa, ar soll nur sage, ar wott züe sim
Onkel, fir ass mr ne net empechiera geh z' schaffe. Avver mir
sin so schlau ass ar, un mr han da Vogel g'fanga !
Pickel : Das isch nit wohr, ich protestier do drgege !
Friedrich : Aber, lieber Onkel, da muss ich denn doch
dir Widerreden. Da hat doch der Mann recht, wenn er sagt,
dass du die Arbeiter an der Bahn abgeholt hast. Du hast ja
mich auch abgeholt! (Publikum lacht.)
Pickel (zu Friedrich) : Dich han-i jetz grad noch brücht,
fir mir das z' verzähle !
Friedrich : Na ja, aber die Wahrheit darf man ja sagen,
lieber Onkel !
Pickel : Ah, was ! Du kasch mr o g'stohle warde !
(Grosser Radau im Saal. Von der Gallerie flie.sTen Gegenstände auf
Friedrich und Pickel. Alle Anwesenden sind aufgestanden und machen Lärm.
Der Vorsitzende klingelt vergebens. Unbeschreiblicher Lärm.)
Polizeikommissar (steht auf, setzt seinen Helm auf und ruft
in den Saal) : Im Namen des Gesetzes, erkläre ich die Ver-
sammlung für aufgelöst, und ersuche die Anwesenden, den Saal
ruhio" zu verlassen. (Das Publikum veriässt unter Protest den Saal.)
Tissi : Das heisst mr üsekeit :
Alter Arweiter : ich be jetz 66 Johr alt un 42 Johr uff's
Baredracks, awer ich be noch niene üsekeit worde, wenn das
mine Frau erfahrt.
Vo r h a n g fällt
— 54 —
V. AKT
Personen -Verzeichnis
Pickel
Betrunkener
Frau Pickel
Rothaariger
Gennaine
Blinder
Friedrich
Tourist
Maurer
Touristin
Borax
Vereiusbruder
Peter
Schutzmann
Tissi
Chemiker
I. Chemiker
2 Wahlschlepper
11.
2 Kellnerinnen
111.
Vereinsbruder
Alter Arbeiter
Volk, Herren die Wah
h-esultate überbringen.
Die Bühne stellt den Rathausplatz nach der Wahl vor. Hintergrund
Rathaus. Auf dem Platze das Monument. Wenn der Vorhang hochgeht ist
ein Haufen Volk auf der Bühne, welches das Wahlresultat erwartet. Am
Eingang zum Rathaus, an der oberen Türe ist ein Schild angebracht, auf
welchem „Wahllokal" steht. Pickel ist oben auf der Treppe. Tissi und Peter,
sowie der alte Arbeiter aus vorhergehendem Akt, stehen unten bei den
Wartenden. Herren, die Wahlresultate überbringen, gehen auf's Rathaus.
Pickel (ruft) : Mr han scho 3 800 Stimme!
Volk : Bravo ! Bravo !
Betrunkener (kommt ausf 's Rathaus zu) : D' Sieger seile
lawa ! (zu Peter) Ein vu de Rote hat mr namlig a Thaler ver-
spreche, wenn se üsekumme, jetz ha-n-i ne scho versöffe !
Peter : Ja, wenn se awer net üsekumme ?
Betrunkener : S'macht nit, ein vu de Schwarze hat mr o
ein verspreche. E Thaler verdien-i uff alle Fall, un da ha-n-i
scho versöffe ! (Alles lacht. Betrunkener ab.)
Alter Arbeiter : Eh awer nei, jetz bin-i schu 66 Johr alt
un 42 Johr uff 's Baredracks, awer eso ebbis isch mr doch noch
nie vorkumme !
(Man hört die Chemiker kommen. Dieselben erscheinen im Gänsemarsch,
ein Lied pfeifend. Borax an der Spitze. Pickel kommt die Treppe herunter.
Die Chemiker formieren einen Kreis um Pickel herum.)
Chemiker: Bravo! Dr Herr Pickel soll lawe !
Pickel : Langsam, ihr Herre, s' isch no net so wit I
Borax : Ja frilig, [s'geht alles güet. In dr Bourse sinr
sicher g" wählt !
I. Chemiker : In dr Lang Gass han 'r am meischte
Stimme !
II. Chemiker: In dr Mittelschüel seige-n'r dr erseht!
III. Chemiker: Im Straügassle isch ein kumme un hat
g'sait, ar möcht d' Lischte, wu dr Herr Pickel druff isch, das
han-i g'hört !
II. Chemiker: Un ein hat alle Name dureg'striche ass
eirer net, das han-i g'sah. S' isch so güet, ass wenn'r scho uff
dr Mairie thate sitze !
I. Chemiker : Adjoint mien'r wäre ! Adjoint !
Pickel : Wurum net glich Maire ?
I. Chemiker : Me ka net wisse !
Pickel : Enfin, ich halt mi Wort. Wenn i üsekum, bezahl
i a Souper. (Alles ruft Bravo.) Nur net a so hitzig ihr Herre, nur
Geduld! (mit Pose) Ich weiss jo, ass ich g' wählt wir, awer
nur kalt Blüet un warme Unterhose ! (Alles lacht — zu Borax, ihn
bei Seite nehmend) A propos, Herr Borax, das letschte Flugblettla
wu-n'r gmacht han, hat zünde. Ihr han i iwerhaüpt viel Mieh
ga, un ich müess i noch vielmol merci sage. Ihr han e grosser
Verdienscht dra, wenn ich üsekumm. Ich wir i das net vergasse.
Ihr han eich als a Frind zeigt in dare Wahl.
Borax : Ja, Herr Pickel, ich bin e Frind vu ihrer Familie,
un s' isch mi sahnligschter Wunsch gsi, fir noch mehr z'ware
in ihrer Famile, ass nur a Frind, awer, leider isch da neveu
üs Sachse ....
Pickel (unterbricht ihn) : Sin mr nur still, mit dam neveu.
Da hätt i jetz grad satt. Rede mr net vu dam Schlingel ! Ihr
sin jo drbi gsi gescht in dr Versammlung. Haltet da Mensch
züe mine Gegner. Thate ihr in so me Mensch eire Tochter ga?
Borax : Ich will halt net hetze, awer garn hätt i's halt
o nit !
Pickel : Ich ka da Karla efange nimme sah. Am liebschte
war's mr, wennV zum Hüs dusse war !
Borax : Nix lichter ass das. Wenn'r wann, chargier ich
mi druinm ?
Pickel : Nur fürt, nur fürt ! Ihr mache mr e grosse
Plaisier mit. Ar hat jo nix meh z' schaffe do. Ich ha-n'm
gescht z' Nacht schu g'sait, ass ar sich s' Germaine ka üs'm
Kopf schlage !
56
Borax : Herr I^ickel, ich ka iline züe ihrem Entschluss
nur gratuh'ere. S' hätt mir im Harze weh do, wenn sie ihre
Tochter dam Mann ga hätte. Sie kenne jo mine Empfindunge
züe ihrer Tochter un ich glaub, ass ich noch dam allem
d' Hoffnung nit uffga brüch !
Pickel : Hoffe derfe-n'r allewil !
Borax (bittend) : Herr Pickel, sie wisse wie n'ich's mein,
gan se mr doch a Antwort !
Pickel : Lehn mich doch in Rüehj, ich ha ebbis anders
im Kopf ass eire Hiroterei ! (geht ab auf das Rathaus — im Aboehen
zu Borax) Ich will liewer geh liiege, wie mine Aktia stehn. Wenn
mine Frau kunnt — ich be do owe, kumm awer gli wider!
(Während der vorigen Scene haben sich zwei Kelhierinnen zu den
Chemikern gestellt. — Stummes Spiel.)
Tissi (fragt einen kommenden Arbeiter, der eine knallrote Perrücke
trcägt) : Hasch o g' wählt ?
Rothaariger : Ja sali scho :
Tissi : Wer? (Rothaariger zeigt, ohne ein Wort zu sprechen, be-
deutungsvoll auf sein rotes Haar.) Aha, rot ! (Alles lacht. — Im selben
Moment wird ein Blinder von zwei Wahlschleppern vorgeführt.)
Blinder (streckt die Hand aus): Alles schwarz, alles schwarz!
(Frau Pickel, Germaine und Friedrich erscheinen. Borax geht auf die
Gruppe zu.)
Borax : Bonjour, Mesdames ! Dr Herr Pickel isch uffa.
Ar hat gsait, se sötte do uff ne warte !
Frau Pickel : Ah, merci. A propos, wie steht's, sin mr
g' wählt ?
Borax: S' lauft alles wie uff Rädle, d' Üssichte sin
ganz famos !
Friedrich : Na, da sahn sie jetzt, und dabei machen sie
mir seit gestern Abend Vorwürfe und behaupten, ich hätte ihnen
die Wahl verkorkt !
Frau Pickel : Bisch numme Du still ! Wenn's uff dich
a-kamm, thate mr is nur blamiere !
Borax: Ja was isch denn los? (winkt Germaine unauffällig zu.)
Friedrich : Na, sie waren ja dabei, gestern Abend in der
Versammlung. Was hab ich denn gesagt ?
Germaine (ärgerlich): Mais viens donc, Maman ! II va
nous compremettre ici devant tout ce public. On nous regarde
dejä de tOUS CÖtes ! (geht mit Frau Pickel zur Seite.)
Friedrich : Da haben wir den Salat. Auf einmal reden
sie französisch und da steh ich da wie der Ochs am Berg !
Borax : Ja, was han'r denn ag'stellt ?
Friedrich : Weiss der Teufel, was in die Leute gefahren
ist. Vorher waren sie immer so nett und h"ebenswürdig, aber
seit gestern Abend ist alles wie umgewandelt. Herr Borax, tun
sie mir den einzigen Gefallen und legen sie doch ein gutes Wort
ein für mich. Die Germaine hält doch so grosse Dinger von
ihnen, sie werden die Karre schon wieder aus dem Dreck
herauskriegen.
Borax ; Ich will's prowiere, awer ich ka halt net garantiere.
Ich g'sieh, se sin halt schrecklig bös uff-i !
Friedrich : Nu ja, sie müssen mir wieder aus der Patsche
helfen. Ich hab doch auch in allem ihren Rat befolgt und zu
allem, ja gesagt. Mir ist die Sache ja selbst so komisch vor-
gekommen, aber nun wäre halt die Gelegenheit mal gerade so
günstig gewesen. Und das können sie mir glauben, ich war
immer ein tüchtiger Arbeiter, ich sag', ich schaff für Zehne und
der Herr Pickel hätt sicher einen tüchtigen Schwiegersohn an
mir gehabt.
Borax: Enfin, mache-n-i jetz kei Grille, do gehn mit mine
Frind, ich will siter mit dr Mamsell Germaine reda un lüega
was z'mache isch.
Friedrich : Na ja, ich zähle auf sie !
Borax: Ihr derfa uff mich zähla ! (Zu Chemikern) Ditts
donc ! Occupez-vous un peu de cet animal lä. Allez boire un
bock avec lui !
Friedrich : Das ist doch französisch, nicht wahr ? Ja
sehen sie, das hatf ich gleich rausgehabt ! Wissen sie, ich kann
nämlich auch schon ein bissei : Bongschur, Mussie, oui, oui,
o revar usw.
II. Chemiker: Allez kumm, Brüeder Essig, mr gehn ein
geh packe! (Die Chemiker nehmen Friedrich in die Mitte und ziehen
singend ab.)
Pickel (ist wieder oben auf der Treppenbrüstung erschienen und ruft):
Karlin, schu 5 400 Stimme!
(Der Betrunkene von vorhin wird von einem Schutzmann zur Wache
geführt).
Borax (zu Pickel): Kumme-nr üse ?
Betrunkener (auf das Wachtlokal deutend): Nei, ich kumm ine!
Alter Arbeiter : Awer nei, wie ka mr numme eso süffe.
Ich be doch jetz schu 66 Johr alt un 42 Johr uff 's Baredracks,
un ha noch nie kä Kischte g'ha !
Frau Pickel (zu Oermaine): Wart do unte, ich will schnall
geh lüege, wie mr stehn ! Herr Borax, bliewe doch a Aügeblick
bim Germaine, ich kumm glich wieder! (Ab auf die Mairie.)
58 -
Ein Herr und eine Dame, Deutsclie in Loden-Anzügen erscheinen,
betrachten das Rathaus, steilen sich vor das Monument und blättern suchend
im Baedecker nach.)
Touristin: Was geht denn hier vor ? Was machen denn
die vielen Leute da ?
Tourist (zu Peter und Tissi) : Ach, entschuldigen sie, bitte,
was hat denn dieser Volksauflauf zu bedeuten ?
Tissi : Mr warte uff d' Franzose !
Touristin: Was sie nicht sagen?
Tissi : Ja, siter anno 70 !
Tourist (lacht): Und was stellt denn dieses Monument vor?
Peter: Das isch dr Schweisstissi!
Touristin : Was ist das Schweisstissi?
Peter : Dr blutte Mann !
Tourist: Ja was stellt er denn vor?
Peter : Ar stellt nix vor !
Tourist : Ja, er muss doch was vorstellen ?
Peter : Ja, ja, ar stellt schu ebbis vor !
Tourist : Ja, was denn nun ?
Peter: Eh, ihr sahn's jo! S'rachte Bei! (Alles lacht.)
Tissi : Heisch'm jetz di Trinkgald !
Tourist : ich danke schön ! (ab.)
Duett
(Auf verschiedene bekannte Melodien i
Wer hat Dich du blutter Mann aufgestellt so hoch da droben
Deine Meister will ich loben.
Denn so wie du so lieblich und so schön
Hat man noch selten ein Standbild gesehen,
Ich weiss nicht was soll es bedeuten
Dass er so traurig ist
Du, du liegst mir im Magen
Du, du liegst mir im Sinn.
Er steht in finsterer Miternacht
Vor'm Rathaus hier und haltet Wach
Wenn er ein Vöglein war und auch zwei Flügel hält
Flog er davon.
Und zwar nach Lindenau
Dort ist der Himmel blau.
Sei nicht böse es kann ja nicht sein
Und schicke dich drein.
Verlassen, verlassen, verlassen ist er
Weit weg von der Heimat das schmerzt ihn so sehr.
Oh du lieber Augustin, s'Geld ist hin, alles ist hin
Oh du lieber Augustin, alles ist hin.
Oh schöne Zeit, oh selige Zeit,
Glücklich ist wer vergisst,
Was nicht mehr zu ändern ist.
Gustav, Gustav ärgere dich nicht und mach kein Gesicht
Det schickt sich nicht
— 59
Denn es ist mal bei uns so Sitte
Chaciin ä son gout.
S'ist mal bei euch so Sitte
Chacun ä son gout.
Oh jerum, jerum, jerum
Schweissdissi mach doch kehrum.
(Während der letzten Scene ist Borax mit Germaine etwas seitwärts
gegangen und hält sie um die Taille )
Frau Pickel (erscheint auf der Treppenbrüstung und ruft) : Mr
han schu 6 000 Stimme! (Volk unten ruft Bravo! — Frau Pickel geht
wieder hinein.)
Borax : Ja, was hat'r drno gescht z' Nacht noch g'sait ?
Ar hat vorig net üse welle mit dr Sproch !
Germaine : Eh, weisch, ich ha dr Papa plogt im ha
ag'halte bi-n'm, drno han-i ihm gsait, ass ich nie a anderer wird
namme, ass dich. Ich ha ihn o dra erinnert, was du fir a Mieh
g'ha hasch mit sinre Wahl, die g'fizte Artikele, wu du g'schriewa
hasch, un d' Mama isch o uff min're Site g'stande. Un drno
z'letscht hat'r g'sait, ass, wenn ar morn g'wähit wird, indam
doch nit isch mit'm Friedrich, ar is drno sine Iwilligung ga wird.
Borax : Oh Oermaine ! Du mi harzig Schatzela ! Du
bisch jo so güet !
Germaine : Oh Theo ! Ich kennt jo alles^thüe, fir dich
z'bekumma, un wenn's noch hundert mol schwarer gsi war, ich
hätt's doch durekampft.
Borax : Wie bin ich so glücklig, eso ne tapfer Wiweia
zbekumme. Gal, Germaine, du hasch mich garn ?
Germaine : Ob ich dich garn ha ? Du Liawer du ! Oh
wie will ich dich glücklig mache !
Borax : Oh, Germaine ! Wie bisch du so liab zu mir !
(drückt sie ganz eng an sich, (m selben Augenblick erscheint oben Pickel.)
Pickel : He ! He ! Seil ich i hälfe do unte ? !
Germaine : Jeses, dr Papa ! (fahren auseinander.)
Peter (zu den beiden Überbringern der letzten Wahlresultate) :
Aha, do sin d'letschte Resultate I (zu Pickel) Wia steht's do owe?
Pickel: S'sin schu 6 800 Stimme!
Tissi : Fir wer ?
Pickel : Fir uns :
Tissi : Ja, un unsera, sin se boll dusse ?
Pickel : Ja, ja, dusse sin se boll ! (Alles lacht. — Pickel ab.)
Borax (zu Germaine): Hasch g' hert, Germaine? 6 800
Stimme hat di Papa scho. Jetz isch kei Zwifel meh, ar isch
g'wähit. Unserem Glück steht nix meh im Wag!
60
Germaine : Oh Theo, ich ka's jo gar net glaüwe ! Ich
be so olückhg, ass ich dich ha . . . Wenn jetz blos dr Friedrich
zum Hüs dusse war. Ar isch mangmol eso uffdringlig, ass ich
scho paar mol in d' Versijechung ku be, fir im Papa z'sage, ass
ar gar net dr rächte Cousin isch.
Borax : Um's Gotteswille, Germaine ! Loss mi in dare
Affare nur ganz allei mache. Ich wird schu alles wieder in's
rächte Gleis bringe.
(Einige Herren, Vereinsbrüder, in Cylinder und Gehrock, ziehen aut.)
Peter (zum Vereinsbruder) : Kumme-n'r vu ne re Licht !
Vereinsbruder: Nei, nei, mr wann de Neie ku gratuliere!
Peter : Ja wisse-n'r schu, wer üsekunnt ?
Vereinsbruder: S'isch egal, mir Vereinsbrieder halte-n-is
jetz an de Neie !
Alter Arweiter: Wie ka mr numme! Ich be jetz 66 Johr
alt un 42 johr uff's Baredracks, awer ass 's eso Lit git, ha-n-i
net g' wisst.
(Jetzt drängen von allen Seiten Leute auf die Bühne. Oben auf der
Treppe erscheint Pickel und Frau.)
Pickel (ruft) : Mr sin g'wählt ! Karlin, mr sin g'wählt !
(Fallen sich in die Arme. Unten grosser Applaus. Bravo ! Es formieren
sich zwei Gruppen, auf der einen Seite die Genossen, erkenntlich durch rote
Kravatten etc., die natürlich nicht am Applaus teilnehmen. Pickel und Frau
kommen gegen die Wache herunter. Pickel wird von allen Seiten beglück-
wünscht. Desgleichen einige seiner Kollegen. Germaine und Borax auf
Pickel zu. Germaine fällt ihren Eltern um den Hals, dann nimmt sie Borax
an der Hand.)
Germaine (zu Pickel) : Qh, Papa, wie sin mir eso glücklig?
Jetz isch dr Wunsch vu uns alle erfüllt. Du bisch g'wählt, un
ich derf mi Theo ha, gall Papala !
Borax: Oh, Herr Pickel! Sie mache mich zum glückligschte
Mensch vu dr Walt !
Pickel : Haltela ! S' isch no net eso wit !
Frau Pickel : Du müesch di Wort halte, un jetz isch
ferig. Mit dam Andre isch doch nit !
Germaine: Oh, Merci Mamela (umarmt sie stürmisch).
Pickel (zu Borax): Eh, wenn s'Karlin ha will. Mi Saga
hann'r . . . (Germaine und Borax umarmen sich. Inzwischen kommen
die Chemiker mit Friedrich zurück. Die Chemiker gratulieren Herrn Pickel zu
seiner Wahl, Friedrich desgleichen. — Dann werden Germaine und Borax von
den Chemikern umringt, die ihnen zur Verlobung gratulieren).
Friedrich: (zu Pickel) Na, Onkel, nu gratulier ich dir aber
recht herzlich. Siehst du nun, ist doch alles ganz famos gegangen
und hoffentlich wirst du mir nicht mehr böse sein!
61 —
Pickel: Jo, s'iscli scho güet, ich bi jo net bös, awer
weisch üs dara ....
Frau Pickel (einfallend zu Friedrich): Verderb niimme du
n is d'güete Lüne nit.
Friedrich: Ja, un die Germaine?
Pickel : Die derf jetzt hirote.
Friedrich (Will auf Pickel zu und ihn umarmen): Ach Onkel,
SO vvär's denn . . .
Pickel (abwehrend) : Ja awer nit mit Dir.
Borax (hinzukommend) : Nei, mit mir.
Friedrich (erstaunt) : Nu, aber hören sie mal, da hab ich
mich bei ihnen gerade an die richtige Adresse gewandt! Na, die
Hauptsache ist, dass ich bei dir bleiben darf, lieber Onkel.
II, Chemiker: Kamerade, wie mer soewe erfahre han,
hat sich unser Frind Borax mit d'r Mamsell Germaine f^ickel
verlobt. Das neie Brütpaar seil lawe, hoch I hoch .... hoch
(alles ruft mit.)
Vereinsbruder: Silance ihr Herre, mir sin kumme fir
dane neie Herre, un vor allem im Pickel harzligscht zu sinre Wahl
z'gratuliere (Bravo)! Ihr Herre, mir Vereinsbrieder, sin alle fescht
iwerzigt, ass dr Herr Pickel si Meeglischt's macha wird, fir unsere
Milhüser Societäte z'fördere un z'unterstütze.
Pickel : Ich bi tief geriehrt, durch die harzige Worte, wu
sie an mich, an ein vu eire neie Stadträt, g'richte han. Warte
Mitbirger, ja ihr derfe iwerzigt si, ich wir nit nur a Saalbau er-
richte lo, nei, e jede Societät müss ihr eige Lokal ha. Ich be jetz
Conseiller-Municipal, s" isch a schön Wort, awer schöner noch
d'Pflichte, wu ich mit dam neie hohe Beruef z'er-ille ha. Milhüse,
ich weiss, was ich dir schuldig bi.
Tissi : Gan mr mi Teil gli.
Pickel : Ich will gar nit rede vum pas, vu dr Elektrizität
un Tramway. Nei höcher lenkt mich mi Blick. Mir Elsaesser wann
jetzt andlig emol d'namlige Rächte ha, zum Beispiel wie d'ane im
Badische. Gehn emol uf Neieburg. Dert derfe se dr Matin läse,
dert derfe se d'Marsaillaise singe un sogar „Vive la France" briele!
Birger, ihr derfe n'eich druff verlo, ich mach ....
Tissi (einfallend): Was ihr kenne.
Pickel: Ja, was ich ka, so wohr, ass ich Pickel heiss (Die
Umstehenden klatschen unter Bravo und o;ratulieren Pickel zu seiner F\ede.
Alter Arweiter (zu Pickel): Ich bi jetzt 66 Johr alt un
42 Johr uff's Baredraks, awer eso ne Red han-i noch nie g'heert.
62
Maurer (der mit einem Schutzmann heftig gestikuh'erend aus der
Wache kommt): Aber wenn ich ihnen sage, ich hab doch einen
Onkel hier, den ich besuchen wollte. Solch ein Pech ist ja noch
keinem Menschen vorgekommen.
Schutzmann: Na, ich warne sie blos, machen sie nicht,
dass sie noch ein drittes Mal hierherkommen.
Vereinsbruder: Mir mien im Herr Pickel harzligscht danke,
hr sine Worte. Dr Herr Pickel seil lawe !
Alles (fällt ein in den Ruf): Dr Herr Pickel seil lawe!
Maurer (plötzlich stehen bleibend): Dr Herr Pickel! Na, das
ist doch mein Onkel I
Borax (der mit Germaine abseits steht): Jeses, jetzt miiess
da o noch kumme, an da han-i gar nimmi dankt.
Maurer (geht auf die Gruppe Pickel zu, gefolgt von Qermaine^
Borax und Friedrich; drängt sich durch die Leute durch) Na, jetzt lass
ich mich nicht mehr zurijckhalten. Ich werd' doch noch mit
meinem Onkel zusammenkommen (zu Pickel) Ach, entschuldigen
sie, sind sie nicht Herr Pickel?
Pickel : Natierlig, Herr Stadtrat Picke!, das bin ich, was
hatte-n'r wella?
Maurer: Na, endlich, ach, ach, das freut mich aber, wissen
sie, ich bin. nämlich ihr Neffe Friedrich aus Dresden.
Friedrich (für sich): Aha, auch so'n Verwandter.
Pickel : Nai, das packt nit, güeter Frind. (auf Friedrich deu-
tend) lüege do, das isch dr Neffe Friedrich.
Friedrich: Jawohl, das sind wir!
Maurer: Aber entschuldigen sie, lieber Onkel, sie sind
im Irrtum (nimmt einen Brief heraus) Da bitte, Überzeugen sie sich
selbst, sie haben mir doch geschrieben, dass ich sie besuchen soll,
und dann wegen ihrer Fräulein Tochter.
Frau Pickel: Do git's nit meh Fräulein Tochter (zu Picke!)
awer lüeg emol, was's das fir a Brief isch.
Pickel (betrachtet den Brief): Thatsachlig, icii ha-n'n gschriwa
(das Couvert betrachtend, liest) Herrn Friedrich Maurer, Lehramtkan-
didat, Dresden. Stimmt, das isch d'Adresse wu-n'ich salwer
g'schriwa ha. (zu Friedrich) Ja, wie heisch denn du ?
Friedrich : Ich heisse Friedrich Bemm'chen.
Pickel (höchst verwundert) : Bemm'chen? Ich ha g meint du
seigsch da Maurer ?
Friedrich : Ja, ich bin auch Maurer, ich bin sogar Maurer-
polier.
Pickel : Awer, wie kunsch denn du drno züe-n'is ?
63 —
Friedrich (nimmt ebenfalls einen Brief heraus): Da bitte,
Überzeuge dich lieber Onkel, du hast mir doch auch geschrieben !
Pickel (betrachtet den Brief) : Ja halt, do bisch dÜ . . . .
eh do sin ihr da Mürerpolier wu-n'ich erwarte ha! Ja wurum
han'r denn nit g'sait ?
Friedrich: Na, sie haben doch mich auch gar nicht gefragt!
Schlusscouplet
Pickel: D'Gmeinrotswahl isch unime, un ich bi jetzt g'wählt
T i s s i ; Aha
Ich ha viel versproche un noch meh veizählt
Peter: Aha
Was koscht doch das Amtla fir Mieh un fir Plog
Doch was ich jetzt halt, isch e nandere Frog
Refrain: Z'Milhüse, z'Milhiise, z'Milhüse
z'Milhüse kunnt's net so druf a, juche
z'Milhüse, z'Milhüse, z'Milhüse
z'Milhüse kunnt's net so druf a.
Borax: Was frog ich no Wähle, was no Politik
Ti ssi: Aha
Ich ha jetzt mi Schatzle un das isch mi Glick
Peter: Aha
Oh, wäre ihr numme so einig wie mir
No gings in Milhüse als nit hinterver.
Refrain: z'Milhüse
Peter: Oh arm Milhüse, wu bisch du ane ku
Tissi: Aha
Was nutzt jetzt das Handle, was han mr dr'vu
Peter: Aha
Mir fuchse jetzt eifach dr neie G'meinrot
S'isch namlig wie vorhar, nur schwarz anstatt rot.
Refrain: z'Milhüse
Keen Onkel, keen Meester und Mangel an Geld
Tissi: Aha
Und fort möcht' ich ooch nicht, weil's mir hier gut gefällt
Peter: Aha
Friedrich: Wenn se wüssten in Sachsen, wie schön es hier war'
S'blieb keiner mehr drüben, s'käm alles hierher.
Refrain: z'Milhüse
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